Teil 4

Teil 4
Reise in das Land der Hauyhnhnms

IV.


IV.

Swift war von hoher Gestalt, kräftig und wohlgebildet. Er hatte blaue Augen, braune Farbe, schwarze dicke Augenbrauen, eine Adlernase, und seine Züge drückten die ganze Strenge, Unerschrockenheit und den ganzen Stolz seines Charakters aus. In seiner Jugend galt er für einen sehr schönen Mann und in seinem Alter war seine Gestalt, obgleich finster, immer noch edel und ehrfurchtgebietend. Er sprach in seinen Reden mit Wärme und Leichtigkeit; sein Talent zur Polemik war zu politischen Debatten so geeignet, daß die Minister der Königin Anna oft bedauern mußten, es nicht dahin gebracht zu haben, ihm einen Sitz auf der Bank der Bischöfe in der Pairskammer zu verschaffen. Die Regierung von Irland fürchtete seine Beredtsamkeit ebenso als seine Feder.

Sein Betragen in Gesellschaft war gefällig und leutselig und nicht ohne originellen Anstrich; aber er wußte sich so gut in die Umstände zu fügen, daß seine Gesellschaft allgemein gesucht war.

Als das Alter und die geringere Biegsamkeit seines Geistes dem Gleichmuth seines Wesens schon Eintrag gethan hatten, liebte man noch seine Unterhaltung. Man fand sie interessant nicht bloß durch seine Kenntnis der Welt und der Sitten, sondern auch durch den satyrischen Humor, mit welchem er seine Bemerkungen und Anekdoten würzte. Es war dies nach Orrery die letzte seiner Fähigkeiten die er verlor; aber der Dechant selbst bemerkte, daß, je mehr sein Gedächtniß abnahm, er seine Geschichten öfter wiederhole.

Seine Unterhaltung, seine witzigen Einfälle und spitzigen Antworten wurden als unvergleichlich betrachtet; aber wie es bei allen denen der Fall ist, die daran gewöhnt sind, die Unterhaltung despotisch zu beherrschen, legte ein unerwarteter Widerstand ihm zuweilen Stillschweigen auf.

Er liebte sehr die Wortspiele. Eines der besten die vielleicht je gemacht worden, ist die Anwendung des Virgilischen Verses:

»Mantua vae! miserae
nimium vicina Cremonae«

auf eine Dame, die mit ihrem Mantel eine cremoneser Violine auf den Boden geworfen hatte. Das Wortspiel, mit welchem er einen betagten Mann tröstete, der seine Brille verloren hatte, ist großartiger: »Wenn es die ganze Nacht fort regnet, werden Sie dieselbe unfehlbar morgen früh finden.«

Nocte pluit tota, redeunt
spectacula mane.

(Brille heißt auf englisch »spectacles«.)

Seine Verlegenheit in einer besseren Sorte von Witzen wird durch mehrere Anekdoten bestätigt. Ein vornehmer Mann, dessen Betragen nicht das geordnetste war, hatte zur Devise genommen: »eques haud male notus.«

Swift übersetzte diese Worte so: »So gut bekannt, daß ihm kein Mensch mehr traut.«

Er hatte eine eigenthümliche Neigung, Sprichwörter zu improvisiren. Er ging einst mit einigen andern Personen im Garten eines Mannes von seiner Bekanntschaft spazieren und als er sah, daß der Herr des Hauses nicht daran denke, ihnen Obst anzubieten, sagte Swift: einer der Sprüche seiner Großmutter sey gewesen:

Always pull a peach,
When it is in your reach.

(Wenn man den Pfirsich erlangen kann,
muß man ihn pflücken.)

und mit diesen Worten ging er der Gesellschaft mit seinem Beispiel voran.

Ein andermal fiel ein Mann, mit dem er einen Spazierritt machte, in eine Pfütze:

The more dirt,
the less hirt.

