9. Kapitel


9. Kapitel

Kunst und Wissenschaft

Die Entwicklung der Kunst und namentlich der Dichtkunst steht im Altertum im engsten Zusammenhang mit der Entwicklung der Volksfeste. Das schon in der vorigen Epoche wesentlich unter griechischem Einfluß, zunächst als außerordentliche Feier, geordnete Dankfest der römischen Gemeinde, die „großen“ oder „römischen Spiele“, nahm während der gegenwärtigen an Dauer wie an Mannigfaltigkeit der Belustigungen zu. Ursprünglich beschränkt auf die Dauer eines Tages wurde das Fest nach der glücklichen Beendigung der drei großen Revolutionen von 245, 260 und 387 (509, 494 und 367) jedesmal um einen Tag verlängert und hatte am Ende dieser Periode also bereits eine viertägige Dauer68

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Denn an Dichtern fehlte es in Latium nicht. Latinische „Vaganten“ oder „Bänkelsänger“ (grassatores, spatiatores) zogen von Stadt zu Stadt und von Haus zu Haus und trugen ihre Lieder (saturae) mit gestikulierendem Tanz zur Flötenbegleitung vor. Das Maß war natürlich das einzige, das es damals gab, das sogenannte saturnische. Eine bestimmte Handlung lag den Liedern nicht zugrunde, und ebensowenig scheinen sie dialogisiert gewesen zu sein; man wird sich dieselben nach dem Muster jener eintönigen, bald improvisierten, bald rezitierten Ballaten und Tarantellen vorstellen dürfen, wie man sie heute noch in den römischen Osterien zu hören bekommt. Dergleichen Lieder kamen denn auch früh auf die öffentliche Bühne und sind allerdings der erste Keim des römischen Theaters geworden. Aber diese Anfänge der Schaubühne sind in Rom nicht bloß, wie überall, bescheiden, sondern in bemerkenswerter Weise gleich von vornherein bescholten. Schon die Zwölf Tafeln treten dem üblen und nichtigen Singsang entgegen, indem sie nicht bloß auf Zauber-, sondern selbst auf Spottlieder, die man auf einen Mitbürger verfertigt oder ihm vor der Türe absingt, schwere Kriminalstrafen setzen und die Zuziehung von Klagefrauen bei der Bestattung verbieten. Aber weit strenger als durch die gesetzlichen Restriktionen ward die beginnende Kunstübung durch den sittlichen Bann getroffen, welchen der philisterhafte Ernst des römischen Wesens gegen diese leichtsinnigen und bezahlten Gewerbe schleuderte. „Das Dichterhandwerk“, sagt Cato, „war sonst nicht angesehen; wenn jemand damit sich abgab oder bei den Gelagen sich anhängte, so hieß er ein Bummler.“ Wer nun aber gar Tanz, Musik und Bänkelgesang für Geld betrieb, ward bei der immer mehr sich festsetzenden Bescholtenheit eines jeden durch Dienstverrichtungen gegen Entgelt gewonnenen Lebensunterhalts von einem zwiefachen Makel getroffen. Wenn daher das Mitwirken bei den landüblichen maskierten Charakterpossen als ein unschuldiger jugendlicher Mutwille betrachtet ward, so galt das Auftreten auf der öffentlichen Bühne für Geld und ohne Masken geradezu für schändlich, und der Sänger und Dichter stand dabei mit dem Seiltänzer und dem Hanswurst völlig in gleicher Reihe. Dergleichen Leute wurden durch die Sittenmeister regelmäßig für unfähig erklärt, in dem Bürgerheer zu dienen und in der Bürgerversammlung zu stimmen. Es wurde ferner nicht bloß, was allein schon bezeichnend genug ist, die Bühnendirektion betrachtet als zur Kompetenz der Stadtpolizei gehörig, sondern es ward auch der Polizei wahrscheinlich schon in dieser Zeit gegen die gewerbmäßigen Bühnenkünstler eine außerordentliche arbiträre Gewalt eingeräumt. Nicht allein hielten die Polizeiherren nach vollendeter Aufführung über sie Gericht, wobei der Wein für die geschickten Leute ebenso reichlich floß, wie für den Stümper die Prügel fielen, sondern es waren auch sämtliche städtische Beamte gesetzlich befugt, über jeden Schauspieler zu jeder Zeit und an jedem Orte körperliche Züchtigung und Einsperrung zu verhängen. Die notwendige Folge davon war, daß Tanz, Musik und Poesie, wenigstens soweit sie auf der öffentlichen Bühne sich zeigten, den niedrigsten Klassen der römischen Bürgerschaft und vor allem den Fremden in die Hände fielen; und wenn in dieser Zeit die Poesie dabei noch überhaupt eine zu geringe Rolle spielte, als daß fremde Künstler mit ihr sich beschäftigt hätten, so darf dagegen die Angabe, daß in Rom die gesamte sakrale und profane Musik wesentlich etruskisch, also die alte, einst offenbar hochgehaltene latinische Flötenkunst durch die fremdländische unterdrückt war, schon für diese Zeit gültig erachtet werden.

Von einer poetischen Literatur ist keine Rede. Weder die Maskenspiele noch die Bühnenrezitationen können eigentlich feste Texte gehabt haben, sondern wurden je nach Bedürfnis regelmäßig von den Vortragenden selbst verfertigt. Von schriftstellerischen Arbeiten aus dieser Zeit wußte man späterhin nichts aufzuzeigen als eine Art römischer ‚Werke und Tage‘, eine Unterweisung des Bauern an seinen Sohn70

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Wie die Anfänge der römischen Schaubühne so gehören auch die Anfänge der römischen Geschichtschreibung in diese Epoche, sowohl der gleichzeitigen Aufzeichnung der merkwürdigen Ereignisse wie der konventionellen Feststellung der Vorgeschichte der römischen Gemeinde.

Die gleichzeitige Geschichtschreibung knüpft an das Beamtenverzeichnis an. Das am weitesten zurückreichende, das den späteren römischen Forschern vorgelegen hat und mittelbar auch uns noch vorliegt, scheint aus dem Archiv des kapitolinischen Jupitertempels herzurühren, da es von dem Konsul Marcus Horatius an, der denselben am 13. September seines Amtsjahres einweihte, die Namen der jährigen Gemeindevorsteher aufführt, auch auf das unter den Konsuln Publius Servilius und Lucius Aebutius (nach der jetzt gangbaren Zählung 291 der Stadt 463) bei Gelegenheit einer schweren Seuche erfolgte Gelöbnis: von da an jedes hundertste Jahr in die Wand des kapitolinischen Tempels einen Nagel zu schlagen, Rücksicht nimmt. Späterhin sind es die Maß- und Schriftgelehrten der Gemeinde, das heißt die Pontifices, welche die Namen der jährigen Gemeindevorsteher von Amts wegen verzeichnen und also mit der älteren Monat- eine Jahrtafel verbinden; beide werden seitdem unter dem – eigentlich nur der Gerichtstagtafel zukommenden – Namen der Fasten zusammengefaßt. Diese Einrichtung mag nicht lange nach der Abschaffung des Königtums getroffen sein, da in der Tat, um die Reihenfolge der öffentlichen Akte konstatieren zu können, die offizielle Verzeichnung der Jahrbeamten dringendes praktisches Bedürfnis war; aber wenn es ein so altes offizielles Verzeichnis der Gemeindebeamten gegeben hat, so ist dies wahrscheinlich im gallischen Brande (364-390) zugrunde gegangen und die Liste des Pontifikalkollegiums nachher aus der von dieser Katastrophe nicht betroffenen kapitolinischen, so weit diese zurückreichte, ergänzt worden. Daß das uns vorliegende Vorsteherverzeichnis zwar in den Nebensachen, besonders den genealogischen Angaben nach der Hand aus den Stammbäumen des Adels vervollständigt worden ist, im wesentlichen aber von Anfang an auf gleichzeitige und glaubwürdige Aufzeichnungen zurückgeht, leidet keinen Zweifel; die Kalenderjahre aber gibt dasselbe nur unvollkommen und annähernd wieder, da die Gemeindevorsteher nicht mit dem Neujahr, ja nicht einmal mit einem ein für allemal festgestellten Tage antraten, sondern aus mancherlei Veranlassungen der Antrittstag sich hin und her schob und die häufig zwischen zwei Konsulaten eintretenden Zwischenregierungen in der Rechnung nach Amtsjahren ganz ausfielen. Wollte man dennoch nach dieser Vorsteherliste die Kalenderjahre zählen, so war es nötig, den Antritts- und Abgangstag eines jeden Kollegiums nebst den etwaigen Interregnen mit anzumerken; und auch dies mag früh geschehen sein. Außerdem aber wurde die Liste der Jahrbeamten zur Kalenderjahrliste in der Weise hergerichtet, daß man durch Akkommodation jedem Kalenderjahr ein Beamtenpaar zuteilte und, wo die Liste nicht ausreichte, Fülljahre einlegte, welche in der späteren (Varronischen) Tafel mit den Ziffern 379-383, 421, 430, 445, 453 bezeichnet sind. Vom Jahre 291 (463) ist die römische Liste nachweislich, zwar nicht im einzelnen, wohl aber im ganzen, mit dem römischen Kalender in Übereinstimmung, also insoweit chronologisch sicher, als die Mangelhaftigkeit des Kalenders selbst dies verstattet; die jenseits jenes Jahres liegenden 47 Jahrstellen entziehen sich der Kontrolle, werden aber wenigstens in der Hauptsache gleichfalls richtig sein73; was jenseits des Jahres 245 (509) liegt, ist chronologisch verschollen.

Eine gemeingebräuchliche Ära hat sich nicht gebildet; doch ist in sakralen Verhältnissen gezählt worden nach dem Einweihungsjahr des kapitolinischen Jupitertempels, von wo ab ja auch die Beamtenliste lief.

Nahe lag es, neben den Namen der Beamten die wichtigsten unter ihrer Amtsführung vorgefallenen Ereignisse anzumerken; und aus solchen, dem Beamtenkatalog beigefügten Nachrichten ist die römische Chronik, ganz wie aus den der Ostertafel beigeschriebenen Notizen die mittelalterliche, hervorgegangen. Aber erst spät kam es zu der Anlegung einer förmlichen, die Namen sämtlicher Beamten und die merkwürdigen Ereignisse Jahr für Jahr stetig verzeichnenden Chronik (liber annalis) durch die Pontifices. Vor der unter dem 5. Juni 351 (403) angemerkten Sonnenfinsternis, womit wahrscheinlich die vom 20. Juni 354 (400) gemeint ist, fand sich in der späteren Stadtchronik keine Sonnenfinsternis nach Beobachtung verzeichnet; die Zensuszahlen derselben fangen erst seit dem Anfang des fünften Jahrhunderts der Stadt an, glaublich zu lauten; die vor dem Volk geführten Bußsachen und die von Gemeinde wegen gesühnten Wunderzeichen scheint man erst seit der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts regelmäßig in die Chronik eingetragen zu haben. Allem Anschein nach hat die Einrichtung eines geordneten Jahrbuchs und, was sicher damit zusammenhängt, die eben erörterte Redaktion der älteren Beamtenliste zum Zweck der Jahrzählung mittels Einlegung der chronologisch nötigen Fülljahre in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts stattgefunden. Aber auch nachdem sich die Übung festgestellt hatte, daß es dem Oberpontifex obliege, Kriegsläufte und Kolonisierungen, Pestilenz und teuere Zeit, Finsternisse und Wunder, Todesfälle der Priester und anderer angesehener Männer, die neuen Gemeindebeschlüsse, die Ergebnisse der Schatzung Jahr für Jahr aufzuschreiben und diese Anzeichnungen in seiner Amtwohnung zu bleibendem Gedächtnis und zu jedermanns Einsicht aufzustellen, war man damit von einer wirklichen Geschichtschreibung noch weit entfernt. Wie dürftig die gleichzeitige Aufzeichnung noch am Schlusse dieser Periode war und wie weiten Spielraum sie der Willkür späterer Annalisten gestattete, zeigt mit schneidender Deutlichkeit die Vergleichung der Berichte über den Feldzug vom Jahre 456 (298) in den Jahrbüchern und auf der Grabschrift des Konsuls Scipio74. Die späteren Historiker waren augenscheinlich außerstande, aus diesen Stadtbuchnotizen einen lesbaren und einigermaßen zusammenhängenden Bericht zu gestalten; und auch wir würden, selbst wenn uns das Stadtbuch noch in seiner ursprünglichen Fassung vorläge, schwerlich daraus die Geschichte der Zeit pragmatisch zu schreiben vermögen. Indes gab es solche Stadtchroniken nicht bloß in Rom, sondern jede latinische Stadt hat wie ihre Pontifices, so auch ihre Annalen besessen, wie dies aus einzelnen Notizen zum Beispiel für Ardea, Ameria, Interamna am Nar deutlich hervorgeht; und mit der Gesamtheit dieser Stadtchroniken hätte vielleicht sich etwas Ähnliches erreichen lassen, wie es für das frühere Mittelalter durch die Vergleichung der verschiedenen Klosterchroniken erreicht worden ist. Leider hat man in Rom späterhin es vorgezogen, die Lücke vielmehr durch hellenische oder hellenisierende Lüge zu füllen.

Außer diesen freilich dürftig angelegten und unsicher gehandhabten offiziellen Veranstaltungen zur Feststellung der verflossenen Zeiten und vergangenen Ereignisse können in dieser Epoche kaum Aufzeichnungen vorgekommen sein, welche der römischen Geschichte unmittelbar gedient hätten. Von Privatchroniken findet sich keine Spur. Nur ließ man sich in den vornehmen Häusern es angelegen sein, die auch rechtlich so wichtigen Geschlechtstafeln festzustellen und den Stammbaum zu bleibendem Gedächtnis auf die Wand des Hausflurs zu malen. An diesen Listen, die wenigstens auch die Ämter nannten, fand nicht bloß die Familientradition einen Halt, sondern es knüpften sich hieran auch wohl früh biographische Aufzeichnungen. Die Gedächtnisreden, welche in Rom bei keiner vornehmen Leiche fehlen durften und regelmäßig von dem nächsten Verwandten des Verstorbenen gehalten wurden, bestanden wesentlich nicht bloß in der Aufzählung der Tugenden und Würden des Toten, sondern auch in der Aufzählung der Taten und Tugenden seiner Ahnen; und so gingen auch sie wohl schon in frühester Zeit traditionell von einer Generation auf die andere über. Manche wertvolle Nachricht mochte hierdurch erhalten, freilich auch manche dreiste Verdrehung und Fälschung in die Überlieferung eingeführt werden.

Aber wie die Anfänge der wirklichen Geschichtschreibung gehören ebenfalls in diese Zeit die Anfänge der Aufzeichnung und konventionellen Entstellung der Vorgeschichte Roms. Die Quellen dafür waren natürlich dieselben wie überall. Einzelne Namen, wie die der Könige Numa, Ancus, Tullus, denen die Geschlechtsnamen wohl erst später zugeteilt worden sind, und einzelne Tatsachen, wie die Besiegung der Latiner durch König Tarquinius und die Vertreibung des tarquinischen Königsgeschlechts mochten in allgemeiner, mündlich fortgepflanzter wahrhafter Überlieferung fortleben. Anderes lieferte die Tradition der adligen Geschlechter, wie zum Beispiel die Fabiererzählungen mehrfach hervortreten. In anderen Erzählungen wurden uralte Volksinstitutionen, besonders mit großer Lebendigkeit rechtliche Verhältnisse symbolisiert und historisiert; so die Heiligkeit der Mauern in der Erzählung vom Tode des Remus, die Abschaffung der Blutrache in der von dem Ende des Königs Tatius, die Notwendigkeit der die Pfahlbrücke betreffenden Ordnung in der Sage von Horatius Cocles75, die Entstehung des Gnadenurteils der Gemeinde in der schönen Erzählung von den Horatiern und Curiatiern, die Entstehung der Freilassung und des Bürgerrechts der Freigelassenen in derjenigen von der Tarquinierverschwörung und dem Sklaven Vindicius. Ebendahin gehört die Geschichte der Stadtgründung selbst, welche Roms Ursprung an Latium und die allgemeine latinische Metropole Alba anknüpfen soll. Zu den Beinamen der vornehmen Römer entstanden historische Glossen, wie zum Beispiel Publius Valerius der „Volksdiener“ (Poplicola) einen ganzen Kreis derartiger Anekdoten um sich gesammelt hat, und vor allem knüpften an den heiligen Feigenbaum und andere Plätze und Merkwürdigkeiten der Stadt sich in großer Menge Küstererzählungen von der Art derjenigen an, aus denen über ein Jahrtausend später auf demselben Boden die Mirabilia Urbis erwuchsen. Eine gewisse Zusammenknüpfung dieser verschiedenen Märchen, die Feststellung der Reihe der sieben Könige, die ohne Zweifel auf der Geschlechterrechnung ruhende Ansetzung ihrer Regierungszeit insgesamt auf 240 Jahre76 und selbst der Anfang offizieller Aufzeichnung dieser Ansetzungen hat wahrscheinlich schon in dieser Epoche stattgefunden: die Grundzüge der Erzählung und namentlich deren Quasichronologie treten in der späteren Tradition mit so unwandelbarer Festigkeit auf, daß schon darum ihre Fixierung nicht in, sondern vor die literarische Epoche Roms gesetzt werden muß. Wenn bereits im Jahre 458 (296) die an den Zitzen der Wölfin saugenden Zwillinge Romulus und Remus in Erz gegossen an dem heiligen Feigenbaum aufgestellt wurden, so müssen die Römer, die Latium und Samnium bezwangen, die Entstehungsgeschichte ihrer Vaterstadt nicht viel anders vernommen haben als wir sie bei Livius lesen; sogar die Aboriginer, das sind die „Vonanfanganer“, dies naive Rudiment der geschichtlichen Spekulation des latinischen Stammes, begegnen schon um 465 (289) bei dem sizilischen Schriftsteller Kallias. Es liegt in der Natur der Chronik, daß sie zu der Geschichte die Vorgeschichte fügt und wenn nicht bis auf die Entstehung von Himmel und Erde, doch wenigstens bis auf die Entstehung der Gemeinde zurückgeführt zu werden verlangt; und es ist auch ausdrücklich bezeugt, daß die Tafel der Pontifices das Gründungsjahr Roms angab. Danach darf angenommen werden, daß das Pontifikalkollegium, als es in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts anstatt der bisherigen spärlichen und in der Regel wohl auf die Beamtennamen sich beschränkenden Aufzeichnungen zu der Anlegung einer förmlichen Jahreschronik fortschritt, auch die zu Anfang fehlende Geschichte der Könige Roms und ihres Sturzes hinzufügte und, indem es auf den Einweihungstag des kapitolinischen Tempels, den 13. September 245 (509), zugleich die Stiftung der Republik setzte, einen freilich nur scheinhaften Zusammenhang zwischen der zeitlosen und der annalistischen Erzählung herstellte. Daß bei dieser ältesten Aufzeichnung der Ursprünge Roms auch der Hellenismus seine Hand im Spiele gehabt hat, ist kaum zu bezweifeln; die Spekulation über Ur- und spätere Bevölkerung, über die Priorität des Hirtenlebens vor dem Ackerbau und die Umwandlung des Menschen Romulus in den Gott Quirinus sehen ganz griechisch aus, und selbst die Trübung der echt nationalen Gestalten des frommen Numa und der weisen Egeria durch die Einmischung fremdländischer pythagoreischer Urweisheit scheint keineswegs zu den jüngsten Bestandteilen der römischen Vorgeschichte zu gehören.

Analog diesen Anfängen der Gemeinde sind auch die Stammbäume der edlen Geschlechter in ähnlicher Weise vervollständigt und in beliebter heraldischer Manier durchgängig auf erlauchte Ahnen zurückgeführt worden; wie denn zum Beispiel die Aemilier, Calpurnier, Pinarier und Pomponier von den vier Söhnen des Numa: Mamercus, Calpus, Pinus und Pompo, die Aemilier überdies noch von dem Sohne des Pythagoras Mamercus, der „Wohlredende“ (αιμύλος) genannt, abstammen wollten.

Dennoch darf trotz der überall hervortretenden hellenischen Reminiszenzen diese Vorgeschichte der Gemeinde wie der Geschlechter wenigstens relativ eine nationale genannt werden, insofern sie teils in Rom entstanden, teils ihre Tendenz zunächst nicht darauf gerichtet ist, eine Brücke zwischen Rom und Griechenland, sondern eine Brücke zwischen Rom und Latium zu schlagen.

Es war die hellenische Erzählung und Dichtung, welche jener anderen Aufgabe sich unterzog. Die hellenische Sage zeigt durchgängig das Bestreben, mit der allmählich sich erweiternden geographischen Kunde Schritt zu halten und mit Hilfe ihrer zahllosen Wander- und Schiffergeschichten eine dramatisierte Erdbeschreibung zu gestalten. Indes verfährt sie dabei selten naiv. Ein Bericht wie der des ältesten Rom erwähnenden griechischen Geschichtswerkes, der sizilischen Geschichte des Antiochos von Syrakus (geschlossen 330 424): daß ein Mann namens Sikelos aus Rom nach Italia, das heißt nach der brettischen Halbinsel gewandert sei – ein solcher, einfach die Stammverwandtschaft der Römer, Siculer und Brettier historisierender und von aller hellenisierenden Färbung freier Bericht ist eine seltene Erscheinung. Im ganzen ist die Sage, und je später desto mehr, beherrscht von der Tendenz, die ganze Barbarenwelt darzustellen als von den Griechen entweder ausgegangen oder doch unterworfen; und früh zog sie in diesem Sinn ihre Fäden auch über den Westen. Für Italien sind weniger die Herakles- und Argonautensage von Bedeutung geworden, obwohl bereits Hekatäos († nach 257 497) die Säulen des Herakles kennt und die Argo aus dem Schwarzen Meer in den Atlantischen Ozean, aus diesem in den Nil und zurück in das Mittelmeer führt, als die an den Fall Ilions anknüpfenden Heimfahrten. Mit der ersten aufdämmernden Kunde von Italien beginnt auch Diomedes im Adriatischen, Odysseus im Tyrrhenischen Meer zu irren, wie denn wenigstens die letztere Lokalisierung schon der Homerischen Fassung der Sage nahe genug lag. Bis in die Zeiten Alexanders hinein haben die Landschaften am Tyrrhenischen Meer in der hellenischen Fabulierung zum Gebiet der Odysseussage gehört; noch Ephoros, der mit dem Jahre 414 (340) schloß, und der sogenannte Skylax (um 418 336) folgen wesentlich dieser. Von troischen Seefahrten weiß die ganze ältere Poesie nichts; bei Homer herrscht Aeneas nach Ilions Fall über die in der Heimat zurückbleibenden Troer. Erst der große Mythenwandler Stesichoros (122-201 632-553) führte in seiner ‚Zerstörung Ilions‘ den Aeneas in das Westland, um die Fabelwelt seiner Geburts- und seiner Wahlheimat, Siziliens und Unteritaliens, durch den Gegensatz der troischen Helden gegen die hellenischen poetisch zu bereichern. Von ihm rühren die seitdem feststehenden dichterischen Umrisse dieser Fabel her, namentlich die Gruppe des Helden, wie er mit der Gattin und dem Söhnchen und dem alten, die Hausgötter tragenden Vater aus dem brennenden Ilion davongeht, und die wichtige Identifizierung der Troer mit den sizilischen und italischen Autochthonen, welche besonders in dem troischen Trompeter Misenos, dem Eponymos des Misenischen Vorgebirges, schon deutlich hervortritt77. Den alten Dichter leitete dabei das Gefühl, daß die italischen Barbaren den Hellenen minder fern als die übrigen standen und das Verhältnis der Hellenen und der Italiker dichterisch angemessen dem der homerischen Achäer und Troer gleich gefaßt werden konnte. Bald mischt sich denn diese neue Troerfabel mit der älteren Odysseussage, indem sie zugleich sich weiter über Italien verbreitet. Nach Hellanikos (schrieb um 350 400) kamen Odysseus und Aeneas durch die thrakische und molottische (epeirotische) Landschaft nach Italien, wo die mitgeführten troischen Frauen die Schiffe verbrennen und Aeneas die Stadt Rom gründet und sie nach dem Namen einer dieser Troerinnen benennt; ähnlich, nur minder unsinnig, erzählte Aristoteles (370-432 384-322), daß ein achäisches, an die latinische Küste verschlagenes Geschwader von den troischen Sklavinnen angezündet worden und aus den Nachkommen der also zum Dableiben genötigten achäischen Männer und ihrer troischen Frauen die Latiner hervorgegangen seien. Damit mischten denn auch sich Elemente der einheimischen Sage, wovon der rege Verkehr zwischen Sizilien und Italien wenigstens gegen das Ende dieser Epoche schon die Kunde bis nach Sizilien verbreitet hatte; in der Version von Roms Entstehung, welche der Sizilianer Kallias um 465 (289) aufzeichnete, sind Odysseus-, Aeneas- und Romulusfabeln ineinandergeflossen78. Aber der eigentliche Vollender der später geläufigen Fassung dieser Troerwanderung ist Timaeos von Tauromenion auf Sizilien, der sein Geschichtswerk 492 (262) schloß. Er ist es, bei dem Aeneas zuerst Lavinium mit dem Heiligtum der troischen Penaten und dann erst Rom gründet; er muß auch schon die Tyrerin Elisa oder Dido in die Aeneassage eingeflochten haben, da bei ihm Dido Karthagos Gründerin ist und Rom und Karthago ihm in demselben Jahre erbaut heißen. Den Anstoß zu diesen Neuerungen gaben, neben der eben zu der Zeit und an dem Orte, wo Timaeos schrieb, sich vorbereitenden Krise zwischen den Römern und den Karthagern, offenbar gewisse nach Sizilien gelangte Berichte über latinische Sitten und Gebräuche; im wesentlichen aber kann die Erzählung nicht von Latium herübergenommen, sondern nur die eigene nichtsnutzige Erfindung der alten „Sammelvettel“ gewesen sein. Timaeos hatte von dem uralten Tempel der Hausgötter in Lavinium erzählen hören; aber daß diese den Lavinaten als die von den Aeneiaden aus Ilion mitgebrachten Penaten gälten, hat er ebenso sicher von dem Seinigen hinzugetan, wie die scharfsinnige Parallele zwischen dem römischen Oktoberroß und dem Trojanischen Pferde und die genaue Inventarisierung der lavinischen Heiligtümer – es waren, sagt der würdige Gewährsmann, Heroldstäbe von Eisen und Kupfer und ein tönerner Topf troischer Fabrik! Freilich durften eben die Penaten noch Jahrhunderte später durchaus von keinem geschaut werden; aber Timaeos war einer von den Historikern, die über nichts so genau Bescheid wissen als über unwißbare Dinge. Nicht mit Unrecht riet Polybios, der den Mann kannte, ihm nirgend zu trauen, am wenigsten aber da, wo er – wie hier – sich auf urkundliche Beweisstücke berufe. In der Tat war der sizilische Rhetor, der das Grab des Thukydides in Italien zu zeigen wußte und der für Alexander kein höheres Lob fand, als daß er schneller mit Asien fertig geworden sei als Isokrates mit seiner ‚Lobrede‘, vollkommen berufen, aus der naiven Dichtung der älteren Zeit den wüsten Brei zu kneten, welchem das Spiel des Zufalls eine so seltsame Zelebrität verliehen hat.

Inwieweit die hellenische Fabulierung über italische Dinge, wie sie zunächst in Sizilien entstand, schon jetzt in Italien selbst Eingang gefunden hat, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Die Anknüpfungen an den odysseischen Kreis, welche späterhin in den Gründungssagen von Tusculum, Praeneste, Antium, Ardea, Cortona begegnen, werden wohl schon in dieser Zeit sich angesponnen haben; und auch der Glaube an die Abstammung der Römer von Troern oder Troerinnen mußte schon am Schluß dieser Epoche in Rom feststehen, da die erste nachweisliche Berührung zwischen Rom und dem griechischen Osten die Verwendung des Senats für die „stammverwandten“ Ilier im Jahre 472 (282) ist. Daß aber dennoch die Aeneasfabel in Italien verhältnismäßig jung ist, beweist ihre im Vergleich mit der odysseischen höchst dürftige Lokalisierung; und die Schlußredaktion dieser Erzählungen sowie ihre Ausgleichung mit der römischen Ursprungssage gehört auf jeden Fall erst der Folgezeit an.

Während also bei den Hellenen die Geschichtschreibung, oder was so genannt ward, sich um die Vorgeschichte Italiens in ihrer Art bemühte, ließ sie in einer für den gesunkenen Zustand der hellenischen Historie ebenso bezeichnenden wie für uns empfindlichen Weise die gleichzeitige italische Geschichte so gut wie vollständig liegen. Kaum daß Theopomp von Chios (schloß 418 336) der Einnahme Roms durch die Kelten beiläufig gedachte und Aristoteles, Kleitarchos, Theophrastos, Herakleides von Pontos († um 450 300) einzelne Rom betreffende Ereignisse gelegentlich erwähnten; erst mit Hieronymos von Kardia, der als Geschichtschreiber des Pyrrhos auch dessen italische Kriege erzählte, wird die griechische Historiographie zugleich Quelle für die römische Geschichte.

Unter den Wissenschaften empfing die Jurisprudenz eine unschätzbare Grundlage durch die Aufzeichnung des Stadtrechts in den Jahren 303, 304 (451, 450). Dieses unter dem Namen der Zwölf Tafeln bekannte Weistum ist wohl das älteste römische Schriftstück, das den Namen eines Buches verdient. Nicht viel jünger mag der Kern der sogenannten „königlichen Gesetze“ sein, das heißt gewisser, vorzugsweise sakraler Vorschriften, die auf Herkommen beruhten und wahrscheinlich von dem Kollegium der Pontifices, das zur Gesetzgebung nicht, wohl aber zur Gesetzweisung befugt war, unter der Form königlicher Verordnungen zu allgemeiner Kunde gebracht wurden. Außerdem sind vermutlich schon seit dem Anfang dieser Periode wenn nicht die Volks-, so doch die wichtigsten Senatsbeschlüsse regelmäßig schriftlich verzeichnet worden; wie denn über deren Aufbewahrung bereits in den frühesten ständischen Kämpfen mitgestritten ward.

Während also die Masse der geschriebenen Rechtsurkunden sich mehrte, stellten auch die Grundlagen einer eigentlichen Rechtswissenschaft sich fest. Sowohl den jährlich wechselnden Beamten als den aus dem Volke herausgegriffenen Geschworenen war es Bedürfnis, an sachkundige Männer sich wenden zu können, welche den Rechtsgang kannten und nach Präzedentien oder in deren Ermangelung nach Gründen eine Entscheidung an die Hand zu geben wußten. Die Pontifices, die es gewohnt waren, sowohl wegen der Gerichtstage als wegen aller auf die Götterverehrung bezüglichen Bedenken und Rechtsakte vom Volke angegangen zu werden, gaben auch in anderen Rechtspunkten auf Verlangen Ratschläge und Gutachten ab und entwickelten so im Schoß ihres Kollegiums die Tradition, die dem römischen Privatrecht zugrunde liegt, vor allem die Formeln der rechten Klage für jeden einzelnen Fall. Ein Spiegel, der all diese Klagen zusammenfaßte, nebst einem Kalender, der die Gerichtstage angab, wurde um 450 (300) von Appius Claudius oder von dessen Schreiber Gnaeus Flavius dem Volk bekanntgemacht. Indes dieser Versuch, die ihrer selbst noch nicht bewußte Wissenschaft zu formulieren, steht für lange Zeit gänzlich vereinzelt da. Daß die Kunde des Rechtes und die Rechtweisung schon jetzt ein Mittel war, dem Volk sich zu empfehlen und zu Staatsämtern zu gelangen, ist begreiflich, wenn auch die Erzählung, daß der erste plebejische Pontifex Publius Sempronius Sophus (Konsul 450 304) und der erste plebejische Oberpontifex Tiberius Coruncanius (Konsul 474 280) diese Priesterehren ihrer Rechtskenntnis verdankten, wohl eher Mutmaßung Späterer ist als Überlieferung.

Daß die eigentliche Genesis der lateinischen und wohl auch der anderen italischen Sprachen vor diese Periode fällt und schon zu Anfang derselben die lateinische Sprache im wesentlichen fertig war, zeigen die freilich durch ihre halb mündliche Tradition stark modernisierten Bruchstücke der Zwölf Tafeln, welche wohl eine Anzahl veralteter Wörter und schroffer Verbindungen, namentlich infolge der Weglassung des unbestimmten Subjekts, aber doch keineswegs, wie das Arvalied, wesentliche Schwierigkeiten des Verständnisses darbieten und weit mehr mit der Sprache Catos als mit der der alten Litaneien übereinkommen. Wenn die Römer im Anfang des siebenten Jahrhunderts Mühe hatten, Urkunden des fünften zu verstehen, so kam dies ohne Zweifel nur daher, daß es damals in Rom noch keine eigentliche Forschung, am wenigsten eine Urkundenforschung gab. Dagegen wird in dieser Zeit der beginnenden Rechtweisung und Gesetzesredaktion auch der römische Geschäftsstil zuerst sich festgestellt haben, welcher, wenigstens in seiner entwickelten Gestalt, an feststehenden Formeln und Wendungen, endloser Aufzählung der Einzelheiten und langatmigen Perioden der heutigen englischen Gerichtssprache nichts nachgibt und sich dem Eingeweihten durch Schärfe und Bestimmtheit empfiehlt, während der Laie je nach Art und Laune mit Ehrfurcht, Ungeduld oder Ärger nichtsverstehend zuhört. Ferner begann in dieser Epoche die rationelle Behandlung der einheimischen Sprachen. Um den Anfang derselben drohte, wie wir sahen, das sabellische wie das latinische Idiom sich zu barbarisieren und griff die Verschleifung der Endungen, die Verdumpfung der Vokale und der feineren Konsonanten ähnlich um sich wie im fünften und sechsten Jahrhundert unserer Zeitrechnung innerhalb der romanischen Sprachen. Hiergegen trat aber eine Reaktion ein: im Oskischen werden die zusammengefallenen Laute d und r, im Lateinischen die zusammengefallenen Laute g und k wieder geschieden und jeder mit seinem eigenen Zeichen versehen; o und u, für die es im oskischen Alphabet von Haus aus an gesonderten Zeichen gemangelt hatte und die im Lateinischen zwar ursprünglich geschieden waren, aber zusammenzufallen drohten, traten wieder auseinander, ja im Oskischen wird sogar das i in zwei lautlich und graphisch verschiedene Zeichen aufgelöst; endlich schließt die Schreibung sich der Aussprache wieder genauer an, wie zum Beispiel bei den Römern vielfältig s durch r ersetzt ward. Die chronologischen Spuren führen für diese Reaktion auf das fünfte Jahrhundert; das lateinische g zum Beispiel war um das Jahr 300 (450) noch nicht, wohl aber um das Jahr 500 (250) vorhanden; der erste des Papirischen Geschlechts, der sich Papirius statt Papisius nannte, war der Konsul des Jahres 418 (336); die Einführung jenes r anstatt des s wird dem Appius Claudius, Zensor 442 (312) beigelegt. Ohne Zweifel steht die Zurückführung einer feineren und schärferen Aussprache im Zusammenhang mit dem steigenden Einfluß der griechischen Zivilisation, welcher eben in dieser Zeit sich auf allen Gebieten des italischen Wesens bemerklich macht; und wie die Silbermünzen von Capua und Nola weit vollkommener sind als die gleichzeitigen Asse von Ardea und Rom, so scheint auch Schrift und Sprache rascher und vollständiger sich im kampanischen Lande reguliert zu haben als in Latium. Wie wenig trotz der darauf gewandten Mühe die römische Sprache und Schreibweise noch am Schlusse dieser Epoche festgestellt war, beweisen die aus dem Ende des fünften Jahrhunderts erhaltenen Inschriften, in denen namentlich in der Setzung oder Weglassung von m, d und s im Auslaut und n im Inlaut und in der Unterscheidung der Vokale o u und e i die größte Willkür herrscht79; es ist wahrscheinlich, daß gleichzeitig die Sabeller hierin schon weiter waren, während die Umbrer von dem regenerierenden hellenischen Einfluß nur wenig berührt worden sind.

Durch diese Steigerung der Jurisprudenz und Grammatik muß auch der elementare Schulunterricht, der an sich wohl schon früher aufgekommen war, eine gewisse Steigerung erfahren haben. Wie Homer das älteste griechische, die Zwölf Tafeln das älteste römische Buch waren, so wurden auch beide in ihrer Heimat die wesentliche Grundlage des Unterrichts und das Auswendiglernen des juristisch-politischen Katechismus ein Hauptstück der römischen Kindererziehung. Neben den lateinischen „Schreibmeistern“ (litteratores) gab es natürlich, seit die Kunde des Griechischen für jeden Staats- und Handelsmann Bedürfnis war, auch griechische Sprachlehrer (grammatici80), teils Hofmeister-Sklaven, teils Privatlehrer, die in ihrer Wohnung oder in der des Schülers Anweisung zum Lesen und Sprechen des Griechischen erteilten. Daß wie im Kriegswesen und bei der Polizei so auch bei dem Unterricht der Stock seine Rolle spielte, versteht sich von selbst81

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Daß die Römer in den mathematischen und mechanischen Wissenschaften zu keiner Zeit sich ausgezeichnet haben, ist bekannt und bewährt sich auch für die gegenwärtige Epoche an dem fast einzigen Faktum, welches mit Sicherheit hierhergezogen werden kann, der von den Dezemvirn versuchten Regulierung des Kalenders. Sie wollten den bisherigen, auf der alten, höchst unvollkommenen Trieteris beruhenden vertauschen mit dem damaligen attischen der Oktaeteris, welcher den Mondmonat von 29½ Tagen beibehielt, das Sonnenjahr aber statt auf 368¾ a vielmehr auf 365¼ Tage ansetzte und demnach bei unveränderter gemeiner Jahrlänge von 354 Tagen nicht, wie früher, auf je vier Jahre 59, sondern auf je acht Jahre 90 Tage einschaltete. In demselben Sinne beabsichtigten die römischen Kalenderverbesserer unter sonstiger Beibehaltung des geltenden Kalenders in den zwei Schaltjahren des vierjährigen Zyklus nicht die Schaltmonate, aber die beiden Februare um je sieben Tage zu verkürzen, also diesen Monat in den Schaltjahren statt zu 29 und 28 zu 22 und 21 Tagen anzusetzen. Allein mathematische Gedankenlosigkeit und theologische Bedenken, namentlich die Rücksicht auf das eben in die betreffenden Februartage fallende Jahrfest des Terminus, zerrütteten die beabsichtigte Reform in der Art, daß der Schaltjahrfebruar vielmehr 24- und 23tägig ward, also das neue römische Sonnenjahr in der Tat auf 366¼ Tag auskam. Einige Abhilfe für die hieraus folgenden praktischen Übelstände ward darin gefunden, daß, unter Beseitigung der bei den jetzt so ungleich gewordenen Monaten nicht mehr anwendbaren Rechnung nach Monaten oder Zehnmonaten des Kalenders, man sich gewöhnte, wo es auf genauere Bestimmungen ankam, nach Zehnmonatfristen eines Sonnenjahrs von 365 Tagen oder dem sogenannten zehnmonatlichen Jahre von 304 Tagen zu rechnen. überdies kam besonders für bäuerliche Zwecke der auf das ägyptische 365¼tägige Sonnenjahr von Eudoxos (blüht 386 368) gegründete Bauernkalender auch in Italien früh in Gebrauch.

Einen höheren Begriff von dem, was auch in diesen Fächern die Italiker zu leisten vermochten, gewähren die Werke der mit den mechanischen Wissenschaften eng zusammenhängenden Bau- und Bildkunst. Zwar eigentlich originelle Erscheinungen begegnen auch hier nicht; aber wenn durch den Stempel der Entlehnung, welcher der italischen Plastik durchgängig aufgedrückt ist, das künstlerische Interesse an derselben sinkt, so heftet das historische sich nur um so lebendiger an dieselbe, insofern sie teils von einem sonst verschollenen Völkerverkehr die merkwürdigsten Zeugnisse bewahrt, teils bei dem so gut wie vollständigen Untergang der Geschichte der nichtrömischen Italiker fast allein uns die verschiedenen Völkerschaften der Halbinsel in lebendiger Tätigkeit nebeneinander darstellt. Neues ist hier nicht zu sagen; aber wohl läßt sich mit schärferer Bestimmtheit und auf breiterer Grundlage ausführen, was schon oben gezeigt ward, daß die griechische Anregung die Etrusker und die Italiker von verschiedenen Seiten her mächtig erfaßt, und dort eine reichere und üppigere, hier, wo überhaupt, eine verständigere und innigere Kunst ins Leben gerufen hat.

Wie völlig die italische Architektur aller Landschaften schon in ihrer ältesten Periode von hellenischen Elementen durchdrungen ward, ist früher dargestellt worden. Die Stadtmauern, die Wasserbauten, die pyramidalisch gedeckten Gräber, der tuscanische Tempel sind nicht oder nicht wesentlich verschieden von den ältesten hellenischen Bauwerken. Von einer Weiterbildung der Architektur bei den Etruskern während dieser Epoche hat sich keine Spur erhalten; wir begegnen hier weder einer wesentlich neuen Rezeption noch einer originellen Schöpfung – man müßte denn Prachtgräber dahin rechnen wollen, wie das von Varro beschriebene sogenannte Grabmal des Porsena in Chiusi, das lebhaft an die zwecklose und sonderbare Herrlichkeit der ägyptischen Pyramiden erinnert.

Auch in Latium bewegte man während der ersten anderthalb Jahrhunderte der Republik sich wohl lediglich in den bisherigen Gleisen, und es ist schon gesagt worden, daß mit der Einführung der Republik die Kunstübung eher gesunken als gestiegen ist. Es ist aus dieser Zeit kaum ein anderes architektonisch bedeutendes latinisches Bauwerk zu nennen als der im Jahre 261 (493) in Rom am Circus erbaute Cerestempel, der in der Kaiserzeit als Muster des tuscanischen Stiles gilt. Aber gegen das Ende dieser Epoche kommt ein neuer Geist in das italische und namentlich das römische Bauwesen: es beginnt der großartige Bogenbau. Zwar sind wir nicht berechtigt, den Bogen und das Gewölbe für italische Erfindungen zu erklären. Es ist wohl ausgemacht, daß in der Epoche der Genesis der hellenischen Architektur die Hellenen den Bogen noch nicht kannten und darum für ihre Tempel die flache Decke und das schräge Dach ausreichen mußten; allein gar wohl kann der Keilschnitt eine jüngere, aus der rationellen Mechanik hervorgegangene Erfindung der Hellenen sein, wie ihn denn die griechische Tradition auf den Physiker Demokritos (294-397 460-357) zurückführt. Mit dieser Priorität des hellenischen Bogenbaus vor dem römischen ist auch vereinbar, was vielfach und vielleicht mit Recht angenommen wird, daß die Gewölbe an der römischen Hauptkloake und dasjenige, welches über das alte, ursprünglich pyramidalisch gedeckte kapitolinische Quellhaus späterhin gespannt ward, die ältesten erhaltenen Bauwerke sind, bei welchen das Bogenprinzip zur Anwendung gekommen ist; denn es ist mehr als wahrscheinlich, daß diese Bogenbauten nicht der Königs-, sondern der republikanischen Periode angehören und in der Königszeit man auch in Italien nur flache oder überkragte Dächer gekannt hat. Allein wie man auch über die Erfindung des Bogens selbst denken mag, die Anwendung im großen ist überall und vor allem in der Baukunst wenigstens ebenso bedeutend wie die Aufstellung des Prinzips; und diese gebührt unbestritten den Römern. Mit dem fünften Jahrhundert beginnt der wesentlich auf den Bogen gegründete Tor-, Brücken- und Wasserleitungsbau, der mit dem römischen Namen fortan unzertrennlich verknüpft ist. Verwandt ist hiermit noch die Entwicklung der den Griechen fremden, dagegen bei den Römern vorzugsweise beliebten und besonders für die ihnen eigentümlichen Kulte, namentlich den nicht griechischen der Vesta, angewendeten Form des Rundtempels und des Kuppeldachs83.

Etwas Ähnliches mag von manchen untergeordneten, aber darum nicht unwichtigen Fertigkeiten auf diesem Gebiet gelten. Von Originalität oder gar von Kunstübung kann dabei nicht die Rede sein; aber auch aus den festgefügten Steinplatten der römischen Straßen, aus ihren unzerstörbaren Chausseen, aus den breiten, klingend harten Ziegeln, aus dem ewigen Mörtel ihrer Gebäude redet die unverwüstliche Solidität, die energische Tüchtigkeit des römischen Wesens.

Wie die tektonischen, und womöglich noch mehr, sind die bildenden und zeichnenden Künste auf italischem Boden nicht so sehr durch griechische Anregung befruchtet, als aus griechischen Samenkörnern gekeimt. Daß dieselben, obwohl erst die jüngeren Schwestern der Architektur, doch wenigstens in Etrurien schon während der römischen Königszeit sich zu entwickeln begannen, wurde bereits bemerkt; ihre hauptsächliche Entfaltung aber gehört in Etrurien, und um so mehr in Latium, dieser Epoche an, wie dies schon daraus mit Evidenz hervorgeht, daß in denjenigen Landschaften, welche die Kelten und Samniten den Etruskern im Laufe des vierten Jahrhunderts entrissen, von etruskischer Kunstübung fast keine Spur begegnet. Die tuskische Plastik warf sich zuerst und hauptsächlich auf die Arbeit in gebranntem Ton, in Kupfer und in Gold, welche Stoffe die reichen Tonlager und Kupfergruben und der Handelsverkehr Etruriens den Künstlern darboten. Von der Schwunghaftigkeit, womit die Tonbildnerei betrieben wurde, zeugen die ungeheuren Massen von Reliefplatten und statuarischen Arbeiten aus gebranntem Ton, womit Wände, Giebel und Dächer der etruskischen Tempel nach Ausweis der noch vorhandenen Ruinen einst verziert waren, und der nachweisliche Vertrieb derartiger Arbeiten aus Etrurien nach Latium. Der Kupferguß stand nicht dahinter zurück. Etruskische Künstler wagten sich an die Verfertigung von kolossalen, bis zu fünfzig Fuß hohen Bronzebildsäulen, und in Volsinii, dem etruskischen Delphi, sollen um das Jahr 489 (265) zweitausend Bronzestatuen gestanden haben, wogegen die Steinbildnerei in Etrurien, wie wohl überall, weit später begann und außer inneren Ursachen auch durch den Mangel eines geeigneten Materials zurückgehalten ward – die lunensischen (carrarischen) Marmorbrüche waren noch nicht eröffnet. Wer den reichen und zierlichen Goldschmuck der südetruskischen Gräber gesehen hat, der wird die Nachricht nicht unglaublich finden, daß die tyrrhenischen Goldschalen selbst in Attika geschätzt wurden. Auch die Steinschneidekunst ward, obwohl sie jünger ist, doch auch in Etrurien vielfältig geübt. Ebenso abhängig von den Griechen, übrigens den bildenden Künstlern vollkommen ebenbürtig, waren die sowohl in der Umrißzeichnung auf Metall wie in der monochromatischen Wandmalerei ungemein tätigen etruskischen Zeichner und Maler.

Vergleichen wir hiermit das Gebiet der eigentlichen Italiker, so erscheint es zunächst gegen die etruskische Fülle fast kunstarm. Allein bei genauerer Betrachtung kann man der Wahrnehmung sich nicht entziehen, daß sowohl die sabellische wie die latinische Nation weit mehr als die etruskische Fähigkeit und Geschick für die Kunst gehabt haben müssen. Zwar auf eigentlich sabellischem Gebiet, in der Sabina, in den Abruzzen, in Samnium, finden sich Kunstwerke so gut wie gar nicht und mangeln sogar die Münzen. Diejenigen sabellischen Stämme dagegen, welche an die Küsten der Tyrrhenischen oder Ionischen See gelangten, haben die hellenische Kunst sich nicht bloß wie die Etrusker äußerlich angeeignet, sondern sie mehr oder minder vollständig bei sich akklimatisiert. Schon in Velitrae, wo wohl allein in der einstmaligen Landschaft der Volsker deren Sprache und Eigentümlichkeit späterhin sich behauptet haben, haben sich bemalte Terrakotten gefunden von lebendiger und eigentümlicher Behandlung. In Unteritalien ist Lucanien zwar in geringem Grade von der hellenischen Kunst ergriffen worden; aber in Kampanien wie im brettischen Lande haben sich Sabeller und Hellenen wie in Sprache und Nationalität so auch und vor allem in der Kunst vollständig durchdrungen und es stehen namentlich die kampanischen und brettischen Münzen mit den gleichzeitigen griechischen so vollständig auf einer Linie der Kunstbehandlung, daß nur die Aufschrift sie von ihnen unterscheidet. Weniger bekannt, aber nicht weniger sicher ist es, daß auch Latium wohl an Kunstreichtum und Kunstmasse, aber nicht an Kunstsinn und Kunstübung hinter Etrurien zurückstand. Offenbar hat die um den Anfang des 5. Jahrhunderts erfolgte Festsetzung der Römer in Kampanien, die Verwandlung der Stadt Cales in eine latinische Gemeinde, der falernischen Landschaft bei Capua in einen römischen Bürgerbezirk, zunächst die kampanische Kunstübung den Römern aufgeschlossen. Zwar mangelt bei diesen nicht bloß die in dem üppigen Etrurien fleißig gepflegte Steinschneidekunst völlig und begegnet nirgends eine Spur, daß die latinischen Gewerke gleich den etruskischen Goldschmieden und Tonarbeitern für das Ausland tätig gewesen sind. Zwar sind die latinischen Tempel nicht gleich den etruskischen mit Bronze- und Tonzierat überladen, die latinischen Gräber nicht gleich den etruskischen mit Goldschmuck angefüllt worden und schillerten die Wände jener nicht wie die der etruskischen von bunten Gemälden. Aber nichtsdestoweniger stellt sich im ganzen die Waage nicht zum Vorteil der etruskischen Nation. Die Erfindung des Janusbildes, welche wie die Gottheit selbst den Latinern beigelegt werden darf, ist nicht ungeschickt, und originellerer Art als die irgendeines etruskischen Kunstwerks. Die schöne Gruppe der Wölfin mit den Zwillingen lehnt wohl an ähnliche griechische Erfindungen sich an, ist aber in dieser Ausführung sicher wenn nicht in Rom, so doch von Römern erfunden; und es ist bemerkenswert, daß sie zuerst auf den von den Römern in und für Kampanien geprägten Silbermünzen auftritt. In dem oben erwähnten Cales scheint bald nach seiner Gründung eine besondere Gattung figurierten Tongeschirrs erfunden worden zu sein, das mit dem Namen der Meister und des Verfertigungsorts bezeichnet und in weitem Umfang bis nach Etrurien hinein vertrieben worden ist. Die vor kurzem auf dem Esquilin zum Vorschein gekommenen figurierten Altärchen von gebranntem Ton entsprechen in der Darstellung wie in der Ornamentik genau den gleichartigen Weihgeschenken der kampanischen Tempel. Indes schließt dies nicht aus, daß auch griechische Meister für Rom gearbeitet haben. Der Bildner Damophilos, der mit Gorgasos die bemalten Tonfiguren für den uralten Cerestempel verfertigt hat, scheint kein anderer gewesen zu sein als der Lehrer des Zeuxis, Demophilos von Himera (um 300 450). Am belehrendsten sind diejenigen Kunstzweige, in denen uns teils nach alten Zeugnissen, teils nach eigener Anschauung eine vergleichendes Urteil gestattet ist. Von latinischen Arbeiten in Stein ist kaum etwas anderes übrig als der am Ende dieser Periode in dorischem Stil gearbeitete Steinsarg des römischen Konsuls Lucius Scipio; aber die edle Einfachheit desselben beschämt alle ähnlichen etruskischen Werke. Aus den etruskischen Gräbern sind manche schöne Bronzen alten strengen Kunststils, namentlich Helme, Leuchter und dergleichen Gerätstücke erhoben worden; aber welches dieser Werke reicht an die im Jahre 458 (296) am ruminalischen Feigenbaum auf dem römischen Markte aus Strafgeldern aufgestellte bronzene Wölfin, noch heute den schönsten Schmuck des Kapitols? Und daß auch die latinischen Metallgießer so wenig wie die etruskischen vor großen Aufgaben zurückschraken, beweist das von Spurius Carvilis (Konsul 461 293) aus den eingeschmolzenen samnitischen Rüstungen errichtete kolossale Erzbild des Jupiter auf dem Kapitol, aus dessen Abfall beim Ziselieren die zu den Füßen des Kolosses stehende Statue des Siegers hatte gegossen werden können; man sah dieses Jupiterbild bis vom Albanischen Berge. Unter den gegossenen Kupfermünzen gehören bei weitem die schönsten dem südlichen Latium an; die römischen und umbrischen sind leidlich, die etruskischen fast bildlos und oft wahrhaft barbarisch. Die Wandmalereien, die Gaius Fabius in dem 452 302 dedizierten Tempel der Wohlfahrt auf dem Kapitol ausführte, erwarben in Zeichnung und Färbung noch das Lob griechisch gebildeter Kunstrichter der augusteischen Epoche; und es werden von den Kunstenthusiasten der Kaiserzeit wohl auch die caeritischen, aber mit noch größerem Nachdruck die römischen, lanuvinischen und ardeatischen Fresken als Meisterwerke der Malerei gepriesen. Die Zeichnung auf Metall, welche in Latium nicht wie in Etrurien die Handspiegel, sondern die Toilettenkästchen mit ihren zierlichen Umrissen schmückte, ward in Latium in weit geringerem Umfang und fast nur in Praeneste geübt; es finden sich vorzügliche Kunstwerke unter den etruskischen Metallspiegeln wie unter den praenestinischen Kästchen, aber es war ein Werk der letzteren Gattung, und zwar ein höchst wahrscheinlich in dieser Epoche in der Werkstatt eines praenestinischen Meisters entstandenes Werk84, von dem mit Recht gesagt werden konnte, daß kaum ein zweites Erzeugnis der Graphik des Altertums so wie die ficoronische Cista den Stempel einer in Schönheit und Charakteristik vollendeten und noch vollkommen reinen und ernsten Kunst an sich trägt.

Der allgemeine Stempel der etruskischen Kunstwerke ist teils eine gewisse barbarische Überschwenglichkeit im Stoff wie im Stil, teils der völlige Mangel innerer Entwicklung. Wo der griechische Meister flüchtig skizziert, verschwendet der etruskische Schüler schülerhaft den Fleiß; an die Stelle des leichten Materials und der mäßigen Verhältnisse griechischer Werke tritt bei den etruskischen ein renommistisches Hervorheben der Größe und Kostbarkeit oder auch bloß der Seltsamkeit des Werkes. Die etruskische Kunst kann nicht nachbilden, ohne zu übertreiben: das Strenge wird ihr hart, das Anmutige weichlich, das Schreckliche zum Scheusal, die Üppigkeit zur Zote, und immer deutlicher tritt dies hervor, je mehr die ursprüngliche Anregung zurücktritt und die etruskische Kunst sich auf sich selber angewiesen findet. Noch auffallender ist das Festhalten an den hergebrachten Formen und dem hergebrachten Stil. Sei es, daß die anfängliche freundlichere Berührung mit Etrurien hier den Hellenen den Samen der Kunst auszustreuen gestattete, eine spätere Epoche der Feindseligkeit aber den jüngeren Entwicklungsstadien der griechischen Kunst den Eingang in Etrurien erschwerte, sei es, was wahrscheinlicher ist, daß die rasch eintretende geistige Erstarrung der Nation die Hauptsache dabei tat: die Kunst blieb in Etrurien auf der primitiven Stufe, auf welcher sie bei ihrem ersten Eindringen daselbst sich befunden hatte, wesentlich stehen – bekanntlich ist dies die Ursache gewesen; weshalb die etruskische Kunst, die unentwickelt gebliebene Tochter der hellenischen, solange als deren Mutter gegolten hat. Mehr noch als das strenge Festhalten des einmal überlieferten Stils in den älteren Kunstzweigen beweist die unverhältnismäßig elende Behandlung der später aufgekommenen, namentlich der Bildhauerei in Stein und des Kupfergusses in der Anwendung auf Münzen, wie rasch aus der etruskischen Kunst der Geist entwich. Ebenso belehrend sind die gemalten Gefäße, die in den jüngeren etruskischen Grabstätten in so ungeheurer Anzahl sich finden. Wären dieselben so früh wie die mit Umrissen verzierten Metallplatten oder die bemalten Terrakotten bei den Etruskern gangbar geworden, so würde man ohne Zweifel auch sie in Menge und in wenigstens relativer Güte dort fabrizieren gelernt haben; aber in der Epoche, in welcher dieser Luxus emporkam, mißlang die selbsttätige Reproduktion vollständig, wie die vereinzelten mit etruskischen Inschriften versehenen Gefäße beweisen, und man begnügte sich darum, dieselben zu kaufen, statt sie zu formen.

Aber auch innerhalb Etruriens erscheint ein weiterer bemerkenswerter Gegensatzinder künstlerischen Entwicklung der südlichen und der nördlichen Landschaft. Es ist Südetrurien, hauptsächlich die Bezirke von Caere, Tarquinii, Volci, die die gewaltigen Prunkschätze besonders von Wandgemälden, Tempeldekorationen, Goldschmuck und gemalten Tongefäßen bewahren; das nördliche Etrurien steht weit dahinter zurück, und es hat zum Beispiel sich kein gemaltes Grab nördlich von Chiusi gefunden. Die südlichsten etruskischen Städte Veii, Caere, Tarquinii sind es, die der römischen Tradition als die Ur- und Hauptsitze der etruskischen Kunst gelten; die nördlichste Stadt Volaterrae, mit dem größten Gebiet unter allen etruskischen Gemeinden, steht von allen auch der Kunst am fernsten. Wenn in Südetrurien die griechische Halbkultur, so ist in Nordetrurien vielmehr die Unkultur zu Hause. Die Ursachen dieses bemerkenswerten Gegensatzes mögen teils in der verschiedenartigen, in Südetrurien wahrscheinlich stark mit nicht etruskischen Elementen gemischten Nationalität, teils in der verschiedenen Mächtigkeit des hellenischen Einflusses zu suchen sein, welcher letztere namentlich in Caere sich sehr entschieden geltend gemacht haben muß; die Tatsache selbst ist nicht zu bezweifeln. Um so mehr mußte die frühe Unterjochung der südlichen Hälfte Etruriens durch die Römer und die sehr zeitig hier beginnende Romanisierung der etruskischen Kunst verderblich werden; was Nordetrurien, auf sich allein beschränkt, künstlerisch zu leisten vermochte, zeigen die wesentlich ihm angehörenden Kupfermünzen.

Wenden wir die Blicke von Etrurien nach Latium, so hat freilich auch dies keine neue Kunst geschaffen; es war einer weit späteren Kulturepoche vorbehalten, aus dem Motiv des Bogens eine neue, von der hellenischen Tektonik verschiedene Architektur zu entwickeln und sodann mit dieser harmonisch eine neue Bildnerei und Malerei zu entfalten. Die latinische Kunst ist nirgend originell und oft gering; aber die frisch empfindende und taktvoll wählende Aneignung des fremden Gutes ist auch ein hohes künstlerisches Verdienst. Nicht leicht hat die latinische Kunst barbarisiert und in ihren besten Erzeugnissen steht sie völlig im Niveau der griechischen Technik. Eine gewisse Abhängigkeit der Kunst Latiums wenigstens in ihren früheren Stadien von der sicher älteren etruskischen soll darum nicht geleugnet werden; es mag Varro immerhin mit Recht angenommen haben, daß bis auf die im Cerestempel von griechischen Künstlern ausgeführten nur „tuscanische“ Tonbilder die römischen Tempel verzierten; aber daß doch vor allem der unmittelbare Einfluß der Griechen die latinische Kunst bestimmt hat, ist an sich schon klar und liegt auch in eben diesen Bildwerken sowie in den latinischen und römischen Münzen deutlich zu Tage. Selbst die Anwendung der Metallzeichnung in Etrurien lediglich auf den Toilettenspiegel, in Latium lediglich auf den Toilettenkasten deutet auf die Verschiedenartigkeit der beiden Landschaften zuteil gewordenen Kunstanregung. Es scheint indes nicht gerade Rom gewesen zu sein, wo die latinische Kunst ihre frischesten Blüten trieb; die römischen Asse und die römischen Denare werden von den latinischen Kupfer- und den seltenen latinischen Silbermünzen an Feinheit und Geschmack der Arbeit bei weitem übertroffen und auch die Meisterwerke der Malerei und Zeichnung gehören vorwiegend Praeneste, Lanuvium, Ardea an. Auch stimmt dies vollständig zu dem früher bezeichneten realistischen und nüchternen Sinn der römischen Republik, welcher in dem übrigen Latium sich schwerlich mit gleicher Strenge geltend gemacht haben kann. Aber im Lauf des fünften Jahrhunderts und besonders in der zweiten Hälfte desselben regte es denn doch sich mächtig auch in der römischen Kunst. Es war dies die Epoche, in welcher der spätere Bogen- und Straßenbau begann, in welcher Kunstwerke wie die Kapitolinische Wölfin entstanden, in welcher ein angesehener Mann aus einem altadeligen römischen Geschlechte den Pinsel ergriff, um einen neugebauten Tempel auszuschmücken und dafür den Ehrenbeinamen des „Malers“ empfing. Das ist nicht Zufall. Jede große Zeit erfaßt den ganzen Menschen; und wie starr die römische Sitte, wie streng die römische Polizei immer war, der Aufschwung, den die römische Bürgerschaft als Herrin der Halbinsel oder richtiger gesagt, den das zum erstenmal staatlich geeinigte Italien nahm, tritt auch in dem Aufschwung der latinischen und besonders der römischen Kunst ebenso deutlich hervor wie in dem Sinken der etruskischen der sittliche und politische Verfall der Nation. Wie die gewaltige Volkskraft Latiums die schwächeren Nationen bezwang, so hat sie auch dem Erz und dem Marmor ihren unvergänglichen Stempel aufgedrückt.

  1. Was Dionys (6, 95; vgl. B. G. Niebuhr, Römische Geschichte. Bd. 2, S. 40) und, schöpfend aus einer anderen Dionysischen Stelle, Plutarch (Cam. 42) von dem latinischen Fest berichtet, ist, wie außer anderen Gründen schlagend die Vergleichung der letzteren Stelle mit Liv. 6, 42 (F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313) zeigt, vielmehr von den römischen Spielen zu verstehen; Dionys hat, und zwar nach seiner Gewohnheit im Verkehrten beharrlich, den Ausdruck ludi maximi mißverstanden.
  2. Übrigens gab es auch eine Überlieferung, wonach der Ursprung des Volksfestes, statt wie gewöhnlich auf die Besiegung der Latiner durch den ersten Tarquinius, vielmehr auf die Besiegung der Latiner am Regiller See zurückgeführt ward (Cic. div. 1, 26, 55; Dion. Hal. 7, 71). Daß die wichtigen, an der letzten Stelle aus Fabius aufbehaltenen Angaben in der Tat auf das gewöhnliche Dankfest und nicht auf eine besondere Votivfeierlichkeit gehen, zeigt die ausdrückliche Hinweisung auf die jährliche Wiederkehr der Feier und die genau mit der Angabe bei dem falschen Asconius (Ps. Ascon. p. 142 Or.) stimmende Kostensumme.
  3. >Erhalten ist davon das Bruchstück:
  4. Bei trocknem Herbste, nassem – Frühling, wirst du, Knabe,
    Einernten große Spelte.
  5. Wir wissen freilich nicht, mit welchem Rechte dieses Gedicht späterhin als das älteste römische galt (Macr. Sat. 5, 20; Fest. v. flaminius p. 93 M; Serv. georg. 1, 101; Plin. nat. 17, 2, 14).
  6. Nur die ersten Stellen in der Liste geben Anlaß zum Verdacht und mögen später hinzugefügt sein, um die Zahl der Jahre von der Königsflucht bis zum Stadtbrande auf 120 abzurunden.
  7. 1, 470. Nach den Annalen kommandiert Scipio in Etrurien, sein Kollege in Samnium und ist Lucanien dies Jahr im Bunde mit Rom; nach der Grabschrift erobert Scipio zwei Städte in Samnium und ganz Lucanien.
  8. Diese Richtung der Sage erhellt deutlich aus dem älteren Plinius (nat. 36, 15, 100).
  9. Man rechnete, wie es scheint, drei Geschlechter auf ein Jahrhundert und rundete die Ziffer 233 1/3 auf 240 ab, ähnlich wie die Epoche zwischen der Königsflucht und dem Stadtbrand auf 120 Jahre abgerundet ward. Wodurch man gerade auf diese Zahlen geführt ward, zeigt zum Beispiel die oben erörterte Feststellung des Flächenmaßes.
  10. Auch die „troischen Kolonien“ auf Sizilien, die Thukydides, Pseudoskylax und andere nennen, sowie die Bezeichnung Capuas als einer troischen Gründung bei Hekataeos werden auf Stesichoros und auf dessen Identifizierung der italischen und sizilischen Eingeborenen mit den Troern zurückgehen.
  11. Nach ihm vermählte sich eine aus Ilion nach Rom geflüchtete Frau Rome oder vielmehr deren gleichnamige Tochter mit dem König der Aboriginer Latinos und gebar ihm drei Söhne, Romos, Romylos und Telegonos. Der letzte, der ohne Zweifel hier als Gründer von Tusculum und Praeneste auftritt, gehört bekanntlich der Odysseussage an.
  12. In den beiden Grabschriften des Lucius Scipio, Konsul 456 (298), und des gleichnamigen Konsuls vom Jahre 495 (259) fehlen m und d im Auslaut der Beugungen regelmäßig, doch findet sich einmal Luciom und einmal Gnaivod; es steht nebeneinander im Nominativ Cornelio und filios; cosol, cesor und consol censor; aidiles, dedet, ploirume (= plurimi), hec (Nom. Sing.) neben aidilis, cepit, quei, hic. Der Rhotazismus ist bereits vollständig durchgeführt; man findet duonoro (= bonorum), ploirume, nicht wie im saliarischen Liede foedesum, plusima. Unsere inschriftlichen Überreste reichen überhaupt im allgemeinen nicht über den Rhotazismus hinauf; von dem älteren s begegnen nur einzelne Spuren, wie noch späterhin honos, labos neben honor und labor und die ähnlichen Frauenvornamen Maio (maios, maior) und Mino auf neu gefundenen Grabschriften von Praeneste.
  13. Litterator und grammaticus verhalten sich ungefähr wie Lehrer und Maître; die letztere Benennung kommt nach dem älteren Sprachgebrauch nur dem Lehrer des Griechischen, nicht dem der Muttersprache zu. Litteratus ist jünger und bezeichnet nicht den Schulmeister, sondern den gebildeten Mann.
  14. Es ist doch wohl ein römisches Bild, was Plautus (Bacch. 431) als ein Stück der guten alten Kindererziehung anführt:
  15. wenn nun du darauf nach Hause kamst,
    In dem Jäckchen auf dem Schemel saßest du zum Lehrer hin;
    Und wenn dann das Buch ihm lesend eine Silbe du gefehlt,
    Färbte deinen Buckel er dir bunt wie einen Kinderlatz.
  16. Eine Nachbildung der ältesten Hausform, wie man wohl gemeint hat, ist der Rundtempel sicher nicht; vielmehr geht der Hausbau durchaus vom Viereck aus. Die spätere römische Theologie knüpfte diese Rundform an die Vorstellung des Erdballs oder des kugelförmig die Zentralsonne umgebenden Weltalls (Fest. v. rutundam p. 282; Plut. Num. 11; Ov. fast. 6, 267f.); in der Tat ist dieselbe wohl einfach darauf zurückzuführen, daß für die zum Abhegen und Aufbewahren bestimmte Räumlichkeit als die bequemste wie die sicherste Form stets die kreisrunde gegolten hat. Darauf beruhten die runden Schatzhäuser der Hellenen ebenso wie der Rundbau der römischen Vorratskammer oder des Penatentempels; es war natürlich auch die Feuerstelle – das heißt den Altar der Vesta – und die Feuerkammer – das heißt den Vestatempel – rund anzulegen, so gut wie dies mit der Zisterne und der Brunnenfassung (puteal) geschah. Der Rundbau an sich ist graecoitalisch wie der Quadratbau und jener der Kammer eigen, wie dieser dem Wohnhaus; aber die architektonische und religiöse Entwicklung des einfachen Tholos zum Rundtempel mit Pfeilern und Säulen ist latinisch.
  17. Novius Plautius goß vielleicht nur die Füße und die Deckelgruppe; das Kästchen selbst kann von einem älteren Künstler herrühren, aber, da der Gebrauch dieser Kästchen sich wesentlich auf Praeneste beschränkt hat, kaum von einem anderen als einem praenestinischen.

4. Kapitel


4. Kapitel

Sturz der etruskischen Macht. Die Kelten

Nachdem die Entwicklung der römischen Verfassung während der zwei ersten Jahrhunderte der Republik dargestellt ist, ruft uns die äußere Geschichte Roms und Italiens wieder zurück in den Anfang dieser Epoche. Um diese Zeit, als die Tarquinier aus Rom vertrieben wurden, stand die etruskische Macht auf ihrem Höhepunkt. Die Herrschaft auf der Tyrrhenischen See besaßen unbestritten die Tusker und die mit ihnen eng verbündeten Karthager. Wenn auch Massalia unter steten und schweren Kämpfen sich behauptete, so waren dagegen die Häfen Kampaniens und der volskischen Landschaft und seit der Schlacht von Alalia auch Korsika im Besitz der Etrusker. In Sardinien gründeten durch die vollständige Eroberung der Insel (um 260 500) die Söhne des karthagischen Feldherrn Mago die Größe zugleich ihres Hauses und ihrer Stadt, und in Sizilien behaupteten die Phöniker während der inneren Fehden der hellenischen Kolonien ohne wesentliche Anfechtung den Besitz der Westhälfte. Nicht minder beherrschten die Schiffe der Etrusker das Adriatische Meer, und selbst in den östlichen Gewässern waren ihre Kaper gefürchtet.

Auch zu Lande schien ihre Macht im Steigen. Den Besitz der latinischen Landschaft zu gewinnen, war für Etrurien, das von den volskischen in seiner Klientel stehenden Städten und von seinen kampanischen Besitzungen allein durch die Latiner geschieden war, von der entscheidendsten Wichtigkeit. Bisher hatte das feste Bollwerk der römischen Macht Latium ausreichend beschirmt und die Tibergrenze mit Erfolg gegen Etrurien behauptet. Allein als der gesamte tuskische Bund, die Verwirrung und die Schwäche des römischen Staats nach der Vertreibung der Tarquinier benutzend, jetzt unter dem König Lars Porsena von Clusium seinen Angriff mächtiger als zuvor erneuerte, fand er nicht ferner den gewohnten Widerstand; Rom kapitulierte und trat im Frieden (angeblich 247 507) nicht bloß alle Besitzungen am rechten Tiberufer an die nächstliegenden tuskischen Gemeinden ab und gab also die ausschließliche Herrschaft über den Strom auf, sondern lieferte auch dem Sieger seine sämtlichen Waffen aus und gelobte, fortan des Eisens nur zur Pflugschar sich zu bedienen. Es schien, als sei die Einigung Italiens unter tuskischer Suprematie nicht mehr fern.

Allein die Unterjochung, womit die Koalition der etruskischen und karthagischen Nation die Griechen wie die Italiker bedroht, ward glücklich abgewendet durch das Zusammenhalten der durch Stammverwandtschaft wie durch die gemeinsame Gefahr aufeinander angewiesenen Völker. Zunächst fand das etruskische Heer, das nach Roms Fall in Latium eingedrungen war, vor den Mauern von Aricia die Grenze seiner Siegesbahn durch die rechtzeitige Hilfe der den Aricinern zur Hilfe herbeigeeilten Kymäer (248 506). Wir wissen nicht, wie der Krieg endigte, und namentlich nicht, ob Rom schon damals den verderblichen und schimpflichen Frieden zerriß; gewiß ist nur, daß die Tusker auch diesmal auf dem linken Tiberufer sich dauernd zu behaupten nicht vermochten.

Bald ward die hellenische Nation zu einem noch umfassenderen und noch entscheidenderen Kampf gegen die Barbaren des Westens wie des Ostens genötigt. Es war um die Zeit der Perserkriege. Die Stellung der Tyrier zu dem Großkönig führte auch Karthago in die Bahnen der persischen Politik – wie denn selbst ein Bündnis zwischen den Karthagern und Xerxes glaubwürdig überliefert ist – und mit den Karthagern die Etrusker. Es war eine der großartigsten politischen Kombinationen, die gleichzeitig die asiatischen Scharen auf Griechenland, die phönikischen auf Sizilien warf, um mit einem Schlag die Freiheit und die Zivilisation vom Angesicht der Erde zu vertilgen. Der Sieg blieb den Hellenen. Die Schlacht bei Salamis (274 der Stadt 480) rettete und rächte das eigentliche Hellas; und an demselben Tag – so wird erzählt – besiegten die Herren von Syrakus und Akragas, Gelon und Theron, das ungeheure Heer des karthagischen Feldherrn Hamilkar, Magos Sohn, bei Himera so vollständig, daß der Krieg damit zu Ende war und die Phöniker, die damals noch keineswegs den Plan verfolgten, ganz Sizilien für eigene Rechnung sich zu unterwerfen, zurückkehrten zu ihrer bisherigen defensiven Politik. Noch sind von den großen Silberstücken erhalten, welche aus dem Schmuck der Gemahlin Gelons, Damareta, und anderer edler Syrakusanerinnen für diesen Feldzug geschlagen wurden, und die späteste Zeit gedachte dankbar des milden und tapferen Königs von Syrakus und des herrlichen, von Simonides gefeierten Sieges.

Die nächste Folge der Demütigung Karthagos war der Sturz der Seeherrschaft ihrer etruskischen Verbündeten. Schon Anaxilas, der Herr von Rhegion und Zankte, hatte ihren Kapern die sizilische Meerenge durch eine stehende Flotte gesperrt (um 272 482); einen entscheidenden Sieg erfochten bald darauf die Kymäer und Hieron von Syrakus bei Kyme (280 474) über die tyrrhenische Flotte, der die Karthager vergeblich Hilfe zu bringen versuchten. Das ist der Sieg, welchen Pindaros in der ersten pythischen Ode feiert, und noch ist der Etruskerhelm vorhanden, den Hieron nach Olympia sandte mit der Aufschrift: „Hiaron des Deinomenes Sohn und die Syrakosier dem Zeus Tyrrhanisches von Kyma“14.

Während diese ungemeinen Erfolge gegen Karthager und Etrusker Syrakus an die Spitze der sizilischen Griechenstädte brachten, erhob unter den italischen Hellenen, nachdem um die Zeit der Vertreibung der Könige aus Rom (243 511) das achäische Sybaris untergegangen war, das dorische Tarent sich unbestritten zu der ersten Stelle; die furchtbare Niederlage der Tarentiner durch die Iapyger (280 474), die schwerste, die bis dahin ein Griechenheer erlitten hatte, entfesselte nur, ähnlich wie der Persersturm in Hellas, die ganze Gewalt des Volksgeistes in energisch demokratischer Entwicklung. Von jetzt an spielen nicht mehr die Karthager und die Etrusker die erste Rolle in den italischen Gewässern, sondern im Adriatischen und Ionischen Meer die Tarentiner, im Tyrrhenischen die Massalioten und die Syrakusaner, und namentlich die letzteren beschränkten mehr und mehr das etruskische Korsarenwesen. Schon Hieron hatte nach dem Siege bei Kyme die Insel Aenaria (Ischia) besetzt und damit die Verbindung zwischen den kampanischen und den nördlichen Etruskern unterbrochen. Um das Jahr 302 (452) wurde von Syrakus, um der tuskischen Piraterie gründlich zu steuern, eine eigene Expedition ausgesandt, die die Insel Korsika und die etruskische Küste verheerte und die Insel Aethalia (Elba) besetzte. Ward man auch nicht völlig Herr über die etruskisch-karthagischen Piraten – wie denn das Kaperwesen zum Beispiel in Antium bis in den Anfang des fünften Jahrhunderts der Stadt fortgedauert zu haben scheint –, so war doch das mächtige Syrakus ein starkes Bollwerk gegen die verbündeten Tusker und Phöniker. Einen Augenblick freilich schien es, als müsse die syrakusische Macht gebrochen werden durch die Athener, deren Seezug gegen Syrakus im Lauf des Peloponnesischen Krieges (339-341 415-413) die Etrusker, die alten Handelsfreunde Athens, mit drei Fünfzigruderern unterstützten. Allein der Sieg blieb, wie bekannt, im Westen wie im Osten den Dorern. Nach dem schmählichen Scheitern der attischen Expedition ward Syrakus so unbestritten die erste griechische Seemacht, daß die Männer, die dort an der Spitze des Staates standen, die Herrschaft über Sizilien und Unteritalien und über beide Meere Italiens ins Auge faßten; wogegen anderseits die Karthager, die ihre Herrschaft in Sizilien jetzt ernstlich bedroht sahen, auch auf ihrer Seite die Überwältigung der Syrakusaner und die Unterwerfung der ganzen Insel zum Ziel ihrer Politik nehmen mußten und nahmen. Der Verfall der sizilischen Mittelstaaten, die Steigerung der karthagischen Macht auf der Insel, die zunächst aus diesen Kämpfen hervorgingen, können hier nicht erzählt werden; was Etrurien anlangt, so führte gegen dies der neue Herr von Syrakus, Dionysios (reg. 348-387 406-367), die empfindlichsten Schläge. Der weitstrebende König gründete seine neue Kolonialmacht vor allem in dem italischen Ostmeer, dessen nördlichere Gewässer jetzt zum erstenmal einer griechischen Seemacht untertan wurden. Um das Jahr 367 (387) besetzte und kolonisierte Dionysios an der illyrischen Küste den Hafen Lissos und die Insel Issa, an der italischen die Landungsplätze Ankon, Numana und Atria; das Andenken an die syrakusanische Herrschaft in dieser entlegenen Gegend bewahrten nicht bloß die „Gräben des Philistos“, ein ohne Zweifel von dem bekannten Geschichtschreiber und Freunde des Dionysios, der die Jahre seiner Verbannung (368 386f.) in Atria verlebte, angelegter Kanal an der Pomündung; auch die veränderte Benennung des italischen Ostmeers selbst, wofür seitdem anstatt der älteren Benennung des Ionischen Busens die heute noch gangbare des „Meeres von Hadria“ vorkommt, geht wahrscheinlich auf diese Ereignisse zurück15. Aber nicht zufrieden mit diesen Angriffen auf die Besitzungen und Handelsverbindungen der Etrusker im Ostmeer, griff Dionysios durch die Erstürmung und Plünderung der reichen caeritischen Hafenstadt Pygri (369 385 die etruskische Macht in ihrem innersten Kern an. Sie hat denn auch sich nicht wieder erholt. Als nach Dionysios‘ Tode die inneren Unruhen in Syrakus den Karthagern freiere Bahn machten und deren Flotte wieder im Tyrrhenischen Meer das Übergewicht bekam, das sie seitdem mit kurzen Unterbrechungen behauptete, lastete dieses nicht minder schwer auf den Etruskern wie auf den Griechen; so daß sogar, als im Jahre 444 (310) Agathokles von Syrakus zum Krieg mit Karthago rüstete, achtzehn tuskische Kriegsschiffe zu ihm stießen. Die Etrusker mochten für Korsika fürchten, das sie wahrscheinlich damals noch behaupteten; die alte tuskisch-phönikische Symmachie, die noch zu Aristoteles‘ Zeit (370-432 384-322) bestand, ward damit gesprengt, aber die Schwäche der Etrusker zur See nicht wieder aufgehoben.

Dieser rasche Zusammensturz der etruskischen Seemacht würde unerklärlich sein, wenn nicht gegen die Etrusker zu eben der Zeit, wo die sizilischen Griechen sie zur See angriffen, auch zu Lande von allen Seiten her die schwersten Schläge gefallen wären. Um die Zeit der Schlachten von Salamis, Himera und Kyme ward, dem Berichte der römischen Annalen zufolge, zwischen Rom und Veii ein vieljähriger und heftiger Krieg geführt (271-280 483-474). Die Römer erlitten in demselben schwere Niederlagen; im Andenken geblieben ist die Katastrophe der Fabier (277 477), die infolge der inneren Krisen sich freiwillig aus der Hauptstadt verbannt und die Verteidigung der Grenze gegen Etrurien übernommen hatten, hier aber am Bache Cremera bis auf den letzten waffenfähigen Mann niedergehauen wurden. Allein der Waffenstillstand auf 400 Monate, der anstatt Friedens den Krieg beendigte, fiel für die Römer insofern günstig aus, als er wenigstens den Status quo der Königszeit wiederherstellte; die Etrusker verzichteten auf Fidenae und den am rechten Tiberufer gewonnenen Distrikt. Es ist nicht auszumachen, inwieweit dieser römisch-etruskische Krieg mit dem hellenisch-persischen und dem sizilisch-karthagischen in unmittelbaren Zusammenhange stand; aber mögen die Römer die Verbündeten der Sieger von Salamis und von Himera gewesen sein oder nicht, die Interessen wie die Folgen trafen jedenfalls zusammen.

Wie die Latiner warfen auch die Samniten sich auf die Etrusker; und kaum war deren kampanische Niederlassung durch die Folgen des Treffens bei Kyme vom Mutterlande abgeschnitten worden, als sie auch schon nicht mehr imstande war, den Angriffen der sabellischen Bergvölker zu widerstehen. Die Hauptstadt Capua fiel 330 (424) und die tuskische Bevölkerung ward hier bald nach der Eroberung von den Samniten ausgerottet oder verjagt. Freilich hatten auch die kampanischen Griechen, vereinzelt und geschwächt, unter derselben Invasion schwer zu leiden; Kyme selbst ward 334 (420) von den Sabellern erobert. Dennoch behaupteten die Griechen sich namentlich in Neapolis, vielleicht mit Hilfe der Syrakusaner, während der etruskische Name in Kampanien aus der Geschichte verschwindet; kaum daß einzelne etruskische Gemeinden eine kümmerliche und verlorene Existenz sich dort fristeten.

