Kapitel 6


Kapitel 6 Die Beschreibung des Zustandes von England, unter der Königin Anna, wird fortgesetzt. Der Charakter eines Premierministers an europäischen Höfen.

Mein Herr konnte durchaus nicht begreifen, aus welchen Beweggründen dies Geschlecht der Rechtsgelehrten sich solche Verdrießlichkeit, Unruhe und Zänkerei unter ihrer eigenen Gilde errege und sich zu einem Bunde, welcher Ungerechtigkeit bezwecke, vereinige, und zwar ausschließlich, um den Nebenthieren Unrecht zuzufügen; auch konnte er den Sinn meiner Worte nicht verstehen, als ich ihm sagte, sie thäten dies gemiethet für ein Honorar. Es machte mir somit viele Mühe, ihm den Gebrauch des Geldes und die Stoffe, woraus es verfertigt wird, zu beschreiben. Ich sagte: Habe ein Yähu genügenden Vorrath an dieser kostbaren Substanz, so sey er im Stande, Alles sich anzuschaffen, was er zu besitzen wünsche, die schönsten Kleider, die prächtigsten Häuser, große Landstrecken, kostbare Speisen und Getränke; er könne unter den schönsten Frauen wählen. Da nun das Geld allein im Stande sey, alle diese Wünsche zu befriedigen, so glaubten unsre Yähus, sie könnten nie genug haben, um es auszugeben oder zu sparen, je nachdem sie durch ihren natürlichen Charakter Neigung zur Verschwendung oder zum Geize besäßen. Der Reiche genieße die Früchte von der Arbeit des Armen, und die Zahl der Reichen verhalte sich zu der von Armen wie Eins zu Tausend. Die Masse unsers Volkes werde gezwungen, jeden Tag um geringen Lohn zu arbeiten, damit Wenige im Ueberfluß leben könnten.

Ich sprach weitläuftig über diese und manche andere hieher gehörige Gegenstände, mein Herr konnte mich aber durchaus nicht verstehen, denn er ging von der Vermuthung aus, alle Thiere besäßen Antheil an den Produkten der Erde, vorzüglich aber diejenigen, welche die Uebrigen beherrschten. Deßhalb bat er mich, ihm zu sagen, worin jene kostbaren Speisen beständen, und weßhalb denn irgend Jemand ihrer bedürfe. Hierauf zählte ich ihm alle Gerichte auf, die mir gerade einfielen, sowie auch die Arten ihrer Zurichtung. Letzteres könne nicht geschehen, ohne daß Schiffe nach den verschiedenen Theilen der See ausgesendet würden, um Flüssigkeiten sowohl zum Getränk als zu Saucen und unzähligen andern Bequemlichkeiten herbeizuholen. Ich gab ihm die Versicherung, der ganze Erdkreis müsse dreimal umschifft werden, bevor ein vornehmer weiblicher Yähu ein Frühstück oder ein Geschirr zu demselben bekommen könne. Mein Herr antwortete, mein Vaterland müsse ein sehr elendes sein, da es keine Nahrung seinen Einwohnern verschaffen könne. Am meisten aber erstaune er über den Umstand, daß die ungeheuren von mir erwähnten Landstriche gänzlich ohne frisches Wasser wären, und daß unser Volk über die See schicken müsse, um Getränk herbeizuholen. Ich erwiderte, England, mein theures Vaterland, bringe ungefähr das Dreifache an Früchten mehr hervor, als seine Einwohner verzehren könnten, sowie auch Flüssigkeiten, welche man aus Korn, sowie aus den Früchten gewisser Bäume presse. So bereite man ein treffliches Getränk in demselben Verhältnisse, wie die übrigen Gemächlichkeiten des Lebens.

Um jedoch die Unmäßigkeit oder den Luxus unserer männlichen und die Eitelkeit unserer weiblichen Einwohner zu befriedigen, schickten wir den größeren Theil unserer Bedürfnisse in andere Länder, und erhielten dafür Materialien für Krankheiten, Laster und Thorheit zum Verbrauche. Daraus ergebe sich als nothwendige Folge, daß ein großer Theil unseres Volkes gezwungen werde, ihren Lebensunterhalt durch Betteln, Rauben, Stehlen, Betrügen, Kuppeln, Schmeicheln, Verführen, Falschschwören, Fälschen, Spielen, Lügen, Kriechen, Bramarbasiren, Scribeln, Prophezeien, Vergiften, Buhlen, Schwatzen, Klatschen, durch Freidenkerei und andere Beschäftigungen zu erlangen. Es war jedoch viele Mühe erforderlich, einen jeden dieser Ausdrücke ihm verständlich zu machen.

Wein, fuhr ich fort, ward aus fremden Ländern bei uns eingeführt, nicht um den Mangel an Wasser oder anderen Getränken zu ersetzen, sondern weil derselbe aus einer Flüssigkeit besteht, die uns munter macht, indem sie uns den Verstand nimmt, alle melancholischen Gedanken zerstreut, wilde und ausschweifende Ideen im Hirn erzeugt, unsere Hoffnung erhöht und unsere Furcht verbannt, jede Wirkung der Vernunft auf einige Zeit unterbricht und uns an dem Gebrauch unserer Glieder verhindert, bis wir in einen tiefen Schlummer fallen. Wir erwachen jedoch jedesmal krank und entmuthigt, und der Gebrauch dieses Getränkes erweckt bei uns Krankheiten, welche unser Leben unangenehm machen und verkürzen. Ausserdem ernährt sich die Volksmasse durch den Umstand, daß sie die Bequemlichkeiten des Lebens den Reicheren liefern und sich gegenseitig damit versorgen. Z. B. wenn ich zu Haus bin und mich nach meinem Stande kleide, so trage ich an meinem Leibe die Arbeit von hundert Handwerkern. Der Bau und die Möblirung meines Hauses erfordert dieselbe Anzahl; die fünffache Zahl ist jedoch nothwendig, meine Frau zu schmücken.

Alsdann erzählte ich von einer andern Art Leute, welche sich ihren Lebensunterhalt dadurch erwerben, daß sie sich mit den Kranken abgeben. Vorher hatte ich nämlich meinem Herrn schon gesagt, ein großer Theil meiner Matrosen sey an Krankheiten gestorben. Hier konnte ich ihm jedoch nur mit größter Schwierigkeit meine Worte verständlich machen. Er hatte den Begriff, ein Hauyhnhnm könne wenige Tage vor seinem Tode alt und schwach werden, oder durch irgend einen Zufall sich ein Glied verletzen; er hielt es aber für unmöglich, daß die Natur, welche doch bei allen Dingen Vollkommenes hervorbringt, es leiden sollte, daß Krankheiten in unseren Körpern sich erzeugen. Er wünschte deßhalb die Ursache von diesem unnatürlichen Uebel zu erfahren.

Ich sagte ihm, wir nährten uns von tausend Dingen, die einander entgegenwirkten; wir äßen ohne hungrig zu seyn und tränken, ohne Durst zu fühlen. Wir wachten oft in den Nächten und genößen starke Getränke, ohne etwas zu essen; dies erwecke Trägheit, entzünde unsere Körper und beschleunige oder verhindere die Verdauung. Verdorbene weibliche Yähus erlangten eine gewisse Krankheit, welche Fäulniß der Knochen bei denjenigen bewirke, die sich mit ihnen abgäben; diese Krankheit, so wie manche andere, gingen vom Vater auf den Sohn über.

Somit kommen, fuhr ich fort, viele Yähus auf die Welt, mit complicirten Krankheiten; ich kann hier unmöglich den ganzen Katalog menschlicher Krankheiten anführen, denn diese bestehen aus fünf- bis sechshundert, die sich über jedes Glied und Gelenk verbreiten; kurz, jeder innere und äussere Theil hat seine eigenthümliche Krankheit. Um diesem abzuhelfen, ward bei uns eine gewisse Menschenklasse zu dem Geschäft oder zu dem Vorwande, die Kranken zu heilen, aufgezogen.

Weil ich in diesem Geschäfte einige Geschicklichkeit besitze, kann ich Eurer Gnaden das ganze Geheimniß und die Methode darlegen, nach welcher diese Leute zu verfahren pflegen.

Ihr Hauptgrundsatz besteht darin, daß alle Krankheiten in Ueberfüllung bestehen. Daraus schließen sie, eine große Ausleerung des Körpers sey nothwendig, entweder aus dem natürlichen Kanale oder aus dem Munde. Ihr zweites Geschäft besteht darin, daß sie aus Kräutern, Mineralien, Gummi, Oelen, Wurzeln, Salzen, Pflanzensäften, Seegräsern, Excrementen, Baumrinden, Schlangen, Kröten, Fröschen, Spinnen, Fleisch und Knochen von todten Menschen, Vögeln, Thieren, Fischen eine Mischung bilden, die durch Geschmack und Geruch so abscheulich und ekelhaft wie möglich gemacht wird, so daß der Magen sie sogleich wieder auswirft.

Dies heißt ein Brechmittel; oder aber sie bilden aus Stoffen desselben Waarenlagers, indem sie noch einige andere giftige Materien hinzufügen, eine oben

oder unten

(wie der Arzt gerade gelaunt ist) einzunehmende Medicin, die auf gleiche Weise den Eingeweiden ekelhaft und unerträglich ist. Diese erleichtert die Gedärme und treibt alles darin Befindliche hinaus. Dieses letztere Mittel heißt ein Klystier.

Da die Natur, wie der Arzt behauptet, die obere Oeffnung für Einführung fester und flüssiger Nahrung, die untere zum Auswerfen bestimmt hat, so stellt die Kunst den genialen Grundsatz auf: die Natur, welche in jeder Krankheit gestört sey, müsse dadurch wieder in ihre gehörige Stellung gerathen, daß man den Leib in einer durchaus entgegengesetzten Weise behandle, indem man die Funktionen einer jeden Oeffnung austausche, feste und flüssige Substanzen hinten einführe und Ausleerungen durch den Mund bewirke.

Ausser wirklichen Krankheiten sind wir jedoch auch eingebildeten ausgesetzt, wofür die Aerzte besondere Kuren erfinden; diese Krankheiten haben ihre besonderen Namen und besondere Mittel. Hieran leiden aber fortwährend unsere weiblichen Yähus.

Die größte Kunst dieses Standes besteht aber darin, ein Prognostikum zu stellen, und dieses trifft auch fast immer ein. Die Vorhersagung der Aerzte in wirklichen Krankheiten, welche einen bösartigen Charakter zeigen, betrifft immer den Tod, der in ihrer Gewalt liegt, während sie über die Wiederherstellung nichts bestimmen können; bessert sich jedoch der Kranke auf unerwartete Weise, nachdem sie ihr Urtheil gesprochen, so wissen sie, wie ihr Scharfsinn durch eine genügende Weise der Welt gezeigt werden muß, damit sie nicht als falsche Propheten gelten.

Sie sind auch Gatten und Gattinnen, welche einander nicht leiden können, älteren Söhnen, Staatsministern und Fürsten bisweilen von größtem Nutzen gewesen. Früher hatte ich mit meinem Herrn über die Natur des Regierens im allgemeinen, und besonders über unsere ausgezeichnete Constitution gesprochen, welche mit Recht das Erstaunen und den Neid der ganzen Welt erregt. Da ich aber zufällig einen Staatsminister hier erwähnte, befahl er mir zu sagen, was für einen Yähu ich unter dieser Benennung verstehe.

Ich sagte ihm, ein Premierminister, den ich zu beschreiben beabsichtige, sey ein Geschöpf ohne Freude und Kummer, ohne Liebe und Haß, ohne Mitleid und Zorn; er hege wenigstens keine andere Leidenschaften, als ein heftiges Verlangen nach Reichthum, Macht und Titeln; er gebrauche seine Rede zu allen Dingen, nur nicht um seine wirklichen Gedanken zu verkünden; er sage nie eine Wahrheit, als in der Absicht, daß man sie für eine Lüge halte, noch eine Lüge, damit man sie als wahr ihm glaube; diejenigen, denen er in ihrer Abwesenheit die schlimmsten Dinge nachsage, könnten überzeugt seyn, daß er sie befördern werde; Andere, denen er in ihrer Gegenwart oder Abwesenheit Lobsprüche ertheile, könnten sich als verlorene Leute betrachten. Das schlimmste Zeichen für irgend eine Hoffnung sey jedoch ein Versprechen, besonders wenn es mit einem Eide bestätigt werde. Hierauf pflege sich Jedermann zurückzuziehen und alle Hoffnung aufzugeben.

Es gibt, fuhr ich fort, drei Methoden, wodurch ein Yähu unser Minister wird, die erste besteht darin, daß man mit Klugheit über eine Frau, Tochter oder Schwester zu verfügen weiß; die zweite darin, daß man den Vorgänger verräth oder untergräbt; die dritte besteht in einem wüthenden Eifer gegen die Verderbniß des Hofes, welchen man in öffentlichen Versammlungen zeigen muß.

Ein kluger Fürst wählt vorzüglich diejenigen, welche die letztere Methode in Anwendung bringen; solche Zeloten sind nämlich immer die gehorsamsten Diener bei den Leidenschaften und dem Willen ihres Herrn. Alsdann erhalten sich diese Minister ihre Stelle durch den Umstand, daß alle Aemter zu ihrer Verfügung stehen; sie bestechen nämlich die Mehrheit eines Senates oder großen Rathes; zuletzt lassen sie sich, um das Nachrechnen zu verhindern, eine Act of indemnity (ich beschrieb meinem Herrn die Natur derselben) geben, [Fußnote] und ziehen sich, mit der Beute der Nation beladen, vom Amte zurück.

Der Palast eines Premierministers gilt als Lehranstalt, um Andere zu diesem Geschäfte aufzuziehen; Pagen, Lakaien und Portiers werden in verschiedenen Departements Staatsminister, indem sie ihren Herrn nachahmen, und erwerben sich eine große Vollkommenheit in den drei Haupteigenschaften: der Unverschämtheit, des Lügens und der Bestechung. Demgemäß wird auch ihnen von Personen des höchsten Ranges ein untergeordneter Hof gebildet; bisweilen gelingt es ihnen durch Geschick und Unverschämtheit nach verschiedenen Stufenleitern die Nachfolger ihres Herrn zu werden.

Gewöhnlich wird derselbe durch eine verblühte Buhlerin oder durch einen Lieblingsbedienten regiert; dies sind die Kanäle, auf denen alle Gnadenbezeugungen verführt werden. Man kann dieselben in letzter Instanz die Beherrscher des Königreichs nennen.

Als mein Herr eines Tages hörte, wie ich den hohen Adel meines Vaterlandes erwähnte, hatte er die Güte, mir ein unverdientes Kompliment zu machen. Er sagte nämlich, ich sey gewiß aus einer edlen Familie entsprossen, weil ich in Gestalt, Farbe und Reinlichkeit alle Yähus seines Vaterlandes übertreffe, ob ich ihnen gleich in Kraft und Behendigkeit nachstehe, ein Umstand, der meiner besonderen Lebensart zuzuschreiben sey, worin ich von jenen Thieren abweiche; ausserdem sey ich mit der Fähigkeit, zu sprechen, begabt, und besitze einige Theile der Vernunft in solchem Grade, daß ich bei allen seinen Bekannten für ein Wunderthier gelte.

Er fügte die Bemerkung hinzu: bei den Hauyhnhnms sey der Schimmel, der Rothfuchs, der Eisengraue nicht ganz so gebildet, wie der Kastanienbraune, der Schecke und der schwarze Rappe; auch würden erstere nicht mit denselben Talenten, oder mit derselben Anlange zur Verbesserung geboren; deßhalb blieben sie fortwährend nur im Bedientenstande und verheiratheten sich auch niemals ausserhalb ihrer Race. Letzteres würde für unnatürlich und monströs gelten.

Ich sagte meinem Herrn den verbindlichsten Dank für die gute Meinung, die er gütigst von mir gefaßt hätte; ich fügte jedoch hinzu, wie ich aus niederem Stande von einfachen Eltern geboren sey, die mir nur eine erträgliche Erziehung ertheilen konnten. Der höhere Adel entspreche durchaus nicht der Idee, welche Seine Gnaden von demselben hege. Unsere jungen Lords würden von Kindheit auf in Faulheit und Ueppigkeit aufgezogen; sobald es ihr Alter erlaube, verbrauchten sie ihre Kraft und erhielten schmähliche Krankheiten von Buhlerinnen; sobald ihre Vermögensumstände ruinirt seyen, schlössen sie Ehen mit Reichern aus niederem Stande, die häßlich und ungesund, und zwar nur des Geldes wegen, die sie alsdann haßten und verachteten. Die Sprößlinge solcher Ehen seyen rachitische, scrophulöse und entstellte Kinder. Somit bestehe ein Geschlecht nicht länger als drei Generationen, im Fall die Frau sich keinen gesunden Vater bei Nachbarn und Bedienten hole, um den Stamm fortzusetzen oder zu bessern.

Ein schwacher und kranker Körper, ein mageres Gesicht, eine blasse Farbe seyen untrügliche Zeichen einer edlen Geburt. Ein gesunder und starker Bau gelte bei Männern von Stande für eine Schmach, weil die Welt daraus den Schluß ziehe, der wirkliche Vater sey ein Stalldiener oder Kutscher. Die Mängel seiner Seele seyen parallel mit denen des Körpers; jene bestehen aus einer Mischung von Laune, Dummheit, Unwissenheit, Eigensinn, Sinnlichkeit und Stolz.

Ohne die Einstimmung dieser erlauchten Adelichen könne kein Gesetz gegeben, aufgehoben oder verändert werden. Sie bildeten gleichfalls einen Gerichtshof, von welchem keine Appellation möglich sey.

Kapitel 7


Kapitel 7 Des Verfassers Vaterlandsliebe. Die Bemerkungen seines Herrn über die Constitution und die Regierung Englands werden vom Verfasser mit Parallelfällen und Vergleichungen beschrieben. Die Bemerkungen seines Herrn über menschliche Natur.

Leser, du wirst dich vielleicht wundern, daß ich eine so freimüthige Beschreibung meines eigenen Geschlechtes bei einer Race von Sterblichen gegeben habe, welche schon zu sehr geneigt war, die verächtlichste Meinung vom Menschengeschlecht zu hegen, weil sie eine vollkommene Aehnlichkeit zwischen mir und den Yähus bemerkte. Ich muß jedoch offen gestehen, die vielen Tugenden dieser ausgezeichneten Vierfüßler, im Vergleich mit menschlicher Verderbniß, hatten in sofern meine Augen geöffnet und meinen Verstand erweitert, daß ich die Handlungen und Leidenschaften der Menschen von einem verschiedenen Gesichtspunkte aus betrachtete, und daß ich die Meinung hegte, es sey nicht der Mühe werth, die Ehre meines Geschlechtes aufrecht zu erhalten; dies war mir ohnehin unmöglich, da mein Herr ausserordentlichen Scharfsinn besaß. Er zeigte mir täglich eine Menge von Fehlern, die ich besaß, ob ich gleich früher dieselben nicht im Geringsten geahnt hatte; unter Menschen würden dieselben nicht einmal für allgemeine Schwächen gelten. Durch sein Beispiel hatte ich ebenfalls den höchsten Abscheu vor Falschheit und Verstellung erlangt; die Wahrheit schien mir so liebenswürdig, daß ich ihr Alles aufzuopfern beschloß.

