17.

Ronald kam von der Jagd zurück. An seiner Weidtasche hingen zwei Hasen und ein Dutzend Rebhühner und Wachteln. Er ging die Hügellehne, die zum Schlosse führte, langsam hinauf, denn die Sonne stand im Scheitel, und die Hitze war groß. Sein Hund zottelte hinter ihm her mit weit aus dem Maule hängender Zunge. Nun waren sie am Pförtchen in der Parkmauer angelangt, das auf die Felder führte. Während Ronald den Schlüssel aus der Tasche zog und sich bemühte, das vom letzten Regen her noch stark verrostete Schloß zu öffnen, hatte sich der Hund hingelegt, keuchend, mit fliegenden Flanken, den Kopf auf den ausgestreckten Vorderpfoten, und verwandte kein Auge von seinem Herrn, der nun, im Begriffe, die Tür aufzustoßen, lächelnd zu ihm niederblickte, als wollt er sagen: Ist dir’s recht, daß wir heimgekommen sind? Und Herr und Hund sahen einander an mit inniger Freundschaft und mit einem Ausdruck so voll von Rührung, daß er sich beinahe komisch ausnahm in den Angesichtern zweier solcher Recken. Dann gingen sie durch verwachsene Laubgänge über Wege, von Disteln und Hasenkraut überwuchert, dem Hause zu.

Ronald hatte die Terrasse erreicht und schritt dem Saal zu, der zwischen ihr und der Halle lag. Auf der Schwelle, die Klinke der halbgeöffneten Tür in der Hand, blieb er plötzlich stehen und winkte seinem Hunde, der sogleich, wie zu Stein geworden, sich nicht mehr regte, nicht einmal mehr keuchte, sondern seinen Herrn mit derselben atemlosen Aufmerksamkeit anblickte, mit welcher dieser das Bild betrachtete, das sich ihm darbot.

Mitten im Saale auf einem Schemel saß Röschen und erzählte einem Auditorium von sechs kleinen Personen eine, wie es schien, bewegliche Geschichte. Ihre Stimme hob sich hell und laut bis zu einem Ausrufe, dem eine Pause höchster Spannung folgte, dann sank sie zu geheimnisvollem Geflüster herab. Was sie erzählte, verstand Ronald kaum, er lauschte auch nicht ihren Worten, er lauschte nur dieser holden Stimme, ganz ergriffen von ihrem Klang, in dem eine Fülle von Empfindungen nach Ausdruck zu ringen schien. Röschen saß von ihm abgewandt, er konnte ihr Gesicht nur zum Teile sehen, nur den Umriß ihrer zarten Wange, nur die dunkelblonden Zöpfe des reichen Haares, die über ihre Schultern fielen, und die Löckchen in ihrem schlanken Nacken.

Das Publikum der Erzählerin hingegen war eitel Neugier. Die eine der Zuhörerinnen hatte den Zeigefinger in den Mund gesteckt, so tief es ging, riß die Augen und blies die Backen auf, und hörte zu aus allen ihren Kräften. Eine andere preßte das Kinn an die Brust, glühte über und über, hielt beide Fäuste fest geballt, und die trotzige Ungeduld ihrer Mienen sprach: «Weiter! Weiter! – Was kommt jetzt?»

Anitschka, im höchsten Staate, mit buntem, turbanähnlich um den Kopf gewundenem Tuche und breiter Halskrause, saß steif und feierlich neben ihrem Abgotte. Ihr dreijähriges Schwesterchen und noch ein zweites leichtsinniges Wesen in gleichem Alter hockten auf dem Boden und teilten ihre Aufmerksamkeit zwischen der Rednerin und einem goldgrün schimmernden Rosenkäfer, den sie in einem Schächtelchen mitgebracht hatten und nun auf der Diele herumspazieren ließen.

Ronald blieb eine Weile in der Betrachtung dieser Gruppe versunken, bald jedoch, als würde er beschämt inne, daß er hier die unwürdige Rolle eines Lauschers spiele, zog er vorsichtig einen seiner schwerbestiefelten Füße nach dem andern zurück und trat von der Türe weg, die er unhörbar wieder schloß. Dann wendete er sich rasch und stand Aug‘ in Auge mit Bozena.

Sie war hinter ihm durch den Gang gekommen, ohne daß er sie bemerkt hatte.

