Anhang zu der Reise nach Lilliput


Anhang zu der Reise nach Lilliput

Lilliputaner sind anders als wir Europäer davon überzeugt, daß nichts mehr Sorge und Fleiß erfordert, als die Erziehung der Kinder. Es ist leicht, sagen sie, Kinder zu erzeugen, wie es leicht ist, zu säen und zu pflanzen; aber gewisse Pflanzen zu erhalten, ihnen ein glückliches Gedeihen zu geben, sie gegen die Härte des Winters, gegen die Glut und die Stürme des Sommers, gegen die Angriffe der Insekten zu schützen, endlich ihnen reichliche Früchte abzugewinnen, dies ist die Wirkung der Aufmerksamkeit und der Bemühungen eines geschickten Gärtners.

Sie sehen darauf, daß der Lehrer mehr einen wohl gebildeten als einen erhabenen Geist, mehr Sitte als Wissenschaft habe; sie können die Lehrer nicht leiden, welche die Ohren ihrer Schüler unaufhörlich mit grammatikalischen Zusammensetzungen, kleinlichen Erörterungen und kindischen Bemerkungen betäuben, und welche, um sie die alte Sprache ihres Landes zu lehren, die nur wenig Aehnlichkeit mit der hat, welche man heut zu Tage dort spricht, ihren Geist mit Regeln und Ausnahmen überladen, und ihr Gedächtniß mit überflüßigen Principien und kleinlichen Vorschriften anfüllen: sie wollen, der Lehrer solle sich in ein vertrautes Verhältniß setzen, ohne seiner Würde etwas zu vergeben, denn nichts sey einer guten Erziehung so zuwider, als Pedanterie und affektirter Ernst; ihrer Meinung nach, muß er sich vor seinem Schüler eher herablassen, als sich hinaufspannen, und sie halten das Eine für schwerer als das Andere, weil oft mehr Kraft und Anstrengung und immer mehr Aufmerksamkeit dazu gehört, sicher hinab- als hinaufzusteigen.

Sie behaupten, die Lehrer müssen vielmehr darauf ausgehen, den Geist der jungen Leute für das Benehmen im Leben zu bilden, als ihn mit seltenen Kenntnissen zu bereichern, die beinahe immer unnütz sind. Man lehrt sie also frühzeitig Weisheit und Philosophie, damit sie auch in der Zeit der Vergnügungen dieselben philosophisch zu kosten verstehen. Ist es nicht lächerlich, sagen sie, das Wesen und den wahren Genuß derselben erst dann kennen zu lernen, wenn man untauglich dazu geworden, leben zu lernen, wenn das Leben beinahe vorüber ist, und anzufangen ein Mensch zu seyn, wenn man bald aufhören wird, es zu seyn?

Man gibt ihnen eine Belohnung für das offene und aufrichtige Bekenntniß ihrer Fehler, und diejenigen, welche über ihre eigenen Mängel besser als Andere zu sprechen wissen, erlangen Gewogenheit und Ehren. Man will, sie sollen wißbegierig seyn, und Fragen stellen über Alles, was sie sehen und hören, und man gibt denen eine strenge Strafe, die beim Anblick einer außerordentlichen und merkwürdigen Sache wenig Verwunderung und Wißbegierde blicken lassen.

Man empfiehlt ihnen, sehr treu, sehr unterthänig, sehr anhängig an den Fürsten zu seyn, aber nur mit einer allgemeinen pflichtschuldigen Anhänglichkeit, nicht mit einer besondern, die oft das Gewissen und stets die Freiheit verletzt, und großes Unglück verschulden kann.

Die Lehrer der Geschichte bemühen sich weniger, ihre Zöglinge das Datum dieser oder jener Begebenheit zu lehren, als ihnen den Charakter, die guten und schlimmen Eigenschaften der Könige, Feldherrn und Minister zu schildern. Sie halten es für unwichtig, daß in dem und dem Jahre, in dem und dem Monat die und die Schlacht geschlagen wurde; aber die Erwägung scheint ihnen wichtig, wie die Menschen in allen Jahrhunderten barbarisch, roh, ungerecht, blutdürstig, stets bereit sind, ihr Leben ohne Noth zu verschwenden und ohne Grund das Leben Anderer zu bedrohen; wie die Kriege die Menschheit entehren und wie mächtig die Beweggründe seyn müssen, um zu diesem traurigen Aeußersten getrieben zu werden; sie betrachten die Geschichte des menschlichen Geistes, als die beste Geschichte überhaupt und lehren die jungen Leute weniger, die Thatsachen zu behalten als zu beurtheilen.

Die Liebe zu den Wissenschaften soll bei ihnen Gränzen haben, und jeder soll das Studium wählen, das seiner Neigung und seinem Talent am meisten zusagt; aus einem Menschen, der zu viel studirt, machen sie aber so wenig, als aus einem Menschen, der zu viel ißt, überzeugt, daß der Geist eben so gut seine Unverdaulichkeiten hat, als der Körper. Nur der Kaiser allein hat eine große zahlreiche Bibliothek. Was einige Privatleute betrifft, die allzugroße Bibliotheken haben, so betrachtet man sie als mit Büchern beladene Lastesel.

Die Philosophie bei diesen Völkern ist sehr heiter und besteht nicht in Ergotismen, wie in unsern Schulen; sie wissen nicht, was Baroco und Baralipton ist, was Cathegorien, was Worte der ersten und zweiten Klasse sind, und andere kitzliche Thorheiten der Dialektik, die Einen ebensowenig Vernunft als Tanzen lehren können.

Ihre Philosophie besteht darin, unfehlbare Grundsätze aufzustellen, die den Geist dahin führen, den Mittelstand eines ehrlichen Mannes den Reichthümern und der Pracht eines Rentiers, und den Sieg über die Leidenschaften dem eines Eroberers vorzuziehen. Ihre Philosophie lehrt sie, hart gegen sich seyn, und Alles fliehen, was die Sinne an die Wollust gewöhnt, Alles, was die Seele in eine Abhängigkeit vom Körper versetzt und ihrer Freiheit Eintrag thut. Im Uebrigen stellt man ihnen die Tugend stets als etwas Leichtes und Angenehmes vor.

Man ermahnt sie, ihren Beruf mit Umsicht zu wählen, und sucht sie auf den hinzuleiten, der sich am besten für sie schickt, mit weniger Rücksicht auf das Vermögen ihrer Eltern, als auf das Vermögen ihrer Seele, so daß der Sohn eines Bauern zuweilen Staatsminister und der Sohn eines Edelmanns Kaufmann ist.

Diese Völker achten die Physik und die Mathematik nur so weit, als diese Wissenschaften für das Leben und den nützlichen Fortschritt der Künste vortheilhaft sind. Im Allgemeinen gaben sie sich wenig Mühe, alle Theile des Universums kennen zu lernen, und wollen weniger über die Ordnung und Bewegung der physischen Körper Untersuchungen anstellen, als vielmehr die Natur ohne Untersuchung genießen. Was die Metaphysik betrifft, so betrachtet man sie als eine Quelle der Hirngespinnste und Chimären.

Sie hassen die Affektation in der Sprache und den geschraubten Styl, sowohl in der Prosa als in Versen; und sie halten es für eben so unverschämt, sich durch seine Art zu reden auszuzeichnen, als durch die Art sich zu kleiden. Einem Schriftsteller, der den reinen, klaren und ernsten Styl aufgibt, um einen bizarren, schwülstigen Jargon zu schreiben, und gesuchte, unwahre Bilder anzuwenden, lauft man wie einer Karnevalsmaske auf den Straßen nach und pfeift ihn aus.

Man bildet in diesem Lande den Körper und den Geist zugleich, weil es gilt, einen Menschen zuzustutzen und man nicht das Eine ohne das Andere pflegen kann. Körper und Geist sind ihrer Meinung nach ein Paar zusammengespannte Pferde, die man mit gleichen Schritten neben einander herführen muß. Wenn Ihr nur den Geist eines Kindes bildet, sagen sie, so wird sein Aeußeres rauh und ungeglättet; wenn Ihr nur seinen Körper bildet, bemächtigen sich die Thorheit und Unwissenheit seines Geistes.

Es ist den Lehrern verboten, die Kinder durch Schmerzen zu strafen; sie thun es durch die Entziehung eines Vergnügens, durch die Schande und namentlich durch die Ausschließung von zwei oder drei Unterrichtsstunden, worüber sie sich außerordentlich kränken, denn man überläßt sie alsdann sich selbst und scheint sie des Unterrichts nicht für würdig zu halten. Der Schmerz dient, ihrer Meinung nach, nur dazu, sie schüchtern zu machen; was ein sehr nachtheiliger Fehler ist, von dem man sie nie wieder heilen kann.

Kapitel 4


Kapitel 4 Mildendo, die Hauptstadt von Lilliput, wird zugleich mit dem Palast des Kaisers beschrieben. Eine Unterhaltung des Verfassers mit dem Staatssekretär über die Angelegenheiten des Reichs. Des Verfassers Anerbieten, dem Kaiser in seinen Kriegen zu dienen.

Losgegeben, wünschte ich sogleich die Hauptstadt in Augenschein zu nehmen und reichte eine Bittschrift ein, Mildendo besehen zu dürfen. Der Kaiser gewährte mir mein Gesuch ohne weitere Umstände, jedoch mit dem besonderen Auftrage, weder den Einwohnern noch den Häusern Schaden zuzufügen.

Das Volk wurde durch eine Proklamation von meiner Absicht, die Stadt zu besuchen, benachrichtigt. Die Mauer, welche sie umringt, ist 2½, Fuß hoch und wenigstens 11 Zoll breit, so daß eine Kutsche mit Pferden sehr bequem darauf fahren kann; in der Entfernung von 10 Fuß sind überall starke Thürme angebracht. Ich schritt über das große Thor hinweg und ging durch zwei der Hauptstraßen nur seitwärts sehr leise und langsam allein mit meinem Wamms bekleidet, denn ich befürchtete die Dächer und Traufen der Häuser mit den Schößen meines Ueberrocks zu beschädigen. Ich beobachtete die größte Vorsicht, um einige Nachzügler, die vielleicht noch in den Straßen seyn könnten, nicht zu zertreten, obgleich der Befehl sehr streng war, alle Leute sollten auf ihre eigene Gefahr nicht wagen auszugehen. Die Dachfenster und Giebel der Häuser waren so sehr mit Zuschauern angefüllt, daß ich bei mir dachte, niemals auf meinen Reisen einen so bevölkerten Ort gesehen zu haben. Die Stadt ist ein vollkommenes Viereck, und jede Seite der Mauer fünfhundert Fuß lang. Die zwei großen Straßen, welche sie durchkreuzen und in vier Quartiere eintheilen, sind fünf Fuß breit. Die Gassen und Durchgänge, in die ich nicht hinein konnte, sondern die ich nur von Weitem im Vorübergehen sah, sind zwölf bis achtzehn Zoll breit. Die Stadt ist groß genug um fünfhundertausend Seelen zu enthalten. Die Häuser sind drei bis fünf Stockwerke hoch, die Läden und Märkte reichlich mit Waaren versehen.

Des Kaisers Palast liegt im Mittelpunkte der Stadt, wo die beiden Hauptstraßen sich kreuzen; er wird von einer zwei Fuß hohen Mauer umringt, die zwanzig Fuß von den übrigen Gebäuden entfernt liegt. Ich hatte die Erlaubniß Seiner Majestät, über diese Mauer zu schreiten. Da der Raum zwischen derselben und dem Palast weit genug war, konnte ich mir letzteren von jeder Seite leicht besehen. Der äußere Hof ist ein Viereck von vierzig Fuß und schließt zwei andere ein. Im Inneren befinden sich die königlichen Zimmer, die ich zu sehen wünschte; dies war aber sehr schwierig, denn die großen Thore, die von einem Viertel zum andern führten, waren nur achtzehn Zoll hoch und sieben Zoll breit. Da nun auch die Gebäude des äußern Hofes wenigstens fünf Fuß hoch waren, vermochte ich nicht über sie wegzuschreiten, ohne die Zinnen des Palastes zu beschädigen, obgleich die Mauern von gehauenen Steinen erbaut und auch sehr dick waren. Zugleich aber wünschte auch der Kaiser, ich möchte die Pracht seines Palastes schauen. Dies konnte ich erst nach drei Tagen, die ich damit zubrachte, mit meinem Messer die größten Bäume des kaiserlichen Parks abzuhauen, welcher ungefähr hundert Ellen vor der Stadt entfernt lag.

Aus diesen Bäumen machte ich zwei Schemel von drei Fuß Höhe, die stark genug waren, mein Gewicht zu tragen. Nachdem das Volk zum zweitenmal gewarnt war, ging ich durch die Stadt zum Palast mit meinen zwei Schemeln in der Hand. Als ich an den äußern Hof gelangte, stellte ich mich auf den einen Schemel, hob den andern über das Dach und setzte ihn behutsam nieder auf den Raum zwischen dem ersten und zweiten Hof. Alsdann schritt ich sehr bequem über das Gebäude von einem Schemel auf den andern und zog den ersten wieder zu mir herauf durch einen Stock, der mit einem Haken versehen war. Durch dieses Mittel gelangte ich in den inneren Hof, legte mich dort auf die Seite und hielt mein Gesicht an die Fenster des mittleren Stockwerks, welche deßhalb offen gelassen waren. In demselben erblickte ich die prächtigsten Gemächer, die man sich nur denken kann. Auch sah ich die Kaiserin mit den jungen Prinzen in ihren verschiedenen Wohnungen, umringt von ihren Begleitern. Ihre kaiserliche Majestät hatte die Gnade mir zuzulächeln und reichte mir aus dem Fenster die Hand zum Kuß.

Hier jedoch werde ich die ferneren Beschreibungen nicht mittheilen, weil ich dieselben für ein größeres Werk verspare, welches zum Druck bereits fertig ist. Dies soll eine allgemeine Beschreibung des Reiches Lilliput, von seiner ersten Entstehung an, und die Geschichte einer langen Reihe von Fürsten enthalten; ferner Berichte über die Kriege, Gesetze, Politik, Gelehrsamkeit, Religion, Pflanzen und Thiere desselben; auch über die besonderen Sitten und Gewohnheiten des Volkes und über anderen sehr wissenswerthen und nützlichen Stoff. Meine Hauptabsicht gegenwärtig ist allein die Darstellung derjenigen Vorfälle und Verhandlungen, die sich, in Betreff des Publikums und meiner selbst, während meines neunmonatlichen Aufenthalts in jenem Reiche ereigneten.

Eines Morgens, ungefähr vierzehn Tage nachdem ich meine Freiheit erlangt hatte, kam Redresal, erster Sekretär für Privatangelegenheiten des Kaisers (so war sein Titel) zu meiner Wohnung, und zwar nur in Begleitung eines einzigen Dieners. Seinen Wagen ließ er in einiger Entfernung warten, und bat mich, ihm eine Stunde Audienz zu ertheilen. Bereitwillig gab ich meine Zustimmung, sowohl wegen Redresal’s persönlicher Eigenschaften und seines Standes, als auch wegen der vielen guten Dienste, die er mir bei meinem Gesuche am Hofe des Kaisers erwiesen hatte. Ich machte ihm das Anerbieten, mich niederzulegen, damit er bequemer an mein Ohr reichen könne, allein er zog es vor, daß ich ihn während des Gesprächs auf der Hand hielt. Er begann mit Complimenten über meine Freiheit, bemerkte ferner auch, er könne auf einiges Verdienst in Betreff derselben Anspruch machen. Ohne seine jetzige Stellung bei Hofe würde ich sie schwerlich so bald erlangt haben. Denn, fügte er hinzu, wie blühend unser Zustand Fremden auch erscheinen mag, so leiden wir an zwei großen Uebeln, an einer heftigen Parteiung im Innern, und an der Gefahr eines äußern Angriffs von Seiten eines mächtigen Feindes. Was die erste betrifft, so müssen Sie wissen, daß seit ungefähr siebenzig Monaten zwei Parteien, Tramecksan und Slamecksan, von den hohen Absätzen ihrer Schuhe so benannt, mit einander in Streit liegen.

Diese Absätze sind nämlich unsere Abzeichen, und man glaubt, daß hohe Absätze sich am besten für unsere alte Constitution eignen. Seine Majestät hat jedoch beschlossen, in der Verwaltung und Regierung allein die niederen Absätze zu benutzen, und ihnen alle Aemter zu ertheilen, worüber die Krone zu verfügen hat. Dieses werden Sie bald bemerken, so wie auch daß die Hacken Seiner kaiserlichen Majestät wenigstens um einen Drurr niedriger sind, wie die seines Hofes. (Drurr ist nämlich der vierzehnte Theil eines Zolles.)

Die Erbitterung zwischen beiden Parteien ist so groß, daß sie weder mit einander essen, noch trinken, noch auch reden. Wir glauben, daß die Tramecksan, oder hohen Absätze uns an Zahl übertreffen, allein die Staatsgewalt liegt dennoch in unserer Hand. Wir besorgen jedoch, Seine kaiserliche Hoheit, der Thronerbe, habe einige Neigung zu den hohen Absätzen. Wenigstens können wir bemerken, daß einer seiner Absätze höher ist wie ein anderer, wodurch Höchstdieselbe im Gange hinkt.

Mitten unter diesen inneren Unruhen werden wir mit einer Invasion von der Insel Blefuscu bedroht, welche das zweite große Reich der Welt, beinahe eben so groß und mächtig, wie das Seiner Majestät, ist. Denn was Ihre Bemerkung betrifft, es gebe in der Welt noch andere Königreich und Staaten, welche von menschlichen Geschöpfen Ihrer Große bewohnt werden, so sind unsere Philosophen darüber im Zweifel, und wollen vielmehr die Behauptung aufstellen, Sie seyen von dem Monde oder von einem Sterne herabgefallen. Denn es ist gewiß, daß hundert Sterbliche von ihrer Größe alle Früchte und Vieh im Gebiete Seiner Majestät zerstören müßten. Außerdem erwähnt unsere Geschichte von sechstausend Monaten keine andere Weltgegend als Lilliput und Blefuscu. Diese beiden großen Mächte führen, wie ich Ihnen berichten will, seit sechsunddreißig Monaten den heftigsten Krieg mit einander. Letzterer begann auf folgende Weise: Ueberall wird zugestanden, daß die ursprüngliche Weise, Eier zu öffnen, darin besteht, daß man das breitere Ende der Schale zerbricht oder abschneidet. Allein der Großvater Seiner gegenwärtigen Majestät schnitt sich, da er als Knabe einst ein Ei essen wollte, bei dieser Gelegenheit in den Finger. Darauf publicirte der Vater ein Edikt, welches allen Unterthanen bei schwerer Strafe verbot, das breitere Ende des Eies zu eröffnen. Das Volk gerieth über dieses Gesetz in solche Wuth, daß sechs Rebellionen bei der Gelegenheit entstanden. Ein Kaiser verlor darin sein Leben, ein andrerer seine Krone. Diese bürgerlichen Zwiste wurden fortwährend durch die Könige von Blefuscu befördert; und wenn sie unterdrückt wurden, flüchteten die Verbannten gewöhnlich in dies Reich. Man berechnet, daß an elftausend Personen zu verschiedenen Zeiten den Tod lieber erleiden, als die Eier an den kleinen Enden öffnen wollten. Viele Hunderte von dicken Bänden sind über diesen Streit geschrieben worden, allein die Bücher der Breitendigen sind schon lange verboten und ein Gesetz hat die ganze Partei für unfähig erklärt, fernerhin öffentliche Aemter zu verwalten.

Während dieser Unruhen machten uns die Kaiser von Blefuscu häufige Vorstellungen durch ihre Gesandten und zugleich den Vorwurf, eine Spaltung in der Religion zu bewirken, da wir gegen die Grundlehren unseres großen Propheten Lustroggim fünfundvierzigsten Kapitel des Blundecral (dieses ist der Koran von Lilliput) uns vergehen. Dies scheint jedoch eine bloße Verdrehung des Textes zu seyn, denn die Worte lauten: Alle wahren Gläubigen öffnen die Eier an dem passenden Ende. Was nun das passende Ende ist, muß nach meiner demüthigen Meinung dem Gewissen eines Jeden überlassen bleiben, oder die erste Magistratsperson besitzt das Recht, es zu bestimmen. Jetzt aber haben die verbannten Breitendigen so viel Einfluß beim Hofe des Kaisers von Blefuscu und so viel Unterstützung und Ermuthigung für ihre Partei hier in unserem Vaterlande erlangt, daß ein blutiger Krieg zwischen beiden Reichen schon sechsunddreißig Monate lang geführt worden ist, und zwar mit verschiedenem Erfolge. Während dieser Zeit haben wir vierzig große und noch viel mehr kleinere Schiffe, so wie dreißigtausend unserer besten Soldaten und Matrosen verloren. Jedoch der Verlust des Feindes ist noch etwas größer wie der unsrige. Dennoch hat er jetzt eine zahlreiche Flotte ausgerüstet und trifft Vorbereitungen zu einer Landung an unserer Küste. Seine kaiserliche Majestät setzt nun großes Vertrauen in Ihre Tapferkeit und Kraft, und hat mir deßhalb befohlen, diesen Bericht über unsere Angelegenheiten Ihnen vorzulegen.