Aber noch folgenreichere Ereignisse traten um dieselbe Zeit im nördlichen Italien ein. Eine neue Nation pochte an die Pforten der Alpen: es waren die Kelten; und ihr erster Andrang traf die Etrusker.

Die keltische, auch galatische oder gallische Nation hat von der gemeinschaftlichen Mutter eine andere Ausstattung empfangen als die italische, die germanische und die hellenische Schwester. Es fehlt ihr bei manchen tüchtigen und noch mehr glänzenden Eigenschaften die tiefe sittliche und staatliche Anlage, auf welche alles Gute und Große in der menschlichen Entwicklung sich gründet. Es galt, sagt Cicero, als schimpflich für den freien Kelten, das Feld mit eigenen Händen zu bestellen. Dem Ackerbau zogen sie das Hirtenleben vor und trieben selbst in den fruchtbaren Poebenen vorzugsweise die Schweinezucht, von dem Fleisch ihrer Herden sich nährend und in den Eichenwäldern mit ihnen Tag und Nacht verweilend. Die Anhänglichkeit an die eigene Scholle, wie sie den Italikern und den Germanen eigen ist, fehlt bei den Kelten; wogegen sie es lieben, in den Städten und Flecken zusammen zu siedeln und diese bei ihnen früher, wie es scheint, als in Italien Ausdehnung und Bedeutung gewonnen haben. Ihre bürgerliche Verfassung ist unvollkommen; nicht bloß wird die nationale Einheit nur durch ein schwaches Band vertreten, was ja in gleicher Weise von allen Nationen anfänglich gilt, sondern es mangelt auch in den einzelnen Gemeinden an Eintracht und festem Regiment, an ernstem Bürgersinn und folgerechtem Streben. Die einzige Ordnung, der sie sich schicken, ist die militärische, in der die Bande der Disziplin dem einzelnen die schwere Mühe abnehmen, sich selber zu bezwingen. „Die hervorstehenden Eigenschaften der keltischen Rasse“, sagt ihr Geschichtschreiber Thierry, „sind die persönliche Tapferkeit, in der sie es allen Völkern zuvortun; ein freier, stürmischer, jedem Eindruck zugänglicher Sinn; viel Intelligenz, aber daneben die äußerste Beweglichkeit, Mangel an Ausdauer, Widerstreben gegen Zucht und Ordnung, Prahlsucht und ewige Zwietracht, die Folge der grenzenlosen Eitelkeit.“ Kürzer sagt ungefähr dasselbe der alte Cato: „auf zwei Dinge geben die Kelten viel: auf das Fechten und auf den Esprit“16. Solche Eigenschaften guter Soldaten und schlechter Bürger erklären die geschichtliche Tatsache, daß die Kelten alle Staaten erschüttert und keinen gegründet haben. Überall finden wir sie bereit zu wandern, das heißt zu marschieren; dem Grundstück die bewegliche Habe vorziehend, allem anderen aber das Gold; das Waffenwerk betreibend als geordnetes Raubwesen oder gar als Handwerk um Lohn und allerdings mit solchem Erfolge, daß selbst der römische Geschichtschreiber Sallustius im Waffenwerk den Kelten den Preis vor den Römern zugesteht. Es sind die rechten Lanzknechte des Altertums, wie die Bilder und Beschreibungen sie uns darstellen: große, nicht sehnige Körper, mit zottigem Haupthaar und langem Schnauzbart – recht im Gegensatz zu Griechen und Römern, die das Haupt und die Oberlippe schoren –, in bunten gestickten Gewändern, die beim Kampf nicht selten abgeworfen wurden, mit dem breiten Goldring um den Hals, unbehelmt und ohne Wurfwaffen jeder Art, aber dafür mit ungeheurem Schild nebst dem langen schlechtgestählten Schwert, dem Dolch und der Lanze, alle diese Waffen mit Gold geziert, wie sie denn die Metalle nicht ungeschickt zu bearbeiten verstanden. Zum Renommieren dient alles, selbst die Wunde, die oft nachträglich erweitert wird, um mit der breiteren Schmarre zu prunken. Gewöhnlich fechten sie zu Fuß, einzelne Schwärme aber auch zu Pferde, wo dann jedem Freien zwei gleichfalls berittene Knappen folgen; Streitwagen finden sich früh wie bei den Libyern und den Hellenen in ältester Zeit. Mancher Zug erinnert an das Ritterwesen des Mittelalters; am meisten die den Römern und Griechen fremde Sitte des Zweikampfes. Nicht bloß im Kriege pflegten sie den einzelnen Feind, nachdem sie ihn zuvor mit Worten und Gebärden verhöhnt hatten, zum Kampfe zu fordern; auch im Frieden fochten sie gegeneinander in glänzender Rüstung auf Leben und Tod. Daß die Zechgelage hernach nicht fehlten, versteht sich. So führten sie unter eigener oder fremder Fahne ein unstetes Soldatenleben, das sie von Irland und Spanien bis nach Kleinasien zerstreute unter steten Kämpfen und sogenannten Heldentaten; aber was sie auch begannen, es zerrann wie der Schnee im Frühling, und nirgends ist ein großer Staat, nirgends eine eigene Kultur von ihnen geschaffen worden.

So schildern uns die Alten diese Nation; über ihre Herkunft läßt sich nur mutmaßen. Demselben Schoß entsprungen, aus dem auch die hellenischen, italischen und germanischen Völkerschaften hervorgingen, sind die Kelten ohne Zweifel gleich diesen aus dem östlichen Mutterland in Europa eingerückt, wo sie in frühester Zeit das Westmeer erreichten und in dem heutigen Frankreich ihre Hauptsitze begründeten17, gegen Norden hin übersiedelnd auf die britannischen Inseln, gegen Süden die Pyrenäen überschreitend und mit den iberischen Völkerschaften um den Besitz der Halbinsel ringend. An den Alpen indes strömte ihre erste große Wanderung vorbei und erst von den westlichen Ländern aus begannen sie in kleineren Massen und in entgegengesetzter Richtung jene Züge, die sie über die Alpen und den Hämus, ja über den Bosporus führten und durch die sie der Schrecken der sämtlichen zivilisierten Nationen des Altertums geworden und durch manche Jahrhunderte geblieben sind, bis Caesars Siege und die von Augustus geordnete Grenzverteidigung ihre Macht für immer brachen.

Die einheimische Wandersage, die hauptsächlich Livius uns erhalten hat, berichtet von diesen späteren rückläufigen Zügen folgendermaßen18

19

Unter diesen, wie auf Verabredung gemeinschaftlichen Angriffen der verschiedensten Völker, der Syrakusaner, Latiner, Samniten und vor allem der Kelten brach die eben noch so gewaltig und so plötzlich in Latium und Kampanien und auf beiden italischen Meeren um sich greifende etruskische Nation noch gewaltsamer und noch plötzlicher zusammen. Der Verlust der Seeherrschaft, die Bewältigung der kampanischen Etrusker gehört derselben Epoche an, wo die Insubrer und Cenomaner am Po sich niederließen; und eben um diese Zeit ging auch die durch Porsena wenige Jahrzehnte zuvor aufs tiefste gedemütigte und fast geknechtete römische Bürgerschaft zuerst angreifend gegen Etrurien vor. Im Waffenstillstand mit Veii von 280 (474) hatte sie das Verlorene wiedergewonnen und im wesentlichen den Zustand wiederhergestellt, wie er zu der Zeit der Könige zwischen beiden Nationen bestanden hatte. Als er im Jahre 309 (445) ablief, begann zwar die Fehde aufs neue; aber es waren Grenzgefechte und Beutezüge, die für beide Teile ohne wesentliches Resultat verliefen. Etrurien stand noch zu mächtig da, als daß Rom einen ernstlichen Angriff hätte unternehmen können. Erst der Abfall der Fidenaten, die die römische Besatzung vertrieben, die Gesandten ermordeten und sich dem König der Veienter, Lars Tolumnius, unterwarfen, veranlaßte einen bedeutenderen Krieg, welcher glücklich für die Römer ablief: der König Tolumnius fiel im Gefecht von der Hand des römischen Konsuls Aulus Cornelius Cossus (326? 428), Fidenae ward genommen und 329 (425) ein neuer Stillstandsvertrag auf 200 Monate abgeschlossen. Während desselben steigerte sich Etruriens Bedrängnis mehr und mehr und näherten sich die keltischen Waffen schon den bisher noch verschonten Ansiedlungen am rechten Ufer des Po. Als der Waffenstillstand Ende 346 (408) abgelaufen war, entschlossen sich die Römer auch ihrerseits zu einem Eroberungskrieg gegen Etrurien, der jetzt nicht bloß gegen, sondern um Veii geführt ward.

Die Geschichte des Krieges gegen die Veienter, Capenaten und Falisker und der Belagerung Veiis, die gleich der trojanischen zehn Jahre gewährt haben soll, ist wenig beglaubigt. Sage und Dichtung haben sich dieser Ereignisse bemächtigt, und mit Recht; denn gekämpft ward hier mit bis dahin unerhörter Anstrengung um einen bis dahin unerhörten Kampfpreis. Es war das erstemal, daß ein römisches Heer Sommer und Winter, Jahr aus Jahr ein im Felde blieb, bis das vorgesteckte Ziel erreicht war; das erstemal, daß die Gemeinde aus Staatsmitteln dem Aufgebot Sold zahlte. Aber es war auch das erstemal, daß die Römer es versuchten, sich eine stammfremde Nation zu unterwerfen und ihre Waffen über die alte Nordgrenze der latinischen Landschaft hinübertrugen. Der Kampf war gewaltig, der Ausgang kaum zweifelhaft. Die Römer fanden Unterstützung bei den Latinern und den Hernikern, denen der Sturz des gefürchteten Nachbarn fast nicht minder Genugtuung und Förderung gewährte als den Römern selbst; während Veii von seiner Nation verlassen dastand und nur die nächsten Städte, Capena, Falerii, auch Tarquinii, ihm Zuzug leisteten. Die gleichzeitigen Angriffe der Kelten würden diese Nichtteilnahme der nördlichen Gemeinden allein schon genügend erklären; es wird indes erzählt und es ist kein Grund es zu bezweifeln, daß zunächst innere Parteiungen in dem etruskischen Städtebund, namentlich die Opposition der aristokratischen Regierungen der übrigen Städte gegen das von den Veientern beibehaltene oder wiederhergestellte Königsregiment, jene Untätigkeit der übrigen Etrusker herbeigeführt haben. Hätte die etruskische Nation sich an dem Kampf beteiligen können oder wollen, so würde die römische Gemeinde kaum imstande gewesen sein, die bei der damaligen höchst unentwickelten Belagerungskunst riesenhafte Aufgabe der Bezwingung einer großen und festen Stadt zu Ende zu führen; vereinzelt aber und verlassen wie sie war, unterlag die Stadt (358 396) nach tapferer Gegenwehr dem ausharrenden Heldengeist des Marcus Furius Camillus, welcher zuerst seinem Volke die glänzende Bahn der ausländischen Eroberungen auftat. Von dem Jubel, den der große Erfolg in Rom erregte, ist ein Nachklang die in den Festspielen Roms bis in späte Zeit fortgepflanzte Sitte des „Veienterverkaufs“, wobei unter den zur Versteigerung gebrachten parodischen Beutestücken der ärgste alte Krüppel, den man auftreiben konnte, im Purpurmantel und Goldschmuck den Beschluß machte als „König der Veienter“. Die Stadt ward zerstört, der Boden verwünscht zu ewiger Öde. Falerii und Capena eilten, Frieden zu machen; das mächtige Volsinii, das in bundesmäßiger Halbheit während Veiis Agonie geruht hatte und nach der Einnahme zu den Waffen griff, bequemte nach wenigen Jahren (363 391) sich gleichfalls zum Frieden. Es mag eine wehmütige Sage sein, daß die beiden Vormauern der etruskischen Nation, Melpum und Veii, an demselben Tage jenes den Kelten, dieses den Römern unterlagen; aber es liegt in ihr auf jeden Fall eine tiefe geschichtliche Wahrheit. Der doppelte Angriff von Norden und Süden und der Fall der beiden Grenzfesten war der Anfang des Endes der großen etruskischen Nation.

Indes einen Augenblick schien es, als sollten die beiden Völkerschaften, durch deren Zusammenwirken Etrurien sich in seiner Existenz bedroht sah, vielmehr untereinander sich aufreiben und auch Roms neu aufblühende Macht von den fremden Barbaren zertreten werden. Diese Wendung der Dinge, die dem natürlichen Lauf der Politik widersprach, beschworen über die Römer der eigene Übermut und die eigene Kurzsichtigkeit herauf.

Die keltischen Scharen, die nach Melpums Fall über den Fluß gesetzt waren, überfluteten mit reißender Geschwindigkeit das nördliche Italien, nicht bloß das offene Gebiet am rechten Ufer des Padus und längs des Adriatischen Meeres, sondern auch das eigentliche Etrurien diesseits des Apennin. Wenige Jahre nachher (363 391) ward schon das im Herzen Etruriens gelegene Clusium (Chiusi an der Grenze von Toskana und dem Kirchenstaat) von den keltischen Senonen belagert; und so gedemütigt waren die Etrusker, daß die bedrängte tuskische Stadt die Zerstörer Veiis um Hilfe anrief. Es wäre vielleicht weise gewesen, dieselbe zu gewähren und zugleich die Gallier durch die Waffen und die Etrusker durch den gewährten Schutz in Abhängigkeit von Rom zu bringen; allein eine solche weitblickende Intervention, die die Römer genötigt haben würde, einen ernsten Kampf an der tuskischen Nordgrenze zu beginnen, lag jenseits des Horizonts ihrer damaligen Politik. So blieb nichts übrig, als sich jeder Einmischung zu enthalten. Allein törichterweise schlug man die Hilfstruppen ab und schickte Gesandte; und noch törichter meinten diese, den Kelten durch große Worte imponieren und, als dies fehlschlug, gegen Barbaren ungestraft das Völkerrecht verletzen zu können: sie nahmen in den Reihen der Clusiner teil an einem Gefecht und der eine von ihnen stach darin einen gallischen Befehlshaber vom Pferde. Die Barbaren verfuhren in diesem Fall mit Mäßigung und Einsicht. Sie sandten zunächst an die römische Gemeinde, um die Auslieferung der Frevler am Völkerrecht zu fordern, und der Senat war bereit, dem billigen Begehren sich zu fügen. Allein in der Masse überwog das Mitleid gegen die Landsleute die Gerechtigkeit gegen die Fremden; die Genugtuung ward von der Bürgerschaft verweigert, ja nach einigen Berichten ernannte man die tapferen Vorkämpfer für das Vaterland sogar zur Konsulartribunen für das Jahr 364 (390)20, das in den römischen Annalen so verhängnisvoll werden sollte. Da brach der Brennus, das heißt der Heerkönig der Gallier, die Belagerung von Clusium ab und der ganze Keltenschwarm – die Zahl wird auf 70000 Köpfe angegeben – wandte sich gegen Rom. Solche Züge in unbekannte und ferne Gegenden waren den Galliern geläufig, die unbekümmert um Deckung und Rückzug als bewaffnete Auswandererscharen marschierten; in Rom aber ahnte man offenbar nicht, welche Gefahr in diesem so plötzlichen und so gewaltigen Überfall lag. Erst als die Gallier im Anmarsch auf Rom waren, überschritt eine römische Heeresmacht den Tiber und vertrat ihnen den Weg. Keine drei deutsche Meilen von den Toren, gegenüber der Mündung des Baches Allia in den Tiberfluß, trafen die Heere aufeinander und kam es am 18. Juli 364 (390) zur Schlacht. Auch jetzt noch ging man, nicht wie gegen ein Heer, sondern wie gegen Räuber, übermütig und tolldreist in den Kampf unter unerprobten Feldherren – Camillus hatte infolge des Ständehaders von den Geschäften sich zurückgezogen. Waren es doch Wilde, gegen die man fechten sollte; was bedurfte es des Lagers, der Sicherung des Rückzugs? Aber die Wilden waren Männer von todverachtendem Mut und ihre Fechtweise den Italikern so neu wie schrecklich; die bloßen Schwerter in der Faust stürzten die Kelten im rasenden Anprall sich auf die römische Phalanx und rannten sie im ersten Stoße über den Haufen. Die Niederlage war vollständig; von den Römern, die den Fluß im Rücken gefochten hatten, fand ein großer Teil bei dem Versuch, denselben zu überschreiten, seinen Untergang; was sich rettete, warf sich seitwärts nach dem nahen Veii. Die siegreichen Kelten standen zwischen dem Rest des geschlagenen Heeres und der Hauptstadt. Diese war rettungslos dem Feinde preisgegeben; die geringe dort zurückgebliebene oder dorthin geflüchtete Mannschaft reichte nicht aus, um die Mauern zu besetzen, und drei Tage nach der Schlacht zogen die Sieger durch die offenen Tore in Rom ein. Hätten sie es am ersten getan, wie sie es konnten, so war nicht bloß die Stadt, sondern auch der Staat verloren; die kurze Zwischenzeit machte es möglich, die Heiligtümer zu flüchten oder zu vergraben und, was wichtiger war, die Burg zu besetzen und notdürftig mit Lebensmitteln zu versehen. Was die Waffen nicht tragen konnte, ließ man nicht auf die Burg – man hatte kein Brot für alle. Die Menge der Wehrlosen verlief sich in die Nachbarstädte; aber manche, vor allem eine Anzahl angesehener Greise, mochten den Untergang der Stadt nicht überleben und erwarteten in ihren Häusern den Tod durch das Schwert der Barbaren. Sie kamen, mordeten und plünderten, was an Menschen und Gut sich vorfand und zündeten schließlich vor den Augen der römischen Besatzung auf dem Kapitol die Stadt an allen Ecken an. Aber die Belagerungskunst verstanden sie nicht und die Blockade des steilen Burgfelsens war langwierig und schwierig, da die Lebensmittel für den großen Heeresschwarm nur durch bewaffnete Streifpartien sich herbeischaffen ließen und diesen die benachbarten latinischen Bürgerschaften, namentlich die Ardeaten, häufig mit Mut und Glück sich entgegenwarfen. Dennoch harrten die Kelten mit einer unter ihren Verhältnissen beispiellosen Energie sieben Monate unter dem Felsen aus und schon begannen der Besatzung, die der Überrumpelung in einer dunkeln Nacht nur durch das Schnattern der Heiligen Gänse im kapitolinischen Tempel und das zufällige Erwachen des tapferen Marcus Manlius entgangen war, die Lebensmittel auf die Neige zu geben, als den Kelten ein Einfall der Veneter in das neu gewonnene senonische Gebiet am Padus gemeldet ward und sie bewog, das ihnen für den Abzug gebotene Lösegeld anzunehmen. Das höhnische Hinwerfen des gallischen Schwertes, daß es aufgewogen werde vom römischen Golde, bezeichnete sehr richtig die Lage der Dinge. Das Eisen der Barbaren hatte gesiegt, aber sie verkauften ihren Sieg und gaben ihn damit verloren.

Die fürchterliche Katastrophe der Niederlage und des Brandes, der 18. Juli und der Bach der Allia, der Platz, wo die Heiligtümer vergraben gewesen und wo die Überrumpelung der Burg war abgeschlagen worden – all die Einzelheiten dieses unerhörten Ereignisses gingen über von der Erinnerung der Zeitgenossen in die Phantasie der Nachwelt, und noch wir begreifen es kaum, daß wirklich schon zwei Jahrtausende verflossen sind, seit jene welthistorischen Gänse sich wachsamer bewiesen als die aufgestellten Posten. Und doch – mochte in Rom verordnet werden, daß in Zukunft bei einem Einfall der Kelten keines der gesetzlichen Privilegien vom Kriegsdienst befreien solle; mochte man dort rechnen nach den Jahren von der Eroberung der Stadt; mochte diese Begebenheit widerhallen in der ganzen damaligen zivilisierten Welt und ihren Weg finden bis in die griechischen Annalen: die Schlacht an der Allia mit ihren Resultaten ist dennoch kaum den folgenreichen geschichtlichen Begebenheiten beizuzählen. Sie ändert eben nichts in den politischen Verhältnissen. Wie die Gallier wieder abgezogen sind mit ihrem Golde, das nur eine spät und schlecht erfundene Erzählung den Helden Camillus wieder nach Rom zurückbringen läßt; wie die Flüchtigen sich wieder heimgefunden haben, der wahnsinnige Gedanke einiger mattherziger Klugheitspolitiker, die Bürgerschaft nach Veii überzusiedeln, durch Camillus‘ hochsinnige Gegenrede beseitigt ist, die Häuser eilig und unordentlich – die engen und krummen Straßen Roms schrieben von dieser Zeit sich her – sich aus den Trümmern erheben, steht auch Rom wieder da in seiner alten gebietenden Stellung; ja es ist nicht unwahrscheinlich, daß dieses Ereignis wesentlich, wenn auch nicht im ersten Augenblick, dazu beigetragen hat, dem Gegensatz zwischen Etrurien und Rom seine Schärfe zu nehmen und vor allem zwischen Latium und Rom die Bande der Einigkeit fester zu knüpfen. Der Kampf der Gallier und Römer ist, ungleich dem zwischen Rom und Etrurien oder Rom und Samnium, nicht ein Zusammenstoß zweier politischer Mächte, die einander bedingen und bestimmen; er ist den Naturkatastrophen vergleichbar, nach denen der Organismus, wenn er nicht zerstört wird, sofort wieder sich ins gleiche setzt. Die Gallier sind noch oft wiedergekehrt nach Latium; so im Jahre 387 (367), wo Camillus sie bei Alba schlug – der letzte Sieg des greisen Helden, der sechsmal konsularischer Kriegstribun, fünfmal Diktator gewesen und viermal triumphierend auf das Kapitol gezogen war; im Jahre 393 (361), wo der Diktator Titus Quinctius Pennus ihnen gegenüber keine volle Meile von der Stadt an der Aniobrücke lagerte, aber ehe es noch zum Kampfe gekommen war, der gallische Schwarm nach Kampanien weiterzog; im Jahre 394 (360), wo der Diktator Quintus Servilius Ahala vor dem Collinischen Tor mit den aus Kampanien heimkehrenden Scharen stritt; im Jahre 396 (358), wo ihnen der Diktator Gaius Sulpicius Peticus eine nachdrückliche Niederlage beibrachte; im Jahre 404 (350), wo sie sogar den Winter über auf dem Albaner Berg kampierten und sich mit den griechischen Piraten an der Küste um den Raub schlugen, bis Lucius Furius Camillus, der Sohn des berühmten Feldherrn, im folgenden Jahr sie vertrieb – ein Ereignis, von dem der Zeitgenosse Aristoteles (370-432 384-322) in Athen vernahm. Allein diese Raubzüge, wie schreckhaft und beschwerlich sie sein mochten, waren mehr Unglücksfälle als politische Ereignisse und das wesentlichste Resultat derselben, daß die Römer sich selbst und dem Auslande in immer weiteren Kreisen als das Bollwerk der zivilisierten Nationen Italiens gegen den Anstoß der gefürchteten Barbaren erschienen – eine Auffassung, die ihre spätere Weltstellung mehr als man meint gefördert hat.

Die Tusker, die den Angriff der Kelten auf Rom benutzt hatten, um Veii zu berennen, hatten nichts ausgerichtet, da sie mit ungenügenden Kräften erschienen waren; kaum waren die Barbaren abgezogen, als der schwere Arm Latiums sie mit unvermindertem Gewicht traf. Nach wiederholten Niederlagen der Etrusker blieb das ganze südliche Etrurien bis zu den Ciminischen Hügeln in den Händen der Römer, welche in den Gebieten von Veii, Capena und Falerii vier neue Bürgerbezirke einrichteten (367 387) und die Nordgrenze sicherten durch die Anlage der Festungen Sutrium (371 383) und Nepete (381 373). Mit raschen Schritten ging dieser fruchtbare und mit römischen Kolonisten bedeckte Landstrich der vollständigen Romanisierung entgegen. Um 396 (358) versuchten zwar die nächstliegenden etruskischen Städte Tarquinii, Caere, Falerii sich gegen die römischen Übergriffe aufzulehnen, und wie tief die Erbitterung war, die dieselben in Etrurien erweckt hatten, zeigt die Niedermetzlung der sämtlichen, im ersten Feldzug gemachten römischen Gefangenen, dreihundertundsieben an der Zahl, auf dem Marktplatz von Tarquinii; allein es war die Erbitterung der Ohnmacht. Im Frieden (403 351) mußte Caere, das, als den Römern zunächst gelegen, am schwersten büßte, die halbe Landmark an Rom abtreten und mit dem geschmälerten Gebiet, das ihm blieb, aus dem etruskischen Bunde aus- und in das Untertanenverhältnis zu Rom treten, welches inzwischen zunächst für einzelne latinische Gemeinden aufgekommen war. Es schien indes nicht ratsam, dieser entfernteren und von der römischen stammverschiedenen Gemeinde diejenige kommunale Selbständigkeit zu belassen, welche den untertänigen Gemeinden Latiums noch verblieben war; man gab der caeritischen Gemeinde das römische Bürgerrecht nicht bloß ohne aktives und passives Wahlrecht in Rom, sondern auch unter Entziehung der Selbstverwaltung, so daß an die Stelle der eigenen Beamten bei der Rechtspflege und Schatzung die römischen traten und am Orte selbst ein Vertreter (praefectus) des römischen Prätors die Verwaltung leitete – eine hier zuerst begegnende staatsrechtliche Form der Untertänigkeit, wodurch der bisher selbständige Staat in eine rechtlich fortbestehende, aber jeder eigenen Bewegung beraubte Gemeinde umgewandelt ward. Nicht lange nachher (411 343) trat auch Falerii, das seine ursprüngliche latinische Nationalität auch unter der Tuskerherrschaft sich bewahrt hatte, aus dem etruskischen Bunde aus und in ewigen Bund mit Rom; damit war ganz Südetrurien in der einen oder anderen Form der römischen Suprematie unterworfen. Tarquinii und wohl das nördliche Etrurien überhaupt begnügte man sich, durch einen Friedensvertrag auf 400 Monate für lange Zeit zu fesseln (403 351).

Auch im nördlichen Italien ordneten sich allmählich die durch und gegen einander stürmenden Völker wieder in dauernder Weise und in festere Grenzen. Die Züge über die Alpen hörten auf, zum Teil wohl infolge der verzweifelten Verteidigung der Etrusker in ihrer beschränkteren Heimat und der ernstlichen Gegenwehr der mächtigen Römer, zum Teil wohl auch infolge uns unbekannter Veränderungen im Norden der Alpen. Zwischen Alpen und Apenninen bis hinab an die Abruzzen waren jetzt die Kelten im allgemeinen die herrschende Nation und namentlich die Herren des ebenen Landes und der reichen Weiden; aber bei ihrer schlaffen und oberflächlichen Ansiedlungsweise wurzelte ihre Herrschaft nicht tief in der neu gewonnenen Landschaft und gestaltete sich keineswegs zum ausschließlichen Besitz. Wie es in den Alpen stand und wie hier keltische Ansiedler mit älteren etruskischen oder andersartigen Stämmen sich vermischten, gestattet unsere ungenügende Kunde über die Nationalität der späteren Alpenvölker nicht auszumachen; nur die Räter in dem heutigen Graubünden und Tirol dürfen als ein wahrscheinlich etruskischer Stamm bezeichnet werden. Die Täler des Apennin behielten die Umbrer, den nordöstlichen Teil des Potals die anderssprachigen Veneter im Besitz; in den westlichen Bergen behaupteten sich ligurisch: Stämme, die bis Pisa und Arezzo hinab wohnten und das eigentliche Keltenland von Etrurien schieden. Nur in dem mittleren Flachland hausten die Kelten, nördlich vom Po die Insubrer und Cenomaner, südlich die Boier, an der adriatischen Küste von Ariminum bis Ankon, in der sogenannten „Gallierlandschaft“ (ager Gallicus) die Senonen, kleinerer Völkerschaften zu geschweigen. Aber selbst hier müssen die etruskischem Ansiedlungen zum Teil wenigstens fortbestanden haben, etwa wie Ephesos und Milet griechisch blieben unter persischer Oberherrlichkeit. Mantua wenigstens, das durch seine Insellage geschützt war, war noch in der Kaiserzeit eine tuskische Stadt und auch in Atria am Po, wo zahlreiche Vasenfunde gemacht sind, scheint das etruskische Wesen fortbestanden zu haben; noch die unter dem Namen des Skylax bekannte, um 418 (336) abgefaßte Küstenbeschreibung nennt die Gegend von Atria und Spina tuskisches Land. Nur so erklärt sich auch, wie etruskische Korsaren bis weit ins fünfte Jahrhundert hinein das Adriatische Meer unsicher machen konnten, und weshalb nicht bloß Dionysios von Syrakus die Küsten desselben mit Kolonien bedeckte, sondern selbst Athen noch um 429 (325), wie eine kürzlich entdeckte merkwürdige Urkunde lehrt, zum Schutz der Kauffahrer gegen die tyrrhenischen Kaper die Anlage einer Kolonie im Adriatischen Meere beschloß.

Aber mochte hier mehr oder weniger von etruskischem Wesen sich behaupten, es waren das einzelne Trümmer und Splitter der früheren Machtentwicklung; der etruskischen Nation kam nicht mehr zugute, was hier im friedlichen Verkehr oder im Seekrieg von einzelnen noch etwa erreicht ward. Dagegen gingen wahrscheinlich von diesen halbfreien Etruskern die Anfänge derjenigen Zivilisation aus, die wir späterhin bei den Kelten und überhaupt den Alpenvölkern finden. Schon daß die Keltenschwärme in den lombardischen Ebenen, mit dem sogenannten Skylax zu reden, das Kriegerleben aufgaben und sich bleibend ansässig machten, gehört zum Teil hierher; aber auch die Anfänge der Handwerke und Künste und das Alphabet sind den lombardischen Kelten, ja den Alpenvölkern bis in die heutige Steiermark hinein durch die Etrusker zugekommen.

Also blieben nach dem Verlust der Besitzungen in Kampanien und der ganzen Landschaft nördlich vom Apennin und südlich vom Ciminischen Walde den Etruskern nur sehr beschränkte Grenzen: die Zeiten der Macht und des Aufstrebens waren für sie auf immer vorüber. In engster Wechselwirkung mit diesem äußeren Sinken steht der innere Verfall der Nation, zu dem die Keime freilich wohl schon weit früher gelegt worden waren. Die griechischen Schriftsteller dieser Zeit sind voll von Schilderungen der maßlosen Üppigkeit des etruskischen Lebens: unteritalische Dichter des fünften Jahrhunderts der Stadt preisen den tyrrhenischen Wein und die gleichzeitigen Geschichtschreiber Timäos und Theopomp entwerfen Bilder von der etruskischen Weiberzucht und der etruskischen Tafel, welche der ärgsten byzantinischen und französischen Sittenlosigkeit nichts nachgeben. Wie wenig beglaubigt das einzelne in diesen Berichten auch ist, so scheint doch mindestens die Angabe begründet zu sein, daß die abscheuliche Lustbarkeit der Fechterspiele, der Krebsschaden des späteren Rom und überhaupt der letzten Epoche des Altertums, zuerst bei den Etruskern aufgekommen ist; und jedenfalls lassen sie im ganzen keinen Zweifel an der tiefen Entartung der Nation. Auch die politischen Zustände derselben sind davon durchdrungen. So weit unsere dürftige Kunde reicht, finden wir aristokratische Tendenzen vorwiegend, in ähnlicher Weise wie gleichzeitig in Rom, aber schroffer und verderblicher. Die Abschaffung des Königtums, die um die Zeit der Belagerung Veiis schon in allen Staaten Etruriens durchgeführt gewesen zu sein scheint, rief in den einzelnen Städten ein Patrizierregiment hervor, das durch das lose eidgenossenschaftliche Band sich nur wenig beschränkt sah. Selten nur gelang es, selbst zur Landesverteidigung alle etruskischen Städte zu vereinigen, und Volsiniis nominelle Hegemonie hält nicht den entferntesten Vergleich aus mit der gewaltigen Kraft, die durch Roms Führung die latinische Nation empfing. Der Kampf gegen die ausschließliche Berechtigung der Altbürger zu allen Gemeindestellen und allen Gemeindenutzungen, der auch den römischen Staat hätte verderben müssen, wenn nicht die äußeren Erfolge es möglich gemacht hätten, die Ansprüche der gedrückten Proletarier auf Kosten fremder Völker einigermaßen zu befriedigen und dem Ehrgeiz andere Bahnen zu öffnen – dieser Kampf gegen das politische und was in Etrurien besonders hervortritt, gegen das priesterliche Monopol der Adelsgeschlechter muß Etrurien staatlich, ökonomisch und sittlich zugrunde gerichtet haben. Ungeheure Vermögen, namentlich an Grundbesitz, konzentrierten sich in den Händen von wenigen Adligen, während die Massen verarmten; die sozialen Umwälzungen, die hieraus entstanden, erhöhten die Not, der sie abhelfen sollten, und bei der Ohnmacht der Zentralgewalt blieb zuletzt den bedrängten Aristokraten, zum Beispiel in Arretium 453 (301), in Volsinii 488 (266) nichts übrig, als die Römer zu Hilfe zu rufen, die denn zwar der Unordnung, aber zugleich auch dem Rest von Unabhängigkeit ein Ende machten. Die Kraft des Volkes war gebrochen seit dem Tage von Veii und Melpum; es wurden wohl einige Male noch ernstliche Versuche gemacht, sich der römischen Oberherrschaft zu entziehen, aber wenn es geschah, kam die Anregung dazu den Etruskern von außen, von einen andern italischen Stamm, den Samniten.

  1. Φιάρον ο Διομένεος καί τοί Συρακόσιοι τοί Δί‘ Τύραν‘ από Κύμας.
  2. Hekatäos († nach 257 497, Rom) und noch Herodot (270 bis nach 345 484-409) kennen den Hatrias nur als das Podelta und das dasselbe bespülende Meer (K. O. Müller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 1, S. 140; GGM 1, p. 23). In weiterer Bedeutung findet sich die Benennung des Hadriatischen Meeres zuerst bei dem sogenannten Skylax um 418 der Stadt (336).
  3. Pleraque Gallia duas res industriosissime persequitur: rem militarem et argute loqui. (Cato or. frg. 2, 2).
  4. Neuerdings ist von kundigen Sprachforschern behauptet worden, daß die Verwandtschaft der Kelten und der Italiker näher sei, als selbst die der letzteren und der Hellenen, das heißt, daß derjenige Ast des großen Baumes, von dem die west- und südeuropäischen Völkerschaften indogermanischen Stammes entsprungen sind, zunächst sich in Griechen und Italokelten und beträchtlich später die letzteren sich wieder in Italiker und Kelten gespalten hätten. Geographisch ist diese Aufstellung sehr annehmbar, und auch die geschichtlich vorliegenden Tatsachen lassen sich vielleicht damit ebenfalls in Einklang bringen da, was bisher als gräcoitalische Zivilisation angesehen worden ist, füglich gräcokeltoitalisch gewesen sein kann – wissen wir doch über die älteste keltische Kulturstufe in der Tat nichts. Die sprachliche Untersuchung scheint indes noch nicht so weit gediehen zu sein, daß ihre Ergebnisse in die älteste Völkergeschichte eingereiht werden dürften.
  5. Die Sage überliefern Livius (5, 34) und Iustin (24, 4) und auch Caesar (Gall. 6, 24) hat sie im Sinn gehabt. Die Verknüpfung indes der Wanderung des Bellovesus mit der Gründung von Massalia, wodurch jene chronologisch auf die Mitte des zweiten Jahrhunderts der Stadt bestimmt wird, gehört unzweifelhaft nicht der einheimischen, natürlich zeitlosen Sage an, sondern der späteren chronologisierenden Forschung und verdient keinen Glauben. Einzelne Einfälle und Einwanderungen mögen sehr früh stattgefunden haben; aber das gewaltige Umsichgreifen der Kelten in Norditalien kann nicht vor die Zeit des Sinkens der etruskischen Macht, das heißt nicht vor die zweite Hälfte des dritten Jahrhunderts der Stadt gesetzt werden.
  6. Ebenso ist, nach der einsichtigen Ausführung von Wickham und Cramer, nicht daran zu zweifeln, daß der Zug des Bellovesus wie der des Hannibal nicht über die Kottischen Alpen (Mont Genèvre) und durch das Gebiet der Tauriner, sondern über die Graischen (den Kleinen St. Bernhard) und durch das der Salasser ging; den Namen des Berges gibt Livius wohl nicht nach der Sage, sondern nach seiner Vermutung an. Ob die italischen Boier aufgrund einer echten Sagenreminiszenz oder nur aufgrund eines angenommenen Zusammenhangs mit den nördlich von der Donau wohnhaften Boiern durch den östlichen Paß der Pöninischen Alpen geführt werden, muß dahingestellt bleiben.
  7. Dies ist nach der gangbaren Gleichung 390 v. Chr.; in der Tat aber fiel die Einnahme Roms Ol. 98, 1 = 388 v. Chr. und ist nur durch die zerrüttete römische Jahrzählung verschoben.

5. Kapitel


5. Kapitel

Die Unterwerfung der Latiner und Kampaner unter Rom

Das große Werk der Königszeit war Roms Herrschaft über Latium in der Form der Hegemonie. Daß die Umwandlung der römischen Verfassung sowohl auf das Verhältnis der römischen Gemeinde zu Latium wie auf die innere Ordnung der latinischen Gemeinden selbst nicht ohne mächtige Rückwirkung bleiben konnte, leuchtet an sich ein und geht auch aus der Überlieferung hervor; von den Schwankungen, in welche durch die Revolution in Rom die römisch-latinische Eidgenossenschaft geriet, zeugt die in ungewöhnlich lebhaften Farben schillernde Sage von dem Siege am Regiller See, den der Diktator oder Konsul Aulus Postumius (255? 258? 499 496) mit Hilfe der Dioskuren über die Latiner gewonnen haben soll, und bestimmter die Erneuerung des ewigen Bundes zwischen Rom und Latium durch Spurius Cassius in seinem zweiten Konsulat (261 493). Indes geben diese Erzählungen eben über die Hauptsache, das Rechtsverhältnis der neuen römischen Republik zu der latinischen Eidgenossenschaft, am wenigsten Aufschluß; und was wir sonst über dasselbe wissen, ist zeitlos überliefert und kann nur nach ungefährer Wahrscheinlichkeit hier eingereiht werden.

Es liegt im Wesen der Hegemonie, daß sie durch das bloße innere Schwergewicht der Verhältnisse allmählich in die Herrschaft übergeht; auch die römische über Latium hat davon keine Ausnahme gemacht. Sie war begründet auf die wesentliche Rechtsgleichheit des römischen Staates und der latinischen Eidgenossenschaft; aber wenigstens im Kriegswesen und in der Behandlung der gemachten Eroberungen trug dies Verhältnis des Einheitsstaates einer- und des Staatenbundes anderseits die Hegemonie der Sache nach in sich. Nach der ursprünglichen Bundesverfassung war wahrscheinlich das Recht zu Krieg und Vertrag mit auswärtigen Staaten, also die volle staatliche Selbstbestimmung sowohl Rom wie den einzelnen Städten des latinischen Bundes gewahrt, und es stellte auch wohl bei gemeinschaftlicher Kriegführung Rom wie Latium das gleiche Kontingent, in der Regel jedes ein „Heer“ von 8400 Mann21; aber den Oberbefehl führte der römische Feldherr, welcher dann die Stabsoffiziere, also die Teilführer (tribuni militum), nach eigener Wahl ernannte. Im Falle des Sieges wurden die bewegliche Beute wie das eroberte Land zwischen Rom und der Eidgenossenschaft geteilt, und wenn man in dem eroberten Gebiet Festungen anzulegen beschloß, so wurde nicht bloß deren Besatzung und Bevölkerung teils aus römischen, teils aus eidgenössischen Aussendlingen gebildet, sondern auch die neugegründete Gemeinde als souveräner Bundesstaat in die latinische Eidgenossenschaft aufgenommen und mit Sitz und Stimme auf der latinischen Tagsatzung ausgestattet.

Diese Bestimmungen werden wahrscheinlich schon in der Königszeit, sicher in der republikanischen Epoche sich mehr und mehr zu Ungunsten der Eidgenossenschaft verschoben und Roms Hegemonie weiter entwickelt haben. Am frühesten fiel ohne Zweifel weg das Kriegs- und Vertragsrecht der Eidgenossenschaft gegenüber dem Ausland22; Krieg und Vertrag kam ein für allemal an Rom. Die Stabsoffiziere für die latinischen Truppen müssen in älterer Zeit wohl ebenfalls Latiner gewesen sein; später wurden dazu wo nicht ausschließlich, doch vorwiegend römische Bürger genommen23. Dagegen wurde nach wie vor der latinischen Eidgenossenschaft insgesamt kein stärkeres Kontingent zugemutet als das von der römischen Gemeinde gestellte war; und ebenso war der römische Oberfeldherr gehalten, die latinischen Kontingente nicht zu zersplittern, sondern den von jeder Gemeinde gesandten Zuzug als besondere Heerabteilung unter dem von der Gemeinde bestellten Anführer24 zusammenzuhalten. Das Anrecht der latinischen Eidgenossenschaft auf einen Anteil an der beweglichen Beute wie an dem eroberten Lande blieb formell bestehen; aber der Sache nach ist der wesentliche Kriegsertrag ohne Zweifel schon in früher Zeit an den führenden Staat gekommen. Selbst bei der Anlegung der Bundesfestungen oder der sogenannten latinischen Kolonien waren in der Regel vermutlich die meisten und nicht selten alle Ansiedler Römer; und wenn auch dieselben durch die Übersiedelung aus römischen Bürgern Bürger einer eidgenössischen Gemeinde wurden, so blieb doch wohl der neugepflanzten Ortschaft häufig eine überwiegende und für die Eidgenossenschaft gefährliche Anhänglichkeit an die wirkliche Mutterstadt.

Die Rechte dagegen, welche die Bundesverträge dem einzelnen Bürger einer der verbündeten Gemeinden in jeder Bundesstadt zusicherten, wurden nicht beschränkt. Es gehörten dahin namentlich die volle Rechtsgleichheit in Erwerb von Grundbesitz und beweglicher Habe, in Handel und Wandel, Ehe und Testament, und die unbeschränkte Freizügigkeit, sodaß der in einer Bundesstadt verbürgerte Mann nicht bloß in jeder andern sich niederzulassen rechtlich befugt war, sondern auch daselbst als Rechtsgenosse (municeps) mit Ausnahme der passiven Wahlfähigkeit an allen privaten und politischen Rechten und Pflichten teilnahm, sogar wenigstens in der nach Distrikten berufenen Gemeindeversammlung in einer freilich beschränkten Weise zu stimmen befugt war25.

So etwa mag in der ersten republikanischen Zeit das Verhältnis der römischen Gemeinde zu der latinischen Eidgenossenschaft beschaffen gewesen sein, ohne daß sich ausmachen ließe, was darin auf ältere Satzungen und was auf die Bündnisrevision von 261 (493) zurückgeht.

Mit etwas größerer Sicherheit darf die Umgestaltung der Ordnungen der einzelnen zu der latinischen Eidgenossenschaft gehörigen Gemeinden nach dem Muster der römischen Konsularverfassung als Neuerung bezeichnet und in diesen Zusammenhang gestellt werden. Denn obgleich die verschiedenen Gemeinden zu der Abschaffung des Königtums an sich recht wohl voneinander unabhängig gelangt sein können, so verrät doch die gleichartige Benennung der neuen Jahreskönige in der römischen und den übrigen Gemeindeverfassungen von Latium sowie die weitgreifende Anwendung des so eigentümlichen Kollegialitätsprinzips26

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Die dauernd geeinigte Nation vermochte es, ihre Machtstellung nach allen Seiten hin nicht bloß zu behaupten, sondern auch zu erweitern. Daß die Etrusker nur kurze Zeit im Besitze der Suprematie über Latium blieben und die Verhältnisse hier bald wieder in die Lage zurückkamen, welche sie in der Königszeit gehabt hatten, wurde schon dargestellt; zu einer eigentlichen Erweiterung der römischen Grenzen kam es aber nach dieser Seite hin erst mehr als ein Jahrhundert nach der Vertreibung der Könige aus Rom.

Mit den Sabinern, die das Mittelgebirge von den Grenzen der Umbrer bis hinab zu der Gegend zwischen Tiber und Anio einnahmen und die in der Epoche, in welche die Anfänge Roms fallen, bis nach Latium selbst kämpfend und erobernd vordrangen, haben späterhin die Römer trotz der unmittelbaren Nachbarschaft sich verhältnismäßig wenig berührt. Die schwache Teilnahme derselben an dem verzweifelten Widerstand der östlichen und südlichen Nachbarvölker geht selbst aus den Berichten der Jahrbücher noch hervor und, was wichtiger ist, es begegnen hier keine Zwingburgen, wie sie namentlich in dem volskischen Gebiet so zahlreich angelegt worden sind. Vielleicht hängt dies damit zusammen, daß die sabinischen Scharen wahrscheinlich eben um diese Zeit sich über Unteritalien ergossen; gelockt von den anmutigen Sitzen am Tifernus und Volturnus scheinen sie wenig in die Kämpfe eingegriffen zu haben, deren Schauplatz das Gebiet südlich vom Tiber war.

Bei weitem heftiger und dauernder war der Widerstand der Aequer, die, östlich von Rom bis in die Täler des Turano und Salto und am Nordrande des Fuciner Sees sitzend, mit den Sabinern und Marsern grenzten28, und der Volsker, welche südlich von den um Ardea seßhaften Rutulern und den südwärts bis Cora sich erstreckenden Latinern die Küste bis nahe an die Mündung des Lirisflusses nebst den vorliegenden Inseln und im Innern das ganze Stromgebiet des Liris besaßen. Die mit diesen beiden Völkern sich jährlich erneuernden Fehden, die in der römischen Chronik so berichtet werden, daß der unbedeutendste Streifzug von dem folgenreichen Kriege kaum unterschieden und der historische Zusammenhang gänzlich beiseite gelassen wird, sollen hier nicht erzählt werden; es genügt hinzuweisen auf die dauernden Erfolge. Deutlich erkennen wir, daß es den Römern und Latinern vor allem darauf ankam, die Aequer von den Volskern zu trennen und der Kommunikationen Herr zu werden; in der Gegend zwischen dem Südabhang des Albaner Gebirges, den volskischen Bergen und den Pomptinischen Sümpfen scheinen überdies die Latiner und die Volsker zunächst sich berührt und selbst gemischt durcheinander gesessen zu haben29. In dieser Gegend haben die Latiner die ersten Schritte getan über ihre Landesgrenze hinaus und sind Bundesfestungen im Fremdland, sogenannte latinische Kolonien zuerst angelegt worden, in der Ebene Velitrae (angeblich um 260 494) unter dem Albaner Gebirge selbst und Suessa in der pomptinischen Niederung, in den Bergen Norba (angeblich 262 492) und Signia (angeblich verstärkt 259 495), welche beide auf den Verbindungspunkten zwischen der aequischen und volskischen Landschaft liegen. Vollständiger noch ward der Zweck erreicht durch den Beitritt der Herniker zu dem Bunde der Latiner und Römer (268 486), welcher die Volsker vollständig isolierte und dem Bunde eine Vormauer gewährte gegen die südlich und östlich wohnenden sabellischen Stämme; man begreift es, weshalb dem kleinen Volk volle Gleichheit mit den beiden anderen in Rat und Beuteanteil zugestanden ward. Die schwächeren Aequer waren seitdem wenig gefährlich; es genügte, von Zeit zu Zeit einen Plünderzug gegen sie zu unternehmen. Auch die Rutuler, welche in der Küstenebene südlich mit Latium grenzten, unterlagen früh; ihre Stadt Ardea wurde schon im Jahre 312 (442) in eine latinische Kolonie umgewandelt30

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Aber je entschiedenere Erfolge der Bund der Römer, Latiner und Herniker gegen die Etrusker, Aequer, Volsker und Rutuler davontrug, desto mehr entwich aus ihm die Eintracht. Die Ursache lag zum Teil wohl in der früher dargestellten, aus den bestehenden Verhältnissen mit innerer Notwendigkeit sich entwickelnden, aber darum nicht weniger schwer auf Latium lastenden Steigerung der hegemonischen Gewalt Roms, zum Teil in einzelnen gehässigen Ungerechtigkeiten der führenden Gemeinde. Dahin gehören vornehmlich der schmähliche Schiedsspruch zwischen den Aricinern und den Rutulern in Ardea 308 (446), wo die Römer, angerufen zu kompromissarischer Entscheidung über ein zwischen den beiden Gemeinden streitiges Grenzgebiet, dasselbe für sich nahmen, und als über diesen Spruch in Ardea innere Streitigkeiten entstanden, das Volk zu den Volskern sich schlagen wollte, während der Adel an Rom festhielt, die noch schändlichere Ausnutzung dieses Haders zu der schon erwähnten Aussendung römischer Kolonisten in die reiche Stadt, unter die die Ländereien der Anhänger der antirömischen Partei ausgeteilt wurden (312 442). Hauptsächlich indes war die Ursache, weshalb der Bund sich innerlich auflöste, eben die Niederwerfung der gemeinschaftlichen Feinde; die Schonung von der einen, die Hingebung von der anderen Seite hatte ein Ende, seitdem man gegenseitig des anderen nicht mehr meinte zu bedürfen. Zum offenen Bruche zwischen den Latinern und Hernikern einer- und den Römern anderseits gab die nächste Veranlassung teils die Einnahme Roms durch die Kelten und dessen dadurch herbeigeführte augenblickliche Schwäche, teils die definitive Besetzung und Aufteilung des pomptinischen Gebiets; bald standen die bisherigen Verbündeten gegeneinander im Felde. Schon hatten latinische Freiwillige in großer Anzahl an dem letzten Verzweiflungskampf der Antiaten teilgenommen; jetzt mußten die namhaftesten latinischen Städte: Lanuvium (371 383), Praeneste (372-374, 400 382-380, 354), Tusculum (373 381), Tibur (394, 400 360, 354) und selbst einzelne der im Volskerland von dem römisch-latinischen Bunde angelegten Festungen wie Velitrae und Circeii mit den Waffen bezwungen werden, ja die Tiburtiner scheuten sich sogar nicht, mit den eben einmal wieder einrückenden gallischen Scharen gemeinschaftliche Sache gegen Rom zu machen. Zum gemeinschaftlichen Aufstand kam es indes nicht und ohne viel Mühe bemeisterte Rom die einzelnen Städte; Tusculum ward sogar (373 381) genötigt, seine politische Selbständigkeit aufzugeben und in den römischen Bürgerverband als untertänige Gemeinde (civitas sine suffragio) einzutreten, so daß die Stadt ihre Mauern und eine wenn auch beschränkte Selbstverwaltung, darum auch eigene Beamten und eine eigene Bürgerversammlung behielt, dagegen aber ihre Bürger als römische das aktive und passive Wahlrecht entbehrten – der erste Fall, daß eine ganze Bürgerschaft dem römischen Gemeinwesen als abhängige Gemeinde einverleibt wurde.

Ernster war der Kampf gegen die Herniker (392-396 362-358), in dem der erste der Plebs angehörige konsularische Oberfeldherr Lucius Genucius fiel; allein auch hier siegten die Römer. Die Krise endigte damit, daß die Verträge zwischen Rom und der latinischen wie der hernikischen Eidgenossenschaft im Jahre 396 (358) erneuert wurden. Der genauere Inhalt derselben ist nicht bekannt, aber offenbar fügten beide Eidgenossenschaften abermals und wahrscheinlich unter härteren Bedingungen sich der römischen Hegemonie. Die in demselben Jahr erfolgte Einrichtung zweier neuer Bürgerbezirke im pomptinischen Gebiet zeigt deutlich die gewaltig vordringende römische Macht.

In offenbarem Zusammenhang mit dieser Krise in dem Verhältnis zwischen Rom und Latium steht die um das Jahr 370 (384) erfolgte Schließung der latinischen Eidgenossenschaft32

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Mit dieser Schließung der Eidgenossenschaft hängt auch die geographische Fixierung des Umfanges von Latium zusammen. Solange die latinische Eidgenossenschaft noch offen war, hatte auch die Grenze von Latium mit der Anlage neuer Bundesstädte sich vorgeschoben; aber wie die jüngeren latinischen Kolonien keinen Anteil am Albaner Fest erhielten, galten sie auch geographisch nicht als Teil von Latium – darum werden wohl Ardea und Circeii, nicht aber Sutrium und Tarracina zur Landschaft Latium gerechnet.

Aber nicht bloß wurden die nach 370 (384) mit latinischem Recht ausgestatteten Orte von der eidgenössischen Gemeinschaft ferngehalten, sondern es wurden dieselben auch privatrechtlich insofern voneinander isoliert, als die Verkehrs- und wahrscheinlich auch die Ehegemeinschaft (commercium et conubium) einer jeden von diesen Gemeinden zwar mit der römischen, nicht aber mit den übrigen latinischen gestattet ward, so daß also zum Beispiel der Bürger von Sutrium wohl in Rom, aber nicht in Praeneste einen Acker zu vollem Eigentum besitzen und wohl von einer Römerin, nicht aber von einer Tiburtinerin rechte Kinder gewinnen konnte34.

Wenn ferner bisher innerhalb der Eidgenossenschaft eine ziemlich freie Bewegung gestattet worden war und zum Beispiel die sechs altlatinischen Gemeinden Aricia, Tusculum, Tibur, Lanuvium, Cora und Laurentum und die zwei neulatinischen Ardea und Suessa Pometia der aricinischen Diana ein Heiligtum gemeinschaftlich hatten stiften dürfen, so findet von ähnlichen der römischen Hegemonie Gefahr drohenden Sonderkonföderationen, ohne Zweifel nicht zufällig, in späterer Zeit sich kein weiteres Beispiel.

Ebenso wird man die weitere Umgestaltung der latinischen Gemeindeverfassungen und ihre völlige Ausgleichung mit der Verfassung Roms dieser Epoche zuschreiben dürfen; denn wenn als notwendiger Bestandteil der latinischen Magistratur neben den beiden Prätoren späterhin die beiden mit der Markt- und Straßenpolizei und der dazu gehörigen Rechtspflege betrauten Ädilen erscheinen, so hat diese offenbar gleichzeitig und auf Anregung der führenden Macht in allen Bundesgemeinden erfolgte Einsetzung städtischer Polizeibehörden sicher nicht vor der in das Jahr 387 (367) fallenden Einrichtung der kurulischen Ädilität in Rom, aber wahrscheinlich auch eben um diese Zeit stattgefunden. Ohne Zweifel war diese Anordnung nur das Glied einer Kette von bevormundenden und die bundesgenössischen Gemeindeordnungen im polizeilich-aristokratischen Sinne umgestaltenden Maßregeln.

Offenbar fühlte Rom nach dem Fall von Veii und der Eroberung des pomptinischen Gebietes sich mächtig genug, um die Zügel der Hegemonie straffer anzuziehen und die sämtlichen latinischen Städte in eine so abhängige Stellung zu bringen, daß sie faktisch vollständig untertänig wurden. In dieser Zeit (406 348) verpflichteten sich die Karthager in dem mit Rom abgeschlossenen Handelsvertrag, den Latinern, die Rom botmäßig seien, namentlich den Seestädten Ardea, Antium, Circeii, Tarracina, keinen Schaden zuzufügen; würde aber eine der latinischen Städte vom römischen Bündnis abgefallen sein, so sollten die Phöniker dieselbe angreifen dürfen, indes, wenn sie sie etwa erobern würden, gehalten sein, sie nicht zu schleifen, sondern sie den Römern zu überliefern. Hier liegt es vor, durch welche Ketten die römische Gemeinde ihre Schutzstädte an sich band und was eine Stadt, die der einheimischen Schutzherrschaft sich entzog, dadurch einbüßte und wagte.

Zwar blieb auch jetzt noch wenn nicht der hernikischen, doch wenigstens der latinischen Eidgenossenschaft ihr formelles Anrecht auf den dritten Teil von Kriegsgewinn und wohl noch mancher andere Überrest der ehemaligen Rechtsgleichheit; aber was nachweislich verloren ging, war wichtig genug, um die Erbitterung begreiflich zu machen, welche in dieser Zeit unter den Latinern gegen Rom herrschte. Nicht bloß fochten überall, wo Heere gegen Rom im Felde standen, latinische Reisläufer zahlreich unter der fremden Fahne gegen ihre führende Gemeinde; sondern im Jahre 405 (349) beschloß sogar die latinische Bundesversammlung, den Römern den Zuzug zu verweigern. Allen Anzeichen nach stand eine abermalige Schilderhebung der gesamten latinischen Bundesgenossenschaft in nicht ferner Zeit bevor; und eben jetzt drohte ein Zusammenstoß mit einer anderen italischen Nation, die wohl imstande war, der vereinigten Macht des latinischen Stammes ebenbürtig zu begegnen. Nach der Niederwerfung der nördlichen Volsker stand den Römern im Süden zunächst kein bedeutender Gegner gegenüber; unaufhaltsam näherten ihre Legionen sich dem Liris. Im Jahre 397 (357) ward glücklich gekämpft mit den Privernaten, 409 (345) Sora am oberen Liris besetzt. Schon standen also die römischen Heere an der Grenze der Samniten, und das Freundschaftsbündnis, das im Jahre 400 (354) die beiden tapfersten und mächtigsten italischen Nationen miteinander schlossen, war das sichere Vorzeichen des herannahenden und mit der Krise innerhalb der latinischen Nation in drohender Weise sich verschlingenden Kampfes um die Oberherrschaft Italiens.

Die samnitische Nation, die, als man in Rom die Tarquinier austrieb, ohne Zweifel schon seit längerer Zeit im Besitz des zwischen der apulischen und der kampanischen Ebene aufsteigenden und beide beherrschenden Hügellandes gewesen war, war bisher auf der einen Seite durch die Daunier – Arpis Macht und Blüte fällt in diese Zeit –, auf der andern durch die Griechen und Etrusker an weiterem Vordringen gehindert worden. Aber der Sturz der etruskischen Macht um das Ende des dritten (450), das Sinken der griechischen Kolonien im Laufe des vierten Jahrhunderts (450-350) machten gegen Westen und Süden ihnen Luft und ein samnitischer Schwarm nach dem andern zog jetzt bis an, ja über die süditalischen Meere. Zuerst erschienen sie in der Ebene am Golf, wo der Name der Kampaner seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts vernommen wird; die Etrusker wurden hier erdrückt, die Griechen beschränkt, jenen Capua (330 424), diesen Kyme (334 420) entrissen. Um dieselbe Zeit, vielleicht schon früher, zeigen sich in Großgriechenland die Lucaner, die im Anfang des vierten Jahrhunderts mit Terinäern und Thurinern im Kampf liegen und geraume Zeit vor 364 (390) in dem griechischen Laos sich festsetzten. Um diese Zeit betrug ihr Aufgebot 30000 Mann zu Fuß und 4000 Reiter. Gegen das Ende des vierten Jahrhunderts ist zuerst die Rede von der gesonderten Eidgenossenschaft der Brettier35, die, ungleich den andern sabellischen Stämmen, nicht als Kolonie, sondern im Kampf von den Lucanern sich losgemacht und mit vielen fremdartigen Elementen sich gemischt hatten. Wohl suchten die unteritalischen Griechen sich des Andranges der Barbaren zu erwehren; der Achäische Städtebund ward 361 (393) rekonstituiert und festgesetzt, daß, wenn eine der verbündeten Städte von Lucanern angegriffen werde, alle Zuzug leisten und die Führer der ausbleibenden Heerhaufen Todesstrafe leiden sollten. Aber selbst die Einigung Großgriechenlands half nicht mehr, da der Herr von Syrakus, der ältere Dionysios, mit den Italikern gegen seine Landsleute gemeinschaftliche Sache machte. Während Dionysios den großgriechischen Flotten die Herrschaft über die italischen Meere entriß, ward von den Italikern eine Griechenstadt nach der andern besetzt oder vernichtet; in unglaublich kurzer Zeit war der blühende Städtering zerstört oder verödet. Nur wenigen griechischen Orten, wie zum Beispiel Neapel, gelang es mühsam und mehr durch Verträge als durch Waffengewalt, wenigstens ihr Dasein und ihre Nationalität zu bewahren; durchaus unabhängig und mächtig blieb allein Tarent, das durch seine entferntere Lage und durch seine in steten Kämpfen mit den Messapiern unterhaltene Schlagfertigkeit sich aufrecht hielt, wenngleich auch diese Stadt beständig mit den Lucanern um ihre Existenz zu fechten hatte und genötigt war, in oder griechischen Heimat Bündnisse und Söldner zu suchen.

Um die Zeit, wo Veii und die pomptinische Ebene römisch wurden, hatten die samnitischen Scharen bereits ganz Unteritalien inne mit Ausnahme weniger und unter sich nicht zusammenhängender griechischer Pflanzstädte und der apulisch-messapischen Küste. Die um 418 (336) abgefaßte griechische Küstenbeschreibung setzt die eigentlichen Samniten mit ihren „fünf Zungen“ von einem Meer zum andern an und am Tyrrhenischen neben sie in nördlicher Richtung die Kampaner, in südlicher die Lucaner, unter denen hier wie öfter die Brettier mitbegriffen sind und denen bereits die ganze Küste von Paestum am Tyrrhenischen bis nach Thurii am Ionischen Meer zugeteilt wird. In der Tat, wer miteinander vergleicht, was die beiden großen Nationen Italiens, die latinische und die samnitische, errungen hatten, bevor sie sich berührten, dem erscheint die Eroberungsbahn der letzteren bei weitem ausgedehnter und glänzender als die der Römer. Aber der Charakter der Eroberungen war ein wesentlich verschiedener. Von dem festen städtischen Mittelpunkt aus, den Latium im Rom besaß, dehnt die Herrschaft dieses Stammes langsam nach allen Seiten sich aus, zwar in verhältnismäßig engen Grenzen, aber festen Fuß fassend, wo sie hintritt, teils durch Gründung von befestigten Städten römischer Art mit abhängigem Bundesrecht, teils durch Romanisierung des eroberten Gebiets. Anders in Samnium. Es gibt hier keine einzelne führende Gemeinde und darum auch keine Eroberungspolitik. Während die Eroberung des veientischen und pomptinischen Gebietes für Rom eine wirkliche Machterweiterung war, wurde Samnium durch die Entstehung der kampanischen Städte, der lucanischen, der brettischen Eidgenossenschaft eher geschwächt als gestärkt; denn jeder Schwarm, der neue Sitze gesucht und gefunden hatte, ging fortan für sich seine Wege. Die samnitischen Scharen erfüllen einen unverhältnismäßig weiten Raum, den sie ganz sich eigen zu machen keineswegs bedacht sind; die größeren Griechenstädte, Tarent, Thurii, Kroton, Metapont, Herakleia, Rhegion, Neapel, wenngleich geschwächt und öfters abhängig, bestehen fort, ja selbst auf dem platten Lande und in den kleineren Städten werden die Hellenen geduldet, und Kyme zum Beispiel, Poseidonia, Laos, Hipponion blieben, wie die erwähnte Küstenbeschreibung und die Münzen lehren, auch unter samnitischer Herrschaft noch Griechenstädte. So entstanden gemischte Bevölkerungen, wie denn namentlich die zwiesprachigen Brettier außer samnitischen auch hellenische Elemente und selbst wohl Überreste der alten Autochthonen in sich aufnahmen; aber auch in Lucanien und Kampanien müssen in minderem Grade ähnliche Mischungen stattgefunden haben. Dem gefährlichen Zauber der hellenischen Kultur konnte auch die samnitische Nation sich nicht entziehen, am wenigsten in Kampanien, wo Neapel früh mit den Einwanderern sich auf freundlichen Verkehr stellte und wo der Himmel selbst die Barbaren humanisierte. Nola, Nuceria, Teanum, obwohl rein samnitischer Bevölkerung, nahmen griechische Weise und griechische Stadtverfassung an, wie denn auch die heimische Gauverfassung unter den veränderten Verhältnissen unmöglich fortbestehen konnte. Die kampanischen Samnitenstädte begannen Münzen zu schlagen, zum Teil mit griechischer Aufschrift; Capua ward durch Handel und Ackerbau der Größe nach die zweite Stadt Italiens, die erste an Üppigkeit und Reichtum. Die tiefe Entsittlichung, worin den Berichten der Alten zufolge diese Stadt es allen übrigen italischen zuvorgetan hat, spiegelt sich namentlich in dem Werbewesen und in den Fechterspielen, die beide vor allem in Capua zur Blüte gelangt sind. Nirgends fanden die Werber so zahlreichen Zulauf wie in dieser Metropole der entsittlichten Zivilisation; während Capua selbst sich vor den Angriffen der nachdrängenden Samniten nicht zu bergen wußte, strömte die streitbare kampanische Jugend unter selbstgewählten Condottieren massenweise namentlich nach Sizilien. Wie tief diese Landknechtfahrten in die Geschicke Italiens eingriffen, wird später noch darzustellen sein; für die kampanische Weise sind sie ebenso bezeichnend wie die Fechterspiele, die gleichfalls in Capua zwar nicht ihre Entstehung, aber ihre Ausbildung empfingen. Hier traten sogar während des Gastmahls Fechterpaare auf und ward deren Zahl je nach dem Rang der geladenen Gäste abgemessen. Diese Entartung der bedeutendsten samnitischen Stadt, die wohl ohne Zweifel auch mit dem hier noch nachwirkenden etruskischen Wesen eng zusammenhängt, mußte für die ganze Nation verhängnisvoll werden; wenn auch der kampanische Adel es verstand, mit dem tiefsten Sittenverfall ritterliche Tapferkeit und hohe Geistesbildung zu verbinden, so konnte er doch für seine Nation nimmermehr werden, was die römische Nobilität für die latinische war. Ähnlich wie auf die Kampaner, wenn auch in minderer Stärke, wirkte der hellenische Einfluß auf die Lucaner und Brettier. Die Gräberfunde in all diesen Gegenden beweisen, wie die griechische Kunst daselbst mit barbarischem Luxus gepflegt ward; der reiche Gold- und Bernsteinschmuck, das prachtvolle gemalte Geschirr, wie wir sie jetzt den Häusern der Toten entheben, lassen ahnen, wie weit man hier schon sich entfernt hatte von der alten Sitte der Väter. Andere Spuren bewahrt die Schrift; die altnationale aus dem Norden mitgebrachte ward von den Lucanern und Brettiern aufgegeben und mit der griechischen vertauscht, während in Kampanien das nationale Alphabet und wohl auch die Sprache unter dem bildenden Einfluß der griechischen sich selbständig entwickelte zu größerer Klarheit und Feinheit. Es begegnen sogar einzelne Spuren des Einflusses griechischer Philosophie.

Nur das eigentliche Samnitenland blieb unberührt von diesen Neuerungen, die, so schön und natürlich sie teilweise sein mochten, doch mächtig dazu beitrugen, das von Haus aus schon lose Band der nationalen Einheit immer mehr zu lockern. Durch den Einfluß des hellenischen Wesens kam ein tiefer Riß in den samnitischen Stamm. Die gesitteten „Philhellenen“ Kampaniens gewöhnten sich, gleich den Hellenen selbst, vor den rauheren Stämmen der Berge zu zittern, die ihrerseits nicht aufhörten, in Kampanien einzudringen und die entarteten älteren Ansiedler zu beunruhigen. Rom war ein geschlossener Staat, der über die Kraft von ganz Latium verfügte; die Untertanen mochten murren, aber sie gehorchten. Der samnitische Stamm war zerfahren und zersplittert, und die Eidgenossenschaft im eigentlichen Samnium hatte sich zwar die Sitten und die Tapferkeit der Väter ungeschmälert bewahrt, war aber auch darüber mit den übrigen samnitischen Völker- und Bürgerschaften völlig zerfallen.

In der Tat war es dieser Zwist zwischen den Samniten der Ebene und den Samniten der Gebirge, der die Römer über den Liris führte. Die Sidiciner in Teanum, die Kampaner in Capua suchten gegen die eigenen Landsleute, die mit immer neuen Schwärmen ihr Gebiet brandschatzten und darin sich festzusetzen drohten, Hilfe bei den Römern (411 343). Als das begehrte Bündnis verweigert ward, bot die kampanische Gesandtschaft die Unterwerfung der Stadt unter die Oberherrlichkeit Roms an, und solcher Lockung vermochten die Römer nicht zu widerstehen. Römische Gesandte gingen zu den Samniten, ihnen den neuen Erwerb anzuzeigen und sie aufzufordern, das Gebiet der befreundeten Macht zu respektieren. Wie die Ereignisse weiter verliefen, ist im einzelnen nicht mehr zu ermitteln36

37

Die Folge des Sieges war die Auflösung des latinischen Bundes. Derselbe wurde aus einer selbständigen politischen Konföderation in eine bloß religiöse Festgenossenschaft umgewandelt; die altverbrieften Rechte der Eidgenossenschaft auf ein Maximum der Truppenaushebung und einen Anteil an dem Kriegsgewinn gingen damit als solche zu Grunde, und was derart später noch vorkam, trägt den Charakter der Gnadenbewilligung. An die Stelle des einen Vertrages zwischen Rom einer- und der latinischen Eidgenossenschaft anderseits traten im besten Fall ewige Bündnisse zwischen Rom und den einzelnen eidgenössischen Orten. Zu diesem Vertragsverhältnis wurden von den altlatinischen Orten außer Laurentum auch Tibur und Praeneste zugelassen, welche indes Stücke ihres Gebiets an Rom abtreten mußten. Gleiches Recht erhielten die außerhalb Latium gegründeten Gemeinden latinischen Rechts, soweit sie sich nicht an dem Kriege beteiligt hatten. Die Isolierung der Gemeinden gegeneinander, welche für die nach dem Jahre 370 (384) gegründeten Orte bereits früher festgestellt worden war, ward also auf die gesamte Nation erstreckt. Im übrigen blieben den einzelnen Orten die bisherigen Gerechtsame und ihre Autonomie. Die übrigen altlatinischen Gemeinden sowie die abgefallenen Kolonien verloren sämtlich die Selbständigkeit und traten in einer oder der anderen Form in den römischen Bürgerverband ein. Die beiden wichtigsten Küstenstädte Antium (416 338) und Tarracina (425 329) wurden, nach dem Muster von Ostia, mit römischen Vollbürgern besetzt und auf eine engbegrenzte kommunale Selbständigkeit beschränkt, die bisherigen Bürger zu Gunsten der römischen Kolonisten ihres Grundeigentums großenteils beraubt und, soweit sie es behielten, ebenfalls in den Vollbürgerverband aufgenommen. Lanuvium, Aricia, Nomentum, Pedum wurden römische Bürgergemeinden mit beschränkter Selbstverwaltung nach dem Muster von Tusculum (l, 360). Velitraes Mauern wurden niedergerissen, der Senat in Masse ausgewiesen und im römischen Etrurien interniert, die Stadt wahrscheinlich als untertänige Gemeinde nach caeritischem Recht konstituiert. Von dem gewonnenen Acker wurde ein Teil, zum Beispiel die Ländereien der veliternischen Ratsmitglieder, an römische Bürger verteilt; mit diesen Einzelassignationen hängt die Errichtung zweier neuer Bürgerbezirke im Jahre 422 (332) zusammen. Wie tief man in Rom die ungeheure Bedeutung des gewonnenen Erfolges empfand, zeigt die Ehrensäule, die man dem siegreichen Bürgermeister des Jahres 416 (338), Gaius Maenius, auf dem römischen Markte errichtete, und die Schmückung der Rednertribüne auf demselben mit den Schnäbeln der unbrauchbar befundenen antiatischen Galeeren.

In gleicher Weise ward in dem südlichen volskischen und dem kampanischen Gebiet die römische Herrschaft durchgeführt und befestigt. Fundi, Formiae, Capua, Kyme und eine Anzahl kleinerer Städte wurden abhängige römische Gemeinden mit Selbstverwaltung; um das vor allem wichtige Capua zu sichern, erweiterte man künstlich die Spaltung zwischen Adel und Gemeinde, revidierte die Gemeindeverfassung im römischen Interesse und kontrollierte die städtische Verwaltung durch jährlich nach Kampanien gesandte römische Beamte. Dieselbe Behandlung widerfuhr einige Jahre darauf dem volskischen Privernum, dessen Bürger, unterstützt von dem kühnen fundanischen Parteigänger Vitruvius Vaccus, die Ehre hatten, für die Freiheit dieser Landschaft den letzten Kampf zu kämpfen – er endigte mit der Erstürmung der Stadt (425 329) und der Hinrichtung des Vaccus im römischen Kerker. Um eine eigene römische Bevölkerung in diesen Gegenden emporzubringen, teilte man von den im Krieg gewonnenen Ländereien, namentlich im privernatischen und im falernischen Gebiet, so zahlreiche Ackerlose an römische Bürger aus, daß wenige Jahre nachher (436 318) auch dort zwei neue Bürgerbezirke errichtet werden konnten. Die Anlegung zweier Festungen als Kolonien latinischen Rechts sicherte schließlich das neu gewonnene Land. Es waren dies Cales (420 334) mitten in der kampanischen Ebene, von wo aus Teanum und Capua beobachtet werden konnten, und Fregellae (426 328), das den Übergang über den Liris beherrschte. Beide Kolonien waren ungewöhnlich stark und gelangten schnell zur Blüte, trotz der Hindernisse, welche die Sidiciner der Gründung von Cales, die Samniten der von Fregellae in den Weg legten. Auch nach Sora ward eine römische Besatzung verlegt, worüber die Samniten, denen dieser Bezirk vertragsmäßig überlassen worden war, sich mit Grund, aber vergeblich beschwerten. Ungeirrt ging Rom seinem Ziel entgegen, seine energische und großartige Staatskunst mehr als auf dem Schlachtfelde offenbarend in der Sicherung der gewonnenen Landschaft, die es politisch und militärisch mit einem unzerreißbaren Netze umflocht.

Daß die Samniten das bedrohliche Vorschreiten der Römer nicht gern sahen, versteht sich; sie warfen ihnen auch wohl Hindernisse in den Weg, aber versäumten es doch jetzt, wo es vielleicht noch Zeit war, mit der von den Umständen geforderten Energie ihnen die neue Eroberungsbahn zu verlegen. Zwar Teanum scheinen sie nach dem Vertrag mit Rom eingenommen und stark besetzt zu haben; denn während die Stadt früher Hilfe gegen Samnium in Capua und Rom nachsucht, erscheint sie in den späteren Kämpfen als die Vormauer der samnitischen Macht gegen Westen. Aber am oberen Liris breiteten sie wohl erobernd und zerstörend sich aus, versäumten es aber, hier auf die Dauer sich festzusetzen. So zerstörten sie die Volskerstadt Fregellae, wodurch nur die Anlage der eben erwähnten römischen Kolonie daselbst erleichtert ward, und schreckten zwei andere Volskerstädte, Fabrateria (Ceccano) und Luca (unbekannter Lage), so, daß dieselben, Capuas Beispiel folgend, sich (424 330) den Römern zu eigen gaben. Die samnitische Eidgenossenschaft gestattete, daß die römische Eroberung Kampaniens eine vollendete Tatsache geworden war, bevor sie sich ernstlich derselben widersetzte; wovon der Grund allerdings zum Teil in den gleichzeitigen Fehden der samnitischen Nation mit den italischen Hellenen, aber zum Teil doch auch in der schlaffen und zerfahrenen Politik der Eidgenossenschaft zu suchen ist.

