Kapitel XIII


Die afrikanischen Provinzen

Kapitel XIII

Nordafrika steht physisch und ethnographisch inselartig auf sich selbst. Die Natur hat es nach allen Seiten hin isoliert, teils durch das Atlantische und das Mittelländische Meer, teils durch den weitgedehnten des Anbaues unfähigen Strand der großen Syrte unter dem heutigen Fezzan und im Anschluß daran durch die ebenfalls der Kultur verschlossene Wüste, welche das Steppenland und die Oasen der Sahara südlich abschließt. Ethnographisch bildet die Bevölkerung dieses weiten Gebietes eine große Völkerfamilie, aufs schärfste geschieden von den Schwarzen des Südens, aber ebenfalls streng gesondert von den Ägyptern, wenn auch vielleicht mit diesen einstmals eine Urgemeinschaft bestanden haben mag. Sie selber nennen sich im Rîf bei Tanger Amâzigh, in der Sahara Imôschagh, und der gleiche Name begegnet, auf einzelne Stämme bezogen, mehrfach bei den Griechen und Römern, so als Maxyer bei der Gründung Karthagos, als Maziken in der Römerzeit an verschiedenen Stellen der mauretanischen Nordküste; die den zerstreuten Überresten gebliebene gleichartige Benennung beweist, daß diesem großen Volke seine Zusammengehörigkeit einmal aufgegangen ist und sich dem Bewußtsein dauernd eingeprägt hat. Den Völkern, die mit ihnen in Berührung kamen, ist dieselbe wenig deutlich geworden; auch sind die Verschiedenheiten, die zwischen ihren einzelnen Teilen obwalten, nicht bloß heutzutage grell, nachdem in den vergangenen Jahrtausenden die Mischung mit den Nachbarvölkern, namentlich den Negern im Süden und den Arabern im Norden, auf sie eingewirkt hat, sondern sicher auch schon vor diesen fremden Einwirkungen so bedeutend gewesen, wie die räumliche Ausdehnung es verlangt. Ein allgemeingültiger Ausdruck für die Nation als solche fehlt allen übrigen Idiomen; auch wo die Benennung über die Stammbezeichnung hinausgeht, beschreibt sie dennoch nicht den vollen Kreis. Die der Libyer, welche die Ägypter und nach ihrem Vorgang die Griechen brauchen, gehört ursprünglich den östlichsten mit Ägypten sich berührenden Stämmen und ist denen der Osthälfte stets vorzugsweise eigen geblieben. Die der Nomaden, griechischen Ursprungs, drückt zunächst nur die mangelnde Seßhaftigkeit aus und hat dann in der römischen Umgestaltung als Numidier an demjenigen Gebiet gehaftet, welches König Massinissa unter seiner Herrschaft vereinigte. Die der Mauren, einheimischen Ursprungs und den späteren Griechen wie den Römern geläufig, beschränkt sich auf die westlichen Landesteile und bleibt den hier gebildeten Königreichen und den daraus hervorgegangenen römischen Provinzen. Die Stämme des Südens werden unter dem Namen der Gätuler zusammengefaßt, welchen indes der strengere Sprachgebrauch auf das Gebiet am Atlantischen Meer südwärts von Mauretanien beschränkt. Wir sind gewohnt, die Nation mit dem Namen der Berbern zu bezeichnen, mit welchem die Araber die nördlichen Stämme belegen. Ihrer Art nach stehen sie den indogermanischen bei weitem näher als den semitischen und bilden noch heute, wo seit der Invasion des Islam Nordafrika der semitischen Rasse anheimgefallen ist, gegen die Araber den schärfsten Kontrast. Nicht mit Unrecht haben manche Geographen des Altertums Afrika als dritten Erdteil überhaupt nicht gelten lassen, sondern Ägypten zu Asien, das Berbergebiet zu Europa gestellt. Wie die Pflanzen und die Tiere Nordafrikas im wesentlichen denen der gegenüberliegenden südeuropäischen Küste entsprechen, so weist auch der Menschenschlag, wo er sich unvermischt erhalten hat, durchaus nach Norden: die blonden Haare und die blauen Augen eines beträchtlichen Teils, die hohe Statur, der schlanke Wuchs, der kräftige Gliederbau, die durchgängige Monogamie und die geachtete Stellung der Frau, das lebendige und bewegliche Temperament, die Neigung zu seßhaftem Leben, die auf volle Gleichberechtigung der erwachsenen Männer gegründete Gemeinde, welche in der üblichen Konföderation mehrerer Gemeinden auch zu weiterer staatlicher Gestaltung das Fundament bietet. Zu eigentlich politischer Entwicklung und zu voller Zivilisierung ist diese von Negern, Ägyptern, Phönikern, Römern, Arabern umdrängte Nation zu keiner Zeit gelangt; genähert muß sie sich derselben haben unter dem Regiment des Massinissa. Das aus dem phönikischen selbständig abgeleitete Alphabet, dessen die Berbern sich unter römischer Herrschaft bedienten und das diejenigen der Sahara heute noch gebrauchen, so wie das, wie bemerkt, einstmals ihnen gewordene Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit mögen wohl zurückgehen auf den großen numidischen König und seine Nachkommen, welche die späteren Geschlechter als Götter verehrten. Trotz aller Invasionen haben sie ihr ursprüngliches Gebiet zu einem beträchtlichen Teil behauptet: man rechnet jetzt in Marokko etwa zwei Drittel, in Algier etwa die Hälfte der Einwohner als berberischer Herkunft.

Die Immigration, welcher alle Küsten des Mittelmeeres in frühester Zeit unterlegen haben, hat Nordafrika phönikisch gemacht. An die Phöniker haben die Eingeborenen den größten und besten Teil der Nordküste verloren; die Phöniker haben ganz Nordafrika der griechischen Zivilisierung entzogen. Die sprachliche wie die politische Scheide macht wieder die große Syrte; wie östlich die Pentapolis von Kyrene zu dem griechischen Kreis gehört, so ist westlich die Tripolis (Tripoli) von Groß-Leptis phönikisch geworden und geblieben. Wie dann die Phöniker nach mehrhundertjährigen Kämpfen den Römern unterlagen, ist früher erzählt worden. Hier haben wir die Schicksale Afrikas zu berichten, nachdem die Römer das karthagische Gebiet besetzt und die benachbarten Landschaften von sich abhängig gemacht hatten.

Die Kurzsichtigkeit und die Engherzigkeit, man darf hier sagen die Verkehrtheit und die Brutalität des auswärtigen Regiments der römischen Republik hat nirgends so voll geschaltet wie in Afrika. Im südlichen Gallien und mehr noch in Spanien verfolgt das römische Regiment wenigstens eine konsolidierte Gebietserweiterung und halb unfreiwillig die Anfänge der Latinisierung; im griechischen Osten wird die Fremdherrschaft gemildert und oft fast ausgeglichen durch die selbst der harten Politik die Hand zwingende Gewalt des Hellenismus. Über diesen dritten Weltteil aber scheint noch über das Grab der Vaterstadt Hannibals hinaus der alte Nationalhaß gegen die Pöner zu walten. Man hielt das Gebiet fest, welches Karthago bei seinem Untergange besessen hatte, aber weniger um es zu eigenem Nutzen zu entwickeln als um es anderen nicht zu gönnen, nicht um dort neues Leben zu erwecken, sondern um die Leiche zu hüten; nicht Herrsch- und Habsucht, Furcht und Neid haben die Provinz Afrika geschaffen. Eine Geschichte hat sie unter der Republik nicht; der Jugurtha-Krieg ist für Afrika nichts als eine Löwenjagd, und seine historische Bedeutung liegt in seiner Verknüpfung mit den republikanischen Parteikämpfen. Das Land wurde selbstverständlich von der römischen Spekulation ausgenutzt; aber weder durfte die zerstörte Großstadt wieder erstehen noch eine Nachbarstadt sich zu ähnlicher Blüte entwickeln; es gab hier auch keine ständigen Lager wie in Spanien und Gallien; die eng begrenzte römische Provinz war auf allen Seiten umschlossen von relativ zivilisiertem Gebiet des abhängigen Königs von Numidien, der an dem Werk der Zerstörung Karthagos mit geholfen hatte und nun als Lohn dafür weniger die Beute empfing als die Aufgabe, dieselbe vor den Einfällen der wilden Horden des Binnenlandes zu schützen. Daß dadurch diesem eine politische und militärische Bedeutung gegeben ward, wie sie nie ein anderer römischer Klientelstaat besessen hat, und daß auch nach dieser Seite hin die römische Politik, um nur den Schemen Karthagos zu bannen, ernsthafte Gefahren heraufbeschwor, das hat der Anteil Numidiens an den Bürgerkriegen Roms bewiesen; nie hat während aller inneren Krisen des Reiches vorher oder nachher ein Klientelfürst eine solche Rolle gespielt wie der letzte König von Numidien in dem Kriege der Republikaner gegen Cäsar.

Um so notwendiger verwandelte durch diese Waffenentscheidung sich in Afrika die Lage der Dinge. In den übrigen Provinzen wechselte infolge der Bürgerkriege die Herrschaft, in Afrika das System. Schon der afrikanische Besitz der Phöniker ist keine eigentliche Herrschaft über Afrika; er kann einigermaßen verglichen werden mit dem kleinasiatischen der Hellenen vor Alexander. Von dieser Herrschaft hatten dann die Römer nur einen kleinen Teil übernommen und diesem das Herzblatt ausgebrochen. Jetzt steht Karthago wieder auf und, als wenn der Boden nur auf den Samen gewartet hätte, bald wieder in voller Blüte. Das gesamte Hinterland, das große Königreich Numidien wird römische Provinz, und den Grenzschutz gegen die Barbaren übernehmen die römischen Legionäre. Das Königreich Mauretanien wird zunächst römische Dependenz, bald auch Teil des römischen Reiches. Mit dem Diktator Cäsar tritt die Zivilisierung und die Latinisierung Nordafrikas unter die Aufgaben der römischen Regierung ein. Wie dieselbe durchgeführt worden ist, soll hier dargelegt werden, zunächst die äußere Organisation, sodann die für die einzelnen Landschaften getroffenen Ordnungen und erzielten Erfolge.

Die Territorialhoheit über ganz Nordafrika hat wohl schon die römische Republik in Anspruch genommen, vielleicht als einen Teil der karthagischen Erbschaft, vielleicht weil »unser Meer« früh einer der Grundgedanken des römischen Staatswesens ward und insofern alle Küsten desselben den Römern schon der entwickelten Republik als ihr rechtes Eigentum galten. Es ist auch dieser Anspruch Roms von den größeren Staaten Nordafrikas nach der Zerstörung Karthagos nie eigentlich bestritten worden; wenn vielerorts die Anwohner sich der Herrschaft nicht fügten, gehorchten sie eben auch ihren örtlichen Herrschern nicht. Daß die Silbermünzen des Königs Juba I. von Numidien und des Königs Bogud von Mauretanien auf römischen Fuß geprägt sind und die den damaligen Sprach- und Verkehrsverhältnissen Nordafrikas wenig angemessene lateinische Aufschrift nie auf ihnen fehlt, ist die direkte Anerkennung der römischen Oberhoheit, vermutlich eine Konsequenz der im J. 674 d. St. (80 v. Chr.) durch Pompeius vollzogenen Neuordnung Nordafrikas. Der überhaupt geringfügige Widerstand, den die Afrikaner, von Karthago abgesehen, den Römern entgegenstellten, kam von den Nachkommen Massinissas; nachdem König Jugurtha und später König Juba überwunden waren, fanden sich die Fürsten des Westlandes ohne weiteres in die von ihnen geforderte Abhängigkeit. Die Anordnungen, welche die Kaiser trafen, vollzogen sich wie in dem unmittelbaren Gebiet so auch in dem lehnsfürstlichen völlig auf gleiche Weise; es ist die römische Regierung, welche in ganz Nordafrika die Grenzen reguliert und in dem Königreich Mauretanien nicht minder wie in der Provinz Numidien nach Ermessen römische Bürgergemeinden konstituiert. Es kann darum auch nicht eigentlich von einer römischen Unterwerfung Nordafrikas gesprochen werden. Die Römer haben dasselbe nicht erobert wie die Phöniker oder die Franzosen, sondern über Numidien wie über Mauretanien erst als Suzeräne, dann als Nachfolger der einheimischen Regierungen geherrscht. Es fragt sich um so mehr, ob der Begriff der Grenze auf Afrika in dem gewöhnlichen Sinne Anwendung leidet. Die Staaten des Massinissa, des Bocchus, des Bogud, auch der karthagische gingen aus von dem Nordrand, und alle Zivilisation Nordafrikas ruht vorzugsweise auf dieser Küste; aber soviel wir erkennen können, haben sie sämtlich die im Süden sitzenden oder schweifenden Stämme als botmäßig und, wenn sie sich der Botmäßigkeit entzogen, als Aufrührer betrachtet, soweit nicht die Ferne und die Wüste mit der Berührung auch die Beherrschung aufhob. Benachbarte Staaten, mit denen ein Rechts- und Vertragsverhältnis bestanden hätte, lassen sich im Süden Nordafrikas kaum nachweisen, oder wo ein solcher hervortritt, wie namentlich das Königreich der Garamanten, ist seine Stellung nicht streng zu unterscheiden von der der Stammfürstentümer innerhalb des zivilisierten Gebiets. Dies gilt auch für das römische Afrika; wie für ihre Vorherrscher ist auch wohl für die römische Zivilisation, aber kaum für die römische Territorialhoheit die Grenze nach Süden zu finden. Von einer formalen Erweiterung oder Zurücknahme der Grenzen ist in Afrika niemals die Rede; die Insurrektionen in dem römischen Gebiet und die Einfälle der Nachbarvölker sehen hier um so mehr sich ähnlich, als auch in den unzweifelhaft im römischen Besitz stehenden Landschaften mehr noch als in Syrien und in Spanien mancher abgelegene und unwegsame Distrikt von römischer Besteuerung und römischer Rekrutierung nichts wußte. Darum erscheint es angemessen, mit der Darstellung der einzelnen Provinzen zugleich die geringe Kunde zu verbinden, welche uns von da über die freundlichen oder feindlichen Berührungen der Römer mit ihren südlichen Anwohnern in der historischen Überlieferung oder durch erhaltene Denkmäler geblieben ist.

Das ehemalige Gebiet von Karthago und der durch den Diktator Cäsar damit vereinigte größere Teil des früheren Königreichs Numidien oder, wie man sie auch nannte, das alte und das neue Afrika bildeten bis zum Ende der Regierung des Tiberius die Provinz dieses Namens, welche von der Grenze Kyrenes sich bis zum Ampsagafluß erstreckt, den heutigen Staat Tripolis sowie Tunesien und die französische Provinz Constantine umfassend. Indes kam die Regierung für dies bedeutende und eine ausgedehnte Grenzverteidigung erfordernde Gebiet unter Kaiser Gaius im wesentlichen auf die Zweiteilung der republikanischen Zeit zurück und überwies den besonderer Grenzhut nicht bedürftigen Teil der Provinz dem Zivilregiment, das übrige mit Garnisonen belegte Gebiet einem von diesem nicht ferner ressortierenden Militärkommandanten. Die Ursache davon war, daß Afrika bei der Teilung der Provinzen zwischen Kaiser und Senat dem letzteren gegeben ward, und da bei den dortigen Verhältnissen ein größeres Kommando nicht fehlen konnte, das Nebeneinanderstehen des von dem Senat abgeordneten Statthalters und des vom Kaiser ernannten Militärkommandanten, welcher letztere nach der bestehenden Hierarchie unter die Befehle des ersteren gestellt war, Reibungen zwischen diesen Beamten und selbst zwischen Kaiser und Senat hervorrufen mußte und hervorrief. Diesem wurde im Jahre 37 dadurch ein Ende gemacht, daß das Küstenland von Hippo (Bone) bis an die kyrenäische Grenze den alten Namen Afrika behielt und dem Prokonsul verblieb, dagegen der westliche Teil der Provinz mit der Hauptstadt Cirta (Constantine), ferner das Binnenland mit den großen Militärlagern nördlich vom Aures, überhaupt alles mit Garnisonen belegte Gebiet dem Kommandanten der afrikanischen Legion unterstellt wurde. Derselbe hatte senatorischen Rang, gehörte aber nicht zu der konsularischen, sondern zu der prätorischen Klasse.

Die Westhälfte Nordafrikas zerfiel zur Zeit des Diktators Cäsar in die beiden Reiche von Tingi (Tanger), damals unter König Bogud, und von Iol, dem späteren Cäsarea (Scherschel), damals unter König Bocchus. Da beide Könige in dem Kampf gegen die Republikaner ebenso entschieden für Cäsar eingetreten waren, wie König Juba von Numidien für die Gegenpartei, und ihm während des afrikanischen und des spanischen Krieges die wesentlichsten Dienste geleistet hatten, so blieben auch beide nicht bloß im Besitz ihrer Herrschaft, sondern es wurde Bocchus Gebiet und wahrscheinlich auch das des Bogud von dem Sieger erweitert. Als dann die Rivalitäten zwischen Antonius und Cäsar dem Sohn begannen, stellte König Bogud allein im Okzident sich auf die Seite des Antonius und fiel auf Veranlassung des Bruders und der Gattin desselben während des perusinischen Krieges (714 [40 v. Chr.]) in Spanien ein; aber sein Nachbar Bocchus und seine eigene Hauptstadt Tingis traten für Cäsar ein und ihm entgegen. Bei dem Friedensschluß ließ Antonius den Bogud fallen und gab Cäsar dessen übriges Gebiet an den König Bocchus, der Stadt Tingis aber römisches Stadtrecht. Als einige Jahre später es zwischen den beiden Herrschern zum Bruch kam, beteiligte sich der Exkönig energisch an dem Kampfe, in der Hoffnung, bei dieser Gelegenheit sein Reich wieder zu erlangen, wurde aber bei der Einnahme der messenischen Stadt Methone von Agrippa gefangengenommen und hingerichtet. Schon einige Jahre vorher (721 [33 v. Chr.]) war König Bocchus gestorben; sein Reich, das gesamte westliche Afrika, erhielt bald darauf (729 [25 v. Chr.]) der Sohn des letzten numidischen Königs Juba II., der Gemahl der Kleopatra ,der Tochter des Antonius von der Ägypterin. Beide waren in früher Jugend als gefangene Königskinder dem römischen Publikum zur Schau gestellt worden, Juba im Triumphzug Cäsars des Vaters, Kleopatra in dem des Sohnes; es war eine wunderbare Fügung, daß sie jetzt als König und Königin des angesehensten Lehnstaates des Reiches von dort entlassen wurden, aber es entsprach den Verhältnissen. Beide waren in der kaiserlichen Familie aufgewachsen; Kleopatra ward von der rechten Gattin ihres Vaters gleich den eigenen Kindern mütterlich gehalten; Juba hatte in Cäsars Heer gedient. Die Jugend der abhängigen Fürstenhäuser, welche am kaiserlichen Hofe zahlreich vertreten war und eine bedeutende Rolle in der Umgebung der kaiserlichen Prinzen spielte, wurde überhaupt in der frühen Kaiserzeit für die Besetzung der Lehnsfürstentümer in ähnlicher Weise nach freier Auswahl verwendet, wie die erste Rangklasse des Senats für die Besetzung der Statthalterstellen von Syrien und Germanien. Fast fünfzig Jahre (729-775 d. St., [25 v. Chr. bis 23 n. Chr.]) hat er und nach ihm sein Sohn Ptolemäus die Herrschaft über das westliche Afrika geführt; freilich ward, wie seinem Vorgänger die Stadt Tingis, so auch ihm eine beträchtliche Anzahl der wichtigsten Ortschaften namentlich an der Küste durch Verleihung römischen Stadtrechts entzogen, und abgesehen von der Hauptstadt waren diese Könige von Mauretanien beinahe nichts als Fürsten der Berberstämme.

Dies Regiment währte bis zum J. 40, wo es dem Kaiser Gaius angemessen erschien, hauptsächlich des reichen Schatzes wegen seinen Vetter nach Rom zu berufen und ihn dort dem Henker zu überliefern, das Gebiet aber in Reichsverwaltung zu nehmen. Beide Herrscher waren unkriegerisch, der Vater ein griechischer Literat nach der Weise dieser Zeit, sogenannte Merkwürdigkeiten historischer, geographischer, kunstgeschichtlicher Art in unendlichen Büchern kompilierend, denkwürdig durch seine, man möchte sagen internationale literarische Tätigkeit, in phönikischer und syrischer Literatur belesen, aber vor allem bemüht, die Kunde römischer Weise und sogenannter römischer Geschichte bei den Hellenen zu verbreiten, außerdem ein eifriger Kunstfreund und Theaterbesucher; der Sohn einer von dem gemeinen Prinzenschlag, im Hofleben und Fürstenluxus aufgehend. Bei ihren Untertanen galten sie wenig, sowohl nach ihrer Persönlichkeit wie als Lehnsträger der Römer; gegen die Gätuler im Süden mußte König Juba mehrfach die Hilfe des römischen Statthalters herbeirufen und als im römischen Afrika der Fürst der Numider Tacfarinas gegen die Römer sich auflehnte, strömten die Mauren scharenweise zu seinen Fahnen. Nichtsdestoweniger machte das Ende der Dynastie und die Einführung des römischen Provinzialregiments im Lande einen tiefen Eindruck. Die Mauren waren ihrem königlichen Hause treu ergeben; es sind den Königen vom Geschlecht Massinissas noch unter römischer Herrschaft in Afrika Altäre errichtet worden. Ptolemäus, wie er sonst auch sein mochte, war Massinissas rechter Nachkomme im sechsten Gliede und der letzte des alten Königsgeschlechtes. Ein treuer Diener desselben, Ädemon, rief nach der Katastrophe die Gebirgsstämme des Atlas unter die Waffen, und erst nach hartem Kampf vermochte der Statthalter Suetonius Paullinus, derselbe, der nachher mit den Briten stritt, des Aufstandes Herr zu werden (J. 42). Bei der Organisation des neuen Gebietes kam man zurück auf die frühere Teilung in eine östliche und eine westliche Hälfte oder, wie sie fortan nach den Hauptstädten heißen, in die Provinzen von Cäsarea und von Tingi oder behielt dieselbe vielmehr bei; denn sie war, wie später zu zeigen sein wird, durch die physischen und politischen Verhältnisse des Gebietes mit Notwendigkeit gegeben und muß auch unter dem gleichen Szepter in einer oder der anderen Form fortbestanden haben. Jede dieser Provinzen wurde mit Reichstruppen zweiter Klasse belegt und unter einen nicht dem Senat angehörigen kaiserlichen Statthalter gestellt.

Die Schicksale und die Zustände dieses großen und eigenartigen Neulandes der lateinischen Zivilisation sind bedingt durch die physische Beschaffenheit Nordafrikas. Dasselbe wird gebildet durch zwei große Gebirgsmassen, von denen die nördliche zum Mittelländischen Meer steil abfällt, die südliche, der Atlas, sich in der von zahlreichen Oasen durchsetzten Saharasteppe langsam abdacht zur eigentlichen Wüste. Eine der Sahara im ganzen ähnliche schmalere mit zahlreichen Salzseen durchsetzte Steppe trennt in dem mittleren Teil, dem heutigen Algerien, das nördliche Küsten- und das südliche Grenzgebirge. Ausgedehnte kulturfähige Ebenen gibt es in Nordafrika nicht; die Küste des Mittelländischen Meeres hat nur an wenigen Strecken ebenes Vorland; das anbaufähige Land, nach dem heutigen Ausdruck das Teil, besteht wesentlich in den zahlreichen Tälern und Hängen innerhalb jener beiden breiten Bergmassen und dehnt sich also da am weitesten aus, wo, wie in dem heutigen Marokko und in Tunesien, zwischen dem Nord- und dem Südrand keine Zwischensteppe sich einschiebt.

Die Landschaft Tripolis, politisch ein Teil der Provinz Afrika, steht nach den Naturverhältnissen außerhalb des bezeichneten Gebietes und hängt ihm halbinselartig an. Das gegen das Mittelländische Meer sich verflachende Grenzgebirge tritt bei dem Busen von Tacapä (Gabes) mit seinem Vorland von Steppe und Salzsee unmittelbar an das Ufer. Südlich von Tacapä bis zur Großen Syrte erstreckt sich an der Küste die schmale tripolitanische Kulturinsel, landeinwärts gegen die Steppe durch einen mäßigen Höhenzug begrenzt. Jenseit desselben beginnt das Steppenland mit zahlreichen Oasen. Der Schutz der Küste gegen die Wüstenbewohner ist hier von besonderer Schwierigkeit, weil das hohe Randgebirge fehlt; und davon zeigen sich die Spuren in den auf uns gekommenen Nachrichten über die militärischen Expeditionen und die militärischen Stellungen in dieser Gegend. Sie ist der Schauplatz der Garamantenkriege. Lucius Cornelius Balbus, der in seinen jungen Jahren unter Cäsar mit der abenteuerlichsten Kühnheit wie mit der grausamsten Rücksichtslosigkeit gefochten und verwaltet hatte, wurde von Augustus ausersehen, diese unbequemen Nachbarn zur Ruhe zu bringen, und unterwarf auch in seinem Prokonsulat (735) das Binnenland bis nach Cidamus (Ghadames), zwölf Tagereisen landeinwärts von Tripolis, und nach Garama (Djerma) im Fezzan; bei seinem Triumph – er war der letzte Bürgerliche, der einen solchen gefeiert hat – wurde eine lange Reihe bisher selbst dem Namen nach unbekannter Städte und Stämme als besiegt zur Schau gestellt. Diese Expedition wird eine Eroberung genannt; es muß also wohl dadurch das Vorland einigermaßen in römische Gewalt gekommen sein. Gefochten wurde auch später in diesem Gebiet vielfach. Bald nachher, noch unter Augustus, machte Publius Sulpicius Quirinius einen Zug gegen die Völkerschaften der Marmarica, das heißt der Libyschen Wüste oberhalb Kyrene, und zugleich gegen die Garamanten. Daß der Krieg gegen Tacfarinas unter Tiberius sich auch über diese Landschaft erstreckte, wird weiterhin gesagt werden. Nach dessen Beendigung sandte der König der Garamanten Abgeordnete nach Rom, um Verzeihung für seine Teilnahme zu erwirken. Im Jahre 70 wurde ein Einbruch derselben Garamanten in das befriedete Gebiet dadurch herbeigeführt, daß die Stadt Öa (Tripoli) der Tripolis in einem zum Krieg gewordenen Hader mit der Nachbarstadt Groß-Leptis (Lebda) die Barbaren zu Hilfe rief, die dann der Statthalter von Afrika wieder hinausschlug und bis in ihre eigenen Sitze verfolgte. Unter Domitian mußte an der Küste der Großen Syrte, die seit alters her die Nasamonen innehatten, eine durch die unerschwinglichen Steuern hervorgerufene Auflehnung der Eingeborenen von dem Statthalter Numidiens mit den Waffen niedergeworfen werden; das schon menschenarme Gebiet ward durch diesen grausam geführten Krieg vollends entvölkert. Kaiser Severus sorgte für diese seine Heimatprovinz – er war aus Groß-Leptis – in hervorragender Weise und gab ihr gegen die anwohnenden Barbaren stärkeren militärischen Schutz. Damit wird in Verbindung gebracht werden dürfen, daß in der Zeit von Severus bis auf Alexander die vorliegenden Oasen, Cidamus (Ghadames), Gharia el Gharbia, Bondjem, mit Detachements der afrikanischen Legion belegt waren, welche freilich bei der Entfernung des Hauptquartiers nicht viel mehr sein konnten als ein Kern für die hier den Römern Dienste leistenden wahrscheinlich beträchtlichen Kontingente der botmäßigen Stämme. In der Tat war der Besitz jener Oasen nicht bloß für den Küstenschutz von Wichtigkeit, sondern auch für den Handelsverkehr, der zu aller Zeit über diese Oasen aus dem inneren Afrika nach den tripolitanischen Häfen gegangen ist. Erst in der Zeit des Verfalls wird dieser Vorbesitz aufgegeben worden sein; in den Schilderungen der afrikanischen Kriege unter Valentinian und Justinian finden wir die Städte der Küste von den Eingeborenen unmittelbar bedrängt.

Der Grund und Kern des römischen Afrika ist die gleichnamige Provinz mit Einschluß der aus ihr abgezweigten numidischen. Die römische Zivilisation trat ein in die Erbschaft teils der Stadt Karthago, teils der Könige von Numidien, und wenn sie hier Bedeutendes erreicht hat, so darf es nie vergessen werden, daß sie eigentlich nur das, was schon da war, auf ihren Namen um- und in ihre Sprache überschrieb. Außer den Städten, die nachweislich von jener oder von diesen gegründet sind und auf die wir noch zurückkommen werden, haben jene wie diese die dem Ackerbau ohnehin geneigten Berberstämme zu fester Ansiedlung hingeführt. Schon zu Herodots Zeit waren die Libyer westlich von dem Busen von Gabes nicht mehr Nomaden, sondern bauten friedlich den Acker, und die numidische Herrschaft trug die Gesittung und den Ackerbau noch weiter in das Binnenland hinein. Auch war die Natur hier dem Ackerbau günstiger als in dem westlichen Teil Nordafrikas; die mittlere Einsenkung zwischen dem Nord- und dem Südrand fehlt zwar auch hier nicht völlig, aber die Salzseen und die eigentliche Steppe sind weniger ausgedehnt als in den beiden Mauretanien. Die militärischen Einrichtungen sind hauptsächlich darauf gestellt, dem mächtigen aurasischen Gebirgsstock, dem Sankt Gotthard des südlichen Grenzgebirges, die Truppen vorzulegen und den unbotmäßigen Stämmen das Vorbrechen aus diesem gegen das befriedete Gebiet Afrikas und Numidiens zu wehren. Deshalb legte Augustus das Standquartier der Legion nach Theveste (Tebessa ), auf das Hochplateau zwischen dem Aures und der alten Provinz; selbst nordwärts davon zwischen Ammädara und Althiburus haben in der ersten Kaiserzeit römische Kastelle bestanden. Von der Kriegführung im einzelnen erfahren wir wenig; sie wird dauernd gewesen sein und im stetigen Abweisen der Grenzstämme sowie in nicht minder stetigen Plünderzügen in deren Gebiet bestanden haben. Nur von einem einzigen Vorgang dieser Art ist einigermaßen genaue Kunde auf uns gekommen: es sind dies die Kämpfe, welche von dem Hauptführer der Berbern, dem Tacfarinas, den Namen tragen. Sie nahmen ungewöhnliche Verhältnisse an: acht Jahre (17-24) währten sie, und die sonst aus einer Legion bestehende Besatzung der Provinz wurde deshalb während der J. 20-22 durch eine zweite aus Pannonien hingeschickte verstärkt. Der Krieg ging aus von dem großen Stamm der Musulamier am Südabhang des Aures, gegen die schon unter Augustus Lentulus eine Expedition geführt hatte und die nun unter seinem Nachfolger jenen Tacfarinas zu ihrem Führer erkoren. Er war ein afrikanischer Arminius, ein geborener Numidier, der im römischen Heer gedient hatte, dann aber desertiert war und an der Spitze einer Räuberschar sich einen Namen gemacht hatte. Die Insurrektion dehnte ostwärts sich aus bis zu den Cinithiern an der Kleinen Syrte und zu den Garamanten im Fezzan, westwärts über einen großen Teil von Mauretanien und wurde dadurch gefährlich, daß Tacfarinas einen Teil seiner Leute nach römischer Art zu Fuß und zu Pferde ausrüstete und sie römisch schulte; diese gaben den leichten Scharen der Insurgenten einen Halt und machten regelmäßige Gefechte und Belagerungen möglich. Nach langen Anstrengungen und nachdem der Senat mehrfach veranlaßt worden war, bei der Besetzung dieser wichtigen Feldherrnstelle von der gesetzlich vorgeschriebenen Losung abzusehen und statt der üblichen Feldherrn vom Schlage Ciceros geeignete Männer auszuwählen, machte Quintus Iunius Bläsus durch eine kombinierte Operation dem Aufstand zunächst ein Ende, indem er die linke Flügelkolonne gegen die Garamanten schickte und mit der rechten die Ausgänge aus dem Aures gegen Cirta deckte, selbst aber mit der Hauptarmee in das Gebiet der Musulamier einrückte und dasselbe dauernd besetzte (J. 22). Aber der verwegene Parteigänger erneuerte bald darauf den Kampf, und erst einige Jahre später vermochte der Prokonsul Publius Cornelius Dolabella, nachdem er den drohenden Abfall der eben gebändigten Musulamier durch Hinrichtung sämtlicher Führer im Keim erstickt hatte, mit Hilfe der Truppen des Königs von Mauretanien in dessen Gebiet bei Auzia (Aumale) eine Schlacht zu erzwingen, in welcher Tacfarinas das Leben verlor. Mit dem Fall des Führers hatte, wie es in den nationalen Insurrektionskriegen gewöhnlich ist, diese Bewegung ein Ende. Aus späterer Zeit mangeln ausführlichere Nachrichten gleicher Art; wir können nur den allgemeinen Gang der römischen Pazifikationsarbeit einigermaßen verfolgen. Die Völkerschaften südlich vom Aures wurden wenn nicht ausgerottet, so doch ausgewiesen und in die nördlichen Distrikte übersiedelt; so namentlich die Musulamier selbst, gegen die unter Claudius noch einmal eine Expedition geführt ward. Die von Tacfarinas gestellte Forderung, ihm und seinen Leuten Sitze innerhalb des zivilisierten Gebietes anzuweisen, welche Tiberius wie billig nur mit verdoppelter Anstrengung zur Vernichtung des dreisten Forderers erwiedert hatte, wurde in dieser Weise gewissermaßen nachträglich erfüllt und hat wahrscheinlich wesentlich zur Befestigung des römischen Regiments beigetragen. Den aurasischen Gebirgsstock schlossen mehr und mehr die Lager ein. Die Garnisonen wurden weiter in das Binnenland vorgeschoben; das Hauptquartier selbst kam unter Traian von Theveste weg weiter nach Westen; die drei bedeutenden römischen Ansiedlungen am nördlichen Abhang des Aures, Mascula (Khenschela), am Ausgang des Tales des Arab und damit der Schlüssel zum Auresgebirge, Kolonie wenigstens schon unter Marcus und Verus; Thamugadi, eine Gründung Traians; und Lambäsis, seit Hadrian das Hauptquartier der afrikanischen Armee, bildeten zusammen eine den großen Militärlagern am Rhein und an der Donau vergleichbare Niederlassung, welche, angelegt auf den Verbindungslinien vom Aures nach den großen Städten des Nordens und der Küste Cirta (Konstantine), Calama (Gelma), Hippo regius (Bone), diesen den Frieden sicherte. Das zwischenliegende Steppenland war, soweit es der Kultur nicht gewonnen werden konnte, wenigstens von gesicherten Verbindungsstraßen durchschnitten. An der Westseite des Aures schnitt eine stark besetzte Postenkette, die von Lambäsis aus über die Oasen Calceus Herculis (el Kantara) und Bescera (Beskra) dem Gebirgshang folgte, die Verbindung mit Mauretanien ab. Selbst das Innere des Gebirges ist später römisch geworden: der Krieg, der unter Kaiser Pius in Afrika geführt ward und über den nichts Genaueres überliefert ist, muß die aurasischen Berge in die Gewalt der Römer gebracht haben. Damals ist durch dieselben von einer in Syrien garnisonierenden ohne Zweifel dieses Krieges wegen nach Afrika gesandten Legion eine Militärstraße geführt worden, und in späterer Zeit begegnen ebendaselbst Spuren römischer Garnisonen und selbst römischer Städte, welche bis in die christliche Zeit hinabreichen; das aurasische Gebirge ist also damals besetzt worden und dauernd besetzt geblieben. Die am Südabhang desselben gelegene Oase Negrin ward sogar schon unter oder vor Traian von den Römern mit Truppen belegt, und noch etwas weiter südwärts am äußersten Rande der Steppe, bei Bir Mohammed ben Junis finden sich die Trümmer eines römischen Kastells; auch lief eine römische Straße längs des südlichen Fußes dieses Gebirges. Von dem mächtigen Abhang, welcher von der Hochfläche von Theveste, der Wasserscheide zwischen dem Mittelmeer und der Wüste, in Stufen von 200-300 Metern Höhe zu dieser abfällt, ist diese Oase die letzte Terrasse; an ihrem Fuß beginnt, im scharfen Gegensatz gegen das rückwärts sich aufbauende zerrissene Gebirge, die Sandwüste des Suf, mit ihren gelben den Wellen ähnlichen Dünenreihen und dem vom Winde bewegten Sandboden, eine ungeheure Einöde, ohne Bodenhebung, ohne Bäume, ohne Grenze in den Horizont verschwimmend. Negrin ist gewiß von jeher, wie noch in unserer Zeit, der stehende Sammelpunkt und der letzte Zufluchtsort der Räuberhauptleute sowohl wie der der Fremdherrschaft trotzenden Eingeborenen gewesen, eine weit hinaus die Wüste und ihre Handelsstraßen beherrschende Position. Bis an diese äußerste Grenze reichte in Numidien die römische Besetzung und selbst die römische Ansiedlung.

Eine Erbschaft wie Afrika und Numidien war Mauretanien nicht. Über die älteren Zustände erfahren wir nichts; bedeutende Städte kann es auch an der Küste in früherer Zeit hier nicht gegeben haben und weder die phönikische Anregung noch Landesherren nach Massinissas Art haben hier die Zivilisation wirksam gefördert. Als dessen letzte Nachkommen die numidische Krone mit der mauretanischen vertauschten, ist die Hauptstadt, wie sie ihren Namen Iol in Cäsarea umänderte, auch die Residenz eines gebildeten und üppigen Hofes und ein Sitz der Seefahrt und des Handels geworden. Aber wieviel weniger dieser Besitz der Regierung galt als der der Nachbarprovinz, zeigt die Verschiedenheit der provinzialen Organisation; die beiden mauretanischen Heere gaben zusammen an Zahl dem afrikanisch-numidischen nichts nach, aber hier genügten Statthalter von Ritterrang und Reichssoldaten der Peregrinenklasse. Cäsarea blieb eine ansehnliche Handelsstadt; aber in der Provinz hat die feste Ansiedlung sich auf das Nordgebirge beschränkt, und nur in dem östlichen Teile finden sich größere binnenländische Städte. Selbst das fruchtbare Tal des bedeutendsten Flusses dieser Provinz, des Schelif, zeigt schwache städtische Entwicklung; weiter westlich in den Tälern der Tafna und der Malua verschwindet sie fast ganz und dienen teilweise die Namen der hier stationierten Reiterabteilungen statt örtlicher Bezeichnung. Die Provinz von Tingi (Tanger) nun gar umfaßt nichts als diese Stadt mit ihrem nächsten Gebiet und den Küstenstrich am Atlantischen Meer bis nach Sala, dem heutigen Rebat, während im Innern die römische Ansiedlung nicht einmal bis Fes reichte. Keine Landstraße verbindet diese Provinz mit der von Cäsarea; die 50 Meilen von Tingi bis Rusaddir (Melilla) fuhr man zu Wasser längs der öden und unbotmäßigen Küste des Rif. Somit lag dieser Landschaft die Verbindung mit Bätica näher als die mit Mauretanien; und wenn später, als das Reich in größere Verwaltungsbezirke geteilt ward, die Provinz Tingi zu Spanien kam, so wurde damit nur äußerlich durchgeführt, was der Sache nach längst bestand. Sie war für Bätica, was Germanien für Gallien, und ist vielleicht, wenig einträglich, wie sie gewesen sein muß, überhaupt nur deswegen eingerichtet und festgehalten worden, weil ihr Aufgeben schon damals eine ähnliche Invasion Spaniens herbeigeführt haben würde, wie sie nach dem Zusammenbruch der römischen Herrschaft der Islam vollzog.

Jenseits der hiermit bezeichneten Grenze der festen Ansiedlung, der Linie der Grenzzölle und der Grenzposten und in manchen von ihr umschlossenen nicht zivilisierten Distrikten blieb in den beiden Mauretanien in römischer Zeit wohl das Land den Eingeborenen, aber sie kamen unter römische Oberhoheit; man wird von denselben soweit möglich Abgaben und Kriegsdienste gefordert, aber die regelmäßigen Formen der Besteuerung und der Aushebung nicht für dieselben in Anwendung gebracht haben. Beispielsweise wurde dem Stamm der Zimizen, der an der felsigen Küste westlich von Igilgili (Djidjeli) im östlichen Mauretanien, also im Herzen des römischen Machtgebiets ansässig war, eine zur Deckung der Stadt Igilgili angelegte Festung in der Weise zur Besetzung überwiesen, daß die Mannschaften den Rayon von 500 Schritten um das Kastell nicht überschreiten durften. Man verwendete also diese untertänigen Berbern im römischen Interesse, organisierte sie aber nicht in römischer Art und behandelte sie daher auch nicht als Soldaten der Reichsarmee. Auch außerhalb der eigenen Provinz sind die Irregulären aus Mauretanien namentlich als Reiter in späterer Zeit in großer Anzahl verwendet worden, während von den Numidiern nicht das gleiche gilt. – Wie weit das römische Machtgebiet über die römischen Städte und Besatzungen und das Ende der Reichsstraßen hinausging, vermögen wir nicht zu sagen. Das breite Steppenland um die Salzseen westlich von Lambäsis, die Gebirgslandschaft von Tlemsen bis gegen Fes mit Einschluß der Küste des Rif, das schöne Fruchtland am Atlantischen Meer südlich von Sala bis zum hohen Atlas, dessen Zivilisation in der Blütezeit der Araber mit der andalusischen wetteiferte, das Atlasgebirge endlich im Süden von Algerien und Marokko und seine südlichen Abhänge, die für Hirtenvölker in dem Wechsel der Berg- und der Steppenweiden reichlichen Unterhalt bieten und in den zahlreichen Oasen die üppigste Fruchtbarkeit entwickeln – alle diese Gebiete sind von der römischen Zivilisation wesentlich unberührt geblieben; aber daraus folgt noch nicht, daß sie in römischer Zeit unabhängig waren und noch weniger, daß sie nicht mindestens zum Reichsgebiet gerechnet wurden. Die Überlieferung gewährt in dieser Hinsicht geringen Aufschluß. Es ist schon erzählt worden, daß die Prokonsuln von Afrika die Gätuler, das heißt die Stämme im südlichen Algerien dem König Juba botmäßig machen halfen; und auf Madeira hat dieser Purpurfärbereien angelegt. Nach dem Ende der mauretanischen Dynastie und der Einführung der unmittelbaren römischen Verwaltung überschritt Suetonius Paullinus, als der erste römische Feldherr, den Atlas und trug die Waffen bis an den noch heute den gleichen Namen tragenden Wüstenfluß Ger im Südosten Marokkos. Sein Nachfolger Gnäus Hosidius Geta setzte diese Unternehmung fort und schlug nachdrücklich den Führer der Mauren Salabus. Auch nachher hat mancher unternehmende Statthalter der mauretanischen Provinzen diese fernen Gebiete betreten, und das gleiche gilt von den numidischen, unter deren Kommando, nicht unter dem mauretanischen, das südlich unter der Provinz von Cäsarea sich hinziehende Grenzgebirge stand; doch wird von eigentlichen Kriegszügen im mauretanischen und im numidischen Süden aus späterer Zeit nichts gemeldet. Ganz in demselben Umfange nach Süden hin, wie die mauretanischen Könige es besessen hatten, werden die Römer deren Reich schwerlich übernommen haben; aber ohne bleibende Folgen sind doch die nach der Einziehung des Landes unternommenen Expeditionen auch wohl nicht gewesen. Wenigstens ein Teil der Gätuler hat, wie die dort ausgehobenen Auxiliartruppen beweisen, während der Kaiserzeit sogar der regelmäßigen Konskription unterlegen; und wenn die im Süden der römischen Provinzen heimischen Stämme den Römern ernsthaft zu schaffen gemacht hätten, so würden davon die Spuren nicht gänzlich fehlen. Wahrscheinlich hat der ganze Süden bis zur großen Wüste als Reichsland gegolten und auch die effektive Abhängigkeit sich weit hinaus erstreckt über das Gebiet der römischen Zivilisation, was freilich häufige Brandschatzungen und Plünderzüge von hüben und von drüben nicht ausschließt. Eigentlichen Angriff erfuhr das befriedete Gebiet hauptsächlich von den um und am Rîf sitzenden Strandbewohnern, den Maziken und den Baquaten, und zwar erfolgte dieser regelmäßig zur See und richtete sich hauptsächlich gegen die spanische Küste. Durch die ganze Kaiserzeit ziehen sich die Nachrichten von Maureneinfällen in die Bätica und lassen erkennen, daß die Römer infolge der mangelnden energischen Offensive sich hier dauernd in einer Defensive befanden, die freilich eine vitale Gefahr für das Reich nicht in sich schloß, aber doch über reiche und friedliche Landschaften stetige Unsicherheit und oft arges Unheil brachte. Die zivilisierten Gebiete Afrikas scheinen unter den maurischen Angriffen weniger gelitten zu haben, wahrscheinlich weil das Hauptquartier Numidiens unmittelbar an der mauretanischen Grenze und die starken Besatzungen an der Westseite des Aures ihre Schuldigkeit taten. Aber bei dem Zusammenbrechen der Reichsgewalt im 3. Jahrhundert beginnt auch hier die Invasion: die sogenannte Fünfvölkerfehde, welche um die Zeit des Gallienus ausbrach und um derentwillen zwanzig Jahre später Kaiser Maximianus persönlich nach Afrika ging, ging aus von den Stämmen jenseits der Schotts an der numidisch-mauretanischen Grenze und traf namentlich die Städte des östlichen Mauretanien und des westlichen Numidien, wie zum Beispiel Auzia und Mileu. Wir kommen zu der inneren Organisation des Landes. In Hinsicht der Sprache wurde die eigentliche des Volkes so behandelt wie in Gallien das Keltische und in Spanien das Iberische; hier in Afrika um so mehr, als die frühere Fremdherrschaft darin schon vorangegangen war und sicher kein Römer dieses Volksidiom verstand. Die Berberstämme haben nicht bloß eine nationale Sprache, sondern auch eine nationale Schrift gehabt; aber niemals ist, soviel wir sehen, davon im offiziellen Verkehr Gebrauch gemacht, wenigstens dieselbe niemals auf die Münzen gesetzt worden. Selbst die einheimischen Berberdynastien haben davon keine Ausnahme gemacht, sei es, weil auch in ihren Reichen die bedeutenderen Städte mehr phönikisch als libysch waren, sei es, weil die phönikische Zivilisation überhaupt insoweit durchschlug. Geschrieben wurde die Sprache freilich auch unter römischer Herrschaft, ja die meisten berberischen Weih- oder Grabschriften stammen sicher aus der Kaiserzeit; aber die Seltenheit derselben beweist, daß sie im Gebiet der römischen Herrschaft nur zu beschränktem Schriftgebrauch gelangt ist. Als Volkssprache hat sie sich behauptet vor allem natürlich in den Gegenden, wohin die Römer nicht oder wenig kamen, wie in der Sahara, in den Bergen des marokkanischen Rif, in den beiden Kabylien; aber selbst die fruchtbare, früh in Kultur genommene Insel der Tripolis Girba (Djerba), der Sitz der karthagischen Purpurfabrikation, spricht heute noch libysch. Im ganzen genommen hat das alte Volksidiom in Afrika sich besser verteidigt als bei den Kelten und den Iberen.

Die Sprache, welche in Nordafrika herrschte, als es römisch ward, ist die der Fremdherrschaft, welche der römischen voraufging. Leptis, wahrscheinlich nicht das tripolitanische, sondern das bei Hadrumetum, ist die einzige afrikanische Stadt, welche ihre Münzen mit griechischer Aufschrift bezeichnet und also dieser Sprache eine wenigstens sekundäre Stellung im öffentlichen Verkehr eingeräumt hat. Die phönikische Sprache herrschte damals, soweit es in Nordafrika eine Zivilisation gab, von Groß-Leptis bis nach Tingi, am intensivsten in und um Karthago, aber nicht minder in Numidien und selbst in Mauretanien. Dieser Sprache einer hochentwickelten, wenngleich fremdartigen Kultur wurden bei der Änderung des Verwaltungssystems gewisse Konzessionen gemacht. Vielleicht schon unter Cäsar, sicher unter Augustus und Tiberius, bedienten sich sowohl die Städte der römischen Provinz, wie zum Beispiel Groß-Leptis und Öa, wie die des mauretanischen Königsreichs, wie Tingi und Lix, im offiziellen Gebrauch der phönikischen Sprache, auch diejenigen, welche, wie Tingi, römische Bürgergemeinden geworden waren. Indes so weit wie in der griechischen Reichshälfte ging man doch in Afrika nicht. In den griechischen Provinzen des Reiches herrscht die griechische Sprache wie überhaupt im Geschäftsverkehr, so namentlich auch im Verkehr mit der Reichsregierung und ihren Beamten schlechthin; die Münze der griechisch geordneten Stadt nennt auch den Kaiser griechisch. In den afrikanischen aber nennt die Münze, auch wenn sie in anderer Sprache redet, den Kaiser oder den Reichsbeamten immer lateinisch. Selbst auf den Münzen der Könige von Mauretanien steht wohl der Name der griechischen Königin griechisch, aber der des Königs, auch eines Reichsbeamten, durchgängig lateinisch, auch da, wo die Königin neben ihm genannt wird. Das heißt, selbst die Regierung ließ in ihrem Verkehr mit den Gemeinden und den einzelnen in Afrika das Phönikische nicht zu, wohl aber für den inneren Verkehr; dasselbe war keine dritte Reichs-, aber eine in ihrem Bereich anerkannte Kultursprache.

Aber diese beschränkte Anerkennung der phönikischen Sprache hat nicht lange standgehalten. Ein Dokument für den öffentlichen Gebrauch des Phönikischen aus der Zeit nach Tiberius liegt nicht vor, und schwerlich hat derselbe die Zeit der ersten Dynastie überdauert. Wie und wann die Änderung eintrat, wissen wir nicht; wahrscheinlich hat die Regierung, etwa Tiberius oder Claudius, das entscheidende Wort gesprochen und die sprachliche und nationale Annexion der afrikanischen Phöniker so weit vollzogen, als dies durch die Staatsgewalt geschehen kann. Im privaten Verkehr hat das Phönikische sich noch lange Zeit in Afrika behauptet, länger wie es scheint als in dem Mutterland; am Anfang des 3. Jahrhunderts sprachen Damen der vornehmen Häuser in Groß-Leptis so wenig Latein oder Griechisch, daß ihres Bleibens in der römischen Gesellschaft nicht war; noch am Ende des 4. stellte man in der Umgegend von Hippo regius (Bone) nicht gern Geistliche an, die sich mit den Landleuten nicht auf punisch verständigen konnten; diese selbst nannten sich damals noch Chanaaniter, und punische Namen und punische Redensarten waren noch geläufig. Aber die Sprache war aus der Schule und selbst aus dem Schriftgebrauch verbannt und zum Volksdialekt geworden, wahrscheinlich auch dies nur noch in dem Gebiet der alten phönikischen Zivilisation, namentlich den außerhalb des großen Verkehrs stehenden altphönikischen Küstenorten. Als die Araber nach Afrika kamen, fanden sie als Landessprache wohl die der Berbern vor, aber nicht mehr die der Pöner; mit der karthagisch-römischen Zivilisation sind beide Fremdsprachen verschwunden, während die alteinheimische noch heute lebt. Die zivilisierten Fremdherrschaften wechselten; die Berbern blieben wie die Palme der Oase und der Sand der Wüste.

Die Erbschaft der phönikischen Sprache fiel nicht dem Griechischen zu, sondern dem Lateinischen. In der natürlichen Entwicklung lag dies nicht. Zu Cäsars Zeit waren das Lateinische wie das Griechische in Nordafrika Fremdsprachen, aber, wie schon die Münzen von Leptis beweisen, die letztere bei weitem verbreiteter als die erste; lateinisch sprachen damals nur die Beamten, die Soldaten, die italischen Kaufleute. Es wäre damals wahrscheinlich leichter gewesen, die Hellenisierung Afrikas einzuleiten als dessen Latinisierung. Aber es ist das Gegenteil geschehen. Hier waltet derselbe Wille, der die hellenischen Anfänge in Gallien nicht aufkommen ließ und der das griechische Sizilien dem lateinischen Sprachgebiet einverleibte; derjenige Wille, der die Grenzen zwischen dem lateinischen Okzident und dem griechischen Orient zog, wies Afrika zu jenem.

In ähnlichem Sinne ist die innere Organisation des Landes geregelt worden. Sie ruht, wie in Italien auf der latinischen und im Osten auf der hellenischen, so hier auf der phönikischen Stadtgemeinde. Als die Römerherrschaft in Afrika begann, bestand das damalige karthagische Gebiet überwiegend aus größtenteils kleinen, jede von ihren Schofeten verwalteten Stadtgemeinden, deren man dreihundert zählte; und die Republik hatte darin nichts geändert. Auch in den Königreichen hatten die früher phönikischen Städte ihre Ordnung unter den einheimischen Herrschern behalten und hatte wenigstens Calama, eine Binnenstadt Numidiens, schwerlich phönikischer Gründung, erweislich dieselbe phönikische Stadtverfassung; die Zivilisierung, welche Massinissa seinem Reiche gab, wird wesentlich darin bestanden haben, daß er die Dörfer der ackerbauenden Berbern in Städte nach phönikischem Muster umwandelte. Dasselbe wird von den wenigen älteren Stadtgemeinden gelten, welche es in Mauretanien vor Augustus gab. Soviel wir sehen, decken sich die beiden jährlich wechselnden Schofeten der afrikanischen Gemeinden im wesentlichen mit den analogen Gemeindevorstehern der italischen Stadtverfassung, und daß sonst, zum Beispiel in den bei den Karthagern durchaus von den italischen abweichend gestalteten Gemeinderäten, die phönikische Stadtverfassung des römischen Afrika nationale Besonderheiten bewahrt hat, ist wenigstens nicht zu erweisen. Aber die Tatsache selbst, daß der, wenn auch nur formale, Gegensatz der phönikischen Stadt zu der italischen festgehalten ward, war, wie die Zulassung der Sprache, eine Anerkennung der phönikischen Nationalität und eine gewisse Bürgschaft für ihre Fortdauer auch unter römischer Herrschaft. Daß dieselbe zunächst als die regelmäßige Verwaltungsform des afrikanischen Gebietes anerkannt ward, beweist die Wiederherstellung Karthagos durch Cäsar zunächst als phönikische Stadt sowohl unter den alten Schofeten wie auch gewissermaßen mit der alten Einwohnerschaft, da ein großer, vielleicht der größte Teil der neuen Bürger aus den umliegenden Ortschaften genommen ward, wieder auch unter dem Schutz der großen Göttin des punischen Karthago, der Himmelskönigin Astarte, welche mit den Ihrigen damals aufs neue in ihren alten Sitz einzog. Freilich hat in Karthago selbst diese Ordnung bald der italischen Kolonieverfassung den Platz geräumt, und die Schutzpatronin Astarte ward die wenigstens dem Namen nach lateinische Cälestis. Im übrigen Afrika und in Numidien aber ist die phönikische Städteordnung wahrscheinlich das ganze 1. Jahrhundert hindurch die vorherrschende geblieben, insofern sie allen Gemeinden anerkannten Stadtrechts und mangelnder römischer oder latinischer Organisation zukam. Eigentlich abgeschafft worden ist sie wohl nicht, wie denn Schofeten noch unter Pius vorkommen; aber allmählich weichen sie überall den Duovirn, und das veränderte Regierungsprinzip zieht auch in diesem Kreise seine letzten Konsequenzen.

Die Umwandlung des phönikischen Stadtrechts in italisches beginnt unter Cäsar. Die alte phönikische Stadt Utica, Karthagos Vorgängerin und Erbin, erhielt zu einigem Ersatz der schweren Schädigung ihrer Interessen durch die Wiederherstellung der alten Landeshauptstadt als die erste in Afrika italische Ordnung, vielleicht von dem Diktator Cäsar latinisches Recht, gewiß von seinem Nachfolger Augustus die Stellung eines römischen Munizipiums. Dasselbe Recht empfing, zum Dank für die während des perusinischen Krieges bewährte Treue, die Stadt Tingi. Bald folgten mehrere nach; doch ist die Zahl der Gemeinden römischen Rechtes in Afrika bis auf Traian und Hadrian eine beschränkte geblieben. Von da an ist in großem Umfang, jedoch, soviel wir sehen, durchaus durch Einzelverleihung, den bisher phönikischen Gemeinden das Munizipal- oder auch das Kolonialrecht beigelegt worden; denn auch das letztere wurde späterhin in der Regel ohne Deduktion von Kolonisten bloß titular verliehen. Wenn die früher in Afrika sparsam auftretenden Dedikationen und Denkmäler aller Art vom Anfang des 2. Jahrhunderts an in Fülle sich einstellen, so ist dies wohl hauptsächlich die Folge der Aufnahme zahlreicher Ortschaften in den Reichsverband der Städte besten Rechts.

Außer der Umwandlung der phönikischen Städte in italische Munizipien oder Kolonien sind auch im Wege der Ansiedlung italischer Kolonisten nicht wenige Städte italischen Rechts in Afrika entstanden. Auch hierzu hat der Diktator Cäsar den Grund gelegt, wie denn vielleicht keiner Provinz so wie Afrika durch ihn die Wege gewiesen worden sind, und die Kaiser der ersten Dynastie sind seinem Beispiel gefolgt. Von der Gründung Karthagos ist schon die Rede gewesen; die Stadt erhielt nicht gleich, aber sehr bald italische Ansiedler und damit italische Organisation und volles römisches Bürgerrecht. Ohne Zweifel von Haus aus wieder zur Hauptstadt der Provinz bestimmt und als Großstadt angelegt, ist sie rasch dies auch tatsächlich geworden. Karthago und Lugudunum sind die einzigen Städte des Okzidents, welche außer der Reichshauptstadt eine ständige Besatzung von Reichstruppen hatten. Außerdem wurden in Afrika, zum Teil sicher schon durch den Diktator, zum Teil erst durch den ersten Kaiser, in den Sizilien zunächst gelegenen Distrikten eine Reihe kleiner Landstädte, Hippo Diarrhytus, Clupea, Curubi, Neapolis, Carpi, Maxula, Uthina, Groß-Thurburbo, Assuras, mit Kolonien belegt, wahrscheinlich nicht bloß, um Veteranen zu versorgen, sondern zur Förderung der Latinisierung dieser Landschaft. Die beiden Kolonien, die in jener Zeit in dem bisherigen Königreich Numidien entstanden, Cirta mit seinen Dependenzen und Neu-Cirta oder Sicca, sind die Konsequenz besonderer Verpflichtungen Cäsars gegen den Freischarenführer Publius Sittius aus Nuceria und seine italisch-afrikanischen Scharen. Die erstere hat, da das Gebiet, auf dem sie angelegt ward, damals einem Klientelstaat angehörte, eine eigentümliche und sehr selbständige Organisation erhalten und, obwohl sie bald Reichsstadt wurde, zum Teil auch später beibehalten. Beide Städte hoben sich rasch und wurden ansehnliche Mittelpunkte der römischen Zivilisation in Neu-Afrika. – Einen anderen Charakter trägt diejenige Kolonisation, welche Augustus in dem Reich des Juba vornahm und Claudius weiterführte. In dem damals noch sehr primitiven Mauretanien fehlte es sowohl an Städten wie an den Elementen, sie zu schaffen; die Ansiedlung ausgedienter Soldaten der römischen Armee trug hier die Gesittung in ein barbarisches Land. So sind in der späteren Provinz von Cäsarea an der Küste Igilgili, Saldä, Rusazu, Rusguniä, Gunugi, Cartenna (Tenes), weiter ab vom Meer Thubusuptu und Zuccabar mit augustischen, Oppidum novum mit claudischen Veteranen besiedelt worden; ebenso in der Provinz von Tingi unter Augustus Zilis, Babba, Banasa, unter Claudius Lix. Diese Gemeinden römischen Bürgerrechts standen, wie schon bemerkt ward, nicht unter den Königen Mauretaniens, solange es solche gab, sondern wurden administrativ der nächstliegenden römischen Provinz angeschlossen; es liegt somit in diesen Ansiedlungen zugleich ein Anfang zur Annexion Mauretaniens. – Die Vorschiebung der Zivilisation, wie sie Augustus und Claudius bezweckten, ist später nicht oder doch nur in beschränktem Umfang fortgeführt worden, obwohl dafür in der Westhälfte der Provinz von Cäsarea und in der von Tingi Raum genug war; daß die späteren Kolonien regelmäßig aus titularer Verleihung ohne Deduktion hervorgegangen sind, wurde schon bemerkt.

Neben dieser städtischen Organisation ist die des Großgrundbesitzes für diese Provinz noch besonders zu erwähnen. Nach römischer Ordnung fügt sich derselbe regelmäßig der Gemeindeverfassung ein; auch die Ausdehnung der Latifundien hat diese Zugehörigkeit weniger beeinträchtigt, als man meinen sollte, da dieselben in der Regel nicht örtlich geschlossen waren und sich oft auf mehrere städtische Territorien verteilten. In Afrika aber gab es nicht bloß überhaupt zahlreichere und ausgedehntere Großbesitzungen als anderswo, sondern dieselben nahmen auch die Geschlossenheit der städtischen Territorien an; um das Herrenhaus bildete sich eine Ansiedlung, die den kleinen Ackerstädten der Landschaft nichts nachgab, und wenn deren Vorsteher und Gemeinderäte einen derartigen Mitbürger zur vollen Leistung der auf ihn fallenden Gemeindelasten heranzuziehen oftmals nicht wagten und noch öfter nicht vermochten, so steigerte sich die faktische Lösung dieser Landgüter aus dem Gemeindeverband noch weiter, wenn eine solche Besitzung in die Hände des Kaisers überging. Dies aber trat in Afrika früh in weitem Umfang ein; Nero insbesondere traf mit seinen Konfiskationen die Großbesitzer, wie gesagt wird, von halb Afrika, und was einmal kaiserlich war, pflegte es zu bleiben. Die Kleinpächter, an welche das Domanialgut ausgetan wurde, scheinen größtenteils aus der Fremde herangezogen zu sein, und es werden diese kaiserlichen Kolonen in einem gewissen Maß der italischen Einwanderung zugezählt werden dürfen.

Daß die Berbern durch die ganze Zeit der Römerherrschaft einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung Numidiens und Mauretaniens bildeten, wurde früher bemerkt. Aber über ihre innere Organisation läßt sich kaum mehr ermitteln als das Eintreten des Stammes ( gens) anstatt der städtischen Ordnung unter Duovirn oder Schofeten. Die Eingeborenenverbände sind nicht, wie die Norditaliens, einzelnen städtischen Gemeinden als Untertanen zugeteilt worden, sondern stehen wie die Städte unmittelbar unter den Statthaltern, auch wohl, wo es erforderlich scheint, unter einem besonders ihnen vorgesetzten römischen Offizier ( praefectus gentis), und weiter unter eigenen Behörden, unter dem »Hauptmann« ( princeps), welcher in späterer Zeit auch wohl den Königstitel führt, und den »elf Ersten«. Vermutlich war diese Ordnung monarchisch im Gegensatz zu der kollegialischen der phönikischen wie der lateinischen Gemeinde und stand neben dem Stammhaupt anstatt des zahlreichen Dekurionensenats der Städte eine beschränkte Zahl von Ältesten. Nur ausnahmsweise scheinen in dem römischen Afrika die Gemeinschaften der Eingeborenen später zu italischer Organisation gelangt zu sein; die afrikanischen Städte italischen Rechts, welche nicht aus Einwanderung hervorgegangen sind, haben wohl meistens vorher phönikisches Stadtrecht gehabt. Ausnahmen kommen hauptsächlich bei verpflanzten Stämmen vor, wie denn aus einer solchen Zwangsansiedlung von Numidiern die ansehnliche Stadt Thubursicum hervorgegangen ist. Die Berbergemeinden hatten vorzugsweise die Gebirge und die Steppen inne; sie gehorchten den Fremden, ohne daß weder die Herren noch die Untertanen Verlangen danach empfanden miteinander sich auszugleichen; und als andere Ausländer ins Land einbrachen, blieb ihre Stellung den Vandalen, den Byzantinern, den Arabern, den Franzosen gegenüber ungefähr die alte.

In der Bodenwirtschaft rivalisiert die östliche Hälfte von Afrika mit Ägypten. Allerdings ist der Boden ungleich, und Felsen und Steppen nehmen wie die westliche Hälfte zum größeren Teil, so auch in der östlichen beträchtliche Strecken ein; auch hier gab es manche unzugängliche Gebirgsgegend, welche sich der Zivilisation nur langsam oder gar nicht fügte; namentlich in den Felsriffen an der Küste hat die römische Herrschaft geringe oder keine Spuren hinterlassen. Auch die Byzakene, der südöstliche Teil der Prokonsularprovinz, wird nur durch falsche Verallgemeinerung dessen, was von einzelnen Küstenstrichen und Oasen gilt, als eine besonders ertragsfähige Gegend bezeichnet; von Sufetula (Sbitla) westlich ist das Land wasserlos und felsig; im 5. Jahrhundert n. Chr. rechnete man prozentuell auf die Byzakene etwa die Hälfte weniger an kulturfähigem Lande als auf die übrigen afrikanischen Provinzen. Aber der nördliche und nordwestliche Teil der Prokonsularprovinz, vor allem das Tal des größten nordafrikanischen Flusses, des Bagradas (Medjerda), und nicht minder ein beträchtlicher Teil Numidiens, liefern reichliche Halmfrüchte, fast wie das Niltal. In den bevorzugten Distrikten lagen die nach Ausweis ihrer Trümmer großenteils frequenten Landstädte so nahe aneinander, daß die Bevölkerung hier nicht viel weniger dicht gewesen sein kann als im Nilland, und nach allen Spuren betrieb sie vorzugsweise den Feldbau. Die gewaltigen Heermassen, mit denen nach der Niederlage bei Pharsalos die Republikaner in Afrika den Kampf gegen Cäsar aufnahmen, wurden aus diesen Bauern gebildet, so daß in dem Kriegsjahr die Äcker unbestellt lagen. Seit Italien mehr Getreide brauchte, als es erzeugte, war es neben den italischen Inseln zunächst auf das fast eben so nahe Afrika angewiesen; und nachdem dasselbe den Römern untertänig geworden war, ging sein Getreide nicht mehr bloß im Handelsweg dahin, sondern vor allem als Steuer. Schon in der ciceronischen Zeit hat die Hauptstadt des Reiches wohl zum größten Teil von afrikanischem Korn gelebt; durch den Zutritt Numidiens unter Cäsars Diktatur mehrte sich das von daher als Steuer einlaufende Getreide der Angabe nach um jährlich 1 200 000 römische Scheffel (200 000 Hektoliter). Nachdem unter Augustus die ägyptischen Getreidelieferungen eingerichtet waren, rechnete man für den dritten Teil des in Rom verbrauchten Getreides auf Nordafrika und für ebensoviel auf Ägypten, während das verödete Sizilien, ferner Sardinien und Bätica nebst der eigenen Produktion Italiens den übrigen Bedarf deckten. In welchem Maß das Italien der Kaiserzeit für seine Subsistenz auf Afrika angewiesen war, zeigen die während der Kriege zwischen Vitellius und Vespasian und zwischen Severus und Pescennius ergriffenen Maßregeln: Vespasian gedachte Italien zu erobern, indem er Ägypten und Afrika besetzte; Severus sandte ein starkes Heer nach Afrika, um Pescennius an dessen Besetzung zu hindern. – Auch Öl und Wein hatten schon in dem alten karthagischen Feldbau einen hervorragenden Platz gehabt, und Klein-Leptis (bei Susa) zum Beispiel konnte von Cäsar eine jährliche Abgabe von 3 Millionen Pfund Öl (ungefähr 10 000 Hektoliter) für die römischen Bäder auferlegt werden; wie denn Susa noch heute jährlich 40 000 Hektoliter Öl exportiert. Dennoch nennt der Geschichtsschreiber des jugurthinischen Krieges Afrika reich an Getreide, arm an Öl und Wein, und noch in Vespasians Zeit gab die Provinz in dieser Hinsicht nur mittelmäßigen Ertrag. Erst als mit dem Kaiserreich der Friede dauernd ward, dessen der Fruchtbaum noch viel mehr bedarf als die Feldfrucht, dehnte die Olivenkultur sich aus; im 4. Jahrhundert lieferte keine Provinz solche Quantitäten Öl wie Afrika und wurde für die Bäder in Rom überwiegend das afrikanische verwendet. In der Qualität freilich stand dasselbe immer hinter dem Italiens und Spaniens zurück, nicht weil die Natur dort weniger günstig war, sondern weil die Bereitung es an Geschick und Sorgfalt fehlen ließ. Der Weinbau hat in Afrika für den Export keine hervorragende Bedeutung gewonnen. Dagegen blühte die Pferde- und Viehzucht besonders in Numidien und Mauretanien.

Die Fabriken und der Handelsverkehr haben in den afrikanischen Provinzen niemals die Bedeutung gehabt wie im Orient und in Ägypten. Die Purpurbereitung hatten die Phöniker aus ihrer Heimat an diese Küsten verpflanzt, wo die Insel Girba (Djerba) das afrikanische Tyros ward und nur diesem selbst in der Qualität nachstand. Diese Fabrikation blühte durch die ganze Kaiserzeit. Zu den wenigen Taten, welche König Juba II. aufzuweisen hat, gehört die Einrichtung der Purpurgewinnung an der Küste des Atlantischen Meeres und auf den vorliegenden Inseln. Wollstoffe geringer Qualität und Lederwaren wurden in Mauretanien, wie es scheint von den Eingeborenen, auch für den Export fabriziert. Sehr ansehnlich war der Sklavenhandel. Die Produkte des inneren Landes sind natürlich auch über Nordafrika in den Weltverkehr gelangt, doch nicht in dem Umfange wie über Ägypten. Der Elefant ist zwar das Wappen insbesondere Mauretaniens und ist dort, wo er jetzt längst verschwunden ist, noch bis in die Kaiserzeit hinein gejagt worden; aber es sind wahrscheinlich nur geringe Quantitäten von dort in den Handel gekommen.

Der Wohlstand, in welchem sich der überhaupt kultivierte Teil Afrikas befunden hat, redet deutlich aus den Ruinen seiner zahlreichen Städte, die trotz ihrer engbegrenzten Gebiete überall Bäder, Theater, Triumphbogen, Prunkgräber, überhaupt Luxusbauten aller Art aufweisen, meistens von mäßiger Kunst, oft von unmäßiger Pracht. Nicht gerade in den Villen des vornehmen Adels wie im gallischen Land, sondern in der mittleren Klasse der Ackerbürger muß die ökonomische Kraft dieser Landschaften gelegen haben. Die Frequenz des Verkehrs, soweit aus unserer Kunde des Straßennetzes sich darüber urteilen läßt, muß innerhalb des zivilisierten Gebietes der Dichtigkeit der Bevölkerung entsprochen haben. Während des ersten Jahrhunderts entstanden die Reichsstraßen, die das damalige Hauptquartier Theveste teils mit der Küste der Kleinen Syrte verbanden, was mit der früher erzählten Befriedung des Distrikts zwischen dem Aures und dem Meer in deutlichem Zusammenhang steht, teils mit den großen Städten der Nordküste Hippo regius (Bone) und Karthago. Vom 2. Jahrhundert an finden wir alle größeren Städte und manche kleinere tätig innerhalb ihres Territoriums die nötigen Verbindungen herzustellen; indes gilt dies wohl von den meisten Reichslanden und tritt nur deshalb in Afrika deutlicher hervor, weil hier fleißiger als anderswo diese Gelegenheit benutzt worden ist, um dem regierenden Kaiser zu huldigen. Über das Wegewesen der wenn auch römischen, doch nicht romanisierten Distrikte und über die Wege, welche den wichtigen Verkehr durch die Wüste vermittelten, fehlt jede allgemeine Kunde. Wahrscheinlich ist aber in dem Wüstenverkehr während jener Zeit ein folgenreicher Umschwung eingetreten durch die Einführung des Kamels. In älterer Zeit begegnet dies bekanntlich nur in Asien bis nach Arabien hin, während Ägypten und ganz Afrika lediglich das Pferd kennen. Während der ersten 3 Jahrhunderte unserer Zeitrechnung haben die Länder getauscht und ist wie das arabische Roß so das lybische Kamel, man darf wohl sagen, in die Geschichte eingetreten. Zuerst geschieht des letzteren Erwähnung in der Geschichte des von dem Diktator Cäsar in Afrika geführten Krieges: wenn hier unter der Beute neben gefangenen Offizieren 22 Kamele des Königs Juba aufgeführt werden, so muß ein solcher Besitz damals in Afrika außergewöhnlicher Art gewesen sein. Im 4. Jahrhundert fordern die römischen Generale bereits von den Städten der Tripolis Tausende von Kamelen für den Transport des Wassers und der Lebensmittel, bevor sie den Zug in die Wüste antreten. Dies gibt eine Ahnung von der inzwischen eingetretenen Revolution in den Verkehrsverhältnissen zwischen dem Norden und dem Süden Afrikas; ob sie von Ägypten ausgegangen ist oder von Kyrene und Tripolis, läßt sich nicht sagen, aber dem gesamten Norden dieses Erdteils ist sie zugute gekommen.

Also für die Finanzen des Reiches war Nordafrika ein wertvoller Besitz. Ob die römische Nation überhaupt durch die Assimilierung Nordafrikas mehr gewonnen oder mehr eingebüßt hat, ist weniger ausgemacht. Die Abneigung, welche die Italiener von jeher gegen die Afrikaner empfanden, hat sich nicht geändert, nachdem Karthago eine römische Großstadt geworden war und ganz Afrika lateinisch sprach; wenn Severus Antoninus die Laster dreier Nationen in sich vereinigte, so wurde seine wilde Grausamkeit auf den afrikanischen Vater zurückgeführt, und der Schiffskapitän des 4. Jahrhunderts, welcher meinte, daß Afrika ein schönes Land sei, aber die Afrikaner dessen nicht wert, denn sie seien hinterlistig und wortlos, und es möchten wohl einige gute Leute darunter sein, aber viele nicht, dachte wenigstens nicht an den schlimmen Hannibal, sondern sprach aus, was das große Publikum damals empfand. So weit in der römischen Literatur der Kaiserzeit sich die Einwirkung afrikanischer Elemente erkennen läßt, treffen wir in dem überhaupt wenig erfreulichen Buche auf besonders unerfreuliche Blätter. Das neue Leben, welches den Römern aus den Ruinen der von ihnen ausgetilgten Nationen erblühte, ist nirgends voll und frisch und schön; auch die beiden Schöpfungen Cäsars, das Keltenland und Nordafrika – denn das lateinische Afrika ist nicht viel weniger sein Werk als das lateinische Gallien –,sind Trümmerbauten geblieben. Aber dem Neurömer von der Rhone und der Garonne steht doch die Toga besser als den »Seminumidiern und Semigätulern«. Wohl blieb Karthago an Volkszahl und Reichtum nicht viel zurück hinter Alexandreia und war unbestritten die zweite Stadt der lateinischen Reichshälfte, nächst Rom die lebhafteste, vielleicht auch die verdorbenste Stadt des Okzidents und der bedeutendste Mittelpunkt der lateinischen Bildung und Literatur. Augustinus schildert mit lebhaften Farben, wie mancher rechtschaffene Jüngling aus der Provinz in dem wüsten Treiben des Zirkus dort unterging und wie ihn, den siebzehnjährigen Studenten, als er von Madaura nach Karthago kam, das Theater mit seinen Liebesstücken wie mit der Tragödie packte. Auch an Fleiß und Talent fehlte es den Afrikanern nicht; im Gegenteil wurde auf den lateinischen und daneben den griechischen Unterricht und auf dessen Ziel, die allgemeine Bildung, in Afrika vielleicht mehr Wert gelegt als irgendwo sonst im Reiche, und das Schulwesen ist hoch entwickelt. Der Philosoph Appuleius unter Pius, der berühmte christliche Schriftsteller Augustinus, beide guten Bürgerfamilien – jener von Madaura, dieser von dem benachbarten kleineren Orte Thagaste – entstammend, empfingen die erste Bildung in der Schule der Heimatstadt; dann studierte Appuleius in Karthago und vollendete seine Bildung in Athen und Rom; Augustinus ging von Thagaste zuerst nach Madaura, dann ebenfalls nach Karthago; in dieser Weise vollzog sich die Jugendbildung in den besseren Häusern durchgängig. Iuvenalis rät dem Professor der Rhetorik, welcher Geld verdienen will, nach Gallien oder besser noch nach Afrika zu gehen, »der Amme der Advokaten«. Auf einem Edelsitz im Gebiet von Cirta ist vor kurzem ein mit fürstlicher Pracht ausgestattetes Privatbad aus später Kaiserzeit zum Vorschein gekommen, dessen Mosaikfußboden im Bilde darstellt, wie es einst auf dem Schlosse zuging: die Paläste, der ausgedehnte Jagdpark mit den Hunden und Hirschen, die Ställe mit den edlen Rennpferden nehmen freilich den meisten Platz ein, aber es fehlt auch nicht die »Gelehrtenecke« ( filosofi locus) und dabei die unter den Palmen sitzende Edelfrau. Aber eben die Schulmäßigkeit ist der schwarze Punkt des afrikanischen Literatentums. Dasselbe beginnt erst spät; vor der Zeit des Hadrian und des Pius weist die lateinische Schriftstellerwelt keinen afrikanischen Namen von Ruf auf, und auch nachher sind die namhaften Afrikaner durchgängig zunächst Schulmeister und als solche zum Schriftstellern gekommen. Unter jenen Kaisern sind die gefeiertsten Lehrer und Gelehrten der Hauptstadt geborene Afrikaner, der Rhetor Marcus Cornelius Fronto aus Cirta, Prinzenerzieher am Hof des Pius, und der Philologe Gaius Sulpicius Apollinaris aus Karthago. Darum herrscht in diesen Kreisen bald der törichte, das Lateinische in die altfränkischen Bahnen des Ennius und des Cato zurückzwängende Purismus, wodurch Fronto und Apollinaris ihren Ruf gemacht haben, bald das gänzliche Vergessen der dem Latein eingeborenen ernsten Strenge und eine, üble griechische Muster übler nachahmende, Leichtfertigkeit, wie sie in dem seiner Zeit vielbewunderten Eselroman jenes Philosophen von Madaura ihren Gipfel erreicht. Die Sprache wimmelte teils von schulmäßigen Reminiszenzen, teils von unklassischen oder neu gebildeten Worten und Wendungen. Wie man dem Kaiser Severus, einem Afrikaner aus guter Familie und selber einem Gelehrten und Schriftsteller, im Ton der Rede immer den Afrikaner anhörte, so hat der Stil dieser Afrikaner, auch der geistreichen und von Haus aus lateinisch erzogenen, wie des Karthagers Tertullianus, regelmäßig etwas Fremdartiges und Inkongruentes, mit seiner gespreizten Kleinkrämerei, seinen zerhackten Sätzen, seinen Gedankenspielen und Gedankensprüngen. Es fehlt beides, die Anmut des Griechen und die Würde des Römers. Bezeichnenderweise begegnet in der gesamten afrikanisch-lateinischen Schriftstellerwelt nicht ein einziger Dichter, der auch nur genannt zu werden verdiente. Erst in der christlichen Zeit ist es anders geworden. In der Entwicklung des Christentums spielt Afrika geradezu die erste Rolle; wenn dasselbe in Syrien entstanden ist, so ist es in und durch Afrika Weltreligion geworden. Wie die Übertragung der heiligen Bücher aus der hebräischen Sprache in die griechische, und zwar in die Volkssprache der ansehnlichsten Judengemeinde außerhalb Judäa, dem Judentum seine Weltstellung gegeben hat, so ist in ähnlicher Weise für die Übertragung des Christentums aus dem dienenden Osten in den herrschenden Westen die Übertragung seiner Bekenntnisschriften in dessen Sprache von entscheidender Bedeutung geworden, und um so mehr, als auch diese Bücher übertragen wurden nicht in die Sprache der gebildeten Kreise des Okzidents, welche früh aus dem gewöhnlichen Leben schwand und in der Kaiserzeit überall schulmäßig gelernt ward, sondern in das aufgelöste, schon den romanischen Sprachbau vorbereitende, den großen Massen geläufige damalige Latein des gemeinen Verkehrs. Wenn das Christentum durch den Untergang des jüdischen Kirchenstaates von seiner jüdischen Grundlage sich löste, so wurde es dadurch, daß es in dem großen Weltreich die allgemeingültige Reichssprache zu reden begann, die Religion der Welt; und jene namenlosen Männer, die seit dem 2. Jahrhundert die christlichen Schriften latinisierten, haben für diese Epoche eben das geleistet, was heute, in der durch den erweiterten Völkerhorizont geforderten Steigerung, auf Luthers Spuren die Bibelmissionen durchführen. Diese Männer aber waren zum Teil Italiener, jedoch vor allem Afrikaner. In Afrika war allem Anschein nach diejenige Kenntnis des Griechischen, welche Übersetzungen entbehrlich macht, bei weitem seltener anzutreffen als wenigstens in Rom; und andererseits fand das namentlich in den Anfängen des Christentums übermächtige orientalische Element hier bereitwilligere Aufnahme als in den übrigen lateinisch redenden Ländern des Ostens. Auch in der durch den neuen Glauben ins Leben gerufenen vorzugsweise polemischen Literatur ist, da die römische Kirche in dieser Epoche dem griechischen Kreise angehört, in lateinischer Zunge Afrika durchaus führend. Die gesamte christliche Schriftstellerei bis zum Ausgang dieser Periode ist, soweit sie lateinisch ist, afrikanisch; Tertullianus und Cyprianus waren aus Karthago, Arnobius aus Sicca, auch Lactantius und wahrscheinlich desgleichen Minucius Felix trotz ihres klassischen Latein Afrikaner, nicht minder der schon genannte etwas spätere Augustinus. In Afrika fand die werdende Kirche die eifrigsten Bekenner, die begabtesten Vertreter. Für den literarischen Glaubenskampf stellte Afrika weitaus die meisten und tüchtigsten Streiter, deren Eigenart bald in beredter Erörterung, bald in witziger Fabelverspottung, bald in leidenschaftlichem Zorn in der Fehde gegen die alten Götter rechten und mächtigen Spielraum fand. Ein erst von wildem Lebenstaumel, dann von flammender Glaubensbegeisterung trunkenes Gemüt, wie es aus Augustinus Confessionen spricht, hat seinesgleichen nicht im übrigen Altertum.

Anhang


Die Weltepoche des römischen Imperiums bis zum Zeitalter Justinians. Von Leopold von Ranke

Anhang

(Aus seinen Vorträgen vor König Maximilian II. von Bayern »Über die Epochen der neueren Geschichte«)

I

Grundlagen des römischen Reiches; Überblick über die ersten vier Jahrhunderte unserer Ära

Am Eingange dieser Betrachtungen haben wir uns vorerst zu vergegenwärtigen, was das römische Reich war in bezug auf seinen intellektuellen Inhalt und Standpunkt. Man kann sagen, daß alle alte Geschichte in die römische sich hinein ergießt, gleichsam in einen Strom, der in einen See mündet, und daß die ganze neuere Geschichte wieder von der römischen ausgeht. Ich wage es zu behaupten, daß die ganze Geschichte nichts wert wäre, wenn die Römer nicht existiert hätten.

Die erste Frage, welche Ew. Majestät angeregt haben, ist die, ob die alte Geschichte abgestorben ist, oder inwiefern in der römischen Geschichte alle Elemente wirksam waren, welche die alte Geschichte angeregt hat. Die Lösung dieser Frage ergibt sich daraus, wenn wir erwägen, daß das römische Reich errichtet wurde auf dem ihm vorangegangenen, durch Alexander den Großen und seine Nachfolger gestifteten griechisch-mazedonisch-orientalischen Reiche, welches in sich die bedeutendsten Momente des Orientalismus aufgenommen hatte.

Werfen wir hier einen kurzen Rückblick auf die älteste Geschichte, so finden wir im Orient starke religiöse Gegensätze. Wir finden dort die Juden, auf der einen Seite von den Ägyptern, auf der anderen Seite von dem assyrischen und babylonischen Reiche begrenzt, dessen religiöse Vorstellungen mit denen der Ägypter eine unverkennbare Ähnlichkeit tragen.

Inmitten dieser heidnischen Völkerschaften waren die monotheistischen Juden unaufhörlichen Kämpfen und Anfechtungen ausgesetzt. Sie wurden von den Assyrern und Babyloniern in die Gefangenschaft fortgeführt, und für einen Augenblick schien der nationale Monotheismus dem Untergange nahezustehen, wenn nicht ein anderes Element, welches mit dem jüdischen Verwandtschaft hatte, hilfreich an dasselbe herangekommen wäre. Dieses Element war das persische. Die Perser, deren religiöse Anschauungen reiner und geläuterter waren als die der assyrischen und semitischen Götzendiener überhaupt, machten es sich zur Aufgabe, das jüdische Element zu restaurieren. Darauf kam aber Alexander der Große, der selbst ein eifriger Götzendiener war, und restaurierte wieder den nationalen Götzendienst. Während Kambyses den Apis getötet hatte, erklärte Alexander sich für einen Sohn des Jupiter Ammon und akzeptierte den orientalischen Mythus.

Die beiden Momente, nämlich die reinere Religion, an der die Perser einen gewissen Anteil hatten, und welche bei den Juden als Monotheismus erschien, wie die Götzendienerschaft der anderen Völker, gingen nun in das römische Reich über, welches das mazedonische, syrische und ägyptische Reich zwar eroberte, im übrigen aber alles dort bestehen ließ, wie es war.

Die Römer waren, gleich den Nachfolgern Alexanders, heftige Gegner der Juden, und da geschah nun jenes große Weltereignis, daß aus den Juden die Idee der Weltreligion hervorging. Die Juden hatten nämlich zwar die Idee von der Einheit Gottes – wahrscheinlich die Uridee der Urzeiten – erhalten, aber sie betrachteten Gott mehr als einen Nationalgott. Da erschien Christus und hat, auf ihre Religion fußend, den allgemeinen Gott gepredigt und von allen Völkerinteressen und Nationalgöttern abstrahiert. Aus dem Judentum ging die Weltreligion hervor, in dem Augenblicke, wo die Römer die Eroberung des Orients vollendet hatten und eine Masse orientalischer Elemente in ihr Reich aufnahmen. Der ganze religiöse Kampf, der sich im orientalischen Reiche vollzogen hatte, ging in das römische Reich über, und erst im römischen Reiche hat das Christentum seine Welteroberung gemacht. –

Wir haben somit gesehen, daß in religiöser Beziehung das Römerreich ein Komplex aller früherer Elemente war. Gehen wir nun auf die politischen Gegensätze über.

Die alten Völker des Orients waren religiös entzweit, aber politisch vereint und waren alle Gegner der Griechen. Es hatte sich dort eine ungeheure Monarchie ausgebildet, deren Herrschaft sich nur die entfernten Karthager entziehen konnten, und nun trat diesem Koloß das kleine Häufchen der Griechen entgegen, welche sich dem ungestümen Andrang zu widersetzen wagten. Die Elemente der stetigen Unabhängigkeit und der großen konzentrierten Monarchie gerieten miteinander in einen Konflikt, in welchem weder die Perser die Griechen, noch die Griechen die Perser unterwerfen konnten, solange nämlich die ersteren republikanisch waren, weil während dieser Epoche die Eifersucht des Volkes jeden stürzte, dem eine größere Unternehmung zu glücken schien. Die Perser wurden nur dadurch dem griechischen Elemente untertan, daß auch in Griechenland die Monarchie aufkam, eine Monarchie, welche das griechische Wesen mit orientalischen Formen repräsentierte. Die Monarchie, die bisher rein orientalisch und barbarisch gewesen war, wurde gräzisiert. Man kann sagen: wenn die Monarchie bloß persisch geblieben wäre, so hätte sie niemals im Okzident populär werden können, und wir hätten dann vielleicht nichts anderes gesehen als ein wunderliches Wesen, ähnlich der Herrschaft der Sassaniden. Allein, wie gesagt, so sehr sich auch die Nachfolger Alexanders als die Nachfolger der Pharaonen und anderer Dynastien betrachteten, so wurde doch die orientalische Monarchie mehr zivilisiert, indem diese Könige nun zugleich als Träger der Kultur auftraten: Man denke z. B. nur an Alexandria, jene große Pflanzschule des griechischen Geistes!

Das monarchische Element blieb also in den Gebietsteilen, welche später römisch wurden, sehr lebendig, so sehr, daß ich glaube, daß, wenn Marcus Antonius, der nach Ägypten ging und mit der Kleopatra haushielt, gesiegt hätte, er vermöge seiner orientalischen Sympathien die orientalische Monarchie auf den Okzident übertragen haben würde. –

Der griechisch-republikanische Geist wurde aber durch diese Vorgänge nicht unterdrückt, sondern erhielt sich fortwährend lebendig und wirkte auf Rom zurück, zu einer Zeit, wo dort nur mehr die Formen der Republik bestanden. Dieser griechisch-republikanische Geist hatte einen um so größeren Einfluß auf Rom, als er das republikanische Prinzip mehr theoretisiert hatte und es in solcher Gestalt fortpflanzte, indem die vornehmen Römer eine vollkommen griechische Erziehung sich aneigneten. Auf diesem griechisch-republikanischen Boden hat Augustus seine Monarchie errichtet, keine Monarchie, wie wir sie uns denken, sondern ein Prinzipat, in dem alle republikanischen Formen stehen blieben. Augustus hätte es nie gewagt, sich König zu nennen, und insofern unterschied sich die Tendenz des Antonius total von der des Augustus.

Bei den Griechen war indes außer der Religion und Politik noch ein Moment hervorragend, welches Rom in sich aufnahm, nämlich das der Kunst und Literatur, ein Moment, welches sich schon unter den Nachfolgern Alexanders des Orients zu bemächtigen gesucht hatte. Ein Gedanke, auf den ich hier Wert lege, ist der, daß bei den anderen Nationen die bisherigen literarischen Bestrebungen vereinzelt geblieben waren, bei den Griechen aber sich nach und nach eine Erscheinung entwickelte, die man Literatur nennen darf, d. h. ein Umkreis von literarischen Produktionen, welche die Tendenz hatten, alles Wissenswürdige in sich aufzunehmen. Dieses alles ging in das römische Reich über. Freilich kann man sagen: wenn das römische Reich einen anderen Charakter gehabt hätte, der dem griechischen nicht analog gewesen wäre, so würde es sich nicht auf diese Weise haben entwickeln können. Dadurch aber, daß die republikanische Form in Rom die Oberhand behielt, blieb die Analogie zwischen den beiden Volksgeistern fort und fort aufrecht. Die Schriftsteller unter Augustus brauchten sich bloß an Griechenland anzuschließen, was, wenn Antonius die Oberherrschaft errungen hätte, nicht der Fall gewesen wäre. So aber trat die ganze orientalische, jüdisch-semitisch-griechische Welt in allen Produktionen in das römische Reich ein und kam mit demselben in einen unbedingten Zusammenhang. –

In dem ersten Jahrhundert unserer Ära hingegen trat Rom in Zusammenhang mit dem Okzident. Dieses erste Jahrhundert, das man gewöhnlich so mißachtet, war ein Jahrhundert voll von Geist und Leben.

Hier aber müssen wir in unseren Betrachtungen einen Augenblick zurückgehen in die frühere Geschichte des Westens. Diese Geschichte beruht darauf, daß in früheren Zeiten die keltischen Völkerschaften in Gallien und Spanien die Oberhand hatten, in ersterem zum Teil in Verbindung mit den Germanen. Gallier waren bis nach Rom vorgedrungen; ein Brennus hatte Rom, ein anderer Delphi genommen; sie hatten ein kleines Reich in der Nähe von Byzanz gegründet; sie waren nach Syrien hinübergegangen und wollten einen Augenblick sogar Ägypten erobern. Kurz, die Gallier waren eine Zeitlang das mächtigste Volk, und ein Teil der römischen Geschichte beschäftigt sich damit, die Hinaustreibung der Gallier aus Italien zu beschreiben.

Da kam Cäsar und vollzog die große Eroberung Galliens; eines der wichtigsten Ereignisse der Weltgeschichte, denn auf Gallien beruht die ganze nachmalige Konfiguration des Okzidentes. Ich sage in meiner französischen Geschichte: das sind die großen Eroberer, welche zu gleicher Zeit auch die Kultur verbreiten, und dadurch zeichnete sich auch Cäsar aus! Er eroberte Gallien nicht allein, um es zu haben, sondern romanisierte und kultivierte es zugleich. Nun kann man zwar die Zwischenfrage einwerfen, ob es nicht möglich gewesen wäre, daß die Kelten sich selbst kultiviert hätten. Ich glaube kaum, diese Frage mit Ja beantworten zu können; denn sie waren von karthagischen und anderen zivilisierenden Einflüssen umgeben, und doch brachen sie stets als Räuber in Italien und Asien ein und setzten sich fortwährend der Kultur entgegen, und erst durch ihre Besiegung bekam die Kulturwelt in Italien, in Griechenland und im Orient Ruhe vor diesen Barbaren.

Nachdem Cäsar auch nach Britannien übergesetzt hatte, so erschien später Augustus und erwarb sich durch seine Eroberungen immense Verdienste um den Okzident; denn er ist es, der Spanien vollends den Römern unterwarf, Gallien von Lyon aus nach allen Richtungen hin kolonisierte und seine Kulturbestrebungen bis an den Rhein ausdehnte. Mit einem Worte: was Cäsar verrichtete, war unübertrefflich im Kriege; was aber Augustus vollführte, war noch stabiler; er vollendete die Romanisierung Galliens, und die Kelten mußten anfangen, alle lateinisch zu sprechen. Eine der größten Taten des Augustus war aber die, daß er, mit Hilfe des Drusus und Tiberius, die Alpen öffnete. Solange die barbarischen Bevölkerungen der Alpentäler sich wie ein Querbalken zwischen die Kulturwelt – Italien usw. – und den übrigen Okzident legten, war eine Verbreitung der Zivilisation in Mitteleuropa nicht denkbar. Nun aber, nachdem die Alpen eröffnet waren, fingen die Römer an, auf der einen Seite bis nach Pannonien vorzudringen – so Tiberius –, auf der anderen Seite rückten sie in Deutschland bis in das Innerste von Westfalen vor. Hier wurden sie zwar geschlagen; aber demungeachtet wurde das ganze Gebiet längs des Rheines und südlich der Donau romanisiert: Köln und Augsburg waren römische Städte.

Was Cäsar in einer anderen Richtung begonnen hatte, vollendete Claudius, der als einer der dümmsten Menschen verschrien ist, nämlich die Eroberung Britanniens. Diese Ländererwerbungen zogen sich fort bis ins zweite Jahrhundert, in welchem Trajan nach Besetzung Daciens und Mösiens das Gebiet der Rumänen oder Walachen vorbereitete. Die Herrschaft der Römer erstreckte sich über das Schwarze Meer bis an den Euphrat und fand ihre westliche Grenze im Atlantischen Ozean.

Das Hauptereignis des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung war also, daß die in Rom aufgenommene orientalisch-griechische Kultur, die sich mit der lateinischen vereinigt hatte, nunmehr in den Okzident strömte, daß also alles in diesem ersten Jahrhundert eroberte Land Kulturgebiet wurde. Es ist ein Glück, daß diese Eroberungen ihre Grenze in Deutschland fanden; aber ohne die römischen Eroberungen würden wir nichts von Kultur wissen, und innerhalb dieser Grenzen war ihre Erscheinung das größte Weltereignis, welches je vor sich gegangen ist. Diese ungeheure Einheit löste sich zwar wieder auf in zwei Hälften, in eine griechische und eine lateinische; der Westen redete lateinisch, der Osten griechisch; aber das Ganze bildete doch eine Einheit. –

Es fragt sich nunmehr, was, nachdem das Reich der Römer in den ersten Jahrhunderten gegründet worden war, auf diesem von ihnen eingenommenen unermeßlichen Schauplatz zustande kam.

Dies kann der Natur der Sache nach nicht mehr etwas nach außen hin, sondern nach innen Gehendes gewesen sein, da es nicht möglich ist, daß ein Reich sich unaufhörlich nach außen entwickle. Auch Rom fand also seine Grenze, und es trifft in gewisser Hinsicht mit der welthistorischen Tendenz, die man freilich erst hinterher erkennen kann, zusammen, daß die erobernde Kraft sich bloß nach dem Okzident ergoß. Wenn man sich wundert, daß die Römer nicht auch, wie Alexander der Große, nach Arabien und Indien gingen, sondern alle ihre Kräfte darauf verwendeten, Spanien, Gallien, Germanien, Dacien zu zivilisieren, so liegt der welthistorische Grund dieser Erscheinung darin, daß die zivilisierende Tendenz im Osten schon durchgeführt war, und der welthistorische Beruf Roms nur der war, von der Mitte der Welt aus, welche Rom eingenommen hatte, den Okzident zu zivilisieren. Dazu brauchten die Römer aber nichts weiter als die eroberten Elemente; die übrigen konnten sie ausschließen.

Die Produktionen, welche Rom zum Vorschein brachte, sind folgende: 1. eine allgemeine Weltliteratur – 2. die Ausbildung des römischen Rechts zu einem allgemeinen Rechte – 3. die Bildung der monarchischen Verfassung und damit im Zusammenhang die Bildung einer durchgreifenden Verwaltung – 4. die Erhebung der christlichen Kirche zur Herrschaft.

1. Gründung einer allgemeinen Weltliteratur

Das ganze römische Wesen hatte zwar einen griechisch redenden und einen lateinisch redenden Teil, die beiden daraus hervorgehenden Literaturen aber hatten, obwohl die eine im Orient herrschte und die andere im Okzident herrschend wurde, doch gewissermaßen ein Hauptziel. Dieses sieht man unter anderem in der Historie mit der größten Bestimmtheit: sobald die Römer zur Weltherrschaft gelangten, hatten die Griechen keine höhere Idee, als das römische Gemeinwesen zu erfassen und zu beschreiben – Polybius, Dionys von Halikarnassus! – Diese Tendenz setzte sich auch in den folgenden Jahrhunderten fort, wie denn der Hauptgeschichtsschreiber der Kaiserzeit, Dio Cassius, ein Grieche war. Die Römer haben zwar in ihrem Tacitus einen der größten Geschichtschreiber, welche je gelebt haben, aufzuweisen; allein dieser ergreift mehr die moralische Seite der Weltgeschichte und beschreibt die Inkonvenienzen, die durch das Prinzipat im römischen Staate hervortraten; aber das Universalhistorische in der Geschichte wurde mehr von den Griechen als von den Römern erfaßt – so von Appian, von Plutarch, der die Römer als Persönlichkeiten zu begreifen suchte, indem es ihm darauf ankam, sie durch Vergleichung mit den Helden einer anderen Nation zu welthistorischer Bedeutung und Würde zu erheben.

Es bildete sich also jene sonderbare Erscheinung einer Doppelliteratur, jene Literatur in zwei Sprachen, welche, obwohl beiderseits mit einer besonderen Tendenz, doch in der Idee ganz identisch ist. Hiernach fragt es sich: welches war der Erfolg dieser Literatur? Um die Frage zu beantworten, werfe ich einen kurzen Rückblick auf die klassische griechische Literatur. Die Produkte dieser Zeit sind entstanden wie Naturprodukte, jedes in eigentümlicher Weise auf eigentümlichem Boden; jeder Autor schrieb in seinem Dialekte, und die klassische Literatur von Athen z. B. ist in den Epochen des prägnantesten, ich möchte sagen, schroffsten Geistes entstanden. Diese Art von literarischer Produktion konnte nun später nicht mehr stattfinden. Die Dialekte schliffen sich ab, und anstatt des attischen kam der allgemeine Dialekt auf; es konnten jetzt auch Schriftsteller von der Größe wie in der früheren Zeit nicht mehr entstehen. Die nunmehrigen Autoren der Griechen teilen nur das allgemein Wissenswerte mit, und ihnen gesellten sich die Römer bei. Da keine Reibung der Parteien mehr stattfand, so hörten selbstverständlich auch die großen Redner auf, und man schrieb Briefe wie Plinius und andere.

Mit einem Wort: es wurde eine allgemeine Literatur gegründet, welche, alle Zweige des Wissens umfassend, sich in beiden Sprachen bewegte, in der griechischen mit mehr Glück, in der lateinischen mit mehr Applikation.

2. Juristische Entwicklung

Hier muß man davon ausgehen, daß der eigentlich wissenschaftliche Genius der Römer juridischer Natur war. In keinem Zweige sind sie so originell gewesen wie im bürgerlichen Rechte. Die anderen Nationen haben zwar hierin auch einiges geleistet, aber die Römer haben vom Ursprung ihres Staates an die Begriffe des Rechtes so scharf erfaßt und mit so großer Konsequenz ausgebildet wie kein anderes Volk.

Ursprünglich wurde das Recht nur übertragen von einem Lehrer auf den anderen sowie als gültiges Recht auf dem Forum. Das römische Recht erhielt aber darum eine so bedeutende Ausbildung, nachdem das römische Reich mächtig geworden war, weil da den großen Juristen, die in den Juristenschulen von den Kaisern herangezogen wurden, in ihren Aussprüchen Gesetzeskraft beigelegt wurde, so daß Theorie und Praxis sich niemals enger vereinigten als während der römischen Kaiserzeit. Darum finden wir in einer Epoche, die sonst in anderen Literaturzweigen wenig fruchtbar war, jene Reihe der größten Juristen, aus deren Aussprüchen im 6. Jahrhundert die Pandekten und Institutionen zusammengesetzt wurden, wie Gajus, Ulpian, Papinian usw.

Das erste Moment bei der Entwicklung des Rechtes war das, daß Männer von juridischem Genius die ursprünglich römischen Rechtsideen ausbildeten; das zweite, daß die regelmäßig ausgebildeten Rechtsideen durch die Kaiser Gesetzeskraft erhielten, wodurch dieses Recht, wie es die Konstitutionen enthielten, zugleich einen wissenschaftlichen Inhalt bekam. Das dritte, für die Menschheit höchst wichtige Moment war, daß das römische Recht infolge seiner wissenschaftlichen Entwicklung das Partikuläre, was ihm noch anklebte, abstreifte und eine hohe allgemeine Bedeutung dadurch gewann. Auf diese Weise entstand nun das jus gentium in diesem Sinne, nämlich als das römische Recht, welches applikabel gemacht worden war. Ew. Majestät sehen hieraus, welche Wichtigkeit es hat, daß ein richtig entwickeltes Recht von Partikularitäten freigemacht werde, welche dessen Anwendung auf andere Nationen stören, wie es bei dem römischen Rechte der Fall gewesen war. Man kann behaupten, daß das römische Recht die größte Produktion des römischen Reiches überhaupt war.

3. Gründung der monarchischen Verfassung und einer durchgreifenden Verwaltung

In dem Kampfe zwischen Augustus und Antonius, der vielleicht ein Kampf zwischen dem okzidentalen und orientalen Prinzip war, blieb zwar Augustus Sieger und kumulierte darauf die wichtigsten republikanischen Würden in seiner Person; allein er hätte niemals daran denken können, sich König zu nennen, und erfand den Titel Augustus, das ist: der Verehrungswürdige. Mit einem Wort: es kam eine Differenz zutage zwischen der Persönlichkeit des Fürsten und den republikanischen Bestrebungen, die eigentlich noch immer konstitutionell waren. Daher rührte es auch, daß viele Kaiser, abgesehen von ihrer unwürdigen Persönlichkeit, in eine schiefe Stellung gerieten und eine so wunderliche Rolle spielten; denn wiewohl sie eine unumschränkte Gewalt in Anspruch nahmen, so erschienen sie in den Augen der alten Geschlechter und insbesondere der Senatoren immerhin nur als große Oberhäupter, welche in dem Bürgerkriege faktisch die Oberhand erhalten hatten. Der erste, der eine gewisse Festigkeit in den Prinzipat brachte, war Vespasian, aus der Familie der Flavier. Als dieser gesiegt hatte, ließ er sich von dem Senate in der berühmten lex regia gewisse Rechte dekretieren, namentlich das, für sich allein Verordnungen mit Gesetzeskraft erlassen zu dürfen ohne die Mitwirkung des Senates.

Dessenungeachtet traten später wieder die alten Reibungen und Gewalttätigkeiten hervor. Der Senat gelangte wieder zur Herrschaft und ernannte den Nerva zum Kaiser, wie denn auch die nachfolgenden Kaiser durch Adoption von dem regierenden ernannt und unter Zustimmung des Senates eingesetzt wurden, so die Antonine. Im 3. Jahrhundert hingegen brach jene Epoche der gräßlichsten Verwirrung über das Reich herein, welche man auch die Zeit der dreißig Tyrannen nennt, und während welcher bereits die Barbaren mit Macht in das römische Reich eindrangen. In dieser Zeit der Bedrängnis, da einerseits die Grenzen des Reiches eines mächtigen Schutzes bedurften, andererseits jede Armee denjenigen, der an ihrer Spitze stand, als Kaiser durchzusetzen suchte, erfand Diokletian einen Ausweg, um sowohl den Trotz der Armeen zu brechen als auch dem Bedürfnis einer kräftigen Verteidigung des Staates zu genügen. Er aggregierte sich einige Männer als Augusti oder als Cäsares, welche bei ungeteilter Gewalt mit ihm zugleich die Regierung führten, so daß der eine da, der andere dort die höchste Autorität repräsentierte, die in ihm als oberstem Kaiser konzentriert blieb.

Aus dieser Kombination ging Konstantin hervor, welcher im 4. Jahrhundert die Alleinherrschaft auf Grund der Diokletianischen Institutionen vollständig durchführte, was ihm übrigens ebensowenig wie anderen Generälen der Kaiserzeit gelungen wäre, wenn er nicht die Reform der Verfassungszustände in die Hand genommen und sich nicht alsogleich mit dem Christentum in Verbindung gesetzt hätte. Vor allem galt es, das Übergewicht der Armeen vollständig zu bewältigen und den Umtrieben der aristokratischen Parteien ein Ziel zu setzen. Das Wichtigste, was Konstantin zu diesem Zwecke einführte, war die Trennung der Zivil- und Militärgewalt, deren Vereinigung in einer Hand bisher den Provinzialbeamten eine so unermeßliche Macht beigelegt hatte. Dadurch wurde die ganze Population in den Städten ruhiger, und die Aristokratie bewegte sich mehr in lokalen und darum weniger gefährlichen Parteiungen. Ferner teilte Konstantin das ganze Reich in Diözesen und die Diözesen in Provinzen und führte eine förmliche Hierarchie der Titel und Würden ein, von denen manche noch bis auf den heutigen Tag bestehen; der Corregidor in Spanien ist z. B. der alte Corrector provinciae. In diesen Verwaltungssprengeln richtete Konstantin eine absolute Verwaltung ein, in welche er, nur um die Population nicht geradezu den Übergriffen der Praesides provinciarum preiszugeben, das Institut der Defensores einreihte, Anklänge an frühere provinzialische Institutionen, die zu keiner Zeit ganz verschwunden waren. Zu diesen Zentralisationsbestrebungen gesellten sich noch andere Reformen, z. B. die Heranziehung des bisher exemten Italiens zu dem ingens malum tributorum, die Aufhebung des Unterschiedes zwischen den Civitates, die Ausdehnung des römischen Bürgerrechts auf sämtliche Provinzen schon durch Caracalla usw.

Auf diese Weise wurde das römische Reich zu einer noch nicht dagewesenen großen Einheit verbunden, deren Bedeutung dann erst recht hervortritt, wenn man sie mit der Masse der unabhängigen Nationalitäten vergleicht, welche früher bestanden hatten. Also auch hier begegnet man in großartiger Weise, wie bei der Literatur und dem Rechte, der Erscheinung, daß aus dem Partikulären sich allmählich etwas Allgemeines entwickelt. An der Spitze dieser Einheit stand der Prinzeps, dessen Erblichkeit, wenn sie auch nicht geradezu ausgeschlossen war, doch nicht als herkömmlich betrachtet wurde.

Fragt man am Schlusse dieser Betrachtung, ob der Orient auf die Bildung der Monarchie Einfluß hatte, so läßt sich zwar nicht verkennen, daß einige Attribute derselben, z. B. das Diadem, von dort herstammen: aber der Kern dieser Institution ging aus der Macht der Verhältnisse und dem Bedürfnisse des Landes hervor.

4. Gründung der Weltreligion

Nachdem im ersten Jahrhundert die römische Eroberung vollzogen war, im zweiten Jahrhundert die Weltliteratur sich entwickelt, im dritten Jahrhundert die Ausbildung des römischen Rechtes und zu Ende des dritten und im vierten Jahrhundert die Ausbildung der Monarchie in einigermaßen haltbarer Form stattgefunden hatte, so trat nun auch die Begründung einer Weltreligion als die größte in die Reihe der welthistorischen Produktionen ein.