Die beiden maßen einander mit den Blicken. Fast drohend schien der ihre zu fragen: «Was hast du hier zu lauschen?»

Mit harmlosem Erstaunen schien der seine zu sagen: «Warum mißgönnst du mir den holden Anblick?»

Ronald legte grüßend die Hand an seinen Hut. «Sie sind Bozena», sprach er, «wir haben uns vor zehn Jahren am Grabe Ihres Herrn gesehen.»

Bozena bejahte.

«Und die Märchenerzählerin dort ist das kleine Mädchen, das Sie damals vom Friedhof hinweg in Ihren Armen trugen. Nicht wahr?»

«Ja, Herr Graf.»

«Wie ist die hold und lieblich geworden!» sprach er mehr zu sich selbst als zu ihr.

Das Gesicht der Magd wurde immer finsterer; sie warf den Kopf in den Nacken, sah Ronald wieder an wie früher, mit dem mißtrauisch forschenden Blick, und schritt an ihm vorüber in den Saal.

Ronald gab seine Jagdbeute in der Küche ab und wanderte nach seinen Zimmern. Auf dem Schreibtisch, neben den hochaufgestapelten Wirtschaftsbüchern und Rechnungen, fand er neuangelangte Briefe, alle dringenden, alle gleichen Inhalts. «Ihr sollt bald erledigt werden», dachte er und ergriff die Feder, um den Auszug aus der Gutsbeschreibung zu beenden, die er für Regula entworfen hatte. Die Arbeit wollte nicht vom Fleck gehen; lächerlich zu sagen, denn – wer könnte diese optische Täuschung erklären? – über die Katastralmappe, auf die er von Zeit zu Zeit einen Blick werfen mußte, sah er ganz deutlich kleine braune Locken fliegen, wie man sie doch nur, natürlich gekräuselt und seidenweich im Nacken eines Mädchen schimmern sieht … Und auf dem länglichen Viereck, das zyrillische Buchstaben als «Wiese» bezeichneten, lagen Rosen – Rosen die Fülle … Eine Knospe darunter, die aufgeblühten alle an Schönheit überstrahlend, wunderbar in sich geschlossen, den grünen Kelch in zartes Moos gehüllt. Sie schien sich leise zu regen, ihr duftendes Blättergefüge sich zu lösen, sich atmend zu entfalten unter seinem Blicke … Wie kindisch doch und störend, solch ein müßiges Spiel der Phantasie! – Am störendsten aber und wirklich unerträglich ist ein Vorwurf, den er sich machen muß. Seine Mutter hat gestern zu sprechen begonnen von einem jungen Geschöpf, einem Kinde, dessen Anwesenheit für sie ein wahres Herzenslabsal sei, und er, nur mit dem beschäftigt, was er selbst zu sagen hatte, schenkte ihr kein Gehör. Ein Unrecht, das er sogleich gutmachen will.

Er hat sich rasch umgekleidet und schreitet durch die Halle; heiß strömt die Luft ihm entgegen, die Hitze ist drückend, ein schweres Gewitter steigt am Horizonte auf; wie dichter bleigrauer Qualm türmen die Wolken sich übereinander, dazwischen schießen Blitze ihre glühenden Pfeile.

Ein Knecht rennt über den Hof und ruft Ronald zu: «Das kommt! Das kommt»

Ronald stieg die Treppe empor und begab sich nach dem Zimmer seiner Mutter. Er fand sie nicht allein, das Fräulein von Fehse leistete ihr Gesellschaft; sehr angenehme wie es schien, denn beide lachten herzlich. Die Wände haben Ohren, aber keine Zungen, sonst hätten die alten ihre Bewunderung ausgesprochen über den ihnen völlig fremd gewordenen Schall, der heute so munter an sie anprallte.