  1. Die ursprüngliche Gleichheit der beiden Armeen geht schon aus Liv. 1, 52; 8, 8, 14 und Dion. Hal. 8, 15, am deutlichsten aber aus Polyb. 6, 26 hervor.
  2. Daß in den späteren Bundesverträgen zwischen Rom und Latium es den latinischen Gemeinden untersagt war ihre Kontingente von sich aus zu mobilisieren und allein ins Feld zu senden, sagt ausdrücklich Dionysios (8, 15).
  3. Diese latinischen Stabsoffiziere sind die zwölf praefecti sociorum, welche späterhin, als die alte Phalanx sich in die späteren Legionen und alae aufgelöst hatte, ebenso je sechs und sechs den beiden alae der Bundesgenossenkontingente vorstehen, wie die zwölf Kriegstribunen des römischen Heeres je sechs und sechs den beiden Legionen. Daß der Konsul jene wie ursprünglich auch diese ernennt, sagt Polyb. 6 26, 5. Da nun nach dem alten Rechtssatz, daß jeder Heerespflichtige Offizier werden kann, es gesetzlich dem Heerführer gestattet war, einen Latiner zum Führer einer römischen wie umgekehrt einen Römer zum Führer einer latinischen Legion zu bestellen, so führte dies praktisch dazu, daß die tribuni militum durchaus und die praefecti sociorum wenigstens in der Regel Römer waren.
  4. Dies sind die decuriones turmarum und praefecti cohortium (Polyb. 6, 21, 5; Liv. 25, 14; Sall. Iug. 69 und sonst). Natürlich wurden, wie die römischen Konsuln von Rechts wegen, in der Regel auch tatsächlich Oberfeldherren waren, vielleicht durchaus, mindestens sehr häufig auch in den abhängigen Städten die Gemeindevorsteher an die Spitze der Gemeindekontingente gestellt (Liv. 23, 19; Orelli 7022); wie denn selbst der gewöhnliche Name der latinischen Obrigkeiten (praetores) sie als Offiziere bezeichnet.
  5. Es wurde ein solcher Insasse nicht wie der wirkliche Mitbürger einem ein für allemal bestimmten Stimmbezirk zugeteilt, sondern vor jeder einzelnen Abstimmung nach Stimmbezirken der, in dem die Insassen diesmal zu stimmen hatten, durch das Los festgestellt. Der Sache nach kam dies wohl darauf hinaus, daß in der römischen Tribusversammlung den Latinern eine Stimme eingeräumt ward. Da der Platz in irgendeiner Tribus die Vorbedingung des ordentlichen Zenturiatstimmrechts war, so muß, wenn die Insassen auch in der Zenturienversammlung mitgestimmt haben, was wir nicht wissen, für diese eine ähnliche Losung festgesetzt gewesen sein. An den Kurien werden sie gleich den Plebejern teilgenommen haben.
  6. Regelmäßig stehen bekanntlich die latinischen Gemeinden unter zwei Prätoren. Daneben kommen in einer Reihe von Gemeinden auch Einzelbeamte vor, welche dann den Diktatortitel führen – so in Alba (Orelli-Henzen 2293), Tusculum, Lanuvium (Cic. Mil. 10, 27;17, 45; Ascon. Mil. p. 32 Orelli, Orelli 2786, 5157, 6086), Compitum (Orelli 3324), Nomentum (Orelli 208, 6138, 7032; vgl. W. Henzen in Bullettino dell‘ Istituto 1858, S. 169) und Aricia (Orelli 1455). Dazu kommt der ähnliche Diktator in der civitas sine suffragio Caere (Orelli 3787, 5772; auch Garrucci, Diss. arch. Bd. 1, S. 31, obwohl irrig nach Sutrium gesetzt); ferner die gleichnamigen Beamten von Fidenae (Orelli 112). Alle diese Ämter oder aus Ämtern hervorgegangenen Priestertümer (der Diktator von Caere ist zu erklären nach Liv. 9, 43: Anagninis – magistratibus praeter quam sacrorum curatione interdictum) sind jährig (Orelli 208). Auch der Bericht Macers und der aus ihm schöpfenden Annalisten, daß Alba schon zur Zeit seines Falls nicht mehr unter Königen, sondern unter Jahresdiktatoren gestanden habe (Dion. Hal. 5, 74; Plut. Rom. 27; Liv. 1, 23), ist vermutlich bloß eine Folgerung aus der ihm bekannten Institution der ohne Zweifel gleich der nomentanischen jährigen sacerdotalen albanischen Diktatur, bei welcher Darstellung überdies die demokratische Parteistellung ihres Urhebers mit im Spiel gewesen sein wird. Es steht dahin, ob der Schluß gültig ist und nicht, auch wenn Alba zur Zeit seiner Auflösung unter lebenslänglichen Herrschern stand, die Abschaffung des Königtums in Rom nachträglich die Verwandlung der albanischen Diktatur in ein Jahramt herbeiführen konnte.
  7. All diese latinischen Magistraturen kommen in der Sache wie besonders auch in den Namen wesentlich mit der in Rom durch die Revolution festgestellten Ordnung in einer Weise überein, die durch die bloße Gleichartigkeit der politischen Grundverhältnisse nicht genügend erklärt wird.
  8. Die Landschaft der Aequer umfaßt nicht bloß das Tal des Anio oberhalb von Tibur und das Gebiet der späteren latinischen Kolonien Carsioli (am oberen Turano) und Alba (am Fuciner See), sondern auch den Bezirk des späteren Municipiums der Aequiculi welche nichts sind als derjenige Rest der Aequer, welchem nach der Unterwerfung durch die Römer und nach der Assignierung des größten Teils des Gebiets an römische oder latinische Kolonisten die munizipale Selbständigkeit verblieb.
  9. Allem Anschein nach ist Velitrae, obwohl in der Ebene gelegen, ursprünglich volskisch und also latinische Kolonie, Cora dagegen auf dem Volskergebirge ursprünglich latinisch.
  10. Nicht lange nachher muß die Gründung des Dianahains im Walde von Aricia erfolgt sein, welche nach Catos Bericht (orig. p. 12 Jordan) ein tusculanischer Diktator vollzog für die Stadtgemeinden des alten Latiums Tusculum, Aricia, Lanuvium, Laurentum, Cora und Tibur und die beiden latinischen Kolonien (welche deshalb an der letzten Stelle stehen) Suessa Pometia und Ardea (populus Ardeatis Rutulus). Das Fehlen Praenestes und der kleineren Gemeinden des alten Latium zeigt, wie es auch in der Sache liegt, daß nicht sämtliche Gemeinden des damaligen Latinischen Bundes sich an der Weihung beteiligten. Daß sie vor 372 (382) fällt, beweist das Auftreten von Pometia und das Verzeichnis stimmt völlig zu dem, was anderweitig über den Bestand des Bundes kurz nach dem Zutritt von Ardea sich ermitteln läßt.
  11. Den überlieferten Jahreszahlen der Gründungen darf mehr als den meisten der ältesten Überlieferungen Glauben beigemessen werden, da die den italischen Städten gemeinsame Jahreszählung ab urbe condita allem Anschein nach das Gründungsjahr der Kolonien durch unmittelbare Überlieferung bewahrt hat.
  12. In dem von Dionysios (5, 61) mitgeteilten Verzeichnis der dreißig latinischen Bundesstädte, dem einzigen, das wir besitzen, werden genannt die Ardeaten, Ariciner, Bovillaner, Bubentaner (unbekannter Lage), Corner (vielmehr Coraner), Carventaner (unbekannter Lage), Circeienser, Coriolaner, Corbinter, Cabaner (vielleicht die Cabenser am Albaner Berg, Bullettino dell‘ Istituto 1861, S. 205), Fortineer (unbekannt), Gabiner, Laurenter, Lanuviner, Lavinaten, Labicaner, Nomentaner, Norbaner, Praenestiner, Pedaner, Querquetulaner (unbekannter Lage), Satricaner, Scaptiner, Senner, Tiburtiner, Tusculaner, Tellenier (unbekannter Lage), Toleriner (unbekannter Lage) und Veliterner. Die gelegentlichen Erwähnungen teilnahmeberechtigter Gemeinden, wie von Ardea (Liv. 32, 1), Laurentum (Liv. 37, 3), Lanuvium (Liv. 41, 16), Bovillae, Gabii, Labici (Cic. Planc. 9, 23) stimmen mit diesem Verzeichnis. Dionysios teilt es bei Gelegenheit der Kriegserklärung Latiums gegen Rom im Jahre 256 (498) mit, und es lag darum nahe, wie dies Niebuhr getan, dies Verzeichnis als der bekannten Bundeserneuerung vom Jahre 261 (493) entlehnt zu betrachten. Allein da in diesem nach dem latinischen Alphabet geordneten Verzeichnis der Buchstabe g an der Stelle erscheint, die er zur Zeit der Zwölf Tafeln sicher noch nicht hatte und schwerlich vor dem fünften Jahrhundert bekommen hat (mein Die unteritalischen Dialekte. Leipzig 1850, S. 33), so muß dasselbe einer viel jüngeren Quelle entnommen sein; und es ist bei weitem die einfachste Annahme, darin das Verzeichnis derjenigen Orte zu erkennen die späterhin als die ordentlichen Glieder der latinischen Eidgenossenschaft betrachtet wurden und die Dionysios, seiner pragmatisierenden Gewohnheit gemäß, als deren ursprünglichen Bestand aufführt. Es erscheint in dem Verzeichnis, wie es zu erwarten war, keine einzige nichtlatinische Gemeinde; dasselbe zählt lediglich ursprünglich latinische oder mit latinischen Kolonien belegte Orte auf – Corbio und Corioli wird niemand als Ausnahme geltend machen. Vergleicht man nun mit diesem Register das der latinischen Kolonien so sind bis zum Jahre 372 (382) gegründet worden Suessa Pometia, Velitrae, Norba, Signia, Ardea, Circeii (361 393), Satricum (369 385), Sutrium (371 383), Nepete (371), Setia (372 382). Von den letzten drei ungefähr gleichzeitigen können sehr wohl die beiden etruskischen etwas später datieren als Setia, da ja die Gründung jeder Stadt eine gewisse Zeitdauer in Anspruch nahm und unsere Liste von kleineren Ungenauigkeiten nicht frei sein kann. Nimmt man dies an, so enthält das Verzeichnis sämtliche bis zum Jahre 372 (382) ausgeführte Kolonien einschließlich der beiden bald nachher aus dem Verzeichnis gestrichenen Satricum, zerstört 377 (377), und Velitrae, des latinischen Rechts entkleidet 416 (338); es fehlen nur Suessa Pometia, ohne Zweifel als vor dem Jahre 372 (382) zerstört, und Signia, wahrscheinlich weil im Text des Dionysios, der nur neunundzwanzig Namen nennt, hinter ΣΗΤΙΝΩΝ ausgefallen ist ΣΙΓΝΙΝΩΝ. Im vollkommenen Einklang hiermit mangeln in diesem Verzeichnis ebenso alle nach dem Jahre 372 (382) gegründeten latinischen Kolonien wie alle Orte, die wie Ostia, Antemnae, Alba vor dem Jahre 370 (384) der römischen Gemeinde inkorporiert wurden, wogegen die später einverleibten, wie Tusculum, Lanuvium, Velitrae, in demselben stehen geblieben sind.
  13. Was das von Plinius mitgeteilte Verzeichnis von zweiunddreißig zu Plinius‘ Zeit untergegangenen, ehemals am Albanischen Fest beteiligten Ortschaften betrifft, so bleiben nach Abzug von sieben, die auch bei Dionysios stehen (denn die Cusuetaner des Plinius scheinen die Dionysischen Carventaner zu sein) noch fünfundzwanzig, meistenteils ganz unbekannte Ortschaften ohne Zweifel teils jene siebzehn nicht stimmenden Gemeinden, größtenteils wohl eben die ältesten, später zurückgestellten Glieder der albanischen Festgenossenschaft, teils eine Anzahl anderer untergegangener oder ausgestoßener Bundesglieder, zu welchen letzteren vor allem der alte, auch von Plinius genannte Vorort Alba gehört.
  14. Diese Beschränkung der alten vollen latinischen Rechtsgemeinschaft begegnet zwar zuerst in der Vertragserneuerung von 416 (338) (Liv. 8, 14); da indes das Isolierungssystem, von dem dieselbe ein wesentlicher Teil ist, zuerst für die nach 370 (384) ausgeführten latinischen Kolonien begann und 416 (338) nur generalisiert ward, so war diese Neuerung hier zu erwähnen.
  15. Der Name selbst ist uralt, ja der älteste einheimische Name der Bewohner des heutigen Kalabrien (Antiochos fr. 5 Müller). Die bekannte Ableitung ist ohne Zweifel erfunden.
  16. Vielleicht kein Abschnitt der römischen Annalen ist ärger entstellt als die Erzählung des ersten samnitisch-latinischen Krieges, wie sie bei Livius, Dionysios, Appian steht oder stand. Sie lautet etwa folgendermaßen. Nachdem 411 (343) beide Konsuln in Kampanien eingerückt waren, erfocht zuerst der Konsul Marcus Valerius Corvus am Berge Gaurus über die Samniten einen schweren und blutigen Sieg; alsdann auch der Kollege Aulus Cornelius Cossus, nachdem er der Vernichtung in einem Engpaß durch Hingebung einer von dem Kriegstribun Publius Decius geführten Abteilung entgangen war. Die dritte und entscheidende Schlacht ward am Eingang der Caudinischen Pässe bei Suessula von den beiden Konsuln geschlagen; die Samniten wurden vollständig überwunden – man las vierzigtausend ihrer Schilde auf dem Schlachtfelde auf – und zum Frieden genötigt, in welchem die Römer Capua, das sich ihnen zu eigen gegeben, behielten, Teanum dagegen den Samniten überließen (413 341). Glückwünsche kamen von allen Seiten, selbst von Karthago. Die Latiner, die den Zuzug verweigert hatten und gegen Rom zu rüsten schienen, wandten ihre Waffen statt gegen Rom vielmehr gegen die Paeligner, während die Römer zunächst durch eine Militärverschwörung der in Kampanien zurückgelassenen Besatzung (412 342), dann durch die Einnahme von Privernum (413 341) und den Krieg gegen die Antiaten beschäftigt waren. Nun aber wechseln plötzlich und seltsam die Parteiverhältnisse. Die Latiner, die umsonst das römische Bürgerrecht und Anteil am Konsulat gefordert hatten, erhoben sich gegen Rom in Gemeinschaft mit den Sidicinern, die vergeblich den Römern die Unterwerfung angetragen hatten und vor den Samniten sich nicht zu retten wußten, und mit den Kampanern, die der römischen Herrschaft bereits müde waren. Nur die Laurenter in Latium und die kampanischen Ritter hielten zu den Römern, welche ihrerseits Unterstützung fanden bei den Paelignern und den Samniten. Das latinische Heer überfiel Samnium; das römisch-samnitische schlug, nachdem es an den Fuciner See und von da an Latium vorüber in Kampanien einmarschiert war, die Entscheidungsschlacht gegen die vereinigten Latiner und Kampaner am Vesuv, welche der Konsul Titus Manlius Imperiosus, nachdem er selbst durch die Hinrichtung seines eigenen, gegen den Lagerbefehl siegenden Sohnes die schwankende Heereszucht wiederhergestellt und sein Kollege Publius Decius Mus die Götter versöhnt hatte durch seinen Opfertod, endlich mit Aufbietung der letzten Reserve gewann. Aber erst eine zweite Schlacht, die der Konsul Manlius den Latinern und Kampanern bei Trifanum lieferte, machte dem Krieg ein Ende; Latium und Capua unterwarfen sich und wurden um einen Teil ihres Gebietes gestraft.
  17. Einsichtigen und ehrlichen Lesern wird es nicht entgehen, daß dieser Bericht von Unmöglichkeiten aller Art wimmelt. Dahin gehört das Kriegführen der Antiaten nach der Dedition von 377 (377) (Liv. 6, 33); der selbständige Feldzug der Latiner gegen die Paeligner im schneidenden Widerspruch zu den Bestimmungen der Verträge zwischen Rom und Latium; der unerhörte Marsch des römischen Heeres durch das marsische und samnitische Gebiet nach Capua, während ganz Latium gegen Rom in Waffen stand; um nicht zu reden von dem ebenso verwirrten wie sentimentalen Bericht über den Militäraufstand von 412 (342) und den Geschichtchen von dem gezwungenen Anführer desselben, dem lahmen Titus Quinctius, dem römischen Götz von Berlichingen. Vielleicht noch bedenklicher sind die Wiederholungen; so ist die Erzählung von dem Kriegstribun Publius Decius nachgebildet der mutigen Tat des Marcus Calpurnius Flamma, oder wie er sonst hieß, im Ersten Punischen Kriege; so kehrt die Eroberung Privernums durch Gaius Plautius wieder im Jahre 425 (329), und nur diese zweite ist in den Triumphalfasten verzeichnet; so der Opfertod des Publius Decius bekanntlich bei dem Sohne desselben 459 (295). Überhaupt verrät in diesem Abschnitt die ganze Darstellung eine andere Zeit und eine andere Hand als die sonstigen glaubwürdigeren annalistischen Berichte; die Erzählung ist voll von ausgeführten Schlachtgemälden; von eingewebten Anekdoten, wie zum Beispiel der von dem setinischen Prätor, der auf den Stufen des Rathauses den Hals bricht, weil er dreist genug gewesen war, das Konsulat zu begehren, und den mannigfaltigen aus dem Beinamen des Titus Manlius herausgesponnenen; von ausführlichen und zum Teil bedenklichen archäologischen Digressionen, wohin zum Beispiel die Geschichte der Legion (von der die höchst wahrscheinlich apokryphe Notiz über die aus Römern und Latinern gemischten Manipel des zweiten Tarquinius bei Liv. 1, 52 offenbar ein zweites Bruchstück ist), die verkehrte Auffassung des Vertrages zwischen Capua und Rom (meine Geschichte des römischen Münzwesens. Breslau 1860, S. 334, A. 122), die Devotionsformulare, der kampanische Denar, das laurentische Bündnis, die bina iugera bei der Assignation gehören. Unter solchen Umständen erscheint es von großem Gewicht, daß Diodoros, der anderen und oft älteren Berichten folgt, von all diesen Ereignissen schlechterdings nichts kennt als die letzte Schlacht bei Trifanum; welche auch in der Tat schlecht paßt zu der übrigen Erzählung, die nach poetischer Gerechtigkeit schließen sollte mit dem Tode des Decius.

6. Kapitel


6. Kapitel

Die Italiker gegen Rom

Während die Römer am Liris und Volturnus fochten, bewegten den Südosten der Halbinsel andere Kämpfe. Die reiche tarentinische Kaufmannsrepublik, immer ernstlicher bedroht von den lucanischen und messapischen Haufen und ihren eigenen Schwertern mit Recht mißtrauend, gewann für gute Worte und besseres Geld die Bandenführer der Heimat. Der Spartanerkönig Archidamos, der mit einem starken Haufen den Stammgenossen zu Hilfe gekommen war, erlag an demselben Tage, wo Philipp bei Chaeroneia siegte, den Lucanern (416 338); wie die frommen Griechen meinten, zur Strafe dafür, daß er und seine Leute neunzehn Jahre früher teilgenommen hatten an der Plünderung des delphischen Heiligtums. Seinen Platz nahm ein mächtigerer Feldhauptmann ein, Alexander der Molosser, Bruder der Olympias, der Mutter Alexanders des Großen. Mit den mitgebrachten Scharen vereinigte er unter seinen Fahnen die Zuzüge der Griechenstädte, namentlich der Tarentiner und Metapontiner; ferner die Poediculer (um Rubi, jetzt Ruvo), die gleich den Griechen sich von der sabellischen Nation bedroht sahen; endlich sogar die lucanischen Verbannten selbst, deren beträchtliche Zahl auf heftige innere Unruhen in dieser Eidgenossenschaft schließen läßt. So sah er sich bald dem Feinde überlegen. Consentia (Cosenza), der Bundessitz, wie es scheint, der in Großgriechenland angesiedelten Sabeller, fiel in seine Hände. Umsonst kommen die Samniten den Lucanern zu Hilfe; Alexander schlägt ihre vereinigte Streitmacht bei Paestum, er bezwingt die Daunier um Sipontum, die Messapier auf der südöstlichen Halbinsel; schon gebietet er von Meer zu Meer und ist im Begriff, den Römern die Hand zu reichen und mit ihnen gemeinschaftlich die Samniten in ihren Stammsitzen anzugreifen. Aber so unerwartete Erfolge waren den Tarentiner Kaufleuten unerwünscht und erschreckend; es kam zum Kriege zwischen ihnen und ihrem Feldhauptmann, der als gedungener Söldner erschienen war und nun sich anließ, als wolle er im Westen ein hellenisches Reich begründen gleichwie sein Neffe im Osten. Alexander war anfangs im Vorteil: er entriß den Tarentinern Herakleia, stellte Thurii wieder her und scheint die übrigen italischen Griechen aufgerufen zu haben, sich unter seinem Schutz gegen die Tarentiner zu vereinigen, indem er zugleich es versuchte, zwischen ihnen und den sabellischen Völkerschaften den Frieden zu vermitteln. Allein seine großartigen Entwürfe fanden nur schwache Unterstützung bei den entarteten und entmutigten Griechen und der notgedrungene Parteiwechsel entfremdete ihm seinen bisherigen lucanischen Anhang; bei Pandosia fiel er von der Hand eines lucanischen Emigrierten (422 332)38. Mit seinem Tode kehrten im wesentlichen die alten Zustände wieder zurück. Die griechischen Städte sahen sich wiederum vereinzelt und wiederum lediglich darauf angewiesen, sich jede, so gut es gehen mochte, zu schützen durch Vertrag oder Tributzahlung oder auch durch auswärtige Hilfe, wie zum Beispiel Kroton um 430 (324) mit Hilfe von Syrakus die Brettier zurückschlug. Die samnitischen Stämme erhielten aufs neue das Übergewicht und konnten, unbekümmert um die Griechen, wieder ihre Blicke nach Kampanien und Latium wenden.

Hier aber war in der kurzen Zwischenzeit ein ungeheurer Umschwung eingetreten. Die latinische Eidgenossenschaft war gesprengt und zertrümmert, der letzte Widerstand der Volsker gebrochen, die kampanische Landschaft, die reichste und schönste der Halbinsel, im unbestrittenen und wohlbefestigten Besitz der Römer, die zweite Stadt Italiens in römischer Klientel. Während die Griechen und Samniten miteinander rangen, hatte Rom fast unbestritten sich zu einer Machtstellung emporgeschwungen, die zu erschüttern kein einzelnes Volk der Halbinsel die Mittel mehr besaß und die alle zugleich mit römischer Unterjochung bedrohte. Eine gemeinsame Anstrengung der jedes für sich Rom nicht gewachsenen Völker konnte vielleicht die Ketten noch sprengen, ehe sie völlig sich befestigten; aber die Klarheit, der Mut, die Hingebung, wie eine solche Koalition unzähliger, bisher großenteils feindlich oder doch fremd sich gegenüberstehender Volks- und Stadtgemeinden sie erforderte, fanden sich nicht oder doch erst, als es bereits zu spät war.

Nach dem Sturz der etruskischen Macht, nach der Schwächung der griechischen Republiken war nächst Rom unzweifelhaft die bedeutendste Macht in Italien die samnitische Eidgenossenschaft und zugleich diejenige, die von den römischen Übergriffen am nächsten und unmittelbarsten bedroht war. Ihr also kam es zu, in dem Kampf um die Freiheit und die Nationalität, den die Italiker gegen Rom zu führen hatten, die erste Stelle und die schwerste Last zu übernehmen. Sie durfte rechnen auf den Beistand der kleinen sabellischen Völkerschaften, der Vestiner, Frentaner, Marruciner und anderer kleinerer Gaue, die in bäuerlicher Abgeschiedenheit zwischen ihren Bergen wohnten, aber nicht taub waren, wenn der Aufruf eines verwandten Stammes sie mahnte, zur Verteidigung der gemeinsamen Güter die Waffen zu ergreifen. Wichtiger wäre der Beistand der kampanischen und großgriechischen Hellenen, namentlich der Tarentiner, und der mächtigen Lucaner und Brettier gewesen; allein teils die Schlaffheit und Fahrigkeit der in Tarent herrschenden Demagogen und die Verwicklung der Stadt in die sizilischen Angelegenheiten, teils die innere Zerrissenheit der lucanischen Eidgenossenschaft, teils und vor allem die seit Jahrhunderten bestehende tiefe Verfehdung der unteritalischen Hellenen mit ihren lucanischen Bedrängern ließen kaum hoffen, daß Tarent und Lucanien gemeinschaftlich sich den Samniten anschließen würden. Von den Sabinern und den Marsern als den nächsten und seit langem in friedlichem Verhältnis mit Rom lebenden Nachbarn der Römer war wenig mehr zu erwarten als schlaffe Teilnahme oder Neutralität; die Apuler, die alten und erbitterten Gegner der Sabeller, waren die natürlichen Verbündeten der Römer. Daß dagegen die fernen Etrusker, wenn ein erster Erfolg errungen war, dem Bunde sich anschließen würden, ließ sich erwarten, und selbst ein Aufstand in Latium und dem Volsker- und Hernikerland lag nicht außer der Berechnung. Vor allen Dingen aber mußten die Samniten, die italischen Ätoler, in denen die nationale Kraft noch ungebrochen lebte, vertrauen auf die eigene Kraft, auf die Ausdauer im ungleichen Kampf, welche den übrigen Völkern Zeit gab zu edler Scham, zu gefaßter Überlegung, zum Sammeln der Kräfte; ein einziger glücklicher Erfolg konnte alsdann die Kriegs- und Aufruhrsflammen rings um Rom entzünden. Die Geschichte darf dem edlen Volke das Zeugnis nicht versagen, daß es seine Pflicht begriffen und getan hat.

Mehrere Jahre schon währte der Hader zwischen Rom und Samnium infolge der beständigen Übergriffe, die die Römer sich am Liris erlaubten und unter denen die Gründung von Fregellae 426 (328) der letzte und wichtigste war. Zum Ausbruch des Kampfes aber gaben die Veranlassung die kampanischen Griechen. Seitdem Cumae und Capua römisch geworden waren, lag den Römern nichts so nahe wie die Unterwerfung der Griechenstadt Neapolis, die auch die griechischen Inseln im Golf beherrschte, innerhalb des römischen Machtgebiets die einzige noch nicht unterworfene Stadt. Die Tarentiner und Samniten, unterrichtet von dem Plane der Römer, sich der Stadt zu bemächtigen, beschlossen, ihnen zuvorzukommen; und wenn die Tarentiner nicht sowohl zu fern als zu schlaff waren, um diesen Plan auszuführen, so warfen die Samniten in der Tat eine starke Besatzung hinein. Sofort erklärten die Römer dem Namen nach den Neapoliten, in der Tat den Samniten den Krieg (427 327) und begannen die Belagerung von Neapolis. Nachdem dieselbe eine Weile gewährt hatte, wurden die kampanischen Griechen des gestörten Handels und der fremden Besatzung müde; und die Römer, deren ganzes Bestreben darauf gerichtet war, von der Koalition, deren Bildung bevorstand, die Staaten zweiten und dritten Ranges durch Sonderverträge fernzuhalten, beeilten sich, sowie sich die Griechen auf Unterhandlungen einließen, ihnen die günstigsten Bedingungen zu bieten: volle Rechtsgleichheit und Befreiung vom Landdienst, gleiches Bündnis und ewigen Frieden. Daraufhin ward, nachdem die Neapoliten sich der Besatzung durch List entledigt hatten, der Vertrag abgeschlossen (428 326).

Im Anfang dieses Krieges hielten die sabellischen Städte südlich vom Volturnus, Nola, Nuceria, Herculaneum, Pompeii, es mit Samnium; allein teils ihre sehr ausgesetzte Lage, teils die Machinationen der Römer, welche die optimatische Partei in diesen Städten durch alle Hebel der List und des Eigennutzes auf ihre Seite zu ziehen versuchten und dabei an Capuas Vorgang einen mächtigen Fürsprecher fanden, bewirkten, daß diese Städte nicht lange nach dem Fall von Neapolis sich entweder für Rom oder doch neutral erklärten.

Ein noch wichtigerer Erfolg gelang den Römern in Lucanien. Das Volk war auch hier mit richtigem Instinkt für den Anschluß an die Samniten; da aber das Bündnis mit den Samniten auch Frieden mit Tarent nach sich zog und ein großer Teil der regierenden Herren Lucaniens nicht gemeint war, die einträglichen Plünderzüge einzustellen, so gelang es den Römern, mit Lucanien ein Bündnis abzuschließen, das unschätzbar war, weil dadurch den Tarentinern zu schaffen gemacht wurde und also die ganze Macht Roms gegen Samnium verwendbar blieb.

So stand Samnium nach allen Seiten hin allein; kaum daß einige der östlichen Bergdistrikte ihm Zuzug sandten. Mit dem Jahre 428 (326) begann der Krieg im samnitischen Lande selbst; einige Städte an der kampanischen Grenze, Rufrae (zwischen Venafrum und Teanum) und Allifae, wurden von den Römern besetzt. In den folgenden Jahren durchzogen die römischen Heere fechtend und plündernd Samnium bis in das vestinische Gebiet hinein, ja bis nach Apulien, wo man sie mit offenen Armen empfing, überall im entschiedensten Vorteil. Der Mut der Samniten war gebrochen; sie sandten die römischen Gefangenen zurück und mit ihnen die Leiche des Führers der Kriegspartei, Brutulus Papius, welcher den römischen Henkern zuvorgekommen war, nachdem die samnitische Volksgemeinde beschlossen hatte, den Frieden von dem Feinde zu erbitten und durch die Auslieferung ihres tapfersten Feldherrn sich leidlichere Bedingungen zu erwirken. Aber als die demütige, fast flehentliche Bitte bei der römischen Volksgemeinde keine Erhörung fand (432 322), rüsteten sich die Samniten unter ihrem neuen Feldherrn Gavius Pontius zur äußersten und verzweifelten Gegenwehr. Das römische Heer, das unter den beiden Konsuln des folgenden Jahres (433 321), Spurius Postumius und Titus Veturius, bei Calatia (zwischen Caserta und Maddaloni) gelagert war, erhielt die durch die Aussage zahlreicher Gefangenen bestätigte Nachricht, daß die Samniten Luceria eng eingeschlossen hätten und die wichtige Stadt, an der der Besitz Apuliens hing, in großer Gefahr schwebe. Eilig brach man auf. Wollte man zu rechter Zeit anlangen, so konnte kein anderer Weg eingeschlagen werden als mitten durch das feindliche Gebiet, da wo später als Fortsetzung der Appischen Straße die römische Chaussee von Capua über Benevent nach Apulien angelegt ward. Dieser Weg führte zwischen den heutigen Orten Arpaja und Montesarchio (Caudium) durch einen feuchten Wiesengrund, der rings von hohen und steilen Waldhügeln umschlossen und nur durch tiefe Einschnitte beim Ein- und Austritt zugänglich war. Hier hatten die Samniten verdeckt sich aufgestellt. Die Römer, ohne Hindernis in das Tal eingetreten, fanden den Ausweg durch Verhaue gesperrt und stark besetzt; zurückmarschierend erblickten sie den Eingang in ähnlicher Weise geschlossen und gleichzeitig krönten die Bergränder rings im Kreise sich mit den samnitischen Kohorten. Zu spät begriffen sie, daß sie sich durch eine Kriegslist hatten täuschen lassen und daß die Samniten nicht bei Luceria sie erwarteten, sondern in dem verhängnisvollen Paß von Caudium. Man schlug sich, aber ohne Hoffnung auf Erfolg und ohne ernstliches Ziel; das römische Heer war gänzlich unfähig zu manövrieren und ohne Kampf vollständig überwunden. Die römischen Generale Boten die Kapitulation an. Nur törichte Rhetorik läßt dem samnitischen Feldherrn die Wahl bloß zwischen Entlassung und Niedermetzelung der römischen Armee; er konnte nichts Besseres tun als die angebotene Kapitulation annehmen und das feindliche Heer, die gesamte augenblicklich aktive Streitmacht der römischen Gemeinde mit beiden höchstkommandierenden Feldherren, gefangen machen; worauf ihm dann der Weg nach Kampanien und Latium offenstand und unter den damaligen Verhältnissen, wo die Volsker und Herniker und der größte Teil der Latiner ihn mit offenen Armen empfangen haben würden, Roms politische Existenz ernstlich gefährdet war. Allein statt diesen Weg einzuschlagen und eine Militärkonvention zu schließen, dachte Gavius Pontius durch einen billigen Frieden gleich den ganzen Hader beendigen zu können; sei es, daß er die unverständige Friedenssehnsucht der Eidgenossen teilte, der das Jahr zuvor Brutulus Papius zum Opfer gefallen war, sei es, daß er nicht imstande war, der kriegsmüden Partei zu wehren, daß sie den beispiellosen Sieg ihm verdarb. Die gestellten Bedingungen waren mäßig genug: Rom solle die vertragswidrig angelegten Festungen – Cales und Fregellae – schleifen und den gleichen Bund mit Samnium erneuern. Nachdem die römischen Feldherren dieselben eingegangen waren und für die getreuliche Ausführung sechshundert aus der Reiterei erlesene Geiseln gestellt, überdies ihr und ihrer sämtlichen Stabsoffiziere Eideswort dafür verpfändet hatten, wurde das römische Heer entlassen, unverletzt, aber entehrt; denn das siegestrunkene samnitische Heer gewann es nicht über sich, den gehaßten Feinden die schimpfliche Form der Waffenstreckung und des Abzuges unter dem Galgen durch zu erlassen.

Allein der römische Senat, unbekümmert um den Eid der Offiziere und um das Schicksal der Geiseln, kassierte den Vertrag und begnügte sich diejenigen, die ihn abgeschlossen hatten, als persönlich für dessen Erfüllung verantwortlich dem Feinde auszuliefern. Es kann der unparteiischen Geschichte wenig darauf ankommen, ob die römische Advokaten- und Pfaffenkasuistik hierbei den Buchstaben des Rechts gewahrt oder der Beschluß des römischen Senats denselben verletzt hat; menschlich und politisch betrachtet trifft die Römer hier kein Tadel. Es ist ziemlich gleichgültig, ob nach formellem römischen Staatsrecht der kommandierende General befugt oder nicht befugt war, ohne vorbehaltene Ratifikation der Bürgerschaft Frieden zu schließen; dem Geiste und der Übung der Verfassung nach stand es vollkommen Fest, daß in Rom jeder nicht rein militärische Staatsvertrag zur Kompetenz der bürgerlichen Gewalten gehörte und ein Feldherr, der ohne Auftrag von Rat und Bürgerschaft Frieden schloß, mehr tat, als er tun durfte. Es war ein größerer Fehler des samnitischen Feldherrn, den römischen die Wahl zu stellen zwischen Rettung ihres Heeres und Überschreitung ihrer Vollmacht, als der römischen, daß sie nicht die Seelengröße hatten, die letztere Anmutung unbedingt zurückzuweisen; und daß der römische Senat einen solchen Vertrag verwarf, war recht und notwendig. Kein großes Volk gibt, was es besitzt, anders hin als unter dem Druck der äußersten Notwendigkeit; alle Abtretungsverträge sind Anerkenntnisse einer solchen, nicht sittliche Verpflichtungen. Wenn jede Nation mit Recht ihre Ehre darein setzt, schimpfliche Verträge mit den Waffen zu zerreißen, wie kann ihr dann die Ehre gebieten, an einem Vertrage gleich dem Caudinischen, zu dem ein unglücklicher Feldherr moralisch genötigt worden ist, geduldig festzuhalten, wenn die frische Schande brennt und die Kraft ungebrochen dasteht?

So brachte der Friedensvertrag von Caudium nicht die Ruhe, die die Friedensenthusiasten in Samnium törichterweise davon erhofft hatten, sondern nur Krieg und wieder Krieg, mit gesteigerter Erbitterung auf beiden Seiten durch die verscherzte Gelegenheit, das gebrochene feierliche Wort, die geschändete Waffenehre, die preisgegebenen Kameraden. Die ausgelieferten römischen Offiziere wurden von den Samniten nicht angenommen, teils weil sie zu groß dachten, um an diesen Unglücklichen ihre Rache zu üben, teils weil sie damit den Römern würden zugestanden haben, daß das Bündnis nur die Schwörenden verpflichtet habe, nicht den römischen Staat. Hochherzig verschonten sie sogar die Geiseln, deren Leben nach Kriegsrecht verwirkt war, und wandten sich vielmehr sogleich zum Waffenkampf. Luceria ward von ihnen besetzt, Fregellae überfallen und erstürmt (434 320), bevor die Römer die aufgelöste Armee wieder reorganisiert hatten; was man hätte erreichen können, wenn man den Vorteil nicht hätte aus den Händen fahren lassen, zeigt der Übertritt der Satricaner39 zu den Samniten. Aber Rom war nur augenblicklich gelähmt, nicht geschwächt; voll Scham und Erbitterung bot man dort auf, was man an Mannschaft und Mitteln vermochte und stellte den erprobtesten, als Soldat wie als Feldherr gleich ausgezeichneten Führer Lucius Papirius Cursor an die Spitze des neugebildeten Heeres. Dasselbe teilte sich; die eine Hälfte zog durch die Sabina und das adriatische Litoral vor Luceria, die andere ebendahin durch Samnium selbst, indem die letztere das samnitische Heer unter glücklichen Gefechten vor sich her trieb. Man traf wieder zusammen unter den Mauern von Luceria, dessen Belagerung um so eifriger betrieben ward, als dort die römischen Reiter gefangen saßen; die Apuler, namentlich die Arpaner, leisteten dabei den Römern wichtigen Beistand, vorzüglich durch Beschaffung der Zufuhr. Nachdem die Samniten zum Entsatz der Stadt eine Schlacht geliefert und verloren hatten, ergab sich Luceria den Römern (435 319): Papirius genoß die doppelte Freude, die verlorengegebenen Kameraden zu befreien und der samnitischen Besatzung von Luceria die Galgen von Caudium zu vergelten. In den folgenden Jahren (435-437 319-317) ward der Krieg nicht so sehr in Samnium geführt40 als in den benachbarten Landschaften. Zuerst züchtigten die Römer die samnitischen Verbündeten in dem apulischen und frentanischen Gebiet und schlossen mit den apulischen Teanensern und den Canusinern neue Bundesverträge ab. Gleichzeitig ward Satricum zur Botmäßigkeit zurückgebracht und schwer für seinen Abfall bestraft. Alsdann zog der Krieg sich nach Kampanien, wo die Römer die Grenzstadt gegen Samnium Saticula (vielleicht S. Agata de‘ Goti) eroberten (438 316). Jetzt aber schien hier das Kriegsglück sich wieder gegen sie wenden zu wollen. Die Samniten zogen die Nuceriner (438 316) und bald darauf die Nolaner auf ihre Seite; am oberen Liris vertrieben die Soraner selbst die römische Besatzung (439 315); eine Erhebung der Ausonen bereitete sich vor und bedrohte das wichtige Cales; selbst in Capua regten sich lebhaft die antirömisch Gesinnten. Ein samnitisches Heer rückte in Kampanien ein und lagerte vor der Stadt, in der Hoffnung, durch seine Nähe der Nationalpartei das Übergewicht zu geben (440 314). Allein Sora ward von den Römern sofort angegriffen und, nachdem die samnitische Entsatzarmee geschlagen war (440 314), wieder genommen. Die Bewegungen unter den Ausonen wurden mit grausamer Strenge unterdrückt, ehe der Aufstand recht zum Ausbruch kam, und gleichzeitig ein eigener Diktator ernannt, um die politischen Prozesse gegen die Führer der samnitischen Partei in Capua einzuleiten und abzuurteilen, so daß die namhaftesten derselben, um dem römischen Henker zu entgehen, freiwillig den Tod nahmen (440 314). Das samnitische Heer vor Capua ward geschlagen und zum Abzug aus Kampanien gezwungen; die Römer, dem Feinde auf den Fersen folgend, überschritten den Matese und lagerten im Winter 440 (314) vor der Hauptstadt Samniums Bovianum. Nola war von den Verbündeten preisgegeben; die Römer waren einsichtig genug, durch den günstigsten, dem neapolitanischen ähnlichen Bundesvertrag die Stadt für immer von der samnitischen Partei zu trennen (441 313). Fregellae, das seit der caudinischen Katastrophe in den Händen der antirömischen Partei und deren Hauptburg in der Landschaft am Liris gewesen war, fiel endlich auch, im achten Jahre nach der Einnahme durch die Samniten (441 313); zweihundert der Bürger, die vornehmsten der nationalen Partei, wurden nach Rom geführt und dort zum warnenden Beispiel für die überall sich regenden Patrioten auf offenem Markte enthauptet.

Hiermit waren Apulien und Kampanien in den Händen der Römer. Zur endlichen Sicherstellung und bleibenden Beherrschung des eroberten Gebietes wurden in den Jahren 440 bis 442 (314 bis 312) in demselben eine Anzahl neuer Festungen gegründet: Luceria in Apulien, wohin seiner isolierten und ausgesetzten Lage wegen eine halbe Legion als bleibende Besatzung gesandt ward, ferner Pontiae (die Ponzainseln) zur Sicherung der kampanischen Gewässer, Saticula an der kampanisch-samnitischen Grenze als Vormauer gegen Samnium, endlich Interamna (bei Monte Cassino) und Suessa Aurunca (Sessa) auf der Straße von Rom nach Capua. Besatzungen kamen außerdem nach Caiatia (Cajazzo), Sora und anderen militärisch wichtigen Plätzen. Die große Militärstraße von Rom nach Capua, die der Zensor Appius Claudius 442 (312) chaussieren und den dazu erforderlichen Damm durch die Pontinischen Sümpfe ziehen ließ, vollendete die Sicherung Kampaniens. Immer vollständiger entwickelten sich die Absichten der Römer; es galt die Unterwerfung Italiens, das durch das römische Festungs- und Straßennetz von Jahr zu Jahr enger umstrickt ward. Von beiden Seiten schon waren die Samniten von den Römern umsponnen; schon schnitt die Linie von Rom nach Luceria Nord- und Süditalien voneinander ab, wie einst die Festungen Norba und Signia die Volsker und Aequer getrennt hatten; und wie damals auf die Herniker, stützte Rom sich jetzt auf die Arpaner. Die Italiker mußten erkennen, daß es um ihrer aller Freiheit geschehen war, wenn Samnium unterlag, und daß es die allerhöchste Zeit war, dem tapferen Bergvolk, das nun schon fünfzehn Jahre allein den ungleichen Kampf gegen die Römer kämpfte, endlich mit gesamter Kraft zu Hilfe zu kommen.

Die nächsten Bundesgenossen der Samniten wären die Tarentiner gewesen; allein es gehört zu dem über Samnium und über Italien überhaupt waltenden Verhängnis, daß in diesem zukunftbestimmenden Augenblick die Entscheidung in den Händen dieser italischen Athener lag. Seit die ursprünglich nach alter dorischer Art streng aristokratische Verfassung Tarents in die vollständigste Demokratie übergegangen war, hatte in dieser hauptsächlich von Schiffern, Fischern und Fabrikanten bewohnten Stadt ein unglaublich reges Leben sich entwickelt; Sinn und Tun der mehr reichen als vornehmen Bevölkerung wehrte allen Ernst des Lebens in dem witzig und geistreich quirlenden Tagestreiben von sich ab und schwankte zwischen dem großartigsten Wagemut und der genialsten Erhebung und zwischen schandbarem Leichtsinn und kindischer Schwindelei. Es wird auch in diesem Zusammenhang, wo über das Sein oder Nichtsein hochbegabter und altberühmter Nationen die ernsten Lose fallen, nicht unstatthaft sein, daran zu erinnern, daß Platon, der etwa sechzig Jahre vor dieser Zeit (389) nach Tarent kam, seinem eigenen Zeugnis zufolge am Dionysienfest die ganze Stadt berauscht sah, und daß das parodische Possenspiel, die sogenannte „lustige Tragödie“ eben um die Zeit des großen samnitischen Krieges in Tarent geschaffen ward. Zu dieser Lotterwirtschaft und Lotterpoesie der Tarentiner Eleganten und Literaten liefert die Ergänzung die unstete, übermütige und kurzsichtige Politik der Tarentiner Demagogen, welche regelmäßig da sich beteiligten, wo sie nichts zu schaffen hatten, und da ausblieben, wo ihr nächstes Interesse sie hinrief. Sie hatten, als nach der caudinischen Katastrophe Römer und Samniten sich in Apulien gegenüberstanden, Gesandte dorthin geschickt, die beiden Parteien geboten, die Waffen niederzulegen (434 320). Diese diplomatische Intervention in dem italischen Entscheidungskampf konnte verständigerweise nichts sein als die Ankündigung, daß Tarent aus seiner bisherigen Passivität jetzt endlich herauszutreten entschlossen sei. Grund genug hatte es wahrlich dazu, wie schwierig und gefährlich es auch für Tarent selbst war, in diesen Krieg verwickelt zu werden: denn die demokratische Machtentwicklung des Staates hatte sich lediglich auf die Flotte geworfen, und während diese, gestützt auf die starke Handelsmarine Tarents, unter den großgriechischen Seemächten den ersten Rang einnahm, bestand die Landmacht, auf die es jetzt ankam, wesentlich aus gemieteten Söldnern und war in tiefem Verfall. Unter diesen Umständen war es für die tarentinische Republik keine leichte Aufgabe, an dem Kampf zwischen Rom und Samnium sich zu beteiligen, auch abgesehen von der wenigstens beschwerlichen Fehde, in welche die römische Politik die Tarentiner mit den Lucanern zu verwickeln gewußt hatte. Indes bei kräftigem Willen waren diese Schwierigkeiten wohl zu überwinden; und beide streitende Teile faßten die Aufforderung der tarentinischen Gesandten, mit dem Kampf einzuhalten, in diesem Sinne auf. Die Samniten als die Schwächeren zeigten sich bereit, derselben nachzukommen; die Römer antworteten durch die Aufsteckung des Zeichens zur Schlacht. Vernunft und Ehre geboten den Tarentinern, dem herrischen Gebot ihrer Gesandten jetzt die Kriegserklärung gegen Rom auf dem Fuße folgen zu lassen; allein in Tarent war eben weder diese noch jene am Regimente und man hatte dort bloß mit sehr ernsthaften Dingen sehr kindisch gespielt. Die Kriegserklärung gegen Rom erfolgte nicht; statt dessen unterstützte man lieber gegen Agathokles von Syrakus, der früher in tarentinischen Diensten gestanden hatte und in Ungnade entlassen worden war, die oligarchische Städtepartei in Sizilien und sandte, dem Beispiel Spartas folgend, eine Flotte nach der Insel, die in der kampanischen See bessere Dienste getan haben würde (440 314).

Energischer handelten die nord- und mittelitalischen Völker, die namentlich durch die Anlegung der Festung Luceria aufgerüttelt worden zu sein scheinen. Zuerst (443 311) schlugen die Etrusker los, deren Waffenstillstandsvertrag von 403 (351) schon einige Jahre früher zu Ende gegangen war. Die römische Grenzfestung Sutrium hatte eine zweijährige Belagerung auszuhalten, und in den heftigen Gefechten, die unter ihren Mauern geliefert wurden, zogen die Römer in der Regel den kürzeren, bis der Konsul des Jahres 444 (310), Quintus Fabius Rullianus, ein in den Samnitenkriegen erprobter Führer, nicht bloß im römischen Etrurien das Übergewicht der römischen Waffen wiederherstellte, sondern auch kühn eindrang in das eigentliche, durch die Verschiedenheit der Sprache und die geringen Kommunikationen den Römern bis dahin fast unbekannt gebliebene etruskische Land. Der Zug über den noch von keinem römischen Heer überschrittenen Ciminischen Wald und die Plünderung des reichen, lange von Kriegsnot verschont gebliebenen Gebiets brachte ganz Etrurien in Waffen; die römische Regierung, welche die tollkühne Expedition ernstlich mißbilligte und die Überschreitung der Grenze dem verwegenen Führer zu spät untersagt hatte, raffte, um dem erwarteten Ansturm der gesamten etruskischen Macht zu begegnen, in schleunigster Eile neue Legionen zusammen. Allein ein rechtzeitiger und entscheidender Sieg des Rullianus, die lange im Andenken des Volkes fortlebende Schlacht am Vadimonischen See, machte aus dem unvorsichtigen Beginnen eine gefeierte Heldentat und brach den Widerstand der Etrusker. Ungleich den Samniten, die nun schon seit achtzehn Jahren den ungleichen Kampf fochten, bequemten sich schon nach der ersten Niederlage drei der mächtigsten etruskischen Städte, Perusia, Cortona und Arretium, zu einem Sonderfrieden auf dreihundert (444 310) und, nachdem im folgenden Jahre die Römer noch einmal bei Perusia die übrigen Etrusker besiegt hatten, auch die Tarquinienser zu einem Frieden auf vierhundert Monate (446 308); worauf auch die übrigen Städte vom Kampfe abstanden und in Etrurien vorläufig Waffenruhe eintrat.

Während dieser Ereignisse hatte auch in Samnium der Krieg nicht geruht. Der Feldzug von 443 (311) beschränkte sich gleich den bisherigen auf die Belagerung und Erstürmung einzelner samnitischer Plätze; aber im nächsten Jahre nahm der Krieg eine lebhaftere Wendung. Rullianus‘ gefährliche Lage in Etrurien und die über die Vernichtung der römischen Nordarmee verbreiteten Gerüchte ermutigten die Samniten zu neuen Anstrengungen; der römische Konsul Gaius Marcius Rutilus wurde von ihnen besiegt und selber schwer verwundet. Aber der Umschwung der Dinge in Etrurien zerstörte die neu aufleuchtenden Hoffnungen. Wieder trat Lucius Papirius Cursor an die Spitze der gegen die Samniten gesandten römischen Truppen, und wieder blieb er Sieger in einer großen und entscheidenden Schlacht (445 309), zu der die Eidgenossen ihre letzten Kräfte angestrengt hatten; der Kern ihrer Armee, die Buntröcke mit den Gold-, die Weißröcke mit den Silberschilden wurden hier aufgerieben und die glänzenden Rüstungen derselben schmückten seitdem bei festlichen Gelegenheiten die Budenreihen längs des römischen Marktes. Immer höher stieg die Not, immer hoffnungsloser ward der Kampf. Im folgenden Jahre (446 308) legten die Etrusker die Waffen nieder; in ebendemselben ergab die letzte Stadt Kampaniens, die noch zu den Samniten hielt, Nuceria, zu Wasser und zu Lande gleichzeitig angegriffen, unter günstigen Bedingungen sich den Römern. Zwar fanden die Samniten neue Bundesgenossen an den Umbrern im nördlichen, an den Marsern und Paelignern im mittleren Italien, ja selbst von den Hernikern traten zahlreiche Freiwillige in ihre Reihen; allein was mit entscheidendem Gewicht gegen Rom in die Waagschale hätte fallen können, wenn die Etrusker noch unter Waffen gestanden hätten, vermehrte jetzt bloß die Erfolge des römischen Sieges, ohne denselben ernstlich zu erschweren. Den Umbrern, die Miene machten, einen Zug nach Rom zu unternehmen, verlegte Rullianus am oberen Tiber mit der Armee von Samnium den Weg, ohne daß die geschwächten Samniten es hätten hindern können, und dies genügte, um den umbrischen Landsturm zu zerstreuen. Der Krieg zog sich alsdann wieder nach Mittelitalien. Die Paeligner wurden besiegt, ebenso die Marser; wenngleich die übrigen sabellischen Stämme noch dem Namen nach Feinde der Römer blieben, stand doch allmählich Samnium von dieser Seite tatsächlich allein. Aber unerwartet kam ihnen Beistand aus dem Tibergebiet. Die Eidgenossenschaft der Herniker, wegen ihrer unter den samnitischen Gefangenen vorgefundenen Landsleute von den Römern zur Rede gestellt, erklärte diesen jetzt den Krieg (448 306) – mehr wohl aus Verzweiflung, als aus Berechnung. Es schlossen auch einige der bedeutendsten hernikischen Gemeinden von vornherein sich von der Kriegführung aus; aber Anagnia, weitaus die ansehnlichste Hernikerstadt, setzte die Kriegserklärung durch. Militärisch ward allerdings die augenblickliche Lage der Römer durch diesen unerwarteten Aufstand im Rücken der mit der Belagerung der Burgen von Samnium beschäftigten Armee in hohem Grade bedenklich. Noch einmal war den Samniten das Kriegsglück günstig; Sora und Caiatia fielen ihnen in die Hände. Allein die Anagniner unterlagen unerwartet schnell den von Rom ausgesandten Truppen, und rechtzeitig machten diese auch dem in Samnium stehenden Heere Luft; es war eben alles verloren. Die Samniten baten um Frieden, indes vergeblich; noch konnte man sich nicht einigen. Erst der Feldzug von 449 (305) brachte die letzte Entscheidung. Die beiden römischen Konsularheere drangen, Tiberius Minucius und nach dessen Fall Marcus Fulvius von Kampanien aus durch die Bergpässe, Lucius Postumius vom Adriatischen Meere her am Biferno hinauf, in Samnium ein, um hier vor der Hauptstadt des Landes, Bovianum, sich die Hand zu reichen; ein entscheidender Sieg ward erfochten, der samnitische Feldherr Statius Gellius gefangengenommen und Bovianum erstürmt. Der Fall des Hauptwaffenplatzes der Landschaft machte dem zweiundzwanzigjährigen Krieg ein Ende. Die Samniten zogen aus Sora und Arpinum ihre Besatzungen heraus und schickten Gesandte nach Rom, den Frieden zu erbitten; ihrem Beispiel folgten die sabellischen Stämme, die Marser, Marruciner, Paeligner, Frentaner, Vestiner, Picenter. Die Bedingungen, die Rom gewährte, waren leidlich; Gebietsabtretungen wurden zwar einzeln gefordert, zum Beispiel von den Paelignern, allein sehr bedeutend scheinen sie nicht gewesen zu sein. Das gleiche Bündnis zwischen den sabellischen Staaten und den Römern wurde erneuert (450 304).

Vermutlich um dieselbe Zeit und wohl infolge des samnitischen Friedens ward auch Friede gemacht zwischen Rom und Tarent. Unmittelbar zwar hatten beide Städte nicht gegeneinander im Felde gestanden; die Tarentiner hatten dem langen Kampfe zwischen Rom und Samnium von Anfang bis zu Ende untätig zugesehen und nur im Bunde mit den Sallentinern gegen die Bundesgenossen Roms, die Lucaner, die Fehde fortgesetzt. Zwar hatten sie in den letzten Jahren des Samnitischen Krieges noch einmal Miene gemacht nachdrücklicher aufzutreten. Teils die bedrängte Lage, in welche die unaufhörlichen lucanischen Angriffe sie selbst brachten, teils wohl auch das immer näher sich ihnen aufdrängende Gefühl, daß Samniums völlige Unterdrückung auch ihre eigene Unabhängigkeit bedrohe, hatten sie bestimmt, trotz der mit Alexander gemachten unerfreulichen Erfahrungen abermals einem Condottiere sich anzuvertrauen. Es kam auf ihren Ruf der spartanische Prinz Kleonymos mit fünftausend Söldnern, womit er eine ebenso starke, in Italien angeworbene Schar sowie die Zuzüge der Messapier, der kleineren Griechenstädte und vor allem das tarentinische Bürgerheer, 22 000 Mann stark, vereinigte. An der Spitze dieser ansehnlichen Armee nötigte er die Lucaner, mit Tarent Frieden zu machen und eine samnitisch gesinnte Regierung einzusetzen, wogegen freilich Metapont ihnen aufgeopfert ward. Noch standen die Samniten unter Waffen, als dies geschah; nichts hinderte den Spartaner, ihnen zu Hilfe zu kommen und das Gewicht seines starken Heeres und seiner Kriegskunst für die Freiheit der italischen Städte und Völker in die Waagschale zu werfen. Allein Tarent handelte nicht, wie Rom im gleichen Falle gehandelt haben würde; und Prinz Kleonymos selbst war auch nichts weniger als ein Alexander oder ein Pyrrhos. Er beeilte sich nicht, einen Krieg zu beginnen, bei dem mehr Schläge zu erwarten standen als Beute, sondern machte lieber mit den Lucanern gemeinschaftliche Sache gegen Metapont und ließ es in dieser Stadt sich wohl sein, während er redete von einem Zug gegen Agathokles von Syrakus und von der Befreiung der sizilischen Griechen. Darüber machten denn die Samniten Frieden; und als nach dessen Abschluß Rom anfing, sich um den Südosten der Halbinsel ernstlicher zu bekümmern und zum Beispiel im Jahre 447 (307) ein römischer Heerhaufen das Gebiet der Sallentiner brandschatzte oder vielmehr wohl in höherem Auftrag rekognoszierte, ging der spartanische Condottiere mit seinen Söldnern zu Schiff und überrumpelte die Insel Kerkyra, die vortrefflich gelegen war, um von dort aus gegen Griechenland und Italien Piratenzüge zu unternehmen. So von ihrem Feldherrn im Stich gelassen und zugleich ihrer Bundesgenossen im mittleren Italien beraubt, blieb den Tarentinern sowie den mit ihnen verbündeten Italikern, den Lucanern und Sallentinern, jetzt freilich nichts übrig, als mit Rom ein Abkommen nachzusuchen, das auf leidliche Bedingungen gewährt worden zu sein scheint. Bald nachher (451 303) ward sogar ein Einfall des Kleonymos, der im sallentinischen Gebiet gelandet war und Uria belagerte, von den Einwohnern mit römischer Hilfe abgeschlagen.

Roms Sieg war vollständig; und vollständig ward er benutzt. Daß den Samniten, den Tarentinern und den ferner wohnenden Völkerschaften überhaupt so mäßige Bedingungen gestellt wurden, war nicht Siegergroßmut, die die Römer nicht kannten, sondern kluge und klare Berechnung. Zunächst und vor allem kam es darauf an, nicht so sehr das südliche Italien so rasch wie möglich zur formellen Anerkennung der römischen Suprematie zu zwingen als die Unterwerfung Mittelitaliens, zu welcher durch die in Kampanien und Apulien schon während des letzten Krieges angelegten Militärstraßen und Festungen der Grund gelegt war, zu ergänzen und zu vollenden und die nördlichen und südlichen Italiker dadurch in zwei militärisch von jeder unmittelbaren Berührung miteinander abgeschnittene Massen auseinanderzusprengen. Darauf zielten denn auch die nächsten Unternehmungen der Römer mit energischer Konsequenz. Vor allen Dingen benutzte oder machte man die Gelegenheit, mit den in der Tiberlandschaft einstmals mit der römischen Einzelmacht rivalisierenden und noch nicht völlig beseitigten Eidgenossenschaften der Aequer und der Herniker aufzuräumen. In demselben Jahre, in welchem der Friede mit Samnium zustande kam (450 304), überzog der Konsul Publius Sempronius Sophus die Aequer mit Krieg; vierzig Ortschaften unterwarfen sich in fünfzig Tagen; das gesamte Gebiet mit Ausnahme des engen und rauhen Bergtals, das noch heute den alten Volksnamen trägt (Cicolano), wurde römischer Besitz und hier am Nordrand des Fuciner Sees im Jahre darauf die Festung Alba mit einer Besatzung von 6000 Mann gegründet, fortan die Vormauer gegen die streitbaren Marser und die Zwingburg Mittelitaliens; ebenso zwei Jahre darauf am oberen Turano, näher an Rom, Carsioli, beide als Bundesgemeinden latinischen Rechts.

Daß von den Hernikern wenigstens Anagnia sich an dem letzten Stadium des Samnitischen Krieges beteiligt hatte, gab den erwünschten Grund, das alte Bundesverhältnis zu lösen. Das Schicksal der Anagniner war natürlicherweise bei weitem härter als dasjenige, welches ein Menschenalter zuvor den latinischen Gemeinden im gleichen Fall bereitet worden war. Sie mußten nicht bloß wie diese das römische Passivbürgerrecht sich gefallen lassen, sondern verloren auch gleich den Caeriten die eigene Verwaltung; auf einem Teile ihres Gebiets am oberen Trerus (Sacco) wurde überdies ein neuer Bürgerbezirk sowie gleichzeitig ein anderer am unteren Anio eingerichtet (455 299). Man bedauerte nur, daß die drei nächst Anagnia bedeutendsten hernikischen Gemeinden Aletrium, Verulae und Ferentinum nicht auch abgefallen waren; denn da sie die Zumutung, freiwillig in den römischen Bürgerverband einzutreten, höflich ablehnten und jeder Vorwand, sie dazu zu nötigen, mangelte, mußte man ihnen wohl nicht bloß die Autonomie, sondern selbst das Recht der Tagsatzung und der Ehegemeinschaft auch ferner zugestehen und damit noch einen Schatten der alten hernikischen Eidgenossenschaft übrig lassen.

In dem Teil der volskischen Landschaft, welchen bis dahin die Samniten im Besitz gehabt, banden ähnliche Rücksichten nicht. Hier wurden Arpinum und Frusino untertänig und die letztere Stadt eines Drittels ihrer Feldmark beraubt, ferner am oberen Liris neben Fregellae die schon früher mit Besatzung belegte Volskerstadt Sora jetzt auf die Dauer in eine latinische Festung verwandelt und eine Legion von 4000 Mann dahin gelegt. So war das alte Volskergebiet vollständig unterworfen und ging seiner Romanisierung mit raschen Schritten entgegen. In die Landschaft, welche Samnium und Etrurien scheidet, wurden zwei Militärstraßen hineingeführt und beide durch Festungen gesichert. Die nördliche, aus der später die Flaminische wurde, deckte die Tiberlinie; sie führte durch das mit Rom verbündete Ocriculum nach Narnia, wie die Römer die alte umbrische Feste Nequinum umnannten, als sie dort eine Militärkolonie anlegten (455 299). Die südliche, die spätere Valerische, lief an den Fuciner See über die eben erwähnten Festungen Carsioli und Alba. Die kleinen Völkerschaften, in deren Gebiet diese Anlagen stattfanden, die Umbrer, die Nequinum hartnäckig verteidigten, die Aequer, die noch einmal Alba, die Marser, die Carsioli überfielen, konnten Rom in seinem Gang nicht aufhalten; fast ungehindert schoben jene beiden mächtigen Riegel sich zwischen Samnium und Etrurien. Der großen Straßen- und Festungsanlagen zur bleibenden Sicherung Apuliens und vor allem Kampaniens wurde schon gedacht; durch sie ward Samnium weiter nach Osten und Westen von dem römischen Festungsnetz umstrickt. Bezeichnend für die verhältnismäßige Schwäche Etruriens ist es, daß man es nicht notwendig fand, die Pässe durch den Ciminischen Wald in gleicher Weise durch eine Chaussee und angemessene Festungen zu sichern. Die bisherige Grenzfestung Sutrium blieb hier auch ferner der Endpunkt der römischen Militärlinie und man begnügte sich damit, die Straße von dort nach Arretium durch die beikommenden Gemeinden in militärisch brauchbarem Stande halten zu lassen41.

Die hochherzige samnitische Nation begriff es, daß ein solcher Friede verderblicher war als der verderblichste Krieg, und, was mehr ist, sie handelte danach. Eben fingen in Norditalien die Kelten nach langer Waffenruhe wieder an sich zu regen; noch standen ferner daselbst einzelne etruskische Gemeinden gegen die Römer unter den Waffen und es wechselten hier kurze Waffenstillstände mit heftigen, aber erfolglosen Gefechten. Noch war ganz Mittelitalien in Gärung und zum Teil in offenem Aufstand; noch waren die Festungen in der Anlage begriffen, der Weg zwischen Etrurien und Samnium noch nicht völlig gesperrt. Vielleicht war es noch nicht zu spät, die Freiheit zu retten; aber man durfte nicht säumen: die Schwierigkeit des Angriffs stieg, die Macht der Angreifer sank mit jedem Jahre des verlängerten Friedens. Kaum fünf Jahre hatten die Waffen geruht und noch mußten all die Wunden bluten, welche der zweiundzwanzigjährige Krieg den Bauernschaften Samniums geschlagen hatte, als im Jahre 456 (298) die samnitische Eidgenossenschaft den Kampf erneuerte. Den letzten Krieg hatte wesentlich Lucaniens Verbindung mit Rom und die dadurch mitveranlaßte Fernhaltung Tarents zu Gunsten Roms entschieden; dadurch belehrt, warfen die Samniten jetzt sich zuvörderst mit aller Macht auf die Lucaner und brachten hier in der Tat ihre Partei ans Ruder und ein Bündnis zwischen Samnium und Lucanien zum Abschluß. Natürlich erklärten die Römer sofort den Krieg; in Samnium hatte man es nicht anders erwartet. Es bezeichnet die Stimmung, daß die samnitische Regierung den römischen Gesandten die Anzeige machte, sie sei nicht imstande, für ihre Unverletzlichkeit zu bürgen, wenn sie samnitisches Gebiet beträten.

Der Krieg begann also von neuem (456 298), und während ein zweites Heer in Etrurien focht, durchzog die römische Hauptarmee Samnium und zwang die Lucaner Frieden zu machen und Geiseln nach Rom zu senden. Das folgende Jahr konnten beide Konsuln nach Samnium sich wenden; Rullianus siegte bei Tifernum, sein treuer Waffengefährte Publius Decius Mus bei Maleventum, und fünf Monate hindurch lagerten zwei römische Heere in Feindesland. Es war das möglich, weil die tuskischen Staaten auf eigene Hand mit Rom Friedensverhandlungen angeknüpft hatten. Die Samniten, welche von Haus aus in der Vereinigung ganz Italiens gegen Rom die einzige Möglichkeit des Sieges gesehen haben müssen, boten das Äußerste auf, um den drohenden Sonderfrieden zwischen Etrurien und Rom abzuwenden; und als endlich ihr Feldherr Gellius Egnatius den Etruskern in ihrem eigenen Lande Hilfe zu bringen anbot, verstand sich in der Tat der etruskische Bundesrat dazu, auszuharren und noch einmal die Entscheidung der Waffen anzurufen. Samnium machte die gewaltigsten Anstrengungen, um drei Heere zugleich ins Feld zu stellen, das eine bestimmt zur Verteidigung des eigenen Gebiets, das zweite zum Einfall in Kampanien, das dritte und stärkste nach Etrurien; und wirklich gelangte im Jahre 458 (296) das letzte, geführt von Egnatius selbst, durch das marsische und das umbrische Gebiet, deren Bewohner im Einverständnis waren, ungefährdet nach Etrurien. Die Römer nahmen während dessen einige feste Plätze in Samnium und brachen den Einfluß der samnitischen Partei in Lucanien; den Abmarsch der von Egnatius geführten Armee wußten sie nicht zu verhindern. Als man in Rom die Kunde empfing, daß es den Samniten gelungen sei, all die ungeheuren, zur Trennung der südlichen Italiker von den nördlichen gemachten Anstrengungen zu vereiteln, daß das Eintreffen der samnitischen Scharen in Etrurien das Signal zu einer fast allgemeinen Schilderhebung gegen Rom geworden sei, daß die etruskischen Gemeinden aufs eifrigste arbeiteten, ihre eigenen Mannschaften kriegsfertig zu machen und gallische Scharen in Sold zu nehmen, da ward auch in Rom jeder Nerv angespannt, Freigelassene und Verheiratete in Kohorten formiert – man fühlte hüben und drüben, daß die Entscheidung bevorstand. Das Jahr 458 (296) jedoch verging, wie es scheint, mit Rüstungen und Märschen. Für das folgende (459 295) stellten die Römer ihre beiden besten Generale, Publius Decius Mus und den hochbejahrten Quintus Fabius Rullianus, an die Spitze der Armee in Etrurien, welche mit allen in Kampanien irgend entbehrlichen Truppen verstärkt ward und wenigstens 60000 Mann, darunter über ein Drittel römische Vollbürger, zählte; außerdem ward eine zwiefache Reserve gebildet, die erste bei Falerii, die zweite unter den Mauern der Hauptstadt. Der Sammelplatz der Italiker war Umbrien, wo die Straßen aus dem gallischen, etruskischen und sabellischen Gebiet zusammenliefen; nach Umbrien ließen auch die Konsuln teils am linken, teils am rechten Ufer des Tiber hinauf ihre Hauptmacht abrücken, während zugleich die erste Reserve eine Bewegung gegen Etrurien machte, um womöglich die etruskischen Truppen von dem Platz der Entscheidung zur Verteidigung der Heimat abzurufen. Das erste Gefecht lief nicht glücklich für die Römer ab; ihre Vorhut ward von den vereinigten Galliern und Samniten in dem Gebiet von Chiusi geschlagen. Aber jene Diversion erreichte ihren Zweck; minder hochherzig als die Samniten, die durch die Trümmer ihrer Städte hindurchgezogen waren, um auf der rechten Walstatt nicht zu fehlen, entfernte sich auf die Nachricht von dem Einfall der römischen Reserve in Etrurien ein großer Teil der etruskischen Kontingente von der Bundesarmee, und die Reihen derselben waren sehr gelichtet, als es am östlichen Abhang des Apennin bei Sentinum zur entscheidenden Schlacht kam. Dennoch war es ein heißer Tag. Auf dem rechten Flügel der Römer, wo Rullianus mit seinen beiden Legionen gegen das samnitische Heer stritt, stand die Schlacht lange ohne Entscheidung. Auf dem linken, den Publius Decius befehligte, wurde die römische Reiterei durch die gallischen Streitwagen in Verwirrung gebracht, und schon begannen hier auch die Legionen zu weichen. Da rief der Konsul den Priester Marcus Livius heran und hieß ihn zugleich das Haupt des römischen Feldherrn und das feindliche Heer den unterirdischen Göttern weihen; alsdann in den dichtesten Haufen der Gallier sich stürzend suchte und fand er den Tod. Diese heldenmütige Verzweiflung des hohen Mannes, des geliebten Feldherrn, war nicht vergeblich. Die fliehenden Soldaten standen wieder, die Tapfersten warfen dem Führer nach sich in die feindlichen Reihen, um ihn zu rächen oder mit ihm zu sterben; und eben im rechten Augenblicke erschien, von Rullianus gesendet, der Konsular Lucius Scipio mit der römischen Reserve auf dem gefährdeten linken Flügel. Die vortreffliche kampanische Reiterei, die den Galliern in die Flanke und den Rücken fiel, gab hier den Ausschlag; die Gallier flohen, und endlich wichen auch die Samniten, deren Feldherr Egnatius am Tore des Lagers fiel. 9000 Römer bedeckten die Walstatt; aber der teuer erkaufte Sieg war solchen Opfers wert. Das Koalitionsheer löste sich auf und damit die Koalition selbst; Umbrien blieb in römischer Gewalt, die Gallier verliefen sich, der Überrest der Samniten, noch immer in geschlossener Ordnung, zog durch die Abruzzen ab in die Heimat. Kampanien, das die Samniten während des etruskischen Krieges überschwemmt hatten, ward nach dessen Beendigung mit leichter Mühe wieder von den Römern besetzt. Etrurien bat im folgenden Jahre 460 (294) um Frieden; Volsinii, Perusia, Arretium und wohl überhaupt alle dem Bunde gegen Rom beigetretenen Städte gelobten Waffenruhe auf vierhundert Monate. Aber die Samniten dachten anders: sie rüsteten sich zur hoffnungslosen Gegenwehr mit jenem Mute freier Männer, der das Glück zwar nicht zwingen, aber beschämen kann. Als im Jahre 460 (294) die beiden Konsularheere in Samnium einrückten, stießen sie überall auf den erbittertsten Widerstand; ja, Marcus Atilius erlitt eine Schlappe bei Luceria, und die Samniten konnten in Kampanien eindringen und das Gebiet der römischen Kolonie Interamna am Liris verwüsten. Im Jahre darauf lieferten Lucius Papirius Cursor, der Sohn des Helden des ersten Samnitischen Krieges, und Spurius Carvilius bei Aquilonia eine große Feldschlacht gegen das samnitische Heer, dessen Kern, die 16 000 Weißröcke, mit heiligem Eide geschworen hatte, den Tod der Flucht vorzuziehen. Indes das unerbittliche Schicksal fragt nicht nach Schwüren und verzweifeltem Flehen; der Römer siegte und stürmte die Festen, in die die Samniten sich und ihre Habe geflüchtet hatten. Selbst nach dieser großen Niederlage wehrten sich die Eidgenossen gegen den immer übermächtigeren Feind noch jahrelang mit beispielloser Ausdauer in ihren Burgen und Bergen und erfochten noch manchen Vorteil im einzelnen; des alten Rullianus erprobter Arm ward noch einmal (462 292) gegen sie aufgeboten, und Gavius Pontius, vielleicht der Sohn des Siegers von Caudium, erfocht sogar für sein Volk einen letzten Sieg, den die Römer niedrig genug an ihm rächten, indem sie ihn, als er später gefangen ward, im Kerker hinrichten ließen (463 291). Aber nichts regte sich weiter in Italien; denn der Krieg, den Falerii 461 (293) begann, verdient kaum diesen Namen. Wohl mochte man in Samnium sehnsüchtig die Blicke wenden nach Tarent, das allein noch imstande war, Hilfe zu gewähren; aber sie blieb aus. Es waren dieselben Ursachen wie früher, welche die Untätigkeit Tarents herbeiführten: das innere Mißregiment und der abermalige Übertritt der Lucaner zur römischen Partei im Jahre 456 (298); hinzu kam noch die nicht ungegründete Furcht vor Agathokles von Syrakus, der eben damals auf dem Gipfel seiner Macht stand und anfing, sich gegen Italien zu wenden. Um das Jahr 455 (299) setzte dieser auf Kerkyra sich fest, von wo Kleonymos durch Demetrios den Belagerer vertrieben war und bedrohte nun vom Adriatischen wie vom Ionischen Meere her die Tarentiner. Die Abtretung der Insel an König Pyrrhos von Epeiros im Jahre 459 (295) beseitigte allerdings zum großen Teil die gehegten Besorgnisse; allein die kerkyräischen Angelegenheiten fuhren fort, die Tarentiner zu beschäftigen, wie sie denn im Jahre 464 (290) den König Pyrrhos im Besitz der Insel gegen Demetrios schützen halfen, und ebenso hörte Agathokles nicht auf, durch seine italische Politik die Tarentiner zu beunruhigen. Als er starb (465 289) und mit ihm die Macht der Syrakusaner in Italien zugrunde ging, war es zu spät; Samnium, des siebenunddreißigjährigen Kampfes müde, hatte das Jahr vorher (464 290) mit dem römischen Konsul Manius Curius Dentatus Friede geschlossen und der Form nach den Bund mit Rom erneuert. Auch diesmal wurden, wie im Frieden von 450 (304) dem tapferen Volke von den Römern keine schimpflichen oder vernichtenden Bedingungen gestellt; nicht einmal Gebietsabtretungen scheinen stattgefunden zu haben. Die römische Staatsklugheit zog es vor, auf dem bisher eingehaltenen Wege fortzuschreiten, und ehe man an die unmittelbare Eroberung des Binnenlandes ging, zunächst das kampanische und adriatische Litoral fest und immer fester an Rom zu knüpfen. Kampanien zwar war längst untertänig; allein die weitblickende römische Politik fand es nötig, zur Sicherung der kampanischen Küste dort zwei Strandfestungen anzulegen, Minturnae und Sinuessa (459 295), deren neue Bürgerschaften nach dem für Küstenkolonien feststehenden Grundsatz in das volle römische Bürgerrecht eintraten. Energischer noch ward die Ausdehnung der römischen Herrschaft in Mittelitalien gefördert. Wie die Unterwerfung der Aequer und Herniker die unmittelbare Folge des Ersten Samnitischen Krieges war, so schloß sich an das Ende des Zweiten diejenige der Sabiner. Derselbe Feldherr, der die Samniten schließlich bezwang, Manius Curius, brach in demselben Jahre (464 290) den kurzen und ohnmächtigen Widerstand derselben und zwang die Sabiner zur unbedingten Ergebung. Ein großer Teil des unterworfenen Gebiets wurde von den Siegern unmittelbar in Besitz genommen und an römische Bürger ausgeteilt, den übrigbleibenden Gemeinden Cures, Reate, Amiternum, Nursia das römische Untertanenrecht (civitas sine suffragio) aufgezwungen. Bundesstädte gleichen Rechts wurden hier nicht gegründet; die Landschaft kam vielmehr unter die unmittelbare Herrschaft Roms, die sich also ausdehnte bis zum Apennin und den umbrischen Bergen. Aber schon beschränkte man sich nicht auf das Gebiet diesseits der Berge; der letzte Krieg hatte allzu deutlich gezeigt, daß die römische Herrschaft über Mittelitalien nur gesichert war, wenn sie von Meer zu Meer reichte. Die Festsetzung der Römer jenseits des Apennin beginnt mit der Anlegung der starken Festung Hatria (Atri) im Jahre 465 (289), an der nördlichen Abdachung der Abruzzen gegen die picenische Ebene, nicht unmittelbar an der Küste und daher latinischen Rechts, aber dem Meere nah und der Schlußstein des gewaltigen, Nord- und Süditalien trennenden Keils. Ähnlicher Art und von noch größerer Bedeutung war die Gründung von Venusia (463 291), wohin die unerhörte Zahl von 20000 Kolonisten geführt ward; die Stadt, an der Markscheide von Samnium, Apulien und Lucanien, auf der großen Straße zwischen Tarent und Samnium in einer ungemein festen Stellung gegründet, war bestimmt, die Zwingburg der umwohnenden Völkerschaften zu sein und vor allen Dingen zwischen den beiden mächtigsten Feinden Roms im südlichen Italien die Verbindung zu unterbrechen. Ohne Zweifel ward zu gleicher Zeit auch die Südstraße, die Appius Claudius bis nach Capua geführt hatte, von dort weiter bis nach Venusia verlängert. So erstreckte sich, als die Samnitischen Kriege zu Ende gingen, das geschlossene, das heißt fast ausschließlich aus Gemeinden römischen oder latinischen Rechts bestehende Gebiet Roms nordwärts bis zum Ciminischen Walde, östlich bis in die Abruzzen und an das Adriatische Meer, südlich bis nach Capua, während die beiden vorgeschobenen Posten Luceria und Venusia, gegen Osten und Süden auf den Verbindungslinien der Gegner angelegt, dieselben nach allen Richtungen hin isolierten. Rom war nicht mehr bloß die erste, sondern bereits die herrschende Macht auf der Halbinsel, als gegen das Ende des fünften Jahrhunderts der Stadt diejenigen Nationen, welche die Gunst der Götter und die eigene Tüchtigkeit jede in ihrer Landschaft an die Spitze gerufen hatten, im Rat und auf dem Schlachtfeld sich einander zu nähern begannen und, wie in Olympia die vorläufigen Sieger zu dem zweiten und ernsteren Kampf, so auf der größeren Völkerringstatt jetzt Karthago, Makedonien und Rom sich anschickten zu dem letzten und entscheidenden Wettgang.

  1. Es wird nicht überflüssig sein, daran zu erinnern, daß, was über Archidamos und Alexander bekannt ist, aus griechischen Jahrbüchern herrührt und der Synchronismus dieser und der römischen für die gegenwärtige Epoche noch bloß approximativ festgestellt ist. Man hüte sich daher, den im allgemeinen unverkennbaren Zusammenhang der west- und der ostitalischen Ereignisse zu sehr ins einzelne verfolgen zu wollen.
  2. Es sind dies nicht die Einwohner von Satricum bei Antium, sondern die einer anderen volskischen, damals als römische Bürgergemeinde ohne Stimmrecht konstituierten Stadt bei Arpinum.
  3. Daß zwischen den Römern und Samniten 436, 437 (318, 317) ein förmlicher zweijähriger Waffenstillstand bestanden habe, ist mehr als unwahrscheinlich.
  4. Die Operationen in dem Feldzug 537 (217) und bestimmter noch die Anlage der Chaussee von Arretium nach Bononia 567 (187) zeigen, daß schon vor dieser Zeit die Straße von Rom nach Arretium instand gesetzt worden ist. Allein eine römische Militärchaussee kann sie in dieser Zeit dennoch nicht gewesen sein, da sie, nach ihrer späteren Benennung der „Cassischen Straße“ zu schließen, als via consularis nicht früher angelegt sein kann als 583 (171); denn zwischen Spurius Cassius, Konsul 252, 261, 268 (502, 493, 486), an den natürlich nicht gedacht werden darf, und Gaius Cassius Longinus, Konsul 583 (171), erscheint kein Cassier in den römischen Konsuln- und Zensorenlisten.

7. Kapitel


7. Kapitel

König Pyrrhos gegen Rom und die Einigung Italiens

In der Zeit der unbestrittenen Weltherrschaft Roms pflegten die Griechen ihre römischen Herren damit zu ärgern, daß sie als die Ursache der römischen Größe das Fieber bezeichneten, an welchem Alexander von Makedonien den 11. Juni 431 (323) in Babylon verschied. Da es nicht allzu tröstlich war, das Geschehene zu überdenken, verweilte man nicht ungern mit den Gedanken bei dem, was hätte kommen mögen, wenn der große König, wie es seine Absicht gewesen sein soll, als er starb, sich gegen Westen gewendet und mit seiner Flotte den Karthagern das Meer, mit seinen Phalangen den Römern die Erde streitig gemacht haben würde. Unmöglich ist es nicht, daß Alexander mit solchen Gedanken sich trug; und man braucht auch nicht, um sie zu erklären, bloß darauf hinzuweisen, daß ein Autokrat, der kriegslustig und mit Soldaten und Schiffen versehen ist, nur schwer die Grenze seiner Kriegführung findet. Es war eines griechischen Großkönigs würdig, die Sikelioten gegen Karthago, die Tarentiner gegen Rom zu schützen und dem Piratenwesen auf beiden Meeren ein Ende zu machen; die italischen Gesandtschaften, die in Babylon neben zahllosen andern erschienen, der Brettier, Lucaner, Etrusker42, böten Gelegenheit genug, die Verhältnisse der Halbinsel kennenzulernen und Beziehungen dort anzuknüpfen. Karthago mit seinen vielfachen Verbindungen im Orient mußte den Blick des gewaltigen Mannes notwendig auf sich ziehen, und wahrscheinlich lag es in seinen Absichten, die nominelle Herrschaft des Perserkönigs über die tyrische Kolonie in eine wirkliche umzuwandeln; nicht umsonst fand sich ein aus Karthago gesandter Spion in der unmittelbaren Umgebung Alexanders. Indes mochten dies Träume oder Pläne sein, der König starb, ohne mit den Angelegenheiten des Westens sich beschäftigt zu haben, und jene Gedanken gingen mit ihm zu Grabe. Nur wenige kurze Jahre hatte ein griechischer Mann die ganze intellektuelle Kraft des Hellenentums, die ganze materielle Fülle des Ostens vereinigt in seiner Hand gehalten; mit seinem Tode ging zwar das Werk seines Lebens, die Gründung des Hellenismus im Orient, keineswegs zugrunde, wohl aber spaltete sich sofort das kaum geeinigte Reich und unter dem steten Hader der verschiedenen, aus diesen Trümmern sich bildenden Staaten ward ihrer aller weltgeschichtliche Bestimmung, die Propaganda der griechischen Kultur im Osten zwar nicht aufgegeben, aber abgeschwächt und verkümmert. Bei solchen Verhältnissen konnten weder die griechischen noch die asiatisch-ägyptischen Staaten daran denken, im Okzident festen Fuß zu fassen und gegen die Römer oder die Karthager sich zu wenden. Das östliche und das westliche Staatensystem bestanden nebeneinander, ohne zunächst politisch ineinanderzugreifen; und namentlich Rom blieb den Verwicklungen der Diadochenperiode wesentlich fremd. Nur Beziehungen ökonomischer Art stellten sich fest; wie denn zum Beispiel der rhodische Freistaat, der vornehmste Vertreter einer neutralen Handelspolitik in Griechenland und daher der allgemeine Vermittler des Verkehrs in einer Zeit ewiger Kriege, um das Jahr 448 (306) einen Vertrag mit Rom abschloß, natürlich einen Handelstraktat, wie er begreiflich ist zwischen einem Kaufmannsvolk und den Herren der caeritischen und kampanischen Küste. Auch bei der Söldnerlieferung, die von dem allgemeinen Werbeplatz der damaligen Zeit, von Hellas aus nach Italien und namentlich nach Tarent ging, wirkten die politischen Beziehungen, die zum Beispiel zwischen Tarent und dessen Mutterstadt Sparta bestanden, nur in sehr untergeordneter Weise mit; im ganzen waren die Werbungen nichts als kaufmännische Geschäfte, und Sparta, obwohl es regelmäßig den Tarentinern zu den italischen Kriegen die Hauptleute lieferte, trat mit den Italikern darum so wenig in Fehde wie im nordamerikanischen Freiheitskrieg die deutschen Staaten mit der Union, deren Gegnern sie ihre Untertanen verkauften.

Nichts anderes als ein abenteuernder Kriegshauptmann war auch König Pyrrhos von Epeiros; er war darum nicht minder ein Glücksritter, daß er seinen Stammbaum zurückführte auf Äakos und Achilleus und daß er, wäre er friedlicher gesinnt gewesen, als „König“ über ein kleines Bergvolk unter makedonischer Oberherrlichkeit oder auch allenfalls in isolierter Freiheit hätte leben und sterben können. Man hat ihn wohl verglichen mit Alexander von Makedonien; und allerdings die Gründung eines westhellenischen Reiches, dessen Kern Epeiros, Großgriechenland, Sizilien gebildet hätten, das die beiden italischen Meere beherrscht und Rom wie Karthago in die Reihe der barbarischen Grenzvölker des hellenistischen Staatensystems, der Kelten und Inder gedrängt haben würde – dieser Gedanke ist wohl groß und kühn wie derjenige, der den makedonischen König über den Hellespont führte. Aber nicht bloß der verschiedene Ausgang unterscheidet den östlichen und den westlichen Heerzug. Alexander konnte mit seiner makedonischen Armee, in der namentlich der Stab vorzüglich war, dem Großkönig vollkommen die Spitze bieten; aber der König von Epeiros, das neben Makedonien stand etwa wie Hessen neben Preußen, erhielt eine nennenswerte Armee nur durch Söldner und durch Bündnisse, die auf zufälligen politischen Kombinationen beruhten. Alexander trat im Perserreich auf als Eroberer, Pyrrhos in Italien als Feldherr einer Koalition von Sekundärstaaten; Alexander hinterließ sein Erbland vollkommen gesichert durch die unbedingte Untertänigkeit Griechenlands und das starke, unter Antipater zurückbleibende Heer, Pyrrhos bürgte für die Integrität seines eigenen Gebietes nichts als das Wort eines zweifelhaften Nachbarn. Für beide Eroberer hörte, wenn ihre Pläne gelangen, die Heimat notwendig auf, der Schwerpunkt des neuen Reiches zu sein; allein eher noch war es ausführbar, den Sitz der makedonischen Militärmonarchie nach Babylon zu verlegen als in Tarent oder Syrakus eine Soldatendynastie zu gründen. Die Demokratie der griechischen Republiken, so sehr sie eine ewige Agonie war, ließ sich in die straffen Formen des Militärstaats nun einmal nicht zurückzwingen; Philipp wußte wohl, warum er die griechischen Republiken seinem Reich nicht einverleibte. Im Orient war ein nationaler Widerstand nicht zu erwarten; herrschende und dienende Stämme lebten dort seit langem nebeneinander und der Wechsel des Despoten war der Masse der Bevölkerung gleichgültig oder gar erwünscht. Im Okzident konnten die Römer, die Samniten, die Karthager auch überwunden werden; aber kein Eroberer hätte es vermocht, die Italiker in ägyptische Fellahs zu verwandeln oder aus den römischen Bauern Zinspflichtige hellenischer Barone zu machen. Was man auch ins Auge faßt, die eigene Macht, die Bundesgenossen, die Kräfte der Gegner – überall erscheint der Plan des Makedoniers als eine ausführbare, der des Epeiroten als eine unmögliche Unternehmung; jener als die Vollziehung einer großen geschichtlichen Aufgabe, dieser als ein merkwürdiger Fehlgriff; jener als die Grundlegung zu einem neuen Staatensystem und einer neuen Phase der Zivilisation, dieser als eine geschichtliche Episode. Alexanders Werk überlebte ihn, obwohl der Schöpfer zur Unzeit starb; Pyrrhos sah mit eigenen Augen das Scheitern aller seiner Pläne, ehe der Tod ihn abrief. Sie beide waren kühne und große Naturen, aber Pyrrhos nur der erste Feldherr, Alexander vor allem der genialste Staatsmann seiner Zeit; und wenn es die Einsicht in das Mögliche und Unmögliche ist, die den Helden vom Abenteurer scheidet, so muß Pyrrhos diesen zugezählt und darf seinem größeren Verwandten sowenig zur Seite gestellt werden wie etwa der Connetable von Bourbon Ludwig dem Elften.

