IV.

Swift war von hoher Gestalt, kräftig und wohlgebildet. Er hatte blaue Augen, braune Farbe, schwarze dicke Augenbrauen, eine Adlernase, und seine Züge drückten die ganze Strenge, Unerschrockenheit und den ganzen Stolz seines Charakters aus. In seiner Jugend galt er für einen sehr schönen Mann und in seinem Alter war seine Gestalt, obgleich finster, immer noch edel und ehrfurchtgebietend. Er sprach in seinen Reden mit Wärme und Leichtigkeit; sein Talent zur Polemik war zu politischen Debatten so geeignet, daß die Minister der Königin Anna oft bedauern mußten, es nicht dahin gebracht zu haben, ihm einen Sitz auf der Bank der Bischöfe in der Pairskammer zu verschaffen. Die Regierung von Irland fürchtete seine Beredtsamkeit ebenso als seine Feder.

Sein Betragen in Gesellschaft war gefällig und leutselig und nicht ohne originellen Anstrich; aber er wußte sich so gut in die Umstände zu fügen, daß seine Gesellschaft allgemein gesucht war.

Als das Alter und die geringere Biegsamkeit seines Geistes dem Gleichmuth seines Wesens schon Eintrag gethan hatten, liebte man noch seine Unterhaltung. Man fand sie interessant nicht bloß durch seine Kenntnis der Welt und der Sitten, sondern auch durch den satyrischen Humor, mit welchem er seine Bemerkungen und Anekdoten würzte. Es war dies nach Orrery die letzte seiner Fähigkeiten die er verlor; aber der Dechant selbst bemerkte, daß, je mehr sein Gedächtniß abnahm, er seine Geschichten öfter wiederhole.

Seine Unterhaltung, seine witzigen Einfälle und spitzigen Antworten wurden als unvergleichlich betrachtet; aber wie es bei allen denen der Fall ist, die daran gewöhnt sind, die Unterhaltung despotisch zu beherrschen, legte ein unerwarteter Widerstand ihm zuweilen Stillschweigen auf.

Er liebte sehr die Wortspiele. Eines der besten die vielleicht je gemacht worden, ist die Anwendung des Virgilischen Verses:

»Mantua vae! miserae
nimium vicina Cremonae«

auf eine Dame, die mit ihrem Mantel eine cremoneser Violine auf den Boden geworfen hatte. Das Wortspiel, mit welchem er einen betagten Mann tröstete, der seine Brille verloren hatte, ist großartiger: »Wenn es die ganze Nacht fort regnet, werden Sie dieselbe unfehlbar morgen früh finden.«

Nocte pluit tota, redeunt
spectacula mane.

(Brille heißt auf englisch »spectacles«.)

Seine Verlegenheit in einer besseren Sorte von Witzen wird durch mehrere Anekdoten bestätigt. Ein vornehmer Mann, dessen Betragen nicht das geordnetste war, hatte zur Devise genommen: »eques haud male notus.«

Swift übersetzte diese Worte so: »So gut bekannt, daß ihm kein Mensch mehr traut.«

Er hatte eine eigenthümliche Neigung, Sprichwörter zu improvisiren. Er ging einst mit einigen andern Personen im Garten eines Mannes von seiner Bekanntschaft spazieren und als er sah, daß der Herr des Hauses nicht daran denke, ihnen Obst anzubieten, sagte Swift: einer der Sprüche seiner Großmutter sey gewesen:

Always pull a peach,
When it is in your reach.

(Wenn man den Pfirsich erlangen kann,
muß man ihn pflücken.)

und mit diesen Worten ging er der Gesellschaft mit seinem Beispiel voran.

Ein andermal fiel ein Mann, mit dem er einen Spazierritt machte, in eine Pfütze:

The more dirt,
the less hirt.

