3. Kapitel


3. Kapitel

Die Ausgleichung der Stände und die neue Aristokratie

Die tribunizischen Bewegungen scheinen vorzugsweise aus den sozialen, nicht aus den politischen Mißverhältnissen hervorgegangen zu sein und es ist guter Grund vorhanden zu der Annahme, daß ein Teil der vermögenden, in den Senat aufgenommenen Plebejer denselben nicht minder entgegen war als die Patrizier; denn die Privilegien, gegen welche die Bewegung vorzugsweise sich richtete, kamen auch ihnen zugute, und wenn sie auch wieder in anderer Beziehung sich zurückgesetzt fanden, so mochte es ihnen doch keineswegs an der Zeit scheinen, ihre Ansprüche auf Teilnahme an den Ämtern geltend zu machen, während der ganze Senat in seiner finanziellen Sondermacht bedroht war. So erklärt es sich, daß während der ersten fünfzig Jahre der Republik kein Schritt geschah, der geradezu auf politische Ausgleichung der Stände hinzielte.

Allein eine Bürgschaft der Dauer trug dieses Bündnis der Patrizier und der reichen Plebejer doch keineswegs in sich. Ohne Zweifel hatte ein Teil der vornehmen plebejischen Familien von Haus aus der Bewegungspartei sich angeschlossen, teils aus Billigkeitsgefühl gegen ihre Standesgenossen, teils infolge des natürlichen Bundes aller Zurückgesetzten, teils endlich, weil sie begriffen, daß Konzessionen an die Menge auf die Länge unvermeidlich waren und daß sie, richtig benutzt, die Beseitigung der Sonderrechte des Patriziats zur Folge haben und damit der plebejischen Aristokratie das entscheidende Gewicht im Staate geben würden. Wenn diese Überzeugung, wie das nicht fehlen konnte, in weitere Kreise eindrang und die plebejische Aristokratie an der Spitze ihres Standes den Kampf gegen den Geschlechtsadel aufnahm, so hielt sie in dem Tribunat den Bürgerkrieg gesetzlich in der Hand und konnte mit dem sozialen Notstand die Schlachten schlagen, um dem Adel die Friedensbedingungen zu diktieren und als Vermittler zwischen beiden Parteien für sich den Zutritt zu den Ämtern zu erzwingen.

Ein solcher Wendepunkt in der Stellung der Parteien trat ein nach dem Sturz des Dezemvirats. Es war jetzt vollkommen klar geworden, daß das Volkstribunat sich nicht beseitigen ließ; die plebejische Aristokratie konnte nichts Besseres tun, als sich dieses gewaltigen Hebels zu bemächtigen und sich desselben zur Beseitigung der politischen Zurücksetzung ihres Standes zu bedienen.

Wie wehrlos der Geschlechtsadel der vereinigten Plebs gegenüberstand, zeigt nichts so augenscheinlich, als daß der Fundamentalsatz der exklusiven Partei, die Ungültigkeit der Ehe zwischen Adligen und Bürgerlichen, kaum vier Jahre nach der Dezemviralrevolution auf den ersten Streich fiel. Im Jahre 309 (445) wurde durch das Canuleische Plebiszit verordnet, daß die Ehe zwischen Adligen und Bürgerlichen als eine rechte römische gelten und die daraus erzeugten Kinder dem Stande des Vaters folgen sollten. Gleichzeitig wurde ferner durchgesetzt, daß statt der Konsuln Kriegstribune – es gab deren damals, vor der Teilung des Heeres in Legionen, sechs, und danach richtete sich auch die Zahl dieser Magistrate – mit konsularischer Gewalt7 und konsularischer Amtsdauer von den Zenturien gewählt werden sollten. Die nächste Ursache war militärischer Art, indem die vielfachen Kriege eine größere Zahl von obersten Feldherren forderten, als die Konsularverfassung sie gewährte; aber die Änderung ist von wesentlicher Bedeutung für den Ständekampf geworden, ja vielleicht jener militärische Zweck für diese Einrichtung mehr der Vorwand als der Grund gewesen. Zu Offizierstellen konnte nach altem Recht jeder dienstpflichtige Bürger oder Insasse gelangen, und es ward also damit das höchste Amt, nachdem es vorübergehend schon im Dezemvirat den Plebejern geöffnet worden war, jetzt in umfassender Weise sämtlichen freigewordenen Bürgern gleichmäßig zugänglich gemacht. Die Frage liegt nahe, welches Interesse der Adel dabei haben konnte, da er einmal auf den Alleinbesitz des höchsten Amtes verzichten und in der Sache nachgeben mußte, den Plebejern den Titel zu versagen und das Konsulat ihnen in dieser wunderlichen Form zuzugestehen8. Einmal aber knüpften sich an die Bekleidung des höchsten Gemeindeamts mancherlei teils persönliche, teils erbliche Ehrenrechte: so galt die Ehre des Triumphs als rechtlich bedingt durch die Bekleidung des höchsten Gemeindeamts und wurde nie einem Offizier gegeben, der nicht dieses selbst verwaltet hatte; so stand es den Nachkommen eines kurulischen Beamten frei, das Bild eines solchen Ahnen im Familiensaal auf- und bei geeigneten Veranlassungen öffentlich zur Schau zu stellen, während dies für andere Vorfahren nicht statthaft war9. Es ist ebenso leicht zu erklären wie schwer zu rechtfertigen, daß der regierende Herrenstand weit eher das Regiment selbst als die daran geknüpften Ehrenrechte, namentlich die erblichen, sich entwinden ließ und darum, als es jenes mit den Plebejern teilen mußte, den tatsächlich höchsten Gemeindebeamten rechtlich nicht als Inhaber des kurulischen Sessels, sondern als einfachen Stabsoffizier hinstellte, dessen Auszeichnung eine rein persönliche war. Von größerer politischer Bedeutung aber als die Versagung des Ahnenrechts und der Ehre des Triumphs war es, daß die Ausschließung der im Senat sitzenden Plebejer von der Debatte notwendig für diejenigen von ihnen fiel, die als designierte oder gewesene Konsuln in die Reihe der vor den übrigen um ihr Gutachten zu fragenden Senatoren eintraten; insofern war es allerdings für den Adel von großer Wichtigkeit, den Plebejer nur zu einem konsularischen Amt, nicht aber zum Konsulat selbst zuzulassen.

Indes trotz dieser kränkenden Zurücksetzung waren doch die Geschlechterprivilegien, soweit sie politischen Wert hatten, durch die neue Institution gesetzlich beseitigt, und wenn der römische Adel seines Namens wert gewesen wäre, hätte er jetzt den Kampf aufgeben müssen. Allein er hat es nicht getan. Wenn auch ein vernünftiger und gesetzlicher Widerstand fortan unmöglich war, so bot sich doch noch ein weites Feld für die tückische Opposition der kleinen Mittel, der Schikanen und der Kniffe; und so wenig ehrenhaft und staatsklug dieser Widerstand war, so war er doch in einem gewissen Sinne erfolgreich. Er hat allerdings schließlich dem gemeinen Mann Konzessionen verschafft, zu welchen die vereinigte römische Aristokratie nicht leicht gezwungen worden wäre; aber er hat es auch vermocht, den Bürgerkrieg noch um ein Jahrhundert zu verlängern und jenen Gesetzen zum Trotz das Regiment noch mehrere Menschenalter hindurch tatsächlich im Sonderbesitz des Adels zu erhalten.

Die Mittel, deren der Adel sich bediente, waren so mannigfach wie die politische Kümmerlichkeit überhaupt. Statt die Frage über die Zulassung oder Ausschließung der Bürgerlichen bei den Wahlen ein für allemal zu entscheiden, räumte man, was man einräumen mußte, nur für die jedesmal nächsten Wahlen ein; jährlich erneuerte sich also der eitle Kampf, ob patrizische Konsuln oder aus beiden Ständen Kriegstribune mit konsularischer Gewalt ernannt werden sollten, und unter den Waffen des Adels erwies sich diese, den Gegner durch Ermüdung und Langweile zu überwinden, keineswegs als die unwirksamste.

Man zersplitterte ferner die bis dahin ungeteilte höchste Geaalt, um die unvermeidliche Niederlage durch Vermehrung der Angriffspunkte in die Länge zu ziehen. So wurde die der Regel nach jedes vierte Jahr stattfindende Feststellung des Budgets und der Bürger- und Steuerlisten, welche bisher durch die Konsuln bewirkt worden war, schon im Jahre 319 (435) zweien von den Zenturien aus dem Adel auf höchstens achtzehn Monate ernannten Schätzern (censores) übertragen. Das neue Amt ward allmählich zum Palladium der Adelspartei, weniger noch wegen seines finanziellen Einflusses als wegen des daran sich knüpfenden Rechts, die erledigten Plätze im Senat und in der Ritterschaft zu besetzen und bei der Feststellung der Listen von Senat, Ritter- und Bürgerschaft einzelne Personen aus denselben zu entfernen; die hohe Bedeutung indes und die moralische Machtfülle, welche späterhin der Zensur beiwohnt, hat sie in dieser Epoche noch keineswegs besessen.

Dagegen die im Jahre 333 (421) hinsichtlich der Quästur getroffene wichtige Änderung glich diesen Erfolg der Adelspartei reichlich wieder aus. Die patrizisch-plebejische Quartierversammlung, vielleicht darauf sich stützend, daß wenigstens die beiden Kriegszahlmeister faktisch mehr Offiziere waren als Zivilbeamte und insofern der Plebejer so gut wie zum Militärtribunat auch zur Quästur befähigt erschien, setzte es durch, daß für die Quästorenwahlen auch plebejische Bewerber zugelassen wurden und erwarb damit zum erstenmal zu dem aktiven Wahlrecht auch das passive für eines der ordentlichen Ämter. Mit Recht ward es auf der einen Seite als ein großer Sieg, auf der anderen als eine schwere Niederlage empfunden, daß fortan zu dem Kriegs- wie zu dem Stadtzahlmeisteramt der Patrizier und der Plebejer aktiv und passiv gleich wahlfähig waren.

Trotz der hartnäckigsten Gegenwehr schritt der Adel doch nur von Verlust zu Verlust; die Erbitterung stieg, wie die Macht sank. Er hat es wohl noch versucht, die der Gemeinde vertragsmäßig zugesicherten Rechte geradezu anzutasten; aber es waren diese Versuche weniger berechnete Parteimanöver als Akte einer impotenten Rachsucht. So namentlich der Prozeß gegen Maelius, wie unsere allerdings wenig zuverlässige Überlieferung ihn berichtet. Spurius Maelius, ein reicher Plebejer, verkaufte während schwerer Teuerung (315 439) Getreide zu solchen Preisen, daß er den patrizischen Magazinvorsteher (praefectus annonae) Gaius Minucius beschämte und kränkte. Dieser beschuldigte ihn des Strebens nach der königlichen Gewalt; mit welchem Recht, können wir freilich nicht entscheiden, allein es ist kaum glaublich, daß ein Mann, der nicht einmal das Tribunat bekleidet hatte, ernstlich an die Tyrannis gedacht haben sollte. Indes die Behörden nahmen die Sache ernsthaft, und auf die Menge Roms hat der Zeterruf des Königtums stets ähnliche Wirkung geübt wie der Papstzeter auf die englischen Massen. Titus Quinctius Capitolinus, der zum sechstenmal Konsul war, ernannte den achtzigjährigen Lucius Quinctius Cincinnatus zum Diktator ohne Provokation, in offener Auflehnung gegen die beschworenen Gesetze. Maelius, vorgeladen, machte Miene, sich dem Befehl zu entziehen; da erschlug ihn der Reiterführer des Diktators, Gaius Servilius Ahala, mit eigener Hand. Das Haus des Ermordeten ward niedergerissen, das Getreide aus seinen Speichern dem Volke umsonst verteilt, und die seinen Tod zu rächen drohten, heimlich über die Seite gebracht. Dieser schändliche Justizmord, eine Schande mehr noch für das leichtgläubige und blinde Volk als für die tückische Junkerpartei, ging ungestraft hin; aber wenn diese gehofft hatte, damit das Provokationsrecht zu untergraben, so hatte sie umsonst die Gesetze verletzt und umsonst unschuldiges Blut vergossen.

Wirksamer als alle übrigen Mittel erwiesen sich dem Adel Wahlintrigen und Pfaffentrug. Wie arg jene gewesen sein müssen, zeigt am besten, daß es schon 322 (432) nötig schien, ein eigenes Gesetz gegen Wahlumtriebe zu erlassen, das natürlich nichts half. Konnte man nicht durch Korruption oder Drohung auf die Stimmberechtigten wirken, so taten die Wahldirektoren das übrige und ließen zum Beispiel so viele plebejische Kandidaten zu, daß die Stimmen der Opposition sich zersplitterten, oder ließen diejenigen von der Kandidatenliste weg, die die Majorität zu wählen beabsichtigte. Ward trotz alledem eine unbequeme Wahl durchgesetzt, so wurden die Priester befragt, ob bei derselben nicht eine Nichtigkeit in der Vögelschau oder den sonstigen religiösen Zeremonien vorgekommen sei; welche diese alsdann zu entdecken nicht ermangelten. Unbekümmert um die Folgen und uneingedenk des weisen Beispiels der Ahnen ließ man den Satz sich feststellen, daß das Gutachten der priesterlichen Sachverständigenkollegien über Vögelzeichen, Wunder und ähnliche Dinge den Beamten von Rechts wegen binde, und es in ihre Macht kommen, jeden Staatsakt, sei es die Weihung eines Gotteshauses oder sonst eine Verwaltungshandlung, sei es Gesetz oder Wahl, wegen religiöser Nullitäten zu kassieren. Auf diesem Wege wurde es möglich, daß, obwohl die Wählbarkeit der Plebejer schon im Jahre 333 (421) für die Quästur gesetzlich festgestellt worden war und seitdem rechtlich anerkannt blieb, dennoch erst im Jahre 345 (409) der erste Plebejer zur Quästur gelangte; ähnlich haben das konsularische Kriegstribunat bis zum Jahre 354 (400) fast ausschließlich Patrizier bekleidet. Es zeigte sich, daß die gesetzliche Abschaffung der Adelsprivilegien noch keineswegs die plebejische Aristokratie wirklich und tatsächlich dem Geschlechtsadel gleichgestellt hatte. Mancherlei Ursachen wirkten dabei zusammen: die zähe Opposition des Adels ließ sich weit leichter in einem aufgeregten Moment der Theorie nach über den Haufen werfen, als in den jährlich wiederkehrenden Wahlen dauernd niederhalten; die Hauptursache aber war die innere Uneinigkeit der Häupter der plebejischen Aristokratie und der Masse der Bauernschaft. Der Mittelstand, dessen Stimmen in den Komitien entschieden, fand sich nicht berufen, die vornehmen Nichtadligen vorzugsweise auf den Schild zu heben, solange seine eigenen Forderungen von der plebejischen nicht minder wie von der patrizischen Aristokratie zurückgewiesen wurden.

Die sozialen Fragen hatten während dieser politischen Kämpfe im ganzen geruht oder waren doch mit geringer Energie verhandelt worden. Seitdem die plebejische Aristokratie sich des Tribunats zu ihren Zwecken bemächtigt hatte, war weder von der Domänenangelegenheit noch von der Reform des Kreditwesens ernstlich die Rede gewesen; obwohl es weder fehlte an neugewonnenen Ländereien noch an verarmenden oder verarmten Bauern. Einzelne Assignationen, namentlich in neueroberten Grenzgebieten, erfolgten wohl, so des ardeatischen Gebiets 312 (442), des labicanischen 336 (418), des veientischen 361 (393), jedoch mehr aus militärischen Gründen, als um dem Bauer zu helfen, und keineswegs in ausreichenden Umfang. Wohl machten einzelne Tribune den Versuch, das Gesetz des Cassius wieder aufzunehmen: so stellten Spurius Maecilius und Spurius Metilius im Jahre 337 (417) den Antrag auf Aufteilung sämtlicher Staatsländereien – allein sie scheiterten, was charakteristisch für die damalige Situation ist, an dem Widerstand ihrer eigenen Kollegen, das heißt der plebejischen Aristokratie. Auch unter den Patriziern versuchten einige, der gemeinen Not zu helfen; allein mit nicht besserem Erfolg als einst Spurius Cassius. Patrizier wie dieser, und wie dieser ausgezeichnet durch Kriegsruhm und persönliche Tapferkeit, soll Marcus Manlius, der Retter der Burg während der gallischen Belagerung, als Vorkämpfer aufgetreten sein für die unterdrückten Leute, mit denen sowohl die Kriegskameradschaft ihn verband wie der bittere Haß gegen seinen Rivalen, den gefeierten Feldherrn und optimatischen Parteiführer Marcus Furius Camillus. Als ein tapferer Offizier ins Schuldgefängnis abgeführt werden sollte, trat Manlius für ihn ein und löste mit seinem Gelde ihn aus; zugleich bot er seine Grundstücke zum Verkauf aus, laut erklärend, daß, solange er noch einen Fußbreit Landes besitze, solche Unbill nicht vorkommen solle. Das war mehr als genug, um die ganze Regimentspartei, Patrizier wie Plebejer, gegen den gefährlichen Neuerer zu vereinigen. Der Hochverratsprozeß, die Anschuldigung der beabsichtigten Erneuerung des Königtums, wirkte mit dem tückischen Zauber stereotyp gewordener Parteiphrasen auf die blinde Menge; sie selbst verurteilte ihn zum Tode, und nichts trug sein Ruhm ihm ein, als daß man das Volk zum Blutgericht an einem Ort versammelte, von wo die Stimmenden den Burgfelsen nicht erblickten, den stummen Mahner an die Rettung des Vaterlandes aus der höchsten Gefahr durch die Hand desselben Mannes, welchen man jetzt dem Henker überlieferte (370 384).

Während also die Reformversuche im Keim erstickt wurden, wurde das Mißverständnis immer schreiender, indem einerseits infolge der glücklichen Kriege die Domanialbesitzungen mehr und mehr sich ausdehnten, anderseits in der Bauernschaft die Überschuldung und Verarmung immer weiter um sich griff, namentlich infolge des schweren Veientischen Krieges (348-358 406-396) und der Einäscherung der Hauptstadt bei dem gallischen Überfall (364 390). Zwar als es indem Veientischen Kriege notwendig wurde, die Dienstzeit der Soldaten zu verlängern und sie, statt wie bisher höchstens nur den Sommer, auch den Winter hindurch unter den Waffen zu halten, und als die Bauernschaft, die vollständige Zerrüttung ihrer ökonomischen Lage voraussehend, im Begriff war, ihre Einwilligung zu der Kriegserklärung zu verweigern, entschloß sich der Senat zu einer wichtigen Konzession: er übernahm den Sold, den bisher die Distrikte durch Umlage aufgebracht hatten, auf die Staatskasse, das heißt auf den Ertrag der indirekten Abgaben und der Domänen (348 406). Nur für den Fall, daß die Staatskasse augenblicklich leer sei, wurde des Soldes wegen eine allgemeine Umlage (tributum) ausgeschrieben, die indes als gezwungene Anleihe betrachtet und von der Gemeinde späterhin zurückgezahlt ward. Die Einrichtung war billig und weise; allein da das wesentliche Fundament, eine reelle Verwertung der Domänen zum Besten der Staatskasse, ihr nicht gegeben ward, so kamen zu der vermehrten Last des Dienstes noch häufige Umlagen hinzu, die den kleinen Mann darum nicht weniger ruinierten, daß sie offiziell nicht als Steuern, sondern als Vorschüsse betrachtet wurden.

Unter solchen Umständen, wo die plebejische Aristokratie sich durch den Widerstand des Adels und die Gleichgültigkeit der Gemeinde tatsächlich von der politischen Gleichberechtigung ausgeschlossen sah und die leidende Bauernschaft der geschlossenen Aristokratie ohnmächtig gegenüberstand, lag es nahe, beiden zu helfen durch ein Kompromiß. Zu diesem Ende brachten die Volkstribune Gaius Licinius und Lucius Sextius bei der Gemeinde Anträge dahin ein: einerseits mit Beseitigung des Konsulatribunats festzustellen, daß wenigstens der eine Konsul Plebejer sein müsse, und ferner den Plebejern den Zutritt zu dem einen der drei großen Priesterkollegien, dem auf zehn Mitglieder zu vermehrenden der Orakelbewahrer (duoviri, später decemviri sacris faciundis, 1, 191) zu eröffnen; anderseits hinsichtlich der Domänen keinen Bürger auf die Gemeinweide mehr als hundert Rinder und fünfhundert Schafe auftreiben und keinen von dem zur Okkupation freigegebenen Domanialland mehr als fünfhundert Iugera (= 494 preußische Morgen) in Besitz nehmen zu lassen, ferner die Gutsbesitzer zu verpflichten, unter ihren Feldarbeitern eine zu der Zahl der Ackersklaven im Verhältnis stehende Anzahl freier Arbeiter zu verwenden, endlich den Schuldnern durch Abzug der gezahlten Zinsen vom Kapital und Anordnung von Rückzahlungsfristen Erleichterung zu verschaffen.

Die Tendenz dieser Verfügungen liegt auf der Hand. Sie sollten dem Adel den ausschließlichen Besitz der kurulischen Ämter und der daran geknüpften erblichen Auszeichnungen der Nobilität entreißen, was man in bezeichnender Weise nur dadurch erreichen zu können meinte, daß man die Adligen von der zweiten Konsulstelle gesetzlich ausschloß. Sie sollten folgeweise die plebejischen Mitglieder des Senats aus der untergeordneten Stellung, in der sie als stumme Beisitzer sich befanden, insofern befreien, als wenigstens diejenigen von ihnen, die das Konsulat bekleidet hatten, damit ein Anrecht erwarben, mit den patrizischen Konsularen vor den übrigen patrizischen Senatoren ihr Gutachten abzugeben. Sie sollten ferner dem Adel den ausschließlichen Besitz der geistlichen Würden entziehen; wobei man aus naheliegenden Ursachen die altlatinischen Priestertümer der Augurn und Pontifices den Altrömern ließ, aber sie nötigte, das dritte, jüngere und einem ursprünglich ausländischen Kult angehörige große Kollegium mit den Neubürgern zu teilen. Sie sollten endlich den geringen Leuten den Mitgenuß der gemeinen Bürgernutzungen, den leidenden Schuldnern Erleichterung, den arbeitslosen Tagelöhnern Beschäftigung verschaffen. Beseitigung der Privilegien, bürgerliche Gleichheit, soziale Reform – das waren die drei großen Ideen, welche dadurch zur Anerkennung kommen sollten. Vergeblich boten die Patrizier gegen diese Gesetzvorschläge ihre letzten Mittel auf; selbst die Diktatur und der alte Kriegsheld Camillus vermochten nur ihre Durchbringung zu verzögern, nicht sie abzuwenden. Gern hätte auch das Volk die Vorschläge geteilt; was lag ihm am Konsulat und an dem Orakelbewahreramt, wenn nur die Schuldenlast erleichtert und das Gemeinland frei ward! Aber umsonst war die plebejische Nobilität nicht popular; sie faßte die Anträge in einen einzigen Gesetzvorschlag zusammen und nach lang-, angeblich elfjährigem Kampfe gab endlich der Senat seine Einwilligung und gingen sie im Jahre 387 (367) durch.

Mit der Wahl des ersten nicht patrizischen Konsuls – sie fiel auf den einen der Urheber dieser Reform, den gewesenen Volkstribunen Lucius Sextius Lateranus – hörte der Geschlechtsadel tatsächlich und rechtlich auf, zu den politischen Institutionen Roms zu zählen. Wenn nach dem endlichen Durchgang dieser Gesetze der bisherige Vorkämpfer der Geschlechter, Marcus Furius Camillus, am Fuße des Kapitols auf einer über der alten Malstatt der Bürgerschaft, dem Comitium, erhöhten Fläche, wo der Senat häufig zusammenzutreten pflegte, ein Heiligtum der Eintracht stiftete, so gibt man gern dem Glauben sich hin, daß er in dieser vollendeten Tatsache den Abschluß des nur zu lange fortgesponnenen Haders erkannte. Die religiöse Weihe der neuen Eintracht der Gemeinde war die letzte öffentliche Handlung des alten Kriegs- und Staatsmannes und der würdige Beschluß seiner langen und ruhmvollen Laufbahn. Er hatte sich auch nicht ganz geirrt; der einsichtigere Teil der Geschlechter gab offenbar seitdem die politischen Sonderrechte verloren und war es zufrieden, das Regiment mit der plebejischen Aristokratie zu teilen. Indes in der Majorität der Patrizier verleugnete das unverbesserliche Junkertum sich nicht. Kraft des Privilegiums, welches die Vorfechter der Legitimität zu allen Zeiten in Anspruch genommen haben, den Gesetzen nur da zu gehorchen, wo sie mit ihren Parteiinteressen zusammenstimmen, erlaubten sich die römischen Adligen noch verschiedene Male, in offener Verletzung der vorgetragenen Ordnung, zwei patrizische Konsuln ernennen zu lassen; wie indes, als Antwort auf eine derartige Wahl für das Jahr 411 (343), das Jahr darauf die Gemeinde förmlich beschloß, die Besetzung beider Konsulstellen mit Nichtpatriziern zu gestatten, verstand man die darin liegende Drohung und hat es wohl noch gewünscht, aber nicht wieder gewagt, an die zweite Konsulstelle zu rühren.

Ebenso schnitt sich der Adel nur in das eigene Fleisch durch den Versuch, den er bei der Durchbringung der Licinischen Gesetze machte, mittels eines politischen Kipp- und Wippsystems wenigstens einige Trümmer der alten Vorrechte für sich zu bergen. Unter dem Vorwande, daß das Recht ausschließlich dem Adel bekannt sei, ward von dem Konsulat, als dies den Plebejern eröffnet werden mußte, die Rechtspflege getrennt und dafür ein eigener dritter Konsul, oder, wie er gewöhnlich heißt, ein Prätor bestellt. Ebenso kamen die Marktaufsicht und die damit verbundenen Polizeigerichte sowie die Ausrichtung des Stadtfestes an zwei neu ernannte Ädilen, die von ihrer ständigen Gerichtsbarkeit, zum Unterschied von den plebejischen, die Gerichtsstuhl-Ädilen (aediles curules) genannt wurden. Allein die kurulische Ädilität ward sofort den Plebejern in der Art zugänglich, daß adlige und bürgerliche Kurulädilen Jahr um Jahr abwechselten. Im Jahre 398 (356) wurde ferner die Diktatur, wie schon das Jahr vor den Licinischen Gesetzen (386 368), das Reiterführeramt, im Jahre 403 (351) die Zensur, im Jahre 417 (337) die Prätur Plebejern übertragen und um dieselbe Zeit (415 339) der Adel, wie es früher in Hinsicht des Konsulats geschehen war, auch von der einen Zensorstelle gesetzlich ausgeschlossen. Es änderte nichts, daß wohl noch einmal ein patrizischer Augur in der Wahl eines plebejischen Diktators (427 327) geheime, ungeweihten Augen verborgene Mängel fand und daß der patrizische Zensor seinem Kollegen bis zum Schlusse dieser Periode (474 280) nicht gestattete, das feierliche Opfer darzubringen, womit die Schatzung schloß; dergleichen Schikanen dienten lediglich dazu, die üble Laune des Junkertums zu konstatieren. Ebensowenig änderten etwa die Quengeleien, welche die patrizischen Vorsitzer des Senats nicht verfehlt haben werden, wegen der Teilnahme der Plebejer an der Debatte in demselben zu erheben; vielmehr stellte die Regel sich fest, daß nicht mehr die patrizischen Mitglieder, sondern die zu einem der drei höchsten ordentlichen Ämter, Konsulat, Prätur und kurulischer Ädilität gelangten, in dieser Folge und ohne Unterschied des Standes zur Abgabe ihres Gutachtens aufzufordern seien, während diejenigen Senatoren, die keines dieser Ämter bekleidet hatten, auch jetzt noch bloß an der Abmehrung teilnahmen. Das Recht endlich des Patriziersenats, einen Beschluß der Gemeinde als verfassungswidrig zu verwerfen, das derselbe auszuüben freilich wohl ohnehin selten gewagt haben mochte, ward ihm durch das Publilische Gesetz von 415 (339) und durch das nicht vor der Mitte des fünften Jahrhunderts erlassene Maenische in der Art entzogen, daß er veranlaßt ward, seine etwaigen konstitutionellen Bedenken bereits bei Aufstellung der Kandidatenliste oder Einbringung des Gesetzvorschlags geltend zu machen; was denn praktisch darauf hinauslief, daß er stets im voraus seine Zustimmung aussprach. In dieser Art als rein formales Recht ist die Bestätigung der Volksschlüsse dem Adel bis in die letzte Zeit der Republik geblieben.

Länger behaupteten begreiflicherweise die Geschlechter ihre religiösen Vorrechte; ja an manche derselben, die ohne politische Bedeutung waren, wie namentlich an ihre ausschließliche Wählbarkeit zu den drei höchsten Flaminaten und dem sacerdotalen Königtum sowie in die Genossenschaften der Springer, hat man niemals gerührt. Dagegen waren die beiden Kollegien der Pontifices und der Augurn, an welche ein bedeutender Einfluß auf die Gerichte und die Komitien sich knüpfte, zu wichtig, als daß diese Sonderbesitz der Patrizier hätten bleiben können; das Ogulnische Gesetz vom Jahre 454 (300) eröffnete denn auch in diese den Plebejern den Eintritt, indem es die Zahl der Pontifices und der Augurn beide von sechs auf neun vermehrte und in beiden Kollegien die Stellen zwischen Patriziern und Plebejern gleichmäßig teilte.

Den letzten Abschluß des zweihundertjährigen Haders brachte das durch einen gefährlichen Volksaufstand hervorgerufene Gesetz des Diktators Q. Hortensius (465-468 289-286), das anstatt der früheren bedingten die unbedingte Gleichstellung der Beschlüsse der Gesamtgemeinde und derjenigen der Plebs aussprach. So hatten sich die Verhältnisse umgewandelt, daß derjenige Teil der Bürgerschaft, der einst allein das Stimmrecht besessen hatte, seitdem bei der gewöhnlichen Form der für die gesamte Bürgerschaft verbindlichen Abstimmungen nicht einmal mehr mitgefragt ward.

Der Kampf zwischen den römischen Geschlechtern und Gemeinen war damit im wesentlichen zu Ende. Wenn der Adel von seinen umfassenden Vorrechten noch den tatsächlichen Besitz der einen Konsul- und der einen Zensorstelle bewahrte, so war er dagegen vom Tribunat, der plebejischen Ädilität, von der zweiten Konsul- und Zensorstelle und von der Teilnahme an den rechtlich den Bürgerschaftsabstimmungen gleichstehenden Abstimmungen der Plebs gesetzlich ausgeschlossen; in gerechter Strafe seines verkehrten und eigensinnigen Widerstrebens hatten die ehemaligen patrizischen Vorrechte sich für ihn in ebenso viele Zurücksetzungen verwandelt. Indes der römische Geschlechtsadel ging natürlich darum keineswegs unter, weil er zum leeren Namen geworden war. Je weniger der Adel bedeutete und vermochte, desto reiner und ausschließlicher entwickelte sich der junkerhafte Geist. Die Hoffart der „Ramner“ hat das letzte ihrer Standesprivilegien um Jahrhunderte überlebt; nachdem man standhaft gerungen hatte, „das Konsulat aus dem plebejischen Kote zu ziehen“, und sich endlich widerwillig von der Unmöglichkeit dieser Leistung hatte überzeugen müssen, trug man wenigstens schroff und verbissen sein Adeltum zur Schau. Man darf, um die Geschichte Roms im fünften und sechsten Jahrhundert richtig zu verstehen, dies schmollende Junkertum nicht vergessen; es vermochte zwar nichts weiter als sich und andere zu ärgern, aber dies hat es denn auch nach Vermögen getan. Einige Jahre nach dem Ogulnischen Gesetz (458 296) kam ein bezeichnender Auftritt dieser Art vor: eine patrizische Frau, welche an einen vornehmen und zu den höchsten Würden der Gemeinde gelangten Plebejer vermählt war, wurde dieser Mißheirat wegen von dem adligen Damenkreise ausgestoßen und zu der gemeinsamen Keuschheitsfeier nicht zugelassen; was denn zur Folge hatte, daß seitdem in Rom eine besondere adlige und eine besondere bürgerliche Keuschheitsgöttin verehrt ward. Ohne Zweifel kam es auf Velleitäten dieser Art sehr wenig an und hat auch der bessere Teil der Geschlechter sich dieser trübseligen Verdrießlichkeitspolitik durchaus enthalten; aber ein Gefühl des Mißbehagens ließ sie doch auf beiden Seiten zurück, und wenn der Kampf der Gemeinde gegen die Geschlechter an sich eine politische und selbst eine sittliche Notwendigkeit war, so haben dagegen diese lange nachzitternden Schwingungen desselben, sowohl die zwecklosen Nachhutgefechte nach der entschiedenen Schlacht als auch die leeren Rang- und Standeszänkereien, das öffentliche und private Leben der römischen Gemeinde ohne Not durchkreuzt und zerrüttet.

Indes nichtsdestoweniger ward der eine Zweck des von den beiden Teilen der Plebs im Jahre 387 (367) geschlossenen Kompromisses, die Beseitigung des Patriziats, im wesentlichen vollständig erreicht. Es fragt sich weiter, inwiefern dies auch von den beiden positiven Tendenzen desselben gesagt werden kann und ob die neue Ordnung der Dinge in der Tat der sozialen Not gesteuert und die politische Gleichheit hergestellt hat. Beides hing eng miteinander zusammen; denn wenn die ökonomische Bedrängnis den Mittelstand aufzehrte und die Bürgerschaft in eine Minderzahl von Reichen und ein notleidendes Proletariat auflöste, so war die bürgerliche Gleichheit damit zugleich vernichtet und das republikanische Gemeinwesen der Sache nach zerstört. Die Erhaltung und Mehrung des Mittelstandes, namentlich der Bauernschaft, war darum für jeden patriotischen Staatsmann Roms nicht bloß eine wichtige, sondern von allen die wichtigste Aufgabe. Die neu zum Regiment berufenen Plebejer aber waren überdies noch, da sie zum guten Teil die gewonnenen Rechte dem notleidenden und von ihnen Hilfe erhoffenden Proletariat verdankten, politisch und sittlich besonders verpflichtet, demselben, soweit es überhaupt auf diesem Wege möglich war, durch Regierungsmaßregeln zu helfen.

Betrachten wir zunächst, inwiefern indem hierher gehörenden Teil der Gesetzgebung von 387 (367) eine ernstliche Abhilfe enthalten war. Daß die Bestimmung zu Gunsten der freien Tagelöhner ihren Zweck: der Groß- und Sklavenwirtschaft zu steuern und den freien Proletariern wenigstens einen Teil der Arbeit zu sichern, unmöglich erreichen konnte, leuchtet ein; aber hier konnte auch die Gesetzgebung nicht helfen, ohne an den Fundamenten der bürgerlichen Ordnung jener Zeit in einer Weise zu rütteln, die über den Horizont derselben weit hinausging. In der Domanialfrage dagegen wäre es den Gesetzgebern möglich gewesen, Wandel zu schaffen; aber was geschah, reichte dazu offenbar nicht aus. Indem die neue Domänenordnung die Betreibung der gemeinen Weide mit schon sehr ansehnlichen Herden und die Okkupation des nicht zur Weide ausgelegten Domanialbesitzes bis zu einem hoch gegriffenen Maximalsatz gestattete, räumte sie den Vermögenden einen bedeutenden und vielleicht schon unverhältnismäßigen Voranteil an dem Domänenertrag ein und verlieh durch die letztere Anordnung dem Domanialbesitz, obgleich er rechtlich zehntpflichtig und beliebig widerruflich blieb, sowie dem Okkupationssystem selbst gewissermaßen eine gesetzliche Sanktion. Bedenklicher noch war es, daß die neue Gesetzgebung weder die bestehenden, offenbar ungenügenden Anstalten zur Eintreibung des Hutgeldes und des Zehnten durch wirksamere Zwangsmaßregeln ersetzte, noch eine durchgreifende Revision des Domanialbesitzes vorschrieb, noch eine mit der Ausführung der neuen Gesetze beauftragte Behörde einsetzte. Die Aufteilung des vorhandenen okkupierten Domaniallandesteils unter die Inhaber bis zu einem billigen Maximalsatz, teils unter die eigentumslosen Plebejer, beiden aber zu vollem Eigentum, die Abschaffung des Okkupationssystems für die Zukunft und die Niedersetzung einer zu sofortiger Aufteilung künftiger neuer Gebietserwerbungen befugten Behörde waren durch die Verhältnisse so deutlich geboten, daß es gewiß nicht Mangel an Einsicht war, wenn diese durchgreifenden Maßregeln unterblieben. Man kann nicht umhin, sich daran zu erinnern, daß die plebejische Aristokratie, also eben ein Teil der hinsichtlich der Domanialnutzungen tatsächlich privilegierten Klasse es war, welche die neue Ordnung vorgeschlagen hatte, und daß einer ihrer Urheber selbst, Gaius Licinius Stolo, unter den ersten wegen Überschreitung des Ackermaximum Verurteilten sich befand; und nicht umhin, sich die Frage vorzulegen, ob die Gesetzgeber ganz ehrlich verfahren und nicht vielmehr der wahrhaft gemeinnützigen Lösung der leidigen Domanialfrage absichtlich aus dem Wege gegangen sind. Damit soll indes nicht in Abrede gestellt werden, daß die Bestimmungen der Licinischen Gesetze, wie sie nun waren, dem kleinen Bauern und dem Tagelöhner wesentlich nützen konnten und genützt haben. Es muß ferner anerkannt werden, daß in der nächsten Zeit nach Erlassung des Gesetzes die Behörden über die Maximalsätze desselben wenigstens vergleichungsweise mit Strenge gewacht und die großen Herdenbesitzer und die Domanialokkupanten oftmals zu schweren Bußen verurteilt haben.

Auch im Steuer- und Kreditwesen wurde in dieser Epoche mit größerer Energie als zu irgendeiner Zeit vor- oder nachher darauf hingearbeitet, soweit gesetzliche Maßregeln reichten, die Schäden der Volkswirtschaft zu heilen. Die im Jahre 397 (357) verordnete Abgabe von fünf vom Hundert des Wertes der freizulassenden Sklaven war, abgesehen davon, daß sie der nicht wünschenswerten Vermehrung der Freigelassenen einen Hemmschuh anlegte, die erste in der Tat auf die Reichen gelegte römische Steuer. Ebenso suchte man dem Kreditwesen aufzuhelfen. Die Wuchergesetze, die schon die Zwölf Tafeln aufgestellt hatten, wurden erneuert und allmählich geschärft, sodaß das Zinsmaximum sukzessiv von zehn (eingeschärft im Jahre 397 357) auf fünf vom Hundert (407 347) für das zwölfmonatliche Jahr ermäßigt und endlich (412 342) das Zinsnehmen ganz verboten ward. Das letztere törichte Gesetz blieb formell in Kraft; vollzogen aber ward es natürlich nicht, sondern der später übliche Zinsfuß von eins vom Hundert für den Monat oder zwölf vom Hundert für das bürgerliche Gemeinjahr, der nach den Geldverhältnissen des Altertums ungefähr damals sein mochte, was nach den heutigen der Zinsfuß von fünf oder sechs vom Hundert ist, wird wohl schon in dieser Zeit sich als das Maximum der angemessenen Zinsen festgestellt haben. Für höhere Beträge wird die Einklagung versagt und vielleicht auch die gerichtliche Rückforderung gestattet worden sein; überdies wurden notorische Wucherer nicht selten vor das Volksgericht gezogen und von den Quartieren bereitwillig zu schweren Bußen verurteilt. Wichtiger noch war die Änderung des Schuldprozesses durch das Poetelische Gesetz (428 oder 441 326 oder 313); es ward dadurch teils jedem Schuldner, der seine Zahlungsfähigkeit eidlich erhärtete, gestattet, durch Abtretung seines Vermögens seine persönliche Freiheit sich zu retten, teils das bisherige kurze Exekutivverfahren bei der Darlehensschuld abgeschafft und festgestellt, daß kein römischer Bürger anders als auf den Spruch von Geschworenen hin in die Knechtschaft abgeführt werden könne.

Daß alle diese Mittel die bestehenden ökonomischen Mißverhältnisse wohl hie und da lindern, aber nicht beseitigen konnten, leuchtet ein; den fortdauernden Notstand zeigt die Niedersetzung einer Bankkommission zur Regulierung der Kreditverhältnisse und zur Leistung von Vorschüssen aus der Staatskasse im Jahre 402 (352), die Anordnung gesetzlicher Terminzahlungen im Jahre 407 (347) und vor allen Dingen der gefährliche Volksaufstand um das Jahr 467 (287), wo das Volk, nachdem es neue Erleichterungen in der Schuldzahlung nicht hatte erreichen können, hinaus auf das Ianiculum zog und erst ein rechtzeitiger Angriff der äußeren Feinde und die in dem Hortensischen Gesetz enthaltenen Zugeständnisse der Gemeinde den Frieden wiedergaben. Indes ist es sehr ungerecht, wenn man jenen ernstlichen Versuchen, der Verarmung des Mittelstandes zu steuern, ihre Unzulänglichkeit entgegenhält; die Anwendung partialer und palliativer Mittel gegen radikale Leiden für nutzlos zu erklären, weil sie nur zum Teil helfen, ist zwar eines der Evangelien, das der Einfalt von der Niederträchtigkeit nie ohne Erfolg gepredigt wird, aber darum nicht minder unverständig. Eher ließe sich umgekehrt fragen, ob nicht die schlechte Demagogie sich damals schon dieser Angelegenheit bemächtigt gehabt und ob es wirklich so gewaltsamer und gefährlicher Mittel bedurft habe, wie zum Beispiel die Kürzung der gezahlten Zinsen am Kapital ist. Unsere Akten reichen nicht aus, um hier über Recht und Unrecht zu entscheiden; allein klar genug erkennen wir, daß der ansässige Mittelstand immer noch in einer bedrohten und bedenklichen ökonomischen Lage sich befand, daß man von oben herab vielfach, aber natürlich vergeblich sich bemühte, ihm durch Prohibitivgesetze und Moratorien zu helfen, daß aber das aristokratische Regiment fortdauernd gegen seine eigenen Glieder zu schwach und zu sehr in egoistischen Standesinteressen befangen war, um durch das einzige wirksame Mittel, das der Regierung zu Gebote stand, durch die völlige und rückhaltlose Beseitigung des Okkupationssystems der Staatsländereien, dem Mittelstande aufzuhelfen und vor allen Dingen die Regierung von dem Vorwurf zu befreien, daß sie die gedrückte Lage der Regierten zu ihrem eigenen Vorteil ausbeute.

Eine wirksamere Abhilfe, als die Regierung sie gewähren wollte oder konnte, brachten den Mittelklassen die politischen Erfolge der römischen Gemeinde und die allmählich sich befestigende Herrschaft der Römer über Italien. Die vielen und großen Kolonien, die zu deren Sicherung gegründet werden mußten und von denen die Hauptmasse im fünften Jahrhundert ausgeführt wurde, verschafften dem ackerbauenden Proletariat teils eigene Bauernstellen, teils durch den Abfluß auch den Zurückgebliebenen Erleichterung daheim. Die Zunahme der indirekten und außerordentlichen Einnahmen, überhaupt die glänzende Lage der römischen Finanzen führte nur selten noch die Notwendigkeit herbei, von der Bauernschaft in Form der gezwungenen Anleihe Kontribution zu erheben. War auch der ehemalige Kleinbesitz wahrscheinlich unrettbar verloren, so mußte der steigende Durchschnittssatz des römischen Wohlstandes die bisherigen größeren Grundbesitzer in Bauern verwandeln und auch insofern dem Mittelstand neue Glieder zuführen. Die Okkupationen der Vornehmen warfen sich vorwiegend auf die großen neugewonnenen Landstriche; die Reichtümer, die durch den Krieg und den Verkehr massenhaft nach Rom strömten, müssen den Zinsfuß herabgedrückt haben; die steigende Bevölkerung der Hauptstadt kam dem Ackerbauer in ganz Latium zugute; ein weises Inkorporationssystem vereinigte eine Anzahl angrenzender, früher untertäniger Gemeinden mit der römischen und verstärkte dadurch namentlich den Mittelstand; endlich brachten die herrlichen Siege und die gewaltigen Erfolge die Faktionen zum Schweigen, und wenn der Notstand der Bauernschaft auch keineswegs beseitigt, noch weniger seine Quellen verstopft wurden, so leidet es doch keinen Zweifel, daß am Schlusse dieser Periode der römische Mittelstand im ganzen in einer weit minder gedrückten Lage sich befand als in dem ersten Jahrhundert nach Vertreibung der Könige.

Endlich, die bürgerliche Gleichheit ward durch die Reform vom Jahre 387 (367) und deren weitere folgerichtige Entwicklung in gewissem Sinne allerdings erreicht oder vielmehr wieder hergestellt. Wie einst, als die Patrizier noch in der Tat die Bürgerschaft ausmachten, sie untereinander an Rechten und Pflichten unbedingt gleichgestanden hatten, so gab es jetzt wieder in der erweiterten Bürgerschaft dem Gesetze gegenüber keinen willkürlichen Unterschied. Diejenigen Abstufungen freilich, welche die Verschiedenheiten in Alter, Einsicht, Bildung und Vermögen in der bürgerlichen Gesellschaft mit Notwendigkeit hervorrufen, beherrschten natürlicherweise auch das Gemeindeleben; allein der Geist der Bürgerschaft und die Politik der Regierung wirkten gleichmäßig dahin, diese Scheidung möglichst wenig hervortreten zu lassen. Das ganze römische Wesen lief darauf hinaus, die Bürger durchschnittlich zu tüchtigen Männern heranzubilden, geniale Naturen aber nicht emporkommen zu lassen. Der Bildungsstand der Römer hielt mit der Machtentwicklung ihrer Gemeinde durchaus nicht Schritt und ward instinktmäßig von oben herab mehr zurückgehalten als gefördert. Daß es Reiche und Arme gab, ließ sich nicht verhindern; aber wie in einer rechten Bauerngemeinde führte der Bauer wie der Tagelöhner selber den Pflug und galt auch für den Reichen die gut wirtschaftliche Regel, gleichmäßig sparsam zu leben und vor allem kein totes Kapital bei sich hinzulegen – außer dem Salzfaß und dem Opferschälchen sah man Silbergerät in dieser Zeit in keinem römischen Hause. Es war das nichts Kleines. Man spürt es an den gewaltigen Erfolgen, welche die römische Gemeinde in dem Jahrhundert vom letzten Veientischen bis auf den Pyrrhischen Krieg nach außen hin errang, daß hier das Junkertum der Bauernschaft Platz gemacht hatte, daß der Fall des hochadligen Fabiers nicht mehr und nicht weniger von der ganzen Gemeinde betrauert worden wäre als der Fall des plebejischen Deciers von Plebejern und Patriziern betrauert ward, daß auch dem reichsten Junker das Konsulat nicht von selber zufiel und ein armer Bauersmann aus der Sabina, Manius Curius, den König Pyrrhos in der Feldschlacht überwinden und aus Italien verjagen konnte, ohne darum aufzuhören, einfacher sabinischer Stellbesitzer zu sein und sein Brotkorn selber zu bauen.

Indes darf es über dieser imponierenden republikanischen Gleichheit nicht übersehen werden, daß dieselbe zum guten Teil nur formaler Art war und aus derselben eine sehr entschieden ausgeprägte Aristokratie nicht so sehr hervorging als vielmehr darin von vornherein enthalten war. Schon längst hatten die reichen und angesehenen nichtpatrizischen Familien von der Menge sich ausgeschieden und im Mitgenuß der senatorischen Rechte, in der Verfolgung einer, von der der Menge unterschiedenen und sehr oft ihr entgegenwirkenden Politik sich mit dem Patriziat verbündet. Die Licinischen Gesetze hoben die gesetzlichen Unterschiede innerhalb der Aristokratie auf und verwandelten die den gemeinen Mann vom Regiment ausschließende Schranke aus einem unabänderlichen Rechts- in ein nicht unübersteigliches, aber doch schwer zu übersteigendes tatsächliches Hindernis. Auf dem einen wie dem anderen Wege kam frisches Blut in den römischen Herrenstand; aber an sich blieb nach wie vor das Regiment aristokratisch und auch in dieser Hinsicht die römische eine rechte Bauerngemeinde, in welcher der reiche Vollhufener zwar äußerlich von dem armen Insten sich wenig unterscheidet und auf gleich und gleich mit ihm verkehrt, aber nichtsdestoweniger die Aristokratie so allmächtig regiert, daß der Unbemittelte weit eher in der Stadt Bürgermeister als in seinem Dorfe Schulze wird. Es war wichtig und segensreich, daß nach der neuen Gesetzgebung auch der ärmste Bürger das höchste Gemeindeamt bekleiden durfte; aber darum war es nichtsdestoweniger nicht bloß eine seltene Ausnahme, daß ein Mann aus den unteren Schichten der Bevölkerung dazu gelangte10, sondern es war wenigstens gegen den Schluß dieser Periode wahrscheinlich schon nur möglich mittels einer Oppositionswahl. Jedem aristokratischen Regiment tritt von selber eine entsprechende Oppositionspartei gegenüber; und da auch die formelle Gleichstellung der Stände die Aristokratie nur modifizierte und der neue Herrenstand das alte Patriziat nicht bloß beerbte, sondern sich auf denselben pfropfte und aufs innigste mit ihm zusammenwuchs, so blieb auch die Opposition bestehen und tat in allen und jeden Stücken das gleiche. Da die Zurücksetzung jetzt nicht mehr die Bürgerlichen, sondern den gemeinen Mann traf, so trat die neue Opposition von vornherein auf als Vertreterin der geringen Leute und namentlich der kleinen Bauern; und wie die neue Aristokratie sich an das Patriziat anschloß, so schlangen sich die ersten Regungen dieser neuen Opposition mit den letzten Kämpfen gegen die Patrizierprivilegien zusammen. Die ersten Namen in der Reihe dieser neuen römischen Volksführer sind Manius Curius (Konsul 464, 479, 480, 290 275, 274; Zensor 481 273) und Gaius Fabricius (Konsul 472, 476, 481, 282, 278, 273; Zensor 479 275), beide ahnenlose und nichtwohlhabende Männer, beide – gegen das aristokratische Prinzip, die Wiederwahl zu dem höchsten Gemeindeamt zu beschränken – jeder dreimal durch die Stimmen der Bürgerschaft an die Spitze der Gemeinde gerufen, beide als Tribune, Konsuln und Zensoren Gegner der patrizischen Privilegien und Vertreter des kleinen Bauernstandes gegen die aufkeimende Hoffart der vornehmen Häuser. Die künftigen Parteien zeichnen schon sich vor; aber noch schweigt auf beiden Seiten vor dem Interesse des Gemeinwohls das der Partei. Der adlige Appius Claudius und der Bauer Manius Curius, dazu noch heftige persönliche Gegner, haben durch klugen Rat und kräftige Tat den König Pyrrhos gemeinsam überwunden; und wenn Gaius Fabricius den aristokratisch gesinnten und aristokratisch lebenden Publius Cornelius Rufinus als Zensor deswegen bestrafte, so hielt ihn dies nicht ab, demselben seiner anerkannten Feldherrntüchtigkeit wegen zum zweiten Konsulat zu verhelfen. Der Riß war wohl schon da; aber noch reichten die Gegner sich über ihm die Hände.

Die Beendigung der Kämpfe zwischen Alt- und Neubürgern, die verschiedenartigen und verhältnismäßig erfolgreichen Versuche, dem Mittelstande aufzuhelfen, die inmitten der neugewonnenen bürgerlichen Gleichheit bereits hervortretenden Anfänge der Bildung einer neuen aristokratischen und einer neuen demokratischen Partei sind also dargestellt worden. Es bleibt noch übrig zu schildern, wie unter diesen Veränderungen das neue Regiment sich konstituierte, und wie nach der politischen Beseitigung der Adelschaft die drei Elemente des republikanischen Gemeinwesens, Bürgerschaft, Magistratur und Senat, gegeneinander sich stellten.