Um aufrichtig zu seyn, muß ich jedoch eingestehen, daß noch ein stärkerer Beweggrund mich zu der Frechheit verleitete, die ich mir in Darstellung der Dinge nahm. Als ich kaum ein Jahr im Lande gewesen war, empfand ich solche Liehe und Verehrung für die Einwohner, daß ich den festen Entschluß faßte, niemals zum Menschengeschlechte zurückzukehren, sondern mein Leben bei den bewunderungswürdigen Hauyhnhnms in Betrachtung und Ausübung jeder Tugend zuzubringen, von denen ich weder ein Beispiel noch Anregung zum Laster erhalten konnte. Das Schicksal, mein ewiger Feind, hatte jedoch beschlossen, ein so großes Glück solle mir nicht zu Theil werden. Jetzt gereicht mir jedoch der Gedanke zum Trost, daß ich in Allem, was ich von meinen Landsleuten sagte, ihre Fehler so sehr verminderte, wie ich es nur vor einem so strengen Examinator durfte; bei jedem Artikel gab ich der Sache eine möglichst günstige Wendung. Welcher Mensch würde nämlich durch Parteilichkeit für sein Geburtsland nicht hingerissen werden?

Ich habe den Hauptinhalt mehrerer Gespräche, die ich mit meinem Herrn während der Zeit hielt, da ich in seinen Diensten war, angegeben; der Kürze halber habe ich jedoch weit mehr ausgelassen, als hier aufgezeichnet ist.

Als ich alle seine Fragen beantwortet hatte, und als seine Neugier vollkommen befriedigt schien, ließ er mich eines Morgens in der Frühe rufen und befahl mir, mich in einiger Entfernung von ihm zu setzen; eine Ehre, die er mir vorher noch nie erwiesen hatte. Er sagte: Mit großem Ernste habe er meine ganze Geschichte, die ich sowohl in Betreff meines Vaterlandes wie meiner selbst gegeben, überlegt; er habe uns als eine Art Thiere betrachtet, denen durch irgend einen ihm unbegreiflichen Zufall ein kleiner Theil Vernunft anheimgefallen sey. Wir beraubten uns jedoch selbst der wenigen uns gegebenen Fähigkeiten; wir seyen in der Vermehrung unserer ursprünglichen Bedürfnisse sehr glücklich gewesen, und schienen unser ganzes Leben in vergeblichen Bemühungen zuzubringen, dieselben durch Erfindungen zu befriedigen. Was mich betreffe, so besitze ich weder die Kraft noch die Behendigkeit eines gewöhnlichen Yähu; ich gehe schwach auf meinen Hinterfüßen, habe ein Verfahren ausfindig gemacht, meine Klauen nutzlos zu machen, die mir auch nicht zur Vertheidigung dienen könnten, und das Haar von meinem Kinne zu entfernen, welches zum Schutzmittel vor Sonne und Wetter bestimmt sey. Endlich könne ich auch weder so schnell laufen noch auch Bäume erklimmen, wie die Yähus dieses Landes (diese nannte er gütigst meine Brüder). Unsere Institutionen, in Betreff der Regierung und Gesetze, entsprängen offenbar aus unserem Mangel an Vernunft und somit auch an Tugend; Vernunft allein sey genügend, ein vernünftiges Geschöpf zu regieren; wir dürften deßhalb keinen Anspruch auf den Charakter desselben machen. Dies aber müsse er aus meinem Berichte über mein eigenes Volk schließen, obgleich er sehr wohl sehe, ich habe, um dasselbe zu begünstigen, manches verschwiegen, und auch öfter das Ding gesagt, welches nicht existire.

Seine Meinung werde um so mehr bestätigt, da er bemerke, ich gleiche den andern Yähus in allen Theilen meines Körpers, mit Ausnahme derjenigen, wo die Verschiedenheit in Hinsicht der Stärke, Schnelligkeit, Behendigkeit mir zum wirklichen Nachtheile gereiche, wie in der Kürze meiner Klauen und in einigen andern Einzelnheiten, wobei die Natur nicht mitgewirkt habe. Nach der Darstellung, die ich ihm von unserer Lebensart, unseren Sitten und Handlungen gegeben, müsse er dieselbe Aehnlichkeit, hinsichtlich der geistigen Eigenschaften finden. Er sagte: Es sey bekannt, daß die Yähus einander haßten, und zwar in noch höherem Grade wie die übrigen Thierarten. Der gewöhnlich angeführte Grund liege in der Häßlichkeit ihrer Körperformen, die sie sämmtlich bei den übrigen, aber nicht bei sich selbst erblicken könnten. Er sey somit auf den Gedanken gekommen, daß wir nicht unklug handelten, indem wir unsere Leiber bedeckten, da wir durch diese Erfindung manche Häßlichkeiten vor einander versteckten, welche sonst kaum zu ertragen wären. Jetzt aber finde er, daß er sich geirrt habe, und daß die Zwistigkeiten jener Thiere in seinem Vaterlande aus demselben Grunde, wie bei den unsrigen entstünden. Denn, fuhr er fort, wenn Ihr fünf Yähus so viel Futter vorwerft, als fünfzig genügen müßte, so werden sie, anstatt friedlich zu essen, über einander herfallen; jeder Einzelne ist so gierig, daß er Alles für sich allein haben will.

Deßhalb steht gewöhnlich ein Diener in der Nähe, wenn man sie ausser dem Stalle füttert, und diejenigen, welche im Stalle bleiben, werden in einiger Entfernung von einander angebunden. Stirbt eine Kuh aus Alter oder durch Zufall, bevor ein Hauyhnhnm dieselbe für seine eigenen Yähus in Sicherheit bringt, so stürzen Alle, die in der Nachbarschaft weilen, heerdenweise hinzu, und dann entsteht ein Kampf, wie Du beschrieben hast. An beiden Seiten versetzen sie sich furchtbare Wunden mit ihren Klauen, können sich aber nur selten tödten, weil ihnen die dazu bestimmten Instrumente, die Ihr erfunden habt, fehlen. Oft sind auch ähnliche Kämpfe von den Yähus verschiedener Gegenden, ohne sichtbare Ursache, gefochten worden; die Yähus eines Distrikts benützen eine passende Gelegenheit, die eines andern zu überraschen, bevor letztere vorbereitet sind. Ist aber ihr Projekt mißlungen, so kehren sie nach Hause und beginnen aus Mangel an Feinden unter sich einen Kampf, den Du einen Bürgerkrieg genannt hast.

In einigen Feldern dieses Landes gibt es auch gewisse glänzende Steine von verschiedenen Farben, worauf die Yähus sehr gierig sind. Sind einige derselben, wie dies mitunter geschieht, in der Erde befestigt, so graben sie Tage lang mit ihren Klauen, um sie loszumachen und verstecken sie dann in ihren Ställen; dabei sehen sie sich sehr vorsichtig um, aus Furcht, ihre Kameraden würden den Schatz bemerken. Mein Herr fügte hinzu: Er habe nie die Ursache dieses unnatürlichen Appetits entdecken und wozu diese Steine gebraucht würden errathen können. Jetzt aber glaube er, dies sey derselbe Geiz, den ich bei dem Menschengeschlechte beschrieben habe. Einst habe er, um einen Versuch zu machen, einen Haufen dieser Steine im Geheimen von dem Orte entfernt, wo einer seiner Yähus dieselben verborgen hatte. Alsdann habe das schmutzige Thier, sobald es seinen Schatz vermißte, durch lautes Klaggeschrei die ganze Heerde auf jenem Platze versammelt, elendiglich geheult und die übrigen gebissen und zerkrazt. Es habe sich abgehärmt, nicht mehr essen, trinken und arbeiten wollen, bis er seinem Bedienten befahl, die Steine im Geheimen zu demselben Loche wieder hinzutragen und dort, wie früher, zu verbergen. Als nun der Yähu seine Steine wieder fand, sey er sogleich munter und guter Laune geworden, habe mit großer Sorgfalt sie besser versteckt, und sey seitdem ein sehr fleißiges und brauchbares Thier geblieben.

Ferner gab mir mein Herr die Versicherung, auf den Feldern, wo jene kostbaren Steine im Ueberfluß sich vorfinden, würden die heftigsten und häufigsten Kämpfe geliefert, weil die benachbarten Jähus dort immerwährende Ueberfälle ausführten.

Er fügte hinzu: Wenn zwei Jähus einen solchen Stein auf einem Felde entdeckt haben, und wenn ein Streit entsteht, wer der Besitzer seyn soll, so nimmt ein dritter gewöhnlich den Vortheil gewahr und trägt ihn als sein Eigenthum hinweg. Mein Herr behauptete, dies habe einige Aehnlichkeit mit unseren Processen. Hier aber hielt ich es für unzweckmäßig, ihn zu enttäuschen, denn die von ihm erwähnte Entscheidung war weit billiger, wie manches bei uns gebräuchliche Verfahren, denn der Kläger und der Beklagte verliert nichts, als den streitigen Stein; unsere Gerichtshöfe hätten den Proceß nicht eheraufgegeben, als bis beiden Parteien Nichts mehr übrig geblieben wäre.

Mein Herr setzte alsdann seine Rede weiter fort und sagte: Nichts habe die Yähus verhaßter gemacht, als ihre rohe Gier, Alles, was sie erlangen könnten, zu verschlingen. Sie fräßen Kräuter, Wurzeln, Beeren, verfaultes Fleisch von Thieren, oder Alles dies durch einander gemischt; auch sey es ihre eigenthümliche Eigenschaft, daß sie dasjenige bei weitem lieber äßen, was sie durch Diebstahl und Raub aus größerer Entfernung sich verschafft hätten, als viel bessere Speisen, die sie zu Hause erlangen könnten.

Wenn ihre Beute ausreiche, so fräßen sie, bis sie beinahe platzten. Hierauf äßen sie eine von der Natur ihnen angezeigte Wurzel, die eine allgemeine Ausleerung bewirke. Auch suchten die Yähus noch eine andere Wurzel, die sehr saftig, aber selten und schwierig aufzufinden sey, mit großer Begierde, und sögen sie mit viel Entzücken aus. Diese Wurzel äussere bei ihnen dieselben Folgen, wie der Wein bei uns. Nach dem Genuß derselben pflegten sie sich zu umarmen oder zu zerreißen, sie heulten, lachten, drehten sich, stolperten und schliefen dann in Morästen ein.

Ich bemerkte auch wirklich, daß die Yähus in diesem Lande die einzigen Thiere waren, welche krank werden konnten. Diese Krankheiten waren jedoch nicht so zahlreich, wie die der Pferde bei uns, und wurden durch keine schlechte Behandlung, sondern durch den Schmutz und die Gier jenes ekelhaften Thieres erregt. Auch befindet sich in der Sprache der Hauyhnhnms nur eine allgemeine Benennung für diese Krankheiten, welche von dem Namen des Thieres entnommen ist, Ny-Yähu ausgesprochen wird, und Yähu-Uebel bedeutet. Die Kur besteht aus einem Gemisch von Dünger und Urin der Yähus, welches ihnen in den Mund gestopft wird. Später habe ich öfter bemerkt, daß dies Mittel mit Erfolg angewendet wurde, und ich empfehle dasselbe freimüthig meinen Landsleuten zum öffentlichen Besten, als ein bewunderungswürdiges Specificum gegen alle durch Ueberfüllung bewirkte Uebel.

Was Gelehrsamkeit, Regierung, Künste, Manufakturen u. s. w. betrifft, so gestand mein Herr, er könne keine Aehnlichkeit zwischen den Yähus seines und unseres Vaterlandes auffinden. Die einzige Aehnlichkeit, die er bemerke, liege in unserer Natur. Er habe zuvor von einigen neugierigen Hauyhnhms gehört, daß es in vielen Heerden einen herrschenden Yähu gebe (wie in den englischen Parks ein leitender Hirsch sich vorfindet), der gewöhnlich häßlicher und boshafter wie die übrigen Yähus sey.

Dieser Führer nehme gewöhnlich als Günstling denjenigen, der ihm am meisten gleiche; das Geschäft dieses Günstlings bestehe darin, daß er an den Füßen und an einem andern Theile seines Herrn lecke und die weiblichen Yähus in seinen Stall treibe; dafür erhalte er zur Belohnung mitunter ein Stück Eselsfleisch. Dieser Günstling werde von der ganzen Heerde gehaßt, und bleibe deßhalb, um geschützt zu werden, stets in der Nähe seines Herrschers. Er bleibe gewöhnlich in seinem Amte, bis ein schlimmerer gefunden werden könne; sobald er aber entlassen sey, komme sein Nachfolger an der Spitze aller Yähus in dem Distrikte, junger und alter, männlicher und weiblicher, welche sämmtlich sich auf ihm ihre Excremente entladen. In wie fern dies auf unsere Höfe, Günstlinge und Minister anwendbar sey, müsse ich am besten selbst bestimmen können.

Ich wagte nicht, diese boshafte Bemerkung zu beantworten, welche den menschlichen Verstand unter die Spürkraft eines gewöhnlichen Hundes erniedrigte, der Urtheil genug besitzt, um das Gebell des geschicktesten Hundes im Rudel zu unterscheiden und zu befolgen, ohne sich jemals hierin zu irren.

Mein Herr sagte alsdann, es seyen noch einige Eigenschaften bei den Yähus auffallend, die ich in meiner Beschreibung des Menschengeschlechts, wie er sehr wohl merke, übergangen oder nur oberflächlich berührt habe. Die Yähus hätten, wie andere Thiere, ihre Weibchen gemeinschaftlich, sie seyen aber darin verschieden, daß die weiblichen Yähus sogar während ihrer Trächtigkeit sich mit männlichen abgäben; die männlichen aber zankten und schlügen sich mit den weiblichen so erbittert, wie unter einander. Beide Umstände zeigten aber eine so schändliche Rohheit, welche bei einem Geschöpfe mit Gefühl nirgends anzutreffen sey.

Auch wundere er sich über die Neigung der Yähus zum Schmutze, da alle anderen Thiere doch eine natürliche Liebe zur Reinlichkeit besäßen. Was die beiden ersten Anklagen betraf, so ging ich gern ohne Antwort darüber hinweg, weil mir kein Wort zu Gebote stand, meine Species zu vertheidigen, was ich aus eigener Neigung nicht unterlassen hätte. Jedoch hätte ich in letzterer Beschuldigung das Menschengeschlecht sehr leicht rechtfertigen können, wenn es Schweine im Lande gegeben hätte, was aber unglücklicherweise nicht der Fall war. Dies mag zwar ein sanfteres Thier als der Yähu seyn, kann aber, wie ich demüthig behaupten möchte, auf keine größere Reinlichkeit Anspruch machen. Dies würde Seine Gnaden selbst mir zugestanden haben, hätte sie die schmutzige Nahrungsweise und Gewohnheit dieser Thiere gesehen, sich im Morast zu wälzen und zu schlafen.

Mein Herr erwähnte noch eine andere Eigenschaft, welche seine Diener bei mehreren Yähus entdeckt hatten, und die ihm durchaus unerklärbar schien. Er sagte, ein Yähu habe oft die Laune, sich in einen Winkel zurückzuziehn, sich auf den Boden zu legen, zu heulen und zu seufzen, alle die ihm näher kämen zurückzustoßen, obgleich er jung und fett wäre und weder an Essen noch an Trinken Mangel litte. Auch habe dann sein Bedienter nicht recht begreifen können, was dem Yähu denn eigentlich fehle. Das einzige Mittel, wodurch diesem Uebel abgeholfen werde, bestehe darin, daß man den Yähu sehr stark arbeiten ließe. Alsdann könne er jedesmal wieder zur Besinnung kommen. Hiebei schwieg ich, aus Parteilichkeit für mein Geschlecht; ich konnte darin die Launenhaftigkeit entdecken, der allein die Faulen, Ueppigen und Reichen ausgesetzt sind. Würden diese zu derselben Kur gezwungen, so möchte ich für die Heilung mich verbürgen.

Seine Gnaden bemerkte ferner, weibliche Yähus pflegten sich oft hinter einen Hügel oder in einem Busche zu verstecken, um die jungen männlichen vorübergehen zu sehen, alsdann zu erscheinen, sich wieder zu verstecken, viele narrenhafte Grimassen und Bewegungen zu zeigen; kämen männliche Yähus, so entfernten sie sich, sähen sich aber mehreremale um und liefen mit verstellter Furcht an einen Ort, wo der männliche Yähu ihnen folgen könne.

Wenn nun aber eine fremde weibliche Yähu in eine Gesellschaft anderer weiblichen Yähus gelangt, so gehen drei oder vier um sie herum, starren sie an, schnattern, grinsen und beriechen sie an allen Seiten. Alsdann wenden sie sich ab mit Bewegungen, welche Verachtung auszudrücken scheinen.

Vielleicht hätte sich mein Herr in diesen Spekulationen sehr verfeinern können, die er sich aus eigener Beobachtung oder nach dem Hörensagen bildete; ich erstaunte jedoch und fühlte wirklich viel Kummer, daß die Elemente der Koketterie und Klatscherei dem weiblichen Geschlechte angeboren zu seyn scheinen. Ich befürchtete stets, mein Herr werde die Yähus auch einiger unnatürlichen Laster anklagen, die bei uns oft genug vorkommen. Die Natur ist aber hierin keine erfahrene Lehrerin gewesen, und diese verfeinerten Vergnügungen sind allein durch Kunst und Vernunft auf unserer Seite der Erdkugel hervorgebracht worden.

Kapitel 6


Kapitel 6 Fernere Beschreibung der Akademie. Der Verfasser bringt einige Verbesserungen in Vorschlag, die auch mit ehrenvoller Anerkennung angenommen werden.

In der Schule der politischen Projektmacher habe ich mich nur schlecht unterhalten, denn die Professoren schienen mir verrückt zu seyn, und eine solche Scene machte mich immer sehr melancholisch. Diese unglücklichen Leute brachten Entwürfe in Vorschlag, die Monarchen dahin zu überreden, daß sie ihre Günstlinge nur nach Weisheit, Fähigkeit und Tugend wählen; daß Minister belehrt würden, nur das Wohl des Staates in Betracht zu nehmen, Verdienst, Fähigkeit und Dienste zu belohnen; die Fürsten über ihr wahres Interesse aufzuklären, so daß sie dasselbe auf derselben Grundlage, wie das Volk, erbauten, und daß sie für Aemter nur die passenden Personen wählen. Es fanden sich darunter noch mehrere wilde und unausführbare Hirngespinnste, die kein Mensch bisher begreifen konnte, und die mich von der Wahrheit jener alten Bemerkung überzeugten, es gäbe keine so ausschweifende und unvernünftige Meinung, welche von einzelnen Menschen nicht als Wahrheit aufgestellt sey.