Ich bat den Sekretär, dem Kaiser die Versicherung meines unterthänigsten Gehorsams zu überbringen, und ihn zugleich zu benachrichtigen, mir als Fremden gezieme es nach meiner Meinung nicht, mich in Parteistreitigkeiten einzulassen; ich sey jedoch bereit, mein Leben zu wagen, um seine Person und sein Reich gegen fremden Angriff zu vertheidigen.

Kapitel 5


Kapitel 5 Der Verfasser verhindert durch eine außerordentliche Kriegsthat den fremden Angriff. Ein hoher Ehrentitel wird ihm ertheilt. Es erscheinen Gesandte des Kaisers von Blefuscu und bitten um Frieden. In den Zimmern der Kaiserin bricht eine Feuersbrunft aus. Der Verfasser rettet den übrigen Theil des Palastes.

Lilliput ist durch einen 800 Ellen breiten Kanal vom Reiche Blefuscu getrennt, einer Insel, die in nordöstlicher Richtung liegt. Ich hatte dieselbe noch nicht gesehen, und vermied es, nach der mir gegebenen Nachricht von einer beabsichtigten Invasion auf jener Seite der Küste zu erscheinen, aus Furcht, von feindlichen Schiffen bemerkt zu werden, welche bis jetzt noch keine Kunde von mir erhalten hatten. Es war nämlich jede Verbindung der zwei Reiche während des Kriegs bei Todesstrafe verboten, und ein Embargo auf alle Schiffe von dem Kaiser gelegt worden. Ich theilte Seiner Majestät einen von mir gebildeten Entwurf mit, die ganze feindliche Flotte zu erobern, welche, wie unsere Avisjachten uns berichteten, im Hafen vor Anker lag und bereit war, beim ersten günstigen Winde abzusegeln. Ich erkundigte mich bei den erfahrensten Matrosen nach der Tiefe des Kanals, den sie oft sondirt hatten, und erfuhr, daß derselbe bei der Fluth in der Mitte siebenzig Glumgluffs betrug, d. h. sechs Fuß englischen Maßes, und sonst nur höchstens fünfzig Glumgluffs. Hierauf ging ich zur Nordostküste, Blefuscu gegenüber, legte mich hinter einen Hügel, zog mein kleines Taschenperspektiv hervor und nahm die vor Anker liegende Flotte des Feindes in Augenschein. Dann kehrte ich in mein Haus zurück und gab Befehl, mir eine große Menge von starken Tauen und eisernen Stangen herbeizuschaffen. Dazu war ich nämlich durch einen Befehl des Kaisers berechtigt. Die Taue waren ungefähr von der Dicke eines Bindfadens und die eisernen Stangen von der Länge und Form einer Stricknadel. Ich verdreifachte die Taue, um sie stärker zu machen, und drehte aus demselben Grunde drei eiserne Stangen zusammen, indem ich die Spitzen in einen Haken bog. Nachdem ich fünfzig solcher Haken an eben so viel Taue geheftet hatte, kehrte ich zur Nordostküste zurück, zog Rock, Schuhe und Strümpfe aus und ging ungefähr eine Stunde vor der Fluth mit meinem ledernen Wamms in die See hinein.

Ich watete so schnell ich konnte und schwamm in der Mitte ungefähr dreißig Ellen, bis ich Boden fühlte. In weniger als einer halben Stunde war ich bei der Flotte angelangt. Der Feind war so erschreckt als er mich erblickte, daß die ganze Mannschaft aus den Schiffen sprang und an das Ufer schwamm, wo gewiß nicht weniger als dreißigtausend Menschen standen; alsdann nahm ich mein Takelwerk, befestigte an dem Vordertheile jedes Schiffes einen Haken und band alle Stricke am Ende zusammen. Während ich dies vollbrachte, gab mir der Feind eine Salve von mehr als tausend Pfeilen, von welchen mehrere in meinem Gesicht und meinen Händen stecken blieben, und, den Schmerz abgerechnet, bei meiner Arbeit mir nicht wenig hinderlich waren. Am meisten war ich hinsichtlich meiner Augen besorgt, und würde dieselben auch unfehlbar verloren haben, wäre mir nicht plötzlich ein Hülfsmittel eingefallen. Unter anderen kleinen Artikeln, die mir nothwendig waren, befand sich meine Brille in einer besondern kleinen Tasche, welche von den Zollbeamten des Kaisers, wie ich erwähnte, nicht bemerkt worden war. Diese nahm ich heraus, setzte sie auf meine Nase und führte so bewaffnet mit Kühnheit mein Unternehmen trotz der feindlichen Pfeile aus, von denen mehrere das Glas meiner Brille trafen, jedoch keine andere Wirkung hervorbrachten, als diese mir ein wenig zu verrücken. Als ich nun alle Haken befestigt hatte, nahm ich den Knoten in meine Hand und begann zu ziehen, allein kein Schiff wollte sich von der Stelle rühren, denn sie waren sämmtlich an den Ankern befestigt. Somit war der kühnste Theil meines Unternehmens noch zu vollbringen. Ich ließ den Strick fahren, da die Haken ja ohnedies an den Schiffen befestigt blieben, und schnitt voll Kühnheit mit meinem Messer die Ankertaue der Schiffe durch, wobei ich ungefähr zweihundert Schüsse in Gesicht und Hände erhielt. Alsdann ergriff ich wieder das zusammengeflochtene Ende der Taue und zog mit der größten Leichtigkeit fünfzig der feindlichen Kriegsschiffe hinter mir her.

Die Blefuscudier, welche nicht den geringsten Begriff von meinem Vorhaben hatten, waren zuerst erstaunt und verwirrt. Sie hatten die Taue durchschneiden sehen und glaubten zuerst, ich wolle die Schiffe flott machen, damit sie aufeinander stießen und dadurch Schaden litten. Als sie aber sahen, wie die ganze Flotte sich in bester Ordnung bewegte und wie ich das Ende zog, ließen sie einen solchen Ruf des Schmerzes und der Verzweiflung erschallen, daß es mir unmöglich ist, denselben zu beschreiben. Als ich außer Gefahr war, hielt ich eine Weile an, um die Pfeile aus Hand und Gesicht herauszuziehen; alsdann rieb ich mich mit derselben Salbe, die mir bei meiner ersten Ankunft gegeben ward und die ich früher erwähnte. Hierauf nahm ich meine Brille ab, wartete bis die Fluth ein wenig gefallen war, watete durch die Mitte des Kanals mit meiner Beute und langte wohlbehalten im Hafen von Lilliput an.

Der Kaiser und sein ganzer Hof stand am Ufer und erwartete den Ausgang des großen Abenteuers. Sie sahen, wie sich die Schiffe in einem weiten Halbmond bewegten, konnten mich aber nicht erkennen, da das Wasser mir bis an die Brust reichte. Als ich in die Mitte des Kanals kam, geriethen sie in noch größere Furcht, denn nun kam mir das Wasser bis an den Hals. Der Kaiser glaubte, ich sey ertrunken und die feindliche Flotte nahe sich zum Angriff gerüstet; allein seine Besorgniß verschwand bald, denn da der Kanal mit jedem Schritte flacher wurde, kam ich bald so nahe, daß man mich hören konnte; ich hielt das Ende des Taues, woran die Schiffe befestigt waren, in die Höhe und rief mit lauter Stimme: »Lange lebe der großmächtigste Kaiser von Lilliput!« Dieser große Fürst ertheilte mir bei meiner Landung das höchste Lob, und ernannte mich auf der Stelle zum Nardac, der höchsten Würde seines Kaiserthums.

Seine Majestät wünschte, ich möchte eine andere Gelegenheit benutzen, um alle übrigen feindlichen Schiffe in seine Hafen zu bringen. So unmäßig ist der Ehrgeiz der Fürsten, daß er an nichts Geringeres dachte, als an die Eroberung des ganzen Reiches von Blefuscu, welches er dann durch einen Vicekönig regieren lassen wollte. Er hoffte ferner alle breitendigenVerbannten zu vernichten, und auch jenem Volke den Zwang aufzulegen, ihre Eier an den kleineren Enden zu eröffnen, wodurch er der Monarch der ganzen Erde geworden wäre. Allein ich suchte ihm diesen Plan auszureden, berief mich hiebei sowohl auf Politik wie auf Gerechtigkeit, und erklärte zuletzt in deutlichen Worten, ich würde mich nie zum Werkzeug hergeben, um ein freies und tapferes Volk in Sclaverei zu bringen. Als diese Angelegenheit im Staatsrathe verhandelt wurde, war auch der klügste Theil des Ministeriums auf meiner Seite. Diese offene und kühne Erklärung widerstrebte so sehr der Politik des Kaisers, daß er mir dieselbe nie vergab. Er erwähnte sie auf sehr listige Weise im Staatsrathe, und wie ich erfuhr, schienen auch die Klügsten mit ihrem Stillschweigen meine Meinung zu billigen.

Andere aber, welche geheime Feinde von mir waren, konnten einige Worte nicht unterdrücken, womit ein verdeckter Tadel gegen mich ausgesprochen wurde. Von dieser Zeit an begann eine gegen mich gerichtete Intrigue zwischen dem Kaiser und einem Verein mehrerer gegen mich boshaft eingenommener Minister, welche in ungefähr zwei Monaten ausbrach und beinahe mit meiner gänzlichen Vernichtung geendet hätte. Von so wenig Gewicht sind bei den Fürsten die größten Dienste, wenn sie durch eine Weigerung, ihren Leidenschaften zu dienen, aufgewogen werden.

Drei Wochen nach meiner That langte eine feierliche Gesandtschaft von Blefuscu mit dem demüthigen Anerbieten eines Friedens an. Dieser wurde auch unter sehr günstigen Bedingungen für Lilliput, womit ich aber hier den Leser nicht langweilen will, in Kurzem abgeschlossen. Die Gesandtschaft bestand aus sechs Gesandten, mit einem Gefolge von ungefähr fünfhundert Personen. Ihr Einzug war prächtig und der Größe ihres Herrn, sowie der Wichtigkeit ihres Geschäftes angemessen. Als der Traktat abgeschlossen war, wobei ich ihnen mehrere bedeutende Dienste durch das Ansehen erwies, das ich mir jetzt bei Hofe erworben hatte oder wenigstens erworben zu haben schien, machten mir Ihre Excellenzen, welche durch Privatmittheilung erfuhren, wie sehr ich ihr Freund sey, einen Besuch in aller Form und Etikette. Sie begannen mit vielen Complimenten über meine Kraft und Großmuth, luden mich in ihres Herrn Namen ein, sein Königreich zu besuchen, und wünschten, ich möchte ihnen einen Beweis meiner wunderbaren Stärke zeigen, von welcher sie bereits so viel gehört hätten. Hierin stand ich ihnen bereitwillig zu Diensten, werde aber den Leser mit den Umständlichkeiten nicht langweilen.

Als ich einige Zeit Ihre Excellenzen zu ihrer außerordentlichen Befriedigung und Ueberraschung unterhalten hatte, bat ich Sie, Sie möchten mir die Ehre erweisen, meine unterthänigste Achtung dem Kaiser, ihrem Herrn, zu verkünden, vor dessen königlicher Person zu erscheinen ich beschlossen habe, bevor ich nach meinem Vaterlande zurückkehre. Sobald ich deßhalb wieder die Ehre einer Audienz bei unserem Kaiser hatte, ersuchte ich ihn im Allgemeinen um die Erlaubniß, dem Blefuscu’schen Monarchen aufwarten zu dürfen. Er hatte die Gnade sie mir zu ertheilen, jedoch, wie ich bemerkte, auf kalte Weise; den Grund konnte ich nicht errathen, bis eine gewisse Person mir zuflüsterte, Flimnap und Bogloglam hätten meine Unterredung mit den Gesandten als ein Zeichen der Abneigung dargestellt, von welcher, wie ich beschwören kann, mein Herz durchaus frei war. Dies war das erstemal, daß ich einen unbestimmten Begriff von Höfen und Ministern erlangte.

Es ist zu bemerken, daß die Gesandten sich durch einen Dollmetscher mit mir unterhielten, denn die Sprachen beider Reiche sind so sehr von einander verschieden, wie dies bei mehreren der europäischen der Fall ist. Jede Nation ist auf das Alterthum, die Schönheit, die Kraft ihrer eigenen Sprache stolz und verachtet die ihrer Nachbarn. Unser Kaiser jedoch benutzte den Vortheil, welchen ihm die Wegnahme der Flotte gewährte, zwang die Gesandten, ihre Creditivschreiben abzugeben und ihre Reden im Lilliputischen zu halten. Auch muß ich gestehen, daß die meisten Personen von Stande, daß Kaufleute und Matrosen, kurz alle, die an den Küsten wohnen, sich in beiden Sprachen ausdrücken können. Der Grund liegt in der großen Handelsverbindung beider Staaten, in der fortwährenden Aufnahme der Verbannten beider Reiche, die gegenseitig ist, in der herrschenden Gewohnheit, junge Männer von Adel und Vermögen in das andere Reich hinüberzusenden, damit sie durch Kenntniß der Welt, der Menschen und Sitten ihre äußeren Formen ausbilden. Die erwähnte gegenseitige Sprachkenntniß bemerkte ich einige Wochen später, als ich dem Kaiser von Blefuscu meine Aufwartung machte, ein Umstand, der sich inmitten meines Unglücks, welches durch die Bosheit meiner Feinde bewirkt war, als ein höchst glückliches Ereigniß erwies, wovon ich an gehöriger Stelle Bericht erstatten werde.

Der Leser wird sich erinnern, daß ich mit einigen Artikeln unzufrieden war, unter denen ich meine Freiheit wieder erlangte. Mir mißfiel darin, daß sie zu sclavisch waren, allein ich war durch Noth gezwungen mich zu fügen. Da ich nun jetzt ein Nardac des Reiches vom höchsten Range war, so wurden sie als meiner jetzigen Würde widerstrebend betrachtet, und der Kaiser (diese Gerechtigkeit muß ich ihm widerfahren lassen) erwähnte sie nie in meiner Gegenwart. Bald darauf hatte ich auch noch Gelegenheit Seiner Majestät einen in meiner Meinung sehr bedeutenden Dienst zu erweisen. Ich ward plötzlich um Mitternacht durch das Geschrei mehrerer Hunderte vor meiner Thüre aufgeweckt und gerieth wirklich in Schrecken. Ich hörte das Wort Burglum unaufhörlich wiederholt; mehrere Hofleute des Kaisers drängten sich durch den Menschenhaufen und baten mich, sogleich zum Palaste zu kommen, wo in den Zimmern Ihrer Majestät der Kaiserin durch die Sorglosigkeit einer Ehrendame eine Feuersbrunst ausgebrochen war. (Diese hatte nämlich einen Roman im Bette gelesen und war dabei eingeschlafen.) Sogleich sprang ich auf; Befehl wurde ertheilt, mir aus dem Wege zu gehen. Da nun auch der Mond gerade schien, bemühte ich mich zum Palaste zu gelangen, ohne die Menschen zu zertreten. Wie ich fand, hatte man schon Leitern an die Gemächer angelegt und sich mit Feuereimern zur Genüge versehen, allein das Wasser war von dem Orte der Feuersbrunst nicht wenig entfernt. Die Eimer waren von der Größe eines starken Fingerhuts, und die armen Leute lieferten mir so viel und so schnell, wie es ihnen nur möglich war, allein die Flamme war so heftig, daß dies nicht viel half. Ich würde das Feuer mit meinem Rock leicht erstickt haben, allein unglücklicher Weise trug ich nur mein ledern Wamms.

Der Fall schien verzweifelt und beklagenswerth und der prächtige Palast würde unfehlbar niedergebrannt seyn, hätte ich nicht plötzlich Geistesgegenwart gezeigt, wie sie mir sonst nicht gewöhnlich ist. Am Abend zuvor hatte ich sehr viel von einem köstlichen Weine, mit Namen Glimgum, getrunken (die Blefuscuer nennen ihn Flemei, aber man hält unsere Sorte für die bessere), welcher sehr diuretisch wirkt. Höchstglücklicher Weise nun hatte ich mich noch gar nicht entledigt. Die Hitze, der ich mich aussetzte, indem ich nahe an die Flamme trat und sie zu löschen suchte, bewirkte, daß der Wein auf die Urinorgane Einfluß äußerte; ich entledigte dieselben von einer solchen Masse, die ich auch auf die passendsten Orte geschickt hinrichtete, daß die Feuersbrunst in drei Minuten gelöscht, und jener schöne Palast, dessen Bau so viele Menschenalter erfordert hatte, von gänzlicher Zerstörung errettet ward.

Der Tag war angebrochen, und ich kehrte in meine Wohnung zurück, ohne dem Kaiser meinen Glückwunsch abzustatten, weil ich nicht wissen konnte, wie Seine Majestät den erwiesenen Dienst aufnehmen würde, obgleich derselbe von der ausgezeichnetsten Art war. Durch die Grundgesetze des Reiches wird nämlich jedem, ohne Rücksicht des Standes, die Todesstrafe bestimmt, der innerhalb der Palastmauern sich auf die erwähnte Weise entledigt. Zwar beruhigte mich wieder eine Botschaft Seiner Majestät, Er werde Seinem Justizminister Befehl ertheilen, mir eine Verzeihungsurkunde in aller Form ausfertigen zu lassen. Diese konnte ich jedoch nicht erhalten; man machte mir die vertraute Mittheilung, die Kaiserin habe den furchtbarsten Schauder über meine That empfunden, habe sich in die entferntesten Gemächer des Palastes begeben und den festen Entschluß gefaßt, nie sollten ihre früheren Zimmer zu ihrem Gebrauche wieder ausgebessert werden. Sie konnte es nicht unterlassen, in Gegenwart ihrer vertrauten Hofdamen, mir furchtbare Rache zu schwören.

Kapitel 6


Kapitel 6 Über die Einwohner von Lilliput. Ihre Wissenschaften, Gesetze und Gewohnheiten. Ihre Erziehungsmethode. Des Verfassers Lebensart in diesem Lande. Seine Rechtfertigung einer hohen Dame.

Obgleich ich die Beschreibung des Reiches Lilliput in einer besondern Abhandlung mir vorbehalte, will ich indessen der Neugier des Lesers in soweit nachgeben, daß ich ihm einige allgemeine Bemerkungen über dasselbe hier mittheile. Sowie die gewöhnliche Größe der Eingeborenen etwas weniger als sechs Zoll beträgt, ebenso herrscht dasselbe Verhältniß auch bei den übrigen Thieren, Pflanzen und Bäumen.

Die größten Pferde und Ochsen sind z.B. vier bis fünf Zoll hoch, die Schaafe ungefähr anderthalb Zoll, die Gänse so groß wie ein Sperling, und in solcher Reihenfolge geht es abwärts bis ich die Gegenstände nicht mehr erkennen konnte. Die Natur hat jedoch die Augen der Lilliputer so geschaffen, daß sie alles dies genau, wenn auch nur in geringer Entfernung, erblicken können. Um die Schärfe ihres Gesichts in der Nähe zu zeigen, führe ich hier nur an, daß ich einen Koch gesehen habe, welcher eine Lerche, die nicht größer wie eine Fliege war, rupfte, und ein junges Mädchen, welches einen unsichtbaren Seidenfaden in eine unsichtbare Nadel einfädelte.

Ihre größten Bäume sind ungefähr sieben Fuß hoch; ich meine einige im königlichen Park, deren Gipfel ich mit der Hand ergreifen und den ich alsdann mit meinen Fingern umbiegen konnte. Die andern Pflanzen zeigen dasselbe Verhältniß. Dieses überlasse ich jedoch der Einbildungskraft des Lesers.

Von ihrer Gelehrsamkeit, welche viele Menschenalter bei ihnen geblüht hat, will ich hier nichts reden. Ihre Art der Schrift ist aber sehr sonderbar; sie schreiben weder wie die Europäer, von der Linken zur Rechten, noch von der Rechten zur Linken, wie die Araber, noch von oben nach unten, wie die Chinesen, sondern quer über das Papier, von einer Ecke des Bogens zur andern, wie die englischen Damen.

Die Todten begraben sie in der Art, daß sie dieselben mit dem Kopfe in’s Grab senken. Sie sind nämlich der Meinung, nach elfhundert Monaten würden sie sämmtlich wieder auferstehen; zu dieser Zeit werde die Erde, die sie sich als flach vorstellen, sich kopfüber, kopfunter kehren, und somit würden sie bei ihrer Auferstehung wieder auf die Füße zu stehen kommen. Die Gelehrten unter ihnen haben schon längst die Abgeschmacktheit dieser Meinung dargethan, allein die Sitte bleibt, um der Meinung des Volkes sich zu fügen.