(Je größer der Schmutz,
desto leichter der Fall)

sagte Swift zu ihm; der Mann stand auf, beinahe getröstet über seinen Fall. Er war ein großer Liebhaber von Sprichwörtern und wunderte sich, daß er das, welches der Dechant so eben so glücklich angewendet hatte, nicht kannte. Swift fand eine Unterhaltung darin, Sprichwörter zusammenzusetzen; sein Tagebuch an Stella beweist, mit welcher Leichtigkeit er die geringfügigsten Gegenstände in Reimen brachte, und seine Poesien beurkunden eine unerschöpfliche Fruchtbarkeit.

Er hielt außerordentlich auf Reinlichkeit. Diese Gewohnheit ging bis in’s Grillenhafte. Er übte sich gern, namentlich im Fußgehen. Unsere modernen Fußgänger würden lachen über die Wette, die er einging, zu Fuß nach Chester zu gehen, und dabei täglich zehn Meilen zurückzulegen (es sind ungefähr zweihundert Meilen). Gleichwohl glaubt man, Swift habe sich zu sehr angestrengt und seine Gesundheit habe darunter gelitten. Er war ein ziemlich guter Reiter, ritt gern und war Pferdekenner: er wählte dieses edle Thier aus zum Sinnbild des sittlichen Verdienstes, unter dem Namen HuyhnhnmSwiftbewog seine Freunde, besonders Stella und Vanessa Reitstunden zu nehmen; er machte ihnen beinahe eine Pflicht daraus. Beinahe in jedem Briefe spricht er davon, als von einer für seine Gesundheit wesentliche Sache, die durch Taubheit und apoplektische Zufälle sehr schwankend geworden war. Er war mit Scropheln behaftet, die vielleicht die Zerrüttung seines Geistes beschleunigten. Die eigentliche Ursache war indeß eine Ansammlung von Wasser im Gehirn, wie es sich bei der Oeffnung nach seinem Tode erwies.

Die Wohlthätigkeit des Dechanten erhob sich über die gewöhnliche Mildthätigkeit, und obgleich er immer eine gewisse Summe in verschiedenen Münzen bei sich trug, um sie an die zu vertheilen, die ihm des Beistandes würdig schienen, so war sein Hauptzweck doch der, den wahrhaft Bedürftigen zu Hülfe zu kommen, ohne fürchten zu müssen, von Müssiggängern getäuscht zu werden. Er schrieb mehrere Abhandlungen über diesen Gegenstand. Man empfing ihn überall mit den Zeichen der tiefsten Ehrfurcht; er sagte, man dürfe eine Subskription eröffnen, um ihn mit Hüten frei zu halten, denn die Seinigen werden durch die vielen Begrüßungen, die er erwidern müsse, im Augenblicke abgenützt.

Er stellte einmal das Vertrauen, welches das Publikum auf alle seine Worte setzte, auf eine sehr heitere Probe.

Es war eine große Masse Volks um das Dechantenhaus versammelt, um eine Sonnenfinsterniß zu beobachten. Swift, über den Lärmen ungehalten, ließ durch den Küster verkündigen, auf Befehl des Dechanten von St. Patrick werde die Sonnenfinsterniß aufgeschoben. Diese außerordentliche Nachricht wurde sehr ernsthaft aufgenommen und das Volk zerstreute sich.

Der Charakter Swift, als Schriftsteller, bietet drei merkwürdige Eigentümlichkeiten dar.

Die erste Eigenschaft, die ihn auszeichnet, und die einem Autor, wenigstens von seinen Zeitgenossen, selten zugestanden wird, ist die Originalität. Der strengste Kritiker kann sie ihm nicht absprechen. Selbst Johnson gesteht, daß es vielleicht keinen Autor gebe, der so wenig von Andern entlehnt und so viel Recht habe, für originell gehalten zu werden.

Es war in der That nichts veröffentlicht worden, das Swift zum Muster hätte dienen können, und die wenigen Ideen, die er entlehnt hat, sind durch das Siegel, das er ihnen aufdrückte, die Seinigen geworden.

