Kapitel 12


Kapitel 12 Des Verfassers Wahrhaftigkeit. Sein Zweck bei der Herausgabe dieses Werkes. Sein Tadel über Reisende welche von der Wahrheit abweichen. Der Verfasser rechtfertigt sich gegen den Vorwurf böslicher Absicht. Widerlegung eines Einwurfes. Die Methode des Anbaues neuer Colonien. Lob seines Vaterlandes. Das Recht der Krone auf die vom Verfasser beschriebe

Also, lieber Leser, habe ich dir eine getreue Geschichte meiner Reisen gegeben, welche 16 Jahre und über 7 Monate dauerten. In der Beschreibung habe ich weniger den Schmuck der Rede als die Wahrheit in Obacht genommen. Ich hätte vielleicht wie Andere, mit sonderbaren und unwahrscheinlichen Geschichten das Erstaunen erregen können; allein ich habe vorgezogen, nur die Thatsachen und zwar in gerader Art und im einfachsten Style darzustellen. Mein Hauptzweck war nämlich, dich zu belehren, aber durchaus nicht dich zu unterhalten.

Für uns, die wir entfernte Länder bereisen, welche von Engländern und andern Europäern selten besucht werden, ist es sehr leicht, wunderbare Land- und See-Thiere zu beschreiben. Dagegen sollte es der Hauptzweck der Reisenden seyn, durch ihre Berichte von fremden Orten die Menschen besser und klüger zu machen, ihre Seelen durch schlechtes und gutes Beispiel zu vervollkommnen.

Ich wünschte sehr, das Parlament möge ein Gesetz erlassen, wonach jeder Reisende, bevor er seine Berichte herausgibt, dem Lord-Kanzler einen feierlichen Eid schwören müßte, er wolle nur dasjenige drucken lassen, was seinem besten Wissen gemäß vollkommen wahr sey. Alsdann würde die Welt der gegenwärtig gewöhnlichen Täuschung nicht länger ausgesetzt seyn, weil mehrere Schriftsteller, damit ihre Bücher im Publikum desto mehr gelesen werden, den arglosen Leser mit den gröbsten Verfälschungen betrügen. Ich habe in meiner Jugend mehrere Reisebeschreibungen mit dem höchsten Entzücken durchgelesen. Da ich aber seitdem den größten Theil des Erdkreises bereist habe, und somit in Stand gesetzt war, manchen fabelhaften Berichten nach näherer Beobachtung zu widersprechen, so habe ich einen heftigen Abscheu gegen diese Lectüre erlangt, und ich ärgerte mich häufig, wenn ich die Leichtgläubigkeit des Menschengeschlechts so sehr mißbraucht sah; da nun meine Bekannten die Güte hatten, ihre Meinung, dahin auszusprechen, meine unbedeutenden Bemühungen, um meine Landsleute zu belehren, würden von denselben nicht übel aufgenommen werden, so stellte ich als meinen hauptsächlichsten Grundsatz auf, nie von der Wahrheit abzuweichen und mich mit aller Strenge daran zu halten. Auch kann sich mir die geringste Versuchung zum Lügen durchaus nicht darbieten, so lange ich die Lehren und das Beispiel meines edlen Herrn und der erlauchten Hauyhnhnms vor Augen habe, deren Schüler zu seyn, ich so lang die Ehre hatte.

Nec si miserum fortuna Sinonem
Finxit, vanum etiam mendacemque improba finget.

Ich weiß sehr wohl, daß nur wenig Ruhm durch Schriften erlangt wird, welche weder Genie noch Gelehrsamkeit und überhaupt kein Talent, sondern nur ein gutes Gedächtnis und ein genaues Tagebuch erfordern. Ich weiß ferner, daß Reisebeschreiber, wie die Verfasser von Wörterbüchern durch das Gewühl und die Masse derer in Vergessenheit gerathen, welche zuletzt kommen, und deßhalb oben schwimmen. Auch ist wahrscheinlich, daß Reisende, welche später die von mir beschriebenen Länder besuchen, Irrthümer entdecken werden, wenn dieselben wirklich vorhanden sind, daß sie neue Entdeckungen hinzufügen und mich so außer Vogue bringen, so daß sie meine Stelle einnehmen, worauf dann die Welt vergessen wird, daß ich jemals ein Schriftsteller gewesen bin. Dies würde mir wirklich eine große Kränkung bereiten, wenn ich des Ruhmes wegen dies Buch verfaßt hätte; da ich jedoch ausschließlich das Wohl meines Vaterlandes im Auge hatte, so kann ich mich in meiner Erwartung unmöglich trügen. Wer wird meine Berichte der ruhmwürdigen Hauyhnhnms lesen können, ohne sich seiner eigenen Laster zu schämen, ob er sich gleich als das vernünftige und herrschende Thier seines Vaterlandes betrachtet? Ich will von den entfernten Nationen, wo Yähus die Regierung führen, nichts weiter sagen; von diesen sind aber die Brobdignagier gewiß am Wenigsten verdorben. Es würde zu unserem Glück gereichen, wenn wir die weisen Grundsätze derselben in Moral und Regierung beobachteten. Ich vermeide es jedoch, noch weiter zu sprechen, und überlasse dem verständigen Leser seine eigenen Bemerkungen, und der Anwendung der von mir gegebenen Beispiele.

Es ist mir sehr angenehm, daß dies Werk wahrscheinlich keine Tadler finden wird. Welche Vorwürfe können einem Schriftsteller gemacht werden, welcher nur einfache Thatsachen erzählt, die sich in den entferntesten Ländern zutrugen, die uns nicht das geringste Interesse durch Handel oder durch diplomatische Verhandlungen darbieten. Ich habe jeden Fehler sorgfältig vermieden, den man Reisebeschreibern zu oft und mit zu viel Recht zum Vorwurf macht. Außerdem lasse ich mich durchaus in keine Parteistreitigkeiten ein, und zeige weder Vorurtheil noch Böswilligkeit gegen irgend einen Menschen, oder gegen irgend eine Klasse von Menschen. Ich schreibe mit dem edlen Zwecke, das Menschengeschlecht zu belehren und zu unterrichten. Auch kann ich, ohne die Regel der Bescheidenheit zu verletzen, mit aller Dreistigkeit behaupten, daß ich demselben überlegen bin, denn ich habe mancherlei Vorzüge durch meinen längeren Verkehr mit den ausgezeichneten Hauyhnhnms erlangt. Ich schreibe, ohne Absicht auf Ruhm oder Nutzen zu hegen. Ich habe es mir nie erlaubt, ein Wort niederzuschreiben, welches als Tadel gelten oder durch Beleidigung verletzen könnte, sogar die empfindlichsten Leute werden dergleichen nicht vorfinden. Somit habe ich vollkommenes Recht, mich als durchaus tadellosen Schriftsteller hinzustellen, und die Zünfte der Erwiderer, Bemerker, Recensenten, Spione und Entdecker werden niemals Gelegenheit finden, ihre Talente bei mir auszuüben.

Ich muß jedoch gestehen, daß mir folgender Wink gegeben wurde: Als Unterthan von England sey ich verpflichtet gewesen, nach meiner ersten Rückkehr einem Staatssecretär irgend ein Memoir zu überreichen; jedes von einem Unterthan neu entdeckte Land gehöre der Krone. Ich bezweifle jedoch, daß Eroberungen, in den von mir entdeckten Ländern, so leicht seyn würden, als die des Fernando Cortez über nackte Amerikaner. Die Lilliputer sind, wie ich glaube, durchaus nicht die Kosten werth, welche eine Flotte und Armee zu ihrer Eroberung erfordern würde; es ist ferner eine große Frage, ob ein Angriff auf die Brobdignagier verständig und ausführbar wäre. Ein englisches Heer oder eine Flotte würde auch in eine schlimme Lage gerathen, wenn die fliegende Insel über ihren Häuptern schwebte. Die Hauyhnhnms sind zwar zum Kriege jetzt nicht vorbereitet, in der Kunst desselben sind sie vollkommen unerfahren und haben auch keine Wurfgeschütze. Jedoch angenommen, ich sey Staatsminister, so würde ich abrathen, einen Angriff gegen sie auszuführen. Ihre Klugheit, Einstimmigkeit und Unbekanntschaft mit Furcht, so wie ihre Vaterlandsliebe würde allen Mangel an Kriegskunst leicht ersetzen. Man denke sich 20+000 Hauyhnhnms, welche in die Mitte einer europäischen Schlachtlinie brechen, die Reihen verwirren, die Wagen umstürzen und die Gesichter der Soldaten durch furchtbare Hiebe ihrer Hinterhufe zu Mumien zerschlügen: sie würden sicher den Charakter verdienen, den man August ertheilte: Realcitrat undique tutus. Anstatt einer Eroberung dieser großmüthigen Nation vorzuschlagen, wünsche ich vielmehr, sie wären fähig oder geneigt, eine genügende Anzahl Einwohner abzusenden, um auch Europa zu civilisiren, und uns die ersten Grundsätze der Ehre, Wahrheit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Vaterlandsliebe, Tapferkeit, Keuschheit, Freundschaft, des Wohlwollens und der Treue zu lehren. Die Namen aller dieser Tugenden befinden sich zwar noch in jeder Sprache und kommen in älteren, so wie neueren Schriftstellern häufig genug vor, eine Behauptung, die ich ungeachtet meiner geringen Belesenheit wagen darf.

Außerdem war ich noch aus einem anderen Grunde nicht sehr geneigt, die Besitzungen Seiner Majestät durch meine Entdeckungen zu vergrößern. Um die Wahrheit zu gestehen, so fühlte ich einige Gewissensbisse in Betreff der Gerechtigkeit womit Fürsten bei dieser Gelegenheit verfahren. Zum Beispiel: eine Piraten-Mannschaft wird durch Sturm in eine unbekannte Gegend verschlagen; zuletzt entdeckt ein Matrose Land von dem Hauptmast aus; die Piraten ziehen an den Strand um zu rauben und zu plündern, sie sehen ein harmloses Volk und werden mit Güte bewirthet. Alsdann geben sie dem Lande einen neuen Namen, nehmen davon förmlichen Besitz für ihren König, stellen ein verfaultes Brett oder einen Stein als Denkzeichen auf; ermorden zwei, drei Dutzend Einwohner, nehmen ein paar Andere als Muster durch Gewalt mit sich fort, kehren nach Haus zurück und erhalten ihre Verzeihung. Hier nun beginnt eine neue Herrschaft, welche unter dem Besitztitel des göttlichen Rechts erworben ist. Mit der ersten Gelegenheit werden Schiffe dorthin gesandt, die Eingeborenen vertrieben oder vernichtet, ihre Fürsten gefoltert, um ihr Geld zu entdecken; es wird eine vollkommene Straflosigkeit für alle Handlungen der Unmenschlichkeit und Begierde ausgesprochen, so daß die Erde von dem Blute der Eingebornen dampft und diese verabscheuungswürdige Mannschaft von Schlächtern, welche zu einer so frommen Expedition gebraucht ist, bildet eine moderne, zur Bekehrung und Civilisirung eines barbarischen und abgöttischen Volkes bestimmte Colonie.

Diese Beschreibung hat jedoch, wie ich gestehen muß, durchaus keine Beziehung auf die brittische Nation, welche wegen ihrer Weisheit, Sorgfalt und Gerechtigkeit in Anlegung der Colonien der ganzen Welt zum Muster dienen kann, welche durch freigebige Schenkungen zur Verbreitung der Religion und Wissenschaft, durch die Wahl frommer geschickter Hirten zur Ausbreitung des Christenthums, durch Vorsicht ihre entlegenen Provinzen mit nüchternen und verständigen Leuten aus dem Mutterlande zu bevölkern, durch genaue Vertheilung der Gerechtigkeit, durch Ernennung von fähigen, der Bestechung unzugänglichen Mitbeamten, und endlich durch die Absendung von wachsamen und tugendhaften Gouverneuren sich im höchsten Grade auszeichnet, wovon Letztere keine andre Zwecke verfolgen, als das Glück des Volkes, das sie regieren, und die Ehre ihres Königs zu befördern.

Da jedoch die Länder, welche ich beschrieben habe, durchaus nicht wünschen, erobert und unterworfen, oder durch Kolonisten ermordet und vertrieben zu werden; da sie auch keinen Ueberfluß an Gold, Silber, Zucker und Taback besitzen, so hegte ich auch die demüthige Meinung, sie seyen kein passender Gegenstand für unsern Eifer, unsere Tapferkeit oder unser Interesse. Wenn jedoch diejenigen, deren Geschäft es ist, sich mehr um diese Sache zu bekümmern, anderer Meinung zufällig seyn sollten, so bin ich bereit, sobald ich gesetzlich aufgefordert werde, mein Zeugniß abzulegen, daß kein Europäervor mir diese Länder besucht hat. Hierunter verstehe ich jedoch nur, in so weit man den Einwohnern Glauben beimessen darf, im Fall kein Streit über die beiden Jähus entstehen sollte, die man vor vielen Jahren auf einem Berge in Hauyhnhnmland gesehen haben will.

Die Förmlichkeit jedoch, im Namen meines Fürsten von dem Lande Besitz zu nehmen, ist mir niemals eingefallen. Wäre dies aber auch wirklich der Fall gewesen, so hätte ich, in Betracht des damaligen Standes meiner Angelegenheiten, wahrscheinlich aus Klugheit und Selbsterhaltung, die Sache auf eine gelegenere Zeit verschoben.

Nachdem ich so den einzigen Tadel, der gegen mich als Reisenden erhoben werden kann, entfernt habe, nehme ich hier zuletzt noch Abschied von allen meinen höflichen Lesern, und kehre zu meinen Spekulationen in meinem kleinen Garten bei Redriff zurück. Ich werde jetzt die ausgezeichnetsten Tugendlehren, die ich bei den Hauyhnhnms erlernte, anwenden, und die Yähus meiner eigenen Familie, soweit solche Thiere dieselbe begreifen können, darin unterrichten, und so mich allmählich daran gewöhnen, den Anblick menschlicher Geschöpfe zu ertragen; ich werde die viehische Natur der Hauyhnhnms in meinem Vaterlande stets beklagen, allein aus Rücksicht für meinen edlen Herrn, seine Familie, seine Freunde und das ganze Hauyhnhnm-Geschlecht, ihre Personen stets mit großer Rücksicht behandeln, denn sie gleichen denselben in allen ihren Zügen, wie sehr auch ihr Verstand entartet ist.

Vergangene Woche erlaubte ich meiner Frau mit mir zu essen; sie mußte jedoch an dem entferntesten Ende eines langen Tisches sitzen, und die ihr vorgelegten Fragen mit aller Kürze beantworten. Da mir jedoch der Geruch eines Yähu noch immer anstößig ist, verstopfe ich mir die Nase mit Raute, Lavendel und Taback. Ob es gleich einem Manne in vorgerückten Jahren sehr schwer ankommen muß, alte Gewohnheiten zu entfernen, so hege ich doch noch die Hoffnung, daß ich bald meinen Nachbar-Yähu in meiner Gesellschaft werde dulden können, ohne wie es jetzt noch der Fall ist, mich vor seinen Zähnen und Klauen fürchten zu müssen.

Meine Wiederaussöhnung mit der Yähu-Kaste im allgemeinen, würde nicht so schwierig seyn, wenn sie nur mit den Lastern und Thorheiten zufrieden seyn wollten, wozu sie die Natur berechtigt hat. Ich ärgere mich nicht im geringsten über den Anblick eines ersten Taschendiebes, Obersten, Narren, Lords, Spielers, Politikers, Kupplers, falschen Zeugen, Verführers zum falschen Zeugniß, eines Sachwalters, Verräthers u.s.w. Alle diese Erscheinungen sind dem natürlichen Laufe der Dinge gemäß. Sehe ich aber eine Masse von Häßlichkeit und Krankheit sowohl des Körpers als der Seele, von Stolz sich blähen, so ist sogleich meine Geduld zu Ende. Auch kann ich nicht begreifen, wie solch ein Laster und solch ein Thier zusammen passen können. Die weisen und tugendhaften Hauyhnhnms, welche in allen ausgezeichneten Eigenschaften, die ein vernünftiges Geschöpf nur ausschmücken können, so viel Ueberfluß haben, besitzen in ihrer Sprache keinen Namen für dieses Laster. Diese entbehrt ohnedem der Ausdrücke, welche etwas Böses bezeichnen, mit Ausnahme dessen, was sie an den verabscheuungswürdigen Yähus bemerken. Das Laster des Stolzes konnten sie aber bei denselben nicht ausfindig machen, weil sie die menschliche Natur nicht in dem Grade kennen konnten, wie dies in den Ländern, wo der Yähu herrscht, der Fall seyn muß. Ich, der ich jedoch mehr Erfahrung hatte, konnte einige Elemente des Stolzes bei den Yähus andeuten. Die Hauyhnhnms, die unter der Herrschaft der Vernunft leben, hegen nicht mehr Stolz auf ihre guten Eigenschaften, wie ich z. B. daß mir weder ein Arm noch ein Bein fehlt. Jedermann wird sich dessen wohl nicht rühmen, so lange er nicht verrückt ist, obgleich der Mangel jener Glieder ihn unglücklich machen müßte. Ich verweile länger bei diesem Gegenstande, weil ich die Gesellschaft eines englischen Yähu erträglicher zu machen wünsche, und deßhalb bitte ich diejenigen, welche einige Neigung zu diesem Laster haben, mir in Zukunft vom Leibe zu bleiben.

Brief des Kapitäns Gulliver an seinen Vetter Richard Sympson


Brief des Kapitäns Gulliver an seinen Vetter Richard Sympson.