Hier muß ich jedoch diesem Theil der Akademie in so fern Gerechtigkeit erweisen, daß ich eingestehe, alle die Mitglieder seyen nicht so sehr zu Visionen geneigt gewesen. Unter Andern machte ich die Bekanntschaft eines Arztes, welcher mit der Natur und dem System des Regierens vollkommen bekannt zu seyn schien. Diese ausgezeichnete Person richtete seine Studien auf einen sehr nützlichen Zweck, auf die Erfindung von Mitteln, welche allen Krankheiten und Verderbnissen der Staatsverwaltung abhelfen werden, denen letztere durch Lasten und Schwächen der Regierenden, so wie durch Zügellosigkeit der Gehorchenden unterworfen ist. Z. B. da alle Schriftsteller und Philosophen einstimmig zugestehen, es finde sich eine Aehnlichkeit zwischen dem natürlichen und politischen Körper, so ist es klar, daß die Gesundheit Beider erhalten, und die Krankheit Beider durch dieselben Recepte kurirt werden muß. Es ist bekannt, daß große Versammlungen häufig durch überflüssige, aufbrausende und andere schädliche Säfte belästigt werden, daß man Krankheiten des Kopfes, und noch häufiger des Herzens, bei ihnen beobachtet; daß starke Convulsionen der Nerven und Sehnen in beiden Händen, besonders aber in der rechten Faust, bei ihnen stattfinden; daß sie an Spleen, an Blähungen, Schwindel und Delirien leiden; daß sie skrophulöse Geschwülste mit fauler Materie enthalten; daß sie an saurem und stinkendem Aufstoßen, an Unverdaulichkeit und an anderen Uebeln krank sind, deren Erwähnung hier nutzlos seyn würde. Der Doktor machte deßhalb den Vorschlag, sobald man im Senat zusammenkomme, sollten Aerzte bei den drei ersten Versammlungen gegenwärtig seyn, und nach dem Schlusse einer jeden Sitzung den Puls der Senatoren untersuchen; nachdem sie hierauf die Natur der Krankheit und die Gegenmittel reiflich berathen, sollten sie am vierten Tage, vom Apotheker begleitet, welcher die passende Medicin mitbringen würde, in den Versammlungssaal zurückkehren. Bevor alsdann die Sitzung beginne, sollten den Parlamentsgliedern Abführungsmittel, Brechmittel, Corrosiva, Astringentia, Palliativa, Acustica u. s. w. gereicht werden, wie dies die besonderen Fälle erforderten; nach der Wirkung dieser Medicin sollten alsdann diese Mittel bei jeder Sitzung vermehrt, verändert oder aufgegeben werden.

Dies Projekt würde nicht viel Geld kosten und müßte nach meiner demüthigen Meinung die schnellere Abfertigung in denjenigen Ländern befördern, wo die Parlamente Antheil an der gesetzgebenden Gewalt besitzen. Die Einstimmigkeit würde dadurch befördert, die Debatte abgekürzt. Mancher jetzt geschlossene Mund erhielte dadurch Flüssigkeit der Rede, ein anderer, der zu sehr sich öffnet, würde dadurch geschlossen werden; der Muthwille der jungen Parlamentsglieder würde dadurch wegpurgirt, und das Phlegma der älteren vermindert werden; der Dumme würde dadurch aufgeweckt und der Impertinente in seiner Hitze gemäßigt.

Ferner: da die Klage allgemein ist, daß Günstlinge der Fürsten ein schwaches und kurzes Gedächtniß besitzen, solle jeder, welcher zu einem ersten Minister gehe, nachdem er sein Geschäft mit der größten Kürze und Deutlichkeit vorgetragen, wann er wieder gehe, dem Minister einen Nasenstüber oder einen Schlag auf den Bauch geben, oder ihm auf einen Leichtdorn treten, oder ihn dreimal am Ohr zwicken, oder eine Nadel in seine Beinkleider stecken, oder seinen Arm braun und blau kneipen. Um ferner Vergeßlichkeit zu verhindern, müsse die Operation bei jeder Audienz wiederholt werden, bis das Gesuch erfüllt oder gänzlich abgeschlagen wäre.

Der Doktor gab ferner den Rath: jeder Deputirte einer National-Versammlung solle, nachdem er seine Meinung ausgesprochen und vertheidigt, seine Stimme für die entgegengesetzte Behauptung übergeben. Geschehe dies, so würde das Resultat unfehlbar zum Vortheil des Publikums ausfallen. 

Wenn Parteiwuth in einem Staate zu heftig wird, so sey ein wunderbares Mittel in Anwendung zu bringen, damit der Frieden wieder hergestellt werde. Die Methode ist folgende: Man nimmt ungefähr hundert Parteiführer und stellt sie paarweise, nach Aehnlichkeit ihrer Schädel, auf. Alsdann sägt ein geschickter Operator den Schädel eines jeden zu derselben Zeit und in solcher Weise ab, daß er das Gehirn auf gleiche Weise theilt. Alsdann werden die abgesägten Theile des Hirnschädels vertauscht, indem der Tory den eines Whigs erhält und umgekehrt. Allerdings scheint dies Verfahren eine große Geschicklichkeit zu erfordern. Der Professor gab uns jedoch die Versicherung, der Erfolg werde unfehlbar seyn, wenn die Operation nur auf geschickte Weise ausgeführt würde. Seine Schlußfolge war folgende: da die beiden Gehirne alsdann in einem Schädel die Sache unter sich ausmachen, werden sie sich sehr bald gegenseitig verständigen und dadurch jene Mäßigung und regelrechte Denkmethode bewirken, welche in den Köpfen derjenigen so sehr zu wünschen ist, welche einzig zu dem Zweck in die Welt gekommen zu seyn glauben, damit sie die Bewegung derselben überwachen und leiten. Was nun den Unterschied der Gehirne in Quantität und Qualität betreffe, so versicherte uns der Doktor, dies sey kein sehr wichtiger Umstand.

Ich hörte eine heftige Debatte zweier Professoren über die bequemste und wirksamste Weise Steuern zu erheben, ohne den Unterthanen lästig zu werden. Der erste behauptete: die gerechteste Methode werde darin bestehen, wenn man Laster und Thorheit besteuere; die Summe für Jeden müsse alsdann aufrichtig durch eine Jury bestimmt werden, welche aus seinen Nachbarn zusammengesetzt würde. Der zweite war durchaus der entgegengesetzten Meinung: man müsse diejenigen Eigenschaften des Körpers und der Seele besteuern, worauf die Menschen hauptsächlich eitel wären; man müsse geringere oder höhere Abgaben nach dem Verhältniß der Eitelkeit bestimmen; einem Jeden müsse die Entscheidung in diesem Punkte überlassen bleiben. Die höchste Abgabe müsse von Männern bezahlt werden, welche große Günstlinge des andern Geschlechtes seyen, und zwar nach Verhältniß der Zahl und der Natur aller Gunstbezeugungen, die sie erhalten hätten. Hiebei solle ihnen erlaubt seyn, Zeugniß für sich selbst abzulegen. Witz, Tapferkeit und Höflichkeit solle ebenfalls hoch besteuert werden, wo dann die Abgaben in derselben Art eingezogen werden müßten; indem nämlich jeder Mann die Quantität, die er besitze, auf sein Ehrenwort angebe. Ehre, Gerechtigkeit, Weisheit und Gelehrsamkeit sollten jedoch nicht besteuert werden, weil es Eigenschaften sind, die Keiner seinem Nebenmenschen zugestehen oder bei sich selbst bedeutend schätzen wird.

Die Weiber müßten ferner im Verhältniß ihrer Schönheit und ihrer Geschicklichkeit sich zu putzen besteuert werden, und dabei dasselbe Privilegium, wie die Männer, besitzen, d.h. sie müssen den Grad derselben selbst bestimmen; Beständigkeit, Keuschheit, Verstand und Gutmüthigkeit sollten jedoch in die Steuerliste nicht aufgenommen werden, weil sie die Kosten des Steuererhebens nicht einbringen würden.

Damit die Parlamentsglieder stets im Interesse der Krone ihre Stimmen abgäben, wurde der Vorschlag gemacht, sie sollten um Staatsämter würfeln. Jeder müsse zuvor schwören und Bürgschaft leisten, um nach dem Willen des Hofes zu votiren, er möge gewinnen oder verlieren; dafür erhalten diejenigen, welche verlieren, auch die Freiheit, bei der nächsten Vacanz wieder zu würfeln. So würde Hoffnung und Erwartung fortwährend rege erhalten; Keiner würde sich über gebrochene Versprechen beklagen, sondern jede Vereitlung seiner Hoffnungen ausschließlich der Fortuna zur Last legen, deren Schultern breiter und stärker wie die eines Ministers seyen. Ein anderer Professor hielt ein großes Papier voll Anleitungen, Komplote und Verschwörungen gegen die Regierung zu entdecken, in der Hand. Er rieth allen großen Staatsmännern die Diät verdächtiger Personen zu erforschen; sich nach ihrer Essenszeit und nach der Seite zu erkundigen, auf welcher sie sich des Nachts in’s Bett legten; mit welcher Hand sie sich den Hintern wischten; ihre Excremente hinsichtlich des Geschmacks, der Farbe, des Geruchs, der Consistenz, zu früher oder zu später Verdauung zu untersuchen, um sich so ein Urtheil über ihre Gedanken und Absichten zu bilden; nie seyen die Menschen so ernsthaft, gedankenvoll und nur mit sich beschäftigt, als wenn sie zu Stuhle gingen; er wisse dies aus eigener Erfahrung; unter diesen Conjunkturen habe er selbst des Versuchs halber an Königsmord gedacht, und bemerkt, seine Excremente hätten eine gallichtere Farbe, als wenn er nur über Aufstände und Verbrennung der Hauptstadt nachgesonnen habe.

Die ganze Abhandlung war mit vielem Scharfsinn geschrieben, und enthielt manche für Politiker höchst merkwürdige Beobachtungen; sie war aber, wie ich glaubte, nicht ganz vollständig. Eine Aeußerung der Art erlaubte ich mir gegen den Verfasser und stellte ihm den Antrag, mit seiner Genehmigung noch einige Zusätze zu machen. Er nahm meine Vorschläge mit größerer Bereitwilligkeit auf, als sonst bei Schriftstellern gewöhnlich ist, besonders bei denjenigen, die in das Gebiet des Projektirens hineinstreifen, und erklärte mir, fernere Belehrung werde er mit dem größten Vergnügen annehmen.

Hierauf erzählte ich ihm, im Königreich Tribnia, welches von den Eingeborenen Langden genannt wird, und wo ich früher auf meinen Reisen einige Zeit verweilte, bestehe die größere Masse des Volkes aus Angebern, Zeugen, Spionen, Klägern und Eidleistern, nebst dienenden und subalternen Werkzeugen, welche sämmtlich unter den Fahnen, der Leitung und Besoldung der Staatsminister und ihrer Beamten ständen. Die Verschwörungen in jenem Königreich seyen gewöhnlich die Schöpfung der Personen, welche sich einen Ruf als tiefe Politiker machen wollten; oder sie seyen erregt, um eine zerbrechliche Regierung aufrecht zu erhalten, oder damit jene ihre Koffer mit Confiskationen füllten, oder den Staatscredit sinken und steigen ließen, wie es ihrem Privatvortheil angemessen sey. Zuerst wird bestimmt, welche verdächtige Personen einer Verschwörung angeklagt werden sollen; alsdann trägt man Sorge, alle ihre Briefe und Papiere zu untersuchen und die Eigenthümer derselben in Ketten zu schmieden. Diese Papiere werden einer Künstler-Gilde übergeben, welche sehr geschickt ist, die geheimnißvolle Bedeutung der Worte, Sylben und Buchstaben zu enträthseln; z.B. sie finden aus:

Ein Nachtstuhl bedeute einen geheimen Rath;

eine Heerde Gänse, eine Staatsversammlung;

ein lahmer Hund Hiemit meint Swift offenbar den damaligen Kronprätendenten Jacob Stuart, oder Jacob III. wie er sich zu nennen beliebte. einen Feind, welcher einen Angriff von aussen beabsichtigt;

eine Pest, ein stehendes Heer;

ein Maikäfer, einen Premier-Minister;

das Podagra, einen Hohen-Priester;

ein Galgen, einen Staatssecretair;

ein Nachttopf, einen Ausschuß von Lords;

ein Sieb, eine Hofdame;

ein Besen, eine Revolution;

eine Mausefalle, ein öffentliches Amt;

ein bodenloser Brunnen, eine Schatzkammer;

ein Abzugskanal, einen Hof.

eine Narrenkappe, einen Günstling;

ein zerbrochenes Rohr, einen Gerichtshof;

ein leeres Faß, einen General;

eine offene Wunde, die Staatsverwaltung;

Ist diese Methode nicht genügend, so werden zwei andere von größerer Wirksamkeit in Anwendung gebracht, welche bei den Gelehrten mit dem Namen Akrostichen und Anagrammen bezeichnet werden. Erstens können sie in allen Anfangsbuchstaben eine politische Bedeutung dechiffriren. So soll N. eine politische Verschwörung;

B. ein Kavallerieregiment

L. eine Flotte zur See bedeuten, Swift hat hier einen damaligen Staatsprozeß gegen einen bekannten Jacobiten, Atterbury, Bischof von Rochester, im Auge, den die Whigs, durch Parteileidenschaft fortgerissen, nicht in der Weise geführt hatten, wie es die Nation erwartete. Es war die allen Engländern verhaßte Espionage angewandt; man sollte Briefe erbrochen haben u. s. w.

oder man versetzt den Buchstaben in einem verdächtigen Papier und entdeckt so die tieffen Pläne einer unzufriedenen Partei. Wenn ich z. B. schreibe: unser Bruder Tom hat einen Hämorhoidalknoten, so kann dies auf folgende Weise dechiffrirt werden: Wir haben ein Complot organisiert, welches (durch Hämorhoidalknoten bezeichnet) bald ausbrechen wird.

Der Professor bezeigte mir die größte Dankbarkeit für meine Mittheilungen und versprach mir, dieselben auf ehrenvolle Weise in seinem Traktate zu erwähnen. Ich sah in dem Lande nichts Weiteres, welches mich zum längeren Bleiben hätte bewegen können, und begann deßhalb an meine Rückkehr nach England zu denken.

Kapitel 7


Kapitel 7 Der Verfasser verläßt Lagado und kommt in Maldonada an. Kein Schiff liegt dort bereit. Er macht eine kurze Reise nach Glubdubdrib. Sein Empfang beim Gouverneur.

Landwärts dehnt sich das Festland, dessen Theil dieses Königreich bildet, nach Allem was ich bemerkt habe, gegen Osten hinaus, und zwar zu dem unbekannten, westwärts von Californien liegenden Theile Amerika’s. Nördlich reicht es an den Stillen Ocean, der ungefähr nur fünfundsiebenzig Stunden von Lagado entfernt ist. Dort befindet sich ein guter Hafen, wo viel Handel mit der großen Insel Luggnagg betrieben wird, welche im neunundzwanzigsten Grad nördlicher Breite und im hundertundvierzigsten der Länge nordwestlich liegt. Diese Insel Luggnagg erhebt sich aus dem Meere südöstlich von Japan, und ist ungefähr hundert Stunden davon entfernt. Zwischen dem Kaiser von Japan und dem König von Luggnagg besteht ein genaues Bündniß, so daß man von einer Insel zur andern häufig reisen kann. Ich beschloß deßhalb, mich dorthin zu begeben, um nach Europa zurückkehren zu können. Ich miethete zwei Maulesel und einen Führer, der mir den Weg weisen und mein kleines Gepäck tragen sollte. Ich nahm Abschied von meinem edlen Beschützer, der mir so viele Gunstbezeigungen erwiesen hatte, und bei meiner Abreise mir noch ein kostbares Geschenk machte.

Meine Reise war ohne Abenteuer oder Ereigniß, welches des Erzählens werth wäre. Als ich im Hafen von Maldonada ankam (das ist der Name), fand ich kein Schiff segelfertig, welches nach Luggnagg bestimmt war. Auch war es unwahrscheinlich, daß ein Fahrzeug bald ankommen würde. Die Stadt ist so groß wie Portsmouth. Ich machte bald einige Bekanntschaften und ward sehr gastfrei aufgenommen. Ein Herr von höherem Stande sagte mir: da Schiffe nach Luggnagg erst in einem Monate absegeln würden, mögte es mir keine unangenehme Unterhaltung gewähren, eine kleine Reise nach der Insel Glubdrubdib zu machen, die ungefähr fünf Stunden entfernt südwestlich liege. Er und einer seiner Freunde machten mir den Vorschlag, mich zu begleiten und ein passendes Fahrzeug für die Reise zu verschaffen.

Glubdubdrib bedeutet, so weit ich die Sprache verstehe, eine Insel von Hexenmeistern und Zauberern. Sie ist ungefähr um ein Drittel so groß, wie die Insel Wight, zugleich sehr fruchtbar, und wird von dem Haupte eines Stammes regiert, welcher ausschließlich aus Zauberern besteht. Die Mitglieder dieses Stammes verheirathen sich nur untereinander, und der älteste Sohn wird stets der Fürst oder Gouverneur. Er besitzt einen herrlichen Palast und einen Park von ungefähr dreihundert Morgen, welcher von einer zwanzig Fuß hohen Mauer aus gehauenem Stein umringt ist. In diesem Park befinden sich kleine Einfriedigungen für Viehweiden, Kornfelder und Gärten.

Der Gouverneur und seine Familie werden von einem etwas sonderbaren Gesinde bedient. Durch seine Geschicklichkeit in der Zauberkunst wird er in Stand gesetzt, jede Person von den Todten zu citiren und ihren Dienst auf vierundzwanzig Stunden, jedoch nicht länger in Anspruch zu nehmen; auch darf er dieselbe Person erst nach drei Monaten wieder citiren, wenn nicht eine ganz außerordentliche Gelegenheit sich darbietet.

Als wir gegen 11 Uhr Morgens an der Insel gelandet waren, ging einer der Herren, die mich begleiteten, zum Gouverneur, und bat um Audienz für einen Fremden, welcher zu dem Zwecke gekommen sey, um die Ehre derselben von Seiner Hoheit zu erlangen. Die Bitte ward sogleich gewährt, und wir gingen alle drei in das Hofthor durch eine Reihe von Garden, welchenach sehr alter Weise gekleidet und bewaffnet waren, und einen Schauder in mir erweckten, den ich nicht ausdrücken kann. Wir kamen durch mehrere Zimmer, wo sich Diener derselben Art befanden, welche, bis wir in den Audienzsaal gelangten, reihenweise aufgestellt waren. In letzterem ward uns nach drei tiefen Verbeugungen und einigen allgemeinen Fragen die Erlaubniß ertheilt, uns auf drei Stühle neben dem Throne Seiner Hoheit niederzusetzen.

Dieser Fürst verstand die Sprache von Balni-barbi, ob sie gleich von der dieser Insel verschieden war. Er bat mich, ihm einen Bericht von meinen Reisen zu geben, und um mir zu zeigen, daß er sich mit mir auf vertrauten Fuß setze, entließ er alle seine Begleiter mit einem Winke seines Fingers, welche dann auch augenblicklich wie Visionen eines Traumes verschwanden. Einige Zeit lang war ich sehr bestürzt, bis mir der Gouverneur die Versicherung gab, ich werde keinen Schaden erleiden; und als ich nun auch bemerkte, daß meine beiden Gefährten, welche schon oft in dieser Art unterhalten worden waren, durchaus gleichgültig blieben, fing ich an, wieder Muth zu fassen und erzählte Seiner Hoheit meine Abenteuer; jedoch fühlte ich noch immer Bedenklichkeit und sah mich häufig nach den Platz um, wo ich die gespenstischen Bedienten erblickt hatte.

Ich hatte die Ehre, mit dem Gouverneur zu speisen, wo denn eine neue Reihe Geister das Essen auftrug und bei Tische aufwartete. Jetzt bemerkte ich schon, daß ich weniger erschrack, wie am Morgen. Ich blieb bis Sonnenuntergang und bat unterthänig, Seine Hoheit möge entschuldigen, wenn ich seine Einladung, im Palaste zu schlafen, nicht annehmen könne. Meine Freunde schliefen mit mir in einem Privathause der nahen Stadt, welche die Hauptstadt dieser kleinen Insel ist. Am nächsten Morgen nahmen wir uns aber die Freiheit, dem Gouverneur wieder unsere Aufwartung zu machen, wie er die Güte gehabt hatte, uns zu befehlen.