Einige Gewohnheiten und Gesetze dieses Reiches sind von sehr besonderer Art; wären sie nicht denen meines eigenen theuersten Vaterlandes durchaus entgegengesetzt, so würde ich es versuchen, Etwas zu ihrer Rechtfertigung zu sagen. Nur wäre zu wünschen, daß man sie sämmtlich ausführte. Das erste, welches ich anführen will, betrifft Denunzianten und Spione. Alle Verbrechen gegen den Staat werden hier mit der größten Strenge bestraft. Ergibt sich aber die Unschuld des Beklagten aus dem Proceß, so wird der Denunziant sogleich auf schmachvolle Weise hingerichtet. Der Unschuldige erhält aber Entschädigung aus den Gütern und Ländereien seines Angebers für den Verlust seiner Zeit, für die Gefahr, in der er schwebte, für die Leiden seiner Gefangenschaft, für alle Kosten, die ihm durch seine Vertheidigung veranlaßt wurden. Ist das Vermögen des Denunzianten nicht genügend, so zahlt die Krone genügende Entschädigung. Der Kaiser erweist ihm auch eine öffentliche Gnadenbezeugung, und in der ganzen Hauptstadt wird seine Unschuld durch Proklamation verkündet.

Betrug wird als ein größeres Verbrechen wie Diebstahl behandelt, und deßhalb in der Regel mit dem Tode bestraft. Die Lilliputer sind nämlich der Meinung, gehörige Sorgfalt und sehr gewöhnlicher Menschenverstand könne das Eigenthum vor Dieben verwahren, dagegen besäßen ehrliche Leute keinen Schutz gegen die überlegene List der Betrüger; da ein fortwährender Verkehr des Kaufens und Verkaufens, sowie des Handels auf Credit einmal nothwendig sey, werde der ehrliche Mann betrogen und der Schurke sey im Vortheil, sobald Betrügerei erlaubt oder befördert werde, oder wo sich keine Gesetze zur Bestrafung derselben vorfinden. Wie ich mich erinnere, legte ich einst bei dem Kaiser Fürbitte für einen Verbrecher ein, welcher seinen Herrn um eine große Geldsumme betrogen hatte, die er im Auftrage desselben erhalten, allein für sich behielt und damit entfloh. Als ich nun dem Kaiser zufällig sagte, dies sey nur ein Mißbrauch des Vertrauens, erwiderte er tadelnd, es sey schändlich, den höchsten Grad des Verbrechens vertheidigen zu wollen. Hierauf konnte ich auch wirklich keine andere Antwort geben, als das gemeine Sprüchwort: ländlich, sittlich. Ich muß gestehen, daß ich mich herzlich schämte.

Obgleich wir Belohnung und Strafe die zwei Angeln zu nennen pflegen, auf denen sich jede Regierung bewegt, so habe ich doch diesen Grundsatz bei keiner Nation, mit Ausnahme der Lilliput’schen, ausüben sehen. Jeder, welcher den Beweis vorbringen kann, daß er die Landesgesetze dreiundsiebenzig Monate lang mit größter Strenge befolgt hat, erhält einen Anspruch auf gewisse Privilegien, je nach seinem Stande und Lebensverhältniß, zugleich eine besondere Geldsumme, die aus einem besondern Fond genommen wird. Ferner erhält er den Titel Frillnall, oder der Gesetzliche, der seinem Namen vorgesetzt, jedoch auf seine Descendenzen nicht vererbt wird. Die Lilliputer hielten es auch für einen außerordentlichen Mangel unserer Staatsverfassung, als ich ihnen sagte, die Befolgung unserer Gesetze werde allein durch Strafen erzwungen, ohne daß von irgend einer Belohnung die Rede sey. Mit Rücksicht auf die erwähnte Sitte wird die Gerechtigkeit in ihrenGerichtshöfen mit sechs Augen abgebildet, zwei vorne und hinten, und einem an jeder Seite, um die Vorsicht anzudeuten; sie hält ferner einen Beutel voll Gold mit der rechten, und ein Schwert in der Scheide mit der linken Hand, um anzudeuten, sie sey mehr zur Belohnung wie zur Strafe geneigt.

Bei der Besetzung der Aemter nehmen sie mehr Rücksicht auf gute Sitten, als auf Fähigkeiten. Sie glauben, da eine Regierung für die Menschen einmal nothwendig sey, eigne sich auch das gewöhnliche Maaß des Verstandes für eine oder die andere Stellung im Leben; die Vorsehung habe die Behandlung der Staatsangelegenheiten zu keinem Geheimniß gemacht, welches nur von wenigen Personen mit höheren Geistesgaben verstanden werden könne; von solchen Menschen werden außerdem immer nur wenige in jedem Menschenalter geboren. Dagegen hegen sie die Meinung, Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit, Mäßigung und andere Tugenden könnten von jedem Menschen ausgeübt werden. Sey Erfahrung und gute Absicht damit verbunden, so eigne sich ein Jeder für den Dienst seines Vaterlandes, mit Ausnahme derjenigen Geschäfte, wo eine gewisse Uebung erforderlich ist. Dagegen könne der Mangel moralischer Tugenden durch überlegene Geistesgaben so wenig ersetzt werden, daß kein Amt so gefährlichen Händen anvertraut werden dürfe; die durch Unwissenheit bewirkten Versehen würden bei tugendhaftem Charakter im Allgemeinen nie so gefährlich werden, wie die Schliche derjenigen, welche durch böse Neigungen zur Verderbniß geführt werden, und Geisteskräfte besitzen, dieselben zu vervielfachen, zu benutzen und zu beschönigen.

In gleicher Art wird durch den Unglauben an eine göttliche Vorsehung Unfähigkeit bewirkt, ein öffentliches Amt zu verwalten. Die Lilliputer glauben nämlich, Nichts könne abgeschmackter seyn, als daß Fürsten, welche sich für die Repräsentanten der Gottheit halten, Leute zu ihrem Dienst verwenden, welche die Macht in Zweifel ziehen, worauf ihre eigene beruht.

Indem ich diese und die folgenden Gesetze anführe, habe ich nur die ursprünglichen Einrichtungen im Auge, nicht aber die schmählichste Verdorbenheit, in welche dieses Volk wegen der so leicht entarteten Natur der Menschen versunken ist. Denn was jene schmachvolle Sitte betrifft, die höchsten Staatsämter durch Seiltanzen oder Gunstbezeugungen und Auszeichnungen durch das Springen über den Stock und das Untendurchkriechen zu erwerben, so muß der Leser im Auge haben, daß sie zuerst von dem Großvater des jetzt regierenden Kaisers eingeführt wurden, und durch das allmählige Steigen des Faktionsgeistes zur jetzigen Höhe gediehen sind.

Undankbarkeit wird für ein Verbrechen gehalten, welches den Tod verdient. Die Lilliputer begründen dieses Verfahren durch folgende Schlußfolge: »Wer gegen seinen Wohlthäter sich undankbar beweist, muß ein allgemeiner Feind der übrigen Menschen seyn, von denen er keine Wohlthaten erlangt hat, deßhalb ist es nicht zweckmäßig, ihn am Leben zu lassen.«

Die Begriffe von den gegenseitigen Pflichten der Eltern und Kinder sind gänzlich von den unsrigen verschieden. Da nämlich die Verbindung der Männer und Weiber, wie bei allen Thiergeschlechtern, auf Naturgesetzen beruht, behaupten sie durchaus, daß Männer und Frauen nur deßhalb sich vereinigen; die Zärtlichkeit gegen die Jungen folge aus demselben Grundsatz; deßhalb wollen sie nicht zugestehen, ein Kind sey für sein Daseyn den Eltern verpflichtet, welches ohnedies wegen des menschlichen Elends keine Wohlthat sey; auch bezweckten die Eltern keine Wohlthat, sondern dächten an ganz andere Dinge bei ihren verliebten Zusammenkünften. Wegen dieser und anderer Schlußfolgen sind sie der Meinung, Eltern dürfe man am wenigsten unter allen Menschen die Erziehung der Kinder anvertrauen. Deßhalb befinden sich in jeder Stadt öffentliche Pensionsanstalten, wohin alle Eltern, mit Ausnahme der ärmern Bauern und Taglöhner, ihre Kinder senden müssen, damit diese dort nach dem Alter von zwanzig Monaten erzogen werden, denn es wird angenommen, daß sie um diese Zeit bereits Anlagen zum Lernen besitzen. Die Schulen sind verschiedener Art und nach den Eigenschaften und Geschlechtern der Zöglinge geschieden. Geschickte Lehrer erziehen die Kinder zu dem Lebensverhältniß, wozu sie durch den Stand ihrer Eltern, durch ihre Fähigkeiten und Neigungen sich eignen. Zuerst werde ich hier einiges über die männlichen und dann über die weiblichen Erziehungs-Anstalten berichten.

Die Unterrichts-Anstalten für Knaben von hoher und ausgezeichneter Geburt sind mit berühmten und gelehrten Professoren und Unterlehrern versehen. Kleidung, so wie Nahrung der Kinder, sind höchst einfach. Sie werden in den Grundsätzen der Ehre und Gerechtigkeit, des Muthes, der Keuschheit, Milde, Religion und Vaterlandsliebe erzogen. Sie sind stets beschäftigt, nur nicht während des Essens und Schlafens, wofür jedoch nur eine knappe Zeit bestimmt ist, und während zwei Erholungsstunden, die zu körperlichen Uebungen verwendet werden. Bis sie das vierte Jahr erreicht haben, werden sie von Männern angekleidet, müssen aber nach dieser Zeit ihre Kleider selbst anlegen, wie hohen Standes sie auch seyn mögen. Das weibliche Gesinde, welches in einem Alter ist, das dem unsrigen von fünfzig Jahren entspricht, verrichtet allein die niedersten Dienste. Die Knaben dürfen sich mit den Dienern nicht unterhalten; sie dürfen ferner nur in kleinerer oder größerer Anzahl unter der Aufsicht eines Lehrers zu ihren Vergnügungen ausgehen, welche in körperlichen Uebungen bestehen. Deßhalb erhalten sie nie die frühen schlimmen Eindrücke der Thorheit und des Lasters, denen unsere Kinder ausgesetzt sind. Die Eltern dürfen ihre Söhne nur zweimal im Jahre sehen; der Besuch dauert dann nur eine Stunde; es ist ihnen erlaubt, ihre Kinder beim Ankommen und Scheiden zu küssen; allein ein Lehrer, der immer bei diesen Gelegenheiten gegenwärtig ist, leidet nicht, daß sie flüstern oder zärtliche Ausdrücke gebrauchen, und Geschenke an Spielzeug, Zuckerwerk und dergleichen überbringen. Die für Erziehung und Ernährung eines jeden Kindes schuldige Summe wird, sobald die Zahlung ausbleibt, von den Beamten des Kaisers erhoben.

Die Erziehungs-Anstalten für Kinder aus den mittleren Ständen, von Kaufleuten, Kleinhändlern, Handwerkern, sind verhältnißmäßig in derselben Art eingerichtet. Nur werden diejenigen, welche jenen Geschäften sich widmen wollen, schon mit elf Jahren in die Lehre gegeben, während die Kinder aus höheren Ständen ihre Studien bis zum fünfzehnten Jahre fortsetzen, welches nach unseren Verhältnissen dem einundzwanzigsten entspricht. In den letzten drei Jahren wird jedoch die Abgeschlossenheit allmählig vermindert.

In den weiblichen Erziehungs-Anstalten werden die jungen Mädchen von Stande in ähnlicher Weise, wie die Knaben, erzogen; nur haben sie zur Ankleidung weibliche Dienerschaft; die jedoch stets in Beiseyn eines Lehrers ihr Geschäft verrichtet. Mit dem fünften Jahre müssen sie sich selbst ankleiden. Bemerkt man, daß diese Mägde es jemals wagen, die Mädchen mit furchtbaren oder albernen Geschichten, oder mit den bei uns gewöhnlichen Thorheiten der Kammermädchen zu unterhalten, so werden sie öffentlich dreimal durch die Stadt gepeitscht, ein Jahr in’s Gefängniß gesperrt und alsdann in den entferntesten und ödesten Theil des Landes verbannt. Aus diesem Grunde verachten die jungen Damen, ebenso wie die Männer, feig und albern zu erscheinen; sie verschmähen persönlichen Schmuck, der über Anstand und Reinlichkeit hinausgeht. Auch habe ich keinen großen Unterschied der Erziehung, in Betreff der Geschlechtsverschiedenheit, bemerkt, als daß bei den körperlichen Uebungen der Mädchen nicht auf dieselbe Körperkraft gerechnet wird, daß ihnen besondere Lehren hinsichtlich des häuslichen Lebens ertheilt werden, und daß man auf sie gewisse Ansprüche in Betreff der Gelehrsamkeit macht. Die Lilliputer verfahren nämlich nach dem Grundsatze, bei Leuten von Stande müsse die Gemahlin eine vernünftige und angenehme Gesellschafterin seyn, weil sie nicht immer jung bleiben könne. Haben die Mädchen das zwölfte Jahr erreicht, welches in Lilliput als das zur Heirath fähige Alter gilt, so werden sie von Eltern oder Vormündern nach Hause gebracht, wobei die größte Dankbarkeit gegen die Lehrer ausgesprochen wird. Diese Trennung geschieht selten ohne die Thränen der jungen Dame oder ihrer Gesellschafterinnen.

In den weiblichen Erziehungs-Anstalten für geringere Stände werden die Kinder in jeder Arbeit, die sich für ihr Geschlecht und ihre verschiedene Lage eignet, unterrichtet; diejenigen, welche in die Lehre gegeben werden, entläßt man mit dem siebenten Jahre, die andern im elften.

Die ärmeren Familien, deren Kinder sich in diesen Erziehungs-Anstalten befinden, müssen ausser dem jährlichen Kostgelde, welches sehr unbedeutend ist, einen kleinen Theil ihrer monatlichen Einkünfte, welcher zu ihrer späteren Ausstattung bestimmt ist, dem Verwalter einhändigen. Deßhalb sind auch die Ausgaben aller Eltern durch das Gesetz beschränkt. Die Lilliputer glauben nämlich, keine Handlung sey ungerechter, als die Erzeugung von Kindern, wenn die Eltern die Last der Erziehung auf das Publikum wälzen wollen. Leute von Stande geben Bürgschaft für eine bestimmte und ihrem Verhältniß angemessene Summe als Eigenthum des Kindes, und das Kapital wird stets mit Sparsamkeit und der genauesten Gerechtigkeit verwaltet.

Die ärmeren Bauern und Taglöhner behalten ihre Kinder zu Hause; da ihr einziges Geschäft im Pflügen und andern Theilen des Landbaues besteht, so ist ihre Erziehung von keiner großen Wichtigkeit für das Publikum.

Dem neugierigen Leser werde ich vielleicht Unterhaltung gewähren, wenn ich ihm einen Bericht von meinen häuslichen Angelegenheiten und von der Lebensart gebe, die ich in diesem Lande während meines Aufenthalts von neun Monaten und dreizehn Tagen führte. Da ich Anlagen zu mechanischen Arbeiten besitze, und auch zugleich durch die Noth dazu gezwungen wurde, machte ich mir aus den größten Bäumen des Parks einen ziemlich bequemen Stuhl und einen Tisch. Zweihundert Näherinnen waren damit beschäftigt, mir Hemden, sowie Bett- und Taschentücher zu verfertigen, und zwar von der rauhesten und stärksten Leinwand, die sie sich verschaffen konnten. Dennoch waren sie genöthigt, dieselbe in mehreren Falten zu steppen, denn die dickste Leinwand war bedeutend feiner wie Gaze. Die lilliput’sche Leinwand ist gewöhnlich drei Zoll breit, und drei Fuß bilden ein Stück. Die Näherinnen nahmen mir das Maaß, als ich auf dem Boden lag; die eine stand an meinem Halse, die andere an meinen Knien, beide hielten eine lange Schnur straff angespannt, während eine dritte mit einem Maaßstab, von einem Zoll Länge, die Ausdehnung des Stückes ergründete; alsdann nahmen sie das Maaß meines rechten Daumens auf und verlangten dann nichts weiter, denn durch eine mathematische Berechnung ward erwiesen, das zweifache Maaß des Daumens sey das der Faust, und dasselbe Verhältniß gelte in Betreff des Halses und des Bauches; ferner nahmen sie auch durch den Vergleich ihrer Berechnung mit meinem alten Hemde, das ich als Muster auf den Boden hin ausbreitete, mir selbst ganz genau das Maaß. Dreihundert Schneider wurden in derselben Art beschäftigt. Diese verfuhren aber auf andere Art, als sie mir das Maaß nahmen. Ich kniete nieder und sie setzten eine Leiter vom Boden an meinen Hals. Einer stieg hinauf und ließ von meinem Halskragen eine mit Blei versehene Schnur auf den Boden hängen, welche gerade der Länge meines Rockes entsprach; alsdann nahm ich selbst das Maaß der Arme und meiner Breite. Als meine Kleider in meiner Wohnung verfertigt waren (denn das größte Haus der Lilliputer hätte sie nicht fassen können), glichen sie den aus Stückwerk zusammengesetzten Teppichen, welche die Damen in England verfertigen.

Dreihundert Köche bereiteten meine Nahrung in kleinen, bei meinem Hause erbauten und bequemen Hütten, wo sie mit ihren Familien wohnten. Jeder Koch lieferte mir zwei Gerichte, zwanzig Bediente hob ich mit meiner Hand auf den Tisch; hundert andere standen auf dem Boden, einige mit Fleischgerichten, andere mit Fässern voll Wein und Likören. Alles dies wanden die Bedienten nach meinem Bedürfniß auf sehr sinnreiche Weise mit Stricken, wie wir in Europa die Wassereimer, hinauf. Jedes Fleischgericht gab einen Mund voll und ein Weinfaß einen guten Schluck. Das lilliputische Hammelfleisch ist nicht so gut wie das unsrige, allein ihr Rindfleisch ist ausgezeichnet. Ich habe einst eine so große Rindskeule gegessen, daß ich sie nur in drei Bissen verzehren konnte. Meine Bedienten erschracken, als sie sahen, wie ich sie mit Knochen und Allem, etwa wie man bei uns einen Lerchenflügel ißt, mit einemmale zerkaute. Gänse und Truthühner steckte ich auf einmal in den Mund, und ich muß gestehen, sie sind vorzüglicher, wie die unsrigen. Von ihrem kleinen Geflügel konnte ich zwanzig bis dreißig auf einmal mit meinem Messer spießen. Seine kaiserliche Majestät, die von meiner Art zu essen gehört hatte, erwies mir eines Tages mit Seiner königlichen Gemahlin und den Kindern von Geblüt beider Geschlechter, die hohe Gnade, daß Höchstdieselbe ihren Wunsch mir verkünden ließ, wie sie sich herablassend ausdrückte, mit mir zu Mittag zu speisen. Sie erschienen und ich setzte sie in den Staatsstühlen mit ihren Garden auf den Tisch, und zwar mir gerade gegenüber.Flimnap, der Finanzminister, war auch mit seinem weißen Stabe gegenwärtig, und ich bemerkte, daß er mich oft mit einem verdrießlichen Gesichte ansah; ich stellte mich jedoch, als ob ich dies nicht bemerkte, sondern aß nun, meinem theuren Vaterlande Ehre zu machen, zugleich auch um den Hof in Erstaunen zu versetzen, sogar noch mehr als gewöhnlich. Ich habe besondere Gründe zu der Vermuthung, daß dieser Besuch Ihrer Majestäten Flimnap Gelegenheit gab, mir schlimme Dienste bei seinem Herrn zu erweisen. Dieser Minister war stets mein Feind gewesen, obgleich er mir äußerlich mehr Liebkosungen erwies, als bei seiner mürrischen Gemüthsart sonst gewöhnlich war. Er machte dem Kaiser Vorstellungen über den schlimmen Zustand seiner Finanzen; er werde gezwungen seyn, Geld mit bedeutendem Diskonto aufzunehmen; Staats-Schuldscheine würden nur zu neun Procent unter der Nominalsumme circuliren können; ich habe Seine Majestät bereits anderthalb Millionen Sprugs gekostet (dieses ist die größte lilliputt’sche Goldmünze, ungefähr von der Dicke einer Goldflitter); kurz, es sey anzurathen, daß Seine Majestät die erste passende Gelegenheit benutze, sich meiner zu entledigen.