Konstantin basierte seine Würde: 1. auf seinen Sieg und die Waffen, 2. auf die Reform der Verwaltung, 3. auf die Religion. Die welthistorische Frage ist aber die: worauf beruht es, daß das Christentum im römischen Reich begründet werden konnte, und hat das römische Reich seiner Natur nach etwas hierzu beigetragen?

Man kann sagen, daß das römische Reich die Idee des Christentums, weltlich gefaßt, im höchsten Grade gefördert hat. Es mußte zuerst ein großer Völkerkomplex entstanden sein, der eine gewisse Einheit hatte, in welchem die Idee der Weltreligion sich Bahn brechen konnte; solange die Völker nebeneinander als verschiedene Individualitäten mit verschiedenen Religionen bestanden, waren nur nationale Gottheiten möglich. Meine Idee von Kirche und Staat ist die, daß der Staat zuerst vorhanden sein muß, und danach die Kirche erscheint. Der Staat macht die Kirche möglich, und dies zeigt sich bei der Erscheinung der Kirche im römischen Staat im höchsten Grade; ohne denselben wäre die christliche Religion schwerlich auf der Erde eingeführt worden.

Gehen wir um einen Schritt weiter, so würde die Einführung des Christentums, wäre nicht die orientalische Welt bereits gräzisiert gewesen, auf die größten Schwierigkeiten gestoßen sein. Hätte nicht eine allgemeine Sprache und Literatur damals existiert, so hätte die Religion nicht eine so allgemeine Wirksamkeit haben können. Gesetzt den Fall, das Christentum hätte durchaus in dem syrischen Idiom, welches Christus sprach, verkündet werden müssen, so wäre es den Menschen als etwas ganz Nationales und Absonderliches erschienen; in der Weltsprache mitgeteilt, wurde es den Menschen, wurde es der übrigen Bildung analog.

Außer diesen Momenten der politischen und literarischen Einheit lag aber noch etwas im römischen Wesen, was die Ausbreitung der Weltreligion unendlich gefördert hat. Dadurch, daß die Römer alle nationalen Gottheiten der ihnen bekannten Völker nach Rom transportierten und dort verehrten, wurde diesen Götzen gleichsam der Boden unter den Füßen weggezogen. Die Verehrung der Isis z. B. hatte nur in Ägypten ihre große Bedeutung, in Rom hatte sie gar keinen Sinn. Durch die Aufnahme fremder Götter verlor das nationale Prinzip seinen Wert; und eine Idee, welche durch sich selbst Geltung hat und deren Durchführung in den Dingen selbst präpariert ist, konnte um so leichter die verschiedenen Kulte überwältigen, als sie ihre ursprüngliche Bedeutung verloren hatten.

Dazu kam noch folgendes, kaum minder wichtiges Moment: die Römer hatten von Anfang an sowohl in religiöser als moralischer Beziehung einen eigentümlichen Geist, eine größere Fülle strenger moralischer Begriffe als irgendein Volk der Welt. Man denke z. B. an die hohe Vorstellung, welche die Römer von der Ehe hatten, so daß Jahrhunderte vorübergingen, bis die erste Ehescheidung eintrat; man denke an das häusliche Leben der Römer, an das Institut der väterlichen Gewalt usw. Diese stärkere Repräsentation moralischer Tendenzen wirkte auch später in den Zeiten der größten Entsittlichung noch fort.

Ein ferneres entscheidendes Moment ist der unaufhörliche Widerstreit der reineren religiösen Anschauungen der Römer und des semitischen Götzendienstes. Dieser zeigte sich schon im Kampfe gegen die Karthager, deren Menschen opfernden Kultus die Römer stets verschmähten. Selbst der sonst ganz anrüchige Kaiser Claudius verbot ausdrücklich die Menschenopfer. Diese und noch andere Vorkommnisse weisen darauf hin, daß die Römer höhere Begriffe vom Werte des Menschen hatten als andere Völker. Also auch in dieser Beziehung trafen die römischen, wenn auch immerhin noch unvollkommenen Vorstellungen mit den christlichen zusammen.

Die weitere Frage ist nun die: welchen Wert gewann das Christentum in seiner ersten Ausbreitung, welche Eigentümlichkeiten waren es, die das Christentum fähig machten, stärker zu werden als alle anderen Religionen?

In den ersten Jahrhunderten suchten noch orientalische Götzendienste und Glaubensvorstellungen überall in das Christentum einzudringen; ich erinnere an die Manichäer, deren Glaubenssätze bis nach Afrika und Indien sich verbreiteten, und andere mehr. Hätten diese Sekten die Oberhand gewonnen, welche das Christentum zu orientalisieren suchten, so wäre auch aus letzterem nichts anderes geworden als eine dieser orientalischen Religionen. Das Christentum fand aber eine andere Verbindung, mit deren Hilfe es sich diesen Einflüssen widersetzte, nämlich die mit der römischen und griechischen Philosophie. Die Weltweisen, ja zuweilen auch die Dichter dieser beiden Nationen hatten von jeher in einer gewissen Opposition gegen den Götzendienst gestanden, und so wurde es auch dem Christentum nicht schwer, sich an diese Philosophen anzulehnen, wohingegen auch viele der christlichen Märtyrer den Heiden als Philosophen erschienen, insofern sie von vielen Dingen abstrahierten, an denen andere festhielten (Justinus).

Das Hauptmoment, welches dem Christentum zustatten kam, ist wissenschaftlicher und dialektischer Natur. Während der Götzendienst mehr oder minder in die größten Abenteuerlichkeiten und Phantasmagorien ausgeartet war, besaßen die wissenschaftlichen und religiösen Begriffe des Christentums, abgesehen von dem unergründlichen Mysterium, auf dem es basiert, vielmehr die Eigenschaft, nach den verschiedensten Seiten hin erörtert werden zu können. Man erkannte bald, daß das Christentum mit den größten Produktionen des menschlichen Geistes zusammentraf, und diese Erkenntnis war einer der mächtigsten Hebel bei der Verbreitung der Weltreligion. Diese Verbindung des Christentums mit der antiken Kultur, die Ehe der zwei Prinzipien, die einander widerstehen und doch unaufhörlich verbunden waren, sie ist es, die der Sache eigentlich ihre Weltbedeutung gegeben hat.

Ganz unabhängig von Interessen, die irgendein Potentat wie Konstantin verfochten haben mag, hat die Weltstellung des römischen Reiches, die eigentümliche Richtung des römischen Geistes in religiöser und moralischer Beziehung und die einheitliche Verfassung in Verbindung mit der allgemeinen Literatur zusammengewirkt, um dem Christentum das Übergewicht über alle anderen Religionen zu geben.

Nachdem wir von der Ausbreitung der Religion gesprochen haben, ist die Frage zu beantworten, auf welche Weise die Begründung einer Kirche vor sich gegangen ist. Hierbei ist einiges als Analogie aus dem Judentum herübergenommen worden, z. B. der Unterschied zwischen Geistlichen und Laien. So wie es bei den Juden einen besonderen Stamm, die Leviten, gab, dem die Besorgung des Gottesdienstes vorzugsweise oblag, so wurden auch im Christentume die Geistlichen, im Gegensatz zum Volke(λαοσ), als Los Gottes (κληροσ) angesehen. Ungeachtet der in manchen Beziehungen nicht zu verkennenden Analogie mit dem Judentum gewann die Kirche jedoch eine andere Gestalt als dieses, namentlich durch die höchst eigentümliche Bildung und Erscheinung der Synoden und Konzilien.

Schon in der frühesten Zeiten der Kirche bildeten sich Gemeinden, welche in einer gewissen Verbindung miteinander standen und sich eine Art von kirchlichem Selfgovernment angeeignet hatten. Die Hauptsache aber ist, daß die Vorsteher dieser Gemeinden, die Episcopi, zusammentraten und streitige Fragen über das Dogma in letzter Instanz entschieden, unter der Behauptung, daß dieser ihrer Verbindung der Heilige Geist innewohne. Merkwürdig ist es hierbei, daß diese Synoden zuerst in echt republikanischen Gegenden zusammenkamen, wo noch die Idee von den alten Bundesverhältnissen sich erhalten hatte, wie in Achaja. Ursprünglich waren diese Synoden partikulärer Natur, später dehnten sie sich zu allgemeinen Konzilien aus, zu denen die ganze Welt (die Οιχουμενη)zusammenströmte, und aufweichen dem Christentum jene doktrinelle Grundlage gegeben wurde, auf der wir heutzutage noch stehen. Dieses höchst wichtige Institut gab dem Christentum auch eine größere Repräsentation für die Doktrin, wie sie noch nicht dagewesen war, und während die Staatsverfassung sich zur Absolutheit ausbildete, trat in der Kirche eine ganz andere Erscheinung hervor, nämlich die der Selbstregierung und Selbstbestimmung von unten her, welche, alles zusammenfassend, wieder neben dem großen Staate ein eigenes Reich bildete.

Das Christentum war bereits, bald unter der Verfolgung, bald unter der Konnivenz der Kaiser, ziemlich weit verbreitet worden, als Kaiser Konstantin in der Mitte des vierten Jahrhunderts es in seinem Interesse fand oder durch irgendeinen uns unbekannten Umstand bewogen wurde, das Christentum anzunehmen. Es war für ihn von der größten Wichtigkeit, sich, nachdem er als Imperator an der Spitze der Armee und als Regent an der Spitze der von ihm eingerichteten Verwaltung stand, auch an die Spitze dieser neuen Organisation zu stellen. Er begriff auch die hohe Bedeutung dieses Schrittes und gerierte sich als obersten, sozusagen äußeren Bischof der Kirche, wodurch erst die Einheit des Reiches zum vollständigen Abschluß kam.

Dadurch aber wurde zu gleicher Zeit auch die Kirche, die bisher noch keine Einheit gewesen war, zu einer großen Genossenschaft erhoben; denn die römischen Bischöfe waren damals noch weit entfernt davon, sich als Oberhäupter der Kirche zu betrachten; vielmehr standen die Patriarchen gemeinschaftlich unter den Kaisern, obwohl sie sich in geistlicher Beziehung nicht viel von ihnen dreinreden ließen.

Da nun entstand die Frage: sollte das Christentum in diesem doch immer engen Bezirke des römischen Reiches eingeschränkt bleiben?

Das römische Reich barg eine Menge Mißstände in seinem Schoße. Hierzu muß man vor allem die verderbliche, viel zu gewaltsam eingreifende Verwaltung rechnen. Ferner war das römische Reich nicht prolifik genug; es hatte infolge der verheerenden Bürgerkriege, infolge der gegen die Ehe nach und nach eintretenden Abneigung und aus anderen Gründen eine unendliche Abnahme der Bevölkerung erlitten, zu deren Vermehrung auch das Christentum nichts beitrug, in welchem sich sehr bald mönchische Tendenzen kundgaben.

Wir sehen also hier die merkwürdige Tatsache, daß das römische Reich, nachdem es die größten Produktionen hervorgebracht hatte, die für die Welt nötig waren, in sich selbst verödete. Es kam nun darauf an, daß sich die expansive Kraft der zur Herrschaft gelangten Weltideen betätigte. Dies konnte auf zweierlei Weise geschehen: erstens indem diese Anschauungen den übrigen Nationen durch Übertragung nahegebracht wurden, was auch teilweise der Fall war – in Britannien verbreitete sich das Christentum weit über den römischen Wall hinaus. Jedoch geschah das mehr in einer sektiererischen Form, welche der Aufgabe nicht ganz genügen konnte. Zweitens konnte die Expansion der christlichen Ideen vor sich gehen durch den Krieg, welcher eine Menge Völkerschaften, namentlich aber Germanen, in unaufhörliche Berührung mit den Römern brachte und dadurch auch zu einem Moment der Kulturverbreitung wurde.

Beides konnte aber nicht bewirken, daß die Welt jene Elemente sämtlich in sich aufgenommen hätte: die Propagation der welthistorischen Ideen und der Kultur, wie sie sich im römischen Reiche entwickelt hatte, wurde mehr vollzogen durch die Eroberungen fremder Völker im römischen Reiche als durch die Eroberungen der Römer über fremde Nationen. Hätten die Römer diese Ideen durch Besiegung der anderen Völker über die Welt verbreitet, so würden sie damit zugleich ihre Sprache und ihr ganzes Wesen den anderen Völkern aufgeprägt haben; die übrige Welt würde ebenso romanisiert und gräzisiert worden sein, wie es bereits im Orient und teilweise auch im Okzident geschehen war. Dahin aber sollte es nicht kommen; die anderen Nationen der Welt hätten dadurch ihre ganze Ursprünglichkeit eingebüßt. Da indes die Römer auch nicht stark genug waren, das zu vollführen, so fiel jene Aufgabe den Germanen zu. Diese durchbrachen auf allen Seiten den römischen Limes, und erst dadurch, daß sie das Christentum annahmen, wurde die Weltreligion die Religion aller Nationen.

Einen merkwürdigen Gegensatz hierzu bilden die Araber, welche nicht die Weltreligion, wohl aber die römische Kultur in sich aufnahmen. Dadurch aber entwickelte sich die wunderbare Weltverkettung, daß auf der einen Seite im Westen die Germanen, auf der anderen Seite im Osten die Araber die von den Römern überlieferten Anschauungen kultivierten und fortpflanzten.

II

Umwandlung des römischen Reiches durch die Einwanderungen der Germanen

Unsere germanischen Altvordern waren in folgender Weise um die römische Welt gelagert:

An der nordfranzösischen und niederländischen Küste saßen die Friesen und Sachsen. Die Römer hatten in diesen Gegenden nach der Mitte des 3. Jahrhunderts gegen die Seeräuber, welche die Küsten beunruhigten, einen Befehlshaber, namens Carausius, aufgestellt. Dieser hatte empörerische Neigungen, vereinigte sich mit den sächsischen Küstenanwohnern in Deutschland und lehrte sie zur See mächtig werden, was sie schon frühe zu Einfällen in das gegenüberliegende Britannien benützten. Am Niederrhein erschienen um die Mitte des 3. Jahrhunderts die Franken an den römischen Grenzen, und zwar im Delta des Stromes als salische, weiter aufwärts als ripuarische Franken. Die Sachsen auf der einen, die Franken auf der anderen Seite waren hier im Norden die nächsten Nachbarn der Römer.

An dem Limes zwischen Rhein und Donau lagerten verschiedene germanische Völker, unter denen die Alemannen die vornehmsten waren. Die Deutschen breiteten sich überhaupt an der ganzen Donau bis zu deren Ausflüssen aus, wo die Goten (in Dacien und Mösien) die Hegemonie über viele andere Stämme, Vandalen, Gepiden usw., besaßen.

Da besitzen wir nun aus den ersten Zeiten des Kaisertums jene merkwürdigen Schilderungen des Tacitus von den Germanen, eines Geschichtschreibers, der so viel welthistorischen Sinn besaß, um die natürlichen Gegensätze zu fassen, welche zwischen den Römern und Germanen bestanden. Von diesen Unterschieden will ich nur einige hervorheben: vor allen die römische Korruption im Gegensatz zu der germanischen Einfachheit und Naturgemäßheit; sodann insbesondere die höchst eigentümliche Kriegsverfassung der Germanen. Während der römische Heeresverband vorzugsweise auf dem streng militärischen Gehorsam beruhte, basierte die germanische Kriegsverfassung auf dem Prinzip der persönlichen und erblichen Treue. Bei den Germanen bestand: erstens das Königtum als eine Art religiöser Würde, und: zweitens das Gefolgschaftswesen, eine Institution, der zufolge sich an die vornehmsten Germanen eine Anzahl anderer im Kriege anschloß, diese mit der Verpflichtung, den erkorenen Führer zu schützen, jener mit der Verpflichtung, ihnen ein treuer und sorgsamer Anführer zu sein; eines der vorzüglichsten Elemente, welches den Unterschied zwischen den Römern und Germanen begründete, indem bei den Römern alles Staat war und die persönlichen Verhältnisse verkümmerten. Gerade diese Gefolgschaftsverfassung gab den Germanen den Römern gegenüber einen stärkeren Zusammenhalt. Dieser Umstand war für die ganze Weltgeschichte von der größten Bedeutung insofern, als bei den Römern zwar eine Verfassung gefunden war, aber nur als eine Form, die sie nie recht realisieren konnten, indem ein Machthaber den anderen ausstieß, dahingegen bei den Germanen in ihrem uralten Königtum und in ihrem eigentümlichen militärischen Wesen der alles durchdringende Kitt der Treue die ganze moderne Geschichte zu dem stempelte, was sie geworden ist. Diese Germanen wurden für die Römer um so bedeutungsvoller, als, wie wir gesehen haben, der römische Staat an Bevölkerung verarmte und seine Grenzen nicht mehr behaupten konnte. Das Grenzgebiet wurde durch eine lange und langsame Bewegung noch vor der Völkerwanderung germanisiert; wie man sich denn überhaupt die letztere nicht als eine allgemeine Bewegung von Europa – diese trat nur einmal ein – zu denken hat, sondern als einen Kampf an den Grenzen, in welchem die Germanen vordrangen und die Romanen zurückwichen. Doch wäre ohne dieses Ereignis jene große Veränderung in Europa nicht erfolgt, welche gleichsam von dem Geschicke intendiert schien.

Der erste Anstoß zur Völkerwanderung ging von den Goten aus. Diese gerieten am Schwarzen Meere mit den Hunnen in Konflikt, einem Volke, welches zu demselben Stamme gehört wie die Tschuden und Finnen. Die Hunnen stürzten im 4. Jahrhundert das große Reich des Ostgoten Hermanarich und bedrängten darauf die Westgoten dergestalt, daß sie im römischen Reich um eine Zufluchtsstätte bitten mußten, die ihnen auch nicht verweigert wurde. Sie zogen hierauf in großen Scharen auf Kähnen über die Donau in das römische Reich. Hier kamen sie aber mit den Befehlshabern der Provinzen in Streit, welche ihnen, um sich für gelieferte Lebensmittel bezahlt zu machen, ihre Kinder und ihr Vieh abnahmen. Darüber kam es im Jahre 378 zu einer Hauptschlacht bei Adrianopel, in welcher der Kaiser Valens getötet wurde und die Goten Sieger blieben, so daß dieselben sich in Mösien festsetzten und dort eine große Rolle zu spielen anfingen.

Während man sich hier unaufhörlich schlug und dadurch das römische Reich in die größte Verwirrung geriet, kamen fast alle germanischen Völker in eine gewisse Bewegung. Die Westgoten selbst, die in das oströmische Reich übergegangen waren, und aus denen dort zu Anfang des 5. Jahrhunderts Alarich hervorging, machten den römischen Befehlshabern unendlich zu schaffen. Kaiser Arcadius wußte sich zuletzt nur dadurch zu helfen, daß er sie gegen das westliche Reich hetzte, worauf sie in der Tat unter Alarich nach Italien vordrangen.

Eben nach dem Westen aber ergossen sich gleichzeitig noch andere Völker, nämlich die Vandalen, Alanen und Sueven. Diese drei Völkerschaften gingen zuerst über den Rhein, zogen nach Gallien und von da nach Spanien. Die Vandalen setzten später nach Afrika über und gründeten dort auf den Trümmern von Karthago zu Anfang des 5. Jahrhunderts ein großes Reich.

Man muß nun aber zwischen diesen germanischen Nationen einen Unterschied machen: die einen drangen, wie z. B. Alarich und seine Mannschaften, als Volksheere vor, d. h. als Völker, die zugleich Armeen waren, Weiber und Kinder, wie überhaupt alles, was zum Leben gehört, mit sich führten und beständig zum Kriege bereit waren. Sie kamen in das römische Reich, um entweder Geld (Subsidien) oder Lebensmittel zu bekommen, und da sie zu keinem von beiden gelangten, so siedelten sie sich unter ihren Oberhäuptern, denen sie Heeresfolge leisteten, die aber zugleich ihre Könige waren, wie eine Kriegerkaste in einem großen Teil des römischen Reiches an, wo sie sich mit den Provinzialen in der Art abfanden, daß diese ihnen einen Teil des Landes einräumten. Zu diesen Völkerschaften gehörten die Goten, von denen ein Teil, eben die Westgoten, Rom eroberte, sodann nach Gallien überging – ihr Hauptsitz war Toulouse – und von da auch in Spanien sich ausbreitete; sodann die Burgunder, welche sich in den römischen Provinzen am Rhein und an der Rhone niederließen; die Sueven, die mit ihnen verbündeten, nicht ganz germanischen Alanen und die Vandalen.

Der andere Teil der Germanen drang von den heimischen Sitzen aus langsamer über die Grenze vor und kolonisierte. Während die vorher genannten Völkerschaften, wenn sie endlich zur Ruhe kamen, nur einen Teil des Gebietes einnahmen, blieb da, wohin diese kolonisierenden Völker drangen, nichts mehr vom römischen Wesen übrig. Zu ihnen gehörten die Alemannen, Sachsen, Franken.

Für den Augenblick aber trat noch eine andere Frage ein. Von Anfang an hatten die Hunnen einen großen Anteil an der allgemeinen Umwandlung gehabt; jetzt errichteten sie an der Donau ein mächtiges Reich und beherrschten dort eine Menge germanischer Völker (Ostgoten, Gepiden usw.). Nun machte der Hunnenkönig Attila den Versuch, das ganze weströmische Reich unter die Herrschaft seiner Hunnen zu bringen. Diese waren aber noch ganze Barbaren und der Kultur fast unzugänglich. Wären sie Herren des römischen Reiches geworden, so hätte die Barbarei den Sieg in Europa davongetragen. Dem sollte aber nicht so sein. Attila wurde in der welthistorischen Schlacht auf den Katalaunischen Gefilden in Gallien (bei Chalons sur Marne) geschlagen. Eine Schlacht, die auch deswegen merkwürdig ist, weil hier ein Teil der Germanen, namentlich die Westgoten, mit den Römern vereint, ein anderer mit Attila verbündet, sich gegenüberstanden (451).

In Italien hatte der Anführer der germanischen Hilfsvölker, der Heruler, Turkilinger usw., namens Odoaker, dem weströmischen Reiche ein Ende gemacht (476); die Oströmer aber behaupteten, daß ihnen Italien gehöre, und stifteten daher die Ostgoten an, nach Italien zu gehen, welcher Aufforderung diese auch nachkamen und nach Besiegung Odoakers unter Theoderich das ostgotische Reich gründeten, das sich übrigens mehr dem Systeme der Volksheere anschloß.

Das oströmische Reich hatte dadurch, daß es nunmehr von den Goten befreit war, wieder größere Kraft erlangt, und zu Anfang des 6. Jahrhunderts konnte Justinian die Idee, das römische Reich in vollem Umfange wiederherzustellen, mit Hilfe seines trefflichen Feldherrn Belisar nachdrucksamer verfolgen. Diesem gelang es, zuerst das Reich der Vandalen wieder zu zertrümmern, worauf er sich gegen die Ostgoten wendete. Um diese völlig niederzuschlagen, rief sein Nachfolger im Oberbefehl, Narses, auch Langobarden zu Hilfe, welche damals an der mittleren Donau saßen. Diese erschienen indes bald darauf mit gesamter Macht, um den Byzantinern das kaum eroberte Italien wieder abzunehmen und es für sich zu behalten. Die Griechen blieben nur in dem Besitz eines großen Teils der Küste: des Exarchats von Ravenna, Venedigs, Neapels und der südlichen Landspitzen.

Sehen wir nun, in welcher wunderlichen Weise sich die verschiedenen Teile des weströmischen Reiches gestalteten.

In Italien konnte es zu keiner Einheit kommen, denn hier widerstrebten einander beständig drei Elemente: 1. das Papsttum, welches in der allgemeinen Verwirrung mächtig wurde; 2. das griechische Element, welchem auch Rom eigentlich mit Recht gehörte, und 3. die Langobarden, welche fast ganz Oberitalien, Toskana und von Unteritalien Benevent besaßen. Es setzte sich also schon damals jene Trennung Italiens in verschiedene Landschaften durch, die bis auf den heutigen Tag fortbesteht.

Die Vandalen verschwanden ganz aus der Geschichte, nachdem ihr Reich in Afrika zertrümmert worden war; dagegen gewann das westgotische Reich in Spanien eine höchst eigentümliche Gestalt, indem hier die Hierarchie nach Bekehrung der Westgoten vom Arianismus einen mächtigen Einfluß gewann, so daß die Könige, welche Wahlkönige waren, fortwährend den geistlichen Großen Gehorsam leisteten und überhaupt die ganze spanische Verfassung bereits einen hierarchischen Charakter an sich trug.

Am merkwürdigsten hatten sich aber die Verhältnisse in Gallien ausgebildet, wohin zu Ende des 5. Jahrhunderts die Franken drangen. Ihr König Chlodwig besiegte zuerst die Römer, die unter Syagrius noch eine Art Königtum gebildet hatten, sodann die Burgunder und den Teil der Westgoten, welcher nicht nach Spanien gezogen war. Er scheint eine Vereinbarung mit den zwar besiegten, aber nicht vernichteten Römern getroffen zu haben, infolge deren sie sich an ihn anschlössen. Durch seine Bekehrung zum katholischen Bekenntnis und durch seine Bekämpfung des Arianismus, welchem die Burgunder und Westgoten zugetan waren, gewann er die kräftige Unterstützung der Geistlichkeit, die es ihm möglich machte, nicht nur seine Feinde im Inneren zu unterdrücken, sondern auch seine Herrschaft tief nach Deutschland hinein auszudehnen.

In Britannien dagegen wurde von den Barbaren das ganze römische Wesen vernichtet. Alles, was noch von kirchlichen Elementen vorhanden war, zog sich in die christlichen, nichtrömischen Keltenländer, besonders nach Irland zurück, und erst später wurde das Christentum im germanischen Britannien neu eingeführt.

In den übrigen Provinzen aber war es gerade die Kirche, die sich unter allen diesen Trümmern allein stabil erhielt. Die ganze Macht des Widerstandes, wenn der Staat vernichtet war, konzentrierte sich in den Bistümern. Dadurch empfingen indes auch die Könige ein natürliches Interesse, die Kirche zu fördern und auszubreiten; so daß durch diese Eroberungen unter den größten Stürmen dennoch zwei Hauptmomente der Weltentwicklung vollbracht wurden. Das römische Reich wurde im Westen zwar zerstört, aber die Provinzialen traten dort in eine gewisse Verbindung mit den Eroberern, aus denen neue Nationen hervorgingen. Zugleich jedoch ward auf solche Weise der Westen – Italien, Spanien, Gallien, Britannien, Germanien – vom Orient vollkommen getrennt; er bildete seitdem infolge dieser Mischung von germanischen und romanischen Elementen eine Welt für sich. Hierauf beruht die ganze Entwicklung unserer Zustände bis auf die neueste Zeit.

Unter den vornehmsten Elementen der nunmehr gebildeten Welt tritt uns von römischer Seite her die Provinzialaristokratie entgegen, welche sich mit den eingedrungenen Volkskönigen und adeligen Häuptern in einem friedlichen Zustand unter Vertrag vereinigte. Fragt man nun, unter welchen Umständen sie zu einer Einheit gelangten, so zeigt sich uns als wichtiges Moment jener Epoche die Gesetzesbildung.

In dem Augenblick, wo dies alles geschah, kam in Konstantinopel Kaiser Justinian auf den Thron (527-565), der die Gesetzesbildung des römischen Reiches zum Abschluß brachte. Er kodifizierte das römische Recht, dessen lebendige Fortbildung unter dem Einströmen der Barbaren aufgehört hatte, gerade in dem rechten Moment zu zwei großen Sammlungen, so daß dieses ursprüngliche Werk des römischen Geistes, an dem derselbe jahrhundertelang gearbeitet hatte, erst zur Zeit des Umsturzes der römischen Weltherrschaft zu einer festen Gestaltung gedieh. Wir sehen auch hier die Beobachtung bestätigt, daß, solange die Geister im fortwährenden Bilden und Schaffen begriffen sind, sie an eine Fixierung der Dinge nicht denken, daß vielmehr erst dann, wenn die Epoche erschienen ist, in welcher der lebendige Trieb fehlt, sich Leute finden, die mit dem Sammeln sich abgeben. Die Sammler der justinianischen Zeit suchten unter der Masse des vorliegenden Stoffes dasjenige hervor, was ihnen am besten zu sein schien, und dieses wurde von Justinian für das allein gültige Gesetz des römischen Reiches erklärt.

Daran war freilich nicht zu denken, daß schon die damaligen Germanen Lust gehabt hätten oder auch nur fähig gewesen wären, unter diesen Gesetzen zu leben. Der Westgotenkönig Athaulf, der Nachfolger Alarichs, sprach es offen aus, wie er aus Italien nach Gallien ging, er würde das römische Reich in ein gotisches verwandeln, wenn seine Goten nur auch unter Gesetzen, wie die Römer, leben wollten. Eine gewisse Summe legaler Einrichtungen aber erwies sich nunmehr als unentbehrlich. Es wurde daher unter diesen Nationen eine eigentümliche Art von Gesetzesbildung versucht, die dahin abzielte, die beiden nebeneinander lebenden Völker, Germanen und Romanen, in eine einzige Genossenschaft zu verbinden. Diese Bedeutung haben die Leges oder Volksrechte der Westgoten, Burgunder, Franken usw. Das am meisten in die Augen Fallende, was uns bei diesen Gesetzen entgegentritt, ist das sogenannte Wergeld, welchem die Auffassung zugrunde liegt, daß nicht der Staat, sondern die Familie des Ermordeten oder sonst Beschädigten bei solchen Kriminalfällen beteiligt sei, eine Auffassung, welche der römischen Staatsidee schnurstracks entgegenläuft. So barbarisch nun auch diese Kombination von Rechtssätzen sich ausnahm, so war sie doch ein Fortschritt des gesetzlichen Geistes, und es ist dieselbe eines der wichtigsten Ereignisse dieser Zeit, aus welchem wir gleichfalls die Propagation der Weltidee wahrnehmen können.

Wie aber konnten nun diese Länder im übrigen regiert werden, und wie wurden sie regiert? Von der altrömischen Verwaltung war überall noch vieles bestehen geblieben, was die germanischen Könige zur Vermehrung ihrer Macht benutzten und annahmen. Hierzu gehört namentlich die Organisation der Finanzverwaltung, welche für die Könige sehr einträglich war, da nicht die Germanen, wohl aber die Provinzialen der tributaria sollicitudo unterworfen waren. Also auch die Idee der römischen Verwaltung ging auf den germanischen König über, was um so mehr zu sagen hatte, als die germanischen Könige einen Ehrgeiz darein setzten, sich von den oströmischen Kaisern anerkennen zu lassen. Die ganze spätere absolute Monarchie beruht auf dem Gedanken, das römische Kaisertum wiederherzustellen. In das germanische Königtum aber, wie es sich in der späteren Zeit entwickelte, ging außer römischen Elementen insbesondere das germanische Prinzip über, welches die Regierungsgewalt für ein erbliches Recht hält, was bei den Römern nicht der Fall gewesen war.

Nachdem wir von der Politik gesprochen haben, müssen wir jetzt unseren Blick auf die Religion und Kultur werfen, um auch hier die Keime der modernen Zeit zu entwickeln.

In der romanischen Welt war, wie oben gesagt, das Vornehmste, was übriggeblieben war, die Kirche, die durch ihre Verbindung mit der Philosophie und Literatur einen immensen Inhalt der Zivilisation hatte. In diese Kirche gingen nunmehr auch die Germanen ein. Wie die Römer in den germanischen Hof- und Kriegsdienst, so traten die Germanen in den geistlichen Dienst, wie wir z. B. bei den Westgoten und im fränkischen Reiche eine Menge Germanen als Bischöfe finden; im letzteren hatten die Könige eine Zeitlang die größte Autorität über die Bischöfe, ja sie setzten dieselben geradezu ein; je machtloser aber die merowingischen Könige wurden, desto höher stieg die Autorität der Bischöfe, ohne damals schon von Rom abzuhängen.

Die weitere Frage ist, wie Dogma und Kultus dieser Kirche den Barbaren beigebracht werden konnten, wie sie fähig waren, ein Dogma, das durch die tiefsinnigsten Kombinationen gebildet war, in sich aufzunehmen, und wie der Kultus der reinen Religion mit dem durch die Kriege und in den Kriegen verwilderten germanischen Wesen verschmolzen werden konnte.

Das Dogma wurde den Germanen als reine Formel überliefert, ohne daß man sich um den Inhalt bekümmerte, und in den Kultus mischte sich auf sonderbare Weise der heidnische Götzendienst. Wenn aber auch das Dogma in einer Formel begriffen war, so hatte doch diese Formel die Wahrheit in sich, und es konnte sich später doch wieder ein Gefühl für das Mysterium entwickeln; ja, es war jenes der einzige Weg, auf dem das Christentum diesen Völkern beigebracht werden konnte.

Auch in der Kultur und Literatur standen sich zwei verschiedene Elemente gegenüber: die römische Kultur und Literatur der späteren Zeit hatte sich rein resümierend verhalten; die Doktrin wurde in den überall vorhandenen Schulen als etwas Gewonnenes den Gemütern überliefert, von einer Forschung war in keinem Zweige der Wissenschaft mehr die Rede. Mit dieser etwas verknöcherten römischen Literatur kam nun gleichfalls das Germanentum mit seiner Poesie und seinen Sagen in Kontakt. Sehr anschaulich tritt das bei den Historikern hervor, so bei Jordanes in seiner Geschichte der Goten, bei Gregor von Tours in seiner Frankengeschichte, später bei Paulus Diaconus in seiner Geschichte der Langobarden. In diesen höchst unvollkommenen Versuchen zeigt sich jene Vermischung und Berührung der Geister, woraus in der späteren Zeit ein drittes lebensfähiges Element hervorging.

Die Kirche, das Königtum, die Verfassung, die Verwaltung, das Recht, die Literatur waren nunmehr romano-germanisch geworden.

Kapitel I


Die Nordgrenze Italiens

Kapitel I

Die römische Republik hat ihr Gebiet hauptsächlich auf den Seewegen gegen Westen, Süden und Osten erweitert; nach derjenigen Richtung hin, in welcher Italien und die von ihm abhängigen beiden Halbinseln im Westen und im Osten mit dem großen Kontinent Europas zusammenhängen, war dies wenig geschehen. Das Hinterland Makedoniens gehorchte den Römern nicht und nicht einmal der nördliche Abhang der Alpen; nur das Hinterland der gallischen Südküste war durch Cäsar zum Reiche gekommen. Bei der Stellung, die das Reich im allgemeinen einnahm, durfte dies so nicht bleiben; die Beseitigung des trägen und unsicheren Regiments der Aristokratie mußte vor allem an dieser Stelle sich geltend machen. Nicht so geradezu wie die Eroberung Britanniens hatte Cäsar die Ausdehnung des römischen Gebiets am Nordabhang der Alpen und am rechten Ufer des Rheins den Erben seiner Machtstellung aufgetragen; aber der Sache nach war die letztere Grenzerweiterung bei weitem näher gelegt und notwendiger als die Unterwerfung der überseeischen Kelten, und man versteht es, daß Augustus diese unterließ und jene aufnahm. Dieselbe zerfiel in drei große Abschnitte: die Operationen an der Nordgrenze der griechisch-makedonischen Halbinsel im Gebiet der mittleren und unteren Donau, in Illyricum; die an der Nordgrenze Italiens selbst im oberen Donaugebiet, in Rätien und Noricum; endlich die am rechten Rheinufer, in Germanien. Meistens selbständig geführt hängen die militärisch-politischen Vornahmen in diesen Gebieten doch innerlich zusammen, und wie sie sämtlich aus der freien Initiative der römischen Regierung hervorgegangen sind, können sie auch in ihrem Gelingen wie in ihrem teilweisen Mißlingen nur in ihrer Gesamtheit militärisch und politisch verstanden werden. Sie werden darum auch mehr im örtlichen als wie zeitlichen Zusammenhang dargelegt werden; das Gebäude, von dem sie doch nur Teile sind, wird besser in seiner inneren Geschlossenheit als in der Zeitfolge der Bauten betrachtet.

Das Vorspiel zu dieser großen Gesamtaktion machen die Einrichtungen, welche Cäsar der Sohn, so wie er in Italien und Sizilien freie Hand gewonnen hatte, an den oberen Küsten des Adriatischen Meeres und im angrenzenden Binnenland vornahm. In den hundertundfünfzig Jahren, die seit der Gründung Aquileias verflossen waren, hatte wohl der römische Kaufmann von dort aus sich des Verkehrs mehr und mehr bemächtigt, aber der Staat unmittelbar nur geringe Fortschritte gemacht. An den Haupthäfen der dalmatinischen Küste, ebenso auf der von Aquileia in das Savetal führenden Straße bei Nauportus (Ober-Laibach) hatten sich ansehnliche Handelsniederlassungen gebildet; Dalmatien, Bosnien, Istrien und die Krain galten als römisches Gebiet, und wenigstens das Küstenland war in der Tat botmäßig; aber die rechtliche Städtegründung stand noch ebenso aus wie die Bändigung des unwirtlichen Binnenlandes. Hier aber kam noch ein anderes Moment hinzu. In dem Kriege zwischen Cäsar und Pompeius hatten die einheimischen Dalmater ebenso entschieden für den letzteren Partei ergriffen wie die dort ansässigen Römer für Cäsar; auch nach der Niederlage des Pompeius bei Pharsalos und nach der Verdrängung der pompeianischen Flotte aus den illyrischen Gewässern setzten die Eingeborenen den Widerstand energisch und erfolgreich fort. Der tapfere und fähige Publius Vatinius, der früher in diese Kämpfe mit großem Erfolg eingegriffen hatte, wurde mit einem starken Heere nach Illyricum gesandt, wie es scheint, in dem Jahre vor Cäsars Tode und nur als Vorhut des Hauptheeres, mit welchem der Diktator selbst nachfolgend die eben damals mächtig emporstrebenden Daker niederzuwerfen und die Verhältnisse im ganzen Donaugebiet zu ordnen beabsichtigte. Diesen Plan schnitten die Dolche der Mörder ab; man mußte sich glücklich schätzen, daß die Daker nicht ihrerseits in Makedonien eindrangen, und Vatinius selbst focht gegen die Dalmater unglücklich und mit starken Verlusten. Als dann die Republikaner im Osten rüsteten, ging das illyrische Heer in das des Brutus über, und die Dalmatiner blieben längere Zeit unangefochten. Nach der Niederwerfung der Republikaner ließ Antonius, dem bei der Teilung des Reiches Makedonien zugefallen war, im J. 715 (39 v. Chr.) die unbotmäßigen Dardaner im Nordwesten und die Parthiner an der Küste (östlich von Durazzo) zu Paaren treiben, wobei der berühmte Redner Gaius Asinius Pollio die Ehren des Triumphes gewann. In Illyricum, welches unter Cäsar stand, konnte nichts geschehen, solange dieser seine ganze Macht auf den sizilischen Krieg gegen Sextus Pompeius wenden mußte; aber nach dessen glücklicher Beendigung warf Cäsar selbst sich mit aller Kraft auf diese Aufgabe. Die kleinen Völkerschaften von Doclea (Cernagora) bis zu den Japuden (bei Fiume) wurden in dem ersten Feldzug (719 [35 v. Chr.]) zur Botmäßigkeit zurückgebracht oder jetzt zuerst gebändigt. Es war kein großer Krieg mit namhaften Feldschlachten, aber die Gebirgskämpfe gegen die tapferen und verzweifelnden Stämme und das Brechen der festen zum Teil mit römischen Maschinen ausgerüsteten Burgen waren keine leichte Aufgabe; in keinem seiner Kriege hat Cäsar in gleichem Grade eigene Energie und persönliche Tapferkeit entwickelt. Nach der mühsamen Unterwerfung des Japudengebiets marschierte er noch in demselben Jahre im Tal der Kulpa aufwärts zu deren Mündung in die Save; die dort gelegene feste Ortschaft Siscia (Sziszek), der Hauptwaffenplatz der Pannonier, gegen den bisher die Römer noch nie mit Erfolg vorgegangen waren, ward jetzt besetzt und zum Stützpunkt bestimmt für den Krieg gegen die Daker, den Cäsar demnächst aufzunehmen gedachte. In den beiden folgenden Jahren (720, 721 [34, 33 v. Chr.]) wurden die Dalmater, die seit einer Reihe von Jahren gegen die Römer in Waffen standen, nach dem Fall ihrer Feste Promona (Promina bei Dernis oberhalb Sebenico) zur Unterwerfung gezwungen. Wichtiger aber als diese Kriegserfolge war das Friedenswerk, das zugleich sich vollzog und zu dessen Sicherung sie dienen sollten. Ohne Zweifel in diesen Jahren erhielten die Hafenplätze an der istrischen und dalmatinischen Küste, so weit sie in dem Machtbereich Cäsars lagen, Tergeste (Triest), Pola, Iader (Zara), Salonae (bei Spalato), Narona (an der Narentamündung), nicht minder jenseits der Alpen, auf der Straße von Aquileia über die julische Alpe zur Save, Emona (Laibach), durch den zweiten Julier zum Teil städtische Mauern, sämtlich städtisches Recht. Die Plätze selbst bestanden wohl alle schon längst als römische Flecken; aber es war immer von wesentlicher Bedeutung, daß sie jetzt unter die italischen Gemeinden gleichberechtigt eingereiht wurden.

Der Dakerkrieg sollte folgen; aber der Bürgerkrieg ging zum zweitenmal ihm vor. Statt nach Illyricum rief er den Herrscher in den Osten; und der große Entscheidungskampf zwischen Cäsar und Antonius warf seine Wellen bis in das ferne Donaugebiet. Das durch den König Burebista geeinigte und gereinigte Volk der Daker, jetzt unter dem König Cotiso, sah sich von beiden Gegnern umworben – Cäsar wurde sogar beschuldigt, des Königs Tochter zur Ehe begehrt und ihm dagegen die Hand seiner fünfjährigen Tochter Julia angetragen zu haben. Daß der Daker im Hinblick auf die von dem Vater geplante, von dem Sohn durch die Befestigung Siscias eingeleitete Invasion sich auf Antonius Seite schlug, ist begreiflich; und hätte er ausgeführt, was man in Rom besorgte, wäre er, während Cäsar im Osten focht, vom Norden her in das wehrlose Italien eingedrungen, oder hätte Antonius nach dem Vorschlag der Daker die Entscheidung statt in Epirus vielmehr in Makedonien gesucht und dort die dakischen Scharen an sich gezogen, so wären die Würfel des Kriegsglücks vielleicht anders gefallen. Aber weder das eine noch das andere geschah; zudem brach eben damals der durch Burebistas kräftige Hand geschaffene Dakerstaat wieder auseinander; die inneren Unruhen, vielleicht auch von Norden her die Angriffe der germanischen Bastarner und der späterhin Dacien nach allen Richtungen umklammernden sarmatischen Stämme, verhinderten die Daker in den auch über ihre Zukunft entscheidenden römischen Bürgerkrieg einzugreifen.

Unmittelbar nachdem die Entscheidung in diesem gefallen war, wandte sich Cäsar zu der Regulierung der Verhältnisse an der unteren Donau. Indes da teils die Daker selbst nicht mehr so wie früher zu fürchten waren, teils Cäsar jetzt nicht mehr bloß über Illyricum, sondern über die ganze griechisch-makedonische Halbinsel gebot, wurde zunächst diese die Basis der römischen Operationen. Vergegenwärtigen wir uns die Völker und die Herrschaftsverhältnisse, die Augustus dort vorfand.

Makedonien war seit Jahrhunderten römische Provinz. Als solche reichte es nicht hinaus nördlich über Stobi und östlich über das Rhodopegebirge; aber der Machtbereich Roms erstreckte sich weit über die eigentliche Landesgrenze, obwohl in schwankendem Umfang und ohne feste Form. Ungefähr scheinen die Römer damals bis zum Haemus (Balkan) die Vormacht gehabt zu haben, während das Gebiet jenseits des Balkan bis zur Donau wohl einmal von römischen Truppen betreten, aber keineswegs von Rom abhängig war. Jenseits des Rhodopegebirges waren die Makedonien benachbarten thrakischen Dynastien, namentlich die der Odrysen, denen der größte Teil der Südküste und ein Teil der Küste des Schwarzen Meeres botmäßig war, durch die Expedition des Lucullus unter römische Schutzherrschaft gekommen, während die Bewohner der mehr binnenländischen Gebiete, namentlich die Besser an der oberen Maritza Untertanen wohl hießen, aber nicht waren und ihre Einfälle in das befriedete Gebiet so wie die Vergeltungszüge in das ihrige stetig fortgingen. So hatte um das J. 694 (60 v. Chr.) der leibliche Vater des Augustus Gaius Octavius und im J. 711 (43 v. Chr.) während der Vorbereitungen zu dem Kriege gegen die Triumvirn Marcus Brutus gegen sie gestritten. Eine andere thrakische Völkerschaft, die Dentheleten (in der Gegend von Sofia) hatten noch in Ciceros Zeit bei einem Einfall in Makedonien Miene gemacht, dessen Hauptstadt Thessalonike zu belagern. Mit den Dardanern, den westlichen Nachbarn der Thraker, einem Zweig der illyrischen Völkerfamilie, welche das südliche Serbien und den Distrikt Prisrend bewohnten, hatte der Amtsvorgänger des Lucullus Curio mit Erfolg und ein Dezennium später Ciceros Kollege im Konsulat Gaius Antonius im J. 692 (62 v. Chr.) unglücklich gefochten. Unterhalb des dardanischen Gebiets unmittelbar an der Donau saßen wieder thrakische Stämme, die einstmals mächtigen, jetzt herabgekommenen Triballer im Tal des Oescus (in der Gegend von Plewna), weiterhin an beiden Ufern der Donau bis zur Mündung Daker oder, wie sie am rechten Donauufer mit dem alten auch den asiatischen Stammgenossen gebliebenen Volksnamen gewöhnlich genannt wurden, Myser oder Moeser, wahrscheinlich zu Burebistas Zeit ein Teil seines Reiches, jetzt wieder in verschiedene Fürstentümer zersplittert. Die mächtigste Völkerschaft aber zwischen Balkan und Donau waren damals die Bastarner. Wir sind diesem tapferen und zahlreichen Stamm, dem östlichsten Zweig der großen germanischen Sippe, schon mehrfach begegnet. Eigentlich ansäßig hinter den transdanuvianischen Dakern jenseits der Gebirge, die Siebenbürgen von der Moldau scheiden, an den Donaumündungen und in dem weiten Gebiet von da zum Dniester befanden sie sich selber außerhalb des römischen Bereichs; aber vorzugsweise aus ihnen hatte sowohl König Philipp von Makedonien wie König Mithradates von Pontus seine Heere gebildet, und in dieser Weise hatten die Römer schon früher oft mit ihnen gestritten. Jetzt hatten sie in großen Massen die Donau überschritten und sich nördlich vom Haemus festgesetzt; insofern der dakische Krieg, wie ihn Cäsar der Vater und dann der Sohn geplant hatten, ohne Zweifel der Gewinnung des rechten Ufers der unteren Donau galt, war er nicht minder gegen sie gerichtet wie gegen die rechtsufrigen dakischen Moeser. Die griechischen Küstenstädte in dem Barbarenland Odessos (bei Varna), Tomis, Istropolis, schwer bedrängt durch dies Völkergewoge, waren hier wie überall die geborenen Klienten der Römer.

Zur Zeit der Diktatur Cäsars, als Burebista auf der Höhe seiner Macht stand, hatten die Daker an der Küste bis hinab nach Apollonia jenen fürchterlichen Verheerungszug ausgeführt, dessen Spuren noch nach anderthalb Jahrhunderten nicht verwischt waren. Es mag wohl zunächst dieser Einfall gewesen sein, welcher Cäsar den Vater bestimmte, den Dakerkrieg zu unternehmen; und nachdem der Sohn jetzt auch über Makedonien gebot, mußte er allerdings sich verpflichtet fühlen, eben hier sofort und energisch einzugreifen. Die Niederlage, die Ciceros Kollege Antonius bei Istropolis durch die Bastarner erlitten hatte, darf als ein Beweis dafür genommen werden, daß diese Griechen wieder einmal der Hilfe der Römer bedurften.

In der Tat wurde bald nach der Schlacht bei Actium (725 [29 v. Chr.]) Marcus Licinius Crassus, der Enkel des bei Karrhae gefallenen, von Cäsar als Statthalter nach Makedonien gesandt und beauftragt, den zweimal verhinderten Feldzug nun auszuführen. Die Bastarner, welche eben damals in Thrakien eingefallen waren, fügten sich ohne Widerstand, als Crassus sie auffordern ließ, das römische Gebiet zu verlassen; aber ihr Rückzug genügte dem Römer nicht. Er überschritt seinerseits den Haemus, schlug am Einfluß des Cibrus (Tzibritza) in die Donau die Feinde, deren König Deldo auf der Wahlstatt blieb, und nahm was aus der Schlacht in eine nahe Festung entkommen war mit Hilfe eines zu den Römern haltenden Dakerfürsten gefangen. Ohne weiteren Widerstand zu leisten unterwarf sich dem Überwinder der Bastarner das gesamte moesische Gebiet. Diese kamen im nächsten Jahr wieder, um die erlittene Niederlage wettzumachen; aber sie unterlagen abermals und mit ihnen, was von den moesischen Stämmen wieder zu den Waffen gegriffen hatte. Damit waren diese Feinde von dem rechten Donauufer ein für allemal ausgewiesen und dieses vollständig der römischen Herrschaft unterworfen. Zugleich wurden die noch nicht botmäßigen Thraker gebändigt, den Bessern das nationale Heiligtum des Dionysos genommen und die Verwaltung desselben den Fürsten der Odrysen übertragen, welche überhaupt seitdem unter dem Schutz der römischen Obergewalt die Oberherrlichkeit über die thrakischen Völkerschaften südlich vom Haemus führten oder doch führen sollten. Unter seinen Schutz wurden ferner die griechischen Küstenstädte am Schwarzen Meer gestellt und auch das übrige eroberte Gebiet verschiedenen Lehnfürsten zugeteilt, auf die somit zunächst der Schutz der Reichsgrenze überging; eigene Legionen hatte Rom für diese fernen Landschaften nicht übrig. Makedonien wurde dadurch zur Binnenprovinz, die der militärischen Verwaltung nicht ferner bedurfte. Das Ziel, das bei jenen dakischen Kriegsplänen ins Auge gefaßt worden war, war erreicht.

Allerdings war dieses Ziel nur ein vorläufiges. Aber bevor Augustus die definitive Regulierung der Nordgrenze in die Hand nahm, wandte er sich zu der Reorganisation der schon zum Reiche gehörigen Landschaften; über ein Dezennium verging mit der Ordnung der Dinge in Spanien, Gallien, Asien, Syrien. Wie er dann, als dort das Nötige geschehen war, das umfassende Werk angriff, soll nun erzählt werden.

Italien, das über drei Weltteile gebot, war, wie gesagt, noch keineswegs unbedingt Herr im eigenen Hause. Die Alpen, die es gegen Norden beschirmen, waren in ihrer ganzen Ausdehnung von einem Meer zum andern angefüllt mit kleinen wenig zivilisierten Völkerschaften illyrischer, rätischer, keltischer Nationalität, deren Gebiete zum Teil hart angrenzten an die der großen Städte der Transpadana – so das der Trumpiliner (Val Trompia) an die Stadt Brixia, das der Camunner (Val Camonica oberhalb des Lago d‘ Iseo) an die Stadt Bergomum, das der Salasser (Val d‘ Aosta) an Eporedia (Ivrea), und die keineswegs friedliche Nachbarschaft pflogen. Oft genug überwunden und als besiegt auf dem Kapitol proklamiert, plünderten diese Stämme, allen Lorbeeren der vornehmen Triumphatoren zum Trotz, fortwährend die Bauern und die Kaufleute Oberitaliens. Ernstlich zu steuern war dem Unwesen nicht, so lange die Regierung sich nicht entschloß, die Alpenhöhen zu überschreiten und auch den nördlichen Abhang in ihre Gewalt zu bringen; denn ohne Zweifel strömten beständig zahlreiche dieser Raubgesellen über die Berge herüber, um das reiche Nachbarland zu brandschatzen. Auch nach Gallien hin war noch in gleicher Weise zu tun; die Völkerschaften im oberen Rhonetal (Wallis und Waadt) waren zwar von Cäsar unterworfen worden, aber sind auch unter denen genannt, die den Feldherren seines Sohnes zu schaffen machten. Andererseits klagten die friedlichen gallischen Grenzdistrikte über die stetigen Einfälle der Räter. Eine Geschichtserzählung leiden und fordern die zahlreichen Expeditionen nicht, welche Augustus dieser Mißstände halber veranstaltet hat; in den Triumphalfasten sind sie nicht verzeichnet und gehören auch nicht hinein, aber sie gaben Italien zum erstenmal Befriedung des Nordens. Erwähnt mögen werden die Niederwerfung der oben erwähnten Camunner im J. 738 (16 v. Chr.) durch den Statthalter von Illyricum und die gewisser ligurischer Völkerschaften in der Gegend von Nizza im J. 740 (14 v. Chr.), weil sie zeigen, wie noch um die Mitte der augustischen Zeit diese unbotmäßigen Stämme unmittelbar auf Italien drückten. Wenn der Kaiser späterhin in dem Gesamtbericht über seine Reichsverwaltung erklärte, daß gegen keine dieser kleinen Völkerschaften von ihm zu Unrecht Gewalt gebraucht worden sei, so wird dies dahin zu verstehen sein, daß ihnen Gebietsabtretungen und Sitzwechsel angesonnen wurden und sie sich dagegen zur Wehr setzten; nur der unter König Cottius von Segusio (Susa) vereinigte kleine Gauverband fügte sich ohne Kampf in die neue Ordnung.

Der Schauplatz dieser Kämpfe waren die südlichen Abhänge und die Täler der Alpen. Es folgte die Festsetzung auf dem Nordabhang der Gebirge und in dem nördlichen Vorlande im J. 739 (15 v. Chr.). Die beiden dem kaiserlichen Hause zugezählten Stiefsöhne Augusts, Tiberius, der spätere Kaiser, und sein Bruder Drusus, wurden damit in die ihnen bestimmte Feldherrnlaufbahn eingeführt – es waren sehr sichere und sehr dankbare Lorbeeren, die ihnen in Aussicht gestellt wurden. Von Italien aus das Tal der Etsch hinauf drang Drusus in die rätischen Berge ein und erfocht hier einen ersten Sieg; für das weitere Vordringen reichte ihm der Bruder, damals Statthalter Galliens, vom helvetischen Gebiet aus die Hand; auf dem Bodensee selbst schlugen die römischen Trieren die Boote der Vindeliker; an dem Kaisertag, dem 1. August 739 (15 v. Chr.) wurde in der Umgegend der Donauquellen die letzte Schlacht geschlagen, durch die Rätien und das Vindelikerland, das heißt Tirol, die Ostschweiz und Bayern, fortan Bestandteile des römischen Reiches wurden. Kaiser Augustus selbst war nach Gallien gegangen, um den Krieg und die Einrichtung der neuen Provinz zu überwachen. Da wo die Alpen am Golf von Genua endigen, auf der Höhe oberhalb Monaco, wurde einige Jahre darauf von dem dankbaren Italien dem Kaiser Augustus ein weit in das Tyrrhenische Meer hinausschauendes noch heute nicht ganz verschwundenes Denkmal dafür errichtet, daß unter seinem Regiment die Alpenvölker alle vom oberen zum unteren Meer – ihrer sechsundvierzig zählt die Inschrift auf – in die Gewalt des römischen Volkes gebracht worden waren. Es war nicht mehr als die einfache Wahrheit, und dieser Krieg das, was der Krieg sein soll, der Schirmer und der Bürge des Friedens.

Schwieriger wohl als die eigentliche Kriegsarbeit war die Organisation des neuen Gebietes; insbesondere auch deshalb, weil die inneren politischen Verhältnisse hier zum Teil recht störend eingriffen. Da nach Lage der Dinge das militärische Schwergewicht nicht in Italien liegen durfte, so mußte die Regierung darauf bedacht sein, die großen Militärkommandos aus der unmittelbaren Nähe Italiens möglichst zu entfernen; ja es hat wohl bei der Besetzung Rätiens selbst das Bestreben mitgewirkt, das Kommando, welches wahrscheinlich bis dahin in Oberitalien selbst nicht hatte entbehrt werden können, definitiv von dort wegzulegen, wie es dann auch zur Ausführung kam. Was man zunächst erwarten sollte, daß für die in dem neugewonnenen Gebiet unentbehrlichen militärischen Aufstellungen ein großer Mittelpunkt am Nordabhang der Alpen geschaffen worden wäre, davon geschah gerade das Gegenteil. Es wurde zwischen Italien einer- und den großen Rhein- und Donaukommandos andererseits ein Gürtel kleinerer Statthalterschaften gezogen, die nicht bloß alle vom Kaiser, sondern auch durchaus mit dem Senat nicht angehörigen Männern besetzt wurden. Italien und die südgallische Provinz wurden geschieden durch die drei kleinen Militärdistrikte der Seealpen (Dep. der Seealpen und Provinz Cuneo), der cottischen mit der Hauptstadt Segusio (Susa) und wahrscheinlich der graischen (Ostsavoyen), unter denen der zweite von dem schon genannten Gaufürsten Cottius und seinen Nachkommen eine Zeitlang in den Formen der Klientel verwaltete am meisten bedeutete, die aber alle eine gewisse Militärgewalt besaßen und deren nächste Bestimmung war, in dem betreffenden Gebiet und vor allem auf den wichtigen dasselbe durchschneidenden Reichsstraßen die öffentliche Sicherheit zu erhalten. Das obere Rhonetal dagegen, also das Wallis, und das neu eroberte Rätien wurden einem nicht im Rang, aber wohl an Macht höher stehenden Befehlshaber untergeben; ein relativ ansehnliches Korps war hier nun einmal unumgänglich erforderlich. Indes wurde, um dasselbe möglichst verringern zu können, Rätien durch Entfernung seiner Bewohner im großen Maßstab entvölkert. Den Ring schloß die ähnlich organisierte Provinz Noricum, den größten Teil des heutigen deutschen Österreich umfassend. Diese weite und fruchtbare Landschaft hatte sich ohne wesentlichen Widerstand der römischen Herrschaft unterworfen, wahrscheinlich in der Form, daß hier zunächst ein abhängiges Fürstentum entstand, bald aber der König dem kaiserlichen Prokurator wich, von dem er ohnehin sich nicht wesentlich unterschied. Von den Rhein- und Donaulegionen erhielten allerdings einige ihre Standlager in der unmittelbaren Nähe einerseits der rätischen Grenze bei Vindonissa, andererseits der norischen bei Poetovio, offenbar um auf die Nachbarprovinz zu drücken; aber Armeen ersten Ranges mit Legionen unter senatorischen Generalen gab es in jenem Zwischenbereich so wenig wie senatorische Statthalter. Das Mißtrauen gegen das neben dem Kaiser den Staat regierende Kollegium findet in dieser Einrichtung einen sehr drastischen Ausdruck.

Nächst der Befriedung Italiens war der Hauptzweck dieser Organisation die Sicherung seiner Kommunikationen mit dem Norden, die für den Handelsverkehr von nicht minder einschneidender Bedeutung war wie in militärischer Beziehung. Mit besonderer Energie griff Augustus diese Aufgabe an, und es ist wohl verdient, daß in den Namen Aosta und Augsburg, vielleicht auch in dem der julischen Alpen der seinige noch heute fortlebt. Die alte Küstenstraße, die Augustus von der ligurischen Küste durch Gallien und Spanien bis an den Atlantischen Ozean teils erneuerte, teils herstellte, hat nur Handelszwecken dienen können. Auch die Straße über die cottische Alpe, schon durch Pompeius eröffnet, ist unter Augustus durch den schon erwähnten Fürsten von Susa ausgebaut und nach ihm benannt worden; ebenfalls eine Handelsstraße, verknüpft sie Italien über Turin und Susa mit der Handelshauptstadt Südgalliens Arelate. Aber die eigentliche Militärlinie, die unmittelbare Verbindung zwischen Italien und den Rheinlagern führt durch das Tal der Dora Baltea aus Italien teils nach der Hauptstadt Galliens Lyon, teils nach dem Rhein. Hatte die Republik sich darauf beschränkt, den Eingang jenes Tals durch die Anlegung von Eporedia (Ivrea) in ihre Gewalt zu bringen, so nahm Augustus dasselbe ganz in Besitz in der Weise, daß er dessen Bewohner, die immer noch unruhigen und schon während des dalmatinischen Krieges von ihm bekämpften Salasser, nicht bloß unterwarf, sondern geradezu austilgte – ihrer 36 000, darunter 8000 streitbare Männer, wurden auf dem Markt von Eporedia unter dem Hammer in die Sklaverei verkauft und den Käufern auferlegt, binnen zwanzig Jahren keinem derselben die Freiheit zu gewähren. Das Feldlager selbst, von dem aus sein Feldherr Varro Murena im J. 729 (25 v. Chr.) sie schließlich aufs Haupt geschlagen hatte, wurde die Festung, welche, besetzt mit 3000 der Kaisergarde entnommenen Ansiedlern, die Verbindungen sichern sollte, die Stadt Augusta Praetoria, das heutige Aosta, deren damals errichtete Mauern und Tore noch heute stehen. Sie beherrschte später zwei Alpenstraßen, sowohl die über die graische Alpe oder den kleinen St. Bernhard an der oberen Isère und der Rhone nach Lyon führende wie die, welche über die pöninische Alpe, den großen St. Bernhard, zum Rhonetal und zum Genfer See und von da in die Täler der Aar und des Rheins lief. Aber für die erste dieser Straßen ist die Stadt angelegt worden, da sie ursprünglich nur nach Osten und Westen führende Tore gehabt hat, und es konnte dies auch nicht anders sein, da die Festung ein Dezennium vor der Besetzung Rätiens gebaut ward, auch in jenen Jahren die spätere Organisation der Rheinlager noch nicht bestand und die direkte Verbindung der Hauptstädte Italiens und Galliens durchaus in erster Reihe stand. In der Richtung auf die Donau zu ist der Anlage von Emona an der oberen Save auf der alten Handelsstraße von Aquileia über die julische Alpe in das pannonische Gebiet schon gedacht worden; diese Straße war zugleich die Hauptader der militärischen Verbindung von Italien mit dem Donaugebiet. Mit der Eroberung Rätiens endlich verband sich die Eröffnung der Straße, welche von der letzten italischen Stadt Tridentum (Trient) das Etschtal hinauf zu der im Lande der Vindeliker neu angelegten Augusta, dem heutigen Augsburg, und weiter zur oberen Donau führte. Als dann der Sohn des Feldherrn, der dieses Gebiet zuerst aufgeschlossen hatte, zur Regierung gelangte, ist dieser Straße der Name der claudischen beigelegt worden. Sie stellte zwischen Rätien und Italien die militärisch unentbehrliche Verbindung her; indes hat sie infolge der relativ geringen Bedeutung der rätischen Armee und wohl auch infolge der schwierigen Kommunikation niemals die Bedeutung gehabt wie die Straße von Aosta.

Die Alpenpässe und der Nordabhang der Alpen waren somit in gesichertem römischen Besitz. Jenseits der Alpen erstreckte sich östlich vom Rhein das germanische Land, südwärts der Donau das der Pannonier und der Moeser. Auch hier wurde kurz nach der Besetzung Rätiens, und ziemlich gleichzeitig nach beiden Seiten hin, die Offensive ergriffen. Betrachten wir zunächst die Vorgänge an der Donau.

Das Donaugebiet, allem Anschein nach bis zum J. 727 (27 v. Chr.) mit Oberitalien zusammen verwaltet, wurde damals bei der Reorganisation des Reiches ein selbständiger Verwaltungsbezirk Illyricum unter eigenem Statthalter. Er bestand aus Dalmatien mit seinem Hinterland bis zum Drin, während die Küste weiter südwärts seit langem zur Statthalterschaft Makedonien gehörte, und den römischen Besitzungen im Lande der Pannonier an der Save. Das Gebiet zwischen dem Haemus und der Donau bis zum Schwarzen Meer, welches kurz zuvor Crassus in Reichsabhängigkeit gebracht hatte, sowie nicht minder Noricum und Rätien standen im Klientelverhältnis zu Rom, gehörten also zwar nicht zu diesem Sprengel, aber hingen doch zunächst von dem Statthalter Illyricums ab. Auch das noch keineswegs beruhigte Thrakien südlich vom Haemus fiel militärisch in denselben Bereich. Es ist eine bis in späte Zeit bestehende Fortwirkung dieser ursprünglichen Organisation gewesen, daß das ganze Donaugebiet von Rätien bis Moesien als ein Zollbezirk unter dem Namen Illyricum im weiteren Sinne zusammengefaßt worden ist. Legionen standen nur in dem eigentlichen Illyricum, in den übrigen Distrikten wahrscheinlich gar keine Reichstruppen, höchstens kleinere Detachements; das Oberkommando führte der aus dem Senat hervorgehende Prokonsul der neuen Provinz, während die Soldaten und die Offiziere selbstverständlich kaiserlich waren. Es zeugt von dem ernsten Charakter der nach der Eroberung Rätiens beginnenden Offensive, daß zunächst der Nebenherrscher Agrippa das Kommando im Donaugebiet übernahm, dem der Prokonsul von Illyricum von Rechts wegen sich unterzuordnen hatte, und dann, als Agrippas plötzlicher Tod im Frühjahr 742 (12 v. Chr.) diese Kombination scheitern machte, im Jahre darauf Illyricum in kaiserliche Verwaltung überging, also die kaiserlichen Feldherren hier das Oberkommando erhielten. Bald bildeten sich hier drei militärische Mittelpunkte, welche dann auch die administrative Dreiteilung des Donaugebiets herbeiführten. Die kleinen Fürstentümer in dem von Crassus eroberten Gebiet machten der Provinz Moesien Platz, deren Statthalter fortan in dem heutigen Serbien und Bulgarien die Grenzwacht hielt gegen Daker und Bastarner. In der bisherigen Provinz Illyricum wurde ein Teil der Legionen an der Kerka und der Cettina postiert, um die immer noch schwierigen Dalmater im Zaum zu halten. Die Hauptmacht stand in Pannonien an der damaligen Reichsgrenze, der Save. Chronologisch genau läßt sich diese Dislokation der Legionen und Organisation der Provinzen nicht fixieren; wahrscheinlich haben die gleichzeitig geführten ernsthaften Kriege gegen die Pannonier und die Thraker, von denen wir gleich zu berichten haben werden, zunächst dazu geführt, die Statthalterschaft von Moesien einzurichten, und haben erst einige Zeit nachher die dalmatischen Legionen und die an der Save eigene Oberbefehlshaber erhalten.

Wie die Expeditionen gegen die Pannonier und die Germanen gleichsam eine Wiederholung des rätischen Feldzugs in erweitertem Maßstab sind, so waren auch die Führer, welche mit dem Titel kaiserlicher Legaten an die Spitze gestellt wurden, dieselben; wieder die beiden Prinzen des kaiserlichen Hauses Tiberius, der an Agrippas Stelle das Kommando in Illyricum übernahm, und Drusus, der an den Rhein ging, beide jetzt nicht mehr unerprobte Jünglinge, sondern Männer in der Blüte ihrer Jahre und schwerer Arbeit wohl gewachsen. – An nächsten Anlässen für die Kriegführung fehlte es in der Donaugegend nicht. Raubgesindel aus Pannonien und selbst aus dem friedlichen Noricum plünderte im Jahre 738 (16 v. Chr.) bis nach Istrien hinein. Zwei Jahre darauf ergriffen die illyrischen Provinzialen gegen ihre Herren die Waffen, und obwohl sie dann, als Agrippa im Herbst des J. 741 (13 v. Chr.) das Kommando übernahm, ohne Widerstand zu leisten, zum Gehorsam zurückkehrten, sollen doch unmittelbar nach seinem Tode die Unruhen aufs neue begonnen haben. Wir vermögen nicht zu sagen, wieweit diese römischen Erzählungen der Wahrheit entsprechen; der eigentliche Grund und Zweck dieses Krieges war gewiß die durch die allgemeine politische Lage geforderte Vorschiebung der römischen Grenze. Über die drei Kampagnen des Tiberius in Pannonien 742 bis 744 (12 bis 10 v. Chr. sind wir sehr unvollkommen unterrichtet. Als Ergebnis derselben wurde von der Regierung die Feststellung der Donaugrenze für die Provinz Illyricum angegeben. Daß diese seitdem in ihrem ganzen Laufe als die Grenze des römischen Gebiets angesehen wurde, ist ohne Zweifel richtig, aber eine eigentliche Unterwerfung oder gar eine Besetzung dieses ganzen weiten Gebiets ist damals keineswegs erfolgt. Hauptsächlichen Widerstand gegen Tiberius leisteten die schon früher für römisch erklärten Völkerschaften, insbesondere die Dalmater; unter den damals zuerst effektiv unterworfenen ist die namhafteste die der pannonischen Breuker an der unteren Save. Schwerlich haben die römischen Heere während dieser Feldzüge die Drau auch nur überschritten, auf keinen Fall ihr Standlager an die Donau verlegt. Das Gebiet zwischen Save und Drau wurde allerdings besetzt und das Hauptquartier der illyrischen Nordarmee von Siscia an der Save nach Poetovio (Pettau) an der mittleren Drau verlegt, während in dem vor kurzem besetzten norischen Gebiet die römischen Besatzungen bis an die Donau bei Carnuntum reichten (Petronell bei Wien), damals die letzte norische Stadt gegen Osten. Das weite und große Gebiet zwischen der Drau und der Donau, das heutige westliche Ungarn, ist allem Anschein nach damals nicht einmal militärisch besetzt worden. Es entsprach dies dem Gesamtplan der begonnenen Offensive; man suchte die Fühlung mit dem gallischen Heer, und für die neue Reichsgrenze im Nordosten war der natürliche Stützpunkt nicht Ofen, sondern Wien.

Gewissermaßen eine Ergänzung zu dieser pannonischen Expedition des Tiberius bildet diejenige, welche gleichzeitig gegen die Thraker von Lucius Piso unternommen ward, vielleicht dem ersten eigenen Statthalter, den Moesien gehabt hat. Die beiden großen benachbarten Nationen, die Illyriker und die Thraker, von denen in einem späteren Abschnitt eingehender gehandelt werden wird, standen damals gleichmäßig zur Unterwerfung. Die Völkerschaften des inneren Thrakiens erwiesen sich noch störriger als die Illyriker und den von Rom ihnen gesetzten Königen wenig botmäßig; im J. 738 (16 v. Chr.) mußte ein römisches Heer dort einrücken und den Fürsten gegen die Besser zu Hilfe kommen. Wenn wir genauere Berichte über die dort wie hier in den Jahren 741 bis 743 (13 bis 11 v. Chr.) geführten Kämpfe hätten, würde das gleichzeitige Handeln der Thraker und der Illyriker vielleicht als gemeinschaftliches erscheinen. Gewiß ist es, daß die Masse der Thrakerstämme südlich vom Haemus und vermutlich auch die in Moesien sitzenden sich an diesem Nationalkrieg beteiligten, und daß die Gegenwehr der Thraker nicht minder hartnäckig war als die der Illyriker. Es war für sie zugleich ein Religionskrieg; das den Bessern genommene und den römisch gesinnten Odrysenfürsten überwiesene Dionysosheiligtum war nicht vergessen; ein Priester dieses Dionysos stand an der Spitze der Insurrektion, und sie richtete sich zunächst eben gegen jene Odrysenfürsten. Der eine derselben wurde gefangen und getötet, der andere verjagt; die zum Teil nach römischem Muster bewaffneten und disziplinierten Insurgenten siegten in dem ersten Treffen über Piso und drangen vor bis nach Makedonien und in den thrakischen Chersones; man fürchtete für Asien. Indes die römische Zucht behielt doch schließlich das Übergewicht auch über diese tapferen Gegner; in mehreren Feldzügen wurde Piso des Widerstandes Herr und das entweder schon bei dieser Gelegenheit oder bald nachher auf dem »thrakischen Ufer« eingerichtete Kommando von Moesien brach den Zusammenhang der dakisch-thrakischen Völkerschaften, indem es die Stämme am linken Ufer der Donau und die verwandten südlich vom Haemus voneinander schied, und sicherte dauernd die römische Herrschaft im Gebiet der unteren Donau.

Näher noch als von den Pannoniern und den Thrakern ward es den Römern von den Germanen gelegt, daß der damalige Zustand der Dinge auf die Dauer nicht bleiben könne. Die Reichsgrenze war seit Cäsar der Rhein vom Bodensee bis zu seiner Mündung. Eine Völkerscheide war er nicht, da schon von alters her im Nordosten Galliens die Kelten sich vielfach mit Deutschen gemischt hatten, die Treverer und die Nervier Germanen wenigstens gern gewesen wären, am mittleren Rhein Cäsar selbst die Reste der Scharen des Ariovistus, Triboker (im Elsaß), Nemeter (um Speier), Vangionen (um Worms) seßhaft gemacht hatte. Freilich hielten diese linksrheinischen Deutschen fester zu der römischen Herrschaft als die keltischen Gaue, und nicht sie haben den Landsleuten auf dem rechten Ufer die Pforten Galliens geöffnet. Aber diese, seit langem der Plünderzüge über den Fluß gewohnt und der mehrfach halb geglückten Versuche, dort sich festzusetzen, keineswegs vergessen, kamen auch ungerufen. Die einzige germanische Völkerschaft jenseits des Rheines, die schon in Cäsars Zeit sich von ihren Landsleuten getrennt und unter römischen Schutz gestellt hatte, die Ubier hatten vor dem Haß ihrer erbitterten Stammgenossen weichen und auf dem römischen Ufer Schutz und neue Wohnsitze suchen müssen (716 [38 v. Chr.]); Agrippa, obwohl persönlich in Gallien anwesend, hatte unter dem Druck des damals bevorstehenden sizilischen Krieges nicht vermocht, ihnen in anderer Weise zu helfen, und den Rhein nur überschritten, um die Überführung zu bewirken. Aus dieser ihrer Siedelung ist später unser Köln erwachsen. Nicht bloß die auf dem rechten Rheinufer Handel treibenden Römer wurden vielfältig von den Germanen geschädigt, so daß sogar im J. 729 (25 v. Chr.) deswegen ein Vorstoß über den Rhein ausgeführt ward und Agrippa im J. 734 (20 v. Chr.) vom Rhein herübergekommene germanische Schwärme aus Gallien hinauszuschlagen hatte; es geriet im J. 738 (16 v. Chr.) das jenseitige Ufer in eine allgemeinere auf einen Einbruch in großem Maßstab hinauslaufende Bewegung. Die Sugambrer an der Ruhr gingen voran, mit ihnen ihre Nachbarn, nördlich im Lippetal die Usiper, südlich die Tencterer; sie griffen die bei ihnen verweilenden römischen Händler auf und schlugen sie ans Kreuz, überschritten dann den Rhein, plünderten weit und breit die gallischen Gaue, und als ihnen der Statthalter von Germanien den Legaten Marcus Lollius mit der fünften Legion entgegenschickte, fingen sie erst deren Reiterei ab und schlugen dann die Legion selbst in schimpfliche Flucht, wobei ihnen sogar deren Adler in die Hände fiel. Nach allem diesen kehrten sie unangefochten zurück in ihre Heimat. Dieser Mißerfolg der römischen Waffen, wenn auch an sich nicht von Gewicht, war doch der germanischen Bewegung und selbst der schwierigen Stimmung in Gallien gegenüber nichts weniger als unbedenklich; Augustus selbst ging nach der angegriffenen Provinz, und es mag dieser Vorgang wohl die nächste Veranlassung gewesen sein zur Aufnahme jener großen Offensive, die mit dem rätischen Krieg 739 (15 v.Chr.) beginnend weiter zu den Feldzügen des Tiberius in Illyricum und des Drusus in Germanien führte.

Nero Claudius Drusus, geboren im J. 715 (38 v.Chr.) von Livia im Hause ihres neuen Gemahls, des späteren Augustus, und von diesem gleich einem Sohn – die bösen Zungen sagten als sein Sohn – geliebt und gehalten, ein Bild männlicher Schönheit und von gewinnender Anmut im Verkehr, ein tapferer Soldat und ein tüchtiger Feldherr, dazu ein erklärter Lobredner der alten republikanischen Ordnung und in jeder Hinsicht der populärste Prinz des kaiserlichen Hauses, übernahm bei Augustus Rückkehr nach Italien (741 [13 v. Chr.]) die Verwaltung von Gallien und den Oberbefehl gegen die Germanen, deren Unterwerfung jetzt ernstlich in das Auge gefaßt ward. Wir vermögen weder die Stärke der damals am Rhein stehenden Armee noch die bei den Germanen obwaltenden Zustände genügend zu erkennen; nur das tritt deutlich hervor, daß die letzteren nicht imstande waren, dem geschlossenen Angriff in entsprechender Weise zu begegnen. Das Neckargebiet, ehemals von den Helvetiern besessen, dann lange Zeit streitiges Grenzland zwischen ihnen und den Germanen, lag verödet und beherrscht einerseits durch die jüngst unterworfene Landschaft der Vindeliker, andererseits durch die römisch gesinnten Germanen um Straßburg, Speier und Worms. Weiter nordwärts in der oberen Maingegend saßen die Markomannen, vielleicht der mächtigste der suevischen Stämme, aber mit den Germanen des Mittelrheins seit alters her verfeindet. Nordwärts des Mains folgten zunächst im Taunus die Chatten, weiter rheinabwärts die schon genannten Tencterer, Sugambrer und Usiper; hinter ihnen die mächtigen Cherusker an der Weser, außerdem eine Anzahl Völkerschaften zweiten Ranges. Wie diese mittelrheinischen Stämme, voran die Sugambrer, jenen Angriff auf das römische Gallien ausgeführt hatten, so richtete sich auch der Vergeltungszug des Drusus hauptsächlich gegen sie, und sie auch verbanden sich gegen Drusus zur gemeinschaftlichen Abwehr und zur Aufstellung eines aus dem Zuzug aller dieser Gaue zu bildenden Volksheers. Aber die friesischen Stämme an der Nordseeküste schlossen sich nicht an, sondern verharrten in der ihnen eigenen Isolierung.

Es waren die Germanen, die die Offensive ergriffen. Die Sugambrer und ihre Verbündeten griffen wieder alle Römer auf, deren sie auf ihrem Ufer habhaft werden konnten, und schlugen die Centurionen darunter, ihrer zwanzig an der Zahl, ans Kreuz. Die verbündeten Stämme beschlossen abermals in Gallien einzufallen und teilten auch die Beute im voraus – die Sugambrer sollten die Leute, die Cherusker die Pferde, die suevischen Stämme das Gold und Silber erhalten. So versuchten sie im Anfang des J. 742 (12 v. Chr.) wieder den Rhein zu überschreiten und hofften auf die Unterstützung der linksrheinischen Germanen und selbst auf eine Insurrektion der eben damals durch das ungewohnte Schätzungsgeschäft erregten gallischen Gaue. Aber der junge Feldherr traf seine Maßregeln gut: er erstickte die Bewegung im römischen Gebiet, noch ehe sie recht in Gang kam, warf die Eindringenden bei dem Flußübergang selbst zurück und ging dann seinerseits über den Strom, um das Gebiet der Usiper und Sugambrer zu brandschatzen. Dies war eine vorläufige Abwehr; der eigentliche Kriegsplan, in größerem Stil angelegt, ging aus von der Gewinnung der Nordseeküste und der Mündungen der Ems und der Elbe. Der zahlreiche und tapfere Stamm der Bataver im Rheindelta ist allem Anschein nach damals und durch gütliche Vereinbarung dem römischen Reiche einverleibt worden; mit ihrer Hilfe wurde vom Rheine zum Zuidersee und aus diesem in die Nordsee eine Wasserverbindung hergestellt, welche der Rheinflotte einen sicheren und kürzeren Weg zur Ems- und Elbemündung eröffnete. Die Friesen an der Nordküste folgten dem Beispiel der Bataver und fügten sich gleichfalls der Fremdherrschaft. Es war wohl mehr noch die maßhaltende Politik als die militärische Übergewalt, die hier den Römern den Weg bahnte: diese Völkerschaften blieben fast ganz steuerfrei und wurden zum Kriegsdienst in einer Weise herangezogen, die nicht schreckte, sondern lockte. Von da ging die Expedition an der Nordseeküste hinauf; im offenen Meer wurde die Insel Burchanis (vielleicht Borkum vor Ostfriesland) mit stürmender Hand genommen, auf der Ems die Bootflotte der Bructerer von der römischen Flotte besiegt; bis an die Mündung der Weser zu den Chaukern ist Drusus gelangt. Freilich geriet die Flotte heimkehrend auf die gefährlichen und unbekannten Watten, und wenn die Friesen nicht der schiffbrüchigen Armee sicheres Geleit gewährt hätten, wäre sie in sehr kritische Lage geraten. Nichtsdestoweniger war durch diesen ersten Feldzug die Küste von der Rhein- zur Wesermündung römisch geworden.

Nachdem also die Küste umfaßt war, begann im nächsten Jahr (743 [11 v. Chr.]) die Unterwerfung des Binnenlandes. Sie wurde wesentlich erleichtert durch den Zwist unter den mittelrheinischen Germanen. Zu dem im Jahre vorher versuchten Angriff auf Gallien hatten die Chatten den versprochenen Zuzug nicht gestellt; in begreiflichem, aber noch viel mehr unpolitischem Zorn hatten die Sugambrer mit gesamter Hand das Chattenland überfallen, und so wurde ihr eigenes Gebiet sowie das ihrer nächsten Nachbaren am Rhein ohne Schwierigkeit von den Römern besetzt. Die Chatten unterwarfen sich dann den Feinden ihrer Feinde ohne Gegenwehr; nichtsdestoweniger wurden sie angewiesen, das Rheinufer zu räumen und dafür dasjenige Gebiet zu besetzen, das bis dahin die Sugambrer innegehabt hatten. Nicht minder unterlagen weiter landeinwärts die mächtigen Cherusker an der mittleren Weser. Die an der unteren sitzenden Chauker wurden, wie ein Jahr zuvor von der Seeseite, so jetzt zu Lande angegriffen und damit das gesamte Gebiet zwischen Rhein und Weser wenigstens an den militärisch entscheidenden Stellen in Besitz genommen. Der Rückweg wäre allerdings, eben wie im vorigen Jahre, fast verhängnisvoll geworden; bei Arbalo (unbekannter Lage) sahen sich die Römer in einem Engpaß von allen Seiten von den Germanen umzingelt und ihrer Verbindungen verlustig; aber die feste Zucht der Legionare und daneben die übermütige Siegesgewißheit der Deutschen verwandelten die drohende Niederlage in einen glänzenden Sieg. Im nächsten Jahr (744 [10 v. Chr.]) standen die Chatten auf, erbittert über den Verlust ihrer alten schönen Heimstatt; aber jetzt blieben sie ihrerseits allein und wurden nach hartnäckiger Gegenwehr und nicht ohne empfindlichen Verlust von den Römern überwältigt (745 [9 v. Chr.]). Die Markomannen am oberen Main, die nach der Einnahme des Chattengebiets zunächst dem Angriff ausgesetzt waren, wichen ihm aus und zogen sich rückwärts in das Land der Boier, das heutige Böhmen, ohne von hier aus, wo sie dem unmittelbaren Machtkreise Roms entrückt waren, in die Kämpfe am Rhein einzugreifen. In dem ganzen Gebiet zwischen Rhein und Weser war der Krieg zu Ende. Drusus konnte im J. 745 (9 v. Chr.) im Cheruskergau das rechte Weserufer betreten und von da vorgehen bis an die Elbe, die er nicht überschritt, vermutlich angewiesen war, nicht zu überschreiten. Manches harte Gefecht wurde geliefert, erfolgreicher Widerstand nirgends geleistet. Aber auf dem Rückweg, der, wie es scheint, die Saale hinauf und von da zur Weser genommen ward, traf die Römer ein schwerer Schlag, nicht durch den Feind, aber durch einen unberechenbaren Unglücksfall. Der Feldherr stürzte mit dem Pferd und brach den Schenkel; nach dreißigtägigem Leiden verschied er in dem fernen Lande zwischen Saale und Weser, das nie vor ihm eine römische Armee betreten hatte, in den Armen des aus Rom herbeigeeilten Bruders, im dreißigsten Jahre seines Alters, im Vollgefühl seiner Kraft und seiner Erfolge, von den Seinigen und dem ganzen Volke tief und lange betrauert; vielleicht glücklich zu preisen, weil die Götter ihm gaben, jung aus dem Leben zu scheiden und den Enttäuschungen und Bitterkeiten zu entgehen, welche die Höchstgestellten am schmerzlichsten treffen, während in der Erinnerung der Welt noch heute seine glänzende Heldengestalt fortlebt.

In dem großen Gang der Dinge änderte, wie billig, der Tod des tüchtigen Feldherrn nichts. Sein Bruder Tiberius kam früh genug, nicht bloß um ihm die Augen zuzudrücken, sondern auch um mit seiner sicheren Hand das Heer zurück- und die Eroberung Germaniens weiterzuführen. Er kommandierte dort während der beiden folgenden Jahre (746, 747 [8, 7 v. Chr.]); zu größeren Kämpfen ist es während derselben nicht gekommen, aber weit und breit zwischen Rhein und Elbe zeigten sich die römischen Truppen, und als Tiberius die Forderung stellte, daß sämtliche Gaue die römische Herrschaft förmlich anzuerkennen hätten, und zugleich erklärte, die Anerkennung nur von sämtlichen Gauen zugleich entgegennehmen zu können, fügten sie sich ohne Ausnahme, zuletzt von allen die Sugambrer, für die es freilich einen wirklichen Frieden nicht gab. Wie weit man militärisch gelangt war, beweist die wenig später fallende Expedition des Lucius Domitius Ahenobarbus. Dieser konnte als Statthalter von Illyricum, wahrscheinlich von Vindelicien aus, einem unsteten Hermundurenschwarm im Markomannenlande selbst Sitze anweisen und gelangte bei dieser Expedition bis an und über die obere Elbe, ohne auf Widerstand zu treffen. Die Markomannen in Böhmen waren völlig isoliert und das übrige Germanien zwischen Rhein und Elbe eine wenn auch noch keineswegs befriedete römische Provinz.

Die militärisch-politische Organisation Germaniens, wie sie damals angelegt ward, vermögen wir nur unvollkommen zu erkennen, da uns einmal über die in früherer Zeit zum Schutz der gallischen Ostgrenze getroffenen Einrichtungen jede genaue Kunde fehlt, andererseits diejenigen der beiden Brüder durch die spätere Entwickelung der Dinge großenteils zerstört worden sind. Eine Verlegung der römischen Grenzhut vom Rhein weg hat keineswegs stattgefunden; so weit wollte man vielleicht kommen, aber war man nicht. Ähnlich wie in Illyricum damals die Donau, war die Elbe wohl die politische Reichsgrenze, aber der Rhein die Linie der Grenzverteidigung, und von den Rheinlagern liefen die rückwärtigen Verbindungen nach den großen Städten Galliens und nach dessen Häfen. Das große Hauptquartier während dieser Feldzüge ist das spätere sogenannte »alte Lager«, Castra vetera (Birten bei Xanten), die erste bedeutende Höhe abwärts Bonn am linken Rheinufer, militärisch etwa dem heutigen Wesel am rechten entsprechend. Dieser Platz, besetzt vielleicht seit den Anfängen der Römerherrschaft am Rhein, ist von Augustus eingerichtet worden als Zwingburg für Germanien; und wenn die Festung zu allen Zeiten der Stützpunkt für die römische Defensive am linken Rheinufer gewesen ist, so war sie für die Invasion des rechten nicht weniger wohl gewählt, gelegen gegenüber der Mündung der weit hinauf schiffbaren Lippe und mit dem rechten Ufer durch eine feste Brücke verbunden. Den Gegensatz zu diesem »alten Lager« an der Mündung der Lippe bildete wahrscheinlich das an der Mündung des Main, Mogontiacum, das heutige Mainz, allem Anschein nach eine Schöpfung des Drusus; wenigstens zeigen die schon erwähnten den Chatten auferlegten Gebietsabtretungen, sowie die weiterhin zu erwähnenden Anlagen im Taunus, daß Drusus die militärische Wichtigkeit der Mainlinie und also auch die ihres Schlüssels auf dem linken Rheinufer deutlich erkannt hat. Wenn das Legionslager an der Aar, wie es scheint, eingerichtet worden ist, um die Räter und Vindeliker im Gehorsam zu erhalten, so fällt dessen Anlage vermutlich schon in diese Zeit, aber es ist dann auch mit den gallisch-germanischen Militäreinrichtungen nur äußerlich verknüpft gewesen. Das Straßburger Legionslager reicht schwerlich bis in so frühe Zeit hinauf. Die Basis der römischen Heerstellung bildet die Linie von Mainz bis Wesel. Daß Drusus und Tiberius, abgesehen von der damals nicht mehr kaiserlichen narbonensischen Provinz, sowohl die Statthalterschaft von ganz Gallien wie auch das Kommando der sämtlichen rheinischen Legionen gehabt haben, ist ausgemacht; von diesen Prinzen abgesehen mag damals wohl die Zivilverwaltung Galliens von dem Kommando der Rheintruppen getrennt gewesen sein, aber schwerlich war das letztere damals schon in zwei koordinierte Kommandos geteilt. – Über den Bestand der damaligen Rheinarmee können wir nur etwa sagen, daß die Armee des Drusus schwerlich stärker, vielleicht geringer war als die, welche zwanzig Jahre später in Germanien stand, von fünf bis sechs Legionen, etwa 50 000 bis 60 000 Mann.

Diesen militärischen Einrichtungen am linken Rheinufer sind die am rechten getroffenen korrelat. Zunächst nahmen die Römer dieses selbst in Besitz. Es traf dies vor allem die Sugambrer, wobei allerdings die Vergeltung für den erbeuteten Adler und die ans Kreuz geschlagenen Centurionen mitgewirkt hat. Die zur Erklärung der Unterwerfung abgesandten Boten, die Vornehmsten der Nation, wurden gegen das Völkerrecht als Kriegsgefangene behandelt und kamen in den italischen Festungen elend um. Von der Masse des Volkes wurden 40 000 Köpfe aus ihrer Heimat entfernt und auf dem gallischen Ufer angesiedelt, wo sie später vielleicht unter dem Namen der Cugerner begegnen. Nur ein geringer und ungefährlicher Überrest des mächtigen Stammes durfte in den alten Wohnsitzen bleiben. Auch suevische Haufen sind nach Gallien übergeführt, andere Völkerschaften weiter landeinwärts gedrängt worden, wie die Marser und ohne Zweifel auch die Chatten; am Mittelrhein wurde überall die eingeborene Bevölkerung des rechten Ufers verdrängt oder doch geschwächt. Längs dieses Rheinufers wurden ferner befestigte Posten, fünfzig an der Zahl, eingerichtet. Vorwärts Mogontiacum wurde das den Chatten abgenommene Gebiet, seitdem der Gau der Mattiaker bei dem heutigen Wiesbaden, in die römischen Linien gezogen und die Höhe des Taunus stark befestigt. Vor allem aber wurde von Vetera aus die Lippelinie in Besitz genommen; von der doppelten von Tagesmarsch zu Tagesmarsch mit Kastellen besetzten Militärstraße an den beiden Ufern des Flusses ist wenigstens die rechtsuferige sicher ebenso das Werk des Drusus, wie dies bezeugt ist von der Festung Aliso im Quellgebiet der Lippe, wahrscheinlich dem heutigen Dorfe Elsen unweit Paderborn. Dazu kam der schon erwähnte Kanal von der Rheinmündung zum Zuidersee und ein von Lucius Domitius Ahenobarbus durch eine längere Sumpfstrecke zwischen der Ems und dem Unterrhein gezogener Damm, die sogenannten »langen Brücken«. Außerdem standen durch das ganze Gebiet zerstreut einzelne römische Posten; dergleichen werden späterhin erwähnt bei den Friesen und den Chaukern, und in diesem Sinne mag es richtig sein, daß die römischen Besatzungen bis zur Weser und bis zur Elbe reichten. Endlich lagerte das Heer wohl im Winter am Rhein, im Sommer aber, auch wenn nicht eigentlich Expeditionen unternommen wurden, durchgängig im eroberten Lande, in der Regel bei Aliso.

Aber nicht bloß militärisch richteten die Römer in dem neugewonnenen Gebiet sich ein. Die Germanen wurden angehalten wie andere Provinzialen von dem römischen Statthalter Recht zu nehmen, und die Sommerexpeditionen des Feldherrn entwickelten sich allmählich zu den üblichen Gerichtsreisen des Statthalters. Anklage und Verteidigung der Angeschuldigten fand in lateinischer Zunge statt; die römischen Sachwalter und Rechtsbeistände begannen wie diesseits so jenseits des Rheines ihre überall schwer empfundene, hier die solcher Dinge ungewohnten Barbaren tief erbitternde Wirksamkeit. Es fehlte viel zur völligen Durchführung der provinzialen Einrichtung; an förmliche Umlage der Schatzung, an regulierte Aushebung für das römische Heer ward noch nicht gedacht. Aber wie der neue Gauverband eben jetzt in Gallien im Anschluß an die daselbst eingeführte göttliche Verehrung des Monarchen eingerichtet ward, so wurde eine ähnliche Einrichtung auch in dem neuen Germanien getroffen; als Drusus für Gallien den Augustusaltar in Lyon weihte, wurden die zuletzt auf dem linken Rheinufer angesiedelten Germanen, die Ubier, nicht in diese Vereinigung aufgenommen, sondern in ihrem Hauptort, der der Lage nach für Germanien ungefähr war, was Lyon für die drei Gallien, ein gleichartiger Altar für die germanischen Gaue errichtet, dessen Priestertum im Jahre 9 der junge Cheruskerfürst Segimundus, des Segestes Sohn, verwaltete.

Den vollen militärischen Erfolg brach oder unterbrach doch die kaiserliche Familienpolitik. Das Zerwürfnis zwischen Tiberius und seinem Stiefvater führte dazu, daß jener im Anfang des J. 748 (6 v. Chr.) das Kommando niederlegte. Das dynastische Interesse gestattete es nicht, umfassende militärische Operationen anderen Generalen als Prinzen des kaiserlichen Hauses anzuvertrauen; und nach Agrippas und Drusus‘ Tod und Tiberius‘ Rücktritt gab es fähige Feldherrn in demselben nicht. Allerdings werden in den zehn Jahren, wo Statthalter mit gewöhnlicher Befugnis in Illyricum und in Germanien schalteten, die militärischen Operationen daselbst wohl nicht so vollständig unterbrochen worden sein, wie es uns erscheint, da die höfisch gefärbte Überlieferung über die mit und die ohne Prinzen geführten Kampagnen nicht in gleicher Weise berichtet; aber das Stocken ist unverkennbar, und dieses selbst war ein Rückschritt. Ahenobarbus, der infolge seiner Verschwägerung mit dem kaiserlichen Hause – seine Gattin war die Schwestertochter Augusts – freiere Hand hatte als andere Beamte und der in seiner illyrischen Statthalterschaft die Elbe überschritten hatte, ohne Widerstand zu finden, erntete später als Statthalter Germaniens dort keine Lorbeeren. Nicht bloß die Erbitterung, auch der Mut der Germanen waren wieder im Steigen und im J. 2 erscheint das Land wieder im Aufstand, die Cherusker und die Chauker unter den Waffen. Inzwischen hatte am Kaiserhofe der Tod sich ins Mittel geschlagen und der Wegfall der jungen Söhne des Augustus diesen und Tiberius ausgesöhnt. Kaum war diese Versöhnung durch die Annahme an Kindesstatt besiegelt und proklamiert (J. 4), so nahm Tiberius das Werk da wieder auf, wo es unterbrochen worden war, und führte abermals in diesem und den beiden folgenden Sommern (J. 5–6) die Heere über den Rhein. Es war eine Wiederholung und Steigerung der früheren Feldzüge. Die Cherusker wurden im ersten Feldzug, die Chauker im zweiten zum Gehorsam zurückgebracht; die den Batavern benachbarten und an Tapferkeit nicht nachstehenden Cannenefaten, die im Quellgebiet der Lippe und an der Ems sitzenden Bructerer und andere Gaue mehr unterwarfen sich, ebenso die hier zuerst erwähnten mächtigen Langobarden, damals hausend zwischen der Weser und Elbe. Der erste Feldzug führte über die Weser hinein in das Innere; in dem zweiten standen an der Elbe selbst die römischen Legionen dem germanischen Landsturm am anderen Ufer gegenüber. Vom J. 4 auf 5 nahm, es scheint zum erstenmal, das römische Heer das Winterlager auf germanischem Boden bei Aliso. Alles dies wurde erreicht ohne erhebliche Kämpfe; die umsichtige Kriegführung brach nicht die Gegenwehr, sondern machte sie unmöglich. Diesem Feldherrn war es nicht um unfruchtbare Lorbeeren zu tun, sondern um dauernden Erfolg. Nicht minder wurde die Seefahrt wiederholt; wie die erste Kampagne des Drusus, so ist die letzte des Tiberius ausgezeichnet durch die Beschiffung der Nordsee. Aber die römische Flotte gelangte diesmal weiter: die ganze Küste der Nordsee bis zum Vorgebirge der Cimbrer, das heißt zur jütischen Spitze, ward von ihr erkundet, und sie vereinigte sich dann, die Elbe hinauffahrend, mit dem an dieser aufgestellten Landheer. Diese zu überschreiten hatte der Kaiser ausdrücklich untersagt; aber die Völker jenseits der Elbe, die eben genannten Cimbrer im heutigen Jütland, die Charuden südlich von ihnen, die mächtigen Semnonen zwischen Elbe und Oder, traten wenigstens in Beziehung zu den neuen Nachbarn.

Man konnte meinen am Ziel zu sein. Aber eines fehlte doch noch zur Herstellung des eisernen Ringes, der Großdeutschland umklammern sollte: es war die Herstellung der Verbindung zwischen der mittleren Donau und der oberen Elbe, die Besitznahme des alten Boierheimes, das in seinem Bergkranz gleich einer gewaltigen Festung zwischen Noricum und Germanien sich einschob. Der König Maroboduus, aus edlem Markomannengeschlecht, aber in jungen Jahren durch längeren Aufenthalt in Rom eingeführt in dessen straffere Heer- und Staatsordnung, hatte nach der Heimkehr, vielleicht während der ersten Feldzüge des Drusus und der dadurch herbeigeführten Übersiedelung der Markomannen vom Main an die obere Elbe, sich nicht bloß zum Fürsten seines Volkes erhoben, sondern auch diese seine Herrschaft nicht in der lockeren Weise des germanischen Königtums, sondern, man möchte sagen, nach dem Muster der augustischen gestaltet. Außer seinem eigenen Volk gebot er über den mächtigen Stamm der Lugier (im heutigen Schlesien), und seine Klientel muß sich über das ganze Gebiet der Elbe erstreckt haben, da die Langobarden und die Semnonen als ihm untertänig bezeichnet werden. Bisher hatte er den Römern wie den übrigen Germanen gegenüber völlige Neutralität beobachtet; er gewährte wohl den flüchtigen Römerfeinden in seinem Lande eine Freistatt, aber tätig mischte er sich in den Kampf nicht, nicht einmal, als die Hermunduren von dem römischen Statthalter auf markomannischem Gebiet Wohnsitze angewiesen erhielten und als das linke Elbufer den Römern botmäßig ward. Er unterwarf sich ihnen nicht, aber er nahm alle jene Vorgänge hin, ohne darum die freundlichen Beziehungen zu den Römern zu unterbrechen. Durch diese gewiß nicht großartige und schwerlich auch nur kluge Politik hatte er erreicht, als der letzte angegriffen zu werden; nach den vollkommen gelungenen germanischen Feldzügen der Jahre 4 und 5 kam die Reihe an ihn. Von zwei Seiten her, von Germanien und Noricum aus rückten die römischen Heere vor gegen den böhmischen Bergring; den Main hinauf, die dichten Wälder vom Spessart zum Fichtelgebirge mit Axt und Feuer lichtend, ging Gaius Sentius Saturninus, von Carnuntum aus, wo die illyrischen Legionen durch den Winter 5 auf 6 gelagert hatten, Tiberius selbst gegen die Markomannen vor; die beiden Heere, zusammen zwölf Legionen, waren den Gegnern, deren Streitmacht auf 70 000 Mann zu Fuß und 4000 Reiter geschätzt wurde, schon der Zahl nach fast um das Doppelte überlegen. Die umsichtige Strategik des Feldherrn schien den Erfolg auch diesmal völlig sichergestellt zu haben, als ein plötzlicher Zwischenfall den weiteren Vormarsch der Römer unterbrach.

Die dalmatinischen Völkerschaften und die pannonischen wenigstens des Savegebietes gehorchten seit kurzem den römischen Statthaltern; aber sie ertrugen das neue Regiment mit immer steigendem Groll, vor allem wegen der ungewohnten und schonungslos gehandhabten Steuern. Als Tiberius später einen der Führer nach den Gründen des Abfalls fragte, antwortete ihm dieser, es sei geschehen, weil die Römer ihren Herden zu Hütern nicht Hunde noch Hirten, sondern Wölfe setzten. Jetzt waren die Legionen aus Dalmatien an die Donau geführt und die wehrhaften Leute aufgeboten worden, um eben dahin zur Verstärkung der Armeen gesendet zu werden. Diese Mannschaften machten den Anfang und ergriffen die Waffen nicht für, sondern gegen Rom; ihr Führer war ein Däsitiate (um Serajevo) Bato. Dem Beispiel folgten die Pannonier unter Führung zweier Breuker, eines anderen Bato und des Pinnes. Mit unerhörter Schnelligkeit und Einträchtigkeit erhob sich ganz Illyricum; auf 200 000 zu Fuß und 9000 zu Pferde wurde die Zahl der insurgierten Mannschaften geschätzt. Die Aushebung für die Auxiliartruppen, welche namentlich bei den Pannoniern in bedeutendem Maße stattfand, hatte die Kunde des römischen Kriegswesens zugleich mit der römischen Sprache und selbst der römischen Bildung in weiterem Umfang verbreitet; diese gedienten römischen Soldaten bildeten jetzt den Kern der Insurrektion. Die in den insurgierten Gebieten in großer Zahl angesessenen oder verweilenden römischen Bürger, die Kaufleute und vor allem die Soldaten wurden überall aufgegriffen und erschlagen. Wie die provinzialen Völkerschaften kamen auch die unabhängigen in Bewegung. Die den Römern ganz ergebenen Fürsten der Thraker führten allerdings ihre ansehnlichen und tapferen Scharen dem römischen Feldherrn zu; aber vom andern Ufer der Donau brachen die Daker, mit ihnen die Sarmaten in Moesien ein. Das ganze weite Donaugebiet schien sich verschworen zu haben, um der Fremdherrschaft ein jähes Ende zu bereiten. Die Insurgenten waren nicht gemeint, den Angriff abzuwarten, sondern sie planten einen Überfall Makedoniens und sogar Italiens. Die Gefahr war ernst; über die julischen Alpen hinüber konnten die Aufständischen in wenigen Tagen wiederum vor Aquileia und Tergeste stehen – sie hatten den Weg dahin noch nicht verlernt – und in zehn Tagen vor Rom, wie der Kaiser selbst im Senat es aussprach, allerdings um sich der Zustimmung desselben zu den umfassenden und drückenden militärischen Veranstaltungen zu versichern. In schleunigster Eile wurden neue Mannschaften auf die Beine gebracht und die zunächst bedrohten Städte mit Besatzung versehen; ebenso was irgendwo von Truppen entbehrlich war nach den bedrohten Punkten geschickt. Der erste zur Stelle war der Statthalter von Moesien Aulus Cäcina Severus und mit ihm der thrakische König Rhoemetalkes; bald folgten andere Truppen aus den überseeischen Provinzen nach. Vor allen Dingen aber mußte Tiberius, statt in Böhmen einzudringen, zurückkehren nach Illyricum. Hätten die Insurgenten abgewartet, bis die Römer mit Maroboduus im Kampfe lagen oder dieser mit ihnen gemeinschaftliche Sache gemacht, so konnte die Lage für die Römer eine sehr kritische werden. Aber jene schlugen zu früh los, und dieser, getreu seinem System der Neutralität, ließ sich dazu herbei, eben jetzt auf der Basis des Status quo mit den Römern Frieden zu schließen. So mußte Tiberius zwar die Rheinlegionen zurücksenden, da Germanien unmöglich von Truppen entblößt werden konnte, aber sein illyrisches Heer konnte er mit den aus Moesien, Italien und Syrien anlangenden Truppen vereinigen und gegen die Insurgenten verwenden. In der Tat war der Schrecken größer als die Gefahr. Die Dalmater brachen zwar zu wiederholten Malen in Makedonien ein und plünderten die Küste bis nach Apollonia hinab; aber zu dem Einfall in Italien kam es nicht, und bald war der Brand auf seinen ursprünglichen Herd beschränkt.

Dennoch war die Kriegsarbeit nicht leicht: auch hier wie überall war die abermalige Niederwerfung der Unterworfenen mühsamer als die Unterwerfung selbst. Niemals ist in augustischer Zeit eine gleiche Truppenmasse unter demselben Kommando vereinigt gewesen; schon im ersten Kriegsjahre bestand das Heer des Tiberius aus zehn Legionen nebst den entsprechenden Hilfsmannschaften, dazu zahlreichen freiwillig wieder eingetretenen Veteranen und anderen Freiwilligen, zusammen etwa 120 000 Mann; späterhin hatte er fünfzehn Legionen unter seinen Fahnen vereinigt. Im ersten Feldzug (J. 6) wurde mit sehr abwechselndem Glück gestritten; es gelang wohl die großen Ortschaften, wie Siscia und Sirmium, gegen die Insurgenten zu schützen, aber der Dalmatiner Bato focht ebenso hartnäckig und zum Teil glücklich gegen den Statthalter von Pannonien Marcus Valerius Messalla, des Redners Sohn, wie sein pannonischer Namensgenosse gegen den von Moesien Aulus Cäcina. Vor allem der kleine Krieg machte den römischen Truppen viel zu schaffen. Auch das folgende Jahr (7), in welchem neben Tiberius sein Neffe, der junge Germanicus, auf den Kriegsschauplatz trat, brachte kein Ende der ewigen Kämpfe. Erst im dritten Feldzug (J. 8) gelang es zunächst die Pannonier zu unterwerfen, hauptsächlich, wie es scheint, dadurch, daß ihr Führer Bato, von den Römern gewonnen, seine Truppen bewog am Fluß Bathinus samt und sonders die Waffen zu strecken und den Kollegen im Oberbefehl Pinnes den Römern auslieferte, wofür er von diesen als Fürst der Breuker anerkannt ward. Zwar traf den Verräter bald die Strafe: sein dalmatinischer Namensgenosse fing ihn und ließ ihn hinrichten, und noch einmal flackerte bei den Breukern der Aufstand auf; aber er ward rasch wieder erstickt und der Dalmater beschränkt auf die Verteidigung der eigenen Heimat. Hier hatte Germanicus und andere Korpsführer in diesem wie noch im folgenden Jahr (9) in den einzelnen Gauen heftige Kämpfe zu bestehen; in dem letzteren wurden die Pirusten (an der epirotischen Grenze) und der Gau, dem der Führer selbst angehörte, die Däsitiaten bezwungen, ein tapfer verteidigtes Kastell nach dem andern gebrochen. Noch einmal im Laufe des Sommers erschien Tiberius selbst wieder im Felde und setzte die gesamten Streitkräfte gegen die Reste der Insurrektion in Bewegung. Auch Bato, in dem festen Andetrium (Much, oberhalb Salonae), seiner letzten Zufluchtstatt, von dem römischen Heere eingeschlossen, gab die Sache verloren. Er verließ die Stadt, da er nicht vermochte die Verzweifelten zur Unterwerfung zu bestimmen, und unterwarf sich dem Sieger, bei dem er ehrenvolle Behandlung fand; er ist als politischer Gefangener interniert in Ravenna gestorben. Ohne den Führer setzte die Mannschaft den vergeblichen Kampf noch eine Zeit lang fort, bis die Römer das Kastell mit stürmender Hand einnahmen – wahrscheinlich diesen Tag, den 3. August, verzeichnen die römischen Kalender als den Jahrestag des von Tiberius in Illyricum erfochtenen Sieges.

Auch die Daker jenseit der Donau traf die Vergeltung. Wahrscheinlich in dieser Zeit, nachdem der illyrische Krieg sich zugunsten Roms entschieden hatte, führte Gnaeus Lentulus ein starkes römisches Heer über die Donau, gelangte bis an den Marisus (Marosch) und schlug sie nachdrücklich in ihrem eigenen Lande, das damals zuerst eine römische Armee betrat. Fünfzigtausend gefangene Daker wurden in Thrakien ansässig gemacht.

Die Späteren haben den »batonischen Krieg« der J. 6–9 den schwersten genannt, den Rom seit dem hannibalischen gegen einen auswärtigen Feind zu bestehen gehabt hat. Dem illyrischen Land hat er arge Wunden geschlagen; in Italien war die Siegesfreude grenzenlos, als der junge Germanicus die Botschaft des entscheidenden Erfolges nach der Hauptstadt überbrachte. Lange hat der Jubel nicht gewährt; fast gleichzeitig mit der Kunde von diesem Erfolg kam die Nachricht von einer Niederlage nach Rom, wie sie Augustus in seiner fünfzigjährigen Regierung nur einmal erlebt hat und die in ihren Folgen noch viel bedeutsamer war als in sich selbst.