Die zweite Eigentümlichkeit, ans die wir bereits aufmerksam gemacht haben, ist Swifts völlige Gleichgültigkeit gegen die literarische Berühmtheit. Er bediente sich seiner Feder, wie sich der gewöhnliche Arbeiter der Instrumente seiner Kunst bedient, ohne großen Werth darauf zu legen. Swift ist unruhig über den Erfolg seiner Ausführungen; er wird durch den Widerspruch gereizt, er ärgert sich über die Gegner, die seine Principien bekämpfen und ihn hindern wollen, seinen Zweck zu erreichen; aber er zeigt bei allen Gelegenheiten gegen den Erfolg seiner Schriften eine Gleichgültigkeit, die alle Zeichen der Aufrichtigkeit an sich trägt. Die Sorglosigkeit, mit welcher er sie in die Welt schleuderte, die Anonymität, die er stets bewahrte, und die Nachläßigkeit, mit der er die Vortheile behandelte, beweisen, daß er das Gewerbe eines Schriftstellers von Profession verachtete.

Das dritte auszeichnende Kennzeichen des literarischen Charakters Swifts ist dies, daß er mit Ausnahme, der Geschichte, sich niemals in einem Fache versucht hat, ohne sich darin auszuzeichnen. Man sieht ein, daß ich hier nicht von einigen pindarischen Versuchen oder von seinen lateinischen Versen sprechen will, die allzuunbedeutend sind, um hier in Anschlag zu kommen. Man kann allerdings die Art und Weise, auf welche er zuweilen sein Talent übte, ziemlich leichtsinnig oder ziemlich gewöhnlich finden; aber seine englischlateinischen Verse, seine Räthsel, seine nicht sehr zarten Beschreibungen, seine heftigen politischen Satyren, sind in ihrer Art so vollkommen, als es bei diesen Fächern möglich ist und lassen nur eines zu wünschen übrig, daß nämlich ein so herrlicher Geist nicht edlere Gegenstände behandelte. Was die Erfindungenbetrifft, so besaß er im höchsten Grade die Kunst der Wahrscheinlichkeit, oder wie wir bei Gelegenheit von Gullivers Reisen bemerkt haben, die Kunst, einen erdichteten Charakter in allen Lagen und unter allen Umständen zu zeichnen und festzuhalten. Dieses Geheimniß besteht großentheils in der genauen Schilderung der Einzelnheiten kleiner abgerissener Thatsachen, die den Vordergrund einer von einem Augenzeugen erzählten Geschichte bilden. Es sind dies Dinge, welche nur den Erzähler lebhaft zu interessiren scheinen. Es ist die Flintenkugel, die an den Ohren des Soldaten vorbeipfeift, und die mehr Eindruck auf ihn macht, als die ganze Artillerie, die während der Schlacht unaufhörlich gefeuert hat.

Aber für den entfernten Zuschauer verlieren sich diese Einzelnheiten im Ganzen der Ereignisse. Es brauchte das ganze Unterscheidungsvermögen Swifts oder Defoes, des Verfassers von Robinson Crusoe und der Memoiren eines Kavaliers, um diese geringfügigen Einzelnheiten zu erfassen, die dem Zuschauer auffallen müssen, den die Richtung seines Geistes und seine Erziehung nicht daran gewöhnt haben, seine Beobachtungen zu verallgemeinen.

Der geistreiche Verfasser der Geschichte der Erfindung ist mir in der Parallele zuvorgekommen, [Fußnote] die ich zwischen dem Roman Gulliver und Robinson Crusoe ziehen wollte. Ich will seine Ausdrücke entlehnen, die vollkommen meine eigenen Ansichten ausdrücken.

Nachdem er seinen Satz ausgeführt und gezeigt hat, wie Robinson Crusoe seine Erzählung eines Sturmes wahrscheinlich macht, fährt Dunlop so fort: »diese geringfügigen Einzelnheiten bestimmen uns eben, die ganze Erzählung zu glauben. Man kann nicht denken, warum er sie erwähnt haben würde, wenn sie nicht wahr wären.«

Dieselbe weitläufige Behandlung der Einzelnheiten ist in Gullivers Reisen zu bemerken; sie bestimmt uns zuweilen, die unwahrscheinlichsten Erzählungen für wahr zu halten. Man hat das Genie Defoes niemals in Zweifel gezogen; aber der Kreis seiner Kenntnisse war nicht sehr umfassend: Folge davon war, daß seine Phantasie nicht mehr als einen oder zwei Helden schaffen konnte. Ein gewöhnlicher Seemann, wie Robinson Crusoe, ein rauher Soldat, wie sein Kavalier; Spitzbuben der niedersten Sorte, wie einige von seinen übrigen erdichteten Personen: dies sind alle Rollen, die der Umfang seiner Kenntnisse ihm gestattet, auftreten zu lassen.