Und dennoch knüpft sich ein wunderbarer Zauber an den Namen des Epiroten, eine eigene Teilnahme, die allerdings zum Teil der ritterlichen und liebenswürdigen Persönlichkeit desselben, aber mehr doch noch dem Umstande gilt, daß er der erste Grieche ist, der den Römern im Kampfe gegenübertritt. Mit ihm beginnen jene unmittelbaren Beziehungen zwischen Rom und Hellas, auf denen die ganze spätere Entfaltung der antiken Zivilisation und ein wesentlicher Teil der modernen beruht. Der Kampf zwischen Phalangen und Kohorten, zwischen der Söldnerarmee und der Landwehr, zwischen dem Heerkönigtum und dem Senatorenregiment, zwischen dem individuellen Talent und der nationalen Kraft – dieser Kampf zwischen Rom und dem Hellenismus ward zuerst durchgefochten in den Schlachten zwischen Pyrrhos und den römischen Feldherren; und wenn auch die unterliegende Partei noch oft nachher appelliert hat an neue Entscheidung der Waffen, so hat doch jeder spätere Schlachttag das Urteil lediglich bestätigt. Wenn aber auf der Walstatt wie in der Kurie die Griechen unterliegen, so ist ihr Übergewicht nicht minder entschieden in jedem anderen, nicht politischen Wettkampf, und eben schon diese Kämpfe lassen es ahnen, daß der Sieg Roms über die Hellenen ein anderer sein wird als der über Gallier und Phöniker, und daß Aphroditens Zauber erst zu wirken beginnt, wenn die Lanze zersplittert und Helm und Schild beiseite gelegt ist.

König Pyrrhos war der Sohn des Äakides, des Herrn der Molosser (um Janina), welcher, von Alexander geschont als Verwandter und getreuer Lehnsmann, nach dessen Tode in den Strudel der makedonischen Familienpolitik hineingerissen ward und darin zuerst sein Reich und dann das Leben verlor (441 313). Sein damals sechsjähriger Sohn ward von dem Herrn der illyrischen Taulantier, Glaukias, gerettet und im Laufe der Kämpfe um Makedoniens Besitz, noch ein Knabe, von Demetrios dem Belagerer wieder zurückgeführt in sein angestammtes Fürstentum (447 307), um es nach wenigen Jahren durch den Einfluß der Gegenpartei wieder einzubüßen (um 452 302) und als landflüchtiger Fürstensohn im Gefolge der makedonischen Generale seine militärische Laufbahn zu beginnen. Bald machte seine Persönlichkeit sich geltend. Unter Antigonos machte er dessen letzte Feldzüge mit; der alte Marschall Alexanders hatte seine Freude an dem geborenen Soldaten, dem nach dem Urteile des ergrauten Feldherrn nur die Jahre fehlten um schon jetzt der erste Kriegsmann der Zeit zu sein. Die unglückliche Schlacht bei Ipsos brachte ihn als Geisel nach Alexandreia an den Hof des Gründers der Lagidendynastie, wo er durch sein kühnes und derbes Wesen, seinen alles nicht Militärische gründlich verachtenden Soldatensinn nicht minder des staatsklugen Königs Ptolemaeos Aufmerksamkeit auf sich zog als durch seine männliche Schönheit, der das wilde Antlitz, der gewaltige Tritt keinen Eintrag tat, die der königlichen Damen. Eben damals gründete der kühne Demetrios sich wieder einmal, diesmal in Makedonien, ein neues Reich; natürlich in der Absicht, von dort aus die Alexandermonarchie zu erneuern. Es galt, ihn niederzuhalten, ihm daheim zu schaffen zu machen; und der Lagide, der solche Feuerseelen, wie der epeirotische Jüngling eine war, vortrefflich für seine feine Politik zu nutzen verstand, tat nicht bloß seiner Gemahlin, der Königin Berenike einen Gefallen, sondern förderte auch seine eigenen Zwecke, indem er dem jungen Fürsten seine Stieftochter, die Prinzessin Antigone zur Gemahlin gab und dem geliebten „Sohn“ zur Rückkehr in die Heimat seinen Beistand und seinen mächtigen Einfluß lieh (458 296). Zurückgekehrt in sein väterliches Reich fiel ihm bald alles zu; die tapferen Epeiroten, die Albanesen des Altertums, hingen mit angestammter Treue und frischer Begeisterung an dem mutigen Jüngling, dem „Adler“, wie sie ihn hießen. In den um die makedonische Thronfolge nach Kassanders Tod (457 297) entstandenen Wirren erweiterte der Epeirote sein Reich; nach und nach gewann er die Landschaften an dem ambrakischen Busen mit der wichtigen Stadt Ambrakia, die Insel Kerkyra, ja selbst einen Teil des makedonischen Gebiets, und widerstand mit weit geringeren Streitkräften dem König Demetrios zur Bewunderung der Makedonier selbst. Ja, als Demetrios durch seine eigene Torheit in Makedonien vom Thron gestürzt war, trug man dort dem ritterlichen Gegner, dem Verwandten der Alexandriden, denselben freiwillig an (467 287). In der Tat, keiner war würdiger als Pyrrhos, das königliche Diadem Philipps und Alexanders zu tragen. In einer tief versunkenen Zeit, in der Fürstlichkeit und Niederträchtigkeit gleichbedeutend zu werden begannen, leuchtete hell Pyrrhos‘ persönlich unbefleckter und sittenreiner Charakter. Für die freien Bauern des makedonischen Stammlandes, die, obwohl gemindert und verarmt, sich doch fernhielten von dem Verfall der Sitten und der Tapferkeit, den das Diadochenregiment in Griechenland und Asien herbeiführte, schien eben Pyrrhos recht eigentlich zum König geschaffen; er, der gleich Alexander in seinem Haus, im Freundeskreise allen menschlichen Beziehungen sein Herz offen erhielt und das in Makedonien so verhaßte orientalische Sultanwesen stets von sich abgewehrt hatte; er, der gleich Alexander anerkannt der erste Taktiker seiner Zeit war. Aber das seltsam überspannte makedonische Nationalgefühl, das den elendesten makedonischen Herrn dem tüchtigsten Fremden vorzog, die unvernünftige Widerspenstigkeit der makedonischen Truppen gegen jeden nicht makedonischen Führer, welcher der größte Feldherr aus Alexanders Schule, der Kardianer Eumenes erlegen war, bereitete auch der Herrschaft des epeirotischen Fürsten ein schnelles Ende. Pyrrhos, der die Herrschaft über Makedonien mit dem Willen der Makedonier nicht führen konnte, und zu machtlos, vielleicht auch zu hochherzig war, um sich dem Volke gegen dessen Willen aufzudrängen, überließ schon nach siebenmonatlicher Herrschaft das Land seiner einheimischen Mißregierung und ging heim zu seinen treuen Epeiroten (467 287). Aber der Mann, der Alexanders Krone getragen hatte, der Schwager des Demetrios, der Schwiegersohn des Lagiden und des Agathokles von Syrakus, der hochgebildete Strategiker, der Memoiren und wissenschaftliche Abhandlungen über die Kriegskunst schrieb, konnte unmöglich sein Leben darüber beschließen, daß er zu gesetzter Zeit im Jahre die Rechnungen des königlichen Viehverwalters durchsah und von seinen braven Epeiroten die landüblichen Geschenke an Rindern und Schafen entgegennahm, um sich alsdann am Altar des Zeus von ihnen den Eid der Treue erneuern zu lassen und selbst den Eid auf die Gesetze zu wiederholen und, diesem allen zu mehrerer Bekräftigung, mit ihnen die Nacht hindurch zu zechen. War kein Platz für ihn auf dem makedonischen Thron, so war überhaupt in der Heimat seines Bleibens nicht; er konnte der Erste sein und also nicht der Zweite. So wandten sich seine Blicke in die Weite. Die Könige, die um Makedoniens Besitz haderten, obwohl sonst in nichts einig, waren gern bereit, gemeinschaftlich zu helfen, daß der gefährliche Nebenbuhler freiwillig ausscheide; und daß die treuen Kriegsgenossen ihm folgen würden, wohin er sie führte, dessen war er gewiß. Eben damals stellten die italischen Verhältnisse sich so, daß jetzt wiederum als ausführbar erscheinen konnte, was vierzig Jahre früher Pyrrhos‘ Verwandter, seines Vaters Vetter Alexander von Epeiros, und eben erst sein Schwiegervater Agathokles beabsichtigt hatten; und so entschloß sich Pyrrhos, auf seine makedonischen Pläne zu verzichten und im Westen eine neue Herrschaft für sich und für die hellenische Nation zu gründen.

Die Waffenruhe, die der Friede mit Samnium 464 (290) für Italien herbeigeführt hatte, war von kurzer Dauer; der Anstoß zur Bildung einer neuen Ligue gegen die römische Übermacht kam diesmal von den Lucanern. Dieser Völkerschaft, die durch ihre Parteinahme für Rom die Tarentiner während der Samnitischen Kriege gelähmt und zu deren Entscheidung wesentlich beigetragen hatte, waren dafür von den Römern die Griechenstädte in ihrem Gebiet preisgegeben worden; und demgemäß hatten sie nach abgeschlossenem Frieden in Gemeinschaft mit den Brettiern sich daran gemacht, eine nach der anderen zu bezwingen. Die Thuriner, wiederholt angegriffen von dem Feldherrn der Lucaner, Stenius Statilius, und aufs äußerste bedrängt, wandten sich, ganz wie einst die Kampaner die Hilfe Roms gegen die Samniten in Anspruch genommen hatten und ohne Zweifel um den gleichen Preis ihrer Freiheit und Selbständigkeit, mit der Bitte um Beistand gegen die Lucaner an den römischen Senat. Da das Bündnis mit diesen durch die Anlage der Festung Venusia für Rom entbehrlich geworden war, gewährten die Römer das Begehren der Thuriner und geboten ihren Bundesfreunden von der Stadt, die sich den Römern ergeben habe, abzulassen. Die Lucaner und Brettier, also von den mächtigeren Verbündeten betrogen um den Anteil an der gemeinschaftlichen Beute, knüpften Verhandlungen an mit der samnitisch-tarentinischen Oppositionspartei, um eine neue Koalition der Italiker zustande zu bringen; und als die Römer sie durch eine Gesandtschaft warnen ließen, setzten sie den Gesandten gefangen und begannen den Krieg gegen Rom mit einem neuen Angriff auf Thurii (um 469 285), indem sie zugleich nicht bloß die Samniten und die Tarentiner, sondern auch die Norditaliker, die Etrusker, Umbrer, Gallier aufriefen, mit ihnen zum Freiheitskampf sich zu vereinigen. In der Tat erhob sich der etruskische Bund und dang zahlreiche gallische Haufen; das römische Heer, das der Prätor Lucius Caecilius den treu gebliebenen Arretinern zu Hilfe führte, ward unter den Mauern dieser Stadt von den senonischen Söldnern der Etrusker vernichtet, der Feldherr selbst fiel mit 13000 seiner Leute (470 284). Die Senonen zählten zu Roms Bundesgenossen: die Römer schickten demnach Gesandte an sie, um über die Stellung von Reisläufern gegen Rom Klage zu führen und die unentgeltliche Rückgabe der Gefangenen zu begehren. Aber auf Befehl des Senonenhäuptlings Britomaris, der den Tod seines Vaters an den Römern zu rächen hatte, erschlugen die Senonen die römischen Boten und ergriffen offen die Partei der Etrusker. Ganz Norditalien, Etrusker, Umbrer, Gallier, stand somit gegen Rom in Waffen; es konnten große Erfolge gewonnen werden, wenn die südlichen Landschaften diesen Augenblick ergriffen und auch diejenigen, die es nicht bereits getan, sich gegen Rom erklärten. In der Tat scheinen die Samniten, immer für die Freiheit einzustehen willig, den Römern den Krieg erklärt zu haben; aber geschwächt und von allen Seiten eingeschlossen, wie sie waren, konnten sie dem Bunde wenig nützen, und Tarent zauderte nach seiner Gewohnheit. Während unter den Gegnern Bündnisse verhandelt, Subsidientraktate festgesetzt, Söldner zusammengebracht wurden, handelten die Römer. Zunächst hatten es die Senonen zu empfinden, wie gefährlich es sei, die Römer zu besiegen. Der Konsul Publius Cornelius Dolabella rückte mit einem starken Heer in ihr Gebiet; was nicht über die Klinge sprang, ward aus dem Lande ausgetrieben und dieser Stamm ausgestrichen aus der Reihe der italischen Nationen (471 283). Bei einem vorzugsweise von seinen Herden lebenden Volke war eine derartige massenhafte Austreibung wohl ausführbar; wahrscheinlich halfen diese aus Italien vertriebenen Senonen die gallischen Schwärme bilden, die bald nachher das Donaugebiet, Makedonien, Griechenland, Kleinasien überschwemmten. Die nächsten Nachbarn und Stammgenossen der Senonen, die Boier, erschreckt und erbittert durch die furchtbar schnell sich vollendende Katastrophe, vereinigten sich augenblicklich mit den Etruskern, die noch den Krieg fortführten und deren senonische Söldner jetzt gegen die Römer nicht mehr als Mietlinge fochten, sondern als verzweifelte Rächer der Heimat; ein gewaltiges etruskisch-gallisches Heer zog gegen Rom, um für die Vernichtung des Senonenstammes an der Hauptstadt der Feinde Rache zu nehmen und vollständiger, als einst der Heerkönig derselben Senonen es getan, Rom von der Erde zu vertilgen. Allein beim Übergang über den Tiber in der Nähe des Vadimonischen Sees wurde das vereinigte Heer von den Römern nachdrücklich geschlagen (471 283). Nachdem sie das Jahr darauf noch einmal bei Populonia mit nicht besserem Erfolg eine Feldschlacht gewagt hatten, ließen die Boier ihre Bundesgenossen im Stich und schlossen für sich mit den Römern Frieden (472 282). So war das gefährlichste Glied der Ligue, das Galliervolk, einzeln überwunden, ehe noch der Bund sich vollständig zusammenfand, und dadurch Rom freie Hand gegen Unteritalien gegeben, wo in den Jahren 469-471 (285-283) der Kampf nicht ernstlich geführt worden war. Hatte bis dahin die schwache römische Armee Mühe gehabt, sich in Thurii gegen die Lucaner und Brettier zu behaupten, so erschien jetzt (472 282) der Konsul Gaius Fabricius Luscinus mit einem starken Heer vor der Stadt, befreite dieselbe, schlug die Lucaner in einem großen Treffen und nahm ihren Feldherrn Statilius gefangen. Die kleineren nichtdorischen Griechenstädte, die in den Römern ihre Retter erkannten, fielen ihnen überall freiwillig zu; römische Besatzungen blieben zurück in den wichtigsten Plätzen, in Lokri, Kroton, Thurii und namentlich in Rhegion, auf welche letztere Stadt auch die Karthager Absichten zu haben schienen. Überall war Rom im entschiedensten Vorteil. Die Vernichtung der Senonen hatte den Römern eine bedeutende Strecke des adriatischen Litorals in die Hände gegeben; ohne Zweifel im Hinblick auf die unter der Asche glimmende Fehde mit Tarent und die schon drohende Invasion der Epeiroten eilte man, sich dieser Küste sowie der Adriatischen See zu versichern. Es ward (um 471 283) eine Bürgerkolonie geführt nach dem Hafenplatz Sena (Sinigaglia), der ehemaligen Hauptstadt des senonischen Bezirks und gleichzeitig segelte eine römische Flotte aus dem Tyrrhenischen Meer in die östlichen Gewässer, offenbar, um im Adriatischen Meer zu stationieren und dort die römischen Besitzungen zu decken.

Die Tarentiner hatten seit dem Vertrag von 450 (304) mit Rom in Frieden gelebt. Sie hatten der langen Agonie der Samniten, der raschen Vernichtung der Senonen zugesehen, sich die Gründung von Venusia, Hatria, Sena, die Besetzung von Thurii und Rhegion gefallen lassen, ohne Einspruch zu tun. Aber als jetzt die römische Flotte auf ihrer Fahrt vom Tyrrhenischen ins Adriatische Meer in die tarentinischen Gewässer gelangte und im Hafen der befreundeten Stadt vor Anker ging, schwoll die langgehegte Erbitterung endlich über; die alten Verträge, die den römischen Kriegsschiffen untersagten, östlich vom Lakinischen Vorgebirg zu fahren, wurden in der Bürgerversammlung von den Volksmännern zur Sprache gebracht; wütend stürzte der Haufen über die römischen Kriegsschiffe her, die, unversehens nach Piratenart überfallen, nach heftigem Kampfe unterlagen; fünf Schiffe wurden genommen und deren Mannschaft hingerichtet oder in die Knechtschaft verkauft, der römische Admiral selbst war in dem Kampf gefallen. Nur der souveräne Unverstand und die souveräne Gewissenlosigkeit der Pöbelherrschaft erklärt diese schmachvollen Vorgänge. Jene Verträge gehörten einer Zeit an, die längst überschritten und verschollen war; es ist einleuchtend, daß sie wenigstens seit der Gründung von Hatria und Sena schlechterdings keinen Sinn mehr hatten und daß die Römer im guten Glauben an das bestehende Bündnis in den Golf einfuhren – lag es doch gar sehr in ihrem Interesse, wie der weitere Verlauf der Dinge zeigt, den Tarentinern durchaus keinen Anlaß zur Kriegserklärung darzubieten. Wenn die Staatsmänner Tarents den Krieg an Rom erklären wollten, so taten sie bloß, was längst hätte geschehen sollen; und wenn sie es vorzogen, die Kriegserklärung statt auf den wirklichen Grund vielmehr auf formalen Vertragsbruch zu stützen, so ließ sich dagegen weiter nichts erinnern, da ja die Diplomatie zu allen Zeiten es unter ihrer Würde erachtet hat, das Einfache einfach zu sagen. Allein daß man, statt den Admiral zur Umkehr aufzufordern, die Flotte mit gewaffneter Hand ungewarnt überfiel, war eine Torheit nicht minder als eine Barbarei, eine jener entsetzlichen Barbareien der Zivilisation, wo die Gesittung plötzlich das Steuerruder verliert und die nackte Gemeinheit vor uns hintritt, gleichsam um zu warnen vor dem kindischen Glauben, als vermöge die Zivilisation aus der Menschennatur die Bestialität auszuwurzeln.

Und als wäre damit noch nicht genug getan, überfielen nach dieser Heldentat die Tarentiner Thurii, dessen römische Besatzung infolge der Überrumpelung kapitulierte (im Winter 472/73 282/81), und bestraften die Thuriner, dieselben, die die tarentinische Politik den Lucanern preisgegeben und dadurch gewaltsam zur Ergebung an Rom gedrängt hatte, schwer für ihren Abfall von der hellenischen Partei zu den Barbaren.

Die Barbaren verfuhren indes mit einer Mäßigung, die bei solcher Macht und nach solchen Kränkungen Bewunderung erregt. Es lag im Interesse Roms, die tarentinische Neutralität so lange wie möglich gelten zu lassen, und die leitenden Männer im Senat verwarfen deshalb den Antrag, den eine Minorität in begreiflicher Erbitterung stellte, den Tarentinern sofort den Krieg zu erklären. Vielmehr wurde die Fortdauer des Friedens römischerseits an die mäßigsten Bedingungen geknüpft, die sich mit Roms Ehre vertrugen: Entlassung der Gefangenen, Rückgabe von Thurii, Auslieferung der Urheber des Überfalls der Flotte. Mit diesen Vorschlägen ging eine römische Gesandtschaft nach Tarent (473 281), während gleichzeitig, ihren Worten Nachdruck zu geben, ein römisches Heer unter dem Konsul Lucius Aemilius in Samnium einrückte. Die Tarentiner konnten, ohne ihrer Unabhängigkeit etwas zu vergeben, diese Bedingungen eingehen, und bei der geringen Kriegslust der reichen Kaufstadt durfte man in Rom mit Recht annehmen, daß ein Abkommen noch möglich sei. Allein der Versuch, den Frieden zu erhalten, scheiterte – sei es an dem Widerspruch derjenigen Tarentiner, die die Notwendigkeit erkannten, den Übergriffen Roms je eher desto lieber mit den Waffen entgegenzutreten, sei es bloß an der Unbotmäßigkeit des städtischen Pöbels, der sich mit beliebter griechischer Ungezogenheit sogar an der Person des Gesandten in unwürdiger Weise vergriff. Nun rückte der Konsul in das tarentinische Gebiet ein; aber statt sofort die Feindseligkeiten zu eröffnen, bot er noch einmal auf dieselben Bedingungen den Frieden; und da auch dies vergeblich war, begann er zwar die Äcker und Landhäuser zu verwüsten und schlug die städtischen Milizen, aber die vornehmeren Gefangenen wurden ohne Lösegeld entlassen und man gab die Hoffnung nicht auf, daß der Kriegsdruck der aristokratischen Partei in der Stadt das Übergewicht geben und damit den Frieden herbeiführen werde. Die Ursache dieser Zurückhaltung war, daß die Römer die Stadt nicht dem Epeirotenkönig in die Arme treiben wollten. Die Absichten desselben auf Italien waren kein Geheimnis mehr. Schon war eine tarentinische Gesandtschaft zu Pyrrhos gegangen und unverrichteter Sache zurückgekehrt; der König hatte mehr begehrt, als sie zu bewilligen Vollmacht hatte. Man mußte sich entscheiden. Daß die Bürgerwehr vor den Römern nur wegzulaufen verstand, davon hatte man sich sattsam überzeugt; es blieb nur die Wahl zwischen Frieden mit Rom, den die Römer unter billigen Bedingungen zu bewilligen fortwährend bereit waren, und Vertrag mit Pyrrhos auf jede dem König gutdünkende Bedingung, das heißt die Wahl zwischen Unterwerfung unter die römische Obermacht oder unter die Tyrannis eines griechischen Soldaten. Die Parteien hielten in der Stadt sich fast die Waage; endlich blieb die Oberhand der Nationalpartei, wobei außer dem wohl gerechtfertigten Motiv, sich, wenn einmal überhaupt einem Herrn, lieber einem Griechen als Barbaren zu eigen zu geben, auch noch die Furcht der Demagogen mitwirkte, daß Rom trotz seiner jetzigen, durch die Umstände erzwungenen Mäßigung bei geeigneter Gelegenheit nicht säumen werde, Rache für die von dem Tarentiner Pöbel verübten Schändlichkeiten zu nehmen. Die Stadt schloß also mit Pyrrhos ab. Er erhielt den Oberbefehl über die Truppen der Tarentiner und der übrigen gegen Rom unter Waffen stehenden Italioten; ferner das Recht, in Tarent Besatzung zu halten. Daß die Stadt die Kriegskosten trug, versteht sich von selbst. Pyrrhos versprach dagegen, in Italien nicht länger als nötig zu bleiben, vermutlich unter dem stillschweigenden Vorbehalt, die Zeit, während welcher er dort nötig sein werde, nach eigenem Ermessen festzustellen. Dennoch wäre ihm die Beute fast unter den Händen entschlüpft. Während die tarentinischen Gesandten – ohne Zweifel die Häupter der Kriegspartei – in Epeiros abwesend waren, schlug in der von den Römern jetzt hart gedrängten Stadt die Stimmung um; schon war der Oberbefehl dem Agis, einem römisch Gesinnten übertragen, als die Rückkehr der Gesandten mit dem abgeschlossenen Traktat in Begleitung von Pyrrhos‘ vertrautem Minister Kineas die Kriegspartei wieder ans Ruder brachte. Bald faßte eine festere Hand die Zügel und machte dem kläglichen Schwanken ein Ende. Noch im Herbst 473 (281) landete Pyrrhos‘ General Milon mit 3000 Epeiroten und besetzte die Zitadelle der Stadt; ihm folgte zu Anfang des Jahres 474 (280) nach einer stürmischen, zahlreiche Opfer fordernden Überfahrt der König selbst. Er führte nach Tarent ein ansehnliches, aber buntgemischtes Heer, teils bestehend aus den Haustruppen, den Molossern, Thesprotiern, Chaonern, Ambrakioten, teils aus dem makedonischen Fußvolk und der thessalischen Reiterei, die König Ptolemaeos von Makedonien vertragsmäßig ihm überlassen, teils aus ätolischen, akarnanischen, athamanischen Söldnern; im ganzen zählte man 20000 Phalangiten, 2000 Bogenschützen, 500 Schleuderer, 3000 Reiter und 20 Elefanten, also nicht viel weniger, als dasjenige Heer betragen hatte, mit dem Alexander fünfzig Jahre zuvor den Hellespont überschritt.

Die Angelegenheiten der Koalition standen nicht zum besten, als der König kam. Zwar hatte der römische Konsul, sowie er die Soldaten Milons anstatt der tarentinischen Miliz sich gegenüber aufziehen sah, den Angriff auf Tarent aufgegeben und sich nach Apulien zurückgezogen; aber mit Ausnahme des Gebietes von Tarent beherrschten die Römer so gut wie ganz Italien. Nirgends in Unteritalien hatte die Koalition eine Armee im Felde, und auch in Oberitalien hatten die Etrusker, die allein noch in Waffen standen, in dem letzten Feldzuge (473 281) nichts als Niederlagen erlitten. Die Verbündeten hatten, ehe der König zu Schiff ging, ihm den Oberbefehl über ihre sämtlichen Truppen übertragen und ein Heer von 350000 Mann zu Fuß und 20000 Reiter ins Feld stellen zu können erklärt; zu diesen großen Worten bildete die Wirklichkeit einen unerfreulichen Kontrast. Das Heer, dessen Oberbefehl man Pyrrhos übertragen, war noch erst zu schaffen, und vorläufig standen dazu hauptsächlich nur Tarents eigene Hilfsquellen zu Gebot. Der König befahl die Anwerbung eines italischen Söldnerheeres mit tarentinischem Gelde und hob die dienstfähigen Leute aus der Bürgerschaft zum Kriegsdienst aus. So aber hatten die Tarentiner den Vertrag nicht verstanden. Sie hatten gemeint, den Sieg wie eine andere Ware für ihr Geld sich gekauft zu haben; es war eine Art Kontraktbruch, daß der König sie zwingen wollte, sich ihn selber zu erfechten. Je mehr die Bürgerschaft anfangs nach Milons Eintreffen sich gefreut hatte, des lästigen Postendienstes los zu sein, desto unwilliger stellte man jetzt sich unter die Fahnen des Königs; den Säumigen mußte mit Todesstrafe gedroht werden. Jetzt gab der Ausgang bei allen der Friedenspartei Recht, und es wurden sogar mit Rom Verbindungen angeknüpft oder schienen doch angeknüpft zu werden. Pyrrhos, auf solchen Widerstand vorbereitet, behandelte die Stadt fortan wie eine eroberte: die Soldaten wurden in die Häuser einquartiert, die Volksversammlungen und die zahlreichen Kränzchen (συσσίτια) suspendiert, das Theater geschlossen, die Promenaden gesperrt, die Tore mit epeirotischen Wachen besetzt. Eine Anzahl der führenden Männer wurden als Geiseln über das Meer gesandt; andere entzogen sich dem gleichen Schicksal durch die Flucht nach Rom. Diese strengen Maßregeln waren notwendig, da es schlechterdings unmöglich war, sich in irgendeinem Sinn auf die Tarentiner zu verlassen; erst jetzt konnte der König, gestützt auf den Besitz der wichtigen Stadt, die Operationen im Felde beginnen.

Auch in Rom wußte man sehr wohl, welchem Kampf man entgegenging. Um vor allem die Treue der Bundesgenossen, das heißt der Untertanen zu sichern, erhielten die unzuverlässigen Städte Besatzung und wurden die Führer der Partei der Unabhängigkeit, wo es notwendig schien, festgesetzt oder hingerichtet, so zum Beispiel eine Anzahl Mitglieder des praenestinischen Senats. Für den Krieg selbst wurden große Anstrengungen gemacht; es ward eine Kriegssteuer ausgeschrieben, von allen Untertanen und Bundesgenossen das volle Kontingent eingemahnt, ja die eigentlich von der Dienstpflicht befreiten Proletarier unter die Waffen gerufen. Ein römisches Heer blieb als Reserve in der Hauptstadt. Ein zweites rückte unter dem Konsul Tiberius Coruncanius in Etrurien ein und trieb Volci und Volsinii zu Paaren. Die Hauptmacht war natürlich nach Unteritalien bestimmt; man beschleunigte so viel als möglich ihren Abmarsch, um Pyrrhos noch in der Gegend von Tarent zu erreichen und ihn zu hindern, die Samniten und die übrigen gegen Rom in Waffen stehenden süditalischen Aufgebote mit seinen Truppen zu vereinigen. Einen vorläufigen Damm gegen das Umsichgreifen des Königs sollten die römischen Besatzungen gewähren, die in den Griechenstädten Unteritaliens lagen. Indes die Meuterei der in Rhegion liegenden Truppe – es war eine der aus den kampanischen Untertanen Roms ausgehobenen Legionen unter einem kampanischen Hauptmann Decius – entriß den Römern diese wichtige Stadt, ohne sie doch Pyrrhos in die Hände zu geben. Wenn einerseits bei diesem Militäraufstand der Nationalhaß der Kampaner gegen die Römer unzweifelhaft mitwirkte, so konnte anderseits Pyrrhos, der zu Schirm und Schutz der Hellenen über das Meer gekommen war, unmöglich die Truppe in den Bund aufnehmen, welche ihre rheginischen Wirte in den Häusern niedergemacht hatte; und so blieb sie für sich, im engen Bunde mit ihren Stamm- und Frevelgenossen, den Mamertinern, das heißt den kampanischen Söldnern des Agathokles, die das gegenüberliegende Messana in ähnlicher Weise gewonnen hatten, und brandschatzte und verheerte auf eigene Rechnung die umliegenden Griechenstädte, so Kroton, wo sie die römische Besatzung niedermachte, und Kaulonia, das sie zerstörte. Dagegen gelang es den Römern, durch ein schwaches Korps, das an die lucanische Grenze rückte, und durch die Besatzung von Venusia die Lucaner und Samniten an der Vereinigung mit Pyrrhos zu hindern, während die Hauptmacht, wie es scheint vier Legionen, also mit der entsprechenden Zahl von Bundestruppen mindestens 50000 Mann stark, unter dem Konsul Publius Laevinus gegen Pyrrhos marschierte. Dieser hatte sich zur Deckung der tarentinischen Kolonie Herakleia zwischen dieser Stadt und Pandosia43 mit seinen eigenen und den tarentinischen Truppen aufgestellt (474 280). Die Römer erzwangen unter Deckung ihrer Reiterei den Übergang über den Siris und eröffneten die Schlacht mit einem hitzigen und glücklichen Reiterangriff; der König, der seine Reiter selber führte, stürzte und die griechischen Reiter, durch das Verschwinden des Führers in Verwirrung gebracht, räumten den feindlichen Schwadronen das Feld. Indes Pyrrhos stellte sich an die Spitze seines Fußvolks, und von neuem begann ein entscheidenderes Treffen. Siebenmal trafen die Legionen und die Phalanx im Stoß aufeinander und immer noch stand der Kampf. Da fiel Megakles, einer der besten Offiziere des Königs, und weil er an diesem heißen Tage die Rüstung des Königs getragen hatte, glaubte das Heer zum zweitenmal, daß der König gefallen sei; die Reihen wurden unsicher, schon meinte Laevinus den Sieg in der Hand zu haben und warf seine sämtliche Reiterei den Griechen in die Flanke. Aber Pyrrhos, entblößten Hauptes durch die Reihen des Fußvolks schreitend, belebte den sinkenden Mut der Seinigen. Gegen die Reiter wurden die bis dahin zurückgehaltenen Elefanten vorgeführt; die Pferde scheuten vor ihnen, die Soldaten wußten den gewaltigen Tieren nicht beizukommen und wandten sich zur Flucht. Die zersprengten Reiterhaufen, die nachsetzenden Elefanten lösten endlich auch die geschlossenen Glieder des römischen Fußvolks, und die Elefanten, im Verein mit der trefflichen thessalischen Reiterei, richteten ein großes Blutbad unter den Flüchtenden an. Hätte nicht ein tapferer römischer Soldat, Gaius Minucius, der erste Hastat der vierten Legion, einen der Elefanten verwundet und dadurch die verfolgenden Truppen in Verwirrung gebracht, so wäre das römische Heer aufgerieben worden; so gelang es, den Rest der römischen Truppen über den Siris zurückzuführen. Ihr Verlust war groß: 7000 Römer wurden tot oder verwundet von den Siegern auf der Walstatt gefunden, 2000 gefangen eingebracht; die Römer selbst gaben, wohl mit Einschluß der vom Schlachtfeld zurückgebrachten Verwundeten, ihren Verlust an auf 15000 Mann. Aber auch Pyrrhos‘ Heer hatte nicht viel weniger gelitten; gegen 4000 seiner besten Soldaten bedeckten das Schlachtfeld und mehrere seiner tüchtigsten Obersten waren gefallen. Erwägend, daß sein Verlust hauptsächlich auf die altgedienten Leute traf, die bei weitem schwerer zu ersetzen waren als die römische Landwehr, und daß er den Sieg nur der Überraschung durch den Elefantenangriff verdankte, die sich nicht oft wiederholen ließ, mag der König wohl, strategischer Kritiker wie er war, späterhin diesen Sieg einer Niederlage ähnlich genannt haben; wenn er auch nicht so töricht war, wie die römischen Poeten nachher gedichtet haben, in der Aufschrift des von ihm in Tarent aufgestellten Weihgeschenkes diese Selbstkritik dem Publikum mitzuteilen. Politisch kam zunächst wenig darauf an, welche Opfer der Sieg gekostet hatte; vielmehr war der Gewinn der ersten Schlacht gegen die Römer für Pyrrhos ein unschätzbarer Erfolg. Sein Feldherrntalent hatte auch auf diesem neuen Schlachtfeld sich glänzend bewährt, und wenn irgend etwas, mußte der Sieg von Herakleia dem hinsiechenden Bunde der Italiker Einigkeit und Energie einhauchen. Aber auch die unmittelbaren Ergebnisse des Sieges waren ansehnlich und nachhaltig. Lucanien war für die Römer verloren; Laevinus zog die dort stehenden Truppen an sich und ging nach Apulien. Die Brettier, Lucaner, Samniten vereinigten sich ungehindert mit Pyrrhos. Mit Ausnahme von Rhegion, das unter dem Druck der kampanischen Meuterer schmachtete, fielen die Griechenstädte sämtlich dem König zu, ja Lokri lieferte ihm freiwillig die römische Besatzung aus; von ihm waren sie überzeugt, und mit Recht, daß er sie den Italikern nicht preisgeben werde. Die Sabeller und Griechen also traten zu Pyrrhos über; aber weiter wirkte der Sieg auch nicht. Unter den Latinern zeigte sich keine Neigung, der römischen Herrschaft, wie schwer sie auch lasten mochte, mit Hilfe eines fremden Dynasten sich zu entledigen. Venusia, obgleich jetzt rings von Feinden umschlossen, hielt unerschütterlich fest an Rom. Den am Siris Gefangenen, deren tapfere Haltung der ritterliche König durch die ehrenvollste Behandlung vergalt, bot er nach griechischer Sitte an, in sein Heer einzutreten; allein er erfuhr, daß er nicht mit Söldnern focht, sondern mit einem Volke. Nicht einer, weder Römer noch Latiner, nahm bei ihm Dienste.

Pyrrhos bot den Römern Frieden an. Er war ein zu einsichtiger Militär, um das Mißliche seiner Stellung zu verkennen, und ein zu gewiegter Staatsmann, um nicht denjenigen Augenblick, der ihm die günstigste Stellung gewährte, rechtzeitig zum Friedensschluß zu benutzen. Jetzt hoffte er unter dem ersten Eindruck der gewaltigen Schlacht, es in Rom durchsetzen zu können, daß die griechischen Städte in Italien frei würden und zwischen ihnen und Rom eine Reihe Staaten zweiten und dritten Ranges als abhängige Verbündete der neuen griechischen Macht ins Leben träten; denn darauf gingen seine Forderungen: Entlassung aller griechischen Städte – also namentlich der kampanischen und lucanischen – aus der römischen Botmäßigkeit und Rückgabe des den Samniten, Dauniern, Lucanern, Brettiern abgenommenen Gebiets, das heißt namentlich Aufgabe von Luceria und Venusia. Konnte ein weiterer Kampf mit Rom auch schwerlich vermieden werden, so war es doch wünschenswert, diesen erst zu beginnen, wenn die westlichen Hellenen unter einem Herrn vereinigt, Sizilien gewonnen, vielleicht Afrika erobert war.

Mit solchen Instruktionen versehen, begab sich Pyrrhos‘ vertrauter Minister, der Thessalier Kineas, nach Rom. Der gewandte Unterhändler, den seine Zeitgenossen dem Demosthenes verglichen, soweit sich dem Staatsmann der Rhetor, dem Volksführer der Herrendiener vergleichen läßt, hatte Auftrag, die Achtung, die der Sieger von Herakleia für seine Besiegten in der Tat empfand, auf alle Weise zur Schau zu tragen, den Wunsch des Königs, selber nach Rom zu kommen, zu erkennen zu geben, durch die im Munde des Feindes so wohlklingende Lob- und durch ernste Schmeichelrede, gelegentlich auch durch wohlangebrachte Geschenke die Gemüter zu des Königs Gunsten zu stimmen, kurz, alle Künste der Kabinettspolitik, wie sie an den Höfen von Alexandreia und Antiocheia erprobt waren, gegen die Römer zu versuchen. Der Senat schwankte; manchen erschien es der Klugheit gemäß, einen Schritt zurück zu tun und abzuwarten, bis der gefährliche Gegner sich weiter verwickelt haben oder nicht mehr sein würde. Indes der greise und blinde Konsular Appius Claudius (Zensor 442 312, Konsul 447, 458 307, 296), der seit langem sich von den Staatsgeschäften zurückgezogen hatte, aber in diesem entscheidenden Augenblick sich in den Senat führen ließ, hauchte die ungebrochene Energie einer gewaltigen Natur mit seinen Flammenworten dem jüngeren Geschlecht in die Seele. Man antwortete dem König das stolze Wort, das hier zuerst vernommen und seitdem Staatsgrundsatz ward, daß Rom nicht unterhandle, solange auswärtige Truppen auf italischem Gebiet ständen, und das Wort wahr zu machen, wies man den Gesandten sofort aus der Stadt. Der Zweck der Sendung war verfehlt und der gewandte Diplomat, statt mit seiner Redekunst Effekt zu machen, hatte vielmehr durch diesen männlichen Ernst nach so schwerer Niederlage sich selber imponieren lassen – er erklärte daheim, daß in dieser Stadt jeder Bürger ihm erschienen sei wie ein König; freilich, der Hofmann hatte ein freies Volk zu Gesicht bekommen.

Pyrrhos, der während dieser Verhandlungen in Kampanien eingerückt war, brach auf die Nachricht von ihrem Abbruch sogleich auf gegen Rom, um den Etruskern die Hand zu reichen, die Bundesgenossen Roms zu erschüttern, die Stadt selber zu bedrohen. Aber die Römer ließen sich so wenig schrecken wie gewinnen. Auf den Ruf des Heroldes, „an die Stelle der Gefallenen sich einschreiben zu lassen“, hatte gleich nach der Schlacht von Herakleia die junge Mannschaft sich scharenweise zur Aushebung gedrängt; mit den beiden neugebildeten Legionen und dem aus Lucanien zurückgezogenen Korps folgte Laevinus, stärker als vorher, dem Marsch des Königs; er deckte gegen denselben Capua und vereitelte dessen Versuche, mit Neapel Verbindungen anzuknüpfen. So straff war die Haltung der Römer, daß außer den unteritalischen Griechen kein namhafter Bundesstaat es wagte, vom römischen Bündnis abzufallen. Da wandte Pyrrhos sich gegen Rom selbst. Durch die reiche Landschaft, deren blühenden Zustand er mit Bewunderung schaute, zog er gegen Fregellae, das er überrumpelte, erzwang den Übergang über den Liris und gelangte bis nach Anagnia, das nicht mehr als acht deutsche Meilen von Rom entfernt ist. Kein Heer warf sich ihm entgegen; aber überall schlossen die Städte Latiums ihm die Tore, und gemessenen Schrittes folgte von Kampanien aus Laevinus ihm nach, während von Norden der Konsul Tiberius Coruncanius, der soeben mit den Etruskern durch einen rechtzeitigen Friedensschluß sich abgefunden hatte, eine zweite römische Armee heranführte und in Rom selbst die Reserve unter dem Diktator Gnaeus Domitius Calvinus sich zum Kampfe fertig machte. Dagegen war nichts auszurichten; dem König blieb nichts übrig als umzukehren. Eine Zeitlang stand er noch in Kampanien den vereinigten Heeren der beiden Konsuln untätig gegenüber; aber es bot sich keine Gelegenheit, einen Hauptschlag auszuführen. Als der Winter herankam, räumte der König das feindliche Gebiet und verteilte seine Truppen in die befreundeten Städte; er selbst nahm Winterquartier in Tarent. Hierauf stellten auch die Römer ihre Operationen ein; das Heer bezog Standquartiere bei Firmum im Picenischen, wo auf Befehl des Senats die am Siris geschlagenen Legionen den Winter hindurch zur Strafe unter Zelten kampierten.

So endigte der Feldzug des Jahres 474 (280). Der Sonderfriede, den Etrurien im entscheidenden Augenblick mit Rom abgeschlossen hatte, und des Königs unvermuteter Rückzug, der die hochgespannten Hoffnungen der italischen Bundesgenossen gänzlich täuschte, wogen zum großen Teil den Eindruck des Sieges von Herakleia auf. Die Italiker beschwerten sich über die Lasten des Krieges, namentlich über die schlechte Mannszucht der bei ihnen einquartierten Söldner, und der König, müde des kleinlichen Gezänks und des unpolitischen wie unmilitärischen Gehabens seiner Bundesgenossen, fing an zu ahnen, daß die Aufgabe, die ihm zugefallen war, trotz aller taktischen Erfolge politisch unlösbar sein möge. Die Ankunft einer römischen Gesandtschaft, dreier Konsulate, darunter der Sieger von Thurii, Gaius Fabricius, ließ einen Augenblick wieder die Friedenshoffnungen bei ihm erwachen; allein es zeigte sich bald, daß sie nur Vollmacht hatte, wegen Lösung oder Auswechselung der Gefangenen zu unterhandeln. Pyrrhos schlug diese Forderung ab, allein er entließ zur Feier der Saturnalien sämtliche Gefangene auf ihr Ehrenwort; daß sie es hielten und daß der römische Gesandte einen Bestechungsversuch abwies, hat man in der Folgezeit in unschicklichster und mehr für die Ehrlosigkeit der späteren als die Ehrenhaftigkeit der früheren Zeit bezeichnender Weise gefeiert.

Mit dem Frühjahr 475 (279) ergriff Pyrrhos abermals die Offensive und rückte in Apulien ein, wohin das römische Heer ihm entgegenkam. In der Hoffnung durch einen entscheidenden Sieg die römische Symmachie in diesen Landschaften zu erschüttern, bot der König eine zweite Schlacht an und die Römer verweigerten sie nicht. Bei Ausculum (Ascoli di Puglia) trafen beide Heere aufeinander. Unter Pyrrhos‘ Fahnen fochten außer seinen epeirotischen und makedonischen Truppen die italischen Söldner, die Bürgerwehr – die sogenannten Weißschilde – von Tarent und die verbündeten Lucaner, Brettier und Samniten, zusammen 70000 Mann zu Fuß, davon 16000 Griechen und Epeiroten, über 8000 Reiter und 19 Elefanten. Mit den Römern standen an diesem Tage die Latiner, Kampaner, Volsker, Sabiner, Umbrer, Marruciner, Paeligner, Frentaner und Arpaner; auch sie zählten über 70000 Mann zu Fuß, darunter 20000 römische Bürger, und 8000 Reiter. Beide Teile hatten in ihrem Heerwesen Änderungen vorgenommen. Pyrrhos, mit scharfem Soldatenblick die Vorzüge der römischen Manipularordnung erkennend, hatte auf den Flügeln die lange Front seiner Phalangen vertauscht mit einer der Kohortenstellung nachgebildeten unterbrochenen Aufstellung in Fähnlein und, vielleicht nicht minder aus politischen wie aus militärischen Gründen, zwischen die Abteilungen seiner eigenen Leute die tarentinischen und samnitischen Kohorten eingeschoben; im Mitteltreffen allein stand die epeirotische Phalanx in geschlossener Reihe. Die Römer führten zur Abwehr der Elefanten eine Art Streitwagen heran, aus denen Feuerbecken an eisernen Stangen hervorragten und auf denen bewegliche, zum Herablassen eingerichtete und in Eisenstachel endende Maste befestigt waren – gewissermaßen das Vorbild der Enterbrücken, die im Ersten Punischen Krieg eine so große Rolle spielen sollten.

Nach dem griechischen Schlachtbericht, der minder parteiisch scheint als der uns auch vorliegende römische, waren die Griechen am ersten Tage im Nachteil, da sie weder dazu gelangten, an den schroffen und sumpfigen Flußufern, wo sie gezwungen wurden, das Gefecht anzunehmen, ihre Linie zu entwickeln, noch Reiterei und Elefanten ins Gefecht zu bringen. Am zweiten Tage kam dagegen Pyrrhos den Römern in der Besetzung des durchschnittenen Terrains zuvor und erreichte so ohne Verlust die Ebene, wo er seine Phalanx ungestört entfalten konnte. Vergeblich stürzten sich die Römer verzweifelten Muts mit ihren Schwertern auf die Sarissen; die Phalanx stand unerschütterlich jedem Angriff von vorn, doch vermochte auch sie es nicht, die römischen Legionen zum Weichen zu bringen. Erst als die zahlreiche Bedeckung der Elefanten die auf den römischen Streitwagen fechtende Mannschaft durch Pfeile und Schleudersteine vertrieben und der Bespannung die Stränge zerschnitten hatte und nun die Elefanten gegen die römische Linie anprallten, kam dieselbe ins Schwanken. Das Weichen der Bedeckungsmannschaft der römischen Wagen gab das Signal zur allgemeinen Flucht, die indes nicht sehr zahlreiche Opfer kostete, da das nahe Lager die Verfolgten aufnahm. Daß während des Haupttreffens ein von der römischen Hauptmacht abgesondertes arpanisches Korps das schwach besetzte epeirotische Lager angegriffen und in Brand gesteckt habe, meldet nur der römische Schlachtbericht; wenn es aber auch richtig ist, so haben doch die Römer auf alle Fälle mit Unrecht behauptet, daß die Schlacht unentschieden geblieben sei. Beide Berichte stimmen vielmehr darin überein, daß das römische Heer über den Fluß zurückging und Pyrrhos im Besitz des Schlachtfeldes blieb. Die Zahl der Gefallenen war nach dem griechischen Berichte auf römischer Seite 6000, auf griechischer 350544; unter den Verwundeten war der König selbst, dem ein Wurfspieß den Arm durchbohrt hatte, während er wie immer im dichtesten Getümmel kämpfte. Wohl war es ein Sieg, den Pyrrhos erfochten hatte, aber es waren unfruchtbare Lorbeeren; als Feldherrn wie als Soldaten machte der Sieg dem König Ehre, aber seine politischen Zwecke hat er nicht gefördert. Pyrrhos bedurfte eines glänzenden Erfolges, der das römische Heer auflöste und den schwankenden Bundesgenossen die Gelegenheit und den Anstoß zum Parteiwechsel gab; da aber die römische Armee und die römische Eidgenossenschaft ungebrochen geblieben und das griechische Heer, das nichts war ohne seinen Feldherrn, durch dessen Verwundung auf längere Zeit angefesselt ward, mußte er wohl den Feldzug verloren geben und in die Winterquartiere gehen, die der König in Tarent, die Römer diesmal in Apulien nahmen. Immer deutlicher offenbarte es sich, daß militärisch die Hilfsquellen des Königs den römischen ebenso nachstanden, wie politisch die lose und widerspenstige Koalition den Vergleich nicht aushielt mit der festgegründeten römischen Symmachie. Wohl konnte das Überraschende und Gewaltige in der griechischen Kriegführung, das Genie des Feldherrn noch einen Sieg mehr wie die von Herakleia und Ausculum erfechten, aber jeder neue Sieg vernutzte die Mittel zu weiteren Unternehmungen und es war klar, daß die Römer schon jetzt sich als die Stärkeren fühlten und den endlichen Sieg mit mutiger Geduld erharrten. Dieser Krieg war nicht das feine Kunstspiel, wie die griechischen Fürsten es übten und verstanden; an der vollen und gewaltigen Energie der Landwehr zerschellten alle strategischen Kombinationen. Pyrrhos fühlte, wie die Dinge standen; überdrüssig seiner Siege und seine Bundesgenossen verachtend, harrte er nur aus, weil die militärische Ehre ihm vorschrieb, Italien nicht zu verlassen, bevor er seine Schutzbefohlenen vor den Barbaren gesichert haben würde. Es war bei seinem ungeduldigen Naturell vorauszusetzen, daß er den ersten Vorwand ergreifen würde, um der lästigen Pflicht sich zu entledigen; und die Veranlassung, sich von Italien zu entfernen, boten bald die sizilischen Angelegenheiten ihm dar.

Nach Agathokles‘ Tode (465 289) fehlte es den sizilischen Griechen an jeder leitenden Macht. Während in den einzelnen hellenischen Städten unfähige Demagogen und unfähige Tyrannen einander ablösten, dehnten die Karthager, die alten Herren der Westspitze, ihre Herrschaft ungestört aus. Nachdem Akragas ihnen erlegen war, glaubten sie die Zeit gekommen, um zu dem seit Jahrhunderten im Auge behaltenen Ziel endlich den letzten Schritt zu tun und die ganze Insel unter ihre Botmäßigkeit zu bringen: sie wandten sich zum Angriff auf Syrakus. Die Stadt, die einst mit ihren Heeren und Flotten Karthago den Besitz der Insel streitig gemacht hatte, war durch den inneren Hader und die Schwäche des Regiments so tief herabgekommen, daß sie ihre Rettung suchen mußte in dem Schutz ihrer Mauern und in auswärtiger Hilfe; und niemand konnte diese gewähren als König Pyrrhos. Pyrrhos war des Agathokles Tochtermann, sein Sohn, der damals sechzehnjährige Alexander, des Agathokles Enkel, beide in jeder Beziehung die natürlichen Erben der hochfliegenden Pläne des Herrn von Syrakus; und wenn es mit der Freiheit doch zu Ende war, konnte Syrakus Ersatz darin finden, die Hauptstadt eines westhellenischen Reiches zu sein. So trugen die Syrakusaner gleich den Tarentinern und unter ähnlichen Bedingungen dem König Pyrrhos freiwillig die Herrschaft entgegen (um 475 279), und durch eine seltene Fügung der Dinge schien sich alles zu vereinigen zum Gelingen der großartigen, zunächst auf den Besitz von Tarent und Syrakus gebauten Pläne des Epeirotenkönigs.

Freilich war die nächste Folge von dieser Vereinigung der italischen und sizilischen Griechen unter eine Hand, daß auch die Gegner sich enger zusammenschlossen. Karthago und Rom verwandelten ihre alten Handelsverträge jetzt in ein Offensiv- und Defensivbündnis gegen Pyrrhos (475 279), dessen Bedingungen dahin lauteten, daß, wenn Pyrrhos römisches oder karthagisches Gebiet betrete, der nicht angegriffene Teil dem angegriffenen auf dessen Gebiet Zuzug leisten und die Hilfstruppen selbst besolden solle; daß in solchem Falle Karthago die Transportschiffe zu stellen und auch mit der Kriegsflotte den Römern beizustehen sich verpflichte, doch solle deren Bemannung nicht gehalten sein, zu Lande für die Römer zu fechten; daß endlich beide Staaten sich das Wort gäben, keinen Sonderfrieden mit Pyrrhos zu schließen. Der Zweck des Vertrages war auf römischer Seite, einen Angriff auf Tarent möglich zu machen und Pyrrhos von der Heimat abzuschneiden, was beides ohne Mitwirkung der punischen Flotte nicht ausführbar war, auf seiten der Karthager, den König in Italien festzuhalten, um ihre Absichten auf Syrakus ungestört ins Werk setzen zu können45. Es lag also im Interesse beider Mächte, zunächst sich des Meeres zwischen Italien und Sizilien zu versichern. Eine starke karthagische Flotte von 120 Segeln unter dem Admiral Mago ging von Ostia, wohin Mago sich begeben zu haben scheint, um jenen Vertrag abzuschließen, nach der sizilischen Meerenge. Die Mamertiner, die für ihre Frevel gegen die griechische Bevölkerung Messanas die gerechte Strafe erwartete, wenn Pyrrhos in Sizilien und Italien ans Regiment kam, schlossen sich eng an die Römer und Karthager und sicherten diesen die sizilische Seite des Passes. Gern hätten die Verbündeten auch Rhegion auf der gegenüberliegenden Küste in ihre Gewalt gebracht; allein verzeihen konnte Rom der kampanischen Besatzung unmöglich, und ein Versuch der vereinigten Römer und Karthager, sich der Stadt mit gewaffneter Hand zu bemächtigen, schlug fehl. Von dort segelte die karthagische Flotte nach Syrakus und blockierte die Stadt von der Seeseite, während gleichzeitig ein starkes phönikisches Heer die Belagerung zu Lande begann (476 278). Es war hohe Zeit, daß Pyrrhos in Syrakus erschien; aber freilich standen in Italien die Angelegenheiten keineswegs so, daß er und seine Truppen dort entbehrt werden konnten. Die beiden Konsuln des Jahres 476 (278) Gaius Fabricius Luscinus und Quintus Aemilius Papus, beide erprobte Generale, hatten den neuen Feldzug kräftig begonnen, und obwohl bisher die Römerin diesem Kriege nur Niederlagen erlitten hatten, waren nicht sie es, sondern die Sieger, die sich ermattet fühlten und den Frieden herbeiwünschten. Pyrrhos machte noch einen Versuch, ein leidliches Abkommen zu erlangen. Der Konsul Fabricius hatte dem König einen Elenden zugesandt, der ihm den Antrag gemacht, gegen gute Bezahlung den König zu vergiften. Zum Dank gab der König nicht bloß alle römischen Gefangenen ohne Lösegeld frei, sondern er fühlte sich so hingerissen von dem Edelsinn seiner tapferen Gegner, daß er zur Belohnung ihnen selber einen ungemein billigen und günstigen Frieden antrug. Kineas scheint noch einmal nach Rom gegangen zu sein und Karthago ernstlich gefürchtet zu haben, daß sich Rom zum Frieden bequeme. Indes der Senat blieb fest und wiederholte seine frühere Antwort. Wollte der König nicht Syrakus den Karthagern in die Hände fallen und damit seinen großen Plan sich zerstören lassen, so blieb ihm nichts anderes übrig, als seine italischen Bundesgenossen preiszugeben und sich vorläufig auf den Besitz der wichtigsten Hafenstädte, namentlich von Tarent und Lokri, zu beschränken. Vergebens beschworen ihn die Lucaner und Samniten, sie nicht im Stich zu lassen; vergebens forderten die Tarentiner ihn auf, entweder seiner Feldherrnpflicht nachzukommen oder die Stadt ihnen zurückzugeben. Den Klagen und Vorwürfen setzte der König Vertröstungen auf künftige bessere Zeiten oder auch derbe Abweisung entgegen; Milon blieb in Tarent zurück, des Königs Sohn Alexander in Lokri und mit der Hauptmacht schiffte noch im Frühjahr 476 (278) sich Pyrrhos in Tarent nach Syrakus ein.

Nach Pyrrhos‘ Abzug erhielten die Römer freie Hand in Italien, wo niemand ihnen auf offenem Felde zu widerstehen wagte und die Gegner überall sich einschlossen in ihre Festen oder in ihre Wälder. Indes der Kampf ging nicht so schnell zu Ende, wie man wohl gehofft haben mochte, woran teils die Natur dieses Gebirgs- und Belagerungskrieges schuld war, teils wohl auch die Erschöpfung der Römer, von deren furchtbaren Verlusten das Sinken der Bürgerrolle von 473 (281) auf 479 (275) um 17000 Köpfe zeugt. Noch im Jahre 476 (278) gelang es dem Konsul Gaius Fabricius, die bedeutende tarentinische Pflanzstadt Herakleia zu einem Sonderfrieden zu bringen, der ihr unter den günstigsten Bedingungen gewährt ward. Im Feldzug von 477 (277) schlug man sich in Samnium herum, wo ein leichtsinnig unternommener Angriff auf die verschanzten Höhen den Römern viele Leute kostete, und wandte sich alsdann nach dem südlichen Italien, wo die Lucaner und Brettier geschlagen wurden. Dagegen kam bei einem Versuch, Kroton zu überrumpeln, Milon von Tarent aus den Römern zuvor; die epeirotische Besatzung machte alsdann sogar einen glücklichen Ausfall gegen das belagernde Heer. Indes gelang es endlich dem Konsul dennoch, dieselbe durch eine Kriegslist zum Abmarsch zu bestimmen und der unverteidigten Stadt sich zu bemächtigen (477 277). Wichtiger war es, daß die Lokrenser, die früher die römische Besatzung dem König ausgeliefert hatten, jetzt, den Verrat durch Verrat sühnend, die epeirotische erschlugen; womit die ganze Südküste in den Händen der Römer war mit Ausnahme von Rhegion und Tarent. Indes mit diesen Erfolgen war man im wesentlichen doch wenig gefördert. Unteritalien selbst war längst wehrlos; Pyrrhos aber war nicht bezwungen, solange Tarent in seinen Händen und ihm damit die Möglichkeit blieb, den Krieg nach Belieben wieder zu erneuern, und an die Belagerung dieser Stadt konnten die Römer nicht denken. Selbst davon abgesehen, daß in dem durch Philipp von Makedonien und Demetrios den Belagerer umgeschaffenen Festungskrieg die Römer gegen einen erfahrenen und entschlossenen griechischen Kommandanten im entschiedensten Nachteil waren, bedurfte es dazu einer starken Flotte, und obwohl der karthagische Vertrag den Römern Unterstützung zur See verhieß, so standen doch Karthagos eigene Angelegenheiten in Sizilien durchaus nicht so, daß es diese hätte gewähren können.

Pyrrhos‘ Landung auf der Insel, welche trotz der karthagischen Flotte ungehindert erfolgt war, hatte dort mit einem Schlage die Lage der Dinge verändert. Er hatte Syrakus sofort entsetzt, alle freien Griechenstädte in kurzer Zeit in seiner Hand vereinigt und als Haupt der sikeliotischen Konföderation den Karthagern fast ihre sämtlichen Besitzungen entrissen. Kaum vermochten mit Hilfe der damals auf dem Mittelmeer ohne Nebenbuhler herrschenden karthagischen Flotte sich die Karthager in Lilybäon, die Mamertiner in Messana, und auch hier unter steten Angriffen, zu behaupten. Unter solchen Umständen wäre in Gemäßheit des Vertrags von 475 (279) viel eher Rom im Fall gewesen, den Karthagern auf Sizilien Beistand zu leisten, als Karthago mit seiner Flotte den Römern Tarent erobern zu helfen; überhaupt aber war man eben von keiner Seite sehr geneigt, dem Bundesgenossen die Macht zu sichern oder gar zu erweitern. Karthago hatte den Römern die Hilfe erst angeboten, als die wesentliche Gefahr vorüber war; diese ihrerseits hatten nichts getan, den Abzug des Königs aus Italien, den Sturz der karthagischen Macht in Sizilien zu verhindern. Ja in offener Verletzung der Verträge hatte Karthago sogar dem König einen Sonderfrieden angetragen und gegen den ungestörten Besitz von Lilybäon sich erboten, auf die übrigen sizilischen Besitzungen zu verzichten, sogar dem König Geld und Kriegsschiffe zur Verfügung zu stellen, natürlich zur Überfahrt nach Italien und zur Erneuerung des Krieges gegen Rom. Indes es war einleuchtend, daß mit dem Besitz von Lilybäon und der Entfernung des Königs die Stellung der Karthager auf der Insel ungefähr dieselbe geworden wäre, wie sie vor Pyrrhos‘ Landung gewesen war; sich selbst überlassen waren die griechischen Städte ohnmächtig und das verlorene Gebiet leicht wiedergewonnen. So schlug Pyrrhos den nach zwei Seiten hin perfiden Antrag aus und ging daran, sich selber eine Kriegsflotte zu erbauen. Nur Unverstand und Kurzsichtigkeit haben dies später getadelt; es war vielmehr ebenso notwendig als mit den Mitteln der Insel leicht durchzuführen. Abgesehen davon, daß der Herr von Ambrakia, Tarent und Syrakus nicht ohne Seemacht sein konnte, bedurfte er der Flotte, um Lilybäon zu erobern, um Tarent zu schützen, um Karthago daheim anzugreifen, wie es Agathokles, Regulus, Scipio vor- und nachher mit so großem Erfolg getan. Nie stand Pyrrhos seinem Ziele näher als im Sommer 478 (276), wo er Karthago gedemütigt vor sich sah, Sizilien beherrschte und mit Tarents Besitz einen festen Fuß in Italien behauptete, und wo die neugeschaffene Flotte, die alle diese Erfolge zusammenknüpfen, sichern und steigern sollte, zur Abfahrt fertig im Hafen von Syrakus lag.

Die wesentliche Schwäche von Pyrrhos‘ Stellung beruhte auf seiner fehlerhaften inneren Politik. Er regierte Sizilien wie er Ptolemaeos hatte in Ägypten herrschen sehen; er respektierte die Gemeindeverfassungen nicht, setzte seine Vertrauten zu Amtleuten über die Städte wann und auf so lange es ihm gefiel, gab anstatt der einheimischen Geschworenen seine Hofleute zu Richtern, sprach Konfiskationen, Verbannungen, Todesurteile nach Gutdünken aus und selbst über diejenigen, die seine Überkunft nach Sizilien am lebhaftesten betrieben hatten, legte Besatzungen in die Städte und beherrschte Sizilien nicht als der Führer des Nationalbundes, sondern als König. Mochte er dabei nach orientalisch-hellenistischen Begriffen sich ein guter und weiser Regent zu sein dünken und auch wirklich sein, so ertrugen doch die Griechen diese Verpflanzung des Diadochensystems nach Syrakus mit aller Ungeduld einer in langer Freiheitsagonie aller Zucht entwöhnten Nation; sehr bald dünkte das karthagische Joch dem törichten Volk erträglicher als das neue Soldatenregiment. Die bedeutendsten Städte knüpften mit den Karthagern, ja mit den Mamertinern Verbindungen an; ein starkes karthagisches Heer wagte wieder, sich auf der Insel zu zeigen und, überall von den Griechen unterstützt, machte es reißende Fortschritte. Zwar in der Schlacht, die Pyrrhos ihm lieferte, war das Glück wie immer mit dem „Adler“; allein es hatte sich bei dieser Gelegenheit offenbart, wie die Stimmung auf der Insel war und was kommen konnte und mußte, wenn der König sich entfernte.

Zu diesem ersten und wesentlichsten Fehler fügte Pyrrhos einen zweiten: er ging mit der Flotte statt nach Lilybäon nach Tarent. Augenscheinlich mußte er, eben bei der Gärung in den Gemütern der Sikelioten, vor allen Dingen erst von dieser Insel die Karthager ganz verdrängt und damit den Unzufriedenen den letzten Rückhalt abgeschnitten haben, ehe er nach Italien sich wenden durfte; hier war nichts zu versäumen, denn Tarent war ihm sicher genug und an den übrigen Bundesgenossen, nachdem sie einmal aufgegeben waren, jetzt wenig gelegen. Es ist begreiflich, daß sein Soldatensinn ihn trieb, den nicht sehr ehrenvollen Abzug vom Jahre 476 (278) durch eine glänzende Wiederkehr auszutilgen und daß ihm das Herz blutete, wenn er die Klagen der Lucaner und Samniten vernahm. Allein Aufgaben, wie sie Pyrrhos sich gestellt hatte, können nur gelöst werden von eisernen Naturen, die das Mitleid und selbst das Ehrgefühl zu beherrschen vermögen; und eine solche war Pyrrhos nicht.

Die verhängnisvolle Einschiffung fand statt gegen das Ende des Jahres 478 (276). Unterwegs hatte die neue syrakusanische Flotte mit der karthagischen ein heftiges Gefecht zu bestehen und büßte darin eine beträchtliche Anzahl Schiffe ein. Die Entfernung des Königs und die Kunde von diesem ersten Unfall genügten zum Sturz des sikeliotischen Reiches; auf sie hin weigerten alle Städte dem abwesenden König Geld und Truppen und der glänzende Staat brach schneller noch als er entstanden war wiederum zusammen, teils weil der König selbst die Treue und Liebe, auf der jedes Gemeinwesen ruht, in den Herzen seiner Untertanen untergraben hatte, teils weil es dem Volk an der Hingebung fehlte, zur Rettung der Nationalität auf vielleicht nur kurze Zeit der Freiheit zu entsagen. Damit war Pyrrhos‘ Unternehmen gescheitert, der Plan seines Lebens ohne Aussicht dahin; er ist fortan ein Abenteurer, der es fühlt, daß er viel gewesen und nichts mehr ist, der den Krieg nicht mehr als Mittel zum Zwecke führt, sondern, um in wildem Würfelspiel sich zu betäuben und womöglich im Schlachtgetümmel einen Soldatentod zu finden. An der italischen Küste angelangt, begann der König mit einem Versuch, sich Rhegions zu bemächtigen, aber mit Hilfe der Mamertiner schlugen die Kampaner den Angriff ab, und in dem hitzigen Gefecht vor der Stadt ward der König selbst verwundet, indem er einen feindlichen Offizier vom Pferde hieb. Dagegen überrumpelte er Lokri, dessen Einwohner die Niedermetzelung der epeirotischen Besatzung schwer büßten, und plünderte den reichen Schatz des Persephonetempels daselbst, um seine leere Kasse zu füllen. So gelangte er nach Tarent, angeblich mit 20000 Mann zu Fuß und 3000 Reitern. Aber es waren nicht mehr die erprobten Veteranen von vordem und nicht mehr begrüßten die Italiker in ihnen ihre Retter; das Vertrauen und die Hoffnung, damit man den König fünf Jahre zuvor empfing, waren gewichen, den Verbündeten Geld und Mannschaft ausgegangen. Den schwer bedrängten Samniten, in deren Gebiet die Römer 478/79 (276/75) überwintert hatten, zu Hilfe rückte der König im Frühjahr 479 (275) ins Feld und zwang bei Benevent auf dem Arusinischen Felde den Konsul Manius Curius zur Schlacht, bevor er sich mit seinem von Lucanien heranrückenden Kollegen vereinigen konnte. Aber die Heeresabteilung, die den Römern in die Flanke zu fallen bestimmt war, verirrte sich während des Nachtmarsches in den Wäldern und blieb im entscheidenden Augenblick aus; und nach heftigem Kampf entschieden auch hier wieder die Elefanten die Schlacht, aber diesmal für die Römer, indem sie, von den zur Bedeckung des Lagers aufgestellten Schützen in Verwirrung gebracht, auf ihre eigenen Leute sich warfen. Die Sieger besetzten das Lager; in ihre Hände fielen 1300 Gefangene und vier Elefanten – die ersten, die Rom sah, außerdem eine unermeßliche Beute, aus deren Erlös später in Rom der Aquädukt, welcher das Aniowasser von Tibur nach Rom führte, gebaut ward. Ohne Truppen, um das Feld zu halten, und ohne Geld sandte Pyrrhos an seine Verbündeten, die ihm zur Ausrüstung nach Italien gesteuert hatten, die Könige von Makedonien und Asien; aber auch in der Heimat fürchtete man ihn nicht mehr und schlug die Bitte ab. Verzweifelnd an dem Erfolg gegen Rom und erbittert durch diese Weigerungen ließ Pyrrhos Besatzung in Tarent und ging selber noch im selben Jahre (479 275) heim nach Griechenland, wo eher noch als bei dem stetigen und gemessenen Gang der italischen Verhältnisse sich dem verzweifelten Spieler eine Aussicht eröffnen mochte. In der Tat gewann er nicht bloß schnell zurück, was von seinem Reiche war abgerissen worden, sondern er griff noch einmal und nicht ohne Erfolg nach der makedonischen Krone. Allein an Antigonos Gonatas‘ ruhiger und umsichtiger Politik und mehr noch an seinem eigenen Ungestüm und der Unfähigkeit, den stolzen Sinn zu zähmen, scheiterten auch seine letzten Pläne; er gewann noch Schlachten, aber keinen dauernden Erfolg mehr und fand sein Ende in einem elenden Straßengefecht im peloponnesischen Argos (482 272).

In Italien ist der Krieg zu Ende mit der Schlacht bei Benevent; langsam verenden die letzten Zuckungen der nationalen Partei. Zwar so lange der Kriegsfürst, dessen mächtiger Arm es gewagt hatte, dem Schicksal in die Zügel zu fallen, noch unter den Lebenden war, hielt er, wenngleich abwesend, gegen Rom die feste Burg von Tarent. Mochte auch nach des Königs Entfernung in der Stadt die Friedenspartei die Oberhand gewinnen, Milon, der für Pyrrhos darin den Befehl führte, wies ihre Anmutungen ab und ließ die römisch gesinnten Städter in dem Kastell, das sie im Gebiet von Tarent sich errichtet hatten, auf ihre eigene Hand mit Rom Frieden schließen, wie es ihnen beliebte, ohne darum seine Tore zu öffnen. Aber als nach Pyrrhos‘ Tode eine karthagische Flotte in den Hafen einlief und Milon die Bürgerschaft im Begriff sah, die Stadt an die Karthager auszuliefern, zog er es vor, dem römischen Konsul Lucius Papirius die Burg zu übergeben (482 272) und damit für sich und die Seinigen freien Abzug zu erkaufen. Für die Römer war dies ein ungeheurer Glücksfall. Nach den Erfahrungen, die Philipp vor Perinth und Byzanz, Demetrios vor Rhodos, Pyrrhos vor Lilybäon gemacht hatten, läßt sich bezweifeln, ob die damalige Strategik überhaupt imstande war, eine wohlbefestigte und wohlverteidigte und von der See her zugängliche Stadt zur Übergabe zu zwingen; und welche Wendung hätten die Dinge nehmen mögen, wenn Tarent das in Italien für die Phöniker geworden wäre, was in Sizilien Lilybäon für sie gewesen war! Indes das Geschehene war nicht zu ändern. Der karthagische Admiral, da er die Burg in den Händen der Römer sah, erklärte, nur vor Tarent erschienen zu sein, um dem Vertrage gemäß den Bundesgenossen bei der Belagerung der Stadt Hilfe zu leisten, und ging unter Segel nach Afrika; und die römische Gesandtschaft, welche wegen der versuchten Okkupation von Tarent Aufklärung zu fordern und Beschwerde zu führen nach Karthago gesandt ward, brachte nichts zurück als die feierliche und eidliche Bekräftigung dieser angeblichen bundesfreundlichen Absicht, wobei man denn auch in Rom vorläufig sich beruhigte. Die Tarentiner erhielten, vermutlich durch Vermittlung ihrer Emigrierten, die Autonomie von den Römern zurück; aber Waffen und Schiffe mußten ausgeliefert und die Mauern niedergerissen werden.

In demselben Jahre, in dem Tarent römisch ward, unterwarfen sich endlich auch die Samniten, Lucaner und Brettier, welche letztere die Hälfte des einträglichen und für den Schiffbau wichtigen Silawaldes abtreten mußten.

Endlich traf auch die seit zehn Jahren in Rhegion hausende Bande die Strafe für den gebrochenen Fahneneid wie für den Mord der rheginischen Bürgerschaft und der Besatzung von Kroton. Es war zugleich die allgemeine Sache der Hellenen gegen die Barbaren, welche Rom hier vertrat; der neue Herr von Syrakus, Hieron, unterstützte darum auch die Römer vor Rhegion durch Sendung von Lebensmitteln und Zuzug und machte gleichzeitig einen mit der römischen Expedition gegen Rhegion kombinierten Angriff auf deren Stamm- und Schuldgenossen in Sizilien, die Mamertiner in Messana. Die Belagerung der letzteren Stadt zog sich sehr in die Länge; dagegen wurde Rhegion, obwohl auch hier die Meuterer hartnäckig und lange sich wehrten, im Jahre 484 (270) von den Römern erstürmt, was von der Besatzung übrig war, in Rom auf offenem Markte gestäupt und enthauptet, die alten Einwohner aber zurückgerufen und soviel möglich in ihr Vermögen wieder eingesetzt. So war im Jahre 484 (270) ganz Italien zur Untertänigkeit gebracht. Nur die hartnäckigsten Gegner Roms, die Samniten, setzten trotz des offiziellen Friedensschlusses noch als „Räuber“ den Kampf fort, sodaß sogar im Jahre 485 (269) noch einmal beide Konsuln gegen sie geschickt werden mußten. Aber auch der hochherzigste Volksmut, die tapferste Verzweiflung gehen einmal zu Ende; Schwert und Galgen brachten endlich auch den samnitischen Bergen die Ruhe.

Zur Sicherung dieser ungeheuren Erwerbungen wurde wiederum eine Reihe von Kolonien angelegt: in Lucanien Paestum und Cosa (481 273), als Zwingburgen für Samnium Beneventum (486 268) und Aesernia (um 491 263), als Vorposten gegen die Gallier Ariminum (486 268), in Picenum Firmum (um 490 264) und die Bürgerkolonie Castrum novum; die Fortführung der großen Südchaussee, welche an der Festung Benevent eine neue Zwischenstation zwischen Capua und Venusia erhielt, bis zu den Häfen von Tarent und Brundisium und die Kolonisierung des letzteren Seeplatzes, den die römische Politik zum Nebenbuhler und Nachfolger des tarentinischen Emporiums sich ausersehen hatte, wurden vorbereitet. Die neuen Festungs- und Straßenanlagen veranlaßten noch einige Kriege mit den kleinen Völkerschaften, deren Gebiet durch dieselben geschmälert ward, den Picentern (485, 486 269, 268), von denen eine Anzahl in die Gegend von Salernum verpflanzt ward, den Sallentinern um Brundisium (487, 488 267, 266), den umbrischen Sassinaten (487, 488 267, 266), welche letzte nach der Austreibung der Senonen das Gebiet von Ariminum besetzt zu haben scheinen. Durch diese Anlagen ward die Herrschaft Roms über das unteritalische Binnenland und die ganze italische Ostküste vom Ionischen Meer bis zur keltischen Grenze ausgedehnt.

Bevor wir die politische Ordnung darstellen, nach der das also geeinigte Italien von Rom aus regiert ward, bleibt es noch übrig, auf die Seeverhältnisse im vierten und fünften Jahrhundert einen Blick zu werfen. Es waren in dieser Zeit wesentlich Syrakus und Karthago, die um die Herrschaft in den westlichen Gewässern miteinander rangen; im ganzen überwog trotz der großen Erfolge, welche Dionysios (348-389 406-365), Agathokles (437-465 317-289) und Pyrrhos (476-478 278-276) vorübergehend zur See erlangten, doch hier Karthago und sank Syrakus mehr und mehr zu einer Seemacht zweiten Ranges herab. Mit Etruriens Bedeutung zur See war es völlig vorbei; die bisher etruskische Insel Korsika kam, wenn nicht gerade in den Besitz, doch unter die maritime Suprematie der Karthager. Tarent, das eine Zeitlang noch eine Rolle gespielt hatte, ward durch die römische Okkupation gebrochen. Die tapferen Massalioten behaupteten sich wohl in ihren eigenen Gewässern; aber in die Vorgänge auf den italischen griffen sie nicht wesentlich ein. Die übrigen Seestädte kamen kaum noch ernstlich in Betracht.

Rom selber entging dem gleichen Schicksal nicht; in seinen eigenen Gewässern herrschten ebenfalls fremde Flotten. Wohl war es Seestadt von Haus aus und ist in der Zeit seiner Frische seinen alten Traditionen niemals so untreu geworden, daß es die Kriegsmarine gänzlich vernachlässigt hätte, und nie so töricht gewesen, bloß Kontinentalmacht sein zu wollen. Latium lieferte zum Schiffbau die schönsten Stämme, welche die gerühmten unteritalischen bei weitem übertrafen, und die fortdauernd in Rom unterhaltenen Docks beweisen allein schon, daß man dort nie darauf verzichtet hat, eine eigene Flotte zu besitzen. Indes während der gefährlichen Krisen, welche die Vertreibung der Könige, die inneren Erschütterungen in der römisch-latinischen Eidgenossenschaft und die unglücklichen Kriege gegen die Etrusker und die Kelten über Rom brachten, konnten die Römer sich um den Stand der Dinge auf dem Mittelmeer nur wenig bekümmern, und bei der immer entschiedener hervortretenden Richtung der römischen Politik auf Unterwerfung des italischen Kontinents verkümmerte die Seemacht. Es ist bis zum Ende des vierten Jahrhunderts (ca. 350) kaum von latinischen Kriegsschiffen die Rede, außer daß auf einem römischen das Weihgeschenk aus der veientischen Beute nach Delphi gesandt ward (360 394). Die Antiaten freilich fuhren fort, ihren Handel mit bewaffneten Schiffen und also auch gelegentlich das Piratengewerbe zu betreiben und der „tyrrhenische Korsar“ Postumius, den Timoleon um 415 (339) aufbrachte, könnte allerdings ein Antiate gewesen sein; aber unter den Seemächten jener Zeit zählten sie schwerlich mit und wäre es der Fall gewesen, so würde bei der Stellung Antiums zu Rom darin für Rom nichts weniger als ein Vorteil gelegen haben. Wie weit es um das Jahr 400 (ca. 350) mit dem Verfall der römischen Seemacht gekommen war, zeigt die Ausplünderung der latinischen Küsten durch eine griechische, vermutlich sizilische Kriegsflotte im Jahre 405 (349), während zugleich keltische Haufen das latinische Land brandschatzend durchzogen. Das Jahr darauf (406 348), und ohne Zweifel unter dem unmittelbaren Eindruck dieser bedenklichen Ereignisse, schlossen die römische Gemeinde und die Phöniker von Karthago, beiderseits für sich und die abhängigen Bundesgenossen, einen Handels- und Schiffahrtsvertrag, die älteste römische Urkunde, von der der Text, freilich nur in griechischer Übersetzung, auf uns gekommen ist46. Die Römer mußten darin sich verpflichten, die libysche Küste westlich vom Schönen Vorgebirge (Cap Bon), Notfälle ausgenommen, nicht zu befahren; dagegen erhielten sie freien Verkehr gleich den einheimischen auf Sizilien, soweit dies karthagisch war, und in Afrika und Sardinien wenigstens das Recht, gegen den unter Zuziehung der karthagischen Beamten festgestellten und von der karthagischen Gemeinde garantierten Kaufpreis ihre Waren abzusetzen. Den Karthagern scheint wenigstens in Rom, vielleicht in ganz Latium freier Verkehr zugestanden zu sein, nur machten sie sich anheischig, die botmäßigen latinischen Gemeinden nicht zu vergewaltigen, auch, wenn sie als Feinde den latinischen Boden betreten würden, dort nicht Nachtquartier zu nehmen – also ihre Seeräuberzüge nicht in das Binnenland auszudehnen – noch gar Festungen im latinischen Lande anzulegen. Wahrscheinlich in dieselbe Zeit gehört auch der oben schon erwähnte Vertrag zwischen Rom und Tarent, von dessen Entstehungszeit nur berichtet wird, daß er längere Zeit vor 472 (282) abgeschlossen ward; durch denselben verpflichteten sich die Römer, gegen welche Zusicherungen tarentinischerseits wird nicht gesagt, die Gewässer östlich vom Lakinischen Vorgebirge nicht zu befahren, wodurch sie also völlig vom östlichen Becken des Mittelmeeres ausgeschlossen wurden.

Es waren dies Niederlagen so gut wie die an der Allia, und auch der römische Senat scheint sie als solche empfunden und die günstige Wendung, die die italischen Verhältnisse bald nach dem Abschluß der demütigenden Verträge mit Karthago und Tarent für Rom nahmen, mit aller Energie benutzt zu haben, um die gedrückte maritime Stellung zu verbessern. Die wichtigsten Küstenstädte wurden mit römischen Kolonien belegt: der Hafen von Caere, Pyrgi, dessen Kolonisierung wahrscheinlich in diese Zeit fällt; ferner an der Westküste Antium im Jahre 415 (339); Tarracina im Jahre 425 (329), die Insel Pontia 441 (313), womit, da Ardea und Circeii bereits früher Kolonisten empfangen hatten, alle namhaften Seeplätze im Gebiet der Rutuler und Volsker latinische oder Bürgerkolonien geworden waren; weiter im Gebiet der Aurunker Minturnae und Sinuessa im Jahre 459 (295), im lucanischen Paestum und Cosa im Jahre 481 (273), und am adriatischen Litoral Sena gallica und Castrum novum um das Jahr 471 (283), Ariminum im Jahre 486 (268), wozu noch die gleich nach der Beendigung des Pyrrhischen Krieges erfolgte Besetzung von Brundisium hinzukommt. In der größeren Hälfte dieser Ortschaften, den Bürger- oder Seekolonien47, war die junge Mannschaft vom Dienst in den Legionen befreit und lediglich bestimmt, die Küsten zu überwachen. Die gleichzeitige wohlüberlegte Bevorzugung der unteritalischen Griechen vor ihren sabellischen Nachbarn, namentlich der ansehnlichen Gemeinden Neapolis, Rhegion, Lokri, Thurii, Herakleia, und deren gleichartige und unter gleichartigen Bedingungen gewährte Befreiung vom Zuzug zum Landheer vollendete das um die Küsten Italiens gezogene römische Netz.