Die Gräfin stellte Ronald ihrer kleinen Freundin vor. Diese wurde etwas verlegen, als sie hörte, daß er sie heute schon gesehen, und beinahe in Versuchung geraten war, sie zu belauschen, und sagte: «Das wäre nicht recht gewesen.» Er wisse das wohl, meinte Ronald, deshalb sei es auch nicht geschehen. Sie sprachen angelegentlich zusammen, von Weinberg, von dem alten Hause, in dem Röschen aufgewachsen, von Bozena und Mansuet. So unbefangen auch ihr Auge dem seinen begegnete, es lag etwas in ihrem ganzen Wesen, das sagte: «Wie weit bist du mir jungem Kinde überlegen und lässest mich’s doch nicht empfinden!» – Ihn aber machte der Anblick dieses anmutigen Röschens gar nachdenklich. Für wen bist du erblüht in Dunkel und Stille? Welche Hand ist bestimmt, dich einst zu pflücken? O wär sie stark, dich zu behüten im rauhen Leben … O wär sie zart, den Schimmer nicht abzustreifen, der wie Himmelsabglanz dein Wesen verklärt, ja, stark und zart, und bewahrte dir die Unschuld deiner Seele!

Das Gewitter war immer näher gekommen und stand nun senkrecht über dem Schlosse; keine Pause mehr zwischen dem Aufleuchten des Blitzes und dem Rollen des Donners. Die Gräfin und Röschen waren an das Fenster getreten und blickten hinaus, als plötzlich ein harter, rasselnder Schlag niederfuhr, der das Haus bis in seine Grundmauern erschütterte. Der Graf stürzte mit den Worten herein: «Das hat eingeschlagen!» Ronald eilte aus dem Zimmer, und sein Vater rief ihm nach: «Im Gartenflügel war’s!» … «Nein – nein!» hörte man ihn schon aus der Ferne antworten. – «Doch!» schrie der Graf, «im Gartenflügel!» Und so rasch er konnte, gefolgt von seiner Frau und Röschen, lief er in den Saal hinüber. An der Altanentüre angelangt, schlug der Greis die Hände laut zusammen und jammerte: «Meine Linden brennen! … Der Sturm erhebt sich – kein Tropfen Regen fällt vom Himmel, wir haben so lange Dürre gehabt … Meine Linden sind verloren!»

In der Tat, der große Ast des mittleren der Bäume, der wegstrebend aus der gemeinsamen Krone einen buschigen Bogen über die Straße bildete, stand in Flammen. Knechte und Landleute hatten sich um die Linden versammelt, blickten hinauf, schüttelten die Köpfe und teilten einander mit: «Dort oben brennt’s.» Jetzt aber drängte sich ein Mann durch die Gruppe der müßigen Zuschauer, erstieg den Sockel der Johannesstatue und schwang sich von da aus in die Zweige, in denen er verschwand. Bald sah man ihn, in der halben Höhe des vom Sturme gerüttelten Baumes, auf einem Ast stehen und gegen den brennenden wuchtige Beilhiebe führen, um ihn vom Stamme zu trennen.

«Wer ist der Narr?» fragte der Graf, mit schlecht verhehlter Besorgnis.

«Es ist Ronald», antwortete die Gräfin, kaum des Wortes mächtig. Eine kleine Hand streckte sich nach der ihren aus, Stütze bietend und – suchend, und die alte Frau blieb, an Röschen gelehnt, in stummer, von dem Kinde treulich geteilter Angst, im Fenster stehen.

Die Leute unten hatten inzwischen Feuerhaken herbeigeholt, und zerrten aus allen Kräften an den ihnen erreichbaren Zweigen des brennenden Astes. Das Feuer griff immer weiter um sich, beleckte schon das dürre Holz am Stamme, loderte schon zu Ronalds Füßen empor … Da strömte, wie aus plötzlich geöffneten Schleusen, ein Platzregen aus den Wolken nieder, und fast zugleich stürzte rauchend und prasselnd der gewaltige Ast unter weithin vernehmbarem Gekrache zur Erde. Die Heldenschar am Fuße der Linde machte sich über ihn her und löschte die aufzüngelnden Flammen, die noch um den Leichnam ihres Opfers kämpften. Erstaunliche Tätigkeit entfalteten dabei der Burggraf, Kutscher Florian, vor allen jedoch – Meister Peter.

Von dem Augenblicke an, da der Regen zu strömen begann, war der Graf ungeduldig geworden.

«Da haben wir’s!» rief er, «der Himmel löscht selbst, was er angezündet hat … Warum mir meine schönste Linde ruinieren?» … Er wandte sich um – – und sah mitten im Saale, möglichst fern von Fenstern und Türen, eine schwarz verhüllte Gestalt auf dem Sessel sitzen. Während die Anwesenden das Schauspiel an der Parkmauer mit leidenschaftlichern Interesse verfolgten, mußte sie sich, von ihnen unbemerkt, eingefunden haben.