(Je größer der Schmutz,
desto leichter der Fall)

sagte Swift zu ihm; der Mann stand auf, beinahe getröstet über seinen Fall. Er war ein großer Liebhaber von Sprichwörtern und wunderte sich, daß er das, welches der Dechant so eben so glücklich angewendet hatte, nicht kannte. Swift fand eine Unterhaltung darin, Sprichwörter zusammenzusetzen; sein Tagebuch an Stella beweist, mit welcher Leichtigkeit er die geringfügigsten Gegenstände in Reimen brachte, und seine Poesien beurkunden eine unerschöpfliche Fruchtbarkeit.

Er hielt außerordentlich auf Reinlichkeit. Diese Gewohnheit ging bis in’s Grillenhafte. Er übte sich gern, namentlich im Fußgehen. Unsere modernen Fußgänger würden lachen über die Wette, die er einging, zu Fuß nach Chester zu gehen, und dabei täglich zehn Meilen zurückzulegen (es sind ungefähr zweihundert Meilen). Gleichwohl glaubt man, Swift habe sich zu sehr angestrengt und seine Gesundheit habe darunter gelitten. Er war ein ziemlich guter Reiter, ritt gern und war Pferdekenner: er wählte dieses edle Thier aus zum Sinnbild des sittlichen Verdienstes, unter dem Namen HuyhnhnmSwiftbewog seine Freunde, besonders Stella und Vanessa Reitstunden zu nehmen; er machte ihnen beinahe eine Pflicht daraus. Beinahe in jedem Briefe spricht er davon, als von einer für seine Gesundheit wesentliche Sache, die durch Taubheit und apoplektische Zufälle sehr schwankend geworden war. Er war mit Scropheln behaftet, die vielleicht die Zerrüttung seines Geistes beschleunigten. Die eigentliche Ursache war indeß eine Ansammlung von Wasser im Gehirn, wie es sich bei der Oeffnung nach seinem Tode erwies.

Die Wohlthätigkeit des Dechanten erhob sich über die gewöhnliche Mildthätigkeit, und obgleich er immer eine gewisse Summe in verschiedenen Münzen bei sich trug, um sie an die zu vertheilen, die ihm des Beistandes würdig schienen, so war sein Hauptzweck doch der, den wahrhaft Bedürftigen zu Hülfe zu kommen, ohne fürchten zu müssen, von Müssiggängern getäuscht zu werden. Er schrieb mehrere Abhandlungen über diesen Gegenstand. Man empfing ihn überall mit den Zeichen der tiefsten Ehrfurcht; er sagte, man dürfe eine Subskription eröffnen, um ihn mit Hüten frei zu halten, denn die Seinigen werden durch die vielen Begrüßungen, die er erwidern müsse, im Augenblicke abgenützt.

Er stellte einmal das Vertrauen, welches das Publikum auf alle seine Worte setzte, auf eine sehr heitere Probe.

Es war eine große Masse Volks um das Dechantenhaus versammelt, um eine Sonnenfinsterniß zu beobachten. Swift, über den Lärmen ungehalten, ließ durch den Küster verkündigen, auf Befehl des Dechanten von St. Patrick werde die Sonnenfinsterniß aufgeschoben. Diese außerordentliche Nachricht wurde sehr ernsthaft aufgenommen und das Volk zerstreute sich.

Der Charakter Swift, als Schriftsteller, bietet drei merkwürdige Eigentümlichkeiten dar.

Die erste Eigenschaft, die ihn auszeichnet, und die einem Autor, wenigstens von seinen Zeitgenossen, selten zugestanden wird, ist die Originalität. Der strengste Kritiker kann sie ihm nicht absprechen. Selbst Johnson gesteht, daß es vielleicht keinen Autor gebe, der so wenig von Andern entlehnt und so viel Recht habe, für originell gehalten zu werden.

Es war in der That nichts veröffentlicht worden, das Swift zum Muster hätte dienen können, und die wenigen Ideen, die er entlehnt hat, sind durch das Siegel, das er ihnen aufdrückte, die Seinigen geworden.