Ich hoffe, Sie werden nicht anstehen, öffentlich zu bekennen, so oft sich Gelegenheit dazu bieten wird, daß nur ihre wiederholten, dringenden Bitten mich bestimmt haben, eine schlecht geschriebene und fehlerhafte Erzählung meiner Reisen veröffentlichen zu lassen, wobei ich Ihnen zugleich auftrug, einige junge Graduirte von der einen oder andern unserer Universitäten zu Hülfe zu nehmen, um die Materialien zu ordnen und den Styl zu verbessern, wie es auf meinen Rath mein Vetter Dampier mit seinem Buche: Reise um die Welt, gemacht hat. Aber wenn ich mich recht erinnere, habe ich Ihnen nicht gestattet, irgend etwas wegzulassen, und noch weniger, etwas hinzuzufügen. So muß ich in Beziehung auf den letzten Fall Alles ablehnen, was nicht von mir ist, namentlich einen Abschnitt über Ihre Majestät, die Königin Anna, frommen und ruhmwürdigen Andenkens. Obgleich ich sie mehr als alle übrigen ihres Geschlechts achtete und verehrte, hätten doch Sie oder derjenige Ihrer Mitarbeiter, der sich erlaubt hat, diesen Abschnitt einzuschalten, beachten sollen, einmal daß es nicht meine Gewohnheit ist, meines Gleichen zu schmeicheln, sodann daß es unschicklich gewesen wäre, ein Geschöpf meiner Gattung vor meinem Lehrer, dem Huyhnhnm, zu loben; noch mehr aber, die Thatsache ist völlig falsch, denn ich habe während eines großen Theils der Regierung Ihrer Majestät in England gelebt, und meines Wissens hat diese Fürstin stets durch einen Premierminister regiert, anfangs Lord Godolphin, nachher Lord Oxford, so daß sie mich etwas sagen ließen, was gar nicht der Fall war. Dann haben Sie in meiner Schilderung der Akademie der Projektenmacher und in einigen Stellen meiner Rede an meinen Lehrer, den Huyhnhmn, wesentliche Umstände hinweggelassen, oder Sie haben dieselben so verdünnt und verändert, daß es mir schwer war, mein eigenes Werk wieder zu erkennen. Wenn ich Ihnen in einem meiner Briefe einen ähnlichen Vorwurf gemacht habe, antworteten Sie mir, Sie fürchten die öffentliche Gewalt zu beleidigen, die in Beziehung auf die Presse stets wachsam und geneigt sey, Alles, was den Schein einer Anspielung (das ist glaube ich, der Ausdruck) habe, nicht bloß auszulegen, sondern auch zu strafen. Aber ich bitte Sie, wie kann das, was ich vor so vielen Jahren in einer Entfernung von fünftausend Stunden in einem ausländischen Königreiche gesagt habe, auf irgend einen der Yahus eine Anwendung finden, die jetzt, wie man sagt, unsere Heerde beherrschen, zumal da ich meine Worte zu einer Zeit sprach, wo ich nicht fürchten konnte, mich je wieder einmal unter ihrer Herrschaft zu befinden? Habe ich nicht das größte Recht, mich zu grämen, wenn ich diese nämlichen Yahus von Huyhnhnms im Wagen fortgezogen sehe, wie wenn die letzten das Vieh und die ersteren vernünftige Geschöpfe wären? Wahrhaftig, besonders deßhalb habe ich mich hieher zurückgezogen, um diesem abscheulichen, verwerflichen Schauspiel zu entfliehen.

Dies ist es, was ich Ihnen in Beziehung auf Sie selbst und auf die Aufgabe, die ich Ihnen anvertraut habe, sagen zu müssen glaubte.

Für’s zweite muß ich mir den Vorwurf machen, daß ich so wenig Verstand gezeigt habe, indem ich den Bitten und falschen Gründen nachgab, die von Ihnen und einigen Andern angewendet wurden, um mich gegen meine Ueberzeugung dazu zu vermögen, meine Reisen veröffentlichen zu lassen. Wollen Sie sich doch gefälligst erinnern, wie oft ich Sie gebeten habe, als Sie den Beweggrund des öffentlichen Wohls vorbrachten, um über mein Widerstreben zu siegen, wie oft, sage ich, ich Sie gebeten habe, zu bedenken, daß die Yahus Thiere seyen, die völlig unfähig sind, durch Lehre oder Beispiel sich zu bessern. Der Thatbestand hat diese Behauptung bestätigt; denn, anstatt daß mein Buch sie belehrt hätte, die Mißbräuche und das Verderbniß, wenigstens auf dieser kleinen Insel, abzustellen, wie ich hoffen durfte, sehen Sie, daß mein Buch, nachdem es jetzt sechs Monate lang veröffentlicht ist, nicht eine einzige der guten Wirkungen hervorgebracht hat, die ich hatte hervorbringen wollen. Ich hatte Sie gebeten, mich durch einen Brief zu benachrichtigen, sobald die Parteiunterschiede verwischt, die Richter aufgeklärt und unbestechlich, die Processirenden ehrlich, gemäßigt und nicht ganz vom Verstande entblößt; wo die Ebene von Smithfield vom Feuer erleuchtet seyn würde, das die Pyramiden von juridischen Büchern verzehrte, und alle Aerzte verbannt; die Weibchen der Yahus reichlich mit Tugenden, Ehre, Aufrichtigkeit und Vernunft geschmückt, die Höfe und Audienzzimmer der Minister von ihrem Unrath gesäubert, das Verdienst und die Wissenschaft belohnt, und diejenigen, die in Prosa oder in Versen die Presse schänden, verurtheilt würden, zur einzigen Nahrung ihr Papier, und zum einzigen Getränke ihre Dinte zu erhalten. Ich rechnete, nach Ihren Ermuthigungen, auf diese Reformen und auf tausend andere, und wirklich waren sie in meinem Buche klar angedeutet; und man muß gestehen, daß sieben Monate wohl hinreichten, alle Laster und alle Schwächen zu verbessern, denen die Yahus unterworfen sind, wenn auch nur ein wenig Weisheit oder Tugend in ihrem Wesen Platz finden könnte. Aber weit entfernt meiner Erwartung zu entsprechen, brachte mir ein jeder Ihrer Boten mit Ihren Briefen eine ganze Ladung kleiner Schriften, Betrachtungen, zweiter Theile, in denen man mich anklagte, Staatsmänner zu verläumden, das menschliche Geschlecht herabzuwürdigen (denn sie haben noch die Unverschämtheit, sich diesen Namen beizulegen) und das weibliche Geschlecht zu beschimpfen. Ich erkannte bald, daß die Verfasser dieser Scharteken nicht einmal unter einander einig sind; denn die Einen wollten nicht zugeben, daß ich der Verfasser meiner Reisen sey, und die andern legten mir Schriften bei, denen ich gänzlich fremd bin.

Brief des Kapitäns Gulliver


Brief des Kapitäns Gulliver

Noch muß ich bemerken, daß Ihr Buchdrucker mit dem Datum einiger meiner Reisen und der Zeiten meiner Rückkehr sehr ungenau verfahren ist, und weder das Jahr, noch den Monat des Jahres, noch den Tag des Monats pünktlich angegeben hat; und da ich habe sagen hören, das Originalmanuscript sey nach der Veröffentlichung meines Werkes vernichtet worden, und ich keine Abschrift davon habe, so sende ich Ihnen hier einige Berichtigungen, die Sie bei einer zweiten Ausgabe einschalten können; doch stehe ich nicht dafür ein, und ich überlasse den verständigen und redlichen Lesern die Sorge, sich die Sachen so zu denken, wie sie seyn sollten.

Man hat mir gesagt, unsere Yahu’schen Seeleute finden meine Seesprache an gewissen Stellen veraltet. Dieser Uebelstand war unvermeidlich. Auf meiner ersten Reise, wo ich noch sehr jung war, wurde ich von sehr alten Seemännern unterrichtet, und lernte sprechen wie sie. In der Folge sah ich, daß die Yahus zur See zur Aufnahme neuer Wörter eben so geneigt sind, wie die Yahus zu Lande, die beinahe jedes Jahr die Sprache ändern, so daß ich, so oft ich in mein Vaterland zurückkehrte, den Dialekt so verändert fand, daß ich ihn kaum mehr verstand. Ebenso wenn ich von einigen Neugierigen aus London einen Besuch erhalte, können wir uns niemals einander verständlich machen, weil wir uns ganz verschiedener Worte bedienen, um unsere Ideen auszudrücken.

Wenn die Kritiker der Yahus mich nun im Mindesten interessiren würden, so hätte ich das volle Recht, mich über mehrere derselben zu beklagen, die so unverschämt waren, gleich von vornherein zu behaupten, meine Reisebeschreibung sey eine bloße Erdichtung, die ich aus meinem Gehirn geschöpft habe; ja sie waren sogar so keck zu sagen, es gäbe ebensowenig Huyhnhnms und Yahus, als Einwohner von Utopien.

Gleichwohl gestehe ich, daß in Beziehung auf die Völker von Lilliput, Brobdingrag (so muß das Wort geschrieben werden und nicht, wie man irrig schreibt, Brobdingnag) und Laputa keiner unserer Yahus keck genug war, den mindesten Zweifel gegen sie anzuregen, so wenig als gegen die Thatsachen, die ich in Beziehung auf diese Völker anführte; denn hier ist die Wahrheit so einleuchtend, daß sie die Ueberzeugung mit Gewalt erzwingt. Aber ist denn meine Erzählung von den Huyhnhnms und Yahus weniger wahrscheinlich? Sieht man nicht auch in diesem Lande Tausende dieser Letzteren, die sich von ihren viehischen Brüdern im Lande der Huyhnhnms nur dadurch unterscheiden, daß sie eine Art von Jargon sprechen und nicht ganz nackt gehen? Ich habe geschrieben, um ihre Vervollkommnung zu veranlassen, nicht ihre Billigung zu erhalten. Die einstimmigen Lobsprüche ihres ganzen Geschlechtes wären in meinen Augen weniger achtungswerth, als das Wiehern zweier ausgearteter Huyhnhnms, die ich in meinem Stalle halte; denn trotz ihrer Erniedrigung kann ich bei ihnen noch einige Aeußerungen von Tugend bemerken, ohne Beimischung von Laster.

Sollten es diese elenden Thiere wagen, mich für so niedrig zu halten, um mich herabzulassen, meine Wahrhaftigkeit zu vertheidigen? Obgleich auch ich ein Yahu bin, so ist doch bekannt, daß ich durch den Unterricht und das Beispiel meines erlauchten Lehrers in einer Zeit von zwei Jahren (nicht ohne große Schwierigkeit, wie ich gestehen muß) es dahin brachte, diese höllische Gewohnheit, zu lügen, aufzuschneiden, zu betrügen, zweideutig zu reden, die namentlich in Europa bei meiner Gattung so eingewurzelt ist, ganz abzulegen. Ich könnte noch manche Klagen über diese leidige Sache vorbringen; aber ich will Sie und mich nicht länger ermüden. Ich muß gestehen, daß seit meinem letzten Briefe durch den Umgang mit einer kleinen Zahl Individuen Ihrer Gattung, namentlich mit denjenigen meiner Familie, mit denen ich nicht umhin kann, Umgang zu pflegen, ein Rest des schlimmen Sauerteiges meiner yahu’schen Natur in mir wieder lebendig geworden ist; wenn das nicht wäre, hätte ich wahrscheinlich niemals einen so ungereimten Plan entworfen, wie der ist, das Geschlecht der Yahus in diesem Königreiche reformiren zu wollen. Aber jetzt habe ich für immer auf solche Chimären verzichtet.

2. April 1727.

IV.


IV.

Swift war von hoher Gestalt, kräftig und wohlgebildet. Er hatte blaue Augen, braune Farbe, schwarze dicke Augenbrauen, eine Adlernase, und seine Züge drückten die ganze Strenge, Unerschrockenheit und den ganzen Stolz seines Charakters aus. In seiner Jugend galt er für einen sehr schönen Mann und in seinem Alter war seine Gestalt, obgleich finster, immer noch edel und ehrfurchtgebietend. Er sprach in seinen Reden mit Wärme und Leichtigkeit; sein Talent zur Polemik war zu politischen Debatten so geeignet, daß die Minister der Königin Anna oft bedauern mußten, es nicht dahin gebracht zu haben, ihm einen Sitz auf der Bank der Bischöfe in der Pairskammer zu verschaffen. Die Regierung von Irland fürchtete seine Beredtsamkeit ebenso als seine Feder.

Sein Betragen in Gesellschaft war gefällig und leutselig und nicht ohne originellen Anstrich; aber er wußte sich so gut in die Umstände zu fügen, daß seine Gesellschaft allgemein gesucht war.

Als das Alter und die geringere Biegsamkeit seines Geistes dem Gleichmuth seines Wesens schon Eintrag gethan hatten, liebte man noch seine Unterhaltung. Man fand sie interessant nicht bloß durch seine Kenntnis der Welt und der Sitten, sondern auch durch den satyrischen Humor, mit welchem er seine Bemerkungen und Anekdoten würzte. Es war dies nach Orrery die letzte seiner Fähigkeiten die er verlor; aber der Dechant selbst bemerkte, daß, je mehr sein Gedächtniß abnahm, er seine Geschichten öfter wiederhole.

Seine Unterhaltung, seine witzigen Einfälle und spitzigen Antworten wurden als unvergleichlich betrachtet; aber wie es bei allen denen der Fall ist, die daran gewöhnt sind, die Unterhaltung despotisch zu beherrschen, legte ein unerwarteter Widerstand ihm zuweilen Stillschweigen auf.

Er liebte sehr die Wortspiele. Eines der besten die vielleicht je gemacht worden, ist die Anwendung des Virgilischen Verses:

»Mantua vae! miserae
nimium vicina Cremonae«

auf eine Dame, die mit ihrem Mantel eine cremoneser Violine auf den Boden geworfen hatte. Das Wortspiel, mit welchem er einen betagten Mann tröstete, der seine Brille verloren hatte, ist großartiger: »Wenn es die ganze Nacht fort regnet, werden Sie dieselbe unfehlbar morgen früh finden.«

Nocte pluit tota, redeunt
spectacula mane.

(Brille heißt auf englisch »spectacles«.)

Seine Verlegenheit in einer besseren Sorte von Witzen wird durch mehrere Anekdoten bestätigt. Ein vornehmer Mann, dessen Betragen nicht das geordnetste war, hatte zur Devise genommen: »eques haud male notus.«

Swift übersetzte diese Worte so: »So gut bekannt, daß ihm kein Mensch mehr traut.«

Er hatte eine eigenthümliche Neigung, Sprichwörter zu improvisiren. Er ging einst mit einigen andern Personen im Garten eines Mannes von seiner Bekanntschaft spazieren und als er sah, daß der Herr des Hauses nicht daran denke, ihnen Obst anzubieten, sagte Swift: einer der Sprüche seiner Großmutter sey gewesen:

Always pull a peach,
When it is in your reach.

(Wenn man den Pfirsich erlangen kann,
muß man ihn pflücken.)

und mit diesen Worten ging er der Gesellschaft mit seinem Beispiel voran.

Ein andermal fiel ein Mann, mit dem er einen Spazierritt machte, in eine Pfütze:

The more dirt,
the less hirt.

(Je größer der Schmutz,
desto leichter der Fall)

sagte Swift zu ihm; der Mann stand auf, beinahe getröstet über seinen Fall. Er war ein großer Liebhaber von Sprichwörtern und wunderte sich, daß er das, welches der Dechant so eben so glücklich angewendet hatte, nicht kannte. Swift fand eine Unterhaltung darin, Sprichwörter zusammenzusetzen; sein Tagebuch an Stella beweist, mit welcher Leichtigkeit er die geringfügigsten Gegenstände in Reimen brachte, und seine Poesien beurkunden eine unerschöpfliche Fruchtbarkeit.

Er hielt außerordentlich auf Reinlichkeit. Diese Gewohnheit ging bis in’s Grillenhafte. Er übte sich gern, namentlich im Fußgehen. Unsere modernen Fußgänger würden lachen über die Wette, die er einging, zu Fuß nach Chester zu gehen, und dabei täglich zehn Meilen zurückzulegen (es sind ungefähr zweihundert Meilen). Gleichwohl glaubt man, Swift habe sich zu sehr angestrengt und seine Gesundheit habe darunter gelitten. Er war ein ziemlich guter Reiter, ritt gern und war Pferdekenner: er wählte dieses edle Thier aus zum Sinnbild des sittlichen Verdienstes, unter dem Namen HuyhnhnmSwiftbewog seine Freunde, besonders Stella und Vanessa Reitstunden zu nehmen; er machte ihnen beinahe eine Pflicht daraus. Beinahe in jedem Briefe spricht er davon, als von einer für seine Gesundheit wesentliche Sache, die durch Taubheit und apoplektische Zufälle sehr schwankend geworden war. Er war mit Scropheln behaftet, die vielleicht die Zerrüttung seines Geistes beschleunigten. Die eigentliche Ursache war indeß eine Ansammlung von Wasser im Gehirn, wie es sich bei der Oeffnung nach seinem Tode erwies.

Die Wohlthätigkeit des Dechanten erhob sich über die gewöhnliche Mildthätigkeit, und obgleich er immer eine gewisse Summe in verschiedenen Münzen bei sich trug, um sie an die zu vertheilen, die ihm des Beistandes würdig schienen, so war sein Hauptzweck doch der, den wahrhaft Bedürftigen zu Hülfe zu kommen, ohne fürchten zu müssen, von Müssiggängern getäuscht zu werden. Er schrieb mehrere Abhandlungen über diesen Gegenstand. Man empfing ihn überall mit den Zeichen der tiefsten Ehrfurcht; er sagte, man dürfe eine Subskription eröffnen, um ihn mit Hüten frei zu halten, denn die Seinigen werden durch die vielen Begrüßungen, die er erwidern müsse, im Augenblicke abgenützt.

Er stellte einmal das Vertrauen, welches das Publikum auf alle seine Worte setzte, auf eine sehr heitere Probe.

Es war eine große Masse Volks um das Dechantenhaus versammelt, um eine Sonnenfinsterniß zu beobachten. Swift, über den Lärmen ungehalten, ließ durch den Küster verkündigen, auf Befehl des Dechanten von St. Patrick werde die Sonnenfinsterniß aufgeschoben. Diese außerordentliche Nachricht wurde sehr ernsthaft aufgenommen und das Volk zerstreute sich.

