7. Kapitel
Roms Hegemonie in Latium
An Fehden unter sich und mit den Nachbarn wird es der tapfere und leidenschaftliche Stamm der Italiker niemals haben fehlen lassen; mit dem Aufblühen des Landes und der steigenden Kultur muß die Fehde allmählich in den Krieg, der Raub in die Eroberung übergegangen sein und politische Mächte angefangen haben, sich zu gestalten. Indes von jenen frühesten Raufhändeln und Beutezügen, in denen der Charakter der Völker sich bildet und sich äußerst wie in den Spielen und Fahrten des Knaben der Sinn des Mannes, hat kein italischer Homer uns ein Abbild aufbewahrt; und ebensowenig gestattet uns die geschichtliche Überlieferung, die äußere Entwicklung der Machtverhältnisse der einzelnen latinischen Gaue auch nur mit annähernder Genauigkeit zu erkennen. Höchstens von Rom läßt die Ausdehnung seiner Macht und seines Gebietes sich einigermaßen verfolgen. Die nachweislich ältesten Grenzen der vereinigten römischen Gemeinde sind bereits angegeben worden; sie waren landeinwärts durchschnittlich nur etwa eine deutsche Meile von dem Hauptort des Gaus entfernt und erstreckten sich einzig gegen die Küste zu bis an die etwas über drei deutsche Meilen von Rom entfernte Tibermündung (Ostia). „Größere und kleinere Völkerschaften“, sagt Strabon in der Schilderung des ältesten Rom, „umschlossen die neue Stadt, von denen einige in unabhängigen Ortschaften wohnten und keinem Stammverband botmäßig waren“. Auf Kosten zunächst dieser stammverwandten Nachbarn scheinen die ältesten Erweiterungen des römischen Gebietes erfolgt zu sein.
Die am oberen Tiber und zwischen Tiber und Anio gelegenen latinischen Gemeinden Antemnae, Crustumerium, Ficulnea, Medullia, Caenina, Corniculum, Cameria, Collatia drückten am nächsten und empfindlichsten auf Rom und scheinen schon in frühester Zeit durch die Waffen der Römer ihre Selbständigkeit eingebüßt zu haben. Als selbständige Gemeinde erscheint in diesem Bezirk später nur Nomentum, das vielleicht durch Bündnis mit Rom seine Freiheit rettete; um den Besitz von Fidenae, dem Brückenkopf der Etrusker am linken Ufer des Tiber, kämpften Latiner und Etrusker, das heißt Römer und Veienter mit wechselndem Erfolg. Gegen Gabii, das die Ebene zwischen dem Anio und den Albaner Bergen innehatte, stand der Kampf lange Zeit im Gleichgewicht; bis in die späte Zeit hinab galt das gabinische Gewand als gleichbedeutend mit dem Kriegskleid und der gabinische Boden als Prototyp des feindlichen LandesAber zu bezweifeln, daß die Zerstörung Albas in der Tat von Rom ausgegangen sei wie es neulich von achtbarer Seite geschehen ist, scheint kein Grund vorhanden. Es ist wohl richtig, daß der Bericht über Albas Zerstörung in seinen Einzelheiten eine Kette von Unwahrscheinlichkeiten und Unmöglichkeiten ist; aber das gilt eben von jeder in Sagen eingesponnenen historischen Tatsache. Auf die Frage, wie sich das übrige Latium zu dem Kampfe zwischen Alba und Rom verhielt, haben wir freilich keine Antwort; aber die Frage selbst ist falsch gestellt, denn es ist unerwiesen, daß die latinische Bundesverfassung einen Sonderkrieg zweier latinischer Gemeinden schlechterdings untersagte. Noch weniger widerspricht die Aufnahme einer Anzahl albischer Familien in den römischen Bürgerverband der Zerstörung Albas durch die Römer; warum soll es nicht in Alba eben wie in Capua eine römische Partei gegeben haben? Entscheidend dürfte aber der Umstand sein, daß Rom in religiöser wie in politischer Hinsicht als Rechtsnachfolgerin von Alba auftritt; welcher Anspruch nicht auf die Übersiedelung einzelner Geschlechter, sondern nur auf die Eroberung der Stadt sich gründen konnte und gegründet ward..