Die zweite Eigentümlichkeit, ans die wir bereits aufmerksam gemacht haben, ist Swifts völlige Gleichgültigkeit gegen die literarische Berühmtheit. Er bediente sich seiner Feder, wie sich der gewöhnliche Arbeiter der Instrumente seiner Kunst bedient, ohne großen Werth darauf zu legen. Swift ist unruhig über den Erfolg seiner Ausführungen; er wird durch den Widerspruch gereizt, er ärgert sich über die Gegner, die seine Principien bekämpfen und ihn hindern wollen, seinen Zweck zu erreichen; aber er zeigt bei allen Gelegenheiten gegen den Erfolg seiner Schriften eine Gleichgültigkeit, die alle Zeichen der Aufrichtigkeit an sich trägt. Die Sorglosigkeit, mit welcher er sie in die Welt schleuderte, die Anonymität, die er stets bewahrte, und die Nachläßigkeit, mit der er die Vortheile behandelte, beweisen, daß er das Gewerbe eines Schriftstellers von Profession verachtete.

Das dritte auszeichnende Kennzeichen des literarischen Charakters Swifts ist dies, daß er mit Ausnahme, der Geschichte, sich niemals in einem Fache versucht hat, ohne sich darin auszuzeichnen. Man sieht ein, daß ich hier nicht von einigen pindarischen Versuchen oder von seinen lateinischen Versen sprechen will, die allzuunbedeutend sind, um hier in Anschlag zu kommen. Man kann allerdings die Art und Weise, auf welche er zuweilen sein Talent übte, ziemlich leichtsinnig oder ziemlich gewöhnlich finden; aber seine englischlateinischen Verse, seine Räthsel, seine nicht sehr zarten Beschreibungen, seine heftigen politischen Satyren, sind in ihrer Art so vollkommen, als es bei diesen Fächern möglich ist und lassen nur eines zu wünschen übrig, daß nämlich ein so herrlicher Geist nicht edlere Gegenstände behandelte. Was die Erfindungenbetrifft, so besaß er im höchsten Grade die Kunst der Wahrscheinlichkeit, oder wie wir bei Gelegenheit von Gullivers Reisen bemerkt haben, die Kunst, einen erdichteten Charakter in allen Lagen und unter allen Umständen zu zeichnen und festzuhalten. Dieses Geheimniß besteht großentheils in der genauen Schilderung der Einzelnheiten kleiner abgerissener Thatsachen, die den Vordergrund einer von einem Augenzeugen erzählten Geschichte bilden. Es sind dies Dinge, welche nur den Erzähler lebhaft zu interessiren scheinen. Es ist die Flintenkugel, die an den Ohren des Soldaten vorbeipfeift, und die mehr Eindruck auf ihn macht, als die ganze Artillerie, die während der Schlacht unaufhörlich gefeuert hat.

Aber für den entfernten Zuschauer verlieren sich diese Einzelnheiten im Ganzen der Ereignisse. Es brauchte das ganze Unterscheidungsvermögen Swifts oder Defoes, des Verfassers von Robinson Crusoe und der Memoiren eines Kavaliers, um diese geringfügigen Einzelnheiten zu erfassen, die dem Zuschauer auffallen müssen, den die Richtung seines Geistes und seine Erziehung nicht daran gewöhnt haben, seine Beobachtungen zu verallgemeinen.

Der geistreiche Verfasser der Geschichte der Erfindung ist mir in der Parallele zuvorgekommen, [Fußnote] die ich zwischen dem Roman Gulliver und Robinson Crusoe ziehen wollte. Ich will seine Ausdrücke entlehnen, die vollkommen meine eigenen Ansichten ausdrücken.