Der Charakter Swift, als Schriftsteller, bietet drei merkwürdige Eigentümlichkeiten dar.

Die erste Eigenschaft, die ihn auszeichnet, und die einem Autor, wenigstens von seinen Zeitgenossen, selten zugestanden wird, ist die Originalität. Der strengste Kritiker kann sie ihm nicht absprechen. Selbst Johnson gesteht, daß es vielleicht keinen Autor gebe, der so wenig von Andern entlehnt und so viel Recht habe, für originell gehalten zu werden.

Es war in der That nichts veröffentlicht worden, das Swift zum Muster hätte dienen können, und die wenigen Ideen, die er entlehnt hat, sind durch das Siegel, das er ihnen aufdrückte, die Seinigen geworden.

Die zweite Eigentümlichkeit, ans die wir bereits aufmerksam gemacht haben, ist Swifts völlige Gleichgültigkeit gegen die literarische Berühmtheit. Er bediente sich seiner Feder, wie sich der gewöhnliche Arbeiter der Instrumente seiner Kunst bedient, ohne großen Werth darauf zu legen. Swift ist unruhig über den Erfolg seiner Ausführungen; er wird durch den Widerspruch gereizt, er ärgert sich über die Gegner, die seine Principien bekämpfen und ihn hindern wollen, seinen Zweck zu erreichen; aber er zeigt bei allen Gelegenheiten gegen den Erfolg seiner Schriften eine Gleichgültigkeit, die alle Zeichen der Aufrichtigkeit an sich trägt. Die Sorglosigkeit, mit welcher er sie in die Welt schleuderte, die Anonymität, die er stets bewahrte, und die Nachläßigkeit, mit der er die Vortheile behandelte, beweisen, daß er das Gewerbe eines Schriftstellers von Profession verachtete.

Das dritte auszeichnende Kennzeichen des literarischen Charakters Swifts ist dies, daß er mit Ausnahme, der Geschichte, sich niemals in einem Fache versucht hat, ohne sich darin auszuzeichnen. Man sieht ein, daß ich hier nicht von einigen pindarischen Versuchen oder von seinen lateinischen Versen sprechen will, die allzuunbedeutend sind, um hier in Anschlag zu kommen. Man kann allerdings die Art und Weise, auf welche er zuweilen sein Talent übte, ziemlich leichtsinnig oder ziemlich gewöhnlich finden; aber seine englischlateinischen Verse, seine Räthsel, seine nicht sehr zarten Beschreibungen, seine heftigen politischen Satyren, sind in ihrer Art so vollkommen, als es bei diesen Fächern möglich ist und lassen nur eines zu wünschen übrig, daß nämlich ein so herrlicher Geist nicht edlere Gegenstände behandelte. Was die Erfindungenbetrifft, so besaß er im höchsten Grade die Kunst der Wahrscheinlichkeit, oder wie wir bei Gelegenheit von Gullivers Reisen bemerkt haben, die Kunst, einen erdichteten Charakter in allen Lagen und unter allen Umständen zu zeichnen und festzuhalten. Dieses Geheimniß besteht großentheils in der genauen Schilderung der Einzelnheiten kleiner abgerissener Thatsachen, die den Vordergrund einer von einem Augenzeugen erzählten Geschichte bilden. Es sind dies Dinge, welche nur den Erzähler lebhaft zu interessiren scheinen. Es ist die Flintenkugel, die an den Ohren des Soldaten vorbeipfeift, und die mehr Eindruck auf ihn macht, als die ganze Artillerie, die während der Schlacht unaufhörlich gefeuert hat.

Aber für den entfernten Zuschauer verlieren sich diese Einzelnheiten im Ganzen der Ereignisse. Es brauchte das ganze Unterscheidungsvermögen Swifts oder Defoes, des Verfassers von Robinson Crusoe und der Memoiren eines Kavaliers, um diese geringfügigen Einzelnheiten zu erfassen, die dem Zuschauer auffallen müssen, den die Richtung seines Geistes und seine Erziehung nicht daran gewöhnt haben, seine Beobachtungen zu verallgemeinen.

Der geistreiche Verfasser der Geschichte der Erfindung ist mir in der Parallele zuvorgekommen, [Fußnote] die ich zwischen dem Roman Gulliver und Robinson Crusoe ziehen wollte. Ich will seine Ausdrücke entlehnen, die vollkommen meine eigenen Ansichten ausdrücken.

Nachdem er seinen Satz ausgeführt und gezeigt hat, wie Robinson Crusoe seine Erzählung eines Sturmes wahrscheinlich macht, fährt Dunlop so fort: »diese geringfügigen Einzelnheiten bestimmen uns eben, die ganze Erzählung zu glauben. Man kann nicht denken, warum er sie erwähnt haben würde, wenn sie nicht wahr wären.«

Dieselbe weitläufige Behandlung der Einzelnheiten ist in Gullivers Reisen zu bemerken; sie bestimmt uns zuweilen, die unwahrscheinlichsten Erzählungen für wahr zu halten. Man hat das Genie Defoes niemals in Zweifel gezogen; aber der Kreis seiner Kenntnisse war nicht sehr umfassend: Folge davon war, daß seine Phantasie nicht mehr als einen oder zwei Helden schaffen konnte. Ein gewöhnlicher Seemann, wie Robinson Crusoe, ein rauher Soldat, wie sein Kavalier; Spitzbuben der niedersten Sorte, wie einige von seinen übrigen erdichteten Personen: dies sind alle Rollen, die der Umfang seiner Kenntnisse ihm gestattet, auftreten zu lassen.

Er befindet sich gerade in dem Fall jenes Hexenmeisters in einer indischen Erzählung, dessen Zauberkraft sich darauf beschränkt, die Gestalt von zwei bis drei Thieren annehmen zu können. Swift, ist der persische Derwisch, der das Vermögen hat, seine Seele in den Körper eines Jeden, der ihm gefällt, zu versetzen, mit seinen Augen zu sehen, alle seine Organe anzuwenden und sich selbst seines Verstandes zu bemächtigen. Der Reisende Lemuel Gulliver, der Astrolog Isak Bickerstaff, der Franzose, der die neue Reise nach Paris schrieb, Mistreß Harris, die Köchin Marie, der Mensch, der, um den Armen zu Hülfe zu kommen, ihnen räth, ihre Kinder zu essen, der heftige whigistische Politiker, der Vorstellungen über die Schilder von Dublin gibt, dies sind Charaktere, die eben so sehr unter einander verschieden sind, als sie von dem Dechanten zu St. Patrik verschieden zu seyn scheinen.

Ein Jeder bleibt seinem eigenthümlichen Charakter treu, bewegt sich in seiner eigenthümlichen Sphäre, stets seiner geselligen Stellung und seiner Art und Weise, die Dinge zu betrachten gemäß.

Der Satz, den ich vorhin über die Kunst, einer erdichteten Erzählung Wahrscheinlichkeit zu geben, aufgestellt habe, findet seinen auf derselben Grundlage ruhenden Zusatz.

Wenn geringfügige Einzelnheiten auf den Geist des Erzählers Eindruck hervorbringen und einen großen Theil seines Berichtes ausmachen, so ziehen anderer Seits an sich wichtigere Umstände seine Aufmerksamkeit nur theilweise auf sich; mit andern Ausdrücken, es gibt in einer Erzählung, wie in einem Gemälde, einen Hintergrund wie einen Vordergrund, und die Leiter der Gegenstände wird nothwendig kleiner, je weiter sie von dem, der sie erzählt, entfernt sind. In dieser Beziehung ist die Kunst Swifts eben so merkwürdig. Was Gulliver durch Hörensagen erfahren hat, erzählt er weit unbestimmter, als das, was er selbst beobachtet hat.

Es ist nicht, wie in den übrigen Reisen in utopische Länder ein genaues Gemälde der Regierung und der Gesetze dieses Landes, sondern es sind die Hauptbegriffe die ein wißbegieriger Reisender während eines mehrmonatlichen Aufenthalts unter Fremden sich zu verschaffen sucht. Kurz der Erzähler ist der Mittelpunkt und die Triebfeder der Geschichte; er berichtet nicht Dinge, die ihm die Umstände nicht erlaubten zu beobachten, aber er übergeht kein Ereigniß, dem die Umstände in seinen Augen Wichtigkeit verleihen, weil es ihn persönlich berührte.

Kapitel 1


Kapitel 1 Der Verfasser segelt als Kapitän eines Schiffes ab. Seine Leute verschwören sich gegen ihn, verschließen ihn längere Zeit in seiner Kajüte und setzen ihn in einem unbekannten Lande an’s Ufer. Er reist in das Innere desselben. Beschreibung des Yähu, eines sonderbaren Thieres. Der Verfasser begegnet zwei Hauyhnhnms.

Ich blieb ungefähr fünf Monate bei meiner Frau und meinen Kindern, und zwar in einem sehr glücklichen Zustande; hätte ich nur lernen können, daß ich in Wahrheit glücklich war. Ich verließ meinearme Frau guter Hoffnung, und nahm ein vorteilhaftes Anerbieten, Kapitän des »Abenteurers« zu werden, an, eines großen Kauffahrers von dreihundertundfünfzig Tonnen. Ich war nämlich der Nautik vollkommen kundig und der Beschäftigung eines Wundarztes müde geworden, die ich nur gelegentlich zur See ausüben wollte. Deßhalb nahm ich einen geschickten jungen Mann dieses Standes, Robert Purefoy, in mein Schiff auf. Wir segelten von Portsmouth am 7. September 1710, und am 14. trafen wir bei Teneriffa auf den Kapitän Pocock, welcher nach Honduras segelte, um das Campescheholz zu fällen. Am 16. wurde er durch einen Sturm von uns getrennt, und ich habe seitdem gehört, daß er scheiterte, und daß die ganze Mannschaft, mit Ausnahme eines Küchenjungen, zu Grunde ging. Er war ein ehrlicher Mann und seines Handwerks vollkommen kundig, allein zu hartnäckig in seinen Meinungen, und dies war der Grund seines Untergangs, wie bei vielen andern. Wäre er meinem Rathe gefolgt, so säße er jetzt in derselben Sicherheit, wie ich, bei seiner Familie.

Mehrere Leute in meinem Schiffe waren durch die hitzigen Fieber der tropischen Gegenden gestorben, so daß ich genöthigt wurde, Matrosen in Barbados und auf den Inseln unter dem Winde anzuwerben, wo ich nach dem Auftrage der Schiffsherrn anlegen mußte. Bald aber hatte ich Grund dieses zu bereuen, denn ich fand nachher, daß die Meisten Buccanier[Fußnote] gewesen waren. Ich hatte fünfzig Mann unter meinem Befehl und den Auftrag, mit den Indiern der Südsee Handel zu treiben, und alle mir möglichen Entdeckungen zu machen. Jene Schurken, die ich aufgenommen hatte, verführten meine anderen Leute, und alle bildeten eine Verschwörung, sich des Schiffes zu bemächtigen und mich in Sicherheit zu bringen. Dies geschah eines Morgens. Alle stürzten in meine Kajüte, banden mich an Händen und Füßen und drohten, mich über Bord zu werfen, wenn ich mich wehre. Ich sagte ihnen, ich sey Gefangener und werde mich unterwerfen. Alsdann nahmen sie mir hierüber einen Eid ab, banden mich los, fesselten meine Füße mit einer Kette an mein Bett und stellten an meine Thüre eine Schildwache mit geladenem Gewehr und dem Befehl, mich zu erschießen, sobald ich mich zu befreien suchte. Sie schickten mir Lebensmittel und Getränk herunter, und übernahmen selbst den Befehl meines Schiffes. Es war ihre Absicht Piraten zu werden und die Spanier zu plündern, was sie jedoch nicht eher ausführen konnten, als bis sie mehr Leute gesammelt hatten. Zuerst aber beschloßen sie, die Güter auf dem Schiffe zu verkaufen. Alsdann wollten sie nach Madagaskar segeln, um Rekruten zu werben, da mehrere von ihnen seit meiner Gefangennehmung gestorben waren. Sie segelten mehrere Wochen lang und handelten mit den Indiern; ich wußte aber nicht, welche Richtung sie einschlugen, da ich als Gefangener in der Kajüte eingeschlossen war und stets ermordet zu werden befürchtete; eine Drohung, die mir häufig gemacht wurde.

Am 9. Mai 1711 kam ein gewisser James Welch in meine Kajüte und sagte, er habe vom Kapitän Befehl, mich an’s Ufer zu setzen. Ich machte ihm Vorstellungen, jedoch vergeblich. Er wollte mir nicht einmal sagen, wer denn der neue Kapitän sey. Man zwang mich, das lange Boot zu besteigen, erlaubte mir meinen besten Anzug anzulegen, der noch so gut als neu war, ein Bündel Wäsche, aber keine Waffen mitzunehmen, mit Ausnahme meines Hirschfängers. Auch erwiesen sie mir die Höflichkeit, meine Taschen nicht zu durchsuchen, worin ich mein Geld und kleine Bedürfnisse trug. Sie ruderten ungefähr eine Stunde und setzten mich dann auf einem Strande aus. Ich bat sie, mir zu sagen, in welchem Lande ich mich befände. Sie schwuren jedoch, dies eben so wenig, wie ich, zu wissen. Der Kapitän (wie sie ihn nannten) habe beschlossen, so bald die Ladung verkauft sey, sich meiner sogleich zu entledigen, wenn man Land entdecke. Sie stießen ab, riethen mir zu eilen, damit ich von der Fluth nicht überrascht würde und sagten mir Lebewohl. In diesem traurigen Zustande ging ich vorwärts und kam bald auf festen Boden, wo ich mich auf eine Erhöhung niedersetzte, um auszuruhen und zu überlegen, was ich am zweckmäßigsten beginnen könne. Als ich mich ein wenig erholt hatte, ging ich in das Innere des Landes und beschloß, mich den ersten Wilden zu überliefern, die ich anträfe, und mit Armbändern, Glasringen und anderem Spielzeug, womit sich die Seefahrer auf jenen Reisen zu versehen pflegen, und wovon ich einige bei mir trug, meine Sicherheit zu erkaufen. Das Land war durch lange Reihen von Bäumen, die jedoch nicht regelmäßig gepflanzt waren, sondern natürlich wuchsen, durchschnitten; auch befanden sich dort sehr viele Graswiesen und mehrere Haferfelder. Ich ging sehr vorsichtig, aus Furcht überrascht, oder von der Seite oder von hinten mit Pfeilen geschossen zu werden. Alsdann gelangte ich auf einen betretenen Pfad, wo ich viele Spuren von Menschenfüßen und auch von Kuhhufen sah, die meisten waren jedoch die von Pferdehufen. Zuletzt sah ich mehrere Thiere auf einem Felde, und eines oder zwei, von derselben Art, die auf Bäumen saßen. Ihre Form war sehr sonderbar und häßlich, so daß ich ein wenig aus der Fassung kam und mich hinter einen Busch legte, um sie besser zu beobachten. Einige kamen dem Platze näher, wo ich lag, und boten mir dadurch Gelegenheit ihre Form näher zu erkennen. Kopf und Brust war ihnen mit dickem Haar besetzt, einiges gelockt und anderes lang herabhängend. Sie hatten Bärte wie Ziegen, einen langen Haarstreifen auf dem Rücken und an den vorderen Theilen ihrer Beine; der übrige Theil ihres Körpers war entblößt, so daß ich die Haut erkennen konnte, welche von schmutzig dunklem Braun war. Sie waren nicht geschwänzt und hatten auch kein Haar an den hinteren Lenden, mit Ausnahme des Anus. Die Natur mußte diesen Körpertheil mit Haaren versehen haben, um sie zu schützen, denn ich sah, daß jene Geschöpfe sich in derselben Art setzten, wie auch niederlegten und auf den Hinterfüßen standen.

Sie erklommen hohe Bäume so behend wie Eichhörnchen, denn sie besaßen starke und scharfe Klauen, welche in scharfen Haken endeten. Sie pflegten mit wunderbarer Behendigkeit zu hüpfen und zu springen. Die Weibchen waren nicht so groß wie die Männchen; sie hatten lang herabhängendes Haar auf ihren Köpfen, aber keines im Gesicht, so wie auf dem größeren Theile des übrigen Körpers. Ihre Brustspitzen hingen zwischen ihre Vorderpfoten und erreichten beinahe den Boden, wann sie gingen. Das Haar beider Geschlechter war von verschiedenen Farben, braun, roth, schwarz und gelb.

Im Ganzen sah ich auf allen meinen Reisen niemals ein so unangenehmes Thier, welches mir eine ähnliche Abneigung erweckt hätte. Somit dachte ich, jetzt habe ich genug gesehen, stand voll Verachtung und Abscheu auf und folgte dem betretenen Weg, indem ich hoffte, er werde mich zu der Hütte eines Indiers führen. Ich war noch nicht weit gegangen, als ich einem jener Geschöpfe auf meinem Wege begegnete, welches geraden Weges auf mich zu kam. Als das häßliche Ungeheuer mich erblickte, verdrehte es alle Züge seines Gesichtes und starrte mich an, als habe es einen ähnlichen Gegenstand noch nie gesehen; alsdann kam es näher und hob seine Vorderpfoten in die Höhe, vielleicht aus Neugier, vielleicht auch aus Bosheit. Ich aber zog meinen Hirschfänger und gab ihm einen derben Schlag mit der flachen Klinge. Mit der Schärfe wagte ich nicht zu schlagen, denn ich besorgte die Einwohner möchten gegen mich aufgereizt werden, wenn sie erführen, ich hätte ein Exemplar ihres Viehes getödtet oder verstümmelt. Als das Thier den Schmerz empfand, fuhr es zurück und brüllte so laut, daß eine Heerde von wenigstens vierzig Stück vom nächsten Felde her mich umschwärmte, laut heulte und mir boshafte Gesichter schnitt. Ich aber lief auf einen Baumstamm zu, lehnte meinen Rücken dagegen und wehrte die Thiere durch das Schwingen meines Hirschfängers ab. Mehrere Individuen dieses verfluchten Geschlechtes ergriffen die hinteren Zweige, sprangen auf den Baum und beschmutzten meinen Kopf mit ihrem Koth; ich kam übrigens noch gut davon, denn ich drückte mich dicht an den Stamm, ward aber beinahe von dem Gestank des Kothes erstickt, welcher an allen Seiten neben mir herabfiel.