Hier muß ich den Ruf einer ausgezeichneten Dame rechtfertigen, die wegen meiner viel Leid hat erdulden müssen. Der Finanzminister kam auf den Einfall, eifersüchtig zu werden, und zwar wegen der Bosheit giftiger Zungen, welche ihm hinterbrachten, Ihre Gnaden leide an heftiger Liebe zu meiner geringfügigen Person. Bei Hofe circulirte ferner eine Klatscherei, sie sey allein in meine Wohnung gekommen. Dieses erkläre ich für eine schändliche, gänzlich unbegründete Lüge; Ihre Gnaden hatte allein die Güte, mir unschuldige Beweise der Freundschaft zu erzeigen. Ich muß eingestehen, daß sie öfter in mein Haus kam, allein stets öffentlich und mit der Gesellschaft von drei anderen Damen in ihrer Kutsche, nämlich mit ihrer Schwester, Tochter und einer besonderen Freundin. Dies Verfahren war auch ganz gewöhnlich bei anderen Damen des Hofes. Auch berufe ich mich auf alle meine Diener, welche sämmtlich bestätigen müssen, daß sie nie vor meiner Thüre eine Kutsche sahen, ohne zugleich die Namen der Personen zu erfahren, welche sich darin befanden. Bei diesen Gelegenheiten pflegte ich mich sogleich zur Thüre zu begeben, sobald mein Bedienter mich davon benachrichtigt hatte. Nach einer höflichen Begrüßung nahm ich alsdann die Kutsche mit den zwei Pferden auf meine Hand (war nämlich die Kutsche sechsspännig vorgefahren, so wurden vier Pferde vom Postillion ausgespannt) und stellte dieselbe auf den Tisch, den ich mit einem fünf Zoll hohen Rahmen, um Unglück zu verhüten, umringt hatte. So standen oftmals vier Kutschen auf einmal mit ihren Pferden auf dem Tische. Ich saß auf meinem Stuhle und lehnte mein Gesicht zu den Kutschen hin. Während ich mich mit einer Gesellschaft unterhielt, pflegten die Kutscher die andern Carrossen auf meinem Tische herumzufahren. Manchen Nachmittag habe ich sehr angenehm in solchem Gespräche zugebracht. Allein ich fordere den Finanzminister oder seine zwei Spione (ich will sie zu ihrer Schande nur nennen), Clustril und Drunlo, zu dem Beweise auf, ob irgend Jemand incognito zu mir gekommen ist, mit Ausnahme des Sekretärs Redresal, welcher auf besondern Befehl Seiner kaiserlichen Majestät abgesandt wurde, wie ich zuvor erzählt habe. Ich würde bei diesem Umstande nicht so lange verweilen, wäre dergute Ruf einer hohen Dame, von meinem eigenen abgesehen, nicht dadurch in Frage gestellt worden.

Ferner hatte ich die Ehre, im Range höher als der Finanzminister zu stehen, denn ich war Nardac, und die Welt weiß, daß er nur ein Glumglum ist, ein Titel, der, um einen Grad niedriger, sich zu ersterem so verhält, wie der Marquis zum Herzoge in England. Doch muß ich eingestehen, daß er vermöge seines Amtes über mir stand; jene falschen Angebereien, die ich nachher durch einen Umstand erfuhr, den ich schicklicher Weise nicht erwähnen darf, hatten zur Folge, daß der Finanzminister einige Zeit lang seiner Gemahlin verdrießliche und mir dagegen grimmige Gesichter schnitt. Obgleich es nun auch der erlauchten Dame gelang, ihm seinen Verdacht zu benehmen und sich mit ihm auszusöhnen, so verlor ich dennoch all sein Zutrauen, und fand auch bald, daß mein Einfluß beim Kaiser sich verminderte, welcher wirklich von diesem Günstling zu sehr sich leiten ließ.

Kapitel 7


Kapitel 7 Der Verfasser erfährt den Plan, ihn wegen Hochverraths in Anklagezustand zu versetzen und flieht nach Blefuscu. Seine dortige Aufnahme.

Auch halte ich es nicht für unpassend, bevor ich dem Leser meine Abreise berichte, einer besondern Cabale zu erwähnen, womit man schon seit zwei Monaten umging. Dieselbe war gegen mein Leben gerichtet. Bis dahin war ich wegen der Niedrigkeit meines Standes dem Hofleben gänzlich fremd geblieben. Zwar hatte ich von den Charakteren großer Fürsten und Minister genug gelesen und gehört, erwartete jedoch nie so furchtbare Erfahrungen von den Wirkungen derselben in einem so fernen Lande zu machen, welches nach Grundsätzen regiert wird, die von denen der europäischen Staaten gänzlich abweichen.

Als ich gerade Vorbereitungen traf, dem Kaiser von Blefuscu meine Aufwartung zu machen, kam ein bei Hofe einflußreicher Herr (dem ich früher in einem Zeitpunkte Dienste erwiesen hatte, wo derselbe sich in höchster Ungnade des Kaisers befand) auf verstecktem Wege, zur Nachtzeit und in einer Sänfte in meine Wohnung, und bat um eine augenblickliche Unterredung, ohne mir seinen Namen ankündigen zu lassen. Die Sänfteträger wurden entlassen; ich steckte die Sänfte, worin sich Seine Lordschaft befand, in meine Rocktasche, befahl einem vertrauten Diener, den übrigen zu sagen, ich sey krank und habe mich schlafen gelegt, verschloß meine Hausthüre, stellte die Sänfte nach meiner Gewohnheit auf den Tisch und setzte mich vor dieselbe hin. Nach den gewöhnlichen Begrüßungen bemerkte ich in dem Antlitz Seiner Lordschaft eine heftige Unruhe. Als ich nach der Ursache fragte, sprach der Lord den Wunsch aus, ich möchte ihn in einer Angelegenheit, die mein Leben und meine Ehre im höchsten Grade bedrohe, geduldig anhören. Seine Rede kann ich ziemlich genau wiederholen, denn sobald er fort war, schrieb ich die Hauptpunkte derselben nieder. Er begann:

Erfahren Sie von mir, daß seit Kurzem der Ausschuß des Geheimenraths zu besondern Versammlungen ihrethalben berufen wurde; schon seit zwei Tagen hat Seine Majestät einen bestimmten Entschluß gefaßt.

Es ist Ihnen nicht unbekannt, daß Skyresh Bolgolam (Galbet oder Großadmiral) seit Ihrer Ankunft Ihr tödtlichster Feind gewesen ist. Die ursprünglichen Gründe kann ich Ihnen nicht berichten, sein Haß hat sich aber durch Ihr Glück im Kriege gegen Blefuscu vermehrt, wodurch sein eigener Ruhm, als Admiral, sehr geschmälert wurde. Dieser Würdenträger des Reichs, so wie auch Flimnap, der Finanzminister und Großschatzmeister, dessen Feindschaft gegen Sie, wegen seiner Gemahlin, bekannt ist, der General Limtock, der Kammerherr Lalcon und Balmaff, der Großkanzler und Justizminister, haben die Artikel einer Anklage auf Hochverrath und andere Kapitalverbrechen gegen Sie aufgesetzt. Diese Vorrede machte mich so heftig, daß ich den Redner unterbrechen wollte, denn ich war mir meiner Verdienste und meiner Unschuld zu sehr bewußt. Er bat mich jedoch zu schweigen und setzte seine Rede in folgender Weise fort:

Aus Dankbarkeit für die Gefälligkeiten, die Sie mir erwiesen, habe ich mir genaue Nachricht vom ganzen Verfahren und eine Abschrift der Artikel verschafft; um Ihnen zu dienen, wage ich jetzt meinen Kopf.

Artikel der Anklage gegen Quinbus Flestrin den Bergmenschen.

Obgleich es durch ein Reichsgesetz aus der Regierung Seiner kaiserlichen Majestät Calin Deffar Plunebestimmt und beschlossen ist, daß jeglicher, welcher seine Blase innerhalb der Ringmauern des kaiserlichen Palastes erleichtert, den Strafen und Folgen des Hochverraths anheimfällt, so hat besagter Quinbus Flestrinnichts destoweniger besagtes Gesetz öfter gebrochen, und unter dem Vorwand, eine Feuersbrunst in den Gemächern der theuersten, geliebtesten Gemahlin Seiner Majestät zu löschen, höchst boshaft, teuflisch und verrätherisch durch das Entladen seines Urins besagte Feuersbrunst in besagten Gemächern wirklich gelöscht, welche in den Ringmauern des kaiserlichen Palastes liegen und sich befinden, gegen das in besagtem Statut erlassene Verbot u. s. w., gegen die Pflichten u. s. w.« [Fußnote]

Als besagter Quinbus Flestrin die kaiserliche Flotte von Blefuscu in den kaiserlichen Hafen von Lilliput gebracht hatte, und ihm von Seiner kaiserlichen Majestät geboten ward, alle übrigen Schiffe des besagten Kaisers von Blefuscu, mit Segeln, Mastbäumen u. s. w. zu erobern, genanntes Reich in eine unterworfene Provinz zu verwandeln, welche in Zukunft durch einen Vicekönig unserer Nation regiert werden solle, ferner, nicht allein diebreitendigen Verbannten, sondern gleicherweise alle Einwohner jenes Reiches, welche die breitendige Ketzerei nicht sogleich aufgeben, zu vernichten, zu zerstören und zu tödten; hat Er, besagter Quinbus Flestrin, wie ein falscher Verräther gegen seine Allergnädigste, Durchlauchtigste, Kaiserliche Majestät eine Bittschrift eingereicht, jenes Dienstes entbunden zu werden, unter Vorwand, den Gewissenszwang zu vermeiden, sowie die Freiheit und das Leben eines unthätigen Volkes nicht zu vernichten.

Als ferner gewisse Gesandte des Hofes von Blefuscu am Hofe seiner Majestät, um Frieden bittend, anlangten, hat Er, besagter Quinbus Flestrin, als Falscher und Verräther, denselben Hülfe angeboten, sie aufgereizt und Mittel und Wege verschafft, obgleich er wußte, der Fürst, ihr Herr, sey kürzlich offener Feind Seiner Majestät gewesen und habe offenen Krieg gegen Seine Majestät geführt.

Besagter Quinbus Flestrin trifft ferner gegenwärtig Vorbereitungen, zu einer Reise nach Blefuscu und dem Hofe dieses Reichs, und verletzt dadurch die Pflichten eines treuen Unterthanen, da er nur eine mündliche Erlaubniß von Seiner Majestät dazu erhalten hat. Unter Vorwand besagter Erlaubniß will er auf falsche und verräterische Weise jene Reise unternehmen, und dadurch den Kaiser von Blefuscu, mit dem sich Seine kaiserliche Majestät noch vor Kurzem als Feind in offenem Kriege befand, unterstützen, ermuthigen und aufreizen.

Es folgen noch einige andere Artikel, allein diejenigen welche ich Ihnen im Auszuge vorlas, sind die wichtigsten.

Jedoch muß ich eingestehen, daß Seine kaiserliche Majestät bei den Debatten über diese Anklage viele Beweise großer Milde gab, sich auf die bedeutenden Dienste berief, die Sie dem Staate erwiesen haben, und zugleich auch Ihre Schuld zu mildern suchte. Der Finanzminister und der Admiral bestanden darauf, man solle Sie eines schmerzhaften und schmachvollen Todes sterben lassen, indem man ihr Haus anzünde; der General solle mit zwanzigtausend Mann, welche mit vergifteten Pfeilen bewaffnet seyn würden, in der Nähe bereit stehen, um Ihre Hände und Ihr Gesicht zu beschießen. Ihre Diener sollten besondern Befehl erhalten, ihre Betttücher und Hemden mit Gift zu bestreuen, welches Ihr Fleisch zerrissen und Sie selbst unter den schmerzvollsten Martern würde getödtet haben. Der General trat zu derselben Meinung über; da aber Seine Majestät beschloß, wo möglich Ihr Leben zu retten, gab der Kammerherr seine Stimme in diesem Sinne.

Hierauf befahl der Kaiser dem ersten Sekretär für seine Privatangelegenheiten, Ihrem Freunde Redresal, seine Meinung ebenfalls auszusprechen. Dieser gehorchte und zeigte dabei den trefflichen Charakter, den ich immer an ihm vermuthete. Er gestand, Ihre Verbrechen seyen zwar groß, Gnade könne jedoch stattfinden, jene bei einem Fürsten so erhabene Tugend, welche bei Seiner Majestät mit so großem Rechte gepriesen werde. Die Freundschaft zwischen ihm und Ihnen sey der Welt bekannt, so daß vielleicht der höchst ehrenwerthe Rath ihn für parteiisch halte; jedoch in Folge des Befehls, den er erhalten, wolle er frei seine Gedanken aussprechen. Wenn der Kaiser in Betracht Ihrer Dienste und in Folge seiner eigenen Neigung zur Gnade, Ihr Leben verschonen und Sie bloß wolle blenden lassen, so hege er die demüthige Meinung, daß der Gerechtigkeit hiedurch genügt werde, daß ferner die ganze Welt sowohl die Milde des Kaisers, als auch das treffliche und edelmüthige Verfahren der Männer, welche die Ehre hätten, seine Rathgeber zu seyn, loben und billigen müsse. Der Verlust Ihrer Augen werde Ihre körperliche Stärke nicht vermindern, so daß Sie dem Throne dadurch noch bedeutende Dienste würden erweisen können; Blindheit sey ein Haupterforderniß des Muthes, denn es verhehle uns die Gefahren; die Furcht, Ihre Augen zu verlieren, habe Ihnen die größte Schwierigkeit bei der Wegnahme der feindlichen Flotte geboten; für Sie sey es genügend, mit den Augen der Minister zu sehen, da doch die größten Fürsten in keiner andern Weise zu sehen pflegen.

Dieser Vorschlag ward mit der größten Mißbilligung von dem ganzen Rathe vernommen. Bolgolam, der Großadmiral, konnte seinen Zorn nicht unterdrücken; er erhob sich voll Wuth und äußerte: Er könne nicht begreifen, wie der Sekretär es wage, seine Stimme dahin abzugeben, daß eines Verräthers Leben erhalten würde. Eben die von Ihnen erwiesenen Dienste, seyen aus Staatsgründen eine Erschwerung Ihrer Verbrechen; ein Mann, der, wie Sie, im Stande gewesen sey, das Feuer in den Gemächern der Kaiserin durch Urin zu löschen (eine Missethat, die er nur mit Schauder erwähne), könne zu einer andern Zeit, auf dieselbe Weise, eine Überschwemmung bewirken, und den ganzen Palast durch eine Fluth zerstören; dieselbe Körperkraft, die Sie in Stand gesetzt habe, des Feindes Flotte zu nehmen, könne Sie befähigen, im Fall der Unzufriedenheit, dieselbe wieder zurückzubringen; er habe guten Grund zu glauben, Sie seyen in ganzen ein Breitendiger, und der Verrath beginne im Herzen stets, bevor er sich in offenen Thaten äußere, und somit klage er Sie deßhalb als Verräther an, und bestehe auf Ihrer Hinrichtung.

Der Finanzminister war derselben Meinung; er erwies, in welche Verlegenheit die Verwaltung des Staatsschatzes durch die Kosten Ihrer Ernährung gekommen sey, welche in Kurzem unerträglich werden müßte; der Vorschlag des Sekretärs, Sie zu blenden, könne unmöglich diesem Uebel abhelfen. Dieses werde im Gegentheil sich noch vermehren, einen Schluß, den man aus dem Umstände ziehen könne, daß gewisse Arten von Geflügel nach der Operation des Blendens desto schneller gemästet und fett würden. Seine Majestät und der Rath, gegenwärtig Ihre Richter, seyen im Gewissen vollkommen von Ihrer Schuld überzeugt; dies sey ein genügender Grund, Sie zum Tode zu verurtheilen, obgleich es an Beweisen fehle, welche der strenge Buchstabe des Gesetzes erfordere.

Der Kaiser jedoch war bereits entschlossen, die Todesstrafe nicht stattfinden zu lassen, und hatte die Gnade, zu bemerken: da der Rath den Verlust der Augen für eine zu leichte Strafe halte, so könne man ja später auf andere Weise verfahren. Darauf bat der Sekretär, Ihr Freund, noch einmal demüthig um Gehör, um auf die Behauptung des Finanzministers, hinsichtlich der unerträglichen Kosten Ihrer Ernährung, zu antworten. Er bemerkte: Seine Excellenz, welche über das Einkommen Seiner Majestät ausschließlich zu verfügen habe, könne ja allmählig Ihre Nahrung vermindern; aus Mangel an genügenden Speisen würden Sie dadurch allmählig schwach und hinfällig werden, Ihren Appetit verlieren und in wenigen Monaten sterben können; alsdann werde auch der Gestank Ihres Leichnams nicht mehr so gefährlich seyn, denn derselbe müsse sich in dem Falle um die Hälfte vermindert haben. Sogleich nach Ihrem Tode könnten dann fünf bis sechstausend Unterthanen Ihrer Majestät das Fleisch von den Knochen schneiden, dasselbe auf Karren wegführen und in entfernteren Gegenden begraben, um ansteckende Krankheiten zu verhüten. Das Skelett würde aber der Nachwelt ein Denkmal der Bewunderung bleiben.

So wurde die ganze Sache durch die Freundschaft des Sekretärs ausgeglichen. Es ward beschlossen, der Plan, Sie zu verhungern, solle geheim bleiben, indeß das Urtheil, Sie zu blenden, wurde in das Gesetzbuch eingetragen, wobei Niemand widersprach, als Bolgolam, der Admiral; dieser ist nämlich eine Kreatur der Kaiserin, und wurde fortwährend von derselben aufgereizt, Ihren Tod zu bewirken, weil sie einen immerwährenden Groll gegen Sie, wegen des ungesetzlichen und schmählichen Verfahrens, womit Sie das Feuer in den Gemächern löschten, zu hegen beschlossen hat.

Nach drei Tagen wird Ihr Freund, der Sekretär, in Ihre Wohnung kommen und Ihnen die Artikel der Anklage vorlesen. Hierauf wird er Ihnen die große Milde und Gnade Seiner Majestät und des Rathes auseinandersetzen, wodurch Sie allein zum Verlust Ihrer Augen verurtheilt werden. Auch hegt Seine Majestät keinen Zweifel, daß Sie sich demüthig und dankbar dieser Strafe unterziehen werden; zwanzig Wundärzte Seiner Majestät werden gegenwärtig seyn, um darauf zu achten, daß die Operation nach den Regeln der Kunst geschieht. Man wird nämlich sehr scharfe Pfeile in Ihre Augäpfel abschießen, während Sie selbst auf dem Boden liegen müssen.

Ich überlasse es Ihrer Klugheit, welche Maßregeln Sie treffen werden. Um Verdacht zu vermeiden, muß ich sogleich eben so heimlich zurückkehren, wie ich gekommen bin.

Seine Lordschaft entfernte sich und ich blieb in höchst unruhiger Stimmung allein.

Der jetzt regierende Kaiser und sein Minister hatte eine Sitte eingeführt, welche von den Gewohnheiten früherer Zeiten, wie ich gehört habe, sehr verschieden war. Sobald der Hof eine grausame Hinrichtung beschlossen hatte, entweder um der Rache des Kaisers, oder der Bosheit einiger Günstlinge zu fröhnen, hielt der Kaiser jedesmal eine Rede im versammelten Rathe, worin er von seiner großen Sanftmuth und Zärtlichkeit, als von Eigenschaften sprach, die bereits aller Welt bekannt seyen. Diese Rede ward sogleich im ganzen Königreiche bekannt gemacht, das Volk war aber durch dieses Lobpreisen der Gnade des Kaisers immer sehr erschreckt, denn man hatte jedesmal bemerkt, je nachdrücklicher die Lobsprüche gegeben wurden, desto unmenschlicher sey die Strafe und desto unschuldiger der Verurtheilte.

Was mich betrifft, so muß ich eingestehen, daß ich in diesem Punkte ein schlechter Richter bin, denn weder durch Geburt noch durch Erziehung bin ich zum Höflinge bestimmt. Somit konnte ich die Milde und Gnade dieses Urtheils nicht recht begreifen, sondern ich hielt dasselbe (vielleicht aus Irrthum) für streng und nicht für gnädig. Einigemal faßte ich den Entschluß, mich vor Gericht zu stellen; da ich aber während meines früheren Lebens mehrere Hochverrathsprocesse gelesen, und immer bemerkt hatte, das Urtheil falle nur nach Gutdünken der Richter aus, wagte ich nicht, mich unter so kritischen Umständen und bei so mächtigen Feinden einer so gefährlichen Entscheidung zu unterziehen. Einmal war ich auch entschlossen, Widerstand zu leisten; so lange ich nämlich in Freiheit war, konnte mich die ganze Kriegsmacht jenes Reiches nicht unterwerfen, und ich hätte mit geschleuderten Steinen die ganze Hauptstadt in einen Trümmerhaufen verwandeln können; allein diesen Entwurf ließ ich mit Abscheu fallen, denn ich dachte an meinen Eid, den ich dem Kaiser geleistet, an die Gunstbezeugungen, die ich von ihm empfangen, und an den hohen Titel, Nardac, den er mir ertheilt hatte. Auch war ich noch nicht genug mit Höfen bekannt, um meinem Gewissen einreden zu können, die jetzige Strenge des Kaisers entbinde mich aller frühern Verpflichtungen.

Zuletzt faßte ich einen Entschluß, durch den ich mir mancherlei Tadel, und auch nicht ganz mit Unrecht, zuziehen werde; denn ich gestehe, daß ich die Erhaltung meiner Augen und also auch meiner Freiheit, meiner Raschheit im Handeln und meinem Mangel an Erfahrung verdanke; hätte ich nämlich den Charakter der Fürsten und Minister, den ich nachher an vielen andern Höfen beobachtete, und ihre Behandlungsweise von Verbrechern, die noch geringere Missethaten, wie ich, begangen hatten, zur Genüge bekannt, so würde ich mich bereitwillig einer so leichten Strafe unterzogen haben. Allein voll Jugendfeuer, und ohnedies im Besitz einer Erlaubniß Seiner Majestät, dem Kaiser von Blefuscu meine Aufwartung zu machen, benutzte ich diese Gelegenheit, bevor drei Tage vergingen, um meinem Freunde, dem Sekretär, einen Brief zu übersenden, worin ich ihm den Entschluß erklärte, noch heute Morgen nach Blefuscu, zufolge der erhaltenen Erlaubniß, abzureisen. Ich erwartete keine Antwort und ging auf den Punkt des Ufers zu, wo unsere Flotte lag.