Aber mit einer staatsmännischen Sicherheit, von welcher die folgenden Generationen hätten lernen können, erkannten es die leitenden Männer des römischen Gemeinwesens, daß alle diese Küstenbefestigungen und Küstenbewachungen unzulänglich bleiben mußten, wenn nicht die Kriegsmarine des Staats wieder auf einen achtunggebietenden Fuß gebracht ward. Einen gewissen Grund dazu legte schon nach der Unterwerfung von Antium (416 338) die Abführung der brauchbaren Kriegsgaleeren in die römischen Docks; die gleichzeitige Verfügung indes, daß die Antiaten sich alles Seeverkehrs zu enthalten hätten48, charakterisiert mit schneidender Deutlichkeit, wie ohnmächtig damals die Römer noch zur See sich fühlten und wie völlig ihre Seepolitik noch aufging in der Okkupierung der Küstenplätze. Als sodann die süditalischen Griechenstädte, zuerst 428 (326) Neapel, in die römische Klientel eintraten, machten die Kriegsschiffe, welche jede dieser Städte sich verpflichtete, den Römern als bundesmäßige Kriegshilfe zu stellen, zu einer römischen Flotte wenigstens wieder einen Anfang. Im Jahre 443 (311) wurden weiter infolge eines eigens deswegen gefaßten Bürgerschaftsschlusses zwei Flottenherren (duoviri navales) ernannt, und diese römische Seemacht wirkte im Samnitischen Kriege mit bei der Belagerung von Nuceria. Vielleicht gehört selbst die merkwürdige Sendung einer römischen Flotte von 25 Segeln zur Gründung einer Kolonie auf Korsika, welcher Theophrastos in seiner um 446 (308) geschriebenen Pflanzengeschichte gedenkt, dieser Zeit an. Wie wenig aber mit allem dem unmittelbar erreicht war, zeigt der im Jahre 448 (306) erneuerte Vertrag mit Karthago. Während die Italien und Sizilien betreffenden Bestimmungen des Vertrages von 406 (348) unverändert blieben, wurde den Römern außer der Befahrung der östlichen Gewässer jetzt weiter die früher gestattete des Atlantischen Meers, sowie der Handelsverkehr mit den Untertanen Karthagos in Sardinien und Afrika, endlich wahrscheinlich auch die Festsetzung auf Korsika49 untersagt, sodaß nur das karthagische Sizilien und Karthago selbst ihrem Handel geöffnet blieben. Man erkennt hier die mit der Ausdehnung der römischen Küstenherrschaft steigende Eifersucht der herrschenden Seemacht: sie zwang die Römer, sich ihrem Prohibitivsystem zu fügen, sich von den Produktionsplätzen im Okzident und im Orient ausschließen zu lassen – in diesen Zusammenhang gehört noch die Erzählung von der öffentlichen Belohnung des phönikischen Schiffers, der ein in den Atlantischen Ozean ihm nachsteuerndes römisches Fahrzeug mit Aufopferung seines eigenen auf eine Sandbank geführt hatte – und ihre Schiffahrt auf den engen Raum des westlichen Mittelmeers vertragsmäßig zu beschränken, um nur ihre Küste nicht der Plünderung preiszugeben und die alte und wichtige Handelsverbindung mit Sizilien zu sichern. Die Römer mußten sich fügen; aber sie ließen nicht ab von den Bemühungen, ihr Seewesen aus seiner Ohnmacht zu reißen. Eine durchgreifende Maßregel in diesem Sinne war die Einsetzung der vier Flottenquästoren (quaestores classici) im Jahre 487 (267), von denen der erste in Ostia, dem Seehafen der Stadt Rom, seinen Sitz erhielt, der zweite von Cales, damals der Hauptstadt des römischen Kampaniens, aus die kampanischen und großgriechischen, der dritte von Ariminum aus die transapenninischen Häfen zu beaufsichtigen hatte; der Bezirk des vierten ist nicht bekannt. Diese neuen ständigen Beamten waren zwar nicht allein, aber doch mitbestimmt, die Küsten zu überwachen und zum Schutze derselben eine Kriegsmarine zu bilden. Die Absicht des römischen Senats, die Selbständigkeit zur See wiederzugewinnen und teils die maritimen Verbindungen Tarents abzuschneiden, teils den von Epeiros kommenden Flotten das Adriatische Meer zu sperren, teils sich von der karthagischen Suprematie zu emanzipieren, liegt deutlich zutage. Das schon erörterte Verhältnis zu Karthago während des letzten italischen Krieges weist davon die Spuren auf. Zwar zwang König Pyrrhos die beiden großen Städte noch einmal – es war das letzte Mal – zum Abschluß einer Offensivallianz; allein die Lauigkeit und Treulosigkeit dieses Bündnisses, die Versuche der Karthager, sich in Rhegion und Tarent festzusetzen, die sofortige Besetzung Brundisiums durch die Römer nach Beendigung des Krieges zeigen deutlich, wie sehr die beiderseitigen Interessen schon sich einander stießen.

Begreiflicherweise suchte Rom sich gegen Karthago auf die hellenischen Seestaaten zu stützen. Mit Massalia bestand das alte enge Freundschaftsverhältnis ununterbrochen fort. Das nach Veiis Eroberung von Rom nach Delphi gesandte Weihgeschenk ward daselbst in dem Schatzhaus der Massalioten aufbewahrt. Nach der Einnahme Roms durch die Kelten ward in Massalia für die Abgebrannten gesammelt, wobei die Stadtkasse voranging; zur Vergeltung gewährte dann der römische Senat den massaliotischen Kaufleuten Handelsbegünstigungen und räumte bei der Feier der Spiele auf dem Markt neben der Senatorentribüne den Massalioten einen Ehrenplatz (graecostasis) ein. Eben dahin gehören die um das Jahr 448 (306) mit Rhodos und nicht lange nachher mit Apollonia, einer ansehnlichen Kaufstadt an der epeirotischen Küste, von den Römern abgeschlossenen Handels- und Freundschaftsverträge und vor allem die für Karthago sehr bedenkliche Annäherung, welche unmittelbar nach dem Ende des Pyrrhischen Krieges zwischen Rom und Syrakus stattfand.

Wenn also die römische Seemacht zwar mit der ungeheuren Entwicklung der Landmacht auch nicht entfernt Schritt hielt und namentlich die eigene Kriegsmarine der Römer keineswegs war, was sie nach der geographischen und kommerziellen Lage des Staates hätte sein müssen, so fing doch auch sie an, allmählich sich aus der völligen Nichtigkeit, zu welcher sie um das Jahr 400 (354) herabgesunken war, wieder emporzuarbeiten; und bei den großen Hilfsquellen Italiens mochten wohl die Phöniker mit besorgten Blicken diese Bestrebungen verfolgen.

Die Krise über die Herrschaft auf den italischen Gewässern nahte heran; zu Lande war der Kampf entschieden. Zum erstenmal war Italien unter der Herrschaft der römischen Gemeinde zu einem Staat vereinigt. Welche politische Befugnisse dabei die römische Gemeinde den sämtlichen übrigen italischen entzog und in ihren alleinigen Besitz nahm, das heißt, welcher staatsrechtliche Begriff mit dieser Herrschaft Roms zu verbinden ist, wird nirgends ausdrücklich gesagt, und es mangelt selbst, in bezeichnender und klug berechneter Weise, für diesen Begriff an einem allgemeingültigen Ausdruck50. Nachweislich gehörten dazu nur das Kriegs- und Vertrags- und das Münzrecht, so daß keine italische Gemeinde einem auswärtigen Staat Krieg erklären oder mit ihm auch nur verhandeln und kein Courantgeld schlagen durfte, dagegen jede von der römischen Gemeinde erlassene Kriegserklärung und jeder von ihr abgeschlossene Staatsvertrag von Rechtswegen alle übrigen italischen Gemeinden mit band und das römische Silbergeld in ganz Italien gesetzlich gangbar ward; und es ist wahrscheinlich, daß die formulierten Befugnisse der führenden Gemeinde sich nicht weiter erstreckten. Indes notwendig knüpften hieran tatsächlich viel weitergehende Herrschaftsrechte sich an.

Im einzelnen war das Verhältnis, in welchem die Italiker zu der führenden Gemeinde standen, ein höchst ungleiches, und es sind in dieser Hinsicht, außer der römischen Vollbürgerschaft, drei verschiedene Klassen von Untertanen zu unterscheiden. jene selbst vor allem ward so weit ausgedehnt, als es irgend möglich war, ohne den Begriff eines städtischen Gemeinwesens für die römische Kommune völlig aufzugeben. Das alte Bürgergebiet war bis dahin hauptsächlich durch Einzelassignation in der Weise erweitert worden, daß das südliche Etrurien bis gegen Caere und Falerii, die den Hernikern entrissenen Strecken am Sacco und am Anio, der größte Teil der sabinischen Landschaft und große Striche der ehemals volskischen, besonders die pomptinische Ebene in römisches Bauernland umgewandelt und meistenteils für deren Bewohner neue Bürgerbezirke eingerichtet waren. Dasselbe war sogar schon mit dem von Capua abgetretenen Falernerbezirke am Volturnus geschehen. Alle diese außerhalb Rom domizilierten Bürger entbehrten eines eigenen Gemeinwesens und eigener Verwaltung; auf dem assignierten Gebiet entstanden höchstens Marktflecken (fora et conciliabula). In nicht viel anderer Lage befanden sich die nach den oben erwähnten sogenannten Seekolonien entsandten Bürger, denen gleichfalls das römische Vollbürgerrecht verblieb und deren Selbstverwaltung wenig bedeutete. Gegen den Schluß dieser Periode scheint die römische Gemeinde damit begonnen zu haben, den nächstliegenden Passivbürgergemeinden gleicher oder nah verwandter Nationalität das Vollbürgerrecht zu gewähren; welches wahrscheinlich zuerst für Tusculum geschehen ist51, ebenso vermutlich auch für die übrigen Passivbürgergemeinden im eigentlichen Latium, dann am Ausgang dieser Periode (486 268) auf die sabinischen Städte erstreckt ward, die ohne Zweifel damals schon wesentlich latinisiert waren und in dem letzten schweren Krieg ihre Treue genügend bewährt hatten. Diesen Städten blieb die nach ihrer früheren Rechtsstellung ihnen zukommende beschränkte Selbstverwaltung auch nach ihrer Aufnahme in den römischen Bürgerverband; mehr aus ihnen als aus den Seekolonien haben sich die innerhalb der römischen Vollbürgerschaft bestehenden Sondergemeinwesen und damit im Laufe der Zeit die römische Munizipalordnung herausgebildet. Hiernach wird die römische Vollbürgerschaft am Ende dieser Epoche sich nördlich bis in die Nähe von Caere, östlich bis an den Apennin, südlich bis nach Tarracina erstreckt haben, obwohl freilich von einer eigentlichen Grenze hier nicht die Rede sein kann und teils eine Anzahl Bundesstädte latinischen Rechts, wie Tibur, Praeneste, Signia, Norba, Circeii, sich innerhalb dieser Grenzen befanden, teils außerhalb derselben die Bewohner von Minturnae, Sinuessa, des falernischen Gebiets, der Stadt Sena Gallica und anderer Ortschaften mehr, ebenfalls volles Bürgerrecht besaßen und römische Bauernfamilien vereinzelt oder in Dörfern vereinigt vermutlich schon jetzt durch ganz Italien zerstreut sich fanden.

Unter den untertänigen Gemeinden stehen die Passivbürger (cives sine suffragio), abgesehen von dem aktiven und passiven Wahlrecht, in Rechten und Pflichten den Vollbürgern gleich. Ihre Rechtsstellung ward durch die Beschlüsse der römischen Komitien und die für sie vom römischen Prätor erlassenen Normen geregelt, wobei indes ohne Zweifel die bisherigen Ordnungen wesentlich zugrunde gelegt wurden. Recht sprach für sie der römische Prätor oder dessen jährlich in die einzelnen Gemeinden entsandte „Stellvertreter“ (praefecti). Den besser gestellten von ihnen, wie zum Beispiel der Stadt Capua, blieb die Selbstverwaltung und damit der Fortgebrauch der Landessprache und die eigenen Beamten, welche die Aushebung und die Schatzung besorgten. Den Gemeinden schlechteren Rechts, wie zum Beispiel Caere, wurde auch die eigene Verwaltung genommen, und es war dies ohne Zweifel die drückendste unter den verschiedenen Formen der Untertänigkeit. Indes zeigt sich, wie oben bemerkt ward, am Ende dieser Periode bereits das Bestreben, diese Gemeinden, wenigstens soweit sie faktisch latinisiert waren, der Vollbürgerschaft einzuverleiben.

Die bevorzugteste und wichtigste Klasse unter den untertänigen Gemeinden war die der latinischen Städte, welche an den von Rom inner- und selbst schon außerhalb Italien gegründeten autonomen Gemeinden, den sogenannten latinischen Kolonien ebenso zahlreichen als ansehnlichen Zuwachs erhielt und stetig durch neue Gründungen dieser Art sich vermehrte. Diese neuen Stadtgemeinden römischen Ursprungs, aber latinischen Rechts wurden immer mehr die eigentlichen Stützen der römischen Herrschaft über Italien. Es waren dies nicht mehr diejenigen Latiner, mit denen am Regiller See und bei Trifanum gestritten worden war – nicht jene alten Glieder des albischen Bundes, welche der Gemeinde Rom von Haus aus sich gleich, wo nicht besser achteten und welche, wie die gegen Praeneste zu Anfang des Pyrrhischen Krieges verfügten furchtbar strengen Sicherheitsmaßregeln und die nachweislich lange noch fortzuckenden Reibungen namentlich mit den Praenestinern beweisen, die römische Herrschaft als schweres Joch empfanden. Dies alte Latium war wesentlich entweder unter oder in Rom aufgegangen und zählte nur noch wenige und mit Ausnahme von Praeneste und Tibur durchgängig unbedeutende politisch selbständige Gemeinden. Das Latium der späteren republikanischen Zeit bestand vielmehr fast ausschließlich aus Gemeinden, die von Anbeginn an in Rom ihre Haupt- und Mutterstadt verehrt hatten, die inmitten fremdsprachiger und anders gearteter Landschaften durch Sprach-, Rechts- und Sittengemeinschaft an Rom geknüpft waren, die als kleine Tyrannen der umliegenden Distrikte ihrer eigenen Existenz wegen wohl an Rom halten mußten wie die Vorposten an der Hauptarmee, die endlich, infolge der steigenden materiellen Vorteile des römischen Bürgertums, aus ihrer wenngleich beschränkten Rechtsgleichheit mit den Römern immer noch einen sehr ansehnlichen Gewinn zogen, wie ihnen denn zum Beispiel ein Teil der römischen Domäne zur Sondernutzung überwiesen zu werden pflegte und die Beteiligung an den Verpachtungen und Verdingungen des Staats ihnen wie dem römischen Bürger offenstand. Völlig blieben allerdings auch hier die Konsequenzen der ihnen gewährten Selbständigkeit nicht aus. Venusinische Inschriften aus der Zeit der römischen Republik und kürzlich zum Vorschein gekommene beneventanische52 lehren, daß Venusia so gut wie Rom seine Plebs und seine Volkstribune gehabt und daß die Oberbeamten von Benevent wenigstens um die Zeit des Hannibalischen Krieges den Konsultitel geführt haben. Beide Gemeinden gehören zu den jüngsten unter den latinischen Kolonien älteren Rechts; man sieht, welche Ansprüche um die Mitte des fünften Jahrhunderts in denselben sich regten. Auch diese sogenannten Latiner, hervorgegangen aus der römischen Bürgerschaft und in jeder Beziehung sich ihr gleich fühlend, fingen schon an, ihr untergeordnetes Bundesrecht unwillig zu empfinden und nach voller Gleichberechtigung zu streben. Deswegen war denn der Senat bemüht, diese latinischen Gemeinden, wie wichtig sie immer für Rom waren, doch nach Möglichkeit in ihren Rechten und Privilegien herabzudrücken und ihre bundesgenössische Stellung in die der Untertänigkeit insoweit umzuwandeln, als dies geschehen konnte, ohne zwischen ihnen und den nichtlatinischen Gemeinden Italiens die Scheidewand wegzuziehen. Die Aufhebung des Bundes der latinischen Gemeinden selbst sowie ihrer ehemaligen vollständigen Gleichberechtigung und der Verlust der wichtigsten denselben zuständigen politischen Rechte ist schon dargestellt worden; mit der vollendeten Unterwerfung Italiens geschah ein weiterer Schritt und wurde der Anfang dazu gemacht, auch die bisher nicht angetasteten individuellen Rechte des einzelnen latinischen Mannes, vor allem die wichtige Freizügigkeit, zu beschränken. Für die im Jahre 486 (268) gegründete Gemeinde Ariminum und ebenso für alle später konstituierten autonomen Gemeinden wurde die Bevorzugung vor den übrigen Untertanen beschränkt auf die privatrechtliche Gleichstellung ihrer und der römischen Gemeindebürger im Handel und Wandel sowie im Erbrecht53

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Das Verhältnis endlich der nichtlatinischen Bundesgemeinden unterlag selbstverständlich den mannigfachsten Normen, wie eben der einzelne Bundesvertrag sie festgesetzt hatte. Manche dieser ewigen Bündnisse, wie zum Beispiel die der hernikischen Gemeinden, gingen über in völlige Gleichstellung mit den latinischen. Andere, bei denen dies nicht der Fall war, wie die von Neapel, Nola, Herakleia, gewährten verhältnismäßig sehr umfassende Rechte; wieder andere, wie zum Beispiel die tarentinischen und die samnitischen Verträge, mögen sich der Zwingherrschaft genähert haben.

Als allgemeine Regel kann wohl angenommen werden, daß nicht bloß die latinische und hernikische, von denen es überliefert ist, sondern sämtliche italische Völkergenossenschaften, namentlich auch die samnitische und die lucanische, rechtlich aufgelöst oder doch zur Bedeutungslosigkeit abgeschwächt wurden und durchschnittlich keiner italischen Gemeinde mit anderen italischen die Verkehrs- oder Ehegemeinschaft oder gar das gemeinsame Beratschlagungs- und Beschlußfassungsrecht zustand. Ferner wird, wenn auch in verschiedener Weise, dafür gesorgt worden sein, daß die Wehr- und Steuerkraft der sämtlichen italischen Gemeinden der führenden zur Disposition stand. Wenngleich auch ferner noch die Bürgermiliz einer- und die Kontingente „latinischen Namens“ anderseits als die wesentlichen und integrierenden Bestandteile des römischen Heeres angesehen wurden und ihm somit sein nationaler Charakter im ganzen bewahrt blieb, so wurden doch nicht bloß die römischen Passivbürger zu demselben mit herangezogen, sondern ohne Zweifel auch die nichtlatinischen föderierten Gemeinden entweder, wie dies mit den griechischen geschah, zur Stellung von Kriegsschiffen verpflichtet, oder, wie dies für die apulischen, sabellischen und etruskischen auf einmal oder allmählich verordnet worden sein muß, in das Verzeichnis der zuzugpflichtigen Italiker (formula togatorum) eingetragen. Durchgängig scheint dieser Zuzug eben wie der der latinischen Gemeinden fest normiert worden zu sein, ohne daß doch die führende Gemeinde erforderlichenfalls verhindert gewesen wäre, mehr zu fordern. Es lag hierin zugleich eine indirekte Besteuerung, indem jede Gemeinde verpflichtet war, ihr Kontingent selbst auszurüsten und zu besolden. Nicht ohne Absicht wurden darum vorzugsweise die kostspieligsten Kriegsleistungen auf die latinischen oder nichtlatinischen föderierten Gemeinden gewälzt, die Kriegsmarine zum größten Teil durch die griechischen Städte instand gehalten und bei dem Roßdienst die Bundesgenossen, späterhin wenigstens, in dreifach stärkerem Verhältnis als die römische Bürgerschaft angezogen, während im Fußvolk der alte Satz, daß das Bundesgenossenkontingent nicht zahlreicher sein dürfte als das Bürgerheer, noch lange Zeit wenigstens als Regel in Kraft blieb.

Das System, nach welchem dieser Bau im einzelnen zusammengefügt und zusammengehalten ward, läßt aus den wenigen auf uns gekommenen Nachrichten sich nicht mehr feststellen. Selbst das Zahlenverhältnis, in welchem die drei Klassen der Untertanenschaft zueinander und zu der Vollbürgerschaft standen, ist nicht mehr auch nur annähernd zu ermitteln55

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Aber der römische Senat war weise genug, nicht zu übersehen, daß das einzige Mittel, der Gewaltherrschaft Dauer zu geben, die eigene Mäßigung der Gewalthaber ist. Darum ward den abhängigen Gemeinden die Autonomie gelassen oder verliehen, die einen Schatten von Selbständigkeit, einen eigenen Anteil an Roms militärischen und politischen Erfolgen und vor allem eine freie Kommunalverfassung in sich schloß – so weit die italische Eidgenossenschaft reichte, gab es keine Helotengemeinde. Darum verzichtete Rom von vornherein mit einer in der Geschichte vielleicht beispiellosen Klarheit und Hochherzigkeit auf das gefährlichste aller Regierungsrechte, auf das Recht, die Untertanen zu besteuern. Höchstens den abhängigen keltischen Gauen mögen Tribute auferlegt worden sein; soweit die italische Eidgenossenschaft reichte, gab es keine zinspflichtige Gemeinde. Darum endlich ward die Wehrpflicht zwar wohl auf die Untertanen mit, aber doch keineswegs von der herrschenden Bürgerschaft abgewälzt; vielmehr wurde wahrscheinlich die letztere nach Verhältnis bei weitem stärker als die Bundesgenossenschaft und in dieser wahrscheinlich wiederum die Gesamtheit der Latiner bei weitem stärker in Anspruch genommen als die nichtlatinischen Bundesgemeinden; so daß es eine gewisse Billigkeit für sich hatte, wenn auch von dem Kriegsgewinn zunächst Rom und nach ihm die Latinerschaft den besten Teil für sich nahmen.

Der schwierigen Aufgabe, über die Masse der italischen zuzugpflichtigen Gemeinden den Überblick und die Kontrolle sich zu bewahren, genügte die römische Zentralverwaltung teils durch die vier italischen Quästuren, teils durch die Ausdehnung der römischen Zensur über die sämtlichen abhängigen Städte. Die Flottenquästoren hatten neben ihrer nächsten Aufgabe auch von den neugewonnenen Domänen die Einkünfte zu erheben und die Zuzüge der neuen Bundesgenossen zu kontrollieren; sie waren die ersten römischen Beamten, denen gesetzlich Sitz und Sprengel außerhalb Rom angewiesen ward und bildeten zwischen dem römischen Senat und den italischen Gemeinden die notwendige Mittelinstanz. Es hatte ferner, wie die spätere Munizipalverfassung zeigt, in jeder italischen57 Gemeinde die Oberbehörde, wie sie immer heißen mochte, jedes vierte oder fünfte Jahr eine Schatzung vorzunehmen; eine Einrichtung, zu der die Anregung notwendig von Rom ausgegangen sein muß und welche nur den Zweck gehabt haben kann, mit der römischen Zensur korrespondierend dem Senat den Überblick über die Wehr- und Steuerfähigkeit des gesamten Italiens zu bewahren.

Mit dieser militärisch-administrativen Einigung der gesamten diesseits des Apennin bis hinab zum Iapygischen Vorgebirg und zur Meerenge von Rhegion wohnhaften Völkerschaften hängt endlich auch das Aufkommen eines neuen, ihnen allen gemeinsamen Namens zusammen, der „Männer der Toga“, was die älteste staatsrechtliche römische, oder der Italiker, was die ursprünglich bei den Griechen gebräuchliche und sodann allgemein gangbar gewordene Bezeichnung ist. Die verschiedenen Nationen, welche diese Landschaften bewohnten, mögen wohl zuerst sich als eine Einheit gefühlt und zusammengefunden haben teils in dem Gegensatz gegen die Hellenen, teils und vor allem in der gemeinschaftlichen Abwehr der Kelten; denn mochte auch einmal eine italische Gemeinde mit diesen gegen Rom gemeinschaftliche Sache machen und die Gelegenheit nutzen, um die Unabhängigkeit wiederzugewinnen, so brach doch auf die Länge das gesunde Nationalgefühl notwendig sich Bahn. Wie der „gallische Acker“ bis in späte Zeit als der rechtliche Gegensatz des italischen erscheint, so sind auch die „Männer der Toga“ also genannt worden im Gegensatz zu den keltischen „Hosenmännern“ (bracati); und wahrscheinlich hat selbst bei der Zentralisierung des italischen Wehrwesens in den Händen Roms die Abwehr der keltischen Einfälle sowohl als Ursache wie als Vorwand eine wichtige Rolle gespielt. Indem die Römer teils in dem großen Nationalkampf an die Spitze traten, teils die Etrusker, Latiner, Sabeller, Apuler und Hellenen innerhalb der sogleich zu bezeichnenden Grenzen gleichmäßig nötigten, unter ihren Fahnen zu fechten, erhielt die bis dahin schwankende und mehr innerliche Einheit geschlossene und staatsrechtliche Festigkeit und ging der Name Italia, der ursprünglich und noch bei den griechischen Schriftstellern des fünften Jahrhunderts, zum Beispiel bei Aristoteles, nur dem heutigen Kalabrien eignet, über auf das gesamte Land der Togaträger. Die ältesten Grenzen dieser großen von Rom geführten Wehrgenossenschaft oder des neuen Italien reichen am westlichen Litoral bis in die Gegend von Livorno unterhalb des Arnus58, am östlichen bis an den Aesis oberhalb Ancona; die außerhalb dieser Grenzen liegenden, von Italikern kolonisierten Ortschaften, wie Sena gallica und Ariminum jenseits des Apennin, Messana in Sizilien, galten, selbst wenn sie, wie Ariminum, Glieder der Eidgenossenschaft oder sogar, wie Sena, römische Bürgergemeinden waren, doch als geographisch außerhalb Italien gelegen. Noch weniger konnten die keltischen Gaue des Apennin, wenngleich vielleicht schon jetzt einzelne derselben in der Klientel von Rom sich befanden, den Togamännern beigezählt werden. Das neue Italien war also eine politische Einheit geworden; es war aber auch im Zuge, eine nationale zu werden. Bereits hatte die herrschende latinische Nationalität die Sabiner und Volsker sich assimiliert und einzelne latinische Gemeinden über ganz Italien verstreut; es war nur die Entwicklung dieser Keime, daß später einem jeden zur Tragung des latinischen Rockes Befugten auch die latinische Sprache Muttersprache war. Daß aber die Römer schon jetzt dieses Ziel deutlich erkannten, zeigt die übliche Erstreckung des latinischen Namens auf die ganze zuzugpflichtige italische Bundesgenossenschaft59. Was immer von diesem großartigen politischen Bau sich noch erkennen läßt, daraus spricht der hohe politische Verstand seiner namenlosen Baumeister; und die ungemeine Festigkeit, welche diese aus so vielen und so verschiedenartigen Bestandteilen zusammengefügte Konföderation späterhin unter den schwersten Stößen bewährt hat, drückte ihrem großen Werke das Siegel des Erfolges auf. Seitdem die Fäden dieses so fein wie fest um ganz Italien geschlungenen Netzes in den Händen der römischen Gemeinde zusammenliefen, war diese eine Großmacht und trat anstatt Tarents, Lucaniens und anderer durch die letzten Kriege aus der Reihe der politischen Mächte gelöschter Mittel- und Kleinstaaten in das System der Staaten des Mittelmeers ein. Gleichsam die offizielle Anerkennung seiner neuen Stellung empfing Rom durch die beiden feierlichen Gesandtschaften, die im Jahre 481 (273) von Alexandreia nach Rom und wieder von Rom nach Alexandreia gingen, und wenn sie auch zunächst nur die Handelsverbindungen regelten, doch ohne Zweifel schon eine politische Verbündung vorbereiteten. Wie Karthago mit der ägyptischen Regierung um Kyrene rang und bald mit der römischen um Sizilien ringen sollte, so stritt Makedonien mit jener um den bestimmenden Einfluß in Griechenland, mit dieser demnächst um die Herrschaft der adriatischen Küsten; es konnte nicht fehlen, daß die neuen Kämpfe, die allerorts sich vorbereiteten, ineinander eingriffen und daß Rom als Herrin Italiens in den weiten Kreis hineingezogen ward, den des großen Alexanders Siege und Entwürfe seinen Nachfolgern zum Tummelplatz abgesteckt hatten.

  1. Die Erzählung, daß auch die Römer Gesandte an Alexander nach Babylon geschickt, geht auf das Zeugnis des Kleitarchos zurück (Plin. nat. 3, 5, 57), aus dem die übrigen, diese Tatsache meldenden Zeugen (Aristos und Asklepiades bei Arrian 7, 15, 5; Memnon c. 25) ohne Zweifel schöpften. Kleitarchos war allerdings Zeitgenosse dieser Ereignisse, aber sein Leben Alexanders nichtsdestoweniger entschieden mehr historischer Roman als Geschichte; und bei dem Schweigen der zuverlässigen Biographen (Art. a. a. O.; Liv. 9, 18) und dem völlig romanhaften Detail des Berichts, wonach zum Beispiel die Römer dem Alexander einen goldenen Kranz überreicht und dieser die zukünftige Größe Roms vorhergesagt haben soll, wird man nicht umhin können, diese Erzählung zu den vielen anderen durch Kleitarchos in die Geschichte eingeführten Ausschmückungen zu stellen.
  2. Bei dem heutigen Anglona; nicht zu verwechseln mit der bekannteren Stadt gleichen Namens in der Gegend von Cosenza.
  3. Diese Zahlen scheinen glaubwürdig. Der römische Bericht gibt, wohl an Toten und Verwundeten, für jede Seite 15000 Mann an, ein späterer sogar auf römischer 5000, auf griechischer 20000 Tote. Es mag das hier Platz finden um an einem der seltenen Beispiele, wo Kontrolle möglich ist, die fast ausnahmslose Unglaubwürdigkeit der Zahlenangaben zu zeigen, in denen die Lüge bei den Annalisten lawinenartig anschwillt.
  4. Die späteren Römer und mit ihnen die neueren geben dem Bündnis die Wendung, als hätten die Römer absichtlich vermieden, die karthagische Hilfe in Italien anzunehmen. Das wäre unvernünftig gewesen, und die Tatsachen sprechen dagegen. Daß Mago in Ostia nicht landete, erklärt sich nicht aus solcher Vorsicht, sondern einfach daraus, daß Latium von Pyrrhos ganz und gar nicht bedroht war und karthagischen Beistandes also nicht bedurfte; und vor Rhegion kämpften die Karthager allerdings für Rom.
  5. Die Nachweisung, daß die bei Polybios (3, 22) mitgeteilte Urkunde nicht dem Jahre 245 (509), sondern dem Jahre 406 (348) angehört, ist in der Römischen Chronologie bis auf Caesar. 2. Aufl. Berlin 1859, S. 320f., gegeben worden.
  6. Es waren dies Pyrgi, Ostia, Antium, Tarracina, Minturnae, Sinuessa, Sena gallica und Castrum novum.
  7. Diese Angabe ist ebenso bestimmt (Liv. 8,14: interdictum mari Antiati populo est) wie an sich glaubwürdig; denn Antium war ja nicht bloß von Kolonisten, sondern auch noch von der ehemaligen, in der Feindschaft gegen Rom aufgenährten Bürgerschaft bewohnt. Damit im Widerspruch stehen freilich die griechischen Berichte, daß Alexander der Große († 431 323) und Demetrios der Belagerer († 471 283) in Rom über antiatische Seeräuber Beschwerde geführt haben sollen. Der erste aber ist mit dem über die römische Gesandtschaft nach Babylon gleichen Schlages und vielleicht gleicher Quelle. Demetrios dem Belagerer sieht es eher ähnlich, daß er die Piraterie im Tyrrhenischen Meer, das er nie mit Augen gesehen hat, durch Verordnung abschaffte, und undenkbar ist es gerade nicht, daß die Antiaten auch als römische Bürger ihr altes Gewerbe noch trotz des Verbots unter der Hand eine Zeitlang fortgesetzt haben; viel wird indes auch auf die zweite Erzählung nicht zu geben sein.
  8. Nach Servius (Aen. 4, 628) war in den römisch-karthagischen Verträgen bestimmt, es solle kein Römer karthagischen, kein Karthager römischen Boden betreten (vielmehr besetzen), Korsika aber zwischen beiden neutral bleiben (ut neque Romani ad litora Carthaginiensium accederent neque Carthaginienses ad litora Romanorum – Corsica esset media inter Romanos et Carthaginienses). Das scheint hierher zu gehören und die Kolonisierung von Korsika eben durch diesen Vertrag verhindert worden zu sein.
  9. Die Klausel, daß das abhängige Volk sich verpflichtet, „die Hoheit des römischen freundlich gelten zu lassen“ (maiestatem populi Romani comiter conservare), ist allerdings die technische Bezeichnung dieser mildesten Untertänigkeitsform, aber wahrscheinlich erst in bedeutend späterer Zeit aufgekommen (Cic. Balb. 16, 35). Auch die privatrechtliche Bezeichnung der Klientel, so treffend sie eben in ihrer Unbestimmtheit das Verhältnis bezeichnet (Dig. 49, 15, 7, 1), ist schwerlich in älterer Zeit offiziell auf dasselbe angewendet worden.
  10. Daß Tusculum, wie es zuerst das Passivbürgerrecht erhielt, so auch zuerst dies mit dem Vollbürgerrecht vertauschte, ist an sich wahrscheinlich, und vermutlich wird in dieser, nicht in jener Beziehung die Stadt von Cicero (Mut. 8, 19) municipium antiquissimum genannt.
  11. V Cervio A. f. cosol dedicavit und lunonei Quiritei sacra. C. Falcilius L. f. consol dedicavit.
  12. Nach Ciceros Zeugnis (Caecin. 35) gab Sulla den Volaterranern das ehemalige Recht von Ariminum, das heißt, setzt der Redner hinzu, das Recht der „zwölf Kolonien“, welche nicht die römische Civität, aber volles Commercium mit den Römern hatten. Über wenige Dinge ist soviel verhandelt worden wie über die Beziehung dieses Zwölfstädterechts; und doch liegt dieselbe nicht fern. Es sind in Italien und im Cisalpinischen Gallien, abgesehen von einigen früh wieder verschwundenen, im ganzen vierunddreißig latinische Kolonien gegründet worden; die zwölf jüngsten derselben – Ariminum, Beneventum, Firmum, Aesernia, Brundisium, Spoletium, Cremona, Placentia, Copia, Valentia, Bononia, Aquileia – sind hier gemeint, und da Ariminum von ihnen die älteste und diejenige ist, für welche diese neue Ordnung zunächst festgesetzt ward – vielleicht zum Teil deswegen mit, weil dies die erste außerhalb Italien gegründete römische Kolonie war –, so heißt das Stadtrecht dieser Kolonien richtig das ariminensische. Damit ist zugleich erwiesen, was schon aus anderen Gründen die höchste Wahrscheinlichkeit für sich hatte, daß alle nach Aquileias Gründung in Italien (im weiteren Sinn) gestifteten Kolonien zu den Bürgerkolonien gehörten.
  13. Den Umfang der Rechtsschmälerung der jüngeren latinischen Städte im Gegensatz zu den älteren vermögen wir übrigens nicht völlig zu bestimmen. Wenn die Ehegemeinschaft, wie es nicht unwahrscheinlich, aber freilich nichts weniger als ausgemacht ist (oben 1, 116; Diod. p. 590, 62. Frg. Vat. p. 130 Dind.), ein Bestandteil der ursprünglichen bundesgenössischen Rechtsgleichheit war, so ist sie jedenfalls den jüngeren nicht mehr zugestanden worden.
  14. Es ist zu bedauern, daß wir über die Zahlenverhältnisse nicht genügende Auskunft zu geben imstande sind. Man kann die Zahl der waffenfähigen römischen Bürger für die spätere Königszeit auf etwa 20000 veranschlagen. Nun ist aber von Albas Fall bis auf die Eroberung von Veii die unmittelbare römische Mark nicht wesentlich erweitert worden; womit es vollkommen übereinstimmt, daß von der ersten Einrichtung der einundzwanzigste Bezirk um das Jahr 259 (495) an, worin keine oder doch keine bedeutende Erweiterung der römischen Grenze lag, bis auf das Jahr 367 (387) neue Bürgerbezirke nicht errichtet wurden. Mag man nun auch die Zunahme durch den Überschuß der Geborenen über die Gestorbenen, durch Einwanderungen und Freilassungen noch so reichlich in Anschlag bringen, so ist es doch schlechterdings unmöglich, mit den engen Grenzen eines Gebiets von schwerlich 30 Quadratmeilen die überlieferten Zensuszahlen in Übereinstimmung zu bringen, nach denen die Zahl der waffenfähigen römischen Bürger in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts zwischen 104000 und 150000 schwankt, und im Jahre 362 (392), wofür eine vereinzelte Angabe vorliegt, 152573 betrug. Vielmehr werden diese Zahlen mit den 84700 Bürgern des Servianischen Zensus auf einer Linie stehen und überhaupt die ganze bis auf die vier Lustren des Servius Tullius hinaufgeführte und mit reichlichen Zahlen ausgestattete ältere Zensusliste nichts sein als eine jener scheinbar urkundlichen Traditionen, die eben in ganz detaillierten Zahlenangaben sich gefallen und sich verraten.
  15. Erst mit der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts beginnen die großen Gebietserwerbungen, wodurch die Bürgerrolle plötzlich und beträchtlich steigen mußte. Es ist glaubwürdig überliefert, wie an sich glaublich, daß um 416 (338) man 165000 römische Bürger zählte, wozu es recht gut stimmt, daß zehn Jahre vorher, als man gegen Latium und Gallien die ganze Miliz unter die Waffen rief, das erste Aufgebot zehn Legionen, also 50000 Mann betrug. Seit den großen Gebietserweiterungen in Etrurien, Latium und Kampanien zählte man im fünften Jahrhundert durchschnittlich 250000, unmittelbar vor dem ersten Punischen Kriege 280000 bis 290000 waffenfähige Bürger. Diese Zahlen sind sicher genug, allein aus einem anderen Grunde geschichtlich nicht vollständig brauchbar: dabei nämlich sind wahrscheinlich die römischen Vollbürger und die nicht, wie die Kampaner, in eigenen Legionen dienenden „Bürger ohne Stimme“, wie zum Beispiel die Caeriten, ineinander gerechnet, während doch die letzteren faktisch durchaus den Untertanen beigezählt werden müssen (Römische Forschungen, Bd. 2, S. 396).
  16. Nicht bloß in jeder latinischen: denn die Zensur oder die sogenannte Quinquennalität kommt bekanntlich auch bei solchen Gemeinden vor, deren Verfassung nicht nach dem latinischen Schema konstituiert ist.
  17. Diese älteste Grenze bezeichnen wahrscheinlich die beiden kleinen Ortschaften ad fines, wovon die eine nördlich von Arezzo auf der Straße nach Florenz, die zweite an der Küste unweit Livorno lag. Etwas weiter südlich von dem letzteren heißt Bach und Tal von Vada noch jetzt fiume della fine, valle della fine (Targioni Tozzetti, Viaggi. Bd. 4, S. 430).
  18. Im genauen geschäftlichen Sprachgebrauch geschieht dies freilich nicht. Die vollständigste Bezeichnung der Italiker findet sich in dem Ackergesetz von 643 (111), Zeile 21: [ceivis] Romanus sociumve nominisve Latini quibus ex formula togatorum [milites in terra Italia imperare solent]; ebenso wird daselbst Zeile 29 vom Latinus der peregrinus unterschieden und heißt es im Senatsbeschluß über die Bacchanalien von 568 (186): ne quis ceivis Romanus neve nominis Latini neve socium quisquam. Aber im gewöhnlichen Gebrauch wird von diesen drei Gliedern sehr häufig das zweite oder das dritte weggelassen und neben den Römern bald nur derer Latini nominis, bald nur der socii gedacht (W. Weißenborn zu Liv. 22, 50, 6), ohne daß ein Unterschied in der Bedeutung wäre. Die Bezeichnung homines nominis Latini ac socii Italici (Sall. Iug. 40), so korrekt sie an sich ist, ist dem offiziellen Sprachgebrauch fremd, der wohl ein Italia, aber nicht Italici kennt.

8. Kapitel


8. Kapitel

Recht, Religion, Kriegswesen, Volkswirtschaft, Nationalität

In der Entwicklung, welche während dieser Epoche dem Recht innerhalb der römischen Gemeinde zuteil ward, ist wohl die wichtigste materielle Neuerung die eigentümliche Sittenkontrolle, welche die Gemeinde selbst und in untergeordnetem Grade ihre Beauftragten anfingen, über die einzelnen Bürger auszuüben. Der Keim dazu ist in dem Rechte des Beamten zu suchen, wegen Ordnungswidrigkeiten Vermögensbußen (multae) zu erkennen. Bei allen Bußen von mehr als zwei Schafen und 30 Rindern, oder, nachdem durch Gemeindebeschluß vom Jahre 324 (430) die Viehbußen in Geld umgesetzt worden waren, von mehr als 3020 Libralassen (218 Taler), kam bald nach der Vertreibung der Könige die Entscheidung im Wege der Provokation an die Gemeinde, und es erhielt damit das Bruchverfahren ein ursprünglich ihm durchaus fremdes Gewicht. Unter den vagen Begriff der Ordnungswidrigkeit ließ sich alles, was man wollte, bringen und durch die höheren Stufen der Vermögensbußen alles, was man wollte, erreichen; es war eine Milderung, die die Bedenklichkeit dieses arbiträren Verfahrens weit mehr offenbart als beseitigt, daß diese Vermögensbußen, wo sie nicht gesetzlich auf eine bestimmte Summe festgestellt waren, die Hälfte des dem Gebüßten gehörigen Vermögens nicht erreichen durften. In diesen Kreis gehören schon die Polizeigesetze, an denen die römische Gemeinde seit ältester Zeit überreich war: die Bestimmungen der Zwölf Tafeln, welche die Salbung der Leiche durch gedungene Leute, die Mitgabe von mehr als einem Pfuhl und mehr als drei purpurbesetzten Decken sowie von Gold und flatternden Kränzen, die Verwendung von bearbeitetem Holz zum Scheiterhaufen, die Räucherungen und Besprengungen desselben mit Weihrauch und Myrrhenwein untersagten, die Zahl der Flötenbläser im Leichenzug auf höchstens zehn beschränkten und die Klageweiber und die Begräbnisgelage verboten – gewissermaßen das älteste römische Luxusgesetz; ferner die aus den ständischen Kämpfen hervorgegangenen Gesetze gegen den Geldwucher sowohl wie gegen Obernutzung der Gemeinweide und unverhältnismäßige Aneignung von okkupablem Domanialland. Weit bedenklicher aber als diese und ähnliche Bruchgesetze, welche doch wenigstens die Kontravention und oft auch das Strafmaß ein für allemal formulierten, war die allgemeine Befugnis eines jeden mit Jurisdiktion versehenen Beamten wegen Ordnungswidrigkeit eine Buße zu erkennen und, wenn diese das Provokationsmaß erreichte und der Gebüßte sich nicht in die Strafe fügte, die Sache an die Gemeinde zu bringen. Schon im Laufe des fünften Jahrhunderts ist in diesem Wege wegen sittenlosen Lebenswandels sowohl von Männern wie von Frauen, wegen Kornwucher, Zauberei und ähnlicher Dinge gleichsam kriminell verfahren worden. In innerlicher Verwandtschaft hiermit steht die gleichfalls in dieser Zeit aufkommende Quasijurisdiktion der Zensoren, welche ihre Befugnis, das römische Budget und die Bürgerlisten festzustellen, benutzten, teils um von sich aus Luxussteuern aufzulegen, welche von den Luxusstrafen nur der Form nach sich unterschieden, teils besonders um auf die Anzeige anstößiger Handlungen hin dem tadelhaften Bürger die politischen Ehrenrechte zu schmälern oder zu entziehen. Wie weit schon jetzt diese Bevormundung ging, zeigt, daß solche Strafen wegen nachlässiger Bestellung des eigenen Ackers verhängt wurden, ja daß ein Mann wie Publius Cornelius Rufmus (Konsul 464, 477 290, 277) von den Zensoren des Jahres 479 (275) aus dem Ratsherrenverzeichnis gestrichen ward, weil er silbernes Tafelgerät zum Werte von 3360 Sesterzen (240 Taler) besaß. Allerdings hatten nach der allgemein für Beamtenverordnungen gültigen Regel die Verfügungen der Zensoren nur für die Dauer ihrer Zensur, das heißt durchgängig für die nächsten fünf Jahre rechtliche Kraft, und konnten von den nächsten Zensoren nach Gefallen erneuert oder nicht erneuert werden; aber nichtsdestoweniger war diese zensorische Befugnis von einer so ungeheuren Bedeutung, daß infolge dessen die Zensur aus einem Unteramt an Rang und Ansehen von allen römischen Gemeindeämtern das erste ward. Das Senatsregiment ruhte wesentlich auf dieser doppelten, mit ebenso ausgedehnter wie arbiträrer Machtvollkommenheit versehenen Ober- und Unterpolizei der Gemeinde und der Gemeindebeamten. Dieselbe hat wie jedes ähnliche Willkürregiment viel genützt und viel geschadet, und es soll dem nicht widersprochen werden, der den Schaden für überwiegend hält; nur darf es nicht vergessen werden, daß bei der allerdings äußerlichen, aber straffen und energischen Sittlichkeit und dem gewaltig angefachten Bürgersinn, welche diese Zeit recht eigentlich bezeichnen, der eigentlich gemeine Mißbrauch doch von diesen Institutionen fern blieb und, wenn die individuelle Freiheit hauptsächlich durch sie niedergehalten worden ist, auch die gewaltige und oft gewaltsame Aufrechthaltung des Gemeinsinns und der guten alten Ordnung und Sitte in der römischen Gemeinde eben auf diesen Institutionen beruhen.

Daneben macht in der römischen Rechtsentwicklung zwar langsam, aber dennoch deutlich genug eine humanisierende und modernisierende Tendenz sich geltend. Die meisten Bestimmungen der Zwölf Tafeln, welche mit dem Solonischen Gesetz übereinkommen und deshalb mit Grund für materielle Neuerungen gehalten werden dürfen, tragen diesen Stempel; so die Sicherung des freien Assoziationsrechts und der Autonomie der also entstandenen Vereine; die Vorschrift über die Grenzstreifen, die dem Abpflügen wehrte; die Milderung der Strafe des Diebstahls, indem der nicht auf frischer Tat ertappte Dieb sich fortan durch Leistung des doppelten Ersatzes von dem Bestohlenen lösen konnte. Das Schuldrecht ward in ähnlichem Sinn, jedoch erst über ein Jahrhundert nachher, durch das Poetelische Gesetz gemildert. Die freie Bestimmung über das Vermögen, die dem Herrn desselben bei Lebzeiten schon nach ältestem römischen Recht zugestanden hatte, aber für den Todesfall bisher geknüpft gewesen war an die Einwilligung der Gemeinde, wurde auch von dieser Schranke befreit, indem das Zwölftafelgesetz oder dessen Interpretation dem Privattestament dieselbe Kraft beilegte, welche dem von den Kurien bestätigten zukam; es war dies ein wichtiger Schritt zur Sprengung der Geschlechtsgenossenschaften und zur völligen Durchführung der Individualfreiheit im Vermögensrecht. Die furchtbar absolute väterliche Gewalt wurde beschränkt durch die Vorschrift, daß der dreimal vom Vater verkaufte Sohn nicht mehr in dessen Gewalt zurückfallen, sondern fortan frei sein solle; woran bald durch eine – streng genommen freilich widersinnige – Rechtsdeduktion die Möglichkeit angeknüpft ward, daß sich der Vater freiwillig der Herrschaft über den Sohn begebe durch Emanzipation. Im Eherecht wurde die Zivilehe gestattet; und wenn auch mit der rechten bürgerlichen ebenso notwendig wie mit der rechten religiösen die volle eheherrliche Gewalt verknüpft war, so lag doch in der Zulassung der ohne solche Gewalt geschlossenen Verbindung an Ehestatt der erste Anfang zur Lockerung der Vollgewalt des Eheherrn. Der Anfang einer gesetzlichen Nötigung zum ehelichen Leben ist die Hagestolzensteuer (aes uxorium), mit deren Einführung Camillus als Zensor im Jahre 351 (403) seine öffentliche Laufbahn begann.

Durchgreifendere Änderungen als das Recht selbst erlitt die politisch wichtigere und überhaupt veränderlichere Rechtspflegeordnung. Vor allen Dingen gehört dahin die wichtige Beschränkung der oberrichterlichen Gewalt durch die gesetzliche Aufzeichnung des Landrechts und die Verpflichtung des Beamten, fortan nicht mehr nach dem schwankenden Herkommen, sondern nach dem geschriebenen Buchstaben im Zivil- wie im Kriminalverfahren zu entscheiden (303, 304 451, 450). Die Einsetzung eines ausschließlich für die Rechtspflege tätigen römischen Oberbeamten im Jahre 387 (367) und die gleichzeitig in Rom erfolgte und unter Roms Einfluß in allen latinischen Gemeinden nachgeahmte Gründung einer besonderen Polizeibehörde erhöhten die Schnelligkeit und Sicherheit der Justiz. Diesen Polizeiherren oder den Ädilen kam natürlich zugleich eine gewisse Jurisdiktion zu, insofern sie teils für die auf offenem Markt abgeschlossenen Verkäufe, also namentlich für die Vieh- und Sklavenmärkte die ordentlichen Zivilrichter waren, teils in der Regel sie es waren, welche in dem Buß- und Brüchverfahren als Richter erster Instanz oder, was nach römischem Recht dasselbe ist, als öffentliche Ankläger fungierten. Infolgedessen lag die Handhabung der Brüchgesetze und überhaupt das ebenso unbestimmte wie politisch wichtige Brüchrecht hauptsächlich in ihrer Hand. Ähnliche, aber untergeordnetere und besonders gegen die geringen Leute gerichtete Funktionen standen den zuerst 465 (289) ernannten drei Nacht- oder Blutherren (tres viri nocturni oder capitales) zu: sie wurden mit der nächtlichen Feuer- und Sicherheitspolizei und mit der Aufsicht über die Hinrichtungen beauftragt, woran sich sehr bald, vielleicht schon von Haus aus eine gewisse summarische Gerichtsbarkeit geknüpft hat60. Mit der steigenden Ausdehnung der römischen Gemeinde wurde es endlich, teils mit Rücksicht auf die Gerichtspflichtigen, notwendig in den entfernteren Ortschaften eigene, wenigstens für die geringeren Zivilsachen kompetente Richter niederzusetzen, was für die Passivbürgergemeinden Regel war, aber vielleicht selbst auf die entfernteren Vollbürgergemeinden erstreckt ward61 – die ersten Anfänge einer neben der eigentlich römischen sich entwickelnden römisch-munizipalen Jurisdiktion.

In dem Zivilverfahren, welches indes nach den Begriffen dieser Zeit die meisten gegen Mitbürger begangenen Verbrechen einschloß, wurde die wohl schon früher übliche Teilung des Verfahrens in Feststellung der Rechtsfrage vor dem Magistrat (ius) und Entscheidung derselben durch einen vom Magistrat ernannten Privatmann (iudicium) mit Abschaffung des Königtums gesetzliche Vorschrift; und dieser Trennung hat das römische Privatrecht seine logische und praktische Schärfe und Bestimmtheit wesentlich zu verdanken62. Im Eigentumsprozeß wurde die bisher der unbedingten Willkür der Beamten anheimgegebene Entscheidung über den Besitzstand allmählich rechtlichen Regeln unterworfen und neben dem Eigentums- das Besitzrecht entwickelt, wodurch abermals die Magistratsgewalt einen wichtigen Teil ihrer Macht einbüßte. Im Kriminalverfahren wurde das Volksgericht, die bisherige Gnaden- zur rechtlich gesicherten Appellationsinstanz. War der Angeklagte nach Verhörung (quaestio) von dem Beamten verurteilt und berief sich auf die Bürgerschaft, so schritt der Magistrat vor dieser zu dem Weiterverhör (anquisitio), und wenn er nach dreimaliger Verhandlung vor der Gemeinde seinen Spruch wiederholt hatte, wurde im vierten Termin das Urteil von der Bürgerschaft bestätigt oder verworfen. Milderung war nicht gestattet. Denselben republikanischen Sinn atmen die Sätze, daß das Haus den Bürger schütze und nur außerhalb des Hauses eine Verhaftung stattfinden könne; daß die Untersuchungshaft zu vermeiden und es jedem angeklagten und noch nicht verurteilten Bürger zu gestatten sei, durch Verzicht auf sein Bürgerrecht den Folgen der Verurteilung, soweit sie nicht das Vermögen, sondern die Person betrafen, sich zu entziehen – Sätze, die allerdings keineswegs gesetzlich formuliert wurden und den anklagenden Beamten also nicht rechtlich banden, aber doch durch ihren moralischen Druck namentlich für die Beschränkung der Todesstrafe von dem größten Einfluß gewesen sind. Indes wenn das römische Kriminalrecht für den starken Bürgersinn wie für die steigende Humanität dieser Epoche ein merkwürdiges Zeugnis ablegt, so litt es dagegen praktisch namentlich unter den hier besonders schädlich nachwirkenden ständischen Kämpfen. Die aus diesen hervorgegangene konkurrierende Kriminaljurisdiktion erster Instanz der sämtlichen Gemeindebeamten war die Ursache, daß es in dem römischen Kriminalverfahren eine feste Instruktionsbehörde und eine ernsthafte Voruntersuchung fortan nicht mehr gab; und indem das Kriminalurteil letzter Instanz in den Formen und von den Organen der Gesetzgebung gefunden ward, auch seinen Ursprung aus dem Gnadenverfahren niemals verleugnete, überdies noch die Behandlung der polizeilichen Bußen auf das äußerlich sehr ähnliche Kriminalverfahren nachteilig zurückwirkte, wurde nicht etwa mißbräuchlich, sondern gewissermaßen verfassungsmäßig die Entscheidung in den Kriminalsachen nicht nach festem Gesetz, sondern nach dem willkürlichen Belieben der Richter gefällt. Auf diesem Wege ward das römische Kriminalverfahren vollständig grundsatzlos und zum Spielball und Werkzeug der politischen Parteien herabgewürdigt; was um so weniger entschuldigt werden kann, als dies Verfahren zwar vorzugsweise für eigentliche politische Verbrechen, aber doch auch für andere, zum Beispiel für Mord und Brandstiftung zur Anwendung kam. Dazu kam die Schwerfälligkeit jenes Verfahrens, welche im Verein mit der republikanisch hochmütigen Verachtung des Nichtbürgers es verschuldet hat, daß man sich immer mehr gewöhnte, ein summarisches Kriminal- oder vielmehr Polizeiverfahren gegen Sklaven und geringe Leute neben jenem förmlichen zu dulden. Auch hier überschritt der leidenschaftliche Streit um die politischen Prozesse die natürlichen Grenzen und führte Institutionen herbei, die wesentlich dazu beigetragen haben, die Römer allmählich der Idee einer festen sittlichen Rechtsordnung zu entwöhnen.

Weniger sind wir imstande, die Weiterbildung der römischen Religionsvorstellungen in dieser Epoche zu verfolgen. Im allgemeinen hielt man einfach fest an der einfachen Frömmigkeit der Ahnen und den Aber- wie den Unglauben in gleicher Weise fern. Wie lebendig die Idee der Vergeistigung alles Irdischen, auf der die römische Religion beruhte, noch am Ende dieser Epoche war, beweist der vermutlich doch erst infolge der Einführung des Silbercourants im Jahre 485 (269) neu entstandene Gott „Silberich“ (Argentinus), der natürlicherweise des älteren Gottes „Kupferich“ (Aesculanus) Sohn war.

Die Beziehungen zum Ausland sind dieselben wie früher; aber auch hier und hier vor allem ist der hellenische Einfluß im Steigen. Erst jetzt beginnen den hellenischen Göttern in Rom selber sich Tempel zu erheben. Der älteste war der Tempel der Kastoren, welcher in der Schlacht am Regillischen See gelobt und am 15. Juli 269 (485) eingeweiht sein soll. Die Sage, welche an denselben sich knüpft, daß zwei übermenschlich schöne und große Jünglinge auf dem Schlachtfelde in den Reihen der Römer mitkämpfend und unmittelbar nach der Schlacht ihre schweißtriefenden Rosse auf dem römischen Markt am Quell der Juturna tränkend und den großen Sieg verkündend gesehen worden seien, trägt ein durchaus unrömisches Gepräge und ist ohne allen Zweifel der bis in die Einzelheiten gleichartigen Epiphanie der Dioskuren in der berühmten, etwa ein Jahrhundert vorher zwischen den Krotoniaten und den Lokrern am Flusse Sagras geschlagenen Schlacht in sehr früher Zeit nachgedichtet. Auch der delphische Apoll wird nicht bloß beschickt, wie es üblich ist, bei allen unter dem Einfluß griechischer Kultur stehenden Völkern, und nicht bloß nach besonderen Erfolgen, wie nach der Eroberung von Veii, mit dem Zehnten der Beute (360 394) beschenkt, sondern es wird auch ihm ein Tempelinder Stadt gebaut (323 431, erneuert 401 353). Dasselbe geschah gegen das Ende dieser Periode für die Aphrodite (459 295), welche in rätselhafter Weise mit der alten römischen Gartengöttin Venus zusammenfloß63, und für den von Epidauros im Peloponnes erbetenen und feierlich nach Rom geführten Asklapios oder Aesculapius (463 291). Einzeln wird in schweren Zeitläuften Klage vernommen über das Eindringen ausländischen Aberglaubens, vermutlich etruskischer Haruspizes (so 326 428); wo aber dann die Polizei nicht ermangelt, ein billiges Einsehen zu tun.

In Etrurien dagegen wird, während die Nation in politischer Nichtigkeit und träger Opulenz stockte und verdarb, das theologische Monopol des Adels, der stumpfsinnige Fatalismus, die wüste und sinnlose Mystik, die Zeichendeuterei und das Bettelprophetenwesen sich allmählich zu jener Höhe entwickelt haben, auf der wir sie später dort finden.

In dem Priesterwesen traten unseres Wissens durchgreifende Veränderungen nicht ein. Die verschärfte Einziehung, welche für die zur Bestreitung der Kosten des öffentlichen Gottesdienstes angewiesenen Prozeßbußen um das Jahr 465 (289) verfügt wurde, deutet auf das Steigen des sakralen Staatsbudgets, wie es die vermehrte Zahl der Staatsgötter und Tempel mit Notwendigkeit mit sich brachte. Unter den üblen Folgen des Ständehaders ist es schon angeführt worden, daß man den Kollegien der Sachverständigen einen unstatthaften Einfluß einzuräumen begann und sich ihrer bediente, um politische Akte zu kassieren, wodurch teils der Glaube im Volke erschüttert, teils den Pfaffen ein sehr schädlicher Einfluß auf die öffentlichen Geschäfte zugestanden ward.

Im Kriegswesen trat in dieser Epoche eine vollständige Revolution ein. Die uralte graecoitalische Heerordnung, welche gleich der homerischen auf der Aussonderung der angesehensten und tüchtigsten, in der Regel zu Pferde fechtenden Kriegsleute zu einem eigenen Vordertreffen beruht haben mag, war in der späteren Königszeit durch die legio, die altdorische Hoplitenphalanx von wahrscheinlich acht Gliedern Tiefe ersetzt worden, welche fortan das Schwergewicht des Kampfes übernahm, während die Reiter auf die Flügel gestellt und, je nach den Umständen zu Pferde oder abgesessen, hauptsächlich als Reserve verwandt wurden. Aus dieser Herstellung entwickelte sich ungefähr gleichzeitig in Makedonien die Sarissenphalanx und in Italien die Manipularordnung, jene durch Verdichtung und Vertiefung, diese durch Auflösung und Vermannigfaltigung der Glieder, zunächst durch die Teilung der alten legio von 8400 in zwei legiones von je 4200 Mann. Die alte dorische Phalanx hatte durchaus auf dem Nahgefecht mit dem Schwert und vor allem dem Spieß beruht und den Wurfwaffen nur eine beiläufige und untergeordnete Stellung im Treffen eingeräumt. In der Manipularlegion wurde die Stoßlanze auf das dritte Treffen beschränkt und den beiden ersten anstatt derselben eine neue und eigentümlich italische Wurfwaffe gegeben, das Pilum, ein fünftehalb Ellen langes viereckiges oder rundes Holz mit drei- oder vierkantiger eiserner Spitze, das vielleicht ursprünglich zur Verteidigung der Lagerwälle erfunden worden war, aber bald von dem letzten auf die ersten Glieder überging und von dem vorrückenden Gliede auf eine Entfernung von zehn bis zwanzig Schritten in die feindlichen Reihen geworfen ward. Zugleich gewann das Schwert eine bei weitem größere Bedeutung als das kurze Messer der Phalangiten hatte haben können; denn die Wurfspeersalve war zunächst nur bestimmt, dem Angriff mit dem Schwert die Bahn zu brechen. Wenn ferner die Phalanx, gleichsam eine einzige gewaltige Lanze, auf einmal auf den Feind geworfen werden mußte, so wurden in der neuen italischen Legion die kleineren, im Phalangensystem wohl auch vorhandenen, aber in der Schlachtordnung unauflöslich fest verknüpften Einheiten taktisch voneinander gesondert. Das geschlossene Quadrat teilte sich nicht bloß, wie gesagt, in zwei gleich starke Hälften, sondern jede von diesen trat weiter in der Tiefrichtung auseinander in drei Treffen, das der Hastaten, das der Principes und das der Triarier, von ermäßigter, wahrscheinlich in der Regel nur vier Glieder betragender Tiefe und löste in der Frontrichtung sich auf in je zehn Haufen (manipuli), so daß zwischen je zwei Treffen und je zwei Haufen ein merklicher Zwischenraum blieb. Es war nur eine Fortsetzung derselben Individualisierung, wenn der Gesamtkampf auch der verkleinerten taktischen Einheit zurück- und der Einzelkampf in den Vordergrund trat, wie dies aus der schon erwähnten entscheidenden Rolle des Handgemenges und Schwertgefechtes deutlich hervorgeht. Eigentümlich entwickelte sich auch das System der Lagerverschanzung; der Platz, wo der Heerhaufe wenn auch nur für eine einzige Nacht sein Lager nahm, ward ohne Ausnahme mit einer regelmäßigen Umwallung versehen und gleichsam in eine Festung umgeschaffen. Wenig änderte sich dagegen in der Reiterei, die auch in der Manipularlegion die sekundäre Rolle behielt, welche sie neben der Phalanx eingenommen hatte. Auch das Offiziersystem blieb in der Hauptsache ungeändert; nur wurden jetzt jeder der zwei Legionen des regelmäßigen Heeres ebenso viele Kriegstribune vorgesetzt, wie sie bisher das gesamte Heer befehligt hatten, also die Zahl der Stabsoffiziere verdoppelt. Es dürfte auch in dieser Zeit sich die scharfe Grenze festgestellt haben zwischen den Subalternoffizieren, welche sich ihren Platz an der Spitze der Manipel als Gemeine mit dem Schwerte zu gewinnen hatten und in regelmäßigem Avancement von den niederen in die höheren Manipel übergingen, und den je sechs und sechs den ganzen Legionen vorgesetzten Kriegstribunen, für welche es kein regelmäßiges Avancement gab und zu denen man gewöhnlich Männer aus der besseren Klasse nahm. Namentlich muß es dafür von Bedeutung geworden sein, daß, während früher die Subaltern- wie die Stabsoffiziere gleichmäßig vom Feldherrn ernannt wurden, seit dem Jahre 392 (362) ein Teil der letzteren Posten durch Bürgerschaftswahl vergeben ward. Endlich blieb auch die alte, furchtbar strenge Kriegszucht unverändert. Nach wie vor war es dem Feldherrn gestattet, jedem in seinem Lager dienenden Mann den Kopf vor die Füße zu legen und den Stabsoffizier so gut wie den gemeinen Soldaten mit Ruten auszuhauen; auch wurden dergleichen Strafen nicht bloß wegen gemeiner Verbrechen erkannt, sondern ebenso, wenn sich ein Offizier gestattet hatte, von dem erteilten Befehle abzuweichen, oder wenn eine Abteilung sich hatte überrumpeln lassen oder vom Schlachtfeld gewichen war. Dagegen bedingt die neue Heerordnung eine weit ernstere und längere militärische Schule als die bisherige phalangitische, worin das Schwergewicht der Masse auch die Ungeübten zusammenhielt. Wenn dennoch kein eigener Soldatenstand sich entwickelte, sondern das Heer nach wie vor Bürgerheer blieb, so ward dies hauptsächlich dadurch erreicht, daß man die bisherige Gliederung der Soldaten nach dem Vermögen aufgab und sie nach dem Dienstalter ordnete. Der römische Rekrut trat jetzt ein unter die leichtbewaffneten, außerhalb der Linie besonders mit Steinschleudern fechtenden „Sprenkler“ (rorarii) und avancierte aus diesem allmählich in das erste und weiter in das zweite Treffen, bis endlich die langgedienten und erfahrenen Soldaten in dem an Zahl schwächsten, aber in dem ganzen Heer Ton und Geist angebenden Triarierkorps sich zusammenfanden.

Die Vortrefflichkeit dieser Kriegsordnung, welche die nächste Ursache der überlegenen politischen Stellung der römischen Gemeinde geworden ist, beruht wesentlich auf den drei großen militärischen Prinzipien der Reserve, der Verbindung des Nah- und Ferngefechts und der Verbindung von Offensive und Defensive. Das Reservesystem war schon in der älteren Verwendung der Reiterei angedeutet, hier aber durch die Gliederung des Heeres in drei Treffen und die Aufsparung der Veteranenkernschar für den letzten und entscheidenden Stoß vollständig entwickelt. Wenn die hellenische Phalanx den Nahkampf, die orientalischen mit Bogen und leichten Wurfspeeren bewaffneten Reitergeschwader den Fernkampf einseitig ausgebildet hatten, so wurde durch die römische Verbindung des schweren Wurfspießes mit dem Schwerte, wie mit Recht gesagt worden ist, ein ähnlicher Erfolg erreicht wie in der modernen Kriegführung durch die Einführung der Bajonettflinte; es arbeitete die Wurfspeersalve dem Schwertkampf genau in derselben Weise vor wie jetzt die Gewehrsalve dem Angriff mit dem Bajonett. Endlich das ausgebildete Lagersystem gestattete es den Römern, die Vorteile des Belagerungs- und des Offensivkrieges miteinander zu verbinden und die Schlacht je nach Umständen zu verweigern oder zu liefern, und im letzteren Fall sie unter den Lagerwällen gleichwie unter den Mauern einer Festung zu schlagen – der Römer, sagt ein römisches Sprichwort, siegt durch Stillsitzen.

Daß diese neue Kriegsordnung im wesentlichen eine römische oder wenigstens italische Um- und Fortbildung der alten hellenischen Phalangentaktik ist, leuchtet ein; wenn gewisse Anfänge des Reservesystems und der Individualisierung der kleineren Heerabteilungen schon bei den späteren griechischen Strategen, namentlich bei Xenophon begegnen, so folgt daraus nur, daß man die Mangelhaftigkeit des alten Systems auch hier empfunden, aber doch nicht vermocht hat, sie zu beseitigen. Vollständig entwickelt erscheint die Manipularlegion im Pyrrhischen Kriege; wann und unter welchen Umständen und ob sie auf einmal oder nach und nach entstanden ist, läßt sich nicht mehr nachweisen. Die erste von der älteren italisch-hellenischen gründlich verschiedene Taktik, die den Römern gegenübertrat, war die keltische Schwerterphalanx; es ist nicht unmöglich, daß man durch die Gliederung der Armee und die Frontalintervalle der Manipel ihren ersten und allein gefährlichen Stoß abwehren wollte und abgewehrt hat; und damit stimmt es zusammen, wenn in manchen einzelnen Notizen der bedeutendste römische Feldherr der Gallierzeit, Marcus Furius Camillus, als Reformator des römischen Kriegswesens erscheint. Die weiteren an den Samnitischen und Pyrrhischen Krieg anknüpfenden Überlieferungen sind weder hinreichend beglaubigt noch mit Sicherheit einzureihen64; so wahrscheinlich es auch an sich ist, daß der langjährige samnitische Bergkrieg auf die individuelle Entwicklung des römischen Soldaten, und der Kampf gegen einen der ersten Kriegskünstler aus der Schule des großen Alexander auf die Verbesserung des Technischen im römischen Heerwesen nachhaltig eingewirkt hat.

In der Volkswirtschaft war und blieb der Ackerbau die soziale und politische Grundlage sowohl der römischen Gemeinde als des neuen italischen Staates. Aus den römischen Bauern bestand die Gemeindeversammlung und das Heer; was sie als Soldaten mit dem Schwerte gewonnen hatten, sicherten sie als Kolonisten mit dem Pfluge. Die Überschuldung des mittleren Grundbesitzes führte die furchtbaren inneren Krisen des dritten und vierten Jahrhunderts herbei, an denen die junge Republik zugrunde gehen zu müssen schien; die Wiedererhebung der latinischen Bauernschaft, welche während des fünften teils durch die massenhaften Landanweisungen und Inkorporationen, teils durch das Sinken des Zinsfußes und die steigende Volksmenge Roms bewirkt ward, war zugleich Wirkung und Ursache der gewaltigen Machtentwicklung Roms – wohl erkannte Pyrrhos‘ scharfer Soldatenblick die Ursache des politischen und militärischen Übergewichts der Römer in dem blühenden Zustande der römischen Bauernwirtschaften. Aber auch das Aufkommen der Großwirtschaft in dem römischen Ackerbau scheint in diese Zeit zu fallen. In der älteren Zeit gab es wohl auch schon einen – wenigstens verhältnismäßig – großen Grundbesitz; aber dessen Bewirtschaftung war keine Groß-, sondern nur eine vervielfältigte Kleinwirtschaft (I, 204). Dagegen darf die mit der älteren Wirtschaftsweise zwar nicht unvereinbare, aber doch der späteren bei weitem angemessenere Bestimmung des Gesetzes vom Jahre 387 (367), daß der Grundbesitzer neben den Sklaven eine verhältnismäßige Zahl freier Leute zu verwenden verbunden sei, wohl als die älteste Spur der späteren zentralisierten Gutswirtschaft angesehen werden65; und es ist bemerkenswert, daß gleich hier bei ihrem ersten Vorkommen dieselbe wesentlich auf dem Sklavenhalten ruht. Wie sie aufkam, muß dahingestellt bleiben; möglich ist es, daß die karthagischen Pflanzungen auf Sizilien schon den ältesten römischen Gutsbesitzern als Muster gedient haben und vielleicht steht selbst das Aufkommen des Weizens in der Landwirtschaft neben dem Spelt, das Varro um die Zeit der Dezemvirn setzt, mit dieser veränderten Wirtschaftsweise in Zusammenhang. Noch weniger läßt sich ermitteln, wie weit diese Wirtschaftsweise schon in dieser Epoche um sich gegriffen hat; nur daran, daß sie noch nicht Regel gewesen sein und den italischen Bauernstand noch nicht absorbiert haben kann, läßt die Geschichte des Hannibalischen Krieges keinen Zweifel. Wo sie aber aufkam, vernichtete sie die ältere, auf dem Bittbesitz beruhende Klientel; ähnlich wie die heutige Gutswirtschaft großenteils durch Niederlegung der Bauernstellen und Verwandlung der Hufen in Hoffeld entstanden ist. Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß zu der Bedrängnis des kleinen Ackerbauernstandes eben das Einschränken dieser Ackerklientel höchst wesentlich mitgewirkt hat.

Über den inneren Verkehr der Italiker untereinander sind die schriftlichen Quellen stumm; einigen Aufschluß geben lediglich die Münzen. Daß in Italien, von den griechischen Städten und dem etruskischen Populonia abgesehen, während der ersten drei Jahrhunderte Roms nicht gemünzt ward und als Tauschmaterial anfangs das Vieh, später Kupfer nach dem Gewicht diente, wurde schon gesagt. In die gegenwärtige Epoche fällt der Übergang der Italiker vom Tausch- zum Geldsystem, wobei man natürlich zunächst auf griechische Muster sich hingewiesen sah. Es lag indes in den Verhältnissen, daß in Mittelitalien statt des Silbers das Kupfer zum Münzmetall ward und die Münzeinheit sich zunächst anlehnte an die bisherige Werteinheit, das Kupferpfund; womit es zusammenhängt, daß man die Münzen goß, statt sie zu prägen, denn kein Stempel hätte ausgereicht für so große und schwere Stücke. Doch scheint von Haus aus zwischen Kupfer und Silber ein festes Gleichungsverhältnis (250 : 1) normiert und die Kupfermünze mit Rücksicht darauf ausgebracht worden zu sein, so daß zum Beispiel in Rom das große Kupferstück, der As, dem Werte nach einem Skrupel (= 1/288 Pfund) Silber gleichkam. Geschichtlich bemerkenswerter ist es, daß die Münze in Italien höchst wahrscheinlich von Rom ausgegangen ist und zwar eben von den Dezemvirn, die in der Solonischen Gesetzgebung das Vorbild auch zur Regulierung des Münzwesens fanden, und daß sie von Rom aus sich verbreitete über eine Anzahl latinischer, etruskischer, umbrischer und ostitalischer Gemeinden; zum deutlichen Beweise der überlegenen Stellung, die Rom schon seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts in Italien behauptete. Wie alle diese Gemeinden formell unabhängig nebeneinander standen, war gesetzlich auch der Münzfuß durchaus örtlich und jedes Stadtgebiet ein eigenes Münzgebiet; indes lassen sich doch die mittel- und norditalischen Kupfermünzfüße in drei Gruppen zusammenfassen, innerhalb welcher man die Münzen im gemeinen Verkehr als gleichartig behandelt zu haben scheint. Es sind dies teils die Münzen der nördlich vom Ciminischen Walde gelegenen etruskischen und der umbrischen Städte, teils die Münzen von Rom und Latium, teils die des östlichen Litorals. Daß die römischen Münzen mit dem Silber nach dem Gewicht geglichen waren, ist schon bemerkt worden: diejenigen der italischen Ostküste finden wir dagegen in ein bestimmtes Verhältnis gesetzt zu den Silbermünzen, die im südlichen Italien seit alter Zeit gangbar waren und deren Fuß sich auch die italischen Einwanderer, zum Beispiel die Brettier, Lucaner, Nolaner, ja die latinischen Kolonien daselbst wie Cales und Suessa und sogar die Römer selbst für ihre unteritalischen Besitzungen aneigneten. Danach wird auch der italische Binnenhandel in dieselben Gebiete zerfallen sein, welche unter sich verkehrten gleich fremden Völkern.

Im überseeischen Verkehr bestanden die früher bezeichneten sizilisch-latinischen, etruskisch-attischen und adriatisch-tarentinischen Handelsbeziehungen auch in dieser Epoche fort oder gehören ihr vielmehr recht eigentlich an; denn obwohl die derartigen, in der Regel ohne Zeitangabe vorkommenden Tatsachen der Obersicht wegen schon bei der ersten Periode zusammengefaßt worden sind, erstrecken sich diese Angaben doch ebensowohl auf die gegenwärtige mit. Am deutlichsten sprechen auch hierfür die Münzen. Wie die Prägung des etruskischen Silbergeldes auf attischen Fuß und das Eindringen des italischen und besonders latinischen Kupfers in Sizilien für die ersten beiden Handelszüge zeugen, so spricht die eben erwähnte Gleichstellung des großgriechischen Silbergeldes mit der picenischen und apulischen Kupfermünze nebst zahlreichen anderen Spuren für den regen Verkehr der unteritalischen Griechen, namentlich der Tarentiner mit dem ostitalischen Litoral. Dagegen scheint der früher wohl lebhaftere Handel zwischen den Latinern und den kampanischen Griechen durch die sabellische Einwanderung gestört worden zu sein und während der ersten hundertundfünfzig Jahre der Republik nicht viel bedeutet zu haben; die Weigerung der Samniten, in Capua und Cumae den Römern in der Hungersnot von 343 (411) mit ihrem Getreide zu Hilfe zu kommen, dürfte eine Spur der zwischen Latium und Kampanien veränderten Beziehungen sein, bis im Anfang des fünften Jahrhunderts die römischen Waffen die alten Verhältnisse wiederherstellten und steigerten. Im einzelnen mag es noch gestattet sein, als eines der seltenen datierten Fakten aus der Geschichte des römischen Verkehrs der Notiz zu gedenken, welche aus der ardeatischen Chronik erhalten ist, daß im Jahre 454 (300) der erste Barbier aus Sizilien nach Ardea kam, und einen Augenblick bei dem gemalten Tongeschirr zu verweilen, das vorzugsweise aus Attika, daneben aus Kerkyra und Sizilien nach Lucanien, Kampanien und Etrurien gesandt ward, um dort zur Ausschmückung der Grabgemächer zu dienen und über dessen merkantilische Verhältnisse wir zufällig besser als über irgendeinen anderen überseeischen Handelsartikel unterrichtet sind. Der Anfang dieser Einfuhr mag um die Zeit der Vertreibung der Tarquinier fallen, denn die noch sehr sparsam in Italien vorkommenden Gefäße des ältesten Stils dürften in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts der Stadt (500-450) gemalt sein, während die zahlreicheren des strengen Stils der ersten (450-400), die des vollendet schönen der zweiten Hälfte des vierten (400-350) angehören, und die ungeheuren Massen der übrigen, oft durch Pracht und Größe, aber selten durch vorzügliche Arbeit sich auszeichnenden Vasen im ganzen dem folgenden Jahrhundert (350-250) beizulegen sein werden. Es waren allerdings wieder die Hellenen, von denen die Italiker diese Sitte der Gräberschmückung entlehnten; aber wenn die bescheidenen Mittel und der feine Takt der Griechen sie bei diesen in engen Grenzen hielten, ward sie in Italien mit barbarischer Opulenz und barbarischer Verschwendung weit über das ursprüngliche und schickliche Maß ausgedehnt. Aber es ist bezeichnend, daß es in Italien lediglich die Länder der hellenischen Halbkultur sind, in welchen diese Überschwenglichkeit begegnet; wer solche Schrift zu lesen versteht, wird in den etruskischen und kampanischen Leichenfeldern, den Fundgruben unserer Museen, den redenden Kommentar zu den Berichten der Alten über die im Reichtum und Übermut erstickende etruskische und kampanische Halbbildung erkennen. Dagegen blieb das schlichte samnitische Wesen diesem törichten Luxus zu allen Zeiten fern; in dem Mangel des griechischen Grabgeschirrs tritt ebenso fühlbar wie in dem Mangel einer samnitischen Landesmünze die geringe Entwicklung des Handelsverkehrs und des städtischen Lebens in dieser Landschaft hervor. Noch bemerkenswerter ist es, daß auch Latium, obwohl den Griechen nicht minder nahe wie Etrurien und Kampanien und mit ihnen im engsten Verkehr, dieser Gräberpracht sich fast ganz enthalten hat. Es ist wohl mehr als wahrscheinlich, namentlich wegen der ganz abweichenden Beschaffenheit der Gräber in dem einzigen Praeneste, daß wir hierin den Einfluß der strengen römischen Sittlichkeit, oder, wenn man lieber will, der straffen römischen Polizei wiederzuerkennen haben. Im engsten Zusammenhange damit stehen die bereits erwähnten Interdikte, welche schon das Zwölftafelgesetz gegen purpurne Bahrtücher und den Goldschmuck als Totenmitgift schleudert, und die Verbannung des silbernen Gerätes mit Ausnahme des Salzfasses und der Opferschale aus dem römischen Hausrat wenigstens durch das Sittengesetz und die Furcht vor der zensorischen Rüge; und auch in dem Bauwesen werden wir demselben, allem gemeinen wie edlen Luxus feindlichen Sinn wiederbegegnen. Indes mochte auch Rom durch solche Einwirkung von oben her länger als Volsinii und Capua eine gewisse äußere Einfachheit bewahren, so werden sein Handel und Gewerbe, auf denen ja neben dem Ackerbau seine Blüte von Haus aus beruhte, darum noch nicht als unbedeutend gedacht werden dürfen und nicht minder den Einfluß der neuen Machtstellung Roms empfunden haben.