In meiner Noth bemerkte ich jedoch, wie sie plötzlich alle so schnell wie möglich davon liefen. Hierauf wagte ich es, den Baum zu verlassen und den Weg zu verfolgen, voll Erstaunen, was jene Thiere erschreckt haben könnte. Als ich aber linkshin umblickte, sah ich ein Pferd, welches langsam auf dem Felde spazieren ging; dies war aber die Ursache, weßhalb meine Verfolger flohen, als sie dies Thier erblickt hatten. Das Pferd fuhr ein wenig zurück, als es mich bemerkte, erholte sich jedoch bald von seinem Schrecken und sah mir in’s Gesicht mit deutlichen Zeichen des Erstaunens. Es besah meine Hände undFüße und ging mehreremale um mich herum. Ich wollte meinen Pfad verfolgen; es stellte sich mir jedoch in den Weg, blickte mit sanftem Ausdruck und zeigte nicht die geringste Neigung zur Gewaltthätigkeit. Wir blieben stehen, indem wir eine Zeit lang einander ansahen; zuletzt war ich so kühn, meine Hand zu seinem Halse zu erheben, in der Absicht es zu streicheln, und pfiff dabei, wie dies Reitknechte zu thun pflegen, wenn sie ein fremdes Pferd behandeln müssen. Dies Thier aber schien meine Höflichkeit mit Verachtung anzunehmen, schüttelte sein Haupt, senkte seine Brauen und erhob sanft seinen Vorderfuß, um meine Hand zu entfernen. Alsdann wieherte es drei- oder viermal, jedoch in so verschiedenem Ton, daß ich auf den Gedanken kam, es spreche mit sich selbst in einer ihm eigenthümlichen Sprache.

Als wir beide uns auf diese Weise mit einander abgaben, kam ein anderes Pferd hinzu. Dies begann in einer etwas förmlichen Weise sich an das andere zu wenden; alsdann berührten sie sanft ihre Vorderhufe, wieherten abwechselnd mehreremale und veränderten dabei den Ton, so daß dieses beinahe artikulirt zu seyn schien. Sie gingen einige Schritte zurück, als wollten sie sich mit einander berathen, spazierten nebeneinander her, rückwärts und vorwärts, wie Personen, die sich über eine wichtige Angelegenheit unterhalten, wobei sie häufig ihre Blicke auf mich hinwendeten; als wollten sie mich bewachen, damit ich nicht entwischte. Ich erstaunte, ein solches Benehmen bei unvernünftigen Thieren zu bemerken, und dachte bei mir selbst, wenn die Einwohner dieses Landes einen verhältnißmäßigen Grad von Vernunft besitzen, so müssen sie das weiseste Volk der Erde seyn. Dieser Gedanke gab mir so viel Trost, daß ich weiter zu gehen beschloß, bis ich ein Haus oder ein Dorf entdecken, oder mit den Eingeborenen zusammentreffen könnte, indem ich die beiden Pferde sich nach Belieben mit einander unterhalten ließe. Das erstere Pferd jedoch, welches eine scheckige graue Farbe hatte, wieherte, als ich mich fortstehlen wollte, in so ausdrucksvollem Tone, daß ich glaubte seinen Willen zu verstehen; deßhalb drehte ich mich um und ging auf dasselbe zu, um seine ferneren Befehle zu erwarten, indem ich jedoch meine Furcht so viel wie möglich zu verbergen suchte. Ich begann nämlich Besorgniß zu fühlen, wie dies Abenteuer enden würde, und der Leser wird sich leichteinbilden, daß ich mit meiner gegenwärtigen Lage nicht sehr zufrieden war.

Die beiden Pferde kamen mir näher und besahen sehr ernsthaft mein Gesicht und meine Hände. Das graue rieb meinen Hut mit dem Vorderhuf und verrückte ihn so sehr, daß ich genöthigt war, ihn abzunehmen um ihn wieder besser aufzusetzen, worauf beide (das andere Pferd war kastanienbraun) sehr erstaunt schienen. Das letztere befühlte meinen Rockschooß, und als es fand, daß derselbe locker um mich herumhing, sahen mich beide mit neuen Zeichen der Verwunderung an. Es streichelte meine rechte Hand und schien die Zartheit und Farbe derselben zu bewundern, drückte sie aber so stark zwischen den Huf und das Fesselgelenk, daß ich aufzuschreien genöthigt wurde. Sie kamen auch sehr in Verlegenheit, in Betreff meiner Schuhe und Strümpfe, die sie oft befühlten, worauf sie einander mit verschiedenen Bewegungen zuwieherten, welche denen eines Philosophen glichen, wenn er ein neues und schwieriges Phänomen auflösen will.

Im Ganzen war das Benehmen dieser Thiere so ordentlich und vernünftig, so scharfsinnig und klug, daß ich zuletzt daraus schließen mußte, es seyen Zauberer, die sich zu irgend einem Zweck verwandelt und beschlossen hätten, sich an einem Fremden zu belustigen, den sie unterwegs anträfen; oder vielmehr, die über den Anblick eines Menschen wirklich erstaunten, der in Kleidung, Gesichtszügen und Farbe von den übrigen Menschen so verschieden sey, welche in einem so entfernten Klima wohnen könnten. In Folge dieses Schlusses hielt ich an sie folgende Anrede: Meine Herrn, wenn sie Zauberer sind, wie ich zu vermuthen Ursache habe, so müssen sie jede Sprache verstehen können. Ich bin darum so frei, Euer Gnaden wissen zu lassen, daß ich ein armer, unglücklicher Engländer bin, welcher durch Unglück an dieses Land verschlagen wurde. Deßhalb bitte ich einen von Ihnen, mich auf seinem Rücken reiten zu lassen, als wären Sie wirkliche Pferde, und mich zu einem Hause oder zu einer Stadt zu bringen, wo ich Hülfe werde finden können. Als Belohnung für diese Gefälligkeit werde ich Ihnen dies Messer und dieses Armband geben. (Ich hatte beide zuvor aus meiner Tasche gezogen.) Die beiden Geschöpfe schwiegen während ich sprach, schienen jedoch mir mit großer Aufmerksamkeit zuzuhören; als ich geendet hatte, wieherten Beide sich häufig zu, als wären sie in ein ernsthaftes Gespräch vertieft. Ich bemerkte deutlich, daß ihre Sprache die Leidenschaften sehr gut ausdrückte, und daß die Worte in ein Alphabet aufgelöst werden könnten, welches bei Weitem einfacher wie das Chinesische seyn müßte.

Ich konnte häufig das Wort Yähu unterscheiden, welches mehreremale von ihnen wiederholt wurde, und obgleich es mir unmöglich war, die Bedeutung zu errathen, so bemühte ich mich, während die beiden Pferde sich mit einander unterhielten, es meiner Zunge zugänglich zu machen. Sobald sie schwiegen sprach ich deßhalb Yähu mit lauter Stimme aus, indem ich zugleich, so gut wie möglich, das Wiehern eines Pferdes nachahmte. Hierüber schienen Beide sehr erstaunt, und der Schecke wiederholte mir das Wort zweimal, als wolle er mir den richtigen Accent zeigen. Ich sprach es ihm nach so gut wie möglich, und fand, daß ich mich jedesmal verbesserte, ob ich gleich von Vollkommenheit noch sehr weit entfernt war. Alsdann machte der Braune mit mir den Versuch hinsichtlich eines zweiten Wortes, welches noch schwerer auszusprechen war; um es durch unsere Orthographie auszudrücken, werde ich es Hauyhnhnms schreiben müssen. Diese Aussprache gelang mir nicht so gut, wie die frühere; nach zwei oder drei Versuchen hatte ich jedoch mehr Glück, und Beide erstaunten über meine Fähigkeit.

Nach einem weiteren Gespräch, von welchem ich vermuthete, daß es sich auf mich beziehe, nahmen die beiden Freunde von einander Abschied, indem sie dasselbe Compliment, die Hufe zu berühren, wiederholten. Das braune Pferd gab mir ein Zeichen, ich solle ihm vorangehen, und ich hielt es für klug, zu gehorchen, bis ich einen bessern Wegweiser würde erhalten haben. Als ich anfing etwas langsamer zu gehen, schrie es hune, hune. Ich errieth seinen Willen und gab ihm so gut wie möglich zu verstehen, ich sey müde und könne nicht schneller gehen, worauf es still stand, um mich ausruhen zu lassen.

Kapitel 2


Kapitel 2 Der Verfasser wird von einem Hauyhnhnm in dessen Haus geführt. Beschreibung des Hauses. Aufnahme des Verfassers. Nahrung der Hauyhnhnms. Der Verfasser kömmt in Noth wegen Mangels an Speise, wird aber zuletzt daraus erlöst. Seine Nahrung in diesem Lande.

Als wir ungefähr anderthalb Stunden gegangen waren, kamen wir zu einer Art von Haus, welches aus eingerammten und kreuzweise gelegten Balken bestand. Das Dach war niedrig und mit Stroh bedeckt. Ich faßte somit wieder einigen Muth und zog einiges Spielzeug, welches die Reisenden als Geschenke für Wilde in Amerika und andern Welttheilen mitzubringen pflegen, aus der Tasche, denn ich hoffte, die Bewohner des Hauses würden dadurch bewogen werden, mich freundlich aufzunehmen. Das Pferd gab mir ein Zeichen, zuerst hineinzugehen; es bestand aus einem großen Raume mit einem Lehmboden und mit Trögen und Krippen, welche sich an der Wand hin ausdehnten. Ich sah dort zwei Klepper und zwei Stuten, welche nicht aßen, und wovon Einige zu meinem Erstaunen auf ihren Schenkeln saßen; noch mehr aber wunderte ich mich, als ich sah, wie die übrigen in der Haushaltung beschäftigt waren, obgleich sie nur aus gewöhnlichem Vieh bestanden. Dies bestätigte meine Vermuthung, ein Volk, welches unvernünftige Thiere so sehr zu civilisiren verstehe, müsse nothwendig alle Nationen der Welt an Weisheit übertreffen. Der Braune kam gleich hinter mir drein, und verhinderte dadurch eine schlimme Behandlung, die ich vielleicht von den andern hätte erleiden müssen. Er wieherte mehrere Male im Tone des Befehls und erhielt Antwort.

Ausser diesem Raume befanden sich in dem Hause noch drei andere, die, der Länge des Gebäudes nach, gegen einander über lagen, indem die Thüren sich in gerader Linie vis à vis befanden. Wir gingen durch den zweiten Raum zum dritten. Hier trat der Braune zuerst ein, indem er mir winkte, ihm zu folgen. Ich wartete im zweiten Raume und hielt meine Geschenke für den Herrn und die Herrin des Hauses bereit. Sie bestanden aus zwei Messern, drei Armbändern von falschen Perlen, einem kleinen Spiegel und einem Halsband aus gläsernen Kugeln. Das Pferd wieherte zwei oder dreimal und ich erwartete eine Menschenstimme als Erwiedrung zu hören, vernahm jedoch keine andere Antwort, als in demselben Dialekte und ein paar Töne, die ein wenig heischerer klangen; deßhalb dachte ich, dies Haus gehöre einer Person von Ansehn unter diesem Volke, weil so viele Ceremonien gemacht wurden, bevor ich Zutritt erhielt. Der Umstand, daß ein Mann von Stande durch Pferde bedient würde, lag jedoch außerhalb meiner Begriffe; ich besorgte, mein Gehirn sey durch Unglück und Leiden verwirrt worden; ich faßte Muth und sah mich in dem Räume um, wo ich allein gelassen ward; der Raum war mit denselben Möbeln wie der erste, jedoch bei weitem zierlicher versehen. Ich rieb mir die Augen, allein ich sah stets nur dieselben Gegenstände. Ich kniff mir in die Arme und die Seiten, um mich zu erwecken, denn ich hoffte, Alles sey nur ein Traum. Aus Allem dem schloß ich, der ganze Schein könne nur durch Zauberei und Magie bewirkt seyn. Ich hatte jedoch keine Zeit, in meinen Gedanken fortzufahren; der Braune kam aus der Thüre und gab mir ein Zeichen, ihm in den dritten Raum zu folgen, wo ich eine sehr schöne Stute mit zwei Füllen sah, die mit ihren Hinterfüßen auf künstlich geflochtenen und vollkommen reinen Strohmatten saßen.

Nachdem ich eingetreten war, erhob sich die Stute von ihrem Sitz, trat nahe an mich heran, untersuchte genau mein Gesicht und meine Hände und gab mir einen im höchsten Grade verächtlichen Blick; alsdann wandte sie sich zu dem Hengste, und ich hörte, wie das Wort Yähu zwischen Beiden häufig ausgesprochen wurde. Die Bedeutung desselben konnte ich aber noch nicht verstehen, obgleich es das erste war, dessen Aussprache ich erlernt hatte. Allein bald wurde ich zu meiner ewigen Kränkung darüber unterrichtet. Der Hengst winkte mir mit dem Kopfe und wiederholte mir das hhuun hhunn, wie unterweges, was ich bereits verstand und womit er andeutete, ich solle ihm folgen. Alsdann führte er mich in den Hof, wo ein anderes Gebäude in einiger Entfernung vom Hause stand. Wir traten ein und ich sah drei dieser scheußlichen Kreaturen, welche ich bei meiner Landung zuerst angetroffen hatte; sie nährten sich von Wurzeln und vom Fleische einiger Thiere, wie ich nachher erfuhr von Hunden und Eseln und bisweilen auch von krepirten Kühen. Mit dem Halse waren sie durch starke Weidenruthen an einen Balken festgebunden. Sie hielten ihre Nahrung mit den Vorderpfoten und zerrissen dieselbe mit ihren Zähnen.

Das Herr-Pferd befahl einem fuchsrothen Klepper, welcher sein Diener war, das größte dieser Thiere loszubinden und in den Hof zu bringen. Die Bestie und ich wurden nahe aneinander gestellt und unsere Gesichtszüge sowohl vom Herrn wie vom Diener aufmerksam verglichen, worauf sie Beide das Wort Yähumehrere Male wiederholten.

Hier kann ich meinen Abscheu und mein Erstaunen nicht beschreiben, als ich in diesem verabscheuungswürdigen Thier eine vollkommene Menschenfigur erblickte. Das Gesicht war zwar flach und breit, die Nase eingedrückt, die Lippen geschwollen und der Mund sehr weit. Diese Verschiedenheiten von unsrer Gesichtsbildung sind aber allen wilden Nationen gemein, welche ihre Kinder auf dem Boden umherkriechen, oder sie auf dem Rücken tragen lassen, so daß die Kinder mit dem Gesicht über den Schultern ihrer Mutter gesäugt werden. Die Vorderpfoten des Yähu waren von meinen Händen nur durch die Länge der Nägel, durch die Rauheit und Bräune der Handflächen und durch die haarige Rückseite verschieden. Dieselbe Aehnlichkeit fand zwischen unsern Füßen statt, wie ich sehr wohl wußte, die Pferde jedoch ahneten dieses nicht, weil ich Schuhe und Strümpfe trug. Dasselbe war an jedem Theile unsers Körpers der Fall, mit Ausnahme der Haare und der Farbe, wie ich schon beschrieben habe.

Die größte Schwierigkeit, welche sich den beiden Pferden zu bieten schien, bestand darin, daß sie meinen Körper von dem des Yähu so sehr verschieden sahen. Dies verdankte ich meinen Kleidern, wovon sie keinen Begriff hatten. Der fuchsrothe Klepper bot mir eine Wurzel, die er nach Art der Hauyhnhnms, welche ich am passenden Orte beschreiben werde, zwischen seinem Huf und dem Fußgelenk hielt; ich nahm dieselbe in meine Hand, roch darauf und gab sie so höflich, wie es mir möglich war, wieder zurück. Alsdann brachte er aus dem Stall der Yähus ein Stück Eselsfleisch; es stank aber so furchtbar, daß ich es mit Ekel zurückwies. Hierauf warf er es dem Yähu zu, der es mit Gier verschlang. Alsdann zeigte er mir ein Bündel Heu und einen Kübel voll Hafer, allein ich schüttelte den Kopf, um anzudeuten, beides sey kein Futter für mich. Auch fürchtete ich schon wirklich den Hungertod, wenn ich kein Individuum meiner Gattung anträfe; denn was die schmutzigen Yähus betraf, so muß ich gestehen, daß ich nie so verabscheuungswürdige Geschöpfe in jeder Hinsicht gesehen habe, obgleich es damals nur Wenige gab, welche in demselben Grade wie ich, die Menschheit liebten. Je näher ich ihnen kam, desto verhaßter sind sie mir geworden, so lange ich im Lande blieb. Dies bemerkte das Herr-Pferd aus meinem Benehmen und schickte deßhalb den Yähu in seinen Stall zurück. Alsdann legte es seinen Vorderhuf an den Mund, worüber ich erstaunte, obgleich es diese Bewegung ungezwungen und ganz natürlich ausführte; zugleich gab es mir auch durch andere Zeichen zu verstehen, ich möge andeuten, was ich zu essen wünsche. Ich konnte ihm aber keine Antwort geben, die es zu begreifen vermochte, und wäre dies auch selbst der Fall gewesen, so sah ich keine Möglichkeit, mir irgend eine Nahrung zu verschaffen. Während wir so uns verständlich zu machen suchten, bemerkte ich, daß eine Kuh vorbeiging; ich zeigte auf dieselbe und drückte meinen Wunsch aus, sie melken zu dürfen. Dies hatte Würkung. Das Pferd führte mich in’s Haus zurück und befahl einer Stute-Magd, mir ein Zimmer zu öffnen, wo ein ziemlicher Vorrath von Milch in irdenen und hölzernen Gefäßen, reinlich und in Ordnung, verwahrt war. Die Magd gab mir hierauf eine große Schaale voll Milch, die ich mit großem Appetit trank, und wodurch ich sehr erfrischt wurde.