Ich ergriff ein großes Kriegsschiff, band ein Tau an das Vordertheil, lichtete die Anker, zog meine Kleider aus und legte dieselben zugleich mit meiner Bettdecke, die ich unter dem Arme getragen hatte, auf das Schiff, zog es hinter mir her und kam watend und schwimmend an den königlichen Hafen von Blefuscu, wo das Volk mich schon lange erwartet hatte. Man gab mir zwei Führer, die mich zur gleichnamigen Hauptstadt brachten. Ich hielt sie in meiner Hand bis ich 200 Ellen vom Thore entfernt war, und bat sie dann, meine Ankunft einem der Minister anzuzeigen und zugleich zu bemerken, ich würde dort die Befehle Seiner Majestät erwarten. Nach ungefähr einer Stunde erhielt ich die Nachricht: Seine Majestät, von der königlichen Familie und den Großbeamten des Reiches begleitet, habe die Stadt verlassen, um mich zu empfangen. Hierauf ging ich hundert Ellen vorwärts; der Kaiser mit seinem Gefolge stieg vom Pferde, die Kaiserin verließ mit ihren Damen die Kutschen, und ich bemerkte nirgends Besorgniß oder Schrecken, dann legte ich mich auf den Boden nieder, um die Hände des kaiserlichen Paares zu küssen. Ich sagte Seiner Majestät, ich sey meinem Versprechen gemäß und mit Erlaubniß meines Herrn, des Kaisers gekommen, um einen so mächtigen Monarchen zu sehen, und ihm alle mir mögliche Dienste für den Fall anzubieten, daß sie der Pflicht gegen meinen eigenen Fürsten nicht widerstrebten. Von meiner Ungnade erwähnte ich kein Wort, weil ich bis dahin noch nicht auf regelmäßigem Wege davon in Kenntniß gesetzt worden war, und mich deßhalb stellen konnte, als wisse ich durchaus nichts von dem ganzen Vorfall. Auch konnte ich vernünftigerweise nicht vermuthen, der Kaiser werde das Geheimniß entdecken, so lange ich aus dem Bereiche seiner Macht war. Es ergab sich jedoch bald, daß ich mich in diesem Punkte getäuscht hatte.

Ich will den Leser mit einer besondern Beschreibung meiner Aufnahme an diesem Hofe nicht belästigen, welche dem Edelmuth eines so großen Fürsten vollkommen angemessen war, auch nicht die Unbequemlichkeiten schildern, welche sich mir dadurch boten, daß ich weder Haus noch Bett besaß, so daß ich, in meine Decke gehüllt, auf dem Erdboden schlafen mußte.

Kapitel 8


Kapitel 8 Der Verfasser findet durch glücklichen Zufall ein Mittel, Blefuscu zu verlassen und kehrt nach einigen Schwierigkeiten gesund in sein Vaterland zurück.

Teils aus Neugier, theils aus Langweile, ging ich drei Tage nachher auf der Ostküste der Insel spazieren, und erblickte, wie in der Entfernung von ungefähr einer Viertelstunde, Etwas auf dem Meere schwimmen, welches das Ansehen eines umgeschlagenen Bootes hatte. Ich zog Schuhe und Strümpfe aus, watete zwei- bis dreihundert Ellen, und fand, daß jener Gegenstand durch die Gewalt der Fluth näher getrieben ward. Da sah ich deutlich, es sey ein wirkliches Boot, welches irgend ein Sturm, wie ich vermuthe, vom Schiffe mußte losgerissen haben. Alsdann kehrte ich sogleich zur Stadt zurück und bat den Kaiser, mir zwanzig seiner größten Schiffe zu leihen, die ihm noch nach dem Verluste seiner Flotte übrig waren, sowie auch dreihundert Seeleute, unter dem Befehle seines Viceadmirals. Diese Flotte segelte über die Höhe des Hafens, während ich auf dem kürzesten Wege zu dem Orte zurückkehrte, wo ich das Boot zuerst entdeckt hatte. Wie ich fand, hatte die Fluth dasselbe noch näher an die Küste getrieben. Die Matrosen waren sämmtlich mit Tauwerk versehen, das ich zuvor bis zur genügenden Stärke zusammengedreht hatte. Als die Schiffe herankamen zog ich mich aus und watete, bis ich auf hundert Ellen in die Nähe des Bootes kam. Alsdann war ich genöthigt zu schwimmen, bis ich es erreichte; die Matrosen warfen mir das Ende eines Stricks zu, das ich in dem Loche am Vordertheile des Bootes befestigte, worauf ich das andere Ende an ein Kriegsschiff heftete. Allein alle meine Arbeit war umsonst, denn da ich keinen Grund fühlte, konnte ich auch nicht arbeiten. In dieser Noth war ich gezwungen hinter das Boot zu schwimmen, und es mit einer Hand, so oft ich konnte, vorwärts zu stoßen; da mir die Fluth hiebei behülflich war, vermochte ich dasselbe so weit vorwärts zu bringen, daß ich Grund fühlte, wobei mir das Wasser aber noch bis an das Kinn reichte. Ich verschnaufte zwei bis drei Minuten und fing dann wieder an zu schieben, bis die See mir nur an die Schultern reichte, und damit war der schwierigste Theil der Arbeit vollendet. Hierauf nahm ich die andern Taue, die in einem Kriegsschiffe aufgehäuft waren, befestigte sie zuerst an das Boot und dann an neun Schiffe, die zu meiner Verfügung standen. Der Wind war günstig, das Boot wurde ins Schlepptau genommen und ich schob, bis wir vierzig Ellen vom Ufer entfernt waren. Alsdann wartete ich, bis die Fluth vorüber war. Als nun das Boot auf dem Trockenen lag, bemühte ich mich, es umzukehren, wobei mir zweitausend Menschen mit Tauen und Maschinen halfen, und fand, daß es nur wenig Schaden gelitten hatte.

Den Leser will ich nicht mit den Schwierigkeiten langweilen, die sich mir durch den Umstand boten, daß ich durch Schaufeln, woran ich zehn Tage lang gearbeitet hatte, mein Boot in den königlichen Hafen von Blefuscu bringen mußte. Dort fand ein ungeheurer Zusammenlauf des Volkes bei meiner Ankunft statt, das ein so wunderbares Schiff im höchsten Grade anstaunte. Ich sagte dem Kaiser, mein gutes Glück habe mir dies Boot verschafft, um mich an irgend einen Ort zu bringen, von wo ich mit Sicherheit in mein Vaterland zurückkehren könne. Alsdann bat ich den Kaiser um einen Befehl, die zur Einrichtung nothwendigen Materialien herbeischaffen und abreisen zu dürfen; eine Gnade, die er mir nach einigen höflichen Hin- und Herreden gewährte.

Während dieser Zeit wunderte ich mich sehr, von einer Botschaft nichts zu vernehmen, welche unser Kaiser an den Hof von Blefuscu, hinsichtlich meiner, hätte senden können. Nachher hat man mich aber im Geheimen benachrichtigt, Seine kaiserliche Majestät habe geglaubt, mir sey durchaus keine Kunde von ihren Absichten zugekommen; ich sey nur nach Blefuscu in Folge des von mir gegeben Versprechens und der ertheilten Erlaubnis abgereist, die bei Hof allgemein bekannt war; auch würde ich in wenigen Tagen nach Beendigung der Hofceremonien wieder zurückkehren. Zuletzt aber gerieth der Kaiser wegen meiner längeren Abwesenheit doch in Unruhe; er hielt eine Berathung mit seinem Schatzmeister und den übrigen gegen mich cabalirenden Ministern; endlich ward ein Mann von hohem Stande mit einer Abschrift meiner Anklage nach Blefuscu gesandt. Dieser Gesandte hatte Instruktionen, dem Monarchen von Blefuscu Vorstellungen über die große Milde seines Herrn zu machen, welcher sich begnüge, mich nur mit dem Verlust meiner Augen zu bestrafen; ich habe mich seiner Gerechtigkeit entzogen; wenn ich nicht innerhalb zweier Stunden zurückkehre, würde ich meinen Titel als Nardac verlieren, und für einen Verräther erklärt werden. Der Gesandte fügte ferner hinzu: Sein Herr erwarte, daß sein kaiserlicher Bruder in Blefuscu, um den Frieden und die Freundschaft beider Reiche zu erhalten, Befehl ertheilen würde, mich an Händen und Füßen gefesselt nach Lilliput zurückzusenden, damit ich dort die Strafe der Verräther erleide.

Der Kaiser von Blefuscu berieth drei Tage lang diesen Antrag, und gab alsdann eine aus vielen Höflichkeiten und Entschuldigungen bestehende Antwort. Er erwiderte: In Betreff des Verlangens, mich gefesselt nach Lilliput hinüberzusenden, so wisse sein kaiserlicher Bruder sehr wohl, dies Verfahren sey unmöglich; ferner sey er mir in mannigfacher Hinsicht wegen der Dienste verpflichtet, die ich ihm beim Friedensschluß erwiesen, obgleich ich ihn seiner Flotte beraubt habe. Beide Majestäten würden indeß bald zufrieden gestellt werden. Ich habe am Ufer ein wunderbares Schiff gefunden, welches mich auf dem Meere tragen könne; er habe Befehl gegeben, es mit meiner Hülfe und unter meiner Leitung auszubessern, und hoffe, in wenigen Wochen würden beide Reiche von einer so unerträglichen Last befreit seyn.

Mit dieser Antwort kehrte der Gesandte nach Lilliput zurück; der Kaiser von Blefuscu aber erzählte mir den ganzen Vorgang und bot mir, unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit, seinen gnädigsten Schutz an, im Falle ich in seinen Diensten bleiben wolle. Ich hielt seine Anerbietungen für aufrichtig, beschloß aber dennoch, gegen Fürsten und Minister kein Vertrauen mehr zu hegen, so lange ich das möglicherweise vermeiden könne. Deßhalb bat ich ihn demüthig, mit aller schuldigen Anerkennung seiner günstigen Absicht, mich gnädigst zu entschuldigen. Ich fügte hinzu: da ein gutes oder böses Schicksal mir einmal ein Schiff verschafft habe, wolle ich mich lieber dem Ocean anvertrauen, als Veranlassung zu einem Streite von zwei so mächtigen Monarchen geben. Auch bemerkte ich wohl, daß der Kaiser über meine Antwort gar nicht unzufrieden war; bald darauf habe ich sogar zufällig entdeckt, daß er und seine Minister viele Freude über meinen Entschluß empfanden.

Diese Umstände bewogen mich, meine Abreise noch mehr zu beschleunigen, wie ich anfangs beabsichtigte. Der Hof trug auch dazu bei, denn er wünschte, ich möchte mich so schnell wie möglich entfernen. Fünfhundert Arbeiter wurden angewiesen, zwei Segel für mein Boot nach meiner Anleitung zu verfertigen, indem sie dreizehn Falten ihrer stärksten Leinwand übereinander steppten. Ich verfertigte Segel- und Ankertaue, indem ich zehn, zwanzig, dreißig der Taue von Blefuscu zusammendrehte. Ein großer Stein, den ich nach langem Suchen am Strande fand, diente mir als Anker. Das Fett von dreihundert Kühen wurde mir geboten, um mein Boot einzuschmieren, oder um es zu andern Zwecken zu benutzen. Es kostete mich unendlich Mühe, einige der größten, zu Bauholz geeigneten Bäume abzuschneiden, wobei mir jedoch die Zimmermeister von der kaiserlichen Flotte halfen, welche dieselben glätteten, nachdem ich die gröbere Arbeit selbst vollendet hatte.

Nach ungefähr einem Monat, als Alles vollendet war, ließ ich dem Kaiser sagen, ich erwarte seine Befehle und sey zur Abreise bereit. Der Kaiser und die kaiserliche Familie verließ hierauf den Palast, ich legte mich nieder um seine Hand zu küssen, die er mir sehr gnädig reichte; die Kaiserin und die jungen Prinzen von Geblüt erwiesen mir dieselbe Ehre. Seine Majestät schenkte mir fünfzig Börsen, jede mit zweihundert Sprugs, so wie auch sein Gemälde in Lebensgröße, das ich sogleich in meinen Handschuh steckte, um es vor Schaden zu bewahren. Die Ceremonien bei meiner Abreise waren zu zahlreich, um den Leser hier damit zu langweilen.

Ich versah das Boot mit dem Fleische von hundert Ochsen, dreihundert Schaafen, mit einer verhältnißmäßigen Menge Brod und Wasser und mit so viel zubereiteten Speisen, wie vierhundert Köche zurichten konnten; ferner mit sechs Kühen und zwei Stieren, eben so vielen Mutterschaafen und Böcken, die ich in mein Vaterland zu verpflanzen beabsichtigte, um diese Race auch dort einheimisch zu machen. Um diese Thiere an Bord zu füttern, hatte ich eine ziemliche Masse Heu und einen Sack voll Korn ebenfalls mitgenommen. Ich hätte auch sehr gern ein Dutzend Eingeborner mit hinüber gebracht, allein der Kaiser wollte dies in keiner Weise zulassen; meine Taschen wurden zu dem Zwecke genau durchsucht, und der Kaiser nahm mir außerdem mein Ehrenwort ab, keinen seiner Unterthanen, ohne dessen ausdrückliche Zustimmung und besondern Wunsch, mit mir fortzuführen.

Nachdem ich alle Vorbereitungen, so gut es ging, getroffen hatte, ging ich am 24. September 1701, 6 Uhr Morgens, unter Segel. Als ich ungefähr vier Meilen nordwärts gesteuert war, bemerkte ich, indem der Wind um 6 Uhr Abends aus Südost blies, in der Entfernung einer halben Meile, nordwestlich eine kleine Insel. Ich steuerte darauf zu und warf an der Seite unter dem Winde Anker. Die Insel schien unbewohnt. Hierauf nahm ich einige Erfrischung, legte mich zur Ruhe und schlief, wie ich glaube, sechs Stunden, denn ich erwachte noch zwei Stunden vor Sonnenaufgang. Die Nacht war hell; ich frühstückte bevor die Sonne am Himmel erschien, lichtete den Anker und steuerte in derselben Richtung wie am gestrigen Tage, welche mir mein Taschen-Compaß angab. Es war meine Absicht, eine jener Inseln zu erreichen, die, wie ich Grund hatte zu glauben, nordöstlich von Van Diemens Land liegen. An diesem Tage entdeckte ich Nichts, jedoch am nächsten bemerkte ich gegen 3 Uhr Nachmittags, als ich nach meiner Berechnung vierundzwanzig Meilen von Blefuscu entfernt war, ein südöstlich fahrendes Segel, indem meine Richtung östlich war. Ich gab Zeichen, ward aber nicht bemerkt; da jedoch der Wind nachließ, gewann ich ihm Raum ab. Ich segelte so schnell als möglich und ward nach einer halben Stunde auf dem Schiffe bemerkt, welches die große Flagge aufhißte und eine Kanone abfeuerte. Ich kann meine Freude nicht ausdrücken, die ich bei dem Gedanken empfing, mein theures Vaterland und die dort zurückgelassenen Lieben noch einmal wiedersehen zu können. Das Schiff zog die Segel ein, und ich erreichte dasselbe am 26. September. Mein Herz schlug vor Freude, als ich die englische Flagge erblickte. Ich steckte mein Rindvieh und meine Schaafe in die Rocktasche und stieg mit meiner ganzen kleinen Ladung von Vorräthen an Bord. Das Schiff war ein englischer Kauffahrer, der von Japan durch den nördlichen Theil der Südsee nach England zurückkehrte. Der Kapitän, Herr Biddel von Deptforth, war ein höflicher Herr und ein ausgezeichneter Seemann. Wir befanden uns im dreißigsten Grad südlicher Breite; im Schiff waren ungefähr fünfzig Mann, und unter diesen fand ich einen alten Freund, Peter Williams, der den Kapitän durch günstige Berichte vollkommen für mich einnahm. Dieser Herr erwies mir viele Gnade und bat mich, ihm zu sagen, woher ich gekommen und wohin ich wollte. Als ich ihm nun in wenig Worten dies berichtete, hielt er mich für verrückt und glaubte, die von mir bestandenen Gefahren hätten mir das Gehirn verwirrt. Ich aber zog mein schwarzes Rindvieh und meine Schaafe aus der Tasche und gab ihm so die vollkommenste Ueberzeugung von meiner Wahrhaftigkeit. Alsdann zeigte ich ihm das Gold, das mir der Kaiser von Blefuscu gegeben, sowie das Bildniß Seiner Majestät in Lebensgröße und einige andere Seltenheiten des Landes. Auch gab ich ihm zwei Börsen, jede mit zweihundert Sprugs, und versprach, nach unserer Ankunft in England ihm eine trächtige Kuh und ein trächtiges Mutterschaaf zu schenken.

Ich will den Leser mit einer besondern Beschreibung dieser Reise nicht langweilen, welche im Ganzen sehr glücklich war. Wir langten am 2. April 1702 in den Dünen an. Ich erlitt nur ein einziges Unglück. Die Ratten des Schiffs fraßen mir nämlich einen meiner Schaafböcke.

Die Knochen desselben fand ich in einem Rattenloch und zwar gänzlich von allem Fleische entblößt. Das übrige Vieh brachte ich wohlbehalten an’s Land, und setzte es in einem Rasenplatz bei Greenwich auf die Weide, wo die Trefflichkeit des Grases dasselbe sehr gut mästete, ob ich gleich stets das Gegentheil befürchtet hatte. Auf einer so langen Reise würde ich meine Thiere nicht am Leben erhalten haben, wenn der Kapitän nicht einen Theil seines besten Zwiebacks zu meiner Verfügung gestellt hätte, der zu Staub gerieben und mit Wasser vermischt als Futter benutzt wurde. So lange ich in England blieb, erwarb ich mir viel Geld, indem ich das Vieh vielen Personen von Stande und Anderen zeigte, und bevor ich meine zweite Reise begann, verkaufte ich dasselbe zu sechshundert Pfund. Wie ich bemerkte, hat sich die Race seit meiner letzten Rückkehr nach England beträchtlich vermehrt, vorzüglich aber die Schaafe, die, wie ich hoffe, zur Beförderung unserer Wollenfabriken, wegen der Feinheit ihrer Vließe, sich auch in Zukunft immer mehr vervielfachen werden.

Ich blieb nur zwei Monate bei meiner Frau und meiner Familie, denn mein unersättliches Verlangen, fremde Länder zu sehen, trieb mich wieder in die Ferne. Ich ließ meiner Frau fünfzehnhundert Pfund zurück, und verschaffte ihr eine schöne Wohnung in Redriff. Meine übrigen Kapitalien nahm ich mit mir, theils in Gütern, theils in baarem Gelde, denn ich hoffte, mein Vermögen zu vermehren. Mein ältester Onkel John hatte mir ein Landgut bei Epping, von ungefähr dreißig Pfund jährlichem Ertrag, hinterlassen; ferner hatte ich den »schwarzen Ochsen« in Fetterlane gepachtet, der mir eben so viel eintrug, so daß mich durchaus keine Gefahr bedrohte, das Kirchspiel werde meine Familie als Arme unterhalten müssen. Mein Sohn John, ein gelehriger Knabe, besuchte eine Elementarschule. Meine Tochter Betty, die gegenwärtig vortheilhaft verheirathet ist und Kinder hat, lernte Nähen und Stricken. Ich nahm Abschied von Frau und Kindern, wobei Thränen auf beiden Seiten vergossen wurden, und ging an Bord des »Abenteurers,« eines Kauffahrers von dreihundert Tonnen, der nach Surate bestimmt war, unter dem Befehl des Commanders John Nicholas aus Liverpool. Den Bericht dieser Fahrt muß ich jedoch auf den zweiten Theil meiner Reisebeschreibung verschieben.

Teil 2

Teil 2
Reise nach Brobdingnag

Kapitel 1


Kapitel 1 Beschreibung eines großen Sturms; das lange Boot wird ausgesetzt, um Wasser einzunehmen. Der Verfasser besteigt dasselbe, um das Land zu untersuchen. Er wird am Ufer zurückgelassen, von einem Eingeborenen ergriffen und in das Haus eines Pachters gebracht. Seine Aufnahme mit andern Vorfällen die sich daselbst zutrugen.

Ach, Natur und Schicksal haben mich zu thätigem und ruhelosem Leben verurtheilt! – Zwei Monate nach meiner Rückkehr verließ ich wieder mein Vaterland und bestieg den »Abenteurer,« ein Schiff aus Cornwallis, Kapitän John Nicholas, welches nach Surate in Ostindien bestimmt war. Wir hattengünstigen Wind bis zum Kap der guten Hoffnung, wo wir, um Wasser aufzunehmen, landeten. Da wir aber ein Leck entdeckten, schifften wir unsere Güter aus und blieben den Winter dort. Alsdann gingen wir unter Segel und hatten günstigen Wind bis zur Meerenge von Madagaskar.