Die Bürgerschaft in ihren ordentlichen Versammlungen blieb nach wie vor die höchste Autorität im Gemeinwesen und der legale Souverän; nur wurde gesetzlich festgestellt, daß, abgesehen von den ein für allemal den Zenturien überwiesenen Entscheidungen, namentlich den Wahlen der Konsuln und Zensoren, die Abstimmung nach Distrikten ebenso gültig sein solle wie die nach Zenturien, was für die patrizisch-plebejische Versammlung das Valerisch-Horatische Gesetz von 305 (449) einführte und das Publilische von 415 (339) erweiterte, für die plebejische Sonderversammlung aber das Hortensische um 467 (287) verordnete. Daß im ganzen dieselben Individuen in beiden Versammlungen stimmberechtigt waren, ist schon hervorgehoben worden, aber auch, daß, abgesehen von dem Ausschluß der Patrizier von der plebejischen Sonderversammlung, auch in der allgemeinen Distriktsversammlung alle Stimmberechtigten durchgängig sich gleichstanden, in den Zenturiatkomitien aber die Wirksamkeit des Stimmrechts nach dem Vermögen des Stimmenden sich abstufte, also insofern allerdings die erstere eine nivellierende und demokratische Neuerung war. Von weit größerer Bedeutung war es, daß gegen das Ende dieser Periode die uralte Bedingung des Stimmrechts, die Ansässigkeit, zum erstenmal in Frage gestellt zu werden anfing. Appius Claudius, der kühnste Neuerer, den die römische Geschichte kennt, legte in seiner Zensur 442 (312), ohne den Senat oder das Volk zu fragen, die Bürgerliste so an, daß der nicht grundsässige Mann in die ihm beliebige Tribus und alsdann nach seinem Vermögen in die entsprechende Zenturie aufgenommen ward. Allein diese Änderung griff zu sehr dem Geiste der Zeit vor, um vollständig Bestand zu haben. Einer der nächsten Nachfolger des Appius, der berühmte Besieger der Samniten, Quintus Fabius Rullianus, übernahm es in seiner Zensur 450 (304) sie zwar nicht ganz zu beseitigen, aber doch in solche Grenzen einzuschließen, daß den Grundsässigen und Vermögenden effektiv die Herrschaft in den Bürgerversammlungen blieb. Es wies die nicht grundsässigen Leute sämtlich in die vier städtischen Tribus, die jetzt aus den ersten im Range die letzten wurden. Die Landquartiere dagegen, deren Zahl zwischen den Jahren 367 (241) und 513 (387) allmählich von siebzehn bis auf einunddreißig stieg, also die von Haus aus bei weitem überwiegende und immer mehr das Übergewicht erhaltende Majorität der Stimmabteilungen, wurden den sämtlichen ansässigen Bürgern gesetzlich vorbehalten. In den Zenturien blieb es bei der Gleichstellung der ansässigen und nichtansässigen Bürger, wie Appius sie eingeführt hatte. Auf diese Weise ward dafür gesorgt, daß in den Tributkomitien die Ansässigen überwogen, während für die Zenturiatkomitien an sich schon die Vermögenden den Ausschlag gaben. Durch diese weise und gemäßigte Festsetzung eines Mannes, der seiner Kriegstaten wegen wie mehr noch wegen dieser seiner Friedenstat mit Recht den Beinamen des Großen (Maximus) erhielt, ward einerseits die Wehrpflicht wie billig auch auf die nicht ansässigen Bürger erstreckt, anderseits dafür Sorge getragen, daß in der Distriktversammlung ihrem Einfluß, insbesondere dem der meistenteils des Grundbesitzes entbehrenden gewesenen Sklaven, derjenige Riegel vorgeschoben ward, welcher in einem Staat, der Sklaverei zuläßt, ein leider unerläßliches Bedürfnis ist. Ein eigentümliches Sittengericht, das allmählich an die Schatzung und die Aufnahme der Bürgerliste sich anknüpfte, schloß überdies aus der Bürgerschaft alle notorisch unwürdigen Individuen aus und wahrte dem Bürgertum die sittliche und politische Reinheit.

Die Kompetenz der Komitien zeigt die Tendenz, sich mehr und mehr, aber sehr allmählich zu erweitern. Schon die Vermehrung der vom Volk zu wählenden Magistrate gehört gewissermaßen hierher; bezeichnend ist es besonders, daß seit 392 (362) die Kriegstribune einer Legion, seit 443 (311) je vier in jeder der vier ersten Legionen, nicht mehr vom Feldherrn, sondern von der Bürgerschaft ernannt wurden. In die Administration griff während dieser Periode die Bürgerschaft im ganzen nicht ein; nur das Recht der Kriegserklärung wurde von ihr, wie billig, mit Nachdruck festgehalten und namentlich auch für den Fall festgestellt, wo ein an Friedens Statt abgeschlossener längerer Waffenstillstand ablief und zwar nicht rechtlich, aber tatsächlich ein neuer Krieg begann (327 427). Sonst ward eine Verwaltungsfrage fast nur dann dem Volke vorgelegt, wenn die regierenden Behörden unter sich in Kollision gerieten und eine derselben die Sache an das Volk brachte – so, als den Führern der gemäßigten Partei unter dem Adel, Lucius Valerius und Marcus Horatius, im Jahre 305 (449) und dem ersten plebejischen Diktator Gaius Marcus Rutilus im Jahre 398 (356) vom Senat die verdienten Triumphe nicht zugestanden wurden; als die Konsuln des Jahres 459 (295) über ihre gegenseitige Kompetenz nicht untereinander sich einigen konnten; und als der Senat im Jahre 364 (390) die Auslieferung eines pflichtvergessenen Gesandten an die Gallier beschloß und ein Konsulartribun deswegen an die Gemeinde sich wandte – es war dies der erste Fall, wo ein Senatsbeschluß vom Volke kassiert ward, und schwer hat ihn die Gemeinde gebüßt. Zuweilen gab auch die Regierung in schwierigen Fragen dem Volk die Entscheidung anheim: so zuerst, als Caere, nachdem ihm das Volk den Krieg erklärt hatte, ehe dieser wirklich begann, um Frieden bat (401 353); und später, als der Senat den demütig von den Samniten erbetenen Frieden ohne weiteres abzuschlagen Bedenken trug (436 318). Erst gegen das Ende dieser Periode finden wir ein bedeutend erweitertes Eingreifen der Distriktversammlung auch in Verwaltungsangelegenheiten, namentlich Befragung derselben bei Friedensschlüssen und Bündnissen; es ist wahrscheinlich, daß diese zurückgeht auf das Hortensische Gesetz von 467 (287).

Indes trotz dieser Erweiterungen der Kompetenz der Bürgerversammlungen begann der praktische Einfluß derselben auf die Staatsangelegenheiten vielmehr, namentlich gegen das Ende dieser Epoche, zu schwinden. Vor allem die Ausdehnung der römischen Grenzen entzog der Urversammlung ihren richtigen Boden. Als Versammlung der Gemeindesässigen konnte sie früher recht wohl in genügender Vollzähligkeit sich zusammenfinden und recht wohl missen, was sie wollte, auch ohne zu diskutieren; aber die römische Bürgerschaft war jetzt schon weniger Gemeinde als Staat. Daß die zusammen Wohnenden auch miteinander stimmten, brachte allerdings in die römischen Komitien, wenigstens, wenn nach Quartieren gestimmt ward, einen gewissen inneren Zusammenhang und in die Abstimmung hier und da Energie und Selbständigkeit; in der Regel aber waren doch die Komitien in ihrer Zusammensetzung wie in ihrer Entscheidung teils von der Persönlichkeit des Vorsitzenden und vom Zufall abhängig, teils den in der Hauptstadt domizilierten Bürgern in die Hände gegeben. Es ist daher vollkommen erklärlich, daß die. Bürgerversammlungen, die in den beiden ersten Jahrhunderten. der Republik eine große und praktische Wichtigkeit haben, allmählich beginnen, ein reines Werkzeug in der Hand des vorsitzenden Beamten zu werden; freilich ein sehr gefährliches, da der zum Vorsitz berufenen Beamten so viele waren und jeder Beschluß der Gemeinde galt als der legale Ausdruck des Volkswillens in letzter Instanz. An der Erweiterung aber der verfassungsmäßigen Rechte der Bürgerschaft war insofern nicht viel gelegen, als diese weniger als früher eines eigenen Wollens und Handelns fähig war, und als es eine eigentliche Demagogie in Rom noch nicht gab – hätte eine solche damals bestanden, so würde sie versucht haben, nicht die Kompetenz der Bürgerschaft zu erweitern, sondern die politische Debatte vor der Bürgerschaft zu entfesseln, während es doch bei den alten Satzungen, daß nur der Magistrat die Bürger zur Versammlung zu berufen und daß er jede Debatte und jede Amendementsstellung auszuschließen befugt sei, unverändert sein Bewenden hatte. Zur Zeit machte sich diese beginnende Zerrüttung der Verfassung hauptsächlich nur insofern geltend, als die Urversammlungen sich wesentlich passiv verhielten und im ganzen in das Regiment weder fördernd noch störend eingriffen.

Was die Beamtengewalt anlangt, so war deren Schmälerung nicht gerade das Ziel der zwischen Alt- und Neubürgern geführten Kämpfe, wohl aber eine ihrer wichtigsten Folgen. Bei dem Beginn der ständischen Kämpfe, das heißt des Streites um den Besitz der konsularischen Gewalt, war das Konsulat noch die einige und unteilbare wesentliche königliche Amtsgewalt gewesen und hatte der Konsul wie ehemals der König noch alle Unterbeamten nach eigener freier Wahl bestellt; an Ende desselben waren die wichtigsten Befugnisse: Gerichtsbarkeit, Straßenpolizei, Senatoren- und Ritterwahl, Schatzung und Kassenverwaltung von dem Konsulat getrennt und an Beamte übergegangen, die gleich dem Konsul von der Gemeinde ernannt wurden und weit mehr neben als unter ihm standen. Das Konsulat, sonst das einzige ordentliche Gemeindeamt, war jetzt nicht mehr einmal unbedingt das erste: in der neu sich feststellenden Rang- und gewöhnlichen Reihenfolge der Gemeindeämter stand das Konsulat zwar über Prätur, Ädilität und Quästur, aber unter dem Einschätzungsamt, an das außer den wichtigsten finanziellen Geschäften die Feststellung der Bürger-, Ritter- und Senatorenliste und damit eine durchaus willkürliche sittliche Kontrolle über die gesamte Gemeinde und jeden einzelnen, geringsten wie vornehmsten Bürger gekommen war. Der dem ursprünglichen römischen Staatsrecht mit dem Begriff des Oberamts unvereinbar erscheinende Begriff der begrenzten Beamtengewalt oder der Kompetenz brach allmählich sich Bahn und zerfetzte und zerstörte den älteren des einen und unteilbaren Imperium. Einen Anfang dazu machte schon die Einsetzung der ständigen Nebenämter, namentlich der Quästur; vollständig durchgeführt ward sie durch die Licinischen Gesetze (387 367), welche von den drei höchsten Beamten der Gemeinde die ersten beiden für Verwaltung und Kriegführung, den dritten für die Gerichtsleitung bestimmten. Aber man blieb hierbei nicht stehen. Die Konsuln, obwohl sie rechtlich durchaus und überall konkurrierten, teilten doch natürlich seit ältester Zeit tatsächlich die verschiedenen Geschäftskreise (provinciae) unter sich. Ursprünglich war dies lediglich durch freie Vereinbarung oder in deren Ermangelung durch Losung geschehen; allmählich aber griffen die anderen konstitutiven Gewalten im Gemeinwesen in diese faktischen Kompetenzbestimmungen ein. Es ward üblich, daß der Senat Jahr für Jahr die Geschäftskreise abgrenzte und sie zwar nicht geradezu unter die konkurrierenden Beamten verteilte, aber doch durch Ratschlag und Bitte auch auf die Personenfragen entscheidend einwirkte. Äußersten Falls erlangte der Senat auch wohl einen Gemeindebeschluß, der die Kompetenzfrage definitiv entschied; doch hat die Regierung diesen bedenklichen Ausweg nur sehr selten angewandt. Ferner wurden die wichtigsten Angelegenheiten, wie zum Beispiel die Friedensschlüsse, den Konsuln entzogen und dieselben genötigt, hierbei an den Senat zu rekurrieren und nach dessen Instruktion zu verfahren. Für den äußersten Fall endlich konnte der Senat jederzeit die Konsuln vom Amt suspendieren, indem nach einer nie rechtlich festgestellten und nie tatsächlich verletzten Übung der Eintritt der Diktatur lediglich von dem Beschluß des Senats abhing und die Bestimmung der zu ernennenden Person, obwohl verfassungsmäßig bei dem ernennenden Konsul, doch der Sache nach in der Regel bei dem Senat stand.

Länger als in dem Konsulat blieb in der Diktatur die alte Einheit und Rechtsfülle des Imperium enthalten; obwohl sie natürlich als außerordentliche Magistratur der Sache nach von Haus aus eine Spezialkompetenz hatte, gab es doch rechtlich eine solche für den Diktator noch weit weniger als für den Konsul. Indes auch sie ergriff allmählich der neu in das römische Rechtsleben eintretende Kompetenzbegriff. Zuerst 391 (363) begegnet ein aus theologischem Skrupel ausdrücklich bloß zur Vollziehung einer religiösen Zeremonie ernannter Diktator; und wenn dieser selbst noch, ohne Zweifel formell verfassungsmäßig, die ihm gesetzte Kompetenz als nichtig behandelte und ihr zum Trotz den Heerbefehl übernahm, so wiederholte bei den späteren, gleichartig beschränkten Ernennungen, die zuerst 403 (351) und seitdem sehr häufig begegnen, diese Opposition der Magistratur sich nicht, sondern auch die Diktatoren erachteten fortan durch ihre Spezialkompetenzen sich gebunden.

Endlich lagen in dem 412 (342) erlassenen Verbot der Kumulierung ordentlicher kurulischer Ämter und in der gleichzeitigen Vorschrift, daß derselbe Mann dasselbe Amt in der Regel nicht vor Ablauf einer zehnjährigen Zwischenzeit solle verwalten können, sowie in der späteren Bestimmung, daß das tatsächlich höchste Amt, die Zensur, überhaupt nicht zum zweitenmal bekleidet werden dürfe (489 265), weitere sehr empfindliche Beschränkungen der Magistratur. Doch war die Regierung noch stark genug, um ihre Werkzeuge nicht zu fürchten und darum eben die brauchbarsten absichtlich ungenutzt zu lassen; tapfere Offiziere wurden sehr häufig von jenen Vorschriften entbunden11, und es kamen noch Fälle vor, wie der des Quintus Fabius Rullianus, der in achtundzwanzig Jahren fünfmal Konsul war, und des Marcus Valerius Corvus (384-483 370-271), welcher, nachdem er sechs Konsulate, das erste im dreiundzwanzigsten, das letzte im zweiundsiebzigsten Jahre, verwaltet und drei Menschenalter hindurch der Hort der Landsleute und der Schrecken der Feinde gewesen war, hundertjährig zur Grube fuhr.

Während also der römische Beamte immer vollständiger und immer bestimmter aus dem unbeschränkten Herrn in den gebundenen Auftragnehmer und Geschäftsführer der Gemeinde sich umwandelte, unterlag die alte Gegenmagistratur, das Volkstribunat, gleichzeitig einer gleichartigen mehr innerlichen als äußerlichen Umgestaltung. Dasselbe diente im Gemeinwesen zu einem doppelten Zweck. Es war von Haus aus bestimmt gewesen, den Geringen und Schwachen. durch eine gewissermaßen revolutionäre Hilfsleistung (auxilium) gegen den gewalttätigen Übermut der Beamten zu schützen; es war späterhin gebraucht worden, um die rechtliche Zurücksetzung der Bürgerlichen und die Privilegien des Geschlechtsadels zu beseitigen. Letzteres war erreicht. Der ursprüngliche Zweck war nicht bloß an sich mehr ein demokratisches Ideal als eine politische Möglichkeit, sondern auch der plebejischen Aristokratie, in deren Händen das Tribunat sich befinden mußte und befand, vollkommen ebenso verhaßt und mit der neuen, aus der Ausgleichung der Stände hervorgegangenen, womöglich noch entschiedener als die bisherige aristokratisch gefärbten, Gemeindeordnung vollkommen ebenso unverträglich, wie es dem Geschlechtsadel verhaßt und mit der patrizischen Konsularverfassung unverträglich gewesen war. Aber anstatt das Tribunat abzuschaffen, zog man vor, es aus einem Rüstzeug der Opposition in ein Regierungsorgan umzuschaffen und zog die Volkstribune, die von Haus aus von aller Teilnahme an der Verwaltung ausgeschlossen und weder Beamte noch Mitglieder des Senats waren, jetzt hinein in den Kreis der regierenden Behörden. Wenn sie in der Gerichtsbarkeit von Anfang an den Konsuln gleichstanden und schon in den ersten Stadien der ständischen Kämpfe gleich diesen die legislatorische Initiative erwarben, so empfingen sie jetzt auch, wir wissen nicht genau wann, aber vermutlich bei oder bald nach der schließlichen Ausgleichung der Stände, gleiche Stellung mit den Konsuln gegenüber der tatsächlich regierenden Behörde, dem Senate. Bisher hatten sie, auf einer Bank an der Tür sitzend, der Senatsverhandlung beigewohnt, jetzt erhielten sie gleich und neben den übrigen Beamten ihren Platz im Senate selbst und das Recht, bei der Verhandlung das Wort zu ergreifen; wenn ihnen das Stimmrecht versagt blieb, so war dies nur eine Anwendung des allgemeinen Grundsatzes des römischen Staatsrechts, daß den Rat nur gab, wer zur Tat nicht berufen war und also sämtlichen funktionierenden Beamten während ihres Amtsjahrs nur Sitz, nicht Stimme im Gemeinderat zukam. Aber es blieb hierbei nicht. Die Tribune empfingen das unterscheidende Vorrecht der höchsten Magistratur, das sonst von den ordentlichen Beamten nur den Konsuln und Prätoren zustand: das Recht, den Senat zu versammeln, zu befragen und einen Beschluß desselben zu bewirken12. Es war das nur in der Ordnung: die Häupter der plebejischen Aristokratie mußten denen der patrizischen im Senate gleichgestellt werden, seit das Regiment von dem Gesellschaftsadel übergegangen war auf die vereinigte Aristokratie. Indem dieses ursprünglich von aller Teilnahme an der Staatsverwaltung ausgeschlossene Oppositionskollegium jetzt, namentlich für die eigentlich städtischen Angelegenheiten, eine zweite höchste Exekutivstelle ward und eines der gewöhnlichsten und brauchbarsten Organe der Regierung, daß heißt des Senats, um die Bürgerschaft zu lenken und vor allem um Ausschreitungen der Beamten zu hemmen, wurde es allerdings seinem ursprünglichen Wesen nach absorbiert und politisch vernichtet; indes war dieses Verfahren in der Tat durch die Notwendigkeit geboten. Wie klar auch die Mängel der römischen Aristokratie zutage liegen und wie entschieden das stetige Wachsen der aristokratischen Übermacht mit der tatsächlichen Beseitigung des Tribunats zusammenhängt, so kann doch nicht verkannt werden, daß auf die Länge sich nicht mit einer Behörde regieren ließ, welche nicht bloß zwecklos war und fast auf die Hinhaltung des leidenden Proletariats durch trügerische Hilfsvorspiegelung berechnet, sondern zugleich entschieden revolutionär und im Besitz einer eigentlich anarchischen Befugnis der Hemmung der Beamten-, ja der Staatsgewalt selbst. Aber der Glaube an das Ideale, in dem alle Macht wie alle Ohnmacht der Demokratie begründet ist, hatte in den Gemütern der Römer aufs engste an das Gemeindetribunat sich geheftet, und man braucht nicht erst an Cola Rienzi zu erinnern, um einzusehen, daß dasselbe, wie wesenlos immer der daraus für die Menge entspringende Vorteil war, ohne eine furchtbare Staatsumwälzung nicht beseitigt werden konnte. Darum begnügte man sich mit echt bürgerlicher Staatsklugheit, in den möglichst wenig in die Augen fallenden Formen die Sache zu vernichten. Der bloße Name dieser ihrem innersten Kern nach revolutionären Magistratur blieb immer noch innerhalb des aristokratisch regierten Gemeinwesens gegenwärtig ein Widerspruch und für die Zukunft, in den Händen einer dereinstigen Umsturzpartei, eine schneidende und gefährliche Waffe; indes für jetzt und noch auf lange hinaus war die Aristokratie so unbedingt mächtig und so vollständig im Besitz des Tribunats, daß von einer kollegialischen Opposition der Tribune gegen den Senat schlechterdings keine Spur sich findet und die Regierung der etwa vorkommenden verlorenen oppositionellen Regungen einzelner solcher Beamten immer ohne Mühe und in der Regel durch das Tribunat selbst Herr ward.

In der Tat war es der Senat, der die Gemeinde regierte, und fast ohne Widerstand seit der Ausgleichung der Stände. Seine Zusammensetzung selbst war eine andere geworden. Das freie Schalten der Oberbeamten, wie es nach Beseitigung der alten Geschlechtervertretung in dieser Hinsicht stattgefunden hatte, hatte schon mit der Abschaffung der lebenslänglichen Gemeindevorstandschaft sehr wesentliche Beschränkungen erfahren.

Ein weiterer Schritt zur Emanzipation des Senats von der Beamtengewalt erfolgte durch den Übergang der Feststellung dieser Listen von den höchsten Gemeindebeamten auf eine Unterbehörde, von den Konsuln auf die Zensoren. Allerdings wurde, sei es gleich damals oder bald nachher, auch das Recht des mit der Anfertigung der Liste beauftragten Beamten, einzelne Senatoren wegen eines ihnen anhaftenden Makels aus derselben wegzulassen und somit aus dem Senat auszuschließen, wo nicht eingeführt, doch wenigstens schärfer formuliert13 und somit jenes eigentümliche Sittengericht begründet, auf dem das hohe Ansehen der Zensoren vornehmlich beruht. Allein derartige Rügen konnten, da zumal beide Zensoren darüber einig sein mußten, wohl dazu dienen, einzelne der Versammlung nicht zur Ehre gereichende oder dem in ihr herrschenden Geist feindliche Persönlichkeiten zu entfernen, nicht aber sie selbst in Abhängigkeit von der Magistratur versetzen.

Entscheidend aber beschränkte das Ovinische Gesetz, welches etwa um die Mitte dieser Periode, wahrscheinlich bald nach den Licinischen Gesetzen durchgegangen ist, das Recht der Beamten, den Senat nach ihrem Ermessen zu konstituieren, indem es demjenigen, der kurulischer Ädil, Prätor oder Konsul gewesen war, sofort vorläufig Sitz und Stimme im Senat verlieh und die nächst eintretenden Zensoren verpflichtete, diese Expektanten entweder förmlich in die Senatorenliste einzuzeichnen oder doch nur aus denjenigen Gründen, welche auch zur Ausstoßung des wirklichen Senators genügten, von der Liste auszuschließen. Freilich reichte die Zahl dieser gewesenen Magistrate bei weitem nicht aus, um den Senat auf der normalen Zahl von dreihundert zu halten; und unter dieselbe durfte man, besonders da die Senatoren- zugleich Geschworenenliste war, ihn nicht herabgehen lassen. So blieb dem zensorischen Wahlrecht immer noch ein bedeutender Spielraum; indes nahmen diese, nicht durch die Bekleidung eines Amtes, sondern durch die zensorische Wahl erkiesten Senatoren – häufig diejenigen Bürger, die ein nicht kurulisches Gemeindeamt verwaltet oder durch persönliche Tapferkeit sich hervorgetan, einen Feind im Gefecht getötet oder einem Bürger das Leben gerettet hatten – zwar an der Abstimmung, aber nicht an der Debatte teil. Der Kern des Senats und derjenige Teil desselben, in dem Regierung und Verwaltung sich konzentriert, ruhte also nach dem Ovinischen Gesetz im wesentlichen nicht mehr auf der Willkür eines Beamten, sondern mittelbar auf der Wahl durch das Volk; und die römische Gemeinde war auf diesem Wege zwar nicht zu der großen Institution der Neuzeit, dem repräsentativen Volksregimente, aber wohl dieser Institution nahe gekommen, während die Gesamtheit der nicht debattierenden Senatoren gewährte, was bei regierenden Kollegien so notwendig wie schwierig herzustellen ist, eine kompakte Masse urteilsfähiger und urteilsberechtiger, aber schweigender Mitglieder.

Die Kompetenz des Senats wurde formell kaum verändert. Der Senat hütete sich wohl, durch unpopuläre Verfassungsänderungen oder offenbare Verfassungsverletzungen der Opposition und der Ambition Handhaben darzubieten; er ließ es sogar geschehen, wenn er es auch nicht förderte, daß die Bürgerschaftskompetenz im demokratischen Sinne ausgedehnt ward. Aber wenn die Bürgerschaft den Schein, so erwarb der Senat das Wesen der Macht: einen bestimmenden Einfluß auf die Gesetzgebung und die Beamtenwahlen und das gesamte Gemeinderegiment.

Jeder neue Gesetzvorschlag ward zunächst im Senat vorberaten, und kaum wagte es je ein Beamter, ohne oder wider das Gutachten des Senats einen Antrag an die Gemeinde zu stellen; geschah es dennoch, so hatte der Senat durch die Beamteninterzession und die priesterliche Kassation eine lange Reihe von Mitteln in der Hand, um jeden unbequemen Antrag im Keime zu ersticken oder nachträglich zu beseitigen; und im äußersten Fall hatte er als oberste Verwaltungsbehörde mit der Ausführung auch die Nichtausführung der Gemeindebeschlüsse in der Hand. Es nahm der Senat ferner unter stillschweigender Zustimmung der Gemeinde das Recht in Anspruch, in dringenden Fällen unter Vorbehalt der Ratifikation durch Bürgerschaftsbeschluß, von den Gesetzen zu entbinden – ein Vorbehalt, der von Haus aus nicht viel bedeutete und allmählich so vollständig zur Formalität ward, daß man in späterer Zeit sich nicht einmal mehr die Mühe gab, den ratifizierenden Gemeindebeschluß zu beantragen.

Was die Wahlen anlangt, so gingen sie, soweit sie den Beamten zustanden und von politischer Wichtigkeit waren, tatsächlich über auf den Senat; auf diesem Wege erwarb derselbe, wie schon gesagt ward, das Recht, den Diktator zu bestellen. Größere Rücksicht maßte allerdings auf die Gemeinde genommen werden: es konnte ihr das Recht nicht entzogen werden, die Gemeindeämter zu vergeben; doch ward, wie gleichfalls schon bemerkt wurde, sorgfältig darüber gewacht, daß diese Beamtenwahl nicht etwa in die Vergebung bestimmter Kompetenzen, namentlich nicht der Oberfeldherrnstellen in bevorstehenden Kriegen, übergehe. Überdies brachte teils der neu eingeführte Kompetenzbegriff, teils das dem Senat tatsächlich zugestandene Recht, von den Gesetzen zu entbinden, einen wichtigen Teil der Ämterbesetzung in die Hände des Senats. Von dem Einfluß, den der Senat auf die Feststellung der Geschäftskreise namentlich der Konsuln ausübte, ist schon die Rede gewesen. Von dem Dispensationsrecht war eine der wichtigsten Anwendungen die Entbindung des Beamten von der gesetzlichen Befristung seines Amtes, welche zwar, als den Grundgesetzen der Gemeinde zuwider, nach römischen Staatsrecht in dem eigentlichen Stadtbezirk nicht vorkommen durfte, aber außerhalb desselben wenigstens insoweit galt, als der Konsul und Prätor, dem die Frist verlängert war, nach Ablauf derselben fortfuhr, „an Konsul“ oder „Prätor Statt“ (pro consule, pro praetore) zu fungieren. Natürlich stand dies wichtige, dem Ernennungsrecht wesentlich gleichstehende Recht der Fristerstreckung gesetzlich allein der Gemeinde zu und ward anfänglich auch faktisch von ihr gehandhabt; aber doch wurde schon 447 (307) und seitdem regelmäßig den Oberfeldherren das Kommando durch bloßen Senatsbeschluß verlängert. Dazu kam endlich der übermächtige und klug vereinigte Einfluß der Aristokratie auf die Wahlen, welcher dieselben nicht immer, aber in der Regel auf die der Regierung genehmen Kandidaten lenkte.

Was schließlich die Verwaltung anlangt, so hing Krieg, Frieden und Bündnis, Kolonialgründung, Ackerassignation, Bauwesen, überhaupt jede Angelegenheit von dauernder und durchgreifender Wichtigkeit, und namentlich das gesamte Finanzwesen lediglich ab von dem Senat. Er war es, der Jahr für Jahr den Beamten in der Feststellung ihrer Geschäftskreise und in der Limitierung der einem jeden zur Verfügung zu stellenden Truppen und Gelder die allgemeine Instruktion gab, und an ihn ward von allen Seiten in allen wichtigen Fällen rekurriert: keinem Beamten, mit Ausnahme des Konsuls, und keinem Privaten durften die Vorsteher der Staatskasse Zahlung anders leisten als nach vorgängigem Senatsbeschluß. Nur in die Besorgung der laufenden Angelegenheiten und in die richterliche und militärische Spezialverwaltung mischte das höchste Regierungskollegium sich nicht ein; es war zu viel politischer Sinn und Takt in der römischen Aristokratie, um die Leitung des Gemeinwesens in eine Bevormundung des einzelnen Beamten und das Werkzeug in eine Maschine verwandeln zu wollen.

Daß dies neue Regiment des Senats bei aller Schonung der bestehenden Formen eine vollständige Umwälzung des alten Gemeinwesens in sich schloß, leuchtet ein; daß die freie Tätigkeit der Bürgerschaft stockte und erstarrte und die Beamten zu Sitzungspräsidenten und ausführenden Kommissarien herabsanken, daß ein durchaus nur beratendes Kollegium die Erbschaft beider verfassungsmäßiger Gewalten tat und, wenn auch in den bescheidensten Formen, die Zentralregierung der Gemeinde ward, war revolutionär und usurpatorisch. Indes wenn jede Revolution und jede Usurpation durch die ausschließliche Fähigkeit zum Regimente vor dem Richterstuhl der Geschichte gerechtfertigt erscheint, so muß auch ihr strenges Urteil es anerkennen, daß diese Körperschaft ihre große Aufgabe zeitig begriffen und würdig erfüllt hat. Berufen nicht durch den eitlen Zufall der Geburt, sondern wesentlich durch die freie Wahl der Nation; bestätigt von vier zu vier Jahren durch das strenge Sittengericht der würdigsten Männer; auf Lebenszeit im Amte und nicht abhängig von dem Ablauf des Mandats oder von der schwankenden Meinung des Volkes; in sich einig und geschlossen seit der Ausgleichung der Stände; alles in sich schließend, was das Volk besaß von politischer Intelligenz und praktischer Staatskunde; unumschränkt verfügend in allen finanziellen Fragen und in der Leitung der auswärtigen Politik; die Exekutive vollkommen beherrschend durch deren kurze Dauer und durch die dem Senat nach der Beseitigung des ständischen Haders dienstbar gewordene tribunizische Interzession, war der römische Senat der edelste Ausdruck der Nation und in Konsequenz und Staatsklugheit, in Einigkeit und Vaterlandsliebe, in Machtfülle und sicherem Mut die erste politische Körperschaft aller Zeiten – auch jetzt noch „eine Versammlung von Königen“, die es verstand, mit republikanischer Hingebung despotische Energie zu verbinden. Nie ist ein Staat nach außen fester und würdiger vertreten worden als Rom in seiner guten Zeit durch seinen Senat. In der inneren Verwaltung ist es allerdings nicht zu verkennen, daß die im Senat vorzugsweise vertretene Geld- und Grundaristokratie in den ihre Sonderinteressen betreffenden Angelegenheiten parteiisch verfuhr und daß die Klugheit und die Energie der Körperschaft hier häufig von ihr nicht zum Heil des Staates gebraucht worden sind. Indes der große, in schweren Kämpfen festgestellte Grundsatz, daß jeder römische Bürger gleich vor dem Gesetz sei in Rechten und Pflichten, und die daraus sich ergebende Eröffnung der politischen Laufbahn, das heißt des Eintritts in den Senat für jedermann, erhielten neben dem Glanz der militärischen und politischen Erfolge die staatliche und nationale Eintracht und nahmen dem Unterschied der Stände jene Erbitterung und Gehässigkeit, die den Kampf der Patrizier und Plebejer bezeichnen; und da die glückliche Wendung der äußeren Politik es mit sich brachte, daß länger als ein Jahrhundert die Reichen Spielraum für sich fanden, ohne den Mittelstand unterdrücken zu müssen, so hat das römische Volk in seinem Senat längere Zeit, als es einem Volke verstattet zu sein pflegt, das großartigste aller Menschenwerke durchzuführen vermocht, eine weise und glückliche Selbstregierung.

  1. Die Annahme, daß rechtlich den patrizischen Konsulartribunen das volle, den plebejischen nur das militärische Imperium zugestanden habe, ruft nicht bloß manche Fragen hervor, auf die es keine Antwort gibt, zum Beispiel, was denn geschah, wenn, wie dies gesetzlich möglich war, die Wahl auf lauter Plebejer fiel, sondern verstößt vor allem gegen den Fundamentalsatz des römischen Staatsrechts, daß das Imperium, das heißt das Recht, dem Bürger im Namen der Gemeinde zu befehlen, qualitativ unteilbar und überhaupt keiner anderen als einer räumlichen Abgrenzung fähig ist. Es gibt einen Stadtrechtsbezirk und einen Kriegsrechtsbezirk, in welchem letzteren die Provokation und andere stadtrechtliche Bestimmungen nicht maßgebend sind; es gibt Beamte, wie zum Beispiel die Prokonsuln, welche lediglich in dem letzteren zu funktionieren vermögen; aber es gibt im strengen Rechtssinn keine Beamten mit bloß jurisdiktionellem wie keine mit bloß militärischem Imperium. Der Prokonsul ist in seinem Bezirk eben wie der Konsul zugleich Oberfeldherr und Oberrichter und befugt, nicht bloß unter Nichtbürgern und Soldaten, sondern auch unter Bürgern den Prozeß zu instruieren. Selbst als mit der Einsetzung der Prätur der Begriff der Kompetenz für die magistratus maiores aufkommt, hat er mehr tatsächliche als eigentlich rechtliche Geltung: der städtische Prätor ist zwar zunächst Oberrichter, aber er kann auch wenigstens für gewisse Fälle die Zenturien berufen und kann ein Heer befehligen; dem Konsul kommt in der Stadt zunächst die Oberverwaltung und der Oberbefehl zu, aber er fungiert doch auch bei Emanzipation und Adoption als Gerichtsherr – die qualitative Unteilbarkeit des höchsten Amtes ist also selbst hier noch beiderseits mit großer Schärfe festgehalten. Es muß also die militärische wie die jurisdiktionelle Amtsgewalt oder, um diese, dem römischen Recht dieser Zeit fremden Abstraktionen beiseite zu lassen, die Amtsgewalt schlechthin den plebejischen Konsulartribunen virtuell so gut wie den patrizischen zugestanden haben. Aber wohl mögen, wie W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2, 2, S. 137) meint, aus denselben Gründen, weshalb späterhin neben das gemeinschaftliche Konsulat die – tatsächlich längere Zeit den Patriziern vorbehaltene – Prätur gestellt ward, faktisch schon während des Konsulartribunats die plebejischen Glieder des Kollegiums von der Jurisdiktion ferngehalten worden sein und insofern die spätere Kompetenzteilung zwischen Konsuln und Prätoren mittels des Konsulartribunats sich vorbereitet haben.
  2. Die Verteidigung, daß der Adel an der Ausschließung der Plebejer aus religiöser Befangenheit festgehalten habe, verkennt den Grundcharakter der römischen Religion und trägt den modernen Gegensatz zwischen Kirche und Staat in das Altertum hinein. Die Zulassung des Nichtbürgers zu einer bürgerlich religiösen Verrichtung mußte freilich dem rechtgläubigen Römer als sündhaft erscheinen; aber nie hat auch der strengste Orthodoxe bezweifelt, daß durch die lediglich und allein vom Staat abhängige Zulassung in die bürgerliche Gemeinschaft auch die volle religiöse Gleichheit herbeigeführt werde. All jene Gewissensskrupel, deren Ehrlichkeit an sich nicht beanstandet werden soll, waren abgeschnitten, sowie man den Plebejern in Masse rechtzeitig das Patriziat zugestand. Nur das etwa kann man zur Entschuldigung des Adels geltend machen, daß er, nachdem er bei Abschaffung des Königtums den rechten Augenblick hierzu versäumt hatte, später selber nicht mehr imstande war, das Versäumte nachzuholen.
  3. Ob innerhalb des Patriziats die Unterscheidung dieser „kurulischen Häuser“ von den übrigen Familien jemals von ernstlicher politischer Bedeutung gewesen ist, läßt sich weder mit Sicherheit verneinen noch mit Sicherheit bejahen, und ebensowenig wissen wir, ob es in dieser Epoche wirklich noch nicht kurulische Patrizierfamilien in einiger Anzahl gab.
  4. Die Armut der Konsulare dieser Epoche, welche in den moralischen Anekdotenbüchern der späteren Zeit eine große Rolle spielt, beruht großenteils auf Mißverständnis teils des alten sparsamen Wirtschaftens, welches sich recht gut mit ansehnlichem Wohlstand verträgt, teils der alten schönen Sitte, verdiente Männer aus dem Ertrag von Pfennigkollekten zu bestatten, was durchaus keine Armenbeerdigung ist. Auch die autoschediastische Beinamenerklärung, die so viel Plattheiten in die römische Geschichte gebracht hat, hat hierzu ihren Beitrag geliefert (Serranus).
  5. Wer die Konsularverzeichnisse vor und nach 412 (342) vergleicht, wird an der Existenz des oben erwähnten Gesetzes über die Wiederwahl zum Konsulat nicht zweifeln; denn so gewöhnlich vor diesem Jahr die Wiederbekleidung des Amtes besonders nach drei bis vier Jahren ist, so häufig sind nachher die Zwischenräume von zehn Jahren und darüber. Doch finden sich, namentlich während der schweren Kriegsjahre 434-443 (320-311), Ausnahmen in sehr großer Zahl. Streng hielt man dagegen an der Unzulässigkeit der Ämterkumulierung. Es findet sich kein sicheres Beispiel der Verbindung zweier der drei ordentlichen kurulischen (Liv. 39, 39, 4) Ämter (Konsulat, Prätur, kurulische Ädilität), wohl aber von anderen Kumulierungen, zum Beispiel der kurulischen Ädilität und des Reiterführeramts (Liv. 23 24, 30); der Prätur und der Zensur (Fast. Capitol. a 501); der Prätur und der Diktatur (Liv. 8, 12); des Konsulats und der Diktatur (Liv. 8, 12).
  6. Daher werden die für den Senat bestimmten Depeschen adressiert an Konsuln, Prätoren, Volkstribune und Senat (Cic. ad fam. 15, 2 und sonst).
  7. Diese Befugnis sowie die ähnlichen hinsichtlich der Ritter- und der Bürgerliste waren wohl nicht förmlich und gesetzlich den Zensoren beigelegt, lagen aber tatsächlich von jeher in ihrer Kompetenz. Das Bürgerrecht vergibt die Gemeinde, nicht der Zensor aber wem dieser in dem Verzeichnis der Stimmberechtigten keine oder eine schlechtere Stelle anweist, der verliert das Bürgerrecht nicht, kann aber die bürgerlichen Befugnisse nicht oder nur an dem geringeren Platz ausüben bis zur Anfertigung einer neuen Liste. Ebenso verhält es sich mit dem Senat: wen der Zensor in seiner Liste ausläßt, der scheidet aus demselben, solange die betreffende Liste gültig bleibt – es kommt vor, daß der vorsitzende Beamte sie verwirft und die ältere Liste wieder in Kraft setzt. Offenbar kam also in dieser Hinsicht es nicht so sehr darauf an, was den Zensoren gesetzlich freistand, sondern was bei denjenigen Beamten, welche nach ihren Listen zu laden hatten, ihre Autorität vermochte. Daher begreift man, wie diese Befugnis allmählich stieg und wie mit der steigenden Konsolidierung der Nobilität dergleichen Streichungen gleichsam die Form richterlicher Entscheidungen annahmen und gleichsam als solche respektiert wurden. Hinsichtlich der Feststellung der Senatsliste hat freilich auch ohne Zweifel die Bestimmung des Ovinischen Plebiszits wesentlich mitgewirkt, daß die Zensoren „aus allen Rangklassen die Besten“ in den Senat nehmen sollten.

5. Kapitel


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Die ursprüngliche Verfassung Roms

Vater und Mutter, Söhne und Töchter, Hof und Wohnung, Knechte und Gerät – das sind die natürlichen Elemente, aus denen überall, wo nicht durch die Polygamie die Mutter als solche verschwindet, das Hauswesen besteht. Darin aber gehen die Völker höherer Kulturfähigkeit auseinander, daß diese natürlichen Gegensätze flacher oder tiefer, mehr sittlich oder mehr rechtlich aufgefaßt und durchgearbeitet werden. Keines kommt dem römischen gleich an schlichter, aber unerbittlicher Durchführung der von der Natur selbst vorgezeichneten Rechtsverhältnisse.

Die Familie, das heißt der durch den Tod seines Vaters in eigene Gewalt gelangte freie Mann mit der feierlich ihm von den Priestern zu Gemeinschaft des Wassers und des Feuers durch das heilige Salzmehl (durch Confarreatio) angetrauten Ehefrau, mit ihren Söhnen und Sohnessöhnen und deren rechten Frauen und ihren unverheirateten Töchtern und Sohnestöchtern nebst allem, einem von diesen zukommenden Hab und Gut ist eine Einheit, von der dagegen die Kinder der Töchter ausgeschlossen sind, da sie entweder, wenn sie ehelich sind, der Familie des Mannes angehören, oder, wenn außer der Ehe erzeugt, in gar keiner Familie stehen. Eigenes Haus und Kindersegen erscheinen dem römischen Bürger als das Ziel und der Kern des Lebens. Der Tod ist kein Übel, denn er ist notwendig; aber das Aussterben des Hauses oder gar des Geschlechts ist ein Unheil, selbst für die Gemeinde, welche darum in frühester Zeit dem Kinderlosen einen Rechtsweg eröffnete, durch Annahme fremder Kinder anstatt eigener diesem Verhängnis auszuweichen. Von vornherein trug die römische Familie die Bedingungen höherer Kultur in sich in der sittlich geordneten Stellung der Familienglieder zueinander. Familienhaupt kann nur der Mann sein; die Frau ist zwar im Erwerb von Gut und Geld nicht hinter dem Manne zurückgesetzt, sondern es nimmt die Tochter gleichen Erbteil mit dem Bruder, die Mutter gleichen Erbteil mit den Kindern, aber immer und notwendig gehört die Frau dem Hause, nicht der Gemeinde an, und ist auch im Hause notwendig hausuntertänig, die Tochter dem Vater, das Weib dem ManneDie folgende Grabschrift, obwohl einer viel späteren Zeit angehörig, ist nicht unwert, hier zu stehen. Es ist der Stein, der spricht.

Kurz, Wandrer ist mein Spruch: halt‘ an und lies ihn durch.
Es deckt der schlechte Grabstein eine schöne Frau.
Mit Namen nannten Claudia die Eltern sie;
Mit eigner Liebe liebte sie den eignen Mann;
Zwei Söhne gebar sie; einen ließ auf Erden sie
Zurück, den andern barg sie in der Erde Schoß.
Sie war von artiger Rede und von edlem Gang,
Versah ihr Haus und spann. Ich bin zu Ende, geh.

Vielleicht noch bezeichnender ist die Aufführung des Wollspinnens unter lauter sittlichen Eigenschaften, die in römischen Grabschriften nicht ganz selten ist. Orelli 4639: optima et pulcherrima, lanifica pia pudica frugi casta domiseda. Orelli 4860: modestia probitate pudicitia obsequio lanificzo diligentia fide par similisque cetereis probeis feminis fuit. Grabschrift der Turia 1, 30: domestica bona pudicitiae, obsequi, comitatis, facilitatis, lanificiis [tuis adsiduitatis, religionis] sine superstitione, ornatus non conspiciendi, cultus modici.

Indes war die Einheit der Familie so mächtig, daß selbst der Tod des Hausherrn sie nicht vollständig löste. Die durch denselben selbständig gewordenen Deszendenten betrachten dennoch in mancher Hinsicht sich noch als eine Einheit, wovon bei der Erbfolge und in vielen anderen Beziehungen Gebrauch gemacht wird, vor allen Dingen aber, um die Stellung der Witwe und der unverheirateten Töchter zu ordnen. Da nach älterer römischer Ansicht das Weib nicht fähig ist, weder über andere noch über sich die Gewalt zu haben, so bleibt die Gewalt über sie oder, wie sie mit milderem Ausdruck heißt, die Hut (tutela), bei dem Hause, dem sie angehört, und wird statt des verstorbenen Hausherrn jetzt ausgeübt durch die Gesamtheit der nächsten männlichen Familienglieder, regelmäßig also über die Mütter durch die Söhne, über die Schwestern durch die Brüder. In diesem Sinne dauerte die einmal gegründete Familie unverändert fort, bis der Mannesstamm ihres Urhebers ausstarb; nur mußte freilich von Generation zu Generation faktisch das Band sich lockern und zuletzt selbst die Möglichkeit des Nachweises der ursprünglichen Einheit verschwinden. Hierauf, und hierauf allein, beruht der Unterschied der Familie und des Geschlechts, oder, nach römischem Ausdruck, der Agnaten und der Gentilen. Beide bezeichnen den Mannesstamm; die Familie aber umfaßt nur diejenigen Individuen, welche von Generation zu Generation aufsteigend den Grad ihrer Abstammung von einem gemeinschaftlichen Stammherrn dartun können, das Geschlecht dagegen auch diejenigen, welche bloß die Abstammung selbst von einem gemeinschaftlichen Ahnherrn, aber nicht mehr vollständig die Zwischenglieder, also nicht den Grad, nachzuweisen vermögen. Sehr klar spricht sich das in den römischen Namen aus, wenn es heißt: „Quintus, Sohn des Quintus, Enkel des Quintus und so weiter, der Quintier“, so reicht die Familie so weit, als die Aszendenten individuell bezeichnet werden, und wo sie endlich aufhört, tritt ergänzend ein das Geschlecht, die Abstammung von dem gemeinschaftlichen Urahn, der auf alle seine Nachkommen den Namen der Quintuskinder vererbt hat.

Diesen streng geschlossenen, unter der Gewalt eines lebenden Herrn vereinigten oder aus der Auflösung solcher Häuser hervorgegangenen Familien- und Geschlechtseinheiten gehörten außerdem noch an zwar nicht die Gäste, das sind die Glieder anderer gleichartiger Kreise, welche vorübergehend in einem fremden Hause verweilen, und ebensowenig die Sklaven, welche rechtlich nur als Habe, nicht als Glieder des Hauses angesehen werden, aber wohl die Hörigen (clientes, von cluere), das heißt diejenigen Individuen, die, ohne freie Bürger irgendeines Gemeinwesens zu sein, doch in einem solchen im Zustande geschützter Freiheit sich befanden. Dahin gehörten teils die landflüchtigen Leute, die bei einem fremden Schutzherrn Aufnahme gefunden hatten, teils diejenigen Knechte, denen gegenüber der Herr auf den Gebrauch seiner Herrenrechte vorläufig verzichtet, ihnen die tatsächliche Freiheit geschenkt hatte. Es war dies Verhältnis in seiner Eigentümlichkeit nicht ein streng rechtliches wie das zu dem Gast; der Hörige blieb ein unfreier Mann, für den Treuwort und Herkommen die Unfreiheit milderte. Darum bilden die „Hörigen“ (clientes) des Hauses in Verbindung mit den eigentlichen Knechten die von dem Willen des „Bürgers“ (patronus, wie patricius) abhängige „Knechtschaft“ (familia); darum ist nach ursprünglichem Recht der Bürger befugt, das Vermögen des Klienten teilweise oder ganz wieder an sich zu ziehen, ihn vorkommenden Falls in die Sklaverei zurückzuversetzen, ja ihn am Leben zu strafen; und es sind nur tatsächliche Verschiedenheiten, wenn gegen den Klienten nicht so leicht wie gegen den wirklichen Knecht die volle Schärfe dieses hausherrlichen Rechtes hervorgekehrt wird und wenn auf der andern Seite die sittliche Verpflichtung des Herrn, für seine eigenen Leute zu sorgen und sie zu vertreten, bei dem tatsächlich freier gestellten Klienten größere Bedeutung gewinnt als bei dem Sklaven. Ganz besonders mußte die faktische Freiheit des Klienten der rechtlichen da sich nähern, wo das Verhältnis durch mehrere Generationen hindurchgegangen war: wenn der Freilasser und der Freigelassene selber gestorben waren, konnte das Herrenrecht über die Nachkommen des Freigelassenen von den Rechtsnachfolgern des Freilassers nicht ohne schreiende Impietät in Anspruch genommen werden. Also bildete schon in dem Hause selbst sich ein Kreis abhängig freier Leute, die von den Knechten sich ebenso unterschieden wie von den gleichberechtigten Geschlechtsgenossen.

Auf diesem römischen Hause beruht der römische Staat sowohl den Elementen als der Form nach. Die Volksgemeinde entstand aus der wie immer erfolgten Zusammenfügung jener alten Geschlechtsgenossenschaften der Romilier, Voltinier, Fabier und so ferner, das römische Gebiet aus den vereinigten Marken dieser Geschlechter; römischer Bürger war, wer einem jener Geschlechter angehörte. Jede innerhalb des Kreises in den üblichen Formen abgeschlossene Ehe galt als echte römische und begründete für die Kinder das Bürgerrecht; wer in unrechter oder außer der Ehe erzeugt war, war aus dem Gemeindeverband ausgeschlossen. Deshalb nannten die römischen Bürger sich die „Vaterkinder“ (patricii), insofern nur sie rechtlich einen Vater hatten. Die Geschlechter wurden mit allen in ihnen zusammengeschobenen Familien dem Staat, wie sie bestanden, einverleibt. Die häuslichen und Geschlechterkreise blieben innerhalb des Staates bestehen; allein dem Staate gegenüber galt die Stellung in denselben nicht, so daß der Haussohn im Hause unter, aber in politischen Pflichten und Rechten neben dem Vater stand. Die Stellung der Schutzbefohlenen änderte sich natürlich dahin, daß die Freigelassenen und die Klienten eines jeden Schutzherrn um seinetwillen in der ganzen Gemeinde geduldet wurden; zwar blieben sie zunächst angewiesen auf den Schutz derjenigen Familie, der sie angehörten, aber es lag doch auch in der Sache, daß von dem Gottesdienst und den Festlichkeiten der Gemeinde die Schutzbefohlenen der Gemeindeglieder nicht gänzlich ausgeschlossen werden konnten, wenn auch die eigentlichen bürgerlichen Rechte wie die eigentlichen bürgerlichen Lasten selbstverständlich dieselben nicht trafen. Um so mehr galt dies von den Schutzbefohlenen der Gesamtschaft. So bestand der Staat wie das Haus aus den eigenen und den zugewandten Leuten, den Bürgern und den Insassen.