Er befindet sich gerade in dem Fall jenes Hexenmeisters in einer indischen Erzählung, dessen Zauberkraft sich darauf beschränkt, die Gestalt von zwei bis drei Thieren annehmen zu können. Swift, ist der persische Derwisch, der das Vermögen hat, seine Seele in den Körper eines Jeden, der ihm gefällt, zu versetzen, mit seinen Augen zu sehen, alle seine Organe anzuwenden und sich selbst seines Verstandes zu bemächtigen. Der Reisende Lemuel Gulliver, der Astrolog Isak Bickerstaff, der Franzose, der die neue Reise nach Paris schrieb, Mistreß Harris, die Köchin Marie, der Mensch, der, um den Armen zu Hülfe zu kommen, ihnen räth, ihre Kinder zu essen, der heftige whigistische Politiker, der Vorstellungen über die Schilder von Dublin gibt, dies sind Charaktere, die eben so sehr unter einander verschieden sind, als sie von dem Dechanten zu St. Patrik verschieden zu seyn scheinen.

Ein Jeder bleibt seinem eigenthümlichen Charakter treu, bewegt sich in seiner eigenthümlichen Sphäre, stets seiner geselligen Stellung und seiner Art und Weise, die Dinge zu betrachten gemäß.

Der Satz, den ich vorhin über die Kunst, einer erdichteten Erzählung Wahrscheinlichkeit zu geben, aufgestellt habe, findet seinen auf derselben Grundlage ruhenden Zusatz.

Wenn geringfügige Einzelnheiten auf den Geist des Erzählers Eindruck hervorbringen und einen großen Theil seines Berichtes ausmachen, so ziehen anderer Seits an sich wichtigere Umstände seine Aufmerksamkeit nur theilweise auf sich; mit andern Ausdrücken, es gibt in einer Erzählung, wie in einem Gemälde, einen Hintergrund wie einen Vordergrund, und die Leiter der Gegenstände wird nothwendig kleiner, je weiter sie von dem, der sie erzählt, entfernt sind. In dieser Beziehung ist die Kunst Swifts eben so merkwürdig. Was Gulliver durch Hörensagen erfahren hat, erzählt er weit unbestimmter, als das, was er selbst beobachtet hat.

Es ist nicht, wie in den übrigen Reisen in utopische Länder ein genaues Gemälde der Regierung und der Gesetze dieses Landes, sondern es sind die Hauptbegriffe die ein wißbegieriger Reisender während eines mehrmonatlichen Aufenthalts unter Fremden sich zu verschaffen sucht. Kurz der Erzähler ist der Mittelpunkt und die Triebfeder der Geschichte; er berichtet nicht Dinge, die ihm die Umstände nicht erlaubten zu beobachten, aber er übergeht kein Ereigniß, dem die Umstände in seinen Augen Wichtigkeit verleihen, weil es ihn persönlich berührte.

Kapitel 1


Kapitel 1 Der Verfasser segelt als Kapitän eines Schiffes ab. Seine Leute verschwören sich gegen ihn, verschließen ihn längere Zeit in seiner Kajüte und setzen ihn in einem unbekannten Lande an’s Ufer. Er reist in das Innere desselben. Beschreibung des Yähu, eines sonderbaren Thieres. Der Verfasser begegnet zwei Hauyhnhnms.