«Fräulein Heißenstein?» fragte der Graf.

«Jawohl», antwortete eine Stimme unter der seidenen Mantille hervor, die ihre Eigentümerin sich um den Kopf gewickelt hatte: «Aber – sprechen Sie nicht! Der geringste Luftzug könnte einen Blitzstrahl herbeilocken.»

Der Graf versicherte, das Gewitter sei vorübergezogen, und bat sie, «sich zu developpieren.»

Die Gräfin und Röschen halfen ihr bei dieser Operation, denn allein vermochte sie sich nicht zu helfen. Sie war noch zu angegriffen und stammelte nur mit bleichen Lippen: «Ich glaubte, mich in das größte Gemach des Hauses flüchten und mich in Seide isolieren zu sollen … wegen der gefährlichen Elektrizität, Herr Graf, welche jetzt über unserer Atmosphäre schwebt.»

«Bravo, bravo, mein Fräulein», sagte der Greis, «das ist Vorsicht – deren Verwandtschaft mit der Weisheit wir kennen.»

Jetzt kam der Burggraf, pustend und sich den Schweiß von der Stirn wischend: «Keine Gefahr mehr! … Wir haben alles gerettet!»

«Ihr habt! Ihr habt! – Der liebe Herrgott hat – Ihr habt nichts getan als Unsinn, mir meinen Baum verstümmelt … Gibt es denn keine Feuerspritze? Hat keiner von den Dummköpfen an eine Feuerspritze gedacht?» rief der Graf zornig – in diesem Augenblicke war das nächstliegende Auskunftsmittel ihm selbst eingefallen.

«Die Feuerspritze ist noch nicht zurück von dem Waldhof, wohin sie gestern geschickt wurde, weil ein paar leere Bauernscheunen brannten – ganz unnötigerweise – ich hab es gleich gesagt», versetzte der Burggraf.

Sein Herr fuhr ihn an: «Da haben Sie etwas Sauberes gesagt! … Aber lassen Sie das jetzt gut sein. Kümmern Sie sich auch ein wenig um mich – sorgen Sie dafür, daß endlich aufgetragen werde. Meine ganze Hausordnung ist gestört … Wo bleibt Peter?»

Trotz aller Eile, mit der man nun das Auftragen des Mittagsmahles betrieb, wurde es vier Uhr, bevor die Herrschaften sich zu Tische setzen konnten. Der Gewitterregen war in einen dichten, anhaltenden Landregen übergegangen, man mußte den Rest des Tages im Zimmer zubringen, was die üble Laune des Grafen nicht wenig erhöhte.

Er hatte Ronald mit den Worten empfangen: «Trop de zèle, mein guter Ronald – trop de zèle», und sah ihn, schmollend wie ein Kind, entweder verdrießlich, oder gar nicht an. Der Nachmittag drohte langweilig zu werden; die Gesellschaft hatte sich in den großen Saal begeben. Regula dachte im stillen darüber nach, ob Ronald sie wohl verstehe? Der Graf vertiefte sich in die erstaunlichen Kombinationen eines Kapuzinerspieles, auch die Gräfin und Ronald schwiegen. Da sagte Röschen, die bisher ganz still und nachdenklich gewesen war, plötzlich: «Es war schrecklich, das Gewitter!»

«Haben Sie Angst gehabt? » fragte Ronald.

«O sehr», erwiderte Röschen, «um Sie!»

Regula warf ihrer Nichte einen mißbilligenden Blick zu, der Graf jedoch hob den Kopf empor und ein schalkhaftes Lächeln erhellte sein altes Gesicht. Seine Liebe zu seinen Kindern kam ihm augenblicklich zum Bewußtsein, sobald andere ihnen Teilnahme zeigten. Mit unnachahmlicher Liebenswürdigkeit sagte er zu Röschen: «Erlauben Sie, mein Fräulein, daß ich Ihnen im Namen dieses Landjunkers ohne Lebensart ergebenst danke!»

Seine Verstimmung war wie durch Zauber verschwunden, er machte Fräulein Heißenstein förmlich den Hof, was sie entzückte, und bat sie endlich, eine Partie Bézique mit ihm zu spielen. «Um die Ehre, natürlich.» Ronald könne indessen der Gräfin und Röschen etwas vorlesen. «Etwas Heiteres, etwas von Kotzebue. Nur mit deinen Klassikern verschone die Damen!»