Auf diese Weise blieben wir zehn Tage auf der Insel, indem wir beinah täglich beim Gouverneur und des Nachts in unsrer Wohnung waren. Ich ward bald mit dem Anblick der Geister so vertraut, daß sie nach dem dritten oder vierten Mal durchaus keinen Eindruck mehr auf mich hervorbrachten, oder wenn dies auch noch stattfand, so war meine Neugier doch zuletzt überwiegend. Seine Hoheit befahl mir nämlich, alle Personen und nach beliebiger Zahl unter allen Todten von Anfang der Welt bis gegenwärtig, wie es mir gerade einfiele, zu nennen. Er werde ihnen befehlen, alle Fragen, wozu ich Lust hätte, zu beantworten, unter der Bedingung, daß die Fragen auf die Zeit, worin jeder Todte gelebt hätte, beschränkt blieben. Ich könne mich auf Eines genau verlassen, daß sie mir die Wahrheit sagen würden, da das Lügen in der andern Welt durchaus nichts helfe.

Ich dankte Seiner Hoheit auf die verbindlichste Weise für eine so große Gnadenbezeugung. Wir befanden uns in einem Zimmer, von wo wir eine schöne Aussicht in den Park genossen. Weil nun meine erste Neigung dahin zielte, mich mit Scenen des Pompes und der Pracht unterhalten zu lassen, so wünschte ich Alexander den Großen an der Spitze seines Heeres nach der Schlacht bei Arbela zu sehen, welcher denn auch sogleich, auf eine Bewegung des Fingers von Seiten des Gouverneurs, unter dem Fenster, wo wir standen, erschien. Alexander ward in das Zimmer citirt, und nur mit einiger Schwierigkeit verstand ich sein Griechisch, eben so wie er auch von dem meinigen nichts verstehen konnte. Er gab mir sein Wort, er sey nicht vergiftet worden, sondern an einem Fieber gestorben, welches in Folge eines heftigen Katzenjammers entstanden sey.

Hierauf sah ich, wie Hannibal die Alpen passirte. Dieser sagte mir, er habe keinen einzigen Tropfen Essig in seinem Lager gehabt.

Alsdann wurden mir Cäsar und Pompejus an der Spitze ihrer Truppen, vorgeführt, und zwar in dem Augenblick, wo sie im Begriff waren die Schlacht von Pharsalus zu liefern. Ersteren sah ich auch in seinem letzten großen Triumph. Ich wünschte, der römische Senat möge in einem großen Zimmer, und eine neuere Repräsentativ-Versammlung in einem andern vor mir erscheinen. Der erstere erschien mir als eine Versammlung von Helden und Halbgöttern; die andere als ein Zusammenlauf von Krämern, Taschendieben, Räubern und Renommisten.

Der Gouverneur gab auf mein Verlangen Cäsar und Brutus ein Zeichen, zu uns herzutreten. Beim Anblick des Brutus ward ich von höchster Ehrerbietung erfüllt und konnte in jedem Zuge seines Gesichts die strengste Tugend, die größte Unerschrockenheit und Seelenfestigkeit, die reinste Vaterlandsliebe und allgemeines Wohlwollen gegen die ganze Menschheit sehr leicht erkennen.

Ich bemerkte mit vielem Vergnügen, daß diese beiden Personen in gutem Einverständniß mit einander standen, und Cäsargestand mir freimüthig, die großen Handlungen seines eigenen Lebens seyen um viele Grade mit dem Ruhme seiner Ermordung nicht vergleichbar.

Ich hatte die Ehre eines langen Gesprächs mit Brutus, und erfuhr von ihm, sein Vorfahr Junius Brutus, Epaminondas, Cato der Jüngere, Sir Thomas More und er selbst befänden sich in immerwährender Gesellschaft, ein Verein von sechs Männern, zu welchem alle Zeitalter der Welt den siebenten nicht hinzufügen können. Ich würde dem Leser Langeweile erwecken, wollte ich die ungeheure Anzahl aller erlauchten Personen hier anführen, welche zur Befriedigung meines unersättlichen Verlangens, die Welt in jeder Periode des Alterthums zu erblicken, von dem Gouverneur herbeicitirt wurden. Ich weidete hauptsächlich meine Augen an den Vernichtern der Tyrannen und Usurpatoren, und an denjenigen Helden, welche die Freiheit unterdrückter und gemißhandelter Nationen wieder herstellten. Es ist mir jedoch unmöglich, das Vergnügen meines Herzens in der Art auszudrücken, daß der Leser einen Begriff davon erhält.

Kapitel 8


Kapitel 8 Fernere Nachrichten über Glubdubdrib. Die ältere und neuere Geschichte wird berichtet.

Da ich diejenigen Alten, welche wegen ihres Verstandes und ihrer Gelehrsamkeit vor Allen berühmt sind, zu sehen wünschte, so bestimmte ich einen besondern Tag für ihren Besuch. Somit machte ich den Vorschlag, Homer und Aristoteles sollten an der Spitze aller ihrer Erklärer erscheinen; diese aber waren so zahlreich, daß mehrere Hunderte im Hofe und in den äußern Räumen des Palastes warten mußten.

Ich erkannte die beiden Heroen auf den ersten Blick und konnte sie nicht allein von der Masse, sondern auch von einander unterscheiden. Homer war größer und im Wesen zierlicher wieAristoteles; er hatte, obgleich ein Greis, einen aufrechten Gang, und die lebhaftesten und durchdringendsten Augen, die ich jemals gesehen habe. Aristoteles ging sehr gebeugt und bediente sich einer Krücke. Sein Gesicht war mager, sein Haar schmal und dünn, seine Stimme klang hohl. Ich bemerkte bald, daß beide der Gesellschaft gänzlich fremd waren, und daß sie nie von den Uebrigen etwas gehört hatten. Ein Geist, den ich nicht nennen will, flüsterte mir auch zu, diese Erklärer hielten sich in der Geisterwelt von ihren Autoren so weit wie möglich entfernt. Dies werde durch Schaam und durch das Bewußtseyn ihrer Schuld bewirkt, weil sie auf so furchtbare Weise den Sinn entstellt und der Nachwelt übergeben hätten. Hierauf stellte ich Didymus und Eustathius dem Homer vor, und bewog ihn, sie besser zu behandeln, als sie verdienten, denn er fand bald, daß sie nicht genug Verstand besaßen, um in den Geist eines Dichters einzudringen. Aristoteles aber gerieth in Wuth über den Bericht, den ich ihm von Scotus und Ramus gab, als ich diese beiden Herren ihm vorstellte. Er fragte sie, ob alle Uebrigen ihres Standes eben solche Dummköpfe, wie sie selbst, wären.

Alsdann bat ich den Gouverneur Descartes und Gassendi zu citiren und überredete dieselben, ihre Systeme demAristoteles darzulegen. Dieser große Philosoph gestand offen seine Versehen in der Physik ein, weil er in vielen Dingen nur Vermuthungen aufstellte, wie dies bei allen Menschen nothwendig ist. Er war der Meinung, das System Gassendis, welches die Lehre Epicurs so genießbar wie möglich zugerichtet habe, ferner auch die Wirbel des Descartes müßten auf gleiche Weise verworfen werden. Dasselbe Schicksal sagte er dem Attraktionsprincip voraus, welches die Gelehrten mit so viel Eifer jetzt verfechten. Er sagte: Neue Natursysteme glichen den Moden, die mit jedem Zeitalter wechseln; sogar diejenigen, welche sie nach mathematischen Grundsätzen beweisen wollen, werden nur eine Zeit lang blühen, und sobald diese verflossen sey, in Vergessenheit gerathen.

Fünf Tage lang habe ich mich mit vielen alten Gelehrten unterhalten. Auch sah ich die meisten römischen Imperatoren der ersten Kaiserzeit. Ferner bewog ich den Gouverneur die Köche des Heliogabalus zu beschwören, damit uns diese ein Mittagessen bereiteten. Sie konnten uns jedoch aus Mangel an Material ihre Geschicklichkeit nicht zeigen. Ein Helot desAgesilaus bereitete uns eine Schüssel spartanischer Suppe. Es war mir jedoch unmöglich, mehr als einen Löffel voll hinunterzuschlucken.

Die beiden Herren, welche mich zu der Insel begleitet hatten, mußten wegen ihrer Privatgeschäfte in zwei Tagen zurückkehren. Ich benutzte diese Zeit, um einige neuere Todte kennen zu lernen, welche während der drei letzten Jahrhunderte in meinem Vaterlande und im übrigen Europa die bedeutendste Rolle gespielt hatten. Da ich nun von jeher ein Bewunderer erlauchter Familien war, bat ich den Gouverneur, ein oder zwei Dutzend Könige mit ihren Vorfahren, in der Reihe von acht oder neun Generationen zu beschwören. Ich ward jedoch auf eine traurige und unerwartete Weise in meiner Erwartung getäuscht. Anstatt eines langen Zuges mit königlichen Diademen sah ich in einer Familie zwei Fiedler, drei muntere Hofleute und einen italienischen Prälaten, in einer andern einen Barbier, einen Abt und zwei Kardinale.

Ich hege zu große Verehrung gegen gekrönte Häupter, um bei einem so kitzlichen Punkte länger zu verweilen, muß jedoch gestehen, daß ich mit einem großen Vergnügen den Gesichtszügen, wodurch sich einzelne Familien auszeichnen, bis auf die Originale nachspüren konnte. Ich konnte deutlich entdecken, weßhalb die eine Familie ein langes Kinn besaß, weßhalb eine andere zwei Generationen lang an Schurken, und noch zwei andere Menschenalter an Dummköpfen Ueberfluß gehabt hat; weßhalb eine dritte verrückt und eine vierte spitzbübisch wurde; woher es gekommen sey, was Polydorus Virgilius von einem gewißen großen Hause sagte: Nec vir fortis, nec foemina casta; wie Grausamkeit, Falschheit und Feigheit charakteristische Merkmale wurden, welche in gerader Linie, wie skrophulöse Geschwülste, auf die Nachkommenschaft übergingen. Auch durfte ich mich hierüber gar nicht wundern, als ich eine solche Unterbrechung der Geschlechter durch Pagen, Lakaien, Kutscher, Spieler, Fiedler, Schauspieler, Offiziere und Gauner sah.

Vorzüglich empfand ich Ekel über neuere Geschichte. Als ich nämlich alle berühmtesten Personen an den Höfen der Fürsten seit hundert Jahren genau beobachtet hatte, fand ich, wie die Welt durch charakterlose Schriftsteller irre geführt wurde, welche die größten Kriegsthaten den Feiglingen, die weisesten Rathschläge den Thoren, Aufrichtigkeit den Schmeichlern, römische Tugend den Vaterlandsverräthern, Frömmigkeit den Atheisten, Keuschheit unnatürlichen Wollüstlingen, Wahrheit den Spionen und Angebern zuschreiben; wie viele unschuldige und ausgezeichnete Personen zum Tode oder zur Verbannung dadurch verurtheilt worden sind, daß mächtige Minister die Verderbniß der Richter und die Bosheit der Parteien benutzten; wie viele Schurken zu den höchsten Aemtern, des Vertrauens, der Macht, der Würde und des reichlichsten Einkommens erhoben wurden; welch ein Antheil an den Vorschlägen und Ereignissen der Höfe, Rathsversammlungen und Senate, Dirnen, Kupplern, Schmarotzern und Lustigmachern zuzuschreiben ist. Welch eine niedrige Meinung erlangte ich von menschlicher Weisheit und Rechtlichkeit, als ich die Quellen und Beweggründe der großen Revolutionen in der Welt, und die verächtlichen Zufälle, denen sie ihren Erfolg verdankten, erfuhr.

Hier entdeckte ich die Schurkerei und die Unwissenheit derer, welche anekdotisch die geheime Geschichte zu schreiben behaupten, welche so viele Könige durch einen Becher Gift ins Grab schicken, welche die Unterredung zwischen einem Fürsten und Premierminister wiederholen, wobei kein Zeuge gegenwärtig war; welche die Gedanken und Kabinette der Staatssekretäre erschließen, und fortwährend das Unglück haben, sich zu irren.

Hier entdeckte ich die wahren Ursachen vieler großen Ereignisse, welche die Welt überrascht haben; wie eine Buhlerin das geheime Boudoir, das geheime Boudoir einen geheimen Rath, der geheime Rath eine Senatsversammlung leitet.

Ich hörte wie ein General in meiner Gegenwart gestand, er habe einen Sieg nur durch die Macht der Feigheit und des schlechten Benehmens gewonnen; wie ein Admiral erzählte, er habe aus Mangel an genügendem Einverständniß mit dem Feinde denselben geschlagen, ob er ihm gleich die Flotte verrathen wollte. Drei Könige behaupteten, sie hätten während ihrer ganzen Regierung niemals einen Mann von Verdienst befördert, wenn dies nicht durch Versehen oder durch die Verrätherei eines Ministers, dem sie ihr Vertrauen geschenkt, geschehen sey; sie würden dies auch nicht thun können, wenn sie wieder zum Leben erweckt würden; sie bewiesen in logischer Darlegung, der königliche Thron könne nie ohne Corruption erhalten werden, weil das entschiedene, vertrauensvolle und hartnäckige Temperament, welches der Mensch durch die Tugend erhalte, den Staatsgeschäften ein ewiges Hinderniß bieten werde.

Aus Neugierde erkundige ich mich hauptsächlich durch welche Verfahrungsart eine große Anzahl Menschen hohe Ehrentitel und werthvolle Landgüter erworben hätten, und ich beschränkte meine Fragen auf eine Zeit, die uns noch sehr neu ist; ich kratzte jedoch nicht im Geringsten an der Gegenwart, weil ich auf keine Weise, nicht einmal dem Auslande Anstoß erregen wollte. Auch brauche ich dem Leser wohl durchaus nicht zu sagen, daß ich in Allem, was ich hier berichte, mein eigenes Vaterland nicht im Auge habe.

Eine große Anzahl von Personen, die in dieser Hinsicht betheiligt waren, wurde herbeibeschworen und enthüllten mir, bei einer nur flüchtigen Untersuchung, eine solche Schande, daß ich ohne ernsten Tadel nicht darüber reden kann. Meineid, Unterdrückung, Verführung, Betrug, Kuppelei und ähnliche Gebrechlichkeiten wären noch unter den Schlichen am ehesten zu entschuldigen, und ich war auch so vernünftig, in Betreff derselben nachsichtig zu seyn. Als mir aber Einige gestanden, sie verdankten ihren Reichthum unnatürlichen Lastern; Andere ihrer Willfährigkeit Frauen und Töchter Preis zu geben; Andere dem Verrathe ihres Vaterlandes und ihres Fürsten; Einige der Vergiftung; eine größere Anzahl der Verdrehung des Rechts, um Unschuldige zu Grunde zu richten: so hoffe ich auf Verzeihung, wenn diese Entdeckung die große Verehrung ein wenig verminderte, die ich gegen Personen von hohem Range hege, weil diese mit der äußersten Achtung, die man ihrer hohen Würde schuldig ist, von uns, ihren Untergebenen, behandelt werden müssen. Ich hatte oft von großen Diensten gelesen, welche Fürsten und Staaten erwiesen wurden, und wünschte deßhalb die Personen zu sehen, welche jene Dienste geleistet hatten. Nach näherer Untersuchung wurde mir aber gesagt, die Namen fänden sich in keiner geschichtlichen Angabe, mit Ausnahme weniger, welche man als die schändlichsten Schurken und Verräther dargestellt hatte. Von den übrigen war mir kein einziger Name bekannt. Sie alle erschienen mit gesenkten Blicken und in den schlechtesten Kleidern; die Meisten sagten mir, sie seyen in Armuth und Schande und die übrigen am Galgen oder auf einem Schaffott gestorben.

Unter Anderen sah ich einen Mann, dessen Fall mir als etwas besonderes erschien. An seiner Seite stand ein Jüngling von ungefähr achtzehn Jahren. Er sagte mir: Mehrere Jahre lang sey er der Befehlshaber eines Schiffes gewesen; in der Seeschlacht von Actium habe er das Glück gehabt, durch die Schlachtlinie des Feindes zu brechen, drei Hauptschiffe zu versenken und ein viertes zu nehmen. Dieses sey die einzige Ursache von des Antonius Flucht und des daraus sich ergebenden Sieges; der neben ihm stehende Jüngling sey sein Sohn, welcher in diesem Kampfe sein Leben verloren habe. Er fügte hinzu: Im Vertrauen auf sein Verdienst sey er nach Beendigung des Krieges nach Rom gegangen und habe am Hofe des August um Beförderung als Befehlshaber eines größeren Schiffes nachgesucht, dessen Commandeur in der Schlacht gefallen war; die Stelle sey jedoch, ohne Rücksicht auf seine Ansprüche, einem Knaben gegeben, der noch nie das Meer gesehen hatte, dem Sohn der Libertina, welcher einer Geliebten des Kaisers seine Aufwartung gemacht habe. Als er nun zu seinem eigenen Schiffe zurückgekehrt sey, habe man ihm Vernachläßigung des Dienstes zum Vorwurf gemacht; der Befehl über sein Schiff sey einem Lieblingspagen des Viceadmirals Publicola übertragen worden. Hierauf habe er sich auf ein kleines, von Rom weit entferntes Landgut zurückgezogen und dort sein Leben geendet.

Ich war so neugierig, die Wahrheit dieser Geschichte zu erfahren, daß ich mir erbat, Agrippa, der Admiral in jener Schlacht, möchte heraufbeschworen werden. Dieser erschien und bestätigte mir den ganzen Bericht noch mehr zum Vortheil des Kapitäns, dessen Bescheidenheit einen großen Theil seines Verdienstes vermindert oder verheimlicht hatte.

Ich erstaunte, Verderbniß in jenem Reiche, durch die Gewalt des eingeführten Luxus, so weit und schnell verbreitet zu erblicken, weßhalb ich mich über mehrere Parallelfälle in andern Ländern weniger wunderte, wo Laster jeder Art weit länger geherrscht haben, wo der ganze Ruhm, so wie auch der Raub, ausschließlich dem ersten Befehlshaber ertheilt ward, welcher vielleicht auch nicht den geringsten Anspruch für eines von Beiden hatte.

Da jeder beschworene Geist in derselben Art vor mir erschien, wie es früher bei ihm, in der Welt, der Fall gewesen war, so erweckte dies bei mir den melancholischen Gedanken, das Menschengeschlecht sey in dem letzten Jahrhundert sehr entartet; die Blattern, unter jeder Benennung und mit allen Folgen, hätten jeden Zug der englischen Physiognomie entstellt, die Größe der Körper vermindert, die Nerven geschwächt, die Spannkraft der Sehnen und Muskeln verringert, eine bleiche Gesichtsfarbe hervorgebracht und das Fleisch locker und übelriechend gemacht.

Ich stieg so weit hinunter, daß ich auch einige englische Yeomen, vom alten Schlage, heraufbeschwören ließ; jene Männer, welche wegen der Einfachheit ihrer Sitten, ihrer Lebensart und Kleidung, wegen der Gerechtigkeit in ihrem Verfahren, wegen ihres freien Geistes, ihrer Tapferkeit und Vaterlandsliebe so sehr berühmt waren.

Ich konnte eine gewisse Aufregung nicht unterdrücken, als ich die Todten mit den Lebenden verglich, und dabei bedachte, wie alle diese reinen und angeborenen Tugenden von ihren Enkeln für Geld preisgegeben werden, welche durch den Verkauf ihrer Stimmen und durch ihr Verfahren bei Wahlen jedes Laster und jede Verderbniß sich erworben haben, die nur an einem Hofe erworben werden können.

Kapitel 9


Kapitel 9 Der Verfasser kehrt nach Maldonado zurück und segelt nach dem Königreich Luggnag. Er wird eingesperrt und an den Hof gebracht. Die Art, wie er Audienz erhält. Des Königs Milde gegen seine Unterthanen.