Daß in der gleichen Zeit, wo Rom sich am Anio und auf dem Albaner Gebirge festsetzte, auch Praeneste, welches späterhin als Herrin von acht benachbarten Ortschaften erscheint, ferner Tibur und andere latinische Gemeinden in gleicher Weise ihr Gebiet erweitert und ihre spätere verhältnismäßig ansehnliche Macht begründet haben mögen, läßt sich vollends nur vermuten.
Mehr als die Kriegsgeschichten vermissen wir genaue Berichte über den rechtlichen Charakter und die rechtlichen Folgen dieser ältesten latinischen Eroberungen. Im ganzen ist es nicht zu bezweifeln, daß sie nach demselben Inkorporationssystem behandelt wurden, woraus die dreiteilige römische Gemeinde hervorgegangen war; nur daß die durch die Waffen zum Eintritt gezwungenen Gaue nicht einmal, wie jene ältesten drei, als Quartiere der neuen vereinigten Gemeinde eine gewisse relative Selbständigkeit bewahrten, sondern völlig und spurlos in dem Ganzen verschwanden (I, 99). Soweit die Macht des latinischen Gaues reichte, duldete er in ältester Zeit keinen politischen Mittelpunkt außer dem eigenen Hauptort, und noch weniger legte er selbständige Ansiedlungen an, wie die Phöniker und die Griechen es taten und damit in ihren Kolonien vorläufig Klienten und künftige Rivalen der Mutterstadt erschufen. Am merkwürdigsten in dieser Hinsicht ist die Behandlung, die Ostia durch Rom erfuhr: Die faktische Entstehung einer Stadt an dieser Stelle konnte und wollte man nicht hindern, gestattete aber dem Orte keine politische Selbständigkeit und gab darum den dort Angesiedelten kein Ortsbürger-, sondern ließ ihnen bloß, wenn sie es bereits besaßen, das allgemeine römische BürgerrechtDarauf geht ohne Zweifel die Bestimmung der Zwölf Tafeln: Nex[i mancipiique] forti sanatique idem ius esto, d. h. es soll im privatrechtlichen Verkehr dem Guten und dem Gebesserten gleiches Recht zustehen. An die latinischen Bundesgenossen kann hier nicht gedacht sein, da deren rechtliche Stellung durch die Bundesverträge bestimmt wird und das Zwölftafelgesetz überhaupt nur vom Landrecht handelt; sondern die sanates sind die Latini prisci cives Romani, das heißt die von den Römern in das Plebejat genötigten Gemeinden Latiums.; einzelne Geschlechter wurden aber auch wohl mit dem Bürgerrecht, das heißt dem Patriziat, beschenkt. Noch in der Kaiserzeit kannte man die nach dem Fall ihrer Heimat in die römische Bürgerschaft eingereihten albischen Geschlechter, darunter die Iulier, Servilier, Quinctilier, Cloelier, Geganier, Curiatier, Metilier; das Andenken ihrer Herkunft bewahrten ihre albischen Familienheiligtümer, unter denen das Geschlechterheiligtum der Iulier in Bovillae sich in der Kaiserzeit wieder zu großem Ansehen erhob.
Diese Zentralisierung mehrerer kleiner Gemeinden in einer größeren war natürlich nichts weniger als eine spezifisch römische Idee. Nicht bloß die Entwicklung Latiums und der sabellischen Stämme bewegt sich um die Gegensätze der nationalen Zentralisation und der kantonalen Selbständigkeit, sondern es gilt das gleiche auch von der Entwicklung der Hellenen. Es war dieselbe Verschmelzung vieler Gaue zu einem Staat, aus der in Latium Rom und in Attika Athen hervorging; und eben dieselbe Fusion war es, welche der weise Thales dem bedrängten Bunde der ionischen Städte als den einzigen Weg zur Rettung ihrer Nationalität bezeichnete. Wohl aber ist es Rom gewesen, das diesen Einheitsgedanken folgerichtiger, ernstlicher und glücklicher festhielt als irgendein anderer italischer Gau; und eben wie Athens hervorragende Stellung in Hellas die Folge seiner frühen Zentralisierung ist, so hat auch Rom seine Größe lediglich demselben hier noch weit energischer durchgeführten System zu danken.