Als wir uns nördlich von dieser Insel, im fünften Grade südlicher Breite befanden, wo der Wind vom Dezember bis Mai stets die Richtung von Nordwest zu haben pflegt, wurde derselbe am 19. April stärker und westlicher wie gewöhnlich. In diesem Wetter schifften wir zwanzig Tage und wurden dadurch ein wenig östlich über die Molukken hinausgetrieben, um drei Grad nordwärts vom Aequator, wie der Kapitän durch Beobachtungen am 2. Mai erklärte, als der Wind aufgehört hatte. Eine vollkommene Windstille war eingetreten, worüber ich mich nicht wenig freute. Der Kapitän jedoch, welcher in der Schifffahrt dieser Meere wohl erfahren war, befahl Vorbereitungen gegen einen Sturm zu treffen, und dieser begann auch wirklich am folgenden Tage, denn der Südwind, welcher der südliche Monsun genannt wird, begann zu wehen.

Da der Sturm heftig zu werden drohte, zogen wir das Bugsprietsegel ein und standen bereit, das Foksegel zu handhaben; da das Wetter immer schlechter wurde, sahen wir nach, ob die Kanonen gehörig befestigt waren und spannten die Segel am Besan auf. Das Schiff aber legte sich auf die Seite, deßhalb hielten wir es für besser mit den Wogen zu treiben, als eine Richtung behaupten zu wollen. Das Foksegel ward eingerafft und nur zum Theil ausgespannt; das Steuer hatte hartes Wetter zu bekämpfen; das Schiff aber hielt trefflich aus. Wir spannten das vordere Zugseil aus, allein das Segel platzte. Wir zogen deßhalb die Raaen an, nahmen das Segel in’s Schiff und lösten seinen ganzen Zubehör. Der Sturm war heftig, die Wogen brachen sich mit Macht und drohender Gefahr. Wir nahmen das Taljereep vom Wippstaab und halfen dem Steuermann. Unsern Toppmast kappten wir jedoch nicht und ließen an ihm Alles wie es war, weil er trefflich leenste, und weil wir wußten, das Schiff sey durch ihn gesünder und werde die See besser aushalten. Wir befanden uns nämlich auf hohem Meer und hatten von Klippen Nichts zu befürchten. Als der Sturm vorüber war, spannten wir Fok- und Boomsegel wieder auf und gaben dem Schiff eine Richtung; alsdann zogen wir das Marsboomsegel und das Fokmarssegel auf. Unsere Richtung war Ost-Nord-Ost und der Wind Südwest. Hierauf hefteten wir die Steuerbordstiften wieder ein und nahmen die Hebeseile fort, kurz wir setzten das Schiff wieder in den früheren Stand.

Während dieses Sturmes, dem ein starker Wind aus West-Süd-West folgte, wurden wir, nach meiner Berechnung, ungefähr zweihundert und fünfzig Stunden nach Osten verschlagen, so daß der älteste Matrose an Bord nicht sagen konnte, in welchem Theile der Welt wir uns befänden. Unsere Vorräthe hielten aus, das Schiff war trefflich und fest und unsere Mannschaft vollkommen gesund; wir litten aber bedeutenden Mangel an Trinkwasser. Somit hielten wir es für das Zweckmäßigste, dieselbe Richtung beizubehalten, und uns nicht nach Norden zu wenden, da wir in letzterer Richtung nordwestlich von der großen Tartarei in das Eismeer hätten gelangen können.

Am 16. Juni 1703 entdeckte ein Schiffsjunge auf dem Hauptmast Land. Am 17. sahen wir deutlich eine große Insel oder ein Festland (wir waren hierüber in Ungewißheit); an der südlichen Seite des Landes entdeckten wir eine kleine in die See hervorspringende Landzunge und eine Bucht, die aber zu flach war, um ein Schiff von mehr als hundert Tonnen zu tragen. Wir warfen deßhalb in einiger Entfernung von der Landzunge Anker und unser Kapitän ließ ungefähr ein Dutzend seiner Leute, bewaffnet und mit Wassergeschirren versehen, in dem langen Boote aussetzen, um Wasser aufzusuchen, wenn dasselbe gefunden werden könne. Ich erwirkte mir die Erlaubniß, an dieser Ausschiffung Theil zu nehmen, damit ich das Land untersuche und Entdeckungen mache. Als wir das Ufer betraten, erblickten wir weder Flüsse noch Quellen, noch auch irgend eine Spur von Einwohnern.

Unsere Leute gingen deßhalb am Ufer entlang, um frisches Wasser in der Nähe des Meeres aufzusuchen; ich aber schlug ungefähr eine halbe Stunde lang die entgegengesetzte Richtung ein; da ich aber nur felsiges und unfruchtbares Land erblickte, ward ich des Nachforschens müde und kehrte zur Landzunge zurück. Als sich nun die See vor meinen Augen ausdehnte, sah ich, wie unsere Leute bereits im Boote waren und so schnell als müßten sie ihr Leben retten, zum Schiffe ruderten. Ich wollte ihnen zurufen, obgleich dies mir wenig helfen konnte, als ich ein ungeheures Geschöpf hinter sie herlaufen sah; die See reichte ihm nur bis an die Knie und es machte ungeheure Schritte. Allein unsere Leute hatten eine Viertelstunde Vorsprung, die See war dort voll scharfer Klippen, und somit konnte das Ungeheuer unser Boot nicht erreichen. Dies wurde mir nachher gesagt, denn ich legte im schnellsten Laufe den Weg, den ich bereits gemacht hatte, wieder zurück und erstieg alsdann einen steilen Hügel, der mir eine Aussicht in das Land gewährte. Es war vollkommen bebaut. Zuerst erstaunte ich über die Länge des Grases, welches dort zum Heu bestimmt war, denn seine Höhe betrug an die zwanzig Fuß.

Alsdann gerieth ich auf einen Weg, den ich für eine Heerstraße hielt, der jedoch den Einwohnern nur als Fußpfad durch ein Gerstenfeld diente. Hier ging ich einige Zeit lang weiter, konnte aber an beiden Seiten nichts erblicken, denn die Erndte war nah und das Korn wenigstens vierzig Fuß hoch. Nach einer Stunde hatte ich das Ende des Feldes erreicht, welches durch eine Hecke von wenigstens hundertundzwanzig Fuß Höhe umzäunt war, deren Bäume eine solche Größe hatten, daß ich dieselbe nicht berechnen konnte. Dort befand sich eine Treppe, die in das nächste Feld führte. Sie bestand aus vier Stufen und auf der Spitze war ein Stein zu überschreiten. Es war mir unmöglich diese Treppe zu ersteigen, denn jede Stufe betrug sechs Fuß Höhe und der Stein wenigstens zwanzig. Ich suchte deßhalb eine Oeffnung in der Hecke zu erspähen, als ich auf dem nächsten Felde einen Einwohner auf die Treppe zugehen sah, und zwar von der Größe desjenigen, welcher unser Boot verfolgt hatte. Er hatte die Höhe eines gewöhnlichen Kirchthurms, und legte, so weit ich errathen konnte, wenigstens zehn Ellen mit jedem Schritte zurück. Ich gerieth in Furcht und Erstaunen und lief fort, um mich im Korne zu verbergen. Von dort sah ich, wie er auf der Spitze jener Treppe in das Feld zurückschaute, und hörte, wie er mit einer Stimme rief, die um mehrere Grade lauter wie der Schall eines Sprachrohrs war; der Ton hallte jedoch so hoch in der Luft, daß ich ihn zuerst für Donner hielt. Hierauf kamen sechs Ungeheuer, an Gestalt ihm ähnlich, mit Sicheln in den Händen, herbei, die ungefähr so groß wie sechs Sensen waren.

Diese Leute waren nicht so gut gekleidet, wie der Erstere, dessen Diener sie zu seyn schienen, denn nach einigen von ihm ausgesprochenen Worten begannen sie das Korn des Feldes, wo ich mich verborgen hatte, abzuschneiden. Ich hielt mich in so großer Entfernung von ihnen, als es mir möglich war, allein ich konnte mich nur mit Schwierigkeit bewegen, denn die Stengel des Korns waren oft nur einen Fuß von einander entfernt, so daß ich nur mit Mühe meinen Leib hindurchquetschen konnte. Meinen Anstrengungen gelang es dennoch vorwärts zu kommen, bis ich an einen Theil des Feldes gelangte, wo das Korn durch Regen und Wind zu Boden gelegt war. Hier war es mir unmöglich weiter zu gehen; die Stengel lagen so dicht übereinander, daß ich nicht hindurchkriechen konnte, und die Spitzen der abgefallenen Aehren waren so dick und scharf, daß sie durch meine Kleider in das Fleisch drangen. Zugleich hörte ich, daß die Schnitter nur noch hundert Ellen von mir entfernt waren. Da ich gänzlich erschöpft und von Gram sowie von Verzweiflung überwältigt war, legte ich mich zwischen zwei Furchen auf den Boden nieder, und wünschte von ganzem Herzen dort zu sterben. Ich beklagte meine einsame Wittwe und meine verwaisten Kinder, meine eigene Thorheit und Bereitwilligkeit, noch weitere Reisen zu unternehmen, und den Rath aller meiner Freunde und Verwandten in dieser Hinsicht verschmäht zu haben. In dieser furchtbaren Gemüthsstimmung konnte ich es nicht unterlassen, an Lilliput zu denken, wo die Einwohner mich als das größte Naturwunder anstaunten, das jemals in der Welt erschienen sey; wo ich es vermochte, eine kaiserliche Flotte mit meinen Händen fortzuführen und viele andere Thaten zu vollbringen, die in den Annalen jenes Reiches auf ewig prangen werden, während die Nachwelt kaum im Stande ist, ihre Größe zu begreifen, obgleich Millionen der Gegenwart sie bezeugen. Ich dachte, wie drückend es für mich seyn müsse, diesem Volke so unbedeutend zu erscheinen, wie ein Lilliputer den Engländern. Doch dies hielt ich noch für das geringste Unglück; man hat beobachtet, daß Menschen, im Verhältniß ihrer Körpergröße, stets wilder und grausamer werden; somit konnte ich nur erwarten, dem Munde des ersten jener riesenhaften Barbaren, der mich ergreifen würde, als ein guter Bissen zu dienen. Sicherlich ist die Behauptung der Philosophen, groß und klein seyen nur Begriffe, die sich durch Vergleichung ergeben, vollkommen wahr. Das Schicksal kann vielleicht die Lilliputer irgend ein Land auffinden lassen, wo die Menschen, hinsichtlich ihrer, eben solche Diminutivgestalten sind, wie sie im Vergleich mit mir. Wer weiß, ob sogar dies wunderbare Geschlecht der Sterblichen, in irgend einem entfernten Theile der Welt, der bis jetzt unentdeckt geblieben ist, nicht irgendwie übertroffen wird?

Erschreckt und verwirrt konnte ich ein solches Sinnen nicht unterdrücken, als ein Schnitter auf zehn Ellen der Furche, wo ich lag, sich näherte, und mir Besorgniß erweckte, durch seinen nächsten Schritt würde ich zerquetscht oder von seiner Sichel durchschnitten werden. Als er sich wieder bewegen wollte, schrie ich deßhalb so laut wie möglich, worauf das Geschöpf still stand, einige Zeit den Boden ansah und mich zuletzt erblickte. Es betrachtete mich mit der Vorsicht, die man anzuwenden pflegt, wenn man ein kleines gefährliches Thier ergreifen will, indem man befürchtet, gebissen oder gekratzt zu werden, wie ich ebenfalls in England, wann ich Wiesel fing, zu verfahren pflegte. Zuletzt war der Riese so keck, mich von hinten mit seinem Daumen und Mittelfinger zu ergreifen.

So hielt er mich drei Ellen von seinem Auge entfernt, damit er mich desto genauer betrachten konnte. Ich ahnte seine Absicht, und mein gutes Glück gewährte mir so viel Geistesgegenwart, daß ich den Entschluß faßte, mich durchaus nicht zu bewegen, so lange er mich, ungefähr in der Höhe von sechzig Fuß, über dem Boden hielt, obgleich er mir, aus Besorgniß, ich möchte seinen Fingern entschlüpfen, die Seiten furchtbar zerquetschte. Ich wagte allein die Augen zur Sonne zu erheben und meine Hände, wie beim Gebete, zu falten; alsdann sprach ich einige Worte in so wehmüthigem Tone, wie er meiner damaligen Lage angemessen war, denn ich befürchtete jeden Augenblick, er werde mich auf den Boden schleudern, wie wir es bei einem kleinen und verhaßten Thiere, das wir tödten wollen, zu thun pflegen. Allein mein guter Stern wollte diesmal, daß der Riese an meiner Stimme und meiner Bewegung Gefallen fand; er betrachtete mich mit Aufmerksamkeit und schien erstaunt daß ich in artikulirten Tönen sprach, obgleich er kein Wort von dem, was ich sagte, verstehen konnte. Mittlerweile konnte ich es nicht unterlassen, zu seufzen und zu weinen, und meinen Kopf, so gut wie möglich, nach beiden Seiten hinzuwenden. Dadurch wollte ich ihm nämlich andeuten, der Druck seiner Finger mache mir furchtbare Schmerzen. Er schien meine Andeutung zu verstehen, und steckte mich sanft in seine Tasche. Hierauf lief er sogleich zu seinem Herrn, der ein wohlgenährter Pächter war, und dieselbe Person, die ich zuerst auf dem Felde gesehen hatte.

Der Pächter empfing, wie ich glaube, hinsichtlich meiner den Bericht, welchen ihm sein Diener geben konnte. Alsdann nahm er das Ende eines Strohhalms, von der Größe eines Spazierstocks, und hob damit meine Rockschöße in die Höhe; er schien nämlich zu glauben, mein Rock sey eine Art Haut, welche mir die Natur verliehen habe. Hierauf blies er meine Haare seitwärts, um mein Gesicht desto besser betrachten zu können. Alsdann rief er seine übrigen Leute herbei und fragte dieselben, wie ich nachher erfuhr, ob sie sonst noch ein so kleines Geschöpf, wie ich sey, auf dem Boden hätten laufen sehen. Hierauf legte er mich auf den Boden, und zwar mit allen Vieren; ich stand jedoch sogleich auf und ging langsam vorwärts und rückwärts, um jenen Riesen anzudeuten, ich wolle durchaus nicht davon laufen. Alle setzten sich nieder, indem sie mich in einem Kreise umringten, um meine Bewegungen besser beobachten zu können; ich nahm meinen Hut ab und machte dem Pächter eine sehr tiefe Verbeugung. Ich fiel auf die Knie, erhob Hände und Augen und sprach mehrere Worteso laut wie möglich; dann nahm ich eine Geldbörse aus der Tasche und reichte sie ihm demüthig dar. Er nahm sie auf seine Handfläche, hielt sie dicht vor die Augen, um zu sehen was es sey, und drehte sie alsdann mehreremale mit der Spitze einer Nadel um, die er aus seinem Aermel nahm, konnte aber die Bedeutung meiner Börse nicht begreifen. Darauf gab ich ihm durch ein Zeichen zu verstehen, er möge seine Hand auf den Boden legen; ich nahm alsdann meine Börse und schüttete mein Geld auf seine Hand. Es bestand aus vier spanischen Quadrupeln und zwanzig bis dreißig kleineren Münzen. Ich sah, wie er die Spitze seines kleinen Fingers auf der Zunge naß machte, um eines meiner größten Geldstücke aufzunehmen; er schien jedoch nicht zu wissen, was dieselben seyn könnten. Dann gab ich ihm ein Zeichen, sie wieder in meine Börse und die Börse in meine Tasche zu stecken; ich hielt es nämlich für das Beste mein Geld zu behalten, nachdem ich es ihm mehreremale angeboten hatte.

Mittlerweile hatte der Pächter sich überzeugt, ich müsse ein vernünftiges Geschöpf seyn. Er redete mich mehreremale an, allein der Schall seiner Stimme durchdrang meine Ohren wie das Klappern einer Wassermühle, obgleich die Töne artikulirt waren. Ich antwortete so laut als möglich in mehreren Sprachen, und er hielt sein Ohr oft nur zwei Ellen von meinem Munde entfernt; Alles war jedoch vergeblich; wir konnten einander in keiner Weise verstehen. Hierauf sandte er seine Knechte an die Arbeit, zog sein Schnupftuch aus der Tasche, breitete es doppelt auf seiner linken Hand aus, legte dieselbe auf den Boden, die Fläche nach oben gekehrt, und gab mir ein Zeichen hinaufzusteigen. Dies war mir nicht schwer, denn die Dicke der Hand betrug nicht mehr als einen Fuß. Ich hielt es für meine Pflicht zu gehorchen und legte mich, aus Furcht zu fallen, der Länge nach auf sein Schnupftuch hin, dessen Zipfel er über meinem Haupte, der größeren Sicherheit wegen, zusammen band, worauf er mich so nach seinem Hause trug. Dort rief er seine Frau herbei und zeigte mich; sie aber schrie auf und lief in derselben Art fort, wie es die Weiber in England beim Anblick einer Spinne oder Kröte zu thun pflegen. Als sie jedoch mein Benehmen einige Zeit beobachtet hatte, und wie genau ich die Zeichen ihres Gatten beobachtete, wurde sie bald wieder ausgesöhnt, und sogar gegen mich außerordentlich zärtlich.

Es war ungefähr 12 Uhr Mittags und ein Diener trug das Essen auf. Es bestand ausschließlich aus einem nahrhaften Fleischgericht, wie es sich für den einfachen Stand und die Beschäftigung eines Bauern ziemt; die Schüssel aber hatte vierundzwanzig Fuß im Durchmesser. Die Gesellschaft bestand aus dem Pächter, seiner Frau, drei Kindern und einer alten Großmutter. Als diese sämmtlich sich um den Tisch gesetzt hatten, welcher ungefähr dreißig Fuß Höhe betrug, stellte mich der Pächter in einiger Entfernung von sich selbst auf denselben hin. Ich zitterte aus Furcht und hielt mich, aus Besorgniß herabzufallen, so weit wie möglich von dem Rande entfernt. Die Frau des Pächters zerschnitt ein kleines Stück Fleisch, zerkrümmelte etwas Brod auf einen hölzernen Teller und stellte denselben vor mir hin. Ich machte ihr eine tiefe Verbeugung, zog Messer und Gabel aus der Tasche und begann zu essen, worüber sich Alle außerordentlich freuten. Die Herrin ließ ein kleines Likörglas, welches ungefähr vier Maas enthalten konnte, durch eine Magd holen und füllte dasselbe mit Getränk. Mit einiger Schwierigkeit erhob ich das Glas mit beiden Händen, trank auf die Gesundheit Ihrer Gnaden mit der höflichsten Verbeugung, indem ich, so laut es mir möglich war, die Worte im Englischen ausrief; hierüber aber lachte die Gesellschaft so herzlich, daß ich durch den Lärm beinahe taub geworden wäre. Das Getränk schmeckte wie dünner Cyder, aber durchaus nicht unangenehm. Hierauf gab mir der Herr ein Zeichen, ich möchte an seinen Teller hintreten; als ich nun auf dem Tisch ging (und die ganze Zeit hindurch war ich, wie der nachsichtige Leser wohl vermuthen und entschuldigen wird, in höchster Ueberraschung), stolperte ich zufällig über eine Brodkruste und fiel flach auf mein Gesicht, jedoch ohne mich zu beschädigen.

Sogleich stand ich wieder auf; da ich nun bemerkte, die guten Leute seyen hinsichtlich meiner sehr besorgt, schwenkte ich meinen Hut, den ich der Höflichkeit gemäß unter dem Arme hielt, mehreremale über meinem Kopfe und gab dreimaliges Hurrah, um zu zeigen, ich habe keinen Schaden durch meinen Fall erlitten. Als ich jedoch auf meinen Herrn zuging (so werde ich ihn in Zukunft immer nennen), ergriff sein jüngster Sohn, ein muthwilliger Knabe von ungefähr zehn Jahren, mich bei den Beinen, und hielt mich so hoch in der Luft empor, daß ich an allen Gliedern zitterte; sein Vater aber riß mich aus seiner Hand und gab ihm zugleich einen so heftigen Schlag auf das linke Ohr, daß derselbe in Europa eine Schwadron Kavallerie würde zu Boden geworfen haben. Zugleich befahl er, den Knaben von dem Tische fortzujagen. Ich aber besorgte, der Knabe werde Groll gegen mich hegen, und erinnerte mich, wie ungezogen Kinder bei uns sich gegen Sperlinge, Kaninchen, junge Hunde und Katzen benehmen. Deßhalb fiel ich auf die Knie, zeigte auf den Knaben und gab meinem Herrn so gut wie möglich zu verstehen, ich wünsche, er möge seinem Sohne verzeihen. Der Vater erfüllte meinen Wunsch; der Knabe setzte sich wieder an den Tisch, worauf ich auf ihn zuging und ihm die Hand küßte, die mein Herr ergriff und mich sanft damit streichelte.