Wie die Elemente des Staates die auf der Familie ruhenden Geschlechter sind, so ist auch die Form der Staatsgemeinschaft im einzelnen wie im ganzen der Familie nachgebildet. Dem Hause gibt die Natur selbst den Vater, mit dem dasselbe entsteht und vergeht. In der Volksgemeinde aber, die unvergänglich bestehen soll, findet sich kein natürlicher Herr, wenigstens in der römischen nicht, die aus freien und gleichen Bauern bestand und keines Adels von Gottes Gnaden sich zu rühmen vermochte. Darum wird einer aus ihrer Mitte ihr Leiter (rex) und Herr im Hause der römischen Gemeinde, wie denn auch in späterer Zeit in oder neben seiner Wohnung der ewig flammende Herd und die wohlversperrte Vorratskammer der Gemeinde, die römische Vesta und die römischen Penaten zu finden sind – sie alle die sichtbare Einheit des obersten Hauses darstellend, das ganz Rom einschloß. Das Königsamt beginnt, wenn das Amt erledigt und der Nachfolger bezeichnet ist, sofort und von Rechts wegen; aber vollen Gehorsam ist die Gemeinde dem König erst schuldig, wenn er die Versammlung der waffenfähigen Freien zusammenberufen und sie förmlich in Pflicht genommen hat. Alsdann hat er ganz die Macht in der Gemeinde, die im Hause dem Hausvater zukommt, und herrscht wie dieser auf Lebenszeit. Er verkehrt mit den Göttern der Gemeinde, die er befragt und befriedigt (auspicia publica), und ernennt alle Priester und Priesterinnen. Die Verträge, die er abschließt im Namen der Gemeinde mit Fremden, sind verpflichtend für das ganze Volk, obwohl sonst kein Gemeindeglied durch einen Vertrag mit dem Nichtmitglied der Gemeinschaft gebunden wird. Sein Gebot (imperium) ist allmächtig im Frieden wie im Kriege, weshalb die Boten (lictores, von licere laden) mit Beilen und Ruten ihm überall voranschreiten, wo er in amtlicher Funktion auftritt. Er allein hat das Recht, öffentlich zu den Bürgern zu reden, und er ist es, der die Schlüssel zu dem Gemeindeschatz führt. Ihm steht wie dem Vater das Züchtigungsrecht und die Gerichtsbarkeit zu. Er erkennt Ordnungsstrafen, namentlich Stockschläge wegen Versehen im Kriegsdienst. Er sitzt zu Gericht in allen privaten und kriminellen Rechtshändeln und entscheidet unbedingt über Leben und Tod wie über die Freiheit, so daß er dem Bürger den Mitbürger an Knechtes Statt zusprechen oder auch den Verkauf desselben in die wirkliche Sklaverei, also ins Ausland anordnen kann; der Berufung an das Volk um Begnadigung nach gefälltem Bluturteil stattzugeben, ist er berechtigt, jedoch nicht verpflichtet. Er bietet das Volk zum Kriege auf und er befehligt das Heer; nicht minder aber muß er bei Feuerlärm persönlich auf der Brandstelle erscheinen. Wie der Hausherr im Hause nicht der Mächtigste ist, sondern der allein Mächtige, so ist auch der König nicht der erste, sondern der einzige Machthaber im Staate; er mag aus den der heiligen oder der Gemeindesatzungen besonders kundigen Männern Sachverständigenvereine bilden und deren Rat einfordern; er mag, um sich die Übung der Gewalt zu erleichtern, einzelne Befugnisse andern übertragen, die Mitteilungen an die Bürgerschaft, den Befehl im Kriege, die Entscheidung der minder wichtigen Prozesse, die Aufspürung der Verbrechen; er mag namentlich, wenn er den Stadtbezirk zu verlassen genötigt ist, einen Stadtvogt (praefectus urbi) mit der vollen Gewalt eines Stellvertreters daselbst zurücklassen; aber jede Amtsgewalt neben der königlichen ist aus dieser abgeleitet und jeder Beamte nur durch den König und so lange dieser will im Amt. Alle Beamten der ältesten Zeit, der außerordentliche Stadtvogt sowohl wie die Abteilungsführer (tribuni, von tribus Teil) des Fußvolks (milites) und der Reiterei (celeres), sind nichts als Beauftragte des Königs und keineswegs Magistrate im späteren Sinn. Eine äußere rechtliche Schranke hat die Königsgewalt nicht und kann sie nicht haben; für den Herrn der Gemeinde gibt es so wenig einen Richter innerhalb der Gemeinde wie für den Hausherrn innerhalb des Hauses. Nur der Tod beendigt seine Macht. Die Wahl des neuen Königs steht bei dem Rat der Alten, auf den im Fall der Vakanz das „Zwischenkönigtum“ (interregnum) übergeht. Eine formelle Mitwirkung bei der Königswahl kommt der Bürgerschaft erst nach der Ernennung zu; rechtlich ruht das Königtum auf dem dauernden Kollegium der Väter (patres), das durch den interimistischen Träger der Gewalt den neuen König auf Lebenszeit einsetzt. Also wird „der hohe Göttersegen, unter dem die berühmte Roma gegründet ist“, von dem ersten königlichen Empfänger in stetiger Folge auf die Nachfolger übertragen und die Einheit des Staats trotz des Personenwechsels der Machthaber unveränderlich bewahrt. Diese Einheit des römischen Volkes, die im religiösen Gebiet der römische Diovis darstellt, repräsentiert rechtlich der Fürst, und darum ist auch seine Tracht die des höchsten Gottes; der Wagen selbst in der Stadt, wo sonst jedermann zu Fuß geht, der Elfenbeinstab mit dem Adler, die rote Gesichtsschminke, der goldene Eichenkranz kommen dem römischen Gott wie dem römischen König in gleicher Weise zu. Aber man würde sehr irren, darum aus der römischen Verfassung eine Theokratie zu machen; nie sind den Italienern die Begriffe Gott und König in ägyptischer und orientalischer Weise ineinander verschwommen. Nicht der Gott des Volkes ist der König, sondern viel eher der Eigentümer des Staats. Darum weiß man auch nichts von besonderer göttlicher Begnadigung eines Geschlechts oder von irgendeinem geheimnisvollen Zauber, danach der König von anderem Stoff wäre als andere Menschen; die edle Abkunft, die Verwandtschaft mit früheren Regenten ist eine Empfehlung, aber keine Bedingung; vielmehr kann rechtlich jeder zu seinen Jahren gekommene und an Geist und Leib gesunde römische Mann zum Königtum gelangenDaß Lahmheit vom höchsten Amte ausschloß, sagt Dionys. Daß das römische Bürgertum Bedingung wie des Konsuls so auch des Königtums war, versteht sich so sehr von selbst, daß es kaum der Mühe wert ist, die Fabeleien über den Bürger von Cures noch ausdrücklich abzuweisen.. Der König ist also eben nur ein gewöhnlicher Bürger, den Verdienst oder Glück, vor allem aber die Notwendigkeit, daß einer Herr sein müsse in jedem Hause, zum Herrn gesetzt haben über seinesgleichen, den Bauer über Bauern, den Krieger über Krieger. Wie der Sohn dem Vater unbedingt gehorcht und doch sich nicht geringer achtet als den Vater, so unterwirft sich der Bürger dem Gebieter, ohne ihn gerade für seinen Besseren zu halten. Darin liegt die sittliche und faktische Begrenzung der Königsgewalt. Der König konnte zwar, auch ohne gerade das Landrecht zu brechen, viel Unbilliges tun; er konnte den Mitstreitern ihren Anteil an der Beute schmälern, er konnte übermäßige Fronden auflegen oder sonst durch Auflagen unbillig eingreifen in das Eigentum des Bürgers; aber wenn er es tat, so vergaß er, daß seine Machtfülle nicht von Gott kam, sondern unter Gottes Zustimmung von dem Volke, das er vertrat, und wer schützte ihn, wenn dieses wieder des Eides vergaß, den es ihm geschworen? Die rechtliche Beschränkung aber der Königsgewalt lag darin, daß er das Gesetz nur zu üben, nicht zu ändern befugt war, jede Abweichung vom Gesetze vielmehr entweder von der Volksversammlung und dem Rat der Alten zuvor gutgeheißen sein mußte oder ein nichtiger und tyrannischer Akt war, dem rechtliche Folgen nicht entsprangen. So ist sittlich und rechtlich die römische Königsgewalt im tiefsten Grunde verschieden von der heutigen Souveränität und überhaupt im modernen Leben so wenig vom römischen Hause wie vom römischen Staat ein entsprechendes Abbild vorhanden.

Die Einteilung der Bürgerschaft ruht auf der Pflegschaft, der curia (wohl mit curare = coerare, κοίρανος verwandt); zehn Pflegschaften bilden die Gemeinde; jede Pflegschaft stellt hundert Mann zum Fußheer (daher miles, wie eques, der Tausendgänger), zehn Reiter und zehn Ratmänner. Bei kombinierten Gemeinden erscheint eine jede derselben natürlich als Teil (tribus) der ganzen Gemeinde (tota umbrisch und oskisch) und vervielfältigt sich die Grundzahl mit der Zahl der Teile. Diese Einteilung bezog sich zwar zunächst auf den Personalbestand der Bürgerschaft, ward aber ebenso auch angewandt auf die Feldmark, soweit diese überhaupt aufgeteilt war. Daß es nicht bloß Teil-, sondern auch Kurienmarken gab, kann um so weniger bezweifelt werden, als unter den wenigen überlieferten römischen Kuriennamen neben anscheinend gentilizischen, wie zum Beispiel Faucia, auch sicher örtliche, zum Beispiel Veliensis, vorkommen; eine jede derselben umfaßte in dieser ältesten Zeit der Feldgemeinschaft eine Anzahl der Geschlechtsmarken, von denen schon die Rede war.

In ihrer einfachsten GestaltSelbst in Rom, wo die einfache Zehnkurienverfassung sonst früh verschwunden ist, findet sich noch eine praktische Anwendung derselben, und merkwürdig genug eben bei demjenigen Formalakt, den wir auch sonst Grund haben, unter allen deren unsere Rechtsüberlieferung gedenkt für den ältesten zuhalten, bei der Confarreatio. Es scheint kaum zweifelhaft, daß deren zehn Zeugen dasselbe in der Zehnkurien-, was die dreißig Liktoren in der Dreißigkurienverfassung sind. begegnet diese Verfassung in dem Schema der späterhin unter römischem Einfluß entstandenen latinischen oder Bürgergemeinden; durchgängig zählten dieselben hundert Ratmänner (centumviri). Aber auch in der ältesten Tradition über das dreiteilige Rom, welche demselben dreißig Kurien, dreihundert Reiter, dreihundert Senatoren; dreitausend Fußsoldaten beilegt, treten durchgängig dieselben Normalzahlen hervor.

Nichts ist gewisser, als daß dieses älteste Verfassungsschema nicht in Rom entstanden, sondern uraltes, allen Latinern gemeinsames Recht ist, vielleicht sogar über die Trennung der Stämme zurückreicht. Die in solchen Dingen sehr glaubwürdige römische Verfassungstradition, die für alle übrigen Einteilungen der Bürgerschaft eine Geschichte hat, läßt einzig die Kurieneinteilung entstehen mit der Entstehung der Stadt; und damit im vollsten Einklang erscheint die Kurienverfassung nicht bloß in Rom, sondern tritt in dem neuerlich aufgefundenen Schema der latinischen Gemeindeordnungen auf als wesentlicher Teil des latinischen Stadtrechts überhaupt.

Der Kern dieses Schemas war und blieb die Gliederung in Kurien. Die „Teile“ können schon deshalb kein wesentliches Moment gewesen sein, weil ihr Vorkommen überhaupt wie nicht minder ihre Zahl zufällig ist; wo es deren gab, kam ihnen sicher keine andere Bedeutung zu, als daß das Andenken an eine Epoche, wo diese Teile selber Ganze gewesen waren, sich in ihnen bewahrteEs liegt dies schon im Namen. Der „Teil“ ist, wie der Jurist weiß, nichts als ein ehemaliges oder auch ein künftiges Ganze, also in der Gegenwart ohne alle Realität.. Es ist nirgends überliefert, daß der einzelne Teil einen Sondervorstand und Sonderzusammenkünfte gehabt habe; und die große Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß im Interesse der Einheit des Gemeinwesens den Teilen, aus denen es zusammengeschmolzen war, dergleichen in der Tat nie verstattet worden sind. Selbst im Heere zählte das Fußvolk zwar soviel Anführerpaare, als es Teile gab; aber es befehligte nicht jedes dieser Kriegstribunenpaare das Kontingent einer Tribus, sondern sowohl jeder einzelne Kriegstribun wie alle zusammen geboten über das gesamte Fußheer. Die Geschlechter sind unter die einzelnen Kurien verteilt, die Grenzen derselben wie die des Hauses durch die Natur gegeben. Darauf, daß die gesetzgebende Gewalt modifizierend in diese Kreise eingegriffen hat, das große Geschlecht in Zweige gespalten und es als doppeltes gezählt oder mehrere schwache zusammengeschlagen, führt in der römischen Überlieferung schlechterdings keine Spur; auf jeden Fall ist dies nur in so beschränkter Weise geschehen, daß der verwandtschaftliche Grundcharakter des Geschlechtes dadurch nicht verändert worden ist. Es wird darum weder die Zahl der Geschlechter, noch viel weniger die der Häuser gedacht werden dürfen als rechtlich fixiert; wenn die Kurie hundert Mann zu Fuß und zehn Reiter zu stellen hatte, so ist es weder überliefert noch glaublich, daß man aus jedem Geschlecht einen Reiter und aus jedem Hause einen Fußgänger genommen hat. Das einzig funktionierende Glied in dem ältesten Verfassungsorganismus ist die Kurie, deren es zehn, oder wo mehrere Teile waren, je zehn auf jeden Teil gab. Eine solche Pflegschaft war eine wirkliche korporative Einheit, deren Mitglieder wenigstens zu gemeinsamen Festen sich versammelten, die auch jede unter einem besonderen Pfleger (curio) standen und einen eigenen Priester (flamen curialis) hatten; ohne Zweifel wurde auch nach Kurien ausgehoben und geschätzt, und im Ding trat die Bürgerschaft nach Kurien zusammen und stimmte nach Kurien ab. Indes kann diese Ordnung nicht zunächst der Abstimmung wegen eingeführt sein, da man sonst sicherlich die Zahl der Abteilungen ungerade gemacht haben würde.

So schroff der Bürger dem Nichtbürger gegenüberstand, so vollkommen war innerhalb der Bürgerschaft die Rechtsgleichheit. Vielleicht gibt es kein Volk, das in unerbittlich strenger Durchführung des einen wie des andern Satzes es den Römern jemals gleichgetan hat. Die Schärfe des Gegensatzes zwischen Bürgern und Nichtbürgern bei den Römern tritt vielleicht nirgends mit solcher Deutlichkeit hervor wie in der Behandlung der uralten Institution des Ehrenbürgerrechts, welches ursprünglich bestimmt war, diesen Gegensatz zu vermitteln. Wenn ein Fremder durch Gemeindebeschluß in den Kreis der Bürger hineingenommen ward, so konnte er zwar sein bisheriges Bürgerrecht aufgeben, wo er dann völlig in die neue Gemeinschaft übertrat, aber auch jenes mit dem ihm neu gewährten verbinden. So war es älteste Sitte und so ist es in Hellas immer geblieben, wo auch späterhin nicht selten derselbe Mann in mehreren Gemeinden gleichzeitig verbürgert war. Allein das lebendiger entwickelte Gemeindegefühl Latiums duldete es nicht, daß man zweien Gemeinden zugleich als Bürger angehören könne, und ließ für den Fall, wo der neugewählte Bürger nicht die Absicht hatte, sein bisheriges Gemeinderecht aufzugeben, dem nominellen Ehrenbürgerrecht nur die Bedeutung der gastrechtlichen Freundschaft und Schutzverpflichtung, wie sie auch Ausländern gegenüber von jeher vorgekommen war.

Aber mit dieser strengen Einhaltung der Schranken gegen außen ging Hand in Hand, daß aus dem Kreise der römischen Bürgergemeinde jede Rechtsverschiedenheit der Glieder unbedingt ferngehalten wurde. Daß die innerhalb des Hauses bestehenden Unterschiede, welche freilich nicht beseitigt werden konnten, innerhalb der Gemeinde wenigstens ignoriert wurden, wurde bereits erwähnt; derselbe, der als Sohn dem Vater zu eigen untergeben war, konnte also als Bürger in den Fall kommen ihm als Herr zu gebieten. Standesvorzüge aber gab es nicht; daß die Titier den Ramnern, beide den Lucerern in der Reihe vorangingen, tat ihrer rechtlichen Gleichstellung keinen Eintrag. Die Bürgerreiterei, welche in dieser Zeit zum Einzelgefecht vor der Linie zu Pferd oder auch zu Fuß verwandt ward und mehr eine Eliten- oder Reservetruppe als eine Spezialwaffe war, also durchaus die wohlhabendste, bestgerüstete und bestgeübte Mannschaft in sich schloß, war natürlich angesehener als das Bürgerfußvolk; aber auch dieser Gegensatz war rein tatsächlicher Art und der Eintritt in die Reiterei ohne Zweifel jedem Patrizier gestattet. Es war einzig und allein die verfassungsmäßige Gliederung der Bürgerschaft, welche rechtliche Unterschiede hervorrief; im übrigen war die rechtliche Gleichheit aller Gemeindeglieder selbst in der äußerlichen Erscheinung durchgeführt. Die Tracht zeichnete wohl den Vorsteher der Gemeinde vor den Gliedern derselben, den erwachsenen dienstpflichtigen Mann vor dem noch nicht heerbannfähigen Knaben aus; übrigens aber durfte der Reiche und Vornehme wie der Arme und Niedriggeborene öffentlich nur erscheinen in dem gleichen einfachen Umwurf (toga) von weißem Wollenstoff. Diese vollkommene Rechtsgleichheit der Bürger ist ohne Zweifel ursprünglich begründet in der indogermanischen Gemeindeverfassung, aber in dieser Schärfe der Auffassung und Durchführung doch eine der bezeichnendsten und der folgenreichsten Eigentümlichkeiten der latinischen Nation; und wohl mag man dabei sich erinnern, daß in Italien keine den latinischen Einwanderern botmäßig gewordene Rasse älterer Ansiedlung und geringerer Kulturfähigkeit begegnet und damit die hauptsächliche Gelegenheit mangelte, woran das indische Kastenwesen, der spartanische und thessalische und wohl überhaupt der hellenische Adel und vermutlich auch die deutsche Ständescheidung angeknüpft hat.

Daß der Staatshaushalt auf der Bürgerschaft ruht, versteht sich von selbst. Die wichtigste Bürgerleistung war der Heerdienst; denn nur die Bürgerschaft hatte das Recht und die Pflicht die Waffen zu tragen. Die Bürger sind zugleich die „Kriegerschaft“ (populus, verwandt mit populari verheeren); in den alten Litaneien ist es die „speerbewehrte Kriegsmannschaft“ (pilumnus poplus), auf die der Segen des Mars herabgefleht wird und selbst die Benennung, mit welcher der König sie anredet, der QuiritenUnter den acht sakralen Institutionen des Numa führt Dionysios (2, 64) nach den Kurionen und den Flamines als dritte auf die Führer der Reiter (οι ηγεμόνες τών Κελερίων). Nach dem praenestinischen Kalender wird am 19. März ein Fest auf dem Comitium begangen [adstantibus pon]tificibus et trib(unis) celer(um). Valerius Antias (bei Dion. Hal. 1, 13 vgl. 3, 41) gibt der ältesten römischen Reiterei einen Führer Celer und drei Centurionen, wogegen in der Schrift ‚De viris illustribus‘ 1 Celer selbst centurio genannt wird. Ferner soll Brutus bei Vertreibung der Könige tribunus celerum gewesen sein (Liv. 1, 59), nach Dionysios (4, 71) sogar kraft dieses Amtes die Verbannung der Tarquinier beantragt haben. Endlich identifizieren Pomponius (dig. 1, 2, 2, 15; 19) und ähnlich, zum Teil wohl aus ihm schöpfend, Lydus (mag. 1, 14; 37) den tribunus celerum mit dem Celer des Antias, dem magister equitum des republikanischen Diktators, dem Praefectus Praetorio der Kaiserzeit.

Von diesen Angaben, den einzigen, die über die tribuni celerum vorhanden sind, rührt die letzte nicht bloß von späten und gänzlich unzuverlässigen Gewährsmännern her, sondern widerspricht auch der Bedeutung des Namens, welcher nur „Teilführer der Reiter“ heißen kann; vor allen Dingen aber kann der immer nur außerordentlich und späterhin gar nicht mehr ernannte Reiterführer der republikanischen Zeit unmöglich identisch gewesen sein mit der für das Jahrfest des 19. März erforderlichen, also stehenden Magistratur. Sieht man, wie man notwendig muß, ab von der Nachricht des Pomponius, die offenbar lediglich hervorgegangen ist aus der mit immer steigender Unwissenheit historisierten Brutusanekdote, so ergibt sich einfach, daß die tribuni celerum den tribuni militum in Zahl und Wesen durchaus entsprechen und die Abteilungsführer der Reiter gewesen sind, also völlig verschieden von dem Reiterfeldherrn.

Indes nicht bloß leistend und dienend erscheint die römische Bürgerschaft, sondern auch beteiligt an dem öffentlichen Regimente. Es traten hierzu die Gemeindeglieder alle, mit Ausnahme der Weiber und der noch nicht waffenfähigen Kinder, also, wie die Anrede lautet, die „Lanzenmänner“ (quirites) auf der Dingstätte zusammen, wenn der König sie berief, um ihnen eine Mitteilung zu machen (conventio, contio) oder auch sie förmlich auf die dritte Woche (in trinum noundinum) zusammentreten hieß (comitia), um sie nach Kurien zu befragen. Ordnungsmäßig setzte derselbe zweimal im Jahr, zum 24. März und zum 24. Mai, dergleichen förmliche Gemeindeversammlungen an und außerdem, so oft es ihm erforderlich schien; immer aber lud er die Bürger nicht zum Reden, sondern zum Hören, nicht zum Fragen, sondern zum Antworten. Niemand spricht in der Versammlung als der König oder wem er das Wort zu gestatten für gut findet; die Rede der Bürgerschaft ist einfache Antwort auf die Frage des Königs, ohne Erörterung, ohne Begründung, ohne Bedingung, ohne Fragteilung. Nichtsdestoweniger ist die römische Bürgergemeinde eben wie die deutsche und vermutlich die älteste indogermanische überhaupt die eigentliche und letzte Trägerin der Idee des souveränen Staats; allein diese Souveränität ruht im ordentlichen Lauf der Dinge oder äußert sich doch hier nur darin, daß die Bürgerschaft sich zum Gehorsam gegen den Vorsteher freiwillig verpflichtet. Zu diesem Ende richtet der König, nachdem er sein Amt angetreten hat, an die versammelten Kurien die Frage, ob sie ihm treu und botmäßig sein und ihn selbst wie seine Boten (lictores) in hergebrachter Weise anerkennen wollen; eine Frage, die ohne Zweifel ebensowenig verneint werden durfte, als die ihr ganz ähnliche Huldigung in der Erbmonarchie verweigert werden darf. Es war durchaus folgerichtig, daß die Bürgerschaft, eben als der Souverän, ordentlicher Weise an dem Gang der öffentlichen Geschäfte sich nicht beteiligte. Solange die öffentliche Tätigkeit sich beschränkt auf die Ausübung der bestehenden Rechtsordnungen, kann und darf die eigentlich souveräne Staatsgewalt nicht eingreifen: es regieren die Gesetze, nicht der Gesetzgeber. Aber anders ist es, wo eine Änderung der bestehenden Rechtsordnung oder auch nur eine Abweichung von derselben in einem einzelnen Fall notwendig wird; und hier tritt denn auch in der römischen Verfassung ohne Ausnahme die Bürgerschaft handelnd auf, so daß ein solcher Akt der souveränen Staatsgewalt vollzogen wird durch das Zusammenwirken der Bürgerschaft und des Königs oder Zwischenkönigs. Wie das Rechtsverhältnis zwischen Regent und Regierten selbst durch mündliche Frage und Antwort kontraktmäßig sanktioniert wird, so wird auch jeder Oberherrlichkeitsakt der Gemeinde zustande gebracht durch eine Anfrage (rogatio), welche der König an die Bürger gerichtet und welcher die Mehrzahl der Kurien zugestimmt hat; in welchem Fall die Zustimmung ohne Zweifel auch verweigert werden durfte. Darum ist den Römern das Gesetz nicht zunächst, wie wir es fassen, der von dem Souverän an die sämtlichen Gemeindeglieder gerichtete Befehl, sondern zunächst der zwischen den konstitutiven Gewalten des Staates durch Rede und Gegenrede abgeschlossene VertragLēx, die Bindung (verwandt mit lēgare, zu etwas verbinden) bezeichnet bekanntlich überhaupt den Vertrag, jedoch mit der Nebenbedeutung eines Vertrages, dessen Bedingungen der Proponent diktiert und der andere Teil einfach annimmt oder ablehnt; wie dies z. B. bei öffentlichen Lizitationen der Fall zu sein pflegt. Bei der lex publica populi Romani ist der Proponent der König, der Akzeptant das Volk; die beschränkte Mitwirkung des letzteren ist also auch sprachlich prägnant bezeichnet.. Einer solchen Gesetzvertragung bedurfte es rechtlich in allen Fällen, die der ordentlichen Rechtskonsequenz zuwiderliefen. Im gewöhnlichen Rechtslauf kann jeder unbeschränkt sein Eigentum weggeben an wen er will, allein nur in der Art, daß er dasselbe sofort aufgibt; daß das Eigentum vorläufig dem Eigentümer bleibe und bei seinem Tode auf einen andern übergehe, ist rechtlich unmöglich – es sei denn, daß ihm die Gemeinde solches gestatte; was hier nicht bloß die auf dem Markt versammelte, sondern auch die zum Kampf sich ordnende Bürgerschaft bewilligen konnte. Dies ist der Ursprung der Testamente. Im gewöhnlichen Rechtslauf kann der freie Mann das unveräußerliche Gut der Freiheit nicht verlieren noch weggeben, darum auch, wer keinem Hausherrn untertan ist, sich nicht einem andern an Sohnes Statt unterwerfen – es sei denn, daß ihm die Gemeinde solches gestatte. Dies ist die Adrogation. Im gewöhnlichen Rechtslauf kann das Bürgerrecht nur gewonnen werden durch die Geburt und nicht verloren werden – es sei denn, daß die Gemeinde das Patriziat verleihe oder dessen Aufgeben gestatte, was beides unzweifelhaft ursprünglich ohne Kurienbeschluß nicht in gültiger Weise geschehen konnte. Im gewöhnlichen Rechtslauf trifft den todeswürdigen Verbrecher, nachdem der König oder sein Stellvertreter nach Urteil und Recht den Spruch getan, unerbittlich die Todesstrafe, da der König nur richten, nicht begnadigen kann – es sei denn, daß der zum Tode verurteilte Bürger die Gnade der Gemeinde anrufe und der Richter ihm die Betretung des Gnadenwegs freigebe. Dies ist der Anfang der Provokation, die darum auch vorzugsweise nicht dem leugnenden Verbrecher gestattet wird, der überwiesen ist, sondern dem geständigen, der Milderungsgründe geltend macht. Im gewöhnlichen Rechtslauf darf der mit einem Nachbarstaat geschlossene ewige Vertrag nicht gebrochen werden – es sei denn, daß wegen zugefügter Unbill die Bürgerschaft sich desselben entbunden erachtet. Daher mußte sie notwendig befragt werden, wenn ein Angriffskrieg beabsichtigt wird, nicht aber bei dem Verteidigungskrieg, wo der andere Staat den Vertrag bricht, noch auch beim Abschluß des Friedens; doch richtete sich jene Frage, wie es scheint, nicht an die gewöhnliche Versammlung der Bürger, sondern an das Heer. So wird endlich überhaupt, wenn der König eine Neuerung beabsichtigt, eine Änderung des bestehenden gemeinen Rechtes, es notwendig, die Bürger zu befragen; und insofern ist das Recht der Gesetzgebung von alters her nicht ein Recht des Königs, sondern ein Recht des Königs und der Gemeinde. In diesen und in allen ähnlichen Fällen konnte der König ohne Mitwirkung der Gemeinde nicht mit rechtlicher Wirkung handeln; der vom König allein zum Patrizier erklärte Mann blieb nach wie vor Nichtbürger, und es konnte der nichtige Akt nur etwa faktische Folgen erzeugen. Insofern war also die Gemeindeversammlung, wie beschränkt und gebunden sie auch auftrat, doch von alters her ein konstitutives Element des römischen Gemeinwesens und stand dem Rechte nach mehr über als neben dem König.

Aber neben dem König und neben der Bürgerversammlung erscheint in der ältesten Gemeindeverfassung noch eine dritte Grundgewalt, nicht zum Handeln bestimmt wie jener noch zum Beschließen wie diese, und dennoch neben beide und innerhalb ihres Rechtskreises über beide gesetzt. Dies ist der Rat der Alten oder der senatus. Unzweifelhaft ist derselbe hervorgegangen aus der Geschlechtsverfassung: die alte Überlieferung, daß in dem ursprünglichen Rom die sämtlichen Hausväter den Senat gebildet hätten, ist staatsrechtlich insofern richtig, als jedes der nicht erst nachher zugewanderten Geschlechter des späteren Rom seinen Ursprung zurückführte auf einen jener Hausväter der ältesten Stadt als auf seinen Stammvater und Patriarchen. Wenn, wie dies wahrscheinlich ist, es in Rom oder doch in Latium einmal eine Zeit gegeben hat, wo wie der Staat selbst, so auch jedes seiner letzten Bestandteile, das heißt jedes Geschlecht gleichsam monarchisch organisiert war und unter einem, sei es durch Wahl der Geschlechtsgenossen oder des Vorgängers, sei es durch Erbfolge bestimmten Ältesten stand, so ist in derselben Epoche auch der Senat nichts gewesen als die Gesamtheit dieser Gechlechtsältesten und demnach eine vom König wie von der Bürgerversammlung unabhängige Institution, gegenüber der letzteren, unmittelbar durch die Gesamtheit der Bürger gebildeten gewissermaßen eine repräsentative Versammlung von Volksvertretern. Allerdings ist jene gleichsam staatliche Selbständigkeit der Geschlechter bei dem latinischen Stamm in unvordenklich früher Zeit überwunden und der erste und vielleicht schwerste Schritt, um aus der Geschlechtsordnung die Gemeinde zu entwickeln, die Beseitigung der Geschlechtsältesten, möglicherweise in Latium lange vor der Gründung Roms getan worden; wie wir das römische Geschlecht kennen, ist es durchaus ohne ein sichtbares Haupt und zur Vertretung des gemeinsamen Patriarchen, von dem alle Geschlechtsmänner abstammen oder abzustammen behaupten, von den lebenden Geschlechtsgenossen kein einzelner vorzugsweise berufen, so daß selbst Erbschaft und Vormundschaft, wenn sie dem Geschlecht ansterben, von den Geschlechtsgenossen insgesamt geltend gemacht werden. Aber nichtsdestoweniger sind von dem ursprünglichen Wesen des Rates der Ältesten auch auf den römischen Senat noch viele und wichtige Rechtsfolgen übergegangen; um es mit einem Worte zu sagen, die Stellung des Senats, wonach er etwas anderes und mehr ist als ein bloßer Staatsrat, als die Versammlung einer Anzahl vertrauter Männer, deren Ratschläge der König einzuholen zweckmäßig findet, beruht lediglich darauf, daß er einst eine Versammlung gewesen war gleich jener, die Homer schildert, der um den König im Kreise herum zu Rate sitzenden Fürsten und Herren des Volkes. Solange der Senat durch die Gesamtheit der Geschlechtshäupter gebildet ward, kann die Zahl der Mitglieder eine feste nicht gewesen sein, da die der Geschlechter es auch nicht war; aber in frühester, vielleicht schon in vorrömischer Zeit ist die Zahl der Mitglieder des Rats der Ältesten für die Gemeinde ohne Rücksicht auf die Zahl der zur Zeit vorhandenen Geschlechter auf hundert festgestellt worden, sodaß von der Verschmelzung der drei Urgemeinden die Vermehrung der Senatssitze auf die seitdem feststehende Normalzahl von dreihundert die staatsrechtlich notwendige Folge war. Auf Lebenszeit ferner sind die Ratsherren zu allen Zeiten berufen worden; und wenn in späterer Zeit dies lebenslängliche Verbleiben mehr tatsächlich als von Rechts wegen eintrat und die von Zeit zu Zeit stattfindenden Revisionen der Senatsliste eine Gelegenheit darboten, den unwürdigen oder auch nur mißliebigen Ratsherrn zu beseitigen, so hat diese Einrichtung sich nachweislich erst im Laufe der Zeit entwickelt. Die Wahl der Senatoren hat allerdings, seit es Geschlechtshäupter nicht mehr gab, bei dem König gestanden; wohl aber mag bei dieser Wahl in älterer Zeit, solange noch die Individualität der Geschlechter im Volke lebendig war, als Regel, wenn ein Senator starb, der König einen anderen erfahrenen und bejahrten Mann derselben Geschlechtsgenossenschaft an seine Stelle berufen haben. Vermutlich ist erst mit der steigenden Verschmelzung und inneren Einigung der Volksgemeinde hiervon abgegangen worden und die Auswahl der Ratsherren ganz in das freie Ermessen des Königs übergegangen, so daß nur das noch als Mißbrauch erschien, wenn er erledigte Stellen unbesetzt ließ.

Die Befugnis dieses Rates der Ältesten beruht auf der Anschauung, daß die Herrschaft über die aus den Geschlechtern gebildete Gemeinde von Rechts wegen den sämtlichen Geschlechtsältesten zusteht, wenn sie auch, nach der schon in dem Hause so scharf sich ausprägenden monarchischen Grundanschauung der Römer, zur Zeit immer nur von einem dieser Ältesten, das ist von dem König, ausgeübt werden kann. Ein jedes Mitglied des Senats ist also als solches, nicht der Ausübung, aber der Befugnis nach, ebenfalls König der Gemeinde; weshalb auch seine Abzeichen zwar geringer als die königlichen, aber denselben gleichartig sind: er trägt den roten Schuh gleich dem König, nur daß der des Königs höher und ansehnlicher ist als der des Senators. Hierauf beruht es ferner, daß, wie bereits erwähnt ward, die königliche Gewalt in der römischen Gemeinde überhaupt nicht erledigt werden kann. Stirbt der König, so treten ohne weiteres die Ältesten an seine Stelle und üben die Befugnisse der königlichen Gewalt. Jedoch nach dem unwandelbaren Grundsatz, daß nur einer zur Zeit Herr sein kann, herrscht auch jetzt immer nur einer von ihnen und es unterscheidet sich ein solcher „Zwischenkönig“ (interrex) von dem auf Lebenszeit ernannten zwar in der Dauer, nicht aber in der Fülle der Gewalt. Die Dauer des Zwischenkönigtums ist für die einzelnen Inhaber festgesetzt auf höchstens fünf Tage; es geht dasselbe demnach unter den Senatoren in der Art um, daß, bis das Königtum auf die Dauer wieder besetzt ist, der zeitige Inhaber bei Ablauf jener Frist gemäß der durch das Los festgesetzten Reihenfolge es dem Nachfolger ebenfalls auf fünf Tage übergibt. Ein Treuwort wird dem Zwischenkönig begreiflicherweise von der Gemeinde nicht geleistet. Im übrigen aber ist der Zwischenkönig berechtigt und verpflichtet, nicht bloß alle dem König sonst zustehenden Amtshandlungen vorzunehmen, sondern selbst einen König auf Lebenszeit zu ernennen – nur dem erstbestellten von ihnen fehlt ausnahmsweise das letztere Recht, vermutlich weil dieser angesehen wird als mangelhaft eingesetzt, da er nicht von seinem Vorgänger ernannt ist. Also ist diese Ältestenversammlung am letzten Ende die Trägerin der Herrschermacht (imperium) und des Gottesschutzes (auspicia) des römischen Gemeinwesens und in ihr die Bürgschaft gegeben für die ununterbrochene Dauer desselben und seiner monarchischen, nicht aber erblich monarchischen Ordnung. Wenn also dieser Senat später den Griechen eine Versammlung von Königen zu sein dünkte, so ist das nur in der Ordnung: ursprünglich ist er in der Tat eine solche gewesen.

Aber nicht bloß insofern der Begriff des ewigen Königtums in dieser Versammlung seinen lebendigen Ausdruck fand, ist sie ein wesentliches Glied der römischen Gemeindeverfassung. Zwar hat der Rat der Ältesten sich nicht in die Amtstätigkeit des Königs einzumischen. Seine Stellvertreter freilich hat dieser, falls er nicht imstande war, selbst das Heer zu führen oder den Rechtsstreit zu entscheiden, wohl von jeher aus dem Senat genommen – weshalb auch später noch die höchsten Befehlshaberstellen regelmäßig nur an Senatoren vergeben und ebenso als Geschworene vorzugsweise Senatoren verwendet werden. Aber weder bei der Heerleitung noch bei der Rechtsprechung ist der Senat in seiner Gesamtheit je zugezogen worden; weshalb es auch in dem späteren Rom nie ein militärisches Befehlsrecht und keine Gerichtsbarkeit des Senats gegeben hat. Aber wohl galt der Rat der Alten als der berufene Wahrer der bestehenden Verfassung, selbst gegenüber dem König und der Bürgerschaft. Es lag deshalb ihm ob, jeden auf Antrag des Königs von dieser gefaßten Beschluß zu prüfen und, wenn derselbe die bestehenden Rechte zu verletzen schien, demselben die Bestätigung zu versagen; oder, was dasselbe ist, in allen Fällen, wo verfassungsmäßig ein Gemeindebeschluß erforderlich war, also bei jeder Verfassungsänderung, bei der Aufnahme neuer Bürger, bei der Erklärung eines Angriffskrieges, kam dem Rat der Alten ein Veto zu. Allerdings darf man dies wohl nicht so auffassen, als habe die Gesetzgebung der Bürgerschaft und dem Rat gemeinschaftlich zugestanden, etwa wie den beiden Häusern in dem heutigen konstitutionellen Staat: der Senat war nicht sowohl Gesetzgeber als Gesetzwächter und konnte den Beschluß nur dann kassieren, wenn die Gemeinde ihre Befugnisse überschritten, also bestehende Verpflichtungen gegen die Götter oder gegen auswärtige Staaten oder auch organische Einrichtungen der Gemeinde durch ihren Beschluß verletzt zu haben schien. Immer aber bleibt es vom größten Gewichte, daß zum Beispiel, wenn der römische König die Kriegserklärung beantragt und die Bürgerschaft dieselbe zum Beschluß erhoben hatte, auch die Sühne, welche die auswärtige Gemeinde zu erlegen verpflichtet schien, von derselben umsonst gefordert worden war, der römische Sendbote die Götter zu Zeugen der Unbill anrief, und mit den Worten schloß: „darüber aber wollen wir Alten Rat pflegen daheim, wie wir zu unsrem Rechte kommen“; erst wenn der Rat der Alten sich einverstanden erklärt hatte, war der nun von der Bürgerschaft beschlossene, vom Senat gebilligte Krieg förmlich erklärt. Gewiß war es weder die Absicht noch die Folge dieser Satzung, ein stetiges Eingreifen des Senats in die Beschlüsse der Bürgerschaft hervorzurufen und durch solche Bevormundung die Bürgerschaft ihrer souveränen Gewalt zu entkleiden; aber wie im Fall der Vakanz des höchsten Amtes der Senat die Dauer der Gemeindeverfassung verbürgte, finden wir auch hier ihn als den Hort der gesetzlichen Ordnung gegenüber selbst der höchsten Gewalt, der Gemeinde.

Hieran wahrscheinlich knüpft endlich auch die allem Anschein nach uralte Übung an, daß der König die an die Volksgemeinde zu bringenden Anträge vorher dem Rat der Alten vorlegte und dessen sämtliche Mitglieder eines nach dem anderen darüber ihr Gutachten abgeben ließ. Da dem Senat das Recht zustand, den gefaßten Beschluß zu kassieren, so lag es dem König nahe, sich vorher die Überzeugung zu verschaffen, daß Widerspruch hier nicht zu befürchten sei; wie denn überhaupt einerseits die römische Sitte es mit sich brachte, in wichtigen Fällen sich nicht zu entscheiden, ohne anderer Männer Rat vernommen zu haben, anderseits der Senat seiner ganzen Zusammensetzung nach dazu berufen war, dem Herrscher der Gemeinde als Staatsrat zur Seite zu stehen. Aus diesem Raterteilen ist, weit mehr als aus der bisher bezeichneten Kompetenz, die spätere Machtfülle des Senats hervorgegangen; die Anfänge indes sind unscheinbar und gehen eigentlich auf in die Befugnis der Senatoren, dann zu antworten, wenn sie gefragt werden. Es mag üblich gewesen sein, bei Angelegenheiten von Wichtigkeit, die weder richterliche noch feldherrliche waren, also zum Beispiel, abgesehen von den an die Volksversammlung zu bringender Anträgen, auch bei der Auflage von Fronden und Steuern, bei der Einberufung der Bürger zum Wehrdienst und bei Verfügungen über das eroberte Gebiet, den Senat vorher zu fragen; aber wenn auch üblich, rechtlich notwendig war eine solche vorherige Befragung nicht. Der König beruft den Rat, wenn es ihm beliebt und legt die Fragen ihm vor; ungefragt darf kein Ratsherr seine Meinung sagen, noch weniger der Rat sich ungeladen versammeln, abgesehen von dem einen Fall, wo er in der Vakanz zusammentritt, um die Reihenfolge der Zwischenkönige festzustellen. Daß es ferner dem König zusteht, neben den Senatoren und gleichzeitig mit ihnen auch andere Männer seines Vertrauens zu berufen und zu befragen, ist in hohem Grade wahrscheinlich. Der Ratschlag sodann ist kein Befehl; der König kann es unterlassen, ihm zu folgen, ohne daß dem Senat ein anderes Mittel zustände, seiner Ansicht praktische Geltung zu schaffen als jenes früher erwähnte keineswegs allgemein anwendbare Kassationsrecht. „Ich habe euch gewählt, nicht daß ihr mich leitet, sondern um euch zu gebieten“: diese Worte, die ein späterer Schriftsteller dem König Romulus in den Mund legt, bezeichnen nach dieser Seite hin die Stellung des Senats gewiß im wesentlichen richtig.

Fassen wir die Ergebnisse zusammen. Es war die römische Bürgergemeinde, an welcher der Begriff der Souveränität haftete; aber allein zu handeln war sie nie, mitzuhandeln nur dann befugt, wenn von der bestehenden Ordnung abgegangen werden sollte. Neben ihr stand die Versammlung der lebenslänglich bestellten Gemeindeältesten, gleichsam ein Beamtenkollegium mit königlicher Gewalt, berufen im Fall der Erledigung des Königsamtes, dasselbe bis zur definitiven Wiederbesetzung durch ihre Mitglieder zu verwalten, und befugt, den rechtswidrigen Beschluß der Gemeinde umzustoßen. Die königliche Gewalt selber war, wie Sallust sagt, zugleich unbeschränkt und durch die Gesetze gebunden (imperium legitimum); unbeschränkt, insofern des Königs Gebot, gerecht oder nicht, zunächst unbedingt vollzogen werden mußte, gebunden, insofern ein dem Herkommen zuwiderlaufendes und nicht von dem wahren Souverän, dem Volke, gutgeheißenes Gebot auf die Dauer keine rechtlichen Folgen erzeugte. Also war die älteste römische Verfassung gewissermaßen die umgekehrte konstitutionelle Monarchie. Wie in dieser der König als Inhaber und Träger der Machtfülle des Staates gilt und darum zum Beispiel die Gnadenakte lediglich von ihm ausgehen, den Vertretern des Volkes aber und den ihnen verantwortlichen Beamten die Staatsverwaltung zukommt, so war die römische Volksgemeinde ungefähr, was in England der König ist und das Begnadigungsrecht, wie in England ein Reservatrecht der Krone, so in Rom ein Reservatrecht der Volksgemeinde, während alles Regiment bei dem Vorsteher der Gemeinde stand.

Fragen wir endlich nach dem Verhältnis des Staates selbst zu dessen einzelnen Gliedern, so finden wir den römischen Staat gleich weit entfernt von der Lockerheit des bloßen Schutzverbandes und von der modernen Idee einer unbedingten Staatsallmacht. Die Gemeinde verfügte wohl über die Person des Bürgers durch Auflegung von Gemeindelasten und Bestrafung der Vergehen und Verbrechen; aber ein Spezialgesetz, das einen einzelnen Mann wegen nicht allgemein verpönter Handlungen mit Strafe belegte oder bedrohte, ist, selbst wenn in den Formen nicht gefehlt war, doch den Römern stets als Willkür und Unrecht erschienen. Bei weitem beschränkter noch war die Gemeinde hinsichtlich der Eigentums- und, was damit mehr zusammenfiel als zusammenhing, der Familienrechte; in Rom wurde nicht, wie in dem lykurgischen Polizeistaat, das Haus geradezu vernichtet und die Gemeinde auf dessen Kosten groß gemacht. Es ist einer der unleugbarsten wie einer der merkwürdigsten Sätze der ältesten römischen Verfassung, daß der Staat den Bürger wohl fesseln und hinrichten, aber nicht ihm seinen Sohn oder seinen Acker wegnehmen oder auch nur ihn mit bleibender Wirkung besteuern durfte. In diesen und ähnlichen Dingen war selbst die Gemeinde dem Bürger gegenüber beschränkt, und diese Rechtsschranke bestand nicht bloß im Begriff, sondern fand ihren Ausdruck und ihre praktische Anwendung in dem verfassungsmäßigen Veto des Senats, der gewiß befugt und verpflichtet war, jeden einem solchen Grundrecht zuwiderlaufenden Gemeindebeschluß zu vernichten. Keine Gemeinde war innerhalb ihres Kreises so wie die römische allmächtig; aber in keiner Gemeinde auch lebte der unsträflich sich führende Bürger in gleich unbedingter Rechtssicherheit gegenüber seinen Mitbürgern wie gegenüber dem Staat selbst.

So regierte sich die römische Gemeinde, ein freies Volk, das zu gehorchen verstand, in klarer Absagung von allem mystischen Priesterschwindel, in unbedingter Gleichheit vor dem Gesetz und unter sich, in scharfer Ausprägung der eigenen Nationalität, während zugleich – es wird dies nachher dargestellt werden – dem Verkehr mit dem Auslande so großherzig wie verständig die Tore weit aufgetan wurden. Diese Verfassung ist weder gemacht noch erborgt, sondern erwachsen in und mit dem römischen Volke. Es versteht sich, daß sie auf der älteren italischen, graecoitalischen und indogermanischen Verfassung beruht; aber es liegt doch eine unübersehbar lange Kette staatlicher Entwicklungsphasen zwischen den Verfassungen, wie die Homerischen Gedichte oder Tacitus‘ Bericht über Deutschland sie schildern, und der ältesten Ordnung der römischen Gemeinde. In dem Zuruf des hellenischen, in dem Schildschlagen des deutschen Umstandes lag wohl auch eine Äußerung der souveränen Gewalt der Gemeinde; aber es war weit von da bis zu der geordneten Kompetenz und der geregelten Erklärung der latinischen Kurienversammlung. Es mag ferner sein, daß, wie das römische Königtum den Purpurmantel und den Elfenbeinstab sicher den Griechen – nicht den Etruskern – entlehnt hat, so auch die zwölf Liktoren und andere Äußerlichkeiten mehr vom Ausland herübergenommen worden sind. Aber wie entschieden die Entwicklung des römischen Staatsrechts nach Rom oder doch nach Latium gehört, und wie wenig und wie unbedeutend das Geborgte darin ist, beweist die durchgängige Bezeichnung aller seiner Begriffe mit Wörtern latinischer Prägung.

Diese Verfassung ist es, die die Grundgedanken des römischen Staats für alle Zeiten tatsächlich festgestellt hat; denn trotz der wandelnden Formen steht es fest, solange es eine römische Gemeinde gibt, daß der Beamte unbedingt befiehlt, daß der Rat der Alten die höchste Autorität im Staate ist und daß jede Ausnahmebestimmung der Sanktionierung des Souveräns bedarf, das heißt der Volksgemeinde.

6. Kapitel


6. Kapitel

Die Nichtbürger und die reformierte Verfassung

Die Geschichte einer jeden Nation, der italischen aber vor allen, ist ein großer Synökismus: schon das älteste Rom, von dem wir Kunde haben, ist ein dreieiniges, und erst mit der völligen Erstarrung des Römerrums endigen die ähnlichen Inkorporationen. Abgesehen von jenem ältesten Verschmelzungsprozeß der Ramner, Titier und Lucerer, von dem fast nur die nackte Tatsache bekannt ist, ist der früheste derartige Inkorporationsakt derjenige, durch den die Hügelbürgerschaft aufging in dem palatinischen Rom. Die Ordnung der beiden Gemeinden wird, als sie verschmolzen werden sollten, im wesentlichen gleichartig und die durch die Vereinigung gestellte Aufgabe in der Art gedacht werden dürfen, daß man zu wählen hatte zwischen dem Festhalten der Doppelinstitution oder, unter Aufhebung der einen, der Beziehung der übrigbleibenden auf die ganze vereinigte Gemeinde. Hinsichtlich der Heiligtümer und Priesterschaften hielt man im ganzen den ersten Weg ein. Die römische Gemeinde besaß fortan zwei Springer- und zwei Wolfsgilden und wie einen zwiefachen Mars, so auch einen zwiefachen Marspriester, von denen sich späterhin der palatinische den Priester des Mars, der collinische den des Quirinus zu nennen pflegte. Es ist glaublich, wenngleich nicht mehr nachzuweisen, daß die gesamten altlatinischen Priesterschaften Roms, der Augurn, Pontifices, Vestalen, Fetialen in gleichartiger Weise aus den kombinierten Priesterkollegien der beiden Gemeinden vom Palatin und vom Quirinal hervorgegangen sind. Ferner trat in der örtlichen Einteilung zu den drei Quartieren der palatinischen Stadt, Subura, Palatin und Vorstadt, die Hügelstadt auf dem Quirinal als viertes hinzu. Wenn dagegen bei dem ursprünglichen Synökismus die beitretende Gemeinde auch nach der Vereinigung wenigstens als Teil der neuen Bürgerschaft gegolten und somit gewissermaßen politisch fortbestanden hatte, so ist dies weder in Beziehung auf die Hügelrömer noch überhaupt bei einem der späteren Annexionsprozesse wieder vorgekommen. Auch nach der Vereinigung zerfiel die römische Gemeinde in die bisherigen drei Teile zu je zehn Pflegschaften, und die Hügelrömer, mögen sie nun ihrerseits mehrteilig gewesen sein oder nicht, müssen in die bestehenden Teile und Pflegschaften eingeordnet worden sein. Wahrscheinlich ist dies in der Art geschehen, daß jeder Teil und jede Pflegschaft eine Quote der Neubürger zugewiesen erhielt, in diesen Abteilungen aber die Neu- mit den Altbürgern nicht vollständig verschmolzen; vielmehr treten fortan jene Teile doppelgliedrig auf und scheiden sich die Titier, ebenso die Ramner und die Lucerer in sich wieder in erste und zweite (priores, posteriores). Eben damit hängt wahrscheinlich die in den organischen Institutionen der Gemeinde überall hervortretende paarweise Anordnung zusammen. So werden die drei Paare der heiligen Jungfrauen ausdrücklich als die Vertreterinnen der drei Teile erster und zweiter Ordnung bezeichnet; auch das in jeder Gasse verehrte Larenpaar ist vermutlich ähnlich aufzufassen. Vor allem erscheint diese Anordnung im Heerwesen: nach der Vereinigung stellt jeder Halbteil der dreiteiligen Gemeinde hundert Berittene, und es steigt dadurch die römische Bürgerreiterei auf sechs Hundertschaften, die Zahl der Reiterführer wahrscheinlich auch von drei auf sechs. Von einer entsprechenden Vermehrung des Fußvolks ist nichts überliefert; wohl aber wird man den nachherigen Gebrauch, daß die Legionen regelmäßig je zwei und zwei einberufen wurden, hierauf zurückführen dürfen, und wahrscheinlich rührt von dieser Verdoppelung des Aufgebotes ebenfalls her, daß nicht, wie wohl ursprünglich, drei, sondern sechs Abteilungsführer die Legion befehligen. Eine entsprechende Vermehrung der Senatsstellen hat entschieden nicht stattgefunden, sondern die uralte Zahl von dreihundert Ratsherren ist bis in das siebente Jahrhundert hinein die normale geblieben; womit sich sehr wohl verträgt, daß eine Anzahl der angesehensten Männer der neu hinzutretenden Gemeinde in den Senat der palatinischen Stadt aufgenommen sein mag. Ebenso verfuhr man mit den Magistraturen: auch der vereinigten Gemeinde stand nur ein König vor, und von seinen hauptsächlichsten Stellvertretern, namentlich dem Stadtvorsteher, gilt dasselbe. Man sieht, daß die sakralen Institutionen der Hügelstadt fortbestanden und in militärischer Hinsicht man nicht unterließ, der verdoppelten Bürgerschaft die doppelte Mannszahl abzufordern, im übrigen aber die Einordnung der quirinalischen Stadt in die palatinische eine wahre Unterordnung der ersteren gewesen ist. Wenn wir mit Recht angenommen haben, daß der Gegensatz zwischen den palatinischen Alt- und den quirinalischen Neubürgern zusammenfiel mit dem zwischen den ersten und zweiten Titiern, Ramnern und Lucerern, so sind die Geschlechter der Quirinalstadt die „zweiten“ oder die „minderen“ gewesen. Indes war der Unterschied sicherlich mehr ein Ehren- als ein Rechtsvorzug. Bei den Abstimmungen im Rat wurden die aus den alten Geschlechtern genommenen Ratsherren vor denen der „minderen“ gefragt. In gleicher Weise steht das collinische Quartier im Range zurück selbst hinter dem vorstädtischen der palatinischen Stadt, der Priester des quirinalischen Mars hinter dem des palatinischen, die quirinalischen Springer und Wölfe hinter denen vom Palatin. Sonach bezeichnet der Synökismus, durch den die palatinische Gemeinde die quirinalische in sich aufnahm, eine Mittelstufe zwischen dem ältesten, durch den die Titier, Ramner und Lucerer miteinander verwuchsen, und allen späteren: einen eigenen Teil zwar durfte die zutretende Gemeinde in dem neuen Ganzen nicht mehr bilden, wohl aber noch wenigstens einen Teil in jedem Teile, und ihre sakralen Institutionen ließ man nicht bloß bestehen, was auch nachher noch, zum Beispiel nach der Einnahme von Alba, geschah, sondern erhob sie zu Institutionen der vereinigten Gemeinde, was späterhin in dieser Weise nicht wieder vorkam.