Wenn also die Eroberungen Roms in Latium im wesentlichen als gleichartige, unmittelbare Gebiets- und Gemeindeerweiterungen betrachtet werden dürfen, so kommt doch derjenigen von Alba noch eine besondere Bedeutung zu. Es sind nicht bloß die problematische Größe und der etwaige Reichtum der Stadt, welche die Sage bestimmt haben, die Entnahme Albas in so besonderer Weise hervorzuheben. Alba galt als die Metropole der latinischen Eidgenossenschaft und hatte die Vorstandschaft unter den dreißig berechtigten Gemeinden. Die Zerstörung Albas hob natürlich den Bund selbst so wenig auf wie die Zerstörung Thebens die böotische GenossenschaftEs scheint sogar aus einem Teile der albischen Mark die Gemeinde Bovillae gebildet und diese an Albas Platz unter die autonomen latinischen Städte eingetreten zu sein. Ihren albischen Ursprung bezeugt der Iulierkult und der Name Albani Longani Bovillenses (Orelli-Henzen 119, 2252, 6019); ihre Autonomie Dionysios (5, 61) und Cicero (Planc. 9, 23).; vielmehr nahm, dem streng privatrechtlichen Charakter des latinischen Kriegsrechts vollkommen entsprechend, Rom jetzt als Rechtsnachfolgerin von Alba dessen Bundesvorstandschaft in Anspruch. Ob und welche Krisen der Anerkennung dieses Anspruchs vorhergingen oder nachfolgten, vermögen wir nicht anzugeben; im ganzen scheint man die römische Hegemonie über Latium bald und durchgängig anerkannt zu haben, wenn auch einzelne Gemeinden, wie zum Beispiel Labici und vor allem Gabii, zeitweilig sich ihr entzogen haben mögen. Schon damals mochte Rom als seegewaltig der Landschaft, als Stadt den Dorfschaften, als Einheitsstaat der Eidgenossenschaft gegenüberstehen, schon damals nur mit und durch Rom die Latiner ihre Küsten gegen Karthager, Hellenen und Etrusker schirmen und ihre Landgrenze gegen die unruhigen Nachbarn sabellischen Stammes behaupten und erweitern können. Ob der materielle Zuwachs, den Rom durch die Überwältigung von Alba erhielt, größer war als die durch die Einnahme von Antemnae oder Collatia erlangte Machtvermehrung, läßt sich nicht ausmachen; es ist sehr möglich, daß Rom nicht erst durch die Eroberung Albas die mächtigste latinische Gemeinde ward, sondern schon lange vorher es war; aber was dadurch gewonnen ward, war die Vorstandschaft bei dem latinischen Feste und damit die Grundlage der künftigen Hegemonie der römischen Gemeinde über die gesamte latinische Eidgenossenschaft. Es ist wichtig, diese entscheidenden Verhältnisse so bestimmt wie möglich zu bezeichnen.