Während des Essens sprang die Lieblingskatze meiner Herrin ihr auf den Schooß. Ich hörte hinter mir ein solches Schnurren, wie es bei uns einige Dutzend Strumpfwirker zu erregen pflegen, und bemerkte bald, daß dies vom Spinnen jenes Thieres entstand, das dreimal größer als ein Ochs zu seyn schien, wie ich nach der Ansicht seines Kopfes und einer Pfote berechnete, während die Herrin es fütterte und streichelte. Die Wildheit, die im Gesicht der Katze lag, brachte mich außer Fassung, ob ich gleich am andern Ende des Tisches, fünfzig Fuß von ihr entfernt, stand, und obgleich meine Herrin sie in der Besorgniß festhielt, das Thier würde plötzlich hervorspringen und mich mit seinen Klauen schlagen. Es war jedoch durchaus keine Gefahr vorhanden; denn die Katze nahm auf mich nicht die geringste Rücksicht, als mich mein Herr in der Entfernung von drei Ellen vor ihr niedersetzte. Da ich nun immer gehört und auf meinen Reisen auch bemerkt hatte, daß Flucht oder Furcht vor einem wilden Thiere dasselbe stets zur Verfolgung oder zum Angriff aufreizt, so beschloß ich, in dieser Gefahr vollkommene Gleichgültigkeit zu zeigen. Unerschrocken ging ich fünf- bis sechsmal vor dem Kopfe der Katze auf und nieder und kam bis auf eine halbe Elle in ihre Nähe, worauf sie zurückging, als sey sie vor mir erschrocken. Vor den Hunden fürchtete ich mich weniger, als drei oder vier in das Zimmer kamen, wie dies in Pächterhäusern gewöhnlich ist; einer derselben war eine Dogge, so groß wie vier Elephanten, und ein anderer war ein Windhund, etwas größer wie die Dogge, allein nicht von derselben Dicke.

Als das Mittagessen beinahe vorüber war, trat eine Amme mit einem einjährigen Kinde herein, welches mich sogleich bemerkte, und dann so stark zu schreien begann, daß man dies von der London-Brücke bis nach Chelsea, also mehr als eine halbe Stunde weit, hätte hören können. Es wollte mich nämlich nach gewöhnlicher Kinderart als Spielzeug haben. Die Mutter war zu nachsichtig, griff mich auf und reichte mich dem Kinde, welches mich sogleich in den Mund steckte. Ich aber brüllte so laut, daß der kleine Kobold erschrack und mich fallen ließ, so daß ich unfehlbar den Hals hätte brechen müssen, wenn mich die Mutter mit ihrer Schürze nicht aufgefangen hätte. Die Amme lärmte, um das Kind zu beruhigen, mit einer Klapper, die aus einem hohlen, mit großen Steinen gefüllten Gefäße bestand, und durch ein Tau um den Leib des Kindes festgebunden war; da dies jedoch vergeblich blieb, mußte sie das äußerste Mittel anwenden und das Kind an die Brust legen. Ich gestehe, nie hat mir ein Gegenstand solchen Ekel erregt, wie der Anblick dieser ungeheuern Brüste, die ich mit nichts vergleichen kann, um dem neugierigen Leser einen Begriff von ihrer Größe, Form und Farbe zu geben. Sie ragten sechs Fuß hervor, und mußten wenigstens sechzehn an Umfang haben. Die Warze war halb so dick wie mein Kopf, und die Farbe derselben, so wie auch die der Brust, so sehr mit Flecken, Finnen und Sommersprossen besät, daß kein Gegenstand ekelhafter in die Augen fallen kann; ich sah sie nämlich ganz in der Nähe, da sie sich gesetzt hatte, um das Kind desto bequemer säugen zu können, während ich auf dem Tische stand. Ich dachte dabei an die schöne Haut der englischen Damen, die uns allein deßhalb als so schön erscheinen, weil sie von unserer Größe sind, und weil ihre Mängel durch kein Vergrößerungsglas betrachtet werden; gebrauchen wir dasselbe, so erscheint die zarteste und schönste Haut rauh und von häßlicher Farbe.

Wie ich mich erinnere, schien es mir, als ich in Lilliput war, die Züge jener Diminutiv-Menschen seyen die schönsten in der Welt. Als ich mich einst mit einem dortigen Gelehrten, einem genauen Freunde, darüber unterhielt, sagte mir dieser, mein Gesicht erscheine ihm bei Weitem schöner und sanfter, wenn er mich vom Boden aus betrachte, als wenn er mich in größerer Nähe, sobald ich ihn auf meine Hand genommen habe, erblicke; er müsse gestehen, im Anfang sey dies ein sehr unangenehmer Anblick gewesen. In meiner Haut könne er große Löcher entdecken; die Stumpfe meiner Barthaare seyen zehnmal dicker als die Borsten eines Ebers; meine Haut im Gesicht spiele auf unangenehme Weise in mancherlei Farben hinüber. Dennoch erlaube ich mir, hinsichtlich meiner, die Bemerkung, daß ich zu den schönsten Männern meines Vaterlandes gehöre, und daß mich die Sonne auf allen meinen Reisen nur wenig verbrannt hat. Andererseits, als ich mich über die Damen am Hofe des Kaisers mit ihm unterhielt, sagte er mir gewöhnlich, die Eine habe Finnen, die andere einen zu breiten Mund, die Dritte eine zu große Nase. Ich aber konnte nichts von Allem bemerken. Die Erinnerung an diese Dinge liegt, wie ich gestehen muß, auf der Hand; ich konnte es nicht unterlassen, die Bemerkung hier einzufügen, sonst würde der Leser glauben, jene Riesen seyen wirklich häßlich; ich muß hierauf erwidern, daß sie durchaus keinen häßlichen Menschenschlag bilden; auch schienen mir die Züge meines Herrn, der doch nur ein Pächter war, verhältnißmäßig und schön gebaut, sobald ich ihn in der Höhe von sechzig Fuß betrachtete.

Nach dem Essen ging mein Herr wieder zu seinen Arbeitern hinaus, und ich konnte aus seiner Stimme, so wie aus seinen Bewegungen schließen, daß er seiner Frau strengen Befehl gab, mich mit Sorgfalt zu behandeln. Ich aber war sehr müde und zum Schlafe geneigt; da nun meine Herrin dies bemerkte, legte sie mich auf ihr eigenes Bett und bedeckte mich mit einem reinen weißen Schnupftuch, welches aber größer und dicker als das Hauptsegel eines Kriegsschiffes war.

Ich schlief ungefähr zwei Stunden und träumte, ich sey zu Hause bei Frau und Kindern. Dies natürlich vermehrte meinen Kummer, als ich erwachte und mich allein in einem ungeheuern Zimmer befand, welches an zwei- bis dreihundert Fuß breit, aber noch bei weitem höher war. Das Bett aber, worin ich lag, war an die fünf Ellen breit. Meine Herrin war mit ihren häuslichen Angelegenheiten beschäftigt und hatte mich eingeschlossen. Das Bett war acht Ellen über dem Boden erhaben. Natürliche Bedürfnisse drängten mich nun herunterzuspringen; auch wagte ich nicht laut zu rufen. Hätte ich jedoch dies auch gethan, so würde es mir bei meiner Stimme zu nichts geholfen haben, denn die Entfernung zwischen dem Zimmer, wo ich lag und der Küche, wo die Familie sich befand, war zu bedeutend. Unter diesen Umständen kletterten zwei Ratten die Bettvorhänge hinauf und liefen schnuppernd auf dem Bette umher. Eine kam beinahe dicht an mein Gesicht, worauf ich voll Schrecken aufstand und den Degen zu meiner Vertheidigung zog. Diese furchtbaren Thiere hatten die Keckheit mich auf beiden Seiten anzugreifen, und eines derselben legte die Vordertatzen auf meinen Rockkragen. Glücklicherweise ritzte ich ihm aber den Bauch auf, bevor es mir Schaden zufügen konnte, und es stürzte zu meinen Füßen nieder. Das andere entfloh, als es das Schicksal seines Gefährten sah, erhielt aber noch im Fliehen von mir eine starke Wunde auf den Rücken, so daß sein Blut auf den Fußboden hinabtröpfelte. Nach dieser Heldenthat ging ich auf dem Bette langsam auf und nieder, um mich von dem Schrecken wieder zu erholen. Diese Thiere waren von der Größe eines starken Bullenbeißers, aber bei weitem behender und wilder; hätte ich meinen Degen, bevor ich schlafen ging, abgeschnallt, so wäre ich unfehlbar von ihnen zerrissen und verschlungen worden. Ich maaß hierauf den Schwanz der todten Ratte und fand, daß er zwei Ellen, weniger einen Zoll, an Länge betrug. Es war mir widerwärtig, den Körper aus dem Bette zu ziehen, wo er noch blutend lag; auch bemerkte ich an ihm noch einiges Leben, deßhalb tödtete ich das Thier vollends durch einen starken Einschnitt in den Hals.

Bald darauf kam meine Herrin in’s Zimmer; als sie mich voll Blut sah, lief sie herbei und nahm mich auf die Hand. Ich zeigte lächelnd auf die todte Ratte und gab durch andere Zeichen zu verstehen, ich sey nicht verwundet, worüber sie sich außerordentlich freute. Alsdann rief sie die Magd herbei, damit diese die todte Ratte mit einer Zange aufnehme und aus dem Fenster werfe. Nachdem sie mich auf den Tisch gesetzt hatte, zeigte ich ihr meinen blutigen Degen, wischte ihn ab und steckte ihn wieder in die Scheide. In dem Augenblicke fühlte ich eine heftige Bedrängniß Etwas zu verrichten, was einAnderer statt meiner nicht thun konnte; deßhalb gab ich meiner Herrin zu verstehen, ich wünschte auf den Fußboden gesetzt zu werden. Nachdem sie dies gethan, erlaubte mir meine Schamhaftigkeit nicht, mich weiter auszudrücken, als daß ich auf die Thüre zeigte und mich mehreremale verbeugte. Die gute Frau verstand endlich, mit vieler Schwierigkeit, meinen Wunsch; sie nahm mich auf ihre Hand und brachte mich in den Garten, wo sie mich wieder auf den Boden setzte. Ich ging ungefähr zweihundert Ellen seitwärts, winkte ihr, mir nicht zu folgen oder auf mich hinzusehen, versteckte mich zwischen zwei Sauerrampferblättern und entledigte mich dort des natürlichen Bedürfnisses. Ich hoffe, der gütige Leser wird mich entschuldigen, daß ich bei diesen und ähnlichen Umständen so lange verweile, dieselben mögen kriechenden und gemeinen Seelen als unbedeutend erscheinen, werden aber gewiß manchem Philosophen zur Erweiterung seiner Gedanken und seiner Einbildungskraft verhelfen, damit er sie zum Frommen des öffentlichen und Privatlebens benutze. Dies war nämlich mein einziger Zweck bei der Herausgabe dieser und anderer Reisebeschreibungen, worin ich hauptsächlich die Wahrheit als Ziel vor Augen hatte, ohne irgend eine Ausschmückung durch Gelehrsamkeit oder Styl zu erstreben. Der ganze Eindruck dieser Reise wirkte aber so tief auf meine Seele, und ist so genau mir im Gedächtniß geblieben, daß ich keinen einzigen wesentlichen Umstand übergangen habe, als ich die Beschreibung entwarf. Nach einer genaueren Ansicht habe ich jedoch einige Stellen von geringerer Wichtigkeit ausgestrichen, die sich in meinem Manuskript befanden, weil ich den Tadel befürchtete, ich sey ein langweiliger Kleinigkeitskrämer, ein Vorwurf, welcher Reisenden, und vielleicht nicht mit Unrecht, oft gemacht wird.

Kapitel 2


Kapitel 2 Die Beschreibung der Tochter des Pächters. Der Verfasser wird auf einen Jahrmarkt und von dort in die Hauptstadt gebracht. Die Begebenheiten auf dieser Reise.

Meine Herrin hatte eine neunjährige Tochter, ein Kind mit ziemlichen Anlagen für ihr Alter, denn sie wußte bereits mit der Nadel sehr geschickt umzugehen und ihre Puppe zierlich anzukleiden. Die Mutter aber und die Tochter bereiteten mir sehr geschickt ein Nachtlager in der Puppenwiege; diese ward in eine kleine Schublade und die Schublade auf ein frei hängendes Brett gestellt, um mich so gegen die Ratten zu schützen. Jene Puppenwiege war mein Bett so lange ich bei dem Pächter blieb, wo mir der Aufenthalt allmählich bequemer wurde, da ich die Sprache zu lernen begann und somit im Stande war, meine Bedürfnisse auszusprechen.

Das kleine Mädchen war so geschickt, daß sie mich an- und auskleiden konnte, nachdem ich ein- oder zweimal vor ihren Augen meine Kleider abgelegt hatte, ob ich ihr gleich nie diese Mühe machte, wenn sie zugab, daß ich selbst dies Geschäft verrichtete. Sie verfertigte mir sieben Hemden und einige andere Wäsche von so feiner Leinwand, als man bekommen konnte, die aber doch noch rauher wie Sacktuch war; diese Wäsche hat sie mir fortwährend mit eigener Hand gewaschen. Ebenfalls war sie meine Lehrerin in Betreff der Sprache; wenn ich auf etwas zeigte, nannte sie mir den Namen, so daß ich in wenigen Tagen zu fordern vermochte, was ich wünschte. Sie war sehr gutmüthig und nicht größer als vierzig Fuß, denn für ihr Alter war sie noch sehr klein. Sie gab mir den Namen Grildrig, den die Familie und später sogar das ganze Königreich annahm. Das Wort hat ungefähr die Bedeutung des lateinischen Homunculus und des italienischen Uomicciuolo, das wir durch Diminutivmensch übersetzen können; Ihr verdanke ich hauptsächlich meine Lebensrettung in diesem Lande. Wir trennten uns nie, so lange ich dort war. Ich nannte sie meine Glumdalclitch, oder kleine Wärterin, und würde der größten Undankbarkeit schuldig seyn, wenn ich diese ehrenvolle Erwähnung ihrer Sorgfalt und Liebe überginge. Auch wünsche ich von Herzen, es möge in meiner Macht liegen, ihre Wohlthaten so zu vergelten, wie sie es verdient, statt daß ich die unschuldige, aber unglückliche Ursache ihres Unglücks geworden bin, wie ich leider viel Grund zu befürchten habe.

Um diese Zeit begann man auch in der Nachbarschaft davon zu sprechen, mein Herr habe auf dem Felde ein sonderbares Geschöpf, von der Größe eines Splacknuck, gefunden; welches jedoch die Gestalt des Menschen in jeder Hinsicht besitze, dessen Handlungen nachahme, seine besondere kleine Sprache zu sprechen scheine, mehrere Worte des ihrigen bereits erlernt habe, aufrecht umherginge, zahm und artig sey, auf den Ruf herbeikomme, alle Befehle vollführe, mit den schönsten Gliedern und einem Gesicht begabt sey, wie es kaum bei dreijährigen Mädchen vom höchsten Adel angetroffen werde.

Ein anderer Pächter, der in der Nähe wohnte und ein genauer Freund meines Herrn war, stattete ihm deßhalb einen Besuch ab, um sich nach der Wahrheit der erwähnten Geschichte zu erkundigen. Ich ward sogleich herbeigeholt und auf den Tisch gestellt, wo ich nach Befehl umherging, meinen Degen zog, ihn wieder einsteckte, dem Gaste meines Herrn eine Verbeugung machte, nach seinem Befinden mich erkundigte und ihm sagte: Er sey vollkommen – eine Phrase, welche meine kleine Wärterin mich gelehrt hatte. Dieser Mann, welcher alt und kurzsichtig war, setzte seine Brille auf, um mich besser betrachten zu können, worüber ich herzlich lachen mußte, denn seine Augen erschienen mir wie der Vollmond, der durch zwei Fenster in ein Zimmer scheint. Unsere Leute, welche die Ursache meiner lustigen Stimmung bald erkannten, leisteten mir im Lachen Gesellschaft; der alte Mann war aber thöricht genug, hierüber sich zu ärgern und ausser Fassung zu kommen. Er war als großer Geizhals berüchtigt und verdiente, zu meinem Unglück, vollkommen seinen schlechten Ruf. Er gab nämlich meinem Herrn den fluchwürdigen Rath, mich als Merkwürdigkeit auf dem Jahrmarkte der nächsten Stadt zu zeigen, die ungefähr zweiundzwanzig Meilen, d. h. eine halbe Stunde für Reiter, von unserem Hause entfernt lag. Ich errieth, daß mein Herr irgend ein Unheil im Sinne hatte, denn er flüsterte lange Zeit mit seinem Freunde und wies dabei auf mich hin; meine Furcht hatte zur Folge, daß ich mir einbildete, einige ihrer Worte verstanden und gehört zu haben. Am nächsten Morgen sagte mir Glumdalclitch, meine kleine Wärterin, die ganze Sache, die sie durch List ihrer Mutter abgefragt hatte, das arme Mädchen legte mich an ihren Busen, und weinte aus Scham und Traurigkeit. Sie besorgte irgend ein Unheil von Seiten der rohen und gemeinen Leute, die mich vielleicht zu Tode drücken oder die mir ein Glied zerquetschen könnten, wenn sie mich auf die Hand nehmen. Sie hatte auch meine Schamhaftigkeit und mein Ehrgefühl bereits bemerkt und konnte somit auch meinen Unwillen begreifen, dem niedrigsten Pöbel für Geld öffentlich als Schau gezeigt zu werden. Sie sagte, Vater und Mutter hätten ihr versprochen, Grildrig solle ihr gehören; wie sie jedoch sähe, werde sie jetzt eben so behandelt, wie vergangenes Jahr, wo die Eltern ihr ein Lamm versprochen, aber sobald dasselbe fett geworden sey, an den Schlächter verkauft hätten. Was mich betrifft, so kann ich ehrlich behaupten, daß ich weniger Kummer, wie meine Wärterin empfand. Die Hoffnung, ich werde eines Tages meine Freiheit wieder erlangen, verließ mich nie, und in Betreff der Schmach, als Ungeheuer behandelt zu werden, überlegte ich, im Lande sey ich ja vollkommen fremd; auch könne mir dies Unglück nie zum Vorwurfe gemacht werden, sollte ich jemals nach England zurückkehren, denn der König von Großbritannien müsse sich ja selbst dieser Unannehmlichkeit unterziehen.

Mein Herr brachte mich nun, dem Rathe seines Freundes gemäß, in einer Schachtel zum Jahrmarkt der nächsten Stadt, und nahm seine Tochter, meine kleine Wärterin, hinter sich auf’s Pferd; die Schachtel war an allen Seiten geschlossen; in der Wand befand sich nur eine kleine Thüre, damit ich hinein und hinaus gehen könne, nebst einigen gebohrten Löchern, um Luft hereinzulassen. Das Mädchen war so sorgfältig gewesen, die Matrazze aus ihrem Puppenbett hineinzulegen, damit ich weich liegen könne, dennoch ward ich auf dieser Reise furchtbar geschüttelt und zugerichtet, obgleich dieselbe nur eine halbe Stunde währte; denn das Pferd legte in jedem Schritt wenigstens vierzig Fuß zurück, und trottirte so hoch, daß die dadurch bewirkte Erschütterung dem Steigen und Fallen eines Schiffes bei großem Sturme glich, aber bei weitem häufiger war. Unsere Reise dauerte etwas länger als ein Ausflug von London nach St. Albans. Mein Herr stieg in einem Wirthshause ab, das er gewöhnlich besuchte; nachdem er sich einige Zeit mit dem Wirth berathen und die genügenden Vorbereitungen getroffen hatte, miethete er den Gultrud oder Ausrufer, damit dieser der Stadt bekannt mache: es sey im grünen Adler ein sonderbares Geschöpf von der Größe eines Splacknuck zu sehen (das ist ein sehr feingebautes sechs Fuß langes Thier des Landes); dasselbe gleiche in jedem Theile des Körpers der Menschengestalt, könne mehrere Worte aussprechen und an hundert ergötzliche Possen vollbringen.

Ich ward auf einen Tisch im größten Zimmer des Gasthofes gestellt, das an dreihundert Quadratfuß im Umfange betragen mochte. Meine kleine Wärterin stand auf einem Schemel dicht am Tische, um auf mich Acht zu geben und zu befehlen, was ich thun solle. Mein Herr litt nicht, um ein Gedränge zu vermeiden, daß mehr als dreißig Personen mich auf einmal sehen. Ich ging nach dem Befehl des Mädchens auf dem Tische umher, sie legte mir, so weit es mein Verständniß der Sprache erlaubte, mehrere Fragen vor, und ich beantwortete dieselben so gut wie möglich. Alsdann wandte ich mich einigemale zur Gesellschaft, verbeugte mich demüthig, sagte »sie sey willkommen« und sprach einige andere Phrasen aus, die ich erlernt hatte, ferner nahm ich einen mit Getränk gefüllten Fingerhut, den mir Glumdalclitch als Becher gegeben, und trank die Gesundheit der Anwesenden. Ich zog den Degen und schwang ihn nach Art der Fechter in England. Meine Wärterin gab mir ein Stück von einem Strohhalm, womit ich, wie mit einer Pike, exerzierte, denn diese Kunst hatte ich in meiner Jugend gelernt.