Diese Verschmelzung zweier im wesentlichen gleichartiger Gemeinwesen war mehr eine quantitative Steigerung als eine innerliche Umgestaltung der bestehenden Gemeinde. Von einem zweiten Inkorporationsprozeß, der weit allmählicher durchgeführt ward und weit tiefere Folgen gehabt hat, reichen die ersten Anfänge gleichfalls bis in diese Epoche zurück: es ist dies die Verschmelzung der Bürgerschaft und der Insassen. Von jeher standen in der römischen Gemeinde neben der Bürgerschaft die Schutzleute, die „Hörigen“ (clientes), wie man sie nannte, als die Zugewandten der einzelnen Bürgerhäuser, oder die „Menge“ (plebes, von pleo, plenus), wie sie negativ hießen mit Hinblick auf die mangelnden politischen RechteHabuit plebem in clientelas principum descriptam (Cic. rep. 2, 2).. Die Elemente zu dieser Mittelstufe zwischen Freien und Unfreien waren, wie gezeigt ward, bereits in dem römischen Hause vorhanden; aber in der Gemeinde mußte diese Klasse aus einem zwiefachen Grunde tatsächlich und rechtlich zu größerer Bedeutung erwachsen. Einmal konnte die Gemeinde selbst wie Knechte, so auch halbfreie Hörige besitzen; besonders mochte nach Überwindung einer Stadt und Auflösung ihres Gemeinwesens es oft der siegenden Gemeinde zweckmäßig erscheinen, die Masse der Bürgerschaft nicht förmlich als Sklaven zu verkaufen, sondern ihnen den faktischen Fortbesitz der Freiheit zu gestatten, so daß sie gleichsam als Freigelassene der Gemeinde, sei es zu den Geschlechtern, sei es zu dem König in Klientelverhältnis traten. Zweitens aber war durch die Gemeinde und deren Macht über die einzelnen Bürger die Möglichkeit gegeben, auch deren Klienten gegen mißbräuchliche Handhabung des rechtlich fortbestehenden Herrenrechts zu schützen. Bereits in unvordenklich früher Zeit ist in das römische Landrecht der Grundsatz eingeführt worden, von dem die gesamte Rechtsstellung der Insassenschaft ihren Ausgang genommen hat: daß, wenn der Herr bei Gelegenheit eines öffentlichen Rechtsakts – Testament, Prozeß, Schatzung – sein Herrenrecht ausdrücklich oder stillschweigend aufgegeben habe, weder er selbst noch seine Rechtsnachfolger diesen Verzicht gegen die Person des Freigelassenen selbst oder gar seiner Deszendenten jemals wieder sollten willkürlich rückgängig machen können. Die Hörigen und ihre Nachkommen besaßen nun zwar weder Bürger- noch Gastrecht; denn zu jenem bedurfte es förmlicher Erteilung von seiten der Gemeinde, dieser aber setzte das Bürgerrecht des Gastes in einer mit der römischen in Vertrag stehenden Gemeinde voraus. Was ihnen zuteil ward, war ein gesetzlich geschützter Freiheitsbesitz bei rechtlich fortdauernder Unfreiheit; und darum scheinen längere Zeit hindurch ihre vermögensrechtlichen Beziehungen gleich denen der Sklaven als Rechtsverhältnisse des Patrons gegolten und dieser prozessualisch sie notwendig vertreten zu haben, womit denn auch zusammenhängen wird, daß der Patron im Notfall Beisteuern von ihnen einheben und sie vor sich zu krimineller Verantwortung ziehen konnte. Aber allmählich entwuchs die Insassenschaft diesen Fesseln; sie fingen an, in eigenem Namen zu erwerben und zu veräußern und ohne die formelle Vermittlung ihres Patrons von den römischen Bürgergerichten Recht anzusprechen und zu erhalten. In Ehe und Erbrecht ward die Rechtsgleichheit mit den Bürgern zwar weit eher den Ausländern gestattet als diesen keiner Gemeinde angehörigen, eigentlich unfreien Leuten; aber es konnte denselben doch nicht wohl gewehrt werden, in ihrem eigenen Kreise Ehen einzugehen und die daran sich knüpfenden Rechtsverhältnisse der eheherrlichen und väterlichen Gewalt, der Agnation und des Geschlechts, der Erbschaft und der Vormundschaft, nach Art der bürgerrechtlichen zu gestalten.

Teilweise zu ähnlichen Folgen führte die Ausübung des Gastrechts, insofern auf Grund desselben Ausländer sich auf die Dauer in Rom niederließen und dort eine Häuslichkeit begründeten. In dieser Hinsicht müssen seit uralter Zeit die liberalsten Grundsätze in Rom bestanden haben. Das römische Recht weiß weder von Erbgutsqualität noch von Geschlossenheit der Liegenschaften und gestattet einesteils jedem dispositionsfähigen Mann bei seinen Lebzeiten vollkommen unbeschränkte Verfügung über sein Vermögen, anderseits, soviel wir wissen, jedem, der überhaupt zum Verkehr mit römischen Bürgern befugt war, selbst dem Fremden und dem Klienten, das unbeschränkte Recht bewegliches und, seitdem Immobilien überhaupt im Privateigentum stehen konnten, in gewissen Schranken auch unbewegliches Gut in Rom zu erwerben. Es ist eben Rom eine Handelsstadt gewesen, die, wie sie den Anfang ihrer Bedeutung dem internationalen Verkehr verdankte, so auch das Niederlassungsrecht mit großartiger Freisinnigkeit jedem Kinde ungleicher Ehe, jedem freigelassenen Knecht, jedem nach Rom unter Aufgebung seines Heimatrechts übersiedelnden Fremden gewährt hat.

Anfänglich waren also die Bürger in der Tat die Schutzherren, die Nichtbürger die Geschützten; allein wie in allen Gemeinden, die die Ansiedlung freigeben und das Bürgerrecht schließen, ward es auch in Rom bald schwer und wurde immer schwerer, dieses rechtliche Verhältnis mit dem faktischen Zustand in Harmonie zu erhalten. Das Aufblühen des Verkehrs, die durch das latinische Bündnis allen Latinern gewährleistete volle privatrechtliche Gleichstellung mit Einschluß selbst der Erwerbung von Grundbesitz, die mit dem Wohlstand steigende Häufigkeit der Freilassungen mußten schon im Frieden die Zahl der Insassen unverhältnismäßig vermehren. Es kam dazu der größere Teil der Bevölkerung der mit den Waffen bezwungenen und Rom inkorporierten Nachbarstädte, welcher, mochte er nun nach Rom übersiedeln oder in seiner alten, zum Dorf herabgesetzten Heimat verbleiben, in der Regel wohl sein eigenes Bürgerrecht mit römischem Metökenrecht vertauschte. Dazu lastete der Krieg ausschließlich auf den Altbürgern und lichtete beständig die Reihen der patrizischen Nachkommenschaft, während die Insassen an dem Erfolg der Siege Anteil hatten, ohne mit ihrem Blute dafür zu bezahlen.

Unter solchen Verhältnissen ist es nur befremdlich, daß das römische Patriziat nicht noch viel schneller zusammenschwand, als es in der Tat der Fall war. Daß er noch längere Zeit eine zahlreiche Gemeinde blieb, davon ist der Grund schwerlich zu suchen in der Verleihung des römischen Bürgerrechts an einzelne ansehnliche auswärtige Geschlechter, die nach dem Austritt aus ihrer Heimat oder nach der Überwindung ihrer Stadt das römische Bürgerrecht empfingen – denn diese Verleihungen scheinen von Anfang an sparsam erfolgt und immer seltener geworden zu sein, je mehr das römische Bürgerrecht im Preise stieg. Von größerer Bedeutung war vermutlich die Einführung der Zivilehe, wonach das von patrizischen, als Eheleute wenn auch ohne Konfarreation zusammenlebenden Eltern erzeugte Kind volles Bürgerrecht erwarb, so gut wie das in konfarreierter Ehe erzeugte; es ist wenigstens wahrscheinlich, daß die schon vor den Zwölf Tafeln in Rom bestehende, aber doch gewiß nicht ursprüngliche Zivilehe eben eingeführt ward, um das Zusammenschwinden des Patriziats zu hemmenDie Bestimmungen der Zwölf Tafeln über den Usus zeigen deutlich, daß dieselben die Zivilehe bereits vorfanden. Ebenso klar geht das hohe Alter der Zivilehe daraus hervor, daß auch sie so gut wie die religiöse Ehe die eheherrliche Gewalt notwendig in sich schloß und von der religiösen Ehe hinsichtlich der Gewalterwerbung nur darin abwich, daß die religiöse Ehe selbst als eigentümliche und rechtlich notwendige Erwerbsform der Frau galt, wogegen zu der Zivilehe eine der anderweitigen allgemeinen Formen des Eigentumserwerbs, Übergabe von seiten der Berechtigten oder auch Verjährung, hinzutreten mußte, um eine gültige eheherrliche Gewalt zu begründen.. Auch die Maßregeln, durch welche bereits in ältester Zeit auf die Erhaltung einer zahlreichen Nachkommenschaft in den einzelnen Häusern hingewirkt ward, gehören in diesen Zusammenhang.

Nichtsdestoweniger war notwendigerweise die Zahl der Insassen in beständigem und keiner Minderung unterliegendem Wachsen begriffen, während die der Bürger sich im besten Fall nicht vermindern mochte; und infolgedessen erhielten die Insassen unmerklich eine andere und freiere Stellung. Die Nichtbürger waren nicht mehr bloß entlassene Knechte und schutzbedürftige Fremde; es gehörten dazu die ehemaligen Bürgerschaften der im Krieg unterlegenen latinischen Gemeinden und vor allen Dingen die latinischen Ansiedler, die nicht durch Gunst des Königs oder eines anderen Bürgers, sondern nach Bundesrecht in Rom lebten. Vermögensrechtlich unbeschränkt gewannen sie Geld und Gut in der neuen Heimat und vererbten gleich dem Bürger ihren Hof auf Kinder und Kindeskinder. Auch die drückende Abhängigkeit von den einzelnen Bürgerhäusern lockerte sich allmählich. Stand der befreite Knecht, der eingewanderte Fremde noch ganz isoliert im Staate, so galt dies schon nicht mehr von seinen Kindern, noch weniger von den Enkeln, und die Beziehungen zu dem Patron traten damit von selbst immer mehr zurück. War in älterer Zeit der Klient ausschließlich für den Rechtsschutz angewiesen auf die Vermittlung des Patrons, so mußte, je mehr der Staat sich konsolidierte und folgeweise die Bedeutung der Geschlechtsvereine und der Häuser sank, desto häufiger auch ohne Vermittlung des Patrons vom König dem einzelnen Klienten Rechtsfolge und Abhilfe der Unbill gewährt werden. Eine große Zahl der Nichtbürger, namentlich die Mitglieder der aufgelösten latinischen Gemeinden, standen überhaupt, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich von Haus aus nicht in der Klientel der königlichen und der sonstigen großen Geschlechter und gehorchten dem König ungefähr in gleicher Art wie die Bürger. Dem König, dessen Herrschaft über die Bürger denn doch am Ende abhing von dem guten Willen der Gehorchenden, mußte es willkommen sein, in diesen wesentlich von ihm abhängigen Schutzleuten sich eine ihm näher verpflichtete Genossenschaft zu bilden.

So erwuchs neben der Bürgerschaft eine zweite römische Gemeinde; aus den Klienten ging die Plebs hervor. Dieser Namenwechsel ist charakteristisch; rechtlich ist kein Unterschied zwischen dem Klienten und dem Plebejer, dem Hörigen und dem Manne aus dem Volk, faktisch aber ein sehr bedeutender, indem jene Bezeichnung das Schutzverhältnis zu einem der politisch berechtigten Gemeindeglieder, diese bloß den Mangel der politischen Rechte hervorhebt. Wie das Gefühl der besonderen Abhängigkeit zurücktrat, drängte das der politischen Zurücksetzung den freien Insassen sich auf; und nur die über allen gleichmäßig waltende Herrschaft des Königs verhinderte das Ausbrechen des politischen Kampfes zwischen der berechtigten und der rechtlosen Gemeinde.

Der erste Schritt zur Verschmelzung der beiden Volksteile geschah indes schwerlich auf dem Wege der Revolution, den jener Gegensatz vorzuzeichnen schien. Die Verfassungsreform, die ihren Namen trägt vom König Servius Tullius, liegt zwar ihrem geschichtlichen Ursprung nach in demselben Dunkel, wie alle Ereignisse einer Epoche, von der wir, was wir wissen, nicht durch historische Überlieferung, sondern nur durch Rückschlüsse aus den späteren Institutionen wissen; aber ihr Wesen zeugt dafür, daß nicht die Plebejer sie gefordert haben können, denen die neue Verfassung nur Pflichten, nicht Rechte gab. Sie muß vielmehr entweder der Weisheit eines der römischen Könige ihren Ursprung verdanken oder auch dem Drängen der Bürgerschaft auf Befreiung von der ausschließlichen Belastung und auf Zuziehung der Nichtbürger teils zu der Besteuerung, das heißt zu der Verpflichtung, dem Staat im Notfall vorzuschießen (dem Tributum), und zu den Fronden, teils zu dem Aufgebot. Beides wird in der Servianischen Verfassung zusammengefaßt, ist aber schwerlich gleichzeitig erfolgt. Ausgegangen ist die Heranziehung der Nichtbürger vermutlich von den ökonomischen Lasten: es wurden diese früh auch auf die „Begüterten“ (locupletes) oder die „stetigen Leute“ (adsidui) erstreckt, und nur die gänzlich Vermögenslosen, die „Kinderzeuger“ (proletarii, capite censi) blieben davon frei. Weiter folgte die politisch wichtigere Heranziehung der Nichtbürger zu der Wehrpflicht. Diese wurde fortan, statt auf die Bürgerschaft als solche, gelegt auf die Grundbesitzer, die tribules, mochten sie Bürger oder bloß Insassen sein; die Heeresfolge wurde aus einer persönlichen zu einer Reallast. Im einzelnen war die Ordnung folgende. Pflichtig zum Dienst war jeder ansässige Mann vom achtzehnten bis zum sechzigsten Lebensjahr mit Einschluß der Hauskinder ansässiger Väter, ohne Unterschied der Geburt; so daß selbst der entlassene Knecht zu dienen hatte, wenn er ausnahmsweise zu Grundbesitz gelangt war. Auch die grundbesitzenden Latiner – anderen Ausländern war der Erwerb römischen Bodens nicht gestattet – wurden zum Dienst herangezogen, sofern sie, was ohne Zweifel bei den meisten derselben der Fall war, auf römischem Gebiet ihren Wohnsitz genommen hatten. Nach der Größe der Grundstücke wurde die kriegstüchtige Mannschaft eingeteilt in die Volldienstpflichtigen oder die Vollhufener, welche in vollständiger Rüstung erscheinen mußten und insofern vorzugsweise das Kriegsheer (classis) bildeten, während von den vier folgenden Reihen der kleineren Grundbesitzer, den Besitzern von Dreivierteln, Hälften, Vierteln und Achteln einer ganzen Bauernstelle, zwar auch die Erfüllung der Dienstpflicht, nicht aber die volle Armierung verlangt ward, und sie also unterhalb des Vollsatzes (infra classem) standen. Nach der damaligen Verteilung des Bodens waren fast die Hälfte der Bauernstellen Vollhufen, während die Dreiviertel-, Halb- und Viertelhufener jede knapp, die Achtelhufener reichlich ein Achtel der Ansässigen ausmachten; weshalb festgesetzt ward, daß für das Fußvolk auf achtzig Vollhufener je zwanzig der drei folgenden und achtundzwanzig der letzten Reihe ausgehoben werden sollten. Ähnlich verfuhr man bei der Reiterei: die Zahl der Abteilungen wurde in dieser verdreifacht, und nur darin wich man hier ab, daß die bereits bestehenden sechs Abteilungen mit den alten Namen (Tities, Ramnes, Luceres primi und secundi) den Patriziern blieben, während die zwölf neuen hauptsächlich aus den Nichtbürgern gebildet wurden. Der Grund dieser Abweichung ist wohl darin zu suchen, daß man damals die Fußtruppen für jeden Feldzug neu formierte und nach der Heimkehr entließ, dagegen die Reiter mit ihren Rossen aus militärischen Rücksichten auch im Frieden zusammengehalten wurden und regelmäßige Übungen hielten, die als Festlichkeiten der römischen Ritterschaft bis in die späteste Zeit fortbestandenAus demselben Grund wurde bei der Steigerung des Aufgebots nach dem Eintritt der Hügelrömer die Ritterschaft verdoppelt, bei der Fußmannschaft aber statt der einfachen Lese eine Doppellegion einberufen.. So ließ man denn auch bei dieser Reform den einmal bestehenden Schwadronen ihre hergebrachten Namen. Um auch die Reiterei jedem Bürger zugänglich zu machen, wurden die unverheirateten Frauen und die unmündigen Waisen, soweit sie Grundbesitz hatten, angehalten, anstatt des eigenen Dienstes einzelnen Reitern die Pferde – jeder Reiter hatte deren zwei – zu stellen und zu füttern. Im ganzen kam auf neun Fußsoldaten ein Reiter; doch wurden beim effektiven Dienst die Reiter mehr geschont.

Die nicht ansässigen Leute (adcensi, neben dem Verzeichnis der Wehrpflichtigen stehende Leute) hatten zum Heere die Werk- und Spielleute zu stellen sowie eine Anzahl Ersatzmänner, die unbewaffnet (velati) mit dem Heer zogen und, wenn im Felde Lücken entstanden, mit den Waffen der Kranken und Gefallenen ausgerüstet in die Reihe eingestellt wurden.

Zum Behuf der Aushebung des Fußvolks wurde die Stadt eingeteilt in vier „Teile“ (tribus) wodurch die alte Dreiteilung wenigstens in ihrer lokalen Bedeutung beseitigt ward: den palatinischen, der die Anhöhe gleiches Namens nebst der Velia in sich schloß; den der Subura, dem die Straße dieses Namens, die Carinen und der Caelius angehörten; den esquilinischen; und den collinischen, den der Quirinal und Viminal, die „Hügel“ im Gegensatz der „Berge“ des Kapitol und Palatin, bildeten. Von der Bildung dieser Distrikte ist bereits früher die Rede gewesen und gezeigt, in welcher Weise dieselben aus der alten palatinischen und quirinalischen Doppelstadt hervorgegangen sind. In welcher Weise es herbeigeführt worden ist, daß jeder ansässige Bürger einem dieser Stadtteile angehörte, läßt sich nicht sagen; aber es war dies der Fall, und daß die vier Distrikte ungefähr gleiche Mannzahl hatten, ergibt sich aus ihrer gleichmäßigen Anziehung bei der Aushebung. Überhaupt hat diese Einteilung, die zunächst auf den Boden allein und nur folgeweise auf die Besitzer sich bezog, einen ganz äußerlichen Charakter und namentlich ist ihr niemals eine religiöse Bedeutung zugekommen; denn daß in jedem Stadtdistrikt eine gewisse Zahl der rätselhaften Argeerkapellen sich befanden, macht dieselben ebensowenig zu sakralen Bezirken, als es die Gassen dadurch wurden, daß in jeder ein Larenaltar errichtet ward.

Jeder dieser vier Aushebungsdistrikte hatte annähernd den vierten Teil wie der ganzen Mannschaft, so jeder einzelnen militärischen Abteilung zu stellen, sodaß jede Legion und jede Zenturie gleich viel Konskribierte aus jedem Bezirk zählte, um alle Gegensätze gentilizischer und lokaler Natur in dem einen und gemeinsamen Gemeindeaufgebot aufzuheben und vor allem durch den mächtigen Hebel des nivellierenden Soldatengeistes Insassen und Bürger zu einem Volke zu verschmelzen.

Militärisch wurde die waffenfähige Mannschaft geschieden in ein erstes und zweites Aufgebot, von denen jene, die „Jüngeren“, vom laufenden achtzehnten bis zum vollendeten sechsundvierzigsten Jahre, vorwiegend zum Felddienst verwandt wurden, während die „Älteren“ die Mauern daheim schirmten. Die militärische Einheit ward in der Infanterie die jetzt verdoppelte Legion, eine vollständig nach alter dorischer Art gereihte und gerüstete Phalanx von sechstausend Mann, die sechs Glieder hoch eine Front von tausend Schwergerüsteten bildete; wozu dann noch 2400 „Ungerüstete“ (velites, s. 1, 84, A.) kamen. Die vier ersten Glieder der Phalanx, die classis, bildeten die vollgerüsteten Hopliten der Vollhufener, im fünften und sechsten standen die minder gerüsteten Bauern der zweiten und dritten Abteilung; die beiden letzten traten als letzte Glieder zu der Phalanx hinzu oder kämpften daneben als Leichtbewaffnete. Für die leichte Ausfüllung zufälliger Lücken, die der Phalanx so verderblich sind, war gesorgt. Es standen also in derselben 84 Zenturien oder 8400 Mann, davon 6000 Hopliten, 4000 der ersten, je 1000 der beiden folgenden Abteilungen, ferner 2400 Leichte, davon 1000 der vierten, 1200 der fünften Abteilung; ungefähr stellte jeder Aushebungsbezirk zu der Phalanx 2100, zu jeder Zenturie 25 Mann. Diese Phalanx war das zum Ausrücken bestimmte Heer, während die gleiche Truppenmacht auf die für die Stadtverteidigung zurückbleibenden Älteren gerechnet wurde; wodurch also der Normalbestand des Fußvolks auf 16800 Mann kam, 80 Zenturien der ersten, je 20 der drei folgenden, 28 der letzten Abteilung; ungerechnet die beiden Zenturien Ersatzmannschaft sowie die der Werk- und die der Spielleute. Zu allen diesen kam die Reiterei, welche aus 1800 Pferden bestand; dem ausrückenden Heer ward indes oft nur der dritte Teil der Gesamtzahl beigegeben. Der Normalbestand des römischen Heeres ersten und zweiten Aufgebots stieg sonach auf nahe an 20000 Mann; welche Zahl dem Effektivbestand der römischen Waffenfähigen, wie er war zur Zeit der Einführung dieser neuen Organisation, unzweifelhaft im allgemeinen entsprochen haben wird. Bei steigender Bevölkerung wurde nicht die Zahl der Zenturien vermehrt, sondern man verstärkte durch zugegebene Leute die einzelnen Abteilungen, ohne doch die Grundzahl ganz fallen zu lassen; wie denn die römischen der Zahl nach geschlossenen Korporationen überhaupt häufig durch Aufnahme überzähliger Mitglieder die ihnen gesetzte Schranke umgingen.

Mit dieser neuen Heeresordnung Hand in Hand ging die sorgfältigere Beaufsichtigung des Grundbesitzes von seiten des Staats. Es wurde entweder jetzt eingeführt oder doch sorgfältiger bestimmt, daß ein Erdbuch angelegt werde, in welchem die einzelnen Grundbesitzer ihre Äcker mit dem Zubehör, den Gerechtigkeiten, den Knechten, den Zug- und Lasttieren verzeichnen lassen sollten. Jede Veräußerung, die nicht offenkundig und vor Zeugen geschah, wurde für nichtig erklärt und eine Revision des Grundbesitzregisters, das zugleich Aushebungsrolle war, in jedem vierten Jahre vorgeschrieben. So sind aus der servianischen Kriegsordnung die Manzipation und der Zensus hervorgegangen.

Augenscheinlich ist diese ganze Institution von Haus aus militärischer Natur. In dem ganzen weitläufigen Schema begegnet auch nicht ein einziger Zug, der auf eine andere als die rein kriegerische Bestimmung der Zenturien hinwiese; und dies allein muß für jeden, der in solchen Dingen zu denken gewohnt ist, genügen, um ihre Verwendung zu politischen Zwecken für spätere Neuerung zu erklären. Wenn, wie wahrscheinlich, in ältester Zeit, wer das sechzigste Jahr überschritten hat, von den Zenturien ausgeschlossen ist, so hat dies keinen Sinn, sofern dieselben von Anfang an bestimmt waren, gleich und neben den Kurien die Bürgergemeinde zu repräsentieren. Indes wenn auch die Zenturienordnung lediglich eingeführt ward, um die Schlagfertigkeit der Bürgschaft durch die Beziehung der Insassen zu steigern, und insofern nichts verkehrter ist, als die Servianische Ordnung für die Einführung der Timokratie in Rom auszugeben, so wirkte doch folgeweise die neue Wehrpflichtigkeit der Einwohnerschaft auch auf ihre politische Stellung wesentlich zurück. Wer Soldat werden muß, muß auch Offizier werden können, solange der Staat nicht faul ist; ohne Frage konnten in Rom jetzt auch Plebejer zu Centurionen und Kriegstribunen ernannt werden. Wenn ferner auch der bisherigen in den Kurien vertretenen Bürgerschaft durch die Zenturieninstitution der Sonderbesitz der politischen Rechte nicht geschmälert werden sollte, so mußten doch unvermeidlich diejenigen Rechte, welche die bisherige Bürgerschaft nicht als Kurienversammlung, sondern als Bürgeraufgebot geübt hatte, übergehen auf die neuen Bürger- und Insassenzenturien. Die Zenturien also sind es fortan, die der König vor dem Beginn eines Angriffskrieges um ihre Einwilligung zu befragen hat. Es ist wichtig der späteren Entwicklung wegen, diese ersten Ansätze zu einer Beteiligung der Zenturien an den öffentlichen Angelegenheiten zu bezeichnen; allein zunächst trat der Erwerb dieser Rechte durch die Zenturien mehr folgeweise ein, als daß er geradezu beabsichtigt worden wäre, und nach wie vor der Servianischen Reform galt die Kurienversammlung als die eigentliche Bürgergemeinde, deren Huldigung das ganze Volk dem König verpflichtete. Neben diesen neuen grundsässigen Vollbürgern standen die angesessenen Ausländer aus dem verbündeten Latium als teilnehmend an den öffentlichen Lasten, der Steuer und den Fronden (daher municipes); während die außer den Tribus stehenden, nicht ansässigen und des Wehr- und Stimmrechts entbehrenden Bürger nur als steuerpflichtig (aerarii) in Betracht kommen.

Hatte man somit bisher nur zwei Klassen der Gemeindeglieder: Bürger und Schutzverwandte unterschieden, so stellten jetzt sich diese drei politischen Klassen fest, die viele Jahrhunderte hindurch das römische Staatsrecht beherrscht haben.

Wann und wie diese neue militärische Organisation der römischen Gemeinde ins Leben trat, darüber sind nur Vermutungen möglich. Sie setzt die vier Quartiere voraus, das heißt, die Servianische Mauer mußte gezogen sein, bevor die Reform stattfand. Aber auch das Stadtgebiet mußte schon seine ursprüngliche Grenze beträchtlich überschritten haben, wenn es 8000 volle ebensoviel Teilhufener oder Hufenersöhne stellen konnte. Wir kennen zwar den Flächenraum der vollen römischen Bauernstelle nicht, allein es wird nicht möglich sein, sie unter 20 Morgen anzusetzenSchon um 480 erschienen Landlose von sieben Morgen (Val. Max. 3, 3, 5; Colum. 1 praef. 14, 1, 3, 11; Plin. nat. 18,3,18; vierzehn Morgen: Ps. Aur. Vict. 33; Plut. apophth. reg. et imp. p. 235 Dübner, wonach Plut. Crass. 2 zu berichtigen ist) den Empfängern klein.

Die Vergleichung der deutschen Verhältnisse ergibt dasselbe. Jugerum und Morgen, beide ursprünglich mehr Arbeits- als Flächenmaße, können angesehen werden als ursprünglich identisch. Wenn die deutsche Hufe regelmäßig aus 30, nicht selten auch aus 20 oder 40 Morgen bestand, und die Hofstätte häufig, wenigstens bei den Angelsachsen, ein Zehntel der Hufe betrug, so wird bei Berücksichtigung der klimatischen Verschiedenheit und des römischen Heredium von zwei Morgen die Annahme einer römischen Hufe von 20 Morgen den Verhältnissen angemessen erscheinen. Freilich bleibt es zu bedauern, daß die Überlieferung uns eben hier im Stich läßt.

Im allgemeinen aber ist es einleuchtend einerseits, daß diese Servianische Institution nicht hervorgegangen ist aus dem Ständekampf, sondern daß sie den Stempel eines reformierenden Gesetzgebers an sich trägt gleich der Verfassung des Lykurgos, des Solon, des Zaleukos, anderseits, daß sie entstanden ist unter griechischem Einfluß. Einzelne Analogien können trügen, wie zum Beispiel die schon von den Alten hervorgehobene, daß auch in Korinth die Ritterpferde auf die Witwen und Waisen angewiesen wurden; aber die Entlehnung der Rüstung wie der Gliederstellung von dem griechischen Hoplitensystem ist sicher kein zufälliges Zusammentreffen. Erwägen wir nun, daß eben im zweiten Jahrhundert der Stadt die griechischen Staaten in Unteritalien von der reinen Geschlechterverfassung fortschritten zu einer modifizierten, die das Schwergewicht in die Hände der Besitzenden legteAuch die Analogie zwischen der sogenannten Servianischen Verfassung und der Behandlung der attischen Metöken verdient hervorgehoben zu werden. Athen hat eben wie Rom verhältnismäßig früh den Insassen die Tore geöffnet und dann auch dieselben zu den Lasten des Staates mit herangezogen. Je weniger hier ein unmittelbarer Zusammenhang angenommen werden kann, desto bestimmter zeigt es sich, wie dieselben Ursachen – städtische Zentralisierung und städtische Entwicklung – überall und notwendig die gleichen Folgen herbeiführen., so werden wir hierin den Anstoß erkennen, der in Rom die Servianische Reform hervorrief, eine im wesentlichen auf demselben Grundgedanken beruhende und nur durch die streng monarchische Form des römischen Staats in etwas abweichende Bahnen gelenkte Verfassungsänderung.

7. Kapitel


7. Kapitel

Roms Hegemonie in Latium

An Fehden unter sich und mit den Nachbarn wird es der tapfere und leidenschaftliche Stamm der Italiker niemals haben fehlen lassen; mit dem Aufblühen des Landes und der steigenden Kultur muß die Fehde allmählich in den Krieg, der Raub in die Eroberung übergegangen sein und politische Mächte angefangen haben, sich zu gestalten. Indes von jenen frühesten Raufhändeln und Beutezügen, in denen der Charakter der Völker sich bildet und sich äußerst wie in den Spielen und Fahrten des Knaben der Sinn des Mannes, hat kein italischer Homer uns ein Abbild aufbewahrt; und ebensowenig gestattet uns die geschichtliche Überlieferung, die äußere Entwicklung der Machtverhältnisse der einzelnen latinischen Gaue auch nur mit annähernder Genauigkeit zu erkennen. Höchstens von Rom läßt die Ausdehnung seiner Macht und seines Gebietes sich einigermaßen verfolgen. Die nachweislich ältesten Grenzen der vereinigten römischen Gemeinde sind bereits angegeben worden; sie waren landeinwärts durchschnittlich nur etwa eine deutsche Meile von dem Hauptort des Gaus entfernt und erstreckten sich einzig gegen die Küste zu bis an die etwas über drei deutsche Meilen von Rom entfernte Tibermündung (Ostia). „Größere und kleinere Völkerschaften“, sagt Strabon in der Schilderung des ältesten Rom, „umschlossen die neue Stadt, von denen einige in unabhängigen Ortschaften wohnten und keinem Stammverband botmäßig waren“. Auf Kosten zunächst dieser stammverwandten Nachbarn scheinen die ältesten Erweiterungen des römischen Gebietes erfolgt zu sein.

Die am oberen Tiber und zwischen Tiber und Anio gelegenen latinischen Gemeinden Antemnae, Crustumerium, Ficulnea, Medullia, Caenina, Corniculum, Cameria, Collatia drückten am nächsten und empfindlichsten auf Rom und scheinen schon in frühester Zeit durch die Waffen der Römer ihre Selbständigkeit eingebüßt zu haben. Als selbständige Gemeinde erscheint in diesem Bezirk später nur Nomentum, das vielleicht durch Bündnis mit Rom seine Freiheit rettete; um den Besitz von Fidenae, dem Brückenkopf der Etrusker am linken Ufer des Tiber, kämpften Latiner und Etrusker, das heißt Römer und Veienter mit wechselndem Erfolg. Gegen Gabii, das die Ebene zwischen dem Anio und den Albaner Bergen innehatte, stand der Kampf lange Zeit im Gleichgewicht; bis in die späte Zeit hinab galt das gabinische Gewand als gleichbedeutend mit dem Kriegskleid und der gabinische Boden als Prototyp des feindlichen LandesAber zu bezweifeln, daß die Zerstörung Albas in der Tat von Rom ausgegangen sei wie es neulich von achtbarer Seite geschehen ist, scheint kein Grund vorhanden. Es ist wohl richtig, daß der Bericht über Albas Zerstörung in seinen Einzelheiten eine Kette von Unwahrscheinlichkeiten und Unmöglichkeiten ist; aber das gilt eben von jeder in Sagen eingesponnenen historischen Tatsache. Auf die Frage, wie sich das übrige Latium zu dem Kampfe zwischen Alba und Rom verhielt, haben wir freilich keine Antwort; aber die Frage selbst ist falsch gestellt, denn es ist unerwiesen, daß die latinische Bundesverfassung einen Sonderkrieg zweier latinischer Gemeinden schlechterdings untersagte. Noch weniger widerspricht die Aufnahme einer Anzahl albischer Familien in den römischen Bürgerverband der Zerstörung Albas durch die Römer; warum soll es nicht in Alba eben wie in Capua eine römische Partei gegeben haben? Entscheidend dürfte aber der Umstand sein, daß Rom in religiöser wie in politischer Hinsicht als Rechtsnachfolgerin von Alba auftritt; welcher Anspruch nicht auf die Übersiedelung einzelner Geschlechter, sondern nur auf die Eroberung der Stadt sich gründen konnte und gegründet ward..

Daß in der gleichen Zeit, wo Rom sich am Anio und auf dem Albaner Gebirge festsetzte, auch Praeneste, welches späterhin als Herrin von acht benachbarten Ortschaften erscheint, ferner Tibur und andere latinische Gemeinden in gleicher Weise ihr Gebiet erweitert und ihre spätere verhältnismäßig ansehnliche Macht begründet haben mögen, läßt sich vollends nur vermuten.

Mehr als die Kriegsgeschichten vermissen wir genaue Berichte über den rechtlichen Charakter und die rechtlichen Folgen dieser ältesten latinischen Eroberungen. Im ganzen ist es nicht zu bezweifeln, daß sie nach demselben Inkorporationssystem behandelt wurden, woraus die dreiteilige römische Gemeinde hervorgegangen war; nur daß die durch die Waffen zum Eintritt gezwungenen Gaue nicht einmal, wie jene ältesten drei, als Quartiere der neuen vereinigten Gemeinde eine gewisse relative Selbständigkeit bewahrten, sondern völlig und spurlos in dem Ganzen verschwanden (I, 99). Soweit die Macht des latinischen Gaues reichte, duldete er in ältester Zeit keinen politischen Mittelpunkt außer dem eigenen Hauptort, und noch weniger legte er selbständige Ansiedlungen an, wie die Phöniker und die Griechen es taten und damit in ihren Kolonien vorläufig Klienten und künftige Rivalen der Mutterstadt erschufen. Am merkwürdigsten in dieser Hinsicht ist die Behandlung, die Ostia durch Rom erfuhr: Die faktische Entstehung einer Stadt an dieser Stelle konnte und wollte man nicht hindern, gestattete aber dem Orte keine politische Selbständigkeit und gab darum den dort Angesiedelten kein Ortsbürger-, sondern ließ ihnen bloß, wenn sie es bereits besaßen, das allgemeine römische BürgerrechtDarauf geht ohne Zweifel die Bestimmung der Zwölf Tafeln: Nex[i mancipiique] forti sanatique idem ius esto, d. h. es soll im privatrechtlichen Verkehr dem Guten und dem Gebesserten gleiches Recht zustehen. An die latinischen Bundesgenossen kann hier nicht gedacht sein, da deren rechtliche Stellung durch die Bundesverträge bestimmt wird und das Zwölftafelgesetz überhaupt nur vom Landrecht handelt; sondern die sanates sind die Latini prisci cives Romani, das heißt die von den Römern in das Plebejat genötigten Gemeinden Latiums.; einzelne Geschlechter wurden aber auch wohl mit dem Bürgerrecht, das heißt dem Patriziat, beschenkt. Noch in der Kaiserzeit kannte man die nach dem Fall ihrer Heimat in die römische Bürgerschaft eingereihten albischen Geschlechter, darunter die Iulier, Servilier, Quinctilier, Cloelier, Geganier, Curiatier, Metilier; das Andenken ihrer Herkunft bewahrten ihre albischen Familienheiligtümer, unter denen das Geschlechterheiligtum der Iulier in Bovillae sich in der Kaiserzeit wieder zu großem Ansehen erhob.

Diese Zentralisierung mehrerer kleiner Gemeinden in einer größeren war natürlich nichts weniger als eine spezifisch römische Idee. Nicht bloß die Entwicklung Latiums und der sabellischen Stämme bewegt sich um die Gegensätze der nationalen Zentralisation und der kantonalen Selbständigkeit, sondern es gilt das gleiche auch von der Entwicklung der Hellenen. Es war dieselbe Verschmelzung vieler Gaue zu einem Staat, aus der in Latium Rom und in Attika Athen hervorging; und eben dieselbe Fusion war es, welche der weise Thales dem bedrängten Bunde der ionischen Städte als den einzigen Weg zur Rettung ihrer Nationalität bezeichnete. Wohl aber ist es Rom gewesen, das diesen Einheitsgedanken folgerichtiger, ernstlicher und glücklicher festhielt als irgendein anderer italischer Gau; und eben wie Athens hervorragende Stellung in Hellas die Folge seiner frühen Zentralisierung ist, so hat auch Rom seine Größe lediglich demselben hier noch weit energischer durchgeführten System zu danken.

Wenn also die Eroberungen Roms in Latium im wesentlichen als gleichartige, unmittelbare Gebiets- und Gemeindeerweiterungen betrachtet werden dürfen, so kommt doch derjenigen von Alba noch eine besondere Bedeutung zu. Es sind nicht bloß die problematische Größe und der etwaige Reichtum der Stadt, welche die Sage bestimmt haben, die Entnahme Albas in so besonderer Weise hervorzuheben. Alba galt als die Metropole der latinischen Eidgenossenschaft und hatte die Vorstandschaft unter den dreißig berechtigten Gemeinden. Die Zerstörung Albas hob natürlich den Bund selbst so wenig auf wie die Zerstörung Thebens die böotische GenossenschaftEs scheint sogar aus einem Teile der albischen Mark die Gemeinde Bovillae gebildet und diese an Albas Platz unter die autonomen latinischen Städte eingetreten zu sein. Ihren albischen Ursprung bezeugt der Iulierkult und der Name Albani Longani Bovillenses (Orelli-Henzen 119, 2252, 6019); ihre Autonomie Dionysios (5, 61) und Cicero (Planc. 9, 23).; vielmehr nahm, dem streng privatrechtlichen Charakter des latinischen Kriegsrechts vollkommen entsprechend, Rom jetzt als Rechtsnachfolgerin von Alba dessen Bundesvorstandschaft in Anspruch. Ob und welche Krisen der Anerkennung dieses Anspruchs vorhergingen oder nachfolgten, vermögen wir nicht anzugeben; im ganzen scheint man die römische Hegemonie über Latium bald und durchgängig anerkannt zu haben, wenn auch einzelne Gemeinden, wie zum Beispiel Labici und vor allem Gabii, zeitweilig sich ihr entzogen haben mögen. Schon damals mochte Rom als seegewaltig der Landschaft, als Stadt den Dorfschaften, als Einheitsstaat der Eidgenossenschaft gegenüberstehen, schon damals nur mit und durch Rom die Latiner ihre Küsten gegen Karthager, Hellenen und Etrusker schirmen und ihre Landgrenze gegen die unruhigen Nachbarn sabellischen Stammes behaupten und erweitern können. Ob der materielle Zuwachs, den Rom durch die Überwältigung von Alba erhielt, größer war als die durch die Einnahme von Antemnae oder Collatia erlangte Machtvermehrung, läßt sich nicht ausmachen; es ist sehr möglich, daß Rom nicht erst durch die Eroberung Albas die mächtigste latinische Gemeinde ward, sondern schon lange vorher es war; aber was dadurch gewonnen ward, war die Vorstandschaft bei dem latinischen Feste und damit die Grundlage der künftigen Hegemonie der römischen Gemeinde über die gesamte latinische Eidgenossenschaft. Es ist wichtig, diese entscheidenden Verhältnisse so bestimmt wie möglich zu bezeichnen.

Die Form der römischen Hegemonie über Latium war im ganzen die eines gleichen Bündnisses zwischen der römischen Gemeinde einer- und der latinischen Eidgenossenschaft anderseits, wodurch ein ewiger Landfriede in der ganzen Mark und ein ewiges Bündnis für den Angriff wie für die Verteidigung festgestellt ward. „Friede soll sein zwischen den Römern und allen Gemeinden der Latiner, solange Himmel und Erde bestehen; sie sollen nicht Krieg führen untereinander noch Feinde ins Land rufen noch Feinden den Durchzug gestatten; dem Angegriffenen soll Hilfe geleistet werden mit gesamter Hand und gleichmäßig verteilt werden, was gewonnen ist im gemeinschaftlichen Krieg.“ Die verbriefte Rechtsgleichheit im Handel und Wandel, im Kreditverkehr wie im Erbrecht, verflocht die Interessen der schon durch die gleiche Sprache und Sitte verbundenen Gemeinden noch durch die tausendfachen Beziehungen des Geschäftsverkehrs, und es ward damit etwas ähnliches erreicht wie in unserer Zeit durch die Beseitigung der Zollschranken. Allerdings blieb jeder Gemeinde formell ihr eigenes Recht; bis auf den Bundesgenossenkrieg war das latinische Recht mit dem römischen nicht notwendig identisch, und wir finden zum Beispiel, daß die Klagbarkeit der Verlöbnisse, die in Rom früh abgeschafft ward, in den latinischen Gemeinden bestehen blieb. Allein die einfache und rein volkstümliche Entwicklung des latinischen Rechtes und das Bestreben, die Rechtsgleichheit möglichst festzuhalten, führten denn doch dahin, daß das Privatrecht in Inhalt und Form wesentlich dasselbe war in ganz Latium. Am schärfsten tritt diese Rechtsgleichheit hervor in den Bestimmungen über den Verlust und den Wiedergewinn der Freiheit des einzelnen Bürgers. Nach einem alten ehrwürdigen Rechtssatz des latinischen Stammes konnte kein Bürger in dem Staat, wo er frei gewesen war, Knecht werden oder innerhalb dessen das Bürgerrecht einbüßen; sollte er zur Strafe die Freiheit und, was dasselbe war, das Bürgerrecht verlieren, so mußte er ausgeschieden werden aus dem Staat und bei Fremden in die Knechtschaft eintreten. Diesen Rechtssatz erstreckte man auf das gesamte Bundesgebiet; kein Glied eines der Bundesstaaten sollte als Knecht leben können innerhalb der gesamten Eidgenossenschaft. Anwendungen davon sind die in die Zwölf Tafeln aufgenommene Bestimmung, daß der zahlungsunfähige Schuldner, wenn der Gläubiger ihn verkaufen wolle, verkauft werden müsse jenseits der Tibergrenze, das heißt außerhalb des Bundesgebietes, und die Klausel des zweiten Vertrags zwischen Rom und Karthago, daß der von den Karthagern gefangene römische Bundesgenosse frei sein solle, so wie er einen römischen Hafen betrete. Wenngleich allgemeine Ehegemeinschaft innerhalb des Bundes wahrscheinlich nicht bestand, so sind dennoch Zwischenehen zwischen den verschiedenen Gemeinden, wie dies schon früher bemerkt worden ist, häufig vorgekommen. Die politischen Rechte konnte zunächst jeder Latiner nur da ausüben, wo er eingebürgert war; dagegen lag es im Wesen der privatrechtlichen Gleichheit, daß jeder Latiner an jedem latinischen Orte sich niederlassen konnte, oder, nach heutiger Terminologie, es bestand neben den besonderen Bürgerrechten der einzelnen Gemeinden ein allgemeines eidgenössisches Niederlassungsrecht; und seitdem der Plebejer in Rom als Bürger anerkannt war, wandelte sich dieses Recht Rom gegenüber um in volle Freizügigkeit. Daß dies wesentlich zum Vorteil der Hauptstadt ausschlug, die allein in Latium städtischen Verkehr, städtischen Erwerb, städtische Genüsse darzubieten hatte, und daß die Zahl der Insassen in Rom sich reißend schnell vermehrte, seit die latinische Landschaft im ewigen Frieden mit Rom lebte, ist begreiflich.

In Verfassung und Verwaltung blieb nicht bloß die einzelne Gemeinde selbständig und souverän, soweit nicht die Bundespflichten eingriffen, sondern, was mehr bedeutet, es blieb dem Bunde der dreißig Gemeinden als solchem Rom gegenüber die Autonomie. Wenn versichert wird, daß Albas Stellung zu den Bundesgemeinden eine überlegenere gewesen sei als die Roms, und daß die letzteren durch Albas Sturz die Autonomie erlangt hätten, so ist dies insofern wohl möglich, als Alba wesentlich Bundesglied war, Rom von Haus aus mehr als Sonderstaat dem Bunde gegenüber als innerhalb desselben stand; aber es mag, eben wie die Rheinbundstaaten formell souverän waren, während die deutschen Reichsstaaten einen Herrn hatten, der Sache nach vielmehr Albas Vorstandschaft gleich der des deutschen Kaisers ein Ehrenrecht, Roms Protektorat von Haus aus wie das napoleonische eine Oberherrlichkeit gewesen sein. In der Tat scheint Alba im Bundesrat den Vorsitz geführt zu haben, während Rom die latinischen Abgeordneten selbständig, unter Leitung, wie es scheint, eines aus ihrer Mitte gewählten Vorsitzenden, ihre Beratungen abhalten ließ und sich begnügte mit der Ehrenvorstandschaft bei dem Bundesopferfest für Rom und Latium und mit der Errichtung eines zweiten Bundesheiligtums in Rom, des Dianatempels auf dem Aventin, so daß von nun an teils auf römischem Boden für Rom und Latium, teils auf latinischem für Latium und Rom geopfert ward. Nicht minder im Interesse des Bundes war es, daß die Römer in dem Vertrag mit Latium sich verpflichteten, mit keiner latinischen Gemeinde ein Sonderbündnis einzugehen – eine Bestimmung, aus der die ohne Zweifel wohlbegründete Besorgnis der Eidgenossenschaft gegenüber der mächtigen leitenden Gemeinde sehr klar heraussieht. Am deutlichsten zeigt sich die Stellung Roms nicht innerhalb, sondern neben Latium in dem Kriegswesen. Die Bundesstreitmacht ward, wie die spätere Weise des Aufgebots unwidersprechlich zeigt, gebildet aus zwei gleich starken Massen, einer römischen und einer latinischen. Das Oberkommando stand ein für allemal bei den römischen Feldherren; Jahr für Jahr hatte der latinische Zuzug vor den Toren Roms sich einzufinden und begrüßte hier den erwählten Befehlshaber durch Zuruf als seinen Feldherrn, nachdem die vom latinischen Bundesrat dazu beauftragten Römer sich aus der Beobachtung des Vögelflugs der Zufriedenheit der Götter mit der getroffenen Wahl versichert hatten. Was im Bundeskrieg an Land und Gut gewonnen war, wurde nach dem Ermessen der Römer unter die Bundesglieder verteilt. Daß dem Ausland gegenüber die römisch-latinische Föderation nur durch Rom vertreten worden ist, läßt sich nicht mit Sicherheit behaupten. Der Bundesvertrag untersagte weder Rom noch Latium, auf eigene Hand einen Angriffskrieg zu beginnen; und wenn, sei es nach Bundesschluß, sei es infolge eines feindlichen Überfalls, ein Bundeskrieg geführt ward, so mag bei der Führung wie bei der Beendigung desselben auch der latinische Bundesrat rechtlich beteiligt gewesen sein. Tatsächlich freilich wird Rom damals schon die Hegemonie besessen haben, wie denn, wo immer ein einheitlicher Staat und ein Staatenbund in eine dauernde Verbindung zueinander treten, das Übergewicht auf die Seite von jenem zu fallen pflegt.

Wie nach Albas Fall Rom, jetzt sowohl die Herrin eines verhältnismäßig bedeutenden Gebietes als auch vermutlich die führende Macht innerhalb der latinischen Eidgenossenschaft, sein unmittelbares und mittelbares Gebiet weiter ausgedehnt hat, können wir nicht mehr verfolgen. Mit den Etruskern, zunächst den Veientern, hörten die Fehden namentlich um den Besitz von Fidenae nicht auf; es scheint aber nicht, daß es den Römern gelang, diesen auf dem latinischen Ufer des Flusses nur eine starke Meile von Rom gelegenen etruskischen Vorposten dauernd in ihre Gewalt zu bringen und die Veienter aus dieser gefährlichen Offensivbasis zu verdrängen. Dagegen behaupten sie sich, wie es scheint, unangefochten im Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer der Tibermündung. Den Sabinern und Aequern gegenüber erscheint Rom in einer mehr überlegenen Stellung; von der späterhin so engen Verbindung mit den entfernteren Hernikern werden wenigstens die Anfänge schon in der Königszeit bestanden und die vereinigten Latiner und Herniker ihre östlichen Nachbarn von zwei Seiten umfaßt und niedergehalten haben. Der beständige Kriegsschauplatz aber war die Südgrenze, das Gebiet der Rutuler und mehr noch das der Volsker. Nach dieser Richtung hat die latinische Landschaft sich am frühesten erweitert, und hier begegnen wir zuerst den von Rom und Latium in dem feindlichen Lande begründeten und als autonome Glieder der latinischen Eidgenossenschaft konstituierten Gemeinden, den sogenannten latinischen Kolonien, von denen die ältesten noch in die Königszeit hineinzureichen scheinen. Wie weit indes das römische Machtgebiet um das Ende der Königszeit sich erstreckte, läßt sich in keiner Weise bestimmen. Von Fehden mit den benachbarten latinischen und volskischen Gemeinden ist in den römischen Jahrbüchern der Königszeit genug und nur zuviel die Rede; aber kaum dürften wenige einzelne Meldungen, wie etwa die der Einnahme von Suessa in der pomptinischen Ebene, einen geschichtlichen Kern enthalten. Daß die Königszeit nicht bloß die staatlichen Grundlagen Roms gelegt, sondern auch nach außen hin Roms Macht begründet hat, läßt sich nicht bezweifeln; die Stellung der Stadt Rom mehr gegenüber als in dem latinischen Staatenbund ist bereits im Beginn der Republik entschieden gegeben und läßt erkennen, daß in Rom schon in der Königszeit eine energische Machtentfaltung nach außen hin stattgefunden haben muß. Gewiß sind große Taten, ungemeine Erfolge hier verschollen; aber der Glanz derselben ruht auf der Königszeit Roms, vor allem auf dem königlichen Hause der Tarquinier, wie ein fernes Abendrot, in dem die Umrisse verschwimmen.