Die Form der römischen Hegemonie über Latium war im ganzen die eines gleichen Bündnisses zwischen der römischen Gemeinde einer- und der latinischen Eidgenossenschaft anderseits, wodurch ein ewiger Landfriede in der ganzen Mark und ein ewiges Bündnis für den Angriff wie für die Verteidigung festgestellt ward. „Friede soll sein zwischen den Römern und allen Gemeinden der Latiner, solange Himmel und Erde bestehen; sie sollen nicht Krieg führen untereinander noch Feinde ins Land rufen noch Feinden den Durchzug gestatten; dem Angegriffenen soll Hilfe geleistet werden mit gesamter Hand und gleichmäßig verteilt werden, was gewonnen ist im gemeinschaftlichen Krieg.“ Die verbriefte Rechtsgleichheit im Handel und Wandel, im Kreditverkehr wie im Erbrecht, verflocht die Interessen der schon durch die gleiche Sprache und Sitte verbundenen Gemeinden noch durch die tausendfachen Beziehungen des Geschäftsverkehrs, und es ward damit etwas ähnliches erreicht wie in unserer Zeit durch die Beseitigung der Zollschranken. Allerdings blieb jeder Gemeinde formell ihr eigenes Recht; bis auf den Bundesgenossenkrieg war das latinische Recht mit dem römischen nicht notwendig identisch, und wir finden zum Beispiel, daß die Klagbarkeit der Verlöbnisse, die in Rom früh abgeschafft ward, in den latinischen Gemeinden bestehen blieb. Allein die einfache und rein volkstümliche Entwicklung des latinischen Rechtes und das Bestreben, die Rechtsgleichheit möglichst festzuhalten, führten denn doch dahin, daß das Privatrecht in Inhalt und Form wesentlich dasselbe war in ganz Latium. Am schärfsten tritt diese Rechtsgleichheit hervor in den Bestimmungen über den Verlust und den Wiedergewinn der Freiheit des einzelnen Bürgers. Nach einem alten ehrwürdigen Rechtssatz des latinischen Stammes konnte kein Bürger in dem Staat, wo er frei gewesen war, Knecht werden oder innerhalb dessen das Bürgerrecht einbüßen; sollte er zur Strafe die Freiheit und, was dasselbe war, das Bürgerrecht verlieren, so mußte er ausgeschieden werden aus dem Staat und bei Fremden in die Knechtschaft eintreten. Diesen Rechtssatz erstreckte man auf das gesamte Bundesgebiet; kein Glied eines der Bundesstaaten sollte als Knecht leben können innerhalb der gesamten Eidgenossenschaft. Anwendungen davon sind die in die Zwölf Tafeln aufgenommene Bestimmung, daß der zahlungsunfähige Schuldner, wenn der Gläubiger ihn verkaufen wolle, verkauft werden müsse jenseits der Tibergrenze, das heißt außerhalb des Bundesgebietes, und die Klausel des zweiten Vertrags zwischen Rom und Karthago, daß der von den Karthagern gefangene römische Bundesgenosse frei sein solle, so wie er einen römischen Hafen betrete. Wenngleich allgemeine Ehegemeinschaft innerhalb des Bundes wahrscheinlich nicht bestand, so sind dennoch Zwischenehen zwischen den verschiedenen Gemeinden, wie dies schon früher bemerkt worden ist, häufig vorgekommen. Die politischen Rechte konnte zunächst jeder Latiner nur da ausüben, wo er eingebürgert war; dagegen lag es im Wesen der privatrechtlichen Gleichheit, daß jeder Latiner an jedem latinischen Orte sich niederlassen konnte, oder, nach heutiger Terminologie, es bestand neben den besonderen Bürgerrechten der einzelnen Gemeinden ein allgemeines eidgenössisches Niederlassungsrecht; und seitdem der Plebejer in Rom als Bürger anerkannt war, wandelte sich dieses Recht Rom gegenüber um in volle Freizügigkeit. Daß dies wesentlich zum Vorteil der Hauptstadt ausschlug, die allein in Latium städtischen Verkehr, städtischen Erwerb, städtische Genüsse darzubieten hatte, und daß die Zahl der Insassen in Rom sich reißend schnell vermehrte, seit die latinische Landschaft im ewigen Frieden mit Rom lebte, ist begreiflich.