An dem Tage ward ich zwölf verschiedenen Gesellschaften gezeigt, und mußte stets dieselben Albernheiten wiederholen, bis ich durch Müdigkeit und Ueberdruß halb todt war, denn Alle, die mich gesehen hatten, gaben von mir und von dem Verhältnisse meines Wuchses zu dem ihrigen so wunderbare Berichte, daß die Leute bereit standen, die Thüre zu erbrechen um nur hineinzugelangen.

Mein Herr litt, aus eigenem Interesse, in keiner Weise, daß mich Andere, wie meine Wärterin, berührten; um jede Gefahr zu vermeiden, wurde der Tisch mit Bänken in solcher Entfernung umgeben, daß mich Niemand erreichen konnte.

Ein schändlicher Schulknabe schleuderte aber eine Haselnuß auf meinen Kopf zu, die mich beinahe getroffen hätte; sie flog mit solcher Heftigkeit herbei, daß sie sicherlich mein Gehirn hätte zerschmettern müssen, denn sie war beinahe so groß wie ein kleiner Kürbiß; ich hatte jedoch die Genugthuung, daß der junge Schelm gehörig geprügelt und dann aus dem Zimmer geworfen wurde. Mein Herr ließ bekannt machen, er werde mich am nächsten Markttage wieder öffentlich zeigen; indessen ließ er für mich ein bequemeres Transportmittel verfertigen, und dazu hatte er genügenden Grund, denn meine erste Reise und der Umstand, daß ich verschiedene Gesellschaften acht Stunden lang unterhalten mußte, hatten mich so sehr angegriffen, daß ich kaum auf den Beinen stehen oder auch kein Wort sprechen konnte. Erst nach drei Tagen kam ich wieder etwas zu Kräften, aber damit ich auch keine Ruhe zu Hause hätte, begaben sich alle Herrn von Stande, auf dreihundert Meilen in der Runde, nachdem sie von meinem Ruhme gehört hatten, in die Wohnung meines Herrn, um mich zu sehen. Wenigstens dreißig Personen kamen mit Frau und Kindern (das Land ist sehr bevölkert). Mein Herr verlangte alsdann die Zahlung eines gefüllten Zimmers, selbst wenn nur ein Mann mit seiner Frau kam. Einige Zeit lang hatte ich keinen Tag Ruhe (nur am Mittwoch, der in Brobdingnag als Sonntag gilt), ob ich gleich nicht in die Stadt gebracht wurde.

Als nun mein Herr einsah, ich würde ihm wahrscheinlich viel Geld einbringen, beschloß er, mich in allen berühmten Städten des Königreichs zu zeigen. Er versah sich deßhalb mit allen Dingen, die zu einer größeren Reise erfordert werden, ordnete seine Angelegenheiten zu Hause, nahm Abschied von seiner Frau, und am 17. August 1703, ungefähr zwei Monate nach meiner Ankunft, reisten wir zur Hauptstadt, welche ungefähr in der Mitte des Landes und dreitausend Meilen von unserem Hause entfernt liegt. Mein Herr nahm seine Tochter Glumdalclitch hinter sich auf’s Pferd. Sie trug mich auf dem Schooß in einer um ihren Leib befestigten Schachtel. Das Mädchen hatte die Wände derselben mit dem weichsten Tuch das sie bekommen konnte, besetzt, dasselbe noch ausserdem gepolstert, das Bett ihrer Puppenwiege in die Schachtel gelegt, und letztere mit Wäsche und anderen Bedürfnissen gehörig versehen; kurz, sie hatte Alles so bequem wie möglich eingerichtet. Wir reisten allein, mit Ausnahme eines Knaben vom Hause, der mit dem Gepäck hinter uns herritt.

Mein Herr beabsichtigte, mich in allen Städten am Wege zu zeigen, und in der Entfernung von fünfzig bis hundert Meilen vom Wege in jedes Dorf oder nach jedem Landsitze hinzureiten, wo er auf Einnahme hoffen könnte. Wir machten kurze und bequeme Tagereisen, nur von ungefähr zwölf bis fünfundzwanzig Dutzend Meilen; Glumdalclitch, um mich nicht zu sehr anzugreifen, beklagte sich nämlich häufig, sie könne das Trottiren des Pferdes nicht ertragen. Sie nahm mich auch oft, sobald ich es wünschte, aus der Schachtel, damit ich frische Luft schöpfen und das Land mir ansehen konnte; dabei wurde ich aber stets an einer Schnur geleitet. Wir setzten über fünf bis sechs Flüsse, die sämmtlich tiefer und breiter wie der Nil und Ganges waren; auch war kein Bach so klein wie die Themse bei der London-Brücke. Zehn Wochen dauerte die Reise, und ich wurde in achtzehn großen Städten gezeigt, der Dörfer und Privatbesitzungen nicht zu gedenken.

Am 26. Oktober langten wir in der Hauptstadt an, die in der Sprache von Brobdingnag Lorbgrulgrud, oder Stolz des Weltalls genannt wird. Mein Herr miethete sich eine Wohnung in der Hauptstraße, nahe beim königlichen Palaste. Alsdann ließ er Ankündigungen in der gewöhnlichen Form anschlagen, welche die genaue Beschreibung meiner Person und meiner Eigenschaften enthielten.

Das Zimmer, das er miethete, war an drei- bis vierhundert Fuß breit. Er sorgte für einen Tisch von sechzig Fuß im Durchmesser, worauf ich meine Künste zeigen sollte, und verpallisadirte denselben zur Höhe von drei Fuß, und in gleicher Entfernung vom Rande, damit ich nicht hinunterfiele. Zehnmal des Tages wurde ich zum Erstaunen und zur Zufriedenheit aller Leute öffentlich gezeigt. Ich kannte jetzt die Sprache so ziemlich und verstand Alles, was man mir sagte. Außerdem hatte ich Lesen gelernt, und konnte mitunter schon einen ganzen Satz nothdürftig erklären, denn Glumdalclitch war sowohl zu Hause als auch in den Mußestunden auf unserer Reise meine Lehrerin gewesen. Sie hatte ein kleines Buch in ihrer Tasche mitgenommen, was nicht viel größer war, als bei uns ein Atlas; dasselbe war ein kurzer Katechismus für junge Mädchen, um ihnen die Religionsbegriffe beizubringen. Aus diesem Buche lehrte sie mich das Lesen und erklärte mir die Worte.

II


II.

Während Swift seiner Liebe zur Literatur nachhing und diese hohe Freundschaft ihm eine angenehme Zukunft zu versprechen schien, bereitete er sich, ohne es zu merken, eine Reihe von Unglücksfällen für den Rest seiner Tage. Es geschah, während seines zweiten Aufenthalts in Moorpark, daß er die Bekanntschaft von Esther Johnson machte, die unter dem poetischen Namen Stella bekannter ist.

Swift, im Vertrauen auf sein kaltes Temperament und seine wandelbare Laune, die kein unkluges Verhältniß gestatten würde, faßte den Entschluß, nicht eher an eine Heirath zu denken, als bis seine Existenz gesichert wäre. Auch dann noch, meinte er, werde er so schwer zufrieden zu stellen seyn, daß er die Hochzeit wohl bis zu seinem Tode werde aufschieben können; die Anzeichen einer Neigung, in welchen sein Freund die Symptome einer Leidenschaft zu erkennen glaubt, sind nur die Wirkung einer beweglichen, unruhigen Laune, die der Nahrung bedarf. Er ergreift die erste Gelegenheit, sich zu unterhalten, die sich darbietet, und sucht sie oft in einer nichtssagenden Galanterie; dies ist auch sein Zweck bei dem genannten Mädchen; »es ist eine Gewohnheit,« sagte er, »die ich ohne Mühe werde ablegen können, wenn ich einmal den Entschluß werde fassen wollen, und die ich gewiß ohne Schmerz an der Schwelle des Heiligthums zurücklasse.«

Auf diese Neigung folgte eine noch ernsthaftere; Jane Waryng, die Schwester seines Schulfreundes Waryng, die er mit ziemlich kalter poetischer Affektation Varina nannte, zog während seines Aufenthalts in Irland, als er William Templeverlassen hatte, seine Aufmerksamkeit auf sich.

Ein Brief, der vier Jahre später an dieselbe Person gerichtet wurde, ist in einem ganz andern Tone geschrieben. Varina ist verschwunden; unser Autor schreibt an Jane Waryng: Innerhalb vier Jahren konnten viele Ereignisse vorfallen, die wir nicht wissen; und es wäre nicht gerecht, das Betragen Swifts hart zu beurtheilen, den der hartnäckige Widerstand Varina’s nicht auf das plötzliche Anerbieten einer Capitulation hatte vorbereiten können.

Der Tod des Sir William Temple setzte dem friedlichen und glücklichen Leben, dessen sich Swift vier Jahre lang in Moorpark erfreute, ein Ziel. Sir William hatte die edle Freundschaft Swifts zu schätzen gewußt: er machte ihm ein Vermächtniß an Geld und hinterließ ihm seine Manuscripte, die er ohne Zweifel weit höher schätzte.

Kurze Zeit nachher begab sich Swift nach Irland mit Lord Berkeley. Nach einigen Uneinigkeiten mit diesem Edelmann erhielt er die Pfründe Saracor; aber nun warf er sich unverzüglich auf die Politik.

Im Jahr 1710 begab er sich nach England. Damals begannen seine Feindseligkeiten mit den Whigs und sein Bündniß mit Harley und der Verwaltung.

Seine Ernennung zum Dechant zu St. Patrik wurde den 23. Februar 1713 unterzeichnet und Swift reiste in den ersten Tagen des Junius ab, um eine Pfründe in Besitz zu nehmen, die er, wie er oft sagte, im höchsten Falle für nichts Anderes ansah, als für eine ehrenvolle Verbannung. Man konnte sich in der That nicht darauf gefaßt machen, daß die beispiellose Gunst, in der er bei der Regierung gestanden hatte, ihn zu nichts weiter, als zu einer Pfründe in Irland führen und ihn von denselben Ministern entfernen würde, von denen er um Rath gefragt worden war, die seine Talente zur Verteidigung ihrer Sache benützten und mit eben so viel Entzücken seine Gesellschaft genoßen als sie zuvor seine Dienste für die Verwaltung so wesentlich gehalten hatten. Er mochte sich allerdings eben so getäuscht als überrascht fühlen, daß sie ihn nicht zum Bischof in Irland ernennen wollten. Mistreß Johnson hatte ihr Vaterland verlassen, ihren Ruf auf’s Spiel gesetzt, um sein Schicksal zu theilen, zu einer Zeit, als durchaus kein Anschein war, es könnte später glänzender mit ihm werden, und die Bande, die Swift verpflichteten, sie für diese Opfer schadlos zu halten, wären eben so heilig als ein feierliches Versprechen gewesen, wenn nicht wirklich ein förmliches Heirathsversprechen von seiner Seite gegeben ward. Swift beauftragte den ehrwürdigen Sr. Georg Ashe, Bischof von Clogher, seinen alten Lehrer und Freund, sich nach der Ursache der SchwermuthStella’s zu erkundigen, und die Antwort war eine solche, wie sie ihm sein Gewissen zum Voraus hätte geben können. Es war nur ein Mittel, sie von seiner fortdauernden Liebe zu überzeugen und gegen die Verläumdung zu schützen. Swifts Antwort war, daß er zwei Entschlüsse in Beziehung auf den Ehestand gefaßt habe, einmal nicht eher zu heirathen, als wenn er ein hinlängliches Auskommen habe, und dann nur in einem solchen Alter daran zu denken, wo er vernünftiger Weise noch hoffen könnte, seine Kinder so versorgt zu sehen, wie sie es zu werden wünschen dürften. Seine Unabhängigkeit sey noch nicht gesichert, er habe Schulden und die Lebensstufe überschritten, über welche hinaus er entschlossen sey, nicht mehr zu heirathen. Indessen wolle er Stella seine Hand geben, wenn ihre Heirath geheim gehalten, und unter der Bedingung, daß sie fortfahren würden, getrennt, und mit derselben Zurückhaltung wie zuvor zu leben. Stella unterschrieb diese harten Bedingungen. Sie hoben ihre Zweifel und beschwichtigten ihre Eifersucht, indem sie die Verbindung mit ihrer Nebenbuhlerin unmöglich machten. Swift und Stella wurden im Jahre 1716 im Garten der Dekanei vermählt. Unmittelbar nach der Ceremonie war Swift, wie es scheint, in einer schrecklichen geistigen Aufregung. So viel ich von einem Freunde seiner Wittwe erfahren habe, erzählte Delany, als man in ihn drang, seine Meinung über diese seltsame Heirath auszusprechen, er habe um die Zeit, als sie zu Stande kam, bemerkt, daß Swift sehr finster und außerordentlich aufgeregt war, so sehr, daß er zum Erzbischof King gegangen sey, um ihm seine Besorgnisse mitzutheilen. Als er in das Bibliothekzimmer gegangen, seySwift eilig mit verstörten Zügen herausgekommen und an ihm vorbeigeeilt, ohne mit ihm zu sprechen. Er habe den Erzbischof in Thränen gefunden, und auf seine Frage nach dem Grunde die Antwort erhalten: »Sie sind so eben dem unglücklichsten Menschen auf der Welt begegnet, aber fragen Sie mich niemals über die Ursache seines Unglücks.« Bei dieser Gelegenheit ist zu bemerken, daß Delany aus diesem Umstande schloß, Swift habe nach seiner Heirath mit Stella entdeckt, daß sie in einem verbotenen Grade mit einander verwandt seyen und dies dem Erzbischof anvertraut. Aber die Ausdrücke des Prälaten lassen auf nichts Näheres schließen, und es gibt sichere Beweise dafür, daß diese Verwandtschaft gar nicht bestanden haben kann.

Swift sah mehrere Tage Niemand. Als er aus seiner Zurückgezogenheit hervorkam, dauerten seine Beziehungen zu Mistreß Dingley und Stella mit derselben Vorsicht fort, um jeden Verdacht eines vertrauten Verhältnisses abzuwehren, wie wenn dieses jetzt nicht rechtmäßig und tugendhaft gewesen wäre. Stella war also fortwährend die Geliebte und vertraute Freundin Swifts; sie hielt ihm Haus, machte die Honneurs seines Tisches, obgleich sie nur sein Gast zu seyn schien; sie war seine treue Gefährtin, pflegte ihn, wenn er krank war, aber sie war nie seine Frau, und selbst diese Heirath war ein Geheimniß für die Welt.

Die Angelegenheiten seiner Kirche, die durch den Widerstand seines Capitels und durch die Dazwischenkunft des Erzbischofs King in Verwirrung gebracht worden waren, hoben sich unmerklich durch die Ueberzeugung, die man von der Redlichkeit der Absichten des Dechanten und von seinem uneigennützigen Eifer für die Rechte und Interessen der Kirche gewann. Er erlangte einen solchen Einfluß auf das Capitel, daß man seinen Vorschlägen selten widersprach. Die Angelegenheit der Gefälle und der Erneuerung derselben verschlang in der Folge viel von seiner Zeit. Man darf annehmen, daß Swift wahrend dieser fünf bis sechs Jahre das Studium nicht vernachläßigte. Man fand seine Ansichten über Herodot, Philostrat und Aulus Gellius, was zu der Annahme veranlaßt, daß er sich mit diesen Schriftstellern hauptsächlich beschäftigte: er hatte seine Ausgaben mit weißen Blättern durchschießen lassen, auf die er Bemerkungen schrieb. Man dürfte wohl voraussetzen, daß er die klassischen Autoren nicht vergessen habe, wenn wir nicht wüßten, daß Lucrez seine Lieblingslektüre während seines Aufenthalts zu Gaulstown war. Das Verzeichniß der Bücher, aus denen seine Bibliothek bestand, mit seinen eigenhändigen Bemerkungen ist der sicherste Beweis für seinen Geschmack.

Diese Studien genügten indeß einem Manne nicht, der während seines Aufenthalts in England einen so thätigen Antheil an der Politik genommen hatte. Man hat daran gedacht, und es ist sehr wahrscheinlich, daß Swift zu jener Zeit den Plan zu denReisen Gullivers entwarf. Man findet den Keim dieses berühmten Werkes in den Reisen des Martinus Scriblerus, die wahrscheinlich zuvor entworfen worden waren, ehe die Verbannungen den literarischen Clubb zerstreut hatten. Der Zustand, in welchem der Dechant die öffentlichen Angelegenheiten nach dem Tode der Königin Anna erblickte, paßt zu einem großen Theile der satyrischen Züge in den Reisen. Außerdem spielt ein Brief von Vanessa auf das Abenteuer Gullivers mit dem Affen von Brobdingnag an, und man findet in derselben Correspondenz, daß Swift im Jahr 1722 mehre Reisebeschreibungen las. Er sagte zu Mißtreß Whitway, was er nachher wiederholt hat, daß er aus den Reisen, die er gelesen, alle Seeausdrücke in Gulliver entlehnt habe. Es ist also wohl anzunehmen, daß die Reisen Gullivers zu der Zeit, von der wir sprechen, skizzirt wurden, obgleich sie von der Politik einer spätern Periode handeln.

Swift verließ im Jahre 1720 seine Beschäftigungen und Unterhaltungen, um wieder auf der politischen Bühne zu erscheinen, zwar nicht mehr als Sachwalter und Lobredner eines Ministeriums, aber als der unerschrockene und beharrliche Vertheidiger eines unterdrückten Volkes. Keine Nation hat jemals so sehr eines solchen Vertheidigers bedurft. Der Wohlstand, dessen sich Irland unter den Königen aus dem Hause Stuart erfreut hatte, war durch einen Bürgerkrieg unterbrochen worden, dessen Ausgang den Kern seines Adels und seines Heeres genöthigt hatte, sich aus dem Lande zu entfernen. Die katholische Bevölkerung dieses Königreichs erweckte nur Mißtrauen, und wurde dadurch zur Führung ihrer eigenen Sache untüchtig.

Das englische Parlament hatte sich die Gewalt angemaßt, Irland Gesetze zu geben; und es benutzte diese Gewalt dazu, den Handel dieses Königreichs so sehr als möglich in Fesseln zu legen, dem Handel Englands unterzuordnen und ihn in dieser Abhängigkeit zu erhalten. Die Gesetze des zehnten und elften Jahres der Regierung Wilhelm III. verboten die Ausfuhr der Wollwaaren, außer nach England und in das Fürstenthum Wales. Die irländischen Fabriken wurden dadurch eines Einkommens beraubt, das man auf eine Million Pfund Sterling schätzte.

Nicht eine Stimme erhob sich in der Kammer der Gemeinen gegen diese eben so unpolitischen, als tyrannischen Maßregeln, die eher eine Korporation kleinstädtischer Krämer, als des aufgeklärten Senats eines freien Volkes würdig waren. Nach diesen Grundsätzen handelnd, häufte man Ungerechtigkeit auf Ungerechtigkeit und man fügte den Hohn hinzu, mit dem Vortheil für die Angreifenden, daß sie das unterdrückte Volk Irlands einschüchtern und zum Schweigen bringen konnten, indem sie es als Rebellen und Jakobiren verschrieen! Swift sah diese Uebelstände mit dem ganzen Unwillen eines Charakters an, der von Natur zum Widerstand gegen die Tyrannei geneigt ist. Er veröffentlichte die »Briefe des Tuchhändlers« voll gewichtiger Gründe, blitzend von Geist und besonders durch die Gewandtheit ausgezeichnet, mit welcher die Beweisgründe dargestellt und die Pfeile gerichtet wurden.

Swifts Popularität war die aller jener Männer, welche in einer entscheidenden kritischen Periode das Glück gehabt haben, ihrem Vaterlande einen großen Dienst zu leisten. So lange er sein Haus noch verlassen konnte, begleiteten ihn die Segenswünsche des Volkes; wenn er in eine Stadt kam, erfreute er sich einer Aufnahme, wie sie sonst nur einem Fürsten zu Theil wird. Bei der ersten Nachricht von einer Gefahr, die dem Dechant (so nannte man ihn gewöhnlich) drohte, lief das ganze Land zu seiner Vertheidigung herbei. Walpole hatte dann gedroht, Swift festnehmen zu lassen; ein kluger Freund fragte ihn, ob er zehntausend Soldaten habe, um den Beamten begleiten zu lassen, der damit beauftragt sey, diesen Befehl zu vollziehen.

Swifts Schwächen, obgleich von der Art, die Böswilligkeit des Pöbels zu reizen, wurden mit der frommen Achtung kindlicher Liebe beurtheilt. Alle Vicekönige von Irland, von dem leutseligen Cartenet an bis zu dem hochmüthigen Dorset, die weder seine Politik noch auch seine Person liebten, sahen sich genöthigt, seinen Einfluß zu achten und mit seinem Eifer zu kapituliren. Ueber die Abnahme seiner geistigen Fähigkeiten trauerte Irland; der Schmerz eines Volkes begleitete ihn in’s Grab, und beinahe alle irische Schriftsteller haben dem Andenken Swifts jenen Tribut der Dankbarkeit abgetragen, der ihm mit so vollem Rechte gebührt.