Gegen Mittag sah ich eine Art Fuhrwerk, einem Schlitten ähnlich, welches von vier Yähus gezogen wurde, vor den Hause anlangen; darin befand sich ein altes Pferd, welches eine Person von Stande zu seyn schien. Es stieg mit den Hinterfüßen herunter, da es unglücklicher Weise am linken Vorderfuße verletzt worden war. Es wollte mit unserm Pferde zu Mittag speisen, und wurde von demselben mit großer Höflichkeit empfangen. Man speiste im besten Zimmer, und erhielt Hafer in Milch gekocht als zweiten Gang der Tafel. Das alte Pferd aß diese Speise warm, die übrigen aber kalt. Die Tröge wurden in Cirkelform aufgestellt und in mehrere Abtheilungen geschieden. Die Pferde saßen dabei mit ihren Hinterschenkeln auf Strohbündeln. In der Mitte befand sich eine große Krippe mit Winkeln, welche jeder Abtheilung der Tröge entsprach, so daß jedes Pferd sein ihm bestimmtes Heu nebst dem Gemisch von Milch und Hafer sehr anständig und regelmäßig aß. Das Benehmen der männlichen und weiblichen Füllen war sehr bescheiden, und das des Herren und seiner Gemahlin außerordentlich heiter und gefällig gegen den Gast. Der Braune befahl mir, mich an seine Seite zu stellen; er und sein Freund hielten über mich eine lange Unterredung, wie ich aus den Blicken des Fremden und aus der häufigen Wiederholung des Wortes Yähu bemerken konnte.

Ich trug zufällig meine Handschuhe. Als dies der Braune, das Herr-Pferd, bemerkte, schien er sehr erstaunt und gab mir durch Zeichen seine Verwunderung zu verstehen, was ich mit meinen Händen angefangen habe; er legte seinen Huf drei oder viermal auf dieselben, als wolle er mir andeuten, ich solle ihnen die frühere Form wiedergeben. Dies that ich auch; denn ich zog sogleich meine Handschuhe aus und steckte sie in die Tasche. Dies veranlaßte ein ferneres Gespräch, und ich sah, die Gesellschaft sey mit meinem Betragen zufrieden. Auch bemerkte ich bald die guten Folgen. Mir wurde befohlen, die wenigen Worte, die ich verstand, auszusprechen. Während die Gesellschaft bei Tische saß, lehrte mich der Herr die Namen für Hafer, Milch, Feuer, Wasser und einige andere Gegenstände, diese konnte ich sehr bald ihm nachsprechen, da ich von früher Jugend an viele Gewandtheit im Erlernen fremder Sprachen besessen habe.

Als das Mittagessen vorbei war, nahm das Herr-Pferd mich bei Seite und gab mir durch Zeichen und Worte zu verstehen, es thue ihm sehr leid, daß ich nichts zu essen habe. Hafer wird in der Sprache der Hauyhnhnms Hlunnh genannt. Ob ich gleich diese Speise zuerst zurückgewiesen hatte, so fiel mir doch gleich darauf ein, ich könne daraus eine Art Brod machen, welches nebst der Milch genügen würde, mich am Leben zu erhalten, bis ich in ein anderes Land und zu Geschöpfen meines eigenen Geschlechtes fliehen könnte. Das Pferd befahl sogleich einer weißen Magd-Stute aus seiner Familie mir eine Masse Hafer in einer Art hölzernen Mulde zu bringen. Dieses Getreide erhitzte ich so gut wie möglich am Feuer, bis die Hülsen absprangen, worauf ich diese vom Korne zu sichten suchte; letzteres mahlte und zerquetschte ich zwischen zwei Steinen, vermischte es mit Wasser und machte daraus einen Teich oder Kuchen, den ich am Feuer röstete und warm mit Milch aß. Anfänglich schien mir dies eine sehr unschmackhafte Speise, ob sie gleich in vielen Theilen Europa’s gewöhnlich ist; sie wurde mir aber mit der Zeit erträglich, und da ich schon oft in meinem früheren Leben zu magerer Kost genöthigt war, so bemerkte ich hier nicht zum ersten Mal, wie leicht man die Natur befriedigen kann. Auch muß ich erwähnen, daß ich mich nie auch nur eine Stunde lang übel befunden habe, so lange ich auf der Insel blieb. Allerdings bemühete ich mich, Kaninchen oder Vögel mit Schlingen aus Jähu-Haar zu fangen; oft auch sammelte ich gesunde Kräuter, die ich kochte und als Salat beim Brode aß. Bisweilen machte ich mir ein wenig Butter und trank die Molken; auch war mir der Mangel an Salz sehr empfindlich, allein die Gewohnheit söhnte mich bald mit dieser Entbehrung aus. Ich hege jetzt die Ueberzeugung, der häufige Gebrauch des Salzes sey bei uns eine Folge des Luxus, und sey zuerst als ein Reizmittel zum Trinken eingeführt worden, mit Ausnahme des Falles, wo es dazu dient, das Fleisch auf langen Reisen oder den Orten, die von großen Märkten entfernt liegen, vor Fäulniß zu bewahren. Wir bemerken ja, daß kein Thier als der Mensch das Salz liebt, und was mich betrifft, so hat es mich viele Mühe gekostet, den Geschmack desselben in irgend einer Speise zu ertragen, nachdem ich das Land der Hauyhnhnms verlassen hatte.

Dies genüge, um meine Lebensart in Hinsicht der Speisen darzustellen, womit andere Reisende ihre Bücher füllen, als sey den Lesern daran gelegen, ob wir gut oder schlecht essen. Es war jedoch nothwendig, den Gegenstand zu erwähnen, sonst würde die Welt es für unmöglich halten, daß ich drei Jahre lang in solch einem Lande und unter solchen Einwohnern meine Nahrung fand.

Gegen Abend befahl das Herr-Pferd, mir einen Ort zur Wohnung zu bereiten. Dieser war nur sechs Ellen vom Hause entfernt und von dem Stall der Jähus getrennt. Hier bekam ich einiges Stroh; ich bedeckte mich mit meinen Kleidern und hatte einen gesunden Schlaf. In kurzer Zeit hatte ich mich auch besser in meine Lage gewöhnt, wie der Leser später erfahren wird, wenn ich über meine Lebensart genauer sprechen werde.

Kapitel 3


Kapitel 3 Der Verfasser sucht die Sprache der Hauyhnhnms zu erlernen; sein Herr ist ihm dabei behülflich. Beschreibung der Sprache. Mehrere Hauyhnhnms von Stande kommen an aus Neugier den Verfasser zu sehen. Er gibt seinem Herrn einen kurzen Bericht von seiner Reise.

Meine hauptsächlichste Bemühung war die Erlernung der Sprache, worin mich mein Herr (von nun an werde ich ihn so nennen), dessen Kinder und das Gesinde des Hauses unterrichteten. Sie betrachteten es nämlich als ein Wunder, daß ein unvernünftiges Thier so viel Spuren eines vernünftigen Geschöpfes offenbare. Ich zeigte auf jedes Ding, fragte nach dem Namen, zeichnete denselben in meinem Tagebuche auf, wenn ich allein war, und verbesserte dadurch den Accent, daß ich die Mitglieder der Familie ersuchte, die Worte mir öfter vorzusprechen. Bei dieser Beschäftigung war mir der fuchsrothe Klepper, einer der unteren Bedienten, im höchsten Grade nützlich.

Die Hauyhnhnms sprechen hauptsächlich durch die Nase in die Kehle aus. Ihre Sprache kommt von allen europäischen, die ich kenne, dem Hochdeutschen am nächsten, sie ist aber bei Weitem zierlicher und ausdrucksvoller. Kaiser Karl V. machte dieselbe Bemerkung, indem er sagte, spreche er je zu seinem Pferde, so werde dies im Hochdeutschen geschehen.

Die Neugier und Ungeduld meines Herrn war so groß, daß er seine Mußestunden oft damit zubrachte, mich zu unterrichten. Er war überzeugt (wie er mir nachher sagte) ich sey ein Yähu; indeß meine Gelehrigkeit, Höflichkeit und Reinlichkeit setzten ihn in Erstaunen; jene Eigenschaften waren nämlich denen der Yähus durchaus entgegengesetzt. Er war sehr in Verlegenheit hinsichtlich meiner Kleider, und dachte öfter bei sich, sie müßten ein Theil meines Leibes seyn; ich legte sie nämlich nie ab, als bis die Familie eingeschlafen war, und zog sie wieder an, bevor sie des Morgens eintrat. Mein Herr war begierig zu erfahren, woher ich käme, wie ich mir diesen Anschein der Vernunft erworben habe, die ich in allen meinen Handlungen zeige; ferner wünschte er auch meine Geschichte aus meinem eigenen Munde zu hören; er hoffte ich würde bei den großen Fortschritten, die ich in Erlernung der Worte und Sätze mache, bald im Stande seyn, ihm dieselbe zu erzählen. Um mein Gedächtniß zu unterstützen, schrieb ich Alles, was ich erlernt hatte, im englischen Alphabete nieder, und fügte bei den Worten die Uebersetzung hinzu. Es kostete viel Mühe, ihm auseinanderzusetzen, was ich vorhabe, denn die Einwohner haben nicht den geringsten Begriff von Büchern und Literatur.

Nach ungefähr zehn Wochen war ich im Stande die meisten seiner Fragen zu verstehen, nach drei Monaten konnte ich ihm erträgliche Antworten geben. Er war außerordentlich neugierig zu erfahren, aus welchem Theile des Landes ich gekommen sey, und wie ich gelernt habe, vernünftige Geschöpfe nachzuahmen, weil die Yähus (denen ich in Gesicht, Kopf und Händen gleiche, den allein sichtbaren Theilen) die ungelehrigsten aller Thiere seyen, obgleich sie einen größeren Anschein von List, und die stärkste Neigung zum Unheil zeigten. Ich erwiderte, ich sey über die See von einem sehr entfernten Platze mit vielen andern meines Geschlechtes in einem großen hohlen Gefäße, aus dem Holze der Bäume verfertigt, hergekommen. Meine Gefährten hätten mich gezwungen auf dieser Küste zu landen, und mich alsdann verlassen, damit ich für mich selbst sorgen möge. Nur mit Schwierigkeit und durch viele Zeichen brachte ich ihn dahin, daß er mich verstand. Er antwortete: Ich müsse mich nothwendig irren, oder habe Dinge gesagt, welche nicht existirten. (Die Hauyhnhnms haben in ihrer Sprache kein Wort, welches Lüge oder Falschheit ausdrückt). Er wisse, es sey unmöglich, daß sich noch ein Land jenseits des Meeres befinde, und daß ein Haufen Thiere auf dem Wasser ein hölzernes Gefäß nach Belieben leiten könnte. Er wisse ferner, kein Hauyhnhnm könne solch ein Gefäß verfertigen, und würde dessen Leitung den Yähus auch nimmer anvertrauen.

Das Wort Hauyhnhnm bezeichnet in der Landessprache ein Pferd und in seiner Etymologie die Vollkommenheit der Natur. Ich sagte meinem Herrn: Jetzt sey ich noch in Verlegenheit hinsichtlich der Ausdrücke; ich würde diesem Mangel jedoch so schnell wie möglich abhelfen, und hoffe in kurzer Zeit im Stande zu seyn, ihm wunderbare Dinge zu sagen. Er hatte die Güte, seiner eigenen Stute, seinen beiden Füllen und den Bedienten der Familie Befehl zu ertheilen, jede Gelegenheit zu meinem Unterrichte zu benutzen. Jeden Tag gab er sich zwei oder drei Stunden lang selbst die Mühe. Mehrere Hengste und Stuten von Stande aus der Nachbarschaft kamen oft in unser Haus, nachdem das Gerücht von einem wunderbaren Yähu verbreitet war, der wie ein Hauyhnhnm sprechen könne, und in allen Worten und Handlungen einige Funken von Vernunft offenbare. Diese fanden Vergnügen daran, sich mit mir zu unterhalten; sie legten mir mehrere Fragen vor und erhielten solche Antworten, wie ich sie geben konnte. Durch alle diese Vortheile machte ich so bedeutende Fortschritte, daß ich in fünf Monaten nach meiner Ankunft alles verstand, was mir gesagt wurde, und daß ich mich ziemlich deutlich ausdrücken konnte.

Die Hauyhnhnms, welche meinen Herrn besuchten, um mich zu sehen und um mit mir zu sprechen, konnten kaum glauben, ich sey ein wirklicher Yähu, weil mein Körper eine andere Bedeckung habe, wie die Übrigen meines Geschlechtes. Sie erstaunten, mich ohne Haar und Haut, mit Ausnahme meines Kopfes und meiner Hände, zu sehen, allein ich hatte dies Geheimniß meinem Herrn nach einem Ereigniß entdeckt, welches ungefähr vierzehn Tage vorher vorgefallen war.

Ich habe dem Leser schon gesagt, daß es jede Nacht meine Gewohnheit war, mich auszuziehen und mit meinen Kleidern zu bedecken, sobald die Familie zu Bett gegangen war.

Einst geschah es, daß mein Herr mich eines Morgens früh durch den fuchsrothen Klepper holen ließ, welcher sein Bedienter war. Als er kam, war ich noch fest eingeschlafen, meine Kleider waren an einer Seite heruntergefallen und mein Hemd über den Leib abgestreift. Ich erwachte bei dem Geräusch das er machte, und bemerkte, daß er seiner Botschaft sich mit einiger Verlegenheit entledigte; hierauf ging er zu meinem Herrn und gab demselben mit einigem Schrecken einen verwirrten Bericht von dem, was er gesehen hatte.

Dies bemerkte ich sogleich; als ich nämlich angekleidet war und meine Aufwartung Seiner Gnaden gemacht hatte, fragte sie mich nach der Bedeutung des Berichtes, den ihr der Diener gegeben habe; ich sey nämlich nicht dasselbe Geschöpf im Schlafe, welches ich in anderen Zeiten zu seyn scheine; sein Diener habe ihm die Versicherung gegeben, ein Theil von mir sey weiß, ein anderer gelb oder wenigstens nicht so weiß und einige andere Theile sogar von brauner Farbe. Bis dahin hatte ich das Geheimniß meiner Kleidung verhehlt, um mich so viel wie möglich von jenem verfluchten Geschlecht der Yähus zu unterscheiden; jetzt aber fand ich, dies sey mir nicht länger möglich. Außerdem überlegte ich, meine Kleider und Schuhe würden bald abgenützt seyn, denn sie waren schon in abnehmendem Zustande, und ich mußte sie durch irgend ein Mittel aus den Fellen der Yähus oder anderer Thiere wieder ersetzen. Dadurch hätte das Geheimniß ohnedem verrathen werden müssen. Somit sagte ich meinem Herrn: In dem Lande, woher ich komme, bedecke sich das ganze Geschlecht, wozu ich gehöre, den Leib mit Haaren verschiedener Thiere, welche man künstlich zubereite. Dies geschehe sowohl des Anstandes wegen, als auch um die unangenehmen Einflüsse der Luft, sowohl in Hitze wie in Kälte, zu vermeiden. Was mich selbst betreffe, so wolle ich ihn sogleich hievon überzeugen, wenn er die Güte habe, mir den Befehl zu ertheilen. Ich bitte allein um Verzeihung, wenn ich diejenigen Theile nicht bloßstelle, deren Verheimlichung uns die Natur gebiete. Er antwortete: Meine Rede sey sonderbar, besonders aber der letztere Theil; er könne nicht begreifen, weßhalb die Natur uns zu verheimlichen lehre, was sie uns gegeben habe. Weder er noch seine Angehörigen schämten sich irgend eines Theiles an ihrem Leibe. Ich möge jedoch thun, was mir beliebe. Hierauf knöpfte ich meinen Rock auf und zog ihn aus, ebenso auch meine Weste. Alsdann legte ich Schuhe, Strümpfe und Beinkleider ab. Ich ließ mein Hemd bis an den Bauch herabfallen, zog den untern Theil herauf und befestigte es, wie einen Gürtel, um die Mitte meines Leibes, meine Naktheit zu verbergen.

Mein Herr beobachtete mein ganzes Verfahren mit den Zeichen großer Neugier und Verwunderung. Er nahm alle meine Kleider mit dem Fußgelenke auf und untersuchte eines nach dem andern mit vieler Genauigkeit, alsdann streichelte er sanft meinen Leib und besah mich von allen Seiten. Hierauf sagte er: Ich sey ein vollkommener Yähu, sey jedoch von den Uebrigen meines Geschlechtes in der Weiße und Sanftheit meiner Haut sehr verschieden; ferner auch durch den Mangel an Haar an mehreren Theilen meines Körpers; durch die Form und die Größe meiner Vorder- und Hinterklauen; endlich auchdurch mein Bestreben, fortwährend auf meinen Hinterpfoten zu gehen. Er wünschte Nichts weiter zu sehen und ertheilte mir Erlaubniß, meine Kleider wieder anzulegen, denn ich schauderte vor Kälte.

Ich sagte ihm wie unangenehm es mir sey, daß die Benennung Yähu, dieses verhaßten Thieres, gegen welches ich den äußersten Haß und Verachtung hege, mir so häufig beigelegt werde, und bat ihn deßhalb, er möge das Wort nicht ferner auf mich anwenden und dasselbe seiner Familie und seinen Freunden sagen, denen er erlaube mich zu besuchen. Ich bat ihn ferner, das Geheimniß meiner falschen Körperbedeckung zu bewahren, so lange meine gegenwärtige Kleidung aushalten würde, denn wie sein Diener, der fuchsrothe Klepper, bemerkt habe, werde es im Interesse seiner Ehre seyn, nicht davon zu reden.