In Verfassung und Verwaltung blieb nicht bloß die einzelne Gemeinde selbständig und souverän, soweit nicht die Bundespflichten eingriffen, sondern, was mehr bedeutet, es blieb dem Bunde der dreißig Gemeinden als solchem Rom gegenüber die Autonomie. Wenn versichert wird, daß Albas Stellung zu den Bundesgemeinden eine überlegenere gewesen sei als die Roms, und daß die letzteren durch Albas Sturz die Autonomie erlangt hätten, so ist dies insofern wohl möglich, als Alba wesentlich Bundesglied war, Rom von Haus aus mehr als Sonderstaat dem Bunde gegenüber als innerhalb desselben stand; aber es mag, eben wie die Rheinbundstaaten formell souverän waren, während die deutschen Reichsstaaten einen Herrn hatten, der Sache nach vielmehr Albas Vorstandschaft gleich der des deutschen Kaisers ein Ehrenrecht, Roms Protektorat von Haus aus wie das napoleonische eine Oberherrlichkeit gewesen sein. In der Tat scheint Alba im Bundesrat den Vorsitz geführt zu haben, während Rom die latinischen Abgeordneten selbständig, unter Leitung, wie es scheint, eines aus ihrer Mitte gewählten Vorsitzenden, ihre Beratungen abhalten ließ und sich begnügte mit der Ehrenvorstandschaft bei dem Bundesopferfest für Rom und Latium und mit der Errichtung eines zweiten Bundesheiligtums in Rom, des Dianatempels auf dem Aventin, so daß von nun an teils auf römischem Boden für Rom und Latium, teils auf latinischem für Latium und Rom geopfert ward. Nicht minder im Interesse des Bundes war es, daß die Römer in dem Vertrag mit Latium sich verpflichteten, mit keiner latinischen Gemeinde ein Sonderbündnis einzugehen – eine Bestimmung, aus der die ohne Zweifel wohlbegründete Besorgnis der Eidgenossenschaft gegenüber der mächtigen leitenden Gemeinde sehr klar heraussieht. Am deutlichsten zeigt sich die Stellung Roms nicht innerhalb, sondern neben Latium in dem Kriegswesen. Die Bundesstreitmacht ward, wie die spätere Weise des Aufgebots unwidersprechlich zeigt, gebildet aus zwei gleich starken Massen, einer römischen und einer latinischen. Das Oberkommando stand ein für allemal bei den römischen Feldherren; Jahr für Jahr hatte der latinische Zuzug vor den Toren Roms sich einzufinden und begrüßte hier den erwählten Befehlshaber durch Zuruf als seinen Feldherrn, nachdem die vom latinischen Bundesrat dazu beauftragten Römer sich aus der Beobachtung des Vögelflugs der Zufriedenheit der Götter mit der getroffenen Wahl versichert hatten. Was im Bundeskrieg an Land und Gut gewonnen war, wurde nach dem Ermessen der Römer unter die Bundesglieder verteilt. Daß dem Ausland gegenüber die römisch-latinische Föderation nur durch Rom vertreten worden ist, läßt sich nicht mit Sicherheit behaupten. Der Bundesvertrag untersagte weder Rom noch Latium, auf eigene Hand einen Angriffskrieg zu beginnen; und wenn, sei es nach Bundesschluß, sei es infolge eines feindlichen Überfalls, ein Bundeskrieg geführt ward, so mag bei der Führung wie bei der Beendigung desselben auch der latinische Bundesrat rechtlich beteiligt gewesen sein. Tatsächlich freilich wird Rom damals schon die Hegemonie besessen haben, wie denn, wo immer ein einheitlicher Staat und ein Staatenbund in eine dauernde Verbindung zueinander treten, das Übergewicht auf die Seite von jenem zu fallen pflegt.