Lange genug war ich auf der Insel gewesen. Ich nahm deßhalb Abschied von Seiner Hoheit, dem Gouverneur, und kehrte mit meinen beiden Reisegefährten nach Maldonado zurück. Als ich vierzehn Tage lang gewartet, war ein Schiff nach Luggnag segelfertig; die beiden Herren und einige Andere waren so edelmüthig, mich mit Lebensmitteln zu versehen und mich an Bord zu geleiten. Auf dieser Reise brachte ich einen Monat zu. Wir überstanden einen heftigen Sturm und mußten westwärts steuern, um in einen regelmäßigen Wind zu gelangen, der auf einem Striche von mehr als sechzig Stunden in einem Zuge weht. Am 21. April 1708 fuhren wir in den Fluß Clumegnig ein, wo eine Hafenstadt an der südöstlichen Spitze von Luggnag liegt. Wir warfen Anker eine Stunde von der Stadt entfernt und signalisirten nach einem Piloten. Zwei derselben kamen nach einer halben Stunde an Bord und führten uns dann durch Bänke und Felsen, welche die Durchfahrt sehr gefährlich machten, in ein breites Becken, wo eine ganze Flotte, in der Entfernung einer Kabellänge von der Stadtmauer, mit Sicherheit ankern kann.

Einige unserer Matrosen hatten aus Verrätherei oder aus Unvorsichtigkeit den Piloten gesagt, ich sey ein großer Reisender. Deßhalb wurde ich von einem Zollbeamten, bei meiner Landung, sehr genau in’s Verhör genommen. Dieser Beamte redete mit mir in der Sprache von Balnibarbi, welche wegen des starken Handels in dieser Stadt gewöhnlich, hauptsächlich aber von Seeleuten und Zollbeamten, verstanden wird. Ich gab ihm einen kurzen Bericht von einigen Einzelnheiten, und erzählte meine Geschichte so deutlich und consequent, wie möglich. Ich hielt es jedoch für nothwendig, mein Vaterland zu verschweigen und mich als Holländer anzugeben, weil ich nach Japan reisen wollte und weil ich wußte, die Holländer seyen die einzigen Europäer, welche in dieses Land gelangen könnten. Ich sagte deßhalb dem Beamten:nachdem ich auf der Küste von Balnibarbi Schiffbruch gelitten und auf einen Felsen geworfen worden sey, habe man mich in Laputa oder in der schwebenden Insel aufgenommen (wovon der Beamte gehört hatte) und ich wolle jetzt nach Japan, um dort eine Gelegenheit zur Rückkehr in mein Vaterland zu finden. Der Beamte sagte: Ich müsse verhaftet werden, bis er Befehle von seinem Hofe erhalten habe; er werde sogleich dorthin berichten, und hoffe, in vierzehn Tagen eine Antwort zu bekommen. Hierauf ward ich in eine passende Wohnung gebracht und eine Schildwache vor meiner Thüre aufgestellt; ich konnte jedoch einen großen Garten zu Spaziergängen benutzen und wurde mit aller Menschlichkeit behandelt; meine Ernährung geschah auf Kosten des Königs. Auch erhielt ich Besuche von mehreren Personen, und zwar aus Neugier, weil man berichtete, ich sey von sehr entfernten Ländern gekommen, von denen man bisher noch nichts gehört habe.

Ich miethete mir einen jungen Mann, der in demselben Schiff die Überfahrt gemacht hatte, als Dollmetscher. Er war in Luggnag geboren, hatte aber mehrere Jahre in Maldonado gelebt, und besaß eine genaue Kenntniß beider Landessprachen. Somit war es mir möglich, mich mit denjenigen, die mich besuchten, zu unterhalten; das Gespräch bestand jedoch allein aus ihren Fragen und meinen Antworten.

Die Depesche kam vom Hofe zu der erwarteten Zeit. Sie enthielt einen Verhaftsbefehl, mich und mein Zubehör nach Traldragdubh oder Trildrogdrib (so weit ich mich erinnere, wird das Wort in beiderlei Arten ausgesprochen) mit zehn Mann Kavallerie zu transportiren. Mein ganzes Zubehör bestand aber aus dem armen Bursch von Dollmetscher, den ich überredet hatte, in meinen Dienst zu treten, und auf mein demüthiges Gesuch erhielten wir Beide zwei Maulesel, um darauf zu reiten. Ein Bote ward auf eine halbe Tagereise uns vorausgeschickt, um dem König Nachricht von unserer Ankunft zu geben, und den Wunsch auszudrücken, Seine Majestät möge gnädigst geruhen, Tag und Stunde zu bestimmen, wo es sein allerhöchstes Vergnügen feyn würde, daß ich die Ehre erhalten möchte, den Staub vor Seinem Fußschemel abzulecken. Dies ist der Hofstyl; auch fand ich, daß es nicht eine bloße Förmlichkeit sey. Als ich nämlich zwei Tage nach meiner Ankunft Audienz erhielt, wurde mir befohlen, auf dem Bauch zu kriechen und den Boden abzulecken während ich vorwärts kroch; da ich jedoch ein Fremder war, so hatte man zuvor dafür gesorgt, den Fußboden so rein zu machen, daß der Staub mir nicht sehr unbequem wurde. Dieses war jedoch eine besondere Gnade, welche nur den Personen vom höchsten Range bewilligt wird, wenn sie eine Audienz zu erhalten wünschen. Bisweilen wird sogar der Boden absichtlich mit Staub bestreut, wenn die Person, welche Zutritt erhält, bei Hof mächtige Feinde hat. Auch habe ich gesehen, daß der Mund eines vornehmen Herrn so vollgestopft war, daß er kein einziges Wort aussprechen konnte. Dagegen gibt es auch kein Mittel, weil es für diejenigen, welche Audienz erhalten, als Todesverbrechen gilt, wenn sie in Gegenwart Ihrer Majestät ausspucken, oder sich den Mund wischen.

Es gibt noch eine andere Gewohnheit, die ich durchaus nicht billigen kann; wenn der König die Absicht hat, einen seiner Edelleute in sanfter und milder Art zu tödten, so läßt er den Fußboden mit einem gewissen braunen Pulver, einem tödtlichen Gifte, bestreuen, welches Jeden, der es aufleckt, in vierundzwanzig Stunden tödtet. Um jedoch der großen Milde dieses Königs und der Sorgfalt, die er hinsichtlich des Lebens seiner Unterthanen hegt, genügende Gerechtigkeit widerfahren zu lassen (und ich wünschte, daß die europäischen Monarchen ihm hierin nachahmten), so muß ich zu seiner Ehre erwähnen, daß genaue Befehle gegeben wurden, die vergifteten Theile des Fußbodens nach einer solchen Hinrichtung genügend zu waschen und abzukehren. Unterlassen dies seine Hausbedienten, so sind sie der Gefahr ausgesetzt, die königliche Ungnade sich zuzuziehen. Ich hörte selbst, wie er Befehle ertheilte, einer seiner Pagen solle gepeitscht werden; es war nämlich die Reihe an demselben gewesen, die Reinigung des Fußbodens zu besorgen, und er hatte es boshafterweise unterlassen. Durch die Vernachläßigung ward ein junger hoffnungsvoller Lord, welcher eine Audienz erhalten hatte, unglücklicherweise vergiftet, obgleich der König damals keine Absicht hegte, ihm das Leben zu nehmen. Doch war der gutmüthige Fürst so gnädig, dem armen Pagen die Peitschenstrafe zu erlassen, als derselbe versprochen hatte, er werde es ohne besonderen Befehl nicht wieder thun.

Ich kehre nun von dieser Digression zu meinem Berichte zurück. Als ich bis auf vier Ellen vom Throne gekrochen war, erhob ich mich langsam auf meine Knie, schlug dreimal mit der Stirne auf den Fußboden und sprach in der Landessprache einen Satz, den ich am Abend vorher erlernt hatte, und den ich folgendermaßen übersetze: Mag Eure himmlische Majestät die Sonne um elf und einen halben Monat überleben! Dieses ist das gesetzmäßige Kompliment des Landes, für alle Leute, welche Audienz erhalten. Der König gab eine Antwort, die ich nicht verstand, und ich erwiderte, wie ich zuvor gelernt hatte: Meine Zunge ist im Munde meines Freundes, worauf der junge, von mir schon erwähnte Mann hereingeführt wurde; durch dessen Hülfe beantwortete ich so viele Fragen, als Seine Majestät ungefähr in einer Stunde an mich richten konnte. Ich sprach im Balnibarbischen und mein Dollmetscher sagte den Sinn meiner Worte im Luggnagischen.

Der König fand an meiner Gesellschaft viel Vergnügen und befahl seinem Bliffmarklub oder Oberkämmerling, eine Wohnung für mich und meinen Dollmetscher am Hofe einzurichten. Ein bestimmter Betrag von Lebensmitteln ward für meine Tafel geliefert, und ich erhielt einen großen Beutel voll Geld für meine täglichen Ausgaben.

Nur um dem Könige zu gehorchen, blieb ich drei Monate im Lande; er hatte die Gnade, mir hohe Gunstbezeugungen zu erweisen, und machte mir sehr ehrenwerthe Anträge. Ich hielt es jedoch für klug und gerecht, die mir noch übrigen Tage bei meiner Frau und Familie zuzubringen. 

Kapitel 10


Kapitel 10 Die Luggnagier werden sehr gerühmt. Eine besondere Beschreibung der Struldbruggs. Gespräche des Verfassers mit einigen ausgezeichneten Personen.

Luggnag wird von einem höflichen und großmüthigen Volke bewohnt. Obgleich die Luggnagier einigermaßen den Stolz besitzen, welcher allen östlichen Nationen gemein ist, so zeigen sie sichdennoch höflich gegen Fremde, besonders solche, welche am Hofe eine Stütze besitzen. Ich hatte viele Bekannte, und darunter Personen von der besten Gesellschaft. Da ich nun auch stets von meinem Dollmetscher begleitet wurde, so war die Unterhaltung durchaus nicht unangenehm.

Eines Tages fragte mich ein Mann von Stande in einer großen Gesellschaft, ob ich die Struldbruggs oder die Unsterblichen des Landes gesehen hätte. Ich verneinte dies und bat, mir zu erklären, was diese Benennung, welche sterblichen Geschöpfen ertheilt würde, denn eigentlich bedeute. Der Herr nun sagte mir: Es ereigne sich bisweilen, obgleich sehr selten, daß ein Kind mit einem runden rothen Flecken an der Stirne, gerade über der linken Braue, in einer Familie geboren werde.

Dieser Flecken aber sey ein unfehlbares Zeichen, daß es nimmer sterben werde. Wie er ihn beschrieb, war er ungefähr von der Größe eines silbernen Groschens, wird aber mit der Zeit weit größer und verändert die Farbe; im zwölften Jahre wird er grün, und behält diese Farbe bis zum fünfundzwanzigsten, wo er dunkelblau wird; im fünfundvierzigsten wird er kohlschwarz und so groß wie ein englischer Schilling, nachher aber läßt er keine weitere Veränderung zu. Der Herr sagte: diese Geburten seyen so selten, daß es im ganzen Königreiche nicht mehr als elfhundert Struldbruggs beider Geschlechter gebe; darunter befinde sich ein junges, vor drei Jahren geborenes Mädchen. Diese Produktionen seyen keiner Familie eigenthümlich, sondern ein bloßes Werk des Zufalls. Die Kinder der Struldbruggs selbst seyen eben so sterblich, wie die des übrigen Volkes.

Ich muß offen gestehen, daß ich mit unaussprechlichem Entzücken diesen Bericht hörte. Da nun der Herr, mit dem ich sprach, das Valnibarbische verstand, womit ich sehr gut bekannt war, so konnte ich es nicht unterlassen, Ausdrücke zu gebrauchen, die vielleicht ein wenig zu ausschweifend waren. Ich rief, wie in Entzücken, aus: Oh glückliche Nation, wo wenigstens jedes Kind das Glück haben kann, unsterblich zu seyn! Oh glückliches Volk, welches so viele noch lebende Beispiele der alten Tugend erblickt, und Lehrer besitzt, die es in der Weisheit früherer Zeiten unterrichten können! Am glücklichsten vor Allen sind aber jene ausgezeichneten Struldbruggs, welche durch Geburt von jenem allgemeinen Unglück der Menschennatur ausgenommen sind, einen freien und ungefesselten Geist besitzen, weil sie die Last und die Niedergeschlagenheit der Todesfurcht nicht kennen. Ich drückte mein Erstaunen aus, daß ich noch keine dieser erlauchten Personen bei Hofe gesehen habe; der schwarze Fleck an der Stirne sey ja ein so auffallendes Zeichen, daß ich dies schwerlich übersehen hätte. Es sey unmöglich, daß ein so verständiger Fürst, wie Seine Majestät, sich nicht mit einer bedeutenden Anzahl solcher weisen und brauchbaren Rathgeber hätte versehen sollen. Vielleicht aber sey die Tugend solcher ehrwürdigen Weisen zu streng für die verdorbenen und freien Sitten eines Hofes; wir sehen ja häufig durch Erfahrung, daß junge Leute zu eigensinnig und flüchtig seyen, um durch den verständigen Rath der älteren sich leiten zu lassen. Da jedoch Seine Majestät mir die Gnade ertheilt habe, den Zutritt zu ihrer königlichen Person zu bewilligen, so sey ich entschlossen, bei der ersten Gelegenheit ihr offen und weitläufig meine Meinung, mit Hülfe meines Dollmetschers, hierüber zu sagen. Ob der König meinen Rath gnädigst annehme oder nicht, so habe ich dennoch in einem Punkte einen festen Entschluß gefaßt. Seine Majestät habe mir häufig eine Versorgung in Ihrem Reiche angeboten. Ich würde mit größter Dankbarkeit diese Gnade annehmen und mein Leben im Gespräch mit jenen uns überlegenen Wesen, den Struldbruggs, zubringen, wenn sie die Güte hätten, mich in ihrer Gesellschaft zuzulassen.

Der Herr, an den ich diese Worte richtete, antwortete mir (wie ich schon bemerkte, verstand er die Sprache von Balnibarbi) mit einem Lächeln, welches gewöhnlich ist, wenn man Unwissenheit bemitleidet: Es sey ihm sehr angenehm, eine Gelegenheit gefunden zu haben, weßhalb ich im Lande bleiben wolle; er bitte mich um Erlaubniß, der übrigen Gesellschaft meine Absicht wieder sagen zu dürfen. Dies geschah; die Anwesenden unterhielten sich in ihrer Landessprache, wovon ich keine Sylbe verstand; auch konnte ich an dem Ausdruck ihrer Züge den Eindruck nicht erkennen, welchen meine Worte bei ihnen erweckt hatten. Nach einem kurzen Schweigen sagte mir derselbe Herr: Seine Freunde und die meinigen (in dieser Art hatte er die Güte sich auszudrücken) seyen sehr erfreut über die verständigen Bemerkungen, die ich über das Glück und die Vortheile des unsterblichen Lebens gemacht habe, und sie wünschten besonders zu erfahren, welchen Lebensplan ich hinsichtlich meiner gebildet hätte, wäre mir das Schicksal zu Theil geworden, als Struldbrugg geboren zu werden.

Ich erwiderte, es sey nicht schwer, bei einem so reichhaltigen und angenehmen Gegenstand Beredtsamkeit zu zeigen; dies sey bei mir hauptsächlich der Fall, da ich mich oft an Visionen ergötzt habe, was ich thun würde wie ich mich z. B. als König, als General, als Lord benehmen würde; auch in dem Fall der Unsterblichkeit hätte ich mir bereits ein System gebildet, wie ich wirken und mir die Zeit vertreiben wolle, im Fall es mir möglich wäre, auf ewig zu leben.

Wäre ich so glücklich gewesen, als Struldbrugg in die Welt zu kommen, so würde ich, wenn ich mein eigenes Glück durch den Unterschied zwischen Leben und Tod erkannt hätte, auf alle mögliche Weise mir Reichthümer zu verschaffen suchen; durch Geschicklichkeit und gute Verwaltung könnte ich alsdann, nach vernünftiger Erwartung, in ungefähr zweihundert Jahren dieselben so sehr vermehren, daß ich der reichste Mann des Königreichs würde; zweitens würde ich mich von meiner frühesten Jugend an mit den Studien der Künste und Wissenschaften beschäftigen, wodurch ich zuletzt dahin gelangen müßte, alle Anderen an Gelehrsamkeit zu übertreffen. Zuletzt würde ich jede Handlung und jedes Ereigniß von Wichtigkeit aufnotiren, die Charaktere der aufeinanderfolgenden Fürsten und Staatsminister und meine Bemerkungen über jede Einzelnheit niederschreiben. Ich würde mir die verschiedenen Veränderungen der Gewohnheiten, Sprachen, Moden,Lebensarten und Vergnügungen merken. Durch alle diese Erwerbungen müßte ich ein lebendiger Schatz der Gelehrsamkeit und Weisheit und sicherlich das Orakel der Nation werden.

Ich würde mich nach sechzig Jahren nicht mehr verheirathen, sondern ein offenes Haus machen, jedoch immer noch Geld sparen. Ich würde den Geist hoffnungsvoller Jünglinge bilden und leiten, und würde sie nach meiner Erinnerung, Erfahrung und Beobachtung durch viele Beispiele von der Nützlichkeit der Tugend im öffentlichen und Privatleben überzeugen. Meine gewöhnliche und fortwährende Gesellschaft würde jedoch in einer Anzahl meiner unsterblichen Brüderschaft bestehen. Ich würde aus diesen ein Dutzend von den ältesten bis auf meine Zeitgenossen auswählen. Wo es Einigen derselben an Vermögen fehlte, würde ich sie mit passenden Wohnungen in der Nähe meines Gutes versehen, und Einige derselben stets an meine Tafel laden. Ich würde alsdann nur wenige der trefflichsten Sterblichen hinzuziehen, deren Verlust ich mit geringem Widerstreben zu ertragen, durch die Zeit verhärtet, erlernen müßte; die Geschlechter der Gegenwart aber in derselben Art behandeln, wie man sich über die jährliche Reihenfolge der Nelken und Tulpen in Gärten erfreut, ohne den Verlust derjenigen zu bedauern, welche im vergangenen Jahre verwelkt sind.

Wir würden uns gegenseitig unsere Bemerkungen und Denkwürdigkeiten über den Lauf der Zeiten mittheilen, Beobachtungen anstellen, wie die Verderbniß sich allmählich einschleicht und bei jedem Schritt ihr widerstehen, indem wir den Menschen immerwährende Belehrung und Warnung gäben. Käme dieser Umstand zu dem starken Einfluß unseres eigenen Beispiels hinzu, so müßte dies die fortwährende Entartung der Menschennatur verhindern, worüber man sich mit so vollem Recht in allen Zeiten beklagt.

Zu allen diesen glücklichen Verhältnissen müßte noch das Vergnügen hinzukommen, daß man die verschiedenen Revolutionen der Staaten und Reiche, die Veränderungen der oberen und niederen Welt bemerkte; daß man alte Städte in Trümmer fallen und unbedeutende Dörfer zu Residenzen sich erheben sehe; daß man erblicken könnte, wie berühmte Flüsse sich zu seichten Bächen verminderten, wie der Ocean die eine Küste verließe und eine andere überschwemmte; wie man bis jetzt unbekannte Länder entdecke, wie Barbarei die feinsten Nationen erdrücke und wie barbarische Völker sich civilisirten. Ich würde alsdann die Entdeckung der geographischen Länge, des Perpetuum mobile, der Universalmedicin und anderer großen Erfindungen noch erleben, welche zur größten Vollkommenheit gelangen müßten.