Nachdem er seinen Satz ausgeführt und gezeigt hat, wie Robinson Crusoe seine Erzählung eines Sturmes wahrscheinlich macht, fährt Dunlop so fort: »diese geringfügigen Einzelnheiten bestimmen uns eben, die ganze Erzählung zu glauben. Man kann nicht denken, warum er sie erwähnt haben würde, wenn sie nicht wahr wären.«

Dieselbe weitläufige Behandlung der Einzelnheiten ist in Gullivers Reisen zu bemerken; sie bestimmt uns zuweilen, die unwahrscheinlichsten Erzählungen für wahr zu halten. Man hat das Genie Defoes niemals in Zweifel gezogen; aber der Kreis seiner Kenntnisse war nicht sehr umfassend: Folge davon war, daß seine Phantasie nicht mehr als einen oder zwei Helden schaffen konnte. Ein gewöhnlicher Seemann, wie Robinson Crusoe, ein rauher Soldat, wie sein Kavalier; Spitzbuben der niedersten Sorte, wie einige von seinen übrigen erdichteten Personen: dies sind alle Rollen, die der Umfang seiner Kenntnisse ihm gestattet, auftreten zu lassen.

Er befindet sich gerade in dem Fall jenes Hexenmeisters in einer indischen Erzählung, dessen Zauberkraft sich darauf beschränkt, die Gestalt von zwei bis drei Thieren annehmen zu können. Swift, ist der persische Derwisch, der das Vermögen hat, seine Seele in den Körper eines Jeden, der ihm gefällt, zu versetzen, mit seinen Augen zu sehen, alle seine Organe anzuwenden und sich selbst seines Verstandes zu bemächtigen. Der Reisende Lemuel Gulliver, der Astrolog Isak Bickerstaff, der Franzose, der die neue Reise nach Paris schrieb, Mistreß Harris, die Köchin Marie, der Mensch, der, um den Armen zu Hülfe zu kommen, ihnen räth, ihre Kinder zu essen, der heftige whigistische Politiker, der Vorstellungen über die Schilder von Dublin gibt, dies sind Charaktere, die eben so sehr unter einander verschieden sind, als sie von dem Dechanten zu St. Patrik verschieden zu seyn scheinen.

Ein Jeder bleibt seinem eigenthümlichen Charakter treu, bewegt sich in seiner eigenthümlichen Sphäre, stets seiner geselligen Stellung und seiner Art und Weise, die Dinge zu betrachten gemäß.

Der Satz, den ich vorhin über die Kunst, einer erdichteten Erzählung Wahrscheinlichkeit zu geben, aufgestellt habe, findet seinen auf derselben Grundlage ruhenden Zusatz.

Wenn geringfügige Einzelnheiten auf den Geist des Erzählers Eindruck hervorbringen und einen großen Theil seines Berichtes ausmachen, so ziehen anderer Seits an sich wichtigere Umstände seine Aufmerksamkeit nur theilweise auf sich; mit andern Ausdrücken, es gibt in einer Erzählung, wie in einem Gemälde, einen Hintergrund wie einen Vordergrund, und die Leiter der Gegenstände wird nothwendig kleiner, je weiter sie von dem, der sie erzählt, entfernt sind. In dieser Beziehung ist die Kunst Swifts eben so merkwürdig. Was Gulliver durch Hörensagen erfahren hat, erzählt er weit unbestimmter, als das, was er selbst beobachtet hat.

Es ist nicht, wie in den übrigen Reisen in utopische Länder ein genaues Gemälde der Regierung und der Gesetze dieses Landes, sondern es sind die Hauptbegriffe die ein wißbegieriger Reisender während eines mehrmonatlichen Aufenthalts unter Fremden sich zu verschaffen sucht. Kurz der Erzähler ist der Mittelpunkt und die Triebfeder der Geschichte; er berichtet nicht Dinge, die ihm die Umstände nicht erlaubten zu beobachten, aber er übergeht kein Ereigniß, dem die Umstände in seinen Augen Wichtigkeit verleihen, weil es ihn persönlich berührte.