Zu der Entwicklung eines eigentlichen städtischen Mittelstandes, einer unabhängigen Handwerker- und Kaufmannschaft kam es in Rom nicht. Die Ursache war neben der früh eingetretenen unverhältnismäßigen Zentralisierung des Kapitals vornehmlich die Sklavenwirtschaft. Es war im Altertum üblich und in der Tat eine notwendige Konsequenz der Sklaverei, daß die kleineren städtischen Geschäfte sehr häufig von Sklaven betrieben wurden, welche ihr Herr als Handwerker oder Kaufleute etablierte, oder auch von Freigelassenen, für welche der Herr nicht bloß sehr oft das Geschäftskapital hergab, sondern von denen er sich auch regelmäßig einen Anteil, oft die Hälfte des Geschäftsgewinns ausbedang. Der Kleinbetrieb und der Kleinverkehr in Rom waren ohne Zweifel in stetigem Steigen; es finden sich auch Belege dafür, daß die dem großstädtischen Luxus dienstbaren Gewerbe anfingen, sich in Rom zu konzentrieren – so ist das ficoronische Schmuckkästchen im fünften Jahrhundert der Stadt von einem praenestinischen Meister verfertigt und nach Praeneste verkauft, aber dennoch in Rom gearbeitet worden66. Allein da der Reinertrag auch des Kleingeschäfts zum größten Teil in die Kassen der großen Häuser floß, so kam ein industrieller und kommerzieller Mittelstand nicht in entsprechender Ausdehnung empor. Ebensowenig sonderten sich die Großhändler und großen Industriellen scharf von den großen Grundbesitzern. Einerseits waren die letzteren seit alter zugleich Geschäftsbetreibende und Kapitalisten und in ihren Händen Hypothekardarlehen, Großhandel und Lieferungen und Arbeiten für den Staat vereinigt. Anderseits war es bei dem starken sittlichen Akzent, der in dem römischen Gemeinwesen auf den Grundbesitz fiel, und bei seiner politischen Alleinberechtigung, welche erst gegen das Ende dieser Epoche einige Einschränkungen erlitt, ohne Zweifel schon in dieser Zeit gewöhnlich, daß der glückliche Spekulant mit einem Teil seiner Kapitalien sich ansässig machte. Es geht auch aus der politischen Bevorzugung der ansässigen Freigelassenen deutlich genug hervor, daß die römischen Staatsmänner dahin wirkten, auf diesem Wege die gefährliche Klasse der nicht grundsässigen Reichen zu vermindern.

Aber wenn auch in Rom weder ein wohlhabender städtischer Mittelstand noch eine streng geschlossene Kapitalistenklasse sich bildete, so war das großstädtische Wesen doch an sich in unaufhaltsamem Steigen. Deutlich weist darauf hin die zunehmende Zahl der in der Hauptstadt zusammengedrängten Sklaven, wovon die sehr ernsthafte Sklavenverschwörung des Jahres 335 (419) zeugt, und noch mehr die steigende, allmählich unbequem und gefährlich werdende Menge der Freigelassenen, worauf die im Jahre 397 (357) auf die Freilassungen gelegte ansehnliche Steuer und die Beschränkung der politischen Rechte der Freigelassenen im Jahre 450 (304) einen sicheren Schluß gestatten. Denn es lag nicht bloß in den Verhältnissen, daß die große Majorität der freigelassenen Leute sich dem Gewerbe oder dem Handel widmen mußte, sondern es war auch die Freilassung selbst bei den Römern, wie gesagt, weniger eine Liberalität als eine industrielle Spekulation, indem der Herr bei dem Anteil an dem Gewerb- oder Handelsgewinn des Freigelassenen oft besser seine Rechnung fand als bei dem Anrecht auf den ganzen Reinertrag des Sklavengeschäfts. Die Zunahme der Freilassungen muß deshalb mit der Steigerung der kommerziellen und industriellen Tätigkeit der Römer notwendig Hand in Hand gegangen sein.

Einen ähnlichen Fingerzeig für die steigende Bedeutung des städtischen Wesens in Rom gewährt die gewaltige Entwicklung der städtischen Polizei. Es gehört zum großen Teil wohl schon dieser Zeit an, daß die vier Ädilen unter sich die Stadt in vier Polizeibezirke teilten und daß für die ebenso wichtige wie schwierige Instandhaltung des ganz Rom durchziehenden Netzes von kleineren und größeren Abzugskanälen sowie der öffentlichen Gebäude und Plätze, für die gehörige Reinigung und Pflasterung der Straßen, für die Beseitigung den Einsturz drohender Gebäude, gefährlicher Tiere, übler Gerüche, für die Fernhaltung der Wagen außer in den Abend- und Nachtstunden und überhaupt für die Offenhaltung der Kommunikation, für die ununterbrochene Versorgung des hauptstädtischen Marktes mit gutem und billigem Getreide, für die Vernichtung gesundheitsschädlicher Waren und falscher Maße und Gewichte, für die besondere Überwachung von Bädern, Schenken, schlechten Häusern von den Ädilen Fürsorge getroffen ward.

Im Bauwesen mag wohl die Königszeit, namentlich die Epoche der großen Eroberungen, mehr geleistet haben als die ersten zwei Jahrhunderte der Republik. Anlagen wie die Tempel auf dem Kapitol und dem Aventin und der große Spielplatz mögen den sparsamen Vätern der Stadt ebenso wie den fronenden Bürgern ein Greuel gewesen sein, und es ist bemerkenswert, daß das vielleicht bedeutendste Bauwerk der republikanischen Zeit vor den Samnitischen Kriegen, der Cerestempel am Circus, ein Werk des Spurius Cassius (261 493) war, welcher in mehr als einer Hinsicht wieder in die Traditionen der Könige zurückzulenken suchte. Auch den Privatluxus hielt die regierende Aristokratie mit einer Strenge nieder, wie sie die Königsherrschaft bei längerer Dauer sicher nicht entwickelt haben würde. Aber auf die Länge vermochte selbst der Senat sich nicht länger gegen das Schwergewicht der Verhältnisse zu stemmen. Appius Claudius war es, der in seiner epochemachenden Zensur (442 312) das veraltete Bauernsystem des Sparschatzsammelns beiseite warf und seine Mitbürger die öffentlichen Mittel in würdiger Weise gebrauchen lehrte. Er begann das großartige System gemeinnütziger öffentlicher Bauten, das, wenn irgendetwas, Roms militärische Erfolge auch von dem Gesichtspunkt der Völkerwohlfahrt aus gerechtfertigt hat und noch heute in seinen Trümmern Tausenden und Tausenden, welche von römischer Geschichte nie ein Blatt gelesen haben, eine Ahnung gibt von der Größe Roms. Ihm verdankt der römische Staat die erste große Militärchaussee, die römische Stadt die erste Wasserleitung. Claudius‘ Spuren folgend, schlang der römische Senat um Italien jenes Straßen- und Festungsnetz, dessen Gründung früher beschrieben ward und ohne das, wie von den Achämeniden bis hinab auf den Schöpfer der Simplonstraße die Geschichte aller Militärstaaten lehrt, keine militärische Hegemonie bestehen kann. Claudius‘ Spuren folgend, baute Manius Curius aus dem Erlös der Pyrrhischen Beute eine zweite hauptstädtische Wasserleitung (482 272) und öffnete schon einige Jahre vorher (464 290) mit dem sabinischen Kriegsgewinn dem Velino, da wo er oberhalb Terni in die Nera sich stürzt, das heute noch von ihm durchflossene breitere Bett, um in dem dadurch trockengelegten schönen Tal von Rieti für eine große Bürgeransiedlung Raum und auch für sich eine bescheidene Hufe zu gewinnen. Solche Werke verdunkelten selbst in den Augen verständiger Leute die zwecklose Herrlichkeit der hellenischen Tempel. Auch das bürgerliche Leben wurde jetzt ein anderes. Um die Zeit des Pyrrhos begann auf den römischen Tafeln das Silbergeschirr sich zu zeigen67 und das Verschwinden der Schindeldächer in Rom datieren die Chronisten von dem Jahre 470 (284). Die neue Hauptstadt Italiens legte endlich ihr dorfartiges Ansehen allmählich ab und fing nun auch an, sich zu schmücken. Zwar war es noch nicht Sitte, in den eroberten Städten zu Roms Verherrlichung die Tempel ihrer Zierden zu berauben; aber dafür prangten an der Rednerbühne des Marktes die Schnäbel der Galeeren von Antium und an öffentlichen Festtagen längs der Hallen am Markte die von den Schlachtfeldern Samniums heimgebrachten goldbeschlagenen Schilde. Besonders der Ertrag der Brüchgelder diente zur Pflasterung der Straßen in und vor der Stadt oder zur Errichtung und Ausschmückung öffentlicher Gebäude. Die hölzernen Buden der Fleischer, welche an den beiden Langseiten des Marktes sich hinzogen, wichen zuerst an der palatinischen, dann auch an der den Carinen zugewandten Seite den steinernen Hallen der Geldwechsler; dadurch ward dieser Platz zur römischen Börse. Die Bildsäulen der gefeierten Männer der Vergangenheit, der Könige, Priester und Helden der Sagenzeit, des griechischen Gastfreundes, der den Zehnmännern die Solonischen Gesetze verdolmetscht haben sollte, die Ehrensäulen und Denkmäler der großen Bürgermeister, welche die Veienter, die Latiner, die Samniten überwunden hatten, der Staatsboten, die in Vollziehung ihres Auftrages umgekommen waren, der reichen Frauen, die über ihr Vermögen zu öffentlichen Zwecken verfügt hatten, ja sogar schon gefeierter griechischer Weisen und Helden, wie des Pythagoras und des Alkibiades, wurden auf der Burg oder auf dem römischen Markte aufgestellt. Also ward, nachdem die römische Gemeinde eine Großmacht geworden war, Rom selber eine Großstadt.

Endlich trat denn auch Rom als Haupt der römisch-italischen Eidgenossenschaft wie in das hellenistische Staatensystem, so auch in das hellenische Geld- und Münzwesen ein. Bis dahin hatten die Gemeinden Nord- und Mittelitaliens mit wenigen Ausnahmen einzig Kupfercourant, die süditalischen Städte dagegen durchgängig Silbergeld geschlagen und es der Münzfüße und Münzsysteme gesetzlich so viele gegeben, als es souveräne Gemeinden in Italien gab. Im Jahre 485 (269) wurden alle diese Münzstätten auf die Prägung von Scheidemünze beschränkt, ein allgemeiner, für ganz Italien geltender Courantfuß eingeführt und die Courantprägung in Rom zentralisiert, nur daß Capua seine eigene, zwar unter römischem Namen, aber auf abweichenden Fuß geprägte Silbermünze auch ferner behielt. Das neue Münzsystem beruhte auf dem gesetzlichen Verhältnisse der beiden Metalle, wie dasselbe seit langem feststand; die gemeinsame Münzeinheit war das Stück von zehn, nicht mehr pfündigen, sondern auf das Drittelpfund reduzierten Assen, der Denarius, in Kupfer 3 1/3, in Silber 1/72 eines römischen Pfundes, eine Kleinigkeit mehr als die attische Drachme. Zunächst herrschte in der Prägung noch die Kupfermünze vor und wahrscheinlich ist der älteste Silberdenar hauptsächlich für Unteritalien und für den Verkehr mit dem Ausland geschlagen worden. Wie aber der Sieg der Römer über Pyrrhos und Tarent und die römische Gesandtschaft nach Alexandreia dem griechischen Staatsmanne dieser Zeit zu denken geben mußten, so mochte auch der einsichtige griechische Kaufmann wohl nachdenklich diese neuen römischen Drachmen betrachten, deren flaches, unkünstlerisches und einförmiges Gepräge neben dem gleichzeitigen wunderschönen der Münzen des Pyrrhos und der Sikelioten freilich dürftig und unansehnlich erscheint, die aber dennoch keineswegs, wie die Barbarenmünzen des Altertums, sklavisch nachgeahmt und in Schrot und Korn ungleich sind, sondern mit ihrer selbständigen und gewissenhaften Prägung von Haus aus jeder griechischen ebenbürtig sich an die Seite stellen.

Wenn also von der Entwicklung der Verfassungen, von den Völkerkämpfen um Herrschaft und Freiheit, wie sie Italien und insbesondere Rom von der Verbannung des Tarquinischen Geschlechts bis zur Überwältigung der Samniten und der italischen Griechen bewegten, der Blick sich wendet zu den stilleren Kreisen des menschlichen Daseins, die die Geschichte doch auch beherrscht und durchdringt, so begegnet ihm ebenfalls überall die Nachwirkung der großartigen Ereignisse, durch welche die römische Bürgerschaft die Fesseln des Geschlechterregiments sprengte und die reiche Fülle der nationalen Bildungen Italiens allmählich unterging, um ein einziges Volk zu bereichern. Durfte auch der Geschichtschreiber es nicht versuchen, den großen Gang der Ereignisse in die grenzenlose Mannigfaltigkeit der individuellen Gestaltung hinein zu verfolgen, so überschritt er doch seine Aufgabe nicht, wenn er, aus der zertrümmerten Überlieferung einzelne Bruchstücke ergreifend, hindeutete auf die wichtigsten Änderungen, die in dieser Epoche im italischen Volksleben stattgefunden haben. Wenn dabei noch mehr als früher das römische in den Vordergrund trat, so ist dies nicht bloß in den zufälligen Lücken unserer Überlieferung begründet; vielmehr ist es eine wesentliche Folge der veränderten politischen Stellung Roms, daß die latinische Nationalität die übrigen italischen immer mehr verdunkelt. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß in dieser Epoche die Nachbarländer, das südliche Etrurien, die Sabina, das Volskerland sich zu romanisieren anfingen, wovon der fast gänzliche Mangel von Sprachdenkmälern der alten Landesdialekte und das Vorkommen sehr alter römischer Inschriften in diesen Gegenden Zeugnis ablegt; die Aufnahme der Sabiner in das volle Bürgerrecht am Ende dieser Periode spricht dafür, daß die Latinisierung Mittelitaliens schon damals das bewußte Ziel der römischen Politik war. Die zahlreich durch ganz Italien zerstreuten Einzelassignationen und Kolonialgründungen sind nicht bloß militärisch, sondern auch sprachlich und national die vorgeschobenen Posten des latinischen Stammes. Die Latinisierung der Italiker überhaupt ward schwerlich schon damals beabsichtigt; im Gegenteil scheint der römische Senat den Gegensatz der latinischen gegen die übrigen Nationalitäten absichtlich aufrecht erhalten zu haben und gestattete zum Beispiel die Einführung des Lateinischen in den offiziellen Sprachgebrauch den kampanischen Halbbürgergemeinden noch nicht. Indes die Natur der Verhältnisse ist stärker als selbst die stärkste Regierung; mit dem latinischen Volke gewannen auch dessen Sprache und Sitte in Italien zunächst das Prinzipat und fingen bereits an, die übrigen italischen Nationalitäten zu untergraben.

Gleichzeitig wurden dieselben von einer anderen Seite und mit einem anders begründeten Übergewicht angegriffen durch den Hellenismus. Es war dies die Epoche, wo das Griechentum seiner geistigen Überlegenheit über die übrigen Nationen anfing, sich bewußt zu werden und nach allen Seiten hin Propaganda zu machen. Auch Italien blieb davon nicht unberührt. Die merkwürdigste Erscheinung in dieser Art bietet Apulien, das seit dem fünften Jahrhundert Roms allmählich seine barbarische Mundart ablegte und sich im stillen hellenisierte. Es erfolgte dies ähnlich wie in Makedonien und Epeiros nicht durch Kolonisierung, sondern durch Zivilisierung, die mit dem tarentinischen Landhandel Hand in Hand gegangen zu sein scheint – wenigstens spricht es für die letztere Annahme, daß die den Tarentinern befreundeten Landschaften der Poediculer und Daunier die Hellenisierung vollständiger durchführten als die Tarent näher wohnenden, aber beständig mit ihm hadernden Sallentiner, und daß die am frühesten gräzisierten Städte, zum Beispiel Arpi, nicht an der Küste gelegen waren. Daß auf Apulien das griechische Wesen stärkeren Einfluß übte als auf irgendeine andere italische Landschaft, erklärt sich teils aus seiner Lage, teils aus der geringen Entwicklung einer eigenen nationalen Bildung, teils wohl auch aus seiner dem griechischen Stamm minder fremd als die übrigen italischen gegenüberstehenden Nationalität. Indes ist schon früher darauf aufmerksam gemacht worden, daß auch die südlichen sabellischen Stämme, obwohl zunächst sie im Verein mit syrakusanischen Tyrannen das hellenische Wesen in Großgriechenland knickten und verdarben, doch zugleich durch die Berührung und Mischung mit den Griechen teils griechische Sprache neben der einheimischen annahmen, wie die Brettier und Nolaner, teils wenigstens griechische Schrift und griechische Sitte, wie die Lucaner und ein Teil der Kampaner. Etrurien zeigt gleichfalls die Ansätze einer verwandten Entwicklung in den bemerkenswerten dieser Epoche angehörenden Vasenfunden, in denen es mit Kampanien und Lucanien rivalisiert; und wenn Latium und Samnium dem Hellenismus fernergeblieben sind, so fehlt es doch auch hier nicht an Spuren des beginnenden und immer steigenden Einflusses griechischer Bildung. In allen Zweigen der römischen Entwicklung dieser Epoche, in Gesetzgebung und Münzwesen, in der Religion, in der Bildung der Stammsage stoßen wir auf griechische Spuren, und namentlich seit dem Anfang des fünften Jahrhunderts, das heißt seit der Eroberung Kampaniens, erscheint der griechische Einfluß auf das römische Wesen in raschem und stets zunehmendem Wachstum. In das vierte Jahrhundert fällt die Einrichtung der auch sprachlich merkwürdigen “ graecostasis„, einer Tribüne auf dem römischen Markt für die vornehmen griechischen Fremden, zunächst die Massalioten. Im folgenden fangen die Jahrbücher an, vornehme Römer mit griechischen Beinamen, wie Philippos oder römisch Pilipus, Philon, Sophos, Hypsaeos aufzuweisen. Griechische Sitten dringen ein; so der nichtitalische Gebrauch, Inschriften zur Ehre des Toten auf dem Grabmal anzubringen, wovon die Grabschrift des Lucius Scipio, Konsul 456 (298), das älteste uns bekannte Beispiel ist; so die gleichfalls den Italikern fremde Weise, ohne Gemeindebeschluß an öffentlichen Orten den Vorfahren Ehrendenkmäler zu errichten, womit der große Neuerer Appius Claudius den Anfang machte, als er in dem neuen Tempel der Bellona Erzschilde mit den Bildern und den Elogien seiner Vorfahren aufhängen ließ (442 312); so die im Jahre 461 (293) bei dem römischen Volksfest eingeführte Erteilung von Palmzweigen an die Wettkämpfer; so vor allem die griechische Tischsitte. Die Weise, bei Tische nicht wie ehemals auf Bänken zu sitzen, sondern auf Sofas zu liegen; die Verschiebung der Hauptmahlzeit von der Mittag- auf die Stunde zwischen zwei und drei Uhr nachmittags nach unserer Rechnung; die Trinkmeister bei den Schmäusen, welche meistens durch Würfelung aus den Gästen für den Schmaus bestellt werden und nun den Tischgenossen vorschreiben, was, wie und wann getrunken werden soll; die nach der Reihe von den Gästen gesungenen Tischlieder, die freilich in Rom nicht Skolien, sondern Ahnengesänge waren – alles dies ist in Rom nicht ursprünglich und doch schon in sehr alter Zeit den Griechen entlehnt; denn zu Catos Zeit waren diese Gebräuche bereits gemein, ja zum Teil schon wieder abgekommen. Man wird daher ihre Einführung spätestens in diese Zeit zu setzen haben. Charakteristisch ist auch die Errichtung der Bildsäulen des „weisesten und des tapfersten Griechen“ auf dem römischen Markt, die während der Samnitischen Kriege auf Geheiß des pythischen Apollon stattfand; man wählte, offenbar unter sizilischem oder kampanischem Einfluß, den Pythagoras und den Alkibiades, den Heiland und den Hannibal der Westhellenen. Wie verbreitet die Kenntnis des Griechischen schon im fünften Jahrhundert unter den vornehmen Römern war, beweisen die Gesandtschaften der Römer nach Tarent, wo der Redner der Römer, wenn auch nicht im reinsten Griechisch, doch ohne Dolmetsch sprach, und des Kineas nach Rom. Es leidet kaum einen Zweifel, daß seit dem fünften Jahrhundert die jungen Römer, die sich den Staatsgeschäften widmeten, durchgängig die Kunde der damaligen Welt- und Diplomatensprache sich erwarben.

So schritt auf dem geistigen Gebiet der Hellenismus ebenso unaufhaltsam vorwärts, wie der Römer arbeitete, die Erde sich untertänig zu machen; und die sekundären Nationalitäten, wie die samnitische, keltische, etruskische, verloren, von zwei Seiten her bedrängt, immer mehr an Ausdehnung wie an innerer Kraft.

Wie aber die beiden großen Nationen, beide angelangt auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung, in feindlicher wie in freundlicher Berührung anfangen sich zu durchdringen, tritt zugleich ihre Gegensätzlichkeit, der gänzliche Mangel alles Individualismus in dem italischen und vor allem in dem römischen Wesen gegenüber der unendlichen stammlichen, örtlichen und menschlichen Mannigfaltigkeit des Hellenismus in voller Schärfe hervor. Es gibt keine gewaltigere Epoche in der Geschichte Roms als die Epoche von der Einsetzung der römischen Republik bis auf die Unterwerfung Italiens; in ihr wurde das Gemeinwesen nach innen wie nach außen begründet, in ihr das einige Italien erschaffen, in ihr das traditionelle Fundament des Landrechts und der Landesgeschichte erzeugt, in ihr das Pilum und der Manipel, der Straßen- und Wasserbau, die Guts- und Geldwirtschaft begründet, in ihr die Kapitolinische Wölfin gegossen und das ficoronische Kästchen gezeichnet. Aber die Individualitäten, welche zu diesem Riesenbau die einzelnen Steine herbeigetragen und sie zusammengefügt haben, sind spurlos verschollen und die italischen Völkerschaften nicht völliger in der römischen aufgegangen als der einzelne römische Bürger in der römischen Gemeinde. Wie das Grab in gleicher Weise über dem bedeutenden wie über dem geringen Menschen sich schließt, so steht auch in der römischen Bürgermeisterliste der nichtige Junker ununterscheidbar neben dem großen Staatsmann. Von den wenigen Aufzeichnungen, welche aus dieser Zeit bis auf uns gekommen sind, ist keine ehrwürdiger und keine zugleich charakteristischer als die Grabschrift des Lucius Cornelius Scipio, der im Jahre 456 (298) Konsul war und drei Jahre nachher in der Entscheidungsschlacht bei Sentinum mitfocht. Auf dem schönen Sarkophag in edlem dorischen Stil, der noch vor achtzig Jahren den Staub des Besiegers der Samniten einschloß, ist der folgende Spruch eingeschrieben:

Corneliús Lucíus – Scípió Barbátus,
Gnaivód patré prognátus, – fórtis vír sapiénsque,
Quoiús fórma vírtu – teí parísuma fúit,
Consól censór aidílis – queí fuít apúd vos,
Taurásiá Cisaúna – Sámnió cépit,
Subigít omné Loucánam – ópsidésque abdoúcit.

Cornelius Lucius – Scipio Barbatus,
Des Vaters Gnaevos Sohn, ein – Mann so klug wie tapfer,
Des Wohlgestalt war seiner – Tugend angemessen,
Der Konsul, Zensor war bei – euch wie auch Ädilis,
Taurasia, Cisauna – nahm er ein in Samnium,
Bezwingt Lucanien ganz und – führet weg die Geiseln.

So wie diesem römischen Staatsmann und Krieger mochte man unzähligen anderen, die an der Spitze des römischen Gemeinwesens gestanden haben, es nachrühmen, daß sie adlige und schöne, tapfere und kluge Männer gewesen; aber weiter war auch nichts von ihnen zu melden. Es ist wohl nicht bloß Schuld der Überlieferung, daß keiner dieser Cornelier, Fabier, Papirier und wie sie weiter heißen, uns in einem menschlich bestimmten Bild entgegentritt. Der Senator soll nicht schlechter und nicht besser, überhaupt nicht anders sein als die Senatoren alle; es ist nicht nötig und nicht wünschenswert, daß ein Bürger die übrigen übertreffe, weder durch prunkendes Silbergerät und hellenische Bildung noch durch ungemeine Weisheit und Trefflichkeit. Jene Ausschreitungen straft der Zensor und für diese ist kein Raum in der Verfassung. Das Rom dieser Zeit gehört keinem einzelnen an; die Bürger müssen sich alle gleichen, damit jeder einem König gleich sei.

Allerdings macht schon jetzt daneben die hellenische Individualentwicklung sich geltend; und die Genialität und Gewaltsamkeit derselben trägt eben wie die entgegengesetzte Richtung den vollen Stempel dieser großen Zeit. Es ist nur ein einziger Mann hier zu nennen; aber in ihm ist auch der Fortschrittsgedanke gleichsam inkarniert. Appius Claudius (Zensor 442 312; Konsul 447, 458 307, 296), der Ururenkel des Dezemvirs, war ein Mann von altem Adel und stolz auf die lange Reihe seiner Ahnen; aber dennoch ist er es gewesen, der die Beschränkung des vollen Gemeindebürgerrechts auf die ansässigen Leute gesprengt, der das alte Finanzsystem gebrochen hat. Von Appius Claudius datieren nicht bloß die römischen Wasserleitungen und Chausseen, sondern auch die römische Jurisprudenz, Eloquenz, Poesie und Grammatik – die Veröffentlichung eines Klagspiegels, aufgezeichnete Reden und pythagoreische Sprüche, selbst Neuerungen in der Orthographie werden ihm beigelegt. Man darf ihn darum noch nicht unbedingt einen Demokraten nennen, noch ihn jener Oppositionspartei beizählen, die in Manius Curius ihren Vertreter fand; in ihm war vielmehr der Geist der alten und neuen patrizischen Könige mächtig, der Geist der Tarquinier und der Caesaren, zwischen denen er in dem fünfhundertjährigen Interregnum außerordentlicher Taten und gewöhnlicher Männer die Verbindung macht. Solange Appius Claudius an dem öffentlichen Leben tätigen Anteil nahm, trat er in seiner Amtsführung wie in seinem Lebenswandel, keck und ungezogen wie ein Athener, nach rechts wie nach links hin Gesetzen und Gebräuchen entgegen; bis dann, nachdem er längst von der politischen Bühne abgetreten war, der blinde Greis wie aus dem Grabe wiederkehrend, in der entscheidenden Stunde den König Pyrrhos im Senate überwand und Roms vollendete Herrschaft über Italien zuerst förmlich und feierlich aussprach. Aber der geniale Mann kam zu früh oder zu spät; die Götter blendeten ihn wegen seiner unzeitigen Weisheit. Nicht das Genie des einzelnen herrschte in Rom und durch Rom in Italien, sondern der eine unbewegliche, von Geschlecht zu Geschlecht im Senat fortgepflanzte politische Gedanke, in dessen leitende Maximen schon die senatorischen Knaben sich hineinlebten, indem sie in Begleitung ihrer Väter mit zum Rate gingen und an der Tür des Saales der Weisheit derjenigen Männer lauschten, auf deren Stühlen sie dereinst bestimmt waren zu sitzen. So wurden ungeheure Erfolge um ungeheuren Preis erreicht; denn auch der Nike folgt ihre Nemesis. Im römischen Gemeinwesen kommt es auf keinen Menschen besonders an, weder auf den Soldaten noch auf den Feldherrn, und unter der starren sittlich-polizeilichen Zucht wird jede Eigenartigkeit des menschlichen Wesens erstickt. Rom ist groß geworden wie kein anderer Staat des Altertums; aber es hat seine Größe teuer bezahlt mit der Aufopferung der anmutigen Mannigfaltigkeit, der bequemen Läßlichkeit, der innerlichen Freiheit des hellenischen Lebens.

  1. Die früher aufgestellte Behauptung, daß diese Dreiherren bereits der ältesten Zeit angehören, ist deswegen irrig, weil der ältesten Staatsordnung Beamtenkollegien von ungerader Zahl fremd sind (Römische Chronologie bis auf Caesar. z. Aufl. Berlin 1859, S. 15, A. 12). Wahrscheinlich ist die gut beglaubigte Nachricht, daß sie zuerst 465 (289) ernannt wurden (Liv. ep. 11), einfach festzuhalten und die auch sonst bedenkliche Deduktion des Fälschers Licinius Macer (bei Liv. 7, 46), welche ihrer vor 450 (304) Erwähnung tut, einfach zu verwerfen. Anfänglich wurden ohne Zweifel, wie dies bei den meisten der späteren magistratus minores der Fall gewesen ist, die Dreiherren von den Oberbeamten ernannt; das papirische Plebiszit, das die Ernennung derselben auf die Gemeinde übertrug (Festus v. sacramentum p. 344 M.), ist auf jeden Fall, da es den Prätor nennt, qui inter civis ius dicit, erst nach Einsetzung der Fremdenprätur, also frühestens gegen die Mitte des 6. Jahrhunderts erlassen.
  2. Dahin führt, was Liv. 9, 20 über die Reorganisation der Kolonie Antium zwanzig Jahre nach ihrer Gründung berichtet; und es ist an sich klar, daß wenn man dem Ostienser recht wohl auferlegen konnte, seine Rechtshändel alle in Rom abzumachen, dies für Ortschaften wie Antium und Sena sich nicht durchführen ließ.
  3. Man pflegt die Römer als das zur Jurisprudenz privilegierte Volk zu preisen und ihr vortreffliches Recht als eine mystische Gabe des Himmels anzustaunen; vermutlich besonders, um sich die Scham zu ersparen über die Nichtswürdigkeit des eigenen Rechtszustandes. Ein Blick auf das beispiellos schwankende und unentwickelte römische Kriminalrecht könnte von der Unhaltbarkeit dieser unklaren Vorstellungen auch diejenigen überzeugen, denen der Satz zu einfach scheinen möchte, daß ein gesundes Volk ein gesundes Recht hat und ein krankes ein krankes. Abgesehen von allgemeineren staatlichen Verhältnissen, von welchen die Jurisprudenz eben auch und sie vor allem abhängt, liegen die Ursachen der Trefflichkeit des römischen Zivilrechts hauptsächlich in zwei Dingen: einmal darin, daß der Kläger und der Beklagte gezwungen wurden, vor allen Dingen die Forderung und ebenso die Einwendung in bindender Weise zu motivieren und zu formulieren; zweitens darin, daß man für die gesetzliche Fortbildung des Rechtes ein ständiges Organ bestellte und dies an die Praxis unmittelbar anknüpfte. Mit jenem schnitten die Römer die advokatische Rabulisterei, mit diesem die unfähige Gesetzmacherei ab, soweit sich dergleichen abschneiden läßt, und mit beiden zusammen genügten sie, soweit es möglich ist, den zwei entgegenstehenden Forderungen, daß das Recht stets fest und daß es stets zeitgemäß sein soll.
  4. In der späteren Bedeutung als Aphrodite erscheint die Venus wohl zuerst bei der Dedikation des in diesem Jahre geweihten Tempels (Liv. 10, 31; W. A. Becker, Topographie der Stadt Rom [Becker, Handbuch, 1]. Leipzig 1843, S. 472).
  5. Nach der römischen Tradition führten die Römer ursprünglich viereckige Schilde; worauf sie von den Etruskern den runden Hoplitenschild (clupeus, αςπίς)von den Samniten den späteren viereckigen Schild (scutum, θυρεός) und den Wurfspeer (veru) entlehnten (Diodor. Vat. fr. p. 54; Sall. Catil. 51, 38; Verg. Aen. 7, 665; Fest. v. Samnites p. 327 Müller und die bei Marquardt, Handbuch, Bd. 3, 2, S. 241 angeführten). Allein daß der Hoplitenschild, das heißt die dorische Phalangentaktik nicht den Etruskern, sondern den Hellenen unmittelbar nachgeahmt ward, darf als ausgemacht gelten. Was das Scutum anlangt, so wird dieser große zylinderförmig gewölbte Lederschild allerdings wohl an die Stelle des platten kupfernen Clupeus getreten sein, als die Phalanx in Manipel auseinandertrat; allein die unzweifelhafte Herleitung des Wortes aus dem Griechischen macht mißtrauisch gegen die Herleitung der Sache von den Samniten. Von den Griechen kam den Römern auch die Schleuder (funda aus σφενδόνη, wie fides aus σφίδη, oben). Das Pilum gilt den Alten durchaus als römische Erfindung.
  6. Auch Varro (rust. 1, 2, 9) denkt sich den Urheber des Licinischen Ackergesetzes offenbar als Selbstbewirtschafter seiner ausgedehnten Ländereien; obgleich übrigens die Anekdote leicht erfunden sein kann, um den Beinamen zu erklären.
  7. Die Vermutung, daß der Künstler, welcher an diesem Kästchen für die Dindia Macolnia in Rom gearbeitet hat, Novius Plautius, ein Kampaner, gewesen sei, wird durch die neuerlich gefundenen alten praenestinischen Grabsteine widerlegt, auf denen unter andern Macolniern und Plautiern auch ein Lucius Magulnius des Plautius Sohn (L. Magolnio Pla. f.) vorkommt.
  8. Der wegen seines silbernen Tafelgeräts gegen Publius Cornelius Rufinus (Konsul 464, 477 290, 277) verhängten zensorischen Makel wurde schon gedacht. Fabius‘ befremdliche Angabe (bei Strabon 5, p. 228), daß die Römer zuerst nach der Besiegung der Sabiner sich dem Luxus ergeben hätten (αισθέσθαι τού πλόντου), ist offenbar nur eine Übersetzung derselben Anekdote ins Historische; denn die Besiegung der Sabiner fällt in Rufinus‘ erstes Konsulat.

1. Kapitel


1. Kapitel

Änderung der Verfassung. Beschränkung der Magistratsgewalt

Der strenge Begriff der Einheit und Allgewalt der Gemeinde in allen Gemeindeangelegenheiten, dieser Schwerpunkt der italischen Verfassungen, legte in die Hände des einzigen, auf Lebenszeit ernannten Vorstehers eine furchtbare Gewalt, die wohl der Landesfeind empfand, aber nicht minder schwer der Bürger. Mißbrauch und Druck konnte nicht ausbleiben, und hiervon die notwendige Folge waren Bestrebungen, jene Gewalt zu mindern. Aber das ist das Großartige in diesen römischen Reformversuchen und Revolutionen, daß man nie unternimmt, weder die Gemeinde als solche zu beschränken noch auch nur sie entsprechender Organe zu berauben, daß nie die sogenannten natürlichen Rechte des einzelnen gegen die Gemeinde geltend gemacht werden, sondern daß der ganze Sturm sich richtet gegen die Form der Gemeindevertretung. Nicht Begrenzung der Staats-, sondern Begrenzung der Beamtenmacht ist der Ruf der römischen Fortschrittspartei von den Zeiten der Tarquinier bis auf die der Gracchen; und auch dabei vergißt man nie, daß das Volk nicht regieren, sondern regiert werden soll.

Dieser Kampf bewegt sich innerhalb der Bürgerschaft. Ihm zur Seite entwickelt sich eine andere Bewegung: der Ruf der Nichtbürger um politische Gleichberechtigung. Dahin gehören die Agitationen der Plebejer, der Latiner, der Italiker, der Freigelassenen, welche alle, mochten sie Bürger genannt werden, wie die Plebejer und die Freigelassenen, oder nicht, wie die Latiner und die Italiker, politische Gleichheit entbehrten und begehrten.

Ein dritter Gegensatz ist noch allgemeinerer Art: der der Vermögenden und der Armen, insbesondere der aus dem Besitz gedrängten oder in demselben gefährdeten Besitzer. Die rechtlichen und politischen Verhältnisse Roms veranlaßten die Entstehung zahlreicher Bauernwirtschaften teils kleiner Eigentümer, die von der Gnade des Kapital-, teils kleiner Zeitpächter, die von der Gnade des Grundherrn abhingen, und beraubten vielfach einzelne wie ganze Gemeinden des Grundbesitzes, ohne die persönliche Freiheit anzugreifen. Dadurch ward das ackerbauende Proletariat schon so früh mächtig, daß es wesentlich in die Schicksale der Gemeinde eingreifen konnte. Das städtische Proletariat gewann erst in weit späterer Zeit politische Bedeutung.

In diesen Gegensätzen bewegte sich die innere Geschichte Roms und vermutlich nicht minder die uns gänzlich verlorene der übrigen italischen Gemeinden. Die politische Bewegung innerhalb der vollberechtigten Bürgerschaft, der Krieg der Ausgeschlossenen und der Ausschließenden, die sozialen Konflikte der Besitzenden und der Besitzlosen, so mannigfaltig sie sich durchkreuzen und ineinanderschlingen und oft seltsame Allianzen herbeiführen, sind dennoch wesentlich und von Grund aus verschieden.

Da die Servianische Reform, welche den Insassen in militärischer Hinsicht dem Bürger gleichstellte, mehr aus administrativen Rücksichten als aus einer politischen Parteitendenz hervorgegangen zu sein scheint, so darf als der erste dieser Gegensätze, der zu inneren Krisen und Verfassungsänderungen führte, derjenige betrachtet werden, der auf die Beschränkung der Magistratur hinarbeitet. Der früheste Erfolg dieser ältesten römischen Opposition besteht in der Abschaffung der Lebenslänglichkeit der Gemeindevorsteherschaft, das heißt in der Abschaffung des Königtums. Wie notwendig diese in der natürlichen Entwicklung der Dinge lag, dafür ist der schlagendste Beweis, daß dieselbe Verfassungsänderung in dem ganzen Kreise der italisch-griechischen Welt in analoger Weise vor sich gegangen ist. Nicht bloß in Rom, sondern gerade ebenso bei den übrigen Latinern sowie bei den Sabellern, Etruskern und Apulern, überhaupt in sämtlichen italischen Gemeinden finden wir, wie in den griechischen, in späterer Zeit die alten lebenslänglichen durch Jahresherrscher ersetzt. Für den lucanischen Gau ist es bezeugt, daß er im Frieden sich demokratisch regierte und nur für den Krieg die Magistrate einen König, das heißt einen dem römischen Diktator ähnlichen Beamten bestellten; die sabellischen Stadtgemeinden, zum Beispiel die von Capua und Pompeii, gehorchten gleichfalls späterhin einem jährlich wechselnden „Gemeindebesorger“ (medix tuticus), und ähnliche Institutionen mögen wir auch bei den übrigen Volks- und Stadtgemeinden Italiens voraussetzen. Es bedarf hiernach keiner Erklärung, aus welchen Gründen in Rom die Konsuln an die Stelle der Könige getreten sind; der Organismus der alten griechischen und italischen Politie entwickelt vielmehr die Beschränkung der lebenslänglichen Gemeindevorstandschaft auf eine kürzere, meistenteils jährige Frist mit einer gewissen Naturnotwendigkeit aus sich selber. So einfach indes die Ursache dieser Veränderung ist, so mannigfaltig konnten die Anlässe sein; man mochte nach dem Tode des lebenslänglichen Herrn beschließen keinen solchen wieder zu erwählen, wie nach Romulus‘ Tode der römische Senat versucht haben soll; oder der Herr mochte freiwillig abdanken, was angeblich König Servius Tullius beabsichtigt hat; oder das Volk mochte gegen einen tyrannischen Regenten aufstehen und ihn vertreiben, wie dies das Ende des römischen Königtums war. Denn mag die Geschichte der Vertreibung des letzten Tarquinius, „des Übermütigen“, auch noch so sehr in Anekdoten ein- und zur Novelle ausgesponnen sein, so ist doch an den Grundzügen nicht zu zweifeln. Daß der König es unterließ den Senat zu befragen und zu ergänzen, daß er Todesurteile und Konfiskationen ohne Zuziehung von Ratmännern aussprach, daß er in seinen Speichern ungeheure Kornvorräte aufhäufte und den Bürgern Kriegsarbeit und Handdienste über die Gebühr ansann, bezeichnet die Überlieferung in glaublicher Weise als die Ursachen der Empörung; von der Erbitterung des Volkes zeugt das förmliche Gelöbnis, das dasselbe Mann für Mann für sich und seine Nachkommen ablegte, fortan keinen König mehr zu dulden, und der blinde Haß, der seitdem an den Namen des Königs sich anknüpfte, vor allem aber die Verfügung, daß der „Opferkönig“, den man kreieren zu müssen glaubte, damit nicht die Götter den gewohnten Vermittler vermißten, kein weiteres Amt solle bekleiden können und also dieser zwar der erste, aber auch der ohnmächtigste Mann im römischen Gemeindewesen ward. Mit dem letzten König wurde sein ganzes Geschlecht verbannt – ein Beweis, welche Geschlossenheit damals noch die gentilizischen Verbindungen hatten. Die Tarquinier siedelten darauf über nach Caere, vielleicht ihrer alten Heimat, wo ihr Geschlechtsgrab kürzlich aufgedeckt worden ist. An die Stelle aber des einen lebenslänglichen traten zwei jährige Herrscher an die Spitze der römischen Gemeinde.

Dies ist alles, was historisch über dies wichtige Ereignis als sicher angesehen werden kann1. Daß in einer großen weitherrschenden Gemeinde, wie die römische war, die königliche Gewalt, namentlich wenn sie durch mehrere Generationen bei demselben Geschlechte gewesen, widerstandsfähiger und der Kampf also lebhafter war als in den kleineren Staaten, ist begreiflich; aber auf eine Einmischung auswärtiger Staaten in denselben deutet keine sichere Spur. Der große Krieg mit Etrurien, der übrigens wohl nur durch chronologische Verwirrung in den römischen Jahrbüchern so nahe an die Vertreibung der Tarquinier gerückt ist, kann nicht als eine Intervention Etruriens zu Gunsten eines in Rom beeinträchtigten Landsmannes angesehen werden, aus dem sehr zureichenden Grunde, daß die Etrusker trotz des vollständigen Sieges doch weder das römische Königtum wiederhergestellt noch auch nur die Tarquinier zurückgeführt haben.

Sind wir über den historischen Zusammenhang dieses wichtigen Ereignisses im Dunkeln, so liegt dagegen zum Glück klar vor, worin die Verfassungsänderung bestand. Die Königsgewalt ward keineswegs abgeschafft, wie schon das beweist, daß in der Vakanz nach wie vor der „Zwischenkönig“ eintrat; es traten nur an die Stelle des einen lebenslänglichen zwei Jahreskönige, die sich Feldherren (praetores) oder Richter (iudices) oder auch bloß Kollegen (consules)2 nannten. Es sind die Prinzipien der Kollegialität und der Annuität, die die Republik und das Königtum unterscheiden und die hier zuerst uns entgegentreten.

Dasjenige der Kollegialität, dem der dritte späterhin gangbarste Name der Jahreskönige entlehnt war, erscheint hier in einer ganz eigentümlichen Gestalt. Nicht den beiden Beamten zusammen ward die höchste Macht übertragen, sondern es hatte und übte sie jeder Konsul für sich so voll und ganz, wie der König sie gehabt und geübt hatte. Es geht dies so weit, daß von den beiden Kollegen nicht etwa der eine die Rechtspflege, der andere den Heerbefehl übernahm, sondern sie ebenso gleichzeitig in der Stadt Recht sprachen wie zusammen zum Heere abgingen; im Falle der Kollision entschied ein nach Monaten oder Tagen bemessener Turnus. Allerdings konnte daneben, wenigstens im militärischen Oberbefehl, eine gewisse Kompetenzteilung wohl von Anfang an stattfinden, beispielsweise der eine Konsul gegen die Aequer, der andere gegen die Volsker ausrücken; aber sie hatte in keiner Weise bindende Kraft und jedem der Kollegen stand es rechtlich frei, in den Amtskreis des andern zu jeder Zeit überzugreifen. Wo also die höchste Gewalt der höchsten Gewalt entgegentrat und der eine Kollege das verbot, was der andere befahl, hoben die konsularischen Machtworte einander auf. Diese eigentümlich wenn nicht römische, so doch latinische Institution konkurrierender höchster Gewalt, die im römischen Gemeinwesen sich im ganzen genommen praktisch bewährt hat, zu der es aber schwer sein wird, in einem andern größeren Staat eine Parallele zu finden, ist offenbar hervorgegangen aus dem Bestreben, die königliche Macht in rechtlich ungeschmälerter Fülle festzuhalten und darum das Königsamt nicht etwa zu teilen oder von einem Individuum auf ein Kollegium zu übertragen, sondern lediglich es zu verdoppeln und damit, wo es nötig war, es durch sich selber zu vernichten.

Für die Befristung gab das ältere fünftägige Zwischenkönigtum einen rechtlichen Anhalt. Die ordentlichen Gemeindevorsteher wurden verpflichtet, nicht länger als ein Jahr, von dem Tage ihres Amtsantritts an gerechnet3, im Amte zu bleiben und hörten, wie der Interrex mit Ablauf der fünf Tage, so mit Ablauf des Jahres vor. Rechts wegen auf, Beamte zu sein. Durch diese Befristung des höchsten Amtes ging die tatsächliche Unverantwortlichkeit des Königs für den Konsul verloren. Zwar hatte auch der König von jeher in dem römischen Gemeinwesen unter, nicht über dem Gesetz gestanden; allein da nach römischer Auffassung der höchste Richter nicht bei sich selbst belangt werden durfte, hatte er wohl ein Verbrechen begehen können, aber ein Gericht und eine Strafe gab es für ihn nicht. Den Konsul dagegen schützte, wenn er Mord oder Landesverrat beging, sein Amt auch, aber nur, solange es währte; nach seinem Rücktritt unterlag er dem gewöhnlichen Strafgericht wie jeder andere Bürger.

Zu diesen hauptsächlichen und prinzipiellen Änderungen kamen andere untergeordnete und mehr äußerliche, aber doch auch teilweise tief eingreifende Beschränkungen hinzu. Das Recht des Königs, seine Äcker durch Bürgerfronden zu bestellen, und das besondere Schutzverhältnis, in welchem die Insassenschaft zu dem König gestanden haben muß, fielen mit der Lebenslänglichkeit des Amtes von selber.

Hatte ferner im Kriminalprozeß sowie bei Bußen und Leibesstrafen bisher dem König nicht bloß Untersuchung und Entscheidung der Sache zugestanden, sondern auch die Entscheidung darüber, ob der Verurteilte den Gnadenweg betreten dürfe oder nicht, so bestimmte jetzt das Valerische Gesetz (Jahr 245 Roms 500), daß der Konsul der Provokation des Verurteilten stattgeben müsse, wenn auf Todes- oder Leibesstrafe nicht nach Kriegsrecht erkannt war; was durch ein späteres Gesetz (unbestimmter Zeit, aber vor dem Jahre 303 451 erlassen) auf schwere Vermögensbußen ausgedehnt ward. Zum Zeichen dessen legten die konsularischen Liktoren, wo der Konsul als Richter, nicht als Feldherr auftrat, die Beile ab, die sie bisher kraft des ihrem Herrn zustehenden Blutbannes geführt hatten. Indes drohte dem Beamten, der der Provokation nicht ihren Lauf ließ, das Gesetz nichts anderes als die Infamie, die nach damaligen Verhältnissen im wesentlichen nichts war als ein sittlicher Makel und höchstens zur Folge hatte, daß das Zeugnis des Ehrlosen nicht mehr galt. Auch hier liegt dieselbe Anschauung zu Grunde, daß es rechtlich unmöglich ist, die alte Königsgewalt zu schmälern und die infolge der Revolution dem Inhaber der höchsten Gemeindegewalt gesetzten Schranken streng genommen nur einen tatsächlichen und sittlichen Wert haben. Wenn also der Konsul innerhalb der alten königlichen Kompetenz handelt, so kann er damit wohl ein Unrecht, aber kein Verbrechen begehen und unterliegt also deswegen dem Strafrichter nicht.

Eine in der Tendenz ähnliche Beschränkung fand statt in der Zivilgerichtsbarkeit; denn wahrscheinlich wurde den Konsuln gleich mit ihrem Eintritt das Recht genommen, einen Rechtshandel unter Privaten nach ihrem Ermessen zu entscheiden.

Die Umgestaltung des Kriminal- wie des Zivilprozesses stand in Verbindung mit einer allgemeinen Anordnung hinsichtlich der Übertragung der Amtsgewalt auf Stellvertreter oder Nachfolger. Hatte dem König die Ernennung von Stellvertretern unbeschränkt frei, aber nie für ihn ein Zwang dazu bestanden, so haben die Konsuln das Recht der Gewaltübertragung in wesentlich anderer Weise geübt. Zwar die Regel, daß wenn der höchste Beamte die Stadt verließ, er für die Rechtspflege daselbst einen Vogt zu bestellen habe, blieb auch für die Konsuln in Kraft, und nicht einmal die Kollegialität ward auf die Stellvertretung erstreckt, vielmehr diese Bestellung demjenigen Konsul auferlegt, welcher zuletzt die Stadt verließ. Aber das Mandierungsrecht für die Zeit, wo die Konsuln in der Stadt verweilten, wurde wahrscheinlich gleich bei der Einführung dieses Amtes dadurch beschränkt, daß dem Konsul das Mandieren für bestimmte Fälle vorgeschrieben, für alle Fälle dagegen, wo dies nicht geschehen war, untersagt ward. Nach diesem Grundsatz ward, wie gesagt, das gesamte Gerichtswesen geordnet. Der Konsul konnte allerdings die Kriminalgerichtsbarkeit auch im Kapitalprozeß in der Weise ausüben, daß er seinen Spruch der Gemeinde vorlegte und diese ihn dann bestätigte oder verwarf; aber er hat dies Recht, soviel wir sehen, nie geübt, vielleicht bald nicht mehr üben dürfen und vielleicht nur da ein Kriminalurteil gefällt, wo aus irgendeinem Grunde die Berufung an die Gemeinde ausgeschlossen war. Man vermied den unmittelbaren Konflikt zwischen dem höchsten Gemeindebeamten und der Gemeinde selbst und ordnete den Kriminalprozeß vielmehr in der Weise, daß das höchste Gemeindeamt nur der Idee nach kompetent blieb, aber immer handelte durch notwendige, wenn auch von ihm bestellte Vertreter. Es sind dies die beiden nicht ständigen Urteilsprecher für Empörung und Hochverrat (duoviri perduellionis) und die zwei ständigen Mordspürer, die quaestores parricidii. Ähnliches mag vielleicht in der Königszeit da vorgekommen sein, wo der König sich in solchen Prozessen vertreten ließ; aber die Ständigkeit der letzteren Institution und das in beiden durchgeführte Kollegialitätsprinzip gehören auf jeden Fall der Republik an. Die letztere Einrichtung ist auch insofern von großer Wichtigkeit geworden, als damit zum erstenmal neben die zwei ständigen Oberbeamten zwei Gehilfen traten, die jeder Oberbeamte bei seinem Amtsantritt ernannte und die folgerecht auch bei seinem Rücktritt mit ihm abtraten, deren Stellung also wie das Oberamt selbst nach den Prinzipien der Ständigkeit, der Kollegialität und der Annuität geordnet war. Es ist das zwar noch nicht die niedere Magistratur selbst, wenigstens nicht in dem Sinne, den die Republik mit der magistratischen Stellung verbindet, insofern die Kommissarien nicht aus der Wahl der Gemeinde hervorgehen; wohl aber ist dies der Ausgangspunkt der später so mannigfaltig entwickelten Institution der Unterbeamten geworden.

In ähnlichem Sinne wurde die Entscheidung im Zivilprozeß dem Oberamt entzogen, indem das Recht des Königs, einen einzelnen Prozeß zur Entscheidung einem Stellvertreter zu übertragen, umgewandelt ward in die Pflicht des Konsuls, nach Feststellung der Parteilegitimation und des Gegenstandes der Klage dieselbe zur Erledigung an einen von ihm auszuwählenden und von ihm zu instruierenden Privatmann zu verweisen.

In gleicher Weise wurde den Konsuln die wichtige Verwaltung des Staatsschatzes und des Staatsarchivs zwar gelassen, aber doch wahrscheinlich sofort, mindestens sehr früh, ihnen dabei ständige Gehilfen und zwar eben jene Quästoren zugeordnet, welche ihnen freilich in dieser Tätigkeit unbedingt zu gehorchen hatten, ohne deren Vorwissen und Mitwirkung aber doch die Konsuln nicht handeln konnten. Wo dagegen solche Vorschriften nicht bestanden, mußte der Gemeindevorstand in der Hauptstadt persönlich eingreifen; wie denn zum Beispiel bei der Einleitung des Prozesses er sich unter keinen Umständen vertreten lassen kann.

Diese zwiefache Fesselung des konsularischen Mandierungsrechts bestand für das städtische Regiment, zunächst für die Rechtspflege und die Kassenverwaltung. Als Oberfeldherr behielt der Konsul dagegen das Übertragungsrecht aller oder einzelner ihm obliegender Geschäfte. Diese verschiedene Behandlung der bürgerlichen und der militärischen Gewaltübertragung ist die Ursache geworden, weshalb innerhalb des eigentlichen römischen Gemeinderegiments durchaus keine stellvertretende Amtsgewalt (pro magistratu) möglich ist und rein städtische Beamte nie durch Nichtbeamte ersetzt, die militärischen Stellvertreter aber (pro consule, pro praetore, pro quaestore) von aller Tätigkeit innerhalb der eigentlichen Gemeinde ausgeschlossen werden.

Das Recht, den Nachfolger zu ernennen, hatte der König nicht gehabt, sondern nur der Zwischenkönig. Der Konsul wurde in dieser Hinsicht dem letzten gleichgestellt; für den Fall jedoch, daß er es nicht ausgeübt hatte, trat nach wie vor der Zwischenkönig ein, und die notwendige Kontinuität des Amtes bestand auch in dem republikanischen Regiment ungeschmälert fort. Indes wurde das Ernennungsrecht wesentlich eingeschränkt zu Gunsten der Bürgerschaft, indem der Konsul verpflichtet ward, für die von ihm bezeichneten Nachfolger die Zustimmung der Gemeinde zu erwirken, weiterhin nur diejenigen zu ernennen, die die Gemeinde ihm bezeichnete. Durch dieses bindende Vorschlagsrecht ging wohl in gewissem Sinne die Ernennung der ordentlichen höchsten Beamten materiell auf die Gemeinde über; doch bestand auch praktisch noch ein sehr bedeutender Unterschied zwischen jenem Vorschlags- und dem förmlichen Ernennungsrecht. Der wahlleitende Konsul war durchaus nicht bloßer Wahlvorstand, sondern konnte immer noch, kraft seines alten königlichen Rechts, zum Beispiel einzelne Kandidaten zurückweisen und die auf sie fallenden Stimmen unbeachtet lassen, anfangs auch noch die Wahl auf eine von ihm entworfene Kandidatenliste beschränken; und was noch wichtiger war, wenn das Konsulkollegium durch den gleich zu erwähnenden Diktator zu ergänzen war, wurde bei dieser Ergänzung die Gemeinde nicht befragt, sondern der Konsul bestellte in dem Fall mit derselben Freiheit den Kollegen, wie einst der Zwischenkönig den König bestellt hatte.

Die Priesterernennung, die den Königen zugestanden hatte, ging nicht über auf die Konsuln, sondern es trat dafür bei den Männerkollegien die Selbstergänzung, bei den Vestalinnen und den Einzelpriestern die Ernennung durch das Pontifikalkollegium ein, an welches auch die Ausübung der gleichsam hausherrlichen Gerichtsbarkeit der Gemeinde über die Priesterinnen der Vesta kam. Um diese füglich nicht anders als von einem einzelnen vorzunehmenden Handlungen vollziehen zu können, setzte das Kollegium sich, vermutlich erst um diese Zeit, einen Vorstand, den Pontifex maximus. Diese Abtrennung der sakralen Obergewalt von der bürgerlichen, während auf den schon erwähnten „Opferkönig“ weder die bürgerliche noch die sakrale Macht des Königtums, sondern lediglich der Titel überging, sowie die aus dem sonstigen Charakter des römischen Priestertums entschieden heraustretende, halb magistratische Stellung des neuen Oberpriesters ist eine der bezeichnendsten und folgenreichsten Eigentümlichkeiten dieser auf Beschränkung der Beamtengewalt hauptsächlich im aristokratischen Interesse hinzielenden Staatsumwälzung.

Daß auch im äußeren Auftreten der Konsul weit zurückstand hinter dem mit Ehrfurcht und Schrecken umgebenen königlichen Amte, daß der Königsname und die priesterliche Weihe ihm entzogen, seinen Dienern das Beil genommen wurde, ist schon gesagt worden; es kommt hinzu, daß der Konsul statt des königlichen Purpurkleides nur durch den Purpursaum seines Obergewandes von dem gewöhnlichen Bürger sich unterschied, und daß, während der König öffentlich vielleicht regelmäßig im Wagen erschien, der Konsul der allgemeinen Ordnung sich zu fügen und gleich jedem anderen Bürger innerhalb der Stadt zu Fuß zu gehen gehalten war.

Indes, diese Beschränkungen der Amtsgewalt kamen im wesentlichen nur zur Anwendung gegen den ordentlichen Gemeindevorstand. Außerordentlicher Weise trat neben und in gewissem Sinn anstatt der beiden von der Gemeinde gewählten Vorsteher ein einziger ein, der Heermeister (magister populi), gewöhnlich bezeichnet als der dictator. Auf die Wahl zum Diktator übte die Gemeinde keinerlei Einfluß, sondern sie ging lediglich aus dem freien Entschluß eines der zeitigen Konsuln hervor, den weder der Kollege noch eine andere Behörde hieran hindern konnte; gegen ihn galt die Provokation nur wie gegen den König, wenn er freiwillig ihr wich; sowie er ernannt war, waren alle übrigen Beamten von Rechts wegen ihm untertan. Dagegen war der Zeit nach die Amtsdauer des Diktators zwiefach begrenzt: einmal insofern er als Amtsgenosse derjenigen Konsuln, deren einer ihn ernannt hatte, nicht über deren gesetzliche Amtszeit hinaus im Amte bleiben durfte; sodann war als absolutes Maximum der Amtsdauer dem Diktator eine sechsmonatliche Frist gesetzt. Eine der Diktatur eigentümliche Einrichtung war ferner, daß der „Heermeister“ gehalten war, sich sofort einen „Reitermeister“ (magister equitum) zu ernennen, welcher als abhängiger Gehilfe neben ihm, etwa wie der Quästor neben dem Konsul, fungierte und mit ihm vom Amte abtrat – eine Einrichtung, die ohne Zweifel damit zusammenhängt, daß es dem Heermeister, vermutlich als dem Führer des Fußvolkes, verfassungsmäßig untersagt war, zu Pferde zu steigen. Diesen Bestimmungen zufolge ist die Diktatur wohl aufzufassen als eine mit dem Konsulat zugleich entstandene Einrichtung, die den Zweck hatte, insbesondere für den Kriegsfall die Nachteile der geteilten Gewalt zeitweilig zu beseitigen und die königliche Gewalt vorübergehend wieder ins Leben zu rufen. Denn im Kriege vor allem mußte die Gleichberechtigung der Konsuln bedenklich erscheinen und nicht bloß bestimmte Zeugnisse, sondern vor allem die älteste Benennung des Beamten selbst und seines Gehilfen wie auch die Begrenzung auf die Dauer eines Sommerfeldzugs und der Ausschluß der Provokation sprechen für die überwiegend militärische Bestimmung der ursprünglichen Diktatur.

Im ganzen also blieben auch die Konsuln, was die Könige gewesen waren, oberste Verwalter, Richter und Feldherren, und auch in religiöser Hinsicht war es nicht der Opferkönig, der nur, damit der Name vorhanden sei, ernannt ward, sondern der Konsul, der für die Gemeinde betete und opferte und in ihrem Namen den Willen der Götter mit Hilfe der Sachverständigen erforschte. Für den Notfall hielt man sich überdies die Möglichkeit offen, die volle unumschränkte Königsgewalt ohne vorherige Befragung der Gemeinde jeden Augenblick wieder ins Leben zu rufen mit Beseitigung der durch die Kollegialität und durch die besonderen Kompetenzminderungen gezogenen Schranken. So wurde die Aufgabe, die königliche Autorität rechtlich festzuhalten und tatsächlich zu beschränken, von den namenlosen Staatsmännern, deren Werk diese Revolution war, in echt römischer Weise ebenso scharf wie einfach gelöst.

Die Gemeinde gewann also durch die Änderung der Verfassung die wichtigsten Rechte: das Recht, die Gemeindevorsteher jährlich zu bezeichnen und über Tod und Leben des Bürgers in letzter Instanz zu entscheiden. Aber es konnte das unmöglich die bisherige Gemeinde sein, der tatsächlich zum Adelstande gewordene Patriziat. Die Kraft des Volkes war bei der „Menge“, welche namhafte und vermögende Leute bereits in großer Zahl in sich schloß. Daß diese Menge aus der Gemeindeversammlung ausgeschlossen war, obwohl sie die gemeinen Lasten mittrug, mochte ertragen werden, solange die Gemeindeversammlung selbst im wesentlichen nicht eingriff in den Gang der Staatsmaschine und solange die Königsgewalt eben durch ihre hohe und freie Stellung den Bürgern nicht viel weniger fürchterlich blieb als den Insassen und damit in der Nation die Rechtsgleichheit erhielt. Allein als die Gemeinde selbst zu regelmäßigen Wahlen und Entscheidungen berufen, der Vorsteher aber faktisch aus ihrem Herrn zum befristeten Auftragnehmer herabgedrückt ward, konnte dies Verhältnis nicht länger aufrecht erhalten werden; am wenigsten bei der Neugestaltung des Staates an dem Morgen einer Revolution, die nur durch Zusammenwirken der Patrizier und der Insassen hatte durchgesetzt werden können. Eine Erweiterung dieser Gemeinde war unvermeidlich; und sie ist in der umfassendsten Weise erfolgt, indem das gesamte Plebejat, das heißt sämtliche Nichtbürger, die weder Sklaven noch nach Gastrecht lebende Bürger auswärtiger Gemeinden waren, in die Bürgerschaft aufgenommen wurden. Der Kurienversammlung der Altbürger, die bis dahin rechtlich und tatsächlich die erste Autorität im Staate gewesen war, wurden ihre verfassungsmäßigen Befugnisse fast gänzlich entzogen: nur in rein formellen oder in den die Geschlechtsverhältnisse betreffenden Akten, also hinsichtlich des dem Konsul oder dem Diktator nach Antritt ihres Amtes eben wie früher dem König zu leistenden Treugelöbnisses und des für die Arrogation und das Testament erforderlichen gesetzlichen Dispenses, sollte die Kurienversammlung die bisherige Kompetenz behalten, aber in Zukunft keinen eigentlichen politischen Schluß mehr vollziehen dürfen. Bald wurden sogar die Plebejer zum Stimmrecht auch in den Kurien zugelassen, und es verlor damit die Altbürgerschaft das Recht überhaupt, zusammenzutreten und zu beschließen. Die Kurienordnung wurde insofern gleichsam entwurzelt, als sie auf der Geschlechterordnung beruhte, diese aber in ihrer Reinheit ausschließlich bei dem Altbürgertum zu finden war. Indern die Plebejer in die Kurien aufgenommen wurden, gestattete man allerdings auch ihnen rechtlich, was früher nur faktisch bei ihnen vorgekommen sein kann, sich als Familien und Geschlechter zu konstituieren, aber es ist bestimmt überliefert und auch an sich sehr begreiflich, daß nur ein Teil der Plebejer zur gentilizischen Konstituierung vorschritt und also die neue Kurienversammlung im Widerspruch mit ihrem ursprünglichen Wesen zahlreiche Mitglieder zählte, die keinem Geschlecht angehörten.

Alle politischen Befugnisse der Gemeindeversammlung, sowohl die Entscheidung auf Provokation in dem Kriminalverfahren, das ja überwiegend politischer Prozeß war, als die Ernennung der Magistrate und die Annahme oder Verwerfung der Gesetze, wurden auf das versammelte Aufgebot der Waffenpflichtigen übertragen oder ihm neu erworben, so daß die Zenturien zu den gemeinen Lasten jetzt auch die gemeinen Rechte empfingen. Damit gelangten die in der Servianischen Verfassung gegebenen geringen Anfänge, wie namentlich das dem Heer überwiesene Zustimmungsrecht bei der Erklärung eines Angriffskrieges, zu einer solchen Entwicklung, daß die Kurien durch die Zenturienversammlung völlig und auf immer verdunkelt wurden und man sich gewöhnte, das souveräne Volk in der letzteren zu erblicken. Debatte fand auch in dieser bloß dann statt, wenn der vorsitzende Beamte freiwillig selbst sprach oder andere sprechen hieß, nur daß bei der Provokation natürlich beide Teile gehört werden mußten; die einfache Majorität der Zenturien entschied.

Da in der Kurienversammlung die überhaupt Stimmberechtigten sich völlig gleichstanden, also nach Aufnahme der sämtlichen Plebejer in die Kurien man bei der ausgebildeten Demokratie angelangt sein würde, so ist es begreiflich, daß die politischen Abstimmungen den Kurien entzogen blieben; die Zenturienversammlung legte das Schwergewicht zwar nicht in die Hände der Adligen, aber doch in die der Vermögenden, und das wichtige Vorstimmrecht, welches oft tatsächlich entschied, in die der Ritter, das ist der Reichen.

Nicht in gleicher Weise wie die Gemeinde wurde der Senat durch die Reform der Verfassung betroffen. Das bisherige Kollegium der Ältesten blieb nicht bloß ausschließlich patrizisch, sondern behauptete auch seine wesentlichen Befugnisse, das Recht, den Zwischenkönig zu stellen und die von der Gemeinde gefaßten Beschlüsse als verfassungsmäßige oder verfassungswidrige zu bestätigen oder zu verwerfen. Ja, diese Befugnisse wurden durch die Reform der Verfassung noch gesteigert, indem fortan auch die Bestellung der Gemeindebeamten wie der Wahl der Gemeinde, so der Bestätigung oder Verwerfung des patrizischen Senats unterlag – nur bei der Provokation ist seine Bestätigung, soviel wir wissen, niemals eingeholt worden, da es sich hier um Begnadigung des Schuldigen handelte, und wenn diese von der souveränen Volksversammlung erteilt war, von einer etwaigen Vernichtung dieses Aktes nicht füglich die Rede sein konnte.

Indes wenngleich durch die Abschaffung des Königtums die verfassungsmäßigen Rechte des patrizischen Senats eher gemehrt als gemindert wurden, so kam doch auch, und zwar der Überlieferung zufolge sogleich mit der Abschaffung des Königtums, für diejenigen Angelegenheiten, die im Senat sonst zur Sprache kamen und die eine freiere Behandlung zuließen, eine Erweiterung des Senats auf, die auch Plebejer in denselben brachte, und die in ihren Folgen eine vollständige Umgestaltung der gesamten Körperschaft herbeigeführt hat. Seit ältester Zeit hat der Senat nicht allein und nicht vorzugsweise, aber doch auch als Staatsrat fungiert; und wenn es wahrscheinlich schon in der Königszeit nicht als verfassungswidrig angesehen ward, daß in diesem Fall auch Nichtsenatoren an der Versammlung teilnahmen, so wurde jetzt die Einrichtung getroffen, daß für dergleichen Verhandlungen dem patrizischen Senat (Patres) eine Anzahl nicht patrizischer „Eingeschriebener“ (conscripti) beigegeben wurden. Eine Gleichstellung war dies freilich in keiner Weise: die Plebejer im Senat wurden nicht Senatoren, sondern blieben Mitglieder des Ritterstandes, hießen nicht „Väter“, sondern waren nun auch „Eingeschriebenen und hatten kein Recht, auf das Abzeichen der senatorischen Würde, den roten Schuh. Sie blieben ferner nicht bloß unbedingt ausgeschlossen von der Ausübung der dem Senat zustehenden obrigkeitlichen Befugnisse (auctoritas), sondern sie mußten auch da, wo es sich bloß um einen Ratschlag (consilium) handelte, es sich gefallen lassen, der an die Patrizier gerichteten Umfrage schweigend beizuwohnen und nur bei dem Auseinandertreten zur Abmehrung ihre Meinung zu erkennen zu geben, „mit den Füßen zu stimmen“ (pedibus in sententiam ire, pedarii), wie der stolze Adel sagte. Aber dennoch fanden die Plebejer durch die neue Verfassung ihren Weg nicht bloß auf den Markt, sondern auch in das Rathaus, und der erste und schwerste Schritt zur Gleichberechtigung war auch hier getan.

Im übrigen änderte sich in den den Senat betreffenden Ordnungen nichts Wesentliches. Unter den patrizischen Mitgliedern machte sich bald, namentlich bei der Umfrage, ein Rangunterschied dahin geltend, daß diejenigen, welche zu dem höchsten Gemeindeamt demnächst bezeichnet waren oder dasselbe bereits verwaltet hatten, vor den übrigen in der Liste verzeichnet und bei der Abstimmung gefragt wurden, und die Stellung des ersten von ihnen, des Vormanns des Rates (princeps senatus), wurde bald ein vielbeneideter Ehrenplatz. Der fungierende Konsul dagegen galt als Mitglied des Senats so wenig wie der König und seine eigene Stimme zählte darum nicht mit. Die Wahlen in den Rat, sowohl in den engeren patrizischen wie unter die bloß Eingeschriebenen, erfolgten durch die Konsuln eben wie früher durch die Könige; nur liegt es in der Sache, daß, wenn der König vielleicht auf die Vertretung der einzelnen Geschlechter im Rat noch einigermaßen Rücksicht genommen hatte, den Plebejern gegenüber, bei denen die Geschlechterordnung nur unvollkommen entwickelt war, diese Erwägung gänzlich wegfiel und somit überhaupt die Beziehung des Senats zu der Geschlechterordnung mehr und mehr in Abnahme kam. Von einer Beschränkung der wählenden Konsuln in der Weise, daß sie nicht über eine bestimmte Zahl von Plebejern in den Senat hätten aufnehmen dürfen, ist nichts bekannt; es bedurfte einer solchen Ordnung auch nicht, da die Konsuln ja selbst dem Adel angehörten. Dagegen ist wahrscheinlich von Haus aus der Konsul seiner ganzen Stellung gemäß bei der Bestellung der Senatoren tatsächlich weit weniger frei und weit mehr durch Standesmeinung und Observanz gebunden gewesen als der König. Namentlich die Regel, daß die Bekleidung des Konsulats notwendig den Eintritt in den Senat auf Lebenszeit herbeiführe, wenn, was in dieser Zeit wohl noch vorkam, der Konsul zur Zeit seiner Erwählung noch nicht Mitglied desselben war, wird sich wohl sehr früh gewohnheitsrechtlich festgestellt haben. Ebenso scheint es früh üblich geworden zu sein, die Senatorenstellen nicht sofort nach der Erledigung wieder zu besetzen, sondern bei Gelegenheit der Schatzung, also regelmäßig jedes vierte Jahr, die Liste des Senats zu revidieren und zu ergänzen; worin doch auch eine nicht unwichtige Beschränkung der mit der Auswahl betrauten Behörde enthalten war. Die Gesamtzahl der Senatoren blieb wie sie war, und zwar wurden auch die Eingeschriebenen in dieselbe eingerechnet; woraus man wohl auch auf das numerische Zusammenschwinden des Patriziats zu schließen berechtigt ist4.

Es blieb, wie man sieht, in dem römischen Gemeinwesen selbst bei Umwandlung der Monarchie in die Republik soweit immer möglich beim alten; soweit eine Staatsumwälzung überhaupt konservativ sein kann, ist diese es gewesen und keines der konstitutiven Elemente des Gemeinwesens durch sie eigentlich über den Haufen geworfen worden. Es war das bezeichnend für den Charakter der gesamten Bewegung. Die Vertreibung der Tarquinier war nicht, wie die kläglichen, tief verfälschten Berichte sie darstellen, das Werk eines von Mitleid und Freiheitsenthusiasmus berauschten Volkes, sondern das Werk zweier großer, bereits im Ringen begriffener und der stetigen Fortdauer ihres Kampfes klar sich bewußter politischer Parteien, der Altbürger und der Insassen, welche, wie die englischen Tories und die Whigs im Jahre 1688, durch die gemeinsame Gefahr das Gemeinwesen in die Willkürregierung eines Herrn sich umwandeln zu sehen, auf einen Augenblick vereinigt wurden, um dann sofort wieder sich zu entzweien. Die Altbürgerschaft konnte ohne die Neubürger des Königtums sich nicht entledigen; aber die Neubürger waren bei weitem nicht mächtig genug, um jener mit einem Schlag das Heft aus den Händen zu winden. Solche Transaktionen beschränken sich notwendigerweise auf das geringste Maß gegenseitiger, durch mühsames Abdingen gewonnener Konzessionen und lassen die Zukunft entscheiden, wie das Schwergewicht der konstitutiven Elemente weiter sich stellen, wie sie ineinandergreifen oder einander entgegenwirken werden. Darum verkennt man die Tragweite der ersten römischen Revolution durchaus, wenn man in ihr bloß die unmittelbaren Neuerungen, etwa bloß eine Veränderung in der Dauer der höchsten Magistratur sieht; die mittelbaren Folgen waren auch hier bei weitem die Hauptsache und wohl gewaltiger, als selbst ihre Urheber sie ahnten.

Dies war die Zeit, wo, um es mit einem Worte zu sagen, die römische Bürgerschaft im späteren Sinne des Wortes entstand. Die Plebejer waren bisher Insassen gewesen, welche man wohl zu den Steuern und Lasten mit heranzog, die aber dennoch in den Augen des Gesetzes wesentlich nichts waren als geduldete Fremdlinge und deren Kreis gegen die eigentlichen Ausländer scharf abzustecken kaum nötig scheinen mochte. Jetzt wurden sie als wehrpflichtige Bürger in die Listen eingeschrieben; und wenn sie auch der Rechtsgleichheit noch fern standen, immer noch die Altbürger zu den dem Rat der Alten verfassungsmäßig zustehenden Autoritätshandlungen ausschließlich befugt und zu den bürgerlichen Ämtern und Priestertümern ausschließlich wählbar, ja sogar der bürgerlichen Nutzungen, zum Beispiel des Anteils an der Gemeinweide, vorzugsweise teilhaft blieben, so war doch der erste und schwerste Schritt zur völligen Ausgleichung geschehen, seit die Plebejer nicht bloß im Gemeindeaufgebot dienten, sondern auch in der Gemeindeversammlung und im Gemeinderat bei dessen gutachtlicher Befragung stimmten und Haupt und Rücken auch des ärmsten Insassen so gut wie des vornehmsten Altbürgers geschützt ward durch das Provokationsrecht.

Eine Folge dieser Verschmelzung der Patrizier und Plebejer zu der neuen gemeinen römischen Bürgerschaft war die Umwandlung der Altbürgerschaft in einen Geschlechtsadel, welcher, seit die Adelschaft auch das Recht verlor, in gemeiner Versammlung zu beschließen, da die Aufnahme neuer Familien in den Adel durch Gemeindebeschluß noch weniger zulässig erschien, jeder, sogar der Selbstergänzung unfähig war. Unter den Königen war dergleichen Abgeschlossenheit dem römischen Adel fremd und die Aufnahme neuer Geschlechter nicht allzu selten gewesen; jetzt stellte dieses rechte Kennzeichnen des Junkertums sich ein als der sichere Vorbote des bevorstehenden Verlustes seiner politischen Vorrechte und seiner ausschließlichen Geltung in der Gemeinde. Die Ausschließung der Plebejer von allen Gemeindeämtern und Gemeindepriestertümern, während sie doch zu Offiziers- und Ratsherrenstellen zugelassen wurden, und die mit verkehrter Hartnäckigkeit festgehaltene rechtliche Unmöglichkeit einer Ehe zwischen Altbürgern und Plebejern drückten weiter dem Patriziat von vornherein den Stempel des exklusiven und widersinnig privilegierten Adeltums auf.

Eine zweite Folge der neuen bürgerlichen Einigung muß die festere Regulierung des Niederlassungsrechts sowohl den latinischen Eidgenossen als anderen Staaten gegenüber gewesen sein. Weniger des Stimmrechts in den Zenturien wegen, das ja doch nur dem Ansässigen zukam, als wegen des Provokationsrechts, das dem Plebejer, aber nicht dem eine Zeitlang oder auch dauernd in Rom verweilenden Ausländer gewährt werden sollte, wurde es notwendig, die Bedingungen der Erwerbung des plebejischen Rechts genauer zu formulieren und die erweiterte Bürgerschaft wiederum gegen die jetzigen Nichtbürger abzuschließen. Also geht auf diese Epoche im Sinne und Geiste des Volkes sowohl die Gehässigkeit des Gegensatzes zwischen Patriziern und Plebejern zurück wie die scharfe und stolze Abgrenzung der cives Romani gegen die Fremdlinge. Aber jener städtische Gegensatz war vorübergehender, dieser politische dauernder Art und das Gefühl der staatlichen Einheit und der beginnenden Großmacht, das hiermit in die Herzen der Nation gepflanzt ward, expansiv genug, um jene kleinlichen Unterschiede erst zu untergraben und sodann im allmächtigen Strom mit sich fortzureißen.

Dies war ferner die Zeit, wo Gesetz und Verordnung sich schieden. Begründet zwar ist der Gegensatz in dem innersten Wesen des römischen Staates; denn auch die römische Königsgewalt stand unter, nicht über dem Landrecht. Allein die tiefe und praktische Ehrfurcht, welche die Römer wie jedes andere politisch fähige Volk vor dem Prinzip der Autorität hegten, erzeugte den merkwürdigen Satz des römischen Staats- und Privatrechts, daß jeder nicht auf ein Gesetz gegründete Befehl des Beamten wenigstens während der Dauer seines Amtes gelte, obwohl er mit diesem wegfiel. Es ist einleuchtend, daß hierbei, solange die Vorsteher auf Lebenszeit ernannt wurden, der Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung tatsächlich fast verschwinden mußte und die legislative Tätigkeit der Gemeindeversammlung keine Entwicklung gewinnen konnte. Umgekehrt erhielt sie einen weiten Spielraum, seit die Vorsteher jährlich wechselten, und es war jetzt keineswegs ohne praktische Bedeutung, daß, wenn der Konsul bei der Entscheidung eines Prozesses eine rechtliche Nullität beging, sein Nachfolger eine neue Instruktion der Sache anordnen konnte.

Dies war endlich die Zeit, wo die bürgerliche und die militärische Gewalt sich voneinander sonderten. Dort herrscht das Gesetz, hier das Beil; dort waren die konstitutionellen Beschränkungen der Provokation und der regulierten Mandierung maßgebend5, hier schaltete der Feldherr unumschränkt wie der König. Es stellte sich fest, daß der Feldherr und das Heer als solche die eigentliche Stadt regelmäßig nicht betreten durften. Daß organische und auf die Dauer wirksame Bestimmungen nur unter der Herrschaft der bürgerlichen Gewalt getroffen werden konnte, lag nicht im Buchstaben, aber im Geiste der Verfassung; es kam freilich vor, daß gelegentlich diesem zuwider der Feldherr seine Mannschaft im Lager zur Bürgerversammlung berief und rechtlich nichtig war ein solcher Beschluß nicht, allein die Sitte mißbilligte dieses Verfahren und es unterblieb bald, als wäre es verboten. Der Gegensatz der Quiriten und der Soldaten wurzelte allmählich fest und fester in den Gemütern der Bürger.

Indes, um diese Folgesätze des neuen Republikanismus zu entwickeln, bedurfte es der Zeit; wie lebendig die Nachwelt sie empfand, der Mitwelt mochte die Revolution zunächst in einem andern Lichte erscheinen. Wohl gewannen die Nichtbürger dadurch das Bürgerrecht und gewann die neue Bürgerschaft in der Gemeindeversammlung weitgreifende Befugnisse; aber das Verwerfungsrecht des patrizischen Senats, der gleichsam wie ein Oberhaus jenen Komitien in fester Geschlossenheit gegenüberstand, hob rechtlich die freie Bewegung derselben gerade in den entscheidendsten Dingen auf und war tatsächlich zwar nicht imstande, den ernstlichen Willen der Gesamtheit zu brechen, aber doch, ihn zu verzögern und zu verkümmern. Schien die Adelschaft, indem sie es aufgab, allein die Gemeinde zu sein, nicht allzuviel verloren zu haben, so hatte sie in anderen Beziehungen entschieden gewonnen. Der König war freilich Patrizier wie der Konsul, und das Recht der Senatorenernennung steht diesem wie jenem zu; aber wenn jenen seine Ausnahmestellung über Patrizier nicht minder wie über Plebejer hinausrückte und wenn er leicht in den Fall kommen konnte, eben gegen den Adel sich auf die Menge stützen zu müssen, so stand der Konsul, Herrscher auf kurze Frist, vorher und nachher aber nichts als einer aus dem Adel, und dem adligen Mitbürger, welchem er heute befahl, morgen gehorchend, keineswegs außerhalb seines Standes und mußte der Adlige in ihm weit mächtiger sein als der Beamte. Wenn ja dennoch einmal ausnahmsweise ein der Adelsherrschaft abgeneigter Patrizier ans Regiment gerufen ward, so ward seine Amtsgewalt teils durch die vom schroffen Adelsgeiste durchdrungenen Priesterschaften, teils durch den Kollegen gelähmt und leicht durch die Diktatur suspendiert; und was noch wichtiger war, es fehlte ihm das erste Element der politischen Macht, die Zeit. Der Vorsteher eines Gemeinwesens, welche Machtfülle immer ihm eingeräumt werden möge, wird die politische Gewalt nie in die Hände bekommen, wenn er nicht auf längere Zeit an der Spitze der Geschäfte bleibt; denn die notwendige Bedingung jeder Herrschaft ist ihre Dauer. Folgeweise gewann der lebenslängliche Gemeinderat, und zwar hauptsächlich durch seine Befugnis, den Beamten in allen Stücken zu beraten, also nicht der engere patrizische, sondern der weitere patrizisch-plebejische, den Jahresherrschern gegenüber unvermeidlich einen solchen Einfluß, daß die rechtlichen Verhältnisse sich geradezu umkehrten, der Gemeinderat wesentlich die Regierungsgewalt an sich nahm und der bisherige Regent herabsank zu dessen vorsitzendem und ausführendem Präsidenten. Für den der Gemeinde zur Annahme oder Verwerfung vorzulegenden Antrag erschien die Vorberatung im Gesamtsenat und dessen Billigung zwar nicht als konstitutionell notwendig, aber als gewohnheitsmäßig geheiligt, und nicht leicht und nicht gern ging man darüber hinweg. Für wichtige Staatsverträge, für die Verwaltung und Austeilung des Gemeindelandes, überhaupt für jeden Akt, dessen Folgen sich über das Amtsjahr erstreckten, galt dasselbe, und dem Konsul blieb nichts als die Erledigung der laufenden Geschäfte, die Einleitung der Zivilprozesse und das Kommando im Kriege. Vor allem folgenreich war die Neuerung, daß es weder dem Konsul noch selbst dem sonst unbeschränkten Diktator gestattet war, den gemeinen Schatz anders als mit und durch den Willen des Rates anzugreifen. Indem der Senat es den Konsuln zur Pflicht machte, die Verwaltung der Gemeindekasse, die der König selbst geführt hatte oder doch hatte führen können, an zwei ständige Unterbeamte abzugeben, welche zwar von den Konsuln ernannt wurden und ihnen zu gehorchen hatten, aber begreiflicherweise noch weit mehr als die Konsuln selbst vom Senat abhingen, zog er die Leitung des Kassenwesens an sich, und es kann dieses Geldbewilligungsrecht des römischen Senats wohl in seinen Wirkungen mit dem Steuerbewilligungsrecht in den heutigen konstitutionellen Monarchien zusammengestellt werden.