Die Zustände in der Provinz Germanien sind früher dargelegt worden. Der Gegenschlag, der auf jede Fremdherrschaft mit der Unvermeidlichkeit eines Naturereignisses folgt und der soeben in dem illyrischen Lande eingetreten war, bereitete auch dort in den mittelrheinischen Gauen sich vor. Die Reste der unmittelbar am Rhein sitzenden Stämme waren freilich völlig entmutigt, aber die weiter zurück wohnenden, vornehmlich die Cherusker, Chatten, Bructerer, Marser kaum minder geschädigt und keineswegs ohnmächtig. Wie immer in solchen Lagen bildete sich in jedem Gau eine Partei der fügsamen Römerfreunde und eine nationale die Wiedererhebung im Verborgenen vorbereitende. Die Seele von dieser war ein junger sechsundzwanzigjähriger Mann aus dem Fürstengeschlecht der Cherusker, Arminius des Sigimer Sohn; er und sein Bruder Flavus waren vom Kaiser Augustus mit dem römischen Bürgerrecht und mit Ritterrang beschenkt worden, und beide hatten als Offiziere in den letzten römischen Feldzügen unter Tiberius mit Auszeichnung gefochten; der Bruder diente noch im römischen Heer und hatte sich in Italien eine Heimstatt begründet. Begreiflicherweise galt auch Arminius den Römern als ein Mann besonderen Vertrauens; die Anschuldigungen, die sein besser unterrichteter Landsmann Segestes gegen ihn vorbrachte, vermochten dies Zutrauen bei der wohlbekannten zwischen beiden bestehenden Verfeindung nicht zu erschüttern. Von den weiteren Vorbereitungen haben wir keine Kunde; daß der Adel und vor allem die adlige Jugend auf der Seite der Patrioten stand, versteht sich von selbst und findet darin deutlichen Ausdruck, daß Segestes eigene Tochter Thusnelda wider das Verbot ihres Vaters sich dem Arminius vermählte, auch ihr Bruder Segimundus und Segestes Bruder Segimer sowie sein Neffe Sesithacus bei der Insurrektion eine hervorragende Rolle spielten. Weiten Umfang hat sie nicht gehabt, bei weitem nicht den der illyrischen Erhebung; kaum darf sie streng genommen eine germanische genannt werden. Die Bataver, die Friesen, die Chauker an der Küste waren nicht daran beteiligt, ebenso wenig was von suevischen Stämmen unter römischer Herrschaft stand, noch weniger König Marobod; es erhoben sich in der Tat nur diejenigen Germanen, die einige Jahre zuvor sich gegen Rom konföderiert hatten und gegen die Drusus‘ Offensive zunächst gerichtet gewesen war. Der illyrische Aufstand hat die Gärung in Germanien ohne Zweifel gefördert, aber von verbindenden Fäden zwischen den beiden gleichartigen und fast gleichzeitigen Insurrektionen fehlt jede Spur; auch würden, hätten sie bestanden, die Germanen schwerlich mit dem Losschlagen gewartet haben, bis der pannonische Aufstand überwältigt war und in Dalmatien eben die letzten Burgen kapitulierten. Arminius war der tapfere und verschlagene und vor allen Dingen glückliche Führer in dem Verzweiflungskampf um die verlorene nationale Unabhängigkeit; nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Es war mehr die Schuld der Römer als das Verdienst der Insurgenten, wenn deren Plan gelang. Insofern hat der illyrische Krieg hier allerdings eingegriffen. Die tüchtigen Führer und allem Anschein nach auch die erprobten Truppen waren vom Rhein an die Donau gezogen worden. Vermindert war das germanische Heer, wie es scheint, nicht, aber der größte Teil desselben bestand aus neuen während des Krieges gebildeten Legionen. Schlimmer noch war es um die Führerschaft bestellt. Der Statthalter Publius Quinctilius Varus war wohl der Gemahl einer Nichte des Kaisers und ein Mann von übel erworbenem, aber fürstlichem Reichtum und von fürstlicher Hoffart, aber von trägem Körper und stumpfem Geist und ohne jede militärische Begabung und Erfahrung, einer jener vielen hochgestellten Römer, welche infolge des Festhaltens an der alten Zusammenwerfung der Administrativ- und der Oberoffizierstellungen die Feldherrnschärpe nach dem Muster Ciceros trugen. Er wußte die neuen Untertanen weder zu schonen noch zu durchschauen; Bedrückung und Erpressung wurden geübt, wie er es von seiner früheren Statthalterschaft über das geduldige Syrien her gewohnt war; das Hauptquartier wimmelte von Advokaten und Klienten, und in dankbarer Demut nahmen insbesondere die Verschworenen bei ihm Urteil und Recht, während sich das Netz um den hoffärtigen Prätor dichter und dichter zusammenzog. Die Lage der Armee war die damals normale. Es standen mindestens fünf Legionen in der Provinz, von denen zwei ihr Winterlager in Mogontiacum, drei in Vetera oder auch in Aliso hatten. Das Sommerlager hatten die letzteren im J. 9 an der Weser genommen. Die natürliche Verbindungsstraße von der oberen Lippe zur Weser führt über den niederen Höhenzug des Osning und des Lippischen Waldes, welcher das Tal der Ems von dem der Weser scheidet, durch die Dörenschlucht in das Tal der Werre, die bei Rehme unweit Minden in die Weser fällt. Hier also ungefähr lagerten damals die Legionen des Varus. Selbstverständlich war dieses Sommerlager mit Aliso, dem Stützpunkt der römischen Stellungen am rechten Rheinufer, durch eine Etappenstraße verbunden. Die gute Jahreszeit ging zu Ende, und man schickte sich zum Rückmarsch an. Da kam die Meldung, daß ein benachbarter Gau im Aufstand sei, und Varus entschloß sich, statt auf jener Etappenstraße das Heer zurückzuführen, einen Umweg zu nehmen und unterwegs die Abgefallenen zum Gehorsam zurückzubringen. So brach man auf; das Heer bestand nach zahlreichen Detachierungen aus drei Legionen und neun Abteilungen der Truppen zweiter Klasse, zusammen etwa 20 000 Mann. Als nun die Armee sich von ihrer Kommunikationslinie hinreichend entfernt hatte und tief genug in das unwegsame Land eingedrungen war, standen in den benachbarten Gauen die Konföderierten auf, machten die bei ihnen stationierten kleinen Truppenabteilungen nieder und brachen von allen Seiten aus den Schluchten und Wäldern gegen das marschierende Heer des Statthalters vor. Arminius und die namhaftesten Führer der Patrioten waren bis zum letzten Augenblick im römischen Hauptquartier geblieben, um Varus sicher zu machen; noch am Abend vor dem Tage, an dem die Insurrektion losbrach, hatten sie im Feldherrnzelt bei Varus gespeist und Segestes, indem er den bevorstehenden Ausbruch des Aufstandes ankündigte, den Feldherrn beschworen, ihn selbst sowie die Angeschuldigten sofort verhaften zu lassen und die Rechtfertigung seiner Anklage von den Tatsachen zu erwarten. Varus‘ Vertrauen war nicht zu erschüttern. Von der Tafel weg ritt Arminius zu den Insurgenten und stand den anderen Tag vor den Wällen des römischen Lagers. Die militärische Situation war weder besser noch schlimmer als die der Armee des Drusus vor der Schlacht bei Arbalo und als sie unter ähnlichen Verhältnissen oftmals für römische Armeen eingetreten ist; die Kommunikationen waren für den Augenblick verloren, die mit schwerem Troß beschwerte Armee in dem pfadlosen Lande und in schlimmer, regnerischer Herbstzeit durch mehrere Tagemärsche von Aliso getrennt, die Angreifer der Zahl nach ohne Zweifel den Römern weit überlegen. In solchen Lagen entscheidet die Tüchtigkeit der Truppe; und wenn die Entscheidung hier einmal zuungunsten der Römer fiel, so wird die Unerfahrenheit der jungen Soldaten und vor allen Dingen die Kopf- und Mutlosigkeit des Feldherrn dabei wohl das Meiste getan haben. Nach erfolgtem Angriff setzte das römische Heer seinen Marsch, jetzt ohne Zweifel in der Richtung auf Aliso, noch drei Tage fort, unter stetig steigender Bedrängnis und steigender Demoralisation. Auch die höheren Offiziere taten teilweise ihre Schuldigkeit nicht; einer von ihnen ritt mit der gesamten Reiterei vom Schlachtfeld weg und ließ das Fußvolk allein den Kampf bestehen. Der erste, der völlig verzagte, war der Feldherr selbst; verwundet im Kampfe gab er sich den Tod, ehe die letzte Entscheidung gefallen war, so früh, daß die Seinigen noch den Versuch machten die Leiche zu verbrennen und der Verunehrung durch den Feind zu entziehen. Seinem Beispiel folgte eine Anzahl der Oberoffiziere. Als dann alles verloren war, kapitulierte der übriggebliebene Führer und gab auch das aus der Hand, was diesen letzten noch blieb, den ehrlichen Soldatentod. So ging in einem der Täler der das Münsterland begrenzenden Höhenzüge, im Herbst des J. 9 n. Chr. das römische Heer zugrunde. Die Adler fielen alle drei in Feindeshand. Keine Abteilung schlug sich durch, auch jene Reiter nicht, die ihre Kameraden im Stich gelassen hatten; nur wenige Vereinzelte und Versprengte vermochten sich zu retten. Die Gefangenen, vor allem die Offiziere und die Advokaten, wurden ans Kreuz geschlagen oder lebendig begraben oder bluteten unter dem Opfermesser der germanischen Priester. Die abgeschnittenen Köpfe wurden als Siegeszeichen an die Bäume der heiligen Haine genagelt. Weit und breit stand das Land auf gegen die Fremdherrschaft; man hoffte auf den Anschluß Marobods; die römischen Posten und Straßen fielen auf dem ganzen rechten Rheinufer ohne weiteres in die Gewalt der Sieger. Nur in Aliso leistete der tapfere Kommandant Lucius Caedicius, kein Offizier, aber ein altgedienter Soldat, entschlossenen Widerstand und seine Schützen wußten den Germanen, die Fernwaffen nicht besaßen, das Lagern vor den Wällen so zu verleiden, daß sie die Belagerung in eine Blokade umwandelten. Als die letzten Vorräte der Belagerten erschöpft waren und immer noch kein Entsatz kam, brach Caedicius in einer finsteren Nacht auf, und dieser Rest des Heeres erreichte in der Tat, wenn auch beschwert mit zahlreichen Frauen und Kindern und durch die Angriffe der Germanen starke Verluste erleidend, schließlich das Lager von Vetera. Dorthin waren auch die beiden in Mainz stehenden Legionen unter Lucius Nonius Asprenas auf die Nachricht von der Katastrophe gegangen. Die entschlossene Verteidigung von Aliso und Asprenas‘ rasches Eingreifen verhinderten die Germanen ihren Sieg auf dem linken Rheinufer zu verfolgen, vielleicht die Gallier sich gegen Rom zu erheben.

Die Niederlage war insofern bald wieder ausgeglichen, als die Rheinarmee sofort nicht bloß ergänzt, sondern ansehnlich verstärkt ward. Tiberius übernahm abermals das Kommando derselben, und wenn aus dem auf die Varusschlacht folgenden Jahr (10) die Kriegsgeschichte Gefechte nicht zu verzeichnen hatte, so ist wahrscheinlich damals die Besetzung der Rheingrenze mit acht Legionen und wohl gleichzeitig die Teilung dieses Kommandos in das der oberen Armee mit dem Hauptquartier Mainz und das der unteren mit dem Hauptquartier Vetera, überhaupt also diejenige Einrichtung daselbst getroffen worden, die dann durch Jahrhunderte maßgebend geblieben ist. Man mußte erwarten, daß auf diese Vermehrung der Rheinarmee die energische Wiederaufnahme der Operationen auf dem rechten Rheinufer gefolgt wäre. Der römisch-germanische Kampf war nicht ein Kampf zwischen zwei in politischem Gleichgewicht stehenden Mächten, in welchem die Niederlage der einen einen ungünstigen Friedensschluß rechtfertigen kann; es war der Kampf eines zivilisierten und organisierten Großstaates gegen eine tapfere, aber politisch und militärisch barbarische Nation, in welchem das schließliche Ergebnis von vornherein feststeht und ein vereinzelter Mißerfolg in dem vorgezeichneten Plan so wenig etwas ändern darf, wie das Schiff darum seine Fahrt aufgibt, weil ein Windstoß es aus der Bahn wirft. Aber es kam anders. Wohl ging Tiberius im folgenden Jahr (11) über den Rhein; aber diese Expedition glich den früheren nicht. Er blieb den Sommer drüben und feierte dort des Kaisers Geburtstag, aber die Armee hielt sich in der unmittelbaren Nähe des Rheins und von Zügen an die Weser und an die Elbe war keine Rede – es sollte offenbar den Germanen nur gezeigt werden, daß die Römer den Weg in ihr Land noch zu finden wußten, vielleicht auch diejenigen Einrichtungen am rechten Rheinufer getroffen werden, welche die veränderte Politik erforderte.

Das große beide Heere umfassende Kommando blieb, und es blieb also auch im kaiserlichen Hause. Germanicus hatte es schon im J. 11 neben Tiberius geführt; im folgenden (12), wo ihn die Verwaltung des Konsulats in Rom festhielt, kommandierte Tiberius allein am Rhein; mit dem Anfang des J. 13 übernahm Germanicus den alleinigen Oberbefehl. Man betrachtete sich als im Kriegsstand gegen die Germanen; aber es waren tatenlose Jahre. Ungern ertrug der feurige und ehrgeizige Erbprinz den ihm auferlegten Zwang, und man begreift es von dem Offizier, daß er die drei Adler in Feindeshand nicht vergaß, von dem leiblichen Sohn des Drusus, daß er dessen zerstörten Bau wieder aufzurichten wünschte. Bald bot sich ihm dazu die Gelegenheit, oder er nahm sie. Am 19. August des J. 14 starb Kaiser Augustus. Der erste Thronwechsel in der neuen Monarchie verlief nicht ohne Krise, und Germanicus hatte Gelegenheit durch Taten seinem Vater zu beweisen, daß er gesonnen war, ihm die Treue zu wahren. Darin aber fand er zugleich die Rechtfertigung, die lange gewünschte Invasion Germaniens auch ungeheißen wieder aufzunehmen; er erklärte die nicht unbedenkliche durch den Thronwechsel bei den Legionen hervorgerufene Gärung durch diesen frischen Kriegszug ersticken zu müssen. Ob dies ein Grund oder ein Vorwand war, wissen wir nicht und wußte vielleicht er selber nicht. Dem Kommandanten der Rheinarmee konnte das Überschreiten der Grenze überall nicht gewehrt werden, und es hing immer bis zu einem gewissen Grade von ihm ab, wie weit gegen die Germanen vorgegangen werden sollte. Vielleicht auch glaubte er im Sinne des neuen Herrschers zu handeln, der ja wenigstens ebenso viel Anspruch wie sein Bruder auf den Namen des Besiegers von Germanien hatte und dessen angekündigtes Erscheinen im Rheinlager wohl so aufgefaßt werden konnte, als komme er, um die auf Augustus‘ Geheiß abgebrochene Eroberung Germaniens wieder aufzunehmen. Wie dem auch sei, die Offensive jenseits des Rheins begann aufs neue. Noch im Herbst des J. 14 führte Germanicus selbst Detachements aller Legionen bei Vetera über den Rhein und drang an der Lippe hinauf ziemlich tief in das Binnenland vor, weit und breit das Land verheerend, die Eingeborenen niedermachend, die Tempel – so den hochgeehrten der Tanfana – zerstörend. Die Betroffenen, es waren vornehmlich Bructerer, Tubanten und Usiper, suchten dem Kronprinzen auf der Heimkehr das Schicksal des Varus zu bereiten; aber an der energischen Haltung der Legionen prallte der Angriff ab.

Da dieser Vorstoß keinen Tadel fand, vielmehr dem Feldherrn dafür Danksagungen und Ehrenbezeugungen dekretiert wurden, ging er weiter. Im Frühling des J. 15 versammelte er seine Hauptmacht zunächst am Mittelrhein und ging selbst von Mainz vor gegen die Chatten bis an die oberen Zuflüsse der Weser, während das untere Heer weiter nordwärts die Cherusker und die Marser angriff. Eine gewisse Rechtfertigung für dies Vorgehen lag darin, daß die römisch gesinnten Cherusker, welche unter dem unmittelbaren Eindruck der Katastrophe des Varus sich den Patrioten hatten anschließen müssen, jetzt wieder mit der viel stärkeren Nationalpartei in offenem Kampfe lagen und die Intervention des Germanicus anriefen. In der Tat gelang es den von seinen Landsleuten hart bedrängten Römerfreund Segestes zu befreien und dabei dessen Tochter, die Gattin des Arminius, in die Gewalt zu bekommen; auch des Segestes Bruder Segimerus, einst neben Arminius der Führer der Patrioten, unterwarf sich; die inneren Zerwürfnisse der Germanen ebneten einmal mehr der Fremdherrschaft die Wege. Noch im selben Jahre unternahm Germanicus den Hauptzug nach dem Emsgebiet; Cäcina rückte von Vetera aus an die obere Ems, er selbst ging mit der Flotte von der Rheinmündung aus eben dorthin; die Reiterei zog die Küste entlang durch das Gebiet der treuen Friesen. Wieder vereinigt verwüsteten die Römer das Land der Bructerer und das ganze Gebiet zwischen Ems und Lippe und machten von da aus einen Zug nach der Unglücksstätte, wo sechs Jahre zuvor das Heer des Varus geendigt hatte, um den gefallenen Kameraden das Grabmal zu errichten. Bei dem weiteren Vormarsch wurde die römische Reiterei von Arminius und den erbitterten Patriotenscharen in einen Hinterhalt gelockt und wäre aufgerieben worden, wenn nicht die anrückende Infanterie größeres Unheil verhindert hätte. Schwerere Gefahren brachte die Heimkehr von der Ems, welche auf denselben Wegen angetreten ward wie der Hinmarsch. Die Reiterei gelangte unbeschädigt in das Winterlager. Da für das Fußvolk der vier Legionen die Flotte bei der schwierigen Fahrt – es war um die Zeit der Herbstnachtgleiche – nicht genügte, so schiffte Germanicus zwei derselben wieder aus und ließ sie am Strande zurückgehen; aber mit dem Verhältnis von Ebbe und Flut in dieser Jahreszeit ungenügend bekannt, verloren sie ihr Gepäck und gerieten in Gefahr massenweise zu ertrinken. Der Rückmarsch der vier Legionen des Cäcina von der Ems zum Rhein glich genau dem des Varus, ja das schwere sumpfige Land bot wohl noch größere Schwierigkeiten als die Schluchten der Waldgebirge. Die ganze Masse der Eingeborenen, an ihrer Spitze die beiden Cheruskerfürsten, Arminius und dessen hochangesehener Oheim Inguiomerus, warf sich auf die abziehenden Truppen, in der sicheren Hoffnung, ihnen das gleiche Schicksal zu bereiten, und füllte ringsum die Sümpfe und Wälder. Der alte Feldherr aber, in vierzigjährigem Kriegsdienst erprobt, blieb kaltblütig auch in der äußersten Gefahr und hielt seine verzagenden und hungernden Mannschaften fest in der Hand. Dennoch hätte auch er vielleicht das Unheil nicht abwenden können, wenn nicht nach einem glücklichen Angriff während des Marsches, bei dem die Römer einen großen Teil ihrer Reiterei und fast das ganze Gepäck einbüßten, die siegesgewissen und beutelustigen Deutschen gegen Arminius‘ Rat dem anderen Führer gefolgt wären und statt der weiteren Umstellung des Feindes geradezu den Sturm auf das Lager versucht hätten. Cäcina ließ die Germanen bis an die Wälle herankommen, brach aber dann aus allen Toren und Pforten mit solcher Gewalt auf die Stürmenden ein, daß sie eine schwere Niederlage erlitten und infolgedessen der weitere Rückzug ohne wesentliche Hinderung stattfand. Am Rhein hatte man die Armee schon verloren gegeben und war im Begriff gewesen, die Brücke bei Vetera abzuwerfen, um wenigstens das Eindringen der Germanen in Gallien zu verhindern; nur die entschlossene Einrede einer Frau, der Gattin des Germanicus, der Tochter Agrippas, hatte den verzagten und schimpflichen Entschluß vereitelt. – Die Wiederaufnahme der Unterwerfung Germaniens begann also nicht gerade mit Glück. Das Gebiet zwischen Rhein und Weser war wohl wieder betreten und durchschritten worden, aber entscheidende Erfolge hatten die Römer nicht aufzuzeigen, und der ungeheure Verlust an Material, namentlich an Pferden, wurde schwer empfunden, so daß, wie in Scipios Zeiten, die Städte Italiens und der westlichen Provinzen bei dem Ersatz des Verlorenen mit patriotischen Beisteuern sich beteiligten.

Germanicus änderte für den nächsten Feldzug (J. 16) seinen Kriegsplan: er versuchte die Unterwerfung Germaniens auf die Nordsee und die Flotte zu stützen, teils weil die Völkerschaften an der Küste, die Bataver, Friesen, Chauker, mehr oder minder zu den Römern hielten, teils um die zeitraubenden und verlustvollen Märsche vom Rhein zur Weser und zur Elbe und wieder zurück abzukürzen. Nachdem er dieses Frühjahr wie das vorige zu raschen Vorstößen am Main und an der Lippe verwendet hatte, schiffte er im Anfang des Sommers auf der inzwischen fertiggestellten gewaltigen Transportflotte von 1000 Segeln sein gesamtes Heer an der Rheinmündung ein und gelangte in der Tat ohne Verlust bis an die der Ems, wo die Flotte blieb, und weiter, vermutlich die Ems hinauf bis an die Haasemündung und dann an dieser hinauf in das Werretal, durch dieses an die Weser. Damit war die Durchführung der bis 80 000 Mann starken Armee durch den Teutoburger Wald, welche namentlich für die Verpflegung mit großen Schwierigkeiten verbunden war, vermieden, in dem Flottenlager für die Zufuhr ein sicherer Rückhalt gegeben und die Cherusker auf dem rechten Ufer der Weser statt von vorn in der Flanke angegriffen. Auf diesem trat den Römern das Gesamtaufgebot der Germanen entgegen, wiederum geführt von den beiden Häuptern der Patriotenpartei Arminius und Inguiomerus; über welche Streitkräfte dieselben geboten, beweist, daß sie im Cheruskerland zunächst an der Weser selbst, dann etwas weiter landeinwärts, zweimal kurz nach einander gegen das gesamte römische Heer in offener Feldschlacht schlugen und in beiden den Sieg hart bestritten. Allerdings fiel dieser den Römern zu und von den germanischen Patrioten blieb ein beträchtlicher Teil auf den Schlachtfeldern – Gefangene wurden nicht gemacht und von beiden Seiten mit äußerster Erbitterung gefochten; das zweite Tropäum des Germanicus sprach von der Niederwerfung aller germanischen Völker zwischen Rhein und Elbe; der Sohn stellte diese seine Kampagne neben die glänzenden des Vaters und berichtete nach Rom, daß er im nächsten Feldzug die Unterwerfung Germaniens vollendet haben werde. Aber Arminius entkam, obwohl verwundet, und blieb auch ferner an der Spitze der Patrioten, und ein unvorhergesehenes Unheil verdarb den Waffenerfolg. Auf der Heimkehr, die von dem größten Teil der Legionen zu Schiff gemacht wurde, geriet die Transportflotte in die Herbststürme der Nordsee; die Schiffe wurden nach allen Seiten über die Inseln der Nordsee und bis an die britische Küste hin geschleudert, ein großer Teil ging zugrunde, und die sich retteten, hatten größtenteils Pferde und Gepäck über Bord werfen und froh sein müssen, das nackte Leben zu bergen. Der Fahrtverlust kam, wie in den Zeiten der punischen Kriege, einer Niederlage gleich; Germanicus selbst, mit dem Admiralschiff einzeln verschlagen an den öden Strand der Chauker, war in Verzweiflung über diesen Mißerfolg drauf und dran, seinen Tod in demselben Ozean zu suchen, dessen Beistand er im Beginn dieses Feldzuges so ernstlich und so vergeblich angerufen hatte. Wohl erwies sich späterhin der Menschenverlust nicht ganz so groß, wie es anfänglich geschienen hatte, und einige erfolgreiche Schläge, die der Feldherr nach der Rückkehr an den Rhein den nächstwohnenden Barbaren versetzte, hoben den gesunkenen Mut der Truppen. Aber im ganzen genommen endigte der Feldzug des J. 16, verglichen mit dem des vorigen, wohl mit glänzenderen Siegen, aber auch mit viel empfindlicherer Einbuße.

Germanicus‘ Abberufung war zugleich die Aufhebung des Oberkommandos der rheinischen Armee. Die bloße Teilung des Kommandos setzte der bisherigen Kriegführung ein Ziel; daß Germanicus nicht bloß abberufen ward, sondern keinen Nachfolger erhielt, kam hinaus auf die Anordnung der Defensive am Rhein. So ist denn auch der Feldzug des J. 16 der letzte gewesen, den die Römer geführt haben, um Germanien zu unterwerfen und die Reichsgrenze vom Rhein an die Elbe zu verlegen. Daß die Feldzüge des Germanicus dieses Ziel hatten, lehrt ihr Verlauf selbst und das die Elbgrenze feiernde Tropäon. Auch die Wiederherstellung der rechtsrheinischen militärischen Anlagen, der Taunuskastelle sowohl wie der Festung Aliso und der diese mit Vetera verbindenden Linie, gehört nur zum Teil zu derjenigen Besetzung des rechten Rheinufers, wie sie auch mit dem beschränkten Operationsplan nach der Varusschlacht sich vertrug, zum Teil griff sie weit über denselben hinaus. Aber was der Feldherr wollte, wollte der Kaiser nicht oder nicht ganz. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß Tiberius die Unternehmungen des Germanicus am Rhein von Haus aus mehr hat geschehen lassen, und gewiß, daß er durch dessen Abberufung im Winter 16/17 denselben ein Ziel hat setzen wollen. Ohne Zweifel ist zugleich ein guter Teil des Erreichten aufgegeben, namentlich aus Aliso die Besatzung zurückgezogen worden. Wie Germanicus von dem im Teutoburger Walde errichteten Siegesdenkmal schon das Jahr darauf keinen Stein mehr fand, so sind auch die Ergebnisse seiner Siege wie ein Schlag ins Wasser verschwunden und keiner seiner Nachfolger hat auf diesem Grunde weiter gebaut.

Wenn Augustus das eroberte Germanien nach der Varusschlacht verloren gegeben hatte, wenn Tiberius jetzt, nachdem die Eroberung abermals in Angriff genommen worden war, sie abzubrechen befahl, so ist die Frage wohl berechtigt, welche Motive die beiden bedeutenden Regenten hierbei geleitet haben und was diese wichtigen Vorgänge für die allgemeine Reichspolitik bedeuten.

Die Varusschlacht ist ein Rätsel, nicht militärisch, aber politisch, nicht in ihrem Verlauf, aber in ihren Folgen. Augustus hatte nicht Unrecht, wenn er seine verlorenen Legionen nicht von dem Feind oder dem Schicksal, sondern von dem Feldherrn zurückforderte; es war ein Unglücksfall, wie ungeschickte Korpsführer sie von Zeit zu Zeit für jeden Staat herbeiführen; schwer begreift man, daß die Aufreibung einer Armee von 20 000 Mann ohne weitere unmittelbare militärische Konsequenzen der großen Politik eines einsichtig regierten Weltstaates eine entscheidende Wendung gegeben hat. Und doch haben die beiden Herrscher jene Niederlage mit einer beispiellosen und für die Stellung der Regierung, der Armee wie den Nachbarn gegenüber bedenklichen, und gefährlichen Geduld ertragen; doch haben sie den Friedensschluß mit Marobod, der ohne Zweifel eigentlich nur eine Waffenruhe sein sollte, zu einem definitiven werden lassen und nicht weiter versucht, das obere Elbtal in die Hand zu bekommen. Es muß Tiberius nicht leicht angekommen sein, den großen mit dem Bruder gemeinschaftlich begonnenen, dann nach dessen Tode von ihm fast vollendeten Bau zusammenstürzen zu sehen; der gewaltige Eifer, womit er, so wie er in das Regiment wieder eingetreten war, den vor zehn Jahren begonnenen germanischen Krieg aufgenommen hatte, läßt ermessen, was diese Entsagung ihm gekostet haben muß. Wenn dennoch nicht bloß Augustus bei derselben beharrte, sondern auch nach dessen Tode er selbst, so ist dafür ein anderer Grund nicht zu finden, als daß sie die durch zwanzig Jahre hindurch verfolgten Pläne zur Veränderung der Nordgrenze als unausführbar erkannten und die Unterwerfung und Behauptung des Gebietes zwischen dem Rhein und der Elbe ihnen die Kräfte des Reiches zu übersteigen schien.

Wenn die bisherige Reichsgrenze von der mittleren Donau bis an deren Quelle und den oberen Rhein und dann rheinabwärts lief, so wurde sie allerdings durch die Verlegung an die in ihrem Quellgebiet der mittleren Donau sich nähernde Elbe und an deren ganzen Lauf wesentlich verkürzt und verbessert; wobei wahrscheinlich außer dem evidenten militärischen Gewinn auch noch das politische Moment in Betracht kam, daß die möglichst weite Entfernung der großen Kommandos von Rom und Italien eine der leitenden Maximen der augustischen Politik war und ein Elbheer in der weiteren Entwicklung Roms schwerlich dieselbe Rolle gespielt haben würde, wie sie die Rheinheere nur zu bald übernahmen. Die Vorbedingungen dazu, die Niederwerfung der germanischen Patriotenpartei und des Suebenkönigs in Böhmen, waren keine leichten Aufgaben; indes man hatte dem Gelingen derselben schon einmal ganz nahe gestanden und bei richtiger Führung konnten diese Erfolge nicht verfehlt werden. Aber eine andere Frage war es, ob nach der Einrichtung der Elbgrenze die Truppen aus dem zwischenliegenden Gebiet weggezogen werden konnten; diese Frage hatte der dalmatisch-pannonische Krieg in sehr ernster Weise der römischen Regierung gestellt. Wenn schon das bevorstehende Einrücken der römischen Donauarmee in Böhmen einen mit Anstrengung aller militärischen Hilfsmittel erst nach vierjährigem Kampf niedergeworfenen Volksaufstand in Illyricum hervorgerufen hatte, so durfte weder zur Zeit noch auf lange Jahre hinaus dies weite Gebiet sich selbst überlassen werden. Ähnlich stand es ohne Zweifel am Rhein. Das römische Publikum pflegte wohl sich zu rühmen, daß der Staat ganz Gallien in Unterwürfigkeit halte durch die 1200 Mann starke Besatzung von Lyon; aber die Regierung konnte nicht vergessen, daß die beiden großen Armeen am Rhein nicht bloß die Germanen abwehrten, sondern auch für die keineswegs durch Fügsamkeit sich auszeichnenden gallischen Gaue gar sehr in Betracht kamen. An der Weser oder gar an der Elbe aufgestellt, hätten sie diesen Dienst nicht in gleichem Maße geleistet; und sowohl den Rhein wie die Elbe besetzt zu halten vermochte man nicht. So mochte Augustus wohl zu dem Schluß kommen, daß mit dem damaligen, allerdings seit kurzem erheblich verstärkten, aber immer noch tief unter dem Maß des wirklich Erforderlichen stehenden Heerbestand jene große Grenzregulierung nicht auszuführen sei; die Frage ward damit aus einer militärischen zu einer Frage der inneren Politik und insonderheit zu einer Finanzfrage. Die Kosten der Armee noch weiter zu steigern hat weder Augustus noch Tiberius sich getraut.

Man kann dies tadeln. Der lähmende Doppelschlag der illyrischen und der germanischen Insurrektion mit ihren schweren Katastrophen, das hohe Alter und die erlahmende Kraft des Herrschers, die zunehmende Abneigung des Tiberius gegen frisches Handeln und große Initiative und vor allem gegen jede Abweichung von der Politik des Augustus haben dabei ohne Zweifel bestimmend mit, und vielleicht zum Nachteil des Staates gewirkt. Man fühlt es in dem nicht zu billigenden, aber wohl erklärlichen Auftreten des Germanicus, wie das Militär und die Jugend das Aufgeben der neuen Provinz Germanien empfanden. Man erkennt in dem dürftigen Versuch mit Hilfe der paar linksrheinischen deutschen Gaue wenigstens dem Namen nach das verlorene Germanien festzuhalten, in den zweideutigen und unsicheren Worten, mit denen Augustus selbst in seinem Rechenschaftsbericht Germanien als römisch in Anspruch nimmt oder auch nicht, wie verlegen die Regierung in dieser Sache der öffentlichen Meinung gegenüberstand. Der Griff nach der Elbgrenze war ein gewaltiger, vielleicht überkühner gewesen; vielleicht von Augustus, dessen Flug im allgemeinen so hoch nicht ging, erst nach jahrelangem Zaudern und wohl nicht ohne den bestimmenden Einfluß des ihm vor allen nahestehenden jüngeren Stiefsohnes unternommen. Aber einen allzu kühnen Schritt zurückzutun ist in der Regel nicht eine Verbesserung des Fehlers, sondern ein zweiter. Die Monarchie brauchte die unbefleckte kriegerische Ehre und den unbedingten kriegerischen Erfolg in ganz anderer Weise als das ehemalige Bürgermeisterregiment; das Fehlen der seit der Varusschlacht niemals ausgefüllten Nummern 17, 18 und 19 in der Reihe der Regimenter paßte wenig zu dem militärischen Prestige, und den Frieden mit Marobod auf Grund des Statusquo konnte die loyalste Rhetorik nicht in einen Erfolg umreden. Anzunehmen, daß Germanicus einem eigentlichen Befehl seiner Regierung zuwider jene weit aussehenden Unternehmungen begonnen hat, verbietet seine ganze politische Stellung; aber den Vorwurf, daß er seine doppelte Stellung als Höchstkommandierender der ersten Armee des Reiches und als künftiger Thronfolger dazu benutzt hat, um seine politisch-militärischen Pläne auf eigene Faust durchzuführen, wird man ihm so wenig ersparen können wie dem Kaiser den nicht minder schweren, zurückgescheut zu sein vielleicht vor dem Fassen, vielleicht auch nur vor dem klaren Aussprechen und dem scharfen Durchführen der eigenen Entschlüsse. Wenn Tiberius die Wiederaufnahme der Offensive wenigstens geschehen ließ, so muß er empfunden haben, wieviel für eine kräftigere Politik sprach; wie es überbedächtige Leute wohl tun, mag er wohl sozusagen dem Schicksal die Entscheidung überlassen haben, bis dann der wiederholte und schwere Mißerfolg des Kronprinzen die Politik der Verzagtheit abermals rechtfertigte. Leicht war es für die Regierung nicht, einer Armee Halt zu gebieten, die von den verlorenen drei Adlern zwei zurückgebracht hatte; aber es geschah. Was immer die sachlichen und die persönlichen Motive gewesen sein mögen, wir stehen hier an einem Wendepunkt der Völkergeschicke. Auch die Geschichte hat ihre Flut und ihre Ebbe; hier tritt nach der Hochflut des römischen Weltregiments die Ebbe ein. Nordwärts von Italien hatte wenige Jahre hindurch die römische Herrschaft bis an die Elbe gereicht; seit der Varusschlacht sind ihre Grenzen der Rhein und die Donau. Ein Märchen, aber ein altes, berichtet, daß dem ersten Eroberer Germaniens, dem Drusus auf seinem letzten Feldzug an der Elbe eine gewaltige Frauengestalt germanischer Art erschienen sei und ihm in seiner Sprache das Wort zugerufen habe »zurück!« Es ist nicht gesprochen worden, aber es hat sich erfüllt.

Indes die Niederlage der augustischen Politik, wie der Friede mit Maroboduus und die Hinnahme der Teutoburger Katastrophe wohl bezeichnet werden darf, war kaum ein Sieg der Germanen. Nach der Varusschlacht muß wohl durch die Gemüter der Besten die Hoffnung gegangen sein, daß der Nation aus dem herrlichen Sieg der Cherusker und ihrer Verbündeten und aus dem Zurückweichen des Feindes im Westen wie im Süden eine gewisse Einigung erwachsen werde. Den sonst sich fremd gegenüberstehenden Sachsen und Sueben mag vielleicht eben in diesen Krisen das Gefühl der Einheit aufgegangen sein. Daß die Sachsen vom Schlachtfelde weg den Kopf des Varus an den Suebenkönig schickten, kann nichts sein als der wilde Ausdruck des Gedankens, daß für alle Germanen die Stunde gekommen sei, in gemeinschaftlichem Ansturm sich auf das römische Reich zu stürzen und des Landes Grenze und des Landes Freiheit so zu sichern, wie sie allein gesichert werden können, durch Niederschlagen des Erbfeindes in seinem eigenen Heim. Aber der gebildete Mann und staatskluge König nahm die Gabe der Insurgenten nur an, um den Kopf dem Kaiser Augustus zur Beisetzung zu senden; er tat nichts für, aber auch nichts gegen die Römer und beharrte unerschütterlich in seiner Neutralität. Unmittelbar nach dem Tode des Augustus hatte man in Rom den Einbruch der Markomannen in Rätien gefürchtet, aber, wie es scheint, ohne Ursache, und als dann Germanicus die Offensive gegen die Germanen vom Rhein aus wieder aufnahm, hatte der mächtige Markomannenkönig untätig zugesehen. Diese Politik der Feinheit oder der Feigheit in der wild bewegten, von patriotischen Erfolgen und Hoffnungen trunkenen germanischen Welt grub sich ihr eigenes Grab. Die entfernteren nur lose mit dem Reich verknüpften Suebenstämme, die Semnonen, Langobarden und Gothonen, sagten dem König ab und machten gemeinschaftliche Sache mit den sächsischen Patrioten; es ist nicht unwahrscheinlich, daß die ansehnlichen Streitkräfte, über welche Arminius und Inguiomerus in den Kämpfen gegen Germanicus offenbar geboten, ihnen großenteils von daher zugeströmt sind. Als bald darauf der römische Angriff plötzlich abgebrochen ward, wendeten sich die Patrioten (J. 17) zum Angriff gegen Maroboduus, vielleicht zum Angriff auf das Königtum überhaupt, wenigstens wie dieser es nach römischem Muster verwaltete. Aber auch unter ihnen selbst waren Spaltungen eingetreten; die beiden nahverwandten cheruskischen Fürsten, die in den letzten Kämpfen die Patrioten wenn nicht siegreich, doch tapfer und ehrenvoll geführt und bisher stets Schulter an Schulter gefochten hatten, standen in diesem Krieg nicht mehr zusammen. Der Oheim Inguiomerus ertrug es nicht noch länger neben dem Neffen der zweite zu sein und trat bei dem Ausbruch des Krieges auf Maroboduus Seite. So kam es zur Entscheidungsschlacht zwischen Germanen und Germanen, ja zwischen denselben Stämmen; denn in beiden Armeen fochten sowohl Sueben wie Cherusker. Lange schwankte der Kampf; beide Heere hatten von der römischen Taktik gelernt, und auf beiden Seiten war die Leidenschaft und die Erbitterung gleich. Einen eigentlichen Sieg erfocht Arminius nicht, aber der Gegner überließ ihm das Schlachtfeld, und da Maroboduus den kürzeren gezogen zu haben schien, verließen ihn, die bisher noch zu ihm gehalten hatten, und er fand sich auf sein eigenes Reich beschränkt. Als er römische Hilfe gegen die übermächtigen Landsleute erbat, erinnerte ihn Tiberius an sein Verhalten nach der Varusschlacht und erwiderte, daß jetzt die Römer ebenfalls neutral bleiben würden. Es ging nun schleunig mit ihm zu Ende. Schon im folgenden Jahr (18) wurde er von einem Gothonenfürsten Catualda, den er früher persönlich beleidigt hatte und der dann mit den übrigen außerböhmischen Sueben von ihm abgefallen war, in seinem Königssitz selbst überfallen und rettete, von den Seinigen verlassen, mit Not sich zu den Römern, die ihm die erbetene Freistatt gewährten – als römischer Pensionär ist er viele Jahre später in Ravenna gestorben.

Also waren Arminius‘ Gegner wie seine Nebenbuhler flüchtig geworden und die germanische Nation sah auf keinen andern als auf ihn. Aber diese Größe war seine Gefahr und sein Verderben. Seine eigenen Landsleute, vor allem sein eigenes Geschlecht schuldigte ihn an, den Weg Marobods zu gehen und nicht bloß der Erste, sondern auch der Herr und der König der Germanen sein zu wollen – ob mit Grund oder nicht und ob, wenn er dies wollte, er damit nicht vielleicht das Rechte wollte, wer vermag es zu sagen? Es kam zum Bürgerkrieg zwischen ihm und diesen Vertreten der Volksfreiheit; zwei Jahre nach Maroboduus Verbannung fiel auch er, gleich Cäsar, durch den Mordstahl ihm nahestehender republikanisch gesinnter Adliger. Seine Gattin Thusnelda und sein in der Gefangenschaft geborener Sohn Thumelicus, den er nie mit Augen gesehen hat, zogen bei dem Triumph des Germanicus (26. Mai 17) unter den anderen vornehmen Germanen gefesselt mit auf das Kapitol; der alte Segestes ward für seine Treue gegen die Römer mit einem Ehrenplatz bedacht, von wo aus er dem Einzug seiner Tochter und seines Enkels zuschauen durfte. Sie alle sind im Römerreich gestorben; mit Maroboduus fanden auch Gattin und Sohn seines Gegners im Exil von Ravenna sich zusammen. Wenn Tiberius bei Abberufung des Germanicus bemerkte, daß es gegen die Deutschen der Kriegführung nicht bedürfe und daß sie das für Rom Erforderliche schon weiter selber besorgen würden, so kannte er seine Gegner; darin allerdings hat die Geschichte ihm Recht gegeben. Aber dem hochsinnigen Mann, der sechsundzwanzigjährig seine sächsische Heimat von der italischen Fremdherrschaft erlöst hatte, der dann in siebenjährigem Kampfe für die wiedergewonnene Freiheit Feldherr wie Soldat gewesen war, der nicht bloß Leib und Leben, sondern auch Weib und Kind für seine Nation eingesetzt hatte, um dann siebenunddreißigjährig von Mörderhand zu fallen, diesem Mann gab sein Volk, was es zu geben vermochte, ein ewiges Gedächtnis im Heldenlied.

Kapitel II


Spanien

Kapitel II

Die Zufälligkeiten der äußeren Politik bewirkten es, daß die Römer früher als in irgendeinem anderen Teil des überseeischen Kontinents sich auf der pyrenäischen Halbinsel festsetzten und hier ein zwiefaches ständiges Kommando einrichteten. Auch hatte die Republik hier nicht, wie in Gallien und in Illyricum, sich darauf beschränkt, die Küsten des italischen Meeres zu unterwerfen, vielmehr gleich von Anfang an nach dem Vorgang der Barkiden die Eroberung der ganzen Halbinsel in das Auge gefaßt. Mit den Lusitanern (in Portugal und Estremadura) hatten die Römer gestritten, seit sie sich Herren von Spanien nannten; die »entferntere Provinz« war recht eigentlich gegen diese, und zugleich mit der näheren eingerichtet worden; die Calläker (Galicia) wurden ein Jahrhundert vor der aktischen Schlacht den Römern botmäßig; kurz vor derselben hatte in seinem ersten Feldzug der spätere Diktator Cäsar die römischen Waffen bis nach Brigantium (Coruña) getragen und die Zugehörigkeit dieser Landschaft zu der entfernteren Provinz aufs neue befestigt. Es haben dann in den Jahren zwischen Cäsars Tod bis auf Augustus‘ Einherrschaft die Waffen in Nordspanien niemals geruht: nicht weniger als sechs Statthalter haben in dieser kurzen Zeit dort den Triumph gewonnen und vielleicht erfolgte die Unterwerfung des südlichen Abhangs der Pyrenäen vorzugsweise in diese Epoche. Die Kriege mit den stammverwandten Aquitanern an der Nordseite des Gebirges, die in die gleiche Epoche fallen und von denen der letzte im Jahre 727 (27 v. Chr.) siegreich zu Ende ging, werden damit in Zusammenhang stehen. Bei der Reorganisation der Verwaltung im J. 727 (27 v. Chr.) kam die Halbinsel an Augustus, weil dort ausgedehnte militärische Operationen in Aussicht genommen waren und sie einer dauernden Besatzung bedurfte. Obgleich das südliche Drittel der entfernteren Provinz, seitdem benannt vom Bätisfluß (Guadalquivir), dem Regiment des Senats bald zurückgegeben wurde, blieb doch der bei weitem größere Teil der Halbinsel stets in kaiserlicher Verwaltung, sowohl der größere Teil der entfernteren Provinz, Lusitanien und Calläcien, wie die ganze große nähere. Unmittelbar nach Einrichtung der neuen Oberleitung begab sich Augustus persönlich nach Spanien, um in zweijährigem Aufenthalt (728, 729 [26, 25 v. Chr.]) die neue Verwaltung zu ordnen und die Okkupation der noch nicht botmäßigen Landesteile zu leiten. Er tat dies von Tarraco aus, und es wurde damals überhaupt der Sitz der Regierung der näheren Provinz von Neukarthago nach Tarraco verlegt, von welcher Stadt diese Provinz auch seitdem gewöhnlich genannt wird. Wenn es einerseits notwendig erschien, den Sitz der Verwaltung nicht von der Küste zu entfernen, so beherrschte andererseits die neue Hauptstadt das Ebrogebiet und die Kommunikationen mit dem Nordwesten und den Pyrenäen. Gegen die Asturer (in den Provinzen Asturien und Leon) und vor allem die Cantabrer (im Baskenland und der Provinz Santander), welche sich hartnäckig in ihren Bergen behaupteten und die benachbarten Gaue überliefen, zog sich mit Unterbrechungen, die die Römer Siege nannten, der schwere und verlustvolle Krieg acht Jahre hin, bis es endlich Agrippa gelang, durch Zerstörung der Bergstädte und Verpflanzung der Bewohner in die Täler den offenen Widerstand zu brechen.

Wenn, wie Kaiser Augustus sagt, daß seit seiner Zeit die Küste des Ozeans von Cadiz bis zur Elbmündung den Römern gehorchte, so war in diesem Winkel derselben der Gehorsam recht unfreiwillig und von geringem Verlaß. Zu einer eigentlichen Befriedung scheint es im nordwestlichen Spanien noch lange nicht gekommen zu sein. Noch in Neros Zeit ist von Kriegszügen gegen die Asturer die Rede. Deutlicher noch spricht die Besetzung des Landes, wie Augustus sie angeordnet hat. Calläcien wurde von Lusitanien getrennt und mit der tarraconensischen Provinz vereinigt, um den Oberbefehl in Nordspanien in einer Hand zu konzentrieren. Diese Provinz ist nicht bloß damals die einzige gewesen, welche, ohne an Feindesland zu grenzen, ein legionäres Militärkommando erhalten hat, sondern es wurden von Augustus nicht weniger als drei Legionen dorthin gelegt, zwei nach Asturien, eine nach Cantabrien, und trotz der militärischen Bedrängnis in Germanien und in Illyricum ward diese Besatzung nicht vermindert. Das Hauptquartier ward zwischen der alten Metropole Asturiens Lancia und der neuen Asturica Augusta (Astorga) eingerichtet, in dem noch heute von ihm den Namen führenden Leon. Mit dieser starken Besetzung des Nordwestens hängen wahrscheinlich die daselbst in der früheren Kaiserzeit in bedeutendem Umfange vorgenommenen Straßenanlagen zusammen, obwohl wir, da die Dislokation dieser Truppen in der augustischen Zeit uns unbekannt ist, den Zusammenhang im einzelnen nicht nachzuweisen vermögen. So ist von Augustus und Tiberius für die Hauptstadt Calläciens Bracara (Braga) eine Verbindung mit Asturica, das heißt mit dem großen Hauptquartier, nicht minder mit den nördlich, nordöstlich und südlich benachbarten Städten hergestellt worden. Ähnliche Anlagen machte Tiberius im Gebiet der Vasconen und in Cantabrien. Allmählich konnte die Besatzung verringert, unter Claudius eine Legion, unter Nero eine zweite anderswo verwendet werden. Doch wurden diese nur als abkommandiert angesehen, und noch zu Anfang der Regierung Vespasians hatte die spanische Besatzung wieder ihre frühere Stärke; eigentlich reduziert haben sie erst die Flavier, Vespasian auf zwei, Domitian auf eine Legion. Von da an bis in die diocletianische Zeit hat eine einzige Legion, die 7. Gemina und eine gewisse Zahl von Hilfskontingenten in Leon garnisoniert.

Keine Provinz ist unter dem Prinzipat weniger von den äußeren als von den inneren Kriegen berührt worden als dieses Land des fernen Westens. Wenn in dieser Epoche die Truppenkommandos gleichsam die Stelle der rivalisierenden Parteien übernahmen, so hat das spanische Heer auch dabei durchaus eine Nebenrolle gespielt; nur als Helfer seines Kollegen trat Galba in den Bürgerkrieg ein und der bloße Zufall trug ihn an die erste Stelle. Die vergleichungsweise auch nach der Reduktion noch auffallend starke Besatzung des Nordwestens der Halbinsel läßt darauf schließen, daß diese Gegend noch im zweiten und dritten Jahrhundert nicht vollständig botmäßig gewesen ist; indes vermögen wir über die Verwendung der spanischen Legion innerhalb der Provinz, die sie besetzt hielt, nichts Bestimmtes anzugeben. Der Krieg gegen die Cantabrer ist mit Hilfe von Kriegsschiffen geführt worden; nachher haben die Römer keine Veranlassung gehabt, hier eine dauernde Flottenstation einzurichten. – Erst in der nachdiocletianischen Zeit finden wir die Pyrenäische Halbinsel wie die italische und die griechisch-makedonische ohne ständige Besatzung.

Daß die Provinz Bätica wenigstens seit dem Anfang des 2. Jahrhunderts von der gegenüberliegenden Küste aus durch die Mauren – die Piraten des Rîf – vielfach heimgesucht wurde, wird in der Darstellung der afrikanischen Verhältnisse näher auszuführen sein. Vermutlich ist es daraus zu erklären, daß, obwohl sonst in den Provinzen des Senats kaiserliche Truppen nicht zu stehen pflegen, ausnahmsweise Italica (bei Sevilla) mit einer Abteilung der Legion von Leon belegt war. Hauptsächlich aber lag es dem in der Provinz von Tingi (Tanger) stationierten Kommando ob, das reiche südliche Spanien vor diesen Einfällen zu schützen. Dennoch ist es vorgekommen, daß Städte wie Italica und Singili (unweit Antequera) von den Piraten belagert wurden.

Wenn dem weltgeschichtlichen Werke der Kaiserzeit, der Romanisierung des Okzidents, von der Republik irgendwo vorgearbeitet war, so war dies in Spanien geschehen. Was das Schwert begonnen, führte der friedliche Verkehr weiter: das römische Silbergeld hat in Spanien geherrscht lange, bevor es sonst außerhalb Italiens gangbar ward, und die Bergwerke, der Wein- und Ölbau, die Handelsbeziehungen bewirkten an der Küste, namentlich im Südwesten ein stetiges Einströmen italischer Elemente. Neukarthago, die Schöpfung der Barkiden und von seiner Entstehung an bis in die augustische Zeit die Hauptstadt der diesseitigen Provinz und der erste Handelsplatz Spaniens, umschloß schon im siebenten Jahrhundert eine zahlreiche römische Bevölkerung; Carteia, gegenüber dem heutigen Gibraltar, ein Menschenalter vor der Gracchenzeit gegründet, ist die erste überseeische Stadtgemeinde mit einer Bevölkerung römischen Ursprungs; die altberühmte Schwesterstadt Karthagos, Gades, das heutige Cadiz, die erste fremdländische Stadt außerhalb Italiens, welche römisches Recht und römische Sprache annahm. Hatte also an dem größten Teil der Küste des Mittelländischen Meeres die alteinheimische wie die phönikische Zivilisation bereits unter der Republik in die Art und Weise des herrschenden Volkes eingelenkt, so wurde in der Kaiserzeit in keiner Provinz die Romanisierung so energisch von oben herab gefördert wie in Spanien. Vor allem die südliche Hälfte der Bätica zwischen dem Bätis und dem Mittelmeer hat zum Teil schon unter der Republik oder durch Cäsar, zum Teil in den J. 739 (15 v. Chr.) und 740 (14 v. Chr.) durch Augustus eine stattliche von römischen Vollbürgergemeinden erhalten, die hier nicht etwa vorzugsweise die Küste, sondern vor allem das Binnenland füllen, voran Hispalis (Sevilla) und Corduba (Cordova) mit Kolonialrecht, mit Munizipalrecht Italica (bei Sevilla) und Gades (Cadiz). Auch im südlichen Lusitanien begegnet eine Reihe gleichberechtigter Städte, namentlich Olisipo (Lissabon), Pax Julia (Beja) und die von Augustus während seines Aufenthalts in Spanien gegründete und zur Hauptstadt dieser Provinz gemachte Veteranenkolonie Emerita (Merida). In der Tarraconensis finden sich die Bürgerstädte überwiegend an der Küste, Carthago nova, Ilici (Elche), Valentia, Dertosa (Tortosa), Tarraco, Barcino (Barcelona); im Binnenland tritt nur hervor die Kolonie im Ebrotal Cäsaraugusta (Saragossa). Vollbürgergemeinden zählte man in ganz Spanien unter Augustus fünfzig; gegen fünfzig andere hatten bis dahin latinisches Recht empfangen und standen hinsichtlich der inneren Ordnung den Bürgergemeinden gleich. Bei den übrigen hat dann Kaiser Vespasianus bei Gelegenheit der von ihm im J. 74 veranstalteten allgemeinen Reichsschätzung die latinische Gemeindeordnung ebenfalls eingeführt. Die Verleihung des Bürgerrechts ist weder damals noch überhaupt in der besseren Kaiserzeit viel weiter ausgedehnt worden, als sie in augustischer Zeit gediehen war, wobei wahrscheinlich hauptsächlich die Rücksicht auf das den Reichsbürgern gegenüber beschränkte Aushebungsrecht maßgebend gewesen ist.

Die einheimische Bevölkerung Spaniens, welche also teils mit italischen Ansiedlern vermischt, teils zu italischer Sitte und Sprache hingeleitet ward, tritt in der Geschichte der Kaiserzeit nirgends deutlich erkennbar hervor. Wahrscheinlich hat derjenige Stamm, dessen Reste und dessen Sprache sich bis auf den heutigen Tag in den Bergen Bizcayas, Guipuzcoas und Navarras behaupten, einstmals die ganze Halbinsel in ähnlicher Weise erfüllt, wie die Berber das nordafrikanische Land. Ihr Idiom, von den indogermanischen grundverschieden und flexionslos wie das der Finnen und Mongolen, beweist ihre ursprüngliche Selbständigkeit, und ihre wichtigsten Denkmäler, die Münzen, umfassen in dem ersten Jahrhundert der Herrschaft der Römer in Spanien die Halbinsel mit Ausnahme der Südküste von Cadiz bis Granada, wo damals die phönikische Sprache herrschte, und des Gebietes nördlich von der Mündung des Tajo und westlich von den Ebroquellen, welches damals wahrscheinlich großenteils faktisch unabhängig und gewiß durchaus unzivilisiert war; in diesem iberischen Gebiet unterscheidet sich wohl die südspanische Schrift deutlich von der der Nordprovinz, aber nicht minder deutlich sind beide Äste eines Stammes. Die phönikische Einwanderung hat sich hier auf noch engere Grenzen beschränkt als in Afrika und die keltische Mischung die allgemeine Gleichförmigkeit der nationalen Entwicklung nicht in einer für uns erkennbaren Weise modifiziert. Aber die Konflikte der Römer mit den Iberern gehören überwiegend der republikanischen Epoche an und sind früher dargestellt worden. Nach den bereits erwähnten letzten Waffengängen unter der ersten Dynastie verschwinden die Iberer völlig aus unseren Augen. Auch auf die Frage, wieweit sie in der Kaiserzeit sich romanisiert haben, gibt die uns gebliebene Kunde keine befriedigende Antwort. Daß sie im Verkehr mit den fremden Herren von jeher veranlaßt sein werden, sich der römischen Sprache zu bedienen, bedarf des Beweises nicht; aber auch aus dem öffentlichen Gebrauch innerhalb der Gemeinden schwindet unter dem Einfluß Roms die nationale Sprache und die nationale Schrift. Schon im letzten Jahrhundert der Republik ist die anfänglich in weitem Umfange gestattete einheimische Prägung in der Hauptsache beseitigt worden; aus der Kaiserzeit gibt es keine spanische Stadtmünze mit anderer als lateinischer Aufschrift. Wie die römische Tracht war die römische Sprache auch bei denjenigen Spaniern, die des italischen Bürgerrechts entbehrten, in großem Umfang verbreitet, und die Regierung begünstigte die faktische Romanisierung des Landes. Als Augustus starb, überwog römische Sprache und Sitte in Andalusien, Granada, Murcia, Valencia, Catalonien, Arragonien, und ein guter Teil davon kommt auf Rechnung nicht der Kolonisierung, sondern der Romanisierung. Durch die vorher erwähnte Anordnung Vespasians ward die einheimische Sprache von Rechts wegen auf den Privatverkehr beschränkt. Daß sie in diesem sich behauptet hat, beweist ihr heutiges Dasein; was jetzt auf die Berge sich beschränkt, welche weder die Goten noch die Araber je besetzt haben, wird in der römischen Zeit sicher über einen großen Teil Spaniens, besonders den Nordwesten sich erstreckt haben. Dennoch ist die Romanisierung in Spanien sicher sehr viel früher und stärker eingetreten als in Afrika; Denkmäler mit einheimischer Schrift aus der Kaiserzeit sind in Afrika in ziemlicher Anzahl, in Spanien kaum nachzuweisen, und die Berbersprache beherrscht heute noch halb Nordafrika, die iberische nur die engen Täler der Basken. Es konnte das nicht anders kommen, teils weil in Spanien die römische Zivilisation viel früher und viel kräftiger auftrat als in Afrika, teils weil die Eingeborenen dort nicht wie hier den Rückhalt an den freien Stämmen hatten.

Die einheimische Gemeindeverfassung der Iberer war von der gallischen nicht in einer für uns erkennbaren Weise verschieden. Von Haus aus zerfiel Spanien wie das Keltenland dies- und jenseits der Alpen in Gaubezirke; die Vaccäer und die Cantabrer unterschieden sich schwerlich wesentlich von den Cenomanen der Transpadana und den Remern der Belgica. Daß auf den in der früheren Epoche der Römerherrschaft geschlagenen spanischen Münzen vorwiegend nicht die Städte genannt werden, sondern die Gaue, nicht Tarraco, sondern die Cessetaner, nicht Saguntum, sondern die Arsenser, zeigt deutlicher noch als die Geschichte der damaligen Kriege, daß auch in Spanien einst größere Gauverbände bestanden. Aber die siegenden Römer behandelten diese Verbände nicht überall in gleicher Weise. Die transalpinischen Gaue blieben auch unter römischer Herrschaft politische Gemeinwesen; wie die cisalpinischen sind die spanischen nur geographische Begriffe. Wie der Distrikt der Cenomanen nichts ist als ein Gesamtausdruck für die Territorien von Brixia, Bergomum und so weiter, so bestehen die Asturer aus zweiundzwanzig politisch selbständigen Gemeinden, die allem Anschein nach rechtlich sich nicht mehr angehen als die Städte Brixia und Bergomum. Dieser Gemeinden zählte die tarraconensische Provinz in augustischer Zeit 293, in der Mitte des zweiten Jahrhunderts 275. Es sind also hier die alten Gauverbände aufgelöst worden. Dabei ist schwerlich bestimmend gewesen, daß die Geschlossenheit der Vettonen und der Cantabrer bedenklicher für die Reichseinheit erschien als diejenige der Sequaner und der Treverer; hauptsächlich beruht der Unterschied wohl in der Verschiedenheit der Zeit und der Form der Eroberung. Die Landschaft am Guadalquibir ist anderthalb Jahrhunderte früher römisch geworden als die Ufer der Loire und der Seine; die Zeit, wo das Fundament der spanischen Ordnung gelegt wurde, liegt derjenigen Epoche nicht so gar fern, wo die samnitische Konföderation aufgelöst ward. Hier waltet der Geist der alten Republik, in Gallien die freiere und mildere Anschauung Cäsars. Die kleineren und machtlosen Distrikte, welche nach Auflösung der Verbände die Träger der politischen Einheit wurden, die Kleingaue oder Geschlechter, wandelten sich im Laufe der Zeit hier wie überall in Städte um. Die Anfänge der städtischen Entwicklung, auch außerhalb der zu italischem Recht gelangten Gemeinden, gehen weit in die republikanische, vielleicht in die vorrömische Zeit zurück; später mußte die allgemeine Verleihung des latinischen Rechts durch Vespasian diese Umwandlung allgemein oder so gut wie allgemein machen. Wirklich gab es unter den 293 augustischen Gemeinden der Provinz von Tarraco 114, unter den 275 des zweiten Jahrhunderts nur 27 nicht städtische Gemeinden.

Über die Stellung Spaniens in der Reichsverwaltung ist wenig zu sagen. Bei der Aushebung haben die spanischen Provinzen eine hervorragende Rolle gespielt. Die daselbst garnisonierenden Legionen sind wahrscheinlich seit dem Anfang des Prinzipats vorzugsweise im Lande selbst ausgehoben worden; als späterhin einerseits die Besatzung vermindert ward, andererseits die Aushebung mehr und mehr auf den eigentlichen Garnisonbezirk sich beschränkte, hat die Bätica, auch hierin das Los Italiens teilend, das zweifelhafte Glück genossen, gänzlich vom Wehrdienst ausgeschlossen zu werden. Die auxiliare Aushebung, welcher namentlich die in der städtischen Entwicklung zurückgebliebenen Landschaften unterlagen, ist in Lusitanien, Calläcien, Asturien, nicht minder im ganzen nördlichen und inneren Spanien in großem Maßstab durchgeführt worden; Augustus, dessen Vater sogar seine Leibwache aus Spaniern gebildet hatte, hat abgesehen von der Belgica in keinem der ihm unterstellten Gebiete so umfassend rekrutiert wie in Spanien. – Für die Finanzen des Staates ist dies reiche Land ohne Zweifel eine der sichersten und ergiebigsten Quellen gewesen; Näheres ist darüber nicht überliefert. – Auf die Bedeutung des Verkehrs dieser Provinzen gestattet die Fürsorge der Regierung für das spanische Straßenwesen einigermaßen einen Schluß. Zwischen den Pyrenäen und Tarraco haben sich römische Meilensteine schon aus der letzten republikanischen Zeit gefunden, wie sie keine andere Provinz des Okzidents aufweist. Daß Augustus und Tiberius den Straßenbau in Spanien hauptsächlich aus militärischen Rücksichten förderten, ist schon bemerkt worden; aber die bei Carthago nova von Augustus gebaute Straße kann nur des Verkehrs wegen angelegt sein, und hauptsächlich dem Verkehr diente auch die von ihm benannte und teilweise regulierte, teilweise neu angelegte durchgehende Reichsstraße, welche die italisch-gallische Küstenstraße fortführend und die Pyrenäen bei dem Paß von Puycerda überschreitend von da nach Tarraco ging, dann über Valentia hinaus bis zur Mündung des Jucar ungefähr der Küste folgte, von da aber quer durch das Binnenland das Tal des Bätis aufsuchte, sodann von dem Augustusbogen an, der die Grenze der beiden Provinzen bezeichnete und mit dem eine neue Milienzählung anhob, durch die Provinz Bätica bis an die Mündung des Flusses lief und also Rom mit dem Ozean verband. Dies ist allerdings die einzige Reichsstraße in Spanien. Später hat die Regierung für die Straßen Spaniens nicht viel getan; die Kommunen, welchen dieselben bald wesentlich überlassen wurden, scheinen, soviel wir sehen, abgesehen von dem inneren Hochplateau, überall die Kommunikationen in dem Umfang hergestellt zu haben, wie der Kulturstand der Provinz sie verlangte. Denn gebirgig wie Spanien ist und nicht ohne Steppen und Ödland, gehört es doch zu den ertragreichsten Ländern der Erde, sowohl durch die Fülle der Bodenfrucht wie durch den Reichtum an Wein und Öl und an Metallen. Hinzu trat früh die Industrie, vorzugsweise in Eisenwaren und in wollenen und leinenen Geweben. Bei den Schätzungen unter Augustus hatte keine römische Bürgergemeinde, Patavium ausgenommen, eine solche Anzahl von reichen Leuten aufzuweisen wie das spanische Gades mit seinen durch die ganze Welt verbreiteten Großhändlern; und dem entsprach die raffinierte Üppigkeit der Sitten, die dort heimischen Kastagnettenschlägerinnen und die den eleganten Römern gleich den alexandrinischen geläufigen gaditanischen Lieder. Die Nähe Italiens und der bequeme und billige Seeverkehr gaben für diese Epoche besonders der spanischen Süd- und Ostküste die Gelegenheit, ihre reichen Produkte auf den ersten Markt der Welt zu bringen, und wahrscheinlich hat Rom mit keinem Lande der Welt einen so umfassenden und stetigen Großhandel betrieben wie mit Spanien.

Daß die römische Zivilisation Spanien früher und stärker durchdrungen hat als irgend eine andere Provinz, bestätigt sich nach verschiedenen Seiten, insbesondere in dem Religionswesen und in der Literatur.

Zwar in dem noch später iberischen von Einwanderung ziemlich freigebliebenen Gebiet, in Lusitanien, Calläcien, Asturien, haben die einheimischen Götter mit ihren seltsamen meist auf -icus und -ecus ausgehenden Namen, der Endovellicus, der Eäcus, Vagodonnägus, und wie sie weiter heißen, auch unter dem Prinzipat noch sich in den alten Stätten behauptet. Aber in der ganzen Bätica ist nicht ein einziger Votivstein gefunden worden, der nicht ebensogut auch in Italien hätte gesetzt sein können; und von der eigentlichen Tarraconensis gilt dasselbe, nur daß von dem keltischen Götterwesen am oberen Duero vereinzelte Spuren begegnen. Eine gleich energische sakrale Romanisierung weist keine andere Provinz auf. Die lateinischen Poeten in Corduba nennt Cicero nur, um sie zu tadeln; und das augustische Zeitalter der Literatur ist auch noch wesentlich das Werk der Italiener, wenngleich einzelne Provinzialen daran mithalfen und unter anderen der gelehrte Bibliothekar des Kaisers, der Philolog Hyginus, als Unfreier in Spanien geboren war. Aber von da an übernahmen die Spanier darin fast die Rolle wenn nicht des Führers, so doch des Schulmeisters. Die Cordubenser Marcus Porcius Latro, der Lehrer und das Muster Ovids, und sein Landsmann und Jugendfreund Annäus Seneca, beide nur etwa ein Dezennium jünger als Horaz, aber längere Zeit in ihrer Vaterstadt als Lehrer der Beredsamkeit tätig, bevor sie ihre Lehrtätigkeit nach Rom verlegten, sind recht eigentlich die Vertreter der die republikanische Redefreiheit und Redefrechheit ablösenden Schulrhetorik. Als der erstere einmal in einem wirklichen Prozeß aufzutreten nicht umhin konnte, blieb er mit seinem Vortrag stecken und kam erst wieder in Fluß, als das Gericht dem berühmten Mann zu Gefallen vom Tribunal weg in den Schulsaal verlegt ward. Auch Senecas Sohn, der Minister Neros und der Modephilosoph der Epoche, und sein Enkel, der Poet der Gesinnungsopposition gegen den Prinzipat, Lucanus haben eine literarisch ebenso zweifelhafte wie geschichtlich unbestreitbare Bedeutung, die doch auch in gewissem Sinn Spanien zugerechnet werden darf. Ebenfalls in der frühen Kaiserzeit haben zwei andere Provinzialen aus der Bätica, Mela unter Claudius, Columella unter Nero, jener durch seine kurze Erdbeschreibung, dieser durch eine eingehende, zum Teil auch poetische Darstellung des Ackerbaues einen Platz unter den anerkannten stilisierenden Lehrschriftstellern gewonnen. Wenn in der domitianischen Zeit der Poet Canius Rufus aus Gades, der Philosoph Decianus aus Emerita und der Redner Valerius Licinianus aus Bilbilis (Calatayud unweit Saragossa) als literarische Größen neben Vergil und Catull und neben den drei cordubensischen Sternen gefeiert werden, so geschieht dies allerdings ebenfalls von einem Bilbilitaner Valerius Martialis, welcher selbst an Feinheit und Mache, freilich aber auch an Feilheit und Leere unter den Dichtern dieser Epoche keinem weicht, und man wird mit Recht dabei die Landsmannschaft in Anrechnung bringen; doch zeigt schon die bloße Möglichkeit einen solchen Dichterstrauß zu binden die Bedeutung des spanischen Elements in der damaligen Literatur. Aber die Perle der spanisch-lateinischen Schriftstellerei ist Marcus Fabius Quintilianus (35–95) aus Calagurris am Ebro. Schon sein Vater hatte als Lehrer der Beredsamkeit in Rom gewirkt; er selbst wurde durch Galba nach Rom gezogen und nahm namentlich unter Domitian als Erzieher der kaiserlichen Neffen eine angesehene Stellung ein. Sein Lehrbuch der Rhetorik und bis zu einem Grade der römischen Literaturgeschichte ist eine der vorzüglichsten Schriften, die wir aus dem römischen Altertum besitzen, von seinem Geschmack und sicherem Urteil getragen, einfach in der Empfindung wie in der Darstellung, lehrhaft ohne Langweiligkeit, anmutig ohne Bemühung, in scharfem und bewußtem Gegensatz zu der phrasenreichen und gedankenleeren Modeliteratur. Nicht am wenigsten ist es sein Werk, daß die Richtung sich, wenn nicht besserte, so doch änderte. Späterhin tritt in der allgemeinen Nichtigkeit der Einfluß der Spanier nicht weiter hervor. Was bei ihrer lateinischen Schriftstellerei geschichtlich besonders ins Gewicht fällt, ist das vollständige Anschmiegen dieser Provinzialen an die literarische Entwickelung des Mutterlandes. Cicero freilich spottet über das Ungeschick und die Provinzialismen der spanischen Dichtungsbeflissenen; und noch Latros Latein fand nicht den Beifall des römisch geborenen ebenso vornehmen wie korrekten Messala Corvinus. Aber nach der augustischen Zeit wird nichts Ähnliches wieder vernommen. Die gallischen Rhetoren, die großen afrikanischen Kirchenschriftsteller sind auch als lateinische Schriftsteller einigermaßen Ausländer geblieben; die Seneca und Martialis würde an ihrem Wesen und Schreiben niemand als solche erkennen; an inniger Liebe zu der eigenen Literatur und an seinem Verständnis derselben hat nie ein Italiener es dem calagurritanischen Sprachlehrer zuvorgetan.

Kapitel III


Die gallischen Provinzen

Kapitel III

Wie Spanien, war auch das südliche Gallien bereits in republikanischer Zeit ein Teil des römischen Reiches geworden, jedoch weder so früh noch so vollständig wie jenes. Die beiden spanischen Provinzen sind in der hannibalischen, die Provinz Narbo in der gracchischen Zeit eingerichtet worden; und wenn dort Rom die ganze Halbinsel an sich nahm, so begnügte es sich hier nicht bloß bis in die letzte Zeit der Republik mit dem Besitz der Küste, sondern es nahm auch von dieser unmittelbar nur die kleinere und die entferntere Hälfte. Nicht mit Unrecht bezeichnete die Republik diesen ihren Besitz als das Stadtgebiet Narbo (Narbonne); der größere Teil der Küste, etwa von Montpellier bis Nizza, gehörte der Stadt Massalia. Diese Griechengemeinde war mehr ein Staat als eine Stadt, und das von alters her bestehende gleiche Bündnis mit Rom erhielt durch ihre Machtstellung eine reale Bedeutung, wie sie bei keiner zweiten Bundesstadt je vorgekommen ist. Freilich waren nichtsdestoweniger die Römer für diese benachbarten Griechen mehr noch als für die entfernteren des Ostens der Schild wie das Schwert. Die Massalioten hatten wohl das untere Rhonegebiet bis nach Avignon hinauf in ihrem Besitz; aber die ligurischen und die keltischen Gaue des Binnenlandes waren ihnen keineswegs botmäßig, und das römische Standlager bei Aquae Sextiae (Aix) einen Tagemarsch nordwärts von Massalia ist recht eigentlich zum dauernden Schutz der reichen griechischen Kaufstadt eingerichtet worden. Es war eine der schwerwiegendsten Konsequenzen des römischen Bürgerkrieges, daß mit der legitimen Republik zugleich ihre treueste Verbündete, die Stadt Massalia, politisch vernichtet, aus einem mitherrschenden Staat umgewandelt ward in eine auch ferner reichsfreie und griechische, aber ihre Selbständigkeit und ihren Hellenismus in den bescheidenen Verhältnissen einer provinzialen Mittelstadt bewahrende Gemeinde. In politischer Hinsicht ist nach der Einnahme im Bürgerkrieg nicht weiter von Massalia die Rede; die Stadt ist fortan nur für Gallien, was Neapolis für Italien, das Zentrum griechischer Bildung und griechischer Lehre. Insofern, als der größere Teil der späteren Provinz Narbo erst damals unter unmittelbare römische Verwaltung trat, gehört auch deren Einrichtung gewissermaßen erst dieser Epoche an.

Wie das übrige Gallien in römische Gewalt kam, ist auch bereits erzählt worden. Vor Cäsars gallischem Krieg erstreckte die Römerherrschaft sich ungefähr bis nach Toulouse, Vienne und Genf, nach demselben bis an den Rhein in seinem ganzen Lauf und an die Küsten des Atlantischen Meeres im Norden wie im Westen. Allerdings war diese Unterwerfung wahrscheinlich nicht vollständig, im Nordwesten vielleicht nicht viel weniger oberflächlich gewesen als diejenige Britanniens. Indes erfahren wir von Ergänzungskriegen hauptsächlich nur hinsichtlich der Distrikte iberischer Nationalität. Den Iberern gehörte nicht bloß der südliche, sondern auch der nördliche Abhang der Pyrenäen mit deren Vorland, Bearn, die Gascogne, das westliche Languedoc; und es ist schon erwähnt worden, daß, als das nordwestliche Spanien mit den Römern die letzten Kämpfe bestand, auch auf der nördlichen Seite der Pyrenäen, und ohne Zweifel in Zusammenhang damit, ernsthaft gestritten wurde, zuerst von Agrippa im J. 716 (38 v. Chr.), dann von Marcus Valerius Messalla, dem bekannten Patron der römischen Poeten, welcher im J. 726 oder 727 (28 oder 27 v. Chr.), also ungefähr gleichzeitig mit dem cantabrischen Krieg, in dem altrömischen Gebiet unweit Narbonne die Aquitaner in offener Feldschlacht überwand. In betreff der Kelten wird nichts weiter gemeldet, als daß kurz vor der actischen Schlacht die Moriner in der Picardie niedergeworfen wurden; und wenn auch während des zwanzigjährigen fast ununterbrochenen Bürgerkrieges unsere Berichterstatter die verhältnismäßig unbedeutenden gallischen Angelegenheiten aus den Augen verloren haben mögen, so beweist doch das Schweigen des hier vollständigen Verzeichnisses der Triumphe, daß keine weiteren militärischen Unternehmungen von Bedeutung im Keltenland während dieser Zeit stattgefunden haben. Auch nachher während der langen Regierung des Augustus und bei allen zum Teil recht bedenklichen Krisen der germanischen Kriege sind die gallischen Landschaften botmäßig geblieben. Freilich hat die römische Regierung sowohl wie die germanische Patriotenpartei, wie wir gesehen haben, beständig in Rechnung gezogen, daß ein entscheidender Erfolg der Deutschen und deren Einrücken in Gallien eine Erhebung der Gallier gegen Rom im Gefolge haben werde; sicher also kann die Fremdherrschaft damals noch keineswegs gestanden haben. Zu einer wirklichen Insurrektion kam es im J. 21 unter Tiberius. Es bildete sich unter dem keltischen Adel eine weitverzweigte Verschwörung zum Sturz des römischen Regiments. Sie kam vorzeitig zum Ausbruch in den wenig bedeutenden Gauen der Turoner und der Andecaven an der unteren Loire, und es wurde sogleich nicht bloß die kleine Lyoner Besatzung, sondern auch ein Teil der Rheinarmee gegen die Aufständischen in Marsch gesetzt. Dennoch schlossen die angesehensten Distrikte sich an; die Treverer unter Führung des Julius Florus warfen sich haufenweise in die Ardennen; in der unmittelbaren Nachbarschaft von Lyon erhoben sich unter Führung des Julius Sacrovir die Häduer und die Sequaner. Freilich wurden die geschlossenen Legionen ohne große Mühe der Rebellen Herr; allein der Aufstand, an dem die Germanen sich in keiner Weise beteiligten, zeigt doch den im Lande und namentlich bei dem Adel damals noch herrschenden Haß gegen die fremden Gebieter, welcher durch den Steuerdruck und die Finanznot, die als die Ursachen der Insurrektion bezeichnet werden, gewiß verstärkt, aber nicht erst erzeugt war. Eine größere Leistung der römischen Staatskunst, als daß sie Galliens Herr zu werden vermocht hat, ist es, daß sie verstanden hat, es zu bleiben, und daß Vercingetorix keinen Nachfolger gefunden hat, obwohl es, wie man sieht, nicht ganz an Männern fehlte, die gern den gleichen Weg gewandelt wären. Erreicht ward dies durch kluge Verbindung des Schreckens und des Gewinnens, man kann hinzusetzen des Teilens. Die Stärke und die Nähe der Rheinarmee ist ohne Frage das erste und das wirksamste Mittel gewesen, um die Gallier in der Furcht des Herrn zu erhalten. Wenn dieselbe durch das ganze Jahrhundert hindurch auf der gleichen Höhe geblieben ist, wie dies in dem folgenden Abschnitt dargelegt werden wird, so ist dies wahrscheinlich eben so sehr der eigenen Untertanen wegen geschehen, als wegen der späterhin keineswegs besonders furchtbaren Nachbarn. Daß schon die zeitweilige Entfernung dieser Truppen die Fortdauer der römischen Herrschaft in Frage stellte, nicht weil die Germanen dann den Rhein überschreiten, sondern weil die Gallier den Römern die Treue aufsagen konnten, lehrt die Erhebung nach Neros Tod trotz ihrer Haltlosigkeit: nachdem die Truppen nach Italien abgezogen waren, um ihren Feldherrn zum Kaiser zu machen, wurde in Trier das selbständige gallische Reich proklamiert und die übriggebliebenen römischen Soldaten auf dieses in Eid und Pflicht genommen. Aber wenn auch diese Fremdherrschaft, wie jede, auf der übermächtigen Gewalt, der Überlegenheit der geschlossenen und geschulten Truppe über die Menge zunächst und hauptsächlich beruhte, so beruhte sie doch darauf keineswegs ausschließlich. Die Kunst des Teilens ist auch hier erfolgreich angewandt worden. Gallien gehörte nicht den Kelten allein; nicht bloß die Iberer waren im Süden stark vertreten, sondern auch germanische Stämme am Rhein in beträchtlicher Zahl angesiedelt und durch ihre hervorragende kriegerische Tüchtigkeit mehr noch als durch ihre Zahl von Bedeutung. In geschickter Weise wußte die Regierung den Gegensatz zwischen den Kelten und den linksrheinischen Germanen zu nähren und auszunutzen. Aber mächtiger wirkte die Politik der Verschmelzung und der Versöhnung. Welche Maßregeln zu diesem Zwecke ergriffen wurden, wird weiterhin auseinandergesetzt werden; indem die Gauverfassung geschont und selbst eine Art nationaler Vertretung bewilligt, gegen das nationale Priestertum auch, aber allmählich vorgegangen ward, dagegen die lateinische Sprache von Anfang an obligatorisch und mit jener nationalen Vertretung die neue Kaiserreligion verschmolzen wurde, überhaupt indem die Romanisierung nicht in schroffer Weise angefaßt, aber vorsichtig und geduldig gefördert ward, hörte die römische Fremdherrschaft in dem Keltenland auf dies zu sein, da die Kelten selber Römer wurden und sein wollten. Wie weit die Arbeit bereits nach Ablauf des ersten Jahrhunderts der Römerherrschaft in Gallien gediehen war, zeigen die ebenerwähnten Vorgänge nach Neros Tod, die in ihrem Gesamtverlauf teils der Geschichte des römischen Gemeinwesens, teils den Beziehungen desselben zu den Germanen angehören, aber auch in diesem Zusammenhang wenigstens andeutungsweise erwähnt werden müssen. Der Sturz der julisch-claudischen Dynastie ging von einem keltischen Adligen aus und begann mit einer keltischen Insurrektion; aber es war dies keine Auflehnung gegen die Fremdherrschaft wie die des Vercingetorix oder noch des Sacrovir, ihr Ziel nicht die Beseitigung, sondern die Umgestaltung des römischen Regiments; daß ihr Führer seine Abstammung von einem Bastard Cäsars zu den Adelsbriefen seines Geschlechts zählte, drückt den halb nationalen, halb römischen Charakter dieser Bewegung deutlich aus. Einige Monate später proklamierten allerdings, nachdem die abgefallenen römischen Truppen germanischer Herkunft und die freien Germanen für den Augenblick die römische Rheinarmee überwältigt hatten, einige keltische Stämme die Unabhängigkeit ihrer Nation, aber dieser Versuch scheiterte kläglich, nicht erst durch das Einschreiten der Regierung, sondern schon an dem Widerspruch der großen Majorität der Keltengaue selbst, die den Abfall von Rom nicht wollen konnten und nicht wollten. Die römischen Namen der führenden Adligen, die lateinische Aufschrift der Insurrektionsmünzen, die durchgehende Travestie der römischen Ordnungen zeigen auf das deutlichste, daß die Befreiung der keltischen Nation von dem Joch der Fremden im J. 70 n. Chr. deshalb nicht mehr möglich war, weil es eine solche Nation nicht mehr gab und die römische Herrschaft nach Umständen als ein Joch, aber nicht mehr als Fremdherrschaft empfunden ward. Wäre eine solche Gelegenheit zur Zeit der Schlacht bei Philippi oder noch unter Tiberius den Kelten geboten worden, so wäre der Aufstand wohl auch nicht anders, aber in Strömen Bluts verlaufen; jetzt verlief er im Sande. Wenn einige Dezennien nach diesen schweren Krisen die Rheinarmee beträchtlich reduziert ward, so hatten eben sie den Beweis geliefert, daß die Gallier in ihrer großen Mehrzahl nicht mehr daran dachten, sich von den Italienern zu scheiden, und die vier Generationen, die seit der Eroberung sich gefolgt waren, ihr Werk getan hatten. Was später dort vorgeht, sind Krisen innerhalb der römischen Welt. Als diese auseinander zu brechen drohte, sonderte sich für einige Zeit wie der Osten so auch der Westen von dem Zentrum des Reiches ab; aber der Sonderstaat des Postumus war das Werk der Not, nicht der Wahl und auch die Sonderung nur eine faktische; die Imperatoren, die über Gallien, Britannien und Spanien geboten, haben gerade ebenso auf die Beherrschung des ganzen Reiches Anspruch gemacht wie ihre italischen Gegenkaiser. Gewiß blieben genug Spuren des alten keltischen Wesens und auch der alten keltischen Unbändigkeit. Wie der Bischof Hilarius von Poitiers, selbst ein Gallier, über das trotzige Wesen seiner Landsleute klagt, so heißen die Gallier auch in den späteren Kaiserbiographien störrisch und unregierlich und geneigt zur Widersetzlichkeit, so daß ihnen gegenüber Konsequenz und Strenge des Regiments besonders erforderlich erscheint. Aber an eine Trennung vom römischen Reich oder gar an eine Lossagung von der römischen Nationalität, soweit es überhaupt eine solche damals gab, ist in diesen späteren Jahrhunderten nirgends weniger gedacht worden als in Gallien; vielmehr füllt die Entwicklung der römisch-gallischen Kultur, zu welcher Cäsar und Augustus den Grund gelegt haben, die spätere römische Epoche ebenso aus wie das Mittelalter und die Neuzeit.

Die Regulierung Galliens ist das Werk des Augustus. Bei derjenigen der Reichsverwaltung nach dem Schluß der Bürgerkriege kam das gesamte Gallien, so wie es Cäsar übertragen oder von ihm hinzugewonnen worden war, nur mit Ausschluß des inzwischen mit Italien vereinigten Gebiets diesseit der Alpen, unter kaiserliche Verwaltung. Unmittelbar nachher begab Augustus sich nach Gallien und vollzog im J. 727 (27 v. Chr.) in der Hauptstadt Lugudunum die Schätzung der gallischen Provinz, wodurch die durch Cäsar zum Reiche gekommenen Landesteile zuerst einen geordneten Kataster erhielten und für sie die Steuerzahlung reguliert ward. Er verweilte damals nicht lange, da die spanischen Angelegenheiten seine Gegenwart erheischten. Aber die Durchführung der neuen Ordnung stieß auf große Schwierigkeiten und vielfach auf Widerstand; es sind nicht bloß militärische Angelegenheiten gewesen, welche Agrippas Aufenthalt in Gallien im J. 735 (19 v. Chr.) und den des Kaisers selbst während der J 738-741 (16-13 v. Chr.) veranlaßten; und die dem kaiserlichen Hause angehörigen Statthalter oder Kommandoführer am Rhein, Augustus‘ Stiefsohn Tiberius 738 (16 v.Chr.), dessen Bruder Drusus 742-745 (12-9 v. Chr.), wieder Tiberius 745-747 (9-7 v. Chr.), 757-759 (3-5 n.Chr.), 763-765 (9-11 n.Chr.), dessen Sohn Germanicus 766-769 (12-15 n. Chr.), hatten alle auch die Aufgabe die Organisation Galliens weiterzuführen. Das Friedenswerk war sicher nicht minder schwierig und nicht minder wichtig als die Waffengänge am Rhein; man erkennt dies darin, daß der Kaiser die Fundamentierung selbst in die Hand nahm und die Durchführung den nächst und höchst gestellten Männern des Reiches anvertraute. Die von Cäsar im Drange der Bürgerkriege getroffenen Festsetzungen haben erst in diesen Jahren diejenige Gestalt bekommen, welche sie dann im wesentlichen behielten. Sie erstreckten sich über die alte wie über die neue Provinz; indes gab Augustus das altrömische Gebiet nebst dem von Massalia vom Mittelmeere bis an die Cevennen schon im J. 732 (22 v. Chr.) an die senatorische Regierung ab und behielt nur Neugallien in eigener Verwaltung. Dieses immer noch sehr ausgedehnte Gebiet wurde dann in drei Verwaltungsbezirke aufgelöst, deren jedem ein selbständiger kaiserlicher Statthalter vorgesetzt wurde. Diese Einteilung knüpfte an die schon von dem Diktator Cäsar vorgefundene und auf den nationalen Gegensätzen beruhende Dreiteilung des Keltenlandes in das von Iberern bewohnte Aquitanien, das rein keltische Gallien und das keltisch-germanische Gebiet der Belgen; auch ist wohl beabsichtigt worden, diese den Ausbau der römischen Herrschaft fördernden Gegensätze einigermaßen in der administrativen Teilung zum Ausdruck zu bringen. Indes ist dies nur annähernd durchgeführt worden und konnte auch praktisch nicht anders realisiert werden. Das rein keltische Gebiet zwischen Garonne und Loire ward zu dem allzu kleinen iberischen Aquitanien hinzugelegt, das gesamte linksrheinische Ufer vom Lemansee bis zur Mosel mit der Belgica vereinigt, obwohl die meisten dieser Gaue keltisch waren; überhaupt überwog der Keltenstamm in dem Grade, daß die vereinigten Provinzen die »drei Gallien« heißen konnten. Von der Bildung der beiden sogenannten Germanien, nominell dem Ersatz für die verlorene oder nicht zustande gekommene wirklich germanische Provinz, der Sache nach der gallischen Militärgrenze, wird in dem folgenden Abschnitt die Rede sein.

Die rechtlichen Verhältnisse wurden in durchaus verschiedener Weise für die alte Provinz Gallien und für die drei neuen geordnet: jene wurde sofort und vollständig latinisiert, in dieser zunächst nur das bestehende nationale Verhältnis reguliert. Dieser Gegensatz der Verwaltung, welcher weit tiefer eingreift als die formale Verschiedenheit der senatorischen und der kaiserlichen Administration, hat wohl die noch heute nachwirkende Verschiedenheit der Länder der Langue d’oc und der Provence zu denen der Langue d’oui zunächst und hauptsächlich herbeigeführt.

So weit wie die Romanisierung Südspaniens war die des gallischen Südens in republikanischer Zeit nicht vorgeschritten. Die zwischen den beiden Eroberungen liegenden achtzig Jahre waren nicht rasch einzuholen; die Truppenlager in Spanien waren bei weitem stärker und stetiger als die gallischen, die Städte latinischer Art dort zahlreicher als hier. Wohl war auch hier in der Zeit der Gracchen und unter ihrem Einfluß Narbo gegründet worden, die erste eigentliche Bürgerkolonie jenseit des Meeres; aber sie blieb vereinzelt und im Handelsverkehr zwar Rivalin von Massalia, aber allem Anscheine nach an Bedeutung ihr keineswegs gleich. Aber als Cäsar anfing die Geschicke Roms zu leiten, wurde vor allem hier, in diesem Lande seiner Wahl und seines Sterns, das Versäumte nachgeholt. Die Kolonie Narbo wurde verstärkt und war unter Tiberius die volkreichste Stadt im gesamten Gallien. Dann wurden, hauptsächlich auf dem von Massalia abgetretenen Gebiet, vier neue Bürgergemeinden angelegt, darunter die bedeutendsten militärisch Forum Julii (Trejus), Hauptstation der neuen Reichsflotte, für den Verkehr Arelate (Arles) an der Rhonemündung, das bald, als Lyon sich hob und der Verkehr sich wieder mehr nach der Rhone zog, Narbo überflügelnd die rechte Erbin Massalias und das große Emporium des gallisch-italischen Handels ward. Was er selbst noch und was sein Sohn in diesem Sinne geschaffen hat, ist nicht bestimmt zu unterscheiden und geschichtlich kommt darauf auch wenig an; wenn irgendwo, war hier Augustus nichts als der Testamentsvollstrecker Cäsars. Überall weicht die keltische Gauverfassung der italischen Gemeinde. Der Gau der Volker im Küstengebiet, früher den Massalioten untertänig, empfing durch Cäsar latinische Gemeindeverfassung in der Weise, daß die »Prätoren« der Volker dem ganzen 24 Ortschaften umfassenden Bezirk vorstanden, bis dann bald darauf die alte Ordnung auch dem Namen nach verschwand und an die Stelle des Gaues der Volker die latinische Stadt Nemausus (Nîmes) trat. Ähnlich erhielt der ansehnlichste aller Gaue dieser Provinz, der der Allobrogen, welche das Land nördlich der Isère und östlich der mittleren Rhone von Valence und Lyon bis in die savoyischen Berge und an den Lemansee in Besitz hatten, wahrscheinlich bereits durch Cäsar eine gleiche städtische Organisation und italisches Recht, bis dann Kaiser Gaius der Stadt Vienna das römische Bürgerrecht gewährte. Ebenso wurden in der gesamten Provinz die größeren Zentren durch Cäsar oder in der ersten Kaiserzeit nach latinischem Recht organisiert, so Ruscino (Roussillon), Avennio (Avignon), Aquae Sextiae (Aix), Apta (Apt). Schon am Schluß der augustischen Zeit war die Landschaft an beiden Ufern der unteren Rhone in Sprache und Sitte vollständig romanisiert, die Gauverfassung wahrscheinlich in der gesammten Provinz bis auf geringe Überreste beseitigt. Die Bürger der Gemeinden, denen das Reichsbürgerrecht verliehen war, und nicht minder die Bürger derjenigen latinischen Rechts, welche durch den Eintritt in das Reichsheer oder durch Bekleidung von Ämtern in ihrer Heimatstadt für sich und ihre Nachkommen das Reichsbürgerrecht erworben hatten, standen rechtlich den Italienern vollständig gleich und gelangten gleich ihnen im Reichsdienst zu Ämtern und Ehren.

Dagegen in den drei Gallien gab es Städte römischen und latinischen Rechts nicht, oder vielmehr es gab dort nur eine solche, die eben darum auch zu keiner der drei Provinzen oder zu allen gehörte, die Stadt Lugudunum (Lyon). Am äußersten Südrand des kaiserlichen Gallien, unmittelbar an der Grenze der städtisch geordneten Provinz, am Zusammenfluß der Rhone und der Saone, an einer militärisch wie kommerziell gleich wohlgewählten Stelle war während der Bürgerkriege, zunächst infolge der Vertreibung einer Anzahl in Vienna ansässiger Italiener, im J. 711 (43 v. Chr.) diese Ansiedlung entstanden, nicht hervorgegangen aus einem Keltengau und daher auch immer mit eng beschränktem Gebiet, sondern von Haus aus von Italienern gebildet und im Besitz des vollen römischen Bürgerrechts, einzig in ihrer Art dastehend unter den Gemeinden der drei Gallien, den Rechtsverhältnissen nach einigermaßen wie Washington in dem nordamerikanischen Bundesstaat. Diese einzige Stadt der drei Gallien wurde zugleich die gallische Hauptstadt. Eine gemeinschaftliche Oberbehörde hatten die drei Provinzen nicht und von hohen Reichsbeamten hatte dort nur der Statthalter der mittleren oder der lugudunensischen Provinz seinen Sitz; aber wenn Kaiser oder Prinzen in Gallien verweilten, residierten sie regelmäßig in Lyon. Lyon war neben Karthago die einzige Stadt der lateinischen Reichshälfte, welche nach dem Muster der hauptstädtischen Garnison eine ständige Besatzung erhielt. Die einzige Münzstätte für Reichsgeld, die wir im Westen für die frühere Kaiserzeit mit Sicherheit nachweisen können, ist die von Lyon. Hier war die Zentralstelle des ganz Gallien umfassenden Grenzzolles, hier der Knotenpunkt des gallischen Straßennetzes. Aber nicht bloß alle Regierungsanstalten, welche Gallien gemeinschaftlich waren, hatten ihren geborenen Sitz in Lyon, sondern diese Römerstadt wurde auch, wie wir weiterhin sehen werden, der Sitz des keltischen Landtags der drei Provinzen und aller daran sich knüpfenden politischen und religiösen Institutionen, seiner Tempel und seiner Jahresfeste. Also blühte Lugudunum rasch empor, gefördert durch die mit der Metropolenstellung verbundene reiche Dotation und die für den Handel ungemein günstige Lage. Ein Schriftsteller aus Tiberius‘ Zeit bezeichnet sie als die zweite in Gallien nach Narbo; späterhin nimmt sie daselbst den Platz neben oder vor ihrer Rhoneschwester Arelate. Bei der Feuersbrunst, die im J. 64 einen großen Teil Roms in Asche legte, sandten die Lugudunenser den Abgebrannten eine Beihilfe von 4 Millionen Sesterzen (8 700 000 M.), und als ihre eigene Stadt im nächsten Jahr dasselbe Schicksal in noch härterer Weise traf, steuerte auch ihnen das ganze Reich seinen Beitrag, und der Kaiser sandte die gleiche Summe aus seiner Schatulle. Glänzender als zuvor erstand die Stadt aus ihren Ruinen, und sie ist fast durch zwei Jahrtausende unter allen Zeitläuften eine Großstadt geblieben bis auf den heutigen Tag. In der späteren Kaiserzeit freilich tritt sie zurück hinter Trier. Die Stadt der Treverer, Augusta genannt wahrscheinlich von dem ersten Kaiser, gewann bald in der Belgica den ersten Platz; wenn noch in Tiberius‘ Zeit Durocortorum der Remer (Reims) die volkreichste Ortschaft der Provinz und der Sitz der Statthalter genannt wird, so teilt bereits ein Schriftsteller aus der des Claudius den Primat daselbst dem Hauptort der Treverer zu. Aber die Hauptstadt Galliens, man darf vielleicht sagen des Okzidents, ist Trier erst geworden durch die Umgestaltung der Reichsverwaltung unter Diocletian. Seit Gallien, Britannien und Spanien unter einer Oberverwaltung stehen, hat diese ihren Sitz in Trier, und seitdem ist Trier auch, wenn die Kaiser in Gallien verweilen, deren regelmäßige Residenz und, wie ein Grieche des 5. Jahrh. sagt, die größte Stadt jenseit der Alpen. Indes die Epoche, wo dieses Rom des Nordens seine Mauern und seine Thermen empfing, die wohl genannt werden dürfen neben den Stadtmauern der römischen Könige und den Bädern der kaiserlichen Reichshauptstadt, liegt jenseits unserer Darstellung. Durch die ersten drei Jahrhunderte der Kaiserzeit ist Lyon das römische Zentrum des Keltenlandes geblieben, und nicht bloß weil es an Volkszahl und Reichtum den ersten Platz einnahm, sondern weil es, wie keine andere des gallischen Nordens und nur wenige des Südens, eine von Italien aus gegründete und nicht nur dem Recht, sondern dem Ursprung und dem Wesen nach römische Stadt war.

Wie für die Organisation der Südprovinz die italische Stadt die Grundlage war, so für die nördliche der Gau, und zwar überwiegend derjenige der keltischen ehemaligen Staats-, jetzigen Gemeindeordnung. Die Bedeutung des Gegensatzes von Stadt und Gau ist nicht zunächst abhängig von seinem Inhalt; selbst wenn er ein bloß rechtlich formaler gewesen wäre, hätte er die Nationalitäten geschieden, auf der einen Seite das Gefühl der Zugehörigkeit zu Rom, auf der andern Seite das der Fremdartigkeit geweckt und geschärft. Hoch darf für diese Zeit die praktische Verschiedenheit der beiden Ordnungen nicht angeschlagen werden, da die Elemente der Gemeindeordnung, die Beamten, der Rat, die Bürgerversammlung dort wie hier dieselben waren und etwa früher vorhandene tiefer gehende Gegensätze von der römischen Oberherrschaft schwerlich lange geduldet wurden. Daher hat auch der Übergang von der Gauordnung zu der städtischen sich häufig und ohne Anstoß, man kann vielleicht sagen im Laufe der Entwicklung mit einer gewissen Notwendigkeit von selber vollzogen. Infolgedessen treten die qualitativen Unterschiede der beiden Rechtsformen in unserer Überlieferung wenig hervor. Dennoch war der Gegensatz sicher nicht ein bloß nomineller, sondern es bestanden in den Befugnissen der verschiedenen Gewalten, in Rechtspflege, Besteuerung, Aushebung Verschiedenheiten, die für die Administration, teils an sich, teils infolge der Gewöhnung, von Bedeutung waren oder doch bedeutend schienen. Bestimmt erkennbar ist der quantitative Gegensatz. Die Gaue, wenigstens wie sie bei den Kelten und den Germanen auftreten, sind durchgängig mehr Völkerschaften als Ortschaften; dieses sehr wesentliche Moment ist allen keltischen Gebieten eigentümlich und selbst durch die später eintretende Romanisierung oft mehr verdeckt als verwischt. Mediolanum und Brixia haben ihre weiten Grenzen und ihre dauernde Potenz wesentlich dem zu danken, daß sie eigentlich nichts sind als die Gaue der Insubrer und der Cenomanen. Daß das Territorium der Stadt Vienna die Dauphine und Westsavoyen umfaßt und die ebenso alten und fast ebenso ansehnlichen Ortschaften Cularo (Grenoble) und Genava (Genf) bis in die späte Kaiserzeit dem Rechte nach Dörfer der Kolonie Vienna sind, erklärt sich ebenfalls daraus, daß dieses der spätere Name der Völkerschaft der Allobrogen ist. In den meisten keltischen Gauen überwiegt eine Ortschaft so durchaus, daß es einerlei ist, ob man die Remer oder Durocortorum, die Bituriger oder Burdigala nennt; aber es kommt auch das Gegenteil vor, wie zum Beispiel bei den Vocontiern Vasio (Vaison) und Lucus, bei den Carnuten Autricum (Chartres) und Cenabum (Orleans) sich die Wage halten; und ob die Vorrechte, die nach italischer und griechischer Ordnung sich selbstverständlich der Flur gegenüber an den Mauerring knüpfen, bei den Kelten rechtlich oder auch nur tatsächlich in ähnlicher Weise geordnet waren, ist mehr als fraglich. Das Gegenbild für diesen Gau im griechisch-italischen Wesen ist viel weniger die Stadt als die Völkerschaft; die Carnuten hat man mit den Böotern zu gleichen, Autricum und Cenabum mit Tanagra und Thespiae. Die Besonderheit der Stellung der Kelten unter der römischen Herrschaft gegenüber anderen Nationen, den Iberern zum Beispiel und den Hellenen, beruht darauf, daß diese größeren Verbände dort als Gemeinden fortbestanden, hier diejenigen Bestandteile, aus denen sie sich zusammensetzten, die Gemeinden bildeten. Dabei mögen ältere der vorrömischen Zeit angehörige Verschiedenheiten der nationalen Entwickelung mitgewirkt haben; es mag wohl leichter ausführbar gewesen sein, den Böotern den gemeinschaftlichen Städtetag zu nehmen, als die Helvetier in ihre vier Distrikte aufzulösen; politische Verbände behaupten sich auch nach der Unterwerfung unter eine Zentralgewalt da, wo ihre Auflösung die Desorganisation herbeiführen würde. Dennoch ist, was in Gallien durch Augustus oder, wenn man will, durch Cäsar geschah, nicht durch den Zwang der Verhältnisse herbeigeführt worden, sondern hauptsächlich durch den freien Entschluß der Regierung, wie er auch allein zu der übrigens gegen die Kelten geübten Schonung paßt. Denn es gab in der Tat in der vorrömischen Zeit und noch zur Zeit der cäsarischen Eroberung eine bei weitem größere Anzahl von Gauen, als wir sie später finden; namentlich ist es bemerkenswert, daß die zahlreichen durch Klientel einem größeren Gau angeschlossenen kleineren in der Kaiserzeit nicht selbständig geworden, sondern verschwunden sind. Wenn späterhin das Keltenland geteilt erscheint in eine mäßige Anzahl bedeutender, zum Teil sogar sehr großer Gaudistrikte, innerhalb deren abhängige Gaue nirgends zum Vorschein kommen, so ist diese Ordnung freilich durch das vorrömische Klientelwesen angebahnt, aber erst durch die römische Reorganisation vollständig durchgeführt worden. Dieser Fortbestand und diese Steigerung der Gauverfassung wird für die weitere politische Entwicklung Galliens vor allem bestimmend gewesen sein. Wenn die tarraconensische Provinz in 293 selbständige Gemeinden zerfiel, so zählten die drei Gallien zusammen, wie wir sehen werden, deren nicht mehr als 64. Die Einheit und ihre Erinnerungen blieben ungebrochen; die eifrige Verehrung, die die ganze Kaiserzeit hindurch dem Quellgott Nemausus bei den Völkern gezollt wurde, zeigt, wie selbst hier, im Süden des Landes und in einem zur Stadt umgewandelten Gau die traditionelle Zusammengehörigkeit noch immer lebendig empfunden ward. In dieser Art innerlich fest zusammenhaltende Gemeinden mit weiten Grenzen waren eine Macht. Wie Cäsar die gallischen Gemeinden vorfand, mit einer in völliger politischer wie ökonomischer Abhängigkeit gehaltenen Volksmasse und einem übermächtigen Adel, so sind sie im wesentlichen auch unter römischer Herrschaft geblieben; genau wie in vorrömischer Zeit die großen Adligen mit ihrem nach Tausenden zählenden Gesinde von Hörigen und Schuldknechten ein jeder in seiner Heimat die Herren spielten, so schildert uns Tacitus in Tiberius‘ Zeit die Zustände bei den Treverern. Das römische Regiment gab der Gemeinde weitgehende Rechte, sogar eine gewisse Militärgewalt, so daß sie unter Umständen Festungen einzurichten und besetzt zu halten befugt war, wie dies bei den Helvetiern vorkommt, die Beamten die Bürgerwehr aufbieten konnten und in diesem Falle Offiziersrecht und Offiziersrang hatten. Diese Befugnis war nicht dieselbe in den Händen des Vorstehers einer kleinen Stadt Andalusiens und desjenigen eines Bezirkes an der Loire oder der Mosel vom Umfang einer kleinen Provinz. Die weitherzige Politik Cäsars des Vaters, auf den die Grundzüge dieses Systems notwendig zurückgeführt werden müssen, zeigt sich hier in ihrer ganzen großartigen Ausdehnung.

Aber die Regierung beschränkte sich nicht darauf, die Gauordnung den Kelten zu lassen; sie ließ oder gab ihnen vielmehr auch eine nationale Verfassung, soweit eine solche mit der römischen Oberherrschaft sich vereinbaren ließ. Wie der hellenischen Nation, so verlieh Augustus der gallischen eine organisierte Gesamtvertretung, welche dort wie hier in der Epoche der Freiheit und der Zerfahrenheit wohl erstrebt, aber nie erreicht worden war. Unter dem Hügel, den die Hauptstadt Galliens krönte, da wo die Saone ihr Wasser mit dem der Rhone mischt, weihte am 1. August des J. 742 (12 v. Chr.) der kaiserliche Prinz Drusus als Vertreter der Regierung in Gallien der Roma und dem Genius des Herrschers den Altar, an welchem fortan jedes Jahr an diesem Tage diesen Göttern von der Gemeinschaft der Gallier die Festfeier abgehalten werden sollte. Die Vertreter der sämtlichen Gaue wählten aus ihrer Mitte Jahr für Jahr den »Priester der drei Gallien«, und dieser brachte am Kaisertag das Kaiseropfer dar und leitete die dazu gehörigen Festspiele. Diese Landesvertretung hatte nicht bloß eine eigene Vermögensverwaltung mit Beamten, welche den vornehmen Kreisen des provinzialen Adels angehörten, sondern auch einen gewissen Anteil an den allgemeinen Landesangelegenheiten. Von unmittelbarem Eingreifen derselben in die Politik findet sich allerdings keine andere Spur, als daß bei der ernsten Krise des J. 70 der Landtag der drei Gallien, die Treverer von der Auflehnung gegen Rom abmahnte; aber er hatte und gebrauchte das Recht der Beschwerdeführung über die in Gallien fungierenden Reichs- und Hausbeamten und wirkte ferner mit wenn nicht bei der Auflegung, so doch bei der Repartition der Steuern, zumal da diese nicht nach den einzelnen Provinzen, sondern für Gallien insgemein angelegt wurden. Ähnliche Einrichtungen hat allerdings die Kaiserregierung in allen Provinzen ins Leben gerufen, in einer jeden nicht bloß die sakrale Zentralisierung eingeführt, sondern auch, was die Republik nicht getan hatte, einer jeden ein Organ verliehen, um Bitten und Klagen vor die Regierung zu bringen. Dennoch hat Gallien in dieser Hinsicht vor allen übrigen Reichsteilen wenigstens ein tatsächliches Privilegium, wie sich denn diese Institution auch allein hier voll entwickelt findet. Einmal steht der vereinigte Landtag der drei Provinzen den Legaten und Prokuratoren einer jeden notwendig unabhängiger gegenüber als zum Beispiel der Landtag von Thessalonike dem Statthalter von Makedonien. Sodann aber kommt es bei Institutionen dieser Art weit weniger auf das Maß der verliehenen Rechte an als auf das Gewicht der darin vertretenen Körperschaften; und die Stärke der einzelnen gallischen Gemeinden übertrug sich ebenso auf den Landtag von Lyon wie die Schwäche der einzelnen hellenischen auf den von Argos. In der Entwickelung Galliens unter den Kaisern hat der Landtag von Lyon allem Anschein nach diejenige allgemein gallische Homogeneität, welche daselbst mit der Latinisierung Hand in Hand geht, wesentlich gefördert.