So war der latinische Stamm im Zuge, sich unter der Führung Roms zu einigen und zugleich sein Gebiet nach Osten und Süden hin zu erweitern; Rom selbst aber war durch die Gunst der Geschicke und die Kraft der Bürger aus einer regsamen Handels- und Landstadt der mächtige Mittelpunkt einer blühenden Landschaft geworden. Die Umgestaltung der römischen Kriegsverfassung und die darin im Keim enthaltene politische Reform, welche uns unter dem Namen der Servianischen Verfassung bekannt ist, steht im engsten Zusammenhang mit dieser innerlichen Umwandlung des römischen Gemeindewesens. Aber auch äußerlich mußte mit den reicher strömenden Mitteln, mit den steigenden Anforderungen, mit dem erweiterten politischen Horizont der Charakter der Stadt sich ändern. Die Verschmelzung der quirinalischen Nebengemeinde mit der palatinischen muß bereits vollzogen gewesen sein, als die sogenannte Servianische Reform stattfand; seit in dieser die Bürgerwehr sich in festen und einheitlichen Formen zusammengenommen hatte, konnte die Bürgerschaft nicht dabei beharren, die einzelnen Hügel, wie sie nacheinander mit Gebäuden sich gefüllt hatten, zu verschanzen und etwa noch zur Beherrschung des Tiberlaufes die Flußinsel und die Höhe am entgegengesetzten Ufer besetzt zu halten. Die Hauptstadt von Latium verlangte ein anderes und abgeschlossenes Verteidigungssystem: man schritt zu dem Bau der Servianischen Mauer. Der neue, zusammenhängende Stadtwall begann am Fluß unterhalb des Aventin und umschloß diesen Hügel, an dem neuerdings (1855) an zwei Stellen, teils am westlichen Abhang gegen den Fluß zu, teils an dem entgegengesetzten östlichen, die kolossalen Überreste dieser uralten Befestigungen zum Vorschein gekommen sind, Mauerstücke von der Höhe derjenigen von Alatri und Ferentino, aus mächtigen, viereckig behauenen Tuffblöcken unregelmäßig geschichtet, die wiedererstandenen Zeugen einer gewaltigen Epoche, deren Bauten in diesen Felswänden unvergänglich dastehen und deren geistige Taten unvergänglicher als diese in Ewigkeit fortwirken werden. Weiter umfaßte der Mauerring den Caelius und den ganzen Raum des Esquilin, Viminal und Quirinal, wo ein ebenfalls erst vor kurzem (1862) wieder in größeren Resten zu Tage gekommener Bau, nach außen von Peperinblöcken aufgesetzt und durch einen vorgezogenen Graben geschützt, nach innen in einen mächtigen, gegen die Stadt zu abgeböschten und noch heute imponierenden Erddamm auslaufend, den Mangel der natürlichen Verteidigungsmittel ersetzte, lief von da zum Kapitol, dessen steile Senkung gegen das Marsfeld zu einen Teil des Stadtwalls ausmachte, und stieß oberhalb der Tiberinsel zum zweitenmal an den Fluß. Die Tiberinsel nebst der Pfahlbrücke und das Ianiculum gehörten nicht zur eigentlichen Stadt, wohl aber war die letztere Höhe ein befestigtes Vorwerk. Wenn ferner bisher der Palatin die Burg gewesen war, so wurde dieser Hügel jetzt dem freien städtischen Anbau überlassen und dagegen auf dem nach allen Seiten hin freistehenden und bei seinem mäßigen Umfang leicht zu verteidigenden tarpeischen Hügel die neue „Burg“ (arx, capitolium)Die Bestimmung, ne quis patricius in arce aut capitolio habitaret, untersagte wohl nur die Umwandlung des Bodens in Privateigentum, nicht die Anlegung der Wohnhäuser. Vgl. W. A. Becker Topographie der Stadt Rom (Becker, Handbuch, 1). Leipzig 1843, S. 386.; und der Raum zwischen den beiden Spitzen des Hügels, das Heiligtum des argen Gottes (Ve-diovis) oder, wie die spätere hellenisierende Epoche es nannte, das Asyl war mit Wald bedeckt und vermutlich bestimmt, die Bauern mit ihren Herden aufzunehmen, wenn Überschwemmung oder Krieg sie von der Ebene vertrieb. Das Kapitol war dem Namen wie der Sache nach die Akropole Roms, ein selbständiges, auch noch nach dem Fall der Stadt verteidigungsfähiges Kastell, dessen Tor wahrscheinlich nach dem späteren Markt zu gelegen hatEs kommen vier solcher Gilden vor: 1. die Capitolini (Cic. ad Q. fr. 2, 5, 2) mit eigenen magistri (Henzen 6010, 6011) und jährlichen Spielen (Liv. 5, 50); vgl. zu CIL I, 805; 2. die Mercuriales (Liv. 2, 27; Cic. a.a.O.; Preller, Römische Mythologie. Berlin 1858. Bd. 1, S. 597) ebenfalls mit magistri (Henzen 6010), die Gilde aus dem Circustal, wo der Mercurtempel sich befand; 3. die pagani Aventinenses ebenfalls mit magistri (Henzen 6010); 4. die pagani pagi Ianiculensis ebenfalls mit magistri (CIL I, 801, 802). Es ist gewiß nicht zufällig, daß diese vier Gilden, die einzigen derartigen, die in Rom vorkommen, eben den von den vier örtlichen Tribus aus-, aber von der Servianischen Mauer eingeschlossenen beiden Hügeln, dem Kapitol und dem Aventin, und dem zu derselben Befestigung gehörigen Ianiculum angehören; und damit steht weiter im Zusammenhang, daß als Bezeichnung der gesamten städtischen Eingesessenen Roms montani paganive gebraucht wird – vgl. außer der bekannten Stelle Cic. dom. 28; 74 besonders das Gesetz über die städtischen Wasserleitungen bei Festus unter sifus p. 340: [mon]tani paganive si[fis aquam dividunto]. Die montani, eigentlich die Bewohner der palatinischen drei Bezirke, scheinen hier a potiori für die ganze eigentliche Stadtbürgerschaft der vier Quartiere gesetzt zu sein; die pagani sind sicher die außerhalb der Tribus stehenden Genossenschaften von Aventin und Ianiculum und die analogen Kollegien vom Kapitol und dem Circustal. . Der von der neuen Stadtmauer umschlossene Raum umfaßte also außer der bisherigen palatinischen und quirinalischen Stadt noch die beiden Bundesfestungen des Kapitol und des Aventin, ferner das IaniculumSowohl die Lage der beiden Tempel als das ausdrückliche Zeugnis des Dionysios (2, 25), daß der Vestatempel außerhalb der Roma quadrata lag, bezeugen es, daß diese Anlagen nicht mit der palatinischen, sondern mit der zweiten (Servianischen) Stadtgründung im Zusammenhang stehen; und wenn den Späteren dieses Königshaus mit dem Vestatempel als Anlage Numas gilt, so ist die Ursache dieser Annahme zu offenbar, um darauf Gewicht zu legen.. Längs der beiden Langseiten des Marktes reihten sich die Fleischbuden und andere Kaufläden. In dem Tal zwischen Aventin und Palatin ward für die Rennspiele der „Ring“ abgesteckt; das ward der Circus. Unmittelbar am Flusse ward der Rindermarkt angelegt und bald entstand hier eines der am dichtesten bevölkerten Quartiere. Auf allen Spitzen erhoben sich Tempel und Heiligtümer, vor allem auf dem Aventin das Bundesheiligtum der Diana und auf der Höhe der Burg der weithin sichtbare Tempel des Vater Diovis, der seinem Volk all diese Herrlichkeit gewährt hatte und nun, wie die Römer über die umliegenden Nationen, so mit ihnen über die unterworfenen Götter der Besiegten triumphierte.

Die Namen der Männer, auf deren Geheiß diese städtischen Großbauten sich erhoben, sind nicht viel weniger verschollen, als die der Führer in den ältesten römischen Schlachten und Siegen. Die Sage freilich knüpft die verschiedenen Werke an verschiedene Könige an, das Rathaus an Tullus Hostilius, das Ianiculum und die Holzbrücke an Ancus Marcius, die große Kloake, den Circus, den Jupitertempel, an Tarquinius den Älteren, den Dianatempel und den Mauerring an Servius Tullius. Manche dieser Angaben mögen richtig sein, und es scheint nicht zufällig, daß der Bau des neuen Mauerrings mit der neuen Heeresordnung, die ja auf die stetige Verteidigung der Stadtwälle wesentliche Rücksicht nahm, auch der Zeit und dem Urheber nach zusammengestellt wird. Im ganzen aber wird man sich begnügen müssen, aus dieser Überlieferung zu entnehmen, was schon an sich einleuchtet, daß diese zweite Schöpfung Roms mit der Anbahnung der Hegemonie über Latium und mit der Umschaffung des Bürgerheeres im engsten Zusammenhange stand; und daß sie zwar aus einem und demselben großen Gedanken hervorgegangen, übrigens aber weder eines Mannes noch eines Menschenalters Werk ist. Daß auch in diese Umgestaltung des römischen Gemeindewesens die hellenische Anregung mächtig eingegriffen hat, ist ebenso unzweifelhaft, als es unmöglich ist, die Art und den Grad dieser Einwirkung darzutun. Es wurde schon bemerkt, daß die Servianische Militärverfassung wesentlich hellenischer Art ist, und daß die Circusspiele nach hellenischem Muster geordnet wurden, wird später gezeigt werden. Auch das neue Königshaus mit dem Stadtherd ist vollständig ein griechisches Prytaneion und der runde, nach Osten schauende und nicht einmal von den Auguren eingeweihte Vestatempel in keinem Stück nach italischem, sondern durchaus nach hellenischem Ritus erbaut. Es scheint danach durchaus nicht unglaublich, was die Überlieferung meldet, daß der römisch-latinischen Eidgenossenschaft die ionische in Kleinasien gewissermaßen als Muster diente und darum auch das neue Bundesheiligtum auf dem Aventin dem ephesischen Artemision nachgebildet ward.

8. Kapitel


8. Kapitel

Die umbrisch-sabellischen Stämme. Anfänge der Samniten

Später als die der Latiner scheint die Wanderung der umbrischen Stämme begonnen zu haben, die gleich der latinischen sich südwärts bewegte, jedoch mehr in der Mitte der Halbinsel und gegen die östliche Küste zu sich hielt. Es ist peinlich, davon zu reden, denn die Kunde davon kommt zu uns wie der Klang der Glocken aus der im Meer versunkenen Stadt. Das Volk der Umbrer dehnt noch Herodotos bis an die Alpen aus, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß sie in ältester Zeit ganz Norditalien innehatten, bis wo im Osten die illyrischen Stämme begannen, im Westen die Ligurer, von deren Kämpfen mit den Umbrern es Sagen gibt, und auf deren Ausdehnung in ältester Zeit gegen Süden zu einzelne Namen, zum Beispiel der der Insel Ilva (Elba), verglichen mit den ligurischen Ilvates, vielleicht einen Schluß gestatten. Dieser Epoche der umbrischen Größe mögen die offenbar italischen Namen der ältesten Ansiedlungen im Potal, Atria (Schwarzstadt) und Spina (Dornstadt), sowie die zahlreichen umbrischen Spuren in Südetrurien (Fluß Umbro, Camars alter Name von Clusium, Castrum Amerinum) ihren Ursprung verdanken. Ganz besonders begegnen dergleichen Anzeichen einer der etruskischen voraufgegangenen italischen Bevölkerung in dem südlichen Strich Etruriens zwischen dem Ciminischen Wald (unterhalb Viterbo) und dem Tiber. In Falerii, der Grenzstadt Etruriens gegen Umbrien und das Sabinerland, ward nach Strabons Zeugnis eine andere Sprache geredet als die etruskische, und neuerdings sind daselbst derartige Inschriften zum Vorschein gekommen, deren Alphabet und Sprache zwar auch mit dem Etruskischen Berührungspunkte hat, aber doch im allgemeinen dem Latinischen analog istIn dem Alphabet ist besonders bemerkenswert, das r von der lateinischen (R), nicht von der etruskischen Form (D) und das z (); es kann nur aus dem primitiven lateinischen abgeleitet sein und wird dies sehr getreu darstellen. Die Sprache steht ebenfalls dem ältesten Latein nah; Marci Acarcelini he cupa, das ist Marcius Acarcelinius heic cubat; Menerva A. Cotena La. f. …. zenatuo sentem …. dedet cuando … cuncaptum, das ist Minervae A(ulus?) Cotena La(rtis) f(ilius) . . de senatus sententia dedit quando (wohl = olim) conceptum. Zugleich mit diesen und ähnlichen haben sich einige andere Inschriften gefunden von abweichender und unzweifelhaft etruskischer Sprache und Schrift.. Auch der Lokalkult zeigt sabellische Spuren; in denselben Kreis gehören die uralten, auch sakralen Beziehungen zwischen Caere und Rom. Wahrscheinlich haben die Etrusker diese südlichen Striche bedeutend später als die Landschaft nordwärts vom Ciminischen Wald den Umbrern entrissen und hat sogar noch nach der tuskischen Eroberung umbrische Bevölkerung sich hier gehalten. Die später nach der römischen Eroberung im Vergleich mit dem zähen Festhalten etruskischer Sprache und Sitte im nördlichen Etrurien so auffallend schnell erfolgende Latinisierung der südlichen Landschaft findet vermutlich eben hierin ihren letzten Grund. Daß von Norden und Westen her die Umbrer nach harten Kämpfen zurückgedrängt wurden in das enge Bergland zwischen den beiden Armen des Apennin, das sie später innehaben, bezeichnet schon ihre geographische Lage ebenso deutlich, wie heutzutage die der Bewohner Graubündens und die der Basken ihre ähnlichen Schicksale andeutet; auch die Sage weiß zu berichten, daß die Tusker den Umbrern dreihundert Städte entrissen haben, und, was mehr ist, in den Nationalgebeten der umbrischen Iguviner, die wir noch besitzen, werden nebst anderen Stämmen vor allem die Tusker als Landesfeinde verwünscht.

Vermutlich infolge dieses von Norden her auf sie geübten Druckes dringen die Umbrer vor gegen Süden, im allgemeinen sich haltend auf dem Gebirgszug, da sie die Ebenen schon von den latinischen Stämmen besetzt fanden, jedoch ohne Zweifel das Gebiet ihrer Stammverwandten oft betretend und beschränkend und mit ihnen sich um so leichter vermischend, als der Gegensatz in Sprache und Weise damals noch bei weitem nicht so scharf ausgeprägt sein konnten, wie wir später ihn finden. In diesen Kreis gehört, was die Sage zu erzählen weiß von dem Eindringen der Reatiner und Sabiner in Latium und ihren Kämpfen mit den Römern; ähnliche Erscheinungen mögen sich längs der ganzen Westküste wiederholt haben. Im ganzen behaupten die Sabiner sich in den Bergen, so in der von ihnen seitdem benannten Landschaft neben Latium und ebenso in dem Volskerland, vermutlich, weil die latinische Bevölkerung hier fehlte oder doch minder dicht war; während anderseits die wohlbevölkerten Ebenen besser Widerstand zu leisten vermochten, ohne indes das Eindringen einzelner Genossenschaften, wie der Titier und später der Claudier in Rom, ganz abwehren zu können oder zu wollen. So mischten sich hier die Stämme hüben und drüben, woraus sich auch erklärt, weshalb die Volsker mit den Latinern in zahlreichen Beziehungen stehen und nachher dieser Strich sowie die Sabina so früh und so schnell sich latinisieren konnten.

Der Hauptstock des umbrischen Stammes aber warf sich aus der Sabina östlich in die Gebirge der Abruzzen und das südlich an diese sich anschließende Hügelland: sie besetzten auch hier wie an der Westküste die bergigen Striche, deren dünne Bevölkerung den Einwanderern wich oder sich unterwarf, während dagegen in dem ebenen apulischen Küstenland die alte einheimische Bevölkerung der Iapyger, zwar unter steten Fehden, namentlich an der Nordgrenze um Luceria und Arpi, doch im ganzen sich behauptete. Wann diese Wanderungen stattfanden, läßt sich natürlich nicht bestimmen; vermutlich aber doch um die Zeit, wo in Rom die Könige herrschten. Die Sage erzählt, daß die Sabiner, gedrängt von den Umbrern, einen Lenz gelobten, das heißt schwuren, die in dem Kriegsjahre geborenen Söhne und Töchter, nachdem sie erwachsen wären, preiszugeben und über die Landesgrenze zu schaffen, damit die Götter sie nach ihrem Gefallen verderben oder auswärts ihnen neue Sitze bescheren möchten. Den einen Schwarm führte der Stier des Mars: das wurden die Safiner oder Samniten, die zuerst sich festsetzten auf den Bergen am Sagrusfluß und in späterer Zeit von da aus die schöne Ebene östlich vom Matesegebirg an den Quellen des Tifernus besetzten und im alten wie im neuen Gebiet ihre Dingstätte, dort bei Agnone, hier bei Bojano gelegen, von dem Stier, der sie leitete, Bovianum nannten. Einen zweiten Haufen führte der Specht des Mars: das wurden die Picenter, das Spechtvolk, das die heutige anconitanische Mark gewann; einen dritten der Wolf (hirpus) in die Gegend von Benevent: das wurden die Hirpiner. In ähnlicher Weise zweigten von dem gemeinschaftlichen Stamm sich die übrigen kleinen Völkerschaften ab: die Praetuttier bei Teramo, die Vestiner am Gran Sasso, die Marruciner bei Chieti, die Frentaner an der apulischen Grenze, die Paeligner am Majellagebirg, die Marser endlich am Fuciner See, diese mit den Volskern und den Latinern sich berührend. In ihnen allen blieb das Gefühl der Verwandtschaft und der Herkunft aus dem Sabinerlande lebendig, wie es denn in jenen Sagen deutlich sich ausspricht. Während die Umbrer im ungleichen Kampf erlagen und die westlichen Ausläufer des gleichen Stammes mit der latinischen oder hellenischen Bevölkerung verschmolzen, gediehen die sabellischen Stämme in der Abgeschlossenheit des fernen Gebirgslandes, gleich entrückt dem Anstoß der Etrusker, der Latiner und der Griechen. Städtisches Leben entwickelte bei ihnen sich nicht oder nur in geringem Grad; von dem Großverkehr schloß ihre geographische Lage sie beinahe völlig aus und dem Bedürfnis der Verteidigung genügten die Bergspitzen und die Schutzburgen, während die Bauern wohnen blieben in den offenen Weilern oder auch, wo Quell und Wald oder Wiese einem jeden gefiel. So blieb denn auch die Verfassung, wie sie war; ähnlich wie bei den ähnlich gelegenen Arkadern in Hellas kam es hier nicht zur Inkorporation der Gemeinden, und es bildeten höchstens mehr oder minder lockere Eidgenossenschaften sich aus. Vor allem in den Abruzzen scheint die scharfe Sonderung der Bergtäler eine strenge Abgeschlossenheit der einzelnen Kantone hervorgerufen zu haben, sowohl unter sich wie gegen das Ausland; woher es kommt, daß diese Bergkantone in geringem Zusammenhang unter sich und in völliger Isolierung gegen das übrige Italien verharrt und trotz der Tapferkeit ihrer Bewohner weniger als irgendein anderer Teil der italischen Nation in die Entwicklung der Geschichte der Halbinsel eingegriffen haben. Dagegen ist das Volk der Samniten in dem östlichen Stamm der Italiker ebenso entschieden der Höhepunkt der politischen Entwicklung wie in dem westlichen das latinische. Seit früherer Zeit, vielleicht von der ersten Einwanderung an, umschloß ein vergleichungsweise festes politisches Band die samnitische Nation und gab ihr die Kraft, später mit Rom um den ersten Platz in Italien in ebenbürtigem Kampf zu ringen. Wann und wie das Band geknüpft ward, wissen wir ebensowenig als wir die Bundesverfassung kennen; das aber ist klar, daß in Samnium keine einzelne Gemeinde überwog und noch weniger ein städtischer Mittelpunkt den samnitischen Stamm zusammenhielt wie Rom den latinischen, sondern daß die Kraft des Landes in den einzelnen Bauernschaften, die Gewalt in der aus ihren Vertretern gebildeten Versammlung lag; sie war es, die erforderlichenfalls den Bundesfeldherrn ernannte. Damit hängt es zusammen, daß die Politik dieser Eidgenossenschaft nicht wie die römische aggressiv ist, sondern sich beschränkt auf die Verteidigung der Grenzen; nur im Einheitsstaat ist die Kraft so konzentriert, die Leidenschaft so mächtig, daß die Erweiterung des Gebiets planmäßig verfolgt wird. Darum ist denn auch die ganze Geschichte der beiden Völker vorgezeichnet in ihrem diametral auseinandergehenden Kolonisationssystem. Was die Römer gewannen, erwarb der Staat; was die Samniten besetzten, das eroberten freiwillige Scharen, die auf Landraub ausgingen und von der Heimat im Glück wie im Unglück preisgegeben waren. Doch gehören die Eroberungen, welche die Samniten an den Küsten des Tyrrhenischen und des Ionischen Meeres machten, erst einer späteren Periode an; während die Könige in Rom herrschten, scheinen sie selbst erst die Sitze sich gewonnen zu haben, in denen wir später sie finden. Als ein einzelnes Ereignis aus dem Kreise der durch diese samnitische Ansiedelung veranlaßten Völkerbewegungen ist der Überfall von Kyme durch Tyrrhener vom oberen Meer, Umbrer und Daunier im Jahre der Stadt 230 (524) zu erwähnen; es mögen sich, wenn man den allerdings sehr romantisch gefärbten Nachrichten trauen darf, hier, wie das bei solchen Zügen zu geschehen pflegt, die Drängenden und die Gedrängten zu einem Heer vereinigt haben, die Etrusker mit ihren umbrischen Feinden, mit diesen die von den umbrischen Ansiedlern südwärts gedrängten Iapyger. Indes das Unternehmen scheiterte; für diesmal gelang es noch der überlegenen hellenischen Kriegskunst und der Tapferkeit des Tyrannen Aristodemos, den Sturm der Barbaren von der schönen Seestadt abzuschlagen.

14. Kapitel


14. Kapitel

Maß und Schrift

Die Kunst des Messens unterwirft dem Menschen die Welt; durch die Kunst des Schreibens hört seine Erkenntnis auf, so vergänglich zu sein, wie er selbst ist; sie beide geben dem Menschen, was die Natur ihm versagte, Allmacht und Ewigkeit. Es ist der Geschichte Recht und Pflicht, den Völkern auch auf diesen Bahnen zu folgen.

Um messen zu können, müssen vor allen Dingen die Begriffe der zeitlichen, räumlichen und Gewichtseinheit und des aus gleichen Teilen bestehenden Ganzen, das heißt die Zahl und das Zahlensystem entwickelt werden. Dazu bietet die Natur als nächste Anhaltspunkte für die Zeit die Wiederkehr der Sonne und des Mondes oder Tag und Monat, für den Raum die Länge des Mannesfußes, der leichter mißt als der Arm, für die Schwere diejenige Last, welche der Mann mit ausgestrecktem Arm schwebend auf der Hand zu wiegen (librare) vermag oder das „Gewicht“ (libra). Als Anhalt für die Vorstellung eines aus gleichen Teilen bestehenden Ganzen liegt nichts so nahe als die Hand mit ihren fünf oder die Hände mit ihren zehn Fingern, und hierauf beruht das Dezimalsystem. Es ist schon bemerkt worden, daß diese Elemente alles Zählens und Messens nicht bloß über die Trennung des griechischen und lateinischen Stammes, sondern bis in die fernste Urzeit zurückreichen. Wie alt namentlich die Messung der Zeit nach dem Monde ist, beweist die Sprache; selbst die Weise, die zwischen den einzelnen Mondphasen verfließenden Tage nicht von der zuletzt eingetretenen vorwärts, sondern von der zunächst zu erwartenden rückwärts zu zählen, ist wenigstens älter als die Trennung der Griechen und Lateiner. Das bestimmteste Zeugnis für das Alter und die ursprüngliche Ausschließlichkeit des Dezimalsystems bei den Indogermanen gewährt die bekannte Übereinstimmung aller indogermanischen Sprachen in den Zahlwörtern bis hundert einschließlich. Was Italien anlangt, so sind hier alle ältesten Verhältnisse vom Dezimalsystem durchdrungen: es genügt, an die so gewöhnliche Zehnzahl der Zeugen, Bürgen, Gesandten, Magistrate, an die gesetzliche Gleichsetzung von einem Rind und zehn Schafen, an die Teilung des Gaues in zehn Kurien und überhaupt die durchstehende Dekuriierung, an die Limitation, den Opfer- und Ackerzehnten, das Dezimieren, den Vornamen Decimus zu erinnern. Dem Gebiet von Maß und Schrift angehörige Anwendungen dieses ältesten Dezimalsystems sind zunächst die merkwürdigen italischen Ziffern. Konventionelle Zahlzeichen hat es noch bei der Scheidung der Griechen und Italiker offenbar nicht gegeben. Dagegen finden wir für die drei ältesten und unentbehrlichsten Ziffern, für ein, fünf, zehn, drei Zeichen, I, V oder A, X, offenbar Nachbildungen des ausgestreckten Fingers, der offenen und der Doppelhand, welche weder den Hellenen noch den Phönikern entlehnt, dagegen den Römern, Sabellern und Etruskern gemeinschaftlich sind. Es sind die Ansätze zur Bildung einer national italischen Schrift und zugleich Zeugnisse von der Regsamkeit des ältesten, dem überseeischen voraufgehenden binnenländischen Verkehrs der Italiker; welcher aber der italischen Stämme diese Zeichen erfunden und wer von wem sie entlehnt hat, ist natürlich nicht auszumachen. Andere Spuren des rein dezimalen Systems sind auf diesem Gebiet sparsam; es gehören dahin der Vorsus, das Flächenmaß der Sabeller von 100 Fuß ins Gevierte und das römische zehnmonatliche Jahr. Sonst ist im allgemeinen in denjenigen italischen Maßen, die nicht an griechische Festsetzungen anknüpfen und wahrscheinlich von den Italikern vor Berührung mit den Griechen entwickelt worden sind, die Teilung des „Ganzen“ (as) in zwölf „Einheiten“ (unciae) vorherrschend. Nach der Zwölfzahl sind eben die ältesten latinischen Priesterschaften, die Kollegien der Salier und Arvalen sowie auch die etruskischen Städtebünde geordnet. Die Zwölfzahl herrscht im römischen Gewichtsystem, wo das Pfund (libra), und im Längenmaß, wo der Fuß (pes) in zwölf Teile zerlegt zu werden pflegen; die Einheit des römischen Flächenmaßes ist der aus dem Dezimal- und Duodezimalsystem zusammengesetzte „Trieb“ (actus) von 120 Fuß ins GevierteUrsprünglich sind sowohl „actus“ Trieb, wie auch das noch häufiger vorkommende Doppelte davon, „iugerum“, Joch, wie unser „Morgen“ nicht Flächen-, sondern Arbeitsmaße und bezeichnen dieser das Tage-, jener das halbe Tagewerk, mit Rücksicht auf die namentlich in Italien scharf einschneidende Mittagsruhe des Pflügers.. Im Körpermaß mögen ähnliche Bestimmungen verschollen sein.

Wenn man erwägt, worauf das Duodezimalsystem beruhen, wie es gekommen sein mag, daß aus der gleichen Reihe der Zahlen so früh und allgemein neben der Zehn die Zwölf hervorgetreten ist, so wird die Veranlassung wohl nur gefunden werden können in der Vergleichung des Sonnen- und Mondlaufs. Mehr noch als an der Doppelhand von zehn Fingern ist an dem Sonnenkreislauf von ungefähr zwölf Mondkreisläufen zuerst dem Menschen die tiefsinnige Vorstellung einer aus gleichen Einheiten zusammengesetzten Einheit aufgegangen und damit der Begriff eines Zahlensystems, der erste Ansatz mathematischen Denkens. Die feste duodezimale Entwicklung dieses Gedankens scheint national italisch zu sein und vor die erste Berührung mit den Hellenen zu fallen.

Als nun aber der hellenische Handelsmann sich den Weg an die italische Westküste eröffnet hatte, empfanden zwar nicht das Flächen-, aber wohl das Längenmaß, das Gewicht und vor allem das Körpermaß, das heißt diejenigen Bestimmungen, ohne welche Handel und Wandel unmöglich ist, die Folgen des neuen internationalen Verkehrs. Der älteste römische Fuß ist verschollen; der, den wir kennen und der in frühester Zeit bei den Römern in Gebrauch war, ist aus Griechenland entlehnt und wurde neben seiner neuen römischen Einteilung in Zwölftel auch nach griechischer Art in vier Hand- (palmus) und sechzehn Fingerbreiten (digitus) geteilt. Ferner wurde das römische Gewicht in ein festes Verhältnis zu dem attischen gesetzt, welches in ganz Sizilien herrschte, nicht aber in Kyme – wieder ein bedeutsamer Beweis, daß der latinische Verkehr vorzugsweise nach der Insel sich zog; vier römische Pfund wurden gleich drei attischen Minen oder vielmehr das römische Pfund gleich anderthalb sizilischen Litren oder Halbminen gesetzt. Das seltsamste und buntscheckigste Bild aber bieten die römischen Körpermaße teils in den Namen, die aus den griechischen entweder durch Verderbnis (amphora, modius nach μέδιμνος congius aus χοεύς, hemina, cyathus) oder durch Übersetzung (acetabulum von οξύβαφον) entstanden sind, während umgekehrt ξέστης Korruption von sextarius ist; teils in den Verhältnissen. Nicht alle, aber die gewöhnlichen Maße sind identisch: für Flüssigkeiten der Congius oder Chus, der Sextarius, der Cyathus, die beiden letzteren auch für trockene Waren, die römische Amphora ist im Wassergewicht dem attischen Talent gleichgesetzt und steht zugleich im festen Verhältnisse zu dem griechischen Metretes von 3 : 2, zu dem griechischen Medimnos von 2 : 1. Für den, der solche Schrift zu lesen versteht, steht in diesen Namen und Zahlen die ganze Regsamkeit und Bedeutung jenes sizilisch-latinischen Verkehrs geschrieben.

Die griechischen Zahlzeichen nahm man nicht auf; wohl aber benutzte der Römer das griechische Alphabet, als ihm dies zukam, um aus den ihm unnützen Zeichen der drei Hauchbuchstaben die Ziffern 50 und 1000, vielleicht auch die Ziffer 100 zu gestalten. In Etrurien scheint man auf ähnlichem Wege wenigstens das Zeichen für 100 gewonnen zu haben. Später setzte sich wie gewöhnlich das Ziffersystem der beiden benachbarten Völker ins gleiche, indem das römische im wesentlichen in Etrurien angenommen ward.

In gleicher Weise ist der römische und wahrscheinlich überhaupt der italische Kalender, nachdem er sich selbständig zu entwickeln begonnen hatte, später unter griechischen Einfluß gekommen. In der Zeiteinteilung drängt sich die Wiederkehr des Sonnenauf- und -unterganges und des Neu- und Vollmondes am unmittelbarsten dem Menschen auf; demnach haben Tag und Monat, nicht nach zyklischer Vorberechnung, sondern nach unmittelbarer Beobachtung bestimmt, lange Zeit ausschließlich die Zeit gemessen. Sonnenauf- und -untergang wurden auf dem römischen Markte durch den öffentlichen Ausrufer bis in späte Zeit hinab verkündigt, ähnlich vermutlich einstmals an jedem der vier Mondphasentage die von da bis zum nächstfolgenden verfließende Tagzahl durch die Priester abgerufen. Man rechnete also in Latium und vermutlich ähnlich nicht bloß bei den Sabellern, sondern auch bei den Etruskern nach Tagen, welche, wie schon gesagt, nicht von dem letztverflossenen Phasentag vorwärts, sondern von dem nächsterwarteten rückwärts gezählt wurden; nach Mondwochen, die bei der mittleren Dauer von 7⅜ Tagen zwischen sieben- und achttägiger Dauer wechselten; und nach Mondmonaten, die gleichfalls bei der mittleren Dauer des synodischen Monats von 29 Tagen 12 Stunden 44 Minuten bald neunundzwanzig-, bald dreißigtägig waren. Eine gewisse Zeit hindurch ist den Italikern der Tag die kleinste, der Mond die größte Zeiteinteilung geblieben. Erst späterhin begann man Tag und Nacht in je vier Teile zu zerlegen, noch viel später der Stundenteilung sich zu bedienen; damit hängt auch zusammen, daß in der Bestimmung des Tagesanfangs selbst die sonst nächstverwandten Stämme auseinandergehen, die Römer denselben auf die Mitternacht, die Sabeller und die Etrusker auf den Mittag setzen. Auch das Jahr ist, wenigstens als die Griechen von den Italikern sich schieden, noch nicht kalendarisch geordnet gewesen, da die Benennungen des Jahres und der Jahresteile bei den Griechen und den Italikern völlig selbständig gebildet sind. Doch scheinen die Italiker schon in der vorhellenischen Zeit wenn nicht zu einer festen kalendarischen Ordnung, doch zur Aufstellung sogar einer doppelten größeren Zeiteinheit fortgeschritten zu sein. Die bei den Römern übliche Vereinfachung der Rechnung nach Mondmonaten durch Anwendung des Dezimalsystems, die Bezeichnung einer Frist von zehn Monaten als eines „Ringes“ (annus) oder eines Jahrganzen trägt alle Spuren des höchsten Altertums an sich. Später, aber auch noch in einer sehr frühen und unzweifelhaft ebenfalls jenseits der griechischen Einwirkung liegenden Zeit ist, wie schon gesagt wurde, das Duodezimalsystem in Italien entwickelt und, da es eben aus der Beobachtung des Sonnenlaufs als des Zwölffachen des Mondlaufs hervorgegangen ist, sicher zuerst und zunächst auf die Zeitrechnung bezogen worden; damit wird es zusammenhängen, daß in den Individualnamen der Monate – welche erst entstanden sein können, seit der Monat als Teil eines Sonnenjahres aufgefaßt wurde –, namentlich in den Namen des März und des Mai, nicht Italiker und Griechen, aber wohl die Italiker unter sich übereinstimmen. Es mag also das Problem, einen zugleich dem Mond und der Sonne entsprechenden praktischen Kalender herzustellen – diese in gewissem Sinne der Quadratur des Zirkels vergleichbare Aufgabe, die als unlösbar zu erkennen und zu beseitigen es vieler Jahrhunderte bedurft hat –, in Italien bereits vor der Epoche, wo die Berührungen mit den Griechen begannen, die Gemüter beschäftigt haben; indes diese rein nationalen Lösungsversuche sind verschollen. Was wir von dem ältesten Kalender Roms und einiger andern latinischen Städte wissen – über die sabellische und etruskische Zeitmessung ist überall nichts überliefert –, beruht entschieden auf der ältesten griechischen Jahresordnung, die der Absicht nach zugleich den Phasen des Mondes und den Sonnenfahrzeiten folgte und aufgebaut war auf der Annahme eines Mondumlaufs von 29½ Tagen, eines Sonnenumlaufs von 12½ Mondmonaten oder 368¾ Tagen und dem stetigen Wechsel der vollen oder dreißigtägigen und der hohlen oder neunundzwanzigtägigen Monate sowie der zwölf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, daneben aber durch willkürliche Aus- und Einschaltungen in einiger Harmonie mit den wirklichen Himmelserscheinungen gehalten ward. Es ist möglich, daß diese griechische Jahrordnung zunächst unverändert bei den Latinern in Gebrauch gekommen ist; die älteste römische Jahrform aber, die sich geschichtlich erkennen läßt, weicht zwar nicht im zyklischen Ergebnis und ebenso wenig in dem Wechsel der zwölf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, wohl aber wesentlich in der Benennung wie in der Abmessung der einzelnen Monate von ihrem Muster ab. Dies römische Jahr beginnt mit Frühlingsanfang; der erste Monat desselben und der einzige, der von einem Gott den Namen trägt, heißt nach dem Mars (Martius), die drei folgenden vom Sprossen (aprilis), Wachsen (maius) und Gedeihen (iunius), der fünfte bis zehnte von ihren Ordnungszahlen (quinctilis, sextilis, september, october, november, december), der elfte vom Anfangen (ianuarius, 1, 178), wobei vermutlich an den nach dem Mittwinter und der Arbeitsruhe folgenden Wiederbeginn der Ackerbestellung gedacht ist, der zwölfte und im gewöhnlichen Jahr der letzte vom Reinigen (februarius). Zu dieser im stetigen Kreislauf wiederkehrenden Reihe tritt im Schaltjahr noch ein namenloser „Arbeitsmonat“ (mercedonius) am Jahresschluß, also hinter dem Februar hinzu. Ebenso wie in den wahrscheinlich aus dem altnationalen herübergenommenen Namen der Monate ist der römische Kalender in der Dauer derselben selbständig: für die vier aus je sechs dreißig- und sechs neunundzwanzigtägigen Monaten und einem jedes zweite Jahr eintretenden, abwechselnd dreißig- und neunundzwanzigtägigen Schaltmonat zusammengesetzten Jahre des griechischen Zyklus (354 + 384 + 354 + 383 = 1475 Tage) sind in ihm gesetzt worden vier Jahre von je vier – dem ersten, dritten, fünften und achten – einunddreißig- und je sieben neunundzwanzigtägigen Monaten, ferner einem in drei Jahren acht-, in dem vierten neunundzwanzigtägigen Februar und einem jedes andere Jahr eingelegten siebenundzwanzigtägigen Schaltmonat (355 + 383 + 355 + 382 = 1475 Tage). Ebenso ging dieser Kalender ab von der ursprünglichen Einteilung des Monats in vier, bald sieben-, bald achttägige Wochen; er ließ die achttägige Woche ohne Rücksicht auf die sonstigen Kalenderverhältnisse durch die Jahre laufen, wie unsere Sonntage es tun, und setzte auf deren Anfangstage (noundinae) den Wochenmarkt. Er setzte daneben ein für allemal das erste Viertel in den einunddreißigtägigen Monaten auf den siebenten, in den neunundzwanzigtägigen auf den fünften, Vollmond in jenen auf den fünfzehnten, in diesen auf den dreizehnten Tag. Bei dem also fest geordneten Verlauf der Monate brauchte von jetzt ab allein die Zahl der zwischen dem Neumond und dem ersten Viertel liegenden Tage angekündigt zu werden; davon empfing der Tag des Neumonds den Namen des Rufetages (kalendae). Der Anfangstag des zweiten, immer achttägigen Zeitabschnitts des Monats wurde – der römischen Sitte gemäß, den Zieltag der Frist mit in dieselbe einzuzählen – bezeichnet als Neuntag (nonae). Der Tag des Vollmonds behielt den alten Namen idus (vielleicht Scheidetag). Das dieser seltsamen Neugestaltung des Kalenders zu Grunde liegende Motiv scheint hauptsächlich der Glaube an die heilbringende Kraft der ungeraden Zahl gewesen zu seinAus derselben Ursache sind sämtliche Festtage ungerade, sowohl die in jedem Monat wiederkehrenden (kalendae am 1., nonae am 5. oder 7., idus am 13. oder 15.) als auch, mit nur zwei Ausnahmen, die Tage der oben erwähnten 45 Jahresfeste. Dies geht so weit, daß bei mehrtägigen Festen dazwischen die geraden Tage ausfallen, also z. B. das der Carmentis am 11., 15. Januar, das Hainfest am 19., 21. Juli, die Gespensterfeier am 9., 11., 13. Mai begangen wird., und wenn er im allgemeinen an die älteste griechische Jahrform sich anlehnt, so tritt in seinen Abweichungen von dieser bestimmt der Einfluß der damals in Unteritalien übermächtigen, namentlich in Zahlenmystik sich bewegenden Lehren des Pythagoras hervor. Die Folge aber war, daß dieser römische Kalender, so deutlich er auch die Spur an sich trägt, sowohl mit dem Mond- wie mit dem Sonnenlauf harmonieren zu wollen, doch in der Tat mit dem Mondlauf keineswegs so übereinkam, wie wenigstens im ganzen sein griechisches Vorbild, den Sonnenfahrzeiten aber, eben wie der älteste griechische, nicht anders als mittels häufiger willkürlicher Ausschaltungen folgen konnte, und da man den Kalender schwerlich mit größerem Verstande gehandhabt als eingerichtet hat, höchst wahrscheinlich nur sehr unvollkommen folgte. Auch liegt in der Festhaltung der Rechnung nach Monaten oder, was dasselbe ist, nach zehnmonatlichen Jahren ein stummes, aber nicht mißzuverstehendes Eingeständnis der Unregelmäßigkeit und Unzuverlässigkeit des ältesten römischen Sonnenjahres. Seinem wesentlichen Schema nach wird dieser römische Kalender mindestens als allgemein latinisch angesehen werden können. Bei der allgemeinen Wandelbarkeit des Jahresanfangs und der Monatsnamen sind kleinere Abweichungen in der Bezifferung und den Benennungen mit der Annahme einer gemeinschaftlichen Grundlage wohl vereinbar; ebenso konnten bei jenem Kalenderschema, das tatsächlich von dem Mondumlauf absieht, die Latiner leicht zu ihren willkürlichen, etwa nach Jahrfesten abgegrenzten Monatlängen kommen, wie denn beispielsweise in den albanischen die Monate zwischen 16 und 36 Tagen schwanken. Wahrscheinlich also ist die griechische Trieteris von Unteritalien aus frühzeitig wenigstens nach Latium, vielleicht auch zu anderen italischen Stämmen gelangt und hat dann in den einzelnen Stadtkalendern weitere untergeordnete Umgestaltungen erfahren.

Zur Messung mehrjähriger Zeiträume konnte man sich der Regierungsjahre der Könige bedienen; doch ist es zweifelhaft, ob diese dem Orient geläufige Datierung in Griechenland und Italien in ältester Zeit vorgekommen ist. Dagegen scheint an die vierjährige Schaltperiode und die damit verbundene Schatzung und Sühnung der Gemeinde eine der griechischen Olympiadenzählung der Anlage nach gleiche Zählung der Lustren angeknüpft zu haben, die indes infolge der bald in der Abhaltung der Schatzungen einreißenden Unregelmäßigkeit ihre chronologische Bedeutung früh wieder eingebüßt hat.

Jünger als die Meßkunst ist die Kunst der Lautschrift. Die Italiker haben sowenig wie die Hellenen von sich aus eine solche entwickelt, obwohl in den italischen Zahlzeichen, etwa auch in dem uralt italischen und nicht aus hellenischem Einfluß hervorgegangenen Gebrauch des Losziehens mit Holztäfelchen, die Ansätze zu einer solchen Entwicklung gefunden werden können. Wie schwierig die erste Individualisierung der in so mannigfaltigen Verbindungen auftretenden Laute gewesen sein muß, beweist am besten die Tatsache, daß für die gesamte aramäische, indische, griechisch-römische und heutige Zivilisation ein einziges, von Volk zu Volk und von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanztes Alphabet ausgereicht hat und heute noch ausreicht; und auch dieses bedeutsame Erzeugnis des Menschengeistes ist gemeinsame Schöpfung der Aramäer und der Indogermanen. Der semitische Sprachstamm, in dem der Vokal untergeordneter Natur ist und nie ein Wort beginnen kann, erleichtert eben deshalb die Individualisierung des Konsonanten; weshalb denn auch hier das erste, der Vokale aber noch entbehrende Alphabet erfunden worden ist. Erst die Inder und die Griechen haben, jedes Volk selbständig und in höchst abweichender Weise, aus der durch den Handel ihnen zugeführten aramäischen Konsonantenschrift das vollständige Alphabet erschaffen durch Hinzufügung der Vokale, welche erfolgte durch die Verwendung von vier für die Griechen als Konsonantenzeichen unbrauchbarer Buchstaben für die vier Vokale a e i o und durch Neubildung des Zeichens für u, also durch Einführung der Silbe in die Schrift statt des bloßen Konsonanten, oder wie Palamedes bei Euripides sagt:

Heilmittel also ordnend der Vergessenheit
Fügt ich lautlos‘ und lautende in Silben ein
Und fand des Schreibens Wissenschaft den Sterblichen.

Dies aramäisch-hellenische Alphabet ist denn auch den Italikern zugebracht worden und zwar durch die italischen Hellenen, nicht aber durch die Ackerkolonien Großgriechenlands, sondern durch die Kaufleute etwa von Kyme oder Tarent, von denen es zunächst nach den uralten Vermittlungsstätten des internationalen Verkehrs in Latium und Etrurien, nach Rom und Caere gelangt sein wird. Das Alphabet, das die Italiker empfingen, ist keineswegs das älteste hellenische: es hatte schon mehrfache Modifikationen erfahren, namentlich den Zusatz der drei Buchstaben ξ φ χ und die Abänderung der Zeichen für υ γ λDie Geschichte des Alphabets bei den Hellenen besteht im wesentlichen darin, daß gegenüber dem Uralphabet von 23 Buchstaben, das heißt dem vokalisierten und mit dem u vermehrten phönikischen, die verschiedenartigsten Vorschläge zur Ergänzung und Verbesserung desselben gemacht worden sind und daß jeder dieser Vorschläge seine eigene Geschichte gehabt hat. Die wichtigsten dieser Vorschläge, die auch für die Geschichte der italischen Schrift im Auge zu behalten vor. Interesse ist, sind die folgenden.

  1. Einführung eigener Zeichen für die Laute ξ φ χ. Dieser Vorschlag ist so alt, daß mit einziger Ausnahme desjenigen der Inseln Thera, Melos und Kreta alle griechischen und schlechterdings alle aus dem griechischen abgeleiteten Alphabete unter dem Einfluß desselben stehen. Ursprünglich ging er wohl dahin, die Zeichen Χ ξι, Φ φι, Ψ χι dem Alphabet am Schluß anzufügen, und in dieser Gestalt hat er auf dem Festland von Hellas mit Ausnahme von Athen und Korinth und ebenso bei den sizilischen und italischen Griechen Annahme gefunden. Die kleinasiatischen Griechen dagegen und die der Inseln des Archipels, ferner auf dem Festland die Korinther scheinen, als dieser Vorschlag zu ihnen gelangte, für den Laut ~i bereits das fünfzehnte Zeichen des phönikischen Alphabets (Samech) Ξ im Gebrauch gehabt zu haben; sie verwendeten deshalb von den drei neuen Zeichen zwar das Φ auch für φι, aber das Χ nicht für ξι sondern für χι. Das dritte, ursprünglich für χι erfundene Zeichen ließ man wohl meistenteils fallen; nur im kleinasiatischen Festland hielt man es fest, gab ihm aber den Wert ψι. Der kleinasiatischen Schreibweise folgte auch Athen, nur daß hier nicht bloß das ψι, sondern auch das ξι nicht angenommen, sondern dafür wie früher der Doppelkonsonant geschrieben ward.
  2. Ebenso früh, wenn nicht noch früher, hat man sich bemüht, die naheliegende Verwechslung der Formen für i und s zu verhüten; denn sämtliche uns bekannte griechische Alphabete tragen die Spuren des Bestrebens, beide Zeichen anders und schärfer zu unterscheiden. Aber schon in ältester Zeit müssen zwei Änderungsvorschläge gemacht sein, deren jeder seinen eigenen Verbreitungskreis gefunden hat: entweder man verwendete für den Sibilanten, wofür das phönikische Alphabet zwei Zeichen, das vierzehnte (M) für sch und das achtzehnte (Σ) für s, darbot, statt des letzteren, lautlich angemesseneren vielmehr jenes – und so schrieb man in älterer Zeit auf den östlichen Inseln, in Korinth und Kerkyra und bei den italischen Achäern – oder man ersetzte das Zeichen des i durch einfachen Strich І, was bei weitem das Gewöhnlichere war und in nicht allzu später Zeit wenigstens insofern allgemein ward, als das gebrochene i 5 überall verschwand, wenngleich einzelne Gemeinden das s in der Form M auch neben dem І festhielten.
  3. Jünger ist die Ersetzung des leicht mit Γ γ zu verwechselnden λ Λ durch V, der wir in Athen und Böotien begegnen, während Korinth und die von Korinth abhängigen Gemeinden denselben Zweck dadurch erreichten, daß sie dem γ statt der haken- die halbkreisförmige Gestalt C gaben.
  4. Die ebenfalls der Verwechslung sehr ausgesetzten Formen für ρ Ρ p p und r P wurden unterschieden durch Umgestaltung des letzteren in R; welche jüngere Form nur den kleinasiatischen Griechen, den Kretern, den italischen Achäern und wenigen anderen Landschaften fremd geblieben ist, dagegen sowohl in dem eigentlichen wie in Großgriechenland und Sizilien weit überwiegt. Doch ist die ältere Form des r p hier nicht so früh und so völlig verschwunden wie die ältere Form des l; diese Neuerung fällt daher ohne Zweifel später.

Die Differenzierung des langen und kurzen e und des langen und kurzen o ist in älterer Zeit beschränkt geblieben auf die Griechen Kleinasiens und der Inseln des Ägäischen Meeres.

Alle diese technischen Verbesserungen sind insofern gleicher Art und geschichtlich von gleichem Wert, als eine jede derselben zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Orte aufgekommen ist und sodann ihren eigenen Verbreitungsweg genommen und ihre besondere Entwicklung gefunden hat. Die vortreffliche Untersuchung A. Kirchhoffs (Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. Gütersloh 1863), welche auf die bisher so dunkle Geschichte des hellenischen Alphabets ein helles Licht geworfen und auch für die ältesten Beziehungen zwischen Hellenen und Italikern wesentliche Daten ergeben, namentlich die bisher ungewisse Heimat des etruskischen Alphabets unwiderleglich festgestellt hat, leidet insofern an einer gewissen Einseitigkeit, als sie auf einen einzelnen dieser Vorschläge verhältnismäßig zu großes Gewicht legt. Wenn überhaupt hier Systeme geschieden werden sollen, darf man die Alphabete nicht nach der Geltung des X als ξ oder als χ in zwei Klassen teilen, sondern wird man das Alphabet von 23 und das von 25 oder 26 Buchstaben und etwa in dem letzteren noch das kleinasiatisch-ionische, aus dem das spätere Gemeinalphabet hervorgegangen ist, und das gemeingriechische der älteren Zeit zu unterscheiden haben. Es haben aber vielmehr im Alphabet die einzelnen Landschaften sich den verschiedenen Modifikationsvorschlägen gegenüber wesentlich eklektisch verhalten und ist der eine hier, der andere dort rezipiert worden. Eben insofern ist die Geschichte des griechischen Alphabets so lehrreich, als sie zeigt, wie in Handwerk und Kunst einzelne Gruppen der griechischen Landschaften die Neuerungen austauschten, andere in keinem solchen Wechselverhältnis standen. Was insbesondere Italien betrifft, so ist schon auf den merkwürdigen Gegensatz der achäischen Ackerstädte zu den chalkidischen und dorischen mehr kaufmännischen Kolonien aufmerksam gemacht worden; in jenen sind durchgängig die primitiven Formen festgehalten, in diesen die verbesserten Formen angenommen, selbst solche, die von verschiedenen Seiten kommend sich gewissermaßen widersprechen, wie das C Y neben dem V l. Die italischen Alphabete stammen, wie Kirchhoff gezeigt hat, durchaus von dem Alphabet der italischen Griechen und zwar von dem chalkidisch-dorischen her; daß aber die Etrusker und die Latiner nicht die einen von den andern, sondern beide unmittelbar von den Griechen das Alphabet empfingen, setzt besonders die verschiedene Form des r außer Zweifel. Denn während von den vier oben bezeichneten Modifikationen des Alphabets, die die italischen Griechen überhaupt angehen (die fünfte blieb auf Kleinasien beschränkt), die drei ersten bereits durchgeführt waren, bevor dasselbe auf die Etrusker und Latiner überging, war die Differenzierung von p und r noch nicht geschehen, als dasselbe nach Etrurien kam, dagegen wenigstens begonnen, als die Latiner es empfingen, weshalb für r die Etrusker die Form R gar nicht kennen, dagegen bei den Faliskern und den Latinern mit der einzigen Ausnahme des Dresselschen Tongefäßes ausschließlich die jüngere Form begegnet.

Welchen gewaltigen Eindruck die Erwerbung des Buchstabenschatzes auf die Empfänger machte und wie lebhaft sie die in diesen unscheinbaren Zeichen schlummernde Macht ahnten, beweist ein merkwürdiges Gefäß aus einer vor Erfindung des Bogens gebauten Grabkammer von Caere, worauf das altgriechische Musteralphabet, wie es nach Etrurien kam, und daneben ein daraus gebildetes etruskisches Syllabarium, jenem des Palamedes vergleichbar, verzeichnet ist – offenbar eine heilige Reliquie der Einführung und der Akklimatisierung der Buchstabenschrift in Etrurien.