Die Folgen ergeben sich von selbst. Die erste und wesentlichste Bedingung jeder Adelsherrschaft ist, daß die Machtfülle im Staat nicht einem Individuum, sondern einer Korporation zusteht; jetzt hatte eine überwiegend adlige Korporation, der Gemeinderat, das Regiment an sich gebracht und war dabei die exekutive Gewalt nicht bloß dem Adel geblieben, sondern auch der regierenden Korporation völlig unterworfen worden. Zwar saßen im Rat eine beträchtliche Anzahl nichtadliger Männer; aber da sie der Bekleidung von Ämtern, ja sogar der Teilnahme an der Debatte unfähig, also von jedem praktischen Anteil am Regiment ausgeschlossen waren, spielten sie notwendigerweise auch im Senat eine untergeordnete Rolle und wurden überdies durch das ökonomisch wichtige Nutzungsrecht der Gemeinweide in pekuniärer Abhängigkeit von der Korporation gehalten. Das allmählich sich bildende Recht der patrizischen Konsuln, wenigstens jedes vierte Jahr die Ratsherrenliste zu revidieren und zu modifizieren, so nichtig es vermutlich der Adelschaft gegenüber war, konnte doch sehr wohl in ihrem Interesse gebraucht und der mißliebige Plebejer mittels desselben aus dem Senat ferngehalten und sogar wieder ausgeschieden werden.

Es ist darum durchaus wahr, daß die unmittelbare Folge der Revolution die Feststellung der Adelsherrschaft gewesen ist; nur ist es nicht die ganze Wahrheit. Wenn die Mehrzahl der Mitlebenden meinen mochte, daß die Revolution den Plebejern nur eine starrere Despotie gebracht habe, so sehen wir Späteren in dieser selbst schon die Knospen der jungen Freiheit. Was die Patrizier gewannen, ging nicht der Gemeinde verloren, sondern der Beamtengewalt; die Gemeinde gewann zwar nur wenige engbeschränkte Rechte, welche weit minder praktisch und handgreiflich waren als die Errungenschaften des Adels, und welche nicht einer von Tausend zu schätzen wissen mochte, aber in ihnen lag die Bürgschaft der Zukunft. Bisher war politisch die Insassenschaft nichts, die Altbürgerschaft alles gewesen; indem jetzt jene zur Gemeinde ward, war die Altbürgerschaft überwunden; denn wieviel auch noch zu der vollen bürgerlichen Gleichheit mangeln mochte, es ist die erste Bresche, nicht die Besetzung des letzten Postens, die den Fall der Festung entscheidet. Darum datierte die römische Gemeinde mit Recht ihre politische Existenz von dem Beginn des Konsulats.

Indes, wenn die republikanische Revolution trotz der durch sie zunächst begründeten Junkerherrschaft mit Recht ein Sieg der bisherigen Insassenschaft oder der Plebs genannt werden kann, so trug doch auch in der letzteren Beziehung die Revolution keineswegs den Charakter, den wir heutzutage als den demokratischen zu bezeichnen gewohnt sind. Das rein persönliche Verdienst ohne Unterstützung der Geburt und des Reichtums mochte wohl unter der Königsherrschaft leichter als unter derjenigen des Patriziats zu Einfluß und Ansehen gelangen. Damals war der Eintritt in das Patriziat rechtlich keinem verschlossen; jetzt war das höchste Ziel des plebejischen Ehrgeizes die Aufnahme in den mundtoten Anhang des Senats. Es lag dabei in der Natur der Sache, daß der regierende Herrenstand, soweit er überhaupt die Plebejer zuließ, nicht unbedingt den tüchtigsten Männern, sondern vorzugsweise den Häuptern der reichen und angesehenen Plebejerfamilien im Senat neben sich zu sitzen gestattete und die also zugelassenen Familien eifersüchtig über den Besitz der Ratsherrenstellen wachten. Während also innerhalb der alten Bürgerschaft vollständige Rechtsgleichheit bestanden hatte, begann die Neubürger- oder die ehemalige Insassenschaft von Haus aus damit, sich in eine Anzahl bevorrechteter Familien. und eine zurückgesetzte Menge zu scheiden. Die Gemeindemacht aber kam in Gemäßheit der Zenturienordnung jetzt an diejenige Klasse, welche seit der Servianischen Reform des Heer- und Steuerwesens vorzugsweise die bürgerlichen Lasten trug, an die Ansässigen, und zwar vorzugsweise weder an die großen Gutsbesitzer noch an die Instenleute, sondern an den mittleren Bauernstand, wobei die Älteren noch insofern bevorzugt waren, als sie, obgleich minder zahlreich, doch ebensoviel Stimmabteilungen innehatten wie die Jugend. Indem also der Altbürgerschaft und ihrem Geschlechteradel die Axt an die Wurzel und zu einer neuen Bürgerschaft der Grund gelegt ward, fiel in dieser das Gewicht auf Grundbesitz und Alter und zeigten sich schon die ersten Ansätze zu einem neuen, zunächst auf dem faktischen Ansehen der Familien beruhenden Adel, der künftigen Nobilität. Der konservative Grundcharakter des römischen Gemeinwesens konnte sich nicht deutlicher bezeichnen als dadurch, daß die republikanische Staatsumwälzung zugleich zu der neuen, ebenfalls konservativen und ebenfalls aristokratischen Staatsordnung die ersten Linien zog.

  1. Die bekannte Fabel richtet größtenteils sich selbst; zum guten Teil ist sie aus Beinamenerklärung (Brutus, Poplicola, Scaevola) herausgesponnen. Aber sogar die scheinbar geschichtlichen Bestandteile derselben zeigen bei genauerer Erwägung sich als erfunden. Dahin gehört, daß Brutus Reiterhauptmann (tribunus celerum) gewesen und als solcher den Volksschluß über die Vertreibung der Tarquinier beantragt haben soll; denn es ist nach der römischen Verfassung ganz unmöglich, daß ein bloßer Offizier das Recht gehabt habe, die Kurien zu berufen. Offenbar ist diese ganze Angabe zum Zweck der Herstellung eines Rechtsbodens für die römische Republik ersonnen, und recht schlecht ersonnen, indem dabei der tribunus celerum mit dem ganz verschiedenen magister equitum verwechselt und dann das dem letzteren kraft seines prätorischen Ranges zustehende Recht, die Zenturien zu berufen, auf die Kurienversammlung bezogen ward.
  2. Consules sind die zusammen Springenden oder Tanzenden, wie praesul der Vorspringen exul der Ausspringer (ο εκπεσών), insula der Einsprung, zunächst der ins Meer gefallene Felsblock.
  3. Der Antrittstag fiel mit dem Jahresanfang (1. März) nicht zusammen und war überhaupt nicht fest. Nach diesem richtete sich der Rücktrittstag, ausgenommen, wenn ein Konsul ausdrücklich anstatt eines ausgefallenen gewählt war (consul suffectus), wo er in die Rechte und also auch in die Frist des Ausgefallenen eintrat. Doch sind diese Ersatzkonsuln in älterer Zeit nur vorgekommen, wenn bloß der eine der Konsuln weggefallen war; Kollegien von Ersatzkonsuln begegnen erst in der späteren Republik. Regelmäßig bestand also das Amtsjahr eines Konsuls aus den ungleichen Hälften zweier bürgerlicher Jahre.
  4. Daß die ersten Konsuln 164 Plebejer in den Senat nahmen, ist kaum als geschichtliche Tatsache zu betrachten, sondern eher ein Zeugnis dafür, daß die späteren römischen Archäologen nicht mehr als 136 römische Adelsgeschlechter nachzuweisen vermochten (Römische Forschungen, Bd. 1, S. 121).
  5. Es mag nicht überflüssig sein zu bemerken, daß auch das iudicium legitimum wie das quod imperio continetur auf dem Imperium des instruierenden Beamten beruht und der Unterschied nur darin besteht, daß das Imperium dort von der Lex beschränkt, hier aber frei ist.

2. Kapitel


2. Kapitel

Das Volkstribunat und die Dezemvirn

Die Altbürgerschaft war durch die neue Gemeindeordnung auf gesetzlichem Wege in den vollen Besitz der politischen Macht gelangt. Herrschend durch die zu ihrer Dienerin herabgedrückte Magistratur, vorwiegend im Gemeinderate, im Alleinbesitze aller Ämter und Priestertümer, ausgerüstet mit der ausschließlichen Kunde der göttlichen und menschlichen Dinge und mit der ganzen Routine politischer Praxis, einflußreich in der Gemeindeversammlung durch den starken Anhang fügsamer und den einzelnen Familien anhänglicher Leute, endlich befugt, jeden Gemeindebeschluß zu prüfen und zu verwerfen, konnten die Patrizier die faktische Herrschaft noch auf lange Zeit sich bewahren, eben weil sie rechtzeitig auf die gesetzliche Alleingewalt verzichtet hatten. Zwar mußten die Plebejer ihre politische Zurücksetzung schwer empfinden; allein von der rein politischen Opposition hatte der Adel unzweifelhaft zunächst nicht viel zu besorgen, wenn er es verstand, die Menge, die nichts verlangt als gerechte Verwaltung und Schutz der materiellen Interessen, dem politischen Kampfe fernzuhalten. In der Tat finden wir in der ersten Zeit nach der Vertreibung der Könige verschiedene Maßregeln, welche bestimmt waren oder doch bestimmt schienen, den gemeinen Mann für das Adelsregiment besonders von der ökonomischen Seite zu gewinnen: es wurden die Hafenzölle herabgesetzt, bei hohem Stand der Kornpreise große Quantitäten Getreide für Rechnung des Staats aufgekauft und der Salzhandel zum Staatsmonopol gemacht, um den Bürgern Korn und Salz zu billigen Preisen abgeben zu können, endlich das Volksfest um einen Tag verlängert. In denselben Kreis gehört die schon erwähnte Vorschrift hinsichtlich der Vermögensbußen, die nicht bloß im allgemeinen dem gefährlichen Bruchrecht der Beamten Schranken zu setzen bestimmt, sondern auch in bezeichnender Weise vorzugsweise auf den Schutz des kleinen Mannes berechnet war. Denn wenn dem Beamten untersagt ward, an demselben Tag denselben Mann um mehr als zwei Schafe und um mehr als dreißig Rinder außer mit Gestattung der Provokation zu büßen, so kann die Ursache dieser seltsamen Ansätze wohl nur darin gefunden werden, daß für den kleinen, nur einige Schafe besitzenden Mann ein anderes Maximum nötig schien als für den reichen Rinderherdenbesitzer – eine Rücksichtnahme auf Reichtum oder Armut der Gebüßten, von der neuere Gesetzgebungen lernen könnten. Allein diese Ordnungen halten sich auf der Oberfläche; die Grundströmung geht vielmehr nach der entgegengesetzten Richtung. Mit der Verfassungsänderung leitet in den finanziellen und ökonomischen Verhältnissen Roms eine umfassende Revolution sich ein. Das Königsregiment hatte wahrscheinlich der Kapitalmacht prinzipiell keinen Vorschub getan und die Vermehrung der Bauernstellen nach Kräften gefördert; die neue Adelsregierung dagegen scheint von vornherein auf die Zerstörung der Mittelklassen, namentlich des mittleren und kleinen Grundbesitzes, und auf die Entwicklung einerseits einer Herrschaft der Grund- und Geldherren, anderseits eines ackerbauenden Proletariats ausgegangen zu sein.

Schon die Minderung der Hafenzölle, obwohl im allgemeinen eine populäre Maßregel, kam vorzugsweise dem Großhandel zugute. Aber ein noch viel größerer Vorschub geschah der Kapitalmacht durch das System der indirekten Finanzverwaltung. Es ist schwer zu sagen, worauf dasselbe in seinen letzten Gründen beruht; mag es aber auch an sich bis in die Königszeit zurückreichen, so mußte doch seit der Einführung des Konsulats teils der schnelle Wechsel der römischen Beamten, teils die Erstreckung der finanziellen Tätigkeit des Ärars auf Geschäfte, wie der Ein- und Verkauf von Korn und Salz, die Wichtigkeit der vermittelnden Privattätigkeit steigern und, damit den Grund zu jenem Staatspächtersystem legen, das in seiner Entwicklung für das römische Gemeinwesen so folgenreich wie verderblich geworden ist. Der Staat gab nach und nach alle seine indirekten Hebungen und alle komplizierteren Zahlungen und Verrichtungen in die Hände von Mittelsmännern, die eine Rauschsumme gaben oder empfingen und dann für ihre Rechnung wirtschafteten. Natürlich konnten nur bedeutende Kapitalisten und, da der Staat streng auf dingliche Sicherheit sah, hauptsächlich nur große Grundbesitzer sich hierbei beteiligen, und so erwuchs eine Klasse von Steuerpächtern und Lieferanten, die in dem reißend schnellen Wachstum ihrer Opulenz, in der Gewalt über den Staat, dem sie zu dienen schienen, und in dem widersinnigen und sterilen Fundament ihrer Geldherrschaft den heutigen Börsenspekulanten vollkommen vergleichbar sind.

Aber zunächst und am empfindlichsten offenbarte sich die vereinbarte Richtung der finanziellen Verwaltung in der Behandlung der Gemeindeländereien, die so gut wie geradezu hinarbeitete auf die materielle und moralische Vernichtung der Mittelklassen. Die Nutzung der gemeinen Weide und der Staatsdomänen überhaupt war ihrer Natur nach ein bürgerliches Vorrecht; das formelle Recht schloß den Plebejer von der Mitbenutzung des gemeinen Angers aus. Da indes, abgesehen von dem Übergang in das Privateigentum oder der Assignation, das römische Recht feste und gleich dem Eigentum zu respektierende Nutzungsrechte einzelner Bürger am Gemeinlande nicht kannte, so hing es, so lange das Gemeinland Gemeinland blieb, lediglich von der Willkür des Königs ab den Mitgenuß zu gestatten und zu begrenzen, und es ist nicht zu bezweifeln, daß er von diesem seinem Recht oder wenigstens seiner Macht häufig zu Gunsten von Plebejern Gebrauch gemacht hat. Aber mit der Einführung der Republik wird der Satz wieder scharf betont, daß die Nutzung der Gemeinweide von Rechts wegen bloß dem Bürger besten Rechts, das heißt dem Patrizier zusteht; und wenn auch der Senat zu Gunsten der reichen in ihm mitvertretenen plebejischen Häuser nach wie vor Ausnahmen zuließ, so wurden doch die kleinen plebejischen Ackerbesitzer und die Tagelöhner, die eben die Weide am nötigsten brauchten, in dem Mitgenuß beeinträchtigt. Es war ferner bisher für das auf die gemeine Weide aufgetriebene Vieh ein Hutgeld erlegt worden, das zwar mäßig genug war, um das Recht, auf diese Weide zu treiben, immer noch als Vorrecht erscheinen zu lassen, aber doch dem gemeinen Säckel eine nicht unansehnliche Einnahme abwarf. Die patrizischen Quästoren erhoben dasselbe jetzt säumig und nachsichtig und ließen allmählich es ganz schwinden. Bisher hatte man, namentlich wenn durch Eroberung neue Domänen gewonnen waren, regelmäßig Landauslegungen angeordnet, bei denen alle ärmeren Bürger und Insassen berücksichtigt wurden; nur dasjenige Land, das zum Ackerbau sich nicht eignete, ward zu der gemeinen Weide geschlagen. Diese Assignationen wagte man zwar nicht ganz zu unterlassen und noch weniger, sie bloß zu Gunsten der Reichen vorzunehmen; allein sie wurden seltener und karger und an ihre Stelle trat das verderbliche Okkupationssystem, das heißt die Überlassung der Domänengüter nicht zum Eigentum oder zur förmlichen Pacht auf bestimmte Zeitfrist, sondern zur Sondernutzung bis weiter an den ersten Okkupanten und dessen Rechtsnachfolger, sodaß dem Staate die Rücknahme jederzeit freistand und der Inhaber die zehnte Garbe oder von Öl und Wein den fünften Teil des Ertrages an die Staatskasse abzuliefern hatte. Es war dies nichts anderes als das früher beschriebene Precarium, angewandt auf Staatsdomänen und mag, namentlich als transitorische Einrichtung bis zur Durchführung der Assignation, auch früher schon bei dem Gemeinlande vorgekommen sein. Jetzt indes wurde dieser Okkupationsbesitz nicht bloß dauernd, sondern es griffen auch, wie natürlich, nur die privilegierten Personen oder deren Günstlinge zu und der Zehnte und Fünfte ward mit derselben Lässigkeit eingetrieben wie das Hutgeld. So traf den mittleren und kleinen Grundbesitz ein dreifacher Schlag: die gemeinen Bürgernutzungen gingen ihm verloren; die Steuerlast stieg dadurch, daß die Domanialgefälle nicht mehr ordentlich in die gemeine Kasse flossen; und die Landauslegungen stockten, die für das agrikole Proletariat, etwa wie heutzutage ein großartiges und fest reguliertes Emigrationssystem es tun würde, einen dauernden Abzugskanal gebildet hatten. Dazu kam die wahrscheinlich schon jetzt beginnende Großwirtschaft, welche die kleinen Ackerklienten vertrieb und statt deren durch Feldsklaven das Gut nutzte; ein Schlag, der schwerer abzuwenden und wohl verderblicher war als alle jene politischen Usurpationen zusammengenommen. Die schweren, zum Teil unglücklichen Kriege, die dadurch herbeigeführten unerschwinglichen Kriegssteuern und Fronden taten das übrige, um den Besitzer entweder geradezu vom Hof zu bringen und ihn zum Knecht, wenn auch nicht zum Sklaven seines Schuldherrn zu machen, oder ihn durch Überschuldung tatsächlich zum Zeitpächter seiner Gläubiger herabzudrücken. Die Kapitalisten, denen hier ein neues Gebiet einträglicher und mühe- und gefahrloser Spekulation sich eröffnete, vermehrten teils auf diesem Wege ihr Grundeigentum, teils ließen sie dem Bauern, dessen Person und Gut das Schuldrecht ihnen in die Hände gab, den Namen des Eigentümers und den faktischen Besitz. Das letztere war wohl das Gewöhnlichste wie das Verderblichste; denn mochte damit für den einzelnen der äußerste Ruin abgewandt sein, so drohte dagegen diese prekäre, von der Gnade des Gläubigers jederzeit abhängige Stellung des Bauern, bei der derselbe vom Eigentum nichts als die Lasten trug, den ganzen Bauernstand zu demoralisieren und politisch zu vernichten. Die Absicht des Gesetzgebers, als er statt der hypothekarischen Schuld den sofortigen Übergang des Eigentums auf den Gläubiger anordnete, der Überschuldung zuvorzukommen und die Lasten des Staats den wirklichen Inhabern des Grundes und Bodens aufzuwälzen, ward umgangen durch das strenge persönliche Kreditsystem, das für Kaufleute sehr zweckmäßig sein mochte, die Bauern aber ruinierte. Hatte die freie Teilbarkeit des Bodens schon immer die Gefahr eines überschuldeten Ackerbauproletariats nahegelegt, so mußte unter solchen Verhältnissen, wo alle Lasten stiegen, alle Abhilfen sich versperrten, die Not und die Hoffnungslosigkeit unter der bäuerlichen Mittelklasse mit entsetzlicher Raschheit um sich greifen.

Der Gegensatz der Reichen und Armen, der aus diesen Verhältnissen hervorging, fällt keineswegs zusammen mit dem der Geschlechter und Plebejer. War auch der bei weitem größte Teil der Patrizier reich begütert, so fehlte es doch natürlich auch unter den Plebejern nicht an reichen und ansehnlichen Familien, und da der Senat, der schon damals vielleicht zur größeren Hälfte aus Plebejern bestand, selbst mit Ausschließung der patrizischen Magistrate die finanzielle Oberleitung an sich genommen hatte, so ist es begreiflich, daß alle jene ökonomischen Vorteile, zu denen die politischen Vorrechte des Adels mißbraucht wurden, den Reichen insgesamt zugute kamen und der Druck auf dem gemeinen Mann um so schwerer lastete, als durch den Eintritt in den Senat die tüchtigsten und widerstandsfähigsten Personen aus der Klasse der Unterdrückten übertraten in die der Unterdrücker.

Hierdurch aber ward die politische Stellung des Adels auf die Dauer unhaltbar. Hätte er es über sich vermocht, gerecht zu regieren, und den Mittelstand geschützt, wie es einzelne Konsuln aus seiner Mitte versuchten, ohne bei der herabgedrückten Stellung der Magistratur durchdringen zu können, so konnte er sich noch lange im Alleinbesitz der Ämter behaupten. Hätte er es vermocht, die reichen und ansehnlichen Plebejer zu voller Rechtsgleichheit zuzulassen, etwa an den Eintritt in den Senat die Gewinnung des Patriziats zu knüpfen, so mochten beide noch lange ungestraft regieren und spekulieren. Allein es geschah keines von beiden: die Engherzigkeit und Kurzsichtigkeit, die eigentlichen und unverlierbaren Privilegien alles echten Junkertums, verleugneten sich auch in Rom nicht und zerrissen die mächtige Gemeinde in nutz-, ziel- und ruhmlosem Hader.

Indes die nächste Krise ging nicht von den ständisch Zurückgesetzten aus, sondern von der notleidenden Bauernschaft. Die zurechtgemachten Annalen setzen die politische Revolution in das Jahr 244 (510), die soziale in die Jahre 259 und 260 (495 494); sie scheinen allerdings sich rasch gefolgt zu sein, doch ist der Zwischenraum wahrscheinlich länger gewesen. Die strenge Übung des Schuldrechts – so lautet die Erzählung – erregte die Erbitterung der ganzen Bauernschaft. Als im Jahre 259 (495) für einen gefahrvollen Krieg die Aushebung veranstaltet ward, weigerte sich die pflichtige Mannschaft, dem Gebot zu folgen. Wie darauf der Konsul Publius Servilius die Anwendung der Schuldgesetze vorläufig suspendierte und sowohl die schon in Schuldhaft sitzenden Leute zu entlassen befahl, als auch den weiteren Lauf der Verhaftungen hemmte, stellten die Bauern sich und halfen den Sieg erfechten. Heimgekehrt vom Schlachtfeld brachte der Friede, den sie erstritten hatten, ihnen ihren Kerker und ihre Ketten wieder; mit erbarmungsloser Strenge wandte der zweite Konsul Appius Claudius die Kreditgesetze an und der Kollege, den seine früheren Soldaten um Hilfe anriefen, wagte nicht sich zu widersetzen. Es schien, als sei die Kollegialität nicht zum Schutz des Volkes eingeführt, sondern zur Erleichterung des Treubruchs und der Despotie; indes man litt, was nicht zu ändern war. Als aber im folgenden Jahr sich der Krieg erneuerte, galt das Wort des Konsuls nicht mehr. Erst dem ernannten Diktator Manius Valerius fügten sich die Bauern, teils aus Scheu vor der höheren Amtsgewalt, teils im Vertrauen auf seinen populären Sinn – die Valerier waren eines jener alten Adelsgeschlechter, denen das Regiment ein Recht und eine Ehre, nicht eine Pfründe dünkte. Der Sieg war wieder bei den römischen Feldzeichen; aber als die Sieger heimkamen und der Diktator seine Reformvorschläge dem Senat vorlegte, scheiterten sie an dem hartnäckigen Widerstand des Senats. Noch stand das Heer beisammen, wie üblich vor den Toren der Stadt; als die Nachricht hinauskam, entlud sich das lange drohende Gewitter – der Korpsgeist und die geschlossene militärische Organisation rissen auch die Verzagten und Gleichgültigen mit fort. Das Heer verließ den Feldherrn und seine Lagerstatt und zog, geführt von den Legionskommandanten, den wenigstens großenteils plebejischen Kriegstribunen, in militärischer Ordnung in die Gegend von Crustumeria zwischen Tiber und Anio, wo es einen Hügel besetzte und Miene machte, in diesem fruchtbarsten Teil des römischen Stadtgebiets eine neue Plebejerstadt zu gründen. Dieser Abmarsch tat selbst den hartnäckigsten Pressern auf eine handgreifliche Art dar, daß ein solcher Bürgerkrieg auch mit ihrem ökonomischen Ruin enden müsse; der Senat gab nach. Der Diktator vermittelte das Verträgnis; die Bürger kehrten zurück in die Stadtmauern; die äußerliche Einheit ward wiederhergestellt. Das Volk nannte den Manius Valerius seitdem „den Großen“ (maximus) und den Berg jenseits des Anio „den heiligen“. Wohl lag etwas Gewaltiges und Erhebendes in dieser ohne feste Leitung unter den zufällig gegebenen Feldherren von der Menge selbst begonnenen und ohne Blutvergießen durchgeführten Revolution, und gern und stolz erinnerten sich ihrer die Bürger. Empfunden wurden ihre Folgen durch viele Jahrhunderte; ihr entsprang das Volkstribunat.

Außer den transitorischen Bestimmungen, namentlich zur Abstellung der drückendsten Schuldnot und zur Versorgung einer Anzahl Landleute durch Gründung verschiedener Kolonien, brachte der Diktator verfassungsmäßig ein Gesetz durch, welches er überdies noch, ohne Zweifel um den Bürgern wegen ihres gebrochenen Fahneneides Amnestie zu sichern, von jedem einzelnen Gemeindeglied beschwören und sodann in einem Gotteshause niederlegen ließ unter Aufsicht und Verwahrung zweier besonders dazu aus der Plebs bestellter Beamten, der beiden „Hausherren“ (aediles). Dies Gesetz stellte den zwei patrizischen Konsuln zwei plebejische Tribune zur Seite, welche die nach Kurien versammelten Plebejer zu wählen hatten. Gegen das militärische Imperium, das heißt gegen das der Diktatoren durchaus und gegen das der Konsuln außerhalb der Stadt, vermochte die tribunizische Gewalt nichts; der bürgerlichen ordentlichen Amtsgewalt aber, wie die Konsuln sie übten, trat die tribunizische unabhängig gegenüber, ohne daß doch eine Teilung der Gewalten stattgefunden hätte. Die Tribune erhielten das Recht, welches dem Konsul gegen den Konsul und um so mehr gegen den niederen Beamten zustand, das heißt das Recht jeden von den Beamten erlassenen Befehl, durch den der davon betroffene Bürger sich verletzt hielt, auf dessen Anweisung durch ihren rechtzeitig und persönlich eingelegten Protest zu vernichten und ebenso jeden von einem Beamten an die Bürgerschaft gerichteten Antrag nach Ermessen zu hemmen oder zu kassieren, das ist das Recht der Interzession oder das sogenannte tribunizische Veto.

Es lag also in der tribunizischen Gewalt zunächst das Recht, die Verwaltung und die Rechtspflege willkürlich zu hemmen, dem Militärpflichtigen es möglich zu machen, sich straflos der Aushebung zu entziehen, die Klageerhebung und die Rechtsvollstreckung gegen den Schuldner, die Einleitung des Kriminalprozesses und die Untersuchungshaft des Angeschuldigten zu verhindern oder aufzuheben und was dessen mehr war. Damit diese Rechtshilfe nicht durch die Abwesenheit der Helfer vereitelt werde, war ferner verordnet, daß der Tribun keine Nacht außerhalb der Stadt zubringen dürfe und Tag und Nacht seine Tür offenstehen müsse. Weiter lag es in der Gewalt des Volkstribunats, der Beschlußfassung der Gemeinde, die ja andernfalls kraft ihres souveränen Rechts die von ihr der Plebs verliehenen Privilegien ohne weiteres hätte zurücknehmen können, durch ein einziges Wort eines einzelnen Tribunen Schranken zu setzen.

Aber diese Rechte wären wirkungslos gewesen, wenn nicht gegen den, der sich nicht daran kehrte, insonderheit gegen den zuwiderhandelnden Magistrat dem Volkstribun eine augenblicklich wirkende und unwiderstehliche Zwangsgewalt zugestanden hätte. Es ward ihm diese in der Form erteilt, daß das Zuwiderhandeln gegen den seines Rechts sich bedienenden Tribun, vor allen Dingen das Vergreifen an seiner Persönlichkeit, welche auf dem heiligen Berg jeder Plebejer Mann für Mann für sich und seine Nachkommen geschworen hatte, für jetzt und alle Zukunft vor jeder Unbill zu schützen, ein todeswürdiges Verbrechen sein sollte und die Handhabung dieser Kriminaljustiz nicht den Magistraten der Gemeinde, sondern denen der Plebs übertragen ward. Kraft dieses seines Richteramts konnte der Tribun jeden Bürger, vor allem den Konsul im Amte, zur Verantwortung ziehen, ihn, wenn er nicht freiwillig sich stellte, greifen lassen, ihn in Untersuchungshaft setzen oder Bürgschaftstellung ihm gestatten und alsdann auf Tod oder Geldbuße erkennen. Zu diesem Zweck standen die beiden zugleich bestellten Ädilen des Volkes den Tribunen als Diener und Gehilfen zur Seite, zunächst, um die Verhaftung zu bewirken, weshalb auch ihnen dieselbe Unangreifbarkeit durch den Gesamteid der Plebejer versichert ward. Außerdem hatten die Ädilen selbst gleich den Tribunen, aber nur für die geringeren mit Bußen sühnbaren Sachen, richterliche Befugnis. Ward gegen den tribunizischen oder ädilizischen Spruch Berufung eingelegt, so ging diese nicht an die Gesamtbürgerschaft, mit der zu verhandeln die Beamten der Plebs überall nicht befugt waren, sondern an die Gesamtheit der Plebejer, die in diesem Fall nach Kurien zusammentrat und durch Stimmenmehrheit endgültig entschied.

Dies Verfahren war allerdings mehr ein Gewalt- als ein Rechtsakt, zumal wenn es gegen einen Nichtplebejer angewandt ward, wie dies doch eben in der Regel der Fall sein mußte. Es war weder mit dem Buchstaben noch mit dem Geist der Verfassung irgend zu vereinigen, daß der Patrizier von Behörden zur Rechenschaft gezogen ward, die nicht der Bürgerschaft, sondern einer innerhalb der Bürgerschaft gebildeten Assoziation vorstanden, und daß er gezwungen ward, statt an die Bürgerschaft, an eben diese Assoziation zu appellieren. Dies war ursprünglich ohne Frage Lynchjustiz; aber die Selbsthilfe vollzog sich wohl von jeher in Form Rechtens und wurde seit der gesetzlichen Anerkennung des Volkstribunats als rechtlich statthaft betrachtet.

Der Absicht nach war diese neue Gerichtsbarkeit der Tribune und der Ädilen und die daraus hervorgehende Provokationsentscheidung der Plebejerversammlung ohne Zweifel ebenso an die Gesetze gebunden wie die Gerichtsbarkeit der Konsuln und Quästoren und der Spruch der Zenturien auf Provokation; die Rechtsbegriffe des Verbrechens gegen die Gemeinde und der Ordnungswidrigkeit wurden von der Gemeinde und deren Magistraten auf die Plebs und deren Vorsteher übertragen. Indes diese Begriffe waren selbst so wenig fest und deren gesetzliche Begrenzung so schwierig, ja unmöglich, daß die auf diese Kategorien hin geübte Justizpflege schon an sich den Stempel der Willkür fast unvermeidlich an sich trug. Seit nun aber gar in den ständischen Kämpfen die Idee des Rechts sich selber getrübt hatte und seit die gesetzlichen Parteiführer beiderseits mit einer konkurrierenden Gerichtsbarkeit ausgestattet waren, mußte diese mehr und immer mehr der reinen Willkürpolizei sich nähern. Namentlich traf dieselbe den Beamten. Bisher unterlag derselbe nach römischem Staatsrecht, solange er Beamter war, überhaupt keiner Gerichtsbarkeit, und wenn er auch nach Niederlegung seines Amtes rechtlich für jede seiner Handlungen zur Verantwortung hatte gezogen werden können, so lag doch die Handhabung dieses Rechts in den Händen seiner Standesgenossen und schließlich der Gesamtgemeinde, zu der diese ebenfalls gehörten. Jetzt trat in der tribunizischen Gerichtsbarkeit eine neue Macht auf, welche einerseits gegen den höchsten Beamten schon während der Amtsführung einschreiten konnte, anderseits gegen die adligen Bürger ausschließlich durch die nicht adligen gehandhabt ward, und die um so drückender war, als weder das Verbrechen noch die Strafe gesetzlich formuliert wurden. Der Sache nach ward durch die konkurrierende Gerichtsbarkeit der Plebs und der Gemeinde Gut, Leib und Leben der Bürger dem willkürlichen Belieben der Parteiversammlungen preisgegeben.

In die Ziviljurisdiktion haben die plebejischen Institutionen nur insofern eingegriffen, als in den für die Plebs so wichtigen Freiheitsprozessen den Konsuln die Geschworenenernennung entzogen ward und die Sprüche hier erfolgten von den besonders dafür bestimmten Zehnmänner-Richtern (iudices decemviri, später decemviri litibus iudicandis). An die konkurrierende Jurisdiktion schloß sich weiter die Konkurrenz in der gesetzgebenden Initiative. Das Recht, die Mitglieder zu versammeln und Beschlüsse derselben zu bewirken, stand den Tribunen schon insofern zu, als ohne dasselbe überhaupt keine Assoziation gedacht werden kann. Ihnen aber ward dasselbe in der eminenten Weise verliehen, daß das autonomische Versammlungs- und Beschlußrecht der Plebs gesetzlich sichergestellt war vor jedem Eingriff der Magistrate der Gemeinde, ja der Gemeinde selbst. Allerdings war es die notwendige Vorbedingung der rechtlichen Anerkennung der Plebs überhaupt, daß die Tribune nicht daran gehindert werden konnten, ihre Nachfolger von der Versammlung der Plebs wählen zu lassen und die Bestätigung ihrer Kriminalsentenz durch dieselbe zu bewirken; und es ward ihnen denn dieses Recht auch durch das Icilische Gesetz (262 492) noch besonders gewährleistet und jedem, der dabei dem Tribun ins Wort falle oder das Volk auseinandergehen heiße, eine schwere Strafe gedroht. Daß demnach dem Tribun nicht gewehrt werden konnte, auch andere Anträge als die Wahl seines Nachfolgers und die Bestätigung seiner Urteilssprüche zur Abstimmung zu bringen, leuchtet ein. Gültige Volksschlüsse waren derartige „Beliebungen der Menge“ (plebi scita) zwar eigentlich nicht, sondern anfänglich nicht viel mehr als die Beschlüsse unserer heutigen Volksversammlungen; allein da der Unterschied zwischen den Komitien des Volkes und den Konzilien der Menge denn doch mehr formaler Natur war, ward wenigstens von plebejischer Seite die Gültigkeit derselben als autonomischer Festsetzungen der Gemeinde sofort in Anspruch genommen und zum Beispiel gleich das Icilische Gesetz auf diesem Wege durchgesetzt.

So war der Tribun des Volks bestellt, dem einzelnen zu Schirm und Schutz, allen zur Leitung und Führung, versehen mit unbeschränkter richterlicher Gewalt im peinlichen Verfahren, um also seinem Befehl Nachdruck geben zu können, endlich selbst persönlich für unverletzlich (sacrosanctus) erklärt, indem wer sich an ihm oder seinem Diener vergriff, nicht bloß den Göttern verfallen galt, sondern auch bei den Menschen als nach rechtlich erwiesenem Frevel des Todes schuldig.

Die Tribune der Menge (tribuni plebis) sind hervorgegangen aus den Kriegstribunen und führen von diesen ihren Namen; rechtlich aber haben sie weiter zu ihnen keinerlei Beziehung. Vielmehr stehen der Gewalt nach die Volkstribune und die Konsuln sich gleich. Die Appellation vom Konsul an den Tribun und das Interzessionsrecht des Tribuns gegen den Konsul ist, wie schon gesagt ward, durchaus gleichartig der Appellation vom Konsul an den Konsul und der Interzession des einen Konsuls gegen den andern, und beide sind nichts als eine Anwendung des allgemeinen Rechtssatzes, daß zwischen zwei Gleichberechtigten der Verbietende dem Gebietenden vorgeht. Auch die ursprüngliche, allerdings bald vermehrte Zahl und die Jahresdauer des Amtes, welches für die Tribune jedesmal am 10. Dezember wechselte, sind den Tribunen mit den Konsuln gemein, ebenso die eigentümliche Kollegialität, die in jedes einzelnen Konsuls und in jedes einzelnen Tribunen Hand die volle Machtfülle des Amtes legt und bei Kollisionen innerhalb des Kollegiums nicht die Stimmen zählt, sondern das Nein dem Ja vorgehen läßt – weshalb, wo der Tribun verbietet, das Verbot des einzelnen trotz des Widerspruchs der Kollegen genügt, wo er dagegen anklagt, er durch jeden seiner Kollegen gehemmt werden kann. Konsuln und Tribune haben beide volle und konkurrierende Kriminaljurisdiktion, wenn auch jene dieselbe mittelbar, diese unmittelbar ausüben; wie jenen die beiden Quästoren, stehen diesen die beiden Ädilen hierin zur Seite6. Die Konsuln sind notwendig Patrizier, die Tribune notwendig Plebejer. Jene haben die vollere Macht, diese die unumschränktere, denn ihrem Verbot und ihrem Gericht fügt sich der Konsul, nicht aber dem Konsul sich der Tribun. So ist die tribunizische Gewalt das Abbild der konsularischen; sie ist aber nicht minder ihr Gegenbild. Die Macht der Konsuln ist wesentlich positiv, die der Tribune wesentlich negativ. Nur die Konsuln sind Magistrate des römischen Volkes, nicht die Tribune; denn jene erwählt die gesamte Bürgerschaft, diese nur die plebejische Assoziation. Zum Zeichen dessen erscheint der Konsul öffentlich mit dem den Gemeindebeamten zukommenden Schmuck und Gefolge, die Tribune aber sitzen auf der Bank anstatt des Wagenstuhls und ermangeln der Amtsdiener, des Purpursaumes und überhaupt jedes Abzeichens der Magistratur; sogar im Gemeinderat hat der Tribun weder den Vorsitz noch auch nur den Beisitz. So ist in dieser merkwürdigen Institution dem absoluten Befehlen das absolute Verbieten in der schärfsten und schroffsten Weise gegenübergestellt; das war die Schlichtung des Haders, daß die Zwietracht der Reichen und der Armen gesetzlich festgestellt und geordnet ward.

Aber was war erreicht damit, daß man die Einheit der Gemeinde brach, daß die Beamten einer unsteten und von allen Leidenschaften des Augenblicks abhängigen Kontrollbehörde unterworfen wurden, daß auf den Wink eines einzelnen der auf den Gegenthron gehobenen Oppositionshäupter die Verwaltung im gefährlichsten Augenblick zum Stocken gebracht werden konnte, daß man die Kriminalrechtspflege, indem man alle Beamte dazu konkurrierend bevollmächtigte, gleichsam gesetzlich aus dem Recht in die Politik verwies und sie für alle Zeiten verdarb? Es ist wohl wahr, daß das Tribunat wenn nicht unmittelbar zur politischen Ausgleichung der Stände beigetragen, so doch als eine mächtige Waffe in der Hand der Plebejer gedient hat, als diese bald darauf die Zulassung zu den Gemeindeämtern begehrten. Aber die eigentliche Bestimmung des Tribunats war dieses nicht. Nicht dem politisch privilegierten Stande ward es abgerungen, sondern den reichen Grund- und Kapitalherren; es sollte dem gemeinen Mann billige Rechtspflege sichern und eine zweckmäßigere Finanzverwaltung herbeiführen. Diesen Zweck hat es nicht erfüllt und konnte es nicht erfüllen. Der Tribun mochte einzelnen Unbilden, einzelnen schreienden Härten steuern; aber der Fehler lag nicht im Unrecht, das man Recht hieß, sondern im Rechte, welches ungerecht war: und wie konnte der Tribun die ordentliche Rechtspflege regelmäßig hemmen? hätte er es gekonnt, so war auch damit noch wenig geholfen, wenn nicht die Quellen der Verarmung verstopft wurden, die verkehrte Besteuerung, das schlechte Kreditsystem, die heillose Okkupation der Domänen. Aber hieran wagte man sich nicht, offenbar weil die reichen Plebejer selbst an diesen Mißbräuchen kein minderes Interesse hatten als die Patrizier. So gründete man diese seltsame Magistratur, deren handgreiflicher Beistand dem gemeinen Mann einleuchtete und die doch die notwendige ökonomische Reform unmöglich durchsetzen konnte. Sie ist kein Beweis politischer Weisheit, sondern ein schlechtes Kompromiß zwischen dem reichen Adel und der führerlosen Menge. Man hat gesagt, das Volkstribunat habe Rom vor der Tyrannis bewahrt. Wäre dies wahr, so würde es wenig bedeuten; die Änderung der Staatsform ist an sich für ein Volk kein Unheil, und für das römische war es vielmehr ein Unglück, daß die Monarchie zu spät eingeführt ward nach Erschöpfung der physischen und geistigen Kräfte der Nation. Es ist aber nicht einmal richtig, wie schon das beweist, daß die italischen Staaten ebenso regelmäßig ohne Tyrannis geblieben sind wie sie in den hellenischen regelmäßig aufstanden. Der Grund liegt einfach darin, daß die Tyrannis überall die Folge des allgemeinen Stimmrechts ist und daß die Italiker länger als die Griechen die nicht grundsässigen Bürger von den Gemeindeversammlungen ausschlossen; als Rom hiervon abging, blieb auch die Monarchie nicht aus, ja knüpfte eben an an das tribunizische Amt. Daß das Volkstribunat auch genützt hat, indem es der Opposition gesetzliche Bahnen wies und manche Verkehrtheit abwehrte, wird niemand verkennen; aber ebensowenig, daß, wo es sich nützlich erwies, es für ganz andere Dinge gebraucht ward, als wofür man es begründet hatte. Das verwegene Experiment, den Führern der Opposition ein verfassungsmäßiges Veto einzuräumen und sie mit der Macht, es rücksichtslos geltend zu machen, auszustatten, bleibt ein Notbehelf, der den Staat politisch aus den Angeln gehoben und die sozialen Mißstände durch nutzlose Palliative hingeschleppt hat.

Indes man hatte den Bürgerkrieg organisiert; er ging seinen Gang. Wie zur Schlacht standen die Parteien sich gegenüber, jede unter ihren Führern; Beschränkung der konsularischen, Erweiterung der tribunizischen Gewalt ward auf der einen, die Vernichtung des Tribunats auf der andern Seite angestrebt; die gesetzlich straflos gemachte Insubordination, die Weigerung, sich zur Landesverteidigung zu stellen, die Buß- und Strafklagen namentlich gegen Beamte, die die Rechte der Gemeinde verletzt oder auch nur ihr Mißfallen erregt hatten, waren die Waffen der Plebejer, denen die Junker Gewalt und Einverständnisse mit den Landesfeinden, gelegentlich auch den Dolch des Meuchelmörders entgegensetzten; auf den Straßen kam es zum Handgemenge und hüben und drüben vergriff man sich an der Heiligkeit der Magistratspersonen. Viele Bürgerfamilien sollen ausgewandert sein und in den benachbarten Gemeinden einen friedlicheren Wohnsitz gesucht haben; und man mag es wohl glauben. Es zeugt von dem starken Bürgersinn im Volk, nicht daß es diese Verfassung sich gab, sondern daß es sie ertrug und die Gemeinde trotz der heftigsten Kämpfe dennoch zusammenhielt. Das bekannteste Ereignis aus diesen Ständekämpfen ist die Geschichte des Gnaeus Marcius, eines tapferen Adligen, der von Coriolis Erstürmung den Beinamen trug. Er soll im Jahr 263 (491), erbittert über die Weigerung der Zenturien, ihm das Konsulat zu übertragen, beantragt haben, wie einige sagen, die Einstellung der Getreideverkäufe aus den Staatsmagazinen, bis das hungernde Volk auf das Tribunat verzichte; wie andere berichten, geradezu die Abschaffung des Tribunats. Von den Tribunen auf Leib und Leben angeklagt, habe er die Stadt verlassen, indes nur, um zurückzukehren an der Spitze eines volskischen Heeres; jedoch im Begriff, .seine Vaterstadt für den Landesfeind zu erobern, habe das ernste Wort der Mutter sein Gewissen gerührt und also sei von ihm der erste Verrat durch einen zweiten gesühnt worden und beide durch den Tod. Wieviel darin wahr ist, läßt sich nicht entscheiden; aber alt ist die Erzählung, aus der die naive Impertinenz der römischen Annalisten eine vaterländische Glorie gemacht hat, und sie öffnet den Einblick in die tiefe sittliche und politische Schändlichkeit dieser ständischen Kämpfe. Ähnlichen Schlages ist der Überfall des Kapitols durch eine Schar politischer Flüchtlinge, geführt von dem Sabiner Appius Herdonius im Jahr 294 (460); sie riefen die Sklaven zu den Waffen, und erst nach heißem Kampf und mit Hilfe der herbeigeeilten Tusculaner ward die römische Bürgerwehr der catilinarischen Bande Meister. Denselben Charakter fanatischer Erbitterung tragen andere Ereignisse dieser Zeit, deren geschichtliche Bedeutung in den lügenseligen Familienberichten sich nicht mehr erfassen läßt; so das Übergewicht des Fabischen Geschlechtes, das von 269 bis 275 (485-479) den einen Konsul stellte, und die Reaktion dagegen, die Auswanderung der Fabier aus Rom und ihre Vernichtung durch die Etrusker am Cremera (277 477). Noch entsetzlicher war die Ermordung des Volkstribuns Gnaeus Genucius, der es gewagt hatte, zwei Konsulare zur Rechenschaft zu ziehen und der am Morgen des für die Anklage anberaumten Tages tot im Bette gefunden ward (281 473). Die unmittelbare Folge dieser Untat war das Publilische Gesetz, eines der folgenreichsten, das die römische Geschichte kennt. Zwei der wichtigsten Ordnungen, die Einführung der plebejischen Tribusversammlung und die wenngleich bedingte Gleichstellung des Plebiszits mit dem förmlichen, von der ganzen Gemeinde beschlossenen Gesetz, gehen, jene gewiß, diese wahrscheinlich zurück auf den Antrag des Volkstribunen Volero Publilius vom Jahre 283 (471). Die Plebs hatte bis dahin ihre Beschlüsse nach Kurien gefaßt; demnach war in diesen ihren Sonderversammlungen teils ohne Unterschied des Vermögens und der Ansässigkeit bloß nach Köpfen abgestimmt worden, teils hatten, infolge des im Wesen der Kurienversammlung liegenden Zusammenstehens der Geschlechtsgenossen, die Klienten der großen Adelsfamilien in der Plebejerversammlung miteinander gestimmt. Der eine wie der andere Umstand gab dem Adel vielfache Gelegenheit, Einfluß auf diese Versammlung zu üben und besonders die Wahl der Tribune in seinem Sinne zu lenken; beides fiel fortan weg durch die neue Abstimmungsweise nach Quartieren. Deren waren in der Servianischen Verfassung zum Zweck der Aushebung vier gebildet worden, die Stadt und Land gleichmäßig umfaßten (I, 105); späterhin – vielleicht im Jahr 259 (495) – hatte man das römische Gebiet in zwanzig Distrikte eingeteilt, von denen die ersten vier die Stadt und deren nächste Umgebung umfaßten, die übrigen sechzehn mit Zugrundelegung der Geschlechtergaue des ältesten römischen Ackers aus dem Landgebiet gebildet wurden (I, 51). Zu diesen wurde, wahrscheinlich erst infolge des Publilischen Gesetzes und um die für die Abstimmung wünschenswerte Ungleichheit der Gesamtzahl der Stimmabteilungen herbeizuführen, als einundzwanzigste Tribus die crustuminische hinzugefügt, die ihren Namen von dem Orte trug, wo die Plebs als solche sich konstituiert und das Tribunat gestiftet hatte (I, 282) und fortan fanden die Sonderversammlungen der Plebs nicht mehr nach Kurien statt, sondern nach Tribus. In diesen Abteilungen, die durchaus auf dem Grundbesitz beruhten, stimmten ausschließlich die ansässigen Leute, diese jedoch ohne Unterschied der Größe des Grundbesitzes und so, wie sie in Dörfern und Weilern zusammen wohnten; es war also diese Tribusversammlung, die im übrigen äußerlich der nach Kurien geordneten nachgebildet ward, recht eigentlich eine Versammlung des unabhängigen Mittelstandes, von der einerseits die Freigelassenen und Klienten der großen Mehrzahl nach als nicht ansässige Leute ausgeschlossen waren, und in der anderseits der größere Grundbesitz nicht so wie in den Zenturien überwog. Eine allgemeine Bürgerschaftsversammlung war diese „Zusammenkunft der Menge“ (concilium plebis) noch weniger als die plebejische Kurienversammlung, da sie nicht bloß wie diese die sämtlichen Patrizier, sondern auch die nicht grundsässigen Plebejer ausschloß; aber die Menge war mächtig genug, um es durchzusetzen, daß ihr Beschluß dem von den Zenturien gefaßten rechtlich gleich gelte, falls er vorher vom Gesamtsenat gebilligt worden war. Daß diese letzte Bestimmung schon vor Erlaß der Zwölf Tafeln gesetzlich feststand, ist gewiß; ob man sie gerade bei Gelegenheit des Publilischen Plebiszits eingeführt hat, oder ob sie bereits vorher durch irgendeine andere verschollene Satzung ins Leben gerufen und auf das Publilische Plebiszit nur angewendet worden ist, läßt sich nicht mehr ausmachen. Ebenso bleibt es ungewiß, ob durch dies Gesetz die Zahl der Tribune von zwei auf vier vermehrt ward oder dies bereits vorher geschehen war.

Einsichtiger angelegt als alle diese Parteimaßregeln war der Versuch des Spurius Cassius, die finanzielle Allmacht der Reichen zu brechen und damit den eigentlichen Quell des Übels zu verstopfen. Er war Patrizier, und keiner tat es in seinem Stande an Rang und Ruhm ihm zuvor; nach zwei Triumphen, im dritten Konsulat (268 486) brachte er an die Bürgergemeinde den Antrag, das Gemeindeland vermessen zu lassen und es teils zum Besten des öffentlichen Schatzes zu verpachten, teils unter die Bedürftigen zu verteilen; das heißt, er versuchte, die Entscheidung über die Domänen dem Senat zu entreißen und, gestützt auf die Bürgerschaft, dem egoistischen Okkupationssystem ein Ende zu machen. Er mochte meinen, daß die Auszeichnung seiner Persönlichkeit, die Gerechtigkeit und Weisheit der Maßregel durchschlagen werde, selbst in diesen Wogen der Leidenschaftlichkeit und der Schwäche; allein er irrte. Der Adel erhob sich wie ein Mann; die reichen Plebejer traten auf seine Seite; der gemeine Mann war mißvergnügt, weil Spurius Cassius, wie Bundesrecht und Billigkeit geboten, auch den latinischen Eidgenossen bei der Assignation ihr Teil geben wollte. Cassius mußte sterben; es ist etwas Wahres in der Anklage, daß er königliche Gewalt sich angemaßt habe, denn freilich versuchte er gleich den Königen, gegen seinen Stand die Gemeinfreien zu schirmen. Sein Gesetz ging mit ihm ins Grab, aber das Gespenst desselben stand seitdem den Reichen unaufhörlich vor Augen und wieder und wieder stand es auf gegen sie, bis unter den Kämpfen darüber das Gemeinwesen zugrunde ging.

Da ward noch ein Versuch gemacht, die tribunizische Gewalt dadurch zu beseitigen, daß man dem gemeinen Mann die Rechtsgleichheit auf einem geregelteren und wirksameren Wege sicherte. Der Volkstribun Gaius Terentilius Arsa beantragte im Jahr 292 (462) die Ernennung einer Kommission von fünf Männern zur Entwerfung eines gemeinen Landrechts, an das die Konsuln künftighin in ihrer richterlichen Gewalt gebunden sein sollten. Aber der Senat weigerte sich, diesem Vorschlag seine Sanktion zu geben, und es vergingen zehn Jahre, ehe derselbe zur Ausführung kam – Jahre des heißesten Ständekampfes, welche überdies vielfach bewegt waren durch Kriege und innere Unruhen; mit gleicher Hartnäckigkeit hinderte die Adelspartei die Zulassung des Gesetzes im Senat und ernannte die Gemeinde wieder und wieder dieselben Männer zu Tribunen. Man versuchte durch andere Konzessionen den Angriff zu beseitigen: im Jahre 297 (457) ward die Vermehrung der Tribune von vier auf zehn bewilligt – freilich ein zweifelhafter Gewinn; im folgenden Jahre durch ein Icilisches Plebiszit, das aufgenommen ward unter die beschworenen Privilegien der Gemeinde, der Aventin, bisher Tempelhain und unbewohnt, unter die ärmeren Bürger zu Bauplätzen erblichen Besitzes aufgeteilt. Die Gemeinde nahm, was ihr geboten ward, allein sie hörte nicht auf, das Landrecht zu fordern. Endlich im Jahre 300 (454) kam ein Vergleich zustande; der Senat gab in der Hauptsache nach. Die Abfassung des Landrechts wurde beschlossen; es sollten dazu außerordentlicher Weise zehn Männer von den Zenturien gewählt werden, welche zugleich als höchste Beamte anstatt der Konsuln zu fungieren hatten (decem viri consulari imperio legibus scribundis), und zu diesem Posten sollten nicht bloß Patrizier, sondern auch Plebejer wahlfähig sein. Diese wurden hier zum erstenmal, freilich nur für ein außerordentliches Amt, als wählbar bezeichnet. Es war dies ein großer Schritt vorwärts zu der vollen politischen Gleichberechtigung, und er war nicht zu teuer damit verkauft, daß das Volkstribunat aufgehoben, das Provokationsrecht für die Dauer des Dezemvirats suspendiert und die Zehnmänner nur verpflichtet wurden, die beschworenen Freiheiten der Gemeinde nicht anzutasten. Vorher indes wurde noch eine Gesandtschaft nach Griechenland geschickt um die Solonischen und andere griechische Gesetze heimzubringen, und erst nach deren Rückkehr wurden für das Jahr 303 (451) die Zehnmänner gewählt. Obwohl es freistand, auch Plebejer zu ernennen, so traf doch die Wahl auf lauter Patrizier – so mächtig war damals noch der Adel –, und erst als eine abermalige Wahl für 304 (450) nötig ward, wurden auch einige Plebejer gewählt – die ersten nichtadligen Beamten, die die römische Gemeinde gehabt hat.

Erwägt man diese Maßregeln in ihrem Zusammenhang, so kann kaum ein anderer Zweck ihnen untergelegt werden, als die Beschränkung der konsularischen Gewalt durch das geschriebene Gesetz an die Stelle der tribunizischen Hilfe zu setzen. Von beiden Seiten mußte man sich überzeugt haben, daß es nicht so bleiben konnte, wie es war, und die Permanenzerklärung der Anarchie wohl die Gemeinde zugrunde richtete, aber in der Tat und Wahrheit dabei für niemand etwas herauskam. Ernsthafte Leute mußten einsehen, daß das Eingreifen der Tribune in die Administration sowie ihre Anklägertätigkeit schlechterdings schädlich wirkten und der einzige wirkliche Gewinn, den das Tribunat dem gemeinen Mann gebracht hatte, der Schutz gegen parteiische Rechtspflege war, indem es als eine Art Kassationsgericht die Willkür des Magistrats beschränkte. Ohne Zweifel ward, als die Plebejer ein geschriebenes Landrecht begehrten, von den Patriziern erwidert, daß dann der tribunizische Rechtsschutz überflüssig werde; und hierauf scheint von beiden Seiten nachgegeben zu sein. Es ist vielleicht nie bestimmt ausgesprochen worden, wie es werden sollte nach Abfassung des Landrechts; aber an dem definitiven Verzicht der Plebs auf das Tribunat ist nicht zu zweifeln, da dieselbe durch das Dezemvirat in die Lage kam, nicht anders als auf ungesetzlichem Wege das Tribunat zurückgewinnen zu können. Die der Plebs gegebene Zusage, daß ihre beschworenen Freiheiten nicht angetastet werden sollten, kann bezogen werden auf die vom Tribunat unabhängigen Rechte der Plebejer, wie die Provokation und der Besitz des Aventin. Die Absicht scheint gewesen zu sein, daß die Zehnmänner bei ihrem Rücktritt dem Volke vorschlagen sollten, die jetzt nicht mehr nach Willkür, sondern nach geschriebenem Recht urteilenden Konsuln wiederum zu wählen.

Der Plan, wenn er bestand, war weise; es kam darauf an, ob die leidenschaftlich erbitterten Gemüter hüben und drüben diesen friedlichen Austrag annehmen würden. Die Dezemvirn des Jahres 303 (451) brachten ihr Gesetz vor das Volk und, von diesem bestätigt, wurde dasselbe, in zehn kupferne Tafeln eingegraben, auf dem Markt an der Rednerbühne vor dem Rathaus angeschlagen. Da indes noch ein Nachtrag erforderlich schien, so ernannte man auf das Jahr 304 (450) wieder Zehnmänner, die noch zwei Tafeln hinzufügten; so entstand das erste und einzige römische Landrecht, das Gesetz der Zwölf Tafeln. Es ging aus einem Kompromiß der Parteien hervor und kann schon darum tiefgreifende, über nebensächliche und bloße Zweckmäßigkeitsbestimmungen hinausgehende Änderungen des bestehenden Rechts nicht wohl enthalten haben. Sogar im Kreditwesen trat keine weitere Milderung ein, als daß ein – wahrscheinlich niedriges – Zinsmaximum (10 Prozent) festgestellt und der Wucherer mit schwerer Strafe – charakteristisch genug mit einer weit schwereren als der Dieb – bedroht ward; der strenge Schuldprozeß blieb wenigstens in seinen Hauptzügen ungeändert. Änderungen der ständischen Rechte waren begreiflicherweise noch weniger beabsichtigt; der Rechtsunterschied zwischen steuerpflichtigen und vermögenslosen Bürgern, die Ungültigkeit der Ehe zwischen Adligen und Bürgerlichen wurden vielmehr aufs neue im Stadtrecht bestätigt, ebenso zur Beschränkung der Beamtenwillkür und zum Schutz des Bürgers ausdrücklich vorgeschrieben, daß das spätere Gesetz durchaus dem früheren vorgehen und daß kein Volksschluß gegen einen einzelnen Bürger erlassen werden solle. Am bemerkenswertesten ist die Ausschließung der Provokation an die Tribuskomitien in Kapitalsachen, während die an die Zenturien gewährleistet ward; was sich daraus erklärt, daß die Strafgerichtsbarkeit von der Plebs und ihren Vorstehern in der Tat usurpiert war und mit dem Tribunal auch der tribunizische Kapitalprozeß notwendig fiel, während es vielleicht die Absicht war, den ädilizischen Multprozeß beizubehalten. Die wesentliche politische Bedeutung lag weit weniger in dem Inhalt des Weistums als in der jetzt förmlich festgestellten Verpflichtung der Konsuln, nach diesen Prozeßformen und diesen Rechtsregeln Recht zu sprechen, und in der öffentlichen Aufstellung des Gesetzbuchs, wodurch die Rechtsverwaltung der Kontrolle der Publizität unterworfen und der Konsul genötigt ward, allen gleiches und wahrhaft gemeines Recht zu sprechen.

Der Ausgang des Dezemvirats liegt in tiefem Dunkel. Es blieb – so wird berichtet – den Zehnmännern nur noch übrig, die beiden letzten Tafeln zu publizieren und alsdann der ordentlichen Magistratur Platz zu machen. Sie zögerten indes; unter dem Vorwande, daß das Gesetz noch immer nicht fertig sei, führten sie selbst nach Ablauf des Amtsjahres ihr Amt weiter, was insofern möglich war, als nach römischem Staatsrecht die außerordentlicherweise zur Revision der Verfassung berufene Magistratur durch die ihr gesetzte Endfrist rechtlich nicht gebunden werden kann. Die gemäßigte Fraktion der Aristokratie, die Valerier und Horatier an ihrer Spitze, soll versucht haben, im Senat die Abdankung der Dezemvirn zu erzwingen; allein das Haupt der Zehnmänner, Appius Claudius, von Haus aus ein starrer Aristokrat, aber jetzt umschlagend zum Demagogen und zum Tyrannen, gewann das Übergewicht im Senat, und auch das Volk fügte sich. Die Aushebung eines doppelten Heeres ward ohne Widerspruch vollzogen und der Krieg gegen die Volsker wie gegen die Sabiner begonnen. Da wurde der gewesene Volkstribun Lucius Siccius Dentatus, der tapferste Mann in Rom, der in hundertundzwanzig Schlachten gefochten und fünfundvierzig ehrenvolle Narben aufzuzeigen hatte, tot vor dem Lager gefunden, meuchlerisch ermordet, wie es hieß, auf Anstiften der Zehnmänner. Die Revolution gärte in den Gemütern; zum Ausbruch brachte sie der ungerechte Wahrspruch des Appius in dem Prozeß um die Freiheit der Tochter des Centurionen Lucius Verginius, der Braut des gewesenen Volkstribuns Lucius Icilius, welcher Spruch das Mädchen den Ihrigen entriß, um sie unfrei und rechtlos zu machen und den Vater bewog, seiner Tochter auf offenem Markt das Messer selber in die Brust zu stoßen, um sie der gewissen Schande zu entreißen. Während das Volk erstarrt ob der unerhörten Tat die Leiche des schönen Mädchens umstand, befahl der Dezemvir seinen Bütteln, den Vater und alsdann den Bräutigam vor seinen Stuhl zu führen, um ihm, von dessen Spruch keine Berufung galt, sofort Rede zu stehen wegen ihrer Auflehnung gegen seine Gewalt. Nun war das Maß voll. Geschützt von den brausenden Volksmassen entziehen der Vater und der Bräutigam des Mädchens sich den Häschern des Gewaltherrn, und während in Rom der Senat zittert und schwankt, erscheinen die beiden mit zahlreichen Zeugen der furchtbaren Tat in den beiden Lagern. Das Unerhörte wird berichtet; vor allen Augen öffnet sich die Kluft, die der mangelnde tribunizische Schutz in der Rechtssicherheit gelassen hat, und was die Väter getan, wiederholen die Söhne. Abermals verlassen die Heere ihre Führer; sie ziehen in kriegerischer Ordnung durch die Stadt und abermals auf den heiligen Berg, wo sie abermals ihre Tribune sich ernennen. Immer noch weigern die Dezemvirn die Niederlegung ihrer Gewalt; da erscheint das Heer mit seinen Tribunen in der Stadt und lagert sich auf dem Aventin. Jetzt endlich, wo der Bürgerkrieg schon da war und der Straßenkampf stündlich beginnen konnte, jetzt entsagen die Zehnmänner ihrer angemaßten und entehrten Gewalt, und die Konsuln Lucius Valerius und Marcus Horatius vermitteln einen zweiten Vergleich, durch den das Volkstribunal wieder hergestellt wurde. Die Anklagen gegen die Dezemvirn endigten damit, daß die beiden schuldigsten, Appius Claudius und Spurius Oppius, im Gefängnis sich das Leben nahmen, die acht anderen ins Exil gingen und der Staat ihr Vermögen einzog. Weitere gerichtliche Verfolgungen hemmte der kluge und gemäßigte Volkstribun Marcus Duilius durch den rechtzeitigen Gebrauch seines Veto.

So lautet die Erzählung, wie der Griffel der römischen Aristokraten sie aufgezeichnet hat; unmöglich aber kann, auch von den Nebenumständen abgesehen, die große Krise, der die Zwölf Tafeln entsprangen, in solche romantische Abenteuerlichkeiten und politische Unbegreiflichkeiten ausgelaufen sein. Das Dezemvirat war nach der Abschaffung des Königtums und der Einsetzung des Volkstribunats der dritte große Sieg der Plebs, und die Erbitterung der Gegenpartei gegen die Institution wie gegen ihr Haupt Appius Claudius ist erklärlich genug. Die Plebejer hatten damit das passive Wahlrecht zu dem höchsten Gemeindeamt und das gemeine Landrecht errungen; und nicht sie waren es, die Ursache hatten, sich gegen die neue Magistratur aufzulehnen und mit Waffengewalt das rein patrizische Konsularregiment zu restaurieren. Dies Ziel kann nur von der Adelspartei verfolgt worden sein, und wenn die patrizisch-plebejischen Dezemvirn den Versuch gemacht haben, sich über die Zeit hinaus im Amte zu behaupten, so ist sicherlich dagegen in erster Reihe der Adel in die Schranken getreten; wobei er freilich nicht versäumt haben wird geltend zu machen, daß ja auch der Plebs ihre verbrieften Rechte geschmälert, insbesondere das Tribunat ihr genommen sei. Gelang es dann dem Adel, die Dezemvirn zu beseitigen, so ist es allerdings begreiflich, daß nach deren Sturz die Plebs jetzt abermals in Waffen zusammentrat, um die Ergebnisse sowohl der früheren Revolution von 260 wie auch der jüngsten Bewegung sich zu sichern; und nur als Kompromiß in diesem Konflikt lassen die Valerisch-Horatischen Gesetze von 305 (449) sich verstehen. Der Vergleich fiel wie natürlich durchaus zu Gunsten der Plebejer aus und beschränkte abermals in empfindlicher Weise die Gewalt des Adels. Daß das Volkstribunat wieder hergestellt, das dem Adel abgedrungene Stadtrecht definitiv festgehalten und die Konsuln danach zu richten verpflichtet wurden, versteht sich von selbst. Durch das Stadtrecht verloren allerdings die Tribus die angemaßte Gerichtsbarkeit in Kapitalsachen; allein die Tribune erhielten sie zurück, indem ein Weg gefunden ward, ihnen für solche Fälle die Verhandlung mit den Zenturien möglich zu machen. Überdies blieb ihnen in dem Recht, auf Geldbußen unbeschränkt zu erkennen und diesen Spruch an die Tribuskomitien zu bringen, ein ausreichendes Mittel, die bürgerliche Existenz des patrizischen Gegners zu vernichten. Es ward ferner auf Antrag der Konsuln von den Zenturien beschlossen, daß künftig jeder Magistrat, also auch der Diktator bei seiner Ernennung verpflichtet werden solle, der Provokation stattzugeben; wer dem zuwider einen Beamten ernannte, büßte mit dem Kopfe. Im übrigen behielt der Diktator die bisherige Gewalt und konnte namentlich der Tribun seine Amtshandlungen nicht wie die der Konsuln kassieren.

Eine weitere Beschränkung der konsularischen Machtfülle war es, daß die Verwaltung der Kriegskasse zwei von der Gemeinde gewählten Zahlmeistern (quaestores) übertragen ward, die zuerst für 307 (447) ernannt wurden. Die Ernennung sowohl der beiden neuen Zahlmeister für den Krieg wie auch der beiden die Stadtkasse verwaltenden ging jetzt über auf die Gemeinde; der Konsul behielt statt der Wahl nur die Wahlleitung. Die Versammlung, in der die Zahlmeister erwählt wurden, war die der sämtlichen patrizisch-plebejischen ansässigen Leute und stimmte nach Quartieren ab; worin ebenfalls eine Konzession an die diese Versammlungen weit mehr als die Zenturiatkomitien beherrschende plebejische Bauernschaft liegt.

Folgenreicher noch war es, daß den Tribunen Anteil an den Verhandlungen im Senat eingeräumt ward. Zwar in den Sitzungssaal die Tribune zuzulassen, schien dem Senat unter seiner Würde; es wurde ihnen eine Bank an die Tür gesetzt, um von da aus den Verhandlungen zu folgen. Das tribunizische Interzessionsrecht hatte sich auch auf die Beschlüsse des Gesamtsenats erstreckt, seit dieser aus einer beratenden zu einer beschließenden Behörde geworden war, was wohl zuerst eintrat in dem Fall, wo ein Plebiszit für die ganze Gemeinde verbindend werden sollte; es war natürlich, daß man seitdem den Tribunen eine gewisse Beteiligung an den Verhandlungen in der Kurie einräumte. Um auch gegen Unterschiebung und Verfälschung von Senatsbeschlüssen gesichert zu sein, an deren Gültigkeit ja die der wichtigsten Plebiszite geknüpft war, wurde verordnet, daß in Zukunft dieselben nicht bloß bei den patrizischen Stadtquästoren im Saturnus-, sondern ebenfalls bei den plebejischen Ädilen im Cerestempel hinterlegt werden sollten. So endigte dieser Kampf, der begonnen war, um die Gewalt der Volkstribune zu beseitigen, mit der abermaligen und nun definitiven Sanktionierung ihres Rechts, sowohl einzelne Verwaltungsakte auf Anrufen des Beschwerten als auch jede Beschlußnahme der konstitutiven Staatsgewalten nach Ermessen zu kassieren. Mit den heiligsten Eiden und allem, was die Religion Ehrfürchtiges darbot, und nicht minder mit den förmlichsten Gesetzen wurde abermals sowohl die Person der Tribune als die ununterbrochene Dauer und die Vollzähligkeit des Kollegiums gesichert. Es ist seitdem nie wieder in Rom ein Versuch gemacht worden, diese Magistratur aufzuheben.

  1. Daß die plebejischen Ädilen in derselben Weise den patrizischen Quästoren nachgebildet sind wie die plebejischen Tribune den patrizischen Konsuln, ist deutlich sowohl für die Kriminalrechtspflege, wo nur die Tendenz der beiden Magistraturen, nicht die Kompetenz verschieden gewesen zu sein scheint, wie für das Archivgeschäft. Für die Ädilen ist der Cerestempel, was der Tempel des Saturnus für die Quästoren, und von jenem haben sie auch den Namen. Bezeichnend ist die Vorschrift des Gesetzes von 305 (349) (Liv. 3, 55), daß die Senatsbeschlüsse dorthin an die Ädilen abgeliefert werden sollen (I, 300), während dieselben bekanntlich nach altem und später nach Beilegung des Ständekampfes wieder überwiegendem Gebrauche den Quästoren zur Aufbewahrung in dem Saturnustempel zugestellt wurden.

3. Kapitel


3. Kapitel

Die Ausgleichung der Stände und die neue Aristokratie

Die tribunizischen Bewegungen scheinen vorzugsweise aus den sozialen, nicht aus den politischen Mißverhältnissen hervorgegangen zu sein und es ist guter Grund vorhanden zu der Annahme, daß ein Teil der vermögenden, in den Senat aufgenommenen Plebejer denselben nicht minder entgegen war als die Patrizier; denn die Privilegien, gegen welche die Bewegung vorzugsweise sich richtete, kamen auch ihnen zugute, und wenn sie auch wieder in anderer Beziehung sich zurückgesetzt fanden, so mochte es ihnen doch keineswegs an der Zeit scheinen, ihre Ansprüche auf Teilnahme an den Ämtern geltend zu machen, während der ganze Senat in seiner finanziellen Sondermacht bedroht war. So erklärt es sich, daß während der ersten fünfzig Jahre der Republik kein Schritt geschah, der geradezu auf politische Ausgleichung der Stände hinzielte.

Allein eine Bürgschaft der Dauer trug dieses Bündnis der Patrizier und der reichen Plebejer doch keineswegs in sich. Ohne Zweifel hatte ein Teil der vornehmen plebejischen Familien von Haus aus der Bewegungspartei sich angeschlossen, teils aus Billigkeitsgefühl gegen ihre Standesgenossen, teils infolge des natürlichen Bundes aller Zurückgesetzten, teils endlich, weil sie begriffen, daß Konzessionen an die Menge auf die Länge unvermeidlich waren und daß sie, richtig benutzt, die Beseitigung der Sonderrechte des Patriziats zur Folge haben und damit der plebejischen Aristokratie das entscheidende Gewicht im Staate geben würden. Wenn diese Überzeugung, wie das nicht fehlen konnte, in weitere Kreise eindrang und die plebejische Aristokratie an der Spitze ihres Standes den Kampf gegen den Geschlechtsadel aufnahm, so hielt sie in dem Tribunat den Bürgerkrieg gesetzlich in der Hand und konnte mit dem sozialen Notstand die Schlachten schlagen, um dem Adel die Friedensbedingungen zu diktieren und als Vermittler zwischen beiden Parteien für sich den Zutritt zu den Ämtern zu erzwingen.

Ein solcher Wendepunkt in der Stellung der Parteien trat ein nach dem Sturz des Dezemvirats. Es war jetzt vollkommen klar geworden, daß das Volkstribunat sich nicht beseitigen ließ; die plebejische Aristokratie konnte nichts Besseres tun, als sich dieses gewaltigen Hebels zu bemächtigen und sich desselben zur Beseitigung der politischen Zurücksetzung ihres Standes zu bedienen.

Wie wehrlos der Geschlechtsadel der vereinigten Plebs gegenüberstand, zeigt nichts so augenscheinlich, als daß der Fundamentalsatz der exklusiven Partei, die Ungültigkeit der Ehe zwischen Adligen und Bürgerlichen, kaum vier Jahre nach der Dezemviralrevolution auf den ersten Streich fiel. Im Jahre 309 (445) wurde durch das Canuleische Plebiszit verordnet, daß die Ehe zwischen Adligen und Bürgerlichen als eine rechte römische gelten und die daraus erzeugten Kinder dem Stande des Vaters folgen sollten. Gleichzeitig wurde ferner durchgesetzt, daß statt der Konsuln Kriegstribune – es gab deren damals, vor der Teilung des Heeres in Legionen, sechs, und danach richtete sich auch die Zahl dieser Magistrate – mit konsularischer Gewalt7 und konsularischer Amtsdauer von den Zenturien gewählt werden sollten. Die nächste Ursache war militärischer Art, indem die vielfachen Kriege eine größere Zahl von obersten Feldherren forderten, als die Konsularverfassung sie gewährte; aber die Änderung ist von wesentlicher Bedeutung für den Ständekampf geworden, ja vielleicht jener militärische Zweck für diese Einrichtung mehr der Vorwand als der Grund gewesen. Zu Offizierstellen konnte nach altem Recht jeder dienstpflichtige Bürger oder Insasse gelangen, und es ward also damit das höchste Amt, nachdem es vorübergehend schon im Dezemvirat den Plebejern geöffnet worden war, jetzt in umfassender Weise sämtlichen freigewordenen Bürgern gleichmäßig zugänglich gemacht. Die Frage liegt nahe, welches Interesse der Adel dabei haben konnte, da er einmal auf den Alleinbesitz des höchsten Amtes verzichten und in der Sache nachgeben mußte, den Plebejern den Titel zu versagen und das Konsulat ihnen in dieser wunderlichen Form zuzugestehen8. Einmal aber knüpften sich an die Bekleidung des höchsten Gemeindeamts mancherlei teils persönliche, teils erbliche Ehrenrechte: so galt die Ehre des Triumphs als rechtlich bedingt durch die Bekleidung des höchsten Gemeindeamts und wurde nie einem Offizier gegeben, der nicht dieses selbst verwaltet hatte; so stand es den Nachkommen eines kurulischen Beamten frei, das Bild eines solchen Ahnen im Familiensaal auf- und bei geeigneten Veranlassungen öffentlich zur Schau zu stellen, während dies für andere Vorfahren nicht statthaft war9. Es ist ebenso leicht zu erklären wie schwer zu rechtfertigen, daß der regierende Herrenstand weit eher das Regiment selbst als die daran geknüpften Ehrenrechte, namentlich die erblichen, sich entwinden ließ und darum, als es jenes mit den Plebejern teilen mußte, den tatsächlich höchsten Gemeindebeamten rechtlich nicht als Inhaber des kurulischen Sessels, sondern als einfachen Stabsoffizier hinstellte, dessen Auszeichnung eine rein persönliche war. Von größerer politischer Bedeutung aber als die Versagung des Ahnenrechts und der Ehre des Triumphs war es, daß die Ausschließung der im Senat sitzenden Plebejer von der Debatte notwendig für diejenigen von ihnen fiel, die als designierte oder gewesene Konsuln in die Reihe der vor den übrigen um ihr Gutachten zu fragenden Senatoren eintraten; insofern war es allerdings für den Adel von großer Wichtigkeit, den Plebejer nur zu einem konsularischen Amt, nicht aber zum Konsulat selbst zuzulassen.

Indes trotz dieser kränkenden Zurücksetzung waren doch die Geschlechterprivilegien, soweit sie politischen Wert hatten, durch die neue Institution gesetzlich beseitigt, und wenn der römische Adel seines Namens wert gewesen wäre, hätte er jetzt den Kampf aufgeben müssen. Allein er hat es nicht getan. Wenn auch ein vernünftiger und gesetzlicher Widerstand fortan unmöglich war, so bot sich doch noch ein weites Feld für die tückische Opposition der kleinen Mittel, der Schikanen und der Kniffe; und so wenig ehrenhaft und staatsklug dieser Widerstand war, so war er doch in einem gewissen Sinne erfolgreich. Er hat allerdings schließlich dem gemeinen Mann Konzessionen verschafft, zu welchen die vereinigte römische Aristokratie nicht leicht gezwungen worden wäre; aber er hat es auch vermocht, den Bürgerkrieg noch um ein Jahrhundert zu verlängern und jenen Gesetzen zum Trotz das Regiment noch mehrere Menschenalter hindurch tatsächlich im Sonderbesitz des Adels zu erhalten.

Die Mittel, deren der Adel sich bediente, waren so mannigfach wie die politische Kümmerlichkeit überhaupt. Statt die Frage über die Zulassung oder Ausschließung der Bürgerlichen bei den Wahlen ein für allemal zu entscheiden, räumte man, was man einräumen mußte, nur für die jedesmal nächsten Wahlen ein; jährlich erneuerte sich also der eitle Kampf, ob patrizische Konsuln oder aus beiden Ständen Kriegstribune mit konsularischer Gewalt ernannt werden sollten, und unter den Waffen des Adels erwies sich diese, den Gegner durch Ermüdung und Langweile zu überwinden, keineswegs als die unwirksamste.

Man zersplitterte ferner die bis dahin ungeteilte höchste Geaalt, um die unvermeidliche Niederlage durch Vermehrung der Angriffspunkte in die Länge zu ziehen. So wurde die der Regel nach jedes vierte Jahr stattfindende Feststellung des Budgets und der Bürger- und Steuerlisten, welche bisher durch die Konsuln bewirkt worden war, schon im Jahre 319 (435) zweien von den Zenturien aus dem Adel auf höchstens achtzehn Monate ernannten Schätzern (censores) übertragen. Das neue Amt ward allmählich zum Palladium der Adelspartei, weniger noch wegen seines finanziellen Einflusses als wegen des daran sich knüpfenden Rechts, die erledigten Plätze im Senat und in der Ritterschaft zu besetzen und bei der Feststellung der Listen von Senat, Ritter- und Bürgerschaft einzelne Personen aus denselben zu entfernen; die hohe Bedeutung indes und die moralische Machtfülle, welche späterhin der Zensur beiwohnt, hat sie in dieser Epoche noch keineswegs besessen.

Dagegen die im Jahre 333 (421) hinsichtlich der Quästur getroffene wichtige Änderung glich diesen Erfolg der Adelspartei reichlich wieder aus. Die patrizisch-plebejische Quartierversammlung, vielleicht darauf sich stützend, daß wenigstens die beiden Kriegszahlmeister faktisch mehr Offiziere waren als Zivilbeamte und insofern der Plebejer so gut wie zum Militärtribunat auch zur Quästur befähigt erschien, setzte es durch, daß für die Quästorenwahlen auch plebejische Bewerber zugelassen wurden und erwarb damit zum erstenmal zu dem aktiven Wahlrecht auch das passive für eines der ordentlichen Ämter. Mit Recht ward es auf der einen Seite als ein großer Sieg, auf der anderen als eine schwere Niederlage empfunden, daß fortan zu dem Kriegs- wie zu dem Stadtzahlmeisteramt der Patrizier und der Plebejer aktiv und passiv gleich wahlfähig waren.