Wie wunderbare Entdeckungen würde man in der Astronomie machen, welche alsdann unsere eigenen Vorhersagungen überleben oder bestätigen müßten. Man könnte die Wanderungen und die Wiederkehr der Kometen mit dem Wechsel der Bewegung von Sonne, Mond und Sternen beobachten.

Ich sprach noch lange über andere Gegenstände, welche mir der natürliche Wunsch eines endlosen Lebens und einer Glückseligkeit unter dem Monde sehr leicht an die Hand gaben. Als ich geendet hatte, und als der Inhalt meiner Rede, wie vorher, der übrigen Gesellschaft übersetzt worden war, so entstand unter derselben ein langes Gespräch in der Landessprache, verbunden mit einigem Gelächter auf meine Kosten. Zuletzt aber sagte derselbe Herr, welcher mein Dollmetscher war, die übrigen Anwesenden hätten den Wunsch geäußert, er möge mir einige Irrthümer berichtigen, auf die ich durch die allgemeine Schwäche der menschlichen Natur verfallen, und deßhalb auch nicht sehr zu tadeln sey. Diese Race der Struldbruggs sey seinem Vaterlande eigenthümlich, denn es fänden sich solche Leute weder in Balnibarbi noch Japan, wo er die Ehre gehabt habe, Gesandter Seiner Majestät zu seyn; auch habe er dort bemerkt, daß die Einwohner beider Königreiche nicht glauben wollten, jene Thatsache sey möglich. Es scheine ihm, aus meinem Erstaunen, als er die Sache zuerst erwähnte, ich habe dieselbe als eine durchaus neue erfahren, welche man kaum für glaublich halten dürfe.

In den beiden erwähnten Königreichen, wo er während seines Aufenthalts mit einer großen Anzahl Personen in’s Gespräch gekommen sey, habe er bemerkt, langes Leben sey ein allgemeiner Wunsch des Menschengeschlechts. Jeder, dessen einer Fuß schon im Grabe stehe, stemme sich mit dem andern so stark wie möglich noch dagegen. Der älteste Greis hoffe noch einen Tag länger zu leben und betrachte den Tod als ein großes Uebel, welches die Natur ihn fortwährend zu vermeiden zwinge. Nur auf der Insel Luggnag sey die Begierde zum Leben nicht so heftig, weil sie Struldbruggs fortwährend vor Augen hätten. Der von mir aufgestellte Lebensplan sey unvernünftig und ungerecht, weil er eine immerwährende Blüthe der Jugend, Gesundheit und Lebenskraft voraussetze. Kein Mensch könne jedoch so thöricht seyn, diese zu hoffen, wie ausschweifend er auch in seinen Wünschen seyn möge. Die Frage handle sich deßhalb nicht darum, ob ein Mensch stets in der Blüthe der Jugend bei Gesundheit und Reichthum leben möge, sondern wie er ein ewiges Leben mit allen Nachtheilen des Greisenalters führen werde. Zwar wollten wenige Menschen ihren Wunsch, bei so harten Bedingungen unsterblich zu bleiben, eingestehen, er habe jedoch in den beiden vorher erwähnten Königreichen, Balnibarbi und Japan, die Bemerkung gemacht, daß jeder Mensch seinen Tod noch etwas länger verschiebe, wäre sein Leben auch noch so weit hinaufgerückt. Er habe noch nie gehört, ein Mensch sey gern gestorben, ausgenommen in der Aufregung des höchsten Grades von Gram und Körperqual. Er beruft sich auf mich, ob ich nicht in den von mir bereisten Ländern dieselbe allgemeine Neigung vorgefunden habe.

Nach dieser Vorrede gab mir der Herr einen besonderen Bericht über die Struldbruggs im Lande. Er sagte: Jene Menschen handelten wie gewöhnliche Sterbliche bis zum dreißigsten Lebensjahre; hierauf würden sie jedoch melancholisch und niedergeschlagen, und diese Stimmung steige bis zum achtzigsten Jahre. Er habe dies durch ihr eigenes Geständniß erfahren; sonst würde er sich kein allgemeines Urtheil haben bilden können, da nur zwei oder drei in einem Menschenalter geboren würden, und da somit die Zahl der Struldbruggs sehr gering sey. Gelangten sie nun zum achtzigsten Jahre, welches sonst als äußerster Lebenspunkt in diesem Lande angenommen werde, so zeigten sie nicht allein die Thorheiten und Schwächen anderer Greise, sondern noch eine weit größere Anzahl derselben, welche durch die furchtbare Aussicht, niemals zu sterben, bewirkt würden. Sie wären nicht allein eigensinnig, hölzern, habgierig, mürrisch, eitel und geschwätzig, sondern auch der Freundschaft unfähig und für jede natürliche Neigung erstorben, welche nie über ihre Enkel hinaus gehe. Neid und ohnmächtige Begierde seyen ihre überwiegenden Leidenschaften. Hauptsächlich betreffe jedoch ihr Neid diejenigen Gegenstände, welche Laster bei dem jüngeren Geschlecht und Tod bei dem älteren veranlaßten. Gedächten sie der früheren Zeiten, so fänden sie zugleich, daß ihnen jede Möglichkeit des Vergnügens abgeschnitten sey; sähen sie ein Begräbniß, so beklagten und beneideten sie, daß Andere in den Hafen der Ruhe gelangten, von welchem sie selbst auf ewig ausgeschlossen sind. Sie erinnern sich, fuhr der Herr weiter fort, nur an diejenigen Dinge, die sie in ihrer Jugend und in ihrem Mannesalter beobachteten, und auch in diesem Punkte ist ihr Gedächtniß sehr unvollkommen. Was aber die Wahrheit und die Einzelnheiten einer Thatsache betrifft, so ist es besser, sich auf die gewöhnliche Tradition, als auf ihr Gedächtniß zu verlassen. Die unglücklichsten unter den Struldbruggs sind diejenigen, welche kindisch werden und ihr Gedächtniß verlieren; diese erlangen mehr Mitleid und Hülfe, weil sie viele schlechte Eigenschaften, welche man bei den Uebrigen findet, nicht besitzen.

Wenn ein Struldbrugg ein Weib aus seiner Art heirathet, so wird die Ehe nach dem Gesetz des Königreichs aufgelöst, sobald der jüngere Theil das achtzigste Jahr erreicht hat. Nach dem Rechte wird es nämlich für eine billige Nachsicht gehalten, daß denjenigen, welche ohne ihre Schuld dazu verdammt sind, fortwährend in der Welt zu leben, ihr Elend, durch die Last eines Weibes, nicht verdoppelt werde.

Sobald sie das achtzigste Jahr erreicht haben, werden sie als gesetzlich todt betrachtet. Ihre Erben succediren sogleich in ihren Gütern; nur eine kleine Summe wird für ihre Ernährung zurückbehalten, und die ärmeren werden auf Kosten des Staates ernährt. Nach dieser Zeit dürfen sie kein Amt, mit oder ohne Gehalt, verwalten, sie dürfen kein Grundstück kaufen oder pachten; auch wird ihnen nicht erlaubt in irgend einem Civil- oder Kriminal-Proceß als Zeuge aufzutreten, nicht einmal bei der Entscheidung über Gränzen und Marken.

Im neunzigsten Jahre verlieren sie Zähne und Haare; in diesem Alter fehlt ihnen bereits der Geschmack; sie essen und trinken was sie erhalten können, ohne Vergnügen und Appetit. Die Krankheiten, an denen sie früher litten, dauern fort, ohne sich zu vermehren oder zu vermindern. Beim Sprechen vergessen sie die gewöhnlichsten Benennungen der Dinge und die Namen der Personen, sogar derjenigen, welche ihre nächsten Freunde und Verwandte sind. Aus demselben Grunde können sie sich nicht mehr mit Lesen vergnügen, weil ihr Gedächtniß vom Anfange des Satzes bis zum Ende nicht mehr ausreicht; hiedurch werden sie der einzigen Unterhaltung beraubt, deren sie sonst noch fähig seyn könnten.

Da die Landessprache fortwährenden Veränderungen unterworfen ist, so verstehen die Struldbruggs des einen Zeitalters nicht mehr die eines andern. Auch sind sie nach zweihundert Jahren nicht mehr im Stande, irgend ein Gespräch mit ihren Nachbarn, den Sterblichen, zu halten, wenn man wenige Worte ausnimmt. Somit erleiden sie auch den Nachtheil, als Fremde in ihrem Vaterlande zu leben.

Dies war der Bericht, so weit ich mich erinnern kann, der mir von den Struldbruggs gegeben wurde. Nachher sah ich fünf oder sechs von verschiedenen Zeitaltern, welche von einigen meiner Freunde zu verschiedenen Malen mir vorgeführt wurden. Obgleich man ihnen sagte, ich sey ein großer Reisender und habe die ganze Welt gesehen, hegten sie nicht die geringste Neugier um mir nur eine Frage vorzulegen. Sie baten mich nur, ich möge ihnen ein Slumskudask, oder ein Geschenk, zum Andenken geben, und dieses ist eine bescheidene Art des Bettelns, um das Gesetz zu umgehen, welches ihnen Bettelei streng verbietet, weil sie vom Staate unterhalten werden, obgleich sie nur eine sehr kärgliche Nahrung erhalten.

Sie werden von jeder Volksklasse verachtet und gehaßt. Wenn ein Struldbrugg geboren wird, hält man dies für ein böses Vorzeichen. Man kann ihr Alter erfahren, indem man die Register um Rath fragt, welche jedoch nicht über tausend Jahre hinaus gehalten, oder wenigstens durch bürgerliche Unruhen zerstört wurden. Die gewöhnliche Art ihr Alter zu berechnen aber besteht darin, daß man sie frägt, an welche Könige oder große Personen sie sich erinnern können, und daß man alsdann die Geschichte nachschlägt. Dies Verfahren ist untrüglich, denn der letzte Fürst, an den sie sich erinnern, hat seine Regierung vor ihrem achtzigsten Lebensjahre nicht begonnen.

Sie boten mir den scheußlichsten Anblick, der mir jemals vorgekommen ist; die Frauen waren aber noch furchtbarer anzusehen, wie die Männer. Neben den Entstellungen des Alters zeigten sie im Verhältniß zu ihren Jahren eine furchtbare Todtenfarbe, die ich nicht beschreiben kann, und unter einem halben Dutzend erkannte ich bald die ältesten, obgleich nicht mehr wie ein oder zwei Jahrhunderte den Unterschied ihres Alters abgaben.

Der Leser wird mir sehr leicht glauben, daß mein Wunsch, eines fortwährenden Lebens auf Erden, sehr herabgestimmt wurde. Ich schämte mich herzlich der angenehmen Visionen, die ich mir gebildet hatte, und dachte mir, kein Tyrann könne einen so schmerzhaften Tod erfinden, daß ich denselben einem solchen Leben nicht vorziehen möchte. Der König hörte Alles, was zwischen mir und meinen Freunden bei dieser Gelegenheit vorgegangen war, und hatte die Güte, mich hierüber zu necken. Er wünschte, ich könnte ein paar Struldbruggs in mein Vaterland senden, um unser Volk gegen die Todesfurcht zu schützen; dies war aber, wie es schien, durch die Grundgesetze des Königreichs verboten, sonst hätte ich gerne die Last und die Kosten des Transports auf mich genommen.

Ich wußte zugestehen, daß die Gesetze des Königreichs, in Betreff der Struldbruggs, auf Vernunftgründen beruhten, und daß jedes Land, unter ähnlichen Umständen, zu demselben Verfahren würde gezwungen werden. Da nämlich Geiz die nothwendige Folge des Greisenalters ist, so müßten diese Unsterbliche zuletzt die Eigenthümer des Vermögens der ganzen Nation werden und sich dadurch die Regierungsgewalt verschaffen, die sie aus Mangel an Fähigkeiten nicht ausüben könnten, so daß der Untergang des Staates die Folge seyn müßte.

Kapitel 11


Kapitel 11 Der Verfasser verläßt Luggnag und segelt nach Japan. Von dort kehrt er auf einem holländischen Schiffe nach Amsterdam und von dort nach England zurück.

Ich habe geglaubt, mein Bericht über die Struldbruggs könne dem Leser einige Unterhaltung gewähren, weil er etwas Ungewöhnliches enthält. Ich erinnere mich wenigstens niemals etwas Aehnliches in irgend einer Reisebeschreibung, die mir in die Hände gekommen ist, gelesen zu haben. Habe ich mich getäuscht, so muß es zu meiner Entschuldigung gereichen, daß Reisende, welche dasselbe Land beschreiben, häufig bei denselben Umständen verweilen müssen, ohne den Tadel zu verdienen, sie hätten von ihren Vorgängern abgeschrieben.

Es herrscht ein fortwährender Handelsverkehr zwischen diesem Königreich und dem Kaiserthum Japan. Somit ist es wahrscheinlich, daß die japanesischen Schriftsteller von den Struldbruggs etwas berichtet haben. Mein Aufenthalt in Japan aber war so kurz und ich war mit der Sprache so gänzlich unbekannt, daß ich nicht im Stande war, mich darnach zu erkundigen. Ich hoffe jedoch, die Holländer werden nach dieser von mir gegebenen Notiz neugierig und fähig seyn, meinen unvollkommenen Bericht zu erweitern.

Seine Majestät hatte mich oft gebeten, eine Stelle an seinem Hofe anzunehmen, erkannte aber bei mir den festen Entschluß, in mein Vaterland zurückzukehren, und hatte darauf die Gnade, mir die Erlaubniß zur Abreise zu ertheilen, und mich mit einem eigenhändig geschriebenen Empfehlungsbrief an den Kaiser von Japan zu beehren. Seine Majestät schenkte mir ferner vierhundertvierundvierzig große Goldstücke (die ganze Nation findet viel Vergnügen an gleichen Zahlen) und einen rothen Diamant, den ich in England für elfhundert Pfund Sterling verkaufte.

Am 6. Mai 1709 nahm ich von Seiner Majestät und allen meinen Freunden einen feierlichen Abschied. Der König war so gnädig, mir eine Garde bis nach Glanguenstala, dem königlichen Hafen an dem südwestlichen Theile der Insel, zu ertheilen. Nach sechs Tagen war ein Schiff nach Japan segelfertig, worauf ich fünfzehn Tage auf dieser Reise zubrachte. Wir landeten in einer kleinen Hafenstadt mit Namen Xamoschi, welche am südwestlichen Theile von Japan liegt; die Stadt ist auf der westlichen Spitze erbaut, wo eine schmale Meerenge nordwärts in eine Bucht führt, an deren nordwestlichem Theile die Hauptstadt Jeddo sich erhebt. Beim Landen zeigte ich den Zollbeamten meinen Brief des Königs von Luggnag an Seine Kaiserliche Majestät. Sie kannten das Siegel; es war so breit wie meine Hand. Auf demselben war ein König, welcher einen lahmen Bettler von der Erde aufhebt, dargestellt. Als die Beamten der Stadt von meinem Briefe gehört hatten, empfingen sie mich als einen Staatsminister; versahen mich mit Wagen und Dienern und ließen mich bis Jeddo verpflegen, wo ich eine Audienz erhielt und meinen Brief überreichte. Dieser ward mit vielen Ceremonien eröffnet und durch einen Dollmetscher dem Kaiser übersetzt, der mir auf Befehl seiner Majestät die Erklärung gab: ich möge meine Bitte aussprechen, was dieselbe auch betreffe, sie werde mir, aus Rücksicht für seinen königlichen Bruder in Luggnag, gewährt werden.

Dieser Dollmetscher war ein Beamter, welcher die Geschäfte mit den Holländern besorgte. Er vermuthete bald aus meinen Gesichtszügen, ich sey ein Europäer, und wiederholte deßhalb den Befehl des Kaisers auf holländisch, das er vollkommen verstand. Ich erwiderte, wie ich vorher beschlossen hatte: Ich sey ein holländischer Kaufmann, der in einem sehr entfernten Lande Schiffbruch gelitten habe; von dort sey ich zu Land und See nach Luggnag gereist, und endlich nach Japan eingeschifft worden. Ich wisse, daß meine Landsleute dort Handel trieben, und hoffe, durch einige derselben Gelegenheit zur Rückkehr nach Europa zu erlangen. Deßhalb erbitte ich mir die königliche Gunst, daß ich nach Nargasacki gebracht werde.

Hier fügte ich auch noch eine andere Bitte hinzu: Aus Rücksicht auf meinen Beschützer, den luggnagischen König, möge Seine Majestät die Herablassung zeigen, mir die meinen Landsleuten auferlegte Ceremonie zu erlassen, wonach sie das Crucifix mit Füßen treten müßten, Ich sey ja, ohne Absicht Handel zu treiben, durch Unglück in dies Königreich gerathen. Als diese letztere Bitte dem Kaiser übersetzt worden war, schien er ein wenig erstaunt und äußerte: Ich sey der erste meiner Landsleute, welcher in diesem Punkte Bedenklichkeiten geäußert habe; somit hege er Zweifel, ob ich ein wirklicher Holländer, und Verdacht, ob ich ein Christ sey. Wegen der Gründe, die ich angeführt, vorzüglich aber um dem König von Luggnag durch eine besondere Gunstbezeugung gefällig zu seyn, werde er bei meiner sonderbaren Laune sich nachgiebig erweisen. Die Angelegenheit müsse jedoch mit Geschicklichkeit ausgeglichen werden; seine Offiziere würden Befehl erhalten, mich passiren zu lassen, als sey dies durch Vergeßlichkeit geschehen. Er könne mir die Versicherung geben, daß meine Landsleute, die Holländer, mir den Hals unterwegs abschneiden würden, wenn sie dies Geheimniß entdeckten. Ich dankte durch meinen Dollmetscher auf die verbindlichste Weise für eine so außerordentliche Gunstbezeugung. Da nun einige Truppen damals nach Nangasacki marschirten, so erhielt der commandirende Offizier Befehl, mich dorthin in Sicherheit zu bringen, und außerdem noch besondere Instruktionen in Hinsicht des Crucifixes.

Am 9. Juni 1709 war ich in Nangusacki nach einer langen und verdrießlichen Reise angelangt. Ich machte bald Bekanntschaft mit einigen holländischen Matrosen der Amboyna von Amsterdam, einem starken Schiff von vierhundertundfünfzig Tonnen.

Ich hatte in Holland lange gelebt, weil ich in Leyden früher studirte, und verstand deßhalb die Sprache. Die Matrosen erfuhren bald, woher ich zuletzt gekommen war; sie erkundigten sich neugierig nach meinen früheren Reisen und nach meinem Lebenslauf. Ich brachte deßhalb eine Geschichte, so kurz und wahrscheinlich wie möglich, zusammen, verschwieg jedoch das Meiste aus meinem Leben. Ich kannte viele Personen in Holland, und konnte Namen für Verwandte leicht erfinden, von denen ich vorgab, sie beständen aus Leuten niederen Standes in der Provinz Geldern.

Ich hätte dem Kapitän Theodor Vangrult sehr gerne bezahlt, was er mir für die Reise nach Holland abgefordert haben würde. Als er aber erfuhr, ich sey ein Wundarzt, so begnügte er sich, mir die halbe Taxe der Ueberfahrt unter der Bedingung abzuverlangen, daß ich ihm in meinem Berufe diente. Ehe wir unter Segel gingen, wurde mir von einigen aus der Schiffsmannschaft die Frage vorgelegt, ob ich die oben erwähnte Ceremonie bereits ausgeführt hätte. Ich wich dieser Frage durch die allgemeine Antwort aus, ich habe den Kaiser und seinen Hof in jeder Hinsicht zufrieden gestellt. Ein boshafter Schurke von einem Bootsknecht ging aber zu einem Offizier und sagte demselben, indem er auf mich zeigte, ich habe noch nicht auf das Crucifix getreten; der Offizier jedoch, welcher Instruktionen hatte mich durchzulassen, gab dem Schurken zwanzig Hiebe mit einem Bambusrohr, worauf ich dann auch nicht weiter mit solchen Fragen belästigt wurde.