Nicht minder wichtig als die Entlehnung des Alphabets ist für die Geschichte dessen weitere Entwicklung auf italischem Boden, ja vielleicht noch wichtiger; denn hierdurch fällt ein Lichtstrahl auf den italienischen Binnenverkehr, der noch weit mehr im Dunkeln liegt als der Verkehr an den Küsten mit den Fremden. In der ältesten Epoche der etruskischen Schrift, in der man sich im wesentlichen des eingeführten Alphabets unverändert bediente, scheint der Gebrauch desselben sich auf die Etrusker am Po und in der heutigen Toskana beschränkt zu haben; dieses Alphabet ist alsdann, offenbar von Atria und Spina aus, südlich an der Ostküste hinab bis in die Abruzzen, nördlich zu den Venetern und später sogar zu den Kelten an und in den Alpen, ja jenseits derselben gelangt, sodaß die letzten Ausläufer desselben bis nach Tirol und Steiermark reichen. Die jüngere Epoche geht aus von einer Reform des Alphabets, welche sich hauptsächlich erstreckt auf die Einführung abgesetzter Zeilenschrift, auf die Unterdrückung des o, das man im Sprechen vom u nicht mehr zu unterscheiden wußte, und auf die Einführung eines neuen Buchstabens f, wofür dem überlieferten Alphabet das entsprechende Zeichen mangelte. Diese Reform ist offenbar bei den westlichen Etruskern entstanden und hat, während sie jenseits des Apennin keinen Eingang fand, dagegen bei sämtlichen sabellischen Stämmen, zunächst bei den Umbrern sich eingebürgert; im weiteren Verlaufe sodann hat das Alphabet bei jedem einzelnen Stamm, den Etruskern am Arno und um Capua, den Umbrern und Samniten seine besonderen Schicksale erfahren, häufig die Mediae ganz oder zum Teil verloren, anderswo wieder neue Vokale und Konsonanten entwickelt. Jene westetruskische Reform des Alphabets aber ist nicht bloß so alt wie die ältesten in Etrurien gefundenen Gräber, sondern beträchtlich älter, da das erwähnte, wahrscheinlich in einem derselben gefundene Syllabarium das reformierte Alphabet bereits in einer wesentlich modifizierten und modernisierten Gestalt gibt; und da das reformierte selbst wieder, gegen das primitive gehalten, relativ jung ist, so versagt sich fast der Gedanke dem Zurückgehen in jene Zeit, wo dies Alphabet nach Italien gelangte.

Erscheinen sonach die Etrusker als die Verbreiter des Alphabets im Norden, Osten und Süden der Halbinsel, so hat sich dagegen das latinische Alphabet auf Latium beschränkt und hier im ganzen mit geringen Veränderungen sich behauptet; nur fielen γ κ und ζ ς allmählich lautlich zusammen, wovon die Folge war, daß je eins der homophonen Zeichen (κ ζ) aus der Schrift verschwand. In Rom waren diese nachweislich schon vor dem Ende des vierten Jahrhunderts der Stadt beseitigtDies ist die 1, 227 angeführte Inschrift der Spange von Praeneste. Dagegen hat selbst schon auf der ficoronischen Kiste c den späteren Wert von κ. kennt sie nicht. Wer nun erwägt, daß in den ältesten Abkürzungen der Unterschied von γ c und κ k noch regelmäßig durchgeführt wirdWenn dies richtig ist, so muß die Entstehung der Homerischen Gedichte, wenn auch natürlich nicht gerade die der uns vorliegenden Redaktion, weit vor die Zeit fallen, in welche Herodot die Blüte des Homeros setzt (100 vor Rom 850); denn die Einführung des hellenischen Alphabets in Italien gehört wie der Beginn des Verkehrs zwischen Hellas und Italien selbst erst der nachhomerischen Zeit an.. Für das hohe Alter der Schreibkunst in Rom sprechen auch sonst zahlreiche und deutliche Spuren. Die Existenz von Urkunden aus der Königszeit ist hinreichend beglaubigt: so des Sondervertrags zwischen Gabii und Rom, den ein König Tarquinius, und schwerlich der letzte dieses Namens, abschloß, und der, geschrieben auf das Fell des dabei geopferten Stiers, in dem an Altertümern reichen, wahrscheinlich dem gallischen Brande entgangenen Tempel des Sancus auf dem Quirinal aufbewahrt ward; des Bündnisses, das König Servius Tullius mit Latium abschloß und das noch Dionysios auf einer kupfernen Tafel im Dianatempel auf dem Aventin sah – freilich wohl in einer nach dem Brand mit Hilfe eines latinischen Exemplars hergestellten Kopie, denn daß man in der Königszeit schon in Metall grub, ist nicht wahrscheinlich. Auf den Stiftungsbrief dieses Tempels beziehen sich noch die Stiftungsbriefe der Kaiserzeit als auf die älteste derartige römische Urkunde und das gemeinschaftliche Muster für alle. Aber schon damals ritzte man (exarare, scribere verwandt mit scrobesEbenso altsächsisch writan eigentlich reißen, dann schreiben. ) oder malte (linere, daher littera) auf Blätter (folium), Bast (liber) oder Holztafeln (tabula, albuni), später auch auf Leder und Leinen. Auf leinene Rollen waren die heiligen Urkunden der Samniten wie der anagninischen Priesterschaft geschrieben, ebenso die ältesten, im Tempel der Göttin der Erinnerung (Iuno moneta) auf dem Kapitol bewahrten Verzeichnisse der römischen Magistrate. Es wird kaum noch nötig sein, zu erinnern an das uralte Marken des Hutviehs (scriptura), an die Anrede im Senat „Väter und Eingeschriebene“ (patres conscripti), an das hohe Alter der Orakelbücher, der Geschlechtsregister, des albanischen und des römischen Kalenders. Wenn die römische Sage schon in der frühesten Zeit der Republik von Hallen am Markte spricht, in denen die Knaben und Mädchen der Vornehmen lesen und schreiben lernten, so kann das, aber muß nicht notwendig erfunden sein. Nicht die Unkunde der Schrift, vielleicht nicht einmal der Mangel an Dokumenten hat uns die Kunde der ältesten römischen Geschichte entzogen, sondern die Unfähigkeit der Historiker derjenigen Zeit, die zur Geschichtsforschung berufen war, die archivalischen Nachrichten zu verarbeiten, und ihre Verkehrtheit, für die älteste Epoche Schilderung von Motiven und Charakteren, Schlachtberichte und Revolutionserzählungen zu begehren und über deren Erfindung zu vernachlässigen, was die vorhandene schriftliche Überlieferung dem ernsten und entsagenden Forscher nicht verweigert haben würde.

Die Geschichte der italischen Schrift bestätigt also zunächst die schwache und mittelbare Einwirkung des hellenischen Wesens auf die Sabeller im Gegensatz zu den westlicheren Völkern. Daß jene das Alphabet von den Etruskern, nicht von den Römern empfingen, erklärt sich wahrscheinlich daraus, daß sie das Alphabet schon besaßen, als sie den Zug auf den Rücken des Apennin antraten, die Sabiner wie die Samniten also dasselbe schon vor ihrer Entlassung aus dem Mutterlande in ihre neuen Sitze mitbrachten. Andererseits enthält diese Geschichte der Schrift eine heilsame Warnung gegen die Annahme, welche die spätere, der etruskischen Mystik und Altertumströdelei ergebene römische Bildung aufgebracht hat und welche die neuere und neueste Forschung geduldig wiederholt, daß die römische Zivilisation ihren Keim und ihren Kern aus Etrurien entlehnt habe. Wäre dies wahr, so müßte hier vor allem eine Spur sich davon zeigen; aber gerade umgekehrt ist der Keim der latinischen Schreibkunst griechisch, ihre Entwicklung so national, daß sie nicht einmal das so wünschenswerte etruskische Zeichen für f sich angeeignet hatDas Rätsel, wie die Latiner dazu gekommen sind, das griechische dem v entsprechende Zeichen für das lautlich ganz verschiedene f zu verwenden, hat die Spange von Praeneste gelöst mit ihrem fhefhaked für fecit und damit zugleich die Herleitung des lateinischen Alphabets von den chalkidischen Kolonien Unteritaliens bestätigt. Denn in einer, demselben Alphabet angehörigen böotischen Inschrift findet sich in dem Worte fhekadamoe (Gustav Meyer, Griechische Grammatik, § 244 a. E.) dieselbe Lautverbindung, und ein aspiriertes v mochte allerdings dem lateinischen f lautlich sich nähern.. Ja wo Entlehnung sich zeigt, in den Zahlzeichen, sind es vielmehr die Etrusker, die von den Römern wenigstens das Zeichen für 50 übernommen haben.

Endlich ist es charakteristisch, daß in allen italischen Stämmen die Entwicklung des griechischen Alphabets zunächst in einer Verderbung desselben besteht. So sind die Mediae in den sämtlichen etruskischen Dialekten untergegangen, während die Umbrer γ d, die Samniten d, die Römer γ einbüßten und diesen auch d mit r zu verschmelzen drohte. Ebenso fielen den Etruskern schon früh o und u zusammen, und auch bei den Lateinern finden sich Ansätze derselben Verderbnis. Fast das Umgekehrte zeigt sich bei den Sibilanten; denn während der Etrusker die drei Zeichen z s sch festhält, der Umbrer zwar das letzte wegwirft, aber dafür zwei neue Sibilanten entwickelt, beschränkt sich der Samnite und der Falisker auf s und z gleich dem Griechen, der spätere Römer sogar auf s allein. Man sieht, die feineren Lautverschiedenheiten wurden von den Einführern des Alphabets, gebildeten und zweier Sprachen mächtigen Leuten, wohl empfunden; aber nach der völligen Lösung der nationalen Schrift von dem hellenischen Mutteralphabet fielen allmählich die Mediae und ihre Tenues zusammen und wurden die Sibilanten und Vokale zerrüttet, von welchen Lautverschiebungen oder vielmehr Lautzerstörungen namentlich die erste ganz ungriechisch ist. Die Zerstörung der Flexions- und Derivationsformen geht mit dieser Lautzerrüttung Hand in Hand. Die Ursache dieser Barbarisierung ist also im allgemeinen keine andere als die notwendige Verderbnis, welche an jeder Sprache fortwährend zehrt, wo ihr nicht literarisch und rationell ein Damm entgegengesetzt wird; nur daß von dem, was sonst spurlos vorübergeht, hier in der Lautschrift sich Spuren bewahrten. Daß diese Barbarisierung die Etrusker in stärkerem Maße erfaßte als irgendeinen der italischen Stämme, stellt sich zu den zahlreichen Beweisen ihrer minderen Kulturfähigkeit; wenn dagegen, wie es scheint, unter den Italikern am stärksten die Umbrer, weniger die Römer, am wenigsten die südlichen Sabeller von der gleichen Sprachverderbnis ergriffen wurden, so wird der regere Verkehr dort mit den Etruskern, hier mit den Griechen wenigstens mit zu dieser Erscheinung beigetragen haben.

15. Kapitel


15. Kapitel

Die Kunst

Dichtung ist leidenschaftliche Rede, deren bewegter Klang die Weise; insofern ist kein Volk ohne Poesie und Musik. Allein zu den poetisch vorzugsweise begabten Nationen gehörte und gehört die italienische nicht; es fehlt dem Italiener die Leidenschaft des Herzens, die Sehnsucht, das Menschliche zu idealisieren und das Leblose zu vermenschlichen, und damit das Allerheiligste der Dichtkunst. Seinem scharfen Blick, seiner anmutigen Gewandtheit gelingen vortrefflich die Ironie und der Novellenton, wie wir sie bei Horaz und bei Boccaccio finden, der launige Liebes- und Liederscherz, wie Catullus und die guten neapolitanischen Volkslieder ihn zeigen, vor allem die niedere Komödie und die Posse. Auf italischem Boden entstand in alter Zeit die parodische Tragödie, in neuer das parodische Heldengedicht. In der Rhetorik und Schauspielkunst vor allem tat und tut es den Italienern keine andere Nation gleich. Aber in den vollkommenen Kunstgattungen haben sie es nicht leicht über Fertigkeiten gebracht, und keine ihrer Literaturepochen hat ein wahres Epos und ein echtes Drama erzeugt. Auch die höchsten in Italien gelungenen literarischen Leistungen, göttliche Gedichte wie Dantes Commedia und Geschichtbücher wie Sallustius und Macchiavelli, Tacitus und Colletta sind doch von einer mehr rhetorischen als naiven Leidenschaft getragen. Selbst in der Musik ist in alter wie in neuer Zeit das eigentlich schöpferische Talent weit weniger hervorgetreten als die Fertigkeit, die rasch zur Virtuosität sich steigert und an der Stelle der echten und innigen Kunst ein hohles und herzvertrocknendes Idol auf den Thron hebt. Es ist nicht das innerliche Gebiet, insoweit in der Kunst überhaupt ein Innerliches und ein Äußerliches unterschieden werden kann, das dem Italiener als eigene Provinz anheimgefallen ist; die Macht der Schönheit muß, um voll auf ihn zu wirken, nicht im Ideal vor seine Seele, sondern sinnlich ihm vor die Augen gerückt werden. Darum ist er denn auch in den bauenden und bildenden Künsten recht eigentlich zu Hause und darin in der alten Kulturepoche der beste Schüler des Hellenen, in der neuen der Meister aller Nationen geworden.

Es ist bei der Lückenhaftigkeit unserer Überlieferung nicht möglich, die Entwicklung der künstlerischen Ideen bei den einzelnen Völkergruppen Italiens zu verfolgen; und namentlich läßt sich nicht mehr von der italischen Poesie reden, sondern nur von der Poesie Latiums. Die latinische Dichtkunst ist wie jede andere ausgegangen von der Lyrik oder vielmehr von dem ursprünglichen Festjubel, in welchem Tanz, Spiel und Lied noch in ungetrennter Einheit sich durchdringen. Es ist dabei bemerkenswert, daß in den ältesten Religionsgebräuchen der Tanz und demnächst das Spiel weit entschiedener hervortreten als das Lied. In dem großen Feierzug, mit dem das römische Siegesfest eröffnet ward, spielten nächst den Götterbildern und den Kämpfern die vornehmste Rolle die ernsten und die lustigen Tänzer: jene geordnet in drei Gruppen, der Männer, der Jünglinge und der Knaben, alle in roten Röcken mit kupfernem Leibgurt, mit Schwertern und kurzen Lanzen, die Männer überdies behelmt, überhaupt in vollem Waffenschmuck; diese in zwei Scharen geteilt, der Schafe in Schafpelzen mit buntem Überwurf, der Böcke nackt bis auf den Schurz mit einem Ziegenfell als Umwurf. Ebenso waren vielleicht die älteste und heiligste von allen Priesterschaften die „Springer“ und durften die Tänzer (ludii, ludiones) überhaupt bei keinem öffentlichen Aufzug und namentlich bei keiner Leichenfeier fehlen, weshalb denn der Tanz schon in alter Zeit ein gewöhnliches Gewerbe ward. Wo aber die Tänzer erscheinen, da stellen auch die Spielleute oder, was in ältester Zeit dasselbe ist, die Flötenbläser sich ein. Auch sie fehlen bei keinem Opfer, bei keiner Hochzeit und bei keinem Begräbnis, und neben der uralten öffentlichen Priesterschaft der Springer steht gleich alt, obwohl im Range bei weitem niedriger, die Pfeifergilde (collegium tibicinum, 1, 205), deren echte Musikantenart bezeugt wird durch das alte und selbst der strengen römischen Polizei zum Trotz behauptete Vorrecht, an ihrem Jahresfest maskiert und süßen Weines voll auf den Straßen sich herumzutreiben. Wenn also der Tanz als ehrenvolle Verrichtung, das Spiel als untergeordnete, aber notwendige Tätigkeit auftritt und darum öffentliche Genossenschaften für beide bestellt sind, so erscheint die Dichtung mehr als ein Zufälliges und gewissermaßen Gleichgültiges, mochte sie nun für sich entstehen oder dem Tänzer zur Begleitung seiner Sprünge dienen.

Den Römern galt als das älteste dasjenige Lied, das in der grünen Waldeseinsamkeit die Blätter sich selber singen. Was der „günstige Geist“ (faunus, von favere) im Haine flüstert und flötet, das verkünden die, denen es gegeben ist, ihm zu lauschen, den Menschen wieder in rhythmisch gemessener Rede (casmen, später carmen, von canere). Diesen weissagenden Gesängen der vom Gott ergriffenen Männer und Frauen (vates) verwandt sind die eigentlichen Zaubersprüche, die Besprechungsformeln gegen Krankheiten und anderes Ungemach und die bösen Lieder, durch welche man dem Regen wehrt und den Blitz herabruft oder auch die Saat von einem Feld auf das andere lockt; nur daß in diesen wohl von Haus aus neben den Wort- auch reine Klangformeln erscheinenSo gibt der ältere Cato (agr. 160) als kräftig gegen Verrenkungen den Spruch: hauat hauat hauat ista pista sista damia bodannaustra, der vermutlich seinem Erfinder ebenso dunkel war, wie er es uns ist. Natürlich finden sich daneben auch Wortformeln; so z. B. hilft es gegen Gicht, wenn man nüchtern eines andern gedenkt und dreimal neunmal, die Erde berührend und ausspuckend, die Worte spricht: „Ich denke dein, hilf meinen Füßen. Die Erde empfange das Unheil, Gesundheit sei mein Teil“ (terra pestem teneto, salus hic maneto. Varro rust. 1, 2, 27).. Fester überliefert und gleich uralt sind die religiösen Litaneien, wie die Springer und andere Priesterschaften sie sangen und tanzten und von denen die einzige bis auf uns gekommene, ein wahrscheinlich als Wechselgesang gedichtetes Tanzlied der Ackerbrüder zum Preise des Mars, wohl auch hier eine Stelle verdient:

Enos, Lases, iuvate!
Ne velue rue, Marmar, sins incurrere in pleores!
Satur fu, fere Mars! Timen sali! sta! berber!
Semunis alternei advocapit conctos!
Enos, Marmar, invato!
Triumpe!
Nos, Lares, iuvate! Ne veluem (= malam luem) ruem (= ruinam), Mamers, sinas incurrere in plures! Satur esto, fere Mars! In limen insili! sta! verbera (limen?)! Semones alterni advocate cunctos! Nos, Mamers, iuvato! Tripudia! Die ersten fünf Zeilen werden je dreimal, der Schlußruf fünfmal wiederholt. Die Übersetzung ist vielfach unsicher, besonders der dritten Zeile.

Die drei Inschriften des Tongefäßes vom Quirinal lauten: ioue sat deiuosqoi med mitat nei ted endo gosmis uirgo sied – asted noisi ope toitesiai pakariuois – duenos med feked (= onus me fecit) enmanom einom dze noine (wahrscheinlich = die noni) med malo statod. Sicher verständlich sind nur einzelne Wörter; bemerkenswert vor allem, daß Formen, die wir bisher nur als umbrische und oskische kannten, wie das Adjektiv pacer und die Partikel einom im Wert von et, hier wahrscheinlich doch als altlateinische uns entgegentreten.

 

Uns, Laren, helfet!

an die Götter

Nicht Sterben und Verderben, Mars, Mars,

 

laß einstürmen auf mehrere.

 

Satt sei, grauser Mars!

an die einzelnen

Auf die Schwelle springe! stehe! tritt sie!

Brüder

 

an alle

 

Brüder

Den Semonen, erst ihr, dann ihr, rufet zu, allen

an den Gott

Uns, Mars, Mars, hilf!

an die einzelnen

Springe!

Brüder

 

 

Das Latein dieses Liedes und der verwandten Bruchstücke der Baliarischen Gesänge, welche schon den Philologen der augustischen Zeit als die ältesten Urkunden ihrer Muttersprache galten, verhält sich zu dem Latein der Zwölf Tafeln etwa wie die Sprache der Nibelungen zu der Sprache Luthers; und wohl dürfen wir der Sprache wie dem Inhalt nach diese ehrwürdigen Litaneien den indischen Veden vergleichen.

Schon einer jüngeren Epoche gehören die Lob- und Schimpflieder an. Daß es in Latium der Spottlieder schon in alten Zeiten im Überfluß gab, würde sich aus dem Volkscharakter der Italiener abnehmen lassen, auch wenn nicht die sehr alten polizeilichen Maßnahmen dagegen es ausdrücklich bezeugten. Wichtiger aber wurden die Lobgesänge. Wenn ein Bürger zur Bestattung weggetragen ward, so folgte der Bahre eine ihm anverwandte oder befreundete Frau und sang ihm unter Begleitung eines Flötenspielers das Leichenlied (nenia). Desgleichen wurden bei dem Gastmahl von den Knaben, die nach der damaligen Sitte die Väter auch zum Schmaus außer dem eigenen Hause begleiteten, Lieder zum Lobe der Ahnen abwechselnd bald ebenfalls zur Flöte gesungen, bald auch ohne Begleitung bloß gesagt (assa voce canere). Daß auch die Männer bei dem Gastmahl der Reihe nach sangen, ist wohl erst spätere vermutlich den Griechen entlehnte Sitte. Genaueres wissen wir von diesen Ahnenliedern nicht; aber es versteht sich, daß sie schilderten und erzählten und insofern neben und aus dem lyrischen Moment der Poesie das epische entwickelten.

Andere Elemente der Poesie waren tätig in dem uralten, ohne Zweifel über die Scheidung der Stämme zurückreichenden Volkskarneval, dem lustigen Tanz oder der Satura (I, 44). Der Gesang wird dabei nie gefehlt haben; es lag aber in den Verhältnissen, daß bei diesen vorzugsweise an Gemeindefesten und den Hochzeiten aufgeführten und gewiß vorwiegend praktischen Späßen leicht mehrere Tänzer oder auch mehrere Tänzerscharen ineinander griffen und der Gesang eine gewisse Handlung in sich aufnahm, welche natürlich überwiegend einen scherzhaften und oft einen ausgelassenen Charakter trug. So entstanden hier nicht bloß die Wechsellieder, wie sie später unter dem Namen der fescenninischen Gesänge auftreten, sondern auch die Elemente einer volkstümlichen Komödie, die bei dem scharfen Sinn der Italiener für das Äußerliche und das Komische und bei ihrem Behagen an Gestenspiel und Verkleidung auf einen vortrefflich geeigneten Boden gepflanzt war.

Erhalten ist nichts von diesen Inkunabeln des römischen Epos und Drama. Daß die Ahnenlieder traditionell waren, versteht sich von selbst und wird zum Überfluß dadurch bewiesen, daß sie regelmäßig von Kindern vorgetragen wurden; aber schon zu des älteren Cato Zeit waren dieselben vollständig verschollen. Die Komödien aber, wenn man den Namen gestatten will, sind in dieser Epoche und noch lange nachher durchaus improvisiert worden. Somit konnte von dieser Volkspoesie und Volksmelodie nichts fortgepflanzt werden als das Maß, die musikalische und chorische Begleitung und vielleicht die Masken.

Ob es in ältester Zeit das gab, was wir Versmaß nennen, ist zweifelhaft; die Litanei der Arvalbrüder fügt sich schwerlich einem äußerlich fixierten metrischen Schema und erscheint uns mehr als eine bewegte Rezitation. Dagegen begegnet in späterer Zeit eine uralte Weise, das sogenannte saturnischeDer Name bezeichnet wohl nichts als das „Liedermaß“, insofern die sătura ursprünglich das beim Karneval gesungene Lied ist. Von demselben Stamm ist auch der Säegott Saeturnus oder Saiturnus, später Sāturnus benannt; sein Fest, die Saturnalien, ist allerdings eine Art Karneval, und es ist möglich, daß die Possen ursprünglich vorzugsweise an diesem aufgeführt wurden. Aber Beweise einer Beziehung der Satura zu den Saturnauen fehlen, und vermutlich gehört die unmittelbare Verknüpfung des versus sāturnius mit dem Gott Saturnus und die damit zusammenhängende Dehnung der ersten Silbe erst der späteren Zeit an. oder faunische Maß, welches den Griechen fremd ist und vermutlich gleichzeitig mit der ältesten latinischen Volkspoesie entstand. Das folgende, freilich einer weit späteren Zeit angehörende Gedicht mag von demselben eine Vorstellung geben.

Quod ré suá difeídens – ásperé afleícta
Paréns timéns heíc vóvit – vóto hóc soúto
Decumá factá poloúcta – leíbereís lubéntes
Donú danúnt –
Hércolei – m áxsumé – méreto
Semól te oránt se vóti – crébro cóndémnes

Was, Mißgeschick befürchtend – schwer betroffnem Wohlstand,
Sorgvoll der Ahn gelobt hier, – des Gelöbnis eintraf,
Zu Weih‘ und Schmaus den Zehnten – bringen gern die Kinder
Dem Hercoles zur Gabe – dar, dem hochverdienten;
Sie flehn zugleich dich an, daß – oft du sie erhörest.

In saturnischer Weise scheinen die Lob- wie die Scherzlieder gleichmäßig gesungen worden zu sein, zur Flöte natürlich und vermutlich so, daß namentlich der Einschnitt in jeder Zeile scharf angegeben ward, bei Wechselliedern hier auch wohl der zweite Sänger den Vers aufnahm. Es ist die saturnische Messung, wie jede andere im römischen und griechischen Altertum vorkommende, quantitativer Art, aber wohl unter allen antiken Versmaßen sowohl das am mindesten durchgebildete, da es außer anderen mannigfaltigen Lizenzen sich die Weglassung der Senkungen im weitesten Umfang gestattet, als auch das der Anlage nach unvollkommenste, indem diese einander entgegengesetzten iambischen und trochäischen Halbzeilen wenig geeignet sind, einen für höhere poetische Leistungen genügenden rhythmischen Bau zu entwickeln.

Die Grundelemente der volkstümlichen Musik und Choreutik Latiums, die ebenfalls in dieser Zeit sich festgestellt haben müssen, sind für uns verschollen; außer daß uns von der latinischen Flöte berichtet wird als einem kurzen und dünnen, nur mit vier Löchern versehenen, ursprünglich, wie der Name zeigt, aus einem leichten Tierschenkelknochen verfertigten musikalischen Instrument.

Daß endlich die späteren stehenden Charaktermasken der latinischen Volkskomödie oder der sogenannten Atellane: Maccus der Harlekin, Bucco der Vielfraß, Pappus der gute Papa, der weise Dossennus – Masken, die man so artig wie schlagend mit den beiden Bedienten, dem Pantalon und dem Dottore der italienischen Pulcinellkomödie verglichen hat –, daß diese Masken bereits der ältesten latinischen Volkskunst angehören, läßt sich natürlich nicht eigentlich beweisen; da aber der Gebrauch der Gesichtsmasken in Latium für die Volksbühne von unvordenklichem Alter ist, während die griechische Bühne in Rom erst ein Jahrhundert nach ihrer Begründung dergleichen Masken an nahm, da jene Atellanenmasken ferner entschieden italischen Ursprungs sind und da endlich die Entstehung wie die Durchführung improvisierter Kunstspiele ohne feste, dem Spieler seine Stellung im Stück ein für allemal zuweisende Masken nicht wohl denkbar ist, so wird man die festen Masken an die Anfänge des römischen Schauspiels anknüpfen oder vielmehr sie als diese Anfänge selbst betrachten dürfen.

Wenn unsere Kunde über die älteste einheimische Bildung und Kunst von Latium spärlich fließt, so ist es begreiflich, daß wir noch weniger wissen über die frühesten Anregungen, die hier den Römern von außen her zuteil wurden. In gewissem Sinn kann schon die Kunde der ausländischen, namentlich der griechischen Sprache hierher gezählt werden, welche letztere den Latinern natürlich im allgemeinen fremd war, wie dies schon die Anordnung hinsichtlich der Sibyllinischen Orakel beweist, aber doch unter den Kaufleuten nicht gerade selten gewesen sein kann; und dasselbe wird zu sagen sein von der eng mit der Kunde des Griechischen zusammenhängenden Kenntnis des Lesens und Schreibens. Indes die Bildung der antiken Welt ruhte weder auf der Kunde fremder Sprachen noch auf elementaren technischen Fertigkeiten; wichtiger als jene Mitteilungen wurden für die Entwicklung Latiums die musischen Elemente, die sie bereits in frühester Zeit von den Hellenen empfingen. Denn lediglich die Hellenen und weder Phöniker noch Etrusker sind es gewesen, welche in dieser Beziehung eine Einwirkung auf die Italiker übten; nirgends begegnet bei den letzteren eine musische Anregung, die auf Karthago oder Caere zurückwiese, und es darf wohl überhaupt die phönikische wie die etruskische den Bastard- und darum auch nicht weiterzeugenden Formen der Zivilisation zugezählt werdenDen Gebrauch der Leier im Ritual bezeugen Cic. De orat. 3, 51,197; Cic. Tusc. 4, 2, 4; Dion. Hal. 7, 72; App. Pun. 66 und die Inschrift Orelli 2448, vgl. 1803. Ebenso ward sie bei den Nenien angewandt (Varro bei Nonius unter nenia und praeficae). Aber das Leierspiel blieb darum nicht weniger unschicklich (Scipio bei Macr. Sat. 2, 10 und sonst); von dem Verbot der Musik im Jahre 639 wurden nur der „latinische Flötenspieler samt dem Sängern, nicht der Saitenspieler ausgenommen, und die Gäste bei dem Mahle sangen nur zur Flöte (Cato bei Cic. Tusc. 1, 2, 3; 4, 2, 3; Varro bei Nonius unter assa voce; Hor. carm. 4, 15, 30). Quintilian, der das Gegenteil sagt (inst. 1, 10, 20), hat, was Cicero (De orat. 3, 51) von den Götterschmäusen erzählt, ungenau auf Privatgastmähler übertragen.. Daß von dem Sagenschatz der Griechen bereits in dieser Zeit nach Latium floß, zeigt schon die bereitwillige Aufnahme der griechischen Bildwerke mit ihren durchaus auf dem poetischen Schaue der Nation ruhenden Darstellungen; und auch die altlatinischen Barbarisierungen der Persephone in Prosepna, des Bellerophontes in Melerpanta, des Kyklops in Codes, des Laomedon in Alumentus, des Ganymedes in Catamitus, des Neilos in Melus, der Semele in Stimula lassen erkennen, in wie ferner Zeit schon solche Erzählungen von Latinern vernommen und wiederholt worden sind. Endlich aber und vor allem kann das römische Haupt- und Stadtfest (ludi maximi, Romani) wo nicht seine Entstehung, doch seine spätere Einrichtung nicht wohl anders als unter griechischem Einfluß erhalten haben. Es ward als außerordentliche Dankfeier, regelmäßig auf Grund eines von dem Feldherrn vor der Schlacht getanen Gelübdes und darum gewöhnlich bei der Heimkehr der Bürgerwehr im Herbst, dem kapitolinischen Jupiter und den mit ihm zusammen hausenden Göttern ausgerichtet. Im Festzuge begab man sich nach dem zwischen Palatin und Aventin abgesteckten und mit einer Arena und Zuschauerplätzen versehenen Rennplatz: voran die ganze Knabenschaft Roms, geordnet nach den Abteilungen der Bürgerwehr zu Pferde und zu Fuß; sodann die Kämpfer und die früher beschriebenen Tänzergruppen, jede mit der ihr eigenen Musik; hierauf die Diener der Götter mit den Weihrauchfässern und dem anderen heiligen Gerät; endlich die Bahren mit den Götterbildern selbst. Das Schaufest selbst war das Abbild des Krieges, wie er in ältester Zeit gewesen, der Kampf zu Wagen, zu Roß und zu Fuß. Zuerst liefen die Streitwagen, deren jeder nach homerischer Art einen Wagenlenker und einen Kämpfer trug, darauf die abgesprungenen Kämpfer, alsdann die Reiter, deren jeder nach römischer Fechtart mit einem Reit- und einem Handpferd erschien (desultor); endlich maßen die Kämpfer zu Fuß, nackt bis auf einen Gürtel um die Hüften, sich miteinander im Wettlauf, im Ringen und im Faustkampf. In jeder Gattung der Wettkämpfe ward nur einmal und zwischen nicht mehr als zwei Kämpfern gestritten. Den Sieger lohnte der Kranz, und wie man den schlichten Zweig in Ehren hielt, beweist die gesetzliche Gestattung, ihm denselben, wenn er starb, auf die Bahre zu legen. Das Fest dauerte also nur einen Tag, und wahrscheinlich ließen die Wettkämpfe an diesem selbst noch Zeit genug für den eigentlichen Karneval, wobei denn die Tänzergruppen ihre Kunst und vor allem ihre Possen entfaltet haben mögen und wohl auch andere Darstellungen, zum Beispiel Kampfspiele der Knabenreiterei, ihren Platz fandenDas Stadtfest kann ursprünglich nur einen Tag gewährt haben, da es noch im sechsten Jahrhundert aus vier Tagen szenischer und einem Tag circensischer Spiele bestand (F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313) und notorisch die szenischen Spiele erst später hinzugekommen sind. Daß in jeder Kampfgattung ursprünglich nur einmal gestritten ward, folgt aus Liv. 44, 9; wenn später an einem Spieltag bis zu fünfundzwanzig Wagenpaare nacheinander liefen (Varro bei Serv. georg. 3, 18), so ist das Neuerung. Daß nur zwei Wagen und ebenso ohne Zweifel nur zwei Reiter und zwei Ringer um den Preis stritten, folgt daraus, daß zu allen Zeiten in den römischen Wagenrennen nur so viel Wagen zugleich liefen, als es sogenannte Faktionen gab und dieser ursprünglich nur zwei waren, die weiße und die rote. Das zu den circensischen gehörende Reiterspiel der patrizischen Epheben, die sogenannte Troia, ward bekanntlich von Caesar wieder ins Leben gerufen; ohne Zweifel knüpfte es an den Aufzug der Knabenbürgerwehr zu Pferde, dessen Dionys (7, 72) gedenkt. . Auch die im ernsten Kriege gewonnenen Ehren spielten bei diesem Feste eine Rolle; der tapfere Streiter stellte an diesem Tage die Rüstungen der erschlagenen Gegner aus und trug ebenso wie der Sieger im Wettspiel den Kranz, mit dem die dankbare Gemeinde ihn geschmückt hatte.

Solcher Art war das römische Sieges- oder Stadtfest, und auch die übrigen öffentlichen Festlichkeiten Roms werden wir uns ähnlich, wenn auch in den Mitteln beschränkter vorzustellen haben. Bei der öffentlichen Leichenfeier traten regelmäßig Tänzer und daneben, wenn mehr geschehen sollte, noch Wettreiter auf, wo dann die Bürgerschaft durch den öffentlichen Ausrufer vorher besonders zu dem Begräbnis eingeladen ward.

Aber dieses mit den Sitten und den Übungen Roms so eng verwachsene Stadtfest trifft mit den hellenischen Volksfesten wesentlich zusammen: so vor allem in dem Grundgedanken der Vereinigung einer religiösen Feier und eines kriegerischen Wettkampfs; in der Auswahl der einzelnen Übungen, die bei dem Fest von Olympia nach Pindaros‘ Zeugnis von Haus aus im Laufen, Ringen, Faustkampf, Wagenrennen, Speer- und Steinwerfen bestanden; in der Beschaffenheit des Siegespreises, der in Rom so gut wie bei den griechischen Nationalfesten ein Kranz ist und dort wie hier nicht dem Lenker, sondern dem Besitzer des Gespannes zuteil wird; endlich in dem Hineinziehen allgemein patriotischer Taten und Belohnungen in das allgemeine Volksfest. Zufällig kann diese Übereinstimmung nicht sein, sondern nur entweder ein Rest uralter Volksgemeinschaft oder eine Folge des ältesten internationalen Verkehrs; für die letztere Annahme spricht die überwiegende Wahrscheinlichkeit. Das Stadtfest in der Gestalt, wie wir es kennen, ist keine der ältesten Einrichtungen Roms, da der Spielplatz selbst erst zu den Anlagen der späteren Königszeit gehört (I, 123); und so gut wie die Verfassungsreform damals unter griechischem Einfluß erfolgt ist (I, 109), kann gleichzeitig im Stadtfest eine ältere Belustigungsweise – der „Sprung“ (triumpus, 1, 44) und etwa das in Italien uralte und bei dem Fest auf dem Albaner Berg noch lange in Übung gebliebene Schaukeln – mit den griechischen Rennen verbunden und bis zu einem gewissen Grade durch dieselben verdrängt worden sein. Es ist ferner von dem ernstlichen Gebrauch der Streitwagen wohl in Hellas, aber nicht in Latium eine Spur vorhanden. Endlich ist das griechische Stadion (dorisch σπάδιον) als spatium mit der gleichen Bedeutung in sehr früher Zeit in die lateinische Sprache übergegangen und liegt sogar ein ausdrückliches Zeugnis dafür vor, daß die Römer die Pferde- und Wagenrennen von den Thurinern entlehnten, wogegen freilich eine andere Angabe sie aus Etrurien herleitet. Demnach scheinen die Römer außer den musikalischen und poetischen Anregungen auch den fruchtbaren Gedanken des gymnastischen Wettstreits den Hellenen zu verdanken.

Es waren also in Latium nicht bloß dieselben Grundlagen vorhanden, aus denen die hellenische Bildung und Kunst erwuchs, sondern es hat auch diese selbst in frühester Zeit mächtig auf Latium gewirkt. Die Elemente der Gymnastik besaßen die Latiner nicht bloß insofern, als der römische Knabe wie jeder Bauernsohn Pferde und Wagen regieren und den Jagdspieß führen lernte und als in Rom jeder Gemeindebürger zugleich Soldat war; sondern es genoß die Tanzkunst von jeher öffentlicher Pflege, und früh trat mit den hellenischen Wettkämpfen eine gewaltige Anregung hinzu. In der Poesie war die hellenische Lyrik und Tragödie aus ähnlichen Gesängen erwachsen, wie das römische Festlied sie darbot, enthielt das Ahnenlied die Keime des Epos, die Maskenposse die Keime der Komödie; und auch hier mangelte griechische Einwirkung nicht.

Um so merkwürdiger ist es, daß alle diese Samenkörner nicht aufgingen oder verkümmerten. Die körperliche Erziehung der latinischen Jugend blieb derb und tüchtig, aber fern von dem Gedanken einer künstlerischen Ausbildung des Körpers, wie die hellenische Gymnastik sie verfolgte. Die öffentlichen Wettkämpfe der Hellenen veränderten in Italien nicht gerade ihre Satzungen, aber ihr Wesen. Während sie Wettkämpfe der Bürger sein sollten und ohne Zweifel anfangs auch in Rom waren, wurden sie Wettkämpfe von Kunstreitern und Kunstfechtern; und wenn der Beweis freier und hellenischer Abstammung die erste Bedingung der Teilnahme an den griechischen Festspielen war, so kamen die römischen bald in die Hände von freigelassenen und fremden, ja selbst von unfreien Leuten. Folgeweise verwandelte sich der Umstand der Mitstreiter in ein Zuschauerpublikum, und von dem Kranz des Wettsiegers, den man mit Recht das Wahrzeichen von Hellas genannt hat, ist in Latium späterhin kaum die Rede.

Ähnlich erging es der Poesie und ihren Schwestern. Nur die Griechen und die Deutschen besitzen den freiwillig hervorsprudelnden Liederquell; aus der goldenen Schale der Musen sind auf Italiens grünen Boden eben nur wenige Tropfen gefallen. Zur eigentlichen Sagenbildung kam es nicht. Die italischen Götter sind Abstraktionen gewesen und geblieben und haben nie zu rechter persönlicher Gestaltung sich gesteigert oder, wenn man will, verdunkelt. Ebenso sind die Menschen, auch die größten und herrlichsten, dem Italiker ohne Ausnahme Sterbliche geblieben und wurden nicht wie in Griechenland in sehnsüchtiger Erinnerung und liebevoll gepflegter Überlieferung in der Vorstellung der Menge zu göttergleichen Heroen erhoben. Vor allem aber kam es in Latium nicht zur Entwicklung einer Nationalpoesie. Es ist die tiefste und herrlichste Wirkung der musischen Künste und vor allem der Poesie, daß sie die Schranken der bürgerlichen Gemeinden sprengen und aus den Stämmen ein Volk, aus den Völkern eine Welt erschaffen. Wie heutzutage in unserer und durch unsere Weltliteratur die Gegensätze der zivilisierten Nationen aufgehoben sind, so hat die griechische Dichtkunst das dürftige und egoistische Stammgefühl zum hellenischen Volksbewußtsein und dieses zum Humanismus umgewandelt. Aber in Latium trat nichts Ähnliches ein; es mochte Dichter in Alba und in Rom geben, aber es entstand kein latinisches Epos, nicht einmal, was eher noch denkbar wäre, ein latinischer Bauernkatechismus von der Art wie die Hesiodischen ‚Werke und Tage‘. Es konnte wohl das latinische Bundesfest ein musisches Nationalfest werden wie die Olympien und Isthmien der Griechen. Es konnte wohl an Albas Fall ein Sagenkreis anknüpfen, wie er um Ilions Eroberung sich spann, und jede Gemeinde und jedes edle Geschlecht Latiums seine eigenen Anfänge darin wiederfinden oder hineinlegen. Aber weder das eine noch das andere geschah und Italien blieb ohne nationale Poesie und Kunst.

Was hieraus mit Notwendigkeit folgt, daß die Entwicklung der musischen Künste in Latium mehr ein Eintrocknen als ein Aufblühen war, das bestätigt, auch für uns noch unverkennbar, die Überlieferung. Die Anfänge der Poesie eignen wohl überall mehr den Frauen als den Männern; Zaubergesang und Totenlied gehören vorzugsweise jenen und nicht ohne Grund sind die Liedesgeister, die Casmenen oder Camenen und die Carmentis Latiums, wie die Musen von Hellas weiblich gefaßt worden. Aber in Hellas kam die Zeit, wo der Dichter die Sangfrau ablöste und Apollon an die Spitze der Musen trat; Latium hat keinen nationalen Gott des Gesanges und die ältere lateinische Sprache keine Bezeichnung für den DichterVates ist wohl zunächst der Vorsänger (denn so wird der vates der Salier zu fassen sein) und nähert sich dann im älteren Sprachgebrauch dem griechischen προφήτης: es ist ein dem religiösen Ritual angehörendes Wort und hat, auch als es später vom Dichter gebraucht ward, immer den Nebenbegriff des gotterfüllten Sängers, des Musenpriesters, behalten.. Die Liedesmacht ist hier unverhältnismäßig schwächer aufgetreten und rasch verkümmert. Die Übung musischer Künste hat sich hier früh teils auf Frauen und Kinder, teils auf zünftige und unzünftige Handwerker beschränkt. Daß die Klagelieder von den Frauen, die Tischlieder von den Knaben gesungen wurden, ist schon erwähnt worden; auch die religiösen Litaneien wurden vorzugsweise von Kindern ausgeführt. Die Spielleute bildeten ein zünftiges, die Tänzer und die Klagefrauen (praeficae) unzünftige Gewerbe. Wenn Tanz, Spiel und Gesang in Hellas stets blieben, was sie auch in Latium ursprünglich gewesen waren, ehrenvolle und dem Bürger wie seiner Gemeinde zur Zier gereichende Beschäftigungen, so zog sich in Latium der bessere Teil der Bürgerschaft mehr und mehr von diesen eitlen Künsten zurück, und um so entschiedener, je mehr die Kunst sich öffentlich darstellte und je mehr sie von den belebenden Anregungen des Auslandes durchdrungen war. Die einheimische Flöte ließ man sich gefallen, aber die Lyra blieb geächtet; und wenn das nationale Maskenspiel zugelassen ward, so schien das ausländische Ringspiel nicht bloß gleichgültig, sondern schändlich. Während die musischen Künste in Griechenland immer mehr Gemeingut eines jeden einzelnen und aller Hellenen zusammen werden und damit aus ihnen eine allgemeine Bildung sich entwickelt, schwinden sie in Latium allgemach aus dem allgemeinen Volksbewußtsein, und indem sie zu in jeder Beziehung geringen Handwerken herabsinken, kommt hier nicht einmal die Idee einer der Jugend mitzuteilenden, allgemein nationalen Bildung auf. Die Jugenderziehung blieb durchaus befangen in den Schranken der engsten Häuslichkeit. Der Knabe wich dem Vater nicht von der Seite und begleitete ihn nicht bloß mit dem Pfluge und der Sichel auf das Feld, sondern auch in das Haus des Freundes und in den Sitzungssaal, wenn der Vater zu Gaste oder in den Rat geladen war. Diese häusliche Erziehung war wohl geeignet, den Menschen ganz dem Hause und ganz dem Staate zu bewahren; auf der dauernden Lebensgemeinschaft zwischen Vater und Sohn und auf der gegenseitigen Scheu des werdenden Menschen vor dem fertigen und des reifen Mannes vor der Unschuld der Jugend beruhte die Festigkeit der häuslichen und staatlichen Tradition, die Innigkeit des Familienbandes, überhaupt der gewichtige Ernst (gravitas) und der sittliche und würdige Charakter des römischen Lebens. Wohl war auch diese Jugenderziehung eine jener Institutionen schlichter und ihrer selbst kaum bewußter Weisheit, die ebenso einfach sind wie tief; aber über der Bewunderung, die sie erweckt, darf es nicht übersehen werden, daß sie nur durchgeführt werden konnte und nur durchgeführt ward durch die Aufopferung der eigentlichen individuellen Bildung und durch völligen Verzicht auf die so reizenden wie gefährlichen Gaben der Musen.

Über die Entwicklung der musischen Künste bei den Etruskern und Sabellern mangelt uns so gut wie jede KundeDaß die Atellanen und Fescenninen nicht der kampanischen und etruskischen, sondern der latinischen Kunst angehören, wird seiner Zeit gezeigt werden.. Es kann höchstens erwähnt werden, daß auch in Etrurien die Tänzer (histri, histriones) und die Flötenspieler (subulones) früh und wahrscheinlich noch früher als in Rom aus ihrer Kunst ein Gewerbe machten und nicht bloß in der Heimat, sondern auch in Rom um geringen Lohn und keine Ehre sich öffentlich produzierten. Bemerkenswerter ist es, daß an dem etruskischen Nationalfest, welches die sämtlichen Zwölfstädte durch einen Bundespriester ausrichteten, Spiele wie die des römischen Stadtfestes gegeben wurden; indes die dadurch nahegelegte Frage, inwieweit die Etrusker mehr als die Latiner zu einer nationalen, über den einzelnen Gemeinden stehenden musischen Kunst gelangt sind, sind wir zu beantworten nicht mehr imstande. Anderseits mag wohl in Etrurien schon in früherer Zeit der Grund gelegt sein zu der geistlosen Ansammlung gelehrten, namentlich theologischen und astrologischen Plunders, durch den die Tusker späterhin, als in dem allgemeinen Verfall die Zopfgelehrsamkeit zur Blüte kam, mit den Juden, Chaldäern und Ägyptern die Ehre teilten, als Urquell göttlicher Weisheit angestaunt zu werden.

Womöglich noch weniger wissen wir von sabellischer Kunst; woraus natürlich noch keineswegs folgt, daß sie der der Nachbarstämme nachgestanden hat. Vielmehr läßt sich nach dem sonst bekannten Charakter der drei Hauptstämme vermuten, daß an künstlerischer Begabung die Samniten den Hellenen am nächsten, die Etrusker ihnen am fernsten gestanden haben mögen; und eine gewisse Bestätigung dieser Annahme gewährt die Tatsache, daß die bedeutendsten und eigenartigsten unter den römischen Poeten, wie Naevius, Ennius, Lucilius, Horatius, den samnitischen Landschaften angehören, wogegen Etrurien in der römischen Literatur fast keine anderen Vertreter hat als den Arretiner Maecenas, den unleidlichsten aller herzvertrockneten und worteverkräuselnden Hofpoeten, und den Volaterraner Persius, das rechte Ideal eines hoffärtigen und mattherzigen, der Poesie beflissenen Jungen.

Die Elemente der Baukunst sind, wie dies schon angedeutet ward, uraltes Gemeingut der Stämme. Den Anfang aller Tektonik macht das Wohnhaus; es ist dasselbe bei Griechen und Italikern. Von Holz gebaut und mit einem spitzen Stroh- oder Schindeldach bedeckt, bildet es einen viereckigen Wohnraum, welcher durch die mit dem Regenloch im Boden korrespondierende Deckenöffnung (cavum aedium) den Rauch entläßt und das Licht einführt. Unter dieser „schwarzen Decke“ (atrium) werden die Speisen bereitet und verzehrt; hier werden die Hausgötter verehrt und das Ehebett wie die Bahre aufgestellt; hier empfängt der Mann die Gäste und sitzt die Frau spinnend im Kreise ihrer Mägde. Das Haus hatte keinen Flur, insofern man nicht den unbedeckten Raum zwischen der Haustür und der Straße dafür nehmen will, welcher seinen Namen vestibulum, das ist der Ankleideplatz, davon erhielt, daß man im Hause im Untergewand zu gehen pflegte und nur, wenn man hinaustrat, die Toga umwarf. Auch eine Zimmereinteilung mangelte, außer daß um den Wohnraum herum Schlaf- und Vorratskammern angebracht werden konnten; und an Treppen und aufgesetzte Stockwerke ist noch weniger zu denken.

Ob und wieweit aus diesen Anfängen eine national-italische Tektonik hervorging, ist kaum zu entscheiden, da die griechische Einwirkung schon in der frühesten Zeit hier übermächtig eingegriffen und die etwa vorhandenen volkstümlichen Anfänge fast ganz überwuchert hat. Schon die älteste italische Baukunst, welche uns bekannt ist, steht nicht viel weniger unter dem Einfluß der griechischen als die Tektonik der augustischen Zeit. Die uralten Gräber von Caere und Alsium sowie wahrscheinlich auch das älteste unter den kürzlich aufgedeckten praenestinischen sind ganz wie die Thesauren von Orchomenos und Mykenae durch übereinandergeschobene, allmählich einspringende und mit einem großen Deckstein geschlossene Steinlagen überdacht gewesen. In derselben Weise ist ein sehr altertümliches Gebäude an der Stadtmauer von Tusculum gedeckt, und ebenso gedeckt war ursprünglich das Quellhaus (tullianum) am Fuße des Kapitols, bis des darauf gesetzten Gebäudes wegen die Spitze abgetragen ward. Die nach demselben System angelegten Tore gleichen sich völlig in Arpinum und in Mykenae. Der Emissar des Albaner Sees hat die größte Ähnlichkeit mit dem des Kopaischen. Die sogenannten kyklopischen Ringmauern kommen in Italien, vorzugsweise in Etrurien, Umbrien, Latium und der Sabina häufig vor und gehören der Anlage nach entschieden zu den ältesten Bauwerken Italiens, obwohl der größte Teil der jetzt vorhandenen wahrscheinlich erst viel später, einzelne sicher erst im siebenten Jahrhundert der Stadt aufgeführt worden sind. Sie sind, eben wie die griechischen, bald ganz roh aus großen unbearbeiteten Felsblöcken mit dazwischen eingeschobenen kleineren Steinen, bald quadratisch in horizontalen LagenDieser Art sind die Servianischen Mauern gewesen. Sie bestehen teils aus einer Verstärkung der Hügelabhänge durch vorgelegte bis zu vier Metern starke Futtermauern, teils in den Zwischenräumen, vor allem am Viminal und Quirinal, wo vom Esquilinischen bis zum Collinischen Tore die natürliche Verteidigung fehlte, aus einem Erdwall, welcher nach außen durch eine ähnliche Futtermauer abgeschlossen wird. Auf diesen Futtermauern ruhte die Brustwehr. Ein Graben, nach zuverlässigen Berichten der Alten 30 Fuß tief und 100 Fuß breit, zog sich vor dem Wall hin, zu dem die Erde aus eben diesem Graben genommen war. Die Brustwehr hat sich nirgends erhalten; von den Futtermauern sind in neuerer Zeit ausgedehnte Überreste zum Vorschein gekommen. Die Tuffblöcke derselben sind im länglichen Rechteck behauen, durchschnittlich 60 Zentimeter (= 2 röm. Fuß) hoch und breit, während die Länge von 70 Zentimetern bis zu drei Metern wechselt, und ohne Anwendung von Mörtel, abwechselnd mit den Lang- und mit den Schmalseiten nach außen, in mehreren Reihen nebeneinander geschichtet.

Der im Jahre 1862 in der Villa Negroni aufgedeckte Teil des Servianischen Walls am Viminalischen Tor ruht auf einem Fundament gewaltiger Tuffblöcke von drei bis vier Metern Höhe und Breite, auf welchem dann aus Blöcken von demselben Material und derselben Größe, wie sie bei der Mauer sonst verwandt waren, die Außenmauer sich erhob. Der dahinter aufgeschüttete Erdwall scheint auf der oberen Fläche eine Breite bis zu etwa dreizehn Metern oder reichlich 40 röm. Fuß, die ganze Mauerwehr mit Einrechnung der Außenmauer von Quadern eine Breite bis zu fünfzehn Metern oder 50 röm. Fuß gehabt zu haben. Die Stücke aus Peperinblöcken, welche mit eisernen Klammern verbunden sind, sind erst bei späteren Ausbesserungsarbeiten hinzugekommen.