Die Zusammensetzung des Landtags, welche uns ziemlich genau bekannt ist, zeigt, in welcher Weise die Nationalitätenfrage von der Regierung behandelt ward. Von den sechzig, später vierundsechzig auf dem Landtag vertretenen Gauen kommen nur vier auf die iberischen Bewohner Aquitaniens, obwohl dieses Gebiet zwischen der Garonne und den Pyrenäen unter eine sehr viel größere Zahl durchgängig kleiner Stämme geteilt war, sei es, daß die übrigen von der Vertretung überhaupt ausgeschlossen waren, sei es, daß jene vier vertretenen Gaue die Vororte von Gauverbänden sind. Späterhin, wahrscheinlich in traianischer Zeit, ist der iberische Bezirk von dem Lyoner Landtag abgetrennt und ihm eine selbständige Vertretung gegeben worden. Dagegen sind die keltischen Gaue in derjenigen Organisation, die wir früher kennengelernt haben, im wesentlichen alle auf dem Landtag vertreten und ebenso die halb oder ganz germanischen, soweit sie zur Zeit der Stiftung des Altars zum Reiche gehörten; daß für die Hauptstadt Galliens in dieser Gauvertretung kein Platz war, versteht sich von selbst. Außerdem erscheinen die Ubier nicht auf dem Landtag von Lyon, sondern opfern an ihrem eigenen Augustus-Altar – es ist dies, wie wir sahen, ein stehengebliebener Überrest der beabsichtigten Provinz Germanien.

Wurde die keltische Nation also in dem kaiserlichen Gallien in sich selbst konsolidiert, so wurde sie auch dem römischen Wesen gegenüber gewissermaßen garantiert durch das hinsichtlich der Erteilung des Reichsbürgerrechts für dieses Gebiet eingehaltene Verfahren. Die Hauptstadt Galliens freilich war und blieb eine römische Bürgerkolonie, und es gehört dies wesentlich mit zu der eigenartigen Stellung, die sie dem übrigen Gallien gegenüber einnahm und einnehmen sollte. Aber während die Südprovinz mit Kolonien bedeckt und durchaus nach italischem Gemeinderecht geordnet ward, hat Augustus in den drei Gallien nicht eine einzige Bürgerkolonie eingerichtet, und wahrscheinlich ist auch dasjenige Gemeinderecht, welches unter dem Namen des latinischen eine Zwischenstufe zwischen Bürgern und Nichtbürgern bildet und seinen angeseheneren Inhabern von Rechts wegen das Bürgerrecht für ihre Person und ihre Nachkommen gewährt, längere Zeit von Gallien ferngehalten worden. Die persönliche Verleihung des Bürgerrechts, teils nach allgemeinen Bestimmungen an den Soldaten bald bei dem Eintritt, bald bei dem Abschied, teils aus besonderer Gunst an einzelne Personen, konnte allerdings auch dem Gallier zuteil werden; so weit, wie die Republik gegangen war, dem Helvetier zum Beispiel den Gewinn des römischen Bürgerrechts ein für allemal zu untersagen, ging Augustus nicht und konnte es auch nicht, nachdem Cäsar das Bürgerrecht an geborene Gallier vielfach auf diese Weise vergeben hatte. Aber er nahm wenigstens den aus den drei Gallien stammenden Bürgern – mit Ausnahme immer der Lugudunenser – das Recht der Ämterbewerbung und schloß sie damit zugleich aus dem Reichssenat aus. Ob diese Bestimmung zunächst im Interesse Roms oder zunächst in dem der Gallier getroffen war, können wir nicht wissen; gewiß hat Augustus beides gewollt, einmal dem Eindringen des fremdartigen Elements in das Römertum wehren und damit dasselbe reinigen und heben, andererseits den Fortbestand der gallischen Eigenartigkeit in einer Weise verbürgen, die eben durch verständiges Zurückhalten die schließliche Verschmelzung mit dem römischen Wesen sicherer förderte als die schroffe Aufzwingung fremdländischer Institutionen getan haben würde.

Kaiser Claudius, selbst in Lyon geboren und, wie die Spötter von ihm sagten, ein richtiger Gallier, hat diese Schranken zum guten Teil beseitigt. Die erste Stadt in Gallien, welche sicher italisches Recht empfangen hat, ist die der Ubier, wo der Altar des römischen Germaniens angelegt war; dort im Feldlager ihres Vaters, des Germanicus, wurde die nachmalige Gemahlin des Claudius Agrippina geboren und sie hat im J. 50 ihrem Geburtsort das wahrscheinlich latinische Kolonialrecht erwirkt, dem heutigen Köln. Vielleicht gleichzeitig, vielleicht schon früher ist dasselbe für die Stadt der Treverer Augusta geschehen, das heutige Trier. Auch noch einige andere gallische Gaue sind in dieser Weise dem Römertum näher gerückt worden, so der der Helvetier durch Vespasian, ferner der der Sequaner (Besançon); große Ausdehnung aber scheint das latinische Recht in diesen Gegenden nicht gefunden zu haben. Noch weniger ist in der früheren Kaiserzeit in dem kaiserlichen Gallien ganzen Gemeinden das volle Bürgerrecht beigelegt worden. Wohl aber hat Claudius mit der Aufhebung der Rechtsbeschränkung den Anfang gemacht, welche die zum persönlichen Reichsbürgerrecht gelangten Gallier von der Reichsbeamtenlaufbahn ausschloß; es wurde zunächst für die ältesten Verbündeten Roms, die Häduer, bald wohl allgemein diese Schranke beseitigt. Damit war wesentlich die Gleichstellung erreicht. Denn nach den Verhältnissen dieser Epoche hatte das Reichsbürgerrecht für die durch ihre Lebensstellung von der Ämterlaufbahn ausgeschlossenen Kreise kaum einen besonderen praktischen Wert und war für vermögende Peregrinen guter Herkunft, die diese Laufbahn zu betreten wünschten und deshalb seiner bedurften, leicht zu erlangen; wohl aber war es eine empfindliche Zurücksetzung, wenn dem römischen Bürger aus Gallien und seinen Nachkommen von Rechts wegen die Ämterlaufbahn verschlossen blieb.

Wenn in der Organisation der Verwaltung das nationale Wesen der Kelten so weit geschont ward, als dies mit der Reichseinheit sich irgend vertrug, so ist dies hinsichtlich der Sprache nicht geschehen. Auch wenn es praktisch ausführbar gewesen wäre, den Gemeinden die Führung ihrer Verwaltung in einer Sprache zu gestatten, deren die kontrollierenden Reichsbeamten nur ausnahmsweise mächtig sein konnten, lag es unzweifelhaft nicht in den Absichten der römischen Regierung, diese Schranke zwischen den Herrschenden und Beherrschten aufzurichten. Dementsprechend ist unter den in Gallien unter römischer Herrschaft geschlagenen Münzen und von Gemeinde wegen gesetzten Denkmälern keine erweislich keltische Aufschrift gefunden worden. Der Gebrauch der Landessprache wurde übrigens nicht gehindert; wir finden sowohl in der Südprovinz wie in den nördlichen Denkmäler mit keltischer Aufschrift, dort immer mit griechischem, hier immer mit lateinischem Alphabet geschrieben, und wahrscheinlich gehören wenigstens manche von jenen, sicher diese sämtlich der Epoche der Römerherrschaft an. Daß in Gallien außerhalb der Städte italischen Rechts und der römischen Lager inschriftliche Denkmäler überhaupt nur in geringer Zahl auftreten, wird wahrscheinlich hauptsächlich dadurch herbeigeführt sein, daß die als Dialekt behandelte Landessprache ebenso für solche Verwendung ungeeignet erschien wie die ungeläufige Reichssprache und daher das Denksteinsetzen hier überhaupt nicht so wie in den latinisierten Gegenden in Aufnahme kam; das Lateinische mag in dem größten Teil Galliens damals ungefähr die Stellung gehabt haben wie nachher im früheren Mittelalter gegenüber der damaligen Volkssprache. Das energische Fortleben der nationalen Sprache zeigt am bestimmtesten die Wiedergabe der gallischen Eigennamen im Latein nicht selten unter Beibehaltung unlateinischer Lautformen. Daß Schreibungen wie Lousonna und Boudicca mit dem unlateinischen Diphthong ou selbst in die lateinische Literatur eingedrungen sind und für den aspirierten Dental, das englische th, sogar in römischer Schrift ein eigenes Zeichen (D) verwendet wird, ferner Epadatextorigus neben Epasnactus geschrieben wird, Dirona neben Sirona, machen es fast zur Gewißheit, daß die keltische Sprache, sei es im römischen Gebiet, sei es außerhalb desselben, in oder vor dieser Epoche einer gewissen schriftmäßigen Regulierung unterlegen hatte und schon damals so geschrieben werden konnte, wie sie noch heute geschrieben wird. Auch an Zeugnissen für ihren fortdauernden Gebrauch in Gallien fehlt es nicht. Als die Stadtnamen Augustodunum (Autun), Augustonemetum (Clermont), Augustobona (Troyes) und manche ähnliche aufkamen, sprach man notwendig auch im mittleren Gallien noch keltisch. Arrian unter Hadrian gibt in seiner Abhandlung über die Kavallerie für einzelne den Kelten entlehnte Manöver den keltischen Ausdruck an. Ein geborener Grieche Eirenäos, der gegen das Ende des 2. Jahrh. als Geistlicher in Lyon fungierte, entschuldigt die Mängel seines Stils damit, daß er im Lande der Kelten lebe und genötigt sei, stets in barbarischer Sprache zu reden. In einer juristischen Schrift aus dem Anfang des 3. Jahrh. wird im Gegensatz zu der Rechtsregel, daß die letztwilligen Verfügungen im allgemeinen lateinisch oder griechisch abzufassen sind, für Fideikommisse auch jede andere Sprache, zum Beispiel die punische und die gallische zugelassen. Dem Kaiser Alexander wurde sein Ende von einer gallischen Wahrsagerin in gallischer Sprache angekündigt. Noch der Kirchenvater Hieronymus, der selber in Ancyra wie in Trier gewesen ist, versichert, daß die kleinasiatischen Galater und die Treverer seinerzeit ungefähr die gleiche Sprache redeten, und vergleicht das verdorbene Gallisch der Asiaten mit dem verdorbenen Punisch der Afrikaner. Wenn die keltische Sprache sich in der Bretagne, ähnlich wie in Wales, bis auf den heutigen Tag behauptet hat, so hat die Landschaft zwar ihren heutigen Namen von den im 5. Jahrhundert dorthin vor den Sachsen flüchtenden Inselbritten erhalten, aber die Sprache ist schwerlich erst mit diesen eingewandert, sondern allem Anschein nach hier seit Jahrtausenden von einem Geschlecht dem andern überliefert. In dem übrigen Gallien hat natürlich im Laufe der Kaiserzeit das römische Wesen schrittweise Boden gewonnen; ein Ende gemacht hat aber dem keltischen Idiom hier wohl nicht so sehr die germanische Einwanderung als die Christianisierung, welche in Gallien nicht, wie in Syrien und Ägypten, die von der Regierung beiseite geschobene Landessprache aufnahm und zu ihrem Träger machte, sondern das Evangelium lateinisch verkündigte.

In dem Vorschreiten der Romanisierung, welche in Gallien, abgesehen von der Südprovinz, wesentlich der inneren Entwicklung überlassen blieb, zeigt sich eine bemerkenswerte Verschiedenheit zwischen dem östlichen Gallien und dem Westen und Norden, die wohl mit, aber nicht allein auf dem Gegensatz der Germanen und der Gallier beruht. In den Vorgängen bei und nach Neros Sturz tritt diese Verschiedenheit selbst politisch bestimmend hervor. Die nahe Berührung der östlichen Gaue mit den Rheinlagern und die hier vorzugsweise stattfindende Rekrutierung der Rheinlegionen hat dem römischen Wesen hier früher und vollständiger Eingang verschafft als im Gebiet der Loire und der Seine. Bei jenen Zerwürfnissen gingen die rheinischen Gaue, die keltischen Lingonen und Treverer sowohl wie die germanischen Ubier oder vielmehr die Agrippinenser mit der Römerstadt Lugudunum und hielten fest zu der legitimen römischen Regierung, während die, wie bemerkt ward, wenigstens in gewissem Sinn nationale Insurrektion von den Sequanern, Häduern und Arvernern ausgeht. In einer späteren Phase desselben Kampfes finden wir unter veränderten Parteiverhältnissen dieselbe Spaltung, jene östlichen Gaue mit den Germanen im Bunde, während der Landtag von Reims den Anschluß an diese verweigert.

Wurde somit das gallische Land in betreff der Sprache im wesentlichen ebenso behandelt wie die übrigen Provinzen, so begegnet wiederum die Schonung seiner alten Institutionen bei den Bestimmungen über Maß und Gewicht. Allerdings haben neben der allgemeinen Reichsordnung, welche in dieser Hinsicht von Augustus erlassen ward, entsprechend dem toleranten oder vielmehr indifferenten Verhalten der Regierung in dergleichen Dingen, die örtlichen Bestimmungen vielerorts fortbestanden, aber nur in Gallien hat die örtliche Ordnung späterhin die des Reiches verdrängt. Die Straßen sind im ganzen römischen Reich gemessen und bezeichnet nach der Einheit der römischen Meile (1,48 Kilometer), und bis zum Ende des 2. Jahrhunderts trifft dies auch für diese Provinzen zu. Aber von Severus an tritt in den drei Gallien und den beiden Germanien an deren Stelle eine zwar der römischen angefügte, aber doch verschiedene und gallisch benannte Meile, die Leuga (2,22 Kilometer), gleich anderthalb römischen Meilen. Unmöglich kann Severus damit den Kelten eine nationale Konzession haben machen wollen; es paßt dies weder für die Epoche noch insbesondere für diesen Kaiser, der eben diesen Provinzen in ausgesprochener Feindseligkeit gegenüberstand; ihn müssen Zweckmäßigkeitsrücksichten bestimmt haben. Diese können nur darauf beruhen, daß das nationale Wegemaß, die Leuga oder auch die Doppelleuga, die germanische Rasta, welche letztere der französischen Lieue entspricht, in diesen Provinzen nach der Einführung des einheitlichen Wegemaßes in ausgedehnterem Umfang fortbestanden haben als dies in den übrigen Reichsländern der Fall war. Augustus wird die römische Meile formell auf Gallien erstreckt und die Postbücher und die Reichsstraßen darauf gestellt, aber der Sache nach dem Lande das alte Wegemaß gelassen haben; und so mag es gekommen sein, daß die spätere Verwaltung es weniger unbequem fand die zwiefache Einheit im Postverkehr sich gefallen zu lassen, als noch länger sich eines praktisch im Lande unbekannten Wegemaßes zu bedienen.

Von weit größerer Bedeutung ist das Verhalten der römischen Regierung zu der Landesreligion; ohne Zweifel hat das gallische Volkstum seinen festesten Rückhalt an dieser gefunden. Selbst in der Südprovinz muß die Verehrung der nichtrömischen Gottheiten lange, viel länger als zum Beispiel in Andalusien sich behauptet haben. Die große Handelsstadt Arelate freilich hat keine anderen Weihungen aufzuweisen als an die auch in Italien verehrten Götter; aber in Frejus, Aix, Nimes und überhaupt der ganzen Küstenlandschaft sind die alten keltischen Gottheiten in der Kaiserepoche nicht viel weniger verehrt worden als im inneren Gallien. Auch in dem iberischen Teil Aquitaniens begegnen zahlreiche Spuren des einheimischen von dem keltischen durchaus verschiedenen Kultus. Indes tragen alle im Süden Galliens zum Vorschein gekommenen Götterbilder einen minder von dem gewöhnlichen abweichenden Stempel als die Denkmäler des Nordens, und vor allem war es leichter mit den nationalen Göttern auszukommen als mit dem nationalen Priestertum, das uns nur im kaiserlichen Gallien und auf den britannischen Inseln begegnet, den Druiden. Es würde vergebliche Mühe sein, von dem inneren Wesen der aus Spekulation und Imagination wunderbar zusammengestellten Druidenlehre eine Vorstellung geben zu wollen; nur die Fremdartigkeit und die Furchtbarkeit derselben sollen einige Beispiele erläutern. Die Macht der Rede wurde symbolisch dargestellt in einem kahlköpfigen runzligen, von der Sonne verbrannten Greis, der Keule und Bogen führt und von dessen durchbohrter Zunge zu den Ohren des ihm folgenden Menschen seine goldene Ketten laufen – das heißt es fliegen die Pfeile und schmettern die Schläge des redegewaltigen Alten und willig folgen ihm die Herzen der Menge. Das ist der Ogmius der Kelten; den Griechen erschien er wie ein als Herakles staffierter Charon. Ein in Paris gefundener Altar zeigt uns drei Götterbilder mit Beischrift, in der Mitte den Jovis, zu seiner Linken den Vulkan, ihm zur Rechten den Esus, »den Entsetzlichen mit seinen grausen Altären«, wie ihn ein römischer Dichter nennt, aber dennoch ein Gott des Handelsverkehrs und des friedlichen Schaffens; er ist zur Arbeit geschürzt wie Vulkan, und wie dieser Hammer und Zange führt, so behaut er mit dem Beil einen Weidenbaum. Eine öfter wiederkehrende Gottheit, wahrscheinlich Cernunnos genannt, wird kauernd mit untergeschlagenen Beinen dargestellt; auf dem Kopf trägt sie ein Hirschgeweih, an dem eine Halskette hängt, und hält auf dem Schoß den Geldsack; vor ihr stehen zuweilen Rinder und Hirsche – es scheint, als solle damit der Erdboden als die Quelle des Reichtums ausgedrückt werden. Die ungeheure Verschiedenheit dieses aller Reinheit und Schönheit baren, im barocken und phantastischen Mengen sehr irdischer Dinge sich gefallenden keltischen Olymp von den einfach menschlichen Formen der griechischen und den einfach menschlichen Begriffen der römischen Religion gibt eine Ahnung der Schranke, die zwischen diesen Besiegten und ihren Siegern stand. Daran hingen weiter sehr bedenkliche praktische Konsequenzen: ein umfassender Geheimmittel- und Zauberkram, bei dem die Priester zugleich die Ärzte spielten und wo neben dem Besprechen und Besegnen auch Menschenopfer und Krankenheilung durch das Fleisch der also Geschlachteten vorkam. Daß direkte Opposition gegen die Fremdherrschaft in dem Druidentum dieser Zeit gewaltet hat, läßt sich wenigstens nicht erweisen; aber auch wenn dies nicht der Fall war, ist es wohl begreiflich, daß die römische Regierung, welche sonst alle örtlichen Besonderheiten der Gottesverehrung mit gleichgültiger Duldung gewähren ließ, diesem Druidenwesen nicht bloß in seinen Ausschreitungen, sondern überhaupt mit Apprehension gegenüber stand. Die Einrichtung des gallischen Jahrfestes in der rein römischen Landeshauptstadt und unter Ausschluß aller Anknüpfung an den nationalen Kultus ist offenbar ein Gegenzug der Regierung gegen die alte Landesreligion mit ihrem jährlichen Priesterkonzil in Chartres, dem Mittelpunkt des gallischen Landes. Unmittelbar aber ging Augustus gegen das Druidentum nicht weiter vor, als daß er jedem römischen Bürger die Beteiligung an dem gallischen Nationalkult untersagte. Tiberius in seiner energischeren Weise griff durch und verbot dieses Priestertum mit seinem Anhang von Lehrern und Heilkünstlern überhaupt; aber es spricht nicht gerade für den praktischen Erfolg dieser Verfügung, daß dasselbe Verbot abermals unter Claudius erging – von diesem wird erzählt, daß er einen vornehmen Gallier lediglich deshalb köpfen ließ, weil er überwiesen ward, für guten Erfolg bei Verhandlungen vor dem Kaiser das landübliche Zaubermittel in Anwendung gebracht zu haben. Daß die Besetzung Britanniens, welches von alters her der Hauptsitz dieses Priestertreibens gewesen war, zum guten Teil beschlossen ward, um damit dieses an der Wurzel zu fassen, wird weiterhin ausgeführt werden. Trotz alledem hat noch in dem Abfall, den die Gallier nach dem Sturz der claudischen Dynastie versuchten, dies Priestertum eine bedeutende Rolle gespielt; der Brand des Kapitols, so predigten die Druiden, verkünde den Umschwung der Dinge und den Beginn der Herrschaft des Nordens über den Süden. Indes wenn auch dies Orakel späterhin in Erfüllung ging, durch diese Nation und zugunsten ihrer Priester ist es nicht geschehen. Die Besonderheiten der gallischen Gottesverehrung haben wohl auch später noch ihre Wirkung geübt; als im 3. Jahrhundert für einige Zeit ein gallisch-römisches Sonderreich ins Leben trat, spielt auf dessen Münzen die erste Rolle der Herkules teils in seiner griechisch-römischen Gestalt, teils auch als gallischer Deusoniensis oder Magusanus. Von den Druiden aber ist nur noch etwa insofern die Rede, als die klugen Frauen in Gallien bis in die diocletianische Zeit unter dem Namen der Druidinnen gehen und orakeln, und daß die alten adligen Häuser noch lange nachher in ihrer Ahnenreihe sich druidischer Altvordern berühmen. Wohl rascher noch als die Landessprache ging die Landesreligion zurück und das eindringende Christentum hat kaum noch an dieser ernstlichen Widerstand gefunden.

Das südliche Gallien, mehr als irgendeine andere Provinz durch seine Lage jedem feindlichen Angriff entzogen und gleich Italien und Andalusien ein Land der Olive und der Feige, gedieh unter dem Kaiserregiment zu hohem Wohlstand und reicher städtischer Entwickelung. Das Amphitheater und das Sarkophagfeld von Arles, der »Mutter ganz Galliens«, das Theater von Orange, die in und bei Nîmes noch heute aufrecht stehenden Tempel und Brücken sind davon bis in die Gegenwart lebendige Zeugen. Auch in den nördlichen Provinzen stieg der alte Wohlstand des Landes weiter durch den dauernden Frieden, der, allerdings mit dem dauernden Steuerdruck, durch die Fremdherrschaft in das Land kam.

»In Gallien«, sagt ein Schriftsteller der vespasianischen Zeit, »sind die Quellen des Reichtums heimisch und ihre Fülle strömt über die ganze Erde«. Vielleicht nirgends sind gleich zahlreiche und gleich prächtige Landhäuser zum Vorschein gekommen, vor allen Dingen im Osten Galliens, am Rhein und seinen Zuflüssen; man erkennt deutlich den reichen gallischen Adel. Berühmt ist das Testament des vornehmen Lingonen, welcher anordnet, ihm das Grabdenkmal und die Bildsäule aus italischem Marmor oder bester Bronze zu errichten und unter anderem sein sämtliches Gerät für Jagd und Vogelfang mit ihm zu verbrennen – es erinnert dies an die anderweitig erwähnten meilenlangen eingefriedigten Jagdparke im Keltenland und an die hervorragende Rolle, welche die keltischen Jagdhunde und keltische Waidmannsart bei dem Xenophon der hadrianischen Zeit spielen, welcher nicht verfehlt hinzuzufügen, daß dem Xenophon, des Gryllos Sohn, das Jagdwesen der Kelten nicht habe bekannt sein können. Nicht minder gehört in diesen Zusammenhang die merkwürdige Tatsache, daß in dem römischen Heerwesen der Kaiserzeit die Kavallerie eigentlich keltisch ist, nicht bloß insofern diese vorzugsweise aus Gallien sich rekrutiert, sondern auch indem die Manöver und selbst die technischen Ausdrücke zum guten Teil den Kelten entlehnt sind; man erkennt hier, wie nach dem Hinschwinden der alten Bürgerreiterei unter der Republik die Kavallerie durch Cäsar und Augustus mit gallischen Mannschaften und in gallischer Weise reorganisiert worden ist. Die Grundlage dieses vornehmen Wohlstandes war der Ackerbau, auf dessen Hebung auch Augustus selbst energisch hinwirkte und der in ganz Gallien, etwa abgesehen von der Steppengegend an der aquitanischen Küste, reichen Ertrag gab. Einträglich war auch die Viehzucht, besonders im Norden, namentlich die Zucht von Schweinen und Schafen, welche bald für die Industrie und die Ausfuhr von Bedeutung wurden – die menapischen Schinken (aus Flandern) und die atrebatischen und nervischen Tuchmäntel (bei Arras und Tournay) gingen in späterer Zeit in das gesamte Reich. Von besonderem Interesse ist die Entwicklung des Weinbaues. Weder das Klima noch die Regierung waren demselben günstig. Der »gallische Winter« blieb lange Zeit bei den Südländern sprichwörtlich; wie denn in der Tat das römische Reich nach dieser Seite hin am weitesten gegen Norden sich ausdehnt. Aber engere Schranken zog der gallischen Weinkultur die italische Handelskonkurrenz. Allerdings hat der Gott Dionysos seine Welteroberung überhaupt langsam vollbracht und nur Schritt vor Schritt ist der aus der Halmfrucht bereitete Trank dem Saft der Rebe gewichen; aber es beruht auf dem Prohibitivsystem, daß in Gallien das Bier sich wenigstens im Norden als das gewöhnliche geistige Getränk die ganze Kaiserzeit hindurch behauptete und noch Kaiser Julianus bei seinem Aufenthalt in Gallien mit diesem falschen Bacchus in Konflikt kam. So weit freilich, wie die Republik, welche dem Wein- und Ölbau an der gallischen Südküste polizeilich untersagte, ging das Kaiserregiment nicht; aber die Italiener dieser Zeit waren doch die rechten Söhne ihrer Väter. Die Blüte der beiden großen Rhoneemporien Arles und Lyon beruhte zu einem nicht geringen Teil auf dem Vertrieb des italienischen Weines nach Gallien; daran mag man ermessen, welche Bedeutung der Weinbau damals für Italien selbst gehabt haben muß. Wenn einer der sorgfältigsten Verwalter, die das Kaiseramt gehabt hat, Domitianus den Befehl erließ, in sämtlichen Provinzen mindestens die Hälfte der Rebstöcke zu vertilgen, was freilich so nicht zur Ausführung kam, so darf daraus geschlossen werden, daß die Ausbreitung des Weinbaues allerdings von Regierungs wegen ernstlich eingeschränkt ward. Noch in augustischer Zeit war er in dem nördlichen Teil der narbonensischen Provinz unbekannt, und wenn er auch hier bald in Aufnahme kam, scheint er doch durch Jahrhunderte auf die Narbonensis und das südliche Aquitanien beschränkt geblieben zu sein; von gallischen Weinen kennt die bessere Zeit nur den allobrogischen und den biturigischen, nach unserer Redeweise den Burgunder und den Bordeaux. Erst als die Zügel des Reiches den Händen der Italiener entfielen, im Laufe des 3. Jahrhunderts, änderte sich dies und Kaiser Probus (276–282) gab endlich den Provinzialen den Weinbau frei. Wahrscheinlich erst infolgedessen hat die Rebe festen Fuß gefaßt an der Seine wie an der Mosel. »Ich habe«, schreibt Kaiser Julianus, »einen Winter« (es war der von 357 auf 358) »in dem lieben Lutetia verlebt, denn so nennen die Gallier das Städtchen der Pariser, eine kleine Insel im Flusse gelegen und ringsummauert; das Wasser ist dort trefflich und rein zu schauen und zu trinken. Die Einwohner haben einen ziemlich milden Winter, und es wächst bei ihnen guter Wein; ja einige ziehen sogar auch Feigen, indem sie sie im Winter mit Weizenstroh wie mit einem Rocke zudecken.« Und nicht viel später schildert dann der Dichter von Bordeaux in der anmutigen Beschreibung der Mosel, wie die Weinberge diesen Fluß an beiden Ufern einfassen, »gleich wie die eigenen Reben mir kränzen die gelbe Garonne«.

Der innere Verkehr so wie der mit den Nachbarländern, besonders mit Italien, muß ein sehr reger gewesen sein und das Straßennetz entwickelt und gepflegt. Die große Reichsstraße von Rom nach der Mündung des Bätis, deren bei Spanien gedacht ward, war die Hauptader für den Landhandel der Südprovinz; die ganze Strecke, in republikanischer Zeit von den Alpen bis zur Rhone durch die Massalioten, von da bis zu den Pyrenäen durch die Römer instand gehalten, wurde von Augustus neu chaussiert. Im Norden führten die Reichsstraßen hauptsächlich teils nach der gallischen Hauptstadt, teils nach den großen Rheinlagern; doch scheint auch außerdem für die übrige Kommunikation in ausreichender Weise gesorgt gewesen zu sein.

Wenn die Südprovinz in der älteren Zeit auf dem geistigen Gebiet zu dem hellenischen Kreise gehörte, so hat der Rückgang von Massalia und das gewaltige Vordringen des Römertums im südlichen Gallien darin freilich eine Änderung herbeigeführt; dennoch aber ist dieser Teil Galliens immer, wie Campanien, ein Sitz hellenischen Wesens geblieben. Daß Nemausus, eine der Teilerben von Massalia, auf seinen Münzen aus augustischer Zeit alexandrinische Jahreszahlen und das Wappen Ägyptens zeigt, ist nicht ohne Wahrscheinlichkeit darauf bezogen worden, daß durch Augustus selbst in dieser dem Griechentum nicht fremd gegenüberstehenden Stadt Veteranen aus Alexandreia angesiedelt worden sind. Es darf wohl auch mit dem Einfluß Massalias in Verbindung gebracht werden, daß dieser Provinz, wenigstens der Abstammung nach, derjenige Historiker angehörte, welcher, es scheint im bewußten Gegensatz zu der national-römischen Geschichtschreibung und gelegentlich mit scharfen Ausfällen gegen deren namhafteste Vertreter, Sallustius und Livius, die hellenische vertrat, der Vocontier Pompeius Trogus, Verfasser einer von Alexander und den Diadochenreichen ausgehenden Weltgeschichte, in welcher die römischen Dinge nur innerhalb dieses Rahmens oder anhangsweise dargestellt werden. Ohne Zweifel gab er damit nur wieder, was eigentlich der literarischen Opposition des Hellenismus angehörte; immer bleibt es bemerkenswert, daß diese Tendenz ihren lateinischen Vertreter, und einen geschickten und sprachgewandten Vertreter, hier in augustischer Zeit fand. Aus späterer ist erwähnenswert Favorinus aus einem angesehenen Bürgerhaus von Arles, einer der Hauptträger der Polymathie der hadrianischen Zeit; Philosoph mit aristotelischer und skeptischer Tendenz, daneben Philolog und Kunstredner, Schüler des Dion von Prusa, Freund des Plutarchos und des Herodes Atticus, polemisch auf dem wissenschaftlichen Gebiet angegriffen von Galenus, feuilletonistisch von Lucian, überhaupt in lebhaften Beziehungen mit den namhaften Gelehrten des 2. Jahrhunderts und nicht minder mit Kaiser Hadrian. Seine mannigfaltigen Forschungen unter anderem über die Namen der Genossen des Odysseus, die die Scylla verschlang, und über den des ersten Menschen, der zugleich ein Gelehrter war, lassen ihn als den rechten Vertreter des damals beliebten gelehrten Kleinkrams erscheinen und seine Vorträge für ein gebildetes Publikum über Thersites und das Wechselfieber sowie seine zum Teil uns aufgezeichneten Unterhaltungen über alles und noch etwas mehr gewähren kein erfreuliches, aber ein charakteristisches Bild des damaligen Literatentreibens. Hier ist hervorzuheben, was er selbst unter die Merkwürdigkeiten seines Lebenslaufes rechnete, daß er geborener Gallier und zugleich griechischer Schriftsteller war. Obwohl die Literaten des Okzidents häufig nebenbei auch griechisch speziminierten, so haben doch nur wenige sich dieser als ihrer eigentlichen Schriftstellersprache bedient; hier wird dies mit durch die Heimat des Gelehrten bedingt sein. Im übrigen war Südgallien an der augustischen Literaturblüte insofern beteiligt, als einige der namhaftesten Gerichtsredner der späteren augustischen Zeit, Votienus Montanus († 27 n. Chr.) aus Narbo – der Ovid der Redner genannt – und Gnäus Domitius Afer (Konsul 39 n. Chr.) aus Nemausus, dieser Provinz angehörten. Überhaupt erstreckt die römische Literatur ihre Kreise natürlich auch über diese Landschaft; die Dichter der domitianischen Zeit sandten ihre Freiexemplare den Freunden in Tolosa und Vienna. Plinius unter Traian ist erfreut, daß seine kleinen Schriften auch in Lugudunum nicht bloß günstige Leser, sondern auch Buchhändler finden, die sie vertreiben. Einen besonderen Einfluß aber, wie ihn die Bätica in der früheren, das nördliche Gallien in der späteren Kaiserzeit auf die geistige und literarische Entwicklung Roms ausgeübt hat, vermögen wir für den Süden nicht nachzuweisen. Wein und Früchte gediehen in dem schönen Land; aber weder Soldaten noch Denker sind dem Reiche von dort her gekommen.

Das eigentliche Gallien ist im Gebiet der Wissenschaft das gelobte Land des Lehrens und des Lernens; vermutlich geht dies zurück auf die eigentümliche Entwicklung und den mächtigen Einfluß des nationalen Priestertums. Das Druidentum war keineswegs ein naiver Volksglaube, sondern eine hochentwickelte und anspruchsvolle Theologie, die nach guter Kirchensitte alle Gebiete des menschlichen Denkens und Tuns, Physik und Metaphysik, Rechts- und Heilkunde bestrebt war zu erleuchten oder doch zu beherrschen, die von ihren Schülern unermüdliches, man sagt zwanzigjähriges Studium forderte und diese ihre Schüler vor allem in den adligen Kreisen suchte und fand. Die Unterdrückung der Druiden durch Tiberius und seine Nachfolger muß in erster Reihe diese Priesterschulen betroffen und deren wenigstens öffentliche Beseitigung herbeigeführt haben; aber wirksam konnte dies nur dann geschehen, wenn der nationalen Jugendbildung die römisch-griechische ebenso gegenübergestellt ward wie dem carnutischen Druidenkonzil der Romatempel in Lyon. Wie früh dies, ohne Frage unter dem bestimmenden Einfluß der Regierung, in Gallien eingetreten ist, zeigt die merkwürdige Tatsache, daß bei dem früher erwähnten Aufstand unter Tiberius die Insurgenten vor allen Dingen versuchten, sich der Stadt Augustodunum (Autun) zu bemächtigen, um die dort studierende vornehme Jugend in ihre Gewalt zu bekommen und dadurch die großen Familien zu gewinnen oder zu schrecken. Zunächst mögen wohl diese gallischen Lyzeen trotz ihres keineswegs nationalen Bildungskursus dennoch ein Ferment des spezifisch gallischen Volkstums gewesen sein; schwerlich zufällig hat das damals bedeutendste derselben nicht in dem römischen Lyon seinen Sitz, sondern in der Hauptstadt der Häduer, des vornehmsten unter den gallischen Gauen. Aber die römisch-hellenische Bildung, wenn auch vielleicht der Nation aufgenötigt und zunächst mit Opposition aufgenommen, drang, wie allmählich der Gegensatz sich verschliff, in das keltische Wesen so sehr ein, daß mit der Zeit die Schüler sich ihr eifriger zuwandten als die Lehrmeister. Die Gentlemanbildung, etwa in der Art, wie sie heute in England besteht, ruhend auf dem Studium des Lateinischen und in zweiter Reihe des Griechischen und in der Entwicklung der Schulrede mit ihren Schnitzelpointen und Glanzphrasen lebhaft an neuere demselben Boden entstammende literarische Erscheinungen erinnernd, ward allmählich im Okzident eine Art Privilegium der Galloromanen. Besser bezahlt als in Italien wurden dort die Lehrer wohl von jeher, und vor allen Dingen auch besser behandelt. Schon Quintilianus nennt mit Achtung unter den hervorragenden Gerichtsrednern mehrere Gallier; und nicht ohne Absicht macht Tacitus in dem seinen Dialog über die Redekunst den gallischen Advokaten Marcus Aper zum Verteidiger der modernen Beredsamkeit gegen die Verehrer Ciceros und Cäsars. Den ersten Platz unter den gallischen Universitäten nahm späterhin Burdigala ein, wie denn überall Aquitanien hinsichtlich der Bildung dem mittleren und nördlichen Gallien weit voran war – in einem dort geschriebenen Dialog aus dem Anfang des 5. Jahrh. wagt einer der Mitsprechenden, ein Geistlicher aus Châlons-sur-Saone, kaum den Mund aufzutun vor dem gebildeten aquitanischen Kreise. Hier wirkte der früher erwähnte, von Kaiser Valentinianus zum Lehrer seines Sohnes Gratianus (geb. 359) berufene Professor Ausonius, ,der in seinen vermischten Gedichten einer großen Anzahl seiner Kollegen ein Denkmal gestiftet hat; und als sein Zeitgenosse Symmachus, der berühmteste Redner dieser Epoche, für seinen Sohn einen Hofmeister suchte, ließ er in Erinnerung an seinen alten an der Garonne heimischen Lehrer sich einen aus Gallien kommen. Daneben ist Augustodunum immer einer der großen Mittelpunkte der gallischen Studien geblieben; wir haben noch die Reden, welche wegen der Wiederherstellung dieser Lehranstalt bittend und dankend vor dem Kaiser Constantin gehalten worden sind. – Die literarische Vertretung dieser eifrigen Schultätigkeit ist untergeordneter Art und geringen Wertes: Prunkreden, die namentlich durch die spätere Umwandlung von Trier in eine kaiserliche Residenz und das häufige Verweilen des Hofes im gallischen Land gefördert worden sind, und Gelegenheitsgedichte mannigfaltiger Art. Wie die Redeleistung war das Versemachen ein notwendiges Attribut des Lehramtes und der öffentliche Lehrer der Literatur zugleich nicht gerade geborener, aber doch bestallter Dichter. Wenigstens die Geringschätzung der Poesie, welche der übrigens gleichartigen hellenischen Literatur der gleichen Epoche eigen ist, hat sich auf diese Okzidentalen nicht übertragen. In den Versen herrscht die Schulreminiszenz und das Pedantenkunststück vor und nur selten begegnen, wie in der Moselfahrt des Ausonius, lebendige und empfundene Schilderungen. Die Reden, die wir freilich nur nach einigen späten, am kaiserlichen Hoflager gehaltenen Vorträgen zu beurteilen in der Lage sind, sind Musterstücke in der Kunst mit vielen Worten wenig zu sagen und die unbedingte Loyalität in gleich unbedingter Gedankenlosigkeit zum Ausdruck zu bringen. Wenn eine vermögende Mutter ihren Sohn, nachdem er die Fülle und den Schmuck der gallischen Rede sich angeeignet hat, weiter nach Italien schickt, um auch die römische Würde zu gewinnen, so war diesen gallischen Rhetoren allerdings diese schwieriger abzulernen als der Wortpomp. Für das frühe Mittelalter sind diese Leistungen bestimmend gewesen; durch sie ist in der ersten christlichen Zeit Gallien die eigentliche Stätte der frommen Verse und doch auch der letzte Zufluchtsort der Schulliteratur geworden, während die große geistige Bewegung innerhalb des Christentums ihre Hauptvertreter nicht hier gefunden hat.

In dem Kreise der bauenden und der bildenden Künste rief schon das Klima manche Erscheinung hervor, welche der eigentliche Süden nicht oder nur in den Anfängen kennt; so ist die in Italien nur bei Bädern gebräuchliche Luftheizung und der dort ebenfalls wenig verbreitete Gebrauch der Glasfenster in der gallischen Baukunst in umfassender Weise zur Anwendung gekommen. Aber auch von einer diesem Gebiet eigenen Kunstentwicklung darf vielleicht insofern gesprochen werden, als die Bildnisse und in weiterer Entwicklung die Darstellung der Szenen des täglichen Lebens in dem keltischen Gebiet relativ häufiger auftreten als in Italien und die abgenutzten mythologischen Darstellungen durch erfreulichere ersetzen. Wir können diese Richtung auf das Reale und das Genre allerdings fast nur an den Grabmonumenten erkennen, aber sie hat wohl in der Kunstübung überhaupt vorgeherrscht. Der Bogen von Arausio (Orange) aus der frühen Kaiserzeit mit seinen gallischen Waffen und Feldzeichen, die bei Vetera gefundene Bronzestatue des Berliner Museums, wie es scheint, den Ortgott mit Gerstenähren im Haar darstellend, das wahrscheinlich zum Teil aus gallischen Werkstätten hervorgegangene Hildesheimer Silbergerät beweisen eine gewisse Freiheit in der Aufnahme und Umbildung der italischen Motive. Das Juliergrabmal von St. Remy bei Avignon, ein Werk augustischer Zeit, ist ein merkwürdiges Zeugnis für die lebendige und geistreiche Rezeption der hellenischen Kunst im südlichen Gallien sowohl in seinem kühnen architektonischen Aufbau zweier quadratischer Stockwerke, welche ein Säulenkreis mit konischer Kuppel krönt, wie auch in seinen Reliefs, welche, im Stil den pergamenischen nächst verwandt, figurenreiche Kampf- und Jagdszenen, wie es scheint, dem Leben der Geehrten entnommen, in malerisch bewegter Ausführung darstellen. Merkwürdigerweise liegt der Höhepunkt dieser Entwicklung neben der Südprovinz in der Gegend der Mosel und der Maas; diese Landschaft, nicht so völlig unter römischem Einfluß stehend wie Lyon und die rheinischen Lagerstädte und wohlhabender und zivilisierter als die Gegenden an der Loire und der Seine, scheint diese Kunstübung einigermaßen aus sich selbst erzeugt zu haben. Das unter dem Namen der Igeler Säule bekannte Grabdenkmal eines vornehmen Trierers gibt ein deutliches Bild der hier einheimischen turmartigen, mit spitzem Dach gekrönten, auf allen Seiten mit Darstellungen aus dem Leben des Verstorbenen bedeckten Denkmäler. Häufig sehen wir auf denselben den Gutsherrn, dem seine Colonen Schafe, Fische, Geflügel, Eier darbringen. Ein Grabstein aus Arlon bei Luxemburg zeigt außer den Porträts der beiden Gatten auf der einen Seite einen Karren und eine Frau mit einem Fruchtkorb, auf der andern über zwei auf dem Boden hockenden Männern einen Äpfelverkauf. Ein anderer Grabstein aus Neumagen bei Trier hat die Form eines Schiffes: in diesem sitzen sechs Schiffer die Ruder führend; die Ladung besteht aus großen Fässern, neben denen der lustig blickende Steuermann, man möchte meinen, sich des darin geborgenen Weines zu freuen scheint. Wir dürfen sie wohl in Verbindung bringen mit dem heiteren Bilde, das der Poet von Bordeaux uns vom Moseltal bewahrt hat mit den prächtigen Schlössern, den lustigen Rebgeländen und dem regen Fischer- und Schiffertreiben, und den Beweis darin finden, daß in diesem schönen Lande bereits vor anderthalb Jahrtausenden friedliche Tätigkeit, heiterer Genuß und warmes Leben pulsiert hat.

Kapitel IV


Das römische Germanien und die freien Germanen

Kapitel IV

Die beiden römischen Provinzen Ober- und Untergermanien sind das Ergebnis derjenigen Niederlage der römischen Waffen und der römischen Staatskunst unter der Regierung des Augustus, welche früher geschildert worden ist. Die ursprüngliche Provinz Germanien, die das Land vom Rhein bis zur Elbe umfaßte, hat nur zwanzig Jahre vom ersten Feldzug der Drusus, 742 d. St. = 12 v. Chr., bis zur Varusschlacht und dem Falle Alisos 762 d. St. = 9 n. Chr. bestanden; da sie aber einerseits die Militärlager auf dem linken Rheinufer, Vindonissa, Mogontiacum, Vetera, in sich schloß, andererseits auch nach jener Katastrophe mehr oder minder beträchtliche Teile des rechten Ufers römisch blieben, so wurden durch jene Katastrophe die Statthalterschaft und das Kommando nicht eigentlich aufgehoben, obwohl sie sozusagen in der Luft standen. Die innere Ordnung der drei Gallien ist früher dargelegt worden; sie umfaßten das gesamte Gebiet bis an den Rhein, ohne Unterschied der Abstammung – nur etwa die erst während der letzten Krisen nach Gallien übergesiedelten Ubier gehörten nicht zu den 64 Gauen, wohl aber die Helvetier, die Triboker und überhaupt die sonst von den rheinischen Truppen besetzt gehaltenen Distrikte. Es war die Absicht gewesen, die germanischen Gaue zwischen Rhein und Elbe zu einer ähnlichen Gemeinschaft unter römischer Hoheit zusammenzufassen, wie dies mit den gallischen geschehen war, und denselben in dem Augustusaltar der Ubierstadt, dem Keim des heutigen Köln, einen ähnlichen exzentrischen Mittelpunkt zu verleihen, wie der Augustusaltar von Lyon ihn für Gallien bildete; für die fernere Zukunft war wohl auch die Verlegung der Hauptlager auf das rechte Rheinufer und die Rückgabe des linken wenigstens im wesentlichen an den Statthalter der Belgica in Aussicht genommen. Allein diese Entwürfe gingen mit den Legionen des Varus zugrunde; der germanische Augustusaltar am Rhein ward oder blieb der Altar der Ubier; die Legionen behielten dauernd ihre Standquartiere in dem Gebiet, welches eigentlich zur Belgica gehörte, aber, da eine Trennung der Militär- und Zivilverwaltung nach der römischen Ordnung ausgeschlossen war, so lange, als die Truppen hier standen, auch administrativ unter den Kommandanten der beiden Heere gelegt war. Denn, wie schon früher angegeben worden ist, Varus ist wahrscheinlich der letzte Kommandant der vereinigten Rheinarmee gewesen; bei der Vermehrung der Armee auf acht Legionen, welche diese Katastrophe im Gefolge gehabt hat, ist allem Anschein nach auch deren Teilung eingetreten. Es sind also in diesem Abschnitt nicht eigentlich die Zustände einer römischen Landschaft zu schildern, sondern die Geschicke einer römischen Armee, und, was damit aufs engste zusammenhängt, die der Nachbarvölker und der Gegner, soweit sie in die Geschichte Roms verflochten sind.

Die beiden Hauptquartiere der Rheinarmee waren von jeher Vetera bei Wesel und Mogontiacum, das heutige Mainz, beide wohl älter als die Teilung des Kommandos und eine der Ursachen, daß dieselbe eintrat. Die beiden Armeen zählten jede im 1. Jahrhundert n. Chr. 4 Legionen, also ungefähr 30 000 Mann, in oder zwischen jenen beiden Punkten lag die Hauptmasse der römischen Truppen, außerdem eine Legion bei Noviomagus (Nimwegen), eine andere in Argentoratum (Straßburg), eine dritte bei Vindonissa (Windisch unweit Zürich) nicht weit von der rätischen Grenze. Zu dem unteren Heere gehörte die nicht unbeträchtliche Rheinflotte. Die Grenze zwischen der oberen und der unteren Armee liegt zwischen Andernach und Remagen bei Brohl, so daß Koblenz und Bingen in das obere, Bonn und Köln in das untere Militärgebiet fielen. Auf dem linken Ufer gehörten zu dem obergermanischen Verwaltungsbezirk die Distrikte der Helvetier (Schweiz), der Sequaner (Besancon), der Lingonen (Langres), der Rauriker (Basel), der Triboker (Elsaß), der Nemeter (Speier) und der Vangionen (Worms); zu dem beschränkteren untergermanischen der Distrikt der Ubier oder vielmehr die Kolonie Agrippina (Köln), der Tungrer (Tongern), der Menapier (Brabant) und der Bataver, während die weiter westlich gelegenen Gaue mit Einschluß von Metz und Trier unter den verschiedenen Statthaltern der drei Gallien standen. Wenn diese Scheidung nur administrative Bedeutung hat, so fällt dagegen die wechselnde Ausdehnung der beiden Sprengel auf dem rechten Ufer mit den wechselnden Beziehungen zu den Nachbarn und der dadurch bedingten Vor- und Zurückschiebung der Grenzen der römischen Herrschaft zusammen. Diesen Nachbarn gegenüber sind die unterrheinischen und die oberrheinischen Verhältnisse in so verschiedener Weise geordnet worden und die Ereignisse in so durchaus anderer Richtung verlaufen, daß hier die provinziale Trennung geschichtlich von der eingreifendsten Bedeutung wurde. Betrachten wir zunächst die Entwicklung der Dinge am Unterrhein.

Es ist früher dargestellt worden, wie weit die Römer zu beiden Seiten des Unterrheins die Germanen sich unterworfen hatten. Die germanischen Bataver sind nicht durch Cäsar, aber nicht lange nachher, vielleicht durch Drusus, auf friedlichem Wege mit dem Reiche vereinigt worden. Sie saßen im Rheindelta, das heißt auf dem linken Rheinufer und auf den durch die Rheinarme gebildeten Inseln aufwärts bis wenigstens an den alten Rhein, also etwa von Antwerpen bis Utrecht und Leyden in Seeland und dem südlichen Holland, auf ursprünglich keltischem Gebiet – wenigstens sind die Ortsnamen überwiegend keltisch; ihren Namen führt noch die Betuwe, die Niederung zwischen Waal und Leck mit der Hauptstadt Noviomagus, jetzt Nimwegen. Sie waren, insbesondere verglichen mit den unruhigen und störrischen Kelten, gehorsame und nützliche Untertanen und nahmen daher im römischen Reichsverband und namentlich im Heerwesen eine Sonderstellung ein. Sie blieben gänzlich steuerfrei, wurden aber dagegen so stark wie kein anderer Gau bei der Rekrutierung angezogen; der eine Gau stellte zu dem Reichsheer 1000 Reiter und 9000 Fußsoldaten; außerdem wurden die kaiserlichen Leibwächter vorzugsweise aus ihnen genommen. Das Kommando dieser batavischen Abteilungen wurde ausschließlich an geborene Bataver vergeben. Die Bataver galten unbestritten nicht bloß als die besten Reiter und Schwimmer der Armee, sondern auch als das Muster treuer Soldaten, wobei allerdings der gute Sold der batavischen Leibwächter sowohl wie der bevorzugte Offiziersdienst der Adligen die Loyalität erheblich befestigte. Diese Germanen waren denn auch bei der Varuskatastrophe weder vorbereitend noch nachfolgend beteiligt; und wenn Augustus unter dem ersten Eindruck der Schreckensnachricht seine batavischen Leibwächter verabschiedete, so überzeugte er sich bald selbst von der Grundlosigkeit seines Argwohns und die Truppe wurde kurze Zeit darauf wieder hergestellt.

Am andern Ufer des Rheines wohnten den Batavern zunächst im heutigen Kennemerland (Nordholland über Amsterdam) die ihnen eng verwandten, aber weniger zahlreichen Cannenefaten; sie werden nicht bloß unter den durch Tiberius unterworfenen Völkerschaften genannt, sondern sind auch in der Stellung von Mannschaften wie die Bataver behandelt worden. – Die weiterhin sich anschließenden Friesen in dem noch heute nach ihnen benannten Küstenland bis zu der unteren Ems unterwarfen sich dem Drusus und erhielten eine ähnliche Stellung wie die Bataver; es wurde ihnen anstatt der Steuer nur die Ablieferung einer Anzahl von Rindshäuten für die Bedürfnisse des Heeres auferlegt; dagegen hatten auch sie verhältnismäßig zahlreiche Mannschaften für den römischen Dienst zu stellen. Sie waren seine so wie später des Germanicus treueste Bundesgenossen, ihm nützlich sowohl bei dem Kanalbau wie besonders nach den unglücklichen Nordseefahrten. – Auf sie folgen östlich die Chauker, ein weitausgedehntes Schiffer- und Fischervolk an der Nordseeküste zu beiden Seiten der Weser, vielleicht von der Ems bis zur Elbe; sie wurden durch Drusus zugleich mit den Friesen, aber nicht wie diese ohne Gegenwehr, den Römern botmäßig. – Alle diese germanischen Küstenvölker fügten sich entweder durch Vertrag oder doch ohne schweren Kampf der neuen Herrschaft, und wie sie an dem Cheruskeraufstand keinen Teil gehabt haben, blieben sie nach der Varusschlacht gleichfalls in den früheren Verhältnissen zum römischen Reich; selbst aus den entfernter liegenden Gauen der Friesen und der Chauker sind die Besatzungen damals nicht herausgezogen worden und noch zu den Feldzügen des Germanicus haben die letzteren Zuzug gestellt. Bei der abermaligen Räumung Germaniens im J. 17 scheint allerdings das arme und ferne, schwer zu schützende Chaukerland aufgegeben worden zu sein; wenigstens gibt es für die Fortdauer der römischen Herrschaft daselbst keine späteren Belege und einige Dezennien nachher finden wir sie unabhängig. Aber alles Land westwärts der unteren Ems blieb bei dem Reiche, dessen Grenze also die heutigen Niederlande einschloß. Die Verteidigung dieses Teils der Reichsgrenze gegen die nicht zum Reich gehörigen Germanen blieb in der Hauptsache den botmäßigen Seegauen selber überlassen.

Weiter stromaufwärts wurde anders verfahren; hier ward eine Grenzstraße abgesteckt und das Zwischenland entvölkert. An die in größerer oder geringerer Entfernung vom Rhein gezogene Grenzstraße, den Limes, knüpfte sich die Kontrolle des Grenzverkehrs, indem die Überschreitung dieser Straße zur Nachtzeit überhaupt, am Tage den Bewaffneten untersagt und den Übrigen in der Regel nur unter besonderen Sicherheitsmaßregeln und unter Erlegung der vorgeschriebenen Grenzzölle gestattet war. Eine solche Straße hat gegenüber dem unterrheinischen Hauptquartier im heutigen Münsterland Tiberius nach der Varusschlacht gezogen, in einiger Entfernung vom Rhein, da zwischen ihr und dem Fluß der seiner Lage nach nicht näher bekannte »caesische Wald« sich erstreckte. Ähnliche Anstalten müssen gleichzeitig in den Tälern der Ruhr und der Sieg bis zu dem der Wied hin, wo die unterrheinische Provinz endigte, getroffen worden sein. Militärisch besetzt und zur Verteidigung eingerichtet brauchte diese Straße nicht notwendig zu sein, obwohl natürlich die Grenzverteidigung und die Grenzbefestigung immer darauf hinausgingen, die Grenzstraße möglichst sicherzustellen. Ein hauptsächliches Mittel für den Grenzschutz war die Entvölkerung des Landstrichs zwischen dem Fluß und der Straße. »Vom rechten Rheinufer«, sagt ein kundiger Schriftsteller der tiberischen Zeit, »haben teils die Römer die Völkerschaften auf das linke übergeführt, teils diese selbst sich in das Innere zurückgezogen.« Dies traf im heutigen Münsterland die daselbst früher ansässigen germanischen Stämme der Usiper, Tencterer, Tubanten. In den Zügen des Germanicus erscheinen dieselben vom Rhein abgedrängt, aber noch in der Gegend der Lippe, später, wahrscheinlich eben infolge jener Expeditionen, weiter südwärts Mainz gegenüber. Ihr altes Heim lag seitdem öde und bildete das ausgedehnte, für die Herden der niedergermanischen Armee reservierte Triftland, auf welchem im J. 58 erst die Friesen und dann die heimatlos irrenden Amsivarier sich niederzulassen gedachten, ohne dazu die Erlaubnis der römischen Behörden auswirken zu können. Weiter südwärts blieb von den Sugambrern, die ebenfalls zum großen Teil derselben Behandlung unterlagen, wenigstens ein Teil am rechten Ufer ansässig, während andere kleinere Völkerschaften ganz verdrängt wurden. Die spärliche innerhalb des Limes geduldete Bevölkerung war selbstverständlich reichsuntertänig, wie dies die bei den Sugambrern stattfindende römische Aushebung bestätigt.

In dieser Weise wurden nach dem Aufgeben der weitergreifenden Entwürfe die Verhältnisse am Unterrhein geordnet, immer also noch ein nicht unbeträchtliches Gebiet am rechten Ufer von den Römern gehalten. Aber es knüpften sich daran mancherlei unbequeme Verwicklungen. Gegen das Ende der Regierung des Tiberius (J. 28) fielen die Friesen infolge der unerträglichen Bedrückung bei der Erhebung der an sich geringen Abgabe vom Reiche ab, erschlugen die bei der Erhebung beschäftigten Leute und belagerten den hier fungierenden römischen Kommandanten mit dem Reste der im Gebiet verweilenden römischen Soldaten und Zivilpersonen in dem Kastell Flevum, da wo vor der im Mittelalter erfolgten Ausdehnung des Zuidersees die östlichste Rheinmündung war, bei der heutigen Insel Vlieland neben dem Texel. Der Aufstand nahm solche Verhältnisse an, daß beide Rheinheere gemeinschaftlich gegen die Friesen marschierten; aber der Statthalter Lucius Apronius richtete dennoch nichts aus. Die Belagerung des Kastells gaben die Friesen auf, als die römische Flotte die Legionen herantrug; aber ihnen selbst war in dem durchschnittenen Lande schwer beizukommen; mehrere römische Heerhaufen wurden vereinzelt aufgerieben und die römische Vorhut so gründlich geschlagen, daß selbst die Leichen der Gefallenen in der Gewalt des Feindes blieben. Zu einer entscheidenden Aktion kam es nicht, aber auch nicht zu rechter Unterwerfung; größeren Unternehmungen, die dem kommandierenden Feldherrn eine Machtstellung gaben, war Tiberius, je älter er wurde, immer weniger geneigt. Damit steht in Zusammenhang, daß in den nächsten Jahren die Nachbarn der Friesen, die Chauker, den Römern sehr unbequem wurden, im J. 41 der Statthalter Publius Gabinius Secundus gegen sie eine Expedition unternehmen mußte und sechs Jahre später (47) sie sogar unter Führung des römischen Überläufers Gannascus, eines geborenen Cannenefaten, mit ihren leichten Piratenschiffen die gallische Küste weithin brandschatzten. Gnäus Domitius Corbulo, von Claudius zum Statthalter Niedergermaniens ernannt, legte mit der Rheinflotte diesen Vorgängern der Sachsen und Normannen das Handwerk und brachte dann die Friesen energisch zum Gehorsam zurück, indem er ihr Gemeinwesen neu ordnete und römische Besatzung dort hinlegte. Er hatte die Absicht, weiter die Chauker zu züchtigen; auf sein Anstiften wurde Gannascus aus dem Wege geräumt – gegen den Überläufer hielt er sich auch dazu berechtigt – und er war im Begriff, die Ems überschreitend in das Chaukerland einzurücken, als er nicht bloß Gegenbefehl von Rom erhielt, sondern die römische Regierung überhaupt ihre Stellung am Unterrhein vollständig änderte. Kaiser Claudius wies den Statthalter an, alle römischen Besatzungen vom rechten Ufer wegzunehmen. Es ist begreiflich, daß der kaiserliche General die freien Feldherren des ehemaligen Rom mit bitteren Worten glücklich pries; es wurde allerdings damit die nach der Varusschlacht nur halb gezogene Konsequenz der Niederlage vervollständigt. Wahrscheinlich ist diese durch keine unmittelbare Nötigung veranlaßte Einschränkung der römischen Okkupation Germaniens hervorgerufen worden durch den eben damals gefaßten Entschluß, Britannien zu besetzen, und findet darin ihre Rechtfertigung, daß die Truppen beidem zugleich nicht genügten. Daß der Befehl ausgeführt ward und es auch später dabei blieb, beweist das Fehlen der römischen Militärinschriften am ganzen rechten Unterrhein. Nur einzelne Übergangspunkte und Ausfallstore, wie insbesondere Deutz gegenüber Köln, machen Ausnahmen von dieser allgemeinen Regel. Auch die Militärstraße hält sich hier auf dem linken Ufer und streng an den Rheinlauf, während der hinter derselben herlaufende Verkehrsweg die Krümmungen abschneidend die gerade Verbindung verfolgt. Auf dem rechten Rheinufer sind hier nirgends, weder durch aufgefundene Meilensteine noch anderweitig, römische Militärstraßen bezeugt.

Einen eigentlichen Verzicht auf den Besitz des rechten Ufers in dieser Provinz schließt die Zurückziehung der Besatzungen nicht ein. Dasselbe galt den Römern seitdem etwa wie dem Festungskommandanten das unter seinen Kanonen liegende Terrain. Die Cannenefaten und wenigstens ein Teil der Friesen sind nach wie vor reichsuntertänig gewesen. Daß auch später noch im Münsterland die Herden der Legionen weideten und den Germanen nicht gestattet wurde, sich dort niederzulassen, ist schon bemerkt worden. Aber die Regierung hat seitdem für den Schutz des Grenzgebietes auf dem rechten Ufer, das es in dieser Provinz auch ferner gab, im Norden sich auf die Cannenefaten und die Friesen verlassen, weiter stromaufwärts im wesentlichen der Ödgrenze vertraut und auch die römische Ansiedlung hier, wenn nicht geradezu untersagt, doch nicht aufkommen lassen. Der in Altenberg (Kreis Mülheim) am Dhünfluß gefundene Altarstein eines Privaten ist fast das einzige Zeugnis römischer Einwohnerschaft in diesen Gegenden. Es ist dies um so bemerkenswerter, als das Aufblühen von Köln, wenn hier nicht besondere Hindernisse im Wege gestanden hätten, die römische Zivilisation von selber weithin auf das andere Ufer getragen haben würde. Oft genug werden römische Truppen diese ausgedehnten Gebiete betreten, vielleicht selbst die gerade hier in augustischer Zeit zahlreich angelegten Straßen einigermaßen gangbar gehalten, auch wohl neue angelegt haben; spärliche Ansiedler, teils Überreste der alten germanischen Bevölkerung, teils Kolonisten aus dem Reich, werden hier gesessen haben, ähnlich wie wir sie bald in der früheren Kaiserzeit am rechten Ufer des Oberrheins finden werden; aber den Wegen wie den Besitzungen fehlte der Stempel der Dauerhaftigkeit. Man wollte hier nicht eine Arbeit von gleicher Ausdehnung und gleicher Schwierigkeit unternehmen, wie wir sie weiterhin in der oberen Provinz kennenlernen werden, nicht hier, wie es dort geschah, die Reichsgrenze militärisch schützen und befestigen. Darum hat den Unterrhein wohl die römische Herrschaft, aber nicht, wie den Oberrhein, auch die römische Kultur überschritten.

Ihrer doppelten Aufgabe, das benachbarte Gallien in Gehorsam und die Germanen des rechten Rheinufers von Gallien abzuhalten, hatte die Armee am Unterrhein auch nach dem Verzicht auf Besetzung des rechtsrheinischen Gebietes ausreichend genügt; und es wäre die Ruhe nach außen und innen voraussichtlich nicht unterbrochen worden, wenn nicht der Sturz der julisch-claudischen Dynastie und der dadurch hervorgerufene Bürger- oder vielmehr Korpskrieg in diese Verhältnisse in verhängnisvoller Weise eingegriffen hätte. Die Insurrektion des Keltenlandes unter Führung des Vindex wurde zwar von den beiden germanischen Armeen niedergeschlagen; aber Neros Sturz erfolgte dennoch, und als sowohl das spanische Heer wie die Kaisergarde in Rom ihm einen Nachfolger bestellten, taten auch die Rheinarmeen das Gleiche und im Anfang des J. 69 überschritt der größte Teil dieser Truppen die Alpen, um auf den Schlachtfeldern Italiens auszumachen, ob dessen Herrscher Marcus oder Aulus heißen werde. Im Mai desselben Jahres folgte der neue Kaiser Vitellius, nachdem die Waffen für ihn entschieden hatten, begleitet von dem Rest der guten kriegsgewohnten Mannschaften. Durch eilig in Gallien ausgehobene Rekruten waren allerdings die Lücken in den Rheinbesatzungen notdürftig ausgefüllt worden; aber daß es nicht die alten Legionen waren, wußte das ganze Land, und bald zeigte es sich auch, daß jene nicht zurückkamen. Hätte der neue Herrscher die Armee, die ihn auf den Thron gesetzt hatte, in seiner Gewalt gehabt, so hätte gleich nach der Niederwerfung Othos im April wenigstens ein Teil derselben an den Rhein zurückkehren müssen; aber mehr noch die Unbotmäßigkeit der Soldaten als die bald eintretende neue Verwicklung mit dem im Osten zum Kaiser ausgerufenen Vespasian hielt die germanischen Legionen in Italien zurück.

Gallien war in der furchtbarsten Aufregung. Die Insurrektion des Vindex war, wie früher bemerkt ward, an sich nicht gegen die Herrschaft Roms, sondern gegen den dermaligen Herrscher gerichtet; aber darum war sie nicht weniger eine Kriegführung gewesen zwischen den Rheinarmeen und dem Landsturm der großen Mehrzahl der keltischen Gaue, und diese nicht weniger gleich Besiegten geplündert und mißhandelt worden. Die Stimmung, die zwischen den Provinzialen und den Soldaten bestand, zeigt zum Beispiel die Behandlung, welche der Gau der Helvetier bei dem Durchmarsch der nach Italien bestimmten Truppen erfuhr: weil hier ein von den Vitellianern nach Pannonien abgesandter Kurier aufgegriffen worden war, rückten die Marschkolonnen von der einen Seite, von der anderen die in Rätien in Garnison stehenden Römer in den Gau ein, plünderten weit und breit die Ortschaften, namentlich das heutige Baden bei Zürich, jagten die in die Berge Flüchtenden aus ihrem Versteck auf und machten sie zu Tausenden nieder oder verkauften die Gefangenen nach Kriegsrecht. Obwohl die Hauptstadt Aventicum (Avenches bei Murten) sich ohne Gegenwehr unterwarf, forderten die Agitatoren der Armee ihre Schleifung und alles, was der Feldherr gewährte, war die Verweisung der Frage nicht etwa an den Kaiser, sondern an die Soldaten des großen Hauptquartiers; diese saßen über das Schicksal der Stadt zu Gericht, und nur der Umschlag ihrer Laune rettete den Ort vor der Zerstörung. Dergleichen Mißhandlungen brachten die Provinzialen aufs äußerste; noch bevor Vitellius Gallien verließ, trat ein gewisser Mariccus aus dem von den Häduern abhängigen Gau der Boier auf, ein Gott auf Erden, wie er sagte, und bestimmt, die Freiheit der Kelten wieder herzustellen; und scharenweise strömten die Leute unter seine Fahnen. Indes kam auf die Erbitterung im Keltenland nicht allzuviel an. Eben der Aufstand des Vindex hatte auf das deutlichste gezeigt, wie völlig unfähig die Gallier waren, sich der römischen Umklammerung zu entwinden. Aber die Stimmung der zu Gallien gerechneten germanischen Distrikte in den heutigen Niederlanden, der Bataver, der Cannenefaten, der Friesen, deren Sonderstellung schon hervorgehoben ward, hatte etwas mehr zu bedeuten; und es traf sich, daß eben diese einerseits aufs äußerste erbittert worden waren, andererseits ihre Kontingente zufällig sich in Gallien befanden. Die Masse der batavischen Truppen, 8000 Mann, der 14. Legion beigegeben, hatte längere Zeit mit dieser bei dem oberen Rheinheere gestanden und war dann unter Claudius bei der Besetzung Britanniens nach dieser Insel gekommen, wo dieses Korps kurz zuvor die entscheidende Schlacht unter Paullinus durch seine unvergleichliche Tapferkeit für die Römer gewonnen hatte; von diesem Tag an nahm dasselbe unter allen römischen Heeresabteilungen unbestritten den ersten Platz ein. Eben dieser Auszeichnung wegen von Nero abberufen, um mit ihm zum Kriege in den Orient abzugehen, hatte die in Gallien ausbrechende Revolution ein Zerwürfnis zwischen der Legion und ihren Hilfsmannschaften herbeigeführt: jene, dem Nero treu ergeben, eilte nach Italien, die Bataver dagegen weigerten sich zu folgen. Vielleicht hing dies damit zusammen, daß zwei ihrer angesehensten Offiziere, die Brüder Paulus und Civilis, ohne jeden Grund und ohne Rücksicht auf vieljährige treue Dienste und ehrenvolle Wunden, kurz vorher als des Hochverrats verdächtig in Untersuchung gezogen, der erstere hingerichtet, der zweite gefangengesetzt worden war. Nach Neros Sturz, zu welchem der Abfall der batavischen Kohorten wesentlich beigetragen hatte, gab Galba den Civilis frei und sandte die Bataver in ihr altes Standquartier nach Britannien zurück. Während sie auf dem Marsch dahin bei den Lingonen (Langres) lagerten, fielen die Rheinlegionen von Galba ab und riefen den Vitellius zum Kaiser aus. Die Bataver schlossen nach längerem Schwanken schließlich sich an; dieses Schwanken vergab ihnen Vitellius nicht, doch wagte er nicht, den Führer des mächtigen Korps geradezu zur Verantwortung zu ziehen. So waren die Bataver mit den Legionen von Untergermanien nach Italien marschiert und hatten mit gewohnter Tapferkeit in der Schlacht von Betriacum für Vitellius gefochten, während ihre alten Legionskameraden ihnen in dem Heere Othos gegenüberstanden. Aber der Übermut dieser Germanen erbitterte ihre römischen Siegesgenossen, wie sehr sie ihre Tapferkeit im Kampf anerkannten; auch die kommandierenden Generale trauten ihnen nicht und machten sogar einen Versuch durch Detachierung sie zu teilen, was freilich in diesem Krieg, in dem die Soldaten kommandierten und die Generale gehorchten, nicht durchzuführen war und fast dem General das Leben gekostet hätte. Nach dem Siege wurden sie beauftragt, ihre feindlichen Kameraden von der 14. Legion nach Britannien zu eskortieren; aber da es zwischen beiden in Turin zum Handgemenge gekommen war, gingen diese allein dorthin und sie selbst nach Germanien. Inzwischen war im Orient Vespasianus zum Kaiser ausgerufen worden, und während infolgedessen Vitellius sowohl den batavischen Kohorten Marschbefehl nach Italien gab wie auch bei den Batavern neue umfassende Aushebungen anordnete, knüpften Vespasians Beauftragte mit den batavischen Offizieren an, um diesen Abmarsch zu verhindern und in Germanien selbst einen Aufstand hervorzurufen, der die Truppen dort festhielte. Civilis ging darauf ein. Er begab sich in seine Heimat und gewann leicht die Zustimmung der Seinigen sowie der benachbarten Cannenefaten und Friesen. Bei jenen brach der Aufstand aus; die beiden Kohortenlager in der Nähe wurden überfallen und die römischen Posten aufgehoben; die römischen Rekruten schlugen sich schlecht; bald warf Civilis mit seiner Kohorte, die er hatte nachkommen lassen, um sie angeblich gegen die Insurgenten zu gebrauchen, sich selbst offen in die Bewegung, sagte mit den drei germanischen Gauen dem Vitellius auf und forderte die übrigen eben damals von Mainz zum Abmarsch nach Italien aufbrechenden Bataver und Cannenefaten auf, sich ihm anzuschließen.

Das alles war mehr ein Soldatenaufstand als eine Insurrektion der Provinz oder gar ein germanischer Krieg. Wenn damals die Rheinlegionen mit denen von der Donau und weiter mit diesen und der Euphratarmee schlugen, so war es nur folgerichtig, daß auch die Soldaten zweiter Klasse, und vor allem die angesehenste Truppe derselben, die batavische, selbständig in diesen Korpskrieg eintrat. Wer diese Bewegung bei den Kohorten der Bataver und den linksrheinischen Germanen mit der Insurrektion der rechtsrheinischen unter Augustus zusammenstellt, der darf nicht übersehen, daß in jener die Alen und Kohorten die Rolle des Landsturms der Cherusker übernahmen; und wenn der treulose Offizier des Varus seine Nation aus der Römerherrschaft erlöste, so handelte der batavische Führer im Auftrag Vespasians, ja vielleicht auf geheime Anweisung des im Stillen Vespasian geneigten Statthalters seiner Provinz, und richtete sich der Aufstand zunächst lediglich gegen Vitellius. Freilich war die Lage der Dinge von der Art, daß dieser Soldatenaufstand jeden Augenblick in einen Germanenkrieg gefährlichster Art sich verwandeln konnte. Dieselben römischen Truppen, die den Rhein gegen die Germanen des rechten Ufers deckten, standen infolge der Korpskriege den linksrheinischen Germanen feindlich gegenüber; die Rollen waren solcher Art, daß es fast leichter schien sie zu wechseln als sie durchzuführen. Civilis selbst mag es wohl auf den Erfolg haben ankommen lassen, ob die Bewegung auf einen Kaiserwechsel oder auf die Vertreibung der Römer aus Gallien durch die Germanen hinauslaufen werde.

Das Kommando über die beiden Rheinarmeen führte damals, nachdem der Statthalter von Untergermanien Kaiser geworden war, sein bisheriger Kollege in Obergermanien Hordeonius Flaccus, ein hochbejahrter podagrischer Mann, ohne Energie und ohne Autorität, dazu entweder in der Tat im geheimen zu Vespasian haltend oder doch bei den eifrig dem Kaiser ihrer Mache anhängenden Legionen solcher Treulosigkeit sehr verdächtig. Es zeichnet ihn und seine Stellung, daß er, um sich von dem Verdacht des Verrates zu reinigen, Befehl gab, die einlaufenden Regierungsdepeschen uneröffnet den Adlerträgern der Legionen zuzustellen und diese sie zunächst den Soldaten vorlasen, bevor sie dieselben an ihre Adresse beförderten. Von den vier Legionen des unteren Heeres, das zunächst mit den Aufständischen zu tun hatte, standen zwei, die 5. und die 15., unter dem Legaten Munius Lupercus im Hauptquartier zu Vetera, die 16. unter Numisius Rufus in Noväsium (Neuß), die 1. unter Herennius Gallus in Bonna (Bonn). Von dem oberen Heer, das damals nur drei Legionen zählte, blieb die eine, die 21., in ihrem Standquartier Vindonissa diesen Vorgängen fern, wenn sie nicht vielmehr ganz nach Italien gezogen worden war; die beiden anderen, die 4. mazedonische und die 22., standen im Hauptquartier Mainz, wo auch Flaccus sich befand und faktisch der tüchtige Legat des letzteren Dillius Vocula den Oberbefehl führte. Die Legionen hatten durchgängig nur die Hälfte der vollen Zahl, und die meisten Soldaten waren Halbinvalide oder Rekruten.

Civilis, an der Spitze einer kleinen Zahl regulärer Truppen, aber des Gesamtaufgebotes der Bataver, Cannenefaten und Friesen, ging aus der Heimat zum Angriff vor. Zunächst am Rhein stieß er auf Reste der aus den nördlichen Gauen vertriebenen römischen Besatzungen und eine Abteilung der römischen Rheinflotte; als er angriff, lief nicht bloß die großenteils aus Batavern bestehende Schiffsmannschaft zu ihm über, sondern auch eine Kohorte der Tungrer – es war der erste Abfall einer gallischen Abteilung; was von italischen Mannschaften dabei war, wurde erschlagen oder gefangen. Dieser Erfolg brachte endlich die rechtsrheinischen Germanen in Bewegung. Was sie seit langem vergeblich gehofft hatten, die Erhebung der römischen Untertanen auf dem andern Ufer, ging nun in Erfüllung, und sowohl die Chauker und die Friesen an der Küste wie vor allem die Bructerer zu beiden Seiten der oberen Ems bis hinab zur Lippe und am Mittelrhein Köln gegenüber die Tencterer, in minderem Maße die südlich an diese sich anschließenden Völkerschaften, Usiper, Mattiaker, Chatten, warfen sich in den Kampf. Als auf Befehl des Flaccus die beiden schwachen Legionen von Vetera gegen die Insurgenten ausrückten, konnten ihnen diese schon mit zahlreichem überrheinischem Zuzug entgegentreten; und die Schlacht endigte wie das Gefecht am Rhein mit einer Niederlage der Römer durch den Abfall der batavischen Reiterei, welche zu der Garnison von Vetera gehörte, und durch die schlechte Haltung der Reiter der Ubier wie der Treverer. Die insurgierten wie die zuströmenden Germanen schritten dazu, das Hauptquartier des unteren Heeres zu umstellen und zu belagern. Während dieser Belagerung erreichte die Kunde der Vorgänge am Unterrhein die übrigen batavischen Kohorten in der Nähe von Mainz; sie machten sofort Kehrt gegen Norden. Statt sie zusammenhauen zu lassen, ließ der schwachmütige Oberfeldherr sie ziehen, und als der Legionskommandant in Bonn sich ihnen entgegenwarf, unterstützte Flaccus diesen nicht, wie er es gekonnt und sogar anfänglich zugesagt hatte. So sprengten die tapferen Germanen die Bonner Legion auseinander und gelangten glücklich zu Civilis, fortan der geschlossene Kern seines Heeres, in welchem jetzt die römischen Kohortenfahnen neben den Tierstandarten aus den heiligen Hainen der Germanen standen. Noch immer aber hielt der Bataver wenigstens angeblich an Vespasian; er schwur die römischen Truppen auf dessen Namen ein und forderte die Besatzung von Vetera auf, sich mit ihm für diesen zu erklären. Indes diese Mannschaften sahen darin, vermutlich mit Recht, nur einen Versuch der Überlistung und wiesen diesen ebenso entschlossen ab wie die anstürmenden Scharen der Feinde, die bald durch die überlegene römische Taktik sich gezwungen sahen, die Belagerung in eine Blockade zu verwandeln. Aber da die römische Heerleitung durch diese Vorgänge überrascht worden war, waren die Vorräte knapp und baldiger Entsatz dringend geboten. Um diesen zu bringen, brachen Flaccus und Vocula mit ihrer gesamten Mannschaft von Mainz auf, zogen unterwegs die beiden Legionen aus Bonna und Noväsium sowie die auf den erhaltenen Befehl zahlreich sich einstellenden Hilfstruppen der gallischen Gaue an sich und näherten sich Vetera. Aber statt sofort die gesamte Macht von innen und außen auf die Belagerer zu werfen, mochte deren Überzahl noch so gewaltig sein, schlug Vocula sein Lager bei Gelduba (Gellep am Rhein unweit Krefeld) auf, einen starken Tagemarsch entfernt von Vetera, während Flaccus weiter zurückstand. Die Nichtigkeit des sogenannten Feldherrn und die immer steigende Demoralisation der Truppen, vor allem das oft bis zu Mißhandlungen und Mordanschlägen sich steigernde Mißtrauen gegen die Offiziere kann allein dies Einhalten wenigstens erklären. Also zog sich das Unheil immer dichter von allen Seiten zusammen. Ganz Germanien schien sich an dem Krieg beteiligen zu wollen; während die belagernde Armee beständig neuen Zuzug von dort erhielt, gingen andere Schwärme über den in diesem trocknen Sommer ungewöhnlich niedrigen Rhein, teils in den Rücken der Römer, in die Gaue der Ubier und der Treverer, das Moseltal zu brandschatzen, teils unterhalb Vetera in das Gebiet der Maas und der Schelde; weitere Haufen erschienen vor Mainz und machten Miene dies zu belagern. Da kam die Nachricht von der Katastrophe in Italien. Auf die Kunde von der zweiten Schlacht bei Betriacum im Herbst des J. 69 gaben die germanischen Legionen die Sache des Vitellius verloren und schwuren, wenn auch widerwillig, dem Vespasian; vielleicht in der Hoffnung, daß Civilis, der ja auch den Namen Vespasians auf seine Fahnen geschrieben hatte, dann seinen Frieden machen werde. Aber die germanischen Schwärme, die inzwischen über ganz Nordgallien sich ergossen hatten, waren nicht gekommen, um die flavische Dynastie einzusetzen; selbst wenn Civilis dies einmal gewollt hatte, jetzt hätte er es nicht mehr gekonnt. Er warf die Maske weg und sprach es offen aus, was freilich längst feststand, daß die Germanen Nordgalliens sich mit Hilfe der freien Landsleute der römischen Herrschaft zu entwinden gedachten.

Aber das Kriegsglück schlug um. Civilis versuchte das Lager von Gelduba zu überrumpeln; der Überfall begann glücklich und der Abfall der Kohorten der Nervier brachte Voculas kleine Schaar in eine kritische Lage. Da fielen plötzlich zwei spanische Kohorten den Germanen in den Rücken; die drohende Niederlage verwandelte sich in einen glänzenden Sieg; der Kern der angreifenden Armee blieb auf dem Schlachtfeld. Vocula rückte zwar nicht sofort gegen Vetera vor, was er wohl gekonnt hätte, aber drang einige Tage später nach einem abermaligen heftigen Gefecht mit den Feinden in die belagerte Stadt. Freilich Lebensmittel brachte er nicht; und da der Fluß in der Gewalt des Feindes war, mußten diese auf dem Landweg von Noväsium herbeigeschafft werden, wo Flaccus lagerte. Der erste Transport kam durch; aber die inzwischen wieder gesammelten Feinde griffen die zweite Proviantkolonne unterwegs an und nötigten sie, sich nach Gelduba zu werfen. Zu ihrer Unterstützung ging Vocula mit seinen Truppen und einem Teil der alten Besatzung von Vetera dorthin ab. In Gelduba angelangt, weigerten sich die Mannschaften nach Vetera zurückzukehren und die Leiden der abermals in Aussicht stehenden Belagerung weiter auf sich zu nehmen; statt dessen marschierten sie nach Noväsium, und Vocula, welcher den Rest der alten Garnison von Vetera einigermaßen verproviantiert wußte, mußte wohl oder übel folgen. In Noväsium war inzwischen die Meuterei zum Ausbruch gelangt. Die Soldaten hatten in Erfahrung gebracht, daß ein von Vitellius für sie bestimmtes Donativ an den Feldherrn gelangt sei, und erzwangen dessen Verteilung auf den Namen Vespasians. Kaum hatten sie es, so brach in den wüsten Gelagen, welche die Spende im Gefolg hatte, der alte Soldatengroll wieder hervor; sie plünderten das Haus des Feldherrn, der die Rheinarmee an den General der syrischen Legionen verraten hatte, erschlugen ihn und hätten auch dem Vocula das gleiche Schicksal bereitet, wenn dieser nicht in Vermummung entkommen wäre. Darauf riefen sie abermals den Vitellius zum Kaiser aus, nicht wissend, daß dieser damals schon tot war. Als diese Kunde ins Lager kam, kam der bessere Teil der Soldaten, namentlich die beiden obergermanischen Legionen einigermaßen zur Besinnung; sie vertauschten an ihren Standarten das Bildnis des Vitellius wieder mit dem Vespasians und stellten sich unter Voculas Befehle; dieser führte sie nach Mainz, wo er den Rest des Winters 69/70 verblieb. Civilis besetzte Gelduba und schnitt damit Vetera ab, das aufs neue eng blockiert ward; die Lager von Noväsium und Bonna wurden noch gehalten.

Bisher hatte das gallische Land, abgesehen von den wenigen insurgierten germanischen Gauen im Norden, fest an Rom gehalten. Allerdings ging die Parteiung durch die einzelnen Gaue; unter den Tungrern zum Beispiel hatten die Bataver starken Anhang, und die schlechte Haltung der gallischen Hilfsmannschaften während des ganzen Feldzugs wird wohl zum Teil durch dergleichen römerfeindliche Stimmungen hervorgerufen sein. Aber auch unter den Insurgierten gab es eine ansehnliche römisch gesinnte Partei; ein vornehmer Bataver Claudius Labeo führte gegen seine Landsleute in seiner Heimat und der Nachbarschaft einen Parteigängerkrieg nicht ohne Erfolge und Civilis‘ Schwestersohn Julius Briganticus fiel in einem dieser Gefechte an der Spitze einer römischen Reiterschar. Dem Befehl, Zuzug zu senden, hatten alle gallischen Gaue ohne weiteres Folge geleistet; die Ubier, obwohl germanischer Herkunft, waren auch in diesem Kriege lediglich ihres Römertums eingedenk, und sie wie die Treverer hatten den in ihr Gebiet einbrechenden Germanen tapferen und erfolgreichen Widerstand geleistet. Es war das begreiflich. Die Dinge lagen in Gallien noch so wie in den Zeiten Cäsars und Ariovists; eine Befreiung der gallischen Heimat von der römischen Herrschaft durch diejenigen Schwärme, welche, um dem Civilis landsmannschaftlichen Beistand zu leisten, eben damals das Mosel-, Maas- und Scheldetal ausraubten, war ebensosehr eine Auslieferung des Landes an die germanischen Nachbarn; in diesem Krieg, der aus einer Fehde zwischen zwei römischen Truppenkorps zu einem römisch-germanischen sich entwickelt hatte, waren die Gallier eigentlich nichts als der Einsatz und die Beute. Daß die Stimmung der Gallier, trotz aller wohlbegründeten allgemeinen und besonderen Beschwerden über das römische Regiment, überwiegend antigermanisch war und für jene aufflammende und rücksichtslose nationale Erhebung, wie sie vor Zeiten wohl durch das Volk gegangen war, in diesem inzwischen halb romanisierten Gallien der Zündstoff fehlte, hatten die bisherigen Vorgänge auf das deutlichste gezeigt. Aber unter den beständigen Mißerfolgen der römischen Armee wuchs allmählich den römerfeindlichen Galliern der Mut und ihr Abfall vollendete die Katastrophe. Zwei vornehme Treverer, Julius Classicus, der Befehlshaber der treverischen Reiterei, und Julius Tutor, der Kommandant der Uferbesatzungen am Mittelrhein, der Lingone Julius Sabinus, Nachkomme, wie er wenigstens sich berühmte, eines Bastards Cäsars, und einige andere gleichgesinnte Männer aus verschiedenen Gauen glaubten in der fahrigen keltischen Weise zu erkennen, daß der Untergang Roms in den Sternen geschrieben und durch den Brand des Kapitols (Dez. 69) der Welt verkündigt sei. So beschlossen sie, die Römerherrschaft zu beseitigen und ein gallisches Reich zu errichten. Dazu gingen sie den Weg des Arminius. Vocula ließ sich wirklich durch gefälschte Rapporte dieser römischen Offiziere bestimmen, mit den unter ihrem Kommando stehenden Kontingenten und einem Teil der Mainzer Besatzung im Frühjahre 70 nach dem Unterrhein aufzubrechen, um mit diesen Truppen und den Legionen von Bonna und Noväsium das hart bedrängte Vetera zu entsetzen. Auf dem Marsch von Noväsium nach Vetera verließen Classicus und die mit ihm einverstandenen Offiziere das römische Heer und proklamierten das neue gallische Reich. Vocula führte die Legionen zurück nach Noväsium; unmittelbar davor schlug Classicus sein Lager auf. Vetera konnte sich nicht mehr lange halten; die Römer mußten erwarten, nach dessen Fall die gesamte Macht des Feindes sich gegenüber zu finden. Dies vor Augen versagten die römischen Truppen und kapitulierten mit den abgefallenen Offizieren. Vergeblich versuchte Vocula noch einmal die Bande der Zucht und der Ehre anzuziehen; die Legionen Roms ließen es geschehen, daß ein römischer Überläufer von der ersten Legion auf Befehl des Classicus den tapferen Feldherrn niederstieß, und lieferten selbst die übrigen Oberoffiziere gefesselt an den Vertreter des Reiches Gallien aus, der dann die Soldaten auf dieses Reich in Eid und Pflicht nahm. Denselben Schwur leistete in die Hände der eidbrüchigen Offiziere die Besatzung von Vetera, die, durch Hunger bezwungen, sofort sich ergab und ebenso die Besatzung von Mainz, wo nur wenige einzelne der Schande sich durch Flucht oder Tod entzogen. Das ganze stolze Rheinheer, die erste Armee des Reiches, hatte vor seinen eigenen Auxilien, Rom vor Gallien kapituliert.

Es war ein Trauerspiel und zugleich eine Posse. Das gallische Reich verlief, wie es mußte. Civilis und seine Germanen ließen es zunächst sich wohl gefallen, daß der Zwist im römischen Lager ihnen die eine wie die andere Hälfte der Feinde in die Hände spielte, aber er dachte nicht daran, jenes Reich anzuerkennen, und noch weniger seine rechtsrheinischen Genossen.

Ebenso wenig wollten die Gallier selbst davon etwas wissen, wobei allerdings der schon bei dem Aufstand des Vindex hervorgetretene Riß zwischen den östlichen Distrikten und dem übrigen Lande mit ins Gewicht fiel. Die Treverer und die Lingonen, deren leitende Männer jene Lagerverschwörung angezettelt hatten, standen zu ihren Führern, aber sie blieben so gut wie allein, nur die Vangionen und Triboker schlossen sich an. Die Sequaner, in deren Gebiet die benachbarten Lingonen einrückten, um sie zum Beitritt zu bestimmen, schlugen dieselben kurzweg zum Lande hinaus. Die angesehenen Remer, der führende Gau in der Belgica, riefen den Landtag der drei Gallien ein, und obwohl es an politischen Freiheitsrednern auf demselben nicht mangelte, so beschloß derselbe lediglich die Treverer von der Auflehnung abzumahnen. – Wie die Verfassung des neuen Reiches ausgefallen sein würde, wenn es zustande gekommen wäre, ist schwer zu sagen; wir erfahren nur, daß jener Sabinus, der Urenkel der Kebse Cäsars, sich auch Cäsar nannte und in dieser Eigenschaft sich von den Sequanern schlagen ließ, Classicus dagegen, dem solche Aszendenz nicht zu Gebote stand, die Abzeichen der römischen Magistratur anlegte, also wohl den republikanischen Prokonsul spielte. Dazu paßt eine Münze, die von Classicus oder seinen Anhängern geschlagen sein muß, welche den Kopf der Gallia zeigt, wie die Münzen der römischen Republik den der Roma, und daneben das Legionssymbol mit der recht verwegenen Umschrift der »Treue« ( fides). – Zunächst am Rhein freilich hatten die Reichsmänner in Gemeinschaft mit den insurgierten Germanen freie Hand. Die Reste der beiden Legionen, die in Vetera kapituliert hatten, wurden gegen die Kapitulation und gegen Civilis‘ Willen niedergemacht, die beiden von Noväsium und Bonna nach Trier geschickt, die sämtlichen römischen Rheinlager, große und kleine, mit Ausnahme von Mogontiacum niedergebrannt. In der schlimmsten Lage fanden sich die Agrippinenser. Die Reichsmänner hatten sich allerdings darauf beschränkt, von ihnen den Treueid zu fordern; aber ihnen vergaßen es die Germanen nicht, daß sie eigentlich die Ubier waren. Eine Botschaft der Tencterer vom rechten Rheinufer – es war dies einer der Stämme, deren alte Heimat die Römer öde gelegt hatten und als Viehtrift benutzten und die infolgedessen sich andere Wohnsitze hatten suchen müssen – forderte die Schleifung dieses Hauptsitzes der germanischen Apostaten und die Hinrichtung aller ihrer Bürger römischer Herkunft. Dies wäre auch wohl beschlossen worden, wenn nicht sowohl Civilis, der ihnen persönlich verpflichtet war, wie auch die germanische Prophetin Veleda im Bructerergau, welche diesen Sieg vorher gesagt hatte und deren Autorität das ganze Insurgentenheer anerkannte, ihr Fürwort eingelegt hätten.

Lange Zeit blieb den Siegern nicht, über die Beute zu streiten. Die Reichsmänner versicherten allerdings, daß der Bürgerkrieg in Italien ausgebrochen, alle Provinzen vom Feinde überzogen und Vespasianus wahrscheinlich tot sei; aber der schwere Arm Roms wurde bald genug empfunden. Das neubefestigte Regiment konnte die besten Feldherren und zahlreiche Legionen an den Rhein entsenden, und es bedurfte allerdings hier einer imposanten Machtentwicklung. Annius Gallus übernahm das Kommando in der oberen, Petillius Cerialis in der unteren Provinz, der letztere, ein ungestümer und oft unvorsichtiger, aber tapferer und fähiger Offizier, die eigentliche Aktion. Außer der 21. Legion von Vindonissa kamen fünf aus Italien, drei aus Spanien, eine nebst der Flotte aus Britannien, dazu ein weiteres Korps von der rätischen Besatzung. Dieses und die 21. Legion trafen zuerst ein. Die Reichsmänner hatten wohl davon geredet, die Alpenpässe zu sperren; aber geschehen war nichts, und das ganze oberrheinische Land bis nach Mainz lag offen da. Die beiden Mainzer Legionen hatten zwar dem gallischen Reich geschworen und leisteten anfänglich Widerstand; aber sowie sie erkannten, daß eine größere römische Armee ihnen gegenüberstand, kehrten sie zum Gehorsam zurück und ihrem Beispiel folgten sofort die Vangionen und die Triboker. Sogar die Lingonen unterwarfen sich ohne Schwertstreich, bloß gegen Zusage milder Behandlung, ihrer 70 000 waffenfähige Männer. Fast hätten die Treverer selbst das Gleiche getan; doch wurden sie daran durch den Adel verhindert. Die beiden von der niederrheinischen Armee übriggebliebenen Legionen, die hier standen, hatten auf die erste Kunde von dem Annahen der Römer die gallischen Insignien von ihren Feldzeichen gerissen und rückten ab zu den treugebliebenen Mediomatrikern (Metz), wo sie sich der Gnade des neuen Feldherrn unterwarfen. Als Cerialis bei dem Heer eintraf, fand er schon ein gutes Stück der Arbeit getan. Die Insurgentenführer freilich boten das äußerste auf – damals sind auf ihr Geheiß die bei Noväsium ausgelieferten Legionslegaten umgebracht worden –, aber militärisch waren sie ohnmächtig und ihr letzter politischer Schachzug, dem römischen Feldherrn selber die Herrschaft des gallischen Reiches anzutragen, des Anfangs würdig. Nach kurzem Gefecht besetzte Cerialis die Hauptstadt der Treverer, nachdem die Führer und der ganze Rat zu den Germanen geflüchtet waren; das war das Ende des gallischen Reiches. – Ernster war der Kampf mit den Germanen. Civilis überfiel mit seiner gesamten Streitmacht, den Batavern, dem Zuzug der Germanen und den landflüchtigen Scharen der gallischen Insurgenten, die viel schwächere römische Armee in Trier selbst; schon war das römische Lager in seiner Gewalt und die Moselbrücke von ihm besetzt, als seine Leute, statt den gewonnenen Sieg zu verfolgen, vorzeitig zu plündern begannen, und Cerialis, seine Unvorsichtigkeit durch glänzende Tapferkeit wieder gut machend, den Kampf wiederherstellte und schließlich die Germanen aus dem Lager und der Stadt hinausschlug. Es gelang nichts mehr von Bedeutung. Die Agrippinenser schlugen sich sofort wieder zu den Römern und brachten die bei ihnen weilenden Germanen in den Häusern um; eine ganze dort lagernde germanische Kohorte wurde eingesperrt und in ihrem Quartier verbrannt. Was in der Belgica noch zu den Germanen hielt, brachte die aus Britannien eintreffende Legion zum Gehorsam zurück; ein Sieg der Cannenefaten über die römischen Schiffe, die die Legion gelandet hatten, andere einzelne Erfolge der tapferen germanischen Haufen und vor allem der zahlreicheren und besser geführten germanischen Schiffe änderten die allgemeine Kriegslage nicht. Auf den Ruinen von Vetera bot Civilis dem Feind die Stirn; aber dem inzwischen verdoppelten römischen Heere mußte er weichen, dann endlich auch die eigene Heimat nach verzweifelter Gegenwehr dem Feind überlassen. Wie immer stellte im Gefolge des Unglücks die Zwietracht sich ein; Civilis war seiner eigenen Leute nicht mehr sicher und suchte und fand Schutz vor ihnen bei den Feinden. Im Spätherbst des J. 70 war der ungleiche Kampf entschieden; die Auxilien kapitulierten nun ihrerseits vor den Bürgerlegionen und die Priesterin Veleda kam als Gefangene nach Rom.

Blicken wir zurück auf diesen Krieg, einen der seltsamsten und einen der entsetzlichsten aller Zeiten, so ist kaum je einer Armee eine gleich schwere Aufgabe gestellt worden wie den beiden römischen Rheinheeren in den Jahren 69 und 70. Im Laufe weniger Monate Soldaten Neros, dann des Senats, dann Galbas, dann des Vitellius, dann Vespasians; die einzige Stütze der Herrschaft Italiens über die zwei mächtigen Nationen der Gallier und der Germanen, und die Soldaten der Auxilien fast ganz, die der Legionen großenteils aus eben diesen Nationen genommen; ihrer besten Mannschaften beraubt, meist ohne Löhnung und oft hungernd und über alle Maßen elend geführt, ist ihnen allerdings innerlich wie äußerlich Übermenschliches zugemutet worden. Sie haben die schwere Probe übel bestanden. Es ist dieser Krieg weniger einer gewesen zwischen zwei Armeekorps, wie die anderen Bürgerkriege dieser entsetzlichen Zeit, als ein Krieg der Soldaten und vor allem der Offiziere zweiter Klasse gegen die der ersten, verbunden mit einer gefährlichen Insurrektion und Invasion der Germanen und einer beiläufigen und unbedeutenden Auflehnung einiger keltischer Distrikte. In der römischen Militärgeschichte sind Cannä und Karrhä und der Teutoburger Wald Ruhmesblätter verglichen mit der Doppelschmach von Noväsium; nur wenige einzelne Männer, keine einzige Truppe hat in der allgemeinen Verunehrung sich reinen Schild bewahrt. Die grauenhafte Zerrüttung des Staats- und vor allem des Heerwesens, welche bei dem Untergang der julisch-claudischen Dynastie uns entgegentritt, erscheint deutlicher noch als in der führerlosen Schlacht von Betriacum in diesen Vorgängen am Rhein, deren gleichen die Geschichte Roms nie vorher und nie nachher aufweist.

Bei dem Umfang und der Allgemeinheit dieser Frevel war ein entsprechendes Strafgericht unmöglich. Es verdient Anerkennung, daß der neue Herrscher, der glücklicherweise persönlich all diesen Vorgängen ferngeblieben war, in echt staatsmännischer Weise das Vergangene vergangen sein ließ und nur bemüht war, der Wiederholung ähnlicher Auftritte vorzubeugen. Daß die hervorragenden Schuldigen sowohl aus den Reihen der Truppen wie aus den Insurgenten für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wurden, versteht sich von selbst; man mag das Strafgericht daran messen, daß, als fünf Jahre später einer der gallischen Insurgentenführer in einem Versteck aufgefunden wurde, in dem seine Gattin ihn bis dahin verborgen gehalten hatte, Vespasian ihn wie sie dem Henker übergab. Aber man gestattete den abtrünnigen Legionen mit gegen die Deutschen zu kämpfen und in den heißen Schlachten bei Trier und bei Vetera ihre Schuld einigermaßen zu sühnen. Allerdings wurden nichts desto weniger die vier Legionen des unterrheinischen Heeres alle und von den beiden beteiligten oberrheinischen die eine kassiert – gern möchte man glauben, daß die 22. verschont ward in ehrender Erinnerung an ihren tapferen Legaten. Auch von den batavischen Kohorten ist wahrscheinlich eine beträchtliche Anzahl von dem gleichen Schicksal betroffen worden, nicht minder, wie es scheint, das Reiterregiment der Treverer und vielleicht noch manche andere besonders hervorgetretene Truppe. Noch viel weniger als gegen die abtrünnigen Soldaten konnte gegen die insurgierten keltischen und germanischen Gaue mit der vollen Schärfe des Gesetzes eingeschritten werden; daß die römischen Legionen die Schleifung der treverischen Augustuskolonie forderten, diesmal nicht der Beute, sondern der Rache wegen, ist wenigstens ebenso begreiflich wie die von den Germanen begehrte Zerstörung der Ubierstadt; aber wie Civilis diese, so schützte jene Vespasian. Selbst den linksrheinischen Germanen wurde ihre bisherige Stellung im ganzen gelassen. Wahrscheinlich aber trat – wir sind hier ohne sichere Überlieferung – in der Aushebung und der Verwendung der Auxilien eine wesentliche Änderung ein, welche die in dem Auxilienwesen liegende Gefahr minderte. Den Batavern blieb die Steuerfreiheit und ein immer noch bevorzugtes Dienstverhältnis; hatte doch ein nicht ganz geringer Teil derselben die Sache der Römer mit den Waffen verfochten. Aber die batavischen Truppen wurden beträchtlich verringert, und wenn ihnen bisher, wie es scheint von Rechts wegen, die Offiziere aus dem eigenen Adel gesetzt worden waren und auch gegenüber den sonstigen germanischen und keltischen das Gleiche wenigstens häufig geschehen war, so werden die Offiziere der Alen und Kohorten späterhin überwiegend aus dem Stande genommen, dem Vespasian selber entstammte, aus dem guten städtischen Mittelstand Italiens und der italisch geordneten Provinzialstädte. Offiziere von der Stellung des Cheruskers Arminius, des Batavers Civilis, des Treverers Classicus begegnen seitdem nicht wieder. Die bisherige Geschlossenheit der aus dem gleichen Gau ausgehobenen Truppen findet sich später ebensowenig, sondern die Leute dienen ohne Unterschied ihrer Herkunft in den verschiedensten Abteilungen; es ist das wahrscheinlich eine Lehre, welche die römische Militärverwaltung sich aus diesem Kriege gezogen hat. Eine andere durch diesen Krieg gewiesene Änderung wird es sein, daß, wenn bis dahin die in Germanien verwendeten Auxilien der Mehrzahl nach aus den germanischen und den benachbarten Gauen genommen waren, seitdem ebenso wie die dalmatischen und pannonischen infolge des batonischen Krieges fortan auch die germanischen Auxiliartruppen überwiegend außerhalb ihrer Heimat Verwendung fanden. Vespasian war ein einsichtiger und erfahrener Militär; es ist wahrscheinlich zum guten Teil sein Verdienst, wenn von Auflehnung der Auxilien gegen ihre Legionen kein späteres Beispiel begegnet.

Daß die eben berichtete Insurrektion der linksrheinischen Germanen, obwohl sie, infolge der zufälligen Vollständigkeit der darüber erhaltenen Berichte, allein uns einen deutlichen Einblick in die politischen und militärischen Verhältnisse am Unterrhein und Galliens überhaupt gewährt und darum auch eine ausführliche Erzählung verdiente, dennoch mehr durch äußere und zufällige Ursachen als durch die innere Notwendigkeit der Dinge hervorgerufen wurden, beweist die nun folgende anscheinend vollständige Ruhe daselbst und der, so viel wir sehen, ununterbrochene Statusquo eben in dieser Gegend. Die römischen Germanen sind in dem Reiche nicht minder vollständig aufgegangen als die römischen Gallier; von Insurrektionsversuchen jener ist nie wieder die Rede. Am Ausgang des dritten Jahrhunderts wird von den über den Unterrhein in Gallien einbrechenden Franken auch das batavische Gebiet mit erfaßt; doch haben sich die Bataver in ihren alten,, wenn auch geschmälerten Sitzen und ebenso die Friesen selbst während der Wirren der Völkerwanderung behauptet und so viel wir wissen auch dem baufälligen Reichsganzen die Treue bewahrt.

Wenden wir uns von den römischen zu den freien Germanen östlich vom Rhein, so ist für diese mit ihrer Beteiligung an jener batavischen Insurrektion das offensive Vorgehen nicht minder vorbei wie mit den Expeditionen des Germanicus die Versuche der Römer zu Ende sind, eine Grenzveränderung im großen Stil in diesen Gebieten herbeizuführen.

Unter den freien Germanen sind die dem römischen Gebiet nächstwohnenden die Bructerer an beiden Ufern der mittleren Ems und in dem Quellgebiet der Ems und der Lippe, weshalb sie auch vor allen übrigen Germanen sich an der batavischen Insurrektion beteiligten. Aus ihrem Gau war das Mädchen Veleda, die ihre Landsleute in den Krieg gegen Rom entsandte und ihnen den Sieg verhieß, deren Ausspruch über das Schicksal der Ubierstadt entschied, zu deren hohem Turm die gefangenen Senatoren und das erbeutete Admiralschiff der Rheinflotte gesendet wurden. Die Niederwerfung der Bataver traf auch sie, vielleicht noch ein besonderer Gegenschlag der Römer, da jene Jungfrau späterhin gefangen nach Rom geführt ward. Diese Katastrophe sowie Fehden mit den benachbarten Völkern brachen ihre Macht; unter Nerva ist ihnen ein König, den sie nicht wollten, von ihren Nachbarn unter passiver Assistenz des römischen Legaten mit den Waffen aufgezwungen worden.

Die Cherusker im oberen Wesergebiet, zu Augustus‘ und Tiberius‘ Zeit der führende Gau in Mitteldeutschland, werden seit Armins Tode selten genannt, immer aber als in guten Beziehungen zu den Römern stehend. Als der Bürgerkrieg, der bei ihnen auch nach Arminius‘ Fall weiter gewütet haben muß, ihr ganzes Fürstengeschlecht hingerafft, erbaten sie sich den letzten des Hauses, den in Italien lebenden Brudersohn Armins Italicus, von der römischen Regierung zum Herrscher; freilich entzündete die Heimkehr des tapferen, aber mehr seinem Namen als seiner Herkunft entsprechenden Mannes die Fehde abermals und, von den Seinen vertrieben, setzten ihn noch einmal die Langobarden auf den wankenden Herrschersitz. Einer seiner Nachfolger, der König Chariomerus, ergriff in dem Chattenkrieg Domitians so ernstlich für die Römer Partei, daß er nach dessen Beendigung, von den Chatten vertrieben, zu den Römern flüchtete und deren Intervention freilich vergebens anrief. Durch diese ewigen inneren und äußeren Fehden ward das Cheruskervolk so geschwächt, daß es seitdem aus der aktiven Politik verschwindet. Der Name der Marser wird seit den Zügen des Germanicus überhaupt nicht mehr gefunden. Daß die weiter östlich an der Elbe wohnenden Völkerschaften wie alle entferntere Germanen an den Kämpfen der Bataver und ihrer Genossen in den J. 69 und 70 sich so wenig beteiligt haben wie diese an den germanischen Kriegen unter Augustus und Tiberius, darf bei der Ausführlichkeit des Berichtes als sicher bezeichnet werden. Wo sie späterhin einmal begegnen, erscheinen sie nie in feindlicher Haltung gegen die Römer. Daß die Langobarden den römischen Cheruskerkönig wieder einsetzten, wurde schon erwähnt. Der König der Semnonen Masuus, und merkwürdigerweise mit ihm die Prophetin Ganna, welche bei diesem wegen besonderer Gläubigkeit berühmten Stamme in hohem Ansehen stand, besuchten den Kaiser Domitianus in Rom und wurden an dessen Hofe freundlich aufgenommen. Es mag in den Gegenden von der Weser bis zur Elbe in diesen Jahrhunderten manche Fehde getobt, manche Machtstellung sich verschoben, mancher Gau den Namen gewechselt oder sich anderer Verbindung eingefügt haben; den Römern gegenüber trat, nachdem der feste Verzicht derselben auf Unterwerfung dieser Landschaft allgemein empfunden ward, ein dauernder Grenzfriede ein. Auch Invasionen aus dem fernen Osten können denselben in dieser Epoche nicht wesentlich gestört haben; denn der Rückschlag davon auf die römische Grenzwacht hätte nicht ausbleiben können und von ernsteren Krisen auf diesem Gebiet würde die Kunde nicht fehlen. Zu allem diesem gibt das Siegel die Reduktion der niederrheinischen Armee auf die Hälfte des früheren Bestandes, welche, wir wissen nicht genau wann, aber in dieser Epoche eingetreten ist. Das niederrheinische Heer, mit welchem Vespasian zu kämpfen hatte, zählte vier Legionen, das der traianischen Zeit vermutlich die gleiche Zahl, mindestens drei; wahrscheinlich schon unter Hadrian, gewiß unter Marcus standen daselbst nicht mehr als zwei, die 1. minervische und die 30. Traians.

In anderer Weise entwickelten sich die germanischen Verhältnisse in der oberen Provinz. Von den linksrheinischen Germanen, die dieser angehörten, den Tribokern, Nemetern, Vangionen, ist geschichtlich nichts hervorzuheben, als daß sie, seit langem unter den Kelten ansässig, die Schicksale Galliens teilten. Die hauptsächliche Verteidigungslinie der Römer ist auch hier der Rhein immer geblieben. Alle Standlager der Legionen finden sich zu aller Zeit auf dem linken Rheinufer; nicht einmal das von Argentoratum ist auf das rechte verlegt worden, als das ganze Neckargebiet römisch war. Aber wenn in der unteren Provinz die römische Herrschaft auf dem rechten Rheinufer im Laufe der Zeit beschränkt wird, so wird sie umgekehrt hier erweitert. Die von Augustus beabsichtigte Verknüpfung der Rheinlager mit denen an der Donau durch Vorschiebung der Reichsgrenze in östlicher Richtung, welche, wenn sie zur Ausführung gekommen wäre, mehr Ober- als Untergermanien erweitert haben würde, ist in diesem Kommando wohl niemals völlig aufgegeben und späterhin, wenn auch in bescheidenerem Maßstabe, wieder aufgenommen worden. Die Überlieferung gestattet uns nicht, die in diesem Sinne durch Jahrhunderte fortgeführten Operationen, die dazugehörigen Straßen- und Wallbauten, die deshalb geführten Kriege in ihrem Zusammenhang darzulegen; und auch der noch vorhandene große Militärbau, dessen gleichfalls Jahrhunderte umfassende Entstehung einen guten Teil jener Geschichte in sich schließen muß, ist bisher nicht so, wie es wohl geschehen könnte, von militärisch geschärften Augen in seiner Gesamtheit untersucht worden – die Hoffnung, daß das geeinigte Deutschland sich auch zu der Erforschung dieses seines ältesten geschichtlichen Gesamtdenkmals vereinigen werde, ist fehlgeschlagen. Was zur Zeit aus den Trümmern der römischen Annalen oder der römischen Kastelle darüber ans Licht gekommen ist, soll hier versucht werden zusammenzufassen.