Auf dieser Reise ereignete sich nichts Erwähnenswerthes. Wir segelten mit einem guten Wind zum Kap der guten Hoffnung, wo wir allein anhielten, um frisches Wasser einzunehmen. Am 10. April 1710 kamen wir wohlbehalten in Amsterdam an, nachdem wir drei Mann durch Krankheit auf der Reise und einen vierten durch einen Fall vom Vordermaste verloren hatten. Von Amsterdam segelte ich bald darauf nach England in einem Schiffe aus jener Stadt.

Am 16. April ankerten wir in den Dünen. Ich landete am nächsten Morgen und sah mein Vaterland nach einer Abwesenheit von fünf Jahren und sechs Monaten wieder. Ich ging geradeswegs nach Redriff, wo ich an demselben Tage um 2 Uhr Nachmittags anlangte und meine Frau und Familie in bester Gesundheit fand.

III


III.

Gullivers Reisen erschienen nach der Rückkehr Swifts nach Irland, aber mit jener Heimlichkeit, in die er beinahe immer die Veröffentlichung seiner Werke hüllte. Er hatte England im Monat August verlassen; und um dieselbe Zeit erhielt der Buchhändler das Manuscript, das ihm, wie er sagte, von einem Fiaker in den Laden geworfen wurde.

Gulliver wurde im nächsten Monat November veröffentlicht, mit Veränderungen und Auslassungen, die der Buchdrucker aus Aengstlichkeit darin anbrachte. Swift beklagte sich darüber in seinem Briefwechsel und ergänzte dieselben durch einen Brief Gullivers an seinen Vetter Sympson, der an die Spitze der folgenden Ausgaben gesetzt wurde. Aber das Publikum sah nichts Allzuängstliches in diesem ungewöhnlichen allegorischen Roman, der allgemeines Aufsehen machte und von allen Klassen, von Staatsmännern wie von Kinderwärterinnen, gelesen wurde. Man wollte durchaus den Verfasser kennen lernen, und selbst die Freunde SwiftsPopeGayArbuthnot, schrieben ihm, wie wenn sie darüber in Zweifel wären.

Aber obgleich sie sich so ausgedrückt hatten, daß einige Biographen dadurch getäuscht werden konnten, die der Meinung waren, sie wären wirklich über die Sache im Zweifel, so ist es doch gewiß, daß seine Freunde das Werk schon vor seiner Erscheinung mehr oder weniger kannten. Ihre Zurückhaltung war erheuchelt, um sich in die Laune Swifts zu schicken, oder vielleicht auch aus Furcht, sie möchten, im Falle ihre Briefe aufgefangen würden, genöthigt werden, gegen den Verfasser zu zeugen, wenn das Werk den Minister erbittern würde. Niemals vielleicht war ein Buch so gesucht von allen Klassen der Gesellschaft; die Leser aus den höheren Kreisen fanden darin eine persönliche und politische Satyre; der Pöbel Abenteuer nach seinem Geschmack; die Freunde des Romantischen Wunderbares; die jungen Leute Geist; ernsthafte Männer moralische und politische Lehren; das vernachläßigte Greisenalter und der getäuschte Ehrgeiz Grundsätze einer verdrießlichen und bitteren Misanthropie.

Der Plan der Satyre ist in seinen verschiedenen Theilen ein verschiedener. Die Reise nach Lilliput ist eine Anspielung auf den Hof und die Politik Englands. Sir Robert Walpole ist in der Persönlichkeit des ersten Ministers Flimnap [Fußnote]gemalt; und er verzieh dies Swift niemals, und widersetzte sich auch beharrlich jedem Plane, der den Dechanten nach England wieder zurückführen könnte.

Die Parteien der Torys und Whigs sind durch die Parteien der hohen und der niedern Absätze bezeichnet; die mit dem kleinen und mit dem großen Zipfel sind die Baptisten und Protestanten. Der Prinz von Wales, der die Torys und Whigs gleich gut behandelte, lachte von Herzen über die Nachgiebigkeit des präsumtiven Thronfolgers, der einen hohen und einen niedern Absatz trug. Blefusen, wo Gulliver vor der Undankbarkeit des lilliputanischen Hofes eine Freistätte suchen muß, damit ihm nicht die Augen ausgestochen werden, ist Frankreich, wohin sich der Herzog von Ormond und Lord Bolingbrokevor der Undankbarkeit des englischen Hofes flüchten mußten. Diejenigen, welche die geheime Geschichte der RegierungGeorgs I. kennen, werden leicht die übrigen Anspielungen verstehen. Das Aergerniß, welches Gulliver gibt durch die Art und Weise, auf welche er den Brand des kaiserlichen Palastes löscht, ist eine Anspielung auf die Ungnade, in welche der Verfasser bei der Königin Anna fiel, weil er das Mährchen von der Tonne geschrieben hatte, dessen man sich erinnerte, um ihm ein Verbrechen daraus zu machen, während man den Dienst vergessen hatte, welchen dieses Werk der hohen Geistlichkeit geleistet. Auch müssen wir darauf aufmerksam machen, daß die Verfassung und das System der öffentlichen Erziehung im Kaiserthum Lilliput als Muster dargestellt ist, und daß das Verderben, welches am Hofe herrschte, erst von den letzten drei Regierungen sich herschrieb. Es war dies Swifts Ansicht über die englische Verfassung.

In der Reise nach Brobdingnag hat die Satyre eine allgemeinere Anwendung und es ist schwer darin etwas zu finden, das sich auf die politischen Ereignisse und auf die Minister jener Zeit bezieht. Es ist hier die Ansicht, daß sich aus den Handlungen und Gefühlen des Menschen Wesen bildeten von einem kalten, berechnenden, philosophischen Charakter, und mit unendlicher Gewalt begabt. Der Monarch dieser Gnackskinder ist die Personifikation eines patriotischen Königs, der gegen alles Merkwürdige gleichgültig, gegen das Schöne kalt ist und an nichts Antheil nimmt, als an dem, was den allgemeinen Nutzen und das öffentliche Wohl betrifft. Die Intriguen und die Aergernisse eines europäischen Hofes sind in den Augen eines solchen Fürsten eben so gehäßig in ihren Resultaten als verächtlich in ihren Motiven. Der Contrast, denGullivers Ankunft von Lilliput, wo er ein Riese gewesen war, bei einer Menschenrace, unter welcher er nur ein Pygmäe ist, macht, ist von glücklicher Wirkung. Es kehren nothwendig dieselben Ideen zurück; aber da sie sich durch die Rolle, welche der Erzähler spielt, umkehren, so ist es mehr eine Entwicklung, als eine Wiederholung.

Über den Hof von Brobdingnag gibt es einige Stellen, die man auf die Ehrendamen am londoner Hofe hat anwendenwollen, vor welchen Swift, wie uns Delany erzählt, keine große Achtung hatte.

Urbuthnot, der ein Gelehrter war, billigte die Reise nach Laputa nicht, in welcher er wahrscheinlich eine Verspottung »der königlichen Gesellschaft« erblickte; das ist gewiß, daß man darin einige Anspielungen auf die geachtetsten Philosophen jener Zeit findet. Man behauptet sogar, es finde sich darin ein Zug gegen Sir Isaak Newton. Der glühende Patriot hatte die Ansicht der Philosophen zu Gunsten der Kupfermünze von Wood nicht vergessen. Man meint, der Schneider, welcher, nachdem er die Gestalt Gullivers mit einem Halbkreise ausgemessen und sein Maß mit einer mathematischen Figur genommen hatte, ihm sehr schlecht gemachte Kleider bringt, sey eine Anspielung auf einen Irrthum des Buchdruckers, der durch Hinzufügung einer Ziffer zu einer astronomischen Berechnung Newtons über die Entfernung der Sonne von der Erde, diese zu einer unberechenbaren Höhe gesteigert habe. Swifts Freunde glaubten auch, die Idee des Schlägers (Flapper)[1]  ihm durch die beständige Zerstreuung Newtons eingegeben worden sey. Der Dechant sagte zu Dryden Swift: »SirIsaak sey der allerungeschickteste Gesellschafter von der Welt und wenn man eine Frage an ihn stelle, so drehe und wende er sie zuvor im Kreise in seinem Hirn herum, ehe er darauf antworten könne. (Wenn Swift dies erzählte, so beschrieb er zwei oder drei Kreise auf seiner Stirne.)

Aber obgleich Swift den größten Philosophen seiner Zeit vielleicht mit Unehrerbietigkeit behandelt hat, und in mehreren seiner Schriften sehr wenig auf die Mathematik zu halten scheint, so ist doch die Satyre Gullivers mehr gegen den Mißbrauch der Wissenschaft, als gegen die Wissenschaft selbst gerichtet. Diejenigen, welche den Plan einer Akademie von Laputa entwerfen, werden als Menschen dargestellt, welche mit einem leichten Anstrich von Mathematik ihre mechanischen Pläne nach bloßer Laune oder aus Verkehrtheit des Verstandes vervollkommnen wollen. Zur Zeit Swifts gab es viele Leute dieser Gattung, welche die Leichtgläubigkeit der Unwissenden mißbrauchten, sie zu Grunde richteten und durch ihre Ungeschicklichkeit die Fortschritte der Wissenschaft hemmten. Bei der Verspottung dieser Projektmacher, der Einen als selbst getäuscht durch die Halbheit ihrer Kenntnisse, der Andern als wirkliche Betrüger, entlehnte Swift, der sie, seit sie seinen Oheim Godwin zu Grunde gerichtet hatten, verabscheute, viele Züge und vielleicht den ganzen Gedanken ausRabelais (fünftes Buch, dreiundzwanzigstes Kapitel); wo Pantagruel die Beschäftigungen der Hofleute der Quint-Essenz, Königin von Entelecheria beobachtet.

Swift spottet noch über die Lehrer der spekulativen Wissenschaften, die mit dem Studium dessen beschäftigt sind, was man damals physische und mathematische Magie nannte, ein Studium, welches, auf keinem soliden Grunde ruhend, von der Erfahrung weder hergenommen noch bestätigt wurde, sondern zwischen Wissenschaft und Mysticismus mitten inne schwamm; – dahin gehört die Alchymie, die Bereitung von bronzenen Figuren, die sprechen, von singenden Waldvögeln, von sympathetischen Pulvern, von Salben, die man nicht auf die Wunde legte, sondern an die Waffe, die sie hervorgebracht hatte, von Essenzfläschchen, mit welchen man ganze Morgen Landes düngen könnte, nebst andern ähnlichen Wundern, deren Kräfte die Betrüger anpriesen, die unglücklicherweise immer Leute fanden, die sich dadurch täuschen ließen. Die Maschine des guten Professors von Lagado, um den Fortschritt der spekulativen Wissenschaft zu beschleunigen und um Bücher über alle Gegenstände ohne die Hülfe von Geist und Kenntnissen zu verfassen, war eine Verspottung der vonRaimundus Lullus erfundenen und von seinen weisen Erklärern vervollkommneten Kunst, oder des mechanischen Processes, vermöge dessen nach Cornelius Agrippa, einem der Schüler des Lullus, »jeder Mensch über irgend eine Materie sprechen und mit einer gewissen Anzahl großer Worte, Namen und Zeitwörter einen Satz mit viel Glanz und Feinheit längere Zeit behandeln könnte.«

Der Leser konnte sich mitten in die große Akademie von Lagado versetzt glauben, wenn er die kurze und große Kunst der Erfindung und Beweisführung las, welche darin besteht, den Gegenstand, den man behandeln soll, einer aus verschiedenen feststehenden und beweglichen Cirkeln zusammengesetzten Maschine anzupassen. Der Hauptzirkel war fest, und man las darin die Namen der Substanzen und aller Dinge, die irgend ein Thema an die Hand geben konnten, in Ordnung aufgestellt, z.B. Gott, Engel, Erde, Himmel, Mensch, Thier u.s.f. In diesem festen Cirkel war ein anderer beweglicher Cirkel angebracht, in welchem die von den Logikern sogenannten Accidenzien aufgeschrieben waren, wie Quantität, Qualität, Relation u.s.f. In andern Kreisen waren die absoluten und relativen Attribute zu sehen u.s.w., mit den Frageformeln. Wenn man die Kreise so drehte, daß die verschiedenen Attribute auf die aufgestellte Frage zu stehen kamen, entstand dadurch eine Art mechanische Logik, welche Swift unstreitig im Auge hatte, als er die berühmte Bücherverfertigungsmaschine beschrieb.

Man hat mehrmals versucht, durch diese Art zusammenzusetzen und zu folgern, die sogenannte Kunst der Künste auf die höchste Stufe der Vollkommenheit zu bringen. Kircher der hundert verschiedene Künste gelehrt hat, hat die Maschine desLullus verjüngt und vervollkommnet; der Jesuite Knittel hat nach demselben System das Compendium aller Wissenschaften und Künste verfertigt; Brunus hat nach demselben Plane die Kunst der Logik erfunden; und Kuhlmannsetzt vollends in Erstaunen, wenn er eine Maschine ankündigt, die nicht nur die Kunst der allgemeinen Kenntnisse, oder das Hauptsystem aller Wissenschaften enthalten soll, sondern auch die Kunst, die Sprache zu erlernen, die Kunst der Auslegung, der Kritik, die Kunst die heilige und profane Geschichte, die Biographien aller Art zu lernen, die Bibliothek der Bibliothekengar nicht zu zählen, welche die Essenz aller gedruckten Bücher enthält. Wenn ein Gelehrter in erträglichem Latein verkündete, alle diese Kenntnisse könne man mit Hülfe eines mechanischen Instruments, das viel Aehnlichkeit mit dem Spielwerk eines Kindes hatte, erwerben, dann war es Zeit, daß die Satyre diesen Chimären Gerechtigkeit widerfahren ließ. Also nicht die Wissenschaft hat Swift lächerlich zu machen gesucht, sondern nur die chimärischen Studien, denen man zuweilen den Namen der Wissenschaft gab.

In der Karikatur der politischen Projektenmacher läßt Swift seine toristischen Ansichten durchschimmern; und wenn man die traurige Geschichte der Struldbruggs liest, erinnert man sich an die Zeit, wo der Verfasser eine Gleichgültigkeit gegen den Tod faßte, die er in den letzten Jahren seines Lebens mit mehr Recht fühlen sollte.

Die Reise zu den Huyhnhnms ist eine beißende Satyre gegen die menschliche Natur; sie konnte nur durch den Unwillen eingegeben seyn, der, wie Swift in seiner Grabschrift anerkennt, so lange an seinem Herzen genagt hatte.

In einem Lande lebend, wo das Menschengeschlecht in kleine Tyrannen und unterdrückte Sklaven eingetheilt war, einAnbeter der Freiheit und Unabhängigkeit, die er täglich mit Füßen treten sah, ließ ihn die ungezähmte Energie seiner Gefühle ein Geschlecht verabscheuen, das fähig war, solche Ungerechtigkeiten zu begehen und zu dulden. Dabei dürfen wir nicht aus dem Auge lassen, seine mit jedem Tage abnehmende Gesundheit, sein durch den Verlust einer Frau, die er geliebt, und durch den betrübenden Anblick der Gefahr, welche dem Leben eines andern Frauenzimmers, das ihm so theuer war, drohte, gestörtes häusliches Glück; sein eigenes, seit seinem Herbste welkendes Leben; die Gewißheit, es in einem Lande zu beschließen, das er verabscheute, und nicht das bewohnen zu können, in welchem er so schmeichelhafte Hoffnungen gefaßt und alle seine Freunde zurückgelassen hatte.

Diese Verbindung der Umstände kann einen Menschenhaß entschuldigen, der gleichwohl Swifts Herz niemals gegen die Wohlthätigkeit verschloß. Diese Erwägungen beschränken sich nicht bloß auf die Person des Verfassers; sie sind auch eine Art Entschuldigung für das Werk. Trotz dem Hasse, von dem es eingegeben ist, gibt der Charakter der Yahus eine sittliche Lehre. Nicht den Mann wollte Swift schildern, der durch Religion aufgeklärt ist, oder auch nur die natürliche Aufklärung besitzt; sondern den Mann, der durch die freiwillige Sklaverei seiner geistigen Fähigkeiten und seiner Triebe erniedrigt ist, so wie man ihn leider in den niedersten Klassen der Gesellschaft findet, wenn er der Unwissenheit und den Lastern, die hier einheimisch sind, preisgegeben ist. Unter diesem Gesichtspunkt kann der Widerwille, den dieses Gemälde einflößt, für die Moral nur nützlich seyn; denn der Mensch, der sich einer physischen Sinnlichkeit, der Grausamkeit, dem Geize hingibt, nähert sich dem Yahu.

Wir wollen nicht so weit gehen, zu behaupten, daß ein sittlicher Zweck die Nacktheit des Gemäldes rechtfertige, welchesSwift von dem Menschen in diesem Zustande der Erniedrigung entwirft, der ihn den Thieren nahe bringt. Die Moralisten sollen die Römer nachahmen, die den Verbrechen, deren Abscheulichkeit empören konnte, öffentliche Züchtigungen auflegten, und welche die Angriffe auf die Schamhaftigkeit heimlich straften. Trotz dieser auf die Vernunft oder auf Vorurtheile gegründeten Unwahrscheinlichkeiten, erregten Gulliver’s Reisen ein allgemeines Interesse; sie verdienten es, durch ihre Neuheit und durch ihren inneren Werth. Lucian, Rabelais, Morus, Bergerac, Alletz und viele andern Schriftsteller waren schon auf den Einfall gekommen, durch Reisende erzählen zu lassen, was sie in idealen Regionen beobachtet hatten. Aber alle bekannten Utopien waren auf kindische Erdichtungen gegründet, oder dienten zum Rahmen für ein System unausführbarer Gesetze. Swift war es vorbehalten, die Moral seines Werkes durch den Humor zu erheitern, die Ungereimtheit durch beißende Satyre zu vermeiden, und die unwahrscheinlichsten Ereignisse durch den Charakter und Styl des Erzählers das Ansehen der Wahrscheinlichkeit zu geben. Der Charakter des erdichteten Reisenden ist genau der Charakter Dampiers oder eines andern hartnäckigen Seemanns jener Zeit, der, mit Muth und Verstand begabt, die fernen Meere durchsteuert, mit seinen englischen Vorurtheilen die er alle wieder nach Portsmuth oder nach Plymouth zurückbringt, und der nach seiner Rückkehr ernsthaft und einfach erzählt, was er in den fremden Ländern gesehen und was man ihm gesagt hat. Dieser Charakter ist so ganz englisch, daß die Ausländer ihn nur mit Mühe würdigen können. Die BemerkungenGullivers sind niemals feiner oder tiefer, als die des Kapitäns eines Handelsschiffes, oder die eines Chirurgen aus der Londoner City, der eine lange Reise gemacht hat.