Den Servianischen wesentlich gleichartig sind die in der Vigna Nussiner am Abhang des Palatins nach der Kapitolseite und an anderen Punkten des Palatin aufgefundenen Mauern, die von Jordan (Topographie der Stadt Rom im Altertum. Bd. 2. Berlin 1885, S. 173) wahrscheinlich mit Recht für Überreste der Burgmauer des palatinischen Rom erklärt worden sind.

Die bildenden und zeichnenden Künste sind jünger als die Architektur; das Haus muß erst gebaut sein, ehe man daran geht, Giebel und Wände zu schmücken. Es ist nicht wahrscheinlich, daß diese Künste in Italien schon während der römischen Königszeit recht in Aufnahme gekommen sind; nur in Etrurien, wo Handel und Seeraub früh große Reichtümer konzentrierten, wird die Kunst oder, wenn man lieber will, das Handwerk in frühester Zeit Fuß gefaßt haben. Die griechische Kunst, wie sie auf Etrurien gewirkt hat, stand, wie ihr Abbild beweist, noch auf einer sehr primitiven Stufe und es mögen wohl die Etrusker in nicht viel späterer Zeit von den Griechen gelernt haben, in Ton und Metall zu arbeiten, als diejenige war, in der sie das Alphabet von ihnen entlehnten. Von etruskischer Kunstfertigkeit dieser Epoche geben die Silbermünzen von Populonia, fast die einzigen mit einiger Sicherheit dieser Epoche zuzuweisenden Arbeiten, nicht gerade einen hohen Begriff; doch mögen von den etruskischen Bronzewerken, welche die späteren Kunstkenner so hoch stellten, die besten eben dieser Urzeit angehört haben, und auch die etruskischen Terrakotten können nicht ganz gering gewesen sein, da die ältesten in den römischen Tempeln aufgestellten Werke aus gebrannter Erde, die Bildsäule des kapitolinischen Jupiter und das Viergespann auf seinem Dache, in Veii bestellt worden waren und die großen derartigen Aufsätze auf den Tempeldächern überhaupt bei den späteren Römern als „tuscanische Werke“ gingen.

Dagegen war bei den Italikern, nicht bloß bei den sabellischen Stämmen, sondern selbst bei den Latinern, das eigene Bilden und Zeichnen in dieser Zeit noch erst im Entstehen. Die bedeutendsten Kunstwerke scheinen im Auslande gearbeitet worden zu sein. Der angeblich in Veii verfertigten Tonbilder wurde schon gedacht; daß in Etrurien verfertigte und mit etruskischen Inschriften versehene Bronzearbeiten wenn nicht in Latium überhaupt, doch mindestens in Praeneste gangbar waren, haben die neuesten Ausgrabungen bewiesen. Das Bild der Diana in dem römisch-latinischen Bundestempel auf dem Aventin, welches als das älteste Götterbild in Rom galtWenn Varro (bei Aug. civ. 4, 31, vgl. Plut. Num. 8) sagt, daß die Römer mehr als 170 Jahre die Götter ohne Bilder verehrt hätten, so denkt er offenbar an dies uralte Schnitzbild, welches nach der konventionellen Chronologie zwischen 176 und 219 (578 und 535) der Stadt dediziert und ohne Zweifel das erste Götterbild war, dessen Weihung die dem Varro vorliegenden Quellen erwähnten. Vgl. oben 1, 230., glich genau dem massaliotischen der ephesischen Artetuis und war vielleicht in Elea oder Massalia gearbeitet. Es sind fast allein die seit alter Zeit in Rom vorhandenen Zünfte der Töpfer, Kupfer- und Goldschmiede, welche das Vorhandensein eigenen Bildens und Zeichnens daselbst beweisen; von ihrem Kunststandpunkt aber ist es nicht mehr möglich, eine konkrete Vorstellung zu gewinnen.

Versuchen wir aus den Archiven ältester Kunstüberlieferung und Kunstübung geschichtliche Resultate zu gewinnen, so ist zunächst offenbar, daß die italische Kunst ebenso wie italisches Maß und italische Schrift nicht unter phönikischem, sondern ausschließlich unter hellenischem Einfluß sich entwickelt hat. Es ist nicht eine einzige unter den italischen Kunstrichtungen, die nicht in der altgriechischen Kunst ihr bestimmtes Musterbild fände, und insofern hat die Sage ganz recht, wenn sie die Verfertigung der bemalten Tonbilder, ohne Zweifel der ältesten Kunstart, in Italien zurückführt auf die drei griechischen Künstler: den „Bildner“, „Ordner“ und „Zeichner“, Eucheir, Diopos und Eugrammos, obwohl es mehr als zweifelhaft ist, daß diese Kunst zunächst von Korinth und zunächst nach Tarquinii kam. Von unmittelbarer Nachahmung orientalischer Muster findet sich ebensowenig eine Spur als von einer selbständig entwickelten Kunstform; wenn die etruskischen Steinschneider an der ursprünglich ägyptischen Käfer- oder Skarabäenform festhielten, so sind doch auch die Skarabäen in Griechenland in sehr früher Zeit nachgeschnitten worden, wie denn ein solcher Käferstein mit sehr alter griechischer Inschrift sich in Aegina gefunden hat, und können also den Etruskern recht wohl durch die Griechen zugekommen sein. Von dem Phöniker mochte man kaufen; man lernte nur von dem Griechen.

Auf die weitere Frage, von welchem griechischen Stamm den Etruskern die Kunstmuster zunächst zugekommen sind, läßt sich eine kategorische Antwort nicht geben; doch bestehen bemerkenswerte Beziehungen zwischen der etruskischen und der ältesten attischen Kunst. Die drei Kunstformen, die in Etrurien wenigstens späterhin in großer, in Griechenland nur in sehr beschränkter Ausdehnung geübt worden sind, die Grabmalerei, die Spiegelzeichnung und die Steinschneidekunst, sind bis jetzt auf griechischem Boden einzig in Athen und Aegina beobachtet worden. Der tuskische Tempel entspricht genau weder dem dorischen noch dem ionischen; aber in den wichtigsten Unterscheidungsmomenten, in dem um die Cella herumgeführten Säulengang sowie in der Unterlegung eines besonderen Postaments unter jede einzelne Säule, folgt der etruskische Stil dem jüngeren ionischen; und eben der noch vom dorischen Element durchdrungene ionisch-attische Baustil steht in der allgemeinen Anlage unter allen griechischen dem tuskischen am nächsten. Für Latium mangelt es so gut wie ganz an sicheren kunstgeschichtlichen Verkehrsspuren; wenn aber, wie sich dies ja genau genommen von selbst versteht, die allgemeinen Handels- und Verkehrsbeziehungen auch für die Kunstmuster entscheidend gewesen sind, so kann mit Sicherheit angenommen werden, daß die kampanischen und sizilischen Hellenen wie im Alphabet so auch in der Kunst die Lehrmeister Latiums gewesen sind; und die Analogie der aventinischen Diana mit der ephesischen Artemis widerspricht dem wenigstens nicht. Daneben war denn natürlich die ältere etruskische Kunst auch für Latium Muster. Den sabellischen Stämmen ist wie das griechische Alphabet so auch die griechische Bau- und Bildkunst wenn überhaupt doch nur durch Vermittlung der westlicheren italischen Stämme nahegetreten.

Wenn aber endlich über die Kunstbegabung der verschiedenen italischen Nationen ein Urteil gefällt werden soll, so ist schon hier ersichtlich, was freilich in den späteren Stadien der Kunstgeschichte noch bei weitem deutlicher hervortritt, daß die Etrusker wohl früher zur Kunstübung gelangt sind und massenhafter und reicher gearbeitet haben, dagegen ihre Werke hinter den latinischen und sabellischen an Zweckrichtigkeit und Nützlichkeit nicht minder wie an Geist und Schönheit zurückstehen. Es zeigt sich dies allerdings für jetzt nur noch in der Architektur. Der ebenso zweckmäßige wie schöne polygone Mauerbau ist in Latium und dem dahinterliegenden Binnenland häufig, in Etrurien selten und nicht einmal Caeres Mauern sind aus vieleckigen Blöcken geschichtet. Selbst in der auch kunstgeschichtlich merkwürdigen religiösen Hervorhebung des Bogens und der Brücke in Latium ist es wohl erlaubt, die Anfänge der späteren römischen Aquädukte und römischen Konsularstraßen zu erkennen. Dagegen haben die Etrusker den hellenischen Prachtbau wiederholt, aber auch verdorben, indem sie die für den Steinbau festgestellten Gesetze nicht durchaus geschickt auf den Holzbau übertrugen und durch das tief hinabgehende Dach und die weiten Säulenzwischenräume ihrem Gotteshaus, mit einem alten Baumeister zu reden, „ein breites, niedriges, sperriges und schwerfälliges Ansehen“ gegeben haben. Die Latiner haben aus der reichen Fülle der griechischen Kunst nur sehr weniges ihrem energisch realistischen Sinne kongenial gefunden, aber was sie annahmen, der Idee nach und innerlich sich angeeignet und in der Entwicklung des polygonen Mauerbaus vielleicht ihre Lehrmeister übertroffen; die etruskische Kunst ist ein merkwürdiges Zeugnis handwerksmäßig angeeigneter und handwerksmäßig festgehaltener Fertigkeiten, aber so wenig wie die chinesische ein Zeugnis auch nur genialer Rezeptivität. Wie man sich auch sträuben mag, so gut wie man längst aufgehört hat, die griechische Kunst aus der etruskischen abzuleiten, wird man sich auch noch entschließen müssen, in der Geschichte der italischen Kunst die Etrusker aus der ersten in die letzte Stelle zu versetzen.

1. Kapitel


1. Kapitel

Einleitung

Rings um das mannigfaltig gegliederte Binnenmeer, das tief einschneidend in die Erdfeste den größten Busen des Ozeans bildet und, bald durch Inseln oder vorspringende Landfesten verengt, bald wieder sich in beträchtlicher Breite ausdehnend, die drei Teile der Alten Welt scheidet und verbindet, siedelten in alten Zeiten Völkerstämme sich an, welche, ethnographisch und sprachgeschichtlich betrachtet, verschiedenen Rassen angehörig, historisch ein Ganzes ausmachen. Dies historische Ganze ist es, was man nicht passend die Geschichte der alten Welt zu nennen pflegt, die Kulturgeschichte der Anwohner des Mittelmeers, die in ihren vier großen Entwicklungsstadien an uns vorüberfährt: die Geschichte des koptischen oder ägyptischen Stammes an dem südlichen Gestade, die der aramäischen oder syrischen Nation, die die Ostküste einnimmt und tief in das innere Asien hinein bis an den Euphrat und Tigris sich ausbreitet, und die Geschichte des Zwillingsvolkes der Hellenen und der Italiker, welche die europäischen Uferlandschaften des Mittelmeers zu ihrem Erbteil empfingen. Wohl knüpft jede dieser Geschichten an ihren Anfängen an andere Gesichts- und Geschichtskreise an; aber jede auch schlägt bald ihren eigenen abgesonderten Gang ein. Die stammfremden oder auch stammverwandten Nationen aber, die diesen großen Kreis umwohnen, die Berber und Neger Afrikas, die Araber, Perser und Inder Asiens, die Kelten und Deutschen Europas, haben mit jenen Anwohnern des Mittelmeers wohl auch vielfach sich berührt, aber eine eigentlich bestimmende Entwicklung doch weder ihnen gegeben noch von ihnen empfangen; und soweit überhaupt Kulturkreise sich abschließen lassen, kann derjenige als eine Einheit gelten, dessen Höhepunkt die Namen Theben, Karthago, Athen und Rom bezeichnen. Es haben jene vier Nationen, nachdem jede von ihnen auf eigener Bahn zu einer eigentümlichen und großartigen Zivilisation gelangt war, in mannigfaltigster Wechselbeziehung zueinander alle Elemente der Menschennatur scharf und reich durchgearbeitet und entwickelt, bis auch dieser Kreis erfüllt war, bis neue Völkerschaften, die bis dahin das Gebiet der Mittelmeerstaaten nur wie die Wellen den Strand umspült hatten, sich über beide Ufer ergossen und, indem sie die Südküste geschichtlich trennten von der nördlichen, den Schwerpunkt der Zivilisation verlegten vom Mittelmeer an den Atlantischen Ozean. So scheidet sich die alte Geschichte von der neuen nicht bloß zufällig und chronologisch; was wir die neue Geschichte nennen, ist in der Tat die Gestaltung eines neuen Kulturkreises, der in mehreren seiner Entwicklungsepochen wohl anschließt an die untergehende oder untergegangene Zivilisation der Mittelmeerstaaten wie diese an die älteste indogermanische, aber auch wie diese bestimmt ist, eine eigene Bahn zu durchmessen und Völkerglück und Völkerleid im vollen Maße zu erproben: die Epochen der Entwicklung, der Vollkraft und des Alters, die beglückende Mühe des Schaffens in Religion, Staat und Kunst, den bequemen Genuß erworbenen materiellen und geistigen Besitzes, vielleicht auch dereinst das Versiegen der schaffenden Kraft in der satten Befriedigung des erreichten Zieles. Aber auch dieses Ziel wird nur ein vorläufiges sein; das großartigste Zivilisationssystem hat seine Peripherie und kann sie erfüllen, nimmer aber das Geschlecht der Menschen, dem, so wie es am Ziele zu stehen scheint, die alte Aufgabe auf weiterem Felde und in höherem Sinne neu gestellt wird.

Unsere Aufgabe ist die Darstellung des letzten Akts jenes großen weltgeschichtlichen Schauspiels, die alte Geschichte der mittleren unter den drei Halbinseln, die vom nördlichen Kontinent aus sich in das Mittelmeer erstrecken. Sie wird gebildet durch die von den westlichen Alpen aus nach Süden sich verzweigenden Gebirge. Der Apennin streicht zunächst in südöstlicher Richtung zwischen dem breiteren westlichen und dem schmalen östlichen Busen des Mittelmeers, an welchen letzteren hinantretend er seine höchste, kaum indes zu der Linie des ewigen Schnees hinansteigende Erhebung in den Abruzzen erreicht. Von den Abruzzen aus setzt das Gebirge sich in südlicher Richtung fort, anfangs ungeteilt und von beträchtlicher Höhe; nach einer Einsattlung, die eine Hügellandschaft bildet, spaltet es sich in einen flacheren südöstlichen und einen steileren südlichen Höhenzug und schließt dort wie hier mit der Bildung zweier schmaler Halbinseln ab. Das nördlich zwischen Alpen und Apennin bis zu den Abruzzen hinab sich ausbreitende Flachland gehört geographisch und bis in sehr späte Zeit auch historisch nicht zu dem südlichen Berg- und Hügelland, demjenigen Italien, dessen Geschichte uns hier beschäftigt. Erst im siebenten Jahrhundert Roms wurde das Küstenland von Sinigaglia bis Rimini, erst im achten das Potal Italien einverleibt; die alte Nordgrenze Italiens sind also nicht die Alpen, sondern der Apennin. Dieser steigt von keiner Seite in steiler Kette empor, sondern breit durch das Land gelagert und vielfache, durch mäßige Pässe verbundene Täler und Hochebenen einschließend gewährt er selbst den Menschen eine wohl geeignete Ansiedelungsstätte, und mehr noch gilt dies von dem östlich, südlich und westlich an ihn sich anschließenden Vor- und Küstenland. Zwar an der östlichen Küste dehnt sich, gegen Norden von dem Bergstock der Abruzzen geschlossen und nur von dem steilen Rücken des Garganus inselartig unterbrochen, die apulische Ebene in einförmiger Fläche mit schwach entwickelter Küsten- und Strombildung aus. An der Südküste aber zwischen den beiden Halbinseln, mit denen der Apennin endigt, lehnt sich an das innere Hügelland eine ausgedehnte Niederung, die zwar an Häfen arm, aber wasserreich und fruchtbar ist. Die Westküste endlich, ein breites, von bedeutenden Strömen, namentlich dem Tiber, durchschnittenes, von den Fluten und den einst zahlreichen Vulkanen in mannigfaltigster Tal- und Hügel-, Hafen- und Inselbildung entwickeltes Gebiet, bildet in den Landschaften Etrurien, Latium und Kampanien den Kern des italischen Landes, bis südlich von Kampanien das Vorland allmählich verschwindet und die Gebirgskette fast unmittelbar von dem Tyrrhenischen Meere bespült wird. Überdies schließt, wie an Griechenland der Peloponnes, so an Italien die Insel Sizilien sich an, die schönste und größte des Mittelmeers, deren gebirgiges und zum Teil ödes Innere ringsum, vor allem im Osten und Süden, mit einem breiten Saume des herrlichsten, großenteils vulkanischen Küstenlandes umgürtet ist; und wie geographisch die sizilischen Gebirge die kaum durch den schmalen „Riß“ (Ρήγιον) der Meerenge unterbrochene Fortsetzung des Apennins sind, so ist auch geschichtlich Sizilien in älterer Zeit ebenso entschieden ein Teil Italiens wie der Peloponnes von Griechenland, der Tummelplatz derselben Stämme und der gemeinsame Sitz der gleichen höheren Gesittung. Die italische Halbinsel teilt mit der griechischen die gemäßigte Temperatur und die gesunde Luft auf den mäßig hohen Bergen und im ganzen auch in den Tälern und Ebenen. In der Küstenentwicklung steht sie ihr nach; namentlich fehlt das Inselreiche Meer, das die Hellenen zur seefahrenden Nation gemacht hat. Dagegen ist Italien dem Nachbarn überlegen durch die reichen Flußebenen und die fruchtbaren und kräuterreichen Bergabhänge, wie der Ackerbau und die Viehzucht ihrer bedarf. Es ist wie Griechenland ein schönes Land, das die Tätigkeit des Menschen anstrengt und belohnt und dem unruhigen Streben die Bahnen in die Ferne, dem ruhigen die Wege zu friedlichem Gewinn daheim in gleicher Weise eröffnet. Aber wenn die griechische Halbinsel nach Osten gewendet ist, so ist es die italische nach Westen. Wie das epirotische und akarnanische Gestade für Hellas, so sind die apulischen und messapischen Küsten für Italien von untergeordneter Bedeutung; und wenn dort diejenigen Landschaften, auf denen die geschichtliche Entwicklung ruht, Attika und Makedonien, nach Osten schauen, so sehen Etrurien, Latium und Kampanien nach Westen. So stehen die beiden so eng benachbarten und fast verschwisterten Halbinseln gleichsam voneinander abgewendet; obwohl das unbewaffnete Auge von Otranto aus die akrokeraunischen Berge erkennt, haben Italiker und Hellenen sich doch früher und enger auf jeder andern Straße berührt als auf der nächsten über das Adriatische Meer. Es war auch hier wie so oft in den Bodenverhältnissen der geschichtliche Beruf der Völker vorgezeichnet: die beiden großen Stämme, auf denen die Zivilisation der Alten Welt erwuchs, warfen ihre Schatten wie ihren Samen der eine nach Osten, der andere nach Westen.

Es ist die Geschichte Italiens, die hier erzählt werden soll, nicht die Geschichte der Stadt Rom. Wenn auch nach formalem Staatsrecht die Stadtgemeinde von Rom es war, die die Herrschaft erst über Italien, dann über die Welt gewann, so läßt sich doch dies im höheren geschichtlichen Sinne keineswegs behaupten und erscheint das, was man die Bezwingung Italiens durch die Römer zu nennen gewohnt ist, vielmehr als die Einigung zu einem Staate des gesamten Stammes der Italiker, von dem die Römer wohl der gewaltigste, aber doch nur ein Zweig sind.

Die italische Geschichte zerfällt in zwei Hauptabschnitte: in die innere Geschichte Italiens bis zu seiner Vereinigung unter der Führung des latinischen Stammes und in die Geschichte der italischen Weltherrschaft. Wir werden also darzustellen haben des italischen Volksstammes Ansiedelung auf der Halbinsel; die Gefährdung seiner nationalen und politischen Existenz und seine teilweise Unterjochung durch Völker anderer Herkunft und älterer Zivilisation, durch Griechen und Etrusker; die Auflehnung der Italiker gegen die Fremdlinge und deren Vernichtung oder Unterwerfung; endlich die Kämpfe der beiden italischen Hauptstämme, der Latiner und der Samniten, um die Hegemonie auf der Halbinsel und den Sieg der Latiner am Ende des vierten Jahrhunderts vor Christi Geburt oder des fünften der Stadt Rom. Es wird dies den Inhalt der beiden ersten Bücher bilden. Den zweiten Abschnitt eröffnen die Punischen Kriege; er umfaßt die reißend schnelle Ausdehnung des Römerreiches bis an und über Italiens natürliche Grenzen, den langen Status quo der römischen Kaiserzeit und das Zusammenstürzen des gewaltigen Reiches. Dies wird im dritten und den folgenden Büchern erzählt werden.

2. Kapitel


2. Kapitel

Die ältesten Einwanderungen in Italien

Keine Kunde, ja nicht einmal eine Sage erzählt von der ersten Einwanderung des Menschengeschlechts in Italien; vielmehr war im Altertum der Glaube allgemein, daß dort wie überall die erste Bevölkerung dem Boden selbst entsprossen sei. Indes die Entscheidung über den Ursprung der verschiedenen Rassen und deren genetische Beziehungen zu den verschiedenen Klimaten bleibt billig dem Naturforscher überlassen; geschichtlich ist es weder möglich noch wichtig festzustellen, ob die älteste bezeugte Bevölkerung eines Landes daselbst autochthon oder selbst schon eingewandert ist.

Wohl aber liegt es dem Geschichtsforscher ob, die sukzessive Völkerschichtung in dem einzelnen Lande darzulegen, um die Steigerung von der unvollkommenen zu der vollkommneren Kultur und die Unterdrückung der minder kulturfähigen oder auch nur minder entwickelten Stämme durch höher stehende Nationen soweit möglich rückwärts zu verfolgen. Italien indes ist auffallend arm an Denkmälern der primitiven Epoche und steht in dieser Beziehung in einem bemerkenswerten Gegensatz zu anderen Kulturgebieten. Den Ergebnissen der deutschen Altertumsforschung zufolge muß in England, Frankreich, Norddeutschland und Skandinavien, bevor indogermanische Stämme hier sich ansässig machten, ein Volk vielleicht tschudischer Rasse gewohnt oder vielmehr gestreift haben, das von Jagd und Fischfang lebte, seine Geräte aus Stein, Ton oder Knochen verfertigte und mit Tierzähnen und Bernstein sich schmückte, des Ackerbaues aber und des Gebrauchs der Metalle unkundig war. In ähnlicher Weise ging in Indien der indogermanischen eine minder kulturfähige dunkelfarbige Bevölkerung vorauf. In Italien aber begegnen weder Trümmer einer verdrängten Nation, wie im keltisch-germanischen Gebiet die Finnen und Lappen und die schwarzen Stämme in den indischen Gebirgen sind, noch ist daselbst bis jetzt die Verlassenschaft eines verschollenen Urvolkes nachgewiesen worden, wie sie die eigentümlich gearteten Gerippe, die Mahlzeit- und Grabstätten der sogenannten Steinepoche des deutschen Altertums zu offenbaren scheinen. Es ist bisher nichts zum Vorschein gekommen, was zu der Annahme berechtigt, daß in Italien die Existenz des Menschengeschlechts älter sei als die Bebauung des Ackers und das Schmelzen der Metalle; und wenn wirklich innerhalb der Grenzen Italiens das Menschengeschlecht einmal auf der primitiven Kulturstufe gestanden hat, die wir den Zustand der Wildheit zu nennen pflegen, so ist davon doch jede Spur schlechterdings ausgelöscht.

Die Elemente der ältesten Geschichte sind die Völkerindividuen, die Stämme. Unter denen, die uns späterhin in Italien begegnen, ist von einzelnen, wie von den Hellenen, die Einwanderung, von anderen, wie von den Brettiern und den Bewohnern der sabinischen Landschaft, die Denationalisierung geschichtlich bezeugt. Nach Ausscheidung beider Gattungen bleiben eine Anzahl Stämme übrig, deren Wanderungen nicht mehr mit dem Zeugnis der Geschichte, sondern höchstens auf aprioristischem Wege sich nachweisen lassen und deren Nationalität nicht nachweislich eine durchgreifende Umgestaltung von außen her erfahren hat; diese sind es, deren nationale Individualität die Forschung zunächst festzustellen hat. Wären wir dabei einzig angewiesen auf den wirren Wust der Völkernamen und der zerrütteten, angeblich geschichtlichen Überlieferung, welche aus wenigen brauchbaren Notizen zivilisierter Reisender und einer Masse meistens geringhaltiger Sagen, gewöhnlich ohne Sinn für Sage wie für Geschichte zusammengesetzt und konventionell fixiert ist, so müßte man die Aufgabe als eine hoffnungslose abweisen. Allein noch fließt auch für uns eine Quelle der Überlieferung, welche zwar auch nur Bruchstücke, aber doch authentische gewährt; es sind dies die einheimischen Sprachen der in Italien seit unvordenklicher Zeit ansässigen Stämme. Ihnen, die mit dem Volke selbst geworden sind, war der Stempel des Werdens zu tief eingeprägt, um durch die nachfolgende Kultur gänzlich verwischt zu werden. Ist von den italischen Sprachen auch nur eine vollständig bekannt, so sind doch von mehreren anderen hinreichende Überreste erhalten, um der Geschichtsforschung für die Stammverschiedenheit oder Stammverwandtschaft und deren Grade zwischen den einzelnen Sprachen und Völkern einen Anhalt zu gewähren.

So lehrt uns die Sprachforschung drei italische Urstämme unterscheiden, den iapygischen, den etruskischen und den italischen, wie wir ihn nennen wollen, von welchen der letztere in zwei Hauptzweige sich spaltet: das latinische Idiom und dasjenige, dem die Dialekte der Umbrer, Marser, Volsker und Samniten angehören.

Von dem iapygischen Stamm haben wir nur geringe Kunde. Im äußersten Südosten Italiens, auf der messapischen oder kalabrischen Halbinsel, sind Inschriften in einer eigentümlichen verschollenen SpracheMan hat, freilich auf überhaupt wenig und am wenigsten für eine Tatsache von solcher Bedeutung zulängliche sprachliche Vergleichungspunkte hin, eine Verwandtschaft zwischen der iapygischen Sprache und der heutigen albanesischen angenommen. Sollte diese Stammverwandtschaft sich bestätigen und sollten anderseits die Albanesen – ein ebenfalls indogermanischer und dem hellenischen und italischen gleichstehender Stamm – wirklich ein Rest jener hellenobarbarischen Nationalität sein, deren Spuren in ganz Griechenland und namentlich in den nördlichen Landschaften hervortreten, so würde diese vorhellenische Nationalität damit als auch voritalisch nachgewiesen sein; Einwanderung der Iapyger in Italien über das Adriatische Meer hin würde daraus zunächst noch nicht folgen.. Die Lücke ist indes nicht sehr empfindlich; denn nur weichend und verschwindend zeigt sich uns dieser beim Beginn unserer Geschichte schon im Untergehen begriffene Volksstamm. Der wenig widerstandsfähige, leicht in andere Nationalitäten sich auflösende Charakter der iapygischen Nation paßt wohl zu der Annahme, welche durch ihre geographische Lage wahrscheinlich gemacht wird, daß dies die ältesten Einwanderer oder die historischen Autochthonen Italiens sind. Denn unzweifelhaft sind die ältesten Wanderungen der Völker alle zu Lande erfolgt; zumal die nach Italien gerichteten, dessen Küste zur See nur von kundigen Schiffern erreicht werden kann und deshalb noch in Homers Zeit den Hellenen völlig unbekannt war. Kamen aber die früheren Ansiedler über den Apennin, so kann, wie der Geolog aus der Schichtung der Gebirge ihre Entstehung erschließt, auch der Geschichtsforscher die Vermutung wagen, daß die am weitesten nach Süden geschobenen Stämme die ältesten Bewohner Italiens sein werden; und eben an dessen äußerstem südöstlichen Saume begegnen wir der iapygischen Nation.

Die Mitte der Halbinsel ist, soweit unsere zuverlässige Überlieferung zurückreicht, bewohnt von zwei Völkern oder vielmehr zwei Stämmen desselben Volkes, dessen Stellung in dem indogermanischen Volksstamm sich mit größerer Sicherheit bestimmen läßt, als dies bei der iapygischen Nation der Fall war. Wir dürfen dies Volk billig das italische heißen, da auf ihm die geschichtliche Bedeutung der Halbinsel beruht; es teilt sich in die beiden Stämme der Latiner einerseits, anderseits der Umbrer mit deren südlichen Ausläufern, den Marsern und Samniten und den schon in geschichtlicher Zeit von den Samniten ausgesandten Völkerschaften. Die sprachliche Analyse der diesen Stämmen angehörenden Idiome hat gezeigt, daß sie zusammen ein Glied sind in der indogermanischen Sprachenkette, und daß die Epoche, in der sie eine Einheit bildeten, eine verhältnismäßig späte ist. Im Lautsystem erscheint bei ihnen der eigentümliche Spirant f, worin sie übereinstimmen mit den Etruskern, aber sich scharf scheiden von allen hellenischen und hellenobarbarischen Stämmen, sowie vom Sanskrit selbst. Die Aspiraten dagegen, die von den Griechen durchaus und die härteren davon auch von den Etruskern festgehalten werden, sind den Italikern ursprünglich fremd und werden bei ihnen vertreten durch eines ihrer Elemente, sei es durch die Media, sei es durch den Hauch allein f oder h. Die feineren Hauchlaute s, w, j, die die Griechen soweit möglich beseitigen, sind in den italischen Sprachen wenig beschädigt erhalten, ja hie und da noch weiter entwickelt worden. Das Zurückziehen des Akzents und die dadurch hervorgerufene Zerstörung der Endungen haben die Italiker zwar mit einigen griechischen Stämmen und mit den Etruskern gemein, jedoch in stärkerem Grad als jene, in geringerem als diese angewandt; die unmäßige Zerrüttung der Endungen im Umbrischen ist sicher nicht in dem ursprünglichen Sprachgeist begründet, sondern spätere Verderbnis, welche sich in derselben Richtung wenngleich schwächer auch in Rom geltend gemacht hat. Kurze Vokale fallen in den italischen Sprachen deshalb im Auslaut regelmäßig, lange häufig ab; die schließenden Konsonanten sind dagegen im Lateinischen und mehr noch im Samnitischen mit Zähigkeit festgehalten worden, während das Umbrische auch diese fallen läßt. Damit hängt es zusammen, daß die Medialbildung in den italischen Sprachen nur geringe Spuren zurückgelassen hat und dafür ein eigentümliches, durch Anfügung von r gebildetes Passiv an die Stelle tritt; ferner daß der größte Teil der Tempora durch Zusammensetzungen mit den Wurzeln es und fu gebildet wird, während den Griechen neben dem Augment die reichere Ablautung den Gebrauch der Hilfszeitwörter großenteils erspart. Während die italischen Sprachen wie der äolische Dialekt auf den Dual verzichteten, haben sie den Ablativ, der den Griechen verlorenging, durchgängig, großenteils auch den Lokativ erhalten. Die strenge Logik der Italiker scheint Anstoß daran genommen zu haben, den Begriff der Mehrheit in den der Zweiheit und der Vielheit zu spalten, während man die in den Beugungen sich ausdrückenden Wortbeziehungen mit großer Schärfe festhielt. Eigentümlich italisch und selbst dem Sanskrit fremd ist die in den Gerundien und Supinen vollständiger als sonst irgendwo durchgeführte Substantivierung der Zeitwörter.

Diese aus einer reichen Fülle analoger Erscheinungen ausgewählten Beispiele genügen, um die Individualität des italischen Sprachstammes jedem anderen indogermanischen gegenüber darzutun und zeigen denselben zugleich sprachlich wie geographisch als nächsten Stammverwandten der Griechen; der Grieche und der Italiker sind Brüder, der Kelte, der Deutsche und der Slave ihnen Vettern. Die wesentliche Einheit aller italischen wie aller griechischen Dialekte und Stämme unter sich muß früh und klar den beiden großen Nationen selbst aufgegangen sein; denn wir finden in der römischen Sprache ein uraltes Wort rätselhaften Ursprungs, Graius oder Graicus, das jeden Hellenen bezeichnet, und ebenso bei den Griechen die analoge Benennung Οπικός, die von allen, den Griechen in älterer Zeit bekannten latinischen und samnitischen Stämmen, nicht aber von Iapygern oder Etruskern gebraucht wird.

Innerhalb des italischen Sprachstammes aber tritt das Lateinische wieder in einen bestimmten Gegensatz zu den umbrisch-samnitischen Dialekten. Allerdings sind von diesen nur zwei, der umbrische und der samnitische oder oskische Dialekt, einigermaßen, und auch diese nur in äußerst lückenhafter und schwankender Weise bekannt; von den übrigen Dialekten sind die einen, wie der volskische und der marsische, in zu geringen Trümmern auf uns gekommen, um sie in ihrer Individualität zu erfassen oder auch nur die Mundarten selbst mit Sicherheit und Genauigkeit zu klassifizieren, während andere, wie der sabinische, bis auf geringe, als dialektische Eigentümlichkeiten im provinzialen Latein erhaltene Spuren völlig untergegangen sind. Indes läßt die Kombination der sprachlichen und der historischen Tatsachen daran keinen Zweifel, daß diese sämtlichen Dialekte dem umbrisch-samnitischen Zweig des großen italischen Stammes angehört haben, und daß dieser, obwohl dem lateinischen Stamm weit näher als dem griechischen verwandt, doch auch wieder von ihm aufs bestimmteste sich unterscheidet. Im Fürwort und sonst häufig sagte der Samnite und der Umbrer p, wo der Römer q sprach – so pis für quis; ganz wie sich auch sonst nahverwandte Sprachen scheiden, zum Beispiel dem Keltischen in der Bretagne und Wales p, dem Gälischen und Irischen k eigen ist. In den Vokalen erscheinen die Diphthonge im Lateinischen und überhaupt den nördlichen Dialekten sehr zerstört, dagegen in den südlichen italischen Dialekten sie wenig gelitten haben; womit verwandt ist, daß in der Zusammensetzung der Römer den sonst so streng bewahrten Grundvokal abschwächt, was nicht geschieht in der verwandten Sprachengruppe. Der Genetiv der Wörter auf a ist in dieser wie bei den Griechen as, bei den Römern in der ausgebildeten Sprache ae; der der Wörter auf us im Samnitischen eis, im Umbrischen es, bei den Römern ei; der Lokativ tritt bei diesen im Sprachbewußtsein mehr und mehr zurück, während er in den andern italischen Dialekten in vollem Gebrauch blieb; der Dativ des Plural auf bus ist nur im Lateinischen vorhanden. Der umbrisch-samnitische Infinitiv auf um ist den Römern fremd, während das oskisch-umbrische, von der Wurzel es gebildete Futur nach griechischer Art (her-est wie λέγ-σω) bei den Römern fast, vielleicht ganz verschollen und ersetzt ist durch den Optativ des einfachen Zeitworts oder durch analoge Bildungen von fuo (ama-bo). In vielen dieser Fälle, zum Beispiel in den Kasusformen, sind die Unterschiede indes nur vorhanden für die beiderseits ausgebildeten Sprachen, während die Anfänge zusammenfallen. Wenn also die italische Sprache neben der griechischen selbständig steht, so verhält sich innerhalb jener die lateinische Mundart zu der umbrisch-samnitischen etwa wie die ionische zur dorischen, während sich die Verschiedenheiten des Oskischen und des Umbrischen und der verwandten Dialekte etwa vergleichen lassen mit denen des Dorismus in Sizilien und in Sparta.

Jede dieser Spracherscheinungen ist Ergebnis und Zeugnis eines historischen Ereignisses. Es läßt sich daraus mit vollkommener Sicherheit erschließen, daß aus dem gemeinschaftlichen Mutterschoß der Völker und der Sprachen ein Stamm ausschied, der die Ahnen der Griechen und der Italiker gemeinschaftlich in sich schloß; daß aus diesem alsdann die Italiker sich abzweigten und diese wieder in den westlichen und östlichen Stamm, der östliche noch später in Umbrer und Osker auseinander gingen.

Wo und wann diese Scheidungen stattfanden, kann freilich die Sprache nicht lehren, und kaum darf der verwegene Gedanke es versuchen, diesen Revolutionen ahnend zu folgen, von denen die frühesten unzweifelhaft lange vor derjenigen Einwanderung stattfanden, welche die Stammväter der Italiker über die Apenninen führte. Dagegen kann die Vergleichung der Sprachen, richtig und vorsichtig behandelt, von demjenigen Kulturgrade, auf dem das Volk sich befand, als jene Trennungen eintraten, ein annäherndes Bild und damit uns die Anfänge der Geschichte gewähren, welche nichts ist als die Entwicklung der Zivilisation. Denn es ist namentlich in der Bildungsepoche die Sprache das treue Bild und Organ der erreichten Kulturstufe; die großen technischen und sittlichen Revolutionen sind darin wie in einem Archiv aufbewahrt, aus dessen Akten die Zukunft nicht versäumen wird, für jene Zeiten zu schöpfen, aus welchen alle unmittelbare Überlieferung verstummt ist.

Während die jetzt getrennten indogermanischen Völker einen gleichsprachigen Stamm bildeten, erreichten sie einen gewissen Kulturgrad und einen diesem angemessenen Wortschatz, den als gemeinsame Ausstattung in konventionell festgestelltem Gebrauch alle Einzelvölker übernahmen, um auf der gegebenen Grundlage selbständig weiter zu bauen. Wir finden in diesem Wortschatz nicht bloß die einfachsten Bezeichnungen des Seins, der Tätigkeiten, der Wahrnehmungen wie sum, do, pater, das heißt den ursprünglichen Widerhall des Eindrucks, den die Außenwelt auf die Brust des Menschen macht, sondern auch eine Anzahl Kulturwörter nicht bloß ihren Wurzeln nach, sondern in einer gewohnheitsmäßig ausgeprägten Form, welche Gemeingut des indogermanischen Stammes und weder aus gleichmäßiger Entfaltung noch aus späterer Entlehnung erklärbar sind. So besitzen wir Zeugnisse für die Entwicklung des Hirtenlebens in jener fernen Epoche in den unabänderlich fixierten Namen der zahmen Tiere: sanskritisch gâus ist lateinisch bos, griechisch βούς; sanskritisch avis ist lateinisch ovis, griechisch όις; sanskritisch açvas, lateinisch equus, griechisch ίππος; sanskritisch hansas, lateinisch anser, griechisch χήν; sanskritisch âtis, griechisch νήσσα, lateinisch anas; ebenso sind pecus, sus, porcus, taurus, canis sanskritische Wörter. Also schon in dieser fernsten Epoche hatte der Stamm, auf dem von den Tagen Homers bis auf unsere Zeit die geistige Entwicklung der Menschheit beruht, den niedrigsten Kulturgrad der Zivilisation, die Jäger- und Fischerepoche, überschritten und war zu einer wenigstens relativen Stetigkeit der Wohnsitze gelangt. Dagegen fehlt es bis jetzt an sicheren Beweisen dafür, daß schon damals der Acker gebaut worden ist. Die Sprache spricht eher dagegen als dafür. Unter den lateinisch-griechischen Getreidenamen kehrt keiner wieder im Sanskrit mit einziger Ausnahme von ζέα, das sprachlich dem sanskritischen yavas entspricht, übrigens im Indischen die Gerste, im Griechischen den Spelt bezeichnet. Es muß nun freilich zugegeben werden, daß diese von der wesentlichen Übereinstimmung der Benennungen der Haustiere so scharf abstechende Verschiedenheit in den Namen der Kulturpflanzen eine ursprüngliche Gemeinschaft des Ackerbaues noch nicht unbedingt ausschließt; in primitiven Verhältnissen ist die Übersiedelung und Akklimatisierung der Pflanzen schwieriger als die der Tiere, und der Reisbau der Inder, der Weizen- und Speltbau der Griechen und Römer, der Roggen- und Haferbau der Germanen und Kelten könnten an sich wohl alle auf einen gemeinschaftlichen ursprünglichen Feldbau zurückgehen. Aber auf der andern Seite ist die den Griechen und Indern gemeinschaftliche Benennung einer Halmfrucht doch höchstens ein Beweis dafür, daß man vor der Scheidung der Stämme die in Mesopotamien wildwachsenden Gersten- und SpeltkörnerNordwestlich von Anah am rechten Euphratufer fanden sich zusammen Gerste, Weizen und Spelt im wilden Zustande (Alphonse de Candolle, Géographie botanique raisonnée. Paris 1855. Bd. 2, S. 934). Dasselbe, daß Gerste und Weizen in Mesopotamien wild wachsen, sagt schon der babylonische Geschichtschreiber Berosos (bei Georgios Synkellos p. 50 Bonn.). sammelte und aß, nicht aber dafür, daß man schon Getreide baute. Wenn sich hier nach keiner Seite hin eine Entscheidung ergibt, so führt dagegen etwas weiter die Beobachtung, daß eine Anzahl der wichtigsten hier einschlagenden Kulturwörter im Sanskrit zwar auch, aber durchgängig in allgemeinerer Bedeutung vorkommen: agras ist bei den Indern überhaupt Flur, kûrnu ist das Zerriebene, aritram ist Ruder und Schiff, venas das Anmutige überhaupt, namentlich der anmutende Trank. Die Wörter also sind uralt; aber ihre bestimmte Beziehung auf die Ackerflur (ager), auf das zu mahlende Getreide (granum, Korn), auf das Werkzeug, das den Boden furcht wie das Schiff die Meeresfläche (aratrum), auf den Saft der Weintraube (vinum) war bei der ältesten Teilung der Stämme noch nicht entwickelt; es kann daher auch nicht wundernehmen, wenn die Beziehungen zum Teil sehr verschieden ausfielen und zum Beispiel von dem sanskritischen kûrnu sowohl das zum Zerreiben bestimmte Korn als auch die zerreibende Mühle, gotisch quairnus, litauisch girnôs ihre Namen empfingen. Wir dürfen darnach als wahrscheinlich annehmen, daß das indogermanische Urvolk den Ackerbau noch nicht kannte, und als gewiß, daß, wenn es ihn kannte, er doch noch in der Volkswirtschaft eine durchaus untergeordnete Rolle spielte; denn wäre er damals schon gewesen, was er später den Griechen und Römern war, so hätte er tiefer der Sprache sich eingeprägt, als es geschehen ist.

Dagegen zeugen für den Häuser- und Hüttenbau der Indogermanen sanskritisch dam(as), lateinisch domus, griechisch δόμος; sanskritisch vêças, lateinisch vicus, griechisch οίκος; sanskritisch dvaras, lateinisch fores, griechisch θύρα; ferner für den Bau von Ruderbooten die Namen des Nachens – sanskritisch nâus, griechisch ναύς, lateinisch navis – und des Ruders – sanskritisch aritram, griechisch ερετμός, lateinisch remus, tri-res-mis; für den Gebrauch der Wagen und die Bändigung der Tiere zum Ziehen und Fahren sanskritisch akshas (Achse und Karren), lateinisch axis, griechisch άξων, αμ-αξα; sanskritisch iugam, lateinisch iugum, griechisch ζυγόν. Auch die Benennungen des Kleides – sanskritisch vastra, lateinisch vestis, griechisch εςθής – und des Nähens und Spinnens – sanskritisch siv, lateinisch suo; sanskritisch nah, lateinisch neo, griechisch νήθω – sind in allen indogermanischen Sprachen die gleichen. Von der höheren Kunst des Webens läßt dies dagegen nicht in gleicher Weise sich sagenWenn das lateinische vieo, vimen, demselben Stamm angehört wie unser weben und die verwandten Wörter, so muß das Wort, noch als Griechen und Italiker sich trennten, die allgemeine Bedeutung flechten gehabt haben, und kann diese erst später, wahrscheinlich in verschiedenen Gebieten unabhängig voneinander, in die des Webens übergegangen sein. Auch der Leinbau, so alt er ist, reicht nicht bis in diese Zeit zurück, denn die Inder kennen die Flachspflanze wohl, bedienen sich ihrer aber bis heute nur zur Bereitung des Leinöls. Der Hanf ist den Italikern wohl noch später bekannt geworden als der Flachs; wenigstens sieht cannabis ganz aus wie ein spätes Lehnwort.. Dagegen ist wieder die Kunde von der Benutzung des Feuers zur Speisenbereitung und des Salzes zur Würzung derselben uraltes Erbgut der indogermanischen Nationen und das gleiche gilt sogar von der Kenntnis der ältesten zum Werkzeug und zum Zierat von dem Menschen verwandten Metalle. Wenigstens vom Kupfer (aes) und Silber (argentum), vielleicht auch vom Gold kehren die Namen wieder im Sanskrit, und diese Namen sind doch schwerlich entstanden, bevor man gelernt hatte, die Erze zu scheiden und zu verwenden; wie denn auch sanskritisch asis, lateinisch ensis auf den uralten Gebrauch metallener Waffen hinleitet.

Nicht minder reichen in diese Zeiten die Fundamentalgedanken zurück, auf denen die Entwicklung aller indogermanischen Staaten am letzten Ende beruht: die Stellung von Mann und Weib zueinander, die Geschlechtsordnung, das Priestertum des Hausvaters und die Abwesenheit eines eigenen Priesterstandes sowie überhaupt einer jeden Kastensonderung, die Sklaverei als rechtliche Institution, die Rechtstage der Gemeinde bei Neumond und Vollmond. Dagegen die positive Ordnung des Gemeinwesens, die Entscheidung zwischen Königtum und Gemeindeherrlichkeit, zwischen erblicher Bevorzugung der Königs- und Adelsgeschlechter und unbedingter Rechtsgleichheit der Bürger gehört überall einer späteren Zeit an. Selbst die Elemente der Wissenschaft und der Religion zeigen Spuren ursprünglicher Gemeinschaft.

Die Zahlen sind dieselben bis hundert (sanskritisch çatam, ékaçatam, lateinisch centum, griechisch ε-κατόν, gotisch hund); der Mond heißt in allen Sprachen davon, daß man nach ihm die Zeit mißt (mensis). Wie der Begriff der Gottheit selbst (sanskritisch devas, lateinisch deus, griechisch θεός) gehören zum gemeinen Gut der Völker auch manche der ältesten Religionsvorstellungen und Naturbilder. Die Auffassung zum Beispiel des Himmels als des Vaters, der Erde als der Mutter der Wesen, die Festzüge der Götter, die in eigenen Wagen auf sorgsam gebahnten Gleisen von einem Orte zum andern ziehen, die schattenhafte Fortdauer der Seele nach dem Tode sind Grundgedanken der indischen wie der griechischen und römischen Götterlehre. Selbst einzelne der Götter vom Ganges stimmen mit den am Ilissos und am Tiber verehrten bis auf die Namen überein – so ist der Uranos der Griechen der Varunas, so der Zeus, Jovis pater, Diespiter der Djâus pitâ der Veden. Auf manche rätselhafte Gestalt der hellenischen Mythologie ist durch die neuesten Forschungen über die ältere indische Götterlehre ein ungeahntes Licht gefallen. Die altersgrauen geheimnisvollen Gestalten der Erinnyen sind nicht hellenisches Gedicht, sondern schon mit den ältesten Ansiedlern aus dem Osten eingewandert. Das göttliche Windspiel Saramâ, das dem Herrn des Himmels die goldene Herde der Sterne und Sonnenstrahlen behütet und ihm die Himmelskühe, die nährenden Regenwolken zum Melken zusammentreibt, das aber auch die frommen Toten treulich in die Welt der Seligen geleitet, ist den Griechen zu dem Sohn der Saramâ, dem Saramêyas oder Hermeias geworden, und die rätselhafte, ohne Zweifel auch mit der römischen Cacussage zusammenhängende hellenische Erzählung von dem Raub der Rinder des Helios erscheint nun als ein letzter unverstandener Nachklang jener alten sinnvollen Naturphantasie.

Wenn die Aufgabe, den Kulturgrad zu bestimmen, den die Indogermanen vor der Scheidung der Stämme erreichten, mehr der allgemeinen Geschichte der alten Welt angehört, so ist es dagegen speziell Aufgabe der italischen Geschichte, zu ermitteln, soweit es möglich ist, auf welchem Stande die graecoitalische Nation sich befand, als Hellenen und Italiker sich voneinander schieden. Es ist dies keine überflüssige Arbeit; wir gewinnen damit den Anfangspunkt der italischen Zivilisation, den Ausgangspunkt der nationalen Geschichte.

Alle Spuren deuten dahin, daß, während die Indogermanen wahrscheinlich ein Hirtenleben führten und nur etwa die wilde Halmfrucht kannten, die Graecoitaliker ein korn-, vielleicht sogar schon ein weinbauendes Volk waren. Dafür zeugt nicht gerade die Gemeinschaft des Ackerbaues selbst, die im ganzen noch keineswegs einen Schluß auf alle Völkergemeinschaft rechtfertigt. Ein geschichtlicher Zusammenhang des indogermanischen Ackerbaus mit dem der chinesischen, aramäischen und ägyptischen Stämme wird schwerlich in Abrede gestellt werden können; und doch sind diese Stämme den Indogermanen entweder stammfremd oder doch zu einer Zeit von ihnen getrennt worden, wo es sicher noch keinen Feldbau gab. Vielmehr haben die höher stehenden Stämme vor alters wie heutzutage die Kulturgeräte und Kulturpflanzen beständig getauscht; und wenn die Annalen von China den chinesischen Ackerbau auf die unter einem bestimmten König in einem bestimmten Jahr stattgefundene Einführung von fünf Getreidearten zurückführen, so zeichnet diese Erzählung im allgemeinen wenigstens die Verhältnisse der ältesten Kulturepoche ohne Zweifel richtig. Gemeinschaft des Ackerbaus wie Gemeinschaft des Alphabets, der Streitwagen, des Purpurs und andern Geräts und Schmuckes gestattet weit öfter einen Schluß auf alten Völkerverkehr als auf ursprüngliche Volkseinheit. Aber was die Griechen und Italiker anlangt, so darf bei den verhältnismäßig wohlbekannten Beziehungen dieser beiden Nationen zueinander die Annahme, daß der Ackerbau, wie Schrift und Münze, erst durch die Hellenen nach Italien gekommen sei, als völlig unzulässig bezeichnet werden. Anderseits zeugt für den engsten Zusammenhang des beiderseitigen Feldbaus die Gemeinschaftlichkeit aller ältesten hierher gehörigen Ausdrücke: ager αγρός, aro aratrum αρόω άροτρον, ligo neben λαχαίνω, hortus χόρτος, hordeum κριθή, milium μελίνη, rapa ραφανίς, malva μαλάχη, vinum οίνος, und ebenso das Zusammentreffen des griechischen und italischen Ackerbaus in der Form des Pfluges, der auf altattischen und römischen Denkmälern ganz gleich gebildet vorkommt, in der Wahl der ältesten Kornarten: Hirse, Gerste, Spelt, in dem Gebrauch, die Ähren mit der Sichel zu schneiden und sie auf der glattgestampften Tenne durch das Vieh austreten zu lassen, endlich in der Bereitungsart des Getreides: puls πόλτος, pinso πτίσσω, mola μύλη, denn das Backen ist jüngeren Ursprungs, und wird auch deshalb im römischen Ritual statt des Brotes stets der Teig oder Brei gebraucht. Daß auch der Weinbau in Italien über die älteste griechische Einwanderung hinausgeht, dafür spricht die Benennung „Weinland“ (Οινοτρία), die bis zu den ältesten griechischen Anländern hinaufzureichen scheint. Danach muß der Übergang vom Hirtenleben zum Ackerbau oder, genauer gesprochen, die Verbindung des Feldbaus mit der älteren Weidewirtschaft stattgefunden haben, nachdem die Inder aus dem Mutterschoß der Nationen ausgeschieden waren, aber bevor die Hellenen und die Italiker ihre alte Gemeinsamkeit aufhoben. Übrigens scheinen, als der Ackerbau aufkam, die Hellenen und Italiker nicht bloß unter sich, sondern auch noch mit anderen Gliedern der großen Familie zu einem Volksganzen verbunden gewesen zu sein; wenigstens ist es Tatsache, daß die wichtigsten jener Kulturwörter zwar den asiatischen Gliedern der indogermanischen Völkerfamilien fremd, aber den Römern und Griechen mit den keltischen sowohl als mit den deutschen, slawischen, lettischen Stämmen gemeinsam sindSo finden sich aro aratrum wieder in dem altdeutschen aran (pflügen, mundartlich eren), erida, im slawischen orati, oradlo, im litauischen arti, arimnas, im keltischen ar, aradar. So steht neben ligo unser Rechen, neben hortus unser Garten, neben mola unsere Mühle, slawisch mlyn, litauisch malunas, keltisch malirr.