Zu Allem dem gab mein Herr sehr gnädig seine Einwilligung, und so wurde das Geheimniß bewahrt, bis meine Kleider abgenutzt waren, so daß ich genöthigt wurde, dieselben auf verschiedene Weise zu ersetzen, wie ich nachher beschreiben werde. Alsdann sprach er seinen Wunsch aus, ich möge unterdessen die Landessprache erlernen. Er sey nämlich über meine Fähigkeit der Rede und Vernunft noch sehr erstaunt, als über die Gestalt meines Körpers, ich möge mich bedecken oder nicht. Auch warte er voll Ungeduld auf die wunderbaren Dinge, die ich ihm erzählen wolle.

Von da an verdoppelte er seine Mühe mich zu unterrichten; er brachte mich in alle Gesellschaften und trug Sorge, daß ich höflich behandelt wurde; er sagte nämlich seinen Freunden insgeheim, dies werde mich in guter Laune erhalten und mich für sie unterhaltender machen.

An jedem Tage legte er mir mehrere Fragen, in Betreff meiner, vor, die ich so gut wie möglich beantwortete; hiedurch hatte er bereits einige allgemeine Ideen erlangt, ob diese gleich noch sehr unvollkommen waren. Es würde langweilig seyn, das ganze Verfahren darzustellen, wodurch ich zu einer regelmäßigen Unterhaltung gelangte. Der erste Bericht, den ich jedoch in einiger Ordnung und Länge von mir gab, war folgender Art:

Ich sey aus einem sehr entfernten Lande gekommen, nebst fünfzig Andern meines Geschlechtes; wir seyen in einem großen hölzernen Gefäß, welches bei Weitem größer sey, als das Haus Ihrer Gnaden, über das Meer gereist. Ich beschrieb ihm das Schiff so gut wie möglich, und erklärte ihm durch mein Schnupftuch, wie der Wind es vorwärts treibe. Nach einem Zwiste unter uns, sey ich hier an der Küste ausgesetzt worden und weiter gegangen, ohne zu wissen wohin, bis er mich von der Verfolgung der verabscheuungswürdigen Yähus befreit habe. Mein Herr fragte mich hierauf, wie das Schiff gebaut sey, und wie die Hauyhnhnms des Landes dasselbe der Führung von Thieren überlassen könnten. Meine Antwort war: Ich würde in meinem Berichte nicht fortzufahren wagen, wenn er mir nicht sein Wort gebe, daß er sich nicht ärgern wolle, und alsdann würde ich ihm die Wunder erzählen, die ich so oft versprochen. Er bewilligte meine Bitte, und ich gab ihm dann die Versicherung, das Schiff sey von Geschöpfen, die mir gleichen, verfertigt. In meinem Vaterlande, so wie in allen Ländern, die ich durchreiste, seyen die Yähus allein die vernünftigen und regierenden Thiere; bei meiner Ankunft sey ich so erstaunt gewesen, als ich ihn erblickte, daß die Hauyhnhnms als vernünftige Geschöpfe handelten, wie er und seine Freunde sich verwunderten, einige Spuren von Vernunft bei einem Geschöpfe zu finden, das er Yähu zu nennen die Güte habe. Ich gestand ein, daß ich den Yähus in jedem Theile meines Körpers gleiche, daß ich mir jedoch ihre ausgeartete und viehische Natur nicht erklären könne. Ich sagte ferner: Wenn das Glück mich jemals in mein Vaterland zurückführe, um meine Reise hieher, wie ich beschlossen habe, zu erzählen, so würde mir Jeder glauben, ich habe etwas berichtet, was nirgends existire, und hätte eine Geschichte in’s Blaue erfunden; ich müsse bei aller Achtung, die ich gegen ihn, seine Familie und Freunde hege, und unter der Bedingung, daß er sich nicht beleidigt fühle, offen eingestehen, daß meine Landsleute mir schwerlich glauben werden, ein Hauyhnhnm sey das herrschende Geschöpf einer Nation und der Yähu das Vieh.

Kapitel 4


Kapitel 4 Begriff der Hauyhnhnms von Wahrheit und Falschheit. Des Verfassers Bericht wird von seinem Herrn nicht gebilligt. Der Verfasser gibt einen genaueren Bericht über sich selbst und die Ereignisse seiner Reise.

Mein Herr hörte mich mit Zeichen des Aergers in seinen Zügen an, denn Bezweifeln oder Nichtglauben ist in diesem Lande so wenig bekannt, daß die Einwohner nicht sagen können, wie sie sich unter solchen Umstanden zu benehmen haben. Auch erinnere ich mich mehrerer Unterredungen mit meinem Herrn, wo ich gelegentlich von Lügen und falscher Darstellung sprach, da wir uns gerade über die Natur der Mannheit in andern Ländern unterhielten, so daß er nur mit Schwierigkeit den Sinn meiner Worte verstand, ob er gleich sonst eine scharfsinnige Urtheilsgabe besaß. Seine Schlußfolge war nämlich diese: der Gebrauch der Rede ist uns zum gegenseitigen Verständniß und zur Kenntniß der Thatsachen gegeben. Sagt nun Jemand irgend etwas, welches nicht existirt, so wird der Zweck verfehlt, weil man ja von mir nicht sagen kann, daß ich den Sinn seiner Rede begreife, auch bin ich so weit davon entfernt, etwas mir Neues zu erfahren, daß ich schlimmer daran bin, als wüßte ich gar Nichts; ich glaube zuletzt etwas Weißes sey schwarz, und etwas Kurzes lang. Dieses waren alle Begriffe, die er über das Vermögen des Lügens besaß, welches von allen Menschengeschöpfen so vollkommen verstanden und so allgemein ausgeübt wird.

Ich kehre von dieser Abschweifung zurück. Als ich behauptete, die Yähus seyen ausschließlich in meinem Vaterlande die herrschenden Thiere, sagte mein Herr, dies übersteige seine Begriffe. Alsdann wünschte er zu wissen, ob wir auch Hauyhnhnms hätten und wie dieselben beschäftigt wären. Ich erwiderte ihm, wir besäßen eine große Anzahl Hauyhnhnms; sie grasten im Sommer auf den Wiesen und würden des Winters in Häusern mit Heu und Hafer ernährt; Yähu-Bedienten wären bei ihnen angestellt, um ihre Haut rein zu striegeln, ihre Mähnen zu kämmen, ihre Hufe zu untersuchen, ihnen Futter zu reichen und ihr Bett zu machen. Ich verstehe Dich wohl, sagte mein Herr, wie sehr die Yähus auch auf die Vernunft Anspruch machen, sind die Hauyhnhums dennoch die Herren. Ich wünsche nur, daß man mit Euren Yähus eben so gut umgehen kann.

Ich bat ihn: Seine Gnaden möge mich entschuldigen, daß ich nicht weiter fortfahre. Ich sey überzeugt, der Bericht, den ich Ihr geben werde, müsse Ihr im höchsten Grade mißfallen. Mein Herr bestand jedoch auf seinem Befehle, ihm Gutes und Schlimmes zu sagen. Alsdann berichtete ich, um ihm zu gehorchen: Die Hauyhnhums, die wir bei uns Pferde nennen, seyen die großmüthigsten und zierlichsten Thiere, die wir besitzen, sie hätten ausgezeichnete Vorzüge durch Körperkraft und Schnelligkeit; wenn sie Personen von Stande gehörten, würden sie zu Reisen, Wettrennen und Wagenziehen gebraucht. Sie würden sehr sorgfältig und gütig behandelt, bis sie krank oder an den Füßen lahm wären.

Alsdann aber verkaufe man sie und placke sie auf jede nur mögliche Art, bis sie todt seyen; hierauf ziehe man ihnen die Haut ab und verkaufe dieselbe nach dem Werthe; den Leichnam aber lasse man von Hunden und Raubvögeln verschlingen.

Die gewöhnliche Pferderace sey jedoch nicht so glücklich; sie werde von Pächtern, Fuhrleuten und anderem gemeinen Volke gehalten, welche eine größere Arbeit verlangen und schlechteres Futter geben.

Ich beschrieb so gut wie möglich unsere Art zu reiten

die Form und den Gebrauch des Zaums,

des Sattels,

des Sporns,

der Peitsche, des Geschirrs und der Räder.

Ich fügte hinzu: Wir befestigen Platten von einer gewissen harten Substanz, welche wir Eisen nennen, unten an die Füße, um zu verhindern, daß die Hufe nicht auf steinigen Wegen zerbrechen, auf denen wir gewöhnlich reiten.

Nachdem mein Herr seinen Unwillen ausgedrückt hatte, sprach er sein Erstaunen aus, wie wir uns auf den Rücken eines Hauyhnhnm wagen könnten; er sey überzeugt, der schwächste Diener seines Hauses sey im Stande, den stärksten Yähu abzuwerfen, oder wenn er sich niederwerfe und auf dem Rücken rolle, jenes Thier zu Tode zudrücken. Ich erwiderte, unsere Pferde würden vom dritten und vierten Jahre an für den Zweck, den wir beabsichtigen, zugeritten; würden einige von ihnen als schlecht erkannt, so gebrauche man sie zum Wagen ziehen; für jede boshafte Laune würden sie in ihrer Jugend gehörig gepeitscht; die Hengste, die man zum gewöhnlichen Reiten oder Ziehen bestimme, würden gewöhnlich im zweiten Jahre nach ihrer Geburt verschnitten, um ihren Muth zu vermindern, und um sie zahmer und sanfter zu machen; sie seyen allerdings für Belohnungen und Strafen empfänglich, allein Seine Gnaden möge bedenken, daß sie nicht die geringste Spur von Vernunft besäßen, eben so wenig, wie die Yähus in diesem Lande.

Ich benutzte viele Umschreibungen, um meinem Herrn eine richtige Idee von Allem, was ich gesagt hatte, beizubringen; die Sprache der Hauyhnhnms ist nämlich nicht sehr reich an Worten, weil ihre Bedürfnisse und Leidenschaften beiweitem geringer sind wie bei uns. Es ist mir jedoch unmöglich, seinen edlen Unwillen über die harte Weise, womit wir die Hauyhnhnms behandeln, zu beschreiben; besonders nachdem ich ihm die Art und Weise erklärte, wie wir die Pferde bei uns verschneiden, um zu verhindern, daß sie ihr Geschlecht fortpflanzen, und um ihren Sinn zur Sklaverei herabzustimmen. Mein Herr sagte: Wenn es möglicherweise ein Land geben könne, wo nur die Yähus Vernunft besäßen, so müßten sie nothwendig die herrschende Thierrace bilden. Vernunft werde mit der Zeit stets die brutale Gewalt besiegen. Wenn er jedoch die Form unserer Körper, und vorzüglich die des meinigen, betrachte, so müsse er auf die Vermuthung gerathen, kein Geschöpf von meinem Bau müsse für die Anwendung der Vernunft in den gewöhnlichen Geschäften des Lebens so schlecht geeignet seyn. Er wünsche deßhalb zu wissen, ob meine Landsleute mir oder den Yähus seines Vaterlandes glichen. Ich gab ihm die Versicherung, ich sey so gebaut, wie die meisten meines Alters; die Jüngeren und die Frauen seyen jedoch bei Weitem zarter und sanfter, und die Haut der letzteren gewöhnlich so weiß wie Milch. Er erwiderte: Ich sey wirklich von anderen Yähus sehr verschieden, reinlicher und nicht so häßlich; hinsichtlich des wirklichen Nutzens sey ich jedoch, wie er glaube, im Nachtheil; meine Nägel könne ich weder an den Vorder- noch Hinterfüßen gebrauchen; meine Vorderfüße könne er nicht mit diesem Namen bezeichnen, denn er habe nie bemerkt, daß ich auf denselben einhergehe; sie seyen zu sanft, um die Härte des Bodens zu ertragen; ich halte sie gewöhnlich nicht bedeckt; die Bedeckung jedoch, die ich dabei anwende, sey nicht von derselben Form und auch nicht so stark wie bei den Hinterfüßen; ich könne mit keiner Sicherheit gehen, denn sobald einer meiner Hinterfüße ausgleite, so müsse ich unfehlbar zu Boden fallen. Alsdann fand er auch an andern Theilen meines Körpers Manches auszusetzen: die Flachheit meines Gesichts, die Hervorragung meiner Nase, die Stellung meiner Augen vor der Stirne, so daß ich nicht nach beiden Seiten hin sehen könnte, ohne den Kopf umzuwenden; ich sey nicht im Stande mich zu ernähren, ohne meinen Vorderfuß zum Munde zu erheben, weßhalb auch die Natur jene Gelenke so gestellt habe, daß sie dem Bedürfniß entsprächen.

Er könne nicht begreifen, wozu die vielen Gelenke und Abtheilungen an meinen Hinterfüßen dienten; sie seyen zu weich um die Härte und Schärfe der Steine zu ertragen, wenn ich nicht die Haut von andern Thieren zu Hülfe nehme; mein ganzer Leib bedürfe des Schutzes gegen Hitze und Kälte, den ich täglich mit einem lästigen Verfahren anziehen und ablegen müsse; zuletzt auch bemerkte er, jedes Thier in diesem Lande weiche den Yähus aus, welche von Schwächeren vermieden, von den Stärkeren zurückgetrieben würden. Wenn er nun auch zugäbe, daß wir Vernunft besäßen, so könne er deßhalb dennoch nicht begreifen, wie wir jene natürliche Abneigung überwänden, wie wir überhaupt jene andern Thiere zähmten und uns dienstbar machten. Er wolle jedoch mit mir über diese Angelegenheit nicht streiten, sondern wünsche meine eigene Geschichte, das Land, wo ich geboren sey und die verschiedenen Handlungen und Ereignisse meines Lebens, bevor ich hieher gekommen, zu erfahren. Ich gab ihm die Versicherung, daß ich ihn in jedem Punkte zufrieden zu stellen wünsche. Ich bezweifle jedoch, daß es mir möglich seyn werde, in vielen Punkten mich deutlich auszudrücken, wovon Seine Gnaden keinen Begriff haben könne, weil ich Nichts in diesem Lande sehe, womit ich dieselben zu vergleichen vermöge. Ich würde jedoch mein Möglichstes thun und mich durch Gleichnisse verständlich zu machen suchen, und bitte demüthig Seine Gnaden, Sie möge mir behülflich seyn, wenn ich der passenden Worte bedürfen sollte, was Sie auch die Güte hatte mir zu versprechen.

Ich sagte, wie ich von ehrlichen Eltern, auf einer Insel mit Namen England, geboren sey; dieselbe liege von diesem Lande so viele Tagereisen entfernt, wie der stärkste Diener Seiner Gnaden in dem jährlichen Laufe der Sonne zurücklegen könne. Ich sey als Wundarzt erzogen worden, zu einem Stande, welcher Wunden und Verletzungen am Körper, die man durch Gewaltthätigkeit oder Zufall erlange, wieder heile. Mein Vaterland werde von einem weiblichen Menschen, welcher Königin heiße, beherrscht; auf meiner letzten Reise sey ich der Befehlshaber eines Schiffes gewesen und habe fünfzig Yähus unter mir gehabt. Von diesen seyen viele zur See gestorben, so daß ich dieselben durch Andere aus verschiedenen Nationen hätte ersetzen müssen. Unser Schiff sey zweimal in Gefahr gewesen zu sinken, das erstemal durch einen heftigen Sturm, und das zweitemal durch einen Stoß gegen Felsen. Hier unterbrach mich mein Herr mit der Frage, wie ich Fremde von verschiedenen Ländern nach so vielen Verlusten und Wagnissen hätte überreden können, sich mit mir auf das Meer zu wagen. Ich sagte, es wären Leute in verzweifelten Umständen, welche gezwungen worden seyen, wegen Verbrechen oder Armuth aus ihrem Vaterlande zu fliehen. Einige seyen durch Processe zu Grunde gerichtet worden, Andere hätten all ihr Vermögen im Trinken, Spielen und anderen Ausschweifungen verschwendet; Andere seyen wegen Hochverrats, Andere wegen eines Mordes, Diebstahls, wegen Vergiftung, Raub, Meineid, Fälschung, Falschmünzerei, Nothzucht und wegen unnatürlicher Laster, wegen Desertion oder wegen des Ueberlaufens zum Feinde geflohen; die Meisten hätten Gefängnisse erbrochen. Keiner wage in sein Vaterland zurückzukehren, aus Furcht, gehängt zu werden, oder in einem Gefängnisse zu verhungern; deßhalb seyen sie gezwungen, ihren Lebensunterhalt an andern Orten sich zu erwerben.

Während dieser Unterredung hatte mein Herr mehrere Male die Güte, mich zu unterbrechen. Ich mußte häufige Umschreibungen gebrauchen, um ihm die Natur der verschiedenen Verbrechen darzustellen, wegen welcher ein Theil meiner Schiffsmannschaft gezwungen war, aus dem Vaterlande zu fliehen. Diese Arbeit erforderte ein Gespräch von mehreren Tagen, bevor er mich verstehen konnte. Er war durchaus nicht im Stande zu begreifen, wozu die Ausübung dieser Laster nothwendig und nützlich sey. Um ihm dieses klar zu machen, suchte ich ihm einen Begriff von dem Wunsche, Reichthümer und Macht zu erwerben, beizubringen; ferner auch von den furchtbaren Folgen der Wollust, Unmäßigkeit, der Bosheit und des Neides. Alles dies mußte ich durch Beispiele und durch erfundene Fälle ihm erläutern. Hierauf glich er einem Menschen, der über etwas früher nie Gesehenes und Gehörtes, von dem heftigsten Erstaunen ergriffen wird. Er erhob seine Augen mit Schrecken und Unwillen. Für Macht, Regierung, Krieg, Gesetz, Strafe und für tausend andere Dinge fand sich kein Ausdruck in jener Sprache; dadurch ward die Schwierigkeit, meinem Herrn einen allgemeinen Begriff von dem, was ich sagen wollte, zu geben, beinahe unüberwindlich. Da er jedoch einen ausgezeichneten und durch Ueberlegung, so wie auch durch Gespräch gebildeten Verstand besaß, erwarb er sich zuletzt ein competentes Urtheil über Alles, was die Menschennatur in unseren Welttheilen auszuführen im Stande ist; er bat mich deßhalb, ihm einen besonderen Bericht von dem Lande, welches Europa heißt, besonders aber von meinem Vaterlande zu geben.