Auf dem rechten Ufer legt sich nicht weit von dem nördlichen Ende der Provinz dem ebenen oder hügeligen niederrheinischen Land in westöstlicher Richtung die Taunuskette vor, die gegenüber Bingen auf den Rhein stößt. Diesem Bergzug parallel, auf der anderen Seite abgeschlossen durch die Ausläufer des Odenwaldes, erstreckt sich die Ebene des unteren Maintales, der rechte Zugang zum inneren Deutschland, beherrscht von der Schlüsselstellung an der Mündung des Mains in den Rhein, Mogontiacum oder Mainz, seit Drusus‘ Zeit bis zum Ausgang Roms der Ausfallsburg der Römer aus Gallien gegen Germanien wie heutzutage dem rechten Riegel Deutschlands gegen Frankreich. Hier behielten die Römer, auch nachdem sie auf die Herrschaft im überrheinischen Land im allgemeinen verzichtet hatten, nicht bloß den Brückenkopf am anderen Ufer, das castellum Mogontiacense (Castel), sondern jene Mainebene selbst in ihrem Besitz; und in diesem Gebiet durfte auch die römische Zivilisation sich festsetzen. Es war dies ursprünglich chattisches Land und ein chattischer Stamm, die Mattiaker sind auch unter römischer Herrschaft hier ansässig geblieben; aber nachdem die Chatten diesen Distrikt an Drusus hatten abtreten müssen, ist derselbe ein Teil des Reiches geblieben. Die warmen Quellen in der nächsten Nähe von Mainz (aquae Mattiacae, Wiesbaden) wurden erweislich in Vespasians Zeit und sicher schon lange vorher von den Römern benutzt; unter Claudius wurde hier auf Silber gebaut; die Mattiaker haben schon früh wie andere Untertanendistrikte Truppen zur Armee gestellt. An der allgemeinen Auflehnung der Germanen unter Civilis nahmen sie Anteil; aber nach der Besiegung stellten die früheren Verhältnisse sich wieder her. Seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts finden wir die Gemeinde der taunensischen Mattiaker unter römisch geordneten Behörden.

Die Chatten, obwohl also vom Rhein abgedrängt, erscheinen in der folgenden Zeit als der mächtigste Stamm unter denen des germanischen Binnenlandes, die mit den Römern in Beziehung kamen; die Führung, die unter Augustus und Tiberius die Cherusker an der mittleren Weser gehabt hatten, ging in der stetigen Fehde mit diesen ihren stammverwandten südlichen Nachbarn auf die letzteren über. Alle Kriege zwischen Römern und Germanen, von denen wir aus der Zeit nach Arminius‘ Tod bis auf die beginnende Völkerverschiebung am Ende des 3. Jahrhunderts Kunde haben, sind gegen die Chatten geführt worden; so im J. 41 unter Claudius durch den späteren Kaiser Galba, im J. 50 unter demselben Kaiser durch den als Dichter gefeierten Publius Pomponius Secundus. Dies waren die üblichen Grenzeinfälle, und an dem großen batavischen Kriege waren die Chatten zwar auch, aber nur nebenbei beteiligt. Aber in dem Feldzug, den der Kaiser Domitianus im J. 83 unternahm, waren die Römer die Angreifenden, und dieser Krieg führte zwar nicht zu glänzenden Siegen, aber wohl zu einer bedeutenden und folgenreichen Vorschiebung der römischen Grenze. Damals wird die Grenzlinie so, wie wir sie seitdem gezogen finden, geordnet und in dieselbe, welche in ihrem nördlichsten Stück sich nicht weit vom Rhein entfernte, hier ein großer Teil des Taunus und das Maingebiet bis oberhalb Friedberg hineingezogen worden sein. Die Usiper, die nach ihrer schon berichteten Vertreibung aus dem Lippegebiet um die Zeit Vespasians in der Nähe von Mainz auftreten und östlich von den Mattiakern an der Kinzig oder im Fuldischen neue Sitze gefunden haben mögen, sind damals zum Reiche gezogen worden, und zugleich mit ihnen eine Anzahl kleinerer von den Chatten abgesprengter Völkerschaften. Als dann im J. 88 unter dem Statthalter Lucius Antonius Saturninus das obergermanische Heer gegen Domitian sich erhob, hätte fast der Krieg sich erneuert; die abgefallenen Truppen machten gemeinschaftliche Sache mit den Chatten und nur die Unterbrechung der Kommunikationen, indem das Eis auf dem Rhein aufging, machte den treugebliebenen Regimentern möglich, mit den abgefallenen fertig zu werden, bevor der gefährliche Zuzug eintraf. Es wird berichtet, daß die römische Herrschaft von Mainz landeinwärts 80 Leugen weit, also noch über Fulda hinaus sich erstreckt hat; und diese Nachricht erscheint glaubwürdig, wenn dabei in Betracht gezogen wird, daß die militärische Grenzlinie, die allerdings nicht weit über Friedberg hinausgegangen zu sein scheint, sich wohl auch hier innerhalb der Gebietsgrenze hielt.

Aber nicht bloß das untere Maintal vorwärts Mainz ist in die militärische Grenzlinie hineingezogen worden; auch im südwestlichen Deutschland wurde die Grenze noch in größerem Maßstab vorgeschoben. Das Neckargebiet, einst von den keltischen Helvetiern eingenommen, dann lange Zeit streitiges Grenzland zwischen diesen und den vordringenden Germanen und darum das helvetische Ödland genannt, späterhin vielleicht teilweise von den Markomannen besetzt, bevor diese nach Böhmen zurückwichen, kam bei der Regulierung der germanischen Grenzen nach der Varusschlacht in die gleiche Verfassung wie der größte Teil des rechten unterrheinischen Ufers. Es wird auch hier schon damals eine Grenzlinie bezeichnet worden sein, innerhalb deren germanische Ansiedlungen nicht geduldet wurden. Wie auf nicht eingedeichter Marsch ließen dann einzelne meist gallische Einwanderer, die nicht viel zu verlieren hatten, in diesen fruchtbaren, aber wenig geschützten Strichen, dem damals sogenannten Decumatenland, sich nieder. Dieser vermutlich von der Regierung nur geduldeten privaten Okkupation folgte die förmliche Besetzung wahrscheinlich unter Vespasian. Da schon um das J. 74 von Straßburg aus eine Chaussee auf das rechte Rheinufer wenigstens bis nach Offenburg geführt worden ist, so wird um diese Zeit in diesem Gebiet ein ernstlicherer Grenzschutz eingerichtet worden sein, als ihn das bloße Verbot germanischer Siedlung gewährte. Was der Vater begonnen hatte, führten die Söhne durch. Vielleicht ist sogar, sei es von Vespasian, sei es von Titus oder Domitian, durch die Anlegung der »flavischen Altäre« an der Neckarquelle bei dem heutigen Rottweil, von welcher Ansiedlung wir freilich nichts als den Namen kennen, für das rechtsrheinische neue Obergermanien ein ähnlicher Mittelpunkt geschaffen worden, wie es früher der ubische Altar für Großgermanien hatte werden sollen und bald nachher für das neu eroberte Dacien der Altar von Sarmizegetusa wurde. Die erste Einrichtung der weiterhin zu schildernden Grenzwehr, durch welche das Neckartal in die römische Linie hineingezogen wurde, ist also das Werk der Flavier, hauptsächlich wohl Domitians, welcher damit die Anlage am Taunus weiter führte. Die rechtsrheinische Militärstraße von Mogontiacum über Heidelberg und Baden in der Richtung auf Offenburg, die notwendige Konsequenz dieser Einziehung des Neckargebiets, ist, wie wir jetzt wissen, im J. 100 von Traian angelegt und ein Teil der von demselben Kaiser hergestellten direkteren Verbindung Galliens mit der Donaulinie. Die Soldaten sind bei diesen Werken tätig gewesen, aber schwerlich die Waffen; germanische Völkerschaften wohnten im Neckargebiet nicht, und noch weniger kann der schmale Streifen am linken Ufer der Donau, welcher dadurch mit in die Grenzlinie gezogen ward, ernstliche Kämpfe gekostet haben. Das nächste namhafte germanische Volk daselbst, die Hermunduren, waren den Römern freundlich gesinnt wie kein anderes und führten in der Vindelikerstadt Augusta mit ihnen lebhaften Handelsverkehr; daß bei ihnen diese Vorschiebung keinen Widerstand gefunden hat, davon werden wir weiterhin die Spuren finden. Unter den folgenden Regierungen, des Hadrian, des Pius, des Marcus, ist dann an diesen militärischen Einrichtungen weiter gebaut worden.

Den Grenzschutz zwischen Rhein und Donau, wie er zum großen Teil in seinen Fundamenten noch heute besteht, vermögen wir nicht in seiner Entstehungsgeschichte zu verfolgen, wohl aber zu erkennen nicht bloß, wie er lief, sondern auch, wozu er diente. Die Anlage ist nach Art und Zweck eine andere in Obergermanien und eine andere in Rätien. Der obergermanische Grenzschutz, in der Gesamtlänge von etwa 250 römischen Milien (368 Kilometer), beginnt unmittelbar an der Nordgrenze der Provinz, umfaßt, wie schon gesagt ward, den Taunus und die Mainebene bis in die Gegend von Friedberg und wendet sich von da südwärts dem Main zu, auf welchen er bei Großkrotzenburg oberhalb Hanau trifft. Dem Main von da bis Wörth folgend, schlägt er hier die Richtung nach dem Neckar ein, den er etwas unterhalb Wimpfen erreicht und nicht wieder verläßt. Später ist der südlichen Hälfte dieser Grenzlinie eine zweite vorgelegt worden, die dem Main über Wörth hinaus bis nach Miltenberg folgt und von da, zum größeren Teil in schnurgerader Richtung, auf Lorch zwischen Stuttgart und Aalen geführt ist. Hier schließt an den obergermanischen der rätische Grenzschutz an von nur 120 Milien (174 Kilometer) Länge; er verläßt die Donau bei Kelheim oberhalb Regensburg und läuft von da, zweimal die Altmühl überschreitend, im Bogen nach Westen zu ebenfalls bis Lorch. – Der obergermanische Limes besteht aus einer Reihe von Kastellen, die höchstens einen halben Tagemarsch (15 Kilometer) von einander entfernt sind. Wo die Verbindungslinien zwischen den Kastellen nicht durch den Main oder den Neckar, wie angegeben, gesperrt sind, ist eine künstliche Sperrung angebracht, anfangs vielleicht bloß durch Verhaue, späterhin durch einen fortlaufenden Wall von mäßiger Höhe mit außen vorgelegtem Graben und in kurzen Entfernungen auf der inneren Seite eingebauten Wachttürmen. Die Kastelle sind in den Wall nicht eingezogen, aber unmittelbar hinter ihm angelegt, nicht leicht über einen halben Kilometer von ihm entfernt. – Der rätische Grenzschutz ist eine bloße durch Aufschüttung von Bruchsteinen bewirkte Sperrung; Graben und Wachttürme fehlen und die hinter dem Limes ohne regelrechte Folge und in ungleichen Abständen (keines näher als 4 bis 5 Kilometer) angelegten Kastelle stehen mit der Sperrlinie in keiner unmittelbaren Verbindung. Über die zeitliche Folge der Anlagen fehlen bestimmte Zeugnisse; erwiesen ist, daß die obergermanische Neckarlinie unter Pius, die ihr vorgelegte von Miltenberg nach Lorch unter Marcus bestand. Gemeinschaftlich ist beiden sonst so verschiedenen Anlagen die Grenzsperrung; daß in dem einen Fall die Erdaufschüttung vorgezogen ist, durch welche der Graben sich meistens von selber ergab, in dem andern die Steinschichtung, beruht wahrscheinlich nur auf der Verschiedenartigkeit des Bodens und des Baumaterials. Gemeinschaftlich ist ihnen ferner, daß weder die eine noch die andere angelegt ist zur Gesamtverteidigung der Grenze. Nicht bloß ist das Hindernis, welches die Erd- oder Steinschüttung dem Angreifer entgegenstellt, an sich geringfügig, sondern es begegnen auf der Linie überall überhöhende Stellungen, hinterliegende Sümpfe, Verzicht auf den Ausblick in das Vorland und ähnliche deutliche Spuren davon, daß bei deren Tracierung an Kriegszwecke überhaupt nicht gedacht ist. Die Kastelle sind natürlich jedes für sich zur Verteidigung eingerichtet, aber sie sind nicht durch chaussierte Querstraßen verbunden; also stützte die einzelne Besatzung sich nicht auf die der benachbarten Kastelle, sondern auf den Rückhalt, zu welchem die Straße führte, welche eine jede besetzt hielt. Es waren ferner diese Besatzungen nicht eingefügt in ein militärisches System der Grenzverteidigung, mehr befestigte Stellungen für den Notfall als strategisch gewählte für die Okkupation des Gebiets, wie denn auch schon die Ausdehnung der Linie selbst, verglichen mit der disponiblen Truppenzahl, die Möglichkeit einer Gesamtverteidigung ausschließt. Also haben diese ausgedehnten militärischen Anlagen nicht den Zweck gehabt wie der britannische Wall dem Feinde den Einbruch zu wehren. Es sollten vielmehr wie an den Flußgrenzen die Brücken, so an den Landgrenzen die Straßen durch die Kastelle beherrscht werden, im übrigen aber wie an den Wassergrenzen der Fluß, so an den Landgrenzen der Wall die nicht kontrollierte Überschreitung der Grenzen hindern. Anderweitige Benutzung mochte sich damit verbinden; die oft hervortretende Bevorzugung der geradlinigen Richtung deutet auf Verwendung für Signale, und gelegentlich mag die Anlage auch geradezu für Kriegszwecke benutzt worden sein. Aber der eigentliche und nächste Zweck der Anlage war die Verhinderung der Grenzüberschreitung. Daß dabei nicht an der rätischen, wohl aber an der obergermanischen Grenze Wachtposten und Forts eingerichtet worden sind, erklärt sich aus dem verschiedenen Verhältnis zu den Nachbarn, dort den Hermunduren, hier den Chatten. Die Römer standen in Obergermanien ihren Nachbarn nicht so gegenüber wie den britannischen Hochländern, gegen die die Provinz sich stets im Belagerungsstand befand; aber die Abwehr räuberischer Einbrecher sowie die Erhebung der Grenzzölle forderten doch bereite und nahe militärische Hilfe. Man konnte die obergermanische Armee und dementsprechend die Besatzungen am Limes allmählich reduzieren, aber entbehrlich ward das römische Pilum im Neckarlande nie. Wohl aber war es entbehrlich gegenüber den Hermunduren, welchen in traianischer Zeit allein von allen Germanen das Überschreiten der Reichsgrenze ohne besondere Kontrolle und der freie Verkehr im römischen Gebiet, namentlich in Augsburg freistand, und mit denen, so viel wir wissen, niemals Grenzkollisionen stattgefunden haben. Es war also für diese Zeit zu einer ähnlichen Anlage an der rätischen Grenze keine Veranlassung; die Kastelle nordwärts der Donau, welche erweislich bereits in traianischer Zeit bestanden, genügten hier für den Schutz der Grenze und die Kontrolle des Grenzverkehrs. Dem kommt die Wahrnehmung entgegen, daß der rätische Limes, wie er uns vor Augen steht, allein mit der jüngeren, vielleicht erst unter Marcus angelegten obergermanischen Sperrlinie korrespondiert. Damals fehlte dazu die Veranlassung nicht. Die Chattenkriege ergriffen, wie wir sehen werden, in dieser Zeit auch Rätien; auch die Verstärkung der Besatzung der Provinz kann füglich mit der Einrichtung dieses Limes in Verbindung stehen, welcher, wie wenig er für militärische Zwecke eingerichtet ist, doch wohl ebenfalls einer wenn auch milderen Grenzsperre wegen angelegt wurde.

Militärisch wie politisch ist die verlegte Grenze oder vielmehr der verstärkte Grenzschutz eingreifend und nützlich gewesen. Wenn früher die römische Postenkette in Obergermanien und Rätien wahrscheinlich rheinaufwärts über Straßburg nach Basel und an Vindonissa vorbei an den Bodensee, dann von da zu der oberen Donau gegangen war, so wurden jetzt das obergermanische Hauptquartier in Mainz und das rätische in Regensburg und überhaupt die beiden Hauptarmeen des Reiches einander beträchtlich genähert. Das Legionslager von Vindonissa (Windisch bei Zürich) wurde dadurch überflüssig. Das oberrheinische Heer konnte, wie das benachbarte, nach einiger Zeit auf die Hälfte seines früheren Bestandes herabgesetzt werden. Die anfängliche Zahl von vier Legionen, welche während des batavischen Krieges nur zufällig auf drei vermindert war, bestand allerdings wahrscheinlich noch unter Traian; unter Marcus aber war die Provinz nur mit zwei Legionen besetzt, der 8. und der 22., von denen die erste in Straßburg stand, die zweite in dem Hauptquartier Mainz, während die meisten Truppen in kleinere Posten aufgelöst an dem Grenzwall lagerten. Innerhalb der neuen Linie blühte das städtische Leben auf fast wie links vom Rheinlauf: Sumelocenna (Rottenburg am Neckar), Aquae (civitas Aurelia Aquensis, Baden), Lopodunum (Ladenburg) hatten, wenn man von Köln und Trier absieht, in römisch-städtischer Entwicklung den Vergleich mit keiner Stadt der Belgica zu scheuen. Das Emporkommen dieser Ansiedlungen ist hauptsächlich das Werk Traians, welcher sein Regiment mit dieser Friedenstat eröffnete; »den auf beiden Ufern römischen Rhein« fleht ein römischer Dichter an, den noch nicht gesehenen Herrscher ihnen bald zuzusenden. Die große und fruchtbare Landschaft, die auf diese Weise unter den Schutz der Legionen gestellt ward, war dieses Schutzes bedürftig, aber auch wert gewesen. Wohl bezeichnet die Varusschlacht die beginnende Ebbe der römischen Macht, aber nur insofern, als das Vorschreiten damit ein Ende hat und die Römer seitdem sich im allgemeinen begnügten, das damals Festgehaltene stärker und dauernder zu schirmen.

Bis in den Anfang des 3. Jahrhunderts zeigt die römische Macht am Rhein keine Spuren des Schwankens. Während des Markomannenkrieges unter Marcus blieb in der unteren Provinz alles ruhig. Wenn ein Legat der Belgica damals den Landsturm gegen die Chauker aufbieten mußte, so ist dies vermutlich ein Piratenzug gewesen, wie sie die Nordküste oftmals, in dieser Zeit ebenso wie früher und später, heimgesucht haben. An die Donauquellen und selbst bis in das Rheingebiet reichte der Wellenschlag der großen Völkerbewegung; aber die Fundamente erschütterte er hier nicht. Die Chatten, das einzige bedeutende germanische Volk an der obergermanisch-rätischen Grenzwacht, brachen in beiden Richtungen vor und sind wahrscheinlich damals selbst unter den in Italien einfallenden Germanen gewesen, wie dies weiterhin bei der Darstellung dieses Krieges gezeigt werden soll. Auf jeden Fall kann die von Marcus damals verfügte Verstärkung der rätischen Armee und ihre Umwandlung in ein Kommando erster Klasse mit Legion und Legaten nur erfolgt sein, um den Angriffen der Chatten zu steuern und beweist, daß man sie auch für die Zukunft nicht leicht nahm. Die schon erwähnte Verstärkung der Grenzverteidigung wird damit ebenfalls in Verbindung stehen. Für das nächste Menschenalter müssen diese Maßregeln ausgereicht haben.

Unter Antoninus, dem Sohn des Severus, brach (J. 213) abermals in Rätien ein neuer und schwererer Krieg aus. Auch dieser ist gegen die Chatten geführt worden; aber neben ihnen wird ein zweites Volk genannt, das hier zum erstenmal begegnet, das der Alemannen. Woher sie kamen, wissen wir nicht. Einem wenig später schreibenden Römer zufolge war es zusammengelaufenes Mischvolk; auf einen Gemeindebund scheint auch die Benennung hinzuweisen, sowie daß später noch die verschiedenen unter diesem Namen zusammengefaßten Stämme mehr als bei den sonstigen großen germanischen Völkern in ihrer Besonderheit hervortreten und die Juthungen, die Lentienser und andere Alemannenvölker nicht selten selbständig handeln. Aber daß es nicht die Germanen dieser Gegend sind, welche unter dem neuen Namen verbündet und durch den Bund verstärkt hier auftreten, zeigt sowohl die Nennung der Alemannen neben den Chatten wie die Meldung von der ungewohnten Geschicklichkeit der Alemannen im Reitergefecht. Vielmehr sind es der Hauptsache nach sicher aus dem Osten nachrückende Scharen gewesen, die dem fast erloschenen Widerstand der Germanen am Rhein neue Kraft verliehen haben; es ist nicht unwahrscheinlich, daß die in früherer Zeit an der mittleren Elbe hausenden mächtigen Semnonen, deren seit dem Ende des 2. Jahrh. nicht wieder gedacht wird, zu den Alemannen ein starkes Kontingent gestellt haben. Das stetig sich steigernde Mißregiment im römischen Reich hat natürlich auch, wenn gleich nur in zweiter Reihe, zu der Machtverschiebung seinen Teil beigetragen. Der Kaiser zog persönlich gegen die neuen Feinde ins Feld; im August des J. 213 überschritt er die römische Grenze und ein Sieg über sie am Main wurde erfochten oder wenigstens gefeiert; es wurden noch Kastelle angelegt; die Völkerschaften von der Elbe und der Nordsee beschickten den römischen Herrscher und verwunderten sich, wenn er sie in ihrer eigenen Tracht empfing, in silberbeschlagener Jacke und Haar und Bart nach deutscher Art gefärbt und geordnet. Aber von da an hören die Kriege am Rhein nicht auf, und die Angreifer sind die Germanen; die sonst so fügsamen Nachbarn waren wie ausgetauscht. Zwanzig Jahre später wurden an der Donau wie am Rhein die Einfälle der Barbaren so stetig und so ernsthaft, daß Kaiser Alexander deswegen den weniger unmittelbar gefährlichen persischen Krieg abbrechen und sich persönlich in das Lager von Mainz begeben mußte, nicht so sehr, um das Gebiet zu verteidigen, als um von den Deutschen den Frieden durch hohe Geldsummen zu erkaufen. Die Erbitterung der Soldaten darüber führte zu seiner Ermordung (J. 235) und damit zu dem Untergang der severischen Dynastie, der letzten, die es bis auf die Regeneration des Staates überhaupt gegeben hat. Sein Nachfolger Maximinus, ein roher, aber tapferer, vom gemeinen Soldaten auf gedienter Thraker, machte das feige Verhalten seines Vorgängers wieder gut durch einen nachdrücklichen Feldzug tief in Germanien hinein. Noch wagten die Barbaren nicht einem starken und wohlgeführten Römerheere die Spitze zu bieten; sie wichen in ihre Wälder und Sümpfe und auch dahin ihnen folgend focht im Handgemenge der tapfere Kaiser allen voran. Von diesen Kämpfen, die ohne Zweifel von Mainz aus zunächst gegen die Alemannen sich richteten, durfte er mit Recht sich Germanicus nennen; und auch für die Zukunft hat die Expedition vom J. 236, auf lange hinaus der letzte große Sieg, den die Römer am Rhein gewannen, wohl einiges gefruchtet. Obwohl die stetigen und blutigen Thronwechsel und die schweren Katastrophen im Osten und an der Donau die Römer nicht zu Atem kommen ließen, ist doch durch die nächsten zwanzig Jahre am Rhein, wenn nicht eigentlich die Ruhe erhalten worden, doch eine größere Katastrophe nicht eingetreten. Es scheint sogar damals eine der obergermanischen Legionen nach Afrika geschickt worden zu sein, ohne daß dafür Ersatz kam, also Obergermanien als wohl gesichert gegolten zu haben. Aber als im J. 253 wieder einmal die verschiedenen Feldherren Roms um die Kaiserwürde unter einander schlugen und die Rheinlegionen nach Italien marschierten, um ihren Kaiser Valerianus gegen den Ämilianus der Donauarmee durchzufechten, scheint dies das Signal gewesen zu sein für das Vorbrechen der Germanen, namentlich auch gegen den Unterrhein. Diese Germanen sind die hier zuerst auftretenden Franken, allerdings vielleicht nur dem Namen nach neue Gegner; denn obwohl die schon im späteren Altertum begegnende Identifikation derselben mit früher am Unterrhein genannten Völkerschaften, teils den neben den Bructerern sitzenden Chamavern, teils den früher genannten den Römern untertänigen Sugambrern, unsicher und mindestens unzulänglich ist, so hat es hier größere Wahrscheinlichkeit als bei den Alemannen, daß die bisher von Rom abhängigen Germanen am rechten Rheinufer und die früher vom Rhein abgedrängten germanischen Stämme damals unter dem Gesamtnamen der »Freien« gemeinschaftlich die Offensive gegen die Römer ergriffen haben. Solange Gallienus selbst am Rhein blieb, hielt er trotz der geringen ihm zur Verfügung stehenden Streitkräfte die Gegner einigermaßen im Zaum, verhinderte sie am Überschreiten des Flusses oder schlug die Eingedrungenen wieder hinaus, räumte auch wohl einem der germanischen Führer einen Teil des begehrten Ufergebietes ein unter der Bedingung, die römische Herrschaft anzuerkennen und seinen Besitz gegen seine Landsleute zu verteidigen, was freilich schon fast auf eine Kapitulation hinauskam. Aber als der Kaiser, abgerufen durch die noch gefährlichere Lage der Dinge an der Donau, sich dorthin begab und in Gallien als Repräsentanten seinen noch im Knabenalter stehenden älteren Sohn zurückließ, ließ einer der Offiziere, denen er die Verteidigung der Grenze und die Hut seines Sohnes anvertraut hatte, Marcus Cassianius Latinius Postumus, sich von seinen Leuten zum Kaiser ausrufen und belagerte in Köln den Hüter des Kaisersohnes Silvanus. Es gelang ihm die Stadt einzunehmen und seinen früheren Kollegen sowie den kaiserlichen Knaben in seine Gewalt zu bekommen, worauf er beide hinrichten ließ. Aber während dieser Wirren brachen die Franken über den Rhein und überschwemmten nicht bloß ganz Gallien, sondern drangen auch in Spanien ein, ja plünderten selbst die afrikanische Küste. Bald nachher, nachdem Valerians Gefangennahme durch die Perser das Maß des Unheils voll gemacht hatte, ging in der oberrheinischen Provinz alles römische Land auf dem linken Rheinufer verloren, ohne Zweifel an die Alemannen, deren Einbruch in Italien in den letzten Jahren des Gallienus diesen Verlust notwendig voraussetzt. Dieser ist der letzte Kaiser, dessen Name auf rechtsrheinischen Denkmälern gefunden wird. Seine Münzen feiern ihn wegen fünf großer Siege über die Germanen, und nicht minder sind die seines Nachfolgers in der gallischen Herrschaft, des Postumus, voll des Preises der deutschen Siege des Retters von Gallien. Gallienus hatte in seinen früheren Jahren nicht ohne Energie den Kampf am Rhein aufgenommen, und Postumus war sogar ein vorzüglicher Offizier und wäre gern auch ein guter Regent gewesen. Aber bei der Meisterlosigkeit, welche damals in dem römischen Staat oder vielmehr in der römischen Armee waltete, nützte Talent und Tüchtigkeit des einzelnen weder ihm noch dem Gemeinwesen. Eine Reihe blühender römischer Städte wurde damals von den einfallenden Barbaren öde gelegt und das rechte Rheinufer ging den Römern auf immer verloren.

Die Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung in Gallien hing zunächst ab von dem Zusammenhalten des Reiches überhaupt; solange die italischen Kaiser ihre Truppen in der Narbonensis aufstellten, um den gallischen Rivalen zu beseitigen und dieser wieder Miene machte, die Alpen zu überschreiten, war eine wirksame Operation gegen die Germanen von selber ausgeschlossen. Erst nachdem um das J. 272 der damalige Herrscher Galliens Tetricus, seiner undankbaren Rolle müde, selbst dazu getan hatte, daß seine Truppen sich dem vom römischen Senat anerkannten Kaiser Aurelianus unterwarfen, konnte wieder daran gedacht werden, den Germanen zu wehren. Den Zügen der Alemannen, die fast ein Jahrzehnt hindurch das obere Italien bis nach Ravenna hinab heimgesucht hatten, setzte derselbe tüchtige Herrscher, der Gallien wieder zum Reich gebracht hatte, für lange Zeit ein Ziel und schlug an der oberen Donau nachdrücklich einen ihrer Stämme, die Juthungen. Hätte sein Regiment Dauer gehabt, so würde er wohl auch in Gallien den Grenzschutz erneuert haben; nach seinem baldigen und jähen Ende (275) überschritten die Germanen abermals den Rhein und verheerten weit und breit das Land. Sein Nachfolger Probus (seit 276), auch ein tüchtiger Soldat, warf sie nicht bloß wieder hinaus – siebzig Städte soll er ihnen abgenommen haben –, sondern ging auch wieder angreifend vor, überschritt den Rhein und trieb die Deutschen über den Neckar zurück; aber die Linien der früheren Zeit erneuerte er nicht, sondern begnügte sich, an den wichtigeren Rheinpositionen Brückenköpfe auf dem anderen Ufer einzurichten und zu besetzen – das heißt er kam etwa auf die Einrichtungen zurück, wie sie hier vor Vespasian bestanden hatten. Gleichzeitig wurden durch seine Feldherren in der nördlichen Provinz die Franken niedergeschlagen. Große Massen der überwundenen Germanen wurden als gezwungene Ansiedler nach Gallien und vor allem nach Britannien gesandt. In dieser Weise wurde die Rheingrenze wieder gewonnen und auf das spätere Kaiserreich übertragen. Freilich war wie die Herrschaft am rechten Rheinufer so auch der Friede am linken unwiderbringlich dahin. Drohend standen die Alemannen gegenüber Basel und Straßburg, die Franken gegenüber Köln. Daneben melden sich andere Stämme. Daß auch die Burgundionen, einst jenseit der Elbe seßhaft, westwärts vorrückend bis an den oberen Main, Gallien bedrohen, davon ist zuerst unter Kaiser Probus die Rede; wenige Jahre später beginnen die Sachsen in Gemeinschaft mit den Franken ihre Angriffe zur See auf die gallische Nordküste wie auf das römische Britannien. Aber unter den größtenteils tüchtigen und fähigen Kaisern des diocletianisch-constantinischen Hauses und noch unter den nächsten Nachfolgern hielt der Römer die drohende Völkerflut in gemessenen Schranken.

Die Germanen in ihrer nationalen Entwicklung darzustellen ist nicht die Aufgabe des Geschichtschreibers der Römer; für ihn erscheinen sie nur hemmend oder auch zerstörend. Eine Durchdringung der beiden Nationalitäten und eine daraus hervorgehende Mischkultur, wie das romanisierte Keltenland, hat das römische Germanien nicht aufzuweisen, oder sie fällt für unsere Auffassung mit der römisch-gallischen um so mehr zusammen, als die längere Zeit in römischem Besitz gebliebenen germanischen Gebiete auf dem linken Rheinufer durchaus mit keltischen Elementen durchsetzt waren und auch die auf dem rechten, ihrer ursprünglichen Bevölkerung größtenteils beraubt, die Mehrzahl der neuen Ansiedler aus Gallien erhielten. Dem germanischen Element fehlten die kommunalen Zentren, wie sie das Keltentum zahlreich besaß. Teils deswegen, teils infolge äußerer Umstände konnte, wie schon hervorgehoben worden ist, in dem germanischen Osten das römische Element sich eher und voller entwickeln als in den keltischen Gegenden. Von wesentlichstem Einfluß darauf sind die Heerlager der Rheinarmee geworden, die alle auf das römische Germanien fallen. Die größeren derselben erhielten teils durch die Handelsleute, die dem Heere sich anschlossen, teils und vor allem durch die Veteranen, die in ihren gewohnten Quartieren auch nach der Entlassung verblieben, einen städtischen Anhang, eine von den eigentlichen Militärquartieren gesonderte Budenstadt (canabae); überall und namentlich in Germanien sind aus diesen bei den Legionslagern und besonders den Hauptquartieren mit der Zeit eigentliche Städte erwachsen. An der Spitze steht die römische Ubierstadt, ursprünglich das zweitgrößte Lager der niederrheinischen Armee, dann seit dem J. 50 römische Kolonie und von bedeutendster Wirksamkeit für die Hebung der römischen Zivilisation im Rheinland. Hier wich die Lagerstadt der römischen Pflanzstadt; späterhin erhielten ohne Verlegung der Truppen Stadtrecht die zu den beiden großen unterrheinischen Lagern gehörenden Ansiedlungen Ulpia Noviomagus im Bataverland und Ulpia Traiana bei Vetera durch Traianus, im dritten Jahrhundert die Militärhauptstadt Obergermaniens Mogontiacum. Freilich haben diese Zivilstädte neben den davon unabhängigen militärischen Verwaltungszentren immer eine untergeordnete Stellung behalten.

Blicken wir über die Grenze hinüber, wo diese Erzählung abschließt, so begegnet uns allerdings anstatt der Romanisierung der Germanen gewissermaßen eine Germanisierung der Romanen. Die letzte Phase des römischen Staates ist bezeichnet durch dessen Barbarisierung und speziell dessen Germanisierung; und die Anfänge reichen weiter zurück. Sie beginnt mit der Bauernschaft in dem Kolonat, geht weiter zu der Truppe, wie Kaiser Severus sie gestaltete, erfaßt dann die Offiziere und Beamte und endigt mit den römisch-germanischen Mischstaaten der Westgoten in Spanien und Gallien, der Vandalen in Afrika, vor allem dem Italien Theoderichs. Für das Verständnis dieser letzten Phase bedarf es allerdings der Einsicht in die staatliche Entwicklung der einen wie der anderen Nation. Freilich steht in dieser Beziehung die germanische Forschung sehr im Nachteil. Die staatlichen Einrichtungen, in welche diese Germanen dienend oder mitherrschend eintraten, sind wohl bekannt, weit besser als die pragmatische Geschichte der gleichen Epoche; aber über den germanischen Anfängen liegt ein Dunkel, mit dem verglichen die Anfänge von Rom und von Hellas lichte Klarheit sind. Während die nationale Gottesverehrung der antiken Welt relativ erkennbar ist, ist die Kunde des deutschen Heidentums, vom fernen Norden abgesehen, vor der historischen Zeit untergegangen. Die Anfänge der staatlichen Entwicklung der Germanen schildert uns teils die schillernde und in der Gedankenschablone des sinkenden Altertums befangene, die eigentlich entscheidenden Momente nur zu oft auslassende Darstellung des Tacitus, teils müssen wir sie den auf ehemals römischem Boden entstandenen, überall mit römischen Elementen durchsetzten Zwitterstaaten entnehmen. Wie die germanischen Worte hier überall fehlen und wir fast ausschließlich auf lateinische notwendig inadäquate Bezeichnungen angewiesen sind, so versagen auch durchgängig die scharfen Grundanschauungen, derer unsere Kunde des klassischen Altertums nicht entbehrt. Es gehört zur Signatur unserer Nation, daß es ihr versagt geblieben ist, sich aus sich selbst zu entwickeln; und dazu gehört es mit, daß deutsche Wissenschaft vielleicht weniger vergeblich bemüht gewesen ist, die Anfänge und die Eigenart anderer Nationen zu erkennen als die der eigenen.

Kapitel V


Britannien

Kapitel V

Siebenundneunzig Jahre waren vergangen, seitdem römische Truppen das große Inselland im nordwestlichen Ozean betreten und unterworfen und wiederum verlassen hatten, bevor die römische Regierung sich entschloß, die Fahrt zu wiederholen und Britannien bleibend zu besetzen. Allerdings war Cäsars britannische Expedition nicht bloß, wie seine Züge gegen die Germanen, ein defensiver Vorstoß gewesen. So weit sein Arm reichte, hatte er die einzelnen Völkerschaften reichsuntertänig gemacht und ihre Jahresabgabe an das Reich hier wie in Gallien geordnet. Auch die führende Völkerschaft, welche durch ihre bevorzugte Stellung fest an Rom geknüpft und somit der Stützpunkt der römischen Herrschaft werden sollte, war gefunden: die Trinovanten (Essex) sollten auf der keltischen Insel dieselbe mehr vorteilhafte als ehrenvolle Rolle übernehmen wie auf dem gallischen Kontinent die Häduer und die Remer. Die blutige Fehde zwischen dem Fürsten Cassivellaunus und dem Fürstenhaus von Camalodunum (Colchester) hatte unmittelbar die römische Invasion herbeigeführt; dieses wieder einzusetzen, war Cäsar gelandet, und der Zweck ward für den Augenblick erreicht. Ohne Zweifel hat Cäsar sich nie darüber getäuscht, daß jene Tribute ebenso wie diese Schutzherrschaft zunächst nur Worte waren; aber diese Worte waren ein Programm, das die bleibende Besetzung der Insel durch römische Truppen herbeiführen mußte und herbeiführen sollte.

Cäsar selbst kam nicht dazu, die Verhältnisse der unterworfenen Insel bleibend zu ordnen; und für seine Nachfolger war Britannien eine Verlegenheit. Die reichsuntertänig gewordenen Briten entrichteten den schuldigen Tribut gewiß nicht lange, vielleicht überhaupt niemals; das Protektorat über die Dynastie von Camalodunum wird noch weniger respektiert worden sein und hatte lediglich zur Folge, daß Fürsten und Prinzen dieses Hauses wieder und wieder in Rom erschienen und die Intervention der römischen Regierung gegen Nachbarn und Rivalen anriefen – so kam König Dubnovellaunus, wahrscheinlich der Nachfolger des von Cäsar bestätigten Trinovantenfürsten, als Flüchtling nach Rom zu Kaiser Augustus, so später einer der Prinzen desselben Hauses zu Kaiser Gaius.

In der Tat war die Expedition nach Britannien ein notwendiger Teil der cäsarischen Erbschaft; es hatte auch schon während der Zweiherrschaft Cäsar der Sohn zu einer solchen einen Anlauf genommen und nur davon abgesehen wegen der dringenderen Notwendigkeit in Illyricum Ruhe zu schaffen oder auch wegen des gespannten Verhältnisses zu Antonius, das zunächst den Parthern sowohl wie den Britannern zustatten kam. Die höfischen Poeten aus Augustus‘ früheren Jahren haben die britannische Eroberung vielfach antizipierend gefeiert; das Programm Cäsars also nahm der Nachfolger an und auf. Als dann die Monarchie feststand, erwartete ganz Rom, daß der Beendigung des Bürgerkrieges die britannische Expedition auf dem Fuße folgen werde; die Klagen der Poeten über den schrecklichen Hader, ohne welchen längst die Britanner im Siegeszug zum Kapitol geführt worden wären, verwandelten sich in die stolze Hoffnung auf die neu zum Reich hinzutretende Provinz Britannien. Die Expedition wurde auch zu wiederholten Malen angekündigt (727, 728 [27, 26 v. Chr.]); dennoch stand Augustus, ohne das Unternehmen förmlich fallen zu lassen, bald von der Durchführung ab, und Tiberius hielt seiner Maxime getreu auch in dieser Frage an dem System des Vaters fest. Die nichtigen Gedanken des letzten julischen Kaisers schweiften wohl auch über den Ozean hinüber; aber ernste Dinge vermochte er nicht einmal zu planen. Erst die Regierung des Claudius nahm den Plan des Diktators wieder auf und führte ihn durch.

Welche Motive nach der einen wie nach der anderen Seite hin bestimmend waren, läßt sich teilweise wenigstens erkennen. Augustus selbst hat geltend gemacht, daß die Besetzung der Insel militärisch nicht nötig sei, da ihre Bewohner nicht imstande seien, die Römer auf dem Kontinent zu belästigen, und für die Finanzen nicht vorteilhaft; was aus Britannien zu ziehen sei, fließe in Form des Einfuhr- und Ausfuhrzolles der gallischen Häfen in die Kasse des Reiches; als Besatzung werde wenigstens eine Legion und etwas Reiterei erforderlich sein und nach Abzug der Kosten derselben von den Tributen der Insel nicht viel übrigbleiben. Dies alles war unbestreitbar richtig, ja noch keineswegs genug; die Erfahrung erwies später, daß eine Legion bei weitem nicht ausreichte, um die Insel zu halten. Hinzuzunehmen ist, was die Regierung zu sagen allerdings keine Veranlassung hatte, daß bei der Schwäche des römischen Heeres, wie sie durch die innere Politik Augusts einmal herbeigeführt war, es sehr bedenklich erscheinen mußte, einen erheblichen Bruchteil desselben ein für allemal auf eine ferne Insel des Nordmeers zu bannen. Man hatte vermutlich nur die Wahl, von Britannien abzusehen oder deswegen das Heer zu vermehren; und bei Augustus hat die Rücksicht auf die innere Politik stets die auf die äußere überwogen.

Aber dennoch muß die Überzeugung von der Notwendigkeit der Unterwerfung Britanniens bei den römischen Staatsmännern vorgewogen haben. Cäsars Verhalten würde unbegreiflich sein, wenn man sie nicht bei ihm voraussetzt. Augustus hat das von Cäsar gesteckte Ziel trotz seiner Unbequemlichkeit zuerst förmlich anerkannt und niemals förmlich verleugnet. Gerade die weitsichtigsten und folgerichtigsten Regierungen, die des Claudius, des Nero, des Domitian, haben zu der Eroberung Britanniens den Grund gelegt oder sie erweitert; und sie ist, nachdem sie erfolgt war, nie betrachtet worden wie etwa die traianische von Dacien und Mesopotamien. Wenn die sonst so gut wie unverbrüchlich festgehaltene Regierungsmaxime, daß das römische Reich seine Grenzen nur zu erfüllen, nicht aber auszudehnen habe, allein in betreff Britanniens dauernd beiseite gesetzt worden ist, so liegt die Ursache darin, daß die Kelten so, wie Roms Interesse es erheischte, auf dem Kontinent allein nicht unterworfen werden konnten. Diese Nation war allem Anschein nach durch den schmalen Meeresarm, der England und Frankreich trennt, mehr verbunden als geschieden; dieselben Völkernamen begegnen hüben und drüben; die Grenzen der einzelnen Staaten griffen öfter über den Kanal hinüber; der Hauptsitz des hier mehr wie irgendwo sonst das ganze Volkstum durchdringenden Priestertums waren von jeher die Inseln der Nordsee. Den römischen Legionen das Festland Galliens zu entreißen vermochten diese Insulaner freilich nicht; aber wenn der Eroberer Galliens selbst und weiter die römische Regierung in Gallien andere Zwecke verfolgte als in Syrien und Ägypten, wenn die Kelten der italischen Nation angegliedert werden sollten, so war diese Aufgabe wohl unausführbar, solange das unterworfene und das freie Keltengebiet über das Meer hin sich berührten und der Römerfeind wie der römische Deserteur in Britannien eine Freistatt fand. Zunächst genügte dafür schon die Unterwerfung der Südküste, obwohl die Wirkung natürlich sich steigerte, je weiter das freie Keltengebiet zurückgeschoben ward. Claudius‘ besondere Rücksicht auf seine gallische Heimat und seine Kenntnis gallischer Verhältnisse mag auch hierbei mit im Spiel gewesen sein. Den Anlaß zum Kriege gab, daß eben dasjenige Fürstentum, welches von Rom in einer gewissen Abhängigkeit stand, unter der Führung seines Königs Cunobelinus – es ist dies Shakespeares Cymbeline – seine Herrschaft weit ausbreitete und sich von der römischen Schutzherrschaft emanzipierte. Einer der Söhne desselben, Adminius, der gegen den Vater sich aufgelehnt hatte, kam schutzbegehrend zum Kaiser Gaius, und darüber, daß dessen Nachfolger sich weigerte, dem britischen Herrscher diese seine Untertanen auszuliefern, entspann sich der Krieg zunächst gegen den Vater und die Brüder dieses Adminius. Der eigentliche Grund desselben freilich war der unerläßliche Abschluß der Unterwerfung einer bisher nur halb besiegten eng zusammenhaltenden Nation.

Daß die Besetzung Britanniens nicht erfolgen könne ohne gleichzeitige Vermehrung des stehenden Heeres, war auch die Ansicht derjenigen Staatsmänner, die sie veranlaßten; es wurden drei der Rhein-, eine der Donaulegionen dazu bestimmt, gleichzeitig aber zwei neu errichtete Legionen den germanischen Heeren zugeteilt. Zum Führer dieser Expedition und zugleich zum ersten Statthalter der Provinz wurde ein tüchtiger Soldat, Aulus Plautius, ausersehen; sie ging im J. 43 nach der Insel ab. Die Soldaten zeigten sich schwierig, wohl mehr wegen der Verbannung auf die ferne Insel als aus Furcht vor dem Feinde. Einer der leitenden Männer, vielleicht die Seele des Unternehmens, der kaiserliche Kabinettssekretär Narcissus, wollte ihnen Mut einsprechen – sie ließen den Sklaven vor höhnendem Zuruf nicht zu Worte kommen, aber taten, wie er wollte, und schifften sich ein.

Besondere Schwierigkeit hatte die Besetzung der Insel nicht. Die Eingeborenen standen politisch wie militärisch auf derselben niedrigen Entwicklungsstufe, welche Cäsar auf der Insel vorgefunden hatte. Könige oder Königinnen regierten in den einzelnen Gauen, die kein äußeres Band zusammenschloß und die in ewiger Fehde miteinander lagen. Die Mannschaften waren wohl von ausdauernder Körperkraft und von todesverachtender Tapferkeit und namentlich tüchtige Reiter. Aber der homerische Streitwagen, der hier noch eine Wirklichkeit war und auf dem die Fürsten des Landes selber die Zügel führten, hielt den geschlossenen römischen Reiterschwadronen ebenso wenig stand wie der Infanterist ohne Panzer und Helm, nur durch den kleinen Schild verteidigt, mit seinem kurzen Wurfspieß und seinem breiten Schwert im Nahkampf dem kurzen römischen Messer gewachsen war oder gar dem schweren Pilum des Legionärs und dem Schleuderblei und dem Pfeil der leichten römischen Truppen. Der Heermasse von etwa 40 000 wohlgeschulten Soldaten hatten die Eingeborenen überall keine entsprechende Abwehr entgegenzustellen. Die Ausschiffung traf nicht einmal auf Widerstand; die Briten hatten Kunde von der schwierigen Stimmung der Truppen und die Landung nicht mehr erwartet. König Cunobelinus war kurz vorher gestorben; die Gegenwehr führten seine beiden Söhne Caratacus und Togodumnus. Der Marsch des Invasionsheeres ward sofort auf Camalodunum gerichtet und in raschem Siegeslauf gelangte es bis an die Themse; hier wurde haltgemacht, vielleicht hauptsächlich, um dem Kaiser die Gelegenheit zu geben, den leichten Lorbeer persönlich zu pflücken. Sobald er eintraf, ward der Fluß überschritten, das britische Aufgebot geschlagen, wobei Togodumnus den Tod fand, Camalodunum selber genommen. Wohl setzte der Bruder Caratacus den Widerstand hartnäckig fort und gewann sich siegend oder geschlagen einen stolzen Namen bei Freund und Feind; aber das Vorschreiten der Römer war dennoch unaufhaltsam. Ein Fürst nach dem andern ward geschlagen und abgesetzt – elf britische Könige nennt der Ehrenbogen des Claudius als von ihm besiegt; und was den römischen Waffen nicht erlag, das ergab sich den römischen Spenden. Zahlreiche vornehme Männer nahmen die Besitzungen an, die auf Kosten ihrer Landsleute der Kaiser ihnen verlieh; auch manche Könige fügten sich in die bescheidene Lehnstellung, wie denn der der Regner (Chichester) Cogidumnus und der der Icener (Norfolk) Prasutagus eine Reihe von Jahren als Lehnfürsten die Herrschaft geführt haben. Aber in den meisten Distrikten der bis dahin durchgängig monarchisch regierten Insel führten die Eroberer ihre Gemeindeverfassung ein und gaben, was noch zu verwalten blieb, den örtlichen Vornehmen in die Hand; was denn freilich schlimme Parteiungen und innere Zerwürfnisse im Gefolge hatte. Noch unter dem ersten Statthalter scheint das gesamte Flachland bis etwa zum Humber hinauf in römische Gewalt gekommen zu sein; die Icener zum Beispiel haben bereits ihm sich ergeben. Aber nicht bloß mit dem Schwert bahnten die Römer sich den Weg. Unmittelbar nach der Einnahme wurden nach Camalodunum Veteranen geführt und die erste Stadt römischer Ordnung und römischen Bürgerrechts, die »claudische Siegeskolonie« in Britannien gegründet, bestimmt zur Landeshauptstadt. Unmittelbar nachher begann auch die Ausbeutung der britannischen Bergwerke, namentlich der ergiebigen Bleigruben; es gibt britannische Bleibarren aus dem sechsten Jahre nach der Invasion. Offenbar hat in gleicher Schleunigkeit der Strom römischer Kaufleute und Industrieller sich über das neu erschlossene Gebiet ergossen; wenn Camalodunum römische Kolonisten empfing, so bildeten anderswo im Süden der Insel namentlich an den warmen Quellen der Sulis (Bath), in Verulamium (St. Albans nordwestlich von London) und vor allem in dem natürlichen Emporium des Großverkehrs, in Londinium an der Themsemündung, bloß infolge des freien Verkehrs und der Einwanderung sich römische Ortschaften, die bald auch formell städtische Organisation erhielten. Die vordringende Fremdherrschaft machte nicht bloß in den neuen Abgaben und Aushebungen, sondern vielleicht mehr noch in Handel und Gewerbe überall sich geltend. Als Plautius nach vierjähriger Verwaltung abberufen ward, zog er, der letzte Private, der zu solcher Ehre gelangt ist, triumphierend in Rom ein und Ehren und Orden strömten herab auf die Offiziere und Soldaten der siegreichen Legionen; dem Kaiser wurden in Rom und danach in anderen Städten Triumphbogen errichtet wegen des »ohne irgendwelche Verluste« errungenen Sieges; der kurz vor der Invasion geborene Kronprinz erhielt anstatt des großväterlichen den Namen Britannicus. Man wird hierin die unmilitärische, der Siege mit Verlust entwöhnte Zeit und die der politischen Altersschwäche angemessene Überschwenglichkeit erkennen dürfen; aber wenn die Invasion Britanniens vom militärischen Standpunkt aus nicht viel bedeuten will, so muß doch den leitenden Männern das Zeugnis gegeben werden, daß sie das Werk in energischer und folgerichtiger Weise angriffen und die peinliche und gefahrvolle Zeit des Übergangs von der Unabhängigkeit zur Fremdherrschaft in Britannien eine ungewöhnlich kurze war. Nach dem ersten raschen Erfolg freilich entwickelten auch hier sich die Schwierigkeiten und selbst die Gefahren, welche die Besetzung der Insel nicht bloß den Eroberten brachte, sondern auch den Eroberern.

Des Flachlandes war man Herr, aber nicht der Berge noch des Meeres. Vor allem der Westen machte den Römern zu schaffen. Zwar im äußersten Südwest, im heutigen Cornwall, hielt sich das alte Volkstum wohl mehr, weil die Eroberer sich um diese entlegene Ecke wenig kümmerten, als weil es geradezu sich gegen sie auflehnte. Aber die Siluren im Süden des heutigen Wales und ihre nördlichen Nachbaren, die Ordoviker, trotzten beharrlich den römischen Waffen; die den letzteren anliegende Insel Mona (Anglesey) war der rechte Herd der nationalen und religiösen Gegenwehr. Nicht die Bodenverhältnisse allein hemmten das Vordringen der Römer; was Britannien für Gallien gewesen, das war jetzt für Britannien und insbesondere für diese Westküste die große Insel Ivernia; die Freiheit drüben ließ die Fremdherrschaft hüben nicht feste Wurzel fassen. Deutlich erkennt man an der Anlegung der Legionslager, daß die Invasion hier zum Stehen kam. Unter Plautius‘ Nachfolger wurde das Lager für die 14. Legion am Einfluß des Tern in den Severn bei Viroconium (Wroxeter unweit Shrewsbury angelegt), vermutlich um dieselbe Zeit südlich davon das von Isca (Cärleon = castra legionis) für die zweite, nördlich das von Deva (Chester = castra) für die 20.; diese drei Lager schlossen das wallisische Gebiet ab gegen Süden, Norden und Westen und schützten also das befriedete Land gegen das frei gebliebene Gebirge. Dorthin warf sich, nachdem seine Heimat römisch geworden war, der letzte Fürst von Camalodunum Caratacus. Er wurde von dem Nachfolger des Plautius, Publius Ostorius Scapula, im Ordovikergebiet geschlagen und bald darauf von den geschreckten Briganten, zu denen er geflüchtet war, den Römern ausgeliefert (51) und mit all den Seinen nach Italien geführt. Verwundert fragte er, als er die stolze Stadt sah, wie es die Herren solcher Paläste nach den armen Hütten seiner Heimat verlangen könne. Aber damit war der Westen keineswegs bezwungen; die Siluren vor allem verharrten in hartnäckiger Gegenwehr, und daß der römische Feldherr ankündigte, sie bis auf den letzten Mann ausrotten zu wollen, trug auch nicht dazu bei sie fügsamer zu machen. Der unternehmende Statthalter Gaius Suetonius Paullinus versuchte einige Jahre später (61) den Hauptsitz des Widerstandes, die Insel Mona, in römische Gewalt zu bringen und trotz der wütenden Gegenwehr, welche ihn hier empfing und in der die Priester und die Weiber vorangingen, fielen die heiligen Bäume, unter denen mancher römische Gefangene geblutet hatte, unter den Äxten der Legionare. Aber aus der Besetzung dieses letzten Asyls der keltischen Priesterschaft entwickelte sich eine gefährliche Krise in dem unterworfenen Gebiete selbst, und die Eroberung Monas zu vollenden war dem Statthalter nicht beschieden.

Auch in Britannien hatte die Fremdherrschaft die Probe der nationalen Insurrektion zu bestehen. Was Mithradates in Kleinasien, Vercingetorix bei den Kelten des Kontinents, Civilis bei den unterworfenen Germanen unternahmen, das versuchte bei den Inselkelten eine Frau, die Gattin eines jener von Rom bestätigten Vasallenfürsten, die Königin der Icener Boudicca. Ihr verstorbener Gatte hatte, um seiner Frau und seiner Töchter Zukunft zu sichern, seine Herrschaft dem Kaiser Nero vermacht, sein Vermögen zwischen ihm und den Seinigen geteilt. Der Kaiser nahm die Erbschaft an, aber was ihm nicht zufallen sollte, dazu; die fürstlichen Vettern wurden in Ketten gelegt, die Witwe geschlagen, die Töchter in schändlicherer Weise mißhandelt. Dazu kam andere Unbill des späteren neronischen Regiments. Die in Camalodunum angesiedelten Veteranen jagten die früheren Besitzer von Haus und Hof, wie es ihnen beliebte, ohne daß die Behörden dagegen einschritten. Die vom Kaiser Claudius verliehenen Geschenke wurden als widerrufliche Gaben eingezogen. Römische Minister, die zugleich Geldgeschäfte machten, trieben auf diesem Wege die britannischen Gemeinden eine nach der anderen zum Bankerott. Der Moment war günstig. Der mehr tapfere als vorsichtige Statthalter Paullinus befand sich, wie gesagt wurde, mit dem Kern der römischen Armee auf der entlegenen Insel Mona, und dieser Angriff auf den heiligsten Sitz der nationalen Religion erbitterte ebenso die Gemüter wie er dem Aufstande den Weg ebnete. Der alte gewaltige Keltenglaube, der den Römern so viel zu schaffen gemacht, loderte noch einmal, zum letztenmal, in mächtiger Flamme empor. Die geschwächten und weitgetrennten Legionslager im Westen und im Norden gewährten dem ganzen Südosten der Insel mit seinen aufblühenden römischen Städten keinen Schutz. Vor allem die Hauptstadt Camalodunum war völlig wehrlos, eine Besatzung nicht vorhanden, die Mauern nicht vollendet, wohl aber der Tempel ihres kaiserlichen Stifters, des neuen Gottes Claudius. Der Westen der Insel, wahrscheinlich niedergehalten durch die dort stehenden Legionen, scheint sich bei der Schilderhebung nicht beteiligt zu haben und ebensowenig der nicht botmäßige Norden; aber, wie das bei keltischen Aufständen öfter vorgekommen ist, es erhob sich im J. 61 auf die vereinbarte Losung das ganze übrige unterworfene Gebiet auf einen Schlag gegen die Fremden, voran die aus ihrer Hauptstadt vertriebenen Trinovanten. Der zweite Befehlshaber, der zur Zeit den Statthalter vertrat, der Prokurator Decianus Catus, hatte im letzten Augenblick, was er von Soldaten hatte, dieser zum Schutz gesandt: es waren 200 Mann. Sie wehrten sich mit den Veteranen und den sonstigen waffenfähigen Römern zwei Tage im Tempel; dann wurden sie überwältigt und, was in der Stadt römisch war, umgebracht bis auf den letzten. Das gleiche Schicksal erfuhr das Hauptemporium des römischen Handels Londinium und eine dritte aufblühende römische Stadt Verulamium (St. Albans nordwestlich von London), nicht minder die auf der Insel zerstreuten Ausländer – es war eine nationale Vesper gleich jener mithradatischen und die Zahl der Opfer – angeblich 70 000 – nicht geringer. Der Prokurator gab die Sache Roms verloren und flüchtete nach dem Kontinent. Auch die römische Armee ward in die Katastrophe verwickelt. Eine Anzahl zerstreuter Detachements und Besatzungen erlag den Angriffen der Insurgenten. Quintus Petillius Cerialis, der im Lager von Lindum den Befehl führte, marschierte auf Camalodunum mit der 9. Legion; zur Rettung kam er zu spät und verlor, von ungeheurer Übermacht angegriffen, in der Feldschlacht sein gesamtes Fußvolk; das Lager erstürmten die Briganten. Es fehlte nicht viel, daß den obersten Feldherrn das gleiche Schicksal erreichte. Eilig zurückkehrend von der Insel Mona rief er die bei Isca stehende 2. Legion heran; aber sie gehorchte dem Befehle nicht, und mit nur etwa 10 000 Mann mußte Paullinus den ungleichen Kampf gegen das zahllose und siegreiche Insurgentenheer aufnehmen. Wenn je der Soldat die Fehler der Führung gutgemacht hat, so war es an dem Tage, wo dieser kleine Haufen, hauptsächlich die seitdem gefeierte 14. Legion, wohl zu seiner eigenen Überraschung den vollen Sieg erfocht und die römische Herrschaft in Britannien abermals festigte; viel fehlte nicht, daß Paullinus Name neben dem des Varus genannt worden wäre. Aber der Erfolg entscheidet, und hier blieb er den Römern. Der schuldige Kommandant der ausgebliebenen Legion kam dem Kriegsgericht zuvor und stürzte sich in sein Schwert. Die Königin Boudicca trank den Giftbecher. Der übrigens tapfere Feldherr wurde zwar nicht in Untersuchung gezogen, wie anfangs die Absicht der Regierung zu sein schien, aber bald unter einem schicklichen Vorwand abgerufen.

Die Unterwerfung der westlichen Teile der Insel wurde von Paullinus‘ Nachfolgern nicht sogleich fortgesetzt. Erst der tüchtige Feldherr Sextus Julius Frontinus unter Vespasian zwang die Siluren zur Anerkennung der römischen Herrschaft; sein Nachfolger Gnäus Julius Agricola führte nach harten Kämpfen mit den Ordovikern das aus, was Paullinus nicht erreicht hatte, und besetzte im J. 78 die Insel Mona. Nachher ist von aktivem Widerstand in diesen Gegenden nicht die Rede; das Lager von Viroconium konnte, wahrscheinlich um diese Zeit, aufgehoben, die dadurch frei gewordene Legion im nördlichen Britannien verwendet werden. Aber die anderen beiden Legionslager von Isca und von Deva sind noch bis in die diokletianische Zeit an Ort und Stelle geblieben und erst in dem späteren Besatzungsstand verschwunden. Wenn dabei auch politische Rücksichten mitgewirkt haben mögen, so ist doch der Widerstand des Westens wahrscheinlich, vielleicht gestützt auf Verbindungen mit Ivernia, auch später noch fortgeführt worden. Dafür spricht ferner das völlige Fehlen römischer Spuren in dem inneren Wales und das daselbst bis auf den heutigen Tag sich behauptende keltische Volkstum. Im Norden bildete den Mittelpunkt der römischen Stellung östlich von Viroconium das Lager der 9. spanischen Legion in Lindum (Lincoln). Zunächst mit diesem berührte sich in Nordengland das mächtigste Fürstentum der Insel, das der Briganten (Yorkshire); es hatte sich nicht eigentlich unterworfen, aber die Königin Cartimandus suchte doch mit den Eroberern Frieden zu halten und erwies sich ihnen gefügig. Die Partei der Römerfeinde hatte hier im J. 50 loszuschlagen versucht, aber der Versuch war rasch unterdrückt worden. Caratacus, im Westen geschlagen, hatte gehofft, seinen Widerstand im Norden fortführen zu können, aber die Königin lieferte ihn, wie schon gesagt ward, den Römern aus. Diese inneren Zwistigkeiten und häuslichen Händel müssen dann in dem Aufstand gegen Paullinus, bei dem wir die Briganten in einer führenden Stellung fanden und der eben die Legion des Nordens mit seiner ganzen Schwere traf, mit im Spiel gewesen sein. Indes war die römische Partei der Briganten einflußreich genug, um nach Niederwerfung des Aufstandes die Wiederherstellung des Regiments der Cartimandus zu erlangen. Aber einige Jahre nachher bewirkte die Patriotenpartei daselbst, getragen durch die Losung des Abfalles von Rom, welche während des Bürgerkrieges nach Neros Katastrophe den ganzen Westen erfüllte, eine neue Schilderhebung der Briganten gegen die Fremdherrschaft, an deren Spitze Cartimandus‘ früherer von ihr beseitigter und beleidigter Gemahl, der kriegserfahrene Venutius stand; erst nach längeren Kämpfen bezwang Petillius Cerialis das mächtige Volk, derselbe, der unter Paullinus nicht glücklich gegen eben diese Briten gefochten hatte, jetzt einer der namhaftesten Feldherren Vespasians und der erste von ihm ernannte Statthalter der Insel. Der allmählich nachlassende Widerstand des Westens machte es möglich, die eine der drei bisher dort stationierten Legionen mit der in Lindum stehenden zu vereinigen und das Lager selbst von Lindum nach dem Hauptort der Briganten Eburacum (York) vorzuschieben. Indes so lange der Westen ernstliche Gegenwehr leistete, geschah im Norden nichts weiter für die Ausdehnung der römischen Grenze; am kaledonischen Walde, sagt ein Schriftsteller vespasianischer Zeit, stocken seit dreißig Jahren die römischen Waffen. Erst Agricola griff, nachdem er im Westen fertig war, die Unterwerfung auch des Nordens energisch an. Er schuf vor allem sich eine Flotte, ohne welche die Verpflegung der Truppen in diesen wenige Hilfsmittel darbietenden Gebirgen unmöglich gewesen sein würde. Gestützt auf diese gelangte er unter Titus (J. 80) bis an die Tava-Bucht (Frith of Tay) in die Gegend von Perth und Dundee und wandte die drei folgenden Feldzüge daran, die weiten Landstriche zwischen dieser Bucht und der bisherigen römischen Grenze an beiden Meeren genau zu erkunden, den örtlichen Widerstand überall zu brechen und an den geeigneten Stellen Verschanzungen anzulegen, wobei namentlich die natürliche Verteidigungslinie, welche durch die beiden tief einschneidenden Buchten Clota (Frith of Clyde) bei Glasgow und Bodotria (Frith of Forth) bei Edinburgh gebildet wird, zum Rückhalt ausersehen ward. Dieser Vorstoß rief das gesamte Hochland unter die Waffen; aber die gewaltige Schlacht, welche die vereinigten kaledonischen Stämme den Legionen zwischen den beiden Buchten Forth und Tay an den graupischen Bergen lieferten, endigte mit dem Siege Agricolas. Nach seiner Ansicht mußte die Unterwerfung der Insel, einmal begonnen, auch vollendet, ja auch auf Ivernia ausgedehnt werden; und es ließ sich dafür mit Rücksicht auf das römische Britannien geltend machen, was mit Rücksicht auf Gallien die Besetzung der Insel herbeigeführt hatte; hinzu kam, daß bei energischer Durchführung der Besetzung des gesamten Inselkomplexes der Aufwand an Menschen und Geld für die Zukunft wahrscheinlich sich verringert haben würde.

Die römische Regierung folgte diesen Ratschlägen nicht. Wieweit bei der Rückberufung des siegreichen Feldherrn im J. 85, der übrigens länger, als sonst der Fall zu sein pflegte, im Amte geblieben war, persönliche und gehässige Motive mitgewirkt haben, muß dahingestellt bleiben; das Zusammentreffen der letzten Siege des Generals in Schottland und der ersten Niederlagen des Kaisers im Donauland war allerdings in hohem Grade peinlich. Aber für das Einstellen der Operationen in Britannien und für die, wie es scheint, damals erfolgte Abberufung einer der vier Legionen, mit denen Agricola seine Feldzüge ausgeführt hatte, nach Pannonien, gibt die damalige militärische Lage des Staates, die Ausdehnung der römischen Herrschaft auf dem rechten Rheinufer in Obergermanien und der Ausbruch der gefährlichen Kriege in Pannonien eine völlig hinreichende Erklärung. Das freilich ist damit nicht erklärt, warum hiermit dem Vordringen gegen Norden überhaupt ein Ziel gesetzt und Nordschottland sowohl wie Irland sich selber überlassen wurden. Daß seitdem die Regierung, nicht wegen Zufälligkeiten der augenblicklichen Lage, sondern ein für allemal von der Vorschiebung der Reichsgrenze absah und daran bei allem Wechsel der Persönlichkeiten festhielt, lehrt die gesamte spätere Geschichte der Insel und lehren insbesondere die gleich zu erwähnenden mühsamen und kostspieligen Wallbauten. Ob sie im rechten Interesse des Staates auf die Vollendung der Eroberung verzichtet hat, ist eine andere Frage. Daß die Reichsfinanzen bei dieser Erweiterung der Grenzen nur einbüßen würden, wurde auch jetzt ebenso geltend gemacht wie früher gegen die Besetzung der Insel selbst, konnte aber freilich nicht entscheiden. Militärisch durchführbar war die Besetzung so, wie Agricola sie gedacht hatte, ohne Zweifel ohne wesentliche Schwierigkeit. Aber ins Gewicht mochte die Erwägung fallen, daß die Romanisierung der noch freien Gebiete große Schwierigkeit bereitet haben würde wegen der Stammesverschiedenheit. Die Kelten im eigentlichen England gehörten durchaus zu denen des Festlandes; Volksname, Glaube, Sprache waren beiden gemeinsam. Wenn die keltische Nationalität des Kontinents einen Rückhalt an der Insel gefunden hatte, so griff umgekehrt die Romanisierung Galliens notwendig auch nach England hinüber, und diesem vornehmlich verdankte es Rom, daß in so überraschender Schnelligkeit Britannien sich gleichfalls romanisierte. Aber die Bewohner Irlands und Schottlands gehörten einem anderen Stamme an und redeten eine andere Sprache; ihr Gadhelisch verstand der Brite wahrscheinlich so wenig wie der Germane die Sprache der Skandinaven. Als Barbaren wildester Art werden die Kaledonier – mit den Ivernern haben die Römer sich kaum berührt – durchaus geschildert. Andererseits waltete der Eichenpriester (Derwydd, Druida) seines Amtes an der Rhone wie in Anglesey, aber nicht auf der Insel des Westens noch in den Bergen des Nordens. Wenn die Römer den Krieg hauptsächlich geführt hatten, um das Druidengebiet ganz in ihre Gewalt zu bringen, so war dieses Ziel einigermaßen erreicht. Ohne Frage hätten in anderer Zeit alle diese Erwägungen die Römer nicht vermocht auf die so nahe gerückte Seegrenze im Norden zu verzichten, und wenigstens Kaledonien wäre besetzt worden. Aber weitere Landschaften mit römischem Wesen zu durchdringen, vermochte das damalige Rom nicht mehr; die zeugende Kraft und der vorschreitende Volksgeist waren aus ihm entwichen. Wenigstens diejenige Eroberung, die nicht durch Verordnungen und Märsche erzwungen werden kann, wäre, wenn man sie versucht hätte, schwerlich gelungen.

Es kam also darauf an die Nordgrenze für die Verteidigung in geeigneter Weise einzurichten; und darum dreht sich fortan hier die militärische Arbeit. Der militärische Mittelpunkt blieb Eburacum. Das weite von Agricola besetzte Gebiet wurde festgehalten und mit Kastellen belegt, die als vorgeschobene Posten für das zurückliegende Hauptquartier dienten; wahrscheinlich ist der größte Teil der nicht legionaren Truppen zu diesem Zweck verwendet worden. Später folgte die Anlage zusammenhängender Befestigungslinien. Die erste der Art rührt von Hadrian her und ist auch insofern merkwürdig, als sie in gewissem Sinn bis auf den heutigen Tag noch besteht und vollständiger bekannt ist als irgendeine andere der großen militärischen Bauten der Römer. Es ist genau genommen eine von Meer zu Meer in der Länge von etwa 16 deutschen Meilen westlich an den Solway Frith, östlich an die Mündung der Tyne führende nach beiden Seiten hin festungsmäßig geschützte Heerstraße. Die Verteidigung bildet nördlich eine gewaltige, ursprünglich mindestens 16 Fuß hohe und 8 Fuß dicke, an beiden Außenseiten aus Quadersteinen erbaute, dazwischen mit Bruchsteinen und Mörtel ausgefüllte Mauer, vor welcher ein nicht minder imponierender, 9 Fuß tiefer, oben bis 34 Fuß und mehr breiter Graben sich hinzieht. Gegen Süden ist die Straße geschützt durch zwei parallele, noch jetzt 6-7 Fuß hohe Erddämme, zwischen denen ein 7 Fuß tiefer Graben mit einem nach Süden aufgehöhten Rande sich hinzieht, so daß die Anlage von Damm zu Damm eine Gesamtbreite von 24 Fuß hat. Zwischen der Steinmauer und den Erddämmen auf der Straße selbst liegen die Lagerplätze und Wachthäuser, nämlich in der Entfernung einer kleinen Meile voneinander die Kohortenlager, angelegt als selbständig wehrfähige Kastelle mit Toröffnungen nach allen vier Seiten; zwischen je zweien derselben eine kleinere Anlage ähnlicher Art mit Ausfallstoren nach Norden und Süden; zwischen je zweien von diesen vier kleinere Wachthäuser in Rufweite voneinander. Diese Anlage von großartiger Solidität, welche als Besatzung 10 000 – 12 000 Mann erfordert haben muß, bildete seitdem das Fundament der militärischen Operationen im nördlichen England. Eigentlicher Grenzwall war sie nicht; vielmehr haben nicht bloß die schon seit Agricolas Zeit weit darüber hinaus vorgeschobenen Posten daneben fortbestanden, sondern es ist späterhin, zuerst unter Pius, dann in umfassenderer Weise unter Severus, gleichsam als Vorposten für den Hadrianswall, die schon von Agricola mit einer Postenreihe besetzte, um die Hälfte kürzere Linie vom Frith of Clyde zum Frith of Forth in ähnlicher, aber schwächerer Weise befestigt worden. Der Anlage nach war diese Linie von der hadrianischen nur insofern verschieden, als sie sich auf einen ansehnlichen Erdwall mit Graben davor und Straße dahinter beschränkte, nach Süden also nicht zur Verteidigung eingerichtet war; im übrigen schloß auch sie eine Anzahl kleinerer Lager in sich. An dieser Linie endigten die römischen Reichsstraßen, und obwohl auch jenseits dieser noch römische Posten standen – der nördlichste Punkt, auf dem der Grabstein eines römischen Soldaten sich gefunden hat, ist Ardoch zwischen Stirling und Perth –, kann die Grenze der Züge Agricolas, der Frith of Tay, auch später noch als die Grenze des römischen Reiches angesehen werden. Weniger als von diesen imponierenden Verteidigungsanlagen wissen wir von der Anwendung, die sie gefunden haben und überhaupt den späteren Ereignissen auf diesem fernen Kriegsschauplatz. Unter Hadrian ist eine schwere Katastrophe hier eingetreten, allem Anschein nach ein Überfall des Lagers von Eburacum und die Vernichtung der dort stehenden Legion, derselben 9., die im Boudiccakrieg so unglücklich gefochten hatte. Wahrscheinlich ist diese nicht durch feindlichen Einfall herbeigeführt, sondern durch den Abfall der nördlichen als reichsuntertänig geltenden Völkerschaften, insbesondere der Briganten. Damit wird in Verbindung zu bringen sein, daß der Hadrianswall ebenso gegen Süden wie gegen Norden Front macht; offenbar war er auch dazu bestimmt, das nur oberflächlich unterworfene Nordengland niederzuhalten. Auch unter Hadrians Nachfolger, Pius, haben hier Kämpfe stattgefunden, an denen die Briganten wieder beteiligt waren; doch läßt sich Genaueres nicht erkennen. Der erste ernstliche Angriff auf diese Reichsgrenze und die erste nachweisliche Überschreitung der Mauer – ohne Zweifel derjenigen des Pius – erfolgte unter Marcus und weiter unter Commodus; wie denn auch Commodus der erste Kaiser ist, der den Siegesbeinamen des Britannikers angenommen hat, nachdem der tüchtige General Ulpius Marcellus die Barbaren zu Paaren getrieben hatte. Aber das Sinken der römischen Macht tritt seitdem hier ebenso hervor wie an der Donau und am Euphrat. In den unruhigen Anfangsjahren des Severus hatten die Kaledonier ihre Zusage, sich nicht mit den römischen Untertanen einzulassen, gebrochen und auf sie gestützt ihre südlichen Nachbaren, die Mäaten, den römischen Statthalter Lupus genötigt, gefangene Römer mit großen Summen zu lösen. Dafür traf sie Severus schwerer Arm nicht lange vor seinem Tode; er drang in ihr eigenes Gebiet ein und zwang sie zur Abtretung beträchtlicher Strecken, aus welchen freilich, nachdem der alte Kaiser im J. 211 im Lager von Eburacum gestorben war, seine Söhne die Besatzungen sofort freiwillig zurückzogen, um der lästigen Verteidigung überhoben zu sein. – Aus dem 3. Jahrhundert wird von den Schicksalen der Insel kaum etwas gemeldet. Da keiner der Kaiser bis auf Diocletian und seine Kollegen den Siegernamen von der Insel geführt hat, mögen ernstere Kämpfe hier nicht stattgefunden haben, und wenn auch in dem Landstrich zwischen den Wällen des Pius und den Hadrianus das römische Wesen wohl nie festen Fuß gefaßt hat, scheint doch wenigstens der Hadrianswall, was er sollte, auch damals geleistet und hinter ihm die fremdländische Zivilisation gesichert sich entwickelt zu haben. In der Zeit Diocletians finden wir den Bezirk zwischen beiden Wällen geräumt, aber den Hadrianswall nach wie vor besetzt und das übrige römische Heer zwischen ihm und dem Hauptquartier Eburacum kantonnierend zur Abwehr der seitdem oft erwähnten Raubzüge der Kaledonier oder, wie sie jetzt gewöhnlich heißen, der Tättowirten ( picti) und der von Ivernia her einströmenden Skoten. – Eine ständige Flotte haben die Römer in Britannien gehabt; aber wie das Seewesen immer die schwache Seite der römischen Wehrordnung geblieben ist, war auch die britische Flotte nur unter Agricola vorübergehend von Bedeutung.

Wenn, wie dies wahrscheinlich ist, die Regierung darauf gerechnet hatte, nach erfolgter Besetzung der Insel den größten Teil der dorthin gesandten Truppen zurücknehmen zu können, so erfüllte diese Hoffnung sich nicht: nur eine der entsendeten vier Legionen ist, wie wir sahen, unter Domitian abberufen worden; die drei anderen müssen unentbehrlich gewesen sein, denn es ist nie der Versuch gemacht worden sie zu verlegen. Dazu kamen die Auxilien, die zu dem wenig einladenden Dienst auf der abgelegenen Nordseeinsel dem Anschein nach im Verhältnis stärker als die Bürgertruppen herangezogen wurden. In der Schlacht am graupischen Berge im J. 84 fochten außer den vier Legionen 8000 zu Fuß und 3000 zu Pferde von den Hilfssoldaten. Für die Zeit von Traian und Hadrian, wo von diesen in Britannien 6 Alen und 21 Kohorten, zusammen etwa 15 000 Mann standen, wird man das gesamte britannische Heer auf etwa 30 000 Mann anzuschlagen haben. Britannien war von Haus aus ein Kommandobezirk ersten Ranges, den beiden rheinischen und dem syrischen vielleicht im Rang, aber nicht an Bedeutung nachstehend, gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts wahrscheinlich die angesehenste aller Statthalterschaften. Es lag nur an der weiten Entfernung, daß die britannischen Legionen in der Korpsparteiung der früheren Kaiserzeit in zweiter Reihe erscheinen; bei dem Korpskrieg nach dem Erlöschen des antoninischen Hauses fochten sie in der ersten. Darum aber war es auch eine der Konsequenzen des Sieges des Severus, daß die Statthalterschaft geteilt ward. Seitdem standen die beiden Legionen von Isca und Deva unter dem Legaten der oberen, die eine von Eburacum und die Truppen an den Wällen, also die Hauptmasse der Auxilien, unter dem der unteren Provinz. Wahrscheinlich ist die Verlegung der ganzen Besatzung nach dem Norden, die, wie oben bemerkt ward, nach bloß militärischen Rücksichten wohl zweckmäßig gewesen sein würde, mit deswegen unterblieben, weil sie einem Statthalter drei Legionen in die Hand gegeben hätte.

Daß finanziell die Provinz mehr kostete, als sie eintrug, kann hiernach nicht verwundern. Für die Wehrkraft des Reiches dagegen kam Britannien erheblich in Betracht; das Kompensationsverhältnis von Besteuerung und Aushebung wird auch für die Insel in Anwendung gekommen sein und die britischen Truppen galten neben den illyrischen für die besten der Armee. Gleich anfänglich sind dort sieben Kohorten aus den Eingeborenen aufgestellt und diese weiter bis auf Hadrian stetig vermehrt worden; nachdem dieser das System aufgebracht hatte, die Truppen möglichst aus ihren Garnisonbezirken zu rekrutieren, scheint Britannien dies für seine starke Besatzung wenigstens zum großen Teil geleistet zu haben. Es war ein ernster und tapferer Sinn in den Leuten; sie trugen die Steuern und die Aushebung willig, nicht aber Hoffart und Brutalität der Beamten.

Für die innere Ordnung Britanniens bot als Grundlage sich die dort zur Zeit der Eroberung bestehende Gauverfassung, welche, wie schon bemerkt ward, von derjenigen der Kelten des Kontinents sich nur darin wesentlich entfernte, daß die einzelnen Völkerschaften der Insel, es scheint sämtlich, unter Fürsten standen. Aber diese Ordnung scheint nicht beibehalten und der Gau ( civitas) in Britannien wie in Spanien ein geographischer Begriff geworden zu sein; wenigstens ist es kaum anders zu erklären, daß die britannischen Völkerschaften genau genommen verschwinden, so wie sie unter römische Herrschaft geraten, und von den einzelnen Gauen nach ihrer Unterwerfung so gut wie gar nicht die Rede ist. Wahrscheinlich sind die einzelnen Fürstentümer, wie sie unterworfen und eingezogen wurden, in kleinere Gemeinden zerschlagen worden; es ward dies dadurch erleichtert, daß auf der Insel sich nicht, wie auf dem Kontinent, eine ohne monarchische Spitze geordnete Gauverfassung vorfand. Damit hängt auch wohl zusammen, daß, während die gallischen Gaue eine gemeinsame Hauptstadt und in dieser eine politische und religiöse Gesamtvertretung besessen haben, von Britannien nichts Ähnliches gemeldet wird. Gefehlt hat der Provinz ein Konzilium und ein gemeinsamer Kaiserkultus nicht; aber wäre der Altar des Claudius in Camalodunum auch nur annähernd gewesen, was der des Augustus in Lugudunum, so würde davon wohl etwas verlauten. Die freie und große politische Gestaltung, welche dem gallischen Land von Cäsar gewährt und von seinem Sohne bestätigt worden war, paßt in den Rahmen der späteren Kaiserpolitik nicht mehr. – Von der mit der Invasion ziemlich gleichzeitigen Gründung der Kolonie Camalodunum war schon die Rede, wie es auch bereits hervorgehoben wurde, daß die italische Stadtverfassung früh in einer Reihe britannischer Ortschaften eingeführt worden ist. Auch hierin ist Britannien mehr nach dem Muster Spaniens als nach dem des keltischen Kontinents behandelt worden.

Die inneren Zustände Britanniens müssen, trotz der allgemeinen Gebrechen des Reichsregiments, wenigstens im Vergleich mit anderen Gebieten nicht ungünstige gewesen sein. Kannte man im Norden nur Jagd und Weide und waren hier die Einwohner wie die Anwohner zu Fehde und Raub jederzeit bei der Hand, so entwickelte sich der Süden in dem ungestörten Friedensstand vor allem durch Ackerbau, daneben durch Viehzucht und Bergwerksbetrieb zu mäßiger Wohlfahrt: die gallischen Redner der diocletianischen Zeit preisen den Reichtum der fruchtbaren Insel, und oft genug haben die Rheinlegionen ihr Getreide aus Britannien empfangen. – Das Straßennetz der Insel, das ungemein entwickelt ist und für das namentlich Hadrian in Verbindung mit seinem Wallbau viel getan hat, hat natürlich zunächst militärischen Zwecken gedient; aber neben, ja vor den Legionslagern nimmt Londinium darin einen Platz ein, welcher seine leitende Stellung im Verkehr deutlich vor Augen bringt. Nur in Wales gab es Reichsstraßen allein in der nächsten Nähe der römischen Lager, von Isca nach Nidum (Neath) und von Deva zur Überfahrt nach Mona. – Zu der Romanisierung verhielt sich das römische Britannien ähnlich wie das nördliche und mittlere Gallien. Die nationalen Gottheiten, der Mars Belatucadrus oder Cocidius, die der Minerva gleichgesetzte Göttin Sulis, nach welcher die heutige Stadt Bath hieß, sind auch in lateinischer Sprache noch vielfach auf der Insel verehrt worden. Ein exotisches Gewächs ist die aus Italien eindringende Sprache und Sitte auf der Insel noch mehr gewesen als auf dem Kontinent; noch gegen das Ende des 1. Jahrhunderts lehnten die angesehenen Familien dort sowohl die lateinische Sprache ab wie die römische Tracht. Die großen städtischen Zentren, die eigentlichen Herde der neuen Kultur, sind in Britannien schwächer entwickelt; wir wissen nicht bestimmt, welche englische Stadt für das Konzilium der Provinz und die gemeinschaftliche Kaiserverehrung als Sitz gedient und in welchem der drei Legionslager der Statthalter der Provinz residiert hat; wenn, wie es scheint, die Zivilhauptstadt Britanniens Camalodunum gewesen ist, die Militärhauptstadt Eburacum, so kann dieses sich so wenig mit Mainz messen wie jenes mit Lyon. Die Trümmerstätten auch der namhaften Ortschaften, der claudischen Veteranenstadt Camalodunum und der volkreichen Kaufstadt Londinium, nicht minder die vielhundertjährigen Legionslager von Deva, Isca, Eburacum haben Inschriftsteine nur in geringfügiger Zahl, namhafte Städte römischen Rechts wie die Kolonie Glevum (Gloucester), das Municipium Verulamium bis jetzt nicht einen einzigen ergeben; die Sitte des Denksteinsetzens, auf deren Ergebnisse wir für solche Fragen großenteils angewiesen sind, hat in Britannien nie recht durchgeschlagen. Im inneren Wales und in anderen weniger zugänglichen Strichen sind römische Denkmäler überhaupt nicht zum Vorschein gekommen. Daneben aber stehen deutliche Zeugen des von Tacitus hervorgehobenen regen Handels und Verkehrs, so die zahllosen Trinkschalen, die aus den Ruinen Londons hervorgegangen sind, und das Londoner Straßennetz. Wenn Agricola bemüht war, den munizipalen Wetteifer in der Ausschmückung der eigenen Stadt durch Bauten und Denkmäler, wie er von Italien sich auf Afrika und Spanien übertragen hatte, auch nach Britannien zu verpflanzen und die vornehmen Insulaner zu bestimmen, in ihrer Heimat die Märkte zu schmücken und Tempel und Paläste zu errichten, wie dies anderswo üblich war, so ist ihm das für die Gemeindebauten nur in geringem Umfang gelungen. Aber in der Privatwirtschaft ist es anders; die stattlichen, römisch angelegten und geschmückten Landhäuser, von denen jetzt nur noch die Mosaikfußböden übriggeblieben sind, finden sich im südlichen Britannien bis in die Gegend von York hinauf ebenso häufig wie im Rheinland. Die höhere schulmäßige Jugendbildung drang von Gallien aus allmählich in Britannien ein. Unter Agricolas administrativen Erfolgen wird angeführt, daß der römische Hofmeister in die vornehmen Häuser der Insel anfange seinen Weg zu finden. In hadrianischer Zeit wird Britannien als ein von den gallischen Schulmeistern erobertes Gebiet bezeichnet, und »schon spricht Thule davon, sich einen Professor zu mieten«. Diese Schulmeister waren zunächst Lateiner, aber es kamen auch Griechen; Plutarchos erzählt von einer Unterhaltung, die er in Delphi pflog mit einem aus Britannien heimkehrenden griechischen Sprachlehrer aus Tarsos. Wenn im heutigen England, abgesehen von Wales und bis vor kurzem von Cornwall, die alte Landessprache verschwunden ist, so ist sie nicht den Angeln oder den Sachsen, sondern dem römischen Idiom gewichen; und wie es in Grenzländern zu geschehen pflegt, in der späteren Kaiserzeit stand keiner treuer zu Rom als der britannische Mann. Nicht Britannien hat Rom aufgegeben, sondern Rom Britannien – das letzte, was wir von der Insel erfahren, sind die flehentlichen Bitten der Bevölkerung bei Kaiser Honorius um Schutz gegen die Sachsen, und dessen Antwort, daß sie sich selber helfen möchten, wie sie könnten.

Kapitel VI


Die Donauländer und die Kriege an der Donau

Kapitel VI

Wie die Rheingrenze Cäsars, so ist die Donaugrenze das Werk des Augustus. Als er an das Ruder kam, waren die Römer auf der italischen Halbinsel kaum Herren der Alpen, auf der griechischen kaum des Hämus (Balkan) und der Küstenstreifen am Adriatischen und am Schwarzen Meer; nirgends reichte ihr Gebiet an den mächtigen Strom, der das südliche Europa vom nördlichen scheidet; sowohl das nördliche Italien wie auch die illyrischen und pontischen Handelsstädte und mehr noch die zivilisierten Landschaften Makedoniens und Thrakiens waren den Raubzügen der rohen und unruhigen Nachbarstämme stetig ausgesetzt. Als Augustus starb, waren an die Stelle der einen kaum zu selbständiger Verwaltung gelangten Provinz Illyricum fünf große römische Verwaltungsbezirke getreten, Rätien, Noricum, Unterillyrien oder Pannonien, Oberillyrien oder Dalmatien und Mösien und die Donau in ihrem ganzen Lauf, wenn nicht überall die militärische, doch die politische Reichsgrenze geworden. Die verhältnismäßig leichte Unterwerfung dieser weiten Gebiete sowie die schwere Insurrektion der J. 6-9 und das dadurch veranlaßte Aufgeben der früher beabsichtigten Verlegung der Grenzlinie von der oberen Donau nach Böhmen und an die Elbe sind früher dargestellt worden. Es bleibt übrig die Entwicklung dieser Landschaften in der Zeit nach Augustus und die Beziehungen der Römer zu den jenseit der Donau wohnhaften Stämmen darzustellen.

Die Schicksale Rätiens sind mit denen der obergermanischen Provinz so eng verflochten, daß dafür auf die frühere Darstellung verwiesen werden kann. Die römische Zivilisation hat hier im ganzen genommen sich wenig entwickelt. Das Hochland der Alpen mit den Tälern des oberen Inn und des oberen Rheins umschloß eine schwache und eigenartige Bevölkerung, wahrscheinlich diejenige, die einstmals die östliche Hälfte der norditalischen Ebene besessen hatte, vielleicht den Etruskern verwandt. Von dort zurückgedrängt durch die Kelten und vielleicht auch die Illyriker behauptete sie sich in den nördlichen Gebirgen. Während die nach Süden sich öffnenden Täler, wie das der Etsch, zu Italien gezogen wurden, boten jene den Südländern wenig Platz und noch weniger Reiz zur Ansiedlung und Städtegründung. Weiter nördlich auf der Hochebene zwischen dem Bodensee und dem Inn, welche von den keltischen Stämmen der Vindeliker eingenommen war, wäre wohl für römische Kultur Raum und Stätte gewesen; aber es scheint in diesem Gebiet, das nicht so wie das norische unmittelbare Fortsetzung Italiens werden konnte und das gleich dem angrenzenden sogenannten Decumatenland wohl zunächst nur als Scheide gegen die Germanen für die Römer von Wert war, die Politik der früheren Kaiserzeit die Kultur vielmehr zurückgehalten zu haben. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß gleich nach der Eroberung man bedacht war, die Landschaft zu entvölkern. Diesem geht zur Seite, daß in der früheren Kaiserzeit keine römisch organisierte Gemeinde hier entstanden ist. Zwar von der Anlage der großen Straße, die gleich mit der Eroberung selbst von dem älteren Drusus durch die Hochalpen an die Donau geführt ward, war die Gründung der Augusta der Vindeliker, des heutigen Augsburg, ein notwendiger Teil; aber es war und blieb dieser rasch aufblühende Ort über ein Jahrhundert ein Marktflecken, bis endlich Hadrian auch in dieser Hinsicht die von Augustus vorgezeichnete Bahn verließ und die Landschaft der Vindeliker in die Romanisierung des Nordens hineinzog. Die Verleihung des römischen Stadtrechts an den Vorort der Vindeliker durch Hadrian wird damit zusammengestellt werden dürfen, daß ungefähr um dieselbe Zeit die Militärgrenze am Oberrhein vorgeschoben ward und römische Städte im ehemaligen Decumatenland entstanden; indes ist in Rätien auch später Augusta der einzige größere Mittelpunkt römischer Zivilisation geblieben. Auch die militärischen Einrichtungen haben auf das Zurückhalten derselben eingewirkt. Die Provinz stand von Anfang an unter kaiserlicher Verwaltung und konnte nicht ohne Besatzung gelassen werden; aber besondere Rücksichten nötigten, wie dies früher gezeigt ward, die Regierung nach Rätien lediglich Truppen zweiter Klasse zu legen, und wenn diese auch der Zahl nach nicht unbeträchtlich waren, so haben doch die kleineren Standlager der Alen und Kohorten nicht die zivilisierende und städtebildende Wirkung ausüben können wie die Legionslager. Unter Marcus ist allerdings infolge des marcomanischen Krieges das rätische Hauptquartier, die Castra Regina, das heutige Regensburg mit einer Legion belegt worden; aber selbst dieser Ort scheint in römischer Zeit bloß Militärniederlassung geblieben zu sein und kaum mit den Lagern zweiten Ranges am Rhein, wie zum Beispiel Bonna, in der städtischen Entwicklung auf einer Linie gestanden zu haben. Daß die Grenze Rätiens schon zu Traianus Zeit von Regensburg westlich eine Strecke über die Donau hinaus vorgeschoben war, ist früher bemerkt und daselbst auch ausgeführt worden, daß dieses Gebiet wahrscheinlich ohne Anwendung von Waffengewalt, ähnlich wie das Decumatenland, zum Reiche gezogen worden ist. Es wurde ebenfalls schon erwähnt, daß die Befestigung dieses Gebiets vielleicht mit den unter Marcus bis hierher sich erstreckenden Einfällen der Chatten zusammenhängt, so wie daß diese und später die Alemannen im 3. Jahrhundert sowohl dies Vorland wie Rätien selbst heimsuchten und schließlich unter Gallienus den Römern entrissen.

Die Nachbarprovinz Noricum ist wohl in der provinzialen Einrichtung ähnlich wie Rätien behandelt worden, aber hat sich sonst anders entwickelt. Nach keiner Richtung hin ist Italien für den Landverkehr so wie gegen Nordosten aufgeschlossen; die Handelsbeziehungen Aquileias sowohl durch das Friaul nach der oberen Donau und zu den Eisenwerken von Noreia wie über die Julische Alpe zum Savetal haben hier der augustischen Grenzerweiterung vorgearbeitet wie nirgends sonst im Donaugebiet. Nauportus (Oberlaibach) jenseit des Passes war ein römischer Handelsflecken schon in republikanischer Zeit, Emona (Laibach) eine später förmlich Italien einverleibte, der Sache nach seit ihrer Gründung durch Augustus zu Italien gehörige römische Bürgerkolonie. Daher genügte, wie früher schon hervorgehoben ward, für die Umwandlung dieses »Königreiches« in eine römische Provinz wahrscheinlich die bloße Ankündigung. Die ursprünglich wohl illyrische, später zum guten Teil keltische Bevölkerung zeigt keine Spur von demjenigen Festhalten an der nationalen Weise und Sprache, welche wir bei den Kelten des Westens wahrnehmen. Römische Sprache und römische Sitte muß hier früh Eingang gefunden haben, und von Kaiser Claudius wurde dann das gesamte Gebiet, selbst der nördliche durch die Tauernkette vom Drautal getrennte Teil nach italischer Gemeindeverfassung organisiert. Während in den Nachbarländern Rätien und Pannonien die Denkmäler römischer Sprache entweder fehlen oder doch nur in den größeren Zentren erscheinen, sind die Täler der Drau, der Mur und der Salzach und ihrer Nebenflüsse bis in das hohe Gebirge hinauf erfüllt mit Zeugnissen der hier tief eingedrungenen Romanisierung. Noricum ward ein Vorland und gewissermaßen ein Teil Italiens; bei der Aushebung für die Legionen und für die Garde ist, solange hier die Italiker überhaupt bevorzugt wurden, diese Bevorzugung auf keine andere Provinz so völlig erstreckt worden wie auf diese. – Hinsichtlich der militärischen Belegung gilt von Noricum dasselbe wie von Rätien. Aus den schon entwickelten Gründen gab es auch in Noricum während der ersten zwei Jahrhunderte der Kaiserzeit nur Alen- und Kohortenlager; Carnuntum (Petronell bei Wien), das in der augustischen Zeit zu Noricum gehörte, ist, als die illyrischen Legionen dort hingelegt wurden, eben darum zu Pannonien gezogen worden. Die kleineren norischen Standlager an der Donau und selbst das von Marcus, der auch in diese Provinz eine Legion legte, für diese eingerichtete Lager von Lauriacum (bei Enns) sind für die städtische Entwicklung von keiner Bedeutung gewesen; die großen Ortschaften Noricums, wie Celeia (Cilli) im Sanntal, Aguontum (Lienz), Teurnia (unweit Spital), Virunum (Zollfeld bei Klagenfurt), im Norden Juvavum (Salzburg), sind rein aus bürgerlichen Elementen hervorgegangen.

Illyricum, das heißt das römische Gebiet zwischen Italien und Makedonien, wurde in republikanischer Zeit zum kleineren Teil mit der griechisch-makedonischen Statthalterschaft vereinigt, zum größeren als Nebenland von Italien und nach der Einrichtung der Statthalterschaft des cisalpinischen Galliens als ein Teil von dieser verwaltet. Das Gebiet deckt sich bis zu einem gewissen Grade mit dem weitverbreiteten Stamm, von dem es die Römer benannt haben: es ist derjenige, dessen dürftiger Rest an dem südlichen Ende seines ehemals weitgedehnten Besitzes unter dem Namen der Schkipetaren, welchen sie sich selbst beilegen, oder, wie ihre Nachbarn sie heißen, der Arnauten oder Albanesen noch heute seine alte Nationalität und seine eigene Sprache bewahrt hat. Es ist derselbe ein Glied der indogermanischen Familie und innerhalb derselben wohl am nächsten dem griechischen Kreise verwandt, wie dies auch den örtlichen Verhältnissen angemessen ist; aber er steht neben diesem wenigstens eben so selbständig wie der lateinische und der keltische. In ihrer ursprünglichen Ausdehnung erfüllte diese Nation die Küste des Adriatischen Meeres von der Mündung des Po durch Istrien, Dalmatien und Epirus bis gegen Akarnanien und Ätolien, ferner im Binnenlande das obere Makedonien sowie das heutige Serbien und Bosnien und das ungarische Gebiet auf dem rechten Ufer der Donau; sie grenzt also östlich an die thrakischen Völkerschaften, westlich an die keltischen, von welchen letzteren Tacitus sie ausdrücklich unterscheidet. Es ist ein kräftiger Schlag südländischer Art, mit schwarzem Haar und dunklen Augen, sehr verschieden von den Kelten und mehr noch von den Germanen, nüchterne, mäßige, unerschrockene, stolze Leute, vortreffliche Soldaten, aber bürgerlicher Entwicklung wenig zugänglich, mehr Hirten als Ackerbauer. Zu einer größeren politischen Entwicklung ist er nicht gelangt. An der italischen Küste traten ihnen wahrscheinlich zunächst die Kelten entgegen; die wahrscheinlich illyrischen Völkerschaften daselbst, insbesondere die Veneter, wurden durch die Rivalität mit den Kelten früh zu fügsamen Untertanen der Römer. Am Ende des 6. Jahrhunderts der Stadt engte die Gründung von Aquileia und die Unterwerfung der Halbinsel Istrien weiter ihre Grenzen ein. An der Ostküste des Adriatischen Meeres waren die wichtigeren Inseln und die Südhäfen des Kontinents seit langem von den kühnen hellenischen Schiffern okkupiert. Als dann in Skodra (Skutari), gewissermaßen in alter Zeit wie heutzutage dem Zentralpunkt des illyrischen Landes, die Herrscher anfingen sich zu eigener Macht zu entwickeln und besonders auf dem Meere die Griechen zu befehden, schlug Rom schon vor dem hannibalischen Kriege sie mit gewaltiger Hand nieder und nahm die ganze Küste unter seine Schutzherrschaft, welche bald, nachdem der Herr von Skodra mit dem König Perseus von Makedonien den Krieg und die Niederlage geteilt hatte, die völlige Auflösung dieses Fürstentums herbeiführte. Am Ende des 6. Jahrhunderts der Stadt und in der ersten Hälfte des siebenten wurde in langjährigen Kämpfen auch die Küste zwischen Istrien und Skodra von den Römern besetzt. Im Binnenland wurden die Illyrier in republikanischer Zeit von den Römern wenig berührt; dafür aber müssen von Westen her vordringend die Kelten einen guten Teil ursprünglich illyrischen Gebietes in ihre Gewalt gebracht haben, so das späterhin überwiegend keltische Noricum. Kelten sind auch die Latobiker im heutigen Krain; und in dem gesamten Gebiet zwischen Save und Drau, ebenso im Raabtal saßen die beiden großen Stämme im Gemenge, als Cäsar Augustus die südlichen Distrikte Pannoniens der römischen Herrschaft unterwarf. Wahrscheinlich hat diese starke Mischung mit keltischen Elementen neben der ebenen Bodenbeschaffenheit zu dem frühen Untergang der illyrischen Nation in den pannonischen Landschaften ihren Teil beigetragen. In die südliche Hälfte der von Illyriern bewohnten Landschaften dagegen sind von den Kelten nur die Skordisker vorgedrungen, deren Festsetzung an der unteren Save bis zur Morawa und deren Streifereien bis in die Nähe von Thessalonike früher erwähnt worden sind. Die Griechen aber haben hier ihnen gewissermaßen den Platz geräumt; das Sinken der makedonischen Macht und die Verödung von Epirus und Ätolien müssen die Ausbreitung der illyrischen Nachbaren gefördert haben. Bosnien, Serbien, vor allem Albanien sind in der Kaiserzeit illyrisch gewesen, und Albanien ist es noch heute.

Es ist früher erzählt worden, daß Illyricum schon nach der Absicht des Diktators Cäsar als eigene Statthalterschaft konstituiert werden sollte und diese Absicht bei der Teilung der Provinzen zwischen Augustus und dem Senat zur Ausführung kam; daß diese anfangs dem Senat überwiesene Statthalterschaft wegen der daselbst notwendigen Kriegführung auf den Kaiser überging; daß Augustus diese Statthalterschaft teilte und die bis dahin im ganzen nur nominelle Herrschaft über das Binnenland sowohl in Dalmatien wie im Savegebiet effektiv machte; daß er endlich die gewaltige nationale Insurrektion, die bei den dalmatischen wie bei den pannonischen Illyriern im J. 6 n. Chr. ausbrach, nach schwerem vierjährigem Kampf überwältigte. Es bleibt übrig die ferneren Schicksale zunächst der südlichen Provinz zu berichten.

Nach den bei der Insurrektion gemachten Erfahrungen schien es erforderlich, nicht bloß die in Illyricum ausgehobenen Mannschaften statt wie bisher in ihrer Heimat vielmehr auswärts zu verwenden, sondern auch die Dalmater wie die Pannonier durch ein Kommando ersten Ranges in Botmäßigkeit zu halten. Dasselbe hat seinen Zweck rasch erfüllt. Der Widerstand, den die Illyriker unter Augustus der ungewohnten Fremdherrschaft entgegensetzten, hat sich ausgetobt mit dem einen gewaltigen Sturm; späterhin verzeichnen unsere Berichte keine ähnliche auch nur partielle Bewegung. Für das südliche oder nach dem römischen Ausdruck das obere Illyricum, die Provinz Dalmatien, wie sie seit der Zeit der Flavier gewöhnlich heißt, begann mit dem Kaiserregiment eine neue Epoche. Die griechischen Kaufleute hatten wohl auf der ihnen nächstliegenden Küste die beiden großen Emporien Apollonia (bei Valona) und Dyrrachium (Durazzo) gegründet; eben darum war dieser Teil schon unter der Republik der griechischen Verwaltung überwiesen worden. Aber weiter nordwärts hatten die Hellenen nur auf den vorliegenden Inseln Issa (Lissa), Pharos (Lesina), Schwarz-Kerkyra (Curzola) sich angesiedelt und von da aus den Verkehr mit den Eingeborenen namentlich an der Küste von Narona und in den Salonä vorliegenden Ortschaften unterhalten. Unter der römischen Republik hatten die italischen Händler, welche hier die Erbschaft der griechischen antraten, in den Haupthäfen Epitaurum (Ragusa vecchia), Narona, Salonä, lader (Zara) sich in solcher Zahl niedergelassen, daß sie in dem Kriege zwischen Cäsar und Pompeius eine nicht unwesentliche Rolle spielen konnten. Aber Verstärkung durch dort angesiedelte Veteranen und, was die Hauptsache war, städtisches Recht empfingen diese Ortschaften erst durch Augustus, und zugleich kam teils die energische Unterdrückung der auf den Inseln noch bestehenden Piratenschlupfwinkel, teils die Unterwerfung des Binnenlandes und die Vorschiebung der römischen Grenze gegen die Donau insbesondere diesen auf der Ostküste des Adriatischen Meeres angesiedelten Italikern zugute. Vor allem die Hauptstadt des Landes, der Sitz des Statthalters und der gesamten Verwaltung, Salonä, blühte rasch auf und überflügelte weit die älteren griechischen Ansiedlungen Apollonia und Dyrrachium, obwohl in die letztere Stadt ebenfalls unter Augustus italische Kolonisten, freilich nicht Veteranen, sondern expropriierte Italiker gesendet und die Stadt als römische Bürgergemeinde eingerichtet wurde. Vermutlich hat bei dem Aufblühen Dalmatiens und dem Verkümmern der illyrisch-makedonischen Küste der Gegensatz des kaiserlichen und des Senatsregimentes eine wesentliche Rolle gespielt, die bessere Verwaltung sowohl wie die Bevorzugung bei dem eigentlichen Machthaber. Damit wird weiter zusammenhängen, daß die illyrische Nationalität sich in dem Bereich der makedonischen Statthalterschaft besser behauptet hat als in dem der dalmatischen: in jenem lebt sie heute noch fort, und es muß in der Kaiserzeit, abgesehen von dem griechischen Apollonia und der italischen Kolonie Dyrrachium, neben den beiden Reichssprachen im Binnenland die des Volkes die illyrische geblieben sein. In Dalmatien dagegen wurden die Küste und die Inseln, soweit sie irgend sich eigneten – die unwirtliche Strecke nordwärts von Iader blieb in der Entwicklung notwendig zurück –, nach italischer Ordnung kommunalisiert, und bald sprach die ganze Küste lateinisch, etwa wie heutzutage venezianisch. Dem Vordringen der Zivilisation in das Binnenland traten örtliche Schwierigkeiten entgegen. Dalmatiens bedeutende Ströme bilden mehr Wasserfälle als Wasserstraßen; und auch die Herstellung der Landstraßen stößt bei der Beschaffenheit seines Bergnetzes auf ungewöhnliche Schwierigkeiten. Die römische Regierung hat ernstliche Anstrengungen gemacht, das Land aufzuschließen. Unter dem Schutz des Legionslagers von Burnum entwickelte im Kerkatal, in dem der Cettina unter dem des Lagers von Delminium, welche Lager auch hier die Träger der Zivilisierung und der Latinisierung gewesen sein werden, sich die Bodenbestellung nach italischer Art, auch die Pflanzung der Rebe und der Olive und überhaupt italische Ordnung und Gesittung. Dagegen jenseit der Wasserscheide zwischen dem Adriatischen Meer und der Donau sind die auch für den Ackerbau wenig günstigen Täler von der Kulpa bis zum Drin in römischer Zeit in ähnlichen primitiven Verhältnissen verblieben, wie sie das heutige Bosnien aufweist. Kaiser Tiberius allerdings hat durch die Soldaten der dalmatinischen Lager von Salonä bis in die Täler Bosniens verschiedene Chausseen geführt; aber die späteren Regierungen ließen, wie es scheint, die schwierige Aufgabe fallen. An der Küste und in den der Küste nähergelegenen Strichen bedurfte Dalmatien bald keiner weiteren militärischen Hut; die Legionen des Kerka- und des Cettinatales konnte schon Vespasian von dort wegziehen und anderweitig verwenden. Unter dem allgemeinen Verfall des Reiches im 3. Jahrhundert hat Dalmatien verhältnismäßig wenig gelitten, ja Salonä wohl erst damals seine höchste Blüte erreicht. Freilich ist dies zum Teil dadurch veranlaßt, daß der Regenerator des römischen Staates, Kaiser Diocletianus, ein geborener Dalmatiner war und sein auf die Dekapitalisierung Roms gerichtetes Streben der Hauptstadt seines Heimatlandes vorzugsweise zugute kommen ließ: er baute neben derselben den gewaltigen Palast, von dem die heutige Hauptstadt der Provinz den Namen Spalato trägt, innerhalb dessen sie zum größten Teil Platz gefunden hat und dessen Tempel ihr heute als Dom und als Baptisterium dienen. Aber zur Großstadt hat nicht erst Diocletian Salonä gemacht, sondern, weil sie es war, sie für seine Privatresidenz gewählt; Handel und Schiffahrt und Gewerbe müssen damals in diesen Gewässern vorzugsweise in Aquileia und in Salonä sich konzentriert haben und die Stadt eine der volkreichsten und wohlhabendsten des Okzidents gewesen sein. Die reichen Eisengruben Bosniens waren wenigstens in der späteren Kaiserzeit in starkem Betrieb; ebenso lieferten die Wälder der Provinz massenhaftes und vorzügliches Bauholz; auch von der blühenden Textilindustrie des Landes bewahrt die priesterliche Dalmatica noch heute eine Erinnerung. Überhaupt ist die Zivilisierung und die Romanisierung Dalmatiens eine der eigensten und eine der bedeutendsten Erscheinungen der Kaiserzeit. Die Grenze Dalmatiens und Makedoniens ist zugleich die politische und die sprachliche Scheide des Okzidents und des Orients. Bei Skodra berühren sich wie die Herrschaftsgebiete Cäsars und Marc Antons, so auch nach der Reichsteilung des 4. Jahrhunderts die von Rom und Byzanz. Hier grenzt die lateinische Provinz Dalmatien mit der griechischen Provinz Makedonien; und kräftig emporstrebend und überlegen, mit gewaltig treibender Propaganda, steht hier die jüngere neben der älteren Schwester.