Allen diesen Tatsachen gegenüber wird man es nicht zugeben können, daß es eine Zeit gegeben wo die Griechen in allen hellenischen Gauen nur von der Viehzucht gelebt haben. Wenn nicht Grund-, sondern Viehbesitz in Hellas wie in Italien der Ausgangs- und Mittelpunkt alles Privatvermögens ist, so beruht dies nicht darauf, daß der Ackerbau erst später aufkam, sondern daß er anfänglich nach dem System der Feldgemeinschaft betrieben ward. Überdies versteht es sich von selbst, daß eine reine Ackerbauwirtschaft vor Scheidung der Stämme noch nirgends bestanden haben kann, sondern, je nach der Lokalität mehr oder minder, die Viehzucht damit sich in ausgedehnterer Weise verband, als dies später der Fall war.

Wie der Ackerbau selbst beruhen auch die Bestimmungen der Flächenmaße und die Weise der Limitation bei beiden Völkern auf gleicher Grundlage; wie denn das Bauen des Bodens ohne eine wenn auch rohe Vermessung desselben nicht gedacht werden kann. Der oskische und umbrische Vorsus von 100 Fuß ins Gevierte entspricht genau dem griechischen Plethron. Auch das Prinzip der Limitation ist dasselbe. Der Feldmesser orientiert sich nach einer der Himmelsgegenden und zieht also zuerst zwei Linien von Norden nach Süden und von Osten nach Westen, in deren Schneidepunkt (templum, τέμενος von τέμνω) er steht, alsdann in gewissen festen Abständen den Hauptschneidelinien parallele Linien, wodurch eine Reihe rechtwinkeliger Grundstücke entsteht, deren Ecken die Grenzpfähle (termini, in sizilischen Inschriften τέρμονες, gewöhnlich όροι) bezeichnen. Diese Limitationsweise, die wohl auch etruskisch, aber schwerlich etruskischen Ursprungs ist, finden wir bei den Römern, Umbrern, Samniten, aber auch in sehr alten Urkunden der tarentinischen Herakleoten, die sie wahrscheinlich ebensowenig von den Italikern entlehnt haben als diese sie von den Tarentinern, sondern es ist altes Gemeingut. Eigentümlich römisch und charakteristisch ist erst die eigensinnige Ausbildung des quadratischen Prinzips, wonach man selbst, wo Fluß und Meer eine natürliche Grenze machten, diese nicht gelten ließ, sondern mit dem letzten vollen Quadrat das zum Eigen verteilte Land abschloß.

Aber nicht bloß im Ackerbau, sondern auch auf den übrigen Gebieten der ältesten menschlichen Tätigkeit ist die vorzugsweise enge Verwandtschaft der Griechen und Italiker unverkennbar. Das griechische Haus, wie Homer es schildert, ist wenig verschieden von demjenigen, das in Italien beständig festgehalten ward; das wesentliche Stück und ursprünglich der ganze innere Wohnraum des lateinischen Hauses ist das Atrium, das heißt das schwarze Gemach mit dem Hausaltar, dem Ehebett, dem Speisetisch und dem Herd, und nichts anderes ist auch das homerische Megaron mit Hausaltar und Herd und schwarzberußter Decke. Nicht dasselbe läßt sich von dem Schiffbau sagen. Der Rudernachen ist altes indogermanisches Gemeingut; der Fortschritt zu Segelschiffen aber gehört der graecoitalischen Periode schwerlich an, da es keine nicht allgemein indogermanische und doch von Haus aus den Griechen und Italikern gemeinsame Seeausdrücke gibt. Dagegen wird wieder die uralte italische Sitte der gemeinschaftlichen Mittagsmahlzeiten der Bauern, deren Ursprung der Mythus an die Einführung des Ackerbaues anknüpft, von Aristoteles mit den kretischen Syssitien verglichen; und auch darin trafen die ältesten Römer mit den Kretern und Lakonen zusammen, daß sie nicht, wie es später bei beiden Völkern üblich ward, auf der Bank liegend, sondern sitzend die Speisen genossen. Das Feuerzünden durch Reiben zweier verschiedenartiger Hölzer ist allen Völkern gemein; aber gewiß nicht zufällig treffen Griechen und Italiker zusammen in den Bezeichnungen der beiden Zündehölzer, des „Reibers“ (τρύπανον, terebra) und der „Unterlage“ (στόρευς εσχάρα, tabula, wohl von tendere, τέταμαι). Ebenso ist die Kleidung beider Völker wesentlich identisch, denn die Tunika entspricht völlig dem Chiton, und die Toga ist nichts als ein bauschigeres Himation; ja selbst in dem so veränderlichen Waffenwesen ist wenigstens das beiden Völkern gemein, daß die beiden Hauptangriffswaffen Wurfspeer und Bogen sind, was römischerseits in den ältesten Wehrmannsnamen (pilumniarquites) deutlich sich aussprichtUnter den beiderseits ältesten Waffennamen werden kaum sicher verwandte aufgezeigt werden können: lancea, obwohl ohne Zweifel mit λόγχη zusammenhängend, ist als römisches Wort jung und vielleicht von den Deutschen oder Spaniern entlehnt. und der ältesten nicht eigentlich auf den Nahkampf berechneten Fechtweise angemessen ist. So geht bei den Griechen und Italikern in Sprache und Sitte zurück auf dieselben Elemente alles, was die materiellen Grundlagen der menschlichen Existenz betrifft; die ältesten Aufgaben, die die Erde an den Menschen stellt, sind einstmals von beiden Völkern, als sie noch eine Nation ausmachten, gemeinschaftlich gelöst worden.

Anders ist es in dem geistigen Gebiet. Die große Aufgabe des Menschen, mit sich selbst, mit seinesgleichen und mit dem Ganzen in bewußter Harmonie zu leben, läßt so viele Lösungen zu, als es Provinzen gibt in unsers Vaters Reich; und auf diesem Gebiet ist es, nicht auf dem materiellen, wo die Charaktere der Individuen und der Völker sich scheiden. In der graecoitalischen Periode müssen die Anregungen noch gefehlt haben, welche diesen innerlichen Gegensatz hervortreten machten; erst zwischen den Hellenen und den Italikern hat jene tiefe geistige Verschiedenheit sich offenbart, deren Nachwirkung noch bis auf den heutigen Tag sich fortsetzt. Familie und Staat, Religion und Kunst sind in Italien wie in Griechenland so eigentümlich, so durchaus national entwickelt worden, daß die gemeinschaftliche Grundlage, auf der auch hier beide Völker fußten, dort und hier überwuchert und unsern Augen fast ganz entzogen ist. Jenes hellenische Wesen, das dem Einzelnen das Ganze, der Gemeinde die Nation, dem Bürger die Gemeinde aufopferte, dessen Lebensideal das schöne und gute Sein und nur zu oft der süße Müßiggang war, dessen politische Entwicklung in der Vertiefung des ursprünglichen Partikularismus der einzelnen Gaue und später sogar in der innerlichen Auflösung der Gemeindegewalt bestand, dessen religiöse Anschauung erst die Götter zu Menschen machte und dann die Götter leugnete, das die Glieder entfesselte in dem Spiel der nackten Knaben und dem Gedanken in aller seiner Herrlichkeit und in aller seiner Furchtbarkeit freie Bahn gab; und jenes römische Wesen, das den Sohn in die Furcht des Vaters, die Bürger in die Furcht des Herrschers, sie alle in die Furcht der Götter bannte, das nichts forderte und nichts ehrte als die nützliche Tat und jeden Bürger zwang, jeden Augenblick des kurzen Lebens mit rastloser Arbeit auszufüllen, das die keusche Verhüllung des Körpers schon dem Buben zur Pflicht machte, in dem, wer anders sein wollte als die Genossen, ein schlechter Bürger hieß, in dem der Staat alles war und die Erweiterung des Staates der einzige nicht verpönte hohe Gedanke – wer vermag diese scharfen Gegensätze in Gedanken zurückzuführen auf die ursprüngliche Einheit, die sie beide umschloß und beide vorbereitete und erzeugte? Es wäre törichte Vermessenheit, diesen Schleier lüften zu wollen; nur mit wenigen Andeutungen soll es versucht werden, die Anfänge der italischen Nationalität und ihre Anknüpfung an eine ältere Periode zu bezeichnen, um den Ahnungen des einsichtigen Lesers nicht Worte zu leihen, aber die Richtung zu weisen.

Alles, was man das patriarchalische Element im Staate nennen kann, ruht in Griechenland wie in Italien auf denselben Fundamenten. Vor allen Dingen gehört hierher die sittliche und ehrbare Gestaltung des gesellschaftlichen LebensSelbst im einzelnen zeigt sich diese Übereinstimmung, z. B. in der Bezeichnung der rechten Ehe als der „zur Gewinnung rechter Kinder abgeschlossenen“ (γάμος επί παίδων γνησίων αρότω – matrimonium liberorum quaerendorum causa)., welche dem Manne die Monogamie gebietet und den Ehebruch der Frau schwer ahndet und welche in der hohen Stellung der Mutter innerhalb des häuslichen Kreises die Ebenbürtigkeit beider Geschlechter und die Heiligkeit der Ehe anerkennt. Dagegen ist die schroffe und gegen die Persönlichkeit rücksichtslose Entwicklung der eheherrlichen und mehr noch der väterlichen Gewalt den Griechen fremd und italisches Eigen; die sittliche Untertänigkeit hat erst in Italien sich zur rechtlichen Knechtschaft umgestaltet. In derselben Weise wurde die vollständige Rechtlosigkeit des Knechts, wie sie im Wesen der Sklaverei lag, von den Römern mit erbarmungsloser Strenge festgehalten und in allen ihren Konsequenzen entwickelt; wogegen bei den Griechen früh tatsächliche und rechtliche Milderungen stattfanden und zum Beispiel die Sklavenehe als ein gesetzliches Verhältnis anerkannt ward.

Auf dem Hause beruht das Geschlecht, das heißt die Gemeinschaft der Nachkommen desselben Stammvaters; und von dem Geschlecht ist bei den Griechen wie den Italikern das staatliche Dasein ausgegangen. Aber wenn in der schwächeren politischen Entwicklung Griechenlands der Geschlechtsverband als korporative Macht dem Staat gegenüber sich noch weit in die historische Zeit hinein behauptet hat, erscheint der italische Staat sofort insofern fertig, als ihm gegenüber die Geschlechter vollständig neutralisiert sind und er nicht die Gemeinschaft der Geschlechter, sondern die Gemeinschaft der Bürger darstellt. Daß dagegen umgekehrt das Individuum dem Geschlecht gegenüber in Griechenland weit früher und vollständiger zur innerlichen Freiheit und eigenartigen Entwicklung gediehen ist als in Rom, spiegelt sich mit großer Deutlichkeit in der bei beiden Völkern durchaus verschiedenartigen Entwicklung der ursprünglich doch gleichartigen Eigennamen. In den älteren griechischen tritt der Geschlechtsname sehr häufig adjektivisch zum Individualnamen hinzu, während umgekehrt noch die römischen Gelehrten es wußten, daß ihre Vorfahren ursprünglich nur einen, den späteren Vornamen führten. Aber während in Griechenland der adjektivische Geschlechtsname früh verschwindet, wird er bei den Italikern, und zwar nicht bloß bei den Römern, zum Hauptnamen, so daß der eigentliche Individualname, das Praenomen, sich ihm unterordnet. Ja es ist, als sollte die geringe und immer mehr zusammenschwindende Zahl und die Bedeutungslosigkeit der italischen, besonders der römischen Individualnamen, verglichen mit der üppigen und poetischen Fülle der griechischen, uns wie im Bilde zeigen, wie dort die Nivellierung, hier die freie Entwicklung der Persönlichkeit im Wesen der Nation lag.

Ein Zusammenleben in Familiengemeinden unter Stammhäuptern, wie man es für die graecoitalische Periode sich denken mag, mochte den späteren italischen wie hellenischen Politien ungleich genug sehen, mußte aber dennoch die Anfänge der beiderseitigen Rechtsbildung notwendig bereits enthalten. Die „Gesetze des Königs Italus“, die noch in Aristoteles‘ Zeiten angewendet wurden, mögen diese beiden Nationen wesentlich gemeinsamen Institutionen bezeichnen. Frieden und Rechtsfolge innerhalb der Gemeinde, Kriegsstand und Kriegsrecht nach außen, ein Regiment des Stammhauptes, ein Rat der Alten, Versammlungen der waffenfähigen Freien, eine gewisse Verfassung müssen in denselben enthalten gewesen sein. Gericht (crimen, κρίνειν), Buße (poena, ποινή), Wiedervergeltung (talio, ταλάω τλήναι) sind graecoitalische Begriffe. Das strenge Schuldrecht, nach welchem der Schuldner für die Rückgabe des Empfangenen zunächst mit seinem Leibe haftet, ist den Italikern und zum Beispiel den tarentinischen Herakleoten gemeinsam. Die Grundgedanken der römischen Verfassung – Königtum, Senat und eine nur zur Bestätigung oder Verwerfung der von dem König und dem Senat an sie gebrachten Anträge befugte Volksversammlung – sind kaum irgendwo so scharf ausgesprochen wie in Aristoteles‘ Bericht über die ältere Verfassung von Kreta. Die Keime zu größeren Staatenbünden in der staatlichen Verbrüderung oder gar der Verschmelzung mehrerer bisher selbständiger Stämme (Symmachie, Synoikismos) sind gleichfalls beiden Nationen gemein. Es ist auf diese Gemeinsamkeit der Grundlagen hellenischer und italischer Politie um so mehr Gewicht zu legen, als dieselbe sich nicht auch auf die übrigen indogermanischen Stämme mit erstreckt; wie denn zum Beispiel die deutsche Gemeindeordnung keineswegs wie die der Griechen und Italiker von dem Wahlkönigtum ausgeht. Wie verschieden aber die auf dieser gleichen Basis in Italien und in Griechenland aufgebauten Politien waren und wie vollständig der ganze Verlauf der politischen Entwicklung jeder der beiden Nationen als Sondergut angehörtNur darf man natürlich nicht vergessen, daß ähnliche Voraussetzungen überall zu ähnlichen Institutionen führen. So ist nichts so sicher, als daß die römischen Plebejer erst innerhalb des römischen Gemeinwesens erwuchsen, und doch finden sie überall ihr Gegenbild, wo neben einer Bürger- eine Insassenschaft sich entwickelt hat. Daß auch der Zufall hier sein neckendes Spiel treibt, versteht sich von selbst., wird die weitere Erzählung darzulegen haben.

Nicht anders ist es in der Religion. Wohl liegt in Italien wie in Hellas dem Volksglauben der gleiche Gemeinschatz symbolischer und allegorisierter Naturanschauungen zugrunde; auf diesem ruht die allgemeine Analogie zwischen der römischen und der griechischen Götter- und Geisterwelt, die in späteren Entwicklungsstadien so wichtig werden sollte. Auch in zahlreichen Einzelvorstellungen, in der schon erwähnten Gestalt des Zeus-Diovis und der Hestia-Vesta, in dem Begriff des heiligen Raumes (τέμενος, templum), in manchen Opfern und Zeremonien, stimmten die beiderseitigen Kulte nicht bloß zufällig überein. Aber dennoch gestalteten sie sich in Hellas wie in Italien so vollständig national und eigentümlich, daß selbst von dem alten Erbgut nur weniges in erkennbarer Weise und auch dieses meistenteils unverstanden oder mißverstanden bewahrt ward. Es konnte nicht anders sein; denn wie in den Völkern selbst die großen Gegensätze sich schieden, welche die graecoitalische Periode noch in ihrer Unmittelbarkeit zusammengehalten hatte, so schied sich auch in ihrer Religion Begriff und Bild, die bis dahin nur ein Ganzes in der Seele gewesen waren. Jene alten Bauern mochten, wenn die Wolken am Himmel hin gejagt wurden, sich das so ausdrücken, daß die Hündin der Götter die verscheuchten Kühe der Herde zusammentreibe; der Grieche vergaß es, daß die Kühe eigentlich die Wolken waren, und machte aus dem bloß für einzelne Zwecke gestatteten Sohn der Götterhündin den zu allen Diensten bereiten und geschickten Götterboten. Wenn der Donner in den Bergen rollte, sah er den Zeus auf dem Olymp die Keile schwingen; wenn der blaue Himmel wieder auflächelte, blickte er in das glänzende Auge der Tochter des Zeus, Athenaia; und so mächtig lebten ihm die Gestalten, die er sich geschaffen, daß er bald in ihnen nichts sah als vom Glanze der Naturkraft strahlende und getragene Menschen und sie frei nach den Gesetzen der Schönheit bildete und umbildete. Wohl anders, aber nicht schwächer offenbarte sich die innige Religiosität des italischen Stammes, der den Begriff festhielt und es nicht litt, daß die Form ihn verdunkelte. Wie der Grieche, wenn er opfert, die Augen zum Himmel aufschlägt, so verhüllt der Römer sein Haupt; denn jenes Gebet ist Anschauung und dieses Gedanke. In der ganzen Natur verehrt er das Geistige und Allgemeine; jedem Wesen, dem Menschen wie dem Baum, dem Staat wie der Vorratskammer, ist der mit ihm entstandene und mit ihm vergehende Geist zugegeben, das Nachbild des Physischen im geistigen Gebiet; dem Mann der männliche Genius, der Frau die weibliche Juno, der Grenze der Terminus, dem Wald der Silvanus, dem kreisenden Jahr der Vertumnus, und also weiter jedem nach seiner Art. Ja es wird in den Handlungen der einzelne Moment der Tätigkeit vergeistigt; so wird beispielsweise in der Fürbitte für den Landmann angerufen der Geist der Brache, des Ackerns, des Furchens, Säens, Zudeckens, Eggens und so fort bis zu dem des Einfahrens, Rufspeicherns und des Öffnens der Scheuer; und in ähnlicher Weise wird Ehe, Geburt und jedes andere physische Ereignis mit heiligem Leben ausgestattet. Je größere Kreise indes die Abstraktion beschreibt, desto höher steigt der Gott und die Ehrfurcht der Menschen; so sind Jupiter und Juno die Abstraktionen der Männlichkeit und der Weiblichkeit, Dea Dia oder Ceres die schaffende, Minerva die erinnernde Kraft, Dea bona oder, bei den Samniten, Dea cupra die gute Gottheit. Wie den Griechen alles konkret und körperlich erschien, so konnte der Römer nur abstrakte, vollkommen durchsichtige Formeln brauchen; und warf der Grieche den alten Sagenschatz der Urzeit deshalb zum größten Teil weg, weil in deren Gestalten der Begriff noch zu durchsichtig war, so konnte der Römer ihn noch weniger festhalten, weil ihm die heiligen Gedanken auch durch den leichtesten Schleier der Allegorie sich zu trüben schienen. Nicht einmal von den ältesten und allgemeinsten Mythen, zum Beispiel der den Indern, Griechen und selbst den Semiten geläufigen Erzählung von dem nach einer großen Flut übriggebliebenen gemeinsamen Stammvater des gegenwärtigen Menschengeschlechts, ist bei den Römern eine Spur bewahrt worden. Ihre Götter konnten nicht sich vermählen und Kinder zeugen wie die hellenischen; sie wandelten nicht ungesehen unter den Sterblichen und bedurften nicht des Nektars. Aber daß sie dennoch in ihrer Geistigkeit, die nur der platten Auffassung platt erscheint, die Gemüter mächtig und vielleicht mächtiger faßten als die nach dem Bilde des Menschen geschaffenen Götter von Hellas, davon würde, auch wenn die Geschichte schwiege, schon die römische, dem Worte wie dem Begriffe nach unhellenische Benennung des Glaubens, die „Religio“, das heißt die Bindung, zeugen. Wie Indien und Iran aus einem und demselben Erbschatz jenes die Formenfülle seiner heiligen Epen, dieses die Abstraktionen des Zendavesta entwickelte, so herrscht auch in der griechischen Mythologie die Person, in der römischen der Begriff, dort die Freiheit, hier die Notwendigkeit.

Endlich gilt, was von dem Ernst des Lebens, auch von dessen Nachbild in Scherz und Spiel, welche ja überall, und am meisten in der ältesten Zeit des vollen und einfachen Daseins, den Ernst nicht ausschließen, sondern einhüllen. Die einfachsten Elemente der Kunst sind in Latium und in Hellas durchaus dieselben: der ehrbare Waffentanz, der „Sprung“ (triumpus, θρίαμβος, δι-θύραμβος); der Mummenschanz der „vollen Leute“ (σάτυροι, satura), die, in Schaf- und Bockfelle gehüllt, mit ihren Späßen das Fest beschließen; endlich das Instrument der Flöte, das den feierlichen wie den lustigen Tanz mit angemessenen Weisen beherrscht und begleitet. Nirgends vielleicht tritt so deutlich wie hier die vorzugsweise enge Verwandtschaft der Hellenen und der Italiker zu Tage; und dennoch ist die Entwicklung der beiden Nationen in keiner anderen Richtung so weit auseinandergegangen. Die Jugendbildung blieb in Latium gebannt in die engen Schranken der häuslichen Erziehung; in Griechenland schuf der Drang nach mannigfaltiger und doch harmonischer Bildung des menschlichen Geistes und Körpers die von der Nation und von den Einzelnen als ihr bestes Gut gepflegten Wissenschaften der Gymnastik und der Paedeia. Latium steht in der Dürftigkeit seiner künstlerischen Entwicklung fast auf der Stufe der kulturlosen Völker; in Hellas ist mit unglaublicher Raschheit aus den religiösen Vorstellungen der Mythos und die Kulturfigur und aus diesen jene Wunderwelt der Poesie und der Bildnerei erwachsen, derengleichen die Geschichte nicht wieder aufzuzeigen hat. In Latium gibt es im öffentlichen wie im Privatleben keine anderen Mächte als Klugheit, Reichtum und Kraft; den Hellenen war es vorbehalten, die beseligende Übermacht der Schönheit zu empfinden, in sinnlich idealer Schwärmerei dem schönen Knabenfreunde zu dienen und den verlorenen Mut in den Schlachtliedern des göttlichen Sängers wiederzufinden.

So stehen die beiden Nationen, in denen das Altertum sein Höchstes erreicht hat, ebenso verschieden wie ebenbürtig nebeneinander. Die Vorzüge der Hellenen vor den Italikern sind von allgemeinerer Faßlichkeit und von hellerem Nachglanz; aber das tiefe Gefühl des Allgemeinen im Besondern, die Hingebung und Aufopferungsfähigkeit des Einzelnen, der ernste Glaube an die eigenen Götter ist der reiche Schatz der italischen Nation. Beide Völker haben sich einseitig entwickelt und darum beide vollkommen; nur engherzige Armseligkeit wird den Athener schmähen, weil er seine Gemeinde nicht zu gestalten verstand wie die Fabier und Valerier, oder den Römer, weil er nicht bilden lernte wie Pheidias und dichten wie Aristophanes. Es war eben das Beste und Eigenste des griechischen Volkes, was es ihm unmöglich machte, von der nationalen Einheit zur politischen fortzuschreiten, ohne doch die Politie zugleich mit der Despotie zu vertauschen. Die ideale Welt der Schönheit war den Hellenen alles und ersetzte ihnen selbst bis zu einem gewissen Grade, was in der Realität ihnen abging; wo immer in Hellas ein Ansatz zu nationaler Einigung hervortritt, beruht dieser nicht auf den unmittelbar politischen Faktoren, sondern auf Spiel und Kunst: nur die olympischen Wettkämpfe, nur die Homerischen Gesänge, nur die Euripideische Tragödie hielten Hellas in sich zusammen. Entschlossen gab dagegen der Italiker die Willkür hin um der Freiheit willen und lernte dem Vater gehorchen, damit er dem Staate zu gehorchen verstände. Mochte der Einzelne bei dieser Untertänigkeit verderben und der schönste menschliche Keim darüber verkümmern; er gewann dafür ein Vaterland und ein Vaterlandsgefühl, wie der Grieche es nie gekannt hat, und errang allein unter allen Kulturvölkern des Altertums bei einer auf Selbstregiment ruhenden Verfassung die nationale Einheit, die ihm endlich über den zersplitterten hellenischen Stamm und über den ganzen Erdkreis die Botmäßigkeit in die Hand legte.

3. Kapitel


3. Kapitel

Die Ansiedlungen der Latiner

Die Heimat des indogermanischen Stammes ist der westliche Teil Mittelasiens; von dort aus hat er sich teils in südöstlicher Richtung über Indien, teils in nordwestlicher über Europa ausgebreitet. Genauer den Ursitz der Indogermanen zu bestimmen, ist schwierig; jedenfalls muß er im Binnenlande und von der See entfernt gewesen sein, da keine Benennung des Meeres dem asiatischen und dem europäischen Zweige gemeinsam ist. Manche Spuren weisen näher in die Euphratlandschaften, so daß merkwürdigerweise die Urheimat der beiden wichtigsten Kulturstämme, des indogermanischen und des aramäischen, räumlich fast zusammenfällt – eine Unterstützung für die Annahme einer allerdings fast jenseits aller verfolgbaren Kultur- und Sprachentwicklung liegenden Gemeinschaft auch dieser Völker. Eine engere Lokalisierung ist ebensowenig möglich, als es möglich ist, die einzelnen Stämme auf ihren weiteren Wanderungen zu begleiten. Der europäische mag noch nach dem Ausscheiden der Inder längere Zeit in Persien und Armenien verweilt haben; denn allem Anschein nach ist hier die Wiege des Acker- und Weinbaus. Gerste, Spelt und Weizen sind in Mesopotamien, der Weinstock südlich vom Kaukasus und vom Kaspischen Meer einheimisch; ebenda sind der Pflaumen- und der Nußbaum und andere der leichter zu verpflanzenden Fruchtbäume zu Hause. Bemerkenswert ist es auch, daß den meisten europäischen Stämmen, den Lateinern, Kelten, Deutschen und Slawen der Name des Meeres gemeinsam ist; sie müssen also wohl vor ihrer Scheidung die Küste des Schwarzen oder auch des Kaspischen Meeres erreicht haben. Auf welchem Wege von dort die Italiker an die Alpenkette gelangt sind und wo namentlich sie, allein noch mit den Hellenen vereinigt, gesiedelt haben mögen, läßt sich nur beantworten, wenn es entschieden ist, auf welchem Wege, ob von Kleinasien oder vom Donaugebiet aus, die Hellenen nach Griechenland gelangt sind. Daß die Italiker eben wie die Inder von Norden her in ihre Halbinsel eingewandert sind, darf auf jeden Fall als ausgemacht gelten. Der Zug des umbrisch-sabellischen Stammes auf dem mittleren Bergrücken Italiens in der Richtung von Norden nach Süden läßt sich noch deutlich verfolgen; ja die letzten Phasen desselben gehören der vollkommen historischen Zeit an. Weniger kenntlich ist der Weg, den die latinische Wanderung einschlug. Vermutlich zog sie in ähnlicher Richtung an der Westküste entlang, wohl lange bevor die ersten sabellischen Stämme aufbrachen; der Strom überflutet die Höhen erst, wenn die Niederungen schon eingenommen sind, und nur, wenn die latinischen Stämme schon vorher an der Küste saßen, erklärt es sich, daß die Sabeller sich mit den rauheren Gebirgen begnügten und erst von diesen aus, wo es anging, sich zwischen die latinischen Völker drängten.

Daß vom linken Ufer des Tiber bis an die volskischen Berge ein latinischer Stamm wohnte, ist allbekannt; diese Berge selbst aber, welche bei der ersten Einwanderung, als noch die Ebenen von Latium und Kampanien offenstanden, verschmäht worden zu sein scheinen, waren, wie die volskischen Inschriften zeigen, von einem den Sabellern näher als den Latinern verwandten Stamm besetzt. Dagegen wohnten in Kampanien vor der griechischen und samnitischen Einwanderung wahrscheinlich Latiner; denn die italischen Namen Novla oder Nola (Neustadt), Campani Capua, Volturnus (von volvere wie Iuturna von iuvare), Opsci (Arbeiter) sind nachweislich älter als der samnitische Einfall und beweisen, daß, als Kyme von den Griechen gegründet ward, ein italischer und wahrscheinlich latinischer Stamm, die Ausōner, Kampanien innehatten. Auch die Urbewohner der später von den Lucanern und Brettiern bewohnten Landschaften, die eigentlichen Itali (Bewohner des Rinderlandes), werden von den besten Beobachtern nicht zu dem iapygischen, sondern zu dem italischen Stamm gestellt; es ist nichts im Wege, sie dem latinischen Stamm beizuzählen, obwohl die noch vor dem Beginn der staatlichen Entwicklung Italiens erfolgte Hellenisierung dieser Gegenden und deren spätere Überflutung durch samnitische Schwärme die Spuren der älteren Nationalität hier gänzlich verwischt hat. Auch den gleichfalls verschollenen Stamm der Siculer setzten sehr alte Sagen in Beziehung zu Rom; so erzählt der älteste italische Geschichtschreiber Antiochos von Syrakus, daß zum König Morges von Italia (d. h. der Brettischen Halbinsel) ein Mann Namens Sikelos auf flüchtigem Fuß aus Rom gekommen sei; und es scheinen diese Erzählungen zu beruhen auf der von den Berichterstattern wahrgenommenen Stammesgleichheit der Siculer, deren es noch zu Thukydides‘ Zeit in Italien gab, und der Latiner. Die auffallende Verwandtschaft einzelner Dialektwörter des sizilischen Griechisch mit dem Lateinischen erklärt sich zwar wohl nicht aus der alten Sprachgleichheit der Siculer und Römer, sondern vielmehr aus den alten Handelsverbindungen zwischen Rom und den sizilischen Griechen; nach allen Spuren indes sind nicht bloß die latinische, sondern wahrscheinlich auch die kampanische und lucanische Landschaft, das eigentliche Italia zwischen den Buchten von Tarent und Laos und die östliche Hälfte von Sizilien, in uralter Zeit von verschiedenen Stämmen der latinischen Nation bewohnt gewesen.

Die Schicksale dieser Stämme waren sehr ungleich. Die in Sizilien, Großgriechenland und Kampanien angesiedelten kamen mit den Griechen in Berührung in einer Epoche, wo sie deren Zivilisation Widerstand zu leisten nicht vermochten, und wurden entweder völlig hellenisiert, wie namentlich in Sizilien, oder doch so geschwächt, daß sie der frischen Kraft der sabinischen Stämme ohne sonderliche Gegenwehr unterlagen. So sind die Siculer, die Italer und Morgeten, die Ausōner nicht dazu gekommen, eine tätige Rolle in der Geschichte der Halbinsel zu spielen.

Anders war es in Latium, wo griechische Kolonien nicht gegründet worden sind und es den Einwohnern nach harten Kämpfen gelang, sich gegen die Sabiner wie gegen die nördlichen Nachbarn zu behaupten. Werfen wir einen Blick auf die Landschaft, die wie keine andere in die Geschicke der alten Welt einzugreifen bestimmt war.

Schon in urältester Zeit ist die Ebene von Latium der Schauplatz der großartigsten Naturkämpfe gewesen, in denen die langsam bildende Kraft des Wassers und die Ausbrüche gewaltiger Vulkane Schicht über Schicht schoben desjenigen Bodens, auf dem entschieden werden sollte, welchem Volk die Herrschaft der Erde gehöre. Eingeschlossen im Osten von den Bergen der Sabiner und Aequer, die dem Apennin angehören; im Süden von dem bis zu 4000 Fuß Höhe ansteigenden volskischen Gebirg, welches von dem Hauptstock des Apennin durch das alte Gebiet der Herniker, die Hochebene des Sacco (Trerus, Nebenfluß des Liris), getrennt ist und von dieser aus sich westlich ziehend mit dem Vorgebirg von Terracina abschließt; im Westen von dem Meer, das an diesem Gestade nur wenige und geringe Häfen bildet; im Norden in das weite etruskische Hügelland sich verlaufend, breitet eine stattliche Ebene sich aus, durchflossen von dem Tiberis, dem „Bergstrom“, der aus den umbrischen, und dem Anio, der von den sabinischen Bergen herkommt. Inselartig steigen in der Fläche auf teils die steilen Kalkfelsen des Soracte im Nordosten, des circeischen Vorgebirgs im Südwesten, sowie die ähnliche, obwohl niedrigere Höhe des Ianiculum bei Rom; teils vulkanische Erhebungen, deren erloschene Krater zu Seen geworden und zum Teil es noch sind: die bedeutendste unter diesen ist das Albaner Gebirge, das nach allen Seiten frei zwischen den Volskergebirgen und dem Tiberfluß aus der Ebene emporragt.

Hier siedelte der Stamm sich an, den die Geschichte kennt unter dem Namen der Latiner, oder, wie sie später zur Unterscheidung von den außerhalb dieses Bereichs gegründeten latinischen Gemeinden genannt werden, der „alten Latiner“ (prisci Latini). Allein das von ihnen besetzte Gebiet, die Landschaft Latium, ist nur ein kleiner Teil jener mittelitalischen Ebene. Alles Land nördlich des Tiber ist den Latinern ein fremdes, ja sogar ein feindliches Gebiet, mit dessen Bewohnern ein ewiges Bündnis, ein Landfriede nicht möglich war und die Waffenruhe stets auf beschränkte Zeit abgeschlossen worden zu sein scheint. Die Tibergrenze gegen Norden ist uralt, und weder die Geschichte noch die bessere Sage hat eine Erinnerung davon bewahrt, wie und wann diese folgenreiche Abgrenzung sich festgestellt hat. Die flachen und sumpfigen Strecken südlich vom Albaner Gebirge finden wir, wo unsere Geschichte beginnt, in den Händen umbrisch-sabellischer Stämme, der Rutuler und Volsker; schon Ardea und Velitrae sind nicht mehr ursprünglich latinische Städte. Nur der mittlere Teil jenes Gebietes zwischen dem Tiber, den Vorbergen des Apennin, den Albaner Bergen und dem Meer, ein Gebiet von etwa 34 deutschen Quadratmeilen, wenig größer als der jetzige Kanton Zürich, ist das eigentliche Latium, die „Ebene“Ein französischer Statistiker, Dureau de la Malle (Economie politique des Romains. Bd. 2, S. 226), vergleicht mit der römischen Campagna die Limagne in Auvergne, gleichfalls eine weite, sehr durchschnittene und ungleiche Ebene, mit einer Bodenoberfläche aus dekomponierter Lava und Asche den Resten ausgebrannter Vulkane. Die Bevölkerung, mindestens 2500 Menschen auf die Quadratlieue, ist eine der stärksten, die in rein ackerbauenden Gegenden vorkommt, das Eigentum ungemein zerstückelt. Der Ackerbau wird fast ganz von Menschenhand beschafft, mit Spaten, Karst oder Hacke; nur ausnahmsweise tritt dafür der leichte Pflug ein der mit zwei Kühen bespannt ist und nicht selten spannt an der Stelle der einen sich die Frau des Ackermanns ein. Das Gespann dient zugleich um Milch zu gewinnen und das Land zu bestehen. Man erntet zweimal im Jahre, Korn und Kraut; Brache kommt nicht vor. Der mittlere Pachtzins für einen Arpent Ackerland ist 100 Franken jährlich. Würde dasselbe Land statt dessen unter sechs oder sieben große Grundbesitzer verteilt werden würden Verwalter- und Tagelöhnerwirtschaft an die Stelle des Bewirtschaftens durch kleine Grundeigentümer treten, so würde in hundert Jahren ohne Zweifel die Limagne öde, verlassen und elend sein wie heutzutage die Campagna di Roma.. An gutem Wasser ist kein Überfluß; um so höher und heiliger hielt die Bevölkerung jede frische Quelle.

Es ist kein Bericht darüber erhalten, wie die Ansiedlungen der Latiner in der Landschaft, welche seitdem ihren Namen trug, erfolgt sind, und wir sind darüber fast allein auf Rückschlüsse angewiesen. Einiges indes läßt sich dennoch erkennen oder mit Wahrscheinlichkeit vermuten.

Die römische Mark zerfiel in ältester Zeit in eine Anzahl Geschlechterbezirke, welche späterhin benutzt wurden, um dar aus die ältesten „Landquartiere“ (tribus rusticae) zu bilden. Von dem Claudischen Quartier ist es überliefert, daß es aus der Ansiedlung der Claudischen Geschlechtsgenossen am Anio erwuchs; und dasselbe geht ebenso sicher für die übrigen Distrikte der ältesten Einteilung hervor aus ihren Namen. Diese sind nicht, wie die der später hinzugefügten Distrikte, von Örtlichkeiten entlehnt, sondern ohne Ausnahme von Geschlechternamen gebildet; und es sind die Geschlechter, die den Quartieren der ursprünglichen römischen Mark die Namen gaben, soweit sie nicht gänzlich verschollen sind (wie die Camilii, Galerii, Lemonii, Pollii, Pupinii, Voltinii), durchaus die ältesten römischen Patrizierfamilien, die Aemilii, Cornelii, Fabii, Horatii, Menenii, Papirii, Romilii, Sergii, Voturii. Bemerkenswert ist es, daß unter all diesen Geschlechtern kein einziges erscheint, das nachweislich erst später nach Rom übergesiedelt wäre. Ähnlich wie der römische, wird jeder italische und ohne Zweifel auch jeder hellenische Gau von Haus aus in eine Anzahl zugleich örtlich und geschlechtlich vereinigter Genossenschaften zerfallen sein; es ist diese Geschlechtsansiedlung das „Haus“ (οικία) der Griechen, aus dem, wie in Rom die Tribus, auch dort sehr häufig die Komen oder Demen hervorgegangen sind. Die entsprechenden italischen Benennungen „Haus“ (vicus) oder „Bezirk“ (pagus von pangere) deuten gleichfalls das Zusammensiedeln der Geschlechtsgenossen an und gehen im Sprachgebrauch begreiflicherweise über in die Bedeutung Weiler oder Dorf. Wie zu dem Hause ein Acker, so gehört zu dem Geschlechtshaus oder Dorf eine Geschlechtsmark, die aber, wie später zu zeigen sein wird, bis in verhältnismäßig späte Zeit noch gleichsam als Hausmark, das heißt nach dem System der Feldgemeinschaft bestellt wurde. Ob die Geschlechtshäuser in Latium selbst sich zu Geschlechtsdörfern entwickelt haben oder ob die Latiner schon als Geschlechtsgenossenschaften in Latium eingewandert sind, ist eine Frage, auf die wir ebenso wenig eine Antwort haben, als wir zu bestimmen vermögen, in welcher Weise die Gesamtwirtschaft, welche durch eine derartige Ordnung gefordert wird, sich in Latium gestaltet hatIn Slawonien, wo die patriarchalische Haushaltung bis auf den heutigen Tag festgehalten wird, bleibt die ganze Familie, oft bis zu fünfzig, ja hundert Köpfen stark, unter den Befehlen des von der ganzen Familie auf Lebenszeit gewählten Hausvaters (Goszpodár) in demselben Hause beisammen. Das Vermögen des Hauses, das hauptsächlich in Vieh besteht, verwaltet der Hausvater; der Überschuß wird nach Familienstämmen verteilt. Privaterwerb durch Industrie und Handel bleibt Sondereigentum. Austritte aus dem Hause, auch der Männer, z. B. durch Einheiraten in eine fremde Wirtschaft, kommen vor (Csaplovics, Slawonien und Kroatien. Pest 1839. Bd. 1, S. 106, 179). Bei derartigen Verhältnissen, die von den ältesten römischen sich nicht allzuweit entfernen mögen, nähert das Haus sich der Gemeinde., in wie weit das Geschlecht neben der Abstammung noch auf äußerlicher Ein- und Zusammenordnung nicht blutsverwandter Individuen mit beruhen mag.

Von Haus aus aber galten diese Geschlechtsgenossenschaften nicht als selbständige Einheiten, sondern als die integrierenden Teile einer politischen Gemeinde (civitas, populus), welche zunächst auftritt als ein zu gegenseitiger Rechtsfolge und Rechtshilfe und zu Gemeinschaftlichkeit in Abwehr und Angriff verpflichteter Inbegriff einer Anzahl stamm-, sprach- und sittengleicher Geschlechtsdörfer. An einem festen örtlichen Mittelpunkt konnte es diesem Gau so wenig fehlen wie der Geschlechtsgenossenschaft; da indes die Geschlechts-, das heißt die Gaugenossen in ihren Dörfern wohnten, so konnte der Mittelpunkt des Gaues nicht eine eigentliche Zusammensiedlung, eine Stadt, sondern nur eine gemeine Versammlungsstätte sein, welche die Dingstätte und die gemeinen Heiligtümer des Gaues in sich schloß, wo die Gaugenossen an jedem achten Tag des Verkehrs wie des Vergnügens wegen sich zusammenfanden und wo sie im Kriegsfall sich und ihr Vieh vor dem einfallenden Feind sicherer bargen als in den Weilern, die aber übrigens regelmäßig nicht oder schwach bewohnt war. Ganz ähnliche alte Zufluchtsstätten sind noch heutzutage in dem Hügellande der Ostschweiz auf mehreren Bergspitzen zu erkennen. Ein solcher Platz heißt in Italien „Höhe“ (capitolium, wie άκρα, das Berghaupt) oder „Wehr“ (arx von arcere); er ist noch keine Stadt, aber die Grundlage einer künftigen, indem die Häuser an die Burg sich anschließen und späterhin sich umgeben mit dem „Ringe“ (urbs mit urvus, curvus, vielleicht auch mit orbis verwandt). Den äußerlichen Unterschied zwischen Burg und Stadt gibt die Anzahl der Tore, deren die Burg möglichst wenige, die Stadt möglichst viele, jene in der Regel nur ein einziges, diese mindestens drei hat. Auf diesen Befestigungen ruht die vorstädtische Gauverfassung Italiens, welche in denjenigen italischen Landschaften, die zum städtischen Zusammensiedeln erst spät und zum Teil noch bis auf den heutigen Tag nicht vollständig gelangt sind, wie im Marserland und in den kleinen Gauen der Abruzzen, noch einigermaßen sich erkennen läßt. Die Landschaft der Aequiculer, die noch in der Kaiserzeit nicht in Städten, sondern in unzähligen offenen Weilern wohnten, zeigt eine Menge altertümlicher Mauerringe, die als „verödete Städte“ mit einzelnen Tempeln das Staunen der römischen wie der heutigen Archäologen erregten, von denen jene ihre „Urbewohner“ (aborigines), diese ihre Pelasger hier unterbringen zu können meinten. Gewiß richtiger wird man in diesen Anlagen nicht ummauerte Städte erkennen, sondern Zufluchtsstätten der Markgenossen, wie sie in älterer Zeit ohne Zweifel in ganz Italien, wenngleich in weniger kunstvoller Weise angelegt, bestanden. Daß in derselben Epoche, wo die zu städtischen Ansiedlungen übergegangenen Stämme ihren Städten steinerne Ringmauern gaben, auch diejenigen Landschaften, die in offenen Weilern zu wohnen fortfuhren, die Erdwälle und Pfahlwerke ihrer Festungen durch Steinbauten ersetzten, ist natürlich; als dann in der Zeit des gesicherten Landfriedens man solcher Festungen nicht mehr bedurfte, wurden diese Zufluchtsstätten verlassen und bald den späteren Generationen ein Rätsel.

Jene Gaue also, die in einer Burg ihren Mittelpunkt fanden und eine gewisse Anzahl Geschlechtsgenossenschaften in sich begriffen, sind als die ursprünglichen staatlichen Einheiten der Ausgangspunkt der italischen Geschichte. Indes wo und in welchem Umfang innerhalb Latiums dergleichen Gaue sich bildeten, ist weder mit Bestimmtheit auszumachen noch von besonderem historischen Interesse. Das isolierte Albaner Gebirge, das den Ansiedlern die gesundeste Luft, die frischesten Quellen und die am meisten gesicherte Lage darbot, diese natürliche Burg Latiums, ist ohne Zweifel von den Ankömmlingen zuerst besetzt worden. Hier lag denn auch auf der schmalen Hochfläche oberhalb Palazzuola zwischen dem Albanischen See (Lago di Castello) und dem Albanischen Berg (Monte Cavo) lang hingestreckt Alba, das durchaus als Ursitz des latinischen Stammes und Mutterort Roms sowie aller übrigen altlatinischen Gemeinden galt; hier an den Abhängen die uralten latinischen Ortschaften Lanuvium, Aricia und Tusculum. Hier finden sich auch von jenen uralten Bauwerken, welche die Anfänge der Zivilisation zu bezeichnen pflegen und gleichsam der Nachwelt zum Zeugnis dastehen davon, daß Pallas Athene in der Tat, wenn sie erscheint, erwachsen in die Welt tritt: so die Abschroffung der Felswand unterhalb Alba nach Palazzuola zu, welche den durch die steilen Abhänge des Monte Cavo nach Süden zu von Natur unzugänglichen Ort von Norden her ebenso unnahbar macht und nur die beiden schmalen, leicht zu verteidigenden Zugänge von Osten und Westen her für den Verkehr frei läßt; und vor allem der gewaltige, in die harte, sechstausend Fuß mächtige Lavawand mannshoch gebrochene Stollen, durch welchen der in dem alten Krater des Albaner Gebirges entstandene See bis auf seine jetzige Tiefe abgelassen und für den Ackerbau auf dem Berge selbst ein bedeutender Raum gewonnen worden ist.

Natürliche Festen der latinischen Ebene sind auch die Spitzen der letzten Ausläufer der Sabinergebirge, wo aus solchen Gauburgen später die ansehnlichen Städte Tibur und Praeneste hervorgingen. Auch Labici, Gabii und Nomentum in der Ebene zwischen dem Albaner und Sabinergebirge und dem Tiber; Rom am Tiber, Laurentum und Lavinium an der Küste sind mehr oder minder alte Mittelpunkte latinischer Kolonisation, um von zahlreichen andern, minder namhaften und zum Teil fast verschollenen zu schweigen. Alle diese Gaue waren in ältester Zeit politisch souverän und wurden ein jeder von seinem Fürsten unter Mitwirkung des Rates der Alten und der Versammlung der Wehrmänner regiert. Aber dennoch ging nicht bloß das Gefühl der Sprach- und Stammgenossenschaft durch diesen ganzen Kreis, sondern es offenbarte sich dasselbe auch in einer wichtigen religiösen und staatlichen Institution, in dem ewigen Bunde der sämtlichen latinischen Gaue. Die Vorstandschaft stand ursprünglich nach allgemeinem italischen wie hellenischen Gebrauch demjenigen Gau zu, in dessen Grenzen die Bundesstätten lagen; es war dies der Gau von Alba, der überhaupt, wie gesagt; als der älteste und vornehmste der latinischen betrachtet ward. Der berechtigten Gemeinden waren anfänglich dreißig, wie denn diese Zahl als Summe der Teile eines Gemeinwesens in Griechenland wie in Italien ungemein häufig begegnet. Welche Ortschaften zu den dreißig altlatinischen Gemeinden oder, wie sie in Beziehung auf die Metropolrechte Albas auch wohl genannt werden, zu den dreißig albanischen Kolonien ursprünglich gezählt worden sind, ist nicht überliefert und nicht mehr auszumachen. Wie bei den ähnlichen Eidgenossenschaften zum Beispiel der Böoter und der Ionier die Pamböotien und Panionien, war der Mittelpunkt dieser Vereinigung das „latinische Fest“ (feriae Latinae), an welchem auf dem „Berg von Alba“ (mons Albanus, Monte Cavo) an einem alljährlich von dem Vorstand dafür fest gesetzten Tage dem „latinischen Gott“ (Iuppiter Latiaris) von dem gesamten Stamm ein Stieropfer dargebracht ward. Zu dem Opferschmaus hatte jede teilnehmende Gemeinde nach festem Satz ein Gewisses an Vieh, Milch und Käse zu liefern und dagegen von dem Opferbraten ein Stück zu empfangen. Diese Gebräuche dauerten fort bis in die späte Zeit und sind wohlbekannt; über die wichtigeren rechtlichen Wirkungen dieser Verbindung dagegen vermögen wir fast nur Mutmaßungen aufzustellen. Seit ältester Zeit schlossen sich an das religiöse Fest auf dem Berg von Alba auch Versammlungen der Vertreter der einzelnen Gemeinden auf der benachbarten latinischen Dingstätte am Quell der Ferentina (bei Marino); und überhaupt kann eine solche Eidgenossenschaft nicht gedacht werden ohne eine gewisse Oberverwaltung des Bundes und eine für die ganze Landschaft gültige Rechtsordnung. Daß dem Bunde wegen Verletzung des Bundesrechts eine Gerichtsbarkeit zustand und in diesem Fall selbst auf den Tod erkannt werden konnte, ist überliefert und glaublich. Auch die spätere Rechts- und eine gewisse Ehegemeinschaft der latinischen Gemeinden darf wohl schon als integrierender Teil des ältesten Bundesrechts gedacht werden, so daß also der Latiner mit der Latinerin rechte Kinder erzielen und in ganz Latium Grundbesitz erwerben und Handel und Wandel treiben konnte. Der Bund mag ferner für die Streitigkeiten der Gaue untereinander ein Schieds- und Bundesgericht angeordnet haben; dagegen läßt sich eine eigentliche Beschränkung des souveränen Rechts jeder Gemeinde über Krieg und Frieden durch den Bund nicht nachweisen. Ebenso leidet es keinen Zweifel, daß mit der Bundesverfassung die Möglichkeit gegeben war, einen Bundeskrieg abwehrend und selbst angreifend zu führen, wobei denn ein Bundesfeldherr, ein Herzog, natürlich nicht fehlen konnte. Aber wir haben keinen Grund anzunehmen, daß in diesem Fall jede Gemeinde rechtlich gezwungen war, Heeresfolge zu leisten, oder daß es ihr umgekehrt verwehrt war, auf eigene Hand einen Krieg selbst gegen ein Bundesmitglied zu beginnen. Dagegen finden sich Spuren, daß während der latinischen Feier, ähnlich wie während der hellenischen Bundesfeste, ein Gottesfriede in ganz Latium galtDie oft in alter und neuer Zeit aufgestellte Behauptung, daß Alba einstmals in den Formen der Symmachie über Latium geherrscht habe, findet bei genauerer Untersuchung nirgends ausreichende Unterstützung. Alle Geschichte geht nicht von der Einigung, sondern von der Zersplitterung der Nation aus, und es ist sehr wenig wahrscheinlich, daß das Problem, das Rom nach manchem durchkämpften Jahrhundert endlich löste, die Einigung Latiums, schon vorher einmal durch Alba gelöst worden sei. Auch ist es bemerkenswert, daß Rom niemals als Erbin Albas eigentliche Herrschaftsansprüche gegen die latinischen Gemeinden geltend gemacht, sondern mit einer Ehrenvorstandschaft sich begnügt hat, die freilich, als sie mit der materiellen Macht sich vereinigte, für die hegemonischen Ansprüche Roms eine Handhabe gewährte. Von eigentlichen Zeugnissen kann bei einer Frage, wie diese ist, überall kaum die Rede sein; und am wenigsten reichen Stellen wie Fest. v. praetor p. 241 und Dion. Hal. 3, 10 aus, um Alba zum latinischen Athen zu stempeln.. Überhaupt war der Umfang wie der Rechtsinhalt dieses latinischen Bundes vermutlich lose und wandelbar; doch war und blieb er nicht ein zufälliges Aggregat verschiedener, mehr oder minder einander fremder Gemeinden, sondern der rechtliche und notwendige Ausdruck des latinischen Stammes. Wenn der latinische Bund nicht zu allen Zeiten alle latinische Gemeinden umfaßt haben mag, so hat er doch zu keiner Zeit einer nicht latinischen die Mitgliedschaft gewährt – sein Gegenbild in Griechenland ist nicht die delphische Amphiktyonie, sondern die böotische oder ätolische Eidgenossenschaft.

Diese allgemeinen Umrisse müssen genügen; ein jeder Versuch, die Linien schärfer zu ziehen, würde das Bild nur verfälschen. Das mannigfache Spiel, wie die ältesten politischen Atome, die Gaue, sich in Latium gesucht und geflohen haben mögen, ist ohne berichtfähige Zeugen vorübergegangen, und es muß genügen, das Eine und Bleibende darin festzuhalten, daß sie in einem gemeinschaftlichen Mittelpunkt zwar nicht ihre Einheitlichkeit aufgaben, aber doch das Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit hegten und steigerten und damit den Fortschritt vorbereiteten von dem kantonalen Partikularismus, mit dem jede Volksgeschichte anhebt und anheben maß, zu der nationalen Einigung, mit der jede Volksgeschichte endigt oder doch endigen sollte.