Kapitel 5


Kapitel 5 Der Verfasser gibt seinem Herrn, auf dessen Befehl, einen Bericht über den Zustand von England. Die Ursachen der Kriege unter den europäischen Fürsten. Der Verfasser beginnt mit Darstellung der englischen Staatsverfassung.

Leser, du mußt gütigst in Acht nehmen, daß der folgende Auszug vieler Gespräche, die ich mit meinem Herrn hielt, den Inbegriff der wesentlichsten Punkte enthält, die ungefähr zwei Jahre lang zu verschiedenen Malen besprochen wurden. Seine Gnaden verlangte nämlich häufig eine genügendere Auskunft, nachdem ich in der Hauyhnhnm-Sprache größere Fortschritte gemacht hatte.

Ich stellte meinem Herrn so gut wie möglich den ganzen Zustand von Europa dar; ich sprach von Handel und Manufakturen, von Künsten und Wissenschaften, und die Antworten, die ich ihm auf alle Fragen gab, die bei den verschiedenen Gegenständen sich darboten, lieferten unerschöpflichen Stoff zum Gespräche. Ich werde hier jedoch allein die Hauptsache von demjenigen niederschreiben, was mein Vaterland betrifft, indem ich es so gut wie möglich ordne, wobei ich jedoch auf Zeit und andere Umstände wenig Rücksicht nehme, und mich allein streng an die Wahrheit halte. Es thut mir leid, daß ich kaum im Stande seyn werde, der Beweisführung und der Ausdrucksweise meines Herrn Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Beide müssen durch meine geringere Auffassungsgabe, so wie durch die Uebersetzung in unser barbarisches Englisch nothwendig viel Nachtheil erleiden.

Um den Befehlen Seiner Gnaden zu gehorchen, erzählte ich Ihr deßhalb die Revolution unter dem Prinzen von Oranien, den langen Krieg mit Frankreich, welchen der genannte Fürst begann, und den seine Nachfolgerin, die gegenwärtige Königin[Fußnote] erneuete. Wie alle großen Mächte der Christenheit daran Theil nahmen, und wie er jetzt noch fortgesetzt wird.[Fußnote] Ich berechnete, auf seine Bitte, daß ungefähr eine Million Yähus im Verlauf desselben umgekommen seyen, ungefähr hundert Städte, oder eine noch größere Anzahl, sey eingenommen und fünfmal so viel Schiffe verbrannt oder versenkt worden.

Mein Herr fragte mich alsdann, welche Beweggründe dergleichen Kriege gewöhnlich bewirkten. Ich erwiderte, die Ursachen seyen unzählig; ich würde nur einige der hauptsächlichsten erwähnen. Bisweilen würden Kriege durch Fürsten bewirkt, welche niemals glaubten, daß sie Land und Leute genug zu beherrschen hätten; bisweilen auch durch die Verderbniß der Minister, welche ihren Herrn in einen Krieg verwickelten, um das Geschrei der Unterthanen über eine schlechte Regierung zu ersticken, oder demselben eine andere Richtung zu geben; Verschiedenheit der Meinungen habe mehrere Millionen Leben gekostet, ob Fleisch Brod, oder Brod Fleisch sey, ob der Saft einer gewissen Beere in Blut oder Wein bestehe; ob man das Pfeifen als Laster oder Tugend annehmen müsse; ob es besser sey, einen Pfahl zu küssen oder in das Feuer zu werfen; wie man sich am besten bekleiden müsse, schwarz, weiß, roth oder grau; ob der Rock lang oder kurz, eng oder weit, schmutzig oder reinlich seyn solle. Auch seyen keine Kriege so wüthend und blutig und dauerten so lange, wie diejenigen, welche durch Verschiedenheit der Meinungen erregt würden, besonders wenn die streitigen Gegenstände unbedeutend seyen.

Bisweilen entstehe der Zank zwischen zwei Fürsten, um zu entscheiden, wer von ihnen einen dritten außer Besitz, in Betreff seiner Länder, setzen solle, wo jedoch keiner auf ein Recht Anspruch machen dürfe; bisweilen zanke der eine Fürst mit dem andern, aus Besorgniß, dieser werde Zank mit ihm anfangen; bisweilen weil er zu schwach sey; bisweilen, fuhr ich fort, wollen unsere Nachbarn Etwas haben, was wir besitzen, oder sie besitzen die Dinge, die wir haben wollen, und dann kämpfen wir beide, bis sie unsere Dinge nehmen, oder wir die ihrigen haben. Es ist eine leicht zu rechtfertigende Ursache des Krieges, ein Land anzugreifen, wenn das Volk durch Hungersnoth geschwächt, durch Pest zerstört und durch bürgerlichen Parteikampf verwirrt ist. Es ist leicht zu rechtfertigen, wenn wir unseren nächsten Alliirten den Krieg erklären, sobald eine seiner Städte für uns sich eignet, oder wenn ein Landstrich eine solche Lage hat, daß er unsere Besitzthümer abgerundet und zusammenhängend macht. Wenn ein Fürst seine Streitkräfte einer Nation sendet, wo das Volk arm und unwissend ist, so darf er mit Recht die eine Hälfte tödten und die andere zu Sklaven machen, um sie zu civilisiren und sie von ihrer barbarischen Lebensweise abzubringen. Es ist ferner, im Fall ein Fürst die Hülfe eines andern nachsucht, um sich vor fremdem Angriff zu retten, ein königliches, ehrenvolles und häufiges Verfahren, daß der Bundesgenosse, wenn er den angreifenden Feind vertrieben hat, das Land für sich selbst in Besitz nimmt und den erretteten Fürsten tödtet, verhaftet oder verbannt. Verbindung durch Blutsverwandtschaft oder Ehe ist eine häufige Ursache zu Kriegen zwischen Fürsten, und je näher die Verwandtschaft ist, desto größer ist auch die Neigung zu Zwist. Arme Nationen sind hungrig, reiche sind stolz; Stolz und Hunger wird stets mit einander in Streit gerathen. Deßhalb wird das Handwerk eines Soldaten für das ehrenvollste von allen gehalten. Ein Soldat ist nämlich ein Yähu, der gemiethet wird, so viele Individuen seiner Gattung wie möglich, die ihn nie beleidigt haben, mit kaltem Blute zu tödten. Es gibt ferner eine Art bettelhafter Fürsten in Europa, welche nicht selbst im Stande sind, Kriege zu führen, und deßhalb ihre Truppen an reichere Nationen für einen bestimmten Sold vermiethen. Davon behalten sie drei Viertel für sich selbst, und dies ist das beste Einkommen für ihren Unterhalt. Dergleichen gibt es in mehreren Theilen Europas.

Mein Herr erwiderte: Was Ihr mir über den Krieg gesagt habt, zeigt wirklich auf bewunderungswürdige Weise, daß Ihr der Vernunft entbehrt, worauf Ihr dennoch Anspruch macht; es scheint jedoch ein glücklicher Umstand, daß die Scham größer als die Gefahr ist, und daß die Natur Euch so gebildet hat, daß Ihr nicht viel Unheil anrichten könnt. Da nämlich Euer Mund flach am Gesichte liegt, so könnt Ihr, ohne gegenseitige Einwilligung, einander nicht beißen. Eure Klauen ferner, an Euren Vorder- und Hinterpfoten, sind so kurz und weich, daß Einer unserer Yähus ein Dutzend der Euren vor sich hertreiben kann. Berechne ich deßhalb die Anzahl derjenigen, die Ihr anführtet, als in einer Schlacht getödtet, so muß ich glauben, daß Ihr etwas gesagt habt, was nicht existirt.

Ich konnte es nicht unterlassen, über seine Unwissenheit den Kopf zu schütteln und ein wenig zu lächeln. Da ich nun selbst mit der Kriegskunst nicht unbekannt war, gab ich ihm eine Beschreibung von Kanonen, Feldschlangen, Musketen, Karabinern, Kugeln, Pistolen, Pulver, Degen, Schlachten, Belagerungen, Rückzügen, Angriffen, Minen, Contreminen, Bombardements, Seeschlachten, Schiffen mit tausend Mann die untergingen, zwanzigtausend Mann, die auf beiden Seiten fielen, dem Wimmern der Sterbenden, Gliedern, die in die Luft aufflögen; von Rauch, Lärm, Verwirrung, wie Menschen durch Pferdehufe zertreten würden, von Flucht, Verfolgung, Sieg; wie die Felder alsdann mit Leichen besät seyen, welche als Futter für Wölfe, Hunde und Raubvögel liegen blieben; vom Plündern, Berauben, Nothzüchten, Verbrennen und Zerstören.

Um die Tapferkeit meiner theuern Landsleute darzulegen, fügte ich hinzu: ich habe gesehen, wie sie hundert Feinde bei einer Belagerung auf einmal in die Luft sprengten und dieselbe Zahl auf einem Schiffe; die todten Körper seyen stückweise von den Wolken, zur großen Ergötzung der Zuschauer, herabgefallen. Ich wollte noch mehr Einzelheiten hinzufügen, als mein Herr mir zu schweigen befahl. Er äußerte: Jeder, welcher mit der Natur der Yähus bekannt sey, werde bei einem so elenden Thiere Alles, was ich gesagt habe, für möglich halten, wenn Körperkraft und List ihrer Bosheit gleich kämen. Während nun aber mein Vortrag seinen Abscheu gegen das ganze Geschlecht vermehrt habe, sey dadurch zugleich in seiner Seele ein störendes Gefühl entstanden, das er bis jetzt durchaus nicht gekannt habe. Er glaube, seine Ohren möchten sich allmählig an so schändliche Worte gewöhnen, und sie dann auch mit geringerem Abscheu anhören; obgleich er die Yähus dieses Landes hasse, tadle er sie nicht mehr wegen ihrer Eigenschaften, als einen Gnnayh (einen Raubvogel) wegen seiner Grausamkeit, oder einen scharfen Stein, weil derselbe seinen Huf ritze. Wenn aber ein Geschöpf, welches Anspruch auf Vernunft mache, Fähigkeit zu solchen Scheußlichkeiten besitze, so besorge er, die Verderbniß dieser Eigenschaften werde noch schlimmer seyn, als die bloß thierische Rohheit. Er sey deßhalb vollkommen überzeugt, daß wir, anstatt der Vernunft, nur irgend eine Eigenschaft besäßen, welche sich dazu eigne, unsere natürlichen Laster zu vermehren, so wie der Wiederschein einer gestörten Wasserfläche, das Bild eines schlecht gebildeten Körpers nicht allein größer, sondern auch verdreht wiedergebe.

Er fügte hinzu: Sowohl in dieser, als in andern Unterredungen habe er schon zu viel über Krieg gehört. Jetzt könne er noch einen andern Punkt nicht recht begreifen. Ich habe ihm gesagt, einige Matrosen aus meiner Mannschaft hätten ihr Vaterland verlassen, weil sie durch das Recht ruinirt seyen. Ich habe ihm die Bedeutung des Wortes schon erklärt, er könne jedoch nicht begreifen, wie das Gesetz, welches man doch zur Erhaltung Aller bestimme, irgend Jemand zu Grunde richten könne. Deßhalb wünsche er, ich möge ihm eine weitere Erklärung von dem geben, was ich unter Recht, und unter Denjenigen verstehe, welche davon entbänden, und zwar nach dem gegenwärtigen Verfahren in meinem Vaterlande. Er glaube, Natur und Vernunft seyen vernünftigen Thieren genügende Führer, und wir machten ja auf Vernunft sehr viel Anspruch. Beide zeigten uns ja, was wir thun und vermeiden müßten.

Ich gab Seiner Gnaden die Versicherung, das Recht sey eine Wissenschaft, wovon ich nicht viel erlernt habe; ich habe nur bei manchen mir erwiesenen Ungerechtigkeiten Advokaten genommen, jedoch würde ich ihm alle mir mögliche Aufklärung geben.

Es gibt, fuhr ich fort, bei uns eine Gesellschaft Menschen, die von Jugend auf in der Kunst auferzogen werden, durch Worte, die man zu dem Zwecke vervielfacht, deutlich zu beweisen, Schwarz sey Weiß und Weiß sey Schwarz, natürlich im Verhältnis wie man bezahlt. Zum Beispiel, wenn mein Nachbar meine Kuh zu haben wünscht, so findet er auch einen Rechtsgelehrten, welcher beweisen will, er müsse meine Kuh von mir erhalten. Alsdann muß ich einen andern Rechtsgelehrten miethen, der mein Recht vertheidigt. Es widerstreitet nämlich allen Rechtsregeln, daß irgend Jemand für sich selbst sprechen darf. In diesem Fall bin ich, der rechtmäßige Eigenthümer, zwei großen Nachtheilen ausgesetzt; erstens ist mein Rechtsgelehrter, da er von der Wiege an gewöhnt war, Falschheiten zu vertheidigen, durchaus nicht in seinem Elemente, soll er als Advokat der Wahrheit auftreten. Dies ist nämlich ein unnatürlicher Dienst, den er mit großer Ungeschicklichkeit, wo nicht mit bösem Willen, leistet. Zweitens muß mein Advokat mit großer Vorsicht verfahren, sonst erhält er einen Verweis von den Richtern, und wird von den andern Advokaten als ein Mensch verabscheut, welcher die Rechtspraxis gern vermindern möchte. Deßhalb kann ich nur durch zwei Verfahrungsarten meine Kuh mir retten. Die erste besteht darin, daß ich den Rechtsgelehrten meines Gegners durch ein doppeltes Honorar für mich gewinne. Alsdann wird er seinen Clienten dadurch verrathen, daß er ihm zu verstehen gibt, ich habe das Recht auf meiner Seite. Die zweite Verfahrungsart besteht darin, daß mein Rechtsgelehrter meine Sache so ungünstig wie möglich darstellt, indem er zugibt, meine Kuh gehöre meinem Gegner; geschieht dies mit Geschicklichkeit, so wird dadurch die günstige Stimmung der Richter für mich gewonnen. Nun müssen Eure Gnaden wissen, daß diese Richter Personen sind, welche der Staat besoldet, um alle Fragen über Eigenthum zu entscheiden, so wie auch die Strafen der Criminalverbrecher. Man wählt sie aus den geschicktesten Rechtsgelehrten, welche alt und faul geworden sind. Da sie nun ihr ganzes Leben hindurch gegen Wahrheit und Billigkeit eingenommen wurden, sind sie der unglücklichen Nothwendigkeit unterworfen, daß sie Betrug, Meineid und Unterdrückung begünstigen. Einige habe ich gekannt, welche lieber eine große Bestechung von derjenigen Partei, die Recht hatte, ausschlugen, als daß sie den ganzen Stand dadurch beleidigt hätten, wenn sie eine der Natur ihres Amtes unwürdige Handlung begingen.

Es ist Grundsatz unter diesen Rechtsgelehrten, daß Alles, was früher geschehen ist, rechtmäßiger Weise wieder geschehen darf. Deßhalb notiren sie alle früheren Entscheidungen gegen Gerechtigkeit und den allgemeinen und gesunden Menschenverstand sorgfältig auf. Diese Urtheile heißen Präcedentien, und werden fortwährend als Autoritäten vorgebracht, um die unbilligsten Meinungen zu rechtfertigen, und die Richter unterlassen es nie, nach jenen Bestimmungen zu entscheiden.

Bei den Verhandlungen vermeiden die Advokaten und Richter sehr sorgfältig, auf die gute Seite ihres Processes einzugehen, sie werden laut, heftig und langweilig und verweilen bei allen Umständen, die nicht zum eigentlichen Zwecke führen. Zum Beispiel in dem oben erwähnten Falle wollen sie niemals wissen, welchen rechtlichen Anspruch mein Gegner auf meine Kuh besitzt, sondern ob er gesagt habe, die Kuh sey roth oder schwarz, mit langen oder kurzen Hörnern; ob das Feld, worauf sie grase rund oder viereckig sey; ob sie im Stall oder auf der Weide gemolken werde; an welchen Krankheiten sie leide u. s. w. Alsdann werden die Präcedentien um Rath gefragt, der Proceß wird von Zeit zu Zeit vertagt und nach zehn, zwölf, dreizehn Jahren endlich entschieden.

Ferner ist zu bemerken, daß diese Gesellschaft ein besonderes Rothwälsch oder einen Jargon besitzt, die kein anderer Mensch versteht, und worin alle Gesetze geschrieben sind. Mit besonderer Sorgfalt wird dasselbe vermehrt. Dadurch wird die wahre Essenz der Wahrheit und Falschheit des Rechtes und Unrechtes durch einander gemischt. Somit erfordert die Entscheidung, ob das Feld, welches von meinen Vorfahren durch sechs Generationen mir hinterlassen wurde, mir oder einem dreihundert Meilen weit entfernten Fremden gehört, die Zeit von dreißig Jahren.

In Processen der Personen, welche wegen eines Verbrechens gegen den Staat angeklagt wurden, ist die Verfahrungsart bei Weitem kürzer und empfehlenswerther. Der Richter sucht zuerst die Stimmung der Machthaber zu erforschen, und kann alsdann einen Verbrecher sehr leicht retten oder hängen lassen, indem er alle Rechtsformen mit der gehörigen Genauigkeit beobachtet.

Hier unterbrach mich mein Herr mit den Worten: Wie schade, daß Personen, welche nach meiner Beschreibung der Rechtsgelehrten so wunderbare Geistesfähigkeiten nothwendig besitzen müssen, nicht besser angestellt werden, um Andere in Weisheit und Kenntnissen zu unterrichten! Ich erwiderte, mit Ausnahme ihres eigenen Geschäftes seyen sie die unwissendsten, dümmsten Bewohner meines Vaterlandes, im gewöhnlichen Gespräch durchaus verächtlich, erklärte Feinde aller Wissenschaft und Gelehrsamkeit, überall geneigt, den gesunden Verstand auf den Kopf zu stellen, und jeden Gegenstand, worüber man spreche, in derselben Weise, wie in ihrem Geschäfte, zu verdrehen.