Trotz der hartnäckigsten Gegenwehr schritt der Adel doch nur von Verlust zu Verlust; die Erbitterung stieg, wie die Macht sank. Er hat es wohl noch versucht, die der Gemeinde vertragsmäßig zugesicherten Rechte geradezu anzutasten; aber es waren diese Versuche weniger berechnete Parteimanöver als Akte einer impotenten Rachsucht. So namentlich der Prozeß gegen Maelius, wie unsere allerdings wenig zuverlässige Überlieferung ihn berichtet. Spurius Maelius, ein reicher Plebejer, verkaufte während schwerer Teuerung (315 439) Getreide zu solchen Preisen, daß er den patrizischen Magazinvorsteher (praefectus annonae) Gaius Minucius beschämte und kränkte. Dieser beschuldigte ihn des Strebens nach der königlichen Gewalt; mit welchem Recht, können wir freilich nicht entscheiden, allein es ist kaum glaublich, daß ein Mann, der nicht einmal das Tribunat bekleidet hatte, ernstlich an die Tyrannis gedacht haben sollte. Indes die Behörden nahmen die Sache ernsthaft, und auf die Menge Roms hat der Zeterruf des Königtums stets ähnliche Wirkung geübt wie der Papstzeter auf die englischen Massen. Titus Quinctius Capitolinus, der zum sechstenmal Konsul war, ernannte den achtzigjährigen Lucius Quinctius Cincinnatus zum Diktator ohne Provokation, in offener Auflehnung gegen die beschworenen Gesetze. Maelius, vorgeladen, machte Miene, sich dem Befehl zu entziehen; da erschlug ihn der Reiterführer des Diktators, Gaius Servilius Ahala, mit eigener Hand. Das Haus des Ermordeten ward niedergerissen, das Getreide aus seinen Speichern dem Volke umsonst verteilt, und die seinen Tod zu rächen drohten, heimlich über die Seite gebracht. Dieser schändliche Justizmord, eine Schande mehr noch für das leichtgläubige und blinde Volk als für die tückische Junkerpartei, ging ungestraft hin; aber wenn diese gehofft hatte, damit das Provokationsrecht zu untergraben, so hatte sie umsonst die Gesetze verletzt und umsonst unschuldiges Blut vergossen.

Wirksamer als alle übrigen Mittel erwiesen sich dem Adel Wahlintrigen und Pfaffentrug. Wie arg jene gewesen sein müssen, zeigt am besten, daß es schon 322 (432) nötig schien, ein eigenes Gesetz gegen Wahlumtriebe zu erlassen, das natürlich nichts half. Konnte man nicht durch Korruption oder Drohung auf die Stimmberechtigten wirken, so taten die Wahldirektoren das übrige und ließen zum Beispiel so viele plebejische Kandidaten zu, daß die Stimmen der Opposition sich zersplitterten, oder ließen diejenigen von der Kandidatenliste weg, die die Majorität zu wählen beabsichtigte. Ward trotz alledem eine unbequeme Wahl durchgesetzt, so wurden die Priester befragt, ob bei derselben nicht eine Nichtigkeit in der Vögelschau oder den sonstigen religiösen Zeremonien vorgekommen sei; welche diese alsdann zu entdecken nicht ermangelten. Unbekümmert um die Folgen und uneingedenk des weisen Beispiels der Ahnen ließ man den Satz sich feststellen, daß das Gutachten der priesterlichen Sachverständigenkollegien über Vögelzeichen, Wunder und ähnliche Dinge den Beamten von Rechts wegen binde, und es in ihre Macht kommen, jeden Staatsakt, sei es die Weihung eines Gotteshauses oder sonst eine Verwaltungshandlung, sei es Gesetz oder Wahl, wegen religiöser Nullitäten zu kassieren. Auf diesem Wege wurde es möglich, daß, obwohl die Wählbarkeit der Plebejer schon im Jahre 333 (421) für die Quästur gesetzlich festgestellt worden war und seitdem rechtlich anerkannt blieb, dennoch erst im Jahre 345 (409) der erste Plebejer zur Quästur gelangte; ähnlich haben das konsularische Kriegstribunat bis zum Jahre 354 (400) fast ausschließlich Patrizier bekleidet. Es zeigte sich, daß die gesetzliche Abschaffung der Adelsprivilegien noch keineswegs die plebejische Aristokratie wirklich und tatsächlich dem Geschlechtsadel gleichgestellt hatte. Mancherlei Ursachen wirkten dabei zusammen: die zähe Opposition des Adels ließ sich weit leichter in einem aufgeregten Moment der Theorie nach über den Haufen werfen, als in den jährlich wiederkehrenden Wahlen dauernd niederhalten; die Hauptursache aber war die innere Uneinigkeit der Häupter der plebejischen Aristokratie und der Masse der Bauernschaft. Der Mittelstand, dessen Stimmen in den Komitien entschieden, fand sich nicht berufen, die vornehmen Nichtadligen vorzugsweise auf den Schild zu heben, solange seine eigenen Forderungen von der plebejischen nicht minder wie von der patrizischen Aristokratie zurückgewiesen wurden.

Die sozialen Fragen hatten während dieser politischen Kämpfe im ganzen geruht oder waren doch mit geringer Energie verhandelt worden. Seitdem die plebejische Aristokratie sich des Tribunats zu ihren Zwecken bemächtigt hatte, war weder von der Domänenangelegenheit noch von der Reform des Kreditwesens ernstlich die Rede gewesen; obwohl es weder fehlte an neugewonnenen Ländereien noch an verarmenden oder verarmten Bauern. Einzelne Assignationen, namentlich in neueroberten Grenzgebieten, erfolgten wohl, so des ardeatischen Gebiets 312 (442), des labicanischen 336 (418), des veientischen 361 (393), jedoch mehr aus militärischen Gründen, als um dem Bauer zu helfen, und keineswegs in ausreichenden Umfang. Wohl machten einzelne Tribune den Versuch, das Gesetz des Cassius wieder aufzunehmen: so stellten Spurius Maecilius und Spurius Metilius im Jahre 337 (417) den Antrag auf Aufteilung sämtlicher Staatsländereien – allein sie scheiterten, was charakteristisch für die damalige Situation ist, an dem Widerstand ihrer eigenen Kollegen, das heißt der plebejischen Aristokratie. Auch unter den Patriziern versuchten einige, der gemeinen Not zu helfen; allein mit nicht besserem Erfolg als einst Spurius Cassius. Patrizier wie dieser, und wie dieser ausgezeichnet durch Kriegsruhm und persönliche Tapferkeit, soll Marcus Manlius, der Retter der Burg während der gallischen Belagerung, als Vorkämpfer aufgetreten sein für die unterdrückten Leute, mit denen sowohl die Kriegskameradschaft ihn verband wie der bittere Haß gegen seinen Rivalen, den gefeierten Feldherrn und optimatischen Parteiführer Marcus Furius Camillus. Als ein tapferer Offizier ins Schuldgefängnis abgeführt werden sollte, trat Manlius für ihn ein und löste mit seinem Gelde ihn aus; zugleich bot er seine Grundstücke zum Verkauf aus, laut erklärend, daß, solange er noch einen Fußbreit Landes besitze, solche Unbill nicht vorkommen solle. Das war mehr als genug, um die ganze Regimentspartei, Patrizier wie Plebejer, gegen den gefährlichen Neuerer zu vereinigen. Der Hochverratsprozeß, die Anschuldigung der beabsichtigten Erneuerung des Königtums, wirkte mit dem tückischen Zauber stereotyp gewordener Parteiphrasen auf die blinde Menge; sie selbst verurteilte ihn zum Tode, und nichts trug sein Ruhm ihm ein, als daß man das Volk zum Blutgericht an einem Ort versammelte, von wo die Stimmenden den Burgfelsen nicht erblickten, den stummen Mahner an die Rettung des Vaterlandes aus der höchsten Gefahr durch die Hand desselben Mannes, welchen man jetzt dem Henker überlieferte (370 384).

Während also die Reformversuche im Keim erstickt wurden, wurde das Mißverständnis immer schreiender, indem einerseits infolge der glücklichen Kriege die Domanialbesitzungen mehr und mehr sich ausdehnten, anderseits in der Bauernschaft die Überschuldung und Verarmung immer weiter um sich griff, namentlich infolge des schweren Veientischen Krieges (348-358 406-396) und der Einäscherung der Hauptstadt bei dem gallischen Überfall (364 390). Zwar als es indem Veientischen Kriege notwendig wurde, die Dienstzeit der Soldaten zu verlängern und sie, statt wie bisher höchstens nur den Sommer, auch den Winter hindurch unter den Waffen zu halten, und als die Bauernschaft, die vollständige Zerrüttung ihrer ökonomischen Lage voraussehend, im Begriff war, ihre Einwilligung zu der Kriegserklärung zu verweigern, entschloß sich der Senat zu einer wichtigen Konzession: er übernahm den Sold, den bisher die Distrikte durch Umlage aufgebracht hatten, auf die Staatskasse, das heißt auf den Ertrag der indirekten Abgaben und der Domänen (348 406). Nur für den Fall, daß die Staatskasse augenblicklich leer sei, wurde des Soldes wegen eine allgemeine Umlage (tributum) ausgeschrieben, die indes als gezwungene Anleihe betrachtet und von der Gemeinde späterhin zurückgezahlt ward. Die Einrichtung war billig und weise; allein da das wesentliche Fundament, eine reelle Verwertung der Domänen zum Besten der Staatskasse, ihr nicht gegeben ward, so kamen zu der vermehrten Last des Dienstes noch häufige Umlagen hinzu, die den kleinen Mann darum nicht weniger ruinierten, daß sie offiziell nicht als Steuern, sondern als Vorschüsse betrachtet wurden.

Unter solchen Umständen, wo die plebejische Aristokratie sich durch den Widerstand des Adels und die Gleichgültigkeit der Gemeinde tatsächlich von der politischen Gleichberechtigung ausgeschlossen sah und die leidende Bauernschaft der geschlossenen Aristokratie ohnmächtig gegenüberstand, lag es nahe, beiden zu helfen durch ein Kompromiß. Zu diesem Ende brachten die Volkstribune Gaius Licinius und Lucius Sextius bei der Gemeinde Anträge dahin ein: einerseits mit Beseitigung des Konsulatribunats festzustellen, daß wenigstens der eine Konsul Plebejer sein müsse, und ferner den Plebejern den Zutritt zu dem einen der drei großen Priesterkollegien, dem auf zehn Mitglieder zu vermehrenden der Orakelbewahrer (duoviri, später decemviri sacris faciundis, 1, 191) zu eröffnen; anderseits hinsichtlich der Domänen keinen Bürger auf die Gemeinweide mehr als hundert Rinder und fünfhundert Schafe auftreiben und keinen von dem zur Okkupation freigegebenen Domanialland mehr als fünfhundert Iugera (= 494 preußische Morgen) in Besitz nehmen zu lassen, ferner die Gutsbesitzer zu verpflichten, unter ihren Feldarbeitern eine zu der Zahl der Ackersklaven im Verhältnis stehende Anzahl freier Arbeiter zu verwenden, endlich den Schuldnern durch Abzug der gezahlten Zinsen vom Kapital und Anordnung von Rückzahlungsfristen Erleichterung zu verschaffen.

Die Tendenz dieser Verfügungen liegt auf der Hand. Sie sollten dem Adel den ausschließlichen Besitz der kurulischen Ämter und der daran geknüpften erblichen Auszeichnungen der Nobilität entreißen, was man in bezeichnender Weise nur dadurch erreichen zu können meinte, daß man die Adligen von der zweiten Konsulstelle gesetzlich ausschloß. Sie sollten folgeweise die plebejischen Mitglieder des Senats aus der untergeordneten Stellung, in der sie als stumme Beisitzer sich befanden, insofern befreien, als wenigstens diejenigen von ihnen, die das Konsulat bekleidet hatten, damit ein Anrecht erwarben, mit den patrizischen Konsularen vor den übrigen patrizischen Senatoren ihr Gutachten abzugeben. Sie sollten ferner dem Adel den ausschließlichen Besitz der geistlichen Würden entziehen; wobei man aus naheliegenden Ursachen die altlatinischen Priestertümer der Augurn und Pontifices den Altrömern ließ, aber sie nötigte, das dritte, jüngere und einem ursprünglich ausländischen Kult angehörige große Kollegium mit den Neubürgern zu teilen. Sie sollten endlich den geringen Leuten den Mitgenuß der gemeinen Bürgernutzungen, den leidenden Schuldnern Erleichterung, den arbeitslosen Tagelöhnern Beschäftigung verschaffen. Beseitigung der Privilegien, bürgerliche Gleichheit, soziale Reform – das waren die drei großen Ideen, welche dadurch zur Anerkennung kommen sollten. Vergeblich boten die Patrizier gegen diese Gesetzvorschläge ihre letzten Mittel auf; selbst die Diktatur und der alte Kriegsheld Camillus vermochten nur ihre Durchbringung zu verzögern, nicht sie abzuwenden. Gern hätte auch das Volk die Vorschläge geteilt; was lag ihm am Konsulat und an dem Orakelbewahreramt, wenn nur die Schuldenlast erleichtert und das Gemeinland frei ward! Aber umsonst war die plebejische Nobilität nicht popular; sie faßte die Anträge in einen einzigen Gesetzvorschlag zusammen und nach lang-, angeblich elfjährigem Kampfe gab endlich der Senat seine Einwilligung und gingen sie im Jahre 387 (367) durch.

Mit der Wahl des ersten nicht patrizischen Konsuls – sie fiel auf den einen der Urheber dieser Reform, den gewesenen Volkstribunen Lucius Sextius Lateranus – hörte der Geschlechtsadel tatsächlich und rechtlich auf, zu den politischen Institutionen Roms zu zählen. Wenn nach dem endlichen Durchgang dieser Gesetze der bisherige Vorkämpfer der Geschlechter, Marcus Furius Camillus, am Fuße des Kapitols auf einer über der alten Malstatt der Bürgerschaft, dem Comitium, erhöhten Fläche, wo der Senat häufig zusammenzutreten pflegte, ein Heiligtum der Eintracht stiftete, so gibt man gern dem Glauben sich hin, daß er in dieser vollendeten Tatsache den Abschluß des nur zu lange fortgesponnenen Haders erkannte. Die religiöse Weihe der neuen Eintracht der Gemeinde war die letzte öffentliche Handlung des alten Kriegs- und Staatsmannes und der würdige Beschluß seiner langen und ruhmvollen Laufbahn. Er hatte sich auch nicht ganz geirrt; der einsichtigere Teil der Geschlechter gab offenbar seitdem die politischen Sonderrechte verloren und war es zufrieden, das Regiment mit der plebejischen Aristokratie zu teilen. Indes in der Majorität der Patrizier verleugnete das unverbesserliche Junkertum sich nicht. Kraft des Privilegiums, welches die Vorfechter der Legitimität zu allen Zeiten in Anspruch genommen haben, den Gesetzen nur da zu gehorchen, wo sie mit ihren Parteiinteressen zusammenstimmen, erlaubten sich die römischen Adligen noch verschiedene Male, in offener Verletzung der vorgetragenen Ordnung, zwei patrizische Konsuln ernennen zu lassen; wie indes, als Antwort auf eine derartige Wahl für das Jahr 411 (343), das Jahr darauf die Gemeinde förmlich beschloß, die Besetzung beider Konsulstellen mit Nichtpatriziern zu gestatten, verstand man die darin liegende Drohung und hat es wohl noch gewünscht, aber nicht wieder gewagt, an die zweite Konsulstelle zu rühren.

Ebenso schnitt sich der Adel nur in das eigene Fleisch durch den Versuch, den er bei der Durchbringung der Licinischen Gesetze machte, mittels eines politischen Kipp- und Wippsystems wenigstens einige Trümmer der alten Vorrechte für sich zu bergen. Unter dem Vorwande, daß das Recht ausschließlich dem Adel bekannt sei, ward von dem Konsulat, als dies den Plebejern eröffnet werden mußte, die Rechtspflege getrennt und dafür ein eigener dritter Konsul, oder, wie er gewöhnlich heißt, ein Prätor bestellt. Ebenso kamen die Marktaufsicht und die damit verbundenen Polizeigerichte sowie die Ausrichtung des Stadtfestes an zwei neu ernannte Ädilen, die von ihrer ständigen Gerichtsbarkeit, zum Unterschied von den plebejischen, die Gerichtsstuhl-Ädilen (aediles curules) genannt wurden. Allein die kurulische Ädilität ward sofort den Plebejern in der Art zugänglich, daß adlige und bürgerliche Kurulädilen Jahr um Jahr abwechselten. Im Jahre 398 (356) wurde ferner die Diktatur, wie schon das Jahr vor den Licinischen Gesetzen (386 368), das Reiterführeramt, im Jahre 403 (351) die Zensur, im Jahre 417 (337) die Prätur Plebejern übertragen und um dieselbe Zeit (415 339) der Adel, wie es früher in Hinsicht des Konsulats geschehen war, auch von der einen Zensorstelle gesetzlich ausgeschlossen. Es änderte nichts, daß wohl noch einmal ein patrizischer Augur in der Wahl eines plebejischen Diktators (427 327) geheime, ungeweihten Augen verborgene Mängel fand und daß der patrizische Zensor seinem Kollegen bis zum Schlusse dieser Periode (474 280) nicht gestattete, das feierliche Opfer darzubringen, womit die Schatzung schloß; dergleichen Schikanen dienten lediglich dazu, die üble Laune des Junkertums zu konstatieren. Ebensowenig änderten etwa die Quengeleien, welche die patrizischen Vorsitzer des Senats nicht verfehlt haben werden, wegen der Teilnahme der Plebejer an der Debatte in demselben zu erheben; vielmehr stellte die Regel sich fest, daß nicht mehr die patrizischen Mitglieder, sondern die zu einem der drei höchsten ordentlichen Ämter, Konsulat, Prätur und kurulischer Ädilität gelangten, in dieser Folge und ohne Unterschied des Standes zur Abgabe ihres Gutachtens aufzufordern seien, während diejenigen Senatoren, die keines dieser Ämter bekleidet hatten, auch jetzt noch bloß an der Abmehrung teilnahmen. Das Recht endlich des Patriziersenats, einen Beschluß der Gemeinde als verfassungswidrig zu verwerfen, das derselbe auszuüben freilich wohl ohnehin selten gewagt haben mochte, ward ihm durch das Publilische Gesetz von 415 (339) und durch das nicht vor der Mitte des fünften Jahrhunderts erlassene Maenische in der Art entzogen, daß er veranlaßt ward, seine etwaigen konstitutionellen Bedenken bereits bei Aufstellung der Kandidatenliste oder Einbringung des Gesetzvorschlags geltend zu machen; was denn praktisch darauf hinauslief, daß er stets im voraus seine Zustimmung aussprach. In dieser Art als rein formales Recht ist die Bestätigung der Volksschlüsse dem Adel bis in die letzte Zeit der Republik geblieben.

Länger behaupteten begreiflicherweise die Geschlechter ihre religiösen Vorrechte; ja an manche derselben, die ohne politische Bedeutung waren, wie namentlich an ihre ausschließliche Wählbarkeit zu den drei höchsten Flaminaten und dem sacerdotalen Königtum sowie in die Genossenschaften der Springer, hat man niemals gerührt. Dagegen waren die beiden Kollegien der Pontifices und der Augurn, an welche ein bedeutender Einfluß auf die Gerichte und die Komitien sich knüpfte, zu wichtig, als daß diese Sonderbesitz der Patrizier hätten bleiben können; das Ogulnische Gesetz vom Jahre 454 (300) eröffnete denn auch in diese den Plebejern den Eintritt, indem es die Zahl der Pontifices und der Augurn beide von sechs auf neun vermehrte und in beiden Kollegien die Stellen zwischen Patriziern und Plebejern gleichmäßig teilte.

Den letzten Abschluß des zweihundertjährigen Haders brachte das durch einen gefährlichen Volksaufstand hervorgerufene Gesetz des Diktators Q. Hortensius (465-468 289-286), das anstatt der früheren bedingten die unbedingte Gleichstellung der Beschlüsse der Gesamtgemeinde und derjenigen der Plebs aussprach. So hatten sich die Verhältnisse umgewandelt, daß derjenige Teil der Bürgerschaft, der einst allein das Stimmrecht besessen hatte, seitdem bei der gewöhnlichen Form der für die gesamte Bürgerschaft verbindlichen Abstimmungen nicht einmal mehr mitgefragt ward.

Der Kampf zwischen den römischen Geschlechtern und Gemeinen war damit im wesentlichen zu Ende. Wenn der Adel von seinen umfassenden Vorrechten noch den tatsächlichen Besitz der einen Konsul- und der einen Zensorstelle bewahrte, so war er dagegen vom Tribunat, der plebejischen Ädilität, von der zweiten Konsul- und Zensorstelle und von der Teilnahme an den rechtlich den Bürgerschaftsabstimmungen gleichstehenden Abstimmungen der Plebs gesetzlich ausgeschlossen; in gerechter Strafe seines verkehrten und eigensinnigen Widerstrebens hatten die ehemaligen patrizischen Vorrechte sich für ihn in ebenso viele Zurücksetzungen verwandelt. Indes der römische Geschlechtsadel ging natürlich darum keineswegs unter, weil er zum leeren Namen geworden war. Je weniger der Adel bedeutete und vermochte, desto reiner und ausschließlicher entwickelte sich der junkerhafte Geist. Die Hoffart der „Ramner“ hat das letzte ihrer Standesprivilegien um Jahrhunderte überlebt; nachdem man standhaft gerungen hatte, „das Konsulat aus dem plebejischen Kote zu ziehen“, und sich endlich widerwillig von der Unmöglichkeit dieser Leistung hatte überzeugen müssen, trug man wenigstens schroff und verbissen sein Adeltum zur Schau. Man darf, um die Geschichte Roms im fünften und sechsten Jahrhundert richtig zu verstehen, dies schmollende Junkertum nicht vergessen; es vermochte zwar nichts weiter als sich und andere zu ärgern, aber dies hat es denn auch nach Vermögen getan. Einige Jahre nach dem Ogulnischen Gesetz (458 296) kam ein bezeichnender Auftritt dieser Art vor: eine patrizische Frau, welche an einen vornehmen und zu den höchsten Würden der Gemeinde gelangten Plebejer vermählt war, wurde dieser Mißheirat wegen von dem adligen Damenkreise ausgestoßen und zu der gemeinsamen Keuschheitsfeier nicht zugelassen; was denn zur Folge hatte, daß seitdem in Rom eine besondere adlige und eine besondere bürgerliche Keuschheitsgöttin verehrt ward. Ohne Zweifel kam es auf Velleitäten dieser Art sehr wenig an und hat auch der bessere Teil der Geschlechter sich dieser trübseligen Verdrießlichkeitspolitik durchaus enthalten; aber ein Gefühl des Mißbehagens ließ sie doch auf beiden Seiten zurück, und wenn der Kampf der Gemeinde gegen die Geschlechter an sich eine politische und selbst eine sittliche Notwendigkeit war, so haben dagegen diese lange nachzitternden Schwingungen desselben, sowohl die zwecklosen Nachhutgefechte nach der entschiedenen Schlacht als auch die leeren Rang- und Standeszänkereien, das öffentliche und private Leben der römischen Gemeinde ohne Not durchkreuzt und zerrüttet.

Indes nichtsdestoweniger ward der eine Zweck des von den beiden Teilen der Plebs im Jahre 387 (367) geschlossenen Kompromisses, die Beseitigung des Patriziats, im wesentlichen vollständig erreicht. Es fragt sich weiter, inwiefern dies auch von den beiden positiven Tendenzen desselben gesagt werden kann und ob die neue Ordnung der Dinge in der Tat der sozialen Not gesteuert und die politische Gleichheit hergestellt hat. Beides hing eng miteinander zusammen; denn wenn die ökonomische Bedrängnis den Mittelstand aufzehrte und die Bürgerschaft in eine Minderzahl von Reichen und ein notleidendes Proletariat auflöste, so war die bürgerliche Gleichheit damit zugleich vernichtet und das republikanische Gemeinwesen der Sache nach zerstört. Die Erhaltung und Mehrung des Mittelstandes, namentlich der Bauernschaft, war darum für jeden patriotischen Staatsmann Roms nicht bloß eine wichtige, sondern von allen die wichtigste Aufgabe. Die neu zum Regiment berufenen Plebejer aber waren überdies noch, da sie zum guten Teil die gewonnenen Rechte dem notleidenden und von ihnen Hilfe erhoffenden Proletariat verdankten, politisch und sittlich besonders verpflichtet, demselben, soweit es überhaupt auf diesem Wege möglich war, durch Regierungsmaßregeln zu helfen.

Betrachten wir zunächst, inwiefern indem hierher gehörenden Teil der Gesetzgebung von 387 (367) eine ernstliche Abhilfe enthalten war. Daß die Bestimmung zu Gunsten der freien Tagelöhner ihren Zweck: der Groß- und Sklavenwirtschaft zu steuern und den freien Proletariern wenigstens einen Teil der Arbeit zu sichern, unmöglich erreichen konnte, leuchtet ein; aber hier konnte auch die Gesetzgebung nicht helfen, ohne an den Fundamenten der bürgerlichen Ordnung jener Zeit in einer Weise zu rütteln, die über den Horizont derselben weit hinausging. In der Domanialfrage dagegen wäre es den Gesetzgebern möglich gewesen, Wandel zu schaffen; aber was geschah, reichte dazu offenbar nicht aus. Indem die neue Domänenordnung die Betreibung der gemeinen Weide mit schon sehr ansehnlichen Herden und die Okkupation des nicht zur Weide ausgelegten Domanialbesitzes bis zu einem hoch gegriffenen Maximalsatz gestattete, räumte sie den Vermögenden einen bedeutenden und vielleicht schon unverhältnismäßigen Voranteil an dem Domänenertrag ein und verlieh durch die letztere Anordnung dem Domanialbesitz, obgleich er rechtlich zehntpflichtig und beliebig widerruflich blieb, sowie dem Okkupationssystem selbst gewissermaßen eine gesetzliche Sanktion. Bedenklicher noch war es, daß die neue Gesetzgebung weder die bestehenden, offenbar ungenügenden Anstalten zur Eintreibung des Hutgeldes und des Zehnten durch wirksamere Zwangsmaßregeln ersetzte, noch eine durchgreifende Revision des Domanialbesitzes vorschrieb, noch eine mit der Ausführung der neuen Gesetze beauftragte Behörde einsetzte. Die Aufteilung des vorhandenen okkupierten Domaniallandesteils unter die Inhaber bis zu einem billigen Maximalsatz, teils unter die eigentumslosen Plebejer, beiden aber zu vollem Eigentum, die Abschaffung des Okkupationssystems für die Zukunft und die Niedersetzung einer zu sofortiger Aufteilung künftiger neuer Gebietserwerbungen befugten Behörde waren durch die Verhältnisse so deutlich geboten, daß es gewiß nicht Mangel an Einsicht war, wenn diese durchgreifenden Maßregeln unterblieben. Man kann nicht umhin, sich daran zu erinnern, daß die plebejische Aristokratie, also eben ein Teil der hinsichtlich der Domanialnutzungen tatsächlich privilegierten Klasse es war, welche die neue Ordnung vorgeschlagen hatte, und daß einer ihrer Urheber selbst, Gaius Licinius Stolo, unter den ersten wegen Überschreitung des Ackermaximum Verurteilten sich befand; und nicht umhin, sich die Frage vorzulegen, ob die Gesetzgeber ganz ehrlich verfahren und nicht vielmehr der wahrhaft gemeinnützigen Lösung der leidigen Domanialfrage absichtlich aus dem Wege gegangen sind. Damit soll indes nicht in Abrede gestellt werden, daß die Bestimmungen der Licinischen Gesetze, wie sie nun waren, dem kleinen Bauern und dem Tagelöhner wesentlich nützen konnten und genützt haben. Es muß ferner anerkannt werden, daß in der nächsten Zeit nach Erlassung des Gesetzes die Behörden über die Maximalsätze desselben wenigstens vergleichungsweise mit Strenge gewacht und die großen Herdenbesitzer und die Domanialokkupanten oftmals zu schweren Bußen verurteilt haben.

Auch im Steuer- und Kreditwesen wurde in dieser Epoche mit größerer Energie als zu irgendeiner Zeit vor- oder nachher darauf hingearbeitet, soweit gesetzliche Maßregeln reichten, die Schäden der Volkswirtschaft zu heilen. Die im Jahre 397 (357) verordnete Abgabe von fünf vom Hundert des Wertes der freizulassenden Sklaven war, abgesehen davon, daß sie der nicht wünschenswerten Vermehrung der Freigelassenen einen Hemmschuh anlegte, die erste in der Tat auf die Reichen gelegte römische Steuer. Ebenso suchte man dem Kreditwesen aufzuhelfen. Die Wuchergesetze, die schon die Zwölf Tafeln aufgestellt hatten, wurden erneuert und allmählich geschärft, sodaß das Zinsmaximum sukzessiv von zehn (eingeschärft im Jahre 397 357) auf fünf vom Hundert (407 347) für das zwölfmonatliche Jahr ermäßigt und endlich (412 342) das Zinsnehmen ganz verboten ward. Das letztere törichte Gesetz blieb formell in Kraft; vollzogen aber ward es natürlich nicht, sondern der später übliche Zinsfuß von eins vom Hundert für den Monat oder zwölf vom Hundert für das bürgerliche Gemeinjahr, der nach den Geldverhältnissen des Altertums ungefähr damals sein mochte, was nach den heutigen der Zinsfuß von fünf oder sechs vom Hundert ist, wird wohl schon in dieser Zeit sich als das Maximum der angemessenen Zinsen festgestellt haben. Für höhere Beträge wird die Einklagung versagt und vielleicht auch die gerichtliche Rückforderung gestattet worden sein; überdies wurden notorische Wucherer nicht selten vor das Volksgericht gezogen und von den Quartieren bereitwillig zu schweren Bußen verurteilt. Wichtiger noch war die Änderung des Schuldprozesses durch das Poetelische Gesetz (428 oder 441 326 oder 313); es ward dadurch teils jedem Schuldner, der seine Zahlungsfähigkeit eidlich erhärtete, gestattet, durch Abtretung seines Vermögens seine persönliche Freiheit sich zu retten, teils das bisherige kurze Exekutivverfahren bei der Darlehensschuld abgeschafft und festgestellt, daß kein römischer Bürger anders als auf den Spruch von Geschworenen hin in die Knechtschaft abgeführt werden könne.

Daß alle diese Mittel die bestehenden ökonomischen Mißverhältnisse wohl hie und da lindern, aber nicht beseitigen konnten, leuchtet ein; den fortdauernden Notstand zeigt die Niedersetzung einer Bankkommission zur Regulierung der Kreditverhältnisse und zur Leistung von Vorschüssen aus der Staatskasse im Jahre 402 (352), die Anordnung gesetzlicher Terminzahlungen im Jahre 407 (347) und vor allen Dingen der gefährliche Volksaufstand um das Jahr 467 (287), wo das Volk, nachdem es neue Erleichterungen in der Schuldzahlung nicht hatte erreichen können, hinaus auf das Ianiculum zog und erst ein rechtzeitiger Angriff der äußeren Feinde und die in dem Hortensischen Gesetz enthaltenen Zugeständnisse der Gemeinde den Frieden wiedergaben. Indes ist es sehr ungerecht, wenn man jenen ernstlichen Versuchen, der Verarmung des Mittelstandes zu steuern, ihre Unzulänglichkeit entgegenhält; die Anwendung partialer und palliativer Mittel gegen radikale Leiden für nutzlos zu erklären, weil sie nur zum Teil helfen, ist zwar eines der Evangelien, das der Einfalt von der Niederträchtigkeit nie ohne Erfolg gepredigt wird, aber darum nicht minder unverständig. Eher ließe sich umgekehrt fragen, ob nicht die schlechte Demagogie sich damals schon dieser Angelegenheit bemächtigt gehabt und ob es wirklich so gewaltsamer und gefährlicher Mittel bedurft habe, wie zum Beispiel die Kürzung der gezahlten Zinsen am Kapital ist. Unsere Akten reichen nicht aus, um hier über Recht und Unrecht zu entscheiden; allein klar genug erkennen wir, daß der ansässige Mittelstand immer noch in einer bedrohten und bedenklichen ökonomischen Lage sich befand, daß man von oben herab vielfach, aber natürlich vergeblich sich bemühte, ihm durch Prohibitivgesetze und Moratorien zu helfen, daß aber das aristokratische Regiment fortdauernd gegen seine eigenen Glieder zu schwach und zu sehr in egoistischen Standesinteressen befangen war, um durch das einzige wirksame Mittel, das der Regierung zu Gebote stand, durch die völlige und rückhaltlose Beseitigung des Okkupationssystems der Staatsländereien, dem Mittelstande aufzuhelfen und vor allen Dingen die Regierung von dem Vorwurf zu befreien, daß sie die gedrückte Lage der Regierten zu ihrem eigenen Vorteil ausbeute.

Eine wirksamere Abhilfe, als die Regierung sie gewähren wollte oder konnte, brachten den Mittelklassen die politischen Erfolge der römischen Gemeinde und die allmählich sich befestigende Herrschaft der Römer über Italien. Die vielen und großen Kolonien, die zu deren Sicherung gegründet werden mußten und von denen die Hauptmasse im fünften Jahrhundert ausgeführt wurde, verschafften dem ackerbauenden Proletariat teils eigene Bauernstellen, teils durch den Abfluß auch den Zurückgebliebenen Erleichterung daheim. Die Zunahme der indirekten und außerordentlichen Einnahmen, überhaupt die glänzende Lage der römischen Finanzen führte nur selten noch die Notwendigkeit herbei, von der Bauernschaft in Form der gezwungenen Anleihe Kontribution zu erheben. War auch der ehemalige Kleinbesitz wahrscheinlich unrettbar verloren, so mußte der steigende Durchschnittssatz des römischen Wohlstandes die bisherigen größeren Grundbesitzer in Bauern verwandeln und auch insofern dem Mittelstand neue Glieder zuführen. Die Okkupationen der Vornehmen warfen sich vorwiegend auf die großen neugewonnenen Landstriche; die Reichtümer, die durch den Krieg und den Verkehr massenhaft nach Rom strömten, müssen den Zinsfuß herabgedrückt haben; die steigende Bevölkerung der Hauptstadt kam dem Ackerbauer in ganz Latium zugute; ein weises Inkorporationssystem vereinigte eine Anzahl angrenzender, früher untertäniger Gemeinden mit der römischen und verstärkte dadurch namentlich den Mittelstand; endlich brachten die herrlichen Siege und die gewaltigen Erfolge die Faktionen zum Schweigen, und wenn der Notstand der Bauernschaft auch keineswegs beseitigt, noch weniger seine Quellen verstopft wurden, so leidet es doch keinen Zweifel, daß am Schlusse dieser Periode der römische Mittelstand im ganzen in einer weit minder gedrückten Lage sich befand als in dem ersten Jahrhundert nach Vertreibung der Könige.

Endlich, die bürgerliche Gleichheit ward durch die Reform vom Jahre 387 (367) und deren weitere folgerichtige Entwicklung in gewissem Sinne allerdings erreicht oder vielmehr wieder hergestellt. Wie einst, als die Patrizier noch in der Tat die Bürgerschaft ausmachten, sie untereinander an Rechten und Pflichten unbedingt gleichgestanden hatten, so gab es jetzt wieder in der erweiterten Bürgerschaft dem Gesetze gegenüber keinen willkürlichen Unterschied. Diejenigen Abstufungen freilich, welche die Verschiedenheiten in Alter, Einsicht, Bildung und Vermögen in der bürgerlichen Gesellschaft mit Notwendigkeit hervorrufen, beherrschten natürlicherweise auch das Gemeindeleben; allein der Geist der Bürgerschaft und die Politik der Regierung wirkten gleichmäßig dahin, diese Scheidung möglichst wenig hervortreten zu lassen. Das ganze römische Wesen lief darauf hinaus, die Bürger durchschnittlich zu tüchtigen Männern heranzubilden, geniale Naturen aber nicht emporkommen zu lassen. Der Bildungsstand der Römer hielt mit der Machtentwicklung ihrer Gemeinde durchaus nicht Schritt und ward instinktmäßig von oben herab mehr zurückgehalten als gefördert. Daß es Reiche und Arme gab, ließ sich nicht verhindern; aber wie in einer rechten Bauerngemeinde führte der Bauer wie der Tagelöhner selber den Pflug und galt auch für den Reichen die gut wirtschaftliche Regel, gleichmäßig sparsam zu leben und vor allem kein totes Kapital bei sich hinzulegen – außer dem Salzfaß und dem Opferschälchen sah man Silbergerät in dieser Zeit in keinem römischen Hause. Es war das nichts Kleines. Man spürt es an den gewaltigen Erfolgen, welche die römische Gemeinde in dem Jahrhundert vom letzten Veientischen bis auf den Pyrrhischen Krieg nach außen hin errang, daß hier das Junkertum der Bauernschaft Platz gemacht hatte, daß der Fall des hochadligen Fabiers nicht mehr und nicht weniger von der ganzen Gemeinde betrauert worden wäre als der Fall des plebejischen Deciers von Plebejern und Patriziern betrauert ward, daß auch dem reichsten Junker das Konsulat nicht von selber zufiel und ein armer Bauersmann aus der Sabina, Manius Curius, den König Pyrrhos in der Feldschlacht überwinden und aus Italien verjagen konnte, ohne darum aufzuhören, einfacher sabinischer Stellbesitzer zu sein und sein Brotkorn selber zu bauen.

Indes darf es über dieser imponierenden republikanischen Gleichheit nicht übersehen werden, daß dieselbe zum guten Teil nur formaler Art war und aus derselben eine sehr entschieden ausgeprägte Aristokratie nicht so sehr hervorging als vielmehr darin von vornherein enthalten war. Schon längst hatten die reichen und angesehenen nichtpatrizischen Familien von der Menge sich ausgeschieden und im Mitgenuß der senatorischen Rechte, in der Verfolgung einer, von der der Menge unterschiedenen und sehr oft ihr entgegenwirkenden Politik sich mit dem Patriziat verbündet. Die Licinischen Gesetze hoben die gesetzlichen Unterschiede innerhalb der Aristokratie auf und verwandelten die den gemeinen Mann vom Regiment ausschließende Schranke aus einem unabänderlichen Rechts- in ein nicht unübersteigliches, aber doch schwer zu übersteigendes tatsächliches Hindernis. Auf dem einen wie dem anderen Wege kam frisches Blut in den römischen Herrenstand; aber an sich blieb nach wie vor das Regiment aristokratisch und auch in dieser Hinsicht die römische eine rechte Bauerngemeinde, in welcher der reiche Vollhufener zwar äußerlich von dem armen Insten sich wenig unterscheidet und auf gleich und gleich mit ihm verkehrt, aber nichtsdestoweniger die Aristokratie so allmächtig regiert, daß der Unbemittelte weit eher in der Stadt Bürgermeister als in seinem Dorfe Schulze wird. Es war wichtig und segensreich, daß nach der neuen Gesetzgebung auch der ärmste Bürger das höchste Gemeindeamt bekleiden durfte; aber darum war es nichtsdestoweniger nicht bloß eine seltene Ausnahme, daß ein Mann aus den unteren Schichten der Bevölkerung dazu gelangte10, sondern es war wenigstens gegen den Schluß dieser Periode wahrscheinlich schon nur möglich mittels einer Oppositionswahl. Jedem aristokratischen Regiment tritt von selber eine entsprechende Oppositionspartei gegenüber; und da auch die formelle Gleichstellung der Stände die Aristokratie nur modifizierte und der neue Herrenstand das alte Patriziat nicht bloß beerbte, sondern sich auf denselben pfropfte und aufs innigste mit ihm zusammenwuchs, so blieb auch die Opposition bestehen und tat in allen und jeden Stücken das gleiche. Da die Zurücksetzung jetzt nicht mehr die Bürgerlichen, sondern den gemeinen Mann traf, so trat die neue Opposition von vornherein auf als Vertreterin der geringen Leute und namentlich der kleinen Bauern; und wie die neue Aristokratie sich an das Patriziat anschloß, so schlangen sich die ersten Regungen dieser neuen Opposition mit den letzten Kämpfen gegen die Patrizierprivilegien zusammen. Die ersten Namen in der Reihe dieser neuen römischen Volksführer sind Manius Curius (Konsul 464, 479, 480, 290 275, 274; Zensor 481 273) und Gaius Fabricius (Konsul 472, 476, 481, 282, 278, 273; Zensor 479 275), beide ahnenlose und nichtwohlhabende Männer, beide – gegen das aristokratische Prinzip, die Wiederwahl zu dem höchsten Gemeindeamt zu beschränken – jeder dreimal durch die Stimmen der Bürgerschaft an die Spitze der Gemeinde gerufen, beide als Tribune, Konsuln und Zensoren Gegner der patrizischen Privilegien und Vertreter des kleinen Bauernstandes gegen die aufkeimende Hoffart der vornehmen Häuser. Die künftigen Parteien zeichnen schon sich vor; aber noch schweigt auf beiden Seiten vor dem Interesse des Gemeinwohls das der Partei. Der adlige Appius Claudius und der Bauer Manius Curius, dazu noch heftige persönliche Gegner, haben durch klugen Rat und kräftige Tat den König Pyrrhos gemeinsam überwunden; und wenn Gaius Fabricius den aristokratisch gesinnten und aristokratisch lebenden Publius Cornelius Rufinus als Zensor deswegen bestrafte, so hielt ihn dies nicht ab, demselben seiner anerkannten Feldherrntüchtigkeit wegen zum zweiten Konsulat zu verhelfen. Der Riß war wohl schon da; aber noch reichten die Gegner sich über ihm die Hände.

Die Beendigung der Kämpfe zwischen Alt- und Neubürgern, die verschiedenartigen und verhältnismäßig erfolgreichen Versuche, dem Mittelstande aufzuhelfen, die inmitten der neugewonnenen bürgerlichen Gleichheit bereits hervortretenden Anfänge der Bildung einer neuen aristokratischen und einer neuen demokratischen Partei sind also dargestellt worden. Es bleibt noch übrig zu schildern, wie unter diesen Veränderungen das neue Regiment sich konstituierte, und wie nach der politischen Beseitigung der Adelschaft die drei Elemente des republikanischen Gemeinwesens, Bürgerschaft, Magistratur und Senat, gegeneinander sich stellten.

Die Bürgerschaft in ihren ordentlichen Versammlungen blieb nach wie vor die höchste Autorität im Gemeinwesen und der legale Souverän; nur wurde gesetzlich festgestellt, daß, abgesehen von den ein für allemal den Zenturien überwiesenen Entscheidungen, namentlich den Wahlen der Konsuln und Zensoren, die Abstimmung nach Distrikten ebenso gültig sein solle wie die nach Zenturien, was für die patrizisch-plebejische Versammlung das Valerisch-Horatische Gesetz von 305 (449) einführte und das Publilische von 415 (339) erweiterte, für die plebejische Sonderversammlung aber das Hortensische um 467 (287) verordnete. Daß im ganzen dieselben Individuen in beiden Versammlungen stimmberechtigt waren, ist schon hervorgehoben worden, aber auch, daß, abgesehen von dem Ausschluß der Patrizier von der plebejischen Sonderversammlung, auch in der allgemeinen Distriktsversammlung alle Stimmberechtigten durchgängig sich gleichstanden, in den Zenturiatkomitien aber die Wirksamkeit des Stimmrechts nach dem Vermögen des Stimmenden sich abstufte, also insofern allerdings die erstere eine nivellierende und demokratische Neuerung war. Von weit größerer Bedeutung war es, daß gegen das Ende dieser Periode die uralte Bedingung des Stimmrechts, die Ansässigkeit, zum erstenmal in Frage gestellt zu werden anfing. Appius Claudius, der kühnste Neuerer, den die römische Geschichte kennt, legte in seiner Zensur 442 (312), ohne den Senat oder das Volk zu fragen, die Bürgerliste so an, daß der nicht grundsässige Mann in die ihm beliebige Tribus und alsdann nach seinem Vermögen in die entsprechende Zenturie aufgenommen ward. Allein diese Änderung griff zu sehr dem Geiste der Zeit vor, um vollständig Bestand zu haben. Einer der nächsten Nachfolger des Appius, der berühmte Besieger der Samniten, Quintus Fabius Rullianus, übernahm es in seiner Zensur 450 (304) sie zwar nicht ganz zu beseitigen, aber doch in solche Grenzen einzuschließen, daß den Grundsässigen und Vermögenden effektiv die Herrschaft in den Bürgerversammlungen blieb. Es wies die nicht grundsässigen Leute sämtlich in die vier städtischen Tribus, die jetzt aus den ersten im Range die letzten wurden. Die Landquartiere dagegen, deren Zahl zwischen den Jahren 367 (241) und 513 (387) allmählich von siebzehn bis auf einunddreißig stieg, also die von Haus aus bei weitem überwiegende und immer mehr das Übergewicht erhaltende Majorität der Stimmabteilungen, wurden den sämtlichen ansässigen Bürgern gesetzlich vorbehalten. In den Zenturien blieb es bei der Gleichstellung der ansässigen und nichtansässigen Bürger, wie Appius sie eingeführt hatte. Auf diese Weise ward dafür gesorgt, daß in den Tributkomitien die Ansässigen überwogen, während für die Zenturiatkomitien an sich schon die Vermögenden den Ausschlag gaben. Durch diese weise und gemäßigte Festsetzung eines Mannes, der seiner Kriegstaten wegen wie mehr noch wegen dieser seiner Friedenstat mit Recht den Beinamen des Großen (Maximus) erhielt, ward einerseits die Wehrpflicht wie billig auch auf die nicht ansässigen Bürger erstreckt, anderseits dafür Sorge getragen, daß in der Distriktversammlung ihrem Einfluß, insbesondere dem der meistenteils des Grundbesitzes entbehrenden gewesenen Sklaven, derjenige Riegel vorgeschoben ward, welcher in einem Staat, der Sklaverei zuläßt, ein leider unerläßliches Bedürfnis ist. Ein eigentümliches Sittengericht, das allmählich an die Schatzung und die Aufnahme der Bürgerliste sich anknüpfte, schloß überdies aus der Bürgerschaft alle notorisch unwürdigen Individuen aus und wahrte dem Bürgertum die sittliche und politische Reinheit.

Die Kompetenz der Komitien zeigt die Tendenz, sich mehr und mehr, aber sehr allmählich zu erweitern. Schon die Vermehrung der vom Volk zu wählenden Magistrate gehört gewissermaßen hierher; bezeichnend ist es besonders, daß seit 392 (362) die Kriegstribune einer Legion, seit 443 (311) je vier in jeder der vier ersten Legionen, nicht mehr vom Feldherrn, sondern von der Bürgerschaft ernannt wurden. In die Administration griff während dieser Periode die Bürgerschaft im ganzen nicht ein; nur das Recht der Kriegserklärung wurde von ihr, wie billig, mit Nachdruck festgehalten und namentlich auch für den Fall festgestellt, wo ein an Friedens Statt abgeschlossener längerer Waffenstillstand ablief und zwar nicht rechtlich, aber tatsächlich ein neuer Krieg begann (327 427). Sonst ward eine Verwaltungsfrage fast nur dann dem Volke vorgelegt, wenn die regierenden Behörden unter sich in Kollision gerieten und eine derselben die Sache an das Volk brachte – so, als den Führern der gemäßigten Partei unter dem Adel, Lucius Valerius und Marcus Horatius, im Jahre 305 (449) und dem ersten plebejischen Diktator Gaius Marcus Rutilus im Jahre 398 (356) vom Senat die verdienten Triumphe nicht zugestanden wurden; als die Konsuln des Jahres 459 (295) über ihre gegenseitige Kompetenz nicht untereinander sich einigen konnten; und als der Senat im Jahre 364 (390) die Auslieferung eines pflichtvergessenen Gesandten an die Gallier beschloß und ein Konsulartribun deswegen an die Gemeinde sich wandte – es war dies der erste Fall, wo ein Senatsbeschluß vom Volke kassiert ward, und schwer hat ihn die Gemeinde gebüßt. Zuweilen gab auch die Regierung in schwierigen Fragen dem Volk die Entscheidung anheim: so zuerst, als Caere, nachdem ihm das Volk den Krieg erklärt hatte, ehe dieser wirklich begann, um Frieden bat (401 353); und später, als der Senat den demütig von den Samniten erbetenen Frieden ohne weiteres abzuschlagen Bedenken trug (436 318). Erst gegen das Ende dieser Periode finden wir ein bedeutend erweitertes Eingreifen der Distriktversammlung auch in Verwaltungsangelegenheiten, namentlich Befragung derselben bei Friedensschlüssen und Bündnissen; es ist wahrscheinlich, daß diese zurückgeht auf das Hortensische Gesetz von 467 (287).

Indes trotz dieser Erweiterungen der Kompetenz der Bürgerversammlungen begann der praktische Einfluß derselben auf die Staatsangelegenheiten vielmehr, namentlich gegen das Ende dieser Epoche, zu schwinden. Vor allem die Ausdehnung der römischen Grenzen entzog der Urversammlung ihren richtigen Boden. Als Versammlung der Gemeindesässigen konnte sie früher recht wohl in genügender Vollzähligkeit sich zusammenfinden und recht wohl missen, was sie wollte, auch ohne zu diskutieren; aber die römische Bürgerschaft war jetzt schon weniger Gemeinde als Staat. Daß die zusammen Wohnenden auch miteinander stimmten, brachte allerdings in die römischen Komitien, wenigstens, wenn nach Quartieren gestimmt ward, einen gewissen inneren Zusammenhang und in die Abstimmung hier und da Energie und Selbständigkeit; in der Regel aber waren doch die Komitien in ihrer Zusammensetzung wie in ihrer Entscheidung teils von der Persönlichkeit des Vorsitzenden und vom Zufall abhängig, teils den in der Hauptstadt domizilierten Bürgern in die Hände gegeben. Es ist daher vollkommen erklärlich, daß die. Bürgerversammlungen, die in den beiden ersten Jahrhunderten. der Republik eine große und praktische Wichtigkeit haben, allmählich beginnen, ein reines Werkzeug in der Hand des vorsitzenden Beamten zu werden; freilich ein sehr gefährliches, da der zum Vorsitz berufenen Beamten so viele waren und jeder Beschluß der Gemeinde galt als der legale Ausdruck des Volkswillens in letzter Instanz. An der Erweiterung aber der verfassungsmäßigen Rechte der Bürgerschaft war insofern nicht viel gelegen, als diese weniger als früher eines eigenen Wollens und Handelns fähig war, und als es eine eigentliche Demagogie in Rom noch nicht gab – hätte eine solche damals bestanden, so würde sie versucht haben, nicht die Kompetenz der Bürgerschaft zu erweitern, sondern die politische Debatte vor der Bürgerschaft zu entfesseln, während es doch bei den alten Satzungen, daß nur der Magistrat die Bürger zur Versammlung zu berufen und daß er jede Debatte und jede Amendementsstellung auszuschließen befugt sei, unverändert sein Bewenden hatte. Zur Zeit machte sich diese beginnende Zerrüttung der Verfassung hauptsächlich nur insofern geltend, als die Urversammlungen sich wesentlich passiv verhielten und im ganzen in das Regiment weder fördernd noch störend eingriffen.

Was die Beamtengewalt anlangt, so war deren Schmälerung nicht gerade das Ziel der zwischen Alt- und Neubürgern geführten Kämpfe, wohl aber eine ihrer wichtigsten Folgen. Bei dem Beginn der ständischen Kämpfe, das heißt des Streites um den Besitz der konsularischen Gewalt, war das Konsulat noch die einige und unteilbare wesentliche königliche Amtsgewalt gewesen und hatte der Konsul wie ehemals der König noch alle Unterbeamten nach eigener freier Wahl bestellt; an Ende desselben waren die wichtigsten Befugnisse: Gerichtsbarkeit, Straßenpolizei, Senatoren- und Ritterwahl, Schatzung und Kassenverwaltung von dem Konsulat getrennt und an Beamte übergegangen, die gleich dem Konsul von der Gemeinde ernannt wurden und weit mehr neben als unter ihm standen. Das Konsulat, sonst das einzige ordentliche Gemeindeamt, war jetzt nicht mehr einmal unbedingt das erste: in der neu sich feststellenden Rang- und gewöhnlichen Reihenfolge der Gemeindeämter stand das Konsulat zwar über Prätur, Ädilität und Quästur, aber unter dem Einschätzungsamt, an das außer den wichtigsten finanziellen Geschäften die Feststellung der Bürger-, Ritter- und Senatorenliste und damit eine durchaus willkürliche sittliche Kontrolle über die gesamte Gemeinde und jeden einzelnen, geringsten wie vornehmsten Bürger gekommen war. Der dem ursprünglichen römischen Staatsrecht mit dem Begriff des Oberamts unvereinbar erscheinende Begriff der begrenzten Beamtengewalt oder der Kompetenz brach allmählich sich Bahn und zerfetzte und zerstörte den älteren des einen und unteilbaren Imperium. Einen Anfang dazu machte schon die Einsetzung der ständigen Nebenämter, namentlich der Quästur; vollständig durchgeführt ward sie durch die Licinischen Gesetze (387 367), welche von den drei höchsten Beamten der Gemeinde die ersten beiden für Verwaltung und Kriegführung, den dritten für die Gerichtsleitung bestimmten. Aber man blieb hierbei nicht stehen. Die Konsuln, obwohl sie rechtlich durchaus und überall konkurrierten, teilten doch natürlich seit ältester Zeit tatsächlich die verschiedenen Geschäftskreise (provinciae) unter sich. Ursprünglich war dies lediglich durch freie Vereinbarung oder in deren Ermangelung durch Losung geschehen; allmählich aber griffen die anderen konstitutiven Gewalten im Gemeinwesen in diese faktischen Kompetenzbestimmungen ein. Es ward üblich, daß der Senat Jahr für Jahr die Geschäftskreise abgrenzte und sie zwar nicht geradezu unter die konkurrierenden Beamten verteilte, aber doch durch Ratschlag und Bitte auch auf die Personenfragen entscheidend einwirkte. Äußersten Falls erlangte der Senat auch wohl einen Gemeindebeschluß, der die Kompetenzfrage definitiv entschied; doch hat die Regierung diesen bedenklichen Ausweg nur sehr selten angewandt. Ferner wurden die wichtigsten Angelegenheiten, wie zum Beispiel die Friedensschlüsse, den Konsuln entzogen und dieselben genötigt, hierbei an den Senat zu rekurrieren und nach dessen Instruktion zu verfahren. Für den äußersten Fall endlich konnte der Senat jederzeit die Konsuln vom Amt suspendieren, indem nach einer nie rechtlich festgestellten und nie tatsächlich verletzten Übung der Eintritt der Diktatur lediglich von dem Beschluß des Senats abhing und die Bestimmung der zu ernennenden Person, obwohl verfassungsmäßig bei dem ernennenden Konsul, doch der Sache nach in der Regel bei dem Senat stand.

Länger als in dem Konsulat blieb in der Diktatur die alte Einheit und Rechtsfülle des Imperium enthalten; obwohl sie natürlich als außerordentliche Magistratur der Sache nach von Haus aus eine Spezialkompetenz hatte, gab es doch rechtlich eine solche für den Diktator noch weit weniger als für den Konsul. Indes auch sie ergriff allmählich der neu in das römische Rechtsleben eintretende Kompetenzbegriff. Zuerst 391 (363) begegnet ein aus theologischem Skrupel ausdrücklich bloß zur Vollziehung einer religiösen Zeremonie ernannter Diktator; und wenn dieser selbst noch, ohne Zweifel formell verfassungsmäßig, die ihm gesetzte Kompetenz als nichtig behandelte und ihr zum Trotz den Heerbefehl übernahm, so wiederholte bei den späteren, gleichartig beschränkten Ernennungen, die zuerst 403 (351) und seitdem sehr häufig begegnen, diese Opposition der Magistratur sich nicht, sondern auch die Diktatoren erachteten fortan durch ihre Spezialkompetenzen sich gebunden.

Endlich lagen in dem 412 (342) erlassenen Verbot der Kumulierung ordentlicher kurulischer Ämter und in der gleichzeitigen Vorschrift, daß derselbe Mann dasselbe Amt in der Regel nicht vor Ablauf einer zehnjährigen Zwischenzeit solle verwalten können, sowie in der späteren Bestimmung, daß das tatsächlich höchste Amt, die Zensur, überhaupt nicht zum zweitenmal bekleidet werden dürfe (489 265), weitere sehr empfindliche Beschränkungen der Magistratur. Doch war die Regierung noch stark genug, um ihre Werkzeuge nicht zu fürchten und darum eben die brauchbarsten absichtlich ungenutzt zu lassen; tapfere Offiziere wurden sehr häufig von jenen Vorschriften entbunden11, und es kamen noch Fälle vor, wie der des Quintus Fabius Rullianus, der in achtundzwanzig Jahren fünfmal Konsul war, und des Marcus Valerius Corvus (384-483 370-271), welcher, nachdem er sechs Konsulate, das erste im dreiundzwanzigsten, das letzte im zweiundsiebzigsten Jahre, verwaltet und drei Menschenalter hindurch der Hort der Landsleute und der Schrecken der Feinde gewesen war, hundertjährig zur Grube fuhr.

Während also der römische Beamte immer vollständiger und immer bestimmter aus dem unbeschränkten Herrn in den gebundenen Auftragnehmer und Geschäftsführer der Gemeinde sich umwandelte, unterlag die alte Gegenmagistratur, das Volkstribunat, gleichzeitig einer gleichartigen mehr innerlichen als äußerlichen Umgestaltung. Dasselbe diente im Gemeinwesen zu einem doppelten Zweck. Es war von Haus aus bestimmt gewesen, den Geringen und Schwachen. durch eine gewissermaßen revolutionäre Hilfsleistung (auxilium) gegen den gewalttätigen Übermut der Beamten zu schützen; es war späterhin gebraucht worden, um die rechtliche Zurücksetzung der Bürgerlichen und die Privilegien des Geschlechtsadels zu beseitigen. Letzteres war erreicht. Der ursprüngliche Zweck war nicht bloß an sich mehr ein demokratisches Ideal als eine politische Möglichkeit, sondern auch der plebejischen Aristokratie, in deren Händen das Tribunat sich befinden mußte und befand, vollkommen ebenso verhaßt und mit der neuen, aus der Ausgleichung der Stände hervorgegangenen, womöglich noch entschiedener als die bisherige aristokratisch gefärbten, Gemeindeordnung vollkommen ebenso unverträglich, wie es dem Geschlechtsadel verhaßt und mit der patrizischen Konsularverfassung unverträglich gewesen war. Aber anstatt das Tribunat abzuschaffen, zog man vor, es aus einem Rüstzeug der Opposition in ein Regierungsorgan umzuschaffen und zog die Volkstribune, die von Haus aus von aller Teilnahme an der Verwaltung ausgeschlossen und weder Beamte noch Mitglieder des Senats waren, jetzt hinein in den Kreis der regierenden Behörden. Wenn sie in der Gerichtsbarkeit von Anfang an den Konsuln gleichstanden und schon in den ersten Stadien der ständischen Kämpfe gleich diesen die legislatorische Initiative erwarben, so empfingen sie jetzt auch, wir wissen nicht genau wann, aber vermutlich bei oder bald nach der schließlichen Ausgleichung der Stände, gleiche Stellung mit den Konsuln gegenüber der tatsächlich regierenden Behörde, dem Senate. Bisher hatten sie, auf einer Bank an der Tür sitzend, der Senatsverhandlung beigewohnt, jetzt erhielten sie gleich und neben den übrigen Beamten ihren Platz im Senate selbst und das Recht, bei der Verhandlung das Wort zu ergreifen; wenn ihnen das Stimmrecht versagt blieb, so war dies nur eine Anwendung des allgemeinen Grundsatzes des römischen Staatsrechts, daß den Rat nur gab, wer zur Tat nicht berufen war und also sämtlichen funktionierenden Beamten während ihres Amtsjahrs nur Sitz, nicht Stimme im Gemeinderat zukam. Aber es blieb hierbei nicht. Die Tribune empfingen das unterscheidende Vorrecht der höchsten Magistratur, das sonst von den ordentlichen Beamten nur den Konsuln und Prätoren zustand: das Recht, den Senat zu versammeln, zu befragen und einen Beschluß desselben zu bewirken12. Es war das nur in der Ordnung: die Häupter der plebejischen Aristokratie mußten denen der patrizischen im Senate gleichgestellt werden, seit das Regiment von dem Gesellschaftsadel übergegangen war auf die vereinigte Aristokratie. Indem dieses ursprünglich von aller Teilnahme an der Staatsverwaltung ausgeschlossene Oppositionskollegium jetzt, namentlich für die eigentlich städtischen Angelegenheiten, eine zweite höchste Exekutivstelle ward und eines der gewöhnlichsten und brauchbarsten Organe der Regierung, daß heißt des Senats, um die Bürgerschaft zu lenken und vor allem um Ausschreitungen der Beamten zu hemmen, wurde es allerdings seinem ursprünglichen Wesen nach absorbiert und politisch vernichtet; indes war dieses Verfahren in der Tat durch die Notwendigkeit geboten. Wie klar auch die Mängel der römischen Aristokratie zutage liegen und wie entschieden das stetige Wachsen der aristokratischen Übermacht mit der tatsächlichen Beseitigung des Tribunats zusammenhängt, so kann doch nicht verkannt werden, daß auf die Länge sich nicht mit einer Behörde regieren ließ, welche nicht bloß zwecklos war und fast auf die Hinhaltung des leidenden Proletariats durch trügerische Hilfsvorspiegelung berechnet, sondern zugleich entschieden revolutionär und im Besitz einer eigentlich anarchischen Befugnis der Hemmung der Beamten-, ja der Staatsgewalt selbst. Aber der Glaube an das Ideale, in dem alle Macht wie alle Ohnmacht der Demokratie begründet ist, hatte in den Gemütern der Römer aufs engste an das Gemeindetribunat sich geheftet, und man braucht nicht erst an Cola Rienzi zu erinnern, um einzusehen, daß dasselbe, wie wesenlos immer der daraus für die Menge entspringende Vorteil war, ohne eine furchtbare Staatsumwälzung nicht beseitigt werden konnte. Darum begnügte man sich mit echt bürgerlicher Staatsklugheit, in den möglichst wenig in die Augen fallenden Formen die Sache zu vernichten. Der bloße Name dieser ihrem innersten Kern nach revolutionären Magistratur blieb immer noch innerhalb des aristokratisch regierten Gemeinwesens gegenwärtig ein Widerspruch und für die Zukunft, in den Händen einer dereinstigen Umsturzpartei, eine schneidende und gefährliche Waffe; indes für jetzt und noch auf lange hinaus war die Aristokratie so unbedingt mächtig und so vollständig im Besitz des Tribunats, daß von einer kollegialischen Opposition der Tribune gegen den Senat schlechterdings keine Spur sich findet und die Regierung der etwa vorkommenden verlorenen oppositionellen Regungen einzelner solcher Beamten immer ohne Mühe und in der Regel durch das Tribunat selbst Herr ward.

In der Tat war es der Senat, der die Gemeinde regierte, und fast ohne Widerstand seit der Ausgleichung der Stände. Seine Zusammensetzung selbst war eine andere geworden. Das freie Schalten der Oberbeamten, wie es nach Beseitigung der alten Geschlechtervertretung in dieser Hinsicht stattgefunden hatte, hatte schon mit der Abschaffung der lebenslänglichen Gemeindevorstandschaft sehr wesentliche Beschränkungen erfahren.

Ein weiterer Schritt zur Emanzipation des Senats von der Beamtengewalt erfolgte durch den Übergang der Feststellung dieser Listen von den höchsten Gemeindebeamten auf eine Unterbehörde, von den Konsuln auf die Zensoren. Allerdings wurde, sei es gleich damals oder bald nachher, auch das Recht des mit der Anfertigung der Liste beauftragten Beamten, einzelne Senatoren wegen eines ihnen anhaftenden Makels aus derselben wegzulassen und somit aus dem Senat auszuschließen, wo nicht eingeführt, doch wenigstens schärfer formuliert13 und somit jenes eigentümliche Sittengericht begründet, auf dem das hohe Ansehen der Zensoren vornehmlich beruht. Allein derartige Rügen konnten, da zumal beide Zensoren darüber einig sein mußten, wohl dazu dienen, einzelne der Versammlung nicht zur Ehre gereichende oder dem in ihr herrschenden Geist feindliche Persönlichkeiten zu entfernen, nicht aber sie selbst in Abhängigkeit von der Magistratur versetzen.

Entscheidend aber beschränkte das Ovinische Gesetz, welches etwa um die Mitte dieser Periode, wahrscheinlich bald nach den Licinischen Gesetzen durchgegangen ist, das Recht der Beamten, den Senat nach ihrem Ermessen zu konstituieren, indem es demjenigen, der kurulischer Ädil, Prätor oder Konsul gewesen war, sofort vorläufig Sitz und Stimme im Senat verlieh und die nächst eintretenden Zensoren verpflichtete, diese Expektanten entweder förmlich in die Senatorenliste einzuzeichnen oder doch nur aus denjenigen Gründen, welche auch zur Ausstoßung des wirklichen Senators genügten, von der Liste auszuschließen. Freilich reichte die Zahl dieser gewesenen Magistrate bei weitem nicht aus, um den Senat auf der normalen Zahl von dreihundert zu halten; und unter dieselbe durfte man, besonders da die Senatoren- zugleich Geschworenenliste war, ihn nicht herabgehen lassen. So blieb dem zensorischen Wahlrecht immer noch ein bedeutender Spielraum; indes nahmen diese, nicht durch die Bekleidung eines Amtes, sondern durch die zensorische Wahl erkiesten Senatoren – häufig diejenigen Bürger, die ein nicht kurulisches Gemeindeamt verwaltet oder durch persönliche Tapferkeit sich hervorgetan, einen Feind im Gefecht getötet oder einem Bürger das Leben gerettet hatten – zwar an der Abstimmung, aber nicht an der Debatte teil. Der Kern des Senats und derjenige Teil desselben, in dem Regierung und Verwaltung sich konzentriert, ruhte also nach dem Ovinischen Gesetz im wesentlichen nicht mehr auf der Willkür eines Beamten, sondern mittelbar auf der Wahl durch das Volk; und die römische Gemeinde war auf diesem Wege zwar nicht zu der großen Institution der Neuzeit, dem repräsentativen Volksregimente, aber wohl dieser Institution nahe gekommen, während die Gesamtheit der nicht debattierenden Senatoren gewährte, was bei regierenden Kollegien so notwendig wie schwierig herzustellen ist, eine kompakte Masse urteilsfähiger und urteilsberechtiger, aber schweigender Mitglieder.

Die Kompetenz des Senats wurde formell kaum verändert. Der Senat hütete sich wohl, durch unpopuläre Verfassungsänderungen oder offenbare Verfassungsverletzungen der Opposition und der Ambition Handhaben darzubieten; er ließ es sogar geschehen, wenn er es auch nicht förderte, daß die Bürgerschaftskompetenz im demokratischen Sinne ausgedehnt ward. Aber wenn die Bürgerschaft den Schein, so erwarb der Senat das Wesen der Macht: einen bestimmenden Einfluß auf die Gesetzgebung und die Beamtenwahlen und das gesamte Gemeinderegiment.

Jeder neue Gesetzvorschlag ward zunächst im Senat vorberaten, und kaum wagte es je ein Beamter, ohne oder wider das Gutachten des Senats einen Antrag an die Gemeinde zu stellen; geschah es dennoch, so hatte der Senat durch die Beamteninterzession und die priesterliche Kassation eine lange Reihe von Mitteln in der Hand, um jeden unbequemen Antrag im Keime zu ersticken oder nachträglich zu beseitigen; und im äußersten Fall hatte er als oberste Verwaltungsbehörde mit der Ausführung auch die Nichtausführung der Gemeindebeschlüsse in der Hand. Es nahm der Senat ferner unter stillschweigender Zustimmung der Gemeinde das Recht in Anspruch, in dringenden Fällen unter Vorbehalt der Ratifikation durch Bürgerschaftsbeschluß, von den Gesetzen zu entbinden – ein Vorbehalt, der von Haus aus nicht viel bedeutete und allmählich so vollständig zur Formalität ward, daß man in späterer Zeit sich nicht einmal mehr die Mühe gab, den ratifizierenden Gemeindebeschluß zu beantragen.

Was die Wahlen anlangt, so gingen sie, soweit sie den Beamten zustanden und von politischer Wichtigkeit waren, tatsächlich über auf den Senat; auf diesem Wege erwarb derselbe, wie schon gesagt ward, das Recht, den Diktator zu bestellen. Größere Rücksicht maßte allerdings auf die Gemeinde genommen werden: es konnte ihr das Recht nicht entzogen werden, die Gemeindeämter zu vergeben; doch ward, wie gleichfalls schon bemerkt wurde, sorgfältig darüber gewacht, daß diese Beamtenwahl nicht etwa in die Vergebung bestimmter Kompetenzen, namentlich nicht der Oberfeldherrnstellen in bevorstehenden Kriegen, übergehe. Überdies brachte teils der neu eingeführte Kompetenzbegriff, teils das dem Senat tatsächlich zugestandene Recht, von den Gesetzen zu entbinden, einen wichtigen Teil der Ämterbesetzung in die Hände des Senats. Von dem Einfluß, den der Senat auf die Feststellung der Geschäftskreise namentlich der Konsuln ausübte, ist schon die Rede gewesen. Von dem Dispensationsrecht war eine der wichtigsten Anwendungen die Entbindung des Beamten von der gesetzlichen Befristung seines Amtes, welche zwar, als den Grundgesetzen der Gemeinde zuwider, nach römischen Staatsrecht in dem eigentlichen Stadtbezirk nicht vorkommen durfte, aber außerhalb desselben wenigstens insoweit galt, als der Konsul und Prätor, dem die Frist verlängert war, nach Ablauf derselben fortfuhr, „an Konsul“ oder „Prätor Statt“ (pro consule, pro praetore) zu fungieren. Natürlich stand dies wichtige, dem Ernennungsrecht wesentlich gleichstehende Recht der Fristerstreckung gesetzlich allein der Gemeinde zu und ward anfänglich auch faktisch von ihr gehandhabt; aber doch wurde schon 447 (307) und seitdem regelmäßig den Oberfeldherren das Kommando durch bloßen Senatsbeschluß verlängert. Dazu kam endlich der übermächtige und klug vereinigte Einfluß der Aristokratie auf die Wahlen, welcher dieselben nicht immer, aber in der Regel auf die der Regierung genehmen Kandidaten lenkte.

Was schließlich die Verwaltung anlangt, so hing Krieg, Frieden und Bündnis, Kolonialgründung, Ackerassignation, Bauwesen, überhaupt jede Angelegenheit von dauernder und durchgreifender Wichtigkeit, und namentlich das gesamte Finanzwesen lediglich ab von dem Senat. Er war es, der Jahr für Jahr den Beamten in der Feststellung ihrer Geschäftskreise und in der Limitierung der einem jeden zur Verfügung zu stellenden Truppen und Gelder die allgemeine Instruktion gab, und an ihn ward von allen Seiten in allen wichtigen Fällen rekurriert: keinem Beamten, mit Ausnahme des Konsuls, und keinem Privaten durften die Vorsteher der Staatskasse Zahlung anders leisten als nach vorgängigem Senatsbeschluß. Nur in die Besorgung der laufenden Angelegenheiten und in die richterliche und militärische Spezialverwaltung mischte das höchste Regierungskollegium sich nicht ein; es war zu viel politischer Sinn und Takt in der römischen Aristokratie, um die Leitung des Gemeinwesens in eine Bevormundung des einzelnen Beamten und das Werkzeug in eine Maschine verwandeln zu wollen.

Daß dies neue Regiment des Senats bei aller Schonung der bestehenden Formen eine vollständige Umwälzung des alten Gemeinwesens in sich schloß, leuchtet ein; daß die freie Tätigkeit der Bürgerschaft stockte und erstarrte und die Beamten zu Sitzungspräsidenten und ausführenden Kommissarien herabsanken, daß ein durchaus nur beratendes Kollegium die Erbschaft beider verfassungsmäßiger Gewalten tat und, wenn auch in den bescheidensten Formen, die Zentralregierung der Gemeinde ward, war revolutionär und usurpatorisch. Indes wenn jede Revolution und jede Usurpation durch die ausschließliche Fähigkeit zum Regimente vor dem Richterstuhl der Geschichte gerechtfertigt erscheint, so muß auch ihr strenges Urteil es anerkennen, daß diese Körperschaft ihre große Aufgabe zeitig begriffen und würdig erfüllt hat. Berufen nicht durch den eitlen Zufall der Geburt, sondern wesentlich durch die freie Wahl der Nation; bestätigt von vier zu vier Jahren durch das strenge Sittengericht der würdigsten Männer; auf Lebenszeit im Amte und nicht abhängig von dem Ablauf des Mandats oder von der schwankenden Meinung des Volkes; in sich einig und geschlossen seit der Ausgleichung der Stände; alles in sich schließend, was das Volk besaß von politischer Intelligenz und praktischer Staatskunde; unumschränkt verfügend in allen finanziellen Fragen und in der Leitung der auswärtigen Politik; die Exekutive vollkommen beherrschend durch deren kurze Dauer und durch die dem Senat nach der Beseitigung des ständischen Haders dienstbar gewordene tribunizische Interzession, war der römische Senat der edelste Ausdruck der Nation und in Konsequenz und Staatsklugheit, in Einigkeit und Vaterlandsliebe, in Machtfülle und sicherem Mut die erste politische Körperschaft aller Zeiten – auch jetzt noch „eine Versammlung von Königen“, die es verstand, mit republikanischer Hingebung despotische Energie zu verbinden. Nie ist ein Staat nach außen fester und würdiger vertreten worden als Rom in seiner guten Zeit durch seinen Senat. In der inneren Verwaltung ist es allerdings nicht zu verkennen, daß die im Senat vorzugsweise vertretene Geld- und Grundaristokratie in den ihre Sonderinteressen betreffenden Angelegenheiten parteiisch verfuhr und daß die Klugheit und die Energie der Körperschaft hier häufig von ihr nicht zum Heil des Staates gebraucht worden sind. Indes der große, in schweren Kämpfen festgestellte Grundsatz, daß jeder römische Bürger gleich vor dem Gesetz sei in Rechten und Pflichten, und die daraus sich ergebende Eröffnung der politischen Laufbahn, das heißt des Eintritts in den Senat für jedermann, erhielten neben dem Glanz der militärischen und politischen Erfolge die staatliche und nationale Eintracht und nahmen dem Unterschied der Stände jene Erbitterung und Gehässigkeit, die den Kampf der Patrizier und Plebejer bezeichnen; und da die glückliche Wendung der äußeren Politik es mit sich brachte, daß länger als ein Jahrhundert die Reichen Spielraum für sich fanden, ohne den Mittelstand unterdrücken zu müssen, so hat das römische Volk in seinem Senat längere Zeit, als es einem Volke verstattet zu sein pflegt, das großartigste aller Menschenwerke durchzuführen vermocht, eine weise und glückliche Selbstregierung.

  1. Die Annahme, daß rechtlich den patrizischen Konsulartribunen das volle, den plebejischen nur das militärische Imperium zugestanden habe, ruft nicht bloß manche Fragen hervor, auf die es keine Antwort gibt, zum Beispiel, was denn geschah, wenn, wie dies gesetzlich möglich war, die Wahl auf lauter Plebejer fiel, sondern verstößt vor allem gegen den Fundamentalsatz des römischen Staatsrechts, daß das Imperium, das heißt das Recht, dem Bürger im Namen der Gemeinde zu befehlen, qualitativ unteilbar und überhaupt keiner anderen als einer räumlichen Abgrenzung fähig ist. Es gibt einen Stadtrechtsbezirk und einen Kriegsrechtsbezirk, in welchem letzteren die Provokation und andere stadtrechtliche Bestimmungen nicht maßgebend sind; es gibt Beamte, wie zum Beispiel die Prokonsuln, welche lediglich in dem letzteren zu funktionieren vermögen; aber es gibt im strengen Rechtssinn keine Beamten mit bloß jurisdiktionellem wie keine mit bloß militärischem Imperium. Der Prokonsul ist in seinem Bezirk eben wie der Konsul zugleich Oberfeldherr und Oberrichter und befugt, nicht bloß unter Nichtbürgern und Soldaten, sondern auch unter Bürgern den Prozeß zu instruieren. Selbst als mit der Einsetzung der Prätur der Begriff der Kompetenz für die magistratus maiores aufkommt, hat er mehr tatsächliche als eigentlich rechtliche Geltung: der städtische Prätor ist zwar zunächst Oberrichter, aber er kann auch wenigstens für gewisse Fälle die Zenturien berufen und kann ein Heer befehligen; dem Konsul kommt in der Stadt zunächst die Oberverwaltung und der Oberbefehl zu, aber er fungiert doch auch bei Emanzipation und Adoption als Gerichtsherr – die qualitative Unteilbarkeit des höchsten Amtes ist also selbst hier noch beiderseits mit großer Schärfe festgehalten. Es muß also die militärische wie die jurisdiktionelle Amtsgewalt oder, um diese, dem römischen Recht dieser Zeit fremden Abstraktionen beiseite zu lassen, die Amtsgewalt schlechthin den plebejischen Konsulartribunen virtuell so gut wie den patrizischen zugestanden haben. Aber wohl mögen, wie W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2, 2, S. 137) meint, aus denselben Gründen, weshalb späterhin neben das gemeinschaftliche Konsulat die – tatsächlich längere Zeit den Patriziern vorbehaltene – Prätur gestellt ward, faktisch schon während des Konsulartribunats die plebejischen Glieder des Kollegiums von der Jurisdiktion ferngehalten worden sein und insofern die spätere Kompetenzteilung zwischen Konsuln und Prätoren mittels des Konsulartribunats sich vorbereitet haben.
  2. Die Verteidigung, daß der Adel an der Ausschließung der Plebejer aus religiöser Befangenheit festgehalten habe, verkennt den Grundcharakter der römischen Religion und trägt den modernen Gegensatz zwischen Kirche und Staat in das Altertum hinein. Die Zulassung des Nichtbürgers zu einer bürgerlich religiösen Verrichtung mußte freilich dem rechtgläubigen Römer als sündhaft erscheinen; aber nie hat auch der strengste Orthodoxe bezweifelt, daß durch die lediglich und allein vom Staat abhängige Zulassung in die bürgerliche Gemeinschaft auch die volle religiöse Gleichheit herbeigeführt werde. All jene Gewissensskrupel, deren Ehrlichkeit an sich nicht beanstandet werden soll, waren abgeschnitten, sowie man den Plebejern in Masse rechtzeitig das Patriziat zugestand. Nur das etwa kann man zur Entschuldigung des Adels geltend machen, daß er, nachdem er bei Abschaffung des Königtums den rechten Augenblick hierzu versäumt hatte, später selber nicht mehr imstande war, das Versäumte nachzuholen.
  3. Ob innerhalb des Patriziats die Unterscheidung dieser „kurulischen Häuser“ von den übrigen Familien jemals von ernstlicher politischer Bedeutung gewesen ist, läßt sich weder mit Sicherheit verneinen noch mit Sicherheit bejahen, und ebensowenig wissen wir, ob es in dieser Epoche wirklich noch nicht kurulische Patrizierfamilien in einiger Anzahl gab.
  4. Die Armut der Konsulare dieser Epoche, welche in den moralischen Anekdotenbüchern der späteren Zeit eine große Rolle spielt, beruht großenteils auf Mißverständnis teils des alten sparsamen Wirtschaftens, welches sich recht gut mit ansehnlichem Wohlstand verträgt, teils der alten schönen Sitte, verdiente Männer aus dem Ertrag von Pfennigkollekten zu bestatten, was durchaus keine Armenbeerdigung ist. Auch die autoschediastische Beinamenerklärung, die so viel Plattheiten in die römische Geschichte gebracht hat, hat hierzu ihren Beitrag geliefert (Serranus).
  5. Wer die Konsularverzeichnisse vor und nach 412 (342) vergleicht, wird an der Existenz des oben erwähnten Gesetzes über die Wiederwahl zum Konsulat nicht zweifeln; denn so gewöhnlich vor diesem Jahr die Wiederbekleidung des Amtes besonders nach drei bis vier Jahren ist, so häufig sind nachher die Zwischenräume von zehn Jahren und darüber. Doch finden sich, namentlich während der schweren Kriegsjahre 434-443 (320-311), Ausnahmen in sehr großer Zahl. Streng hielt man dagegen an der Unzulässigkeit der Ämterkumulierung. Es findet sich kein sicheres Beispiel der Verbindung zweier der drei ordentlichen kurulischen (Liv. 39, 39, 4) Ämter (Konsulat, Prätur, kurulische Ädilität), wohl aber von anderen Kumulierungen, zum Beispiel der kurulischen Ädilität und des Reiterführeramts (Liv. 23 24, 30); der Prätur und der Zensur (Fast. Capitol. a 501); der Prätur und der Diktatur (Liv. 8, 12); des Konsulats und der Diktatur (Liv. 8, 12).
  6. Daher werden die für den Senat bestimmten Depeschen adressiert an Konsuln, Prätoren, Volkstribune und Senat (Cic. ad fam. 15, 2 und sonst).
  7. Diese Befugnis sowie die ähnlichen hinsichtlich der Ritter- und der Bürgerliste waren wohl nicht förmlich und gesetzlich den Zensoren beigelegt, lagen aber tatsächlich von jeher in ihrer Kompetenz. Das Bürgerrecht vergibt die Gemeinde, nicht der Zensor aber wem dieser in dem Verzeichnis der Stimmberechtigten keine oder eine schlechtere Stelle anweist, der verliert das Bürgerrecht nicht, kann aber die bürgerlichen Befugnisse nicht oder nur an dem geringeren Platz ausüben bis zur Anfertigung einer neuen Liste. Ebenso verhält es sich mit dem Senat: wen der Zensor in seiner Liste ausläßt, der scheidet aus demselben, solange die betreffende Liste gültig bleibt – es kommt vor, daß der vorsitzende Beamte sie verwirft und die ältere Liste wieder in Kraft setzt. Offenbar kam also in dieser Hinsicht es nicht so sehr darauf an, was den Zensoren gesetzlich freistand, sondern was bei denjenigen Beamten, welche nach ihren Listen zu laden hatten, ihre Autorität vermochte. Daher begreift man, wie diese Befugnis allmählich stieg und wie mit der steigenden Konsolidierung der Nobilität dergleichen Streichungen gleichsam die Form richterlicher Entscheidungen annahmen und gleichsam als solche respektiert wurden. Hinsichtlich der Feststellung der Senatsliste hat freilich auch ohne Zweifel die Bestimmung des Ovinischen Plebiszits wesentlich mitgewirkt, daß die Zensoren „aus allen Rangklassen die Besten“ in den Senat nehmen sollten.