Wie nach Albas Fall Rom, jetzt sowohl die Herrin eines verhältnismäßig bedeutenden Gebietes als auch vermutlich die führende Macht innerhalb der latinischen Eidgenossenschaft, sein unmittelbares und mittelbares Gebiet weiter ausgedehnt hat, können wir nicht mehr verfolgen. Mit den Etruskern, zunächst den Veientern, hörten die Fehden namentlich um den Besitz von Fidenae nicht auf; es scheint aber nicht, daß es den Römern gelang, diesen auf dem latinischen Ufer des Flusses nur eine starke Meile von Rom gelegenen etruskischen Vorposten dauernd in ihre Gewalt zu bringen und die Veienter aus dieser gefährlichen Offensivbasis zu verdrängen. Dagegen behaupten sie sich, wie es scheint, unangefochten im Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer der Tibermündung. Den Sabinern und Aequern gegenüber erscheint Rom in einer mehr überlegenen Stellung; von der späterhin so engen Verbindung mit den entfernteren Hernikern werden wenigstens die Anfänge schon in der Königszeit bestanden und die vereinigten Latiner und Herniker ihre östlichen Nachbarn von zwei Seiten umfaßt und niedergehalten haben. Der beständige Kriegsschauplatz aber war die Südgrenze, das Gebiet der Rutuler und mehr noch das der Volsker. Nach dieser Richtung hat die latinische Landschaft sich am frühesten erweitert, und hier begegnen wir zuerst den von Rom und Latium in dem feindlichen Lande begründeten und als autonome Glieder der latinischen Eidgenossenschaft konstituierten Gemeinden, den sogenannten latinischen Kolonien, von denen die ältesten noch in die Königszeit hineinzureichen scheinen. Wie weit indes das römische Machtgebiet um das Ende der Königszeit sich erstreckte, läßt sich in keiner Weise bestimmen. Von Fehden mit den benachbarten latinischen und volskischen Gemeinden ist in den römischen Jahrbüchern der Königszeit genug und nur zuviel die Rede; aber kaum dürften wenige einzelne Meldungen, wie etwa die der Einnahme von Suessa in der pomptinischen Ebene, einen geschichtlichen Kern enthalten. Daß die Königszeit nicht bloß die staatlichen Grundlagen Roms gelegt, sondern auch nach außen hin Roms Macht begründet hat, läßt sich nicht bezweifeln; die Stellung der Stadt Rom mehr gegenüber als in dem latinischen Staatenbund ist bereits im Beginn der Republik entschieden gegeben und läßt erkennen, daß in Rom schon in der Königszeit eine energische Machtentfaltung nach außen hin stattgefunden haben muß. Gewiß sind große Taten, ungemeine Erfolge hier verschollen; aber der Glanz derselben ruht auf der Königszeit Roms, vor allem auf dem königlichen Hause der Tarquinier, wie ein fernes Abendrot, in dem die Umrisse verschwimmen.
So war der latinische Stamm im Zuge, sich unter der Führung Roms zu einigen und zugleich sein Gebiet nach Osten und Süden hin zu erweitern; Rom selbst aber war durch die Gunst der Geschicke und die Kraft der Bürger aus einer regsamen Handels- und Landstadt der mächtige Mittelpunkt einer blühenden Landschaft geworden. Die Umgestaltung der römischen Kriegsverfassung und die darin im Keim enthaltene politische Reform, welche uns unter dem Namen der Servianischen Verfassung bekannt ist, steht im engsten Zusammenhang mit dieser innerlichen Umwandlung des römischen Gemeindewesens. Aber auch äußerlich mußte mit den reicher strömenden Mitteln, mit den steigenden Anforderungen, mit dem erweiterten politischen Horizont der Charakter der Stadt sich ändern. Die Verschmelzung der quirinalischen Nebengemeinde mit der palatinischen muß bereits vollzogen gewesen sein, als die sogenannte Servianische Reform stattfand; seit in dieser die Bürgerwehr sich in festen und einheitlichen Formen zusammengenommen hatte, konnte die Bürgerschaft nicht dabei beharren, die einzelnen Hügel, wie sie nacheinander mit Gebäuden sich gefüllt hatten, zu verschanzen und etwa noch zur