Der Graf und Regula gingen an den Spieltisch, der in einer Ecke des Saales stand, und Ronald erkundigte sich nach Fräulein Röschens Geschmack in der Literatur. Die Schülerin Mansuet Weberleins legte arglos ihre Kenntnisse an den Tag, und welch eine drollige Raritätensammlung kam da zum Vorschein! Ronald konnte sich nicht genug wundern. Dieses reichbegabte, begeisterungsfähige Geschöpf hatte in die lichte Zauberwelt der Poesie niemals einen Blick getan; fremd geblieben war ihr alles Schöne, was je gesungen und gesagt worden.

Nach kurzem Besinnen holte Ronald ein stattliches Buch herbei; vielgelesen gab es Zeugnis von der Freundschaft, in welcher sein Besitzer zu ihm stand. Es enthielt einfache und hehre Gesänge aus uralter Zeit. Teils las, teils erzählte Ronald «dem freudig blickenden Mägdlein» von den Kämpfen herrlicher Helden um ein zauberisches Weib, um eine Stadt, die mit dem Urbilde der Schönheit das Verderben in ihre Mauern aufgenommen; vom unversöhnlichen Haß der Menschen und der Götter – – aber auch von Vaterlandsliebe, häuslicher Tugend, von Kindes- und Gattentreue. Er las, wie der tapferste all der Königssöhne, die hinausgezogen, um ihren bedrängten Herd zu verteidigen, Abschied nahm von seiner Gattin und von seinem lieben Kinde, wie er es geküßt und sanft in den Armen gewiegt … Ein tiefes Atmen, ein leises Schluchzen unterbrach Ronald. Röschen, die ihn eben noch mit leuchtenden Augen angesehen hatte, saß nun da mit gesenkten Lidern, bebenden Lippen und rang mit ihren Tränen.

Die Gräfin legte den Arm um sie, Ronald sprang bestürzt empor …

«Double Bézique!» rief der Graf triumphierend und lachte aus vollem Herzen: «Sie hätten das verhindern können, mein Fräulein!»

Aber das Fräulein war zerstreut gewesen. Sie hatte, statt ihre Aufmerksamkeit auf das Spiel zu konzentrieren, Ronalds verwünschtem «Tik-tak-tak» zugehört, wie der Graf, den Silbenfall des Hexameters nachahmend, sagte.

«O Herr Graf!» sprach Regel, ihre Karten auf den Tisch legend, «verunglimpfen Sie nicht den traulichen Sänger von Chios!»

Sie wünschte, daß Ronald weiterlese, aber dieser entschuldigte sich und sah dabei so verlegen, ja fast verstört aus, daß Fräulein Heißenstein der Behauptung des Grafen, eine gelehrte Dame, wie sie, imponiere seinem Sohne viel zu sehr, allen Ernstes Glauben schenkte.

Röschen blieb den Rest des Abends schweigsam; sie hatte einen mächtigen Eindruck empfangen; einen Blick in eine neue Welt getan; Gestalten, von unsterblichem Leben erfüllt, groß in Tugend und Schuld, an sich vorüberwandeln gesehen. Und aus dem Bilde voll Erhabenheit und Glanz war, umstrahlt von der Majestät des Schmerzes, ein liebes, schönes Menschenpaar hervorgetreten, und hatte sie an eine Erinnerung aus frühen Kindertagen gemahnt, die in ihr noch dämmerte.

«Es hat Sie allzusehr ergiffen», sagte Ronald zu Röschen, «den Abschied des Kriegers von Frau und Kind wollen wir nicht mehr lesen.»

«Im Gegenteil, noch oft, sehr oft!» erwiderte sie.

Ronalds Gedanken beschäftigten sich noch lange mit ihr, und kamen auch immer wieder auf eine vorläufig noch fiktive Persönlichkeit, auf den Mann zurück, der sie einst heimführen sollte. Wird er seines Glückes wert sein? – Wird er es zu ermessen verstehen? … Der Beneidenswerte! – Nicht das Leben nur darf er sie kennen lehren, auch dessen verklärtes Bild, die Poesie. Weiß unter Hunderten einer, was das bedeutet? Was es bei ihr bedeuten würde?