Robinson Crusoe, der Ereignisse erzählt, die der Wahrheit weit näher kommen, steht in Beziehung auf den Ernst und die Wahrscheinlichkeit der Erzählung vielleicht nicht über Gulliver. Die ganze Person Gullivers ist mit solcher Wahrheit geschildert, daß ein Matrose behauptete, er habe den Kapitän Gulliver recht gut gekannt, aber er wohne zu Wapping und nicht in Notherhithe. Dieser Kontrast der natürlichen Leichtigkeit und Einfachheit des Styls mit den erzählten Wundern ist es, was einen Hauptreiz dieser merkwürdigen Satyre auf die Unvollkommenheiten, Thorheiten und Laster des menschlichen Geschlechtes ausmacht. Die genauen Berechnungen, die sich in den zwei ersten Theilen finden, tragen dazu bei, der Fabel einige Wahrscheinlichkeit zu geben. Man behauptet, bei der Beschreibung eines natürlichen Gegenstandes, wenn die Verhältnisse richtig beobachtet seyen, sey das Wunderbare, möge nun der Gegenstand vergrößert oder verkleinert seyn, für das Auge des Zuschauers weniger fühlbar. Das ist gewiß, daß die Proportionen im Allgemeinen ein wesentliches Attribut der Wahrheit und folglich der Wahrscheinlichkeit sind. Wenn der Leser einmal das Daseyn der Menschen zugibt, welche der Reisende gesehen haben will, so ist es schwer, einen Widerspruch in der Erzählung zu finden. Im Gegentheil scheint es, Gulliver und die Menschen, die er sieht, betragen sich gerade so, wie sie sich unter den vom Verfasser erdichteten Umständen betragen mußten. Unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, ist das größte Lob, das man für Gullivers Reisen anführen kann, das Urtheil, das ein gelehrter irländischer Prälat darüber fällte, welcher sagte, es gebe Dinge darin, die man ihm niemals glauben machen könne. Es gehört eine große Kunst dazu, uns Gulliver zu zeigen, wie er stufenweise durch den Einfluß der Gegenstände, die ihn umgeben, seine Ideen über die Proportionen der menschlichen Gestalt bei seiner Ankunft in Lilliput und Brobdingnag verliert, und sich an die Proportionen der Riesen und Pygmäen gewöhnt, in deren Mitte er lebt.

Um diese Betrachtungen nicht weiter auszudehnen, bitte ich nur den Leser zu bemerken, mit welch unendlicher Kunst die menschlichen Handlungen zwischen diesen zwei verschiedenen Arten erdichteter Wesen getheilt sind, um die Satyre anziehender zu machen. In Lilliput werden die politischen Intriken und Kabalen, welche die Hauptbeschäftigung der europäischen Höflinge sind, auf einem Hof von kleinen sechs Zoll hohen Geschöpfen übergetragen, ein Gegenstand des Gelächters; während der Leichtsinn der Frauen und die Thorheiten an den europäischen Höfen, welche der Verfasser den Damen am Hofe von Brobdingnag andichtet, bei einer Nation von so erschreckender Höhe ungeheuer und abstoßend werden. Durch solche Mittel und durch tausend andere, in denen man den Griffel eines großen Meisters findet, und bei denen man die Wirkung fühlt, während man der Ursache nur durch eine lange Zergliederung habhaft werden kann, hat Swifts Genie aus einem Feenmärchen einen Roman gemacht, dem man, was Kunst der Darstellung und echten Geist der Satyre betrifft, keinen andern an die Seite stellen kann.

Der Ruf von Gullivers Reisen verbreitete sich bald in Europa, Voltaire, der sich damals in England befand, rühmte sie seinen Freunden in Frankreich an, und empfahl ihnen, sie übersetzen zu lassen. Der Abbe Desfontaines unternahm diese Uebersetzung. Seine Zweifel, seine Besorgnisse, seine Entschuldigungen sind in einer merkwürdigen Einleitung aufgezeichnet, die sehr geeignet ist, von dem Geist und den Ansichten eines französischen Gelehrten jener Zeit eine Vorstellung zu geben. Dieser Uebersetzer gesteht, er fühle, daß er alle Regeln verletze; und während er um Gnade bittet für die seltsamen Erdichtungen, die er in ein französisches Gewand zu kleiden versucht habe, bekennt er zugleich, daß ihm bei gewissen Stellen vor Schrecken und Verwunderung die Feder aus den Händen gefallen sey, als er alle Wohlanständigkeit von dem englischen Satiriker so keck habe verletzen sehen. Er zittert, es möchten einige Züge bei Swift auf den Hof von Versailles angewendet werden, und er betheuert mit vielen Umschweifen, es sey nur von den toriz und wigts ( torys undwhigs) in dem aufrührerischen Königreiche England die Rede. Er schließt mit der Versicherung an seine Leser, daß er nicht nur dem Geschmack seiner Landsleute zu Gefallen vieles verändert habe, sondern daß er auch alle Einzelnheiten der Seereise und viele andere Eigenthümlichkeiten, die im Original so verwerflich seyen, unterdrückt habe. Ohngeachtet dieser Affektation von Geschmack und Zartgefühl ist die Uebersetzung erträglich. Zwar hat sich der Abbe Desfontainesentschädigt, indem er eine Fortsetzung der Reisen in einem, wie man leicht denken kann, von dem des Originals sehr verschiedenen Style veröffentlichte. Auch in England hat man eine Fortsetzung von Gullivers Reisen (angeblich einen dritten Band) veröffentlicht. Es ist dies die unverschämteste Verbindung von Diebstahl und Verfälschung, die man sich jemals in der literarischen Welt erlaubt hat. Während man behauptet, diese Fortsetzung sey vom Verfasser des echtenGulliver, fand es sich, daß sie nicht einmal das Werk seines Nachahmers war, der nur ein ganz unbekanntes französisches Werk, die Geschichte der Severamben, abgeschrieben hatte. 

Abgesehen von diesen Fortsetzungen mußte ein Werk, das ein so großes Aufsehen gemacht hatte, nothwendig auf die Idee führen, es nachzuahmen, zu parodiren und zu erklären; es mußte nothwendig einige Dichter begeistern, seinem Verfasser Lobsprüche und Satyren eintragen, kurz, es mußte Alles geschehen, was gewöhnlich einen solchen Triumph begleitet, selbst den Sklaven hinter dem Triumphwagen nicht ausgenommen, dessen rohe Beleidigungen den triumphirenden Autor daran erinnerten, daß er noch ein Mensch sey.

Gullivers Reisen konnten die Gunst, in welcher der Verfasser am Hofe des Prinzen von Wales stand, nur vermehren. Man schrieb ihm sehr feine und sehr herzliche Briefe und viele Scherze über Gulliver, die Yahus und die Lilliputaner. Als SwiftEngland verließ, hatte er die Fürstin und Mistreß Howard um ein kleines Geschenk gebeten, als Andenken an die Auszeichnung die sie ihm vor einem gewöhnlichen Geistlichen zuzuerkennen schienen. Er hatte das Geschenk der Fürstin auf einen Werth von zehn Pfund Sterling und das Geschenk der Mistreß Howard auf eine Guinee bestimmt, die Fürstin versprach ein Geschenk in Denkmünzen, die sie aber niemals überschickte. Mistreß Howard, ihrem Worte getreuer, sandteSwift einen Ring und kündigte ihm ihn durch einen Brief an, auf den er im Namen Gullivers antwortete; Swift fügte zu der Antwort eine kleine goldene Krone hinzu, die das Diadem von Lilliput vorstellte. Die Fürstin geruhte, ein Stück Seide aus einer irischen Fabrik anzunehmen, aus dem sie sich ein Kleid machen ließ. In seinem Briefwechsel kommt Swift ein wenig allzuoft auf dieses Geschenk zurück. Alles schien darauf hinzudeuten, daß, im Fall der Fürst den Thron besteigen würde,Gulliver, um uns der Ausdrücke des Lord Peterborough zu bedienen, »seine Tanzschuhe nur mit Kreide zu bestreichen und auf dem Seile tanzen zu lernen brauche, um Bischof zu werden.«

Kapitel 3


Kapitel 3 Ein durch neuere Philosophie und Astronomie ausgelöstes Phänomen. Die Fortschritte der Laputier in letzterer Wissenschaft. Das Verfahren des Königs bei der Unterdrückung von Aufständen.

Ich ersuchte den König um Erlaubniß, die Merkwürdigkeiten der Insel besehen zu dürfen. Seine Majestät hatte die Gnade, mir dieselbe zu bewilligen und befahl meinem Lehrer mich zu begleiten. Ich wollte hauptsächlich wissen, welchen künstlichen und natürlichen Ursachen die Insel ihre Bewegungen verdanke, und will hierüber dem Leser jetzt einen philosophischen Bericht erstatten.

Die fliegende oder schwebende Insel ist zirkelförmig, beträgt siebentausend achthundert und siebenunddreißig Ellen, oder vier und eine halbe Meile im Durchmesser, und enthält somit zehntausend Morgen Land. Die Dicke beträgt dreihundert Ellen. Der Boden erscheint denen, welche sie von unten aus erblicken, als eine ebene Fläche von Diamant, die zur Höhe von zweihundert Ellen aufsteigt. Ueber dieser Fläche liegen mehrere Mineralschichten in gewöhnlicher Ordnung, und über diesen eine Lage wie von fetter Dammerde in der Tiefe von zehn oder zwölf Fuß. Die abhängige Lage der ersten Oberfläche, vom Umkreise bis zum Mittelpunkte, ist die natürliche Ursache, weßhalb Thau und Regen, der auf die Insel fällt, in kleinen Bächen nach der Mitte dringen und sich dort in große Becken ausleeren, die ungefähr eine halbe Meile im Umfang betragen, und zweihundert Ellen vom Mittelpunkte entfernt sind. Die Sonne verdunstet dieses Wasser fortwährend am Tage, so daß es nicht überfließen kann. Da der König außerdem nach Belieben die Insel über die Wolken- und Dünstregion erheben kann, vermag er das Niederfallen des Regens und Thaues, wie er will, verhindern. Die höchsten Wolken können ja nach der Behauptung der Naturforscher nicht über eine Stunde steigen; in diesem Lande hat man wenigstens die Bemerkung gemacht.

Im Mittelpunkt der Insel befindet sich eine Spalte von fünfzig Ellen im Durchmesser, von wo die Astronomen in ein großes Gebäude steigen, das deßhalb Flandona gagnole, oder die Astronomenhöhle heißt, und hundert Ellen über der Oberfläche des Diamants liegt. In dieser Höhle brennen fortwährend zwanzig Lampen, welche durch den Reflex des Diamants nach allen Seiten hin ein starkes Licht ausströmen. Der Ort ist mit einer großen Menge von Astrolaben, Sextanten, Quadranten, Teleskopen und anderen astronomischen Instrumenten versehen. Die größte Merkwürdigkeit, wovon das Schicksal der Insel abhängt, besteht in einem Magnetstein von ungeheurer Größe, welcher an Gestalt einem Weberschiff ähnlich ist. Er beträgt sechs Ellen in der Länge, und am dicksten Theil wenigstens drei Ellen. Dieser Magnet wird durch eine starke diamantene Axe gehalten, welche die Mitte durchdringt; man hat ihn so genau im Gleichgewicht aufgestellt, daß die schwächste Hand ihn drehen kann. Er ist mit einem hohlen Cylinder von Diamant eingefaßt, der vier Fuß in Tiefe und Dicke, zwölf Ellen im Durchmesser beträgt, und in horizontaler Lage von acht diamantenen, sechs Fuß hohen Füßen gehalten wird. In der Mitte der concaven Seite befindet sich eine zwölf Zoll tiefe Rinne, worin die Extremitäten der Axe liegen, und nach der sich bietenden Gelegenheit gedreht werden.

Der Stein kann durch keine Kraft fortgebracht werden, weil der Reif und die Grundlage mit dem diamantenen Körper zusammenhängen, welcher den Boden der Insel bildet.

Vermöge dieses Magnetsteins wird die Insel gehoben, gesenkt und fortbewegt. In Betreff des von dem König beherrschten Landes besitzt der Stein am einen Ende eine anziehende Kraft, und an dem andern eine zurückstoßende. Richtet man den Magnet in die Höhe, so daß die anziehende Kraft der Erde zugerichtet ist, so senkt sich die Insel; richtet man diezurückstoßende Extremität nach unten, so steigt die Insel; erhält der Stein eine schräge Richtung, so bewegt sich die Insel in derselben Weise. Der Magnet äußert stets seine Kräfte in paralleler Richtung.

Durch diese schräge Bewegung wird die Insel zu den verschiedenen Theilen des Reiches getragen. Um diese Reiseart auszudrücken, mag AB eine queer durch das Gebiet von Balnibarbi gezogene Linie bedeuten, CD den Magnet darstellen, wovon D das repulsirende, C das attrahirende Ende ist; die Insel selbst schwebt über C. Erhält nun der Magnet die Richtung CD mit dem repulsirenden Ende nach unten, so bewegt sich die Insel nach D. Ist sie in D angekommen, mag man den Stein auf seiner Axe drehen, bis das attrahirende Ende auf E gerichtet ist, und die Insel wird sich alsdann nach E bewegen; wird der Stein nun wieder gedreht, bis er die Stellung EF annnimmt, mit dem repulsirenden Ende nach unten, so wird die Insel in schräger Richtung nach F steigen, und richtet man sie durch die Attractive nach G, wird sie sich nach G erheben, und von G nach H kommen, wenn man das repulsirende Ende gerade nach unten stellt. Indem man so die Richtung des Steines verändert, läßt man die Insel in schräger Richtung fallen und steigen (letztere ist jedoch nicht sehr bedeutend), und transportirt sie von einem Theile des Landes zum andern.

Man muß jedoch bemerken, daß diese Insel sich nicht über das Königreich hinaus bewegen und auch nicht höher als zwei Stunden steigen kann. Die Astronomen, welche dicke Bücher über den Stein geschrieben haben, erklären dies aus folgendem Grunde: die magnetische Kraft dehne sich nicht über vier Meilen weit aus, und das Mineral, welches auf den Stein einwirkt, und im Inneren der Erde und in dem Meere bis auf die Entfernung von sechs Stunden, vom Ufer an gerechnet, verborgen liegt, sey nicht auf dem ganzen Erdkreis so verbreitet, sondern allein auf das Gebiet des Königs beschränkt. Sonst würde es durch den Vortheil der höheren Lage sehr leicht seyn, ein jedes Land zu unterwerfen, welches im Bereich des Magneten liege.

Liegt der Magnet mit dem Horizonte parallel, so steht die Insel still. Da seine Enden alsdann in gleicher Entfernung von der Erde sich befinden, wirken sie mit gleicher Kraft. Das eine zieht nach oben, das andere nach unten; somit kann auch keine Bewegung stattfinden.

Der Stein steht unter der Leitung mehrerer Astronomen, die ihm auf Befehl des Königs die verschiedenen Richtungen geben. Diese verbringen den größten Theil ihres Lebens in der Beobachtung der Himmelskörper, und zwar durch Hülfe von Gläsern, welche die unsrigen bei Weitem übertreffen. Obgleich ihre Teleskope nur drei Fuß Länge haben, vergrößern sie dennoch mehr als unsere von hundert Fuß, und zeigen auch die Sterne mit größerer Deutlichkeit. Dieser Vortheil hat die Laputier in Stand gesetzt, Entdeckungen zu machen, die wir in Europa nicht ahnen. In ihrem Katalog befinden sich zehntausend Fixsterne, da doch die größten Verzeichnisse, welche wir besitzen, kaum ein Drittel dieser Zahl enthalten. Sie haben auch zwei Trabanten des Mars entdeckt, deren nächster von seinem Hauptplaneten so weit entfernt ist, wie dessen Durchmesser dreimal beträgt, und der entferntere fünfmal; ersterer dreht sich um den Mars in zwanzig, letzterer in einundzwanzig und einer halben Stunde. Das Quadrat der periodischen Umwälzung beider steht in demselben Verhältniß wie das Kubik ihrer Entfernung vom Centrum des Mars, und dies erweist, daß sie nach denselben Gesetzen der Schwere, wie die übrigen Himmelskörper regiert werden.

Außerdem haben die Laputier neununddreißig verschiedene Kometen beobachtet und ihre Bahnen mit großer Sicherheit beschrieben. Ist dies wirklich der Fall (und sie behaupten es mit dem größten Selbstvertrauen), so wäre zu wünschen, daß ihre Bemerkungen allgemein bekannt würden; die Theorie der Kometen, welche bis jetzt sehr lahm und mangelhaft ist, würde dadurch dieselbe Vollkommenheit, wie andere Theile der Astronomie, erreichen. Der König würde der unumschränkteste Fürst der Erde seyn, wenn er seine Minister überreden könnte, ihm hierin behülflich zu seyn. Diese aber besitzen Güter auf dem Festlande, und überlegen, das Amt eines Günstlings sey ein sehr ungewisser Besitz. Deßhalb wollen sie nie ihre Einwilligung geben, ihrem Vaterlande zur Sclaverei zu verhelfen.

Wenn eine Stadt Meuterei und Empörung beginnt, in heftigen Parteikampf geräth, oder die gewöhnlichen Abgaben nicht zahlen will, so bringt sie der König durch zwei Methoden wieder zum Gehorsam. Das erste und mildere Verfahren besteht darin, daß er die Insel über eine solche Stadt und das sie umgebende Gebiet schweben läßt, wodurch er die Einwohner des Sonnenscheins und des Regens beraubt, und folglich Krankheiten und Theurung bei ihnen bewirkt. Verdient ihr Verbrechen eine größere Strafe, so werden sie zugleich von oben mit großen Steinen beworfen, gegen welche sie sich nicht anders schützen können, als daß sie sich in Keller und Höhlen verkriechen, während die Dächer ihrer Häuser zertrümmert werden. Bleiben sie dann noch immer hartnäckig, und drohen sie sogar mit einem Aufstande, so läßt der König die Insel ihnen auf den Kopf fallen, wodurch sowohl Häuser als Menschen vernichtet werden. Dies ist jedoch nur ein außerordentliches Mittel, wozu der König selten genöthigt wird, und was er auch nicht in Anwendung zu bringen wünscht. Ferner wagen auch die Minister nicht, ihm eine Handlung anzurathen, wodurch sie dem Volke verhaßt und ihre eigenen Güter, welche unten liegen, zerstört würden. Die Insel ist nämlich eine Domäne der Krone.

Es findet sich jedoch noch ein anderer Grund, weßhalb die Könige dieses Landes einer so furchtbaren Handlung stets abgeneigt sind, wenn sie nicht durch die äußerste Noth dazu gezwungen werden. Wenn nämlich die zu verwüstende Stadt große und spitze Felsen enthielte, wie dies in den größeren Städten nicht ungewöhnlich ist, da die Einwohner eine solche Lage, wahrscheinlich um jene Katastrophe zu verhindern, häufig gewählt haben, oder sollte eine Stadt viele Kirchthürme und steinerne Pfeiler besitzen, so möchte die untere Fläche der Insel, ob dieselbe gleich aus Diamant besteht und zweihundert Ellen dick ist, durch den plötzlichen Stoß zerbrochen, oder wenn sie den Feuern der Häuser zu nahe käme, einen Riß, wie bei uns ein Schornstein, bekommen, mag derselbe auch von Stein und Eisen erbaut seyn. Das Volk ist mit allen diesen Umständen genau bekannt und weiß sehr wohl, wie weit es seinen Eigensinn treiben darf, wenn Freiheit und Eigenthum in Gefahr geräth. Der König, wenn er am heftigsten gereizt und entschlossen ist, eine Stadt in einen Schutthaufen zu verwandeln, läßt die Insel nur langsam hinabsteigen, wobei er zärtliche Liebe zu seinen Unterthanen als Vorwand angibt, jedoch in Wirklichkeit die Besorgniß hegt, einen Riß in den diamantenen Boden zu bewirken. Alle Naturforscher sind nämlich der Meinung, in dem Fall würde der Magnet die Insel nicht mehr tragen können, und die ganze Masse würde zu Boden fallen müssen.

Durch ein Grundgesetz des Königreichs darf weder der Monarch noch seine zwei ältesten Söhne die Insel verlassen, auch nicht die Königin, bis sie ihr Kindbett überstanden hat.