Wenn die südliche illyrische Provinz und ihr Friedensregiment bald in geschichtlicher Beziehung nicht ferner hervortritt, so bildet das nördliche Illyricum oder, wie es gewöhnlich heißt, Pannonien in der Kaiserzeit eines der großen militärischen und somit auch politischen Zentren. In dem Donauheer haben die pannonischen Lager die führende Stellung wie im Westen die rheinischen, und die dalmatischen und die moesischen schließen ihnen in ähnlicher Weise sich an und ordnen ihnen sich unter wie den rheinischen die Legionen Spaniens und Britanniens. Die römische Zivilisation steht und bleibt hier unter dem Einfluß der Lager, die in Pannonien nicht wie in Dalmatien nur einige Generationen hindurch, sondern dauernd verblieben. Nach der Überwältigung des batonischen Aufstandes belief die regelmäßige Besatzung der Provinz sich zuerst auf drei, später, wie es scheint, nur auf zwei Legionen, und durch deren Standlager und ihre Vorschiebung ist die weitere Entwicklung bedingt. Wenn Augustus nach dem ersten Kriege gegen die Dalmater Siscia an der Mündung der Kulpa in die Save zum Hauptwaffenplatz ausersehen hatte, so waren, nachdem Tiberius Pannonien mindestens bis an die Drau unterworfen hatte, die Lager an diese vorgeschoben worden und wenigstens eines der pannonischen Hauptquartiere befand sich seitdem in Pötovio (Pettau) an der norischen Grenze. Die Ursache, weshalb die pannonische Armee ganz oder zum Teil im Drautal verblieb, kann nur die gleiche gewesen sein, welche zu der Anlage der dalmatinischen Legionslager geführt hat: man brauchte hier die Truppen, um die Untertanen sowohl in dem nahen Noricum wie vor allem im Draugebiet selbst in Gehorsam zu halten. Auf der Donau hielt die römische Flotte Wacht, die schon im J. 50 erwähnt wird und vermutlich mit der Einrichtung der Provinz entstanden war. Legionslager gab es am Flusse selbst unter der julisch-claudischen Dynastie vielleicht noch nicht, wobei in Betracht kommt, daß der zunächst der Provinz vorliegende Suevenstaat von Rom damals vollständig abhängig war und für die Grenzdeckung einigermaßen genügte. Wie die dalmatinischen hat dann, wie es scheint, Vespasian auch die Lager an der Drau aufgehoben und sie an die Donau selbst verlegt; seitdem ist das große Hauptquartier der pannonischen Armee das früher norische Carnuntum (Petronell östlich von Wien) und daneben Vindobona (Wien).

Die bürgerliche Entwicklung, wie wir sie in Noricum und an der Küste Dalmatiens fanden, zeigt in Pannonien in gleicher Weise sich nur in einigen an der norischen Grenze gelegenen und zum Teil ursprünglich zu Noricum gehörigen Distrikten; Emona und das obere Savetal stehen mit Noricum gleich, und wenn Savaria (Stein am Anger) zugleich mit den norischen Städten italische Stadtverfassung empfangen hat, so wird, solange Carnuntum eine norische Stadt war, wohl auch jener Ort zu Noricum gehört haben. Erst seitdem die Truppen an der Donau standen, ging die Regierung daran, das Hinterland städtisch zu organisieren. In dem westlichen ursprünglich norischen Gebiet erhielt Scarbantia (Ödenburg am Neusiedler See) unter den Flaviern Stadtrecht, während Vindobona und Carnuntum von selbst zu Lagerstädten wurden. Zwischen Save und Drau empfingen Siscia und Sirmium unter den Flaviern, an der Drau Pötovio (Pettau) unter Traianus Stadtrecht, Mursa (Eszeg) unter Hadrian Kolonialrecht, um hier nur der Hauptorte zu gedenken. Daß die überwiegend illyrische, aber zum guten Teil auch keltische Bevölkerung der Romanisierung keinen energischen Widerstand entgegensetzte, ist schon ausgesprochen worden; die alte Sprache und die alte Sitte schwanden, wo die Römer hinkamen, und hielten sich nur in den entfernteren Bezirken. Die weiten, aber wenig zur Ansiedlung einladenden Striche östlich vom Raabfluß und nördlich der Drau bis zur Donau sind wohl schon seit Augustus zum Reiche gerechnet worden, aber vielleicht in nicht viel anderer Weise als Germanien vor der Varusschlacht; hier hat die städtische Entwicklung weder damals noch später rechten Boden gefunden, und auch militärisch ist dieses Gebiet lange Zeit wenig oder gar nicht belegt worden. Dies hat sich erst infolge der Einverleibung Daciens unter Traian einigermaßen geändert; die dadurch herbeigeführte Vorschiebung der pannonischen Lager gegen die Ostgrenze der Provinz und die weitere innere Entwicklung Pannoniens wird besser im Zusammenhang mit den traianischen Kriegen geschildert.

Das letzte Stück des rechten Donauufers, das Bergland zu beiden Seiten des Margus (Morawa) und das zwischen dem Hämus und der Donau lang sich hinstreckende Flachland, war bewohnt von thrakischen Völkerschaften; und es erscheint zunächst erforderlich, auf diesen großen Stamm als solchen einen Blick zu werfen. Er geht dem illyrischen in gewissem Sinne parallel. Wie die Illyrier einst die Landschaften vom Adriatischen Meer bis zur mittleren Donau erfüllten, so saßen ehemals die Thraker östlich von ihnen vom Ägäischen Meer bis zur Donaumündung und nicht minder einerseits auf dem linken Donauufer namentlich in dem heutigen Siebenbürgen, andererseits jenseit des Bosporus wenigstens in Bithynien und bis nach Phrygien; nicht mit Unrecht nennt Herodot die Thraker das größte der ihm bekannten Völker nach den Indern. Wie der illyrische ist auch der thrakische Stamm zu keiner vollen Entwicklung gelangt und erscheint mehr gedrängt und verdrängt als in eigener geschichtliche Erinnerung hinterlassender Entwicklung. Aber während Sprache und Sitte der Illyrier sich in einer wenngleich im Laufe der Jahrhunderte verschliffenen Form bis auf den heutigen Tag erhalten haben und wir mit einigem Recht das Bild der Palikaren aus der neueren Geschichte in die der römischen Kaiserzeit übertragen, so gilt das gleiche von den thrakischen Stämmen nicht. Vielfach und sicher ist es bezeugt, daß die Völkerschaften des Gebietes, welchem infolge der römischen Provinzialteilung schließlich der Name Thrakien geblieben ist, so wie die mösischen zwischen dem Balkan und der Donau und nicht minder die Geten oder Daker am anderen Donauufer alle eine und dieselbe Sprache redeten. Es hatte diese Sprache in dem römischen Kaiserreich eine ähnliche Stellung wie die der Kelten und der Syrer. Der Historiker und Geograph der augustischen Zeit Strabo erwähnt die Gleichheit der Sprache der genannten Völker; in botanischen Schriften der Kaiserzeit werden von einer Anzahl Pflanzen die dakischen Benennungen angegeben. Als seinem Zeitgenossen, dem Poeten Ovidius, Gelegenheit gegeben wurde, über seinen allzu flotten Lebenswandel fern in der Dobrudscha nachzudenken, benutzte er seine Muße, um getisch zu lernen, und wurde fast ein Getenpoet.

Und ich schrieb, o weh! ein Gedicht in getischer Sprache: Gratulierst du mir nicht, daß ich den Geten gefiel?

Aber wenn die irischen Barden, die syrischen Missionäre, die Bergtäler Albaniens anderen Idiomen der Kaiserzeit eine gewisse Fortdauer gewahrt haben, so ist das thrakische unter dem Völkergewoge des Donaugebietes und dem übermächtigen Einfluß Konstantinopels verschollen, und wir vermögen nicht einmal die Stelle zu bestimmen, welche ihm in dem Völkerstammbaum zukommt. Die Schilderungen von Sitten und Gebräuchen einzelner dazugehöriger Völkerschaften, über welche mancherlei Notizen sich erhalten haben, ergeben keine für den ganzen Stamm gültigen individuellen Züge und heben meistens nur Einzelheiten hervor, wie sie bei allen Völkern auf niederer Kulturstufe sich zeigen. Aber ein Soldatenvolk sind sie gewesen und geblieben, als Reiter nicht minder brauchbar wie für die leichte Infanterie, von den Zeiten des peloponnesischen Krieges und Alexanders bis hinab in die der römischen Cäsaren, mochten sie gegen diese sich stemmen oder später für sie fechten. Auch die wilde, aber großartige Weise der Götterverehrung darf vielleicht als ein diesem Stamm eigentümlicher Grundzug aufgefaßt werden, der gewaltige Ausbruch der Frühlings- und der Jugendlust, die nächtlichen Bergfeste fackelschwingender Mädchen, die rauschende sinnverwirrende Musik, der strömende Wein und das strömende Blut, der in Aufregung aller sinnlichen Leidenschaften zugleich rasende Taumel der Feste. Dionysos, der herrliche und der schreckliche, ist ein thrakischer Gott, und was der Art in dem hellenischen und dem römischen Kult besonders hervortritt, knüpft an thrakische oder phrygische Sitte an.

Während die illyrischen Völkerschaften in Dalmatien und Pannonien nach der Niederwerfung der großen Insurrektion in den letzten Jahren des Augustus die Entscheidung der Waffen nicht wieder gegen die Römer angerufen haben, gilt von den thrakischen Stämmen nicht das gleiche; der oft bewiesene Unabhängigkeitssinn und die wilde Tapferkeit dieser Nation verleugnete auch in ihrem Untergang sich nicht. In dem Thrakien südlich vom Hämus blieb das alte Fürstentum unter römischer Oberhoheit. Das einheimische Herrscherhaus der Odrysen, mit der Residenz Bizye (Wiza) zwischen Adrianopel und der Küste des Schwarzen Meeres, tritt schon in der früheren Zeit unter den thrakischen Fürstengeschlechtern am meisten hervor; nach der Triumviralzeit ist von anderen thrakischen Königen als denen dieses Hauses nicht ferner die Rede, so daß die übrigen Fürsten durch Augustus zu Vasallen gemacht oder beseitigt zu sein scheinen und mit dem thrakischen Königtum fortan nur Glieder dieses Geschlechts belehnt worden sind. Es geschah dies wahrscheinlich deshalb, weil während des 1. Jahrhunderts, wie weiterhin zu zeigen sein wird, an der unteren Donau keine römischen Legionen standen; den Grenzschutz an der Donaumündung erwartete Augustus von dem thrakischen Vasallen. Rhömetalkes, welcher in der zweiten Hälfte der Regierung des Augustus als römischer Lehnskönig das gesamte Thrakien beherrschte, und seine Kinder und Enkel spielten denn auch in diesem Lande ungefähr dieselbe Rolle wie Herodes und seine Nachkommen in Palästina: unbedingte Ergebenheit gegen den Oberherrn, entschiedene Hinneigung zu römischem Wesen, Verfeindung mit den eigenen, die nationale Unabhängigkeit festhaltenden Landsleuten bezeichnen die Stellung des thrakischen Herrscherhauses. Die große früher erzählte thrakische Insurrektion der Jahre 741–743 richtete sich zunächst gegen diesen Rhömetalkes und seinen Bruder und Mitherrscher Kotys, der dabei umkam, und wie er damals den Römern die Wiedereinsetzung in seine Herrschaft verdankte, so trug er ihnen einige Jahre später seinen Dank ab, indem er bei dem Aufstand der Dalmater und der Pannonier, dem seine dakischen Stammesgenossen sich anschlossen, treu zu den Römern hielt und an der Niederwerfung desselben wesentlichen Anteil hatte. Sein Sohn Kotys war mehr Römer oder vielmehr Grieche als Thraker; er führte seinen Stammbaum zurück auf Eumolpos und Erichthonios und gewann die Hand einer Verwandten des kaiserlichen Hauses, der Urenkelin des Triumvir Antonius; nicht bloß die griechischen und die lateinischen Poeten seiner Zeit sangen ihn an, sondern er selbst war ebenfalls und nicht getischer Dichter. Der letzte der thrakischen Könige, des früh gestorbenen Kotys Sohn, Rhömetalkes, war in Rom aufgewachsen und gleich dem Herodeer Agrippa des Kaisers Gaius Jugendgespiele. Die thrakische Nation aber teilte keineswegs die römischen Neigungen des regierenden Hauses und die Regierung überzeugte sich allmählich in Thrakien wie in Palästina, daß der schwankende, nur durch beständiges Eingreifen der Schutzmacht aufrechterhaltene Vasallenthron weder für sie noch für das Land von Nutzen und die Einführung der unmittelbaren Verwaltung in jeder Hinsicht vorzuziehen sei. Kaiser Tiberius benutzte die in dem thrakischen Königshause entstandenen Zerwürfnisse, um in der Form der Vormundschaftsführung über die unmündigen Prinzen im J. 19 einen römischen Statthalter Titus Trebellenus Rufus nach Thrakien zu schicken. Doch vollzog sich diese Okkupation nicht ohne freilich erfolglosen, aber ernstlichen Widerstand des Volkes, das namentlich in den Bergtälern sich um die von Rom gesetzten Herrscher wenig kümmerte und dessen Mannschaften, von ihren Stammhäuptern geführt, sich kaum als königliche, noch weniger als römische Soldaten fühlten. Die Sendung des Trebellenus rief im J. 21 einen Aufstand hervor, an dem nicht bloß die angesehensten thrakischen Völkerschaften sich beteiligten, sondern der größere Verhältnisse anzunehmen drohte; Boten der Insurgenten gingen über den Hämus, um in Mösien und vielleicht noch weiterhin den Nationalkrieg zu entfachen. Indes die mösischen Legionen erschienen rechtzeitig, um Philippopolis, das die Aufständischen belagerten, zu entsetzen und die Bewegung zu unterdrücken. Aber als einige Jahre später (J. 25) die römische Regierung in Thrakien Aushebungen anordnete, weigerten sich die Mannschaften außerhalb des eigenen Landes zu dienen. Da keine Rücksicht darauf genommen wurde, stand das ganze Gebirge auf, und es folgte ein Verzweiflungskampf, in welchem die Insurgenten, endlich durch Durst und Hunger bezwungen, zum großen Teil teils in die Schwerter der Feinde, teils in die eigenen sich stürzten und lieber dem Leben entsagten als der altgewohnten Freiheit. Das unmittelbare Regiment dauerte in der Form der Vormundschaftsführung in Thrakien bis zum Tode des Tiberius; und wenn Kaiser Gaius bei dem Antritt der Regierung dem thrakischen Jugendfreund ebenso wie dem jüdischen die Herrschaft zurückgab, so machte wenige Jahre darauf im J. 46 die Regierung des Claudius ihr definitiv ein Ende. Auch diese schließliche Einziehung des Königreichs und Umwandlung in einen römischen Bezirk traf noch auf eine gleich hoffnungslose und gleich hartnäckige Gegenwehr. Aber mit der Einführung der unmittelbaren Verwaltung ist der Widerstand gebrochen. Eine Legion hat der Statthalter, anfangs von Ritter-, seit Traian von Senatorenrang, niemals gehabt; die in das Land gelegte Besatzung, wenn sie auch nicht stärker war als 2000 Mann nebst einem kleinen bei Perinthos stationierten Geschwader, genügte in Verbindung mit den sonst von der Regierung getroffenen Vorsichtsmaßregeln, um die Thraker niederzuhalten. Mit der Anlegung der Militärstraßen wurde gleich nach der Einziehung begonnen; wir finden, daß die bei dem Zustand des Landes erforderlichen Stationsgebäude für die Unterkunft der Reisenden bereits im J. 61 von der Regierung eingerichtet und dem Verkehr übergeben wurden. Thrakien ist seitdem eine gehorsame und wichtige Reichsprovinz; kaum hat irgendeine andere für alle Teile der Kriegsmacht, insbesondere auch für die Reiterei und die Flotte, so zahlreiche Mannschaften gestellt wie dieses alte Heimatland der Fechter und der Lohnsoldaten.

Die ernsten Kämpfe, welche die Römer auf dem sogenannten thrakischen Ufer, in der Landschaft zwischen dem Balkan und der Donau mit derselben Nation zu bestehen hatten und welche zu der Einrichtung des mösischen Kommandos führten, bilden einen wesentlichen Bestandteil der Regulierung der Nordgrenze in augustischer Zeit, und sind in ihrem Zusammenhang bereits geschildert worden. Von ähnlichem Widerstand, wie die Thraker ihn den Römern entgegensetzten, wird aus Mösien nichts berichtet; die Stimmung daselbst mag nicht anders gewesen sein, aber in dem ebenen Lande und unter dem Druck der bei Viminacium lagernden Legionen trat der Widerstand nicht offen hervor.

Die Zivilisation kam den thrakischen Völkerschaften, wie den illyrischen, von zwei Seiten: von der Küste her und von der makedonischen Grenze die der Hellenen, von der dalmatischen und pannonischen die lateinische. Über jene wird zweckmäßiger zu handeln sein, wo wir versuchen, die Stellung der europäischen Griechen unter der Kaiserherrschaft zu bezeichnen; hier genügt es, im allgemeinen hervorzuheben, daß dieselbe auch hier nicht bloß das Griechentum, wo sie es fand, geschützt hat und die gesamte Küste, auch die dem Statthalter von Mösien untergebene, stets griechisch geblieben ist, sondern daß die Provinz Thrakien, deren Zivilisation ernstlich erst von Traian begonnen und durchaus ein Werk der Kaiserzeit ist, nicht in die römische Bahn gelenkt, sondern hellenisiert ward. Selbst die nördlichen Abhänge des Hämus, obwohl administrativ zu Mösien gehörig, sind in diese Hellenisierung hineingezogen, Nikopolis an der Jantra und Markianopolis unweit Varna, beides Gründungen Traians, nach griechischem Schema organisiert worden. – Von der lateinischen Zivilisation Mösiens gilt das gleiche wie von der des angrenzenden dalmatischen und pannonischen Binnenlandes; nur tritt dieselbe, wie natürlich, um so viel später, schwächer und unreiner auf, je weiter sie von ihrem Ausgangspunkt sich entfernt. Überwiegend ist sie hier den Legionslagern gefolgt und mit diesen nach Osten hin vorgedrungen, ausgehend von den wahrscheinlich ältesten Mösiens bei Singidunum (Belgrad) und Viminacium (Kostolatz). Freilich hat sie, der Beschaffenheit ihrer bewaffneten Apostel entsprechend, auch in Obermösien sich auf sehr niedriger Stufe gehalten und den primitiven Zuständen noch Spielraum genug gelassen. Viminacium hat durch Hadrian italisches Stadtrecht erhalten. Niedermösien zwischen dem Balkan und der Donau ist in der früheren Kaiserzeit wohl durchaus in der Verfassung geblieben, welche die Römer vorfanden; erst als die Legionslager an der unteren Donau bei Nova, Durostorum und Trösmis gegründet wurden, was, wie weiter unten dargelegt werden wird, wohl erst im Anfang des 2. Jahrhunderts geschah, ist auch dieser Teil des rechten Donauufers eine Stätte derjenigen italischen Zivilisation geworden, welche mit der Lagerordnung sich vertrug. Seitdem sind hier auch bürgerliche Ansiedlungen entstanden, namentlich an der Donau selbst zwischen den großen Standlagern die nach italischem Muster eingerichteten Städte Ratiaria unweit Widin und Öscus am Einfluß der Iskra in die Donau, und allmählich näherte sich die Landschaft dem Niveau der damals noch bestehenden freilich in sich verfallenden römischen Kultur. Für den Wegebau in Untermösien sind seit Hadrian, von dem die ältesten bisher daselbst gefundenen Meilensteine herrühren, die Regenten vielfach tätig gewesen.

Wenden wir uns von der Übersicht der römischen Herrschaft, wie sie seit Augustus in den Ländern am rechten Ufer der Donau sich gestaltet hatte, zu den Verhältnissen und den Anwohnern des linken, so ist, was über die westlichste Landschaft zu bemerken wäre, im wesentlichen schon bei der Schilderung Obergermaniens zur Sprache gekommen und namentlich hervorgehoben worden, daß die zunächst an Rätien angrenzenden Germanen, die Hermunduren, unter den sämtlichen Nachbarn der Römer die friedfertigsten gewesen und, so viel uns bekannt, niemals mit denselben in Konflikt geraten sind.

Daß das Volk der Markomannen oder, wie die Römer sie in früherer Zeit gewöhnlich nennen, der Sueven, nachdem es in augustischer Zeit in dem alten Boierland, dem heutigen Böhmen, neue Sitze gefunden und durch den König Maroboduus eine festere staatliche Organisation sich gegeben hatte, während der römischgermanischen Kriege zwar Zuschauer blieb, aber doch durch die Dazwischenkunft der rheinischen Germanen vor der drohenden römischen Invasion bewahrt ward, ist bereits erzählt worden; nicht minder, daß der Rückschlag des abermaligen Abbruchs der römischen Offensive am Rhein diesen allzu neutralen Staat über den Haufen warf. Die Vormachtstellung, welche die Markomannen unter Maroboduus über die entfernteren Völker im Elbegebiet gewonnen hatten, ging damit verloren, und der König selbst ist als vertriebener Mann auf römischer Erde gestorben. Die Markomannen und ihre stammverwandten östlichen Nachbarn, die Quaden in Mähren, gerieten insofern in römische Klientel, als hier, ungefähr wie in Armenien, die um die Herrschaft streitenden Prätendenten sich teilweise auf die Römer stützten und diese das Belehnungsrecht in Anspruch nahmen und je nach Umständen auch ausübten. Der Gotonenfürst Catualda, der zunächst den Maroboduus gestürzt hatte, konnte als dessen Nachfolger sich nicht lange behaupten, zumal da der König der benachbarten Hermunduren Vibilius gegen ihn eintrat; auch er mußte auf römisches Gebiet übertreten und gleich Maroboduus die kaiserliche Gnade anrufen. Tiberius bewirkte dann, daß ein vornehmer Quade Vannius an seine Stelle kam; dem zahlreichen Gefolge der beiden verbannten Könige, das auf dem rechten Donauufer nicht bleiben durfte, verschaffte Tiberius Sitze auf dem linken im Marchtal und dem Vannius die Anerkennung von Seiten der mit Rom befreundeten Hermunduren. Nach dreißigjähriger Herrschaft wurde dieser im J. 50 gestürzt durch seine beiden Schwestersöhne Vangio und Sido, die sich gegen ihn auflehnten und die Nachbarvölker, die Hermunduren im Fränkischen, die Lugier in Schlesien, für sich gewannen. Die römische Regierung, die Vannius um Unterstützung anging, blieb der Politik des Tiberius getreu: sie gewährte dem gestürzten König das Asylrecht, intervenierte aber nicht, da zumal die Nachfolger, die das Gebiet unter sich teilten, bereitwillig die römische Oberherrschaft anerkannten. Der neue Suevenfürst Sido und sein Mitherrscher Italicus, vielleicht der Nachfolger Vangios, fochten in der Schlacht, die zwischen Vitellius und Vespasian entschied, mit der römischen Donauarmee auf der Seite der Flavianer. In den großen Krisen der römischen Herrschaft an der Donau unter Domitian und Marcus werden wir ihren Nachfolgern wieder begegnen. Zum römischen Reich haben die Donausueven nicht gehört; die wahrscheinlich von denselben geschlagenen Münzen zeigen wohl lateinische Aufschriften, aber nicht römischen Fuß, geschweige denn das Bildnis des Kaisers; eigentliche Abgaben und Aushebungen für Rom haben hier nicht stattgefunden. Aber in dem Machtbereich Roms ist namentlich im 1. Jahrhundert der Suevenstaat in Böhmen und Mähren einbegriffen gewesen und, wie schon bemerkt ward, ist dies auch auf die Aufstellung der römischen Grenzwacht nicht ohne Einfluß geblieben.

In der Ebene zwischen Donau und Theiß ostwärts von dem römischen Pannonien hat zwischen dieses und die thrakischen Daker sich ein Splitter geschoben des wahrscheinlich zum medisch-persischen Stamm gehörigen Volkes der Sarmaten, das nomadisch lebend als Hirten- und Reitervolk die weite osteuropäische Ebene zum großen Teil füllte; es sind dies die Jazygen, die »ausgewanderten« μετανασται genannt zum Unterschied von dem am Schwarzen Meer zurückgebliebenen Hauptstamm. Die Benennung zeigt, daß sie erst verhältnismäßig spät in diese Gegenden vorgedrungen sind; vielleicht gehört ihre Einwanderung mit zu den Stößen, unter denen um die Zeit der aktischen Schlacht das Dakerreich des Burebista zusammenbrach (S. 10). Uns begegnen sie hier zuerst unter Kaiser Claudius; dem Suevenkönig Vannius stellten die Jazygen für seine Kriege die Reiterei. Die römische Regierung war auf der Hut vor den flinken und räuberischen Reiterscharen, stand aber übrigens zu ihnen nicht in feindlichen Beziehungen. Als die Donaulegionen im J. 70 nach Italien marschierten, um Vespasian auf den Thron zu setzen, lehnten sie den von den Jazygen angebotenen Reiterzuzug ab und führten nur in schicklicher Form eine Anzahl der Vornehmsten mit sich, damit diese inzwischen für die Ruhe an der entblößten Grenze bürgten.

Ernstlicher und dauernder Wacht bedurfte es weiter abwärts an der unteren Donau. Jenseits des mächtigen Stromes, der jetzt des Reiches Grenze war, saßen hier in den Ebenen der Walachei und dem heutigen Siebenbürgen die Daker, in dem östlichen Flachland, in der Moldau, Bessarabien und weiter hin zunächst die germanischen Bastarner, alsdann sarmatische Stämme, wie die Roxolaner, ein Reitervolk gleich den Jazygen, anfänglich zwischen Dnjepr und Don, dann am Meerufer entlang vorrückend. In den ersten Jahren des Tiberius verstärkte der Lehnfürst von Thrakien seine Truppen, um die Bastarner und Skythen abzuwehren; in Tiberius späteren Jahren wurde unter anderen Beweisen seines mehr und mehr alles gehen lassenden Regiments geltend gemacht, daß er die Einfälle der Daker und der Sarmaten ungestraft hinnehme. Wie es in den letzten Jahren Neros diesseits und jenseits der Donaumündung zuging, zeigt ungefähr der zufällig erhaltene Bericht des damaligen Statthalters von Mösien Tiberius Plautius Silvanus Älianus. Dieser »führte über 100 000 jenseits der Donau wohnhafte Männer mit ihren Weibern und Kindern und ihren Fürsten oder Königen über den Fluß, so daß sie der Steuerentrichtung unterlagen. Eine Bewegung der Sarmaten unterdrückte er, bevor sie zum Ausbruch kam, obwohl er einen großen Teil seiner Truppen zur Kriegführung in Armenien (an Corbulo) abgegeben hatte. Eine Anzahl bis dahin unbekannter oder mit den Römern in Fehde stehender Könige führte er über auf das römische Ufer und nötigte sie, vor den römischen Feldzeichen den Fußfall zu tun. Den Königen der Bastarner und der Roxolaner sandte er die gefangenen oder den Feinden wieder abgenommenen Söhne, denen der Daker die gefangenen Brüder zurück und nahm von mehreren derselben Geißeln. Dadurch wurde der Friedensstand der Provinz sowohl befestigt wie weiter erstreckt. Auch den König der Skythen bestimmte er abzustehen von der Belagerung der Stadt Chersonesus (Sevastopol) jenseit des Borysthenes. Er war der erste, der durch große Getreidesendungen aus dieser Provinz das Brot in Rom wohlfeiler machte.« Man erkennt hier deutlich sowohl den unter der julisch-claudischen Dynastie am linken Donauufer gährenden Völkerstrudel wie auch den starken Arm der Reichsgewalt, der selbst über den Strom hinüber die Griechenstädte am Dnjepr und in der Krim noch zu schützen suchte und einigermaßen auch zu schützen vermochte, wie dies bei der Darstellung der griechischen Verhältnisse weiter dargelegt werden wird.

Indes die Streitkräfte, über welche Rom hier verfügte, waren mehr als unzulänglich. Die geringfügige Besatzung Kleinasiens und die ebenfalls geringe Flotte auf dem Schwarzen Meer kamen höchstens für die griechischen Anwohner der nördlichen und der westlichen Küste desselben in Betracht. Dem Statthalter von Mösien, der mit seinen beiden Legionen das Donauufer von Belgrad bis zur Mündung zu schirmen hatte, war eine sehr schwierige Aufgabe gestellt; und die Beihilfe der wenig botmäßigen Thraker war unter Umständen eine Gefahr mehr. Insbesondere nach der Mündung der Donau zu mangelte ein genügendes Bollwerk gegen die hier mit steigender Wucht andrängenden Barbaren. Der zweimalige Abzug der Donaulegionen nach Italien in den Wirren nach Neros Tod rief mehr noch an der Donaumündung als am Unterrhein Einfälle der Nachbarvölker hervor, zuerst der Roxolaner, dann der Daker, dann der Sarmaten, das heißt wohl der Jazygen. Es waren schwere Kämpfe; in einem dieser Gefechte, wie es scheint gegen die Jazygen, blieb der tapfere Statthalter von Mösien Gaius Fonteius Agrippa. Dennoch schritt Vespasian nicht zu einer Vermehrung der Donauarmee; die Notwendigkeit, die asiatischen Garnisonen zu verstärken, muß noch dringender erschienen sein und die damals besonders gebotene Sparsamkeit verbot jede Erhöhung der Gesamtarmee. Er begnügte sich, wie es die Befriedung des Binnenlandes erlaubte und die an der Grenze bestehenden Verhältnisse sowie die durch die Einziehung Thrakiens herbeigeführte Auflösung der thrakischen Truppen gebieterisch verlangten, die großen Lager der Donauarmee an die Reichsgrenze vorzuschieben. So kamen die pannonischen von der Drau weg dem Suevenreich gegenüber nach Carnuntum und Vindobona und die dalmatischen von der Kerka und der Cettina an die mösischen Donauufer, so daß der Statthalter von Mösien seitdem über die doppelte Zahl von Legionen verfügte.

Eine Verschiebung der Machtverhältnisse zuungunsten Roms trat unter Domitian ein, oder es wurden vielmehr damals die Konsequenzen der ungenügenden Grenzverteidigung gezogen. Nach dem wenigen, was wir darüber wissen, knüpfte die Wandelung der Dinge, ganz wie die gleiche in Cäsars Zeit, an einen einzelnen dakischen Mann an; was König Burebista geplant hatte, schien König Decebalus ausführen zu sollen. Wie sehr in seiner Persönlichkeit die eigentliche Triebfeder lag, beweist die Erzählung, daß der Dakerkönig Duras, um den rechten Mann an die rechte Stelle zu bringen, zugunsten des Decebalus von seinem Amt zurücktrat. Daß Decebalus, um zu schlagen, vor allem organisierte, beweisen die Berichte über seine Einführung der römischen Disziplin bei der dakischen Armee und die Anwerbung tüchtiger Leute unter den Römern selbst, und selbst die nach dem Siege von ihm den Römern gestellte Bedingung, ihm zur Unterweisung der Seinigen in den Handwerken des Friedens wie des Krieges die nötigen Arbeiter zu liefern. In welchem großen Stil er sein Werk ergriff, beweisen die Verbindungen, die er nach Westen und Osten anknüpfte, mit den Sueven und den Jazygen und sogar mit den Parthern. Die Angreifenden waren die Daker. Der Statthalter der Provinz Mösien, der ihnen zuerst entgegentrat, Oppius Sabinus, ließ sein Leben auf dem Schlachtfelde. Eine Reihe kleinerer Lager wurde erobert, die großen bedroht, der Besitz der Provinz selbst stand in Frage. Domitianus selbst begab sich zu der Armee und sein Stellvertreter – er selbst war kein Feldherr und blieb zurück – der Gardekommandant Cornelius Fuscus führte das Heer über die Donau; aber er büßte das unbedachte Vorgehen mit einer schweren Niederlage, und auch er, der zweite Höchstkommandierende, blieb vor dem Feind. Sein Nachfolger Julianus, ein tüchtiger Offizier, schlug die Daker in ihrem eigenen Gebiet in einer großen Schlacht bei Tapä und war auf dem Wege, dauernde Erfolge zu erreichen. Aber während der Kampf gegen die Daker schwebte, hatte Domitianus die Sueven und die Jazygen mit Krieg überzogen, weil sie es unterlassen hatten, ihm Zuzug gegen jene zu senden; die Boten, die dies zu entschuldigen kamen, ließ er hinrichten. Auch hier verfolgte das Mißgeschick die römischen Waffen. Die Markomannen erfochten einen Sieg über den Kaiser selbst; eine ganze Legion ward von den Jazygen umzingelt und niedergehauen. Durch diese Niederlage erschüttert, schloß Domitian trotz der von Julianus über die Daker gewonnenen Vorteile mit diesen voreilig einen Frieden, der ihn zwar nicht hinderte, dem Vertreter des Decebalus in Rom Diegis, gleich als wäre dieser Lehnsträger der Römer, die Krone zu verleihen und als Sieger auf das Kapitol zu ziehen, der aber in Wirklichkeit einer Kapitulation gleich kam. Wozu Decebalus bei dem Einrücken des römischen Heeres in Dakien sich höhnisch erboten hatte, jeden Mann, für den ihm eine jährliche Zahlung von 2 Assen zugesichert werde, ungeschädigt nach Hause zu entlassen, das wurde beinahe wahr; in dem Frieden wurden mit einer jährlich zu entrichtenden Abstandssumme die Einfälle in Mösien abgekauft.

Hier mußte Wandel geschafft werden. Auf Domitian, der wohl ein guter Reichsverwalter, aber stumpf für die Forderungen der militärischen Ehre war, folgte nach dem kurzen Regiment Nervas Kaiser Traianus, der, zuerst und vor allem Soldat, nicht bloß jenen Vertrag zerriß, sondern auch die Maßregeln danach traf, daß ähnliche Dinge sich nicht wiederholten. Der Krieg gegen die Sueven und Sarmaten, der bei Domitians Tod (96) noch dauerte, ward, wie es scheint, unter Nerva im J. 97 glücklich beendigt. Der neue Kaiser ging, noch bevor er in die Hauptstadt des Reiches seinen Einzug hielt, vom Rhein an die Donau, wo er im Winter 98/99 verweilte, aber nicht um sofort die Daker anzugreifen, sondern um den Krieg vorzubereiten; in diese Zeit gehört die an die Straßenbauten in Obergermanien anschließende Anlage der am rechten Donauufer in der Gegend von Orsowa im J. 100 vollendeten Straße. Zum Kriege gegen die Daker, in dem er wie in allen seinen Feldzügen selbst kommandierte, ging er erst im Frühjahr 101 ab. Er überschritt die Donau unterhalb Viminacium und rückte gegen die nicht weit davon entfernte Hauptstadt des Königs Sarmizegetusa vor. Decebalus mit seinen Verbündeten – die Burer und andere nordwärts wohnende Stämme beteiligten sich an diesem Kampf – leistete entschlossenen Widerstand, und nur mit heftigen und blutigen Gefechten bahnten die Römer sich den Weg; die Zahl der Verwundeten war so groß, daß der Kaiser seine eigene Garderobe den Ärzten zur Verfügung stellte. Aber der Sieg schwankte nicht. Eine feste Burg nach der anderen fiel; die Schwester des Königs, die Gefangenen aus dem vorigen Krieg, die den Heeren Domitians abgenommenen Feldzeichen fielen den Römern in die Hände; durch Traianus selbst und durch den tapferen Lusius Quietus in die Mitte genommen, blieb dem König nichts übrig als vollständige Ergebung (102). Auch verlangte Traianus nichts Geringeres als den Verzicht auf die souveräne Gewalt und den Eintritt des dakischen Reiches in die römische Klientel. Die Überläufer, die Waffen, die Kriegsmaschinen, die einst für diese von Rom gestellten Arbeiter mußten abgeliefert werden und der König persönlich vor dem Sieger den Fußfall tun; er begab sich des Rechts auf Krieg und Frieden und versprach die Heerfolge; die Festungen wurden entweder geschleift oder den Römern ausgeliefert und in diesen, vor allem in der Hauptstadt, blieb römische Besatzung. Die mächtige steinerne Brücke, die Traian bei Drobetä (gegenüber Turnu Severinului) über die Donau schlagen ließ, stellte die Verbindung auch in der schlimmen Jahreszeit sicher und gab den dakischen Besatzungen an den nahen Legionen Obermösiens einen Rückhalt. Aber die dakische Nation und vor allem der König selbst wußten sich in die Abhängigkeit nicht so zu fügen, wie es die Könige von Kappadokien und Mauretanien verstanden hatten, oder hatten vielmehr das Joch nur auf sich genommen in der Hoffnung, bei erster Gelegenheit sich desselben wieder zu entledigen. Die Anzeichen dafür traten bald hervor. Ein Teil der auszuliefernden Waffen wurde zurückgehalten, die Kastelle nicht, wie es bedungen war, übergeben, römischen Überläufern auch ferner noch eine Freistatt gewährt, den mit den Dakern verfeindeten Jazygen Gebietsstücke entrissen oder vielleicht auch nur deren Grenzverletzungen nicht hingenommen, mit den entfernteren noch freien Nationen ein lebhafter und bedenklicher Verkehr unterhalten. Traianus mußte sich überzeugen, daß er halbe Arbeit gemacht, und kurz entschlossen, wie er war, erklärte er, ohne auf weitere Verhandlungen sich einzulassen, drei Jahre nach dem Friedensschluß (105) dem König abermals den Krieg. Gern hätte dieser ihn abgewandt; aber die Forderung, sich gefangen zu geben, sprach allzu deutlich. Es blieb nichts als der Kampf der Verzweiflung, und dazu waren nicht alle bereit; ein großer Teil der Daker unterwarf sich ohne Gegenwehr. Der Aufruf an die Nachbarvölker, in die Abwehr für die auch ihrer Freiheit und ihrem Volkstum drohende Gefahr mit einzutreten, verhallte ohne Wirkung; Decebalus und die ihm treu gebliebenen Daker standen in diesem Krieg allein. Die Versuche, den kaiserlichen Feldherrn durch Überläufer aus dem Wege zu schaffen oder mit der Losgebung eines gefangen genommenen hohen Offiziers erträgliche Bedingungen zu erkaufen, scheiterten ebenfalls. Der Kaiser zog abermals als Sieger in die feindliche Hauptstadt ein und Decebalus, der bis zum letzten Augenblick mit dem Verhängnis gerungen hatte, gab, als alles verloren war, sich selber den Tod (107). Diesmal machte Traianus ein Ende; der Krieg galt nicht mehr der Freiheit des Volkes, sondern seiner Existenz. Aus dem besten Teile des Landes wurde die eingeborene Bevölkerung ausgetrieben und diese Striche mit einer für die Bergwerke aus den Gebirgen Dalmatiens, sonst überwiegend, wie es scheint, aus Kleinasien herangezogenen nationslosen Bevölkerung wieder besetzt. In manchen Gegenden freilich blieb dennoch die alte Bevölkerung und behauptete sich sogar die Landessprache; diese Daker sowohl wie die außerhalb der Grenzen hausenden Splitter haben auch nachher noch, zum Beispiel unter Commodus und Maximinus, den Römern zu schaffen gemacht; aber sie standen vereinzelt und verkamen. Die Gefahr, mit der der kräftige Thrakerstamm mehrmals die römische Herrschaft bedroht hatte, durfte nicht wiederkehren, und dies Ziel hat Traianus erreicht. Das traianische Rom war nicht mehr das der hannibalischen Zeit; aber es war immer noch gefährlich die Römer besiegt zu haben.

Die stattliche Säule, welche sechs Jahre darauf dem Kaiser von dem Reichssenat auf dem neuen Traiansmarkt der Hauptstadt errichtet ward und die ihn heute noch schmückt, ist ein Zeugnis der verwüsteten Geschichtsüberlieferung der römischen Kaiserzeit, wie wir kein zweites besitzen. In ihrer ganzen Höhe von genau 100 römischen Fuß ist sie bedeckt mit einzelnen Darstellungen – man zählt deren hundertvierundzwanzig; ein gemeißeltes Bilderbuch der dakischen Kriege, zu welchem uns fast überall der Text fehlt. Wir sehen die Wachttürme der Römer mit ihrem spitzen Dach, ihrem pallisadierten Hof, ihrem oberen Umgang, ihren Feuersignalen. Die Stadt am Ufer des Donaustroms, dessen Flußgott den römischen Kriegern zuschaut, wie sie unter ihren Feldzeichen auf der Schiffbrücke entlang ziehen. Den Kaiser selbst im Kriegsrat, dann vor den Wällen des Lagers am Altar opfernd. Es wird erzählt, daß die den Dakern verbündeten Burer den Traian vom Kriege abmahnten in einem lateinischen auf einen gewaltigen Pilz geschriebenen Spruch: man meint diesen Pilz zu erkennen auf ein Saumtier geladen, von dem gestürzt ein Barbar mit der Keule auf dem Boden liegend dem heranschreitenden Kaiser mit dem Finger den Pilz weist. Wir sehen das Lager schlagen, die Bäume fällen, Wasser holen, die Brücke legen. Die ersten gefangenen Daker, leicht kenntlich an ihren langärmligen Kitteln und ihren weiten Hosen, werden, die Hände auf den Rücken gebunden und an ihrem langen Haarbusch von den Soldaten gefaßt, vor den Kaiser geführt. Wir sehen die Gefechte, die Speer- und Steinschleuderer, die Sichelträger, die Bogenschützen zu Fuß, die auch den Bogen führenden schweren Panzerreiter, die Drachenfahne der Daker, die feindlichen Offiziere, geschmückt mit dem Zeichen ihres Ranges, der runden Mütze, den Fichtenwald, in den die Daker ihre Verwundeten tragen, die abgehauenen Köpfe der Barbaren vor dem Kaiser niedergelegt. Wir sehen das dakische Pfahldorf mitten im See, in dessen runde Hütten mit spitzem Dach die Brandfackeln fliegen. Frauen und Kinder flehen den Kaiser um Gnade an. Die Verwundeten werden gepflegt und verbunden, Ehrenzeichen an Offiziere und Soldaten ausgeteilt. Dann geht es weiter im Kampf: die feindlichen Verschanzungen, teils von Holz, teils Steinmauern, werden angegriffen, das Belagerungsgeschütz fährt auf, die Leitern werden herangetragen, unter dem Schilderdach greift die Sturmkolonne an. Endlich liegt der König mit seinem Gefolge zu den Füßen Traians; die Drachenfahnen sind in Römerhand; die Truppen begrüßen jubelnd den Imperator; vor den aufgetürmten Waffen der Feinde steht die Victoria und beschreibt die Tafel des Sieges. Es folgen die Bilder des zweiten Krieges, im ganzen der ersten Reihe gleichartig; bemerkenswert ist eine große Darstellung, welche, nachdem die Königsburg in Flammen aufgegangen ist, die Fürsten der Daker zu zeigen scheint, sitzend um einen Kessel und einer nach dem andern den Giftbecher leerend; eine andere, wo des tapfern Dakerkönigs Haupt auf einer Schüssel dem Kaiser gebracht wird; endlich das Schlußbild, die lange Reihe der Besiegten mit Frauen, Kindern und Herden aus der Heimat abziehend. Die Geschichte dieses Krieges hat der Kaiser selbst geschrieben, wie Friedrich der Große die des Siebenjährigen, und nach ihm viele andere; uns ist alles dies verloren, und wie niemand es wagen würde nach Menzels Bildern die Geschichte des Siebenjährigen Krieges zu erfinden, so bleibt auch uns nur mit dem Einblick in halb verständliche Einzelheiten die schmerzliche Empfindung einer bewegten und großen, auf ewig verblaßten und selbst für die Erinnerung vergangenen geschichtlichen Katastrophe.

Die Grenzverteidigung im Donaugebiet wurde infolge der Verwandlung Daciens in eine römische Provinz nicht in dem Grade verschoben, wie man wohl erwarten sollte; eine eigentliche Veränderung der Verteidigungslinie trat nicht ein, sondern es wurde die neue Provinz im ganzen als eine exzentrische Position behandelt, die nur nach Süden hin an der Donau selbst unmittelbar mit dem römischen Gebiet zusammenhing, nach den anderen drei Seiten in das barbarische Land hineinragte. Die zwischen Pannonien und Dacien sich erstreckende Theißebene blieb auch ferner den Jazygen; es haben sich wohl Reste alter Wälle gefunden, die von der Donau über die Theiß weg bis an das dacische Gebirge führen und das Jazygengebiet nördlich begrenzen, aber über die Zeit und die Urheber dieser Verschanzungen ist nichts Sicheres ermittelt. Auch Bessarabien wird von einer doppelten Sperrlinie durchschnitten, welche vom Pruth zum Dnjestr laufend bei Tyra endigt und nach den darüber bis jetzt vorliegenden ungenügenden Berichten von den Römern herzurühren scheint. Ist dies der Fall, so sind die Moldau und die südliche Hälfte von Bessarabien sowie die gesamte Walachei dem römischen Reich einverleibt gewesen. Aber mag dies auch nominell geschehen sein, effektiv hat die Römerherrschaft sich schwerlich auf diese Länder erstreckt; wenigstens fehlt es an sicheren Beweisen römischer Ansiedlung bis jetzt sowohl in der östlichen Walachei wie in der Moldau und in Bessarabien völlig. Auf alle Fälle blieb hier viel mehr noch als in Germanien der Rhein die Donau die Grenze der römischen Zivilisation und der eigentliche Stützpunkt der Grenzverteidigung. Die Positionen an dieser wurden erheblich verstärkt. Es war ein Glücksfall für Rom, daß, während die Völkerbrandung an der Donau stieg, sie am Rhein sank und die dort entbehrlich gewordenen Truppen anderweitig verfügbar wurden. Wenn noch unter Vespasian wahrscheinlich nicht mehr als sechs Legionen an der Donau standen, so ist deren Zahl durch Domitianus und Traianus später auf zehn gesteigert, womit zusammenhängt, daß die bisherigen beiden Oberkommandanturen von Mösien und Pannonien, die erstere unter Domitian, die zweite unter Traian, geteilt wurden und, indem weiter die dacische hinzutrat, die Gesamtzahl der Kommandanturen an der unteren Donau sich auf fünf stellte. Anfänglich scheint man freilich die Ecke, welche dieser Strom unterhalb Durostorum (Silistria) macht, die heutige Dobrudscha, abgeschnitten und von dem heutigen Ort Rassowa an, wo der Fluß bis auf sieben deutsche Meilen sich dem Meere nähert, um dann fast im rechten Winkel nach Norden abzubiegen, die Flußlinie durch eine befestigte Straße nach Art der britannischen ersetzt zu haben, welche bei Tomi die Küste erreichte. Indes diese Ecke ist wenigstens seit Hadrian in die römische Grenzbefestigung eingezogen worden; denn von da an finden wir Untermösien, das vor Traian wahrscheinlich gar keine größeren ständigen Besatzungen gehabt hatte, belegt mit den drei Legionslagern von Nova (bei Svischtova), Durostorum (Silistria) und Trösmis (Iglitza bei Galatz), von welchen das letzte eben jener Donauecke vorliegt. Gegen die Jazygen wurde die Stellung dadurch verstärkt, daß zu den obermösischen Lagern bei Singidunum und Viminacium das unterpannonische an der Mündung der Theiß in die Donau bei Acumincum hinzutrat. Dacien selbst ist damals nur schwach besetzt worden. Die Hauptstadt, jetzt traianische Kolonie Sarmizegetusa, lag nicht weit von den Hauptübergängen über die Donau in Obermösien; hier und an dem mittleren Marisus so wie jenseit desselben in dem Bezirk der Goldgruben haben die Römer vorzugsweise sich ansässig gemacht; auch die eine seit Traian in Dacien garnisonierende Legion hat ihr Hauptquartier wenigstens bald nachher in dieser Gegend bei Apulum (Karlsburg) erhalten. Weiter nördlich sind Potaissa (Thorda) und Napoca (Klausenburg) wohl auch sofort von den Römern in Besitz genommen worden, aber erst allmählich schoben die großen pannonisch-dacischen Militärzentren sich weiter gegen Norden vor. Die Verlegung der unterpannonischen Legion von Acumincum nach Aquincum, dem heutigen Ofen, und die Okkupierung dieser militärisch beherrschenden Position fällt nicht später als Hadrian und wahrscheinlich unter ihn; wohl gleichzeitig ist die eine der oberpannonischen Legionen nach Brigetio (gegenüber Komorn) gekommen. Unter Commodus wurde an der Nordgrenze Daciens in der Breite von einer deutschen Meile jede Ansiedlung untersagt, was mit den später zu erwähnenden Grenzordnungen nach dem Markomannenkrieg zusammenhängen wird. Damals mögen auch die befestigten Linien entstanden sein, welche diese Grenze, ähnlich wie die obergermanische, sperrten. Unter Severus kam eine der bisher niedermösischen Legionen an die dacische Nordgrenze nach Potaissa (Thorda). Aber auch nach diesen Verlegungen bleibt Dacien eine von Bergen und Schanzen gedeckte vorgeschobene Stellung am linken Ufer, bei der es wohl zweifelhaft sein mochte, ob sie die allgemeine Defensivstellung der Römer mehr förderte oder mehr beschwerte. Hadrianus hat in der Tat daran gedacht, dies Gebiet aufzugeben, also dessen Einverleibung als einen Fehler betrachtet; nachdem sie einmal geschehen war, überwog allerdings die Rücksicht wenn nicht auf die einträglichen Goldgruben des Landes, so doch auf die rasch sich entwickelnde römische Zivilisation im Marisusgebiet. Aber wenigstens den Oberbau der steinernen Donaubrücke ließ er entfernen, da ihm die Besorgnis vor der Benutzung derselben durch die Feinde schwerer wog als die Rücksicht auf die dacische Besatzung. Die spätere Zeit hat von dieser Ängstlichkeit sich frei gemacht; aber die exzentrische Stellung Daciens zu der übrigen Grenzverteidigung ist geblieben.

Die sechzig Jahre nach den Dakerkriegen Traians sind für die Donauländer eine Zeit des Friedens und der friedlichen Entwicklung gewesen. Ganz zur Ruhe kam es freilich namentlich an den Donaumündungen nie, und auch das bedenkliche Hilfsmittel, von den angrenzenden unruhigen Nachbaren, ähnlich wie es mit Decebalus geschehen war, durch Aussetzung jährlicher Gratiale die Grenzsicherheit zu erkaufen, ist ferner angewandt worden; dennoch zeigen die Reste des Altertums eben in dieser Zeit überall das Aufblühen städtischen Lebens, und nicht wenige Gemeinden namentlich Pannoniens nennen als ihren Stifter Hadrian oder Pius. Aber auf diese Stille folgte ein Sturm, wie das Kaisertum noch keinen bestanden hatte, und der, obwohl eigentlich auch nur ein Grenzkrieg, durch seine Ausdehnung über eine Reihe von Provinzen und durch seine dreizehnjährige Dauer das Reich selbst erschütterte.

Den nach den Markomannen benannten Krieg hat nicht eine einzelne Persönlichkeit vom Schlage des Hannibal und des Decebalus angefacht. Ebensowenig haben Übergriffe römischerseits diesen Krieg heraufbeschworen; Kaiser Pius verletzte keinen Nachbar, weder den mächtigen noch den geringen, und hielt den Frieden fast mehr als billig hoch. Das Reich des Maroboduus und des Vannius hatte sich seitdem, vielleicht infolge der Teilung unter Vangio und Sido, in das Königtum der Markomannen im heutigen Böhmen und das der Quaden in Mähren und Oberungarn geschieden. Konflikte mit den Römern scheinen hier nicht stattgefunden zu haben; das Lehnsverhältnis der Quadenfürsten wurde sogar unter Pius‘ Regierung durch die erbetene Bestätigung in förmlicher Weise anerkannt. Völkerschiebungen, die jenseit des römischen Horizonts liegen, sind die nächste Ursache des großen Krieges gewesen. Bald nach Pius‘ Tode († 161) erschienen Haufen von Germanen, namentlich Langobarden von der Elbe her, aber auch Markomannen und andere Mannschaften in Pannonien, es scheint, um neue Wohnsitze am rechten Ufer zu gewinnen. Gedrängt von den römischen Truppen, die ihnen entgegengeschickt wurden, entsandten sie den Markomannenfürsten Ballomarius und mit ihm je einen Vertreter der zehn beteiligten Stämme, um ihre Bitte um Landanweisung zu erneuern. Aber der Statthalter ließ es bei dem Bescheid und zwang sie, über die Donau zurückzugehen. Dies ist der Anfang des großen Donaukrieges. Auch der Statthalter von Obergermanien Gaius Aufidius Victorinus, der Schwiegersohn des literarisch bekannten Fronto, hatte bereits um das J. 162 einen Ansturm der Chatten abzuschlagen, welcher ebenfalls durch nachdrängende Völkerschaften von der Elbe her veranlaßt sein mag. Wäre gleich energisch eingeschritten worden, so hätte größerem Unheil vorgebeugt werden können. Aber eben damals hatte der armenische Krieg begonnen, in den bald die Parther eintraten; wenn auch die Truppen nicht gerade von der bedrohten Grenze weg nach dem Osten geschickt wurden, wofür wenigstens keine Beweise vorliegen, so fehlte es doch an Mannschaft, um den zweiten Krieg sofort energisch aufzunehmen. Dies Temporisieren hat sich schwer gerächt. Eben als in Rom über die Könige des Ostens triumphiert ward, brachen an der Donau die Chatten, die Markomannen, die Quaden, die Jazygen wie mit einem Schlag ein in das römische Gebiet. Rätien, Noricum, beide Pannonien, Dacien waren im selben Augenblick überschwemmt; im dacischen Grubendistrikt können noch wir die Spuren dieses Einbruchs verfolgen. Welche Verheerungen sie in diesen Landschaften, die seit langem keinen Feind gesehen hatten, damals anrichteten, zeigt die Tatsache, daß mehrere Jahre später die Quaden erst 13 000, dann noch 50 000, die Jazygen gar 100 000 römische Gefangene zurückgaben. Es blieb nicht einmal bei der Schädigung der Provinzen. Es geschah, was seit drei Jahrhunderten nicht geschehen war und anfing als unmöglich zu gelten: die Barbaren durchbrachen den Alpenwall und fielen in Italien selbst ein; von Rätien aus zerstörten sie Opitergium (Oderzo), die Scharen von der julischen Alpe berannten Aquileia. Niederlagen einzelner römischer Armeekorps müssen mehrfach stattgefunden haben; wir erfahren nur, daß einer der Gardekommandanten Victorinus vor dem Feind blieb und die Reihen der römischen Heere sich in arger Weise lichteten.

Der schwere Angriff traf den Staat zur unglücklichsten Stunde. Zwar der orientalische Krieg war beendigt; aber in seinem Gefolge hatte eine Seuche sich in Italien und dem ganzen Westen verbreitet, die dauernder als der Krieg und in entsetzlicherem Maße die Menschen hinraffte. Wenn die Truppen, wie es notwendig war, zusammengezogen wurden, so fielen der Pest die Opfer nur um so zahlreicher. Wie zu der Pestilenz immer die teure Zeit gehört, so erschien auch hier mit ihr Mißwachs und Hungersnot und schwere Finanzkalamität – die Steuern gingen nicht ein und im Laufe des Krieges sah sich der Kaiser veranlaßt, die Kleinodien seines Palastes in öffentlicher Auktion zu veräußern. Es fehlte an einem geeigneten Leiter. Eine so ausgedehnte und so verwickelte militärisch-politische Aufgabe konnte, wie die Dinge in Rom lagen, kein beauftragter Feldherr, sondern allein der Herrscher selbst auf sich nehmen. Marcus hatte, in richtiger und bescheidener Erkenntnis dessen, was ihm abging, bei der Thronbesteigung sich seinen jüngeren Adoptivbruder Lucius Verus gleichberechtigt zur Seite gestellt, in der wohlwollenden Voraussetzung, daß der flotte junge Mann, wie er ein tüchtiger Fechter und Jäger war, so auch zum fähigen Feldherrn sich entwickeln werde. Aber den scharfen Blick des Menschenkenners besaß der ehrliche Kaiser nicht; die Wahl war so unglücklich wie möglich ausgefallen; der eben beendigte parthische Krieg hatte den nominellen Feldherrn als eine wüste Persönlichkeit und einen unfähigen Offizier gezeigt. Verus‘ Mitregentschaft war nichts als eine Kalamität mehr, die freilich durch seinen nicht lange nach dem Ausbruch des markomannischen Krieges erfolgten Tod (169) in Wegfall kam. Marcus, seinen Neigungen nach mehr reflektiv als dem praktischen Leben zugewandt und ganz und gar kein Soldat, überhaupt keine hervorragende Persönlichkeit, übernahm die ausschließliche und persönliche Leitung der erforderlichen Operationen. Er mag dabei im einzelnen Fehler genug gemacht haben, und vielleicht geht die lange Dauer der Kämpfe darauf mit zurück; aber die Einheit des Oberbefehls, die klare Einsicht in den Zweck der Kriegführung, die Folgerichtigkeit des staatsmännischen Handelns, vor allem die Rechtschaffenheit und Festigkeit des seines schweren Amtes mit selbstvergessener Treue waltenden Mannes haben schließlich den gefährlichen Ansturm gebrochen. Es ist dies ein um so höheres Verdienst, als der Erfolg mehr dem Charakter als dem Talent verdankt wird.

Worauf man sich gefaßt machte, zeigt die Tatsache, daß die Regierung, trotz des Mangels an Menschen und an Geld, in dem ersten Jahre dieses Krieges mit ihren Soldaten und auf ihre Kosten die Mauern der Hauptstadt Dalmatiens Salonä und der Hauptstadt Thrakiens Philippopolis herstellen ließ; sicher sind dies nicht vereinzelte Anordnungen gewesen. Man mußte sich darauf vorbereiten, die Nordländer überall die großen Städte des Reiches berennen zu sehen; die Schrecken der Gotenzüge pochten schon an die Pforten und wurden vielleicht für diesmal nur dadurch abgewandt, daß die Regierung sie kommen sah. Die unmittelbare Oberleitung der militärischen Operationen und die durch die Sachlage geforderte Regulierung der Beziehungen zu den Grenzvölkern und Reformierung der bestehenden Ordnungen an Ort und Stelle durfte weder fehlen, noch dem charakterlosen Bruder oder Einzelführern überlassen werden. In der Tat änderte sich die Lage der Dinge, sowie die beiden Kaiser in Aquileia eintrafen, um von dort mit dem Heer nach dem Kriegsschauplatz abzugehen. Die Germanen und Sarmaten, wenig in sich geeinigt und ohne gemeinschaftliche Leitung, fühlten sich solchem Gegenschlag nicht gewachsen. Die eingedrungenen Haufen zogen überall sich zurück; die Quaden sandten den kaiserlichen Statthaltern ihre Unterwerfung ein und vielfach büßten die Führer der gegen die Römer gerichteten Bewegung diesen Rückschlag mit dem Leben. Lucius meinte, daß der Krieg Opfer genug gefordert habe, und riet zur Rückkehr nach Rom. Aber die Markomannen verharrten in trotzigem Widerstand, und die Kalamität, die über Rom gekommen war, die Hunderttausende der weggeschleppten Gefangenen, die von den Barbaren errungenen Erfolge forderten gebieterisch eine kräftigere Politik und die offensive Fortsetzung des Krieges. Marcus‘ Schwiegersohn, Tiberius Claudius Pompeianus, übernahm außerordentlicherweise das Kommando in Rätien und Noricum; sein tüchtiger Unterbefehlshaber, der spätere Kaiser Publius Helvius Pertinax, säuberte ohne Schwierigkeit mit der aus Pannonien herbeigerufenen ersten Hilfslegion das römische Gebiet. Trotz der Finanznot wurden namentlich aus illyrischen Mannschaften, bei deren Aushebung freilich mancher bisherige Straßenräuber zum Landesverteidiger gemacht ward, zwei neue Legionen gebildet und, wie schon früher angegeben ward, die bisher geringfügige Grenzwacht dieser beiden Provinzen durch die neuen Legionslager von Regensburg und Enns verstärkt. In die oberpannonischen Lager begaben sich die Kaiser selbst. Vor allen Dingen kam es darauf an, den Herd des Kriegsfeuers einzuschränken. Die von Norden kommenden Barbaren, die ihre Hilfe anboten, wurden nicht zurückgewiesen und fochten in römischem Sold, soweit sie nicht, was auch vorkam, ihr Wort brachen und mit dem Feinde gemeinschaftliche Sache machten. Den Quaden, welche um Frieden und um die Bestätigung des neuen Königs Furtius baten, wurde diese bereitwillig zugestanden und nichts gefordert als Rückgabe der Überläufer und der Gefangenen. Es gelang einigermaßen, den Krieg auf die beiden Hauptgegner, die Markomannen und die von alters her ihnen verbündeten Jazygen, zu beschränken. Gegen diese beiden Völker wurde in den folgenden Jahren in schweren Kämpfen und nicht ohne Niederlage gestritten. Wir wissen davon nur Einzelheiten, die sich nicht in festen Zusammenhang bringen lassen. Marcus Claudius Fronto, dem die außerordentlicherweise vereinigten Kommandos von Obermösien und Dacien anvertraut waren, fiel um das J. 171 im Kampfe gegen Germanen und Jazygen. Ebenso fiel vor dem Feind der Gardekommandant Marcus Macrinius Vindex. Sie und andere hochgestellte Offiziere erhielten in diesen Jahren Ehrendenkmäler in Rom an der Säule Traians, weil sie in Verteidigung des Vaterlandes den Tod gefunden hatten. Die barbarischen Stämme, die sich für Rom erklärt hatten, fielen zum Teil wieder ab, so die Cotiner und vor allem die Quaden, welche den flüchtigen Markomannen eine Freistatt gewährten und ihren Vasallenkönig Furtius vertrieben, worauf Kaiser Marcus auf den Kopf seines Nachfolgers Ariogäsus einen Preis von 1000 Goldstücken setzte. Erst im sechsten Kriegsjahr (172) scheint die völlige Überwindung der Markomannen erreicht worden zu sein und danach Marcus den wohlverdienten Siegestitel Germanicus angenommen zu haben. Es folgte dann die Niederwerfung der Quaden, endlich im J. 175 die der Jazygen, infolge deren der Kaiser den weiteren Beinamen des Sarmatensiegers empfing. Die Bedingungen, welche den überwundenen Völkerschaften gestellt wurden, zeigen, daß Marcus nicht zu strafen beabsichtigte, sondern zu unterwerfen. Den Markomannen und den Jazygen, wahrscheinlich auch den Quaden, wurde auferlegt, einen Grenzstreifen am Flusse in der Breite von zwei, nach späterer Milderung von einer deutschen Meile zu räumen. In die festen Plätze am rechten Donauufer wurden römische Besatzungen gelegt, die allein bei den Markomannen und Quaden zusammen sich auf nicht weniger als 20 000 Mann beliefen. Alle Unterworfenen hatten Zuzug zum römischen Heer zu stellen, die Jazygen zum Beispiel 8000 Reiter. Wäre der Kaiser nicht durch die Insurrektion Syriens abgerufen worden, so hätte er die letzteren ganz aus ihrer Heimat getrieben, wie Traianus die Daker. Daß Marcus die abgefallenen Transdanuvianer nach diesem Muster zu behandeln gedachte, bestätigt der weitere Verlauf. Kaum war jenes Hindernis beseitigt, so ging der Kaiser wieder an die Donau und begann, eben wie Traianus, im J. 178 den zweiten abschließenden Krieg. Die Motivierung dieser Kriegserklärung ist nicht bekannt; der Zweck wird ohne Zweifel richtig dahin angegeben, daß er zwei neue Provinzen Marcomania und Sarmatia einzurichten gedachte. Den Jazygen, die sich den Absichten des Kaisers fügsam gezeigt haben werden, wurden die lästigen Auflagen größtenteils erlassen, ja ihnen für den Verkehr mit ihren östlich von Dacien hausenden Stammverwandten, den Roxolanen, der Durchgang durch Dacien unter angemessener Aufsicht gewährt – wahrscheinlich auch nur, weil sie schon als römische Untertanen betrachtet wurden. Die Markomannen wurden durch Schwert und Hunger fast aufgerieben. Die verzweifelnden Quaden wollten nach Norden auswandern und bei den Semnonen sich Sitze suchen; aber auch dies wurde ihnen nicht gestattet, da sie die Äcker zu bestellen hatten, um die römischen Besatzungen zu versorgen. Nach vierzehnjähriger fast ununterbrochener Waffenarbeit stand der Kriegsfürst wider Willen am Ziel und die Römer zum zweitenmal vor der Gewinnung der oberen Elbe; jetzt fehlte in der Tat nur die Ankündigung, das Gewonnene festhalten zu wollen. Da starb er, noch nicht sechzig Jahre alt, im Lager von Vindobona am 17. März 180.

Man wird nicht bloß die Entschlossenheit und die Konsequenz des Herrschers anerkennen, sondern auch einräumen müssen, daß er tat, was die richtige Politik gebot. Die Eroberung Daciens durch Traian war ein zweifelhafter Gewinn, obwohl eben in dem markomannischen Krieg der Besitz Daciens nicht bloß ein gefährliches Element aus den Reihen der Gegner Roms entfernt, sondern wahrscheinlich auch bewirkt hat, daß der Völkerschwarm an der unteren Donau, die Bastarner, die Roxolaner und andere mehr, in den Markomannenkrieg nicht eingegriffen haben. Aber nachdem der gewaltige Ansturm der Transdanuvianer westlich von Dacien die Niederwerfung derselben zur Notwendigkeit gemacht hatte, konnte diese nur in abschließender Weise ausgeführt werden, indem Böhmen, Mähren und die Theißebene in die römische Verteidigungslinie eingezogen wurden, wenn auch diesen Gebieten wohl nur, wie Dacien, eine Vorpostenstellung zugedacht war und die strategische Grenzlinie sicher die Donau bleiben sollte. Des Marcus Nachfolger, Kaiser Commodus, war im Lager anwesend, als der Vater starb und trat, da er die Krone schon seit mehreren Jahren dem Namen nach mit dem Vater teilte, mit dessen Tode sofort in den Besitz der unumschränkten Gewalt. Nur kurze Zeit ließ der neunzehnjährige Nachfolger die Vertrauensmänner des Vaters, seinen Schwager Pompeianus und andere, die mit Marcus die schwere Last des Krieges getragen hatten, im Sinne desselben schalten. Commodus war in jeder Hinsicht das Gegenteil seines Vaters; kein Gelehrter, sondern ein Fechtmeister, so feig und charakterschwach wie dieser entschlossen und konsequent, so träge und pflichtvergessen wie dieser tätig und gewissenhaft. Er gab nicht bloß die Einverleibung des gewonnenen Gebietes auf, sondern gewährte auch den Markomannen freiwillig Bedingungen, wie sie sie nicht hatten hoffen dürfen. Die Regulierung des Grenzverkehrs unter römischer Kontrolle und die Verpflichtung, ihre den Römern befreundeten Nachbarn nicht zu schädigen, verstanden sich von selbst; aber die Besatzungen wurden aus ihrem Lande zurückgezogen und nur das Gebot, den Grenzstreifen nicht zu besiedeln, festgehalten. Die Leistung von Abgaben und die Stellung von Rekruten wurde wohl ausbedungen, aber jene bald erlassen und diese sicher nie gestellt. Ähnlich ward mit den Quaden abgeschlossen und wird mit den übrigen Transdanuvianern abgeschlossen worden sein. Damit waren die gemachten Eroberungen aufgegeben und die vieljährige Kriegsarbeit war umsonst; wenn man nicht mehr wollte, so war eine ähnliche Ordnung der Dinge schon viel früher zu erreichen. Dennoch hat der markomannische Krieg die Suprematie Roms in diesen Landschaften für die Folgezeit sichergestellt, trotzdem Rom den Siegespreis aus der Hand gab. Nicht von den Stämmen, welche dabei beteiligt waren, ist der Stoß geführt worden, dem die römische Weltmacht erlag.

Eine andere bleibende Folge dieses Krieges hängt zusammen mit den durch denselben veranlaßten Überführungen der Transdanuvianer in das römische Reich. An sich waren derartige Umsiedlungen zu aller Zeit vorgekommen; die unter Augustus nach Gallien verpflanzten Sugambrer, die nach Thrakien gesandten Daker waren nichts als neue zu den früher vorhandenen hinzutretende Untertanen oder Untertanengemeinden, und etwas anderes sind wohl auch die 3000 Naristen nicht gewesen, denen Marcus gestattete, ihre Sitze westlich von Böhmen mit solchen im Reich zu vertauschen, während den sonst unbekannten Astingern an der dakischen Nordgrenze die gleiche Bitte abgeschlagen ward. Aber die nicht bloß im Donauland, sondern in Italien selbst bei Ravenna von ihm angesiedelten Germanen waren weder freie Untertanen noch eigentlich unfreie Leute; es sind dies die Anfänge der römischen Leibeigenschaft, des Kolonats, dessen Eingreifen in die Bodenwirtschaft des gesamten Staates in anderem Zusammenhang darzulegen ist. Jene ravennatische Ansiedlung hat indes keinen Bestand gehabt; die Leute lehnten sich auf und mußten wieder weggeschafft werden, so daß der neue Kolonat zunächst auf die Provinzen, namentlich die Donaulandschaften, beschränkt blieb. Wiederum folgte auf den großen Krieg an der mittleren Donau eine fast sechzigjährige Friedenszeit, deren Segen durch das während derselben stetig steigende innere Mißregiment nicht vollständig aufgehoben werden konnte. Wohl zeigt manche vereinzelte Nachricht, daß die Grenze, namentlich die am meisten exponierte dacische, nicht ohne Anfechtung blieb; aber vor allem das straffe Militärregiment des Severus tat hier seine Schuldigkeit, und wenigstens Markomannen und Quaden erscheinen auch unter dessen nächsten Nachfolgern in unbedingter Abhängigkeit, so daß der Sohn des Severus einen Quadenfürsten vor sich zitieren und ihm den Kopf vor die Füße legen konnte. Auch die in dieser Epoche an der unteren Donau gelieferten Kämpfe sind von untergeordnetem Belang. Aber wahrscheinlich hat in dieser Zeit eine umfassende Völkerverschiebung von Nordosten her gegen das Schwarze Meer stattgefunden und die römische Grenzwacht an der unteren Donau neuen und gefährlicheren Gegnern gegenübergestellt. Bis auf diese Zeit hatten den Römern dort vorzugsweise sarmatische Völkerschaften gegenübergestanden, unter denen sich die Roxolaner mit den Römern am nächsten berührten; von Germanen saßen damals hier nur die seit langem in dieser Gegend heimischen Bastarner. Jetzt verschwinden die Roxolaner, vielleicht unter den dem Anschein nach ihnen stammverwandten Garpern, welche fortan an der unteren Donau, etwa in den Tälern des Sereth und Pruth, die nächsten Nachbarn der Römer sind. Neben die Carper, ebenfalls als unmittelbare Nachbarn der Römer an der Donaumündung, tritt das Volk der Goten. Dieser germanische Stamm ist nach der einheimischen Erzählung, die uns erhalten ist, von Skandinavien über die Ostsee nach der Weichselgegend und aus dieser zum Schwarzen Meer gewandert; damit übereinstimmend kennen die römischen Geographen des 2. Jahrhunderts sie an der Weichsel und die römische Geschichte seit dem ersten Drittel des dritten an der nordwestlichen Küste des Schwarzen Meeres. Von da an erscheinen sie hier in stetigem Anschwellen; die Reste der Bastarner sind unter Kaiser Probus, die Reste der Carper unter Kaiser Diocletian vor ihnen auf das rechte Donauufer gewichen, während ohne Zweifel ein großer Teil dieser wie jener sich unter die Goten mischten und ihnen sich anschlossen. Überall darf diese Katastrophe nur in dem Sinne als die des Gotenkrieges bezeichnet werden, wie die unter Marcus eingetretene von den Markomannen heißt; die ganze Masse der durch den Wanderstrom vom Nordosten zum Schwarzen Meer in Bewegung gesetzten Völkerschaften ist daran beteiligt, und um so mehr beteiligt, als diese Angriffe ebenso zu Lande über die untere Donau wie zu Wasser von der Nordküste des Schwarzen Meeres aus in einer unentwirrbaren Verschlingung der Land- und der Seepiraterie erfolgten. Nicht unpassend nennt darum der gelehrte Athener, der in ihm gefochten und ihn erzählt hat, diesen Krieg vielmehr den skythischen, indem er unter diesem gleich dem pelasgischen die Verzweiflung der Historiker machenden Namen alle germanischen und nichtgermanischen Reichsfeinde zusammenfaßt. Was über diese Züge zu berichten ist, soll, soweit die der Verwirrung dieser schrecklichen Zeiten nur zu sehr entsprechende Verwirrung der Überlieferung es gestattet, hier zusammengefaßt werden.

Das Jahr 238, auch ein Vierkaiserjahr des Bürgerkrieges, wird bezeichnet als dasjenige, in dem der Krieg gegen die hier zuerst genannten Goten begann. Da die Münzen von Tyra und Olbia mit Alexander († 235) aufhören, so sind diese außerhalb der Reichsgrenze gelegenen römischen Besitzungen wohl schon einige Jahre früher eine Beute der neuen Feinde geworden. In jenem Jahr überschritten sie zuerst die Donau, und die nördlichste der mösischen Küstenstädte Istros war das erste Opfer. Gordian, der aus den Wirren dieser Zeit als Herrscher hervorging, wird als Besieger der Goten bezeichnet; gewisser ist es, daß die römische Regierung wenn nicht schon früher, so doch unter ihm sich dazu verstand, die gothischen Einfälle abzukaufen. Begreiflicherweise forderten die Carper das Gleiche, was der Kaiser den schlechteren Goten bewilligt habe; als die Forderung nicht gewährt ward, fielen sie im J. 245 in das römische Gebiet ein. Kaiser Philippus – Gordianus war damals schon tot – schlug sie zurück, und eine energische Aktion mit der vereinigten Kraft des großen Reiches würde den Barbaren wohl hier Halt geboten haben. Aber in diesen Jahren fand der Kaisermörder so sicher den Thron wie wiederum seinen Mörder und Nachfolger; eben in den gefährdeten Donaulandschaften rief die Armee gegen Kaiser Philippus erst den Marinus Pacatianus und nach dessen Beseitigung den Traianus Decius aus, welcher letztere in der Tat in Italien seinen Gegner überwand und als Herrscher anerkannt ward. Er war ein tüchtiger und tapferer Mann, nicht unwert der beiden Namen, die er trug, und trat, sowie er konnte, entschlossen in die Kämpfe an der Donau ein; aber was der inzwischen geführte Bürgerkrieg verdorben hatte, ließ sich nicht mehr einbringen. Während die Römer miteinander schlugen, hatten die Goten und die Carper sich geeinigt und waren unter dem Gotenfürsten Cniva in das von Truppen entblößte Mösien eingefallen. Der Statthalter der Provinz, Trebonianus Gallus, warf sich mit seiner Mannschaft nach Nikopolis am Hämus und wurde hier von den Goten belagert; diese raubten zugleich Thrakien aus und belagerten dessen Hauptstadt, das große und feste Philippopolis; ja sie gelangten bis nach Makedonien und berannten Thessalonike, wo der Statthalter Priscus eben diesen Moment geeignet fand, um sich zum Kaiser ausrufen zu lassen. Als Decius anlangte, um zugleich den Nebenbuhler und den Landesfeind zu bekämpfen, wurde wohl jener ohne Mühe beseitigt und gelang auch der Entsatz von Nikopolis, wo 30 000 Goten gefallen sein sollen. Aber die nach Thrakien zurückweichenden Goten siegten ihrerseits bei Beroë (Alt-Zagora), warfen die Römer nach Mösien zurück und bezwangen sowohl Nikopolis daselbst wie in Thrakien Anchialos und sogar Philippopolis, wo 100 000 Menschen in ihre Gewalt gekommen sein sollen. Darauf zogen sie nordwärts, um die ungeheure Beute in Sicherheit zu bringen. Decius entwarf den Plan, dem Feind bei dem Übergang über die Donau einen Schlag zu versetzen. Er stellte eine Abteilung unter Gallus am Ufer auf und hoffte die Goten auf diese werfen und ihnen den Rückzug abschneiden zu können. Aber bei dem mösischen Grenzort Abrittus entschied das Kriegsglück oder auch der Verrat des Gallus gegen ihn; Decius kam mit seinem Sohn um, und Gallus, der als sein Nachfolger ausgerufen ward, begann sein Regiment damit, den Goten die jährlichen Geldzahlungen abermals zuzusichern (251). Diese völlige Niederlage der römischen Waffen wie der römischen Politik, der Fall des Kaisers, des ersten, der im Kampf gegen die Barbaren das Leben verlor, eine Kunde, welche selbst in dieser in der Gewohnheit des Unheils erschlaffenden Zeit tief die Gemüter erregte, die darauffolgende schimpfliche Kapitulation stellte in der Tat die Integrität des Reiches in Frage. Ernste Krisen an der mittleren Donau, wahrscheinlich der drohende Verlust Daciens, müssen die nächste Folge gewesen sein. Noch einmal ward dieser abgewandt: der Statthalter von Pannonien, Marcus Ämilius Ämilianus, ein guter Soldat, errang einen bedeutenden Waffenerfolg und trieb die Feinde über die Grenze. Aber die Nemesis waltete. Die Konsequenz dieses auf Gallus‘ Namen erfochtenen Sieges war, daß die Armee dem Verräter des Decius den Gehorsam aufkündigte und ihren Feldherrn zu seinem Nachfolger erkor. Abermals ging also der Bürgerkrieg der Grenzverteidigung vor, und während Ämilianus in Italien zwar den Gallus überwand, aber bald darauf dem Feldherrn desselben, Valerianus, unterlag (254), ging Dacien, wie und an wen wissen wir nicht, dem Reiche verloren. Die letzte von dieser Provinz geschlagene Münze und die jüngste dort gefundene Inschrift sind vom J. 255, die letzte Münze des benachbarten Viminacium in Obermösien vom folgenden Jahre; in den ersten Jahren Valerians und Galliens also besetzten die Barbaren das römische Gebiet am linken Ufer der Donau und drangen sicher auch hinüber auf das rechte.

Bevor wir die Entwicklung der Dinge an der unteren Donau weiter verfolgen, erscheint es notwendig, einen Blick zu werfen auf die Piraterie, wie sie in der östlichen Hälfte des Mittelmeeres damals im Gange war, und die daraus hervorgegangenen Seezüge der Goten und ihrer Genossen.

Daß auf dem Schwarzen Meer die römische Flotte zu keiner Zeit entbehrlich, die Piraterie daselbst wahrscheinlich nie ausgerottet worden ist, liegt im Wesen der Römerherrschaft, wie sie an seinen Küsten sich gestaltet hatte. In festem Besitz waren sie nur etwa von der Donaumündung abwärts bis Trapezunt. Römisch waren freilich auch einerseits Tyra an der Mündung des Dnjestr und Olbia an der Bucht der Dnjeprmündung, andererseits die kaukasischen Hafenorte in der Gegend des heutigen Suchum-Kaleh, Dioskurias und Pityus. Auch das dazwischenliegende bosporanische Königreich in der Krim stand in römischem Schutz und hatte römische, dem Statthalter von Mösien unterstehende Besatzung. Aber es waren an diesen größtenteils wenig einladenden Gestaden nur jene Hafenplätze entweder als alte griechische Ansiedlungen oder als römische Festungen in festem Besitz, die Küste selbst öde oder in den Händen der das Binnenland erfüllenden Eingeborenen, die unter dem allgemeinen Namen der Skythen zusammengefaßt, meistens sarmatischer Abkunft, den Römern niemals botmäßig wurden, noch werden sollten; man war zufrieden, wenn sie sich nicht geradezu an den Römern oder deren Schutzbefohlenen vergriffen. Danach ist es nicht zu verwundern, daß schon in Tiberius‘ Zeit die Piraten der Ostküste nicht bloß das Schwarze Meer unsicher machten, sondern auch landeten und die Dörfer und die Städte der Küste brandschatzten. Wenn unter Pius oder Marcus eine Schar der an dem nordwestlichen Ufer hausenden Kostoboker die im Herzen von Phokis gelegene Binnenstadt Elateia überfiel und unter deren Mauern mit den Bürgern sich herumschlug, so zeigt dieser gewiß nur zufällig für uns einzeln dastehende Vorgang, daß dieselben Erscheinungen, welche dem Sturz des Senatsregiments voraufgingen, jetzt sich erneuerten und noch bei äußerlich unerschüttert aufrecht stehender Reichsgewalt nicht bloß einzelne Piratenschiffe, sondern Piratengeschwader im Schwarzen und selbst im Mittelmeere kreuzten. Das nach dem Tode des Severus und vor allem nach dem Ausgang der letzten Dynastie deutlich erkennbare Sinken des Regiments offenbarte sich dann, wie billig, vor allem in dem weiteren Verfall der Seepolizei. Die im einzelnen wenig zuverlässigen Berichte melden bereits in der Zeit vor Decius das Erscheinen einer großen Piratenflotte im Ägäischen Meer; dann unter Decius die Plünderung der pamphylischen Küste und der griechisch-asiatischen Inseln, unter Gallus Piratenstreifereien in Kleinasien bis nach Pessinus und Ephesos. Dies waren Räuberzüge. Diese Gesellen plünderten die Küsten weit und breit und machten auch, wie man sieht, dreiste Züge in das Binnenland; aber von zerstörten Städten wird nichts gemeldet und die Piraten vermieden es, mit den römischen Truppen zusammenzustoßen; vorzugsweise richtete sich der Angriff gegen solche Landschaften, in denen keine Truppen standen.

Unter Valerianus nehmen diese Expeditionen einen anderen Charakter an. Die Art der Züge weicht von den früheren so sehr ab, daß der an sich nicht besonders wichtige Zug der Boraner gegen Pityus unter Valerianus von kundigen Berichterstattern geradezu als der Anfang dieser Bewegung bezeichnet werden konnte und daß die Piraten eine Zeitlang in Kleinasien mit dem Namen dieser uns sonst nicht bekannten Völkerschaft genannt wurden. Nicht mehr von den alten einheimischen Anwohnern des Schwarzen Meeres gehen diese Züge aus, sondern von den nachdrängenden Schwärmen. Was bis dahin Seeraub gewesen war, fängt an, ein Stück derjenigen Völkerverschiebung zu werden, welcher das Vordringen der Goten an die untere Donau angehört. Die beteiligten Völker sind sehr mannigfach und zum Teil wenig bekannt; bei den späteren Zügen scheinen die germanischen Heruler, damals Anwohner der Mäotis, eine führende Rolle gespielt zu haben. Beteiligt sind auch die Goten, indes, soweit es sich um eigentliche Seefahrten handelt und über diese leidlich genaue Berichte vorliegen, nicht in hervorragender Weise; recht eigentlich diese Züge heißen richtiger skythische als gotische. Der maritime Mittelpunkt dieser Angriffe ist die Dnjestrmündung, der Hafen von Tyra. Die griechischen Städte des Bosporus, durch den Bankerott der Reichsgewalt schutzlos den andrängenden Haufen preisgegeben und der Belagerung durch dieselben gewärtig, ließen halb gezwungen, halb freiwillig sich dazu herbei, die unbequemen neuen Nachbarn auf ihren Schiffen und durch ihre Seeleute nach den nächstgelegenen römischen Besitzungen an der Nordküste des Pontus überzuführen, wofür diesen selbst die nötigen Mittel und das nötige Geschick mangelte. So kam jene Expedition gegen Pityus zustande. Die Boraner wurden gelandet und sandten, auf den Erfolg vertrauend, die Schiffe zurück. Aber der entschlossene Befehlshaber von Pityus, Successianus, wies den Angriff ab, und die Angreifer, den Anmarsch der übrigen römischen Besatzungen befürchtend, zogen eilig ab, wozu sie mühsam die nötigen Fahrzeuge beschafften. Aufgegeben aber war der Plan nicht; im nächsten Jahr kamen sie wieder, und da der Kommandant inzwischen gewechselt war, ergab sich die Festung. Die Boraner, welche diesmal die bosporanischen Schiffe festgehalten hatten und aus gepreßten Schiffsleuten und gefangenen Römern deren Bemannung beschafften, bemächtigten sich weithin der Küste und gelangten bis nach Trapezunt. In diese gut befestigte und stark besetzte Stadt hatte alles sich geflüchtet, und zu einer wirklichen Belagerung waren die Barbaren nicht imstande. Aber die Führung der Römer war schlecht und die Kriegszucht so verfallen, daß nicht einmal die Mauer besetzt wurde; so erstiegen die Barbaren dieselbe bei Nachtzeit, ohne auch nur Gegenwehr zu finden, und in der großen und reichen Stadt fiel ungeheure Beute, darunter auch eine Anzahl von Schiffen in ihre Hände. Glücklich kehrten sie aus dem ferne Lande zurück an die Mäotis. Ein zweiter durch diesen Erfolg angeregter Zug anderer, aber benachbarter skythischer Haufen im folgenden Winter richtete sich gegen Bithynien; es ist bezeichnend für die zerrütteten Verhältnisse, daß der Anstifter dieses Zuges ein Grieche aus Nikomedeia, Chrysogonos, war, und daß er für den glücklichen Erfolg von den Barbaren hochgeehrt ward. Diese Expedition wurde, da die nötige Zahl von Schiffen nicht zu beschaffen war, teils zu Lande, teils zu Wasser unternommen; erst in der Nähe von Byzanz gelang es den Piraten sich einer beträchtlichen Zahl von Fischerbooten zu bemächtigen, und so gelangten sie an die asiatische Küste nach Kalchedon, dessen starke Besatzung auf diese Kunde davon lief. Nicht bloß diese Stadt geriet in ihre Hand, sondern auch an der Küste Nikomedeia, Kios, Apamea, im Binnenland Nikäa und Prusa; Nikomedeia und Nikäa brannten sie nieder und gelangten bis zum Rhyndakos. Von da aus fuhren sie heim, beladen mit den Schätzen des reichen Landes und seiner ansehnlichen Städte.

Schon der Zug gegen Bithynien war zum Teil auf dem Landweg unternommen worden; um so mehr setzten die Angriffe, die gegen das europäische Griechenland gerichtet wurden, sich aus Land- und Seeraubfahrten zusammen. Wenn Mösien und Thrakien auch nicht dauernd von den Goten besetzt wurden, so kamen und gingen sie doch hier, gleich als wären sie zu Hause, und streiften von da aus weit nach Makedonien hinein. Selbst Achaia erwartete unter Valerianus von dieser Seite her den Einbruch; die Thermopylen und der Isthmos wurden verrammelt, und die Athener gingen daran, ihre seit Sullas Belagerung in Trümmern liegenden Mauern wieder herzustellen. Damals und auf diesem Wege kamen die Barbaren nicht. Aber unter Gallienus erschien eine Flotte von 500 Segeln, diesmal vornehmlich Heruler, vor dem Hafen von Byzanz, das indes seine Wehrhaftigkeit noch nicht eingebüßt hatte; die Schiffe der Byzantier schlugen glücklich die Räuber ab. Diese fuhren weiter, zeigten sich an der asiatischen Küste vor dem früher nicht angegriffenen Kyzikos und gelangten von da über Lemnos und Imbros nach dem eigentlichen Griechenland. Athen, Korinth, Argos, Sparta wurden geplündert und zerstört. Es war immer etwas, daß, wie in den Zeiten der Perserkriege, die Bürger des zerstörten Athen, 2000 an der Zahl, den abziehenden Barbaren einen Hinterhalt legten und unter Führung ihres ebenso gelehrten wie tapferen Vormanns Publius Herennius Dexippus aus dem altadligen Geschlecht der Keryken, mit Unterstützung der römischen Flotte, den Piraten einen namhaften Verlust beibrachten. Auf der Heimkehr, die zum Teil auf dem Landweg erfolgte, griff Kaiser Gallienus sie in Thrakien am Fluß Nestos an und tötete ihnen eine beträchtliche Anzahl Leute.

Um das Maß des Unheils vollständig zu übersehen, muß man hinzunehmen, daß in diesem in Scherben gehenden Reiche und vor allem in den vom Feind überschwemmten Provinzen ein Offizier nach dem andern nach der Krone griff, die es kaum noch gab. Es lohnt der Mühe nicht, die Namen dieser ephemeren Purpurträger zu verzeichnen; die Lage zeichnet, daß nach der Verwüstung Bithyniens durch die Piraten Kaiser Valerian es unterließ, einen außerordentlichen Kommandanten dorthin zu schicken, weil ihm jeder General, nicht ohne Grund, als Rival galt. Dies hat mitgewirkt bei dem fast durchaus passiven Verhalten der Regierung gegenüber dieser schweren Not. Doch ist andererseits unzweifelhaft ein guter Teil dieser unverantwortlichen Passivität auf die Persönlichkeit der Herrscher zurückzuführen; Valerianus war schwach und bejahrt, Gallienus fahrig und wüst und der Lenkung des Staatsschiffs im Sturme weder jener noch dieser gewachsen. Marcianus, dem Gallienus nach dem Einfall in Achaia das Kommando in diesen Gegenden übertragen hatte, operierte nicht ohne Erfolg; aber zu einer wirklichen Wendung zum Besseren kam es nicht, solange Gallienus den Thron einnahm.

Nach Gallienus Ermordung (268), vielleicht auf die Kunde von dieser, unternahmen die Barbaren, wieder unter Führung der Heruler, aber diesmal mit vereinigten Kräften, einen Ansturm gegen die Reichsgrenzen, wie er also noch nicht dagewesen war, mit einer mächtigen Flotte und wahrscheinlich gleichzeitig zu Lande von der Donau aus. Die Flotte hatte in der Propontis viel von Stürmen zu leiden; dann teilte sie sich, und es gingen die Goten teils gegen Thessalien und Griechenland vor, teils gegen Kreta und Rhodos; die Hauptmasse begab sich nach Makedonien und drang von da in das Binnenland ein, ohne Zweifel in Verbindung mit den in Thrakien eingerückten Haufen. Aber den oft belagerten, jetzt bis aufs äußerste gebrachten Thessalonikern brachte Kaiser Claudius, der persönlich mit starker Macht heranrückte, endlich Entsatz; er trieb die Goten vor sich her das Tal des Axios (Vardar) hinauf und weiter über die Berge hinüber, nach Obermösien; nach mancherlei Kämpfen mit wechselndem Kriegsglück erfocht er hier im Moravatal bei Naissus einen glänzenden Sieg, in welchem 50 000 Feinde gefallen sein sollen. Die Goten wichen in Auflösung zurück, in der Richtung erst auf Makedonien, dann durch Thrakien zum Hämus, um die Donau zwischen sich und den Feind zu bringen. Fast hätte ihnen ein Zwist im römischen Lager, diesmal zwischen Infanterie und Reiterei, noch einmal Luft gemacht; aber als es zum Schlagen kam, ertrugen die Reiter es doch nicht, ihre Kameraden im Stich zu lassen, und so siegte die vereinigte Armee abermals. Eine schwere Seuche, welche in all den Jahren der Not, aber besonders damals in diesen Gegenden und vor allem in den Heeren wütete, tat zwar auch den Römern großen Schaden – Kaiser Claudius selbst erlag ihr –, aber das große Heer der Nordländer wurde völlig aufgerieben und die zahlreichen Gefangenen in die römischen Heere eingereiht oder zu Leibeigenen gemacht. Auch die Hydra der Militärrevolutionen wurde einigermaßen gebändigt; Claudius und nach ihm Aurelianus waren in anderer Weise Herren im Reich, als dies von Gallienus gesagt werden kann. Die Erneuerung der Flotte, wozu unter Gallienus ein Anfang gemacht worden war, wird nicht gefehlt haben. Das traianische Dacien war und blieb verloren; Aurelianus zog die dort sich noch haltenden Posten heraus und gab den vertriebenen oder zur Auswanderung geneigten Besitzern neue Wohnstätten auf dem mösischen Ufer. Aber Thrakien und Mösien, die eine Zeit lang mehr den Goten als den Römern gehört hatten, kehrten unter römische Herrschaft zurück und wenigstens die Donaugrenze ward wieder befestigt.

Man wird diesen Goten- und Skytenzügen zu Lande und zur See, welche die zwanzig Jahre 250-269 ausfüllen, nicht die Bedeutung beilegen dürfen, daß die ausschwärmenden Haufen darauf bedacht gewesen wären, die Landschaften, die sie betraten, in bleibenden Besitz zu nehmen. Ein solcher Plan ist nicht einmal für Mösien und Thrakien nachweisbar, geschweige denn für die entfernteren Küsten; schwerlich waren auch die Angreifer zahlreich genug, um eigentliche Invasionen zu unternehmen. Wie das schlechte Regiment der letzten Herrscher und vor allem die Unzuverlässigkeit der Truppen vielmehr als die Übermacht der Barbaren die Überflutung des Gebietes durch Land- und Seeräuber hervorriefen, so zog die Wiederherstellung der inneren Ordnung und das energische Auftreten der Regierung von selbst die Befreiung desselben nach sich. Noch konnte der römische Staat nicht gebrochen werden, wenn er nicht sich selber brach. Immer aber war es ein großes Werk, das Regiment so wieder zusammenzunehmen, wie Claudius es getan hat. Wir wissen noch etwas weniger von ihm, als von den meisten Regenten dieser Zeit, da die wahrscheinlich fiktive Zurückführung des constantinischen Stammbaumes auf ihn sein Bild nach der platten Vollkommenheitsschablone übermalt hat; aber diese Anknüpfung selbst, sowie die zahllosen nach seinem Tode ihm zu Ehren geschlagenen Münzen beweisen, daß er der nächsten Generation als der Retter des Staates galt, und sie wird darin nicht geirrt haben. Ein Vorspiel der späteren Völkerwanderung sind diese Skythenzüge allerdings; und die Städtezerstörung, welche sie vor den gewöhnlichen Piratenfahrten auszeichnet, hat damals in einem Umfang stattgefunden, daß der Wohlstand wie die Bildung Griechenlands und Kleinasiens sich niemals davon erholt haben.

An der wiederhergestellten Donaugrenze befestigte den erfochtenen Sieg, indem er die Defensive wiederum offensiv führte und die Donau an ihrer Mündung überschreitend jenseit derselben sowohl die Carper schlug, die seitdem zu den Römern im Schutzverhältnis standen, wie auch die Goten unter ihrem König Canabaudes. Sein Nachfolger Probus nahm, wie schon angegeben ward, die Überreste der von den Goten bedrängten Bastarner herüber auf das römische Ufer, ebenso im J. 295 Diocletian die Reste der Carper. Dies deutet darauf hin, daß jenseit des Flusses das Reich der Goten sich konsolidierte; aber weiter kamen sie auch nicht. Die Grenzbefestigungen wurden verstärkt; Gegen-Aquincum ( contra Aquincum, Pest) ist im J. 294 angelegt worden. Die Piratenfahrten verschwanden nicht völlig. Unter Tacitus zeigten sich Schwärme von der Mäotis in Kilikien. Die Franken, die Probus am Schwarzen Meer angesiedelt hatte, verschafften sich Fahrzeuge und fuhren heim nach ihrer Nordsee, nachdem sie unterwegs an der sizilischen und der afrikanischen Küste geplündert hatten. Auch zu Lande ruhten die Waffen nicht, wie denn die zahlreichen Sarmatensiege Diocletians alle und ein Teil seiner germanischen auf die Donaugegenden fallen werden; aber erst unter Constantin kam es wieder zu einem ernsthaften Kriege mit den Goten, der glücklich verlief. Das Übergewicht Roms stand seit Claudius‘ gotischem Siege wieder so fest wie vorher.

Die eben entwickelte Kriegsgeschichte blieb auf die innere Ordnung des römischen Staats- und Heerwesens nicht ohne allgemeine und bleibende militärisch-politische Rückwirkung. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die Rheinheere, in der früheren Kaiserzeit die führenden in der Armee, ihren Primat schon unter Traian an die Donaulegionen abgaben. Wenn unter Augustus sechs Legionen im Donau- und acht im Rheinland standen, so zählten nach den dakischen Kriegen Domitians und Traians im 2. Jahrh. die Rheinlager nur vier, die Donaulager zehn, nach dem markomannischen sogar zwölf Legionen. Nachdem seit Hadrian aus der Armee, abgesehen von den Offizieren, das italische Element verschwunden war und im ganzen genommen jedes Regiment sich in der Gegend, in welcher es lagerte, auch rekrutierte, waren die meisten Soldaten der Donauarmee und nicht weniger die aus dem Gliede hervorgegangenen Centurionen in Pannonien, Dacien, Mösien, Thrakien zu Hause. Auch die neuen unter Marcus gebildeten Legionen gingen aus Illyricum hervor, und die außerordentlichen Ergänzungen, deren die Truppen damals bedurften, wurden wahrscheinlich ebenfalls vorzugsweise aus den Gegenden genommen, in denen die Heere standen. Also war der Primat der Donauarmeen, den der Dreikaiserkrieg der severischen Zeit feststellte und steigerte, zugleich ein Primat der illyrischen Soldaten; und es kam dies bei der Reform der Garde unter Severus zu sehr energischem Ausdruck. In die höheren Kreise des Regiments griff dieser Primat nicht eigentlich ein, solange die Offizierstellung noch mit der Reichsbeamtenstellung zusammenfiel, obwohl die ritterliche Laufbahn dem gemeinen Soldaten durch das Zwischenglied des Centurionats zu allen Zeiten zugänglich war, und also die Illyriker auch in jene schon früh eindrangen; wie denn bereits im J. 235 ein geborener Thraker Gaius Julius Verus Maximinus, im J. 248 ein geborener Pannonier Traianus Decius auf diesem Wege sogar zum Purpur gelangt sind. Aber als dann Gallienus in allerdings nur zu gerechtfertigtem Mißtrauen die Rangklasse der Senatoren von dem Offizierdienst ausschloß, erstreckte sich notwendigerweise, was bisher von den Soldaten galt, auch auf die Offiziere. Es ist also nur in der Ordnung, daß die der Donauarmee angehörigen, meistens aus den illyrischen Gegenden herstammenden Soldaten seitdem auch im Regiment die erste Rolle spielen und, soweit die Armee die Kaiser machte, diese ebenfalls der Mehrzahl nach Illyriker sind. Also folgen auf Gallienus der Dardaner Claudius, Aurelianus aus Mösien, Probus aus Pannonien, Diocletianus aus Dalmatien, Maximianus aus Pannonien, Constantius aus Dardanien, Galerius aus Serdica; von den letztgenannten hebt ein unter der constantinischen Dynastie schreibender Schriftsteller die Herkunft aus Illyricum hervor und fügt hinzu, daß sie mit wenig Bildung, aber guter Vorschulung durch Feldarbeit und Kriegsdienst treffliche Herrscher gewesen seien. Was die Albanesen lange Zeit dem türkischen Reich gewesen sind, das haben ihre Vorfahren dem römischen Kaiserstaat, als dieser bei ähnlicher Zerrüttung und ähnlicher Barbarei angelangt war, in gleicher Weise geleistet. Nur darf die illyrische Regeneration des römischen Kaisertums nicht etwa als eine nationale Reorganisation aufgefaßt werden; es war lediglich die soldatische Stützung eines durch das Mißregiment vornehm geborener Herrscher völlig herabgekommenen Reiches. Die Demilitarisierung Italiens war vollständig geworden, und Herrscherrecht ohne kriegerische Kraft erkennt die Geschichte nicht an.

Einleitung


Einleitung

Die Geschichte der römischen Kaiserzeit stellt ähnliche Probleme wie diejenige der früheren Republik.

Was aus der literarischen Überlieferung unmittelbar entnommen werden kann, ist nicht bloß ohne Farbe und Gestalt, sondern in der Tat meistens ohne Inhalt. Das Verzeichnis der römischen Monarchen ist ungefähr ebenso glaubwürdig wie das der Konsuln der Republik und ungefähr ebenso instruktiv. Die den ganzen Staat erschütternden großen Krisen sind in ihren Umrissen erkennbar; viel besser aber als über die Samnitenkriege sind wir auch nicht unterrichtet über die germanischen unter den Kaisern Augustus und Marcus. Der republikanische Anekdotenschatz ist sehr viel ehrbarer als der gleiche der Kaiserzeit; aber die Erzählungen von Fabricius und die vom Kaiser Gaius sind ziemlich gleich flach und gleich verlogen. Die innerliche Entwickelung des Gemeinwesens liegt vielleicht für die frühere Republik in der Überlieferung vollständiger vor als für die Kaiserzeit; dort bewahrt sie eine wenn auch getrübte und verfälschte Schilderung der schließlich wenigstens auf dem Markte Roms endigenden Wandelungen der staatlichen Ordnung; hier vollzieht sich diese im kaiserlichen Kabinett und gelangt in der Regel nur mit ihren Gleichgültigkeiten in die Öffentlichkeit. Dazu kommt die ungeheure Ausdehnung des Kreises und die Verschiebung der lebendigen Entwickelung vom Zentrum in die Peripherie. Die Geschichte der Stadt Rom hat sich zu der des Landes Italien, diese zu der der Welt des Mittelmeers erweitert, und worauf es am meisten ankommt, davon erfahren wir am wenigsten. Der römische Staat dieser Epoche gleicht einem gewaltigen Baum, um dessen im Absterben begriffenen Hauptstamm mächtige Nebentriebe rings emporstreben. Der römische Senat und die römischen Herrscher entstammen bald jedem andern Reichsland ebensosehr wie Italien; die Quiriten dieser Epoche, welche die nominellen Erben der weltbezwingenden Legionäre geworden sind haben zu den großen Erinnerungen der Vorzeit ungefähr dasselbe Verhältnis wie unsere Johanniter zu Rhodos und Malta und betrachten ihre Erbschaft als ein nutzbares Recht, als stiftungsmäßige Versorgung arbeitsscheuer Armen. Wer an die sogenannten Quellen dieser Epoche, auch die besseren geht, bemeistert schwer den Unwillen über das Sagen dessen, was verschwiegen zu werden verdiente und das Verschweigen dessen, was notwendig war zu sagen. Denn groß Gedachtes und weithin Wirkendes ist auch in dieser Epoche geschaffen worden; die Führung des Weltregiments ist selten so lange in geordneter Folge verblieben und die festen Verwaltungsnormen, wie sie Cäsar und Augustus ihren Nachfolgern vorzeichneten, haben sich im ganzen mit merkwürdiger Festigkeit behauptet, trotz allem Wechsel der Dynastien und der Dynasten, welcher in der nur daraufblickenden und bald zu Kaiserbiographien zusammenschwindenden Überlieferung mehr als billig im Vordergrunde steht. Die scharfen Abschnitte, welche in der landläufigen durch jene Oberflächlichkeit der Grundlage geirrten Auffassung die Regierungswechsel machen, gehören weit mehr dem Hoftreiben an als der Reichsgeschichte. Das eben ist das Großartige dieser Jahrhunderte, daß das einmal angelegte Werk, die Durchführung der lateinisch-griechischen Zivilisierung in der Form der Ausbildung der städtischen Gemeindeverfassung, die allmähliche Einziehung der barbarischen oder doch fremdartigen Elemente in diesen Kreis, eine Arbeit, welche ihrem Wesen nach Jahrhunderte stetiger Tätigkeit und ruhiger Selbstentwickelung erforderte, diese lange Frist und diesen Frieden zu Lande und zur See gefunden hat. Das Greisenalter vermag nicht neue Gedanken und schöpferische Tätigkeit zu entwickeln, und das hat auch das römische Kaiserregiment nicht getan; aber es hat in seinem Kreise, den die, welche ihm angehörten, nicht mit Unrecht als die Welt empfanden, den Frieden und das Gedeihen der vielen vereinigten Nationen länger und vollständiger gehegt als es irgendeiner anderen Vormacht je gelungen ist. In den Ackerstädten Afrikas, in den Winzerheimstätten an der Mosel, in den blühenden Ortschaften der lykischen Gebirge und des syrischen Wüstenrandes ist die Arbeit der Kaiserzeit zu suchen und auch zu finden. Noch heute gibt es manche Landschaft des Orients wie des Okzidents, für welche die Kaiserzeit den an sich sehr bescheidenen, aber doch vorher wie nachher nie erreichten Höhepunkt des guten Regiments bezeichnet; und wenn einmal ein Engel des Herrn die Bilanz aufmachen sollte, ob das von Severus Antoninus beherrschte Gebiet damals oder heute mit größerem Verstande und mit größerer Humanität regiert worden ist, ob Gesittung und Völkerglück im allgemeinen seitdem vorwärts- oder zurückgegangen sind, so ist es sehr zweifelhaft, ob der Spruch zugunsten der Gegenwart ausfallen würde. Aber wenn wir finden, daß dieses also war, so fragen wir die Bücher, die uns geblieben sind, meistens umsonst, wie dieses also geworden ist. Sie geben darauf so wenig eine Antwort, wie die Überlieferung der früheren Republik die gewaltige Erscheinung des Rom erklärt, welches in Alexanders Spuren die Welt unterwarf und zivilisierte.

Ausfüllen läßt sich die eine Lücke so wenig wie die andere. Aber es schien des Versuches wert, einmal abzusehen von den Regentenschilderungen mit ihren bald grellen, bald blassen und nur zu oft gefälschten Farben wie auch von dem scheinhaft chronologischen Aneinanderreihen nicht zusammenpassender Fragmente, und dafür zu sammeln und zu ordnen, was für die Darstellung des römischen Provinzialregiments die Überlieferung und die Denkmäler bieten, der Mühe wert durch diese oder durch jene zufällig erhaltene Nachrichten, in dem Gewordenen aufbewahrte Spuren des Werdens, allgemeine Institutionen in ihrer Beziehung auf die einzelnen Landesteile, mit den für jeden derselben durch die Natur des Bodens und der Bewohner gegebenen Bedingungen durch die Phantasie, welche wie aller Poesie so auch aller Historie Mutter ist, nicht zu einem Ganzen, aber zu dem Surrogat eines solchen zusammenzufassen. Über die Epoche Diocletians habe ich dabei nicht hinausgehen wollen, weil das neue Regiment, welches damals geschaffen wurde, höchstens im zusammenfassenden Ausblick den Schlußstein dieser Erzählung bilden kann; seine volle Würdigung verlangt eine besondere Erzählung und einen anderen Weltrahmen, ein bei schärferem Verständnis des einzelnen in dem großen Sinn und mit dem weiten Blick Gibbons durchgeführtes selbständiges Geschichtswerk. Italien und seine Inseln sind ausgeschlossen worden, da diese Darstellung von der des allgemeinen Reichsregiments nicht getrennt werden kann. Die sogenannte äußere Geschichte der Kaiserzeit ist aufgenommen als integrierender Teil der Provinzialverwaltung; was wir Reichskriege nennen würden, sind gegen das Ausland unter der Kaiserzeit nicht geführt worden, wenngleich die durch die Arrondierung oder Verteidigung der Grenzen hervorgerufenen Kämpfe einige Male Verhältnisse annahmen, daß sie als Kriege zwischen zwei gleichartigen Mächten erscheinen, und der Zusammensturz der römischen Herrschaft in der Mitte des dritten Jahrhunderts, welcher einige Dezennien hindurch ihr definitives Ende werden zu sollen schien, aus der an mehreren Stellen gleichzeitig unglücklich geführten Grenzverteidigung sich entwickelte. Die große Vorschiebung und Regulierung der Nordgrenze, wie sie unter Augustus teilweise ausgeführt ward, teilweise mißlang, leitet die Erzählung ein. Auch sonst sind die Ereignisse auf einem jeden der drei hauptsächlichsten Schauplätze der Grenzverteidigung, des Rheins, der Donau, des Euphrat, zusammengefaßt worden. Im übrigen ist die Darstellung nach den Landschaften geordnet. Im einzelnen fesselndes Detail, Stimmungsschilderungen und Charakterköpfe hat sie nicht zu bieten; es ist dem Künstler, aber nicht dem Geschichtschreiber erlaubt, das Antlitz des Arminius zu erfinden. Mit Entsagung ist dies Buch geschrieben und mit Entsagung möchte es gelesen sein.

Kapitel IX


Die Euphratgrenze und die Parther

Kapitel IX

Der einzige Großstaat, mit welchem das römische Reich grenzte, war das Reich von Iran, ruhend auf derjenigen Nationalität, die im Altertum wie heutzutage am bekanntesten ist unter dem Namen der Perser, staatlich zusammengefaßt durch das altpersische Königsgeschlecht der Achämeniden und seinen ersten Großkönig Kyros, religiös geeinigt durch den Glauben des Ahura Mazda und des Mithra. Keines der alten Kulturvölker hat das Problem der nationalen Einigung gleich früh und gleich vollständig gelöst. Südlich reichten die iranischen Stämme bis an den Indischen Ozean, nördlich bis zum Kaspischen Meer; nordöstlich war die innerasiatische Steppe der stete Kampfplatz der seßhaften Perser und der nomadischen Stämme Turans. Östlich schieden mächtige Grenzgebirge sie von den Indern. Im westlichen Asien trafen früh drei große Nationen jede ihrerseits vordrängend aufeinander: die von Europa aus auf die kleinasiatische Küste übergreifenden Hellenen, die von Arabien und Syrien aus in nördlicher und nordöstlicher Richtung vorschreitenden und das Euphrattal wesentlich ausfüllenden aramäischen Völkerschaften, endlich die nicht bloß bis zum Tigris wohnenden, sondern selbst nach Armenien und Kappadokien vorgedrungenen Stämme von Iran, während andersartige Urbewohner dieser weitgedehnten Landschaften unter diesen Vormächten erlagen und verschwanden. Über dieses weite Stammgebiet ging in der Epoche der Achämeniden, dem Höhepunkt der Herrlichkeit Irans, die iranische Herrschaft nach allen Seiten, insbesondere aber nach Westen weit hinaus. Abgesehen von den Zeiten, wo Turan über Iran die Oberhand gewann und die Seldschuken und Mongolen den Persern geboten, ist eigentliche Fremdherrschaft über den Kern der iranischen Stämme nur zweimal gekommen, durch den großen Alexander und seine nächsten Nachfolger und durch die arabischen Kalifen, und beide Male nur auf verhältnismäßig kurze Zeit; die östlichen Landschaften, in jenem Fall die Parther, in diesem die Bewohner des alten Baktrien warfen nicht bloß bald das Joch des Ausländers wieder ab, sondern verdrängten ihn auch aus dem stammverwandten Westen.