Beherrschung des Tiberlaufes die Flußinsel und die Höhe am entgegengesetzten Ufer besetzt zu halten. Die Hauptstadt von Latium verlangte ein anderes und abgeschlossenes Verteidigungssystem: man schritt zu dem Bau der Servianischen Mauer. Der neue, zusammenhängende Stadtwall begann am Fluß unterhalb des Aventin und umschloß diesen Hügel, an dem neuerdings (1855) an zwei Stellen, teils am westlichen Abhang gegen den Fluß zu, teils an dem entgegengesetzten östlichen, die kolossalen Überreste dieser uralten Befestigungen zum Vorschein gekommen sind, Mauerstücke von der Höhe derjenigen von Alatri und Ferentino, aus mächtigen, viereckig behauenen Tuffblöcken unregelmäßig geschichtet, die wiedererstandenen Zeugen einer gewaltigen Epoche, deren Bauten in diesen Felswänden unvergänglich dastehen und deren geistige Taten unvergänglicher als diese in Ewigkeit fortwirken werden. Weiter umfaßte der Mauerring den Caelius und den ganzen Raum des Esquilin, Viminal und Quirinal, wo ein ebenfalls erst vor kurzem (1862) wieder in größeren Resten zu Tage gekommener Bau, nach außen von Peperinblöcken aufgesetzt und durch einen vorgezogenen Graben geschützt, nach innen in einen mächtigen, gegen die Stadt zu abgeböschten und noch heute imponierenden Erddamm auslaufend, den Mangel der natürlichen Verteidigungsmittel ersetzte, lief von da zum Kapitol, dessen steile Senkung gegen das Marsfeld zu einen Teil des Stadtwalls ausmachte, und stieß oberhalb der Tiberinsel zum zweitenmal an den Fluß. Die Tiberinsel nebst der Pfahlbrücke und das Ianiculum gehörten nicht zur eigentlichen Stadt, wohl aber war die letztere Höhe ein befestigtes Vorwerk. Wenn ferner bisher der Palatin die Burg gewesen war, so wurde dieser Hügel jetzt dem freien städtischen Anbau überlassen und dagegen auf dem nach allen Seiten hin freistehenden und bei seinem mäßigen Umfang leicht zu verteidigenden tarpeischen Hügel die neue „Burg“ (arx, capitolium)Die Bestimmung, ne quis patricius in arce aut capitolio habitaret, untersagte wohl nur die Umwandlung des Bodens in Privateigentum, nicht die Anlegung der Wohnhäuser. Vgl. W. A. Becker Topographie der Stadt Rom (Becker, Handbuch, 1). Leipzig 1843, S. 386.; und der Raum zwischen den beiden Spitzen des Hügels, das Heiligtum des argen Gottes (Ve-diovis) oder, wie die spätere hellenisierende Epoche es nannte, das Asyl war mit Wald bedeckt und vermutlich bestimmt, die Bauern mit ihren Herden aufzunehmen, wenn Überschwemmung oder Krieg sie von der Ebene vertrieb. Das Kapitol war dem Namen wie der Sache nach die Akropole Roms, ein selbständiges, auch noch nach dem Fall der Stadt verteidigungsfähiges Kastell, dessen Tor wahrscheinlich nach dem späteren Markt zu gelegen hatEs kommen vier solcher Gilden vor: 1. die Capitolini (Cic. ad Q. fr. 2, 5, 2) mit eigenen magistri (Henzen 6010, 6011) und jährlichen Spielen (Liv. 5, 50); vgl. zu CIL I, 805; 2. die Mercuriales (Liv. 2, 27; Cic. a.a.O.; Preller, Römische Mythologie. Berlin 1858. Bd. 1, S. 597) ebenfalls mit magistri (Henzen 6010), die Gilde aus dem Circustal, wo der Mercurtempel sich befand; 3. die pagani Aventinenses ebenfalls mit magistri (Henzen 6010); 4. die pagani pagi Ianiculensis ebenfalls mit magistri (CIL I, 801, 802). Es ist gewiß nicht zufällig, daß diese vier Gilden, die einzigen derartigen, die in Rom vorkommen, eben den von den vier örtlichen Tribus aus-, aber von der Servianischen Mauer eingeschlossenen beiden Hügeln, dem Kapitol und dem Aventin, und dem zu derselben Befestigung gehörigen Ianiculum angehören; und damit steht weiter im Zusammenhang, daß als Bezeichnung der gesamten städtischen Eingesessenen Roms montani paganive gebraucht wird – vgl. außer der bekannten Stelle Cic. dom. 28; 74 besonders das Gesetz über die städtischen Wasserleitungen bei Festus unter sifus p. 340: [mon]tani paganive si[fis aquam dividunto]. Die montani, eigentlich die Bewohner der palatinischen drei Bezirke, scheinen hier a potiori für die ganze eigentliche Stadtbürgerschaft der vier Quartiere gesetzt zu sein; die pagani sind sicher die außerhalb der Tribus stehenden Genossenschaften von Aventin und Ianiculum und die analogen Kollegien vom Kapitol und dem Circustal. . Der von der neuen Stadtmauer umschlossene Raum umfaßte also außer der bisherigen palatinischen und quirinalischen Stadt noch die beiden Bundesfestungen des Kapitol und des Aventin, ferner das IaniculumSowohl die Lage der beiden Tempel als das ausdrückliche Zeugnis des Dionysios (2, 25), daß der Vestatempel außerhalb der Roma quadrata lag, bezeugen es, daß diese Anlagen nicht mit der palatinischen, sondern mit der zweiten (Servianischen) Stadtgründung im Zusammenhang stehen; und wenn den Späteren dieses Königshaus mit dem Vestatempel als Anlage Numas gilt, so ist die Ursache dieser Annahme zu offenbar, um darauf Gewicht zu legen.. Längs der beiden Langseiten des Marktes reihten sich die Fleischbuden und andere Kaufläden. In dem Tal zwischen Aventin und Palatin ward für die Rennspiele der „Ring“ abgesteckt; das ward der Circus. Unmittelbar am Flusse ward der Rindermarkt angelegt und bald entstand hier eines der am dichtesten bevölkerten Quartiere. Auf allen Spitzen erhoben sich Tempel und Heiligtümer, vor allem auf dem Aventin das Bundesheiligtum der Diana und auf der Höhe der Burg der weithin sichtbare Tempel des Vater Diovis, der seinem Volk all diese Herrlichkeit gewährt hatte und nun, wie die Römer über die umliegenden Nationen, so mit ihnen über die unterworfenen Götter der Besiegten triumphierte.
Die Namen der Männer, auf deren Geheiß diese städtischen Großbauten sich erhoben, sind nicht viel weniger verschollen, als die der Führer in den ältesten römischen Schlachten und Siegen. Die Sage freilich knüpft die verschiedenen Werke an verschiedene Könige an, das Rathaus an Tullus Hostilius, das Ianiculum und die Holzbrücke an Ancus Marcius, die große Kloake, den Circus, den Jupitertempel, an Tarquinius den Älteren, den Dianatempel und den Mauerring an Servius Tullius. Manche dieser Angaben mögen richtig sein, und es scheint nicht zufällig, daß der Bau des neuen Mauerrings mit der neuen Heeresordnung, die ja auf die stetige Verteidigung der Stadtwälle wesentliche Rücksicht nahm, auch der Zeit und dem Urheber nach zusammengestellt wird. Im ganzen aber wird man sich begnügen müssen, aus dieser Überlieferung zu entnehmen, was schon an sich einleuchtet, daß diese zweite Schöpfung Roms mit der Anbahnung der Hegemonie über Latium und mit der Umschaffung des Bürgerheeres im engsten Zusammenhange stand; und daß sie zwar aus einem und demselben großen Gedanken hervorgegangen, übrigens aber weder eines Mannes noch eines Menschenalters Werk ist. Daß auch in diese Umgestaltung des römischen Gemeindewesens die hellenische Anregung mächtig eingegriffen hat, ist ebenso unzweifelhaft, als es unmöglich ist, die Art und den Grad dieser Einwirkung darzutun. Es wurde schon bemerkt, daß die Servianische Militärverfassung wesentlich hellenischer Art ist, und daß die Circusspiele nach hellenischem Muster geordnet wurden, wird später gezeigt werden. Auch das neue Königshaus mit dem Stadtherd ist vollständig ein griechisches Prytaneion und der runde, nach Osten schauende und nicht einmal von den Auguren eingeweihte Vestatempel in keinem Stück nach italischem, sondern durchaus nach hellenischem Ritus erbaut. Es scheint danach durchaus nicht unglaublich, was die Überlieferung meldet, daß der römisch-latinischen Eidgenossenschaft die ionische in Kleinasien gewissermaßen als Muster diente und darum auch das neue Bundesheiligtum auf dem Aventin dem ephesischen Artemision nachgebildet ward.