Kapitel 6


Kapitel 6 Die Beschreibung des Zustandes von England, unter der Königin Anna, wird fortgesetzt. Der Charakter eines Premierministers an europäischen Höfen.

Mein Herr konnte durchaus nicht begreifen, aus welchen Beweggründen dies Geschlecht der Rechtsgelehrten sich solche Verdrießlichkeit, Unruhe und Zänkerei unter ihrer eigenen Gilde errege und sich zu einem Bunde, welcher Ungerechtigkeit bezwecke, vereinige, und zwar ausschließlich, um den Nebenthieren Unrecht zuzufügen; auch konnte er den Sinn meiner Worte nicht verstehen, als ich ihm sagte, sie thäten dies gemiethet für ein Honorar. Es machte mir somit viele Mühe, ihm den Gebrauch des Geldes und die Stoffe, woraus es verfertigt wird, zu beschreiben. Ich sagte: Habe ein Yähu genügenden Vorrath an dieser kostbaren Substanz, so sey er im Stande, Alles sich anzuschaffen, was er zu besitzen wünsche, die schönsten Kleider, die prächtigsten Häuser, große Landstrecken, kostbare Speisen und Getränke; er könne unter den schönsten Frauen wählen. Da nun das Geld allein im Stande sey, alle diese Wünsche zu befriedigen, so glaubten unsre Yähus, sie könnten nie genug haben, um es auszugeben oder zu sparen, je nachdem sie durch ihren natürlichen Charakter Neigung zur Verschwendung oder zum Geize besäßen. Der Reiche genieße die Früchte von der Arbeit des Armen, und die Zahl der Reichen verhalte sich zu der von Armen wie Eins zu Tausend. Die Masse unsers Volkes werde gezwungen, jeden Tag um geringen Lohn zu arbeiten, damit Wenige im Ueberfluß leben könnten.

Ich sprach weitläuftig über diese und manche andere hieher gehörige Gegenstände, mein Herr konnte mich aber durchaus nicht verstehen, denn er ging von der Vermuthung aus, alle Thiere besäßen Antheil an den Produkten der Erde, vorzüglich aber diejenigen, welche die Uebrigen beherrschten. Deßhalb bat er mich, ihm zu sagen, worin jene kostbaren Speisen beständen, und weßhalb denn irgend Jemand ihrer bedürfe. Hierauf zählte ich ihm alle Gerichte auf, die mir gerade einfielen, sowie auch die Arten ihrer Zurichtung. Letzteres könne nicht geschehen, ohne daß Schiffe nach den verschiedenen Theilen der See ausgesendet würden, um Flüssigkeiten sowohl zum Getränk als zu Saucen und unzähligen andern Bequemlichkeiten herbeizuholen. Ich gab ihm die Versicherung, der ganze Erdkreis müsse dreimal umschifft werden, bevor ein vornehmer weiblicher Yähu ein Frühstück oder ein Geschirr zu demselben bekommen könne. Mein Herr antwortete, mein Vaterland müsse ein sehr elendes sein, da es keine Nahrung seinen Einwohnern verschaffen könne. Am meisten aber erstaune er über den Umstand, daß die ungeheuren von mir erwähnten Landstriche gänzlich ohne frisches Wasser wären, und daß unser Volk über die See schicken müsse, um Getränk herbeizuholen. Ich erwiderte, England, mein theures Vaterland, bringe ungefähr das Dreifache an Früchten mehr hervor, als seine Einwohner verzehren könnten, sowie auch Flüssigkeiten, welche man aus Korn, sowie aus den Früchten gewisser Bäume presse. So bereite man ein treffliches Getränk in demselben Verhältnisse, wie die übrigen Gemächlichkeiten des Lebens.

Um jedoch die Unmäßigkeit oder den Luxus unserer männlichen und die Eitelkeit unserer weiblichen Einwohner zu befriedigen, schickten wir den größeren Theil unserer Bedürfnisse in andere Länder, und erhielten dafür Materialien für Krankheiten, Laster und Thorheit zum Verbrauche. Daraus ergebe sich als nothwendige Folge, daß ein großer Theil unseres Volkes gezwungen werde, ihren Lebensunterhalt durch Betteln, Rauben, Stehlen, Betrügen, Kuppeln, Schmeicheln, Verführen, Falschschwören, Fälschen, Spielen, Lügen, Kriechen, Bramarbasiren, Scribeln, Prophezeien, Vergiften, Buhlen, Schwatzen, Klatschen, durch Freidenkerei und andere Beschäftigungen zu erlangen. Es war jedoch viele Mühe erforderlich, einen jeden dieser Ausdrücke ihm verständlich zu machen.

Wein, fuhr ich fort, ward aus fremden Ländern bei uns eingeführt, nicht um den Mangel an Wasser oder anderen Getränken zu ersetzen, sondern weil derselbe aus einer Flüssigkeit besteht, die uns munter macht, indem sie uns den Verstand nimmt, alle melancholischen Gedanken zerstreut, wilde und ausschweifende Ideen im Hirn erzeugt, unsere Hoffnung erhöht und unsere Furcht verbannt, jede Wirkung der Vernunft auf einige Zeit unterbricht und uns an dem Gebrauch unserer Glieder verhindert, bis wir in einen tiefen Schlummer fallen. Wir erwachen jedoch jedesmal krank und entmuthigt, und der Gebrauch dieses Getränkes erweckt bei uns Krankheiten, welche unser Leben unangenehm machen und verkürzen. Ausserdem ernährt sich die Volksmasse durch den Umstand, daß sie die Bequemlichkeiten des Lebens den Reicheren liefern und sich gegenseitig damit versorgen. Z. B. wenn ich zu Haus bin und mich nach meinem Stande kleide, so trage ich an meinem Leibe die Arbeit von hundert Handwerkern. Der Bau und die Möblirung meines Hauses erfordert dieselbe Anzahl; die fünffache Zahl ist jedoch nothwendig, meine Frau zu schmücken.

Alsdann erzählte ich von einer andern Art Leute, welche sich ihren Lebensunterhalt dadurch erwerben, daß sie sich mit den Kranken abgeben. Vorher hatte ich nämlich meinem Herrn schon gesagt, ein großer Theil meiner Matrosen sey an Krankheiten gestorben. Hier konnte ich ihm jedoch nur mit größter Schwierigkeit meine Worte verständlich machen. Er hatte den Begriff, ein Hauyhnhnm könne wenige Tage vor seinem Tode alt und schwach werden, oder durch irgend einen Zufall sich ein Glied verletzen; er hielt es aber für unmöglich, daß die Natur, welche doch bei allen Dingen Vollkommenes hervorbringt, es leiden sollte, daß Krankheiten in unseren Körpern sich erzeugen. Er wünschte deßhalb die Ursache von diesem unnatürlichen Uebel zu erfahren.

Ich sagte ihm, wir nährten uns von tausend Dingen, die einander entgegenwirkten; wir äßen ohne hungrig zu seyn und tränken, ohne Durst zu fühlen. Wir wachten oft in den Nächten und genößen starke Getränke, ohne etwas zu essen; dies erwecke Trägheit, entzünde unsere Körper und beschleunige oder verhindere die Verdauung. Verdorbene weibliche Yähus erlangten eine gewisse Krankheit, welche Fäulniß der Knochen bei denjenigen bewirke, die sich mit ihnen abgäben; diese Krankheit, so wie manche andere, gingen vom Vater auf den Sohn über.

Somit kommen, fuhr ich fort, viele Yähus auf die Welt, mit complicirten Krankheiten; ich kann hier unmöglich den ganzen Katalog menschlicher Krankheiten anführen, denn diese bestehen aus fünf- bis sechshundert, die sich über jedes Glied und Gelenk verbreiten; kurz, jeder innere und äussere Theil hat seine eigenthümliche Krankheit. Um diesem abzuhelfen, ward bei uns eine gewisse Menschenklasse zu dem Geschäft oder zu dem Vorwande, die Kranken zu heilen, aufgezogen.

Weil ich in diesem Geschäfte einige Geschicklichkeit besitze, kann ich Eurer Gnaden das ganze Geheimniß und die Methode darlegen, nach welcher diese Leute zu verfahren pflegen.

Ihr Hauptgrundsatz besteht darin, daß alle Krankheiten in Ueberfüllung bestehen. Daraus schließen sie, eine große Ausleerung des Körpers sey nothwendig, entweder aus dem natürlichen Kanale oder aus dem Munde. Ihr zweites Geschäft besteht darin, daß sie aus Kräutern, Mineralien, Gummi, Oelen, Wurzeln, Salzen, Pflanzensäften, Seegräsern, Excrementen, Baumrinden, Schlangen, Kröten, Fröschen, Spinnen, Fleisch und Knochen von todten Menschen, Vögeln, Thieren, Fischen eine Mischung bilden, die durch Geschmack und Geruch so abscheulich und ekelhaft wie möglich gemacht wird, so daß der Magen sie sogleich wieder auswirft.

Dies heißt ein Brechmittel; oder aber sie bilden aus Stoffen desselben Waarenlagers, indem sie noch einige andere giftige Materien hinzufügen, eine oben

oder unten

(wie der Arzt gerade gelaunt ist) einzunehmende Medicin, die auf gleiche Weise den Eingeweiden ekelhaft und unerträglich ist. Diese erleichtert die Gedärme und treibt alles darin Befindliche hinaus. Dieses letztere Mittel heißt ein Klystier.

Da die Natur, wie der Arzt behauptet, die obere Oeffnung für Einführung fester und flüssiger Nahrung, die untere zum Auswerfen bestimmt hat, so stellt die Kunst den genialen Grundsatz auf: die Natur, welche in jeder Krankheit gestört sey, müsse dadurch wieder in ihre gehörige Stellung gerathen, daß man den Leib in einer durchaus entgegengesetzten Weise behandle, indem man die Funktionen einer jeden Oeffnung austausche, feste und flüssige Substanzen hinten einführe und Ausleerungen durch den Mund bewirke.

Ausser wirklichen Krankheiten sind wir jedoch auch eingebildeten ausgesetzt, wofür die Aerzte besondere Kuren erfinden; diese Krankheiten haben ihre besonderen Namen und besondere Mittel. Hieran leiden aber fortwährend unsere weiblichen Yähus.

Die größte Kunst dieses Standes besteht aber darin, ein Prognostikum zu stellen, und dieses trifft auch fast immer ein. Die Vorhersagung der Aerzte in wirklichen Krankheiten, welche einen bösartigen Charakter zeigen, betrifft immer den Tod, der in ihrer Gewalt liegt, während sie über die Wiederherstellung nichts bestimmen können; bessert sich jedoch der Kranke auf unerwartete Weise, nachdem sie ihr Urtheil gesprochen, so wissen sie, wie ihr Scharfsinn durch eine genügende Weise der Welt gezeigt werden muß, damit sie nicht als falsche Propheten gelten.

Sie sind auch Gatten und Gattinnen, welche einander nicht leiden können, älteren Söhnen, Staatsministern und Fürsten bisweilen von größtem Nutzen gewesen. Früher hatte ich mit meinem Herrn über die Natur des Regierens im allgemeinen, und besonders über unsere ausgezeichnete Constitution gesprochen, welche mit Recht das Erstaunen und den Neid der ganzen Welt erregt. Da ich aber zufällig einen Staatsminister hier erwähnte, befahl er mir zu sagen, was für einen Yähu ich unter dieser Benennung verstehe.

Ich sagte ihm, ein Premierminister, den ich zu beschreiben beabsichtige, sey ein Geschöpf ohne Freude und Kummer, ohne Liebe und Haß, ohne Mitleid und Zorn; er hege wenigstens keine andere Leidenschaften, als ein heftiges Verlangen nach Reichthum, Macht und Titeln; er gebrauche seine Rede zu allen Dingen, nur nicht um seine wirklichen Gedanken zu verkünden; er sage nie eine Wahrheit, als in der Absicht, daß man sie für eine Lüge halte, noch eine Lüge, damit man sie als wahr ihm glaube; diejenigen, denen er in ihrer Abwesenheit die schlimmsten Dinge nachsage, könnten überzeugt seyn, daß er sie befördern werde; Andere, denen er in ihrer Gegenwart oder Abwesenheit Lobsprüche ertheile, könnten sich als verlorene Leute betrachten. Das schlimmste Zeichen für irgend eine Hoffnung sey jedoch ein Versprechen, besonders wenn es mit einem Eide bestätigt werde. Hierauf pflege sich Jedermann zurückzuziehen und alle Hoffnung aufzugeben.

Es gibt, fuhr ich fort, drei Methoden, wodurch ein Yähu unser Minister wird, die erste besteht darin, daß man mit Klugheit über eine Frau, Tochter oder Schwester zu verfügen weiß; die zweite darin, daß man den Vorgänger verräth oder untergräbt; die dritte besteht in einem wüthenden Eifer gegen die Verderbniß des Hofes, welchen man in öffentlichen Versammlungen zeigen muß.

Ein kluger Fürst wählt vorzüglich diejenigen, welche die letztere Methode in Anwendung bringen; solche Zeloten sind nämlich immer die gehorsamsten Diener bei den Leidenschaften und dem Willen ihres Herrn. Alsdann erhalten sich diese Minister ihre Stelle durch den Umstand, daß alle Aemter zu ihrer Verfügung stehen; sie bestechen nämlich die Mehrheit eines Senates oder großen Rathes; zuletzt lassen sie sich, um das Nachrechnen zu verhindern, eine Act of indemnity (ich beschrieb meinem Herrn die Natur derselben) geben, [Fußnote] und ziehen sich, mit der Beute der Nation beladen, vom Amte zurück.

Der Palast eines Premierministers gilt als Lehranstalt, um Andere zu diesem Geschäfte aufzuziehen; Pagen, Lakaien und Portiers werden in verschiedenen Departements Staatsminister, indem sie ihren Herrn nachahmen, und erwerben sich eine große Vollkommenheit in den drei Haupteigenschaften: der Unverschämtheit, des Lügens und der Bestechung. Demgemäß wird auch ihnen von Personen des höchsten Ranges ein untergeordneter Hof gebildet; bisweilen gelingt es ihnen durch Geschick und Unverschämtheit nach verschiedenen Stufenleitern die Nachfolger ihres Herrn zu werden.

Gewöhnlich wird derselbe durch eine verblühte Buhlerin oder durch einen Lieblingsbedienten regiert; dies sind die Kanäle, auf denen alle Gnadenbezeugungen verführt werden. Man kann dieselben in letzter Instanz die Beherrscher des Königreichs nennen.

Als mein Herr eines Tages hörte, wie ich den hohen Adel meines Vaterlandes erwähnte, hatte er die Güte, mir ein unverdientes Kompliment zu machen. Er sagte nämlich, ich sey gewiß aus einer edlen Familie entsprossen, weil ich in Gestalt, Farbe und Reinlichkeit alle Yähus seines Vaterlandes übertreffe, ob ich ihnen gleich in Kraft und Behendigkeit nachstehe, ein Umstand, der meiner besonderen Lebensart zuzuschreiben sey, worin ich von jenen Thieren abweiche; ausserdem sey ich mit der Fähigkeit, zu sprechen, begabt, und besitze einige Theile der Vernunft in solchem Grade, daß ich bei allen seinen Bekannten für ein Wunderthier gelte.

Er fügte die Bemerkung hinzu: bei den Hauyhnhnms sey der Schimmel, der Rothfuchs, der Eisengraue nicht ganz so gebildet, wie der Kastanienbraune, der Schecke und der schwarze Rappe; auch würden erstere nicht mit denselben Talenten, oder mit derselben Anlange zur Verbesserung geboren; deßhalb blieben sie fortwährend nur im Bedientenstande und verheiratheten sich auch niemals ausserhalb ihrer Race. Letzteres würde für unnatürlich und monströs gelten.

Ich sagte meinem Herrn den verbindlichsten Dank für die gute Meinung, die er gütigst von mir gefaßt hätte; ich fügte jedoch hinzu, wie ich aus niederem Stande von einfachen Eltern geboren sey, die mir nur eine erträgliche Erziehung ertheilen konnten. Der höhere Adel entspreche durchaus nicht der Idee, welche Seine Gnaden von demselben hege. Unsere jungen Lords würden von Kindheit auf in Faulheit und Ueppigkeit aufgezogen; sobald es ihr Alter erlaube, verbrauchten sie ihre Kraft und erhielten schmähliche Krankheiten von Buhlerinnen; sobald ihre Vermögensumstände ruinirt seyen, schlössen sie Ehen mit Reichern aus niederem Stande, die häßlich und ungesund, und zwar nur des Geldes wegen, die sie alsdann haßten und verachteten. Die Sprößlinge solcher Ehen seyen rachitische, scrophulöse und entstellte Kinder. Somit bestehe ein Geschlecht nicht länger als drei Generationen, im Fall die Frau sich keinen gesunden Vater bei Nachbarn und Bedienten hole, um den Stamm fortzusetzen oder zu bessern.

Ein schwacher und kranker Körper, ein mageres Gesicht, eine blasse Farbe seyen untrügliche Zeichen einer edlen Geburt. Ein gesunder und starker Bau gelte bei Männern von Stande für eine Schmach, weil die Welt daraus den Schluß ziehe, der wirkliche Vater sey ein Stalldiener oder Kutscher. Die Mängel seiner Seele seyen parallel mit denen des Körpers; jene bestehen aus einer Mischung von Laune, Dummheit, Unwissenheit, Eigensinn, Sinnlichkeit und Stolz.

Ohne die Einstimmung dieser erlauchten Adelichen könne kein Gesetz gegeben, aufgehoben oder verändert werden. Sie bildeten gleichfalls einen Gerichtshof, von welchem keine Appellation möglich sey.