Das durch die Parther regenerierte Perserreich fanden die Römer vor, als sie in der letzten Zeit der Republik infolge der Besetzung Syriens in unmittelbare Berührung mit Iran traten. Wir haben dieses Staates schon mehrfach früherhin zu gedenken gehabt; hier ist der Ort, das Wenige zusammenzufassen, was über die Eigentümlichkeit des auch für die Geschicke des Nachbarstaats so vielfach ausschlaggebenden Reiches sich erkennen läßt. Allerdings hat auf die meisten Fragen, die der Geschichtsforscher hier zu stellen hat, die Überlieferung keine Antwort. Die Okzidentalen geben über die inneren Verhältnisse ihrer parthischen Nachbarn und Feinde nur gelegentliche in der Vereinzelung leicht irreführende Notizen; und wenn die Orientalen es überhaupt kaum verstanden haben, die geschichtliche Überlieferung zu fixieren und zu bewahren, so gilt dies doppelt von der Arsakidenzeit, da diese den späteren Iraniern mit der vorhergehenden Fremdherrschaft der Seleukiden zusammen als unberechtigte Usurpation zwischen der alt- und der neupersischen Herrschaftsperiode, den Achämeniden und den Sassaniden gegolten hat; dies halbe Jahrtausend wird sozusagen aus der Geschichte Irans herauskorrigiert und ist wie nicht vorhanden.

Der Standpunkt, den die Hofhistoriographen der Sassanidendynastie damit einnahmen, ist mehr der legitimistisch-dynastische des persischen Adels als derjenige der iranischen Nationalität. Freilich bezeichnen die Schriftsteller der ersten Kaiserzeit die Sprache der Parther, deren Heimat etwa dem heutigen Chorasan entspricht, als mitten inne stehend zwischen der medischen und der skythischen, das heißt als einen unreinen iranischen Dialekt; dementsprechend galten sie als Einwanderer aus dem Land der Skythen und in diesem Sinne wird ihr Name auf flüchtige Leute gedeutet und der Gründer der Dynastie Arsakes zwar von einigen für einen Baktrer, von anderen dagegen für einen Skythen von der Mäotis erklärt. Daß ihre Fürsten nicht in Seleukeia am Tigris ihre Residenz nahmen, sondern in der unmittelbaren Nähe bei Ktesiphon ihr Winterlager aufschlugen, wird darauf zurückgeführt, daß sie die reiche Kaufstadt nicht mit skythischen Truppen hätten belegen wollen. Vieles in der Weise und den Ordnungen der Parther entfernt sich von der iranischen Sitte und erinnert an nomadische Lebensgewohnheiten: zu Pferde handeln und essen sie und nie geht der freie Mann zu Fuß. Es läßt sich wohl nicht bezweifeln, daß die Parther, deren Namen allein von allen Stämmen dieser Gegend die heiligen Bücher der Perser nicht nennen, dem eigentlichen Iran fernstehen, in welchem die Achämeniden und die Magier zu Hause sind. Der Gegensatz dieses Iran gegen das aus einem unzivilisierten und halb fremdartigen Distrikt herstammende Herrschergeschlecht und dessen nächstes Gefolge, dieser Gegensatz, den die römischen Schriftsteller nicht ungern von den persischen Nachbaren übernahmen, hat allerdings die ganze Arsakidenherrschaft hindurch bestanden und gegärt, bis er schließlich ihren Sturz herbeiführte. Darum aber darf die Herrschaft der Arsakiden noch nicht als Fremdherrschaft gefaßt werden. Dem parthischen Stamm und der parthischen Landschaft wurden keine Vorrechte eingeräumt. Als Residenz der Arsakiden wird zwar auch die parthische Stadt Hekatompylos genannt; aber hauptsächlich verweilten sie im Sommer in Ekbatana (Hamadan) oder auch in Rhagä gleich den Achämeniden, im Winter, wie bemerkt, in der Lagerstadt Ktesiphon oder auch in Babylon an der äußersten westlichen Grenze des Reiches. Das Erbbegräbnis in der Partherstadt Nisäa blieb; aber später diente dafür häufiger Arbela in Assyrien. Die arme und ferne parthische Heimatlandschaft war für die üppige Hofhaltung und die wichtigen Beziehungen zu dem Westen besonders der späteren Arsakiden in keiner Weise geeignet. Das Hauptland blieb auch jetzt Medien, eben wie unter den Achämeniden. Mochten immer die Arsakiden skythischer Herkunft sein, mehr als auf das, was sie waren, kam darauf an, was sie sein wollten; und sie selber betrachteten und gaben sich durchaus als die Nachfolger des Kyros und des Dareios. Wie die sieben persischen Stammfürsten den falschen Achämeniden beseitigt und durch die Erhebung des Dareios die legitime Herrschaft wiederhergestellt hatten, so mußten andere Sieben die makedonische Fremdherrschaft gestürzt und den König Arsakes auf den Thron gesetzt haben. Mit dieser patriotischen Fiktion wird weiter zusammenhängen, daß dem ersten Arsakes statt der skythischen die baktrische Heimat beigelegt ward. Die Tracht und die Etikette am Hof der Arsakiden war die des persischen; nachdem König Mithradates I. seine Herrschaft bis zum Indus und Tigris ausgedehnt hatte, vertauschte die Dynastie den einfachen Königstitel mit dem des Königs der Könige, wie ihn die Achämeniden geführt hatten, und die spitze skythische Kappe mit der hohen perlengeschmückten Tiara; auf den Münzen führt der König den Bogen wie Dareios. Auch die mit den Arsakiden in das Land gekommene ohne Zweifel vielfach mit der alteinheimischen gemischte Aristokratie nahm persische Sitte und Tracht, meistens auch persische Namen an; von dem Partherheer, das mit Crassus stritt, heißt es, daß die Soldaten noch das struppige Haar nach skythischer Weise trugen, der Feldherr aber nach medischer Art mit in der Mitte gescheiteltem Haar und geschminktem Gesicht erschien.

Die staatliche Ordnung, wie sie durch den ersten Mithradates festgestellt wurde, ist dementsprechend wesentlich diejenige der Achämeniden. Das Geschlecht des Begründers der Dynastie ist mit allem Glanz und mit aller Weihe angestammter und göttlich verordneter Herrschaft umkleidet: sein Name überträgt sich von Rechts wegen auf jeden seiner Nachfolger, und es wird ihm göttliche Ehre erwiesen; seine Nachfolger heißen darum auch Gottessöhne und außerdem »Brüder des Sonnengottes und der Mondgöttin«, wie noch heute der Schah von Persien die Sonne im Titel führt; das Blut eines Gliedes des Königsgeschlechts auch nur durch Zufall zu vergießen ist ein Sakrilegium – alles Ordnungen, die mit wenigen Abminderungen bei den römischen Cäsaren wiederkehren und vielleicht zum Teil von diesen der älteren Großherrschaft entlehnt sind.

Obwohl die königliche Würde also fest an das Geschlecht geknüpft ist, besteht dennoch eine gewisse Königswahl. Da der neue Herrscher sowohl dem Kollegium der »Verwandten des königlichen Hauses« wie dem Priesterrat angehören muß, um den Thron besteigen zu können, so wird ein Akt stattgefunden haben, wodurch vermutlich eben diese Kollegien selbst den neuen Herrscher anerkannten. Unter den »Verwandten« sind wohl nicht bloß die Arsakiden selbst zu verstehen, sondern die »sieben Häuser« der Achämenidenordnung, Fürstengeschlechter, welchen nach dieser die Ebenbürtigkeit und der freie Eintritt bei dem Großkönig zukommt und die auch unter den Arsakiden ähnliche Privilegien gehabt haben werden. Diese Geschlechter waren zugleich Inhaber von erblichen Kronämtern; die Surên zum Beispiel – der Name ist wie der Name Arsakes zugleich Personen- und Amtbezeichnung –, das zweite Geschlecht nach dem Königshaus, setzten als Kronmeister jedesmal dem neuen Arsakes die Tiara aufs Haupt. Aber wie die Arsakiden selbst der parthischen Provinz angehörten, so waren die Surên in Sakastane (Sedjistân) zu Hause und vielleicht Saker, also Skythen; ebenso stammten die Karên aus dem westlichen Medien, während die höchste Aristokratie unter den Achämeniden rein persisch war.

Die Verwaltung liegt in den Händen der Unterkönige oder der Satrapen; nach den römischen Geographen der vespasianischen Zeit besteht der Staat der Parther aus achtzehn »Königreichen«. Einige dieser Satrapien sind Sekundogenituren des Herrscherhauses; insbesondere scheinen die beiden nordwestlichen Provinzen, das atropatenische Medien (Aderbeidjan) und, sofern es in der Gewalt der Parther stand, Armenien, den dem zeitigen Herrscher nächststehenden Prinzen zur Verwaltung übertragen worden zu sein. Im übrigen ragen unter den Satrapen hervor der König der Landschaft Elymais oder von Susa, dem eine besondere Macht- und Ausnahmestellung eingeräumt war, demnächst derjenige der Persis, des Stammlandes der Achämeniden. Die wenn nicht ausschließliche, so doch überwiegende und den Titel bedingende Verwaltungsform war im Partherreich, anders als in dem der Cäsaren, das Lehnkönigtum, so daß die Satrapen nach Erbrecht eintraten, aber der großherrlichen Bestätigung unterlagen. Allem Anschein nach hat sich dies nach unten hin fortgesetzt, so daß kleinere Dynasten und Stammhäupter zu dem Unterkönig in demselben Verhältnis standen, wie dieser zu dem Großkönig. Somit war das Großkönigtum der Parther äußerst beschränkt zugunsten der hohen Aristokratie durch die ihm anhaftende Gliederung der erblichen Landesverwaltung. Dazu paßt recht wohl, daß die Masse der Bevölkerung aus halb oder ganz unfreien Leuten bestand und Freilassung nicht statthaft war. In dem Heer, das gegen Antonius focht, sollen unter 50 000 nur 400 Freie gewesen sein. Der vornehmste unter den Vasallen des Orodes, welcher als Feldherr desselben den Crassus schlug, zog ins Feld mit einem Harem von 200 Weibern und einer von 1000 Lastkamelen getragenen Bagage; er selber stellte 10 000 Reiter zum Heer aus seinen Klienten und Sklaven. Ein stehendes Heer haben die Parther niemals gehabt, sondern zu allen Zeiten blieb hier die Kriegführung angewiesen auf das Aufgebot der Lehnsfürsten und der ihnen untergeordneten Lehnsträger sowie der großen Masse der Unfreien, über welche diese geboten.

Allerdings fehlte das städtische Element in der politischen Ordnung des Partherreichs nicht ganz. Zwar die aus der eigenen Entwicklung des Ostens hervorgegangenen größeren Ortschaften sind keine städtischen Gemeinwesen, wie denn selbst die parthische Residenz Ktesiphon im Gegensatz zu der benachbarten griechischen Gründung Seleukeia ein Flecken genannt wird; sie hatten keine eigenen Vorsteher und keinen Gemeinderat, und die Verwaltung lag hier wie in den Landbezirken ausschließlich bei den königlichen Beamten. Aber von den Gründungen der griechischen Herrscher war ein freilich verhältnismäßig geringer Teil unter parthische Herrschaft gekommen. In den ihrer Nationalität nach aramäischen Provinzen Mesopotamien und Babylonien hatte das griechische Städtewesen unter Alexander und seinen Nachfolgern festen Fuß gefaßt. Mesopotamien war mit griechischen Gemeinwesen bedeckt und in Babylonien war die Nachfolgerin des alten Babylon, die Vorläuferin Bagdads, eine Zeitlang die Residenz der griechischen Könige Asiens, Seleukeia am Tigris durch ihre günstige Handelslage und ihre Fabriken emporgeblüht zu der ersten Kaufstadt außerhalb der römischen Grenzen, angeblich von mehr als einer halben Million Einwohner. Ihre freie hellenische Ordnung, auf der ohne Zweifel ihr Gedeihen vor allem beruhte, wurde im eigenen Interesse auch von den parthischen Herrschern nicht angetastet, und die Stadt bewahrte sich nicht bloß ihren Stadtrat von 300 erwählten Mitgliedern, sondern auch griechische Sprache und griechische Sitte mitten im ungriechischen Osten. Freilich bildeten in diesen Städten die Hellenen nur das herrschende Element; neben ihnen lebten zahlreiche Syrer und als dritter Bestandteil gesellten sich dazu die nicht viel weniger zahlreichen Juden, so daß, die Bevölkerung dieser Griechenstädte des Partherreichs, ähnlich wie die von Alexandreia, sich aus drei gesondert nebeneinander stehenden Nationalitäten zusammensetzte. Zwischen diesen kam es, eben wie in Alexandreia, nicht selten zu Konflikten, wie zum Beispiel zur Zeit der Regierung des Gaius unter den Augen der parthischen Regierung die drei Nationen miteinander handgemein und schließlich die Juden aus den größeren Städten ausgetrieben wurden. – Insofern ist das parthische Reich zu dem römischen das rechte Gegenstück. Wie in diesem das orientalische Unterkönigtum ausnahmsweise vorkommt, so in jenem die griechische Stadt; dem allgemeinen orientalisch-aristokratischen Charakter des Partherregiments tun die griechischen Kaufstädte an der Westgrenze so wenig Eintrag wie die Lehnkönigtümer Kappadokien und Armenien dem städtisch gegliederten Römerstaat. Während in dem Staat der Cäsaren das römisch-griechische städtische Gemeinwesen weiter und weiter um sich greift und allmählich zur allgemeinen Verwaltungsform wird, so reißt die Städtegründung, das rechte Merkzeichen der hellenisch-römischen Zivilisation, welche die griechischen Kaufstädte und die Militärkolonien Roms ebenso umspannt wie die großartigen Ansiedlungen Alexanders und der Alexandriden, mit dem Eintreten des Partherregiments im Osten plötzlich ab, und auch die bestehenden Griechenstädte des Partherreiches verkümmern im weiteren Lauf der Entwicklung. Dort wie hier drängt die Regel mehr und mehr die Ausnahmen zurück.

Irans Religion, mit ihrer dem Monotheismus sich nähernden Verehrung des »höchsten der Götter, der Himmel und Erde und die Menschen und für diese alles Gute geschaffen hat«, mit ihrer Bildlosigkeit und Geistigkeit, mit ihrer strengen Sittlichkeit und Wahrhaftigkeit, ihrer Hinwirkung auf praktische Tätigkeit und energische Lebensführung, hat die Gemüter ihrer Bekenner in ganz anderer und tieferer Weise gepackt, als die Religionen des Okzidents es je vermochten, und wenn vor der entwickelten Zivilisation weder Zeus noch Jupiter standgehalten haben, ist der Glaube bei den Parsen ewig jung geblieben, bis er einem andern Evangelium, dem der Bekenner des Mohammed erlag oder doch vor ihm nach Indien entwich. Wie sich der alte Mazda-Glaube, zu dem die Achämeniden sich bekannten und dessen Entstehung in die vorgeschichtliche Zeit fällt, zu demjenigen verhielt, den als Lehre des weisen Zarathustra die wahrscheinlich unter den späteren Achämeniden entstandenen heiligen Bücher der Perser, das Awestâ verkünden, ist nicht unsere Aufgabe darzustellen; für die Epoche, wo der Okzident mit dem Orient in Berührung steht, kommt nur die spätere Religionsform in Betracht, wie sie, entstanden vielleicht im Osten Irans, in Baktrien, insbesondere vom Westen her, von Medien aus dem Okzident gegenüber trat und in ihn eindrang. Enger aber als selbst bei den Kelten sind in Iran die nationale Religion und der nationale Staat miteinander verwachsen. Es ist schon hervorgehoben worden, daß das legitime Königtum in Iran zugleich eine religiöse Institution, der oberste Herrscher des Landes als durch die oberste Landesgottheit besonders zum Regiment berufen und selbst gewissermaßen göttlich gedacht wird. Auf den Münzen nationalen Gepräges erscheint regelmäßig der große Feueraltar und über ihm schwebend der geflügelte Gott Ahura Mazda, neben ihm in kleinerer Gestalt und in betender Stellung der König und dem König gegenüber das Reichsbanner. Dementsprechend geht auch die Übermacht des Adels im Partherreich Hand in Hand mit der privilegierten Stellung des Klerus. Die Priester dieser Religion, die Magier erscheinen schon in den Urkunden der Achämeniden und in den Erzählungen Herodots und haben, wahrscheinlich mit Recht, den Okzidentalen immer als national persische Institution gegolten. Das Priestertum ist erblich, und wenigstens in Medien, vermutlich auch in anderen Landschaften galt die Gesamtheit der Priester, etwa wie die Leviten in dem späteren Israel, als ein besonderer Volksteil. Auch unter der Herrschaft der Griechen haben die alte Religion des Staates und das nationale Priestertum ihren Platz behauptet. Als der erste Seleukos die neue Hauptstadt seines Reiches, das schon erwähnte Seleukeia gründen wollte, ließ er die Magier Tag und Stunde dafür bestimmen, und erst nachdem diese Perser, nicht gern, das verlangte Horoskop gestellt hatten, vollzogen ihrer Anweisung gemäß der König und sein Heer die feierliche Grundsteinlegung der neuen Griechenstadt. Also auch ihm standen beratend die Priester des Ahura Mazda zur Seite und sie, nicht die des hellenischen Olymp wurden bei den öffentlichen Angelegenheiten insoweit befragt, als diese göttliche Dinge betrafen. Selbstverständlich gilt dies um so mehr von den Arsakiden. Daß bei der Königswahl neben dem Adelsrat der der Priester mitwirkte, wurde schon bemerkt. König Tiridates von Armenien, aus dem Haus der Arsakiden, kam nach Rom unter Geleit eines Gefolges von Magiern, und nach deren Vorschrift reiste und speiste er, auch in Gemeinschaft mit dem Kaiser Nero, der gern sich von den fremden Weisen ihre Lehre verkünden und die Geister beschwören ließ. Daraus folgt allerdings noch nicht, daß der Priesterstand als solcher auf die Führung des Staates wesentlich bestimmend eingewirkt hat; aber keineswegs ist der Mazda-Glaube erst durch die Sassaniden wieder hergestellt worden; vielmehr ist bei allem Wechsel der Dynastien und bei aller eigenen Entwicklung die Landesreligion in Iran in ihren Grundzügen die gleiche geblieben.

Die Landessprache im Partherreich ist die einheimische Irans. Keine Spur führt darauf, daß unter den Arsakiden jemals eine Fremdsprache in öffentlichem Gebrauch gewesen ist. Vielmehr ist es der iranische Landesdialekt Babyloniens und die diesem eigentümliche Schrift, wie beide vor und in der Arsakidenzeit unter dem Einfluß von Sprache und Schrift der aramäischen Nachbarn sich entwickelten, welche mit der Benennung Pahlavi, das heißt Parthava belegt und damit bezeichnet werden als die des Reiches der Parther. Auch das Griechische ist in demselben nicht Reichssprache geworden. Keiner der Herrscher führt auch nur als zweiten Namen einen griechischen; und hätten die Arsakiden diese Sprache zu der ihrigen gemacht, so würden uns griechische Inschriften in ihrem Reiche nicht fehlen. Allerdings zeigen ihre Münzen bis auf die Zeit des Claudius ausschließlich und auch später überwiegend griechische Aufschrift, wie sie auch keine Spur der Landesreligion aufweisen und im Fuß sich der örtlichen Prägung der römischen Ostprovinzen anschließen, ebenso die Jahrteilung sowie die Jahr-Zählung so beibehalten haben, wie sie unter den Seleukiden geregelt worden waren. Aber es wird dies vielmehr dahin aufzufassen sein, daß die Großkönige selber überhaupt nicht prägten und diese Münzen, die ja wesentlich für den Verkehr mit den westlichen Nachbarn dienten, von den griechischen Städten des Reiches auf den Namen des Landesherrn geschlagen worden sind. Die Bezeichnung des Königs auf diesen Münzen als »Griechenfreund« (φιλέλλην), die schon früh begegnet und seit Mithradates I., das heißt seit der Ausdehnung des Staates bis an den Tigris, stehend wird, hat einen Sinn nur, wenn auf diesen Münzen die parthische Griechenstadt redet. Vermutlich war der griechischen Sprache im Partherreich neben der persischen eine ähnliche sekundäre Stellung im öffentlichen Gebrauch eingeräumt, wie sie sie im Römerstaat neben der lateinischen besaß. Das allmähliche Schwinden des Griechentums unter der parthischen Herrschaft läßt sich auf diesen städtischen Münzen deutlich verfolgen, sowohl in dem Auftreten der einheimischen Sprache neben und statt der griechischen wie auch in der mehr und mehr hervortretenden Sprachzerrüttung.

Dem Umfang nach stand das Reich der Arsakiden weit zurück nicht bloß hinter dem Weltstaat der Achämeniden, sondern auch hinter dem ihrer unmittelbaren Vorgänger, dem Seleukidenstaat. Von dessen ursprünglichem Gebiet besaßen sie nur die größere östliche Hälfte; nach der Schlacht, in welcher König Antiochos Sidetes, ein Zeitgenosse der Gracchen, gegen die Parther fiel, haben die syrischen Könige nicht wieder ernstlich versucht, ihre Herrschaft jenseits des Euphrat geltend zu machen; aber das Land dieseits des Euphrat blieb den Okzidentalen.

Von dem Persischen Meerbusen waren beide Küsten, auch die arabische, im Besitz der Parther, die Schiffahrt auf demselben also vollständig in ihrer Gewalt; die übrige arabische Halbinsel gehorchte weder den Parthern noch den über Ägypten gebietenden Römern.

Das Ringen der Nationen um den Besitz des Industales und der westlich und östlich angrenzenden Landschaften zu schildern, soweit die gänzlich zerrissene Überlieferung überhaupt eine Schilderung zuläßt, ist die Aufgabe unserer Darstellung nicht; aber die Hauptzüge dieses Kampfes, welcher dem um das Euphrattal geführten stetig zur Seite geht, dürfen auch in diesem Zusammenhang um so weniger fehlen, als unsere Überlieferung uns nicht gestattet, die Verhältnisse Irans nach Osten in ihrem Eingreifen in die westlichen Beziehungen im einzelnen zu verfolgen und es daher notwendig erscheint, wenigstens die Grundlinien derselben uns zu vergegenwärtigen. Bald nach dem Tode des großen Alexander wurde durch das Abkommen seines Marschalls und Teilerben Seleukos mit dem Gründer des Inderreiches Tschandragupta oder griechisch Sandrakottos die Grenze zwischen Iran und Indien gezogen. Danach herrschte der letztere nicht bloß über das Gangestal in seiner ganzen Ausdehnung und das gesamte nördliche Vorderindien, sondern im Gebiet des Indus wenigstens über einen Teil des Hochtals des heutigen Kabul, ferner über Arachosien oder Afghanistan, vermutlich auch über das wüste und wasserarme Gedrosien, das heutige Balutschistan, sowie über das Delta und die Mündungen des Indus; die in Stein gehauenen Urkunden, durch welche Tschandraguptas Enkel, der gläubige Buddhaverehrer Asoka, das allgemeine Sittengesetz seinen Untertanen einschärfte, sind wie in diesem ganzen weit ausgedehnten Gebiet, so namentlich noch in der Gegend von Pischawar gefunden worden. Der Hindukusch, der Parapanisos der Alten, und dessen Fortsetzung nach Osten und Westen schieden also mit ihrer gewaltigen nur von wenigen Pässen durchsetzten Kette Iran und Indien. Aber langen Bestand hat dies Abkommen nicht gehabt.

In der früheren Diadochenzeit brachten die griechischen Herrscher des Reiches von Baktra, das von dem Seleukidenstaat gelöst einen mächtigen Aufschwung nahm, das Grenzgebirge überschreitend einen großen Teil des Industales in ihre Gewalt und setzten vielleicht noch weiter hinein in Vorderindien sich fest, so daß das Schwergewicht dieses Reiches sich aus dem westlichen Iran nach dem östlichen Indien verschob und der Hellenismus dem Indertum wich. Die Könige dieses Reiches heißen indische und führen späterhin ungriechische Namen; auf den Münzen erscheint neben und statt der griechischen die einheimisch indische Sprache und Schrift, ähnlich wie in der parthisch-persischen Prägung neben dem Griechischen das Pahlavi emporkommt.

Es trat dann eine Nation mehr in den Kampf ein: die Skythen oder, wie sie in Iran und in Indien heißen, die Saker brachen aus ihren Stammsitzen am Jaxartes über das Gebirge nach Süden vor. Die. baktrische Landschaft kam wenigstens großenteils in ihre Gewalt und etwa im letzten Jahrhundert der römischen Republik müssen sie sich in dem heutigen Afghanistan und Balutschistan festgesetzt haben. Darum heißt in der frühen Kaiserzeit die Küste zu beiden Seiten der Indusmündung um Minnagara Skythien und führt im Binnenlande die westlich von Kandahar gelegene Landschaft der Dranger später den Namen »Sakerland«, Sakastane, das heutige Sedjistan. Diese Einwanderung der Skythen in die Landschaften des baktro-indischen Reiches hat dasselbe wohl eingeschränkt und geschädigt, etwa wie die ersten Wanderungen der Germanen das römische, aber es nicht zerstört; noch unter Vespasian hat ein wahrscheinlich selbständiger baktrischer Staat bestanden.

Unter den Juliern und den Claudiern scheinen dann an der Indusmündung die Parther die Vormacht gewesen zu sein. Ein zuverlässiger Berichterstatter aus augustischer Zeit führt eben jenes Sakastane unter den parthischen Provinzen auf und nennt den König der Saker-Skythen einen Unterkönig der Arsakiden; als letzte parthische Provinz gegen Osten bezeichnet er Arachosien mit der Hauptstadt Alexandropolis, wahrscheinlich Kandahar. Ja bald darauf in vespasianischer Zeit herrschen in Minnagara parthische Fürsten. Indes war dies für das Reich am Indusstrom mehr ein Wechsel der Dynastie als eine eigentliche Annexion an den Staat von Ktesiphon. Der Partherfürst Gondopharos, den die christliche Legende mit dem Apostel der Parther und der Inder, dem heiligen Thomas, verknüpft, hat allerdings von Minnagara aus bis nach Pischawar und Kabul hinauf geherrscht; aber diese Herrscher gebrauchen, wie ihre Vorherrscher im indischen Reich, neben der griechischen die indische Sprache und nennen sich Großkönige wie diejenigen von Ktesiphon; sie scheinen mit den Arsakiden darum nicht weniger rivalisiert zu haben, weil sie demselben Fürstengeschlecht angehörten. – Auf diese parthische Dynastie folgt dann in dem indischen Reich nach kurzer Zwischenzeit die in der indischen Überlieferung als die der Saker oder die des Königs Kanerku oder Kanischka bezeichnete, welche mit dem J. 78 n. Chr. beginnt und wenigstens bis in das 3. Jahrhundert bestanden hat. Sie gehören zu den Skythen, deren Einwanderung früher erwähnt ward und auf ihren Münzen tritt an die Stelle der indischen die skythische Sprache. So haben im Indusgebiet nach den Indern und den Hellenen in den ersten drei Jahrhunderten unserer Zeitrechnung Parther und Skythen das Regiment geführt. Aber auch unter den ausländischen Dynastien hat dort dennoch eine national-indische Staatenbildung sich vollzogen und behauptet und der parthisch-persischen Machtentwicklung im Osten eine nicht minder dauernde Schranke entgegengestellt wie der Römerstaat im Westen.

Gegen Norden und Nordosten grenzte Iran mit Turan. Wie das westliche und südliche Ufer des Kaspischen Meeres und die oberen Täler des Oxos und Jaxartes der Zivilisation eine geeignete Stätte bieten, so gehört die Steppe um den Aralsee und das dahinter sich ausbreitende Flachland von Rechts wegen den schweifenden Leuten. Es sind unter diesen Nomaden wohl einzelne den Iraniern verwandte Völkerschaften gewesen; aber auch diese haben keinen Teil an der iranischen Zivilisation, und es ist das bestimmende Moment für die geschichtliche Stellung Irans, daß es die Vormauer der Kulturvölker bildet gegen diejenigen Horden, die als Skythen, Saken, Hunnen, Mongolen, Türken keine andere weltgeschichtliche Bestimmung zu haben scheinen als die der Kulturvernichtung. Baktra, das große Bollwerk Irans gegen Turan, hat in der nachalexandrischen Epoche unter seinen griechischen Herrschern längere Zeit dieser Abwehr genügt; aber es ist schon erwähnt worden, daß es späterhin zwar nicht unterging, aber das Vordringen der Skythen nach Süden nicht länger zu hindern vermochte. Mit dem Rückgang der baktrischen Macht ging die gleiche Aufgabe über auf die Arsakiden. Wieweit dieselben ihr entsprochen haben, ist schwierig zu sagen. In der ersten Kaiserzeit scheinen die Großkönige von Ktesiphon, wie südlich vom Hindukusch so auch in den nördlichen Landschaften, die Skythen zurückgedrängt oder sich botmäßig gemacht zu haben; einen Teil des baktrischen Gebiets haben sie ihnen wieder entrissen. Aber welche und ob überhaupt dauernde Grenzen hier sich feststellten, ist zweifelhaft. Der Kriege der Parther und der Skythen wird oft gedacht. Die letzteren, hier zunächst die Umwohner des Aralsees, die Vorfahren der heutigen Turkmenen, sind regelmäßig die Angreifenden, indem sie teils zu Wasser über das Kaspische Meer in die Täler des Kyros und des Araxes einfallen, teils von ihrer Steppe aus die reichen Fluren Hyrkaniens und die fruchtbare Oase der Margiana (Merw) ausrauben. Die Grenzgebiete verstanden sich dazu, die willkürliche Brandschatzung mit Tributen abzukaufen, welche regelmäßig in festen Terminen eingefordert wurden, wie heute die Beduinen Syriens von den Bauern daselbst die Kubba erheben. Das parthische Regiment also vermochte wenigstens in der früheren Kaiserzeit so wenig wie das heutige türkische, hier dem friedlichen Untertan die Früchte seiner Arbeit zu sichern und einen dauernden Friedensstand an der Grenze herzustellen. Auch für die Reichsgewalt selbst blieben diese Grenzwirren eine offene Wunde; oftmals haben sie in die Sukzessionskriege der Arsakiden sowie in ihre Streitigkeiten mit Rom eingegriffen.

Wie das Verhältnis der Parther zu den Römern sich gestaltet und die Grenzen der beiden Großmächte sich festgestellt hatten, ist seiner Zeit dargelegt worden. Während die Armenier mit den Parthern rivalisiert hatten und das Königtum am Araxes sich anschickte, in Vorderasien die Großkönigsrolle zu spielen, hatten die Parther im allgemeinen freundliche Beziehungen zu den Römern unterhalten als den Feinden ihrer Feinde. Aber nach der Niederwerfung des Mithradates und des Tigranes hatten die Römer, namentlich durch die von Pompeius getroffenen Organisationen, eine Stellung genommen, die mit ernstlichem und dauerndem Frieden zwischen den beiden Staaten sich schwer vertrug. Im Süden stand Syrien jetzt unter unmittelbarer römischer Herrschaft und die römischen Legionen hielten Wacht an dem Saume der großen Wüste, die das Küstenland vom Euphrattal scheidet. Im Norden waren Kappadokien und Armenien römische Lehnsfürstentümer. Die nordwärts an Armenien grenzenden Völkerschaften, die Kolcher, Iberer, Albaner, waren damit notwendig dem parthischen Einfluß entzogen und wenigstens nach römischer Auffassung ebenfalls römische Lehnstaaten. Das südöstlich an Armenien angrenzende durch den Araxes von ihm getrennte Klein-Medien oder Atropatene (Aderbeidjan) hatte schon den Seleukiden gegenüber unter seiner alteinheimischen Dynastie seine Nationalität behauptet und sogar sich selbständig gemacht; unter den Arsakiden erscheint der König dieser Landschaft je nach Umständen als Lehnsträger der Parther oder als unabhängig von diesen durch Anlehnung an die Römer. Somit reichte der bestimmende Einfluß Roms bis zum Kaukasus und zum westlichen Ufer des Kaspischen Meeres. Es lag hierin ein Übergreifen über die durch die nationalen Verhältnisse angezeigten Grenzen. Das hellenische Volkstum hatte wohl an der Südküste des Schwarzen Meeres und im Binnenland in Kappadokien und Kommagene so weit Fuß gefaßt, daß hier die römische Vormacht an ihm einen Rückhalt fand; aber Armenien ist auch unter der langjährigen römischen Herrschaft immer ein ungriechisches Land geblieben, durch die Gemeinschaft der Sprache und des Glaubens, die zahlreichen Zwischenheiraten der Vornehmen, die gleiche Kleidung und gleiche Bewaffnung an den Partherstaat mit unzerreißbaren Banden geknüpft. Die römische Aushebung und die römische Besteuerung sind nie auf Armenien erstreckt worden; höchstens bestritt das Land die Aufstellung und die Unterhaltung der eigenen Truppen und die Verpflegung der daselbst liegenden römischen. Die armenischen Kaufleute vermittelten den Warentausch über den Kaukasus mit Skythien, über das Kaspische Meer mit Ostasien und China, den Tigris hinab mit Babylonien und Indien, nach Westen hin mit Kappadokien; nichts hätte näher gelegen, als das politisch abhängige Land in das römische Steuer- und Zollgebiet einzuschließen; dennoch ist nie dazu geschritten worden. Die Inkongruenz der nationalen und der politischen Zugehörigkeit Armeniens bildet ein wesentliches Moment in dem durch die ganze Kaiserzeit sich hinziehenden Konflikt mit dem östlichen Nachbar. Man erkannte es wohl auf römischer Seite, daß die Annektierung jenseits des Euphrat ein Übergriff in das Stammgebiet der orientalischen Nationalität und für Rom kein eigentlicher Machtzuwachs war. Der Grund aber oder wenn man will die Entschuldigung dafür, daß diese Übergriffe dennoch sich fortsetzten, liegt darin, daß das Nebeneinanderstehen gleichberechtigter Großstaaten mit dem Wesen der römischen, man darf vielleicht sagen mit der Politik des Altertums überhaupt unvereinbar ist. Das römische Reich kennt als Grenze genau genommen nur das Meer oder das wehrlose Landgebiet. Dem schwächeren, aber doch wehrhaften Staatswesen der Parther gönnten die Römer die Machtstellung nicht und nahmen ihm, worauf diese wieder nicht verzichten konnten; und darum ist das Verhältnis zwischen Rom und Iran durch die ganze Kaiserzeit eine nur durch Waffenstillstände unterbrochene ewige Fehde um das linke Ufer des Euphrat.

In den von Lucullus und Pompeius mit den Parthern abgeschlossenen Verträgen war die Euphratgrenze anerkannt, also Mesopotamien ihnen zugestanden worden. Aber dies hinderte die Römer nicht, die Herrscher von Edessa in ihre Klientel aufzunehmen und, wie es scheint, durch Erstreckung der Grenzen Armeniens gegen Süden, einen großen Teil des nördlichen Mesopotamien wenigstens für ihre mittelbare Herrschaft in Anspruch zu nehmen. Deswegen hatte nach einigem Zaudern die parthische Regierung den Krieg gegen die Römer in der Form begonnen, daß sie ihn den Armeniern erklärte. Die Antwort darauf war der Feldzug des Crassus und nach der Niederlage bei Karrhä die Zurückführung Armeniens unter parthische Gewalt; man kann hinzusetzen die Wiederaufnahme der Ansprüche auf die westliche Hälfte des Seleukidenstaates, deren Durchführung freilich damals mißlang. Während des ganzen zwanzigjährigen Bürgerkrieges, in dem die römische Republik zugrunde ging und schließlich der Prinzipat sich feststellte, dauerte der Kriegsstand zwischen Römern und Parthern, und nicht selten griffen beide Kämpfe ineinander ein. Pompeius hatte vor der Entscheidungsschlacht versucht, den König Orodes als Verbündeten zu gewinnen; aber als dieser die Abtretung Syriens forderte, vermochte er es nicht über sich, die durch ihn selbst römisch gewordene Provinz auszuliefern. Nach der Katastrophe hatte er dennoch sich dazu entschlossen; aber Zufälligkeiten lenkten seine Flucht statt nach Syrien vielmehr nach Ägypten, wo er dann sein Ende fand. Die Parther schienen im Begriff abermals in Syrien einzubrechen; und die späteren Führer der Republikaner verschmähten den Beistand der Landesfeinde nicht. Noch bei Cäsars Lebzeiten hatte Cäcilius Bassus, als er die Fahnen des Aufstandes in Syrien erhob, sofort die Parther herbeigerufen. Sie waren diesem Ruf auch gefolgt; des Orodes Sohn Pakoros hatte den Statthalter Cäsars geschlagen und die von ihm in Apameia belagerte Truppe des Bassus befreit (709). Sowohl aus diesem Grunde wie um für Karrhä Revanche zu nehmen, hatte Cäsar beschlossen, im nächsten Frühling persönlich nach Syrien und über den Euphrat zu gehen; aber die Ausführung dieses Planes verhinderte sein Tod. Als dann Cassius in Syrien rüstete, knüpfte er auch mit dem Partherkönig an und in der Entscheidungsschlacht bei Philippi (712) haben parthische berittene Schützen mit für die Freiheit Roms gestritten. Da die Republikaner unterlagen, verhielt der Großkönig zunächst sich ruhig, und auch Antonius hatte wohl die Absicht, des Diktators Pläne auszuführen, aber zunächst mit der Ordnung des Orients genug zu tun. Der Zusammenstoß konnte nicht ausbleiben; der Angreifende war diesmal der Partherkönig. Als im J. 713 Cäsar der Sohn in Italien mit den Feldherren und der Gemahlin des Antonius schlug und dieser in Ägypten bei der Königin Kleopatra untätig verweilte, entsprach Orodes dem Drängen eines bei ihm im Exil lebenden Römers, des Quintus Labienus und sandte diesen, einen Sohn des erbitterten Gegners des Diktators Titus Labienus und ehemaligen Offizier im Heere des Brutus, sowie (713) seinen Sohn Pakoros mit einer starken Armee über die Grenze. Der Statthalter Syriens Decidius Saxa unterlag dem unvermuteten Angriff; die römischen Besatzungen, großenteils gebildet aus alten Soldaten der republikanischen Armee, stellten sich unter den Befehl ihres früheren Offiziers; Apameia und Antiocheia, überhaupt alle Städte Syriens mit Ausnahme der ohne Flotte nicht zu bezwingenden Inselstadt Tyros, unterwarfen sich; auf der Flucht nach Kilikien gab sich Saxa, um nicht gefangen zu werden, selber den Tod. Nach der Einnahme Syriens wandte sich Pakoros gegen Palästina, Labienus nach der Provinz Asia; auch hier unterwarfen sich weithin die Städte oder wurden mit Gewalt bezwungen mit Ausnahme des karischen Stratonikeia. Antonius, durch die italischen Verwicklungen in Anspruch genommen, sandte seinen Statthaltern keinen Sukkurs und fast zwei Jahre (Ende 713 bis Frühjahr 715) geboten in Syrien und einem großen Teil Kleinasiens die parthischen Feldherren und der republikanische Imperator Labienus – der Parthiker, wie er mit schamloser Ironie sich nannte, nicht der Römer, der die Parther, sondern der Römer, der mit den Parthern die Seinigen überwand. Erst nachdem der drohende Bruch zwischen den beiden Machthabern abgewandt war, sandte Antonius ein neues Heer unter Führung des Publius Ventidius Bassus, dem er das Kommando in den Provinzen Asia und Syrien übergab. Der tüchtige Feldherr traf in Asia den Labienus allein mit seinen römischen Truppen und schlug ihn rasch aus der Provinz hinaus. An der Scheide von Asia und Kilikien, in den Pässen des Taurus, wollte eine Abteilung der Parther die fliehenden Verbündeten aufnehmen; aber auch sie wurden geschlagen, bevor sie sich mit Labienus vereinigen konnten, und darauf dieser auf der Flucht in Kilikien aufgegriffen und getötet. Mit gleichem Glück erstritt Ventidius die Pässe des Amanos an der Grenze von Kilikien und Syrien; hier fiel Pharnapates, der beste der parthischen Generale (715). Damit war Syrien vom Feinde befreit. Allerdings überschritt den Jahre darauf Pakoros noch einmal den Euphrat, aber um in einem entscheidenden Treffen bei Gindaros nordöstlich von Antiocheia (9. Juni 716) mit dem größten Teil seines Heeres den Untergang zu finden. Es war ein Sieg, der den Tag bei Karrhä einigermaßen aufwog, und von dauernder Wirkung: auf lange hinaus haben die Parther nicht wieder ihre Truppen am römischen Ufer des Euphrat gezeigt.

Wenn es im Interesse Roms lag, die Eroberungen gegen Osten auszudehnen und die Erbschaft des großen Alexander hier in ihrem vollen Umfang anzutreten, so lagen dafür die Verhältnisse nie günstiger als im J. 716. Die Beziehungen der Zweiherrscher zueinander hatten zur rechten Zeit dafür sich neu befestigt und auch Cäsar wünschte damals wahrscheinlich aufrichtig eine ernstliche und glückliche Kriegführung seines Herrschaftsgenossen und neuen Schwagers. Die Katastrophe von Gindaros hatte bei den Parthern eine schwere dynastische Krise hervorgerufen. König Orodes legte, tief erschüttert durch den Tod seines ältesten und tüchtigsten Sohnes, das Regiment zugunsten seines zweitgeborenen, Phraates, nieder. Dieser führte, um sich den Thron besser zu sichern, ein Regiment des Schreckens, dem seine zahlreichen Brüder und der alte Vater selbst sowie eine Anzahl der hohen Adligen des Reiches zum Opfer fielen; andere derselben traten aus und suchten Schutz bei den Römern, unter ihnen der mächtige und angesehene Monäses. Nie hat Rom im Orient ein Heer von gleicher Zahl und Tüchtigkeit gehabt wie in dieser Zeit: Antonius vermochte nicht weniger als 16 Legionen, gegen 70 000 Mann römischer Infanterie, gegen 40 000 der Hilfsvölker, 10 000 pansische und gallische, 6000 armenische Reiter über den Euphrat zu führen; wenigstens die Hälfte derselben waren altgediente aus dem Westen herangeführte Truppen, alle bereit, ihrem geliebten und verehrten Führer, dem Sieger von Philippi wo immer hin zu folgen und die glänzenden Siege, die nicht durch, aber für ihn über die Parther bereits erfochten waren, unter seiner eigenen Führung mit noch größeren Erfolgen zu krönen.

In der Tat faßte Antonius die Aufrichtung eines asiatischen Großkönigtums nach dem Muster Alexanders ins Auge. Wie Crassus vor seinem Einrücken verkündigt hatte, daß er die römische Herrschaft bis nach Baktrien und Indien ausdehnen werde, so nannte Antonius den ersten Sohn, den die ägyptische Königin ihm gebar, mit dem Namen Alexanders. Er scheint geradezu beabsichtigt zu haben, einerseits mit Anschluß der vollständig hellenisierten Provinzen Bithynien und Asia das gesamte Reichsgebiet im Osten, soweit es nicht schon unter abhängigen Kleinfürsten stand, in diese Form zu bringen, andererseits alle einstmals von den Okzidentalen besetzten Landschaften des Ostens in Form von Satrapien sich untertänig zu machen. Von dem östlichen Kleinasien wurde der größte Teil und der militärische Primat dem streitbarsten der dortigen Fürsten, dem Galater Amyntas, zugewiesen. Neben dem galatischen standen die Fürsten von Paphlagonien, die von Galatien verdrängten Nachkommen des Deiotarus; Polemon, der neue Fürst im Pontos und der Gemahl der Enkelin des Antonius Pythodoris; ferner wie bisher die Könige von Kappadokien und Kommagene. Einen großen Teil Kilikiens und Syriens sowie Kypros und Kyrene vereinigte Antonius mit dem ägyptischen Staat, dem er also fast die Grenzen wiedergab, wie sie unter den Ptolemäern gewesen waren, und wie er die Buhle Cäsars, die Königin Kleopatra, zu der seinigen oder vielmehr zu seiner Gattin gemacht hatte, so erhielt ihr Bastard von Cäsar Cäsarion, schon früher anerkannt als Mitherrscher in Ägypten, die Anwartschaft auf das alte Ptolemäerreich, die auf Syrien ihr Bastard von Antonius Ptolemäos Philadelphos. Einem anderen Sohn, den sie dem Antonius geboren hatte, dem schon erwähnten Alexander ward für jetzt Armenien zugeteilt als Abschlagzahlung auf die ihm weiter zugedachte Herrschaft des Ostens. Mit diesem nach orientalischer Art geordneten Großkönigtum dachte er den Prinzipat über den Okzident zu vereinigen. Er selbst hat nicht den Königsnamen angenommen, vielmehr seinen Landsleuten und den Soldaten gegenüber nur diejenigen Titel geführt, die auch Cäsar zukamen. Aber auf Reichsmünzen mit lateinischer Aufschrift heißt Kleopatra Königin der Könige, ihre Söhne von Antonius wenigstens Könige; den Kopf seines ältesten Sohnes zeigen die Münzen neben dem des Vaters, als verstände die Erblichkeit sich von selbst; die Ehe und die Erbfolge der echten und der Bastardkinder wird von ihm behandelt, wie es bei den Großkönigen des Ostens Gebrauch ist oder, wie er selbst sagte, mit der göttlichen Freiheit seines Ahnherrn Herakles; jenen Alexander und dessen Zwillingsschwester Kleopatra nannte er den ersteren Helios, die letztere Selene nach dem Muster eben dieser Großkönige, und wie einst der Perserkönig dem flüchtigen Themistokles eine Anzahl asiatischer Städte, so schenkte er dem zu ihm übergetretenen Parther Monäses drei Städte Syriens. Auch in Alexander gingen der König der Makedonier und der König der Könige des Ostens einigermaßen nebeneinander her, und auch ihm war für das Lagerzelt von Gaugamela das Brautbett in Susa der Lohn; aber seine römische Kopie zeigt in ihrer Genauigkeit ein starkes Element der Karikatur.

Ob Antonius gleich bei der Übernahme des Regiments im Osten seine Stellung in dieser Weise aufgefaßt, ist nicht zu entscheiden; vermutlich ist die Schaffung eines neuen orientalischen Großkönigtums in Verbindung mit dem okzidentalischen Prinzipat allmählich in ihm gereift und der Gedanke erst völlig zu Ende gedacht worden, nachdem er im J. 717 bei seiner Rückkehr aus Italien nach Asien abermals das Verhältnis mit der letzten Königin des Lagidenhauses angeknüpft hatte, um es nicht wieder zu zerreißen. Aber sein Naturell war solchem Unterfangen nicht gewachsen. Eine jener militärischen Kapazitäten, die dem Feind gegenüber und besonders in schwieriger Lage besonnen und kühn zu schlagen wissen, fehlte ihm der staatsmännische Wille, das sichere Erfassen und entschlossene Verfolgen des politischen Ziels. Hätte der Diktator Cäsar ihm die Unterwerfung des Ostens zur Aufgabe gestellt, so würde er sie wohl gelöst haben; zum Herrscher taugte der Marschall nicht. Nach der Vertreibung der Parther aus Syrien verstrichen fast zwei Jahre (Sommer 716 bis Sommer 718), ohne daß irgendein Schritt zum Ziele getan ward. Antonius selbst, auch darin untergeordnet, daß er seinen Generalen bedeutende Erfolge ungern gönnte, hatte den Besieger des Labienus und des Pakoros, den tüchtigen Ventidius sofort nach diesem letzten Erfolg entfernt und selbst den Oberbefehl übernommen, um die armselige Ehre der Einnahme Samosatas, der Hauptstadt des kleinen syrischen Dependenzstaates Kommagene, zu verfolgen und zu verfehlen; ärgerlich darüber verließ er den Osten, um in Italien mit seinem Schwager über die künftige Ordnung zu verhandeln oder mit seiner jungen Gattin Octavia sich des Lebens zu freuen. Seine Statthalter im Osten waren nicht untätig. Publius Canidius Crassus ging von Armenien aus gegen den Kaukasus vor und unterwarf daselbst den König der Iberer Pharnabazos und den der Albaner Zober. Gaius Sossius nahm in Syrien die letzte noch zu den Parthern haltende Stadt Arados; er stellte ferner in Judäa die Herrschaft des Herodes wieder her und ließ den von den Parthern eingesetzten Thronprätendenten, den Hasmonäer Antigonos hinrichten. Die Konsequenzen des Sieges auf römischem Gebiet wurden also gezogen und bis zum Kaspischen Meer und der syrischen Wüste die römische Herrschaft zur Anerkennung gebracht. Aber die Kriegführung gegen die Parther zu beginnen hatte sich Antonius selbst vorbehalten, und er kam nicht. Als er endlich im J. 718 sich nicht Octavias, sondern Kleopatras Armen entwand und die Heersäulen in Marsch setzte, war bereits ein guter Teil der geeigneten Jahreszeit verstrichen. Noch, viel auffallender als die Säumnis ist die Richtung, welche Antonius wählte. Früher und später haben alle Angriffskriege der Römer gegen die Parther den Weg auf Ktesiphon eingeschlagen, die Hauptstadt des Reiches und zugleich an dessen Westgrenze gelegen, also für die am Euphrat oder am Tigris hinabmarschierenden Heere das natürliche und nächste Operationsziel. Auch Antonius konnte, nachdem er durch das nördliche Mesopotamien ungefähr auf dem Wege, den Alexander beschritten hatte, an den Tigris gelangt war, am Fluß hinab auf Ktesiphon und Seleukeia vorrücken. Aber statt dessen ging er vielmehr in nördlicher Richtung zunächst nach Armenien und von da, wo er seine gesamten Streitkräfte vereinigte und namentlich durch die armenische Reiterei sich verstärkte, in die Hochebene von Media Atropatene (Aderbeidjân). Der verbündete König von Armenien mag diesen Feldzugsplan wohl empfohlen haben, da die armenischen Herrscher zu allen Zeiten nach dem Besitz dieses Nachbarlandes strebten und König Artavazdes von Armenien hoffen mochte den gleichnamigen Satrapen von Atropatene jetzt zu bewältigen und dessen Gebiet zu dem seinigen zu fügen. Aber Antonius selbst ist durch solche Rücksichten unmöglich bestimmt worden. Eher mochte er meinen von Atropatene aus in das Herz des feindlichen Landes vordringen zu können und die alten persischen Residenzen Ekbatana und Rhagä als Marschziel betrachten. Aber wenn er dies plante, handelte er ohne Kenntnis des schwierigen Terrains und unterschätzte durchaus die Widerstandskraft des Gegners, wobei die kurze für Operationen in diesem Gebirgsland verfügbare Zeit und der späte Beginn des Feldzugs schwer in die Waagschale fielen. Da ein geschickter und erfahrener Offizier, wie Antonius war, sich darüber schwerlich hat täuschen können, so haben wahrscheinlich besondere politische Erwägungen hier eingewirkt. Phraates Herrschaft wankte, wie gesagt ward; Monäses, von dessen Treue Antonius sich versichert hielt und den er vielleicht an Phraates Stelle zu setzen hoffte, war dem Wunsche des Partherkönigs gemäß in sein Vaterland zurückgekehrt; Antonius scheint auf eine Schilderhebung desselben gegen Phraates gezählt und in Erwartung dieses Bürgerkrieges seine Armee in die inneren parthischen Provinzen geführt zu haben. Es wäre wohl möglich gewesen in dem befreundeten Armenien den Erfolg dieses Anschlags abzuwarten, und wenn danach weitere Operationen erforderlich waren, im folgenden Jahre wenigstens über die volle Sommerzeit zu verfügen; aber dies Zuwarten mißfiel dem hastigen Feldherrn. In Atropatene traf er nicht bloß auf den hartnäckigen Widerstand des mächtigen und halb unabhängigen Unterkönigs, der in seiner Hauptstadt Praaspa oder Phraarta (südlich vom Urmia-See, vermutlich am oberen Lauf des Djaghatu) entschlossen die Belagerung aushielt, sondern der feindliche Angriff brachte auch den Parthern, wie es scheint, den inneren Frieden. Phraates führte ein stattliches Heer zum Entsatz der angegriffenen Stadt heran. Antonius hatte einen großen Belagerungspark mitgeführt, aber ungeduldig vorwärts eilend diesen in der Obhut von zwei Legionen unter dem Legaten Oppius Statianus zurückgelassen. So kam er seinerseits mit der Belagerung nicht vorwärts; König Phraates aber sandte unter eben jenem Monäses seine Reitermassen in den Rücken der Feinde gegen das mühsam nachrückende Korps des Statianus. Die Parther hieben die Deckungsmannschaft nieder, darunter den Feldherrn selbst, nahmen den Rest gefangen und vernichteten den gesamten Park von 300 Wagen. Damit war der Feldzug verloren. Der Armenier, an dem Erfolge des Feldzugs verzweifelnd, nahm seine Leute zusammen und ging heim. Antonius gab nicht sofort die Belagerung auf und schlug sogar das königliche Heer in offener Feldschlacht, aber die flinken Reiter entrannen ohne wesentlichen Verlust und es war ein Sieg ohne Wirkung. Ein Versuch, von dem König wenigstens die Rückgabe der alten und der neu verlorenen Adler zu erlangen und also wenn nicht mit Vorteil, doch mit Ehren zu schließen, schlug fehl; so leichten Kaufes gab der Parther den sicheren Erfolg nicht aus der Hand. Er versicherte nur den Abgesandten des Antonius, daß, wenn die Römer die Belagerung aufheben würden, er sie auf der Heimkehr nicht belästigen werde. Diese weder ehrenvolle noch zuverlässige feindliche Zusage wird Antonius schwerlich zum Aufbruch bestimmt haben. Es lag nahe, in Feindesland Winterquartier zu nehmen, zumal da die parthischen Truppen dauernden Kriegsdienst nicht kannten und voraussichtlich beim Einbrechen des Winters die meisten Mannschaften heimgegangen sein würden. Aber es fehlte ein fester Stützpunkt und die Zufuhr in dem ausgesogenen Land war nicht gesichert, vor allen Dingen Antonius selbst einer solchen zähen Kriegführung nicht fähig. Also gab er die Maschinen preis, die die Belagerten sofort verbrannten und trat den schweren Rückweg an, entweder zu früh oder zu spät. Fünfzehn Tagemärsche (300 röm. Meilen) durch feindliches Land trennten das Heer von dem Araxes, dem Grenzfluß Armeniens, wohin trotz der zweideutigen Haltung des Herrschers allein der Rückzug gerichtet werden konnte. Ein feindliches Heer von 40 000 Berittenen gab trotz der gegebenen Zusage den Abziehenden das Geleit und mit dem Abmarsch der Armenier hatten die Römer den besten Teil ihrer Reiterei verloren. Die Lebensmittel und die Zugtiere waren knapp, die Jahreszeit weit vorgerückt. Aber Antonius fand in der gefährlichen Lage seine Kraft und seine Kriegskunst wieder, einigermaßen auch sein Kriegsglück; er hatte gewählt, und der Feldherr wie die Truppen lösten die Aufgabe in rühmlicher Weise. Hätten sie nicht einen ehemaligen Soldaten des Crassus bei sich gehabt, der, zum Parther geworden, Weg und Steg auf das genaueste kannte und sie statt durch die Ebene, auf der sie gekommen waren, auf Gebirgswegen zurückführte, die den Reiterangriffen weniger ausgesetzt waren – wie es scheint über die Berge um Tabriz –, so würde das Heer schwerlich an das Ziel gelangt sein; und hätte nicht Monäses, in seiner Art dem Antonius die Dankesschuld abtragend, ihn rechtzeitig von den falschen Zusicherungen und den hinterlistigen Anschlägen seiner Landsleute in Kenntnis gesetzt, so wären die Römer wohl in einen der Hinterhalte gefallen, die ihnen mehrfach gelegt wurden. Antonius Soldatennatur trat in diesen schweren Tagen oftmals glänzend hervor, in seiner geschickten Benutzung jedes günstigen Moments, in seiner Strenge gegen die Feigen, in seiner Macht über die Soldatengemüter, in seiner treuen Fürsorge für die Verwundeten und die Kranken. Dennoch war die Rettung fast ein Wunder; schon hatte Antonius einen treuen Leibdiener angewiesen, im äußersten Fall ihn nicht lebend in die Hände der Feinde fallen zu lassen. Unter stetigen Angriffen des tückischen Feindes, in winterlich kalter Witterung, bald ohne genügende Nahrung und oft ohne Wasser erreichten sie in siebenundzwanzig Tagen die schützende Grenze, wo der Feind von ihnen abließ. Der Verlust war ungeheuer; man rechnete auf jene siebenundzwanzig Tage achtzehn größere Treffen und in einem einzigen derselben zählten die Römer 3000 Tote und 5000 Verwundete. Es waren eben die besten und bravsten, die die stetigen Nachhuts- und Flankengefechte hinrafften. Das ganze Gepäck, ein Drittel des Trosses, ein Viertel der Armee, 20 000 Fußsoldaten und 4000 Reiter waren auf diesem medischen Feldzug zugrunde gegangen, zum großen Teil nicht durch das Schwert, sondern durch Hunger und Seuchen. Auch am Araxes waren die Leiden der unglücklichen Truppen noch nicht zu Ende. Artavazdes nahm sie als Freund auf und hatte auch keine andere Wahl; es wäre wohl möglich gewesen, hier zu überwintern. Aber die Ungeduld des Antonius litt dies nicht; der Marsch ging weiter, und bei der immer rauher werdenden Jahreszeit und dem Gesundheitszustand der Soldaten kostete dieser letzte Abschnitt der Expedition vom Araxes bis nach Antiocheia, obwohl kein Feind ihn behinderte, noch weitere 8000 Mann. Wohl ist dieser Feldzug ein letztes Aufleuchten dessen, was in Antonius Charakter brav und tüchtig war, aber politisch seine Katastrophe, um so mehr, als gleichzeitig Cäsar durch die glückliche Beendigung des sizilischen Krieges die Herrschaft im Okzident und das Vertrauen Italiens für jetzt und alle Zukunft gewann. Die Verantwortung für den Mißerfolg, den zu verleugnen er vergeblich versuchte, warf Antonius auf die abhängigen Könige von Kappadokien und Armenien, auf den letzteren insofern mit Recht, als dessen vorzeitiger Abmarsch von Praaspa die Gefahren und die Verluste des Rückzugs wesentlich gesteigert hatte. Aber für den Feldzugsplan trug nicht er die Verantwortung, sondern Antonius; und das Fehlschlagen der auf Monäses gesetzten Hoffnungen, die Katastrophe des Statianus, das Scheitern der Belagerung von Praaspa sind nicht durch den Armenier herbeigeführt worden. Die Unterwerfung des Ostens gab Antonius nicht auf, sondern brach im nächsten Jahre (719) abermals aus Ägypten auf. Die Verhältnisse lagen auch jetzt noch verhältnismäßig günstig. Mit dem medischen König Artavazdes wurde ein Freundschaftsbündnis angeknüpft; derselbe war nicht bloß mit dem parthischen Oberherrn in Streit geraten, sondern grollte auch vor allem dem armenischen Nachbar und durfte bei der wohlbekannten Erbitterung des Antonius gegen diesen darauf rechnen, an dem Feind seines Feindes eine Stütze zu finden. Alles kam an auf das feste Einvernehmen der beiden Machthaber, des sieggekrönten Herrn des Westens und des geschlagenen Herrschers im Osten; und auf die Kunde hin, daß Antonius die Fortführung des Krieges beabsichtige, begab sich seine rechtmäßige Gattin, die Schwester Cäsars von Italien nach dem Osten, um ihm neue Mannschaften zuzuführen und das Verhältnis zu ihr und zu dem Bruder neu zu befestigen. Wenn Octavia groß genug dachte, trotz des Verhältnisses mit der ägyptischen Königin dem Gatten die Hand zur Versöhnung zu bieten, so muß auch Cäsar, wie dies weiter die eben jetzt erfolgende Eröffnung des Krieges an der italischen Nordostgrenze bestätigt, damals noch bereit gewesen sein, das bestehende Verhältnis aufrechtzuerhalten. Beide Geschwister ordneten ihre persönlichen Interessen denen des Gemeinwesens in hochherziger Weise unter. Aber wie laut das Interesse wie die Ehre dafür sprachen, die hingereichte Hand anzunehmen, Antonius konnte es nicht über sich gewinnen, das Verhältnis zu der Ägyptierin zu lösen; er wies die Gattin zurück, und dies war zugleich der Bruch mit deren Bruder, und, wie man hinzusetzen kann, der Verzicht auf die Fortführung des Krieges gegen die Parther. Nun mußte, ehe daran gedacht werden konnte, die Herrschaftsfrage zwischen Antonius und Cäsar erledigt werden. Antonius ging denn auch sofort aus Syrien nach Ägypten zurück und unternahm in den folgenden Jahren nichts weiteres zur Ausführung seiner orientalischen Eroberungspläne; nur strafte er die, denen er die Schuld des Mißerfolges beimaß. Den König von Kappadokien Ariarathes ließ er hinrichten und gab das Königreich einem illegitimen Verwandten desselben, dem Archelaos. Das gleiche Schicksal war dem Armenier zugedacht. Wenn Antonius, wie er sagte, zur Fortführung des Krieges im J. 720 (34 v. Chr.) in Armenien erschien, so hatte dies nur den Zweck, die Person des Königs, der sich geweigert hatte, nach Ägypten zu gehen, in die Gewalt zu bekommen. Dieser Akt der Rache wurde auf nichtswürdige Weise im Wege der Überlistung ausgeführt und in nicht minder nichtswürdiger Weise durch eine in Alexandreia aufgeführte Karikatur des kapitolinischen Triumphes gefeiert. Damals wurde der zum Herrn des Ostens bestimmte Sohn des Antonius, wie früher angegeben ward, als König von Armenien eingesetzt und mit der Tochter des neuen Bundesgenossen, des Königs von Medien vermählt, während der älteste Sohn des gefangenen und einige Zeit später auf Geheiß der Kleopatra hingerichteten Königs von Armenien, Artaxes, den die Armenier anstatt des Vaters zum König ausgerufen hatten, landflüchtig zu den Parthern ging. Armenia und Media Atropatene waren hiermit in Antonius‘ Gewalt oder ihm verbündet; die Fortführung des parthischen Krieges wurde wohl angekündigt, blieb aber verschoben bis nach der Überwindung des westlichen Rivalen. Phraates seinerseits ging gegen Medien vor, anfangs ohne Erfolg, da die in Armenien stehenden römischen Truppen den Medern Beistand leisteten; aber als im Verlauf der Rüstungen gegen Cäsar Antonius seine Mannschaften von dort abrief, gewannen die Parther die Oberhand, überwanden die Meder und setzten in Medien sowie auch in Armenien den König Artaxes ein, der, um die Hinrichtung des Vaters zu vergelten, sämtliche im Lande zerstreute Römer greifen und töten ließ. Daß Phraates die große Fehde zwischen Antonius und Cäsar, während sie vorbereitet und ausgefochten ward, nicht voller ausnutzte, wurde wahrscheinlich wieder einmal durch die im eigenen Lande ausbrechenden Unruhen verhindert. Diese endigten damit, daß er ausgetrieben ward und zu den Skythen des Ostens ging; an seiner Stelle wurde Tiridates als Großkönig ausgerufen. Als die entscheidende Seeschlacht an der Küste von Epirus geschlagen ward und dann in Ägypten die Katastrophe des Antonius sich vollzog, saß in Ktesiphon dieser neue Großkönig auf dem schwankenden Thron und schickten an der entgegengesetzten Reichsgrenze die Scharen Turans sich an, den früheren Herrscher wieder an seine Stelle zu setzen, was ihnen bald darauf auch gelang.

Der kluge und klare Mann, dem die Liquidation der Unternehmungen des Antonius und die Feststellung des Verhältnisses der beiden Reichsteile zufiel, bedurfte ebensosehr der Mäßigung wie der Energie. Es würde der schwerste Fehler gewesen sein, in Antonius‘ Gedanken eingehend den Orient oder auch nur im Orient weiter zu erobern. Augustus erkannte dies; seine militärischen Ordnungen zeigen deutlich, daß er zwar den Besitz der syrischen Küste wie den der ägyptischen als ein unentbehrliches Komplement für das Reich des Mittelmeers betrachtete, aber auf binnenländischen Besitz daselbst keinen Wert legte. Indes Armenien war nun einmal seit einem Menschenalter römisch und konnte, nach Lage der Verhältnisse, nur römisch oder parthisch sein; die Landschaft war durch ihre Lage militärisch für jede der Großmächte ein Ausfallstor in das Gebiet der andern. Augustus dachte auch nicht daran, auf Armenien zu verzichten und es den Parthern zu überlassen; und wie die Dinge lagen, durfte er schwerlich daran denken. Wenn aber Armenien festgehalten ward, konnte man dabei nicht stehenbleiben; die örtlichen Verhältnisse nötigten die Römer weiter, das Stromgebiet des Kyros, die Landschaften der Iberer an seinem oberen, der Albaner an seinem unteren Lauf, das heißt die als Reiter wie zu Fuß kampftüchtigen Bewohner des heutigen Georgien und Schirwân, unter ihren maßgebenden Einfluß zu bringen, das parthische Machtgebiet nicht nördlich vom Araxes über Atropatene hinaus sich erstrecken zu lassen. Schon die Expedition des Pompeius hatte gezeigt, daß die Festsetzung in Armenien die Römer notwendig einerseits bis an den Kaukasus, andrerseits bis an das Westufer des Kaspischen Meeres führte. Die Ansätze waren überall da. Antonius‘ Legaten hatten mit den Iberern und den Albanern gefochten. Polemon, von Augustus in seiner Stellung bestätigt, herrschte nicht bloß über die Küste von Pharnakeia bis Trapezunt, sondern auch über das Gebiet der Kolcher an der Phasismündung. Zu dieser allgemeinen Sachlage kamen die besonderen Verhältnisse des Augenblicks, welche es dem neuen Alleinherrscher Rom in dringendster Weise nahelegten, das Schwert den Orientalen gegenüber nicht bloß zu zeigen, sondern auch zu ziehen. Daß König Artaxes, wie einst Mithradates, sämtliche Römer innerhalb seiner Grenzen umzubringen befohlen hatte, konnte nicht unvergolten bleiben. Auch der landflüchtige König von Medien hatte Hilfe jetzt bei Augustus gesucht, wie er sie sonst bei Antonius gesucht haben würde. Der Bürger- und Prätendentenkrieg im parthischen Reiche erleichterte nicht bloß den Angriff, sondern der vertriebene Herrscher Tiridates suchte gleichfalls Schutz bei Augustus und erklärte sich bereit, als römischer Vasall das Reich von Augustus zu Lehen zu nehmen. Die Rückgabe der bei den Niederlagen des Crassus und der Antonianer in die Gewalt der Parther geratenen Römer und der verlorenen Adler mochte an sich dem Herrscher der Kriegführung nicht wert erscheinen; fallen lassen konnte der Wiederhersteller des römischen Staates diese militärische und politische Ehrenfrage nicht. Mit diesen Tatsachen mußte der römische Staatsmann rechnen; bei der Stellung, die Augustus im Orient nahm, war die Politik der Aktion überhaupt und durch die vorhergegangenen Mißerfolge doppelt geboten. Ohne Zweifel war es wünschenswert, die Ordnung der Dinge in Rom bald vorzunehmen; aber eine zwingende Nötigung, dies sofort zu tun, bestand für den unbestrittenen Alleinherrscher nicht. Er befand sich nach den entscheidenden Schlägen von Aktion und Alexandreia an Ort und Stelle und an der Spitze eines starken und siegreichen Heeres; was einmal geschehen mußte, geschah am besten gleich. Ein Herrscher vom Schlage Cäsars wäre schwerlich nach Rom zurückgegangen, ohne in Armenien die Schutzherrschaft hergestellt, die römische Suprematie bis zum Kaukasus und zum Kaspischen Meere zur Anerkennung gebracht und mit dem Parther abgerechnet zu haben. Ein Herrscher von Umsicht und Tatkraft hätte die Grenzverteidigung im Osten gleich jetzt geordnet, wie die Verhältnisse es erforderten; es war von vornherein klar, daß die vier syrischen Legionen von zusammen 40 000 Mann nicht genügten, um die Interessen Roms zugleich am Euphrat, am Araxes und am Kyros zu wahren und daß die Milizen der abhängigen Königreiche den Mangel der Reichstruppen nur verdeckten, nicht deckten. Armenien hielt durch politische und nationale Sympathie mehr zu den Parthern als zu den Römern; die Könige von Kommagene, Kappadokien, Galatien, Pontus neigten wohl umgekehrt mehr nach der römischen Seite, aber sie waren unzuverlässig und schwach. Auch die maßhaltende Politik bedurfte zu ihrer Begründung eines energischen Schwertschlages, zu ihrer Aufrechthaltung des nahen Arms einer überlegenen römischen Militärmacht.

Augustus hat weder geschlagen noch geschirmt; gewiß nicht, weil er über die Sachlage sich täuschte, sondern weil es in seiner Art lag, das als notwendig Erkannte zögernd und schwächlich durchzuführen und die Rücksichten der inneren Politik auf das Verhältnis zum Ausland mehr als billig einwirken zu lassen. Das Unzulängliche des Grenzschutzes durch die kleinasiatischen Klientelstaaten hat er wohl eingesehen; es gehört in diesen Zusammenhang, daß er schon im J. 729 (25 v. Chr.) nach dem Tode des Königs Amyntas, des Herrn im ganzen inneren Kleinasien, diesem keinen Nachfolger gab, sondern das Land einem kaiserlichen Legaten unterstellte. Vermutlich sollten auch die benachbarten bedeutenderen Klientelstaaten, namentlich Kappadokien in gleicher Weise nach dem Ableben der derzeitigen Inhaber in kaiserliche Statthalterschaften verwandelt werden. Dies war ein Fortschritt, insofern die Milizen dieser Landschaften damit der Reichsarmee inkorporiert und unter römische Offiziere gestellt wurden; einen ernstlichen Druck auf die unsicheren Grenzlandschaften oder gar auf den benachbarten Großstaat konnten diese Truppen nicht ausüben, wenn sie auch jetzt zu denen des Reiches zählte. Aber alle diese Erwägungen wurden überwogen durch die Rücksicht auf die Herabdrückung der Ziffer des stehenden Heeres und der Ausgabe für das Heerwesen auf das möglichst niedrige Maß.

Ebenso ungenügend waren den augenblicklichen Verhältnissen gegenüber die auf der Heimkehr von Alexandreia von Augustus getroffenen Maßregeln. Er gab dem vertriebenen König der Meder die Herrschaft von Kleinarmenien und dem parthischen Prätendenten Tiridates ein Asyl in Syrien, um durch jenen den in offener Feindseligkeit gegen Rom verharrenden König Artaxes in Schach zu halten, durch diesen auf den König Phraates zu drücken. Die mit diesem wegen der Rückgabe der parthischen Siegestrophäen angeknüpften Verhandlungen zogen sich ergebnislos hin, obwohl Phraates im J. 731 (23 v. Chr.), um die Entlassung eines zufällig in die Gewalt der Römer geratenen Sohnes zu erlangen, die Rückgabe zugesichert hatte.

Erst als Augustus im J. 734 (20 v. Chr.) sich persönlich nach Syrien begab und Ernst zeigte, fügten sich die Orientalen. In Armenien, wo eine mächtige Partei sich gegen den König Artaxes erhoben hatte, warfen sich die Insurgenten den Römern in die Arme und erbaten für des Artaxes jüngeren am kaiserlichen Hof erzogenen und in Rom lebenden Bruder Tigranes die kaiserliche Belehnung. Als des Kaisers Stiefsohn Tiberius Claudius Nero, damals ein 22jähriger Jüngling, mit Heeresmacht in Armenien einrückte, wurde König Artaxes von seinen eigenen Verwandten ermordet und Tigranes empfing die königliche Tiara aus der Hand des kaiserlichen Vertreters, wie sie fünfzig Jahre früher sein gleichnamiger Großvater von Pompeius empfangen hatte. Atropatene wurde wieder von Armenien getrennt und kam unter die Herrschaft eines ebenfalls in Rom erzogenen Herrschers, des Ariobarzanes, Sohnes des früher erwähnten Artavazdes; doch scheint dieser das Land nicht als römisches, sondern als parthisches Lehnsreich erhalten zu haben. Über die Ordnung der Dinge in den Fürstentümern am Kaukasus erfahren wir nichts; aber da sie später unter die römischen Klientelstaaten gerechnet werden, so hat wahrscheinlich damals auch hier der römische Einfluß obgesiegt. Selbst König Phraates, jetzt vor die Wahl gestellt, sein Wort einzulösen oder zu schlagen, entschloß sich schweren Herzens zu der die nationalen Gefühle der Seinen empfindlich verletzenden Herausgabe der wenigen noch lebenden römischen Kriegsgefangenen und der gewonnenen Feldzeichen.

Unendlicher Jubel begrüßte diesen von dem Fürsten des Friedens errungenen unblutigen Sieg. Auch bestand nach demselben mit dem Partherkönig längere Zeit ein freundschaftliches Verhältnis, wie denn die unmittelbaren Interessen der beiden Großstaaten sich wenig stießen. In Armenien dagegen hatte die römische Lehnsherrschaft, die nur auf sich selbst ruhte, der nationalen Opposition gegenüber einen schweren Stand. Nach dem frühen Tode des Königs Tigranes schlugen dessen Kinder oder die unter ihrem Namen regierenden Staatsleiter sich selber zu dieser. Gegen sie wurde von den Römerfreunden ein anderer Herrscher Artavazdes aufgestellt; aber er vermochte nicht gegen die stärkere Gegenpartei durchzudringen. Diese armenischen Wirren störten auch das Verhältnis zu den Parthern; es lag in der Sache, daß die antirömisch gesinnten Armenier sich auf diese zu stützen suchten, und auch die Arsakiden konnten nicht vergessen, daß Armenien früher eine parthische Sekundogenitur gewesen war. Unblutige Siege sind oft schwächliche und gefährliche. Es kam so weit, daß die römische Regierung im J. 748 (6 v. Chr.) demselben Tiberius, der vierzehn Jahre zuvor den Tigranes als Lehnkönig von Armenien eingesetzt hatte, den Auftrag erteilte, abermals mit Heeresmacht dort einzurücken und die Verhältnisse nötigenfalls mit Waffengewalt zu ordnen. Aber das Zerwürfnis in der kaiserlichen Familie, welches die Unterwerfung der Germanen unterbrochen hatte, griff auch hier ein und hatte die gleiche üble Wirkung. Tiberius lehnte den Auftrag des Stiefvaters ab und in Ermangelung eines geeigneten prinzlichen Feldherrn sah die römische Regierung einige Jahre hindurch wohl oder übel dem Schalten der antirömischen Partei in Armenien unter parteiischem Schutz untätig zu. Endlich im J. 753 wurde dem älteren Adoptivsohn des Kaisers, dem zwanzigjährigen Gaius Cäsar, nicht bloß derselbe Auftrag erteilt, sondern es sollte, wie der Vater hoffte, die Unterwerfung Armeniens der Anfang größerer Dinge sein, der Orientfeldzug des zwanzigjährigen Kronprinzen, man möchte fast sagen, die Alexanderfahrt fortsetzen. Vom Kaiser beauftragte oder dem Hofe nahestehende Literaten, der Geograph Isidoros, selber an der Euphratmündung zu Hause, und der Vertreter der griechischen Gelehrsamkeit unter den Fürstlichkeiten des augustischen Kreises, König Juba von Mauretanien, widmeten jener seine im Orient selbst eingezogenen Erkundigungen, dieser literarische Kollektaneen über Arabien dem jungen Prinzen, der vor Begierde zu brennen schien mit der Eroberung Arabiens, über welche Alexander weggestorben war, einen vor längerer Zeit dort eingetretenen Mißerfolg des augustischen Regiments glänzend zu begleichen. Zunächst für Armenien war diese Sendung ebenso von Erfolg wie die des Tiberius. Der römische Kronprinz und der parthische Großkönig Phraatakes trafen persönlich auf einer Insel des Euphrat zusammen; die Parther gaben wieder einmal Armenien auf und die nahegerückte Gefahr eines parthischen Krieges ward abgewandt, das gestörte Einvernehmen wenigstens äußerlich wiederhergestellt. Den Armeniern setzte Gaius den Ariobarzanes, einen Prinzen aus dem medischen Fürstenhause, zum König, und die Oberherrschaft Roms wurde abermals befestigt. Indes fügten die antirömisch gesinnten Armenier sich nicht ohne Widerstand; es kam nicht bloß zum Einrücken der Legionen, sondern auch zum Schlagen. Vor den Mauern des armenischen Kastells Artageira empfing der junge Kronprinz von einem parthischen Offizier durch tückische List die Wunde (J. 2 n. Chr.), an der er nach monatelangem Siechen hinstarb. Die Verschlingung der Reichs- und der dynastischen Politik bestrafte sich aufs neue. Der Tod eines jungen Mannes änderte den Gang der großen Politik; die so zuversichtlich dem Publikum angekündigte arabische Expedition fiel weg, nachdem ihr Gelingen dem Sohn des Kaisers nicht mehr den Weg zur Nachfolge ebnen konnte. Auch an weitere Unternehmungen am Euphrat wurde nicht mehr gedacht; das Nächste, die Besetzung Armeniens und die Wiederherstellung der Beziehungen zu den Parthern war erreicht, wie trübe Schatten auch durch den Tod des Kronprinzen auf diesen Erfolg fielen.

Bestand hatte derselbe so wenig wie der der glänzenderen Expedition des J. 734 (20 v. Chr.). Die von Rom eingesetzten Herrscher Armeniens wurden bald von denen der Gegenpartei unter versteckter oder offener Beteiligung der Parther bedrängt und verdrängt. Als der in Rom erzogene parthische Prinz Vonones auf den erledigten parthischen Thron berufen ward, hofften die Römer an ihm eine Stütze zu finden; allein eben deswegen mußte er bald ihn räumen, und an seine Stelle kam König Artabanos von Medien, ein mütterlicherseits den Arsakiden entsprossener, aber dem skythischen Volke der Daker angehöriger und in einheimischer Sitte aufgewachsener tatkräftiger Mann (um 10 n. Chr.). Vonones ward damals von den Armeniern als Herrscher aufgenommen und damit diese unter römischem Einfluß gehalten. Aber um so weniger konnte Artabanos seinen verdrängten Nebenbuhler als Nachbarfürsten dulden; die römische Regierung hätte, um den für seine Stellung in jeder Hinsicht ungeeigneten Mann zu halten, Waffengewalt gegen die Parther wie gegen seine eigenen Untertanen anwenden müssen. Tiberius, der inzwischen zur Regierung gekommen war, ließ nicht sofort einrücken, und für den Augenblick siegte in Armenien die antirömische Partei; aber es war nicht seine Absicht, auf das wichtige Grenzland zu verzichten. Im Gegenteil wurde die wahrscheinlich längst beschlossene Einziehung des Königreichs Kappadokien im J. 17 zur Ausführung gebracht: der alte Archelaos, der dort seit dem J. 718 (36 v. Chr.), den Thron einnahm, ward nach Rom berufen und ihm hier angekündigt, daß er aufgehört habe zu regieren. Ebenso kam das kleine, aber wegen der Euphratübergänge wichtige Königreich Kommagene damals unter unmittelbare kaiserliche Verwaltung. Damit war die unmittelbare Reichsgrenze bis an den mittleren Euphrat vorgeschoben. Zugleich ging der Kronprinz Germanicus, der soeben am Rhein mit großer Auszeichnung kommandiert hatte, mit ausgedehnter Machtvollkommenheit nach dem Osten, um die neue Provinz Kappadokien zu ordnen und das gesunkene Ansehen der Reichsgewalt wieder herzustellen. Auch diese Sendung kam bald und leicht zum Ziel. Germanicus, obwohl von dem Statthalter Syriens Gnaeus Piso nicht mit derjenigen Truppenmacht unterstützt, die er fordern durfte und gefordert hatte, ging nichts destoweniger nach Armenien und brachte durch das bloße Gewicht seiner Persönlichkeit und seiner Stellung das Land zum Gehorsam zurück. Den unfähigen Vonones ließ er fallen und setzte den Armeniern, den Wünschen der römisch gesinnten Vornehmen entsprechend, zum Herrscher einen Sohn jenes Polemon, den Antonius zum König im Pontus gemacht hatte, den Zenon oder, wie er als König von Armenien heißt, Artaxias; dieser war einerseits dem kaiserlichen Hause verbunden durch seine Mutter, die Königin Pythodoris, eine Enkelin des Triumvir Antonius, andererseits nach Landesart erzogen, ein tüchtiger Waidmann und bei dem Gelag ein tapferer Zecher. Auch der Großkönig Artabanos kam dem römischen Prinzen in freundschaftlicher Weise entgegen und bat nur um Entfernung seines Vorgängers Vonones aus Syrien, um den zwischen diesem und den unzufriedenen Parthern sich anspinnenden Zettelungen zu steuern. Da Germanicus dieser Bitte entsprach und den unbequemen Flüchtling nach Kilikien schickte, wo er bald darauf bei einem Fluchtversuch umkam, stellten zwischen den beiden Großstaaten die besten Beziehungen sich her. Artabanos wünschte sogar mit Germanicus am Euphrat persönlich zusammenzukommen, wie dies auch Phraatakes und Gaius getan hatten; dies aber lehnte Germanicus ab, wohl mit Rücksicht auf Tiberius‘ leicht erregten Argwohn. Freilich fiel auf diese orientalische Expedition derselbe trübe Schatten wie auf die letztvorhergehende; auch von dieser kam der Kronprinz des römischen Reiches nicht lebend heim.

Eine Zeitlang taten die getroffenen Einrichtungen ihren Dienst. So lange Tiberius mit sicherer Hand die Herrschaft führte und so lange König Artaxias von Armenien lebte, blieb im Orient Ruhe; aber in den letzten Jahren des alten Kaisers, als derselbe von seiner einsamen Insel aus die Dinge gehen ließ und vor jedem Eingreifen zurückscheute, und insbesondere nach dem Tode des Artaxias (um 34) begann das alte Spiel abermals. König Artabanos, gehoben durch sein langes und glückliches Regiment und durch vielfache gegen die Grenzvölker Irans erstrittene Erfolge und überzeugt, daß der alte Kaiser keine Neigung haben werde, einen schweren Krieg im Orient zu beginnen, bewog die Armenier, seinen eigenen ältesten Sohn, den Arsakes, zum Herrscher auszurufen, das heißt die römische Oberherrlichkeit mit der parthischen zu vertauschen. Ja er schien es geradezu auf den Krieg mit Rom anzulegen; er forderte die Verlassenschaft seines in Kilikien umgekommenen Vorgängers und Rivalen Vonones von der römischen Regierung und seine Schreiben an diese sprachen ebenso unverhüllt aus, daß der Orient den Orientalen gehöre, wie sie die Greuel am kaiserlichen Hofe, die man in Rom sich nur im vertrautesten Kreise zuzuflüstern wagte, bei ihrem rechten Namen nannten. Er soll sogar einen Versuch gemacht haben, sich in Besitz von Kappadokien zu setzen. Aber in dem alten Löwen hatte er sich verrechnet. Tiberius war auch auf Capreä nicht bloß den Hofleuten furchtbar und nicht der Mann, sich und in sich Rom ungestraft verhöhnen zu lassen. Er sandte den Lucius Vitellius, den Vater des späteren Kaisers, einen entschlossenen Offizier und geschickten Diplomaten, nach dem Orient mit ähnlicher Machtvollkommenheit, wie sie früher Gaius Cäsar und Germanicus gehabt hatten, und mit dem Auftrag nötigenfalls die syrischen Legionen über den Euphrat zu führen. Zugleich wandte er das oft erprobte Mittel an, den Herrschern des Ostens durch Insurrektionen und Prätendenten in ihrem eigenen Lande zu schaffen zu machen. Dem Partherprinzen, den die armenischen Nationalen zum Herrscher ausgerufen hatten, stellte er einen Fürsten aus dem Königshaus der Iberer entgegen, den Mithradates, des Ibererkönigs Pharasmanes Bruder und wies diesen sowie den Fürsten der Albaner an den römischen Prätendenten für Armenien mit Heeresmacht zu unterstützen. Von den streitbaren und für jeden Werber leicht zugänglichen transkaukasischen Sarmaten wurden große Scharen mit römischem Golde für den Einfall in Armenien gedungen. Es gelang auch dem römischen Prätendenten seinen Nebenbuhler durch bestochene Hofleute zu vergiften und sich des Landes und der Hauptstadt Artaxata zu bemächtigen. Artabanos sandte an des Ermordeten Stelle einen anderen Sohn Orodes nach Armenien und versuchte auch seinerseits transkaukasische Hilfstruppen zu beschaffen; aber nur wenige kamen nach Armenien durch, und die parthischen Reiterscharen waren der guten Infanterie der Kaukasusvölker und den gefürchteten sarmatischen berittenen Schützen nicht gewachsen. Orodes wurde in harter Feldschlacht überwunden und selbst im Zweikampf mit seinem Rivalen schwer verwundet. Da brach Artabanos selber nach Armenien auf. Nun aber setzte auch Vitellius die syrischen Legionen in Bewegung, um den Euphrat zu überschreiten und in Mesopotamien einzufallen; und dies brachte die lange gärende Insurrektion im Partherreiche zum Ausbruch. Das energische und mit den Erfolgen selbst immer schroffere Auftreten des skythischen Herrschers hatte viele Personen und Interessen verletzt, insbesondere die mesopotamischen Griechen und die mächtige Stadtgemeinde von Seleukeia, welcher er ihre nach griechischer Art demokratische Gemeindeverfassung genommen hatte, ihm abwendig gemacht. Das römische Gold nährte die sich vorbereitende Bewegung. Unzufriedene Adlige hatten schon früher sich mit der römischen Regierung in Verbindung gesetzt und einen echten Arsakiden von dieser erbeten. Tiberius hatte des Phraates einzigen überlebenden dem Vater gleichnamigen Sohn und, nachdem der alte römisch gewöhnte Mann den Anstrengungen noch in Syrien erlegen war, an dessen Stelle einen ebenfalls in Rom lebenden Enkel des Phraates namens Tiridates geschickt. Der parthische Fürst Sinnakes, der Führer dieser Zettelungen, kündigte jetzt dem Skythen den Gehorsam und pflanzte das Banner der Arsakiden auf. Vitellius überschritt mit den Legionen den Euphrat und in seinem Gefolge der neue Großkönig von römischen Gnaden. Der parthische Statthalter von Mesopotamien Ornospades, der einst als Verbannter unter Tiberius den pannonischen Krieg mitgemacht hatte, stellte sich und seine Truppen sofort dem neuen Herrn zur Verfügung; des Sinnakes Vater Abdagäses lieferte den Reichsschatz aus; in kürzester Zeit sah sich Artabanos von dem ganzen Lande verlassen und gezwungen, in seine skythische Heimat zu flüchten, wo er als unsteter Mann in den Wäldern herumirrte und mit seinem Bogen sich das Leben fristete, während dem Tiridates von den nach parthischer Staatsordnung zur Krönung des Herrschers berufenen Fürsten in Ktesiphon feierlich die Tiara aufs Haupt gesetzt ward. Indes die Herrschaft des von dem Reichsfeind geschickten neuen Großkönigs währte nicht lange. Das Regiment, welches weniger er führte, ein junger unerfahrener und untüchtiger Mann, als die ihn zum König gemacht hatten, vornehmlich Abdagäses, rief bald Opposition hervor. Einige der vornehmsten Satrapen waren schon bei der Krönungsfeier ausgeblieben und zogen den vertriebenen Herrscher wieder aus der Verbannung hervor; mit ihrem Beistand und den von seinen skythischen Landsleuten gestellten Mannschaften kehrte Artabanos zurück, und schon im folgenden Jahre (36) war das ganze Reich mit Ausnahme von Seleukeia wieder in seiner Gewalt, Tiridates ein flüchtiger Mann und genötigt, bei seinen römischen Beschützern die Zuflucht zu heischen, die ihm nicht versagt werden konnte. Vitellius führte die Legionen abermals an den Euphrat; aber da der Großkönig persönlich erschien und sich zu allem Verlangten bereit erklärte, falls die römische Regierung von Tiridates abstehe, war der Friede bald geschlossen. Artabanos erkannte nicht bloß den Mithradates als König von Armenien an, sondern brachte auch dem Bildnis des römischen Kaisers die Huldigung dar, die von den Lehnsmannen gefordert zu werden pflegte und stellte seinen Sohn Dareios den Römern als Geißel. Darüber war der alte Kaiser gestorben; aber diesen so unblutigen wie vollständigen Sieg seiner Politik über die Auflehnung des Orients hat er noch erlebt.

Was die Klugheit des Greises erreicht hatte, verdarb sofort der Unverstand des Nachfolgers. Abgesehen davon, daß er verständige Einrichtungen des Tiberius rückgängig machte, zum Beispiel das eingezogene Königreich Kommagene wiederherstellte, gönnte sein törichter Neid dem toten Kaiser den erreichten Erfolg nicht; den tüchtigen Statthalter von Syrien wie den neuen König von Armenien lud er zur Verantwortung nach Rom vor, setzte den letzteren ab und schickte ihn, nachdem er ihn eine Zeitlang gefangen gehalten hatte, ins Exil. Selbstverständlich griff die parthische Regierung zu und nahm das herrenlose Armenien wiederum in Besitz. Claudius hatte, als er im J. 41 zur Regierung kam, die getane Arbeit von neuem zu beginnen. Er verfuhr nach dem Beispiel des Tiberius. Mithradates, aus dem Exil zurückgerufen, wurde wieder eingesetzt und angewiesen, mit Hilfe seines Bruders sich Armeniens zu bemächtigen. Der damals zwischen den drei Söhnen des Königs Artabanos III. geführte Bruderkrieg im Partherreich ebnete den Römern den Weg. Nach der Ermordung des ältesten Sohnes stritten jahrelang Gotarzes und Vardanes um den Thron; Seleukeia, das schon dem Vater den Gehorsam aufgekündigt hatte, trotzte sieben Jahre hindurch ihm und nachher den Söhnen; die Völker Turans griffen wie immer auch in diesen Hader der Fürsten Irans ein. Mithradates vermochte mit Hilfe der Truppen seines Bruders und der Garnisonen der benachbarten römischen Provinzen die parthisch Gesinnten in Armenien zu überwältigen und sich wieder zum Herrn daselbst zu machen; das Land erhielt römische Besatzung. Nachdem Vardanes sich mit dem Bruder verglichen und endlich Seleukeia wieder eingenommen hatte, machte er Miene in Armenien einzurücken; aber die drohende Haltung des römischen Legaten von Syrien hielt ihn ab, und sehr bald brach der Bruder den Vergleich und begann der Bürgerkrieg aufs neue. Nicht einmal die Ermordung des tapferen und im Kampf mit den Völkern Turans siegreichen Vardanes setzte demselben ein Ziel; die Gegenpartei wendete sich nun nach Rom und erbat sich von der dortigen Regierung den dort lebenden Sohn des Vonones, den Prinzen Meherdates, welcher denn auch vom Kaiser Claudius vor dem versammelten Senat den Seinigen zur Verfügung gestellt und nach Syrien entlassen ward mit der Ermahnung, sein neues Reich gut und gerecht zu verwalten und der römischen Schutzfreundschaft eingedenk zu bleiben (J. 49). Er kam nicht in die Lage, von diesen Ermahnungen Anwendung zu machen. Die römischen Legionen, die ihm bis zum Euphrat das Geleit gaben, übergaben ihn dort denen, die ihn gerufen hatten, dem Haupt des mächtigen Fürstengeschlechts der Karen und den Königen Abgaros von Edessa und Izates von Adiabene. Der unerfahrene und unkriegerische Jüngling war der Aufgabe so wenig gewachsen wie alle anderen von den Römern aufgestellten parteiischen Herrscher; eine Anzahl seiner namhaftesten Anhänger verließen ihn, so wie sie ihn kennenlernten und gingen zu Gotarzes; in der entscheidenden Schlacht gab der Fall des tapferen Karen den Ausschlag. Meherdates wurde gefangen und nicht einmal hingerichtet, sondern nur nach orientalischer Sitte durch Verstümmelung der Ohren regierungsunfähig gemacht.

Trotz dieser Niederlage der römischen Politik im Partherreich blieb Armenien den Römern, solange der schwache Gotarzes über die Parther herrschte. Aber so wie eine kräftigere Hand die Zügel der Herrschaft faßte und die inneren Kämpfe ruhten, ward auch der Kampf um jenes Land wieder aufgenommen. König Vologasos, der nach dem Tode des Gotarzes und dem kurzen Regiment Vonones II. diesem seinem Vater im J. 51 sukzedierte, bestieg den Thron ausnahmsweise in vollem Einverständnis mit seinen beiden Brüdern Pakoros und Tiridates. Er war ein fähiger und umsichtiger Regent – auch als Städtegründer finden wir ihn und mit Erfolg bemüht, den Handel von Palmyra nach seiner neuen Stadt Vologasias am unteren Euphrat zu lenken –, raschen und extremen Entschlüssen abgeneigt und bemüht, mit dem mächtigen Nachbar womöglich Frieden zu halten. Aber die Rückgewinnung Armeniens war der leitende politische Gedanke der Dynastie und auch er bereit, jede Gelegenheit zu seiner Verwirklichung zu benutzen. Diese Gelegenheit schien jetzt sich zu bieten. Der armenische Hof war der Schauplatz einer der entsetzlichsten Familientragödien geworden, die die Geschichte verzeichnet. Der alte König der Iberer Pharasmanes unternahm es, seinen Bruder, den König von Armenien Mithradates vom Thron zu stoßen und seinen eigenen Sohn Rhadamistos an dessen Stelle zu setzen. Unter dem Vorwande eines Zerwürfnisses mit dem Vater erschien Rhadamistos bei seinem Oheim und Schwiegervater und knüpfte mit angesehenen Armeniern Verhandlungen in jenem Sinne an. Nachdem er sich eines Anhanges versichert hatte, überzog Pharasmanes im J. 52 unter nichtigen Vorwänden den Bruder mit Krieg und brachte auch das Land in seine oder vielmehr seines Sohnes Gewalt. Mithradates stellte sich unter den Schutz der römischen Besatzung des Castells Gorneä. Diese anzugreifen wagte Rhadamistos nicht; aber der Kommandant Cälius Pollio war als nichtswürdig und feil bekannt. Der unter ihm den Befehl führende Centurio begab sich zu Pharasmanes, um ihn zur Zurückrufung seiner Truppen zu bestimmen, was dieser wohl versprach, aber nicht hielt. Während der Abwesenheit des Zweitkommandierenden nötigte Pollio den König, der wohl ahnte, was ihm bevorstand, durch die Drohung ihn im Stiche zu lassen, sich dem Rhadamistos in die Hände zu liefern. Von diesem wurde er umgebracht, mit ihm seine Gattin, des Rhadamistos Schwester und die Kinder derselben, weil sie im Anblick der Leichen ihrer Eltern in Jammergeschrei ausbrachen. Auf diese Weise gelangte Rhadamistos zur Herrschaft von Armenien. Die römische Regierung durfte weder solchen von ihren Offizieren mitverschuldeten Greueln zusehen noch dulden, daß einer ihrer Lehnsträger den andern mit Krieg überzog. Nichtsdestoweniger erkannte der Statthalter von Kappadokien Julius Pälignus den neuen König von Armenien an. Auch im Rat des Statthalters von Syrien Ummidius Quadratus überwog die Meinung, daß es den Römern gleichgültig sein könne, ob der Oheim oder der Neffe über Armenien herrsche; der nach Armenien mit einer Legion gesendete Legat erhielt nur den Auftrag, den Status quo bis auf weiteres aufrechtzuhalten. Da hielt der Partherkönig, in der Voraussetzung, daß die römische Regierung sich nicht beeifern werde für den König Rhadamistos einzutreten, den Moment für geeignet, seine alten Ansprüche auf Armenien wieder aufzunehmen. Er belehnte mit Armenien seinen Bruder Tiridates, und die einrückenden parteiischen Truppen bemächtigten sich fast ohne Schwertstreich der beiden Hauptstädte Tigranokerta und Artaxata und des ganzen Landes. Als Rhadamistos einen Versuch machte, den Preis seiner Bluttaten festzuhalten, schlugen die Armenier selbst ihn zum Lande hinaus. Die römische Besatzung scheint nach der Übergabe von Gorneä Armenien verlassen zu haben; die aus Syrien in Marsch gesetzte Legion zog der Statthalter zurück, um nicht mit den Parthern in Konflikt zu geraten. Als diese Kunde nach Rom kam (Ende 54), war Kaiser Claudius eben gestorben und regierten für den jungen siebzehnjährigen Nachfolger tatsächlich die Minister Burrus und Seneca. Das Vorgehen des Vologasos konnte nur mit der Kriegserklärung beantwortet werden. In der Tat sandte die römische Regierung nach Kappadokien, das sonst Statthalterschaft zweiten Ranges und nicht mit Legionen belegt war, ausnahmsweise den konsularischen Legaten Gnäus Domitius Corbulo. Er war als Schwager des Kaisers Gaius rasch vorwärts gekommen, dann unter Claudius im J. 47 Legat von Untergermanien gewesen und galt seitdem als einer der damals nicht zahlreichen tüchtigen, die vielfach verfallende Disziplin energisch handhabenden Heerführer, selbst eine herkulische Gestalt, jeder Strapaze gewachsen und nicht bloß dem Feind, sondern auch seinen eigenen Soldaten gegenüber von rücksichtslosem Mut. Es schien ein Zeichen des Besserwerdens der Dinge, daß die neronische Regierung das erste von ihr zu besetzende wichtige Kommando an ihn vergab. Der unfähige syrische Legat von Syrien Quadratus wurde nicht abgerufen, aber angewiesen, zwei von seinen vier Legionen dem Statthalter der Nachbarprovinz zur Verfügung zu stellen. Die Legionen alle wurden an den Euphrat herangezogen und die sofortige Schlagung der Brücken über den Fluß angeordnet. Die beiden westlich zunächst an Armenien grenzenden Landschaften Klein-Armenien und Sophene wurden zwei zuverlässigen syrischen Fürsten, dem Aristobulos aus einem Seitenzweig des herodischen Hauses und dem Sohämos aus der Herrscherfamilie von Hemesa zugeteilt und beide unter Corbulos Befehle gestellt. Der König des damals noch übrigen Restes des Judenstaates Agrippa und der König von Kommagene Antiochos erhielten ebenfalls Marschbefehl. Indes zunächst kam es nicht zum Schlagen. Die Ursache lag zum Teil in dem Zustand der syrischen Legionen; es war ein schlimmes Armutszeugnis für die bisherige Verwaltung, daß Corbulo die ihm überwiesenen Truppen geradezu als unbrauchbar bezeichnen mußte. Die in den griechischen Provinzen ausgehobenen und garnisonierenden Legionen waren immer geringer gewesen als die okzidentalischen; jetzt hatte die entnervende Gewalt des Orients bei dem langen Friedensstand und der schlaffen Heereszucht dieselben völlig demoralisiert. Die Soldaten hielten mehr in den Städten sich auf als in den Lagern; nicht wenige derselben waren des Waffentragens entwöhnt und wußten nichts von Lagerschlagen und Wachdienst; die Regimenter waren lange nicht ergänzt und enthielten zahlreiche alte unbrauchbare Leute; Corbulo hatte zunächst eine große Anzahl von Soldaten zu entlassen und in noch viel größerer Zahl Rekruten auszuheben und auszubilden. Der Wechsel der bequemen Winterquartiere am Orontes mit denen in den rauhen armenischen Bergen, die plötzliche Einführung unerbittlich strenger Lagerzucht führte vielfach Erkrankungen herbei und veranlaßte zahlreiche Desertionen. Trotz alledem sah sich der Feldherr, als es Ernst ward, genötigt, um Zusendung einer der besseren Legionen des Okzidents zu bitten. Unter diesen Umständen beeilte er sich nicht, seine Soldaten an den Feind zu bringen; indes waren doch dabei überwiegend politische Rücksichten maßgebend.

Wäre es die Absicht der römischen Regierung gewesen, den parthischen Herrscher sofort aus Armenien zu vertreiben, und zwar nicht den Rhadamistos, mit dessen Blutschuld die Römer keine Veranlassung hatten sich zu beflecken, aber irgendeinen anderen Fürsten ihrer Wahl an dessen Stelle zu setzen, so hätten dazu die Streitkräfte Corbulos wohl sofort ausgereicht, da König Vologasos, wieder einmal durch innere Unruhen abgezogen, seine Truppen aus Armenien weggeführt hatte. Aber dies lag nicht im Plane der Römer; man wollte dort vielmehr das Regiment des Tiridates sich gefallen lassen und ihn nur zur Anerkennung der römischen Oberherrlichkeit bestimmen und nötigenfalls zwingen; nur zu diesem Zweck sollten äußerstenfalls die Legionen marschieren. Es kam dies der Sache nach der Abtretung Armeniens an die Parther sehr nahe. Was für diese sprach und was sie verhinderte, ist früher entwickelt worden. Wurde jetzt Armenien als parteiische Sekundogenitur geordnet, so war die Anerkennung des römischen Lehnsrechts wenig mehr als eine Formalität, genau genommen nichts als eine Deckung der militärischen und politischen Ehre. Also hat die Regierung der früheren neronischen Zeit, der notorisch an Einsicht und Energie wenige gleichkamen, beabsichtigt sich Armeniens in schicklicher Weise zu entledigen; und es kann das nicht verwundern. Man schöpfte hier in der Tat in das Sieb. Der Besitz Armeniens war wohl im J. 20 v. Chr. durch Tiberius, dann durch Gaius im J. 2, durch Germanicus im J. 18, durch Vitellius im J. 36 im Lande selbst wie bei den Parthern zur Geltung und Anerkennung gebracht worden. Aber eben diese regelmäßig sich wiederholenden und regelmäßig von Erfolg gekrönten und doch niemals zu dauernder Wirkung gelangenden außerordentlichen Expeditionen gaben den Parthern Recht, wenn sie in den Verhandlungen unter Nero behaupteten, daß die römische Oberherrschaft über Armenien ein leerer Name, das Land nun einmal parthisch sei und sein wolle. Zur Geltendmachung der römischen Obergewalt bedurfte es immer wenn nicht der Kriegführung, doch der Kriegsdrohung, und die dadurch bedingte stetige Reibung machte den dauernden Friedensstand zwischen den beiden benachbarten Großmächten unmöglich. Die Römer hatten, wenn sie folgerichtig verfuhren, nur die Wahl, Armenien und das linke Euphratufer überhaupt entweder durch Beseitigung der bloß mittelbaren Herrschaft effektiv in ihre Gewalt zu bringen oder es so weit den Parthern zu überlassen, als dies mit dem obersten Grundsatz des römischen Regiments, keine gleichberechtigte Grenzmacht anzuerkennen, sich vertrug. Augustus und die bisherigen Regenten hatten die erstere Alternative entschieden abgelehnt, und sie hätten also den zweiten Weg einschlagen sollen; aber auch diesen abzulehnen hatten sie wenigstens versucht und das parthische Königshaus von der Herrschaft über Armenien ausschließen wollen, ohne es zu können. Dies müssen die leitenden Staatsmänner der früheren neronischen Zeit als einen Fehler betrachtet haben, da sie Armenien den Arsakiden überließen und sich auf das denkbar geringste Maß von Rechten daran beschränkten. Wenn die Gefahren und die Nachteile, welche das Festhalten dieser nur äußerlich dem Reich anhaftenden Landschaft dem Staate brachte, gegen diejenigen abgewogen wurden, welche die Partherherrschaft über Armenien für die Römer nach sich zog, so konnte, zumal bei der geringen Offensivkraft des parthischen Reiches, die Entscheidung wohl in dem letzteren Sinne gefunden werden. Unter allen Umständen aber war diese Politik konsequent und suchte das auch von Augustus verfolgte Ziel in klarerer und verständigerer Weise zu erreichen.

Von diesem Standpunkt aus versteht man, weshalb Corbulo und Quadratus, statt den Euphrat zu überschreiten, mit Vologasos Verhandlungen anknüpften und nicht minder, daß dieser, ohne Zweifel von den wirklichen Absichten der Römer unterrichtet, sich dazu verstand, in ähnlicher Weise wie sein Vorgänger den Römern sich zu beugen und ihnen als Friedenspfand eine Anzahl dem königlichen Hause nahestehender Geißeln zu überliefern. Die stillschweigend vereinbarte Gegenleistung dafür war die Duldung der Herrschaft des Tiridates über Armenien und die Nichtaufstellung eines römischen Prätendenten. So gingen einige Jahre in faktischem Friedensstand hin. Aber da Vologasos und Tiridates sich nicht dazu verstanden, um die Belehnung des letzteren mit Armenien bei der römischen Regierung einzukommen, ergriff Corbulo im J. 58 gegen Tiridates die Offensive. Eben die Politik des Zurückweichens und Nachgebens bedurfte, wenn sie bei Freund und Feind nicht als Schwäche erscheinen sollte, der Folie, also entweder der förmlichen und feierlichen Anerkennung der römischen Obergewalt oder besser noch des mit den Waffen gewonnenen Sieges.

Im Sommer des J. 58 führte Corbulo eine leidlich schlagfähige Armee von mindestens 30 000 Mann über den Euphrat. Die Reorganisation und die Abhärtung der Truppen wurde durch die Kampagne selbst vollendet und das erste Winterquartier auf armenischem Boden genommen. Im Frühjahr 59 begann er den Vormarsch in der Richtung auf Artaxata. Zugleich brachen in Armenien von Norden her die Iberer ein, deren König Pharasmanes, um seine eigenen Frevel zu bedecken, seinen Sohn Rhadamistos hatte hinrichten lassen und nun weiter bemüht war, durch gute Dienste seine Verschuldung in Vergessenheit zu bringen; nicht minder ihre nordwestlichen Nachbaren, die tapferen Moscher, von Süden König Antiochos von Kommagene. König Vologasos war durch den Aufstand der Hyrkaner an der entgegengesetzten Seite des Reiches festgehalten und konnte oder wollte in den Kampf nicht unmittelbar eingreifen. Tiridates leistete mutigen Widerstand; aber es vermochte nichts gegen die erdrückende Übermacht. Vergeblich versuchte er sich auf die Verbindungslinien der Römer zu werfen, die ihre Bedürfnisse über das Schwarze Meer und den Hafen von Trapezus bezogen. Die Burgen Armeniens fielen unter den Angriffen der stürmenden Römer, und die Besatzungen wurden bis auf den letzten Mann niedergemacht. In einer Feldschlacht unter den Mauern von Artaxata, geschlagen, gab Tiridates den ungleichen Kampf auf und ging zu den Parthern. Artaxata ergab sich und hier, im Herzen von Armenien, überwinterte das römische Heer. Im Frühjahr 60 brach Corbulo von dort auf, nachdem er die Stadt niedergebrannt hatte, und marschierte quer durch das Land auf dessen zweite Hauptstadt Tigranokerta oberhalb Nisibis im Tigrisgebiet. Der Schrecken über die Zerstörung Artaxatas ging ihm voraus; ernstlicher Widerstand wurde nirgends geleistet; auch Tigranokerta öffnete dem Sieger freiwillig die Tore, der hier in wohlberechneter Weise die Gnade walten ließ. Tiridates machte noch einen Versuch zurückzukehren und den Kampf wieder aufzunehmen, wurde aber ohne besondere Anstrengung abgewiesen. Am Ausgang des Sommers 60 war ganz Armenien unterworfen und stand zur Verfügung der römischen Regierung.

Es ist begreiflich, daß man in Rom jetzt von Tiridates absah. Der Prinz Tigranes, ein Urenkel von väterlicher Seite Herodes des Großen, von mütterlicher des Königs Archelaos von Kappadokien, auch dem alten armenischen Königshause von weiblicher Seite verwandt und ein Neffe eines der ephemeren Herrscher Armeniens aus den letzten Jahren des Augustus, in Rom erzogen und durchaus ein Werkzeug der römischen Regierung, wurde jetzt (J. 60) von Nero mit dem Königreich Armenien belehnt und auf des Kaisers Befehl von Corbulo in die Herrschaft eingesetzt. Im Lande blieb römische Besatzung, 1000 Legionarier und drei- bis viertausend Reiter und Infanterie der Auxilien. Ein Teil der Grenzlandschaften ward von Armenien abgetrennt und verteilt unter die benachbarten Könige Polemon von Pontus und Trapezus, Aristobulos von Klein-Armenien, Pharasmanes von Iberien und Antiochos von Kommagene. Dagegen rückte der neue Herr von Armenien, natürlich mit Einwilligung der Römer, in die angrenzende parthische Provinz Adiabene ein, schlug den dortigen Statthalter Monobazos und schien auch diese Landschaft vom parthischen Staat abreißen zu wollen. Diese Wendung der Dinge nötigte die parthische Regierung aus ihrer Passivität herauszutreten; es handelte sich nun nicht mehr um die Wiedergewinnung Armeniens, sondern um die Integrität des parthischen Reiches. Die lange drohende Kollision zwischen den beiden Großstaaten schien unvermeidlich. Vologasos bestätigte in einer Versammlung der Großen des Reiches den Tiridates wiederholt als König von Armenien und sandte mit ihm den Feldherrn Monäses gegen den römischen Usurpator des Landes, der in Tigranokerta, welches die römischen Truppen besetzt hielten, von den Parthern belagert ward. Vologasos selbst zog die parthische Hauptmacht in Mesopotamien zusammen und bedrohte (Anf. 61) Syrien. Corbulo, der nach Quadratus Tode zur Zeit in Kappadokien wie in Syrien das Kommando führte, aber von der Regierung die Ernennung eines anderen Statthalters für Kappadokien und Armenien erbeten hatte, sandte vorläufig zwei Legionen nach Armenien, um Tigranes Beistand zu leisten, während er selbst an den Euphrat rückte, um den Partherkönig zu empfangen. Indes es kam wieder nicht zum Schlagen, sondern zum Vertrag. Vologasos, wohl wissend, wie gefährlich das beginnende Spiel sei, erklärte sich jetzt bereit, auf die vor dem Ausbruch des armenischen Krieges von den Römern vergeblich angebotenen Bedingungen einzugehen und die Belehnung des Bruders durch den römischen Kaiser zu gestatten. Corbulo ging auf den Vorschlag ein. Er ließ den Tigranes fallen, zog die römischen Truppen aus Armenien zurück und ließ es geschehen, daß Tiridates daselbst sich festsetzte, während die parthischen Hilfstruppen ebenfalls abzogen; dagegen schickte Vologasos eine Gesandtschaft an die römische Regierung und erklärte die Bereitwilligkeit seines Bruders, das Land von Rom zu Lehen zu nehmen.

Diese Maßnahmen Corbulos waren bedenklicher Art und führten zu einer üblen Verwicklung. Der römische Feldherr mag wohl mehr noch als die Staatsmänner in Rom von der Nutzlosigkeit des Festhaltens von Armenien durchdrungen gewesen sein; aber nachdem die römische Regierung den Tigranes als König von Armenien eingesetzt hatte, durfte er nicht von sich aus auf die früher gestellten Bedingungen zurückgreifen, am wenigsten seine eigenen Eroberungen preisgeben und die römischen Truppen aus Armenien zurückziehen. Er war dazu um so weniger berechtigt, als er Kappadokien und Armenien nur interimistisch verwaltete und selbst der Regierung erklärt hatte, daß er nicht imstande sei, zugleich dort und in Syrien das Kommando zu führen; woraufhin der Konsular Lucius Cäsennius Pätus zum Statthalter von Kappadokien ernannt und auch dorthin bereits unterwegs war. Der Verdacht ist kaum abzuweisen, daß Corbulo diesem die Ehre der schließlichen Unterwerfung Armeniens nicht gönnte und durch den faktischen Friedensschluß mit den Parthern vor seinem Eintreffen ein Definitivum herzustellen wünschte. Die römische Regierung lehnte denn auch die Anträge des Vologasos ab und bestand auf der Festhaltung Armeniens, das, wie der neue im Laufe des Sommers 61 in Kappadokien eingetroffene Statthalter erklärte, sogar in unmittelbare römische Verwaltung genommen werden sollte. Ob die römische Regierung in der Tat sich entschlossen hatte so weit zu gehen, ist nicht auszumachen; aber es lag dies allerdings in der Konsequenz ihrer Politik. Die Einsetzung eines von Rom abhängigen Königs war nur die Verlängerung des bisherigen unhaltbaren Zustandes; wer die Abtretung Armeniens an die Parther nicht wollte, mußte die Umwandlung des Königreichs in eine römische Provinz ins Auge fassen. Der Krieg hatte also seinen Fortgang; es wurde darum auch eine der mösischen Legionen dem kappadokischen Heer zugesandt. Als Pätus eintraf, lagerten die beiden von Corbulo ihm zugewiesenen Legionen diesseits des Euphrat in Kappadokien; Armenien war geräumt und mußte wieder erobert werden. Pätus ging sofort an das Werk, überschritt bei Melitene (Malatia) den Euphrat, rückte in Armenien ein und bezwang die nächsten Burgen an der Grenze. Indes die vorgerückte Jahreszeit nötigte ihn bald, die Operationen einzustellen und auf die beabsichtigte Wiederbesetzung Tigranokertas für dies Jahr zu verzichten; doch nahm er, um im nächsten Frühjahr den Marsch sogleich wieder aufzunehmen, nach Corbulos Beispiel, die Winterquartiere in Feindesland bei Rhandeia, an einem Nebenfluß des Euphrat, dem Arsanias unweit des heutigen Charput, während der Troß und die Weiber und Kinder unweit davon in dem festen Kastell Arsamosata untergebracht wurden. Aber er hatte die Schwierigkeit des Unternehmens unterschätzt. Die eine und die beste seiner Legionen, die mösische, war noch auf dem Marsch und überwinterte diesseits des Euphrat im pontischen Gebiet; die beiden anderen waren nicht diejenigen, welche Corbulo kriegen und siegen gelehrt hatte, sondern die früheren syrischen des Quadratus, unvollzählig und ohne durchgreifende Reorganisation kaum brauchbar. Dabei stand er nicht wie Corbulo den Armeniern allein, sondern der Hauptmasse der Parther gegenüber; Vologasos hatte, als es mit dem Kriege Ernst ward, den Kern seiner Truppen aus Mesopotamien nach Armenien geführt und den strategischen Vorteil, daß er die inneren und kürzeren Linien beherrschte, verständig zur Geltung gebracht. Corbulo hätte, zumal da er den Euphrat überbrückt und am anderen Ufer Brückenköpfe angelegt hatte, diesen Abmarsch durch einen rechtzeitigen Einfall in Mesopotamien wenigstens erschweren oder doch wettmachen können; aber er rührte sich nicht aus seinen Stellungen und überließ es Pätus, sich der Gesamtmacht der Feinde zu erwehren, wie er konnte. Dieser war weder selber Militär noch bereit, militärischen Rat anzunehmen und zu befolgen, nicht einmal ein Mann von entschlossenem Charakter, übermütig und ruhmredig im Anlauf, verzagt und kleinmütig gegenüber dem Mißerfolg. Also kam, was kommen mußte. Im Frühling 62 griff nicht Pätus an, sondern Vologasos; die vorgeschobenen Truppen, welche den Parthern den Weg verlegen sollten, wurden von der Übermacht erdrückt; der Angriff verwandelte sich rasch in eine Belagerung der römischen weit auseinandergezogenen Stellungen in dem Winterlager und dem Kastell. Die Legionen konnten weder vorwärts noch zurück; die Soldaten desertierten massenweise; die einzige Hoffnung ruhte auf Corbulos fern im nördlichen Syrien, ohne Zweifel bei Zeugma, untätig lagernden Legionen. In die Schuld der Katastrophe teilten sich beide Generale, Corbulo wegen des verspäteten Aufbruchs zur Hilfe, obwohl er dann, als er den ganzen Umfang der Gefahr erkannte, den Marsch nach Möglichkeit beschleunigte, Pätus, weil er den kühnen Entschluß lieber unterzugehen als zu kapitulieren nicht zu fassen vermochte und damit die nahe Rettung verscherzte; noch drei Tage länger und die 5000 Mann, welche Corbulo heranführte, hätten die ersehnte Hilfe gebracht. Die Bedingungen der Kapitulation waren freier Abzug für die Römer und Räumung Armeniens unter Auslieferung aller von ihnen besetzten Kastelle und aller in ihren Händen befindlichen Vorräte, deren die Parther dringend benötigt waren. Dagegen erklärte Vologasos sich bereit, trotz dieses militärischen Erfolges Armenien als römisches Lehen für den Bruder von der kaiserlichen Regierung zu erbitten und deswegen Gesandte an Nero zu senden. Die Mäßigung des Siegers kann darauf beruhen,, daß er von Corbulos Annähern bessere Kunde hatte als die eingeschlossene Armee; aber wahrscheinlicher lag dem vorsichtigen Mann gar nichts daran, die Katastrophe des Crassus zu erneuern und wiederum römische Adler nach Ktesiphon zu bringen. Die Niederlage einer römischen Armee, das wußte er, war nicht die Überwältigung Roms, und die reale Konzession, welche in der Anerkennung des Tiridates lag, ward durch die Nachgiebigkeit in der Form nicht allzu teuer erkauft.

Die römische Regierung lehnte das Anerbieten des Partherkönigs abermals ab und befahl die Fortsetzung des Krieges. Sie konnte nicht wohl anders; war die Anerkennung des Tiridates vor dem Wiederbeginn des Krieges bedenklich und nach der parthischen Kriegserklärung kaum annehmbar, so erschien sie jetzt, als Konsequenz der Kapitulation von Rhandeia, geradezu als deren Ratifikation. Von Rom aus wurde die Wiederaufnahme des Kampfes gegen die Parther in energischer Weise betrieben. Pätus wurde abberufen; Corbulo, in dem die durch die schimpfliche Kapitulation erregte öffentliche Meinung nur den Besieger Armeniens sah und den auch die, welche die Sachlage genau kannten und scharf beurteilten, nicht umhin konnten als den fähigsten und für diesen Krieg einzig geeigneten Feldherrn zu bezeichnen, übernahm wieder die Statthalterschaft von Kappadokien, aber zugleich das Kommando über sämtliche für diesen Feldzug verwendbare Truppen, welche noch weiter durch eine siebente aus Pannonien herbeigerufene Legion verstärkt wurden; demnach wurden alle Statthalter und Fürsten des Orients angewiesen in militärischen Angelegenheiten seinen Anordnungen Folge zu leisten, so daß seine Amtsgewalt derjenigen, welche den Kronprinzen Gaius und Germanicus für ihre Sendungen in den Orient beigelegt worden war, ziemlich gleich kam. Wenn diese Maßregeln eine ernste Reparation der römischen Waffenehre herbeiführen sollten, so verfehlten sie ihren Zweck. Wie Corbulo die Sachlage ansah, zeigte schon das Abkommen, das er nicht lange nach der Katastrophe von Rhandeia mit dem Partherkönig traf: dieser zog die parteiischen Besatzungen aus Armenien zurück, die Römer räumten die auf mesopotamischem Gebiet zum Schutz der Brücken angelegten Kastelle. Für die römische Offensive waren die parthischen Besatzungen in Armenien ebenso gleichgültig wie die Euphratbrücken wichtig; sollte dagegen Tiridates als römischer Lehnskönig in Armenien anerkannt werden, so waren allerdings die letzteren überflüssig und parthische Besatzungen in Armenien unmöglich. Im nächsten Frühjahr 63 schritt Corbulo allerdings zu der ihm anbefohlenen Offensive und führte die vier besten seiner Legionen bei Melitene über den Euphrat gegen die in der Gegend von Arsamosata stehende parthisch-armenische Hauptmacht. Aber aus dem Schlagen ward nicht viel; nur einige Schlösser armenischer antirömisch gesinnter Adliger wurden zerstört. Dagegen führte auch diese Begegnung zum Vertragen. Corbulo nahm die früher von seiner Regierung zurückgewiesenen parthischen Anträge an, und zwar, wie der weitere Verlauf der Dinge zeigte, in dem Sinne, daß Armenien ein für allemal eine parthische Sekundogenitur ward und die römische Regierung, wenigstens nach dem Geiste des Abkommens, darauf einging, diese Krone in Zukunft nur an einen Arsakiden zu verleihen. Hinzugefügt wurde nur, daß Tiridates sich verpflichten solle, in Rhandeia, eben da, wo die Kapitulation geschlossen worden war, öffentlich unter den Augen der beiden Armeen das königliche Diadem vom Haupte zu nehmen und es vor dem Bildnis des Kaisers niederzulegen, gelobend, es nicht wieder aufzusetzen, bevor er es aus seiner Hand, und zwar in Rom selbst, empfangen haben werde. So geschah es (63). Durch diese Demütigung wurde daran nichts geändert, daß der römische Feldherr, statt den ihm aufgetragenen Krieg zu führen, auf die von seiner Regierung verworfenen Bedingungen Frieden schloß. Aber die früher leitenden Staatsmänner waren inzwischen gestorben oder zurückgetreten und das persönliche Regiment des Kaisers dafür installiert, und auf das Publikum und vor allem auf den Kaiser persönlich verfehlte der feierliche Akt in Rhandeia und das in Aussicht gestellte Schaugepränge der Belehnung des parthischen Fürsten mit der Krone von Armenien in der Reichshauptstadt seine Wirkung nicht. Der Friede wurde ratifiziert und erfüllt. Im J. 66 erschien der parthische Fürst versprochenermaßen in Rom, geleitet von 3000 parthischen Reitern, als Geißeln die Kinder der drei Brüder sowie die des Monobazos von Adiabene heranführend. Er begrüßte kniefällig seinen auf dem Markte der Hauptstadt auf dem Kaiserstuhl sitzenden Lehnsherrn, und hier knüpfte dieser ihm vor allem Volke die königliche Binde um die Stirn. Die von beiden Seiten zurückhaltende, man möchte sagen friedliche Führung des letzten nominell zehnjährigen Krieges und der entsprechende Abschluß desselben durch den faktischen Übergang Armeniens an die Parther unter Schonung der Suszeptibilitäten des mächtigeren Westreiches trug gute Frucht. Armenien war unter der nationalen von den Römern anerkannten Dynastie mehr von ihnen abhängig als früher unter den dem Lande aufgedrungenen Herrschern. Wenigstens in der zunächst an den Euphrat grenzenden Landschaft Sophene blieb römische Besatzung. Für die Wiederherstellung von Artaxata wurde die Erlaubnis des Kaisers erbeten und gewährt und der Bau von Kaiser Nero mit Geld und Arbeitern gefördert. Zwischen den beiden mächtigen Staaten, die der Euphrat voneinander schied, hat zu keiner Zeit ein gleich gutes Verhältnis bestanden wie nach dem Abschluß des Vertrages von Rhandeia in den letzten Jahren Neros und weiter unter den drei Herrschern des flavischen Hauses. Noch andere Umstände trugen dazu bei. Die transkaukasischen Völkermassen, vielleicht gelockt durch ihre Beteiligung an den letzten Kriegen, während welcher sie als Söldner teils der Iberer, teils der Parther den Weg nach Armenien gefunden hatten, fingen damals an, vor allem die westlichen parthischen Provinzen, aber zugleich die östlichen des römischen Reiches zu bedrohen. Wahrscheinlich um ihnen zu wehren, wurde unmittelbar nach dem armenischen Kriege im J. 63 die Einziehung des sogenannten pontischen Königreichs verfügt, das heißt der Südostecke der Küste des Schwarzen Meeres mit der Stadt Trapezus und dem Phasisgebiet. Die große orientalische Expedition, welche Kaiser Nero eben anzutreten im Begriff war, als ihn die Katastrophe ereilte (68), und für welche er bereits die Kerntruppen des Westens teils nach Ägypten, teils an die Donau in Marsch gesetzt hatte, sollte freilich auch nach anderen Seiten hin die Reichsgrenze vorschieben; aber der eigentliche Zielpunkt waren die Kaukasuspässe oberhalb Tiflis und die am Nordabhang ansässigen skythischen Stämme, zunächst die Alanen. Eben diese berannten einerseits Armenien, andererseits Medien. Jene neronische Expedition richtete sich so wenig gegen die Parther, daß sie vielmehr aufgefaßt werden konnte als diesen zur Hilfe unternommen; den wilden Horden des Nordens gegenüber war für die beiden Kulturstaaten des Westens und des Ostens gemeinsame Abwehr allerdings angezeigt. Vologasos lehnte freilich die freundschaftliche Aufforderung seines römischen Kollegen, ihn ebenso wie der Bruder in Rom zu besuchen, in gleicher Freundschaftlichkeit ab, da ihn keineswegs gelüstete auch seinerseits als Lehnsträger des römischen Herrschers auf dem römischen Markt zu figurieren; aber er erklärte sich bereit, dem Kaiser sich vorzustellen, wenn dieser im Orient eintreffen werde, und nicht die Römer, aber wohl die Orientalen haben Nero aufrichtig betrauert. König Vologasos richtete an den Senat offiziell das Ersuchen, Neros Gedächtnis in Ehren zu halten, und als späterhin ein Pseudo-Nero auftrat, fand er vor allem im Partherstaat Sympathien.

Indes war es dem Parther nicht so sehr um die Freundschaft Neros zu tun, als um die des römischen Staates. Nicht bloß enthielt er sich während der Krisen des Vierkaiserjahres jedes Übergriffes, sondern er bot Vespasian, den wahrscheinlichen Ausgang des schwebenden Entscheidungskampfes richtig schätzend, noch in Alexandreia 40 000 berittene Schützen zum Kampfe gegen Vitellius an, was natürlich dankend abgelehnt ward. Vor allem aber fügte er sich ohne weiteres den Anordnungen, welche die neue Regierung für den Schutz der Ostgrenze traf. Vespasian hatte selbst als Statthalter von Judäa die Unzulänglichkeit der dort ständig verwendeten Streitkräfte kennengelernt; und als er diese Statthalterschaft mit der Kaisergewalt vertauschte, wurde nicht nur Kommagene wieder nach dem Vorgang des Tiberius aus einem Königreich eine Provinz, sondern es ward auch die Zahl der ständigen Legionen im römischen Asien von vier auf sieben erhöht, auf welche Zahl sie vorübergehend für den parthischen und wieder für den jüdischen Krieg gebracht worden waren. Während ferner es bis dahin in Asien nur ein einziges größeres Militärkommando, das des Statthalters von Syrien, gegeben hatte, wurden jetzt drei derartige Oberbefehlshaberstellen daselbst eingerichtet. Syrien, zu dem Kommagene hinzutrat, behielt wie bisher vier Legionen; die beiden bisher nur mit Truppen zweiter Ordnung besetzten Provinzen Palästina und Kappadokien wurden die erste mit einer, die zweite mit zwei Legionen belegt. Armenien blieb römisches Lehnfürstentum im Besitz der Arsakiden; aber unter Vespasian stand römische Besatzung jenseit der armenischen Grenze in dem iberischen Kastell Harmozika bei Tiflis und danach muß in dieser Zeit auch Armenien militärisch in römischer Gewalt gewesen sein. Alle diese Maßregeln, so wenig sie auch nur eine Kriegsdrohung enthielten, richteten die Spitze gegen den östlichen Nachbar. Dennoch war Vologasos nach dem Fall Jerusalems der erste, der dem römischen Kronprinzen seinen Glückwunsch zu der Befestigung der römischen Herrschaft in Syrien darbrachte, und die Einrichtung der Legionslager in Kommagene, Kappadokien und Klein-Armenien nahm er ohne Widerrede hin. Ja er regte sogar bei Vespasian jene transkaukasische Expedition wieder an und erbat die Sendung einer römischen Armee gegen die Alanen unter Führung eines der kaiserlichen Prinzen; obwohl Vespasian auf diesen weitaussehenden Plan nicht einging, so kann doch jene römische Truppe in der Gegend von Tiflis kaum zu anderem Zweck hingeschickt worden sein als zur Sperrung des Kaukasuspasses und vertrat insofern dort auch die Interessen der Parther. Trotz der Verstärkung der militärischen Stellung Roms am Euphrat oder auch vielleicht infolge derselben – denn dem Nachbar Respekt einzuflössen ist auch ein Mittel, den Frieden zu erhalten – blieb der Friedensstand während der gesamten Herrschaft der Flavier wesentlich ungestört. Wenn, wie das zumal bei dem steten Wechsel der parthischen Dynasten nicht befremden kann, ab und zu Kollisionen eintraten und selbst Kriegswolken sich zeigten, so verschwanden sie wieder ebenso rasch. Das Auftreten eines falschen Nero in den letzten Jahren Vespasians – es ist derjenige, der zu der Offenbarung Johannis den Anstoß gegeben hat – hätte fast zu einer solchen Kollision geführt. Der Prätendent, in Wirklichkeit ein gewisser Terentius Maximus aus Kleinasien, aber in Antlitz und Stimme und Künsten dem Sängerkaiser täuschend ähnlich, fand nicht bloß Zulauf in dem römischen Gebiet am Euphrat, sondern auch Unterstützung bei den Parthern. Bei diesen scheinen damals, wie sooft, mehrere Herrscher miteinander im Kampfe gelegen, und der eine von ihnen, Artabanos, weil Kaiser Titus sich gegen ihn erklärte, die Sache des römischen Prätendenten aufgenommen zu haben. Indes es hatte dies keine Folgen; vielmehr lieferte bald darauf die parthische Regierung den Prätendenten an Kaiser Domitianus aus. Der für beide Teile vorteilhafte Handelsverkehr von Syrien nach dem unteren Euphrat, wo eben damals König Vologasos nicht weit von Ktesiphon das neue Emporium Vologasias oder Vologasocerta ins Leben rief, wird das Seinige dazu beigetragen haben, den Friedensstand zu fördern.

Zu einem Konflikt kam es unter Traianus. In den früheren Jahren seiner Regierung hatte er in den östlichen Verhältnissen nichts Wesentliches geändert, abgesehen von der Verwandlung der an der Grenze der syrischen Wüste bis dahin bestehenden beiden Klientelstaaten, des nabatäischen von Petra und des jüdischen von Cäsarea Paneas, in unmittelbar römische Verwaltungsbezirke (J. 106). Die Beziehungen zu dem damaligen Herrscher des Partherreichs, dem König Pakoros, waren nicht die freundlichsten, aber erst unter dessen Bruder und Nachfolger Chosroes kam es zum Bruch, und zwar wiederum über Armenien. Die Schuld davon trugen die Parther. Indem Traianus den erledigten armenischen Königsthron dem Sohn des Pakoros Axidares verlieh, hielt er sich innerhalb der Grenzen seines Rechts; aber König Chosroes bezeichnete diese Persönlichkeit als unfähig zu regieren und setzte eigenmächtig einen anderen Sohn des Pakoros, den Parthomasiris, an dessen Stelle zum König ein. Die Antwort darauf war die römische Kriegserklärung. Gegen Ausgang des J. 114 verließ Traianus die Hauptstadt, um sich an die Spitze der römischen Truppen des Ostens zu stellen, die allerdings wieder in dem tiefsten Verfall sich befanden, aber von dem Kaiser schleunigst reorganisiert und außerdem durch bessere aus Pannonien herbeigezogene Legionen verstärkt wurden. In Athen trafen ihn Gesandte des Partherkönigs; aber sie hatten nichts zu bieten als die Anzeige, daß Parthomasiris bereit sei, Armenien als römisches Lehen entgegenzunehmen, und wurden abgewiesen. Der Krieg begann. In den ersten Gefechten am Euphrat zogen die Römer den kürzeren; aber als der alte schlagfertige und sieggewohnte Kaiser im Frühjahr des J. 115 selbst sich an die Spitze der Truppen stellte, unterwarfen sich ihm die Orientalen fast ohne Gegenwehr. Es kam hinzu, daß bei den Parthern wieder einmal der Bürgerkrieg im Gange und gegen Chosroes ein Prätendent Manisaros aufgetreten war. Von Antiocheia aus marschierte der Kaiser an den Euphrat und weiter nordwärts bis zu dem nördlichsten Legionslager Satala in Klein-Armenien, von wo aus er in Armenien einrückte und die Richtung auf Artaxata nahm. Unterwegs in Elegeia erschien Parthomasiris und nahm das Diadem vom Haupte, in der Hoffnung, durch diese Demütigung, wie einst Tiridates, die Belehnung zu erwirken. Allein Traianus war entschlossen, auch diesen Lehnsstaat zur Provinz zu machen und überhaupt die östliche Reichsgrenze zu verlegen. Dies erklärte er dem Partherfürsten vor dem versammelten Heer und wies ihn an, mit seinem Gefolge sofort das Lager und das Reich zu räumen; es kam darüber zu einem Auflauf, bei welchem der Prätendent das Leben verlor. Armenien ergab sich in sein Schicksal und wurde römische Statthalterschaft. Auch die Fürsten der Kaukasusvölker, der Albaner, der Iberer, weiter gegen das Schwarze Meer der Apsiler, der Kolcher, der Heniocher, der Lazen und anderer mehr, selbst die der transkaukasischen Sarmaten wurden in dem Lehnsverhältnis bestätigt oder jetzt demselben unterworfen. Traianus rückte darauf in das Gebiet der Parther ein und besetzte Mesopotamien. Auch hier fügte sich alles ohne Schwertstreich; Batnä, Nisibis, Singara kamen in die Gewalt der Römer; in Edessa nahm der Kaiser nicht bloß die Unterwerfung des Landesherrn Abgaros entgegen, sondern auch die der übrigen Dynasten und gleich Armenien wurde Mesopotamien römische Provinz. Die Winterquartiere nahm Traianus abermals in Antiocheia, wo ein gewaltiges Erdbeben mehr Opfer forderte als der Feldzug des Sommers. Im nächsten Frühjahr (116) ging Traian, »der Parthersieger«, wie der Senat ihn jetzt begrüßte, von Nisibis aus über den Tigris und besetzte, nicht ohne bei dem Übergang und nachher Widerstand zu finden, die Landschaft Adiabene; dies wurde die dritte neue römische Provinz, Assyria genannt. Weiter ging der Marsch den Tigris abwärts nach Babylonien; Seleukeia und Ktesiphon fielen in die Hände der Römer und mit ihnen der goldene Thronsitz des Königs und dessen Tochter; Traianus gelangte bis nach der persischen Satrapie Mesene und der großen Kaufstadt an der Tigrismündung Charax Spasinu. Auch dieses Gebiet scheint dem Reich in der Weise einverleibt worden zu sein, daß die neue Provinz Mesopotamien das gesamte von den beiden Flüssen umschlossene Gebiet umfaßte. Mit sehnsüchtigen Gedanken soll Traianus hier sich die Jugend Alexanders gewünscht haben, um von dem Ufersaum des Persischen Meeres aus seine Waffen in das indische Wunderland zu tragen. Indes er erfuhr bald, daß er sie für nähere Gegner brauchte. Das große Partherreich hatte bisher dem Angriff kaum ernstlich die Stirn geboten und oftmals vergeblich um Frieden gebeten. Jetzt aber auf dem Rückweg in Babylon trafen den Kaiser die Botschaften von dem Abfall Babyloniens und Mesopotamiens; während er an der Tigrismündung verweilte, hatte gegen ihn die gesamte Bevölkerung dieser neuen Provinzen sich erhoben; die Bürger von Seleukeia am Tigris, von Nisibis, ja von Edessa selbst machten die römischen Besatzungen nieder oder verjagten sie und schlossen ihre Tore. Der Kaiser sah sich genötigt, seine Truppen zu teilen und gegen die verschiedenen Herde des Aufstandes einzelne Korps zu schicken; eine dieser Legionen unter Maximus wurde mit ihrem Feldherrn in Mesopotamien umzingelt und niedergehauen. Doch ward der Kaiser der Insurgenten Herr, namentlich durch den schon im dazischen Kriege erprobten Feldherrn Lusius Quietus, einen geborenen Maurenscheich. Seleukeia und Edessa wurden belagert und niedergebrannt. Traianus ging so weit, Parthien zum römischen Vasallenstaat zu erklären und belehnte damit in Ktesiphon einen Parteigänger Roms, den Parther Parthamaspates, obwohl die römischen Soldaten nicht mehr als den westlichen Saum des großen Reiches betreten hatten. Alsdann schlug er den Rückweg nach Syrien ein auf dem Wege, den er gekommen war, unterwegs aufgehalten durch einen vergeblichen Angriff auf die Araber in Hatra, der Residenz des Königs der tapferen Stämme der mesopotamischen Wüste, deren gewaltige Festungswerke und prachtvolle Bauten noch heute in ihren Ruinen imponieren. Er beabsichtigte den Krieg im nächsten Jahre fortzusetzen, also die Unterwerfung der Parther zur Wahrheit zu machen. Aber das Gefecht in der Wüste von Hatra, in welchem der sechzigjährige Kaiser tapfer mit den arabischen Reitern sich herumgeschlagen hatte, sollte sein letztes sein. Er erkrankte und starb auf der Heimreise (8. August 117), ohne seinen Sieg vollenden und die Siegesfeier in Rom abhalten zu können; es war in seinem Sinn, daß ihm noch nach dem Tode die Ehre des Triumphes zuteil ward und er daher der einzige der vergötterten römischen Kaiser ist, welcher auch als Gott noch den Siegestitel führt.

Traianus hatte den Krieg mit den Parthern nicht gesucht, sondern er war ihm aufgenötigt worden; nicht er, sondern Chosroes hatte das Abkommen über Armenien gebrochen, welches die letzten vierzig Jahre hindurch die Grundlage des Friedensstandes im Euphratgebiet gewesen war. Wenn es begreiflich ist, daß die Parther sich dabei nicht beruhigten, da die fortdauernde Lehnsherrschaft der Römer über Armenien den Stachel zur Auflehnung in sich trug, so muß man auch andererseits anerkennen, daß auf dem bisherigen Wege nicht weitergegangen werden konnte, als Corbulo gegangen war; der unbedingte Verzicht auf Armenien und, was davon die notwendige Folge war, die Anerkennung des Partherstaates in voller Gleichberechtigung liegen nun einmal außer dem Horizont der römischen Politik, so gut wie die Aufhebung der Sklaverei und ähnliche zu jener Zeit undenkbare Gedanken. Wenn aber mit dieser Alternative nicht zu dauerhaftem Frieden gelangt werden konnte, so blieb in dem großen Dilemma der römischen Orientpolitik nur die andere übrig, die Erstreckung der unmittelbaren römischen Herrschaft auf das linke Ufer des Euphrat. Darum ward Armenien jetzt römische Provinz und nicht minder Mesopotamien. Es war das nur sachgemäß. Die Verwandlung Armeniens aus einem römischen Lehnsstaat mit römischer Besatzung in eine römische Statthalterschaft änderte nach außen hin nicht viel; die Parther konnten aus Armenien wirksam nur ausgewiesen werden, indem sie den Besitz der benachbarten Landschaft verloren; und vor allem fand die römische Herrschaft wie die römische Provinzialverfassung in dem halb griechischen Mesopotamien einen weit günstigeren Boden als in dem durchaus orientalischen Armenien. Andere Erwägungen kamen hinzu. Die römische Zollgrenze in Syrien war übel beschaffen und den internationalen Verkehr von den großen Handelsplätzen Syriens nach dem Euphrat und dem Tigris ganz in die Gewalt zu bekommen für den römischen Staat ein wesentlicher Gewinn, wie denn auch Traianus sofort daran ging, die neuen Euphrat- und Tigriszölle einzurichten. Auch militärisch war die Tigrisgrenze leichter zu verteidigen als die bisherige an der syrischen Wüste und weiter am Euphrat hinlaufende Grenzlinie. Die Umwandlung der Landschaft Adiabene jenseits des Tigris in eine römische Provinz, wodurch Armenien Binnenprovinz ward, und die Umgestaltung des parthischen Reiches selbst in einen römischen Lehnsstaat sind Korollarien desselben Gedankens. Es soll in keiner Weise geleugnet werden, daß bei der Eroberungspolitik die Konsequenz ein bedenkliches Lob ist, und daß Traianus nach seiner Art bei diesen Unternehmungen dem Streben nach äußerlichem Erfolg mehr als billig nachgegeben und über das verständige Ziel hinausgegriffen hat; aber es geschieht ihm Unrecht, wenn sein Auftreten im Osten auf blinde Eroberungslust zurückgeführt wird. Er tat, was Cäsar, wenn er gelebt hätte, auch getan haben würde. Seine Politik ist nur die andere Seite derjenigen der Staatsmänner Neros, und beide sind so entgegengesetzt wie gleich folgerichtig und gleichberechtigt. Die Folgezeit hat mehr der erobernden Politik Recht gegeben als derjenigen der Nachgiebigkeit.

Für den Augenblick freilich kam es anders. Die orientalischen Eroberungen Traians durchleuchten den trüben Abend des Römerreiches wie die Blitzstrahlen die dunkle Nacht, aber wie diese bringen sie keinen neuen Morgen. Der Nachfolger fand sich vor die Wahl gestellt, das unfertige Werk der Unterwerfung der Parther zu vollenden oder fallen zu lassen. Ohne bedeutende Steigerung der Armee wie des Budgets konnte die Grenzerweiterung überall nicht durchgeführt werden; und die damit unvermeidlich gegebene Verschiebung des Schwerpunktes nach Osten war eine bedenkliche Stärkung des Reiches. Hadrian und Pius lenkten also völlig wieder ein in die Bahnen der früheren Kaiserzeit. Den römischen Lehnskönig von Parthien, den Parthamaspates, ließ Hadrian fallen und fand ihn in anderer Weise ab. Er räumte Assyrien und Mesopotamien und gab diese Provinzen freiwillig dem früheren Herrn zurück. Nicht minder sandte er diesem die gefangene Tochter; das bleibende Zeichen des gewonnenen Sieges, den goldenen Thron von Ktesiphon, weigerte selbst der friedfertige Pius sich den Parthern wieder auszuliefern. Hadrianus sowohl wie Pius waren ernstlich bemüht, mit dem Nachbar in Frieden und Freundschaft zu leben, und zu keiner Zeit scheinen die Handelsbeziehungen zwischen den römischen Entrepots an der syrischen Ostgrenze und den Kaufstädten am Euphrat reger gewesen zu sein als in dieser Epoche. – Armenien hörte ebenfalls auf römische Provinz zu sein und trat in seine frühere Stellung zurück als römischer Lehnsstaat und parthische Sekundogenitur. Abhängig blieben gleichfalls die Fürsten der Albaner und Iberer am Kaukasus und die zahlreichen kleinen Dynasten in dem südöstlichen Winkel des Schwarzen Meeres. Römische Besatzungen standen nicht bloß an der Küste in Apsaros und am Phasis, sondern nachweislich unter Commodus in Armenien selbst unweit Artaxata; militärisch gehörten alle diese Staaten zum Sprengel des Kommandanten von Kappadokien. Indes scheint diese ihrem Wesen nach sehr unbestimmte Oberhoheit überhaupt, und namentlich von Hadrian, in einer Weise gehandhabt zu sein, daß sie mehr als ein Schutzrecht erschien, denn als eigentliche Untertänigkeit, und wenigstens die mächtigeren unter diesen Fürsten taten und ließen im wesentlichen, was ihnen gefiel. Das schon früher hervorgehobene gemeinsame Interesse der Abwehr der wilden transkaukasischen Stämme trat in dieser Epoche noch bestimmter hervor und hat offenbar namentlich zwischen Römern und Parthern als ein Band gedient. Gegen das Ende der Regierung Hadrians fielen die Alanen, im Einverständnis, wie es scheint, mit dem damaligen König von Iberien Pharasmanes II, dem es zunächst oblag, ihnen den Kaukasuspaß zu sperren, in die südlichen Landschaften ein und plünderten nicht bloß das Gebiet der Albaner und der Armenier, sondern auch die parthische Provinz Medien und die römische Provinz Kappadokien; wenn es auch nicht zu gemeinschaftlicher Kriegführung kam, sondern das Gold des damals in Parthien regierenden Herrschers Vologasos III. und die Mobilmachung der kappadokischen Armee von seiten der Römer die Barbaren zur Umkehr bestimmten, so gingen die Interessen doch zusammen, und die Beschwerde, welche die Parther in Rom über Pharasmanes von Iberien führten, zeigt das Zusammenhalten der beiden Großmächte.

Die Störungen des Status quo kamen wieder von parthischer Seite. Die Oberherrlichkeit der Römer über Armenien hat in der Geschichte eine ähnliche Rolle gespielt wie die des deutschen Kaiserreiches über Italien; wesenlos wie sie war, wurde sie doch stets als Übergriff empfunden und trug die Kriegsgefahr im Schoße. Schon unter Hadrian drohte der Konflikt; es gelang dem Kaiser in einer persönlichen Zusammenkunft mit dem Partherfürsten den Friedensstand zu wahren. Unter Pius schien abermals die parthische Invasion Armeniens bevorzustehen; seine ernste Abmahnung war zunächst von Erfolg. Aber selbst dieser friedfertigste aller Kaiser, dem es mehr am Herzen lag, das Leben eines Bürgers zu sparen als tausend Feinde zu töten, mußte in der letzten Zeit seiner Regierung sich auf den Angriff gefaßt machen und die Heere des Orients verstärken. Kaum hatte er die Augen geschlossen (J. 161), als sich das lange drohende Gewitter entlud. Auf Befehl des Königs Vologasos IV. rückte der persische Feldherr Chosroes in Armenien ein und setzte den Arsakidenprinzen Pakoros auf den Thron. Der Statthalter von Kappadokien Severianus tat, was seine Pflicht war, und führte seinerseits die römischen Truppen über den Euphrat. Bei Elegeia, eben da, wo ein Menschenalter zuvor der ebenfalls von den Parthern auf den armenischen Thron gesetzte König Parthomasiris sich vor Traian vergeblich gedemütigt hatte, stießen die Heere aufeinander; das römische wurde nicht bloß geschlagen, sondern in dreitägigem Kampfe vernichtet; der unglückliche Feldherr gab, wie einst Varus, sich selber den Tod. Die siegreichen Orientalen begnügten sich nicht mit der Einnahme Armeniens, sondern überschritten den Euphrat und brachen in Syrien ein; auch das dort stehende Heer wurde geschlagen, und man fürchtete für die Treue der Syrer. Die römische Regierung hatte keine Wahl. Da die Truppen des Orients auch bei dieser Gelegenheit ihre geringe Schlagfähigkeit bewiesen und überdies durch die erlittene Niederlage geschwächt und demoralisiert waren, wurden aus dem Westen, selbst vom Rhein her weitere Legionen nach dem Osten gesandt und in Italien selbst Aushebungen angeordnet. Der eine der beiden kurz vorher zur Regierung gelangten Kaiser Lucius Verus ging selbst nach dem Orient (J. 162), um den Oberbefehl zu übernehmen; und wenn er, weder kriegerisch noch auch nur pflichttreu, sich der Aufgabe nicht gewachsen zeigte und von seinen Taten im Orient kaum etwas anderes zu berichten ist, als daß er mit seiner Nichte daselbst Hochzeit machte und wegen seines Theaterenthusiasmus selbst von den Antiochenern ausgelacht ward, so führten die Statthalter von Kappadokien und von Syrien, dort zuerst Statius Priscus, dann Martius Verus, hier Avidius Cassius, die besten Generale dieser Epoche, die Sache Roms besser als der Träger der Krone. Noch einmal, bevor die Heere aneinander kamen, boten die Römer den Frieden; gern hätte Marcus den schweren Krieg vermieden. Aber Vologasos wies die billigen Vorschläge schroff zurück; und diesmal war der friedfertige Nachbar auch der stärkere. Armenien wurde sofort wieder gewonnen; schon im J. 163 nahm Priscus die Hauptstadt Artaxata ein und zerstörte sie. Nicht weit davon wurde die neue Landeshauptstadt, Kainepolis, armenisch Nor-Khalakh oder Valarschapat (Etschmiazin), von den Römern erbaut und mit starker Besatzung belegt. Im Jahre darauf wurde an Pakoros Stelle Sohämos, der Abstammung nach auch ein Arsakide, aber römischer Untertan und römischer Senator, zum König von Groß-Armenien ernannt. Rechtlich also änderte in Armenien sich nichts; doch wurden die Bande, die es an Rom knüpften, straffer angezogen. – Ernster waren die Kämpfe in Syrien und Mesopotamien. Die Euphratlinie wurde von den Parthern hartnäckig verteidigt; nach einem lebhaften Gefecht am rechten Ufer bei Sura wurde die Festung Nikephorion (Rakka) auf dem linken von den Römern erstürmt. Noch heftiger wurde um den Übergang bei Zeugma gestritten; aber auch hier blieb in der entscheidenden Schlacht bei Europos (Djerabis südlich von Biredjik) den Römern der Sieg. Sie rückten nun ihrerseits in Mesopotamien ein. Edessa wurde belagert, Dausara unweit davon erstürmt; die Römer erschienen vor Nisibis; der parthische Feldherr rettete sich schwimmend über den Tigris. Die Römer konnten von Mesopotamien aus den Marsch nach Babylon antreten. Die Satrapen verließen teilweise die Fahnen des geschlagenen Großkönigs; Seleukeia, die große Kapitale der Hellenen am Euphrat, öffnete den Römern freiwillig die Tore, wurde aber später, weil die Bürgerschaft mit Recht oder mit Unrecht des Einverständnisses mit dem Feinde beschuldigt ward, von den Römern niedergebrannt. Auch die parthische Hauptstadt Ktesiphon wurde genommen und zerstört; mit gutem Grund konnte zu Anfang des J. 165 der Senat die beiden Herrscher als die parthischen Großsieger begrüßen. In dem Feldzug dieses Jahres drang Cassius sogar in Medien ein; indes namentlich die in diesen Gegenden ausbrechende Pest dezimierte die Truppen und nötigte zur Umkehr, beschleunigte vielleicht auch den Friedensschluß. Das Ergebnis des Krieges war die Abtretung des westlichen Strichs von Mesopotamien: die Fürsten von Edessa oder von Osrhoene traten in den römischen Lehnsverband, und die Stadt Karrhä, seit langem gut griechisch gesinnt, wurde Freistadt unter römischem Schutz. Dem Umfang nach war, zumal dem vollständigen Kriegserfolg gegenüber, der Gebietszuwachs mäßig, dennoch aber von Bedeutung, insofern damit die Römer Fuß faßten am linken Ufer des Euphrat. Im übrigen wurden die besetzten Gebiete den Parthern zurückgegeben und der Status quo wiederhergestellt. Im ganzen also gab man die zurückhaltende, von Hadrian aufgenommene Politik jetzt wieder auf und lenkte ein in die Bahn des Traianus. Es ist dies um so bemerkenswerter, als der Regierung des Marcus gewiß nicht Ehrgeiz und Vergrößerungsstreben zum Vorwurf gemacht werden kann; was sie tat, tat sie notgedrungen und in bescheidenen Grenzen.

Den gleichen Weg ging weiter und entschiedener Kaiser Severus. Das Dreikaiserjahr 193 hatte zum Kriege zwischen den Legionen des Westens und denen des Ostens geführt und mit Pescennius Niger waren diese unterlegen. Die römischen Lehnsfürsten des Ostens und nicht minder der Beherrscher der Parther, Vologasos V., des Sanatrukios Sohn, hatten, wie begreiflich, den Niger anerkannt und ihm sogar ihre Truppen zur Verfügung gestellt; dieser hatte erst dankend abgelehnt, dann, als seine Sache eine üble Wendung nahm, ihre Hilfe angerufen. Die übrigen römischen Lehnsträger, vor allem der von Armenien, hielten sich vorsichtig zurück; nur der Fürst von Edessa, Abgaros, sandte den verlangten Zuzug. Die Parther versprachen Hilfe, und sie kam auch wenigstens aus den nächsten Distrikten, von dem Fürsten Barsemias von Hatra in der mesopotamischen Wüste und von jenseit des Tigris von dem Satrapen der Adiabener. Auch nach Nigers Tod (J. 194) blieben diese Fremden nicht bloß in dem römischen Mesopotamien, sondern forderten sogar das Herausziehen der daselbst stehenden römischen Besatzungen und die Rückgabe dieses Gebietes. Darauf rückte Severus in Mesopotamien ein und nahm die ganze ausgedehnte und wichtige Landschaft in Besitz. Von Nisibis aus wurde eine Expedition gegen den Araberfürsten von Hatra geführt, der es indes nicht gelang, die feste Stadt zu nehmen; auch jenseit des Tigris gegen den Satrapen von Adiabene richteten die Generale des Severus nichts Bedeutendes aus. Aber Mesopotamien, das heißt das ganze Gebiet zwischen Euphrat und Tigris bis zum Chaboras, wurde römische Provinz und mit zwei dieser Gebietserweiterung wegen neu geschaffenen Legionen belegt. Das Fürstentum Edessa blieb als römische Lehnsherrschaft bestehen, war aber jetzt nicht mehr Grenzgebiet, sondern von unmittelbarem Reichsland umschlossen. Hauptstadt der neuen Provinz und Sitz des Statthalters wurde die ansehnliche und feste Stadt Nisibis, seitdem nach dem Namen des Kaisers genannt und als römische Kolonie geordnet. Nachdem also von dem parthischen Reiche ein wichtiger Gebietsteil abgerissen und gegen zwei von ihm abhängige Satrapen Waffengewalt gebraucht worden war, machte sich der Großkönig mit den Truppen auf, um den Römern entgegenzutreten. Severus bot die Hand zum Frieden und trat für Mesopotamien einen Teil von Armenien ab. Indes war damit die Waffenentscheidung nur vertagt. So wie Severus nach dem Westen aufgebrochen war, wohin die Verwicklung mit seinem Mitherrscher in Gallien ihn abrief, brachen die Parther den Frieden und rückten in Mesopotamien ein; der Fürst von Osrhoene ward vertrieben, das Land besetzt und der Statthalter Lätus, einer der vorzüglichsten Kriegsmänner der Zeit, in Nisibis belagert. Er schwebte in großer Gefahr, als Severus, nachdem Albinus unterlegen war, im J. 198 abermals im Orient eintraf. Damit wendete sich das Kriegsglück. Die Parther wichen zurück, und nun ergriff Severus die Offensive. Er rückte in Babylonien ein und gewann Seleukeia und Ktesiphon; der Partherkönig rettete sich mit wenigen Reitern durch die Flucht, der Kronschatz wurde die Beute der Sieger, die parthische Hauptstadt den römischen Soldaten zur Plünderung preisgegeben und über 100 000 Gefangene auf den römischen Sklavenmarkt gebracht. Besser freilich als der Partherstaat selbst wehrten sich die Araber in Hatra; vergeblich versuchte Severus in zwiefacher schwerer Belagerung die Wüstenburg zu bezwingen. Aber im wesentlichen war der Erfolg der beiden Feldzüge der J. 198 und 199 ein vollständiger. Durch die Einrichtung der Provinz Mesopotamien und des großen Kommandos daselbst verlor Armenien die Zwischenstellung, welche es bisher gehabt hatte; es konnte in den bisherigen Verhältnissen verbleiben und von der förmlichen Einverleibung abgesehen werden. Das Land behielt also seine eigenen Truppen, und die Reichsregierung hat sogar für dieselben späterhin einen Zuschuß aus der Reichskasse gezahlt.

Die weitere Entwicklung dieser Nachbarverhältnisse ist bedingt durch die Verschiebung der inneren Ordnung in den beiden Reichen. Wenn unter der Dynastie Nervas und nicht minder unter Severus dem oft von Bürgerkrieg und Thronfehde zerrissenen Partherstaat die relativ stabile römische Monarchie überlegen gegenübergestanden hatte, so brach diese Ordnung nach Severus Tode zusammen, und fast ein Jahrhundert lang folgten sich in dem Westreich meist elende und durchaus ephemere Regenten, die dem Ausland gegenüber stetig schwankten zwischen Übermut und Schwäche. Während also die Schale des Westens sank, stieg diejenige des Ostens. Wenige Jahre nach dem Tode des Severus (211) trat in Iran eine Umwälzung ein, welche nicht bloß, wie so viele frühere Krisen, den herrschenden Regenten stürzte, nicht einmal bloß eine andere Dynastie an die Stelle der verkommenen Arsakiden ans Regiment rief, sondern die nationalen und religiösen Elemente zu gewaltigem Aufschwung entfesselnd an die Stelle der vom Hellenismus durchdrungenen Bastardzivilisation des Partherstaates die Staatsordnung, den Glauben, die Sitte und die Fürsten derjenigen Landschaft setzte, welche das alte Perserreich geschaffen hatte und seit dessen Übergang an die parthische Dynastie wie die Gräber des Dareios und des Xerxes, so auch die Keime der Wiedergeburt des Volkes in sich bewahrte. Es erfolgte die Wiederherstellung des von Alexander niedergeworfenen Großkönigtums der Perser durch das Eintreten der Dynastie der Sassaniden. Werfen wir auf diese neue Gestaltung der Dinge einen Blick, bevor wir den Verlauf der römisch-parthischen Beziehungen im Orient weiter verfolgen.

Es ist schon ausgesprochen worden, daß die parthische Dynastie, obwohl in der Tat sie Iran dem Hellenismus entrissen hatte, doch der Nation sozusagen als illegitim galt. Artahschatr oder neupersisch Ardaschir, so berichtet die offizielle Historiographie der Sassaniden, trat auf, um das Blut des von Alexander ermordeten Dara zu rächen und um die Herrschaft an die legitime Familie zurückzubringen und sie so wieder herzustellen, wie sie zur Zeit seiner Vorfahren, vor den Teilkönigen gewesen war. In dieser Legende steckt ein gutes Stück Wirklichkeit. Die Dynastie, welche von dem Großvater Ardaschirs Sasan den Namen führt, ist keine andere als die königliche der persischen Landschaft; Ardaschirs Vater Papak oder Pabek und eine lange Reihe seiner Ahnen hatten unter der Obergewalt der Arsakiden in diesem Stammlande der iranischen Nation das Szepter geführt, in Istachr, unweit des alten Persepolis residiert und ihre Münzen mit iranischer Sprache und iranischer Schrift und mit den heiligen Emblemen des persischen Landesglaubens bezeichnet, während die Großkönige in dem halb griechischen Grenzland ihren Sitz hatten und ihre Münzen in griechischer Sprache und griechischer Weise prägen ließen. Die Grundordnung des iranischen Staatensystems, das den Teilkönigen übergeordnete Großkönigtum, ist unter den beiden Dynastien ebenso wenig eine verschiedene gewesen, wie die des Reiches deutscher Nation unter den sächsischen und den schwäbischen Kaisern. Nur darum wird in jener offiziellen Version die Arsakidenzeit als die der Teilkönige und Ardaschir als das erste gemeinsame Haupt von ganz Iran nach dem letzten Dareios bezeichnet, weil im alten persischen Reich die persische Landschaft wie zu den übrigen, so auch zu den Parthern sich verhält wie im römischen Staat Italien zu den Provinzen und der Perser dem Parther die Legitimation für das von Rechts wegen mit seiner Landschaft verbundene Großkönigtum bestritt.

Wie dem Umfange nach das Sassanidenreich sich zu dem der Arsakiden verhielt, ist eine Frage, auf die die Überlieferung keine genügende Antwort gibt. Die Provinzen des Westens sind, seit die neue Dynastie fest im Sattel saß, sämtlich derselben untertänig geblieben, und die Ansprüche, die die letztere gegen die Römer erhob, gingen, wie wir sehen werden, weit hinaus über die Prätensionen der Arsakiden. Aber wie weit die Herrschaft der Sassaniden gegen den Osten gereicht hat und wann sie bis zum Oxos vorgedrungen ist, der später als die legitime Grenze zwischen Iran und Turan gilt, entzieht sich unseren Blicken.

Das Staatssystem Irans hat infolge des Eintritts der neuen Dynastie sich nicht gerade prinzipiell umgestaltet. Die offizielle Titulatur des ersten Sassanidenherrschers, wie sie unter dem Felsrelief von Nakschi-Rustam in drei Sprachen gleichmäßig angegeben ist: »der Mazda-Diener Gott Artaxares, König der Könige der Arianer, göttlicher Abstammung«, ist im wesentlichen die der Arsakiden, nur daß die iranische Nation, wie schon in der alteinheimischen Königstitulatur, und der einheimische Gott jetzt ausdrücklich genannt werden. Daß eine in der Persis heimische Dynastie an die Stelle einer ursprünglich stammfremden und nur nationalisierten trat, war ein Werk und ein Sieg nationaler Reaktion; aber den daraus sich ergebenden Konsequenzen setzte die Macht der Verhältnisse vielfach unübersteigliche Schranken. Persepolis oder, wie es jetzt heißt, Istachr, wird wieder dem Namen nach die Hauptstadt des Reiches und neben den gleichartigen des Dareios verkünden dort auf derselben Felsenwand die merkwürdigen Bildwerke und noch merkwürdigeren eben erwähnten Inschriften den Ruhm Ardachirs und Schapurs; aber die Verwaltung konnte von dieser entlegenen Örtlichkeit aus nicht wohl geführt werden, und ihr Mittelpunkt blieb auch ferner Ktesiphon. Den rechtlichen Vorzug der Perser, wie er unter den Achämeniden bestanden hatte, nahm die neupersische Regierung nicht wieder auf; wenn Dareios sich »einen Perser, Sohn eines Persers, einen Arier aus arischem Stamm« nannte, so nannte Ardaschir sich, wie wir sahen, lediglich den König der Arianer. Ob in die großen Geschlechter, abgesehen von dem königlichen, persische Elemente neu eingeführt worden sind, wissen wir nicht; auf jeden Fall sind mehrere von ihnen geblieben, wie die Suren und die Karen; nur unter den Achämeniden, nicht unter den Sassaniden sind dieselben ausschließlich persisch gewesen.

Auch in religiöser Beziehung trat ein eigentlicher Wechsel nicht ein; wohl aber gewann der Glaube und gewannen die Priester unter den persischen Großkönigen einen Einfluß und eine Macht, wie sie sie unter den parthischen niemals besessen hatten. Es mag wohl sein, daß die zwiefache Propaganda fremder Kulte gegen Iran, des Buddhatums vom Osten her und des jüdisch-christlichen Glaubens aus dem Westen, der alten Mazda-Religion eben durch die Fehde eine Regeneration brachten. Der Stifter der neuen Dynastie Ardaschir war, wie glaubhaft berichtet wird, ein eifriger Feueranbeter und nahm selbst die Weihen des Priestertums; darum, heißt es weiter, wurde von da an der Stand der Magier einflußreich und anmaßend, während er bis dahin keineswegs solche Ehre und solche Freiheit gehabt, sondern bei den Machthabern nicht eben viel gegolten hatte. »Seitdem ehren und verehren die Perser alle die Priester; die öffentlichen Angelegenheiten werden nach ihren Ratschlägen und Orakeln geordnet; jeder Vertrag und jeder Rechtsstreit unterliegt ihrer Aufsicht und ihrem Urteil, und nichts erscheint den Persern recht und gesetzlich, was nicht von einem Priester bestätigt worden ist.« Dementsprechend begegnen wir einer Ordnung der geistlichen Verwaltung, die an die Stellung des Papstes und der Bischöfe neben dem Kaiser und den Fürsten erinnert. Jeder Kreis steht unter einem Obermagier (Magupat, Magierherr, neupersisch Mobedh) und diese alle wieder unter dem Obersten der Obermagier (Mobedhan-Mobedh), dem Abbild des »Königs der Könige«, und er ist es jetzt, der den König krönt. Die Folgen dieser Priesterherrschaft blieben nicht aus: das starre Ritual, die beengenden Vorschriften über Schuld und Sühne, die in wüstes Orakelwesen und Zauberkunst sich auflösende Wissenschaft haften zwar dem Parsentum von jeher an, sind aber doch vermutlich erst in dieser Epoche zu voller Entwicklung gelangt. Auch in dem Gebrauch der Landessprache und den Landesgebräuchen zeigen sich die Spuren der nationalen Reaktion. Die größte Griechenstadt des Partherreiches, die alte Seleukeia, blieb bestehen, aber sie heißt seitdem nicht nach dem Namen des griechischen Marschalls, sondern nach dem ihres neuen Herrn Beh, das heißt gut, Ardaschir. Die griechische Sprache, bisher, wenn auch zerrüttet und nicht mehr alleinherrschend, doch immer noch in Gebrauch, verschwindet mit dem Eintritt der neuen Dynastie mit einem Schlag von den Münzen, und nur auf den Inschriften der ersten Sassaniden begegnet sie noch neben und hinter der eigentlichen Landessprache. Die »Partherschrift«, das Pahlavi, behauptet sich, aber neben sie tritt eine zweite wenig verschiedene, und zwar, wie die Münzen beweisen, als eigentlich offizielle, wahrscheinlich die bis dahin in der persischen Provinz gebrauchte, so daß die ältesten Denkmäler der Sassaniden, ähnlich wie die der Achämeniden, dreisprachig sind, etwa wie im deutschen Mittelalter lateinisch, sächsisch und fränkisch nebeneinander Anwendung gefunden haben. Nach König Sapor I. (  272) verschwindet die Zwiesprachigkeit und behauptet die zweite Schreibweise allein den Platz, den Namen Pahlavi erbend. Das Jahr der Seleukiden und die dazugehörigen Monatsnamen verschwinden mit dem Wechsel der Dynastie; dafür treten nach altem persischen Herkommen die Regentenjahre ein und die einheimischen persischen Monatsnamen. Selbst die altpersische Legende wird auf das neue Persien übertragen. Die noch vorhandene »Geschichte von Ardaschir Papaks Sohn«, welche diesen Sohn eines persischen Hirten an den medischen Hof geraten, dort Knechtsdienste tun und dann den Befreier seines Volkes werden läßt, ist nichts als das alte Märchen vom Kyros auf die neuen Namen umgeschrieben. Ein anderes Fabelbuch der indischen Parsen weiß zu berichten, wie König Iskander Rumi, das heißt »Alexander der Römer«, die heiligen Bücher Zarathustras habe verbrennen lassen, dann aber sie hergestellt worden seien von dem frommen Ardaviraf, als König Ardaschir den Thron bestiegen habe. Hier steht der Römer-Hellene gegen den Perser; den arsakidischen Bastard hat die Sage, wie billig, vergessen. Im übrigen werden die Zustände wesentlich die alten geblieben sein. In militärischer Beziehung namentlich sind die Heere auch der Sassaniden sicher keine stehenden und geschulten Truppen gewesen, sondern das Aufgebot der wehrfähigen Mannschaften, in das mit der nationalen Bewegung wohl ein neuer Geist gefahren sein mag, aber das nach wie vor im wesentlichen auf dem adligen Roßdienst ruhte. Auch die Verwaltung blieb wie sie war: der tüchtige Herrscher schritt mit unerbittlicher Strenge ein gegen den Straßenräuber wie gegen den erpressenden Beamten und, verglichen wenigstens mit der späteren arabischen und der türkischen Herrschaft, befanden sich die Untertanen des Sassanidenreiches im Wohlstand und der Staatsschatz in Fülle.

Bedeutsam aber ist die Verschiebung der Stellung des neuen Reiches gegenüber dem römischen. Die Arsakiden haben den Cäsaren sich nie völlig ebenbürtig gefühlt. Wie oft auch beide Staaten in Krieg und Frieden als gleichgewogene Mächte sich einander entgegentraten, wie entschieden die Anschauung der doppelten Großmacht auch den römischen Orient beherrscht, es bleibt der römischen Macht ein ähnlicher Vorrang, wie ihn das heilige römische Reich deutscher Nation lange Jahrhunderte sehr zu seinem Schaden besessen hat. Unterwerfungsakte, wie sie gegenüber Tiberius und Nero die parthischen Großkönige auf sich nahmen, ohne durch die äußerste Notwendigkeit dazu gezwungen zu sein, lassen sich umgekehrt nicht einmal denken. Deutlicher noch spricht die Unterlassung der Goldprägung. Es kann nicht Zufall sein, daß nie unter dem Regiment der Arsakiden eine Goldmünze geschlagen worden ist und gleich der erste Sassanidenherrscher die Goldprägung geübt hat; es ist dieselbe das greifbarste Zeichen der durch keine Vasallenpflichten beschränkten Souveränität. Dem Anspruch des Cäsarenreiches allein die Weltmünze schlagen zu können, hatten die Arsakiden ohne Ausnahme sich wenigstens insoweit gefügt, daß sie selber überhaupt sich der Prägung enthielten und diese in Silber und Kupfer den Städten oder den Satrapen überließen; die Sassaniden schlugen wieder Goldstücke, auch wie König Dareios. Das Großkönigtum des Ostens fordert endlich sein volles Recht; die Welt gehört nicht ferner den Römern allein. Mit der Unterwürfigkeit der Orientalen und der Oberherrlichkeit der Okzidentalen ist es vorbei. Dementsprechend tritt an die Stelle der bis dahin immer wieder zum Frieden zurückwendenden Beziehungen zwischen Römern und Parthern durch Generationen die erbitterte Fehde.

Nachdem die neue Staatsordnung dargestellt worden ist, mit der das sinkende Rom bald zu ringen haben sollte, nehmen wir den Faden der Erzählung wieder auf. Severus Sohn und Nachfolger Antoninus, kein Krieger und Staatsmann wie sein Vater, aber von beidem eine wüste Karikatur, muß die Absicht gehabt haben, soweit bei solchen Persönlichkeiten überhaupt von Absicht geredet werden kann, den Osten ganz in römische Gewalt zu bringen. Es hielt nicht schwer, die Fürsten von Osrhoene und von Armenien, nachdem sie an den kaiserlichen Hof entboten worden waren, gefangenzusetzen und diese Lehen für eingezogen zu erklären. Aber schon auf die Kunde hin brach in Armenien ein Aufstand aus. Der Arsakidenprinz Tiridates wurde zum König ausgerufen und rief den Schutz der Parther an. Darauf stellte sich Antoninus an die Spitze einer großen Truppenmacht und erschien im J. 216 im Osten, um die Armenier und nötigenfalls auch die Parther niederzuwerfen. Tiridates selbst gab sogleich seine Sache verloren, obwohl die nach Armenien gesandte Abteilung dort nachher noch auf heftige Gegenwehr stieß, und flüchtete zu den Parthern. Die Römer forderten die Auslieferung. Die Parther waren nicht geneigt, sich seinetwegen auf einen Krieg einzulassen, um so weniger als eben damals die beiden Söhne des Königs Vologasos V., Vologasos VI. und Artabanos, in erbitterter Thronfehde lagen. Der erstere fügte sich, als die römische Forderung gebieterisch wiederholt ward, und lieferte den Tiridates aus. Darauf begehrte der Kaiser von dem inzwischen zur Anerkennung gelangten Artabanos die Hand seiner Tochter zu dem ausgesprochenen Zwecke, damit das Reich zu erheiraten und Orient und Okzident unter eine Herrschaft zu bringen. Die Zurückweisung dieses wüsten Vorschlags war das Signal zum Krieg; die Römer erklärten ihn und überschritten den Tigris. Die Parther waren unvorbereitet; ohne Widerstand zu finden brannten die Römer die Städte und Dörfer in Adiabene nieder und zerstörten mit ruchloser Hand sogar die alten Königsgräber bei Arbela. Aber für den nächsten Feldzug machte Artabanos die äußersten Anstrengungen und stellte im Frühjahr 217 eine gewaltige Heeresmacht in das Feld. Antoninus, der den Winter in Edessa zugebracht hatte, wurde eben, als er zu dieser zweiten Kampagne aufbrach, von seinen Offizieren ermordet. Sein Nachfolger Macrinus, unbefestigt im Regiment und wenig angesehen, dazu an der Spitze einer der Zucht und Haltung entbehrenden und durch den Kaisermord erschütterten Armee, hätte gern des mutwillig angezettelten und sehr ernsthafte Verhältnisse annehmenden Krieges sich entledigt. Er schickte dem Partherkönig die Gefangenen zurück und warf die Schuld für die begangenen Frevel auf den Vorgänger. Aber Artabanos war damit nicht zufrieden; er forderte Ersatz für alle begangene Verwüstung und die Räumung Mesopotamiens. So kam es bei Nisibis zur Schlacht, in der die Römer den kürzeren zogen. Dennoch gewährten die Parther, zum Teil weil ihr Aufgebot sich aufzulösen Miene machte, vielleicht auch unter dem Einfluß des römischen Goldes, den Frieden (218) auf verhältnismäßig günstige Bedingungen: Rom zahlte eine ansehnliche Kriegsentschädigung (50 Millionen Denare), behielt aber Mesopotamien; Armenien blieb dem Tiridates, aber dieser nahm es von den Römern zum Lehen. Auch in Osrhoene wurde das alte Fürstenhaus wieder eingesetzt.

Es ist dies der letzte Friedensvertrag, den die Arsakidendynastie mit Rom geschlossen hat. Fast unmittelbar nachher und vielleicht mit infolge dieses Pakts, der allerdings, wie die Verhältnisse lagen, von den Orientalen als eine Preisgebung der erfochtenen Siege durch die eigene Regierung angesehen werden konnte, begann die Insurrektion, welche den Staat der Parther in einen Staat der Perser umwandelte. Ihr Führer, König Ardaschir oder Artaxares (J. 224-241), stritt manches Jahr mit den Anhängern der alten Dynastie, bevor er vollen Erfolg hatte; nach drei großen Schlachten, in deren letzter König Artabanos fiel, war er im eigentlichen Partherreich Herr und konnte in die mesopotamische Wüste einrücken, um die Araber von Hatra zu unterwerfen und von da aus gegen das römische Mesopotamien vorzugehen. Aber die tapferen und unabhängigen Araber wehrten sich, wie früher gegen die römische Invasion, so jetzt gegen die Perser in ihren gewaltigen Mauern mit gutem Erfolg, und Artaxares fand sich veranlaßt, zunächst gegen Medien und Armenien zu operieren, wo die Arsakiden sich noch behaupteten und auch die Söhne des Artabanos eine Zuflucht gefunden hatten. Erst um das J. 230 wandte er sich gegen die Römer und erklärte ihnen nicht bloß den Krieg, sondern forderte alle Provinzen zurück, die einst zum Reich seiner Vorgänger, des Dareios und des Xerxes gehört hatten, das heißt die Abtretung von ganz Asien. Den drohenden Worten Nachdruck zu geben, führte er ein gewaltiges Heer über den Euphrat; Mesopotamien wurde besetzt und Nisibis belagert; die feindlichen Reiter zeigten sich in Kappadokien und in Syrien. Den römischen Thron nahm damals Severus Alexander ein, ein Herrscher, an dem nichts kriegerisch war als der Name und für den in der Tat die Mutter Mamäa das Regiment führte. Dringende, fast demütige Friedensvorschläge der römischen Regierung blieben ohne Wirkung; es blieb nichts übrig als der Gebrauch der Waffen. Die aus dem ganzen Reiche zusammengezogenen römischen Heeresmassen wurden geteilt: der linke Flügel nahm die Richtung auf Armenien und Medien, der rechte auf Mesene an der Euphrat- und Tigrismündung, vielleicht in der Berechnung, dort wie hier auf den Anhang der Arsakiden sich stützen zu können; die Hauptarmee ging gegen Mesopotamien vor. Die Truppen waren zahlreich genug, aber ohne Zucht und Haltung; ein hochgestellter römischer Offizier dieser Zeit bezeugt es selbst, daß sie verwöhnt und unbotmäßig waren, sich weigerten zu kämpfen, ihre Offiziere erschlugen und haufenweise desertierten. Die Hauptmacht kam gar nicht über den Euphrat, da die Mutter dem Kaiser vorstellte, daß es nicht seine Sache sei, sich für seine Untertanen, sondern dieser sich für ihn zu schlagen. Der rechte Flügel, im Flachland von der persischen Hauptmacht angegriffen und von dem Kaiser in Stich gelassen, wurde aufgerieben. Als darauf der Kaiser dem nach Medien vorgedrungenen Flügel Befehl erteilte sich zurückzuziehen, litt auch dieser stark bei dem winterlichen Rückmarsch durch Armenien. Wenn es bei diesem üblen Rückzug der großen orientalischen Armee nach Antiocheia blieb und zu keiner vollständigen Katastrophe kam, sogar Mesopotamien in römischer Gewalt blieb, so scheint das nicht das Verdienst der römischen Truppen oder ihrer Führer zu sein, sondern darauf zu beruhen, daß das persische Aufgebot des Kampfes müde ward und nach Hause ging. Aber sie gingen nicht auf lange, um so mehr als bald darauf nach der Ermordung des letzten Sprossen der severischen Dynastie die einzelnen Heerführer und die Regierung in Rom um die Besetzung des römischen Thrones zu schlagen begannen und somit darin einig waren, die Geschäfte der auswärtigen Feinde zu besorgen. Unter Maximinus (235-238) geriet das römische Mesopotamien in Ardaschirs Gewalt, und schickten die Perser abermals sich an, den Euphrat zu überschreiten. Nachdem die inneren Wirren einigermaßen sich beruhigt hatten und Gordian III., fast noch ein Knabe, unter dem Schutz des Kommandanten von Rom und bald seines Schwiegervaters Furius Timesitheus unbestritten im ganzen Reiche gebot, wurde in feierlicher Weise den Persern der Krieg erklärt, und im J. 242 rückte eine große römische Armee unter persönlicher Führung des Kaisers oder vielmehr seines Schwiegervaters in Mesopotamien ein. Sie hatte vollständigen Erfolg; Karrhä wurde wieder gewonnen, bei Resaina zwischen Karrhä und Nisibis das Heer des Perserkönigs Schahpuhr oder Sapor (reg. 241-272), welcher kurz vorher seinem Vater Ardaschir gefolgt war, auf das Haupt geschlagen, infolge dieses Sieges auch Nisibis besetzt. Ganz Mesopotamien war zurückerobert; es wurde beschlossen, zum Euphrat zurück und von da stromabwärts gegen die feindliche Hauptstadt Ktesiphon zu marschieren. Unglücklicherweise starb Timesitheus, und sein Nachfolger, Marcus Julius Philippus, ein geborener Araber aus der Trachonitis, benutzte die Gelegenheit, den jungen Herrscher zu beseitigen. Als das Heer den schwierigen Marsch durch das Tal des Chaboras nach dem Euphrat zurückgelegt hatte, fanden, angeblich infolge der von Philippus getroffenen Anordnungen, die Soldaten in Kirkesion am Einfluß des Chaboras in den Euphrat die erwarteten Lebensmittel und Vorräte nicht vor und legten dies dem Kaiser zur Last. Nichtsdestoweniger wurde der Marsch in der Richtung auf Ktesiphon angetreten; aber schon auf der ersten Station bei Zaitha (etwas unterhalb Mejadin) erschlugen eine Anzahl aufständischer Gardisten den Kaiser (Frühling oder Sommer 244) und riefen ihren Kommandanten Philippus an seiner Stelle zum Augustus aus. Der neue Herrscher tat, was der Soldat oder wenigstens der Gardist begehrte, und gab nicht bloß die beabsichtigte Expedition gegen Ktesiphon auf, sondern führte auch die Truppen sogleich nach Italien zurück. Die Erlaubnis dazu erkaufte er sich von dem überwundenen Feind durch die Abtretung von Mesopotamien und Armenien, also der Euphratgrenze. Indes erregte dieser Friedensschluß eine solche Erbitterung, daß der Kaiser es nicht wagte, denselben zur Ausführung zu bringen und in den abgetretenen Provinzen die Besatzungen stehenließ. Daß die Perser sich dies wenigstens vorläufig gefallen ließen, gibt das Maß dessen, was sie damals vermochten. Nicht die Orientalen, sondern die Goten, die fünfzehn Jahre hindurch wütende Pest und die Zwietracht der miteinander um die Krone hadernden Korpsführer brachen die letzte Kraft des Reiches.

Es wird hier, wo der römische Orient im Ringen mit dem persischen auf sich selber angewiesen ist, am Platz sein, eines merkwürdigen Staates zu gedenken, der durch und für den Wüstenhandel geschaffen, jetzt für kurze Zeit in der politischen Geschichte eine führende Rolle übernimmt. Die Oase Palmyra, in der einheimischen Sprache Thadmor, liegt auf halbem Wege zwischen Damaskos und dem Euphrat. Von Bedeutung ist sie lediglich als Zwischenstation zwischen dem Euphratgebiet und dem Mittelmeer, und hat auch diese Bedeutung erst spät gewonnen und früh wieder verloren, so daß Palmyras Blütezeit ungefähr mit derjenigen Periode zusammenfällt, die wir hier schildern. Über das Emporkommen der Stadt fehlt es an jeder Überlieferung. Erwähnt wird sie zuerst bei Gelegenheit des Aufenthaltes des Antonius in Syrien im J. 713 (41 v.Chr.), wo dieser einen vergeblichen Versuch machte, sich ihrer Reichtümer zu bemächtigen; auch die dort gefundenen Denkmäler – die älteste datierte palmyrenische Inschrift ist vom J. 745 (9 v. Chr.) – reichen schwerlich viel weiter zurück. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß ihr Aufblühen mit der Festsetzung der Römer im syrischen Küstenland zusammenhängt. Solange die Nabatäer und die Städte der Osrhoene nicht unmittelbar römisch waren, hatten die Römer ein Interesse daran, eine andere direkte Verbindung mit dem Euphrat herzustellen, und diese führte dann notwendig über Palmyra. Eine römische Gründung ist Palmyra nicht; als Veranlassung für jenen Raubzug nahm Antonius die Neutralität der zwischen den beiden Großstaaten den Verkehr vermittelnden Kaufleute, und die römischen Reiter kehrten unverrichteter Sache um vor der Schützenkette, die die Palmyrener dem Angriff entgegenstellten. Aber schon in der ersten Kaiserzeit muß die Stadt zum Reiche gerechnet worden sein, da die für Syrien ergangenen Steuerverordnungen des Germanicus und des Corbulo auch für Palmyra zur Anwendung kamen; in einer Inschrift vom J. 80 begegnet eine klaudische Phyle daselbst; seit Hadrian nennt sich die Stadt Hadriana Palmyra, und im 3. Jahrhundert bezeichnet sie sich sogar als Kolonie.

Indes war die Reichsuntertänigkeit der Palmyrener anderer Art als die gewöhnliche und einigermaßen dem Klientelverhältnis der abhängigen Königreiche ähnlich. Noch in Vespasians Zeit heißt Palmyra ein Zwischengebiet zwischen den beiden Großmächten und wurde bei jedem Zusammenstoß der Römer und der Parther gefragt, welche Politik die Palmyrener einhalten würden. Den Schlüssel für die Sonderstellung müssen wir in den Grenzverhältnissen und den für den Grenzschutz getroffenen Ordnungen suchen. Die syrischen Truppen, soweit sie am Euphrat selbst standen, haben ihre Hauptstellung bei Zeugma, Biredjik gegenüber an der großen Euphratpassage gehabt. Weiter stromabwärts schiebt sich zwischen das unmittelbar römische und das parthische Gebiet das von Palmyra, das bis zum Euphrat reicht und die nächste bedeutende Übergangsstelle bei Sura gegenüber der mesopotamischen Stadt Nikephorion (später Kallinikon, heute er-Rakka) einschließt. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß die Hut dieser wichtigen Grenzfestung sowie die Sicherung der Wüstenstraße zwischen dem Euphrat und Palmyra, auch wohl eines Teils der Straße von Palmyra nach Damaskos der Gemeinde Palmyra überlassen ward, und daß sie also berechtigt und verpflichtet war, die für diese nicht geringe Aufgabe erforderlichen militärischen Einrichtungen zu treffen. Späterhin sind wohl die Reichstruppen näher an Palmyra herangezogen und ist eine der syrischen Legionen nach Danava zwischen Palmyra und Damaskos, die arabische nach Bostra gelegt worden; seit Severus Mesopotamien mit dem Reich vereinigt hatte, waren sogar hier beide Ufer des Euphrat in römischer Gewalt und endigte das römische Gebiet am Euphrat nicht mehr bei Sura, sondern bei Kirkesion an der Mündung des Chaboras in den Euphrat oberhalb Mejadin. Auch wurde damals Mesopotamien stark mit Reichstruppen belegt. Aber die mesopotamischen Legionen standen an der großen Straße im Norden bei Resaina und Nisibis, und auch die syrischen und die arabischen Truppen machten die Mitwirkung der palmyrenischen nicht entbehrlich. Es mag sogar die Hut von Kirkesion und dieses Teils des Euphratufers eben den Palmyrenern anvertraut worden sein. Erst nach dem Untergang Palmyras und vielleicht in Ersatz desselben ist Kirkesion von Diocletian zu der starken Festung gemacht worden, die seitdem hier der Stützpunkt der Grenzverteidigung gewesen ist.

Die Spuren dieser Sonderstellung Palmyras sind auch in den Institutionen nachweisbar. Das Fehlen des Kaisernamens auf den palmyrenischen Münzen ist wohl nicht aus ihr zu erklären, sondern daraus, daß die Gemeinde fast nur kleine Scheidemünze ausgegeben hat. Deutlich aber spricht die Behandlung der Sprache. Von der sonst bei den Römern fast ausnahmslos befolgten Regel, in dem unmittelbaren Gebiet nur den Gebrauch der beiden Reichssprachen zu gestatten, ist Palmyra ausgenommen. Hier hat diejenige Sprache, welche im übrigen Syrien und nicht minder seit dem Exil in Judäa die gewöhnliche im privaten Verkehr, aber auf diesen beschränkt war, sich im öffentlichen Gebrauch behauptet, solange die Stadt überhaupt bestanden hat. Wesentliche Verschiedenheiten des palmyrenischen Syrisch von dem der übrigen obengenannten Gegenden lassen sich nicht nachweisen; die nicht selten arabisch oder jüdisch, auch persisch geformten Eigennamen zeigen die starke Völkermischung, und zahlreiche griechisch-römische Lehnwörter die Einwirkung der Okzidentalen. Es wird späterhin Regel, dem syrischen Text einen griechischen beizufügen, welcher in einem Beschluß des palmyrenischen Gemeinderates vom J. 137 dem palmyrenischen nach, später gewöhnlich voransteht; aber bloß griechische Inschriften eingeborener Palmyrener sind seltene Ausnahmen. Sogar in Weihinschriften, welche Palmyrener ihren heimischen Gottheiten in Rom gesetzt haben, und in Grabschriften der in Afrika oder Britannien verstorbenen palmyrenischen Soldaten ist die palmyrenische Fassung zugefügt. Ebenso wurde in Palmyra zwar das römische Jahr wie im übrigen Reiche der Datierung zugrunde gelegt, aber die Monatnamen sind nicht die im römischen Syrien offiziell rezipierten makedonischen, sondern diejenigen, welche in demselben wenigstens bei den Juden im gemeinen Verkehr galten und außerdem bei den unter assyrischer und später persischer Herrschaft lebenden aramäischen Stämmen in Gebrauch waren.

Die munizipale Ordnung ist im wesentlichen nach dem Muster der griechischen des Römerreiches gestaltet; die Bezeichnungen für Beamte und Rat und selbst diejenige der Kolonie werden in den palmyrenischen Texten meistenteils aus den Reichssprachen beibehalten. Aber auch in der Verwaltung behielt der Distrikt eine größere Selbständigkeit, als sie sonst den Stadtgemeinden zukommt. Neben den städtischen Beamten finden wir wenigstens im 3. Jahrhundert die Stadt Palmyra mit ihrem Gebiet unter einem besonderen »Hauptmann« senatorischen Ranges und römischer Bestellung, aber gewählt aus dem angesehensten Geschlecht des Ortes; Septimios Hairanes des Odänathos Sohn ist der Sache nach ein Fürst der Pylmyrener, der von dem Legaten von Syrien wohl nicht anders abhängig war als die Klientelfürsten von den benachbarten Reichsstatthaltern überhaupt. Wenige Jahre später begegnen wir seinem Sohn Septimios Odänathos in der gleichen, ja im Rang noch gesteigerten erbfürstlichen Stellung. – Nicht minder bildete Palmyra einen abgeschlossenen Zollbezirk, in welchem die Zölle nicht von Staats-, sondern von Gemeinde wegen verpachtet wurden.

Die Bedeutung Palmyras ruht auf dem Karawanenverkehr. Die Häupter der Karawanen (συνοδιαρχαι), welche von Palmyra nach den großen Entrepots am Euphrat gingen, nach Vologasias, der schon erwähnten parthischen Gründung unweit der Stätte des alten Babylon, und nach Forath oder Charax Spasinu, Zwillingsstädten an der Mündung nahe am Persischen Meerbusen, erscheinen in den Inschriften als die angesehensten Stadtbürger und bekleiden nicht bloß die Ämter ihrer Heimat, sondern zum Teil Reichsämter; auch die Großhändler (αρχεμποροι) und die Zunft der Gold- und Silberarbeiter zeugen von der Bedeutung der Stadt für den Handel und die Fabrikation, nicht minder für ihren Wohlstand die noch heute stehenden Tempel der Stadt und die langen Säulenreihen der städtischen Hallen sowie die massenhaften reichverzierten Grabmäler. Dem Feldbau ist das Klima wenig günstig – der Ort liegt nahe an der Nordgrenze der Dattelpalme und führt nicht von dieser seinen griechischen Namen; aber es finden sich in der Umgegend die Reste großer unterirdischer Wasserleitungen und ungeheurer künstlich aus Quadern angelegter Wasserreservoirs, mit deren Hilfe der jetzt aller Vegetation bare Boden einst eine reiche Kultur künstlich entwickelt haben muß. Dieser Reichtum und diese auch in der Römerherrschaft nicht ganz beseitigte nationale Eigenart und administrative Selbständigkeit erklären einigermaßen Palmyras Rolle um die Mitte des 3. Jahrhunderts in der großen Krise, zu deren Darlegung wir jetzt uns zurückwenden.

Nachdem Kaiser Decius im J. 251 gegen die Goten in Europa gefallen war, überließ die Regierung des Reiches, wenn es überhaupt damals ein Reich und eine Regierung noch gab, den Osten völlig seinem Schicksal. Während die Piraten vom Schwarzen Meer her weit und breit die Küsten und selbst das Binnenland verheerten, ging auch der Perserkönig Sapor wieder angriffsweise vor. Wenn sein Vater sich damit begnügt hatte, sich den Herrn von Iran zu nennen, so hat er zuerst wie nach ihm die folgenden Herrscher sich bezeichnet als den Großkönig von Iran und Nicht-Iran und damit gleichsam das Programm seiner Eroberungspolitik hingestellt. Im J. 252 oder 253 besetzte er Armenien, oder es unterwarf sich ihm freiwillig, ohne Zweifel mit ergriffen von einem Aufflammen des alten Perserglaubens und Perserwesens; der rechtmäßige König Tiridates suchte Zuflucht bei den Römern, die übrigen Glieder des königlichen Hauses stellten sich unter die Fahnen des Persers. Nachdem also Armenien persisch geworden war, überschwemmten die Scharen der Orientalen Mesopotamien, Syrien und Kappadokien; sie verwüsteten weit und breit das platte Land, aber die Bewohner der größeren Städte wiesen den Angriff der auf Belagerung wenig eingerichteten Feinde ab, voran die tapferen Edessener. Im Okzident war inzwischen wenigstens eine anerkannte Regierung hergestellt worden. Der Kaiser Publius Licinius Valerianus, ein rechtschaffener und wohlgesinnter Herrscher, aber kein entschlossener und schwierigen Verhältnissen gewachsener Charakter, erschien endlich im Osten und begab sich nach Antiocheia. Von da aus ging er nach Kappadokien, das die persischen Streifscharen räumten. Aber die Pest dezimierte sein Heer, und er zögerte lange, den entscheidenden Kampf in Mesopotamien aufzunehmen. Endlich entschloß er sich, dem schwer bedrängten Edessa Hilfe zu bringen und überschritt mit seinen Scharen den Euphrat. Hier unweit Edessa trat die Katastrophe ein, welche für den römischen Orient ungefähr das zu bedeuten hat, was für den Okzident der Sieg der Goten an der Donaumündung und der Fall des Decius: die Gefangennahme des Kaisers Valerianus durch die Perser (Ende 259 oder Anfang 260). Über die näheren Umstände gehen die Berichte auseinander. Nach der einen Version wurde er, als er mit einer schwachen Schar versuchte, nach Edessa zu gelangen, von den weit überlegenen Persern umzingelt und gefangen. Nach einer andern gelangte er, wenn auch geschlagen, in die belagerte Stadt, fürchtete aber, da er keine ausreichende Hilfe brachte und die Lebensmittel nur um so rascher zu Ende gingen, den Ausbruch einer Militärinsurrektion und lieferte sich darum freiwillig dem Feind in die Hände. Nach einer dritten knüpfte er, aufs äußerste bedrängt, Verhandlungen wegen der Übergabe Edessas mit Sapor an; da der Perserkönig es ablehnte, mit Gesandten zu verhandeln, erschien er persönlich im feindlichen Lager und ward wortbrüchigerweise zum Gefangenen gemacht.

Welche immer von diesen Erzählungen der Wahrheit am nächsten kommen mag, der Kaiser ist in feindlicher Gefangenschaft gestorben, und die Folge dieser Katastrophe war der Verlust des Orients an die Perser. Vor allem Antiocheia, die größte und reichste Stadt des Ostens, geriet zum erstenmal, seit sie römisch war, in die Gewalt des Landesfeindes und zum guten Teil durch die Schuld der eigenen Bürger. Ein vornehmer Antiochener Mareades, den wegen unterschlagener öffentlicher Gelder der Rat ausgestoßen hatte, führte die persische Armee nach seiner Vaterstadt; mag es auch Fabel sein, daß die Bürgerschaft im Theater selbst von den anrückenden Feinden überrascht ward, daran ist kein Zweifel, daß sie nicht bloß keinen Widerstand leistete, sondern ein großer Teil der niederen Bevölkerung, teils mit Rücksicht auf Mareades, teils in der Hoffnung auf Anarchie und Raub das Eindringen der Perser gern sah. So wurde die Stadt mit allen ihren Schätzen die Beute des Feindes und entsetzlich in derselben gehaust, freilich auch Mareades, wir wissen nicht warum, von König Sapor zum Feuertode verurteilt. Das gleiche Schicksal erlitten außer zahllosen kleineren Ortschaften die Hauptstädte von Kilikien und Kappadokien, Tarsos und Cäsarea, letzte angeblich eine Stadt von 400 000 Einwohnern. Die endlosen Züge der Gefangenen, die wie das Vieh einmal am Tage zur Tränke geführt wurden, bedeckten die Wüstenstraßen des Ostens. Auf der Heimkehr sollen die Perser, um eine Schlucht rascher zu überschreiten, sie mit den Leibern der mitgeführten Gefangenen ausgefüllt haben. Glaublicher ist es, daß der große »Kaiserdamm« (Bend-i-Kaiser) bei Sostra (Schuschter) in Susiana, durch welchen noch heute das Wasser des Pasitigris den höher gelegenen Gegenden zugeführt wird, von diesen Gefangenen gebaut ward; wie ja auch Kaiser Neros Architekten die Hauptstadt von Armenien bauen geholfen und überhaupt auf diesem Gebiet die Okzidentalen stets ihre Überlegenheit behauptet haben. Auf eine Gegenwehr des Reiches stießen die Perser nirgends; aber Edessa hielt sich noch immer, und auch Cäsarea hatte sich tapfer verteidigt und war nur durch Verrat gefallen. Die örtliche Gegenwehr ging allmählich hinaus über die Abwehr hinter den städtischen Wällen, und die durch die weite Ausdehnung des eroberten Gebietes herbeigeführte Auflösung der persischen Haufen war dem kühnen Parteigänger günstig. Einem selbstbestellten römischen Führer Kallistos gelang ein glücklicher Handstreich: mit den Schiffen, die er in den kilikischen Häfen zusammengebracht hatte, fuhr er nach Pompeiupolis, das die Perser eben belagerten, während sie gleichzeitig Lykaonien brandschatzten, erschlug mehrere tausend Mann und bemächtigte sich des königlichen Harems. Dies bestimmte den König, unter dem Vorwand einer nicht aufzuschiebenden Festfeier sofort nach Hause zu gehen, in solcher Eile, daß er, um nicht aufgehalten zu werden, von den Edessenern freien Durchzug durch ihr Gebiet gegen alles von ihm erbeutete römische Goldgeld erkaufte. Den von Antiocheia heimkehrenden Scharen brachte der Fürst von Palmyra Odänathos, bevor sie den Euphrat überschritten, empfindliche Verluste bei. Aber kaum war die dringendste Persergefahr beseitigt, als unter den sich selbst überlassenen Heerführern des Ostens zwei der namhaftesten, der die Kasse und das Depot der Armee in Samosata verwaltende Offizier Fulvius Macrianus und der obengenannte Kallistos dem Sohne und Mitregenten, und jetzt alleinigen Herrscher Gallienus, für den freilich der Osten und die Perser nicht da waren, den Gehorsam aufkündigten und, selbst die Annahme des Purpurs verweigernd, die beiden Söhne des ersteren, Fulvius Macrianus und Fulvius Quietus, zu Kaisern ausriefen (261). Dies Auftreten der beiden angesehenen Feldherren bewirkte, daß in Ägypten und im ganzen Osten, mit Ausnahme von Palmyra, dessen Fürst für Gallienus eintrat, die beiden jungen Kaiser zur Anerkennung gelangten. Der eine von ihnen, Macrianus, ging mit seinem Vater nach dem Westen ab, um auch hier dies neue Regiment einzusetzen. Aber bald wandte sich das Glück: in Illyricum verlor Macrianus, nicht gegen Gallienus, sondern gegen einen anderen Prätendenten Schlacht und Leben. Gegen den in Syrien zurückgebliebenen Bruder wandte sich Odänathos; bei Hemesa, wo die Heere aufeinandertrafen, antworteten die Soldaten des Quietus auf die Aufforderung sich zu ergeben, daß sie alles eher über sich ergehen lassen würden, als einem Barbaren sich in die Hände zu liefern. Nichtsdestoweniger verriet der Feldherr des Quietus Kallistos seinen Herrn an den Palmyrener, und also endete auch dessen kurzes Regiment.

Damit tritt Palmyra im Orient an den ersten Platz. Gallienus, durch die Barbaren des Westens und die überall dort ausbrechenden Militärinsurrektionen mehr als ausreichend beschäftigt, gab dem Fürsten von Palmyra, der in der eben erzählten Krise allein ihm die Treue bewahrt hatte, eine beispiellose, indes unter den obwaltenden Umständen wohl erklärliche Ausnahmestellung: er wurde als Erbfürst oder, wie er jetzt heißt, König von Palmyra zugleich zwar nicht Mitherrscher, aber selbständiger Statthalter des Kaisers für den Osten. Die örtliche Verwaltung von Palmyra führte unter ihm ein anderer Palmyrener, zugleich als kaiserlicher Prokurator und als sein Stellvertreter. Somit lag die gesamte Reichsgewalt, soweit sie überhaupt im Osten noch bestand, in der Hand des »Barbaren«, und so rasch wie glänzend stellte dieser mit seinen Palmyrenern, welche durch die Trümmer der römischen Heerkörper und das Aufgebot des Landes verstärkt wurden, die Herrschaft Roms wieder her. Asien und Syrien waren schon vom Feinde geräumt. Odänathos ging über den Euphrat, machte endlich den tapferen Edessenern Luft und nahm den Persern die eroberten Städte Nisibis und Karrhä wieder ab (264). Wahrscheinlich ist auch Armenien damals wieder unter römische Botmäßigkeit zurückgebracht worden. Sodann ergriff er, zuerst wieder seit Gordianus, die Offensive gegen die Perser und marschierte auf Ktesiphon. In zwei verschiedenen Feldzügen wurde die Hauptstadt des persischen Reiches von ihm umstellt und die Umgegend verheert, mit den Persern unter den Mauern derselben glücklich gefochten. Selbst die Goten, deren Raubzüge bis in das Binnenland sich erstreckten, wichen zurück, als er nach Kappadokien aufbrach. Eine Machtentwicklung dieser Art war ein Segen für das bedrängte Reich und zugleich eine ernste Gefahr. Odänathos beobachtete freilich gegen den römischen Oberherrn alle schuldigen Formen und sandte die gefangenen feindlichen Offiziere und die Beutestücke nach Rom an den Kaiser, der es nicht verschmähte, daraufhin zu triumphieren; aber in der Tat war der Orient unter Odänathos nicht viel weniger selbständig als der Westen unter Postumus, und es begreift sich, daß die römisch gesinnten Offiziere dem palmyrenischen Vizekaiser Opposition machten, und einerseits die Rede ist von Versuchen des Odänathos, sich den Persern anzuschließen, die nur an Sapors Übermut gescheitert sein sollen, andererseits Odänathos‘ Ermordung in Hemesa im J. 266/67 auf Anstiften der römischen Regierung zurückgeführt ward. Indes der eigentliche Mörder war ein Brudersohn des Odänathos, und Beweise für die Beteiligung der Regierung liegen nicht vor. Auf jeden Fall änderte das Verbrechen in der Lage der Dinge nichts. Die Gattin des Verstorbenen, die Königin Bat Zabbai oder griechisch Zenobia, eine schöne und kluge Frau von männlicher Tatkraft, nahm kraft des erblichen Fürstenrechts für ihren und Odänathos noch im Knabenalter stehenden Sohn Vaballathos oder Athenodoros – der ältere, Herodes war mit dem Vater umgekommen – die Stellung des Verstorbenen in Anspruch und drang in der Tat damit sowohl in Rom wie im Orient durch; die Regierungsjahre des Sohnes werden gezählt vom Tode des Vaters. Für den nicht regierungsfähigen Sohn trat die Mutter in Rat und Tat ein, und sie beschränkte sich auch nicht darauf, den Besitzstand zu wahren, sondern ihr Mut oder ihr Übermut strebte nach der Herrschaft über das gesamte Reichsgebiet griechischer Zunge. In dem Kommando über den Orient, welches dem Odänathos übertragen und von ihm auf seinen Sohn vererbt war, mag wohl dem Rechte nach die Obergewalt über Kleinasien und Ägypten mit begriffen gewesen sein; aber tatsächlich hatte Odänathos nur Syrien und Arabien und etwa noch Armenien, Kilikien, Kappadokien in der Gewalt gehabt. Jetzt forderte ein einflußreicher Ägypter Timagenes die Königin auf, Ägypten zu besetzen; dementsprechend entsandte sie ihren Oberfeldherrn Zabdas mit einem Heer, angeblich 70 000 Mann, an den Nil. Das Land widersetzte sich energisch; aber die Palmyrener schlugen das ägyptische Aufgebot und bemächtigten sich Ägyptens. Ein römischer Admiral Probus versuchte sie wieder zu vertreiben und überwand sie auch, so daß sie nach Syrien aufbrachen; aber als er ihnen bei dem ägyptischen Babylon unweit Memphis den Weg zu verlegen suchte, wurde er durch die bessere Ortskunde des palmyrenischen Feldherrn Timagenes geschlagen und gab sich selber den Tod. Als um die Mitte des J. 270 nach Kaiser Claudius Tode Aurelianus an seine Stelle trat, geboten die Palmyrener über Alexandreia. Auch in Kleinasien machten sie Anstalt sich festzusetzen; ihre Besatzungen waren bis nach Ankyra in Galatien vorgeschoben, und selbst in Kalchedon, Byzanz gegenüber, hatten sie versucht, die Herrschaft ihrer Königin zur Geltung zu bringen. Alles dies geschah, ohne daß die Palmyrener der römischen Regierung absagten, ja wahrscheinlich in der Weise, daß das von der römischen Regierung dem Fürsten von Palmyra übertragene Regiment des Ostens auf diese Weise verwirklicht ward und man die römischen Offiziere, die sich der Ausdehnung der palmyrenischen Herrschaft widersetzten, der Auflehnung gegen die kaiserlichen Anordnungen zieh; die in Alexandreia geschlagenen Münzen nennen Aurelianus und Vaballathos nebeneinander und geben nur dem ersteren den Augustustitel. Der Sache nach löste freilich hier der Osten sich vom Reiche ab, und in Ausführung einer dem elenden Gallienus durch die Not abgezwungenen Anordnung wurde dasselbe gehälftet.

Der kräftige und umsichtige Kaiser, dem jetzt die Herrschaft zugefallen war, brach sofort mit der palmyrenischen Nebenregierung, was dann zur Folge haben mußte und hatte, daß Vaballathos von den Seinen selber zum Kaiser ausgerufen ward. Ägypten wurde schon im Ausgang des J. 270 durch den tapferen Feldherrn Probus, den späteren Nachfolger Aurelians, nach harten Kämpfen wieder zum Reiche gebracht. Freilich zahlte diesen Sieg die zweite Stadt des Reiches Alexandria fast mit ihrer Existenz, wie dies in einem folgenden Abschnitt dargelegt werden soll. Schwieriger war die Bezwingung der entlegenen syrischen Oase. Alle anderen orientalischen Kriege der Kaiserzeit sind hauptsächlich von dort heimischen Reichstruppen geführt worden; hier, wo der Okzident den abgefallenen Osten abermals zu unterwerfen hatte, schlugen wieder einmal, wie in der Zeit der freien Republik, Okzidentalen gegen Orientalen, die Soldaten vom Rhein und der Donau mit denen der syrischen Wüste. Gegen den Ausgang des J. 271, wie es scheint, begann die gewaltige Expedition. Ohne auf Gegenwehr zu treffen, gelangte das römische Heer bis an die Grenze von Kappadokien; hier leistete die Stadt Tyana, die die kilikischen Pässe sperrte, ernstlichen Widerstand. Nachdem sie gefallen war und Aurelian durch milde Behandlung der Bewohner sich den Weg zu weiteren Erfolgen geebnet hatte, überschritt er den Taurus und gelangte durch Kilikien nach Syrien. Wenn Zenobia, wie nicht zu bezweifeln ist, auf tätige Unterstützung von seiten des Perserkönigs gerechnet hatte, so fand sie sich getäuscht. Der hochbetagte König Schapur griff nicht in diesen Krieg ein, und die Herrscherin des römischen Ostens blieb auf ihre eigenen Streitkräfte angewiesen, von denen vielleicht auch noch ein Teil auf die Seite des legitimen Augustus trat. In Antiocheia vertrat die palmyrenische Hauptmacht unter dem Feldherrn Zabdas dem Kaiser den Weg; auch Zenobia selbst war anwesend. Ein glückliches Gefecht gegen die überlegene palmyrenische Reiterei am Orontes lieferte Aurelian die Stadt in die Hände, welche nicht minder wie Tyana volle Verzeihung empfing – gerechterweise erkannte er an, daß die Reichsuntertanen kaum eine Schuld traf, wenn sie dem von der römischen Regierung selbst zum Oberkommandanten bestellten palmyrenischen Fürsten sich gefügt hatten. Die Palmyrener zogen ab, nachdem sie bei der Vorstadt von Antiocheia Daphne ein Rückzugsgefecht geliefert hatten und schlugen die große Straße ein, die von der Hauptstadt Syriens nach Hemesa und von da durch die Wüste nach Palmyra führt. Aurelianus forderte die Königin auf, sich zu unterwerfen, hinweisend auf die namhaften in den Kämpfen am Orontes erlittenen Verluste. Es seien das ja nur Römer, antwortete die Königin; noch gaben die Orientalen sich nicht überwunden. Bei Hemesa stellte sie sich zu der entscheidenden Schlacht. Sie war lang und blutig; die römische Reiterei unterlag und löste flüchtend sich auf; aber die Legionen entschieden, und der Sieg blieb den Römern. Schwieriger als der Kampf war der Marsch. Die Entfernung von Hemesa nach Palmyra beträgt in gerader Richtung 18 deutsche Meilen, und wenn auch in jener Epoche der hochgesteigerten syrischen Zivilisation die Gegend nicht in dem Grade wüst war wie heutzutage, so bleibt der Zug Aurelians dennoch eine bedeutende Leistung, zumal da die leichten Reiter des Feindes das römische Heer auf allen Seiten umschwärmten. Indes Aurelian gelangte zum Ziel und begann die Belagerung der festen und wohlverproviantierten Stadt; schwieriger als diese selbst war die Herbeiführung der Lebensmittel für das belagernde Heer. Endlich sank der Fürstin der Mut, und sie entwich aus der Stadt, um Hilfe bei den Persern zu suchen. Doch das Glück stand dem Kaiser weiter bei. Die nachsetzenden römischen Reiter nahmen sie mit ihrem Sohne gefangen, als sie eben am Euphrat angelangt das rettende Boot besteigen wollte, und die durch ihre Flucht entmutigte Stadt kapitulierte (272). Aurelianus gewährte auch hier, wie in diesem ganzen Feldzug, den unterworfenen Bürgerschaften volle Verzeihung. Aber über die Königin und ihre Beamten und Offiziere erging ein strenges Strafgericht. Zenobia verschmähte es nicht, nachdem sie mit männlicher Tatkraft jahrelang die Herrschaft geführt hatte, jetzt die Frauenprivilegien anzurufen und die Verantwortung auf ihre Berater zu werfen, von denen nicht wenige, unter ihnen der gefeierte Gelehrte Cassius Longinus, unter dem Henkerbeil endigten. Sie selbst durfte in dem Triumphzug des Kaisers nicht fehlen, und sie ging nicht den Weg Kleopatras, sondern zog in goldenen Ketten zur Schau der römischen Menge vor dem Wagen des Siegers auf das römische Kapitol. Aber bevor Aurelianus seinen Sieg feiern konnte, hatte er ihn zu wiederholen. Wenige Monate nach der Übergabe erhoben sich die Palmyrener abermals, erschlugen die kleine dort garnisonierende römische Besatzung und riefen einen gewissen Antiochos zum Herrscher aus, indem sie zugleich versuchten, den Statthalter von Mesopotamien Marcellinus zur Auflehnung zu bestimmen. Die Kunde erreichte den Kaiser, als er eben den Hellespont überschritten hatte. Er kehrte sofort um und stand, früher als es Freund oder Feind geahnt hatte, abermals vor den Mauern der insurgierten Stadt. Die Empörer waren darauf nicht gefaßt gewesen; es gab diesmal keine Gegenwehr, aber auch keine Gnade. Palmyra wurde zerstört, das Gemeinwesen aufgelöst, die Mauern geschleift, die Prunkstücke des herrlichen Sonnentempels in den Tempel übertragen, den in Erinnerung an diesen Sieg der Kaiser dem Sonnengott des Ostens in Rom erbaute. Nur die verlassenen Hallen und Mauern blieben, wie sie zum Teil noch heute stehen. Das geschah im J. 273. Die Blüte Palmyras war eine künstliche, erzeugt durch die dem Handel gewiesenen Straßen und die großen dadurch bedingten öffentlichen Bauten. Jetzt zog die Regierung von der unglücklichen Stadt ihre Hand ab. Der Handel suchte und fand andere Bahnen; da Mesopotamien damals als römische Provinz betrachtet ward und bald auch wieder zum Reich kam, ebenfalls das Nabatäergebiet bis zu dem Hafen von Älana in römischer Hand war, so konnte diese Zwischenstation entbehrt werden und mag der Verkehr sich dafür nach Bostra oder Beroea (Aleppo) gezogen haben. Dem kurzen meteorartigen Aufleuchten Palmyras und seiner Fürsten folgte unmittelbar die Öde und Stille, die seither bis auf den heutigen Tag über dem kümmerlichen Wüstendorf und seinen Kolonnadenruinen lagert.

Das ephemere Reich von Palmyra ist in seinem Entstehen wie in seinem Fall eng mit den Beziehungen der Römer zu dem nichtrömischen Osten verwachsen, aber nicht minder ein Stück der allgemeinen Reichsgeschichte. Denn wie das Westreich des Postumus, so ist das Ostreich der Zenobia eine jener Massen, in die damals das gewaltige Ganze sich schien auflösen zu sollen. Wenn während seines Bestehens seine Leiter dem Ansturm der Perser ernstlich Schranken zu setzen versuchten, ja ihre Machtentwicklung eben darauf beruhte, so hat es bei seinem Zusammenbrechen nicht bloß bei denselben Persern Rettung gesucht, sondern wahrscheinlich sind infolge des Abfalls der Zenobia Armenien und Mesopotamien den Römern verlorengegangen und hat auch nach der Unterwerfung Palmyras der Euphrat wieder eine Zeitlang die Grenze gemacht. An ihm angelangt, hoffte die Königin Aufnahme bei den Persern zu finden; und über ihn hinüber die Legionen zu führen unterließ Aurelianus, da Gallien nebst Britannien und Spanien damals noch der Regierung die Anerkennung verweigerten. Er und sein Nachfolger Probus kamen nicht dazu, diesen Kampf aufzunehmen. Aber als im J. 282 nach dem vorzeitigen Ende des letzteren die Truppen den nächsthöchsten Befehlshaber Marcus Aurelius Carus zum Kaiser ausriefen, war es das erste Wort des neuen Herrschers, daß die Perser dieser Wahl gedenken sollten, und er hat es gehalten. Sogleich rückte er mit dem Heere in Armenien ein und stellte dort die frühere Ordnung wieder her. An der Landesgrenze kamen ihm persische Gesandte entgegen, die sich bereit erklärten, alles Billige zu gewähren; aber sie wurden kaum angehört, und der Marsch ging unaufhaltsam weiter. Auch Mesopotamien wurde abermals römisch und die parthischen Residenzstädte Seleukeia und Ktesiphon einmal mehr von den Römern besetzt, ohne daß diese auf nachhaltigen Widerstand getroffen wären, wozu der damals im persischen Reiche wütende Bruderkrieg das seinige beitrug. Der Kaiser war eben über den Tigris gegangen und im Begriff, in das Herz des feindlichen Landes einzudringen, als er auf gewaltsame Weise, vermutlich durch Mörderhand, den Tod und damit auch der Feldzug sein Ende fand. Sein Nachfolger aber erlangte im Frieden die Abtretung von Armenien und Mesopotamien; obwohl Carus wenig über ein Jahr den Purpur trug, wurde die Reichsgrenze des Severus durch ihn wieder hergestellt.

Einige Jahre darauf (J. 293) bestieg ein neuer Herrscher Narseh, des Königs Schapur Sohn, den Thron von Ktesiphon und erklärte im J. 296 wegen des Besitzes von Mesopotamien und Armenien den Römern den Krieg. Diocletianus, der damals die oberste Leitung wie des Reiches überhaupt, so namentlich des Orients hatte, beauftragte mit der Führung desselben seinen Reichsgehilfen Galerius Maximianus, einen rohen, aber tapferen Feldherrn. Der Anfang war ungünstig. Die Perser fielen in Mesopotamien ein und gelangten bis nach Karrhä; gegen sie führte der Cäsar die syrischen Legionen bei Nikephorion über den Euphrat; zwischen diesen beiden Positionen stießen die Armeen aufeinander und die weit schwächere römische unterlag. Es war ein harter Schlag, und der junge Feldherr mußte schwere Vorwürfe über sich ergehen lassen; aber er verzagte nicht. Für den nächsten Feldzug wurden aus dem ganzen Reich Verstärkungen herangezogen, und beide Regenten rückten persönlich in das Feld; Diocletian nahm Stellung in Mesopotamien mit der Hauptmacht, während Galerius, verstärkt durch die inzwischen herangezogenen illyrischen Kerntruppen, mit einem Heer von 25 000 Mann in Armenien dem Feind entgegentrat und ihm eine entscheidende Niederlage beibrachte. Das Lager und der Schatz, ja selbst der Harem des Großkönigs fielen den Kriegern in die Hände, und mit Not entging Narseh selbst der Gefangenschaft. Um nur die Frauen und die Kinder wiederzuerlangen, erklärte der König sich bereit, auf jede Bedingung Frieden zu schließen; sein Abgesandter Apharban beschwor den Römer des Persers zu schonen: die beiden Reiche, das römische und das persische, seien gleichsam die beiden Augen der Welt und keines könne des anderen entbehren. Es hätte in der Macht der Römer gestanden, ihren orientalischen Provinzen eine mehr hinzuzufügen; der vorsichtige Herrscher begnügte sich mit der Regulierung der Besitzverhältnisse im Nordosten. Mesopotamien blieb selbstverständlich im römischen Besitz; der wichtige Handelsverkehr mit dem benachbarten Ausland wurde unter strenge staatliche Kontrolle gestellt und wesentlich nach der festen Stadt Nisibis gewiesen, dem Stützpunkt der römischen Grenzwacht im östlichen Mesopotamien. Als Grenze der unmittelbaren römischen Herrschaft wurde der Tigris anerkannt, jedoch in der Ausdehnung, daß das ganze südliche Armenien bis zum See Thospitis (Wansee) und zum Euphrat, also das gesamte obere Tigristal, zum römischen Reich gehören solle. Eigentliche Provinz ward dies Vorland von Mesopotamien nicht, sondern nach der bisherigen Weise als römische Satrapie Sophene verwaltet. Einige Dezennien später ward hier die starke Festung Amida (Diarbekr) angelegt, seitdem die Hauptburg der Römer im Gebiet des oberen Tigris. Zugleich ward die Grenze zwischen Armenien und Medien neu reguliert und die Lehnsherrlichkeit Roms über jenes Land wie über Iberien abermals bestätigt. Bedeutende Gebietsabtretungen legte der Friede den Besiegten nicht auf, aber er stellte eine den Römern günstige Grenze her, welche auf längere Zeit hinaus in diesen vielumstrittenen Gebieten die beiden Reiche schied. Die Politik Traians erhielt damit ihre vollständige Durchführung; allerdings verschob sich auch eben damals der Schwerpunkt der römischen Herrschaft aus dem Westen nach dem Osten.