Ich blieb ungefähr fünf Monate bei meiner Frau und meinen Kindern, und zwar in einem sehr glücklichen Zustande; hätte ich nur lernen können, daß ich in Wahrheit glücklich war. Ich verließ meinearme Frau guter Hoffnung, und nahm ein vorteilhaftes Anerbieten, Kapitän des »Abenteurers« zu werden, an, eines großen Kauffahrers von dreihundertundfünfzig Tonnen. Ich war nämlich der Nautik vollkommen kundig und der Beschäftigung eines Wundarztes müde geworden, die ich nur gelegentlich zur See ausüben wollte. Deßhalb nahm ich einen geschickten jungen Mann dieses Standes, Robert Purefoy, in mein Schiff auf. Wir segelten von Portsmouth am 7. September 1710, und am 14. trafen wir bei Teneriffa auf den Kapitän Pocock, welcher nach Honduras segelte, um das Campescheholz zu fällen. Am 16. wurde er durch einen Sturm von uns getrennt, und ich habe seitdem gehört, daß er scheiterte, und daß die ganze Mannschaft, mit Ausnahme eines Küchenjungen, zu Grunde ging. Er war ein ehrlicher Mann und seines Handwerks vollkommen kundig, allein zu hartnäckig in seinen Meinungen, und dies war der Grund seines Untergangs, wie bei vielen andern. Wäre er meinem Rathe gefolgt, so säße er jetzt in derselben Sicherheit, wie ich, bei seiner Familie.

Mehrere Leute in meinem Schiffe waren durch die hitzigen Fieber der tropischen Gegenden gestorben, so daß ich genöthigt wurde, Matrosen in Barbados und auf den Inseln unter dem Winde anzuwerben, wo ich nach dem Auftrage der Schiffsherrn anlegen mußte. Bald aber hatte ich Grund dieses zu bereuen, denn ich fand nachher, daß die Meisten Buccanier[Fußnote] gewesen waren. Ich hatte fünfzig Mann unter meinem Befehl und den Auftrag, mit den Indiern der Südsee Handel zu treiben, und alle mir möglichen Entdeckungen zu machen. Jene Schurken, die ich aufgenommen hatte, verführten meine anderen Leute, und alle bildeten eine Verschwörung, sich des Schiffes zu bemächtigen und mich in Sicherheit zu bringen. Dies geschah eines Morgens. Alle stürzten in meine Kajüte, banden mich an Händen und Füßen und drohten, mich über Bord zu werfen, wenn ich mich wehre. Ich sagte ihnen, ich sey Gefangener und werde mich unterwerfen. Alsdann nahmen sie mir hierüber einen Eid ab, banden mich los, fesselten meine Füße mit einer Kette an mein Bett und stellten an meine Thüre eine Schildwache mit geladenem Gewehr und dem Befehl, mich zu erschießen, sobald ich mich zu befreien suchte. Sie schickten mir Lebensmittel und Getränk herunter, und übernahmen selbst den Befehl meines Schiffes. Es war ihre Absicht Piraten zu werden und die Spanier zu plündern, was sie jedoch nicht eher ausführen konnten, als bis sie mehr Leute gesammelt hatten. Zuerst aber beschloßen sie, die Güter auf dem Schiffe zu verkaufen. Alsdann wollten sie nach Madagaskar segeln, um Rekruten zu werben, da mehrere von ihnen seit meiner Gefangennehmung gestorben waren. Sie segelten mehrere Wochen lang und handelten mit den Indiern; ich wußte aber nicht, welche Richtung sie einschlugen, da ich als Gefangener in der Kajüte eingeschlossen war und stets ermordet zu werden befürchtete; eine Drohung, die mir häufig gemacht wurde.

Am 9. Mai 1711 kam ein gewisser James Welch in meine Kajüte und sagte, er habe vom Kapitän Befehl, mich an’s Ufer zu setzen. Ich machte ihm Vorstellungen, jedoch vergeblich. Er wollte mir nicht einmal sagen, wer denn der neue Kapitän sey. Man zwang mich, das lange Boot zu besteigen, erlaubte mir meinen besten Anzug anzulegen, der noch so gut als neu war, ein Bündel Wäsche, aber keine Waffen mitzunehmen, mit Ausnahme meines Hirschfängers. Auch erwiesen sie mir die Höflichkeit, meine Taschen nicht zu durchsuchen, worin ich mein Geld und kleine Bedürfnisse trug. Sie ruderten ungefähr eine Stunde und setzten mich dann auf einem Strande aus. Ich bat sie, mir zu sagen, in welchem Lande ich mich befände. Sie schwuren jedoch, dies eben so wenig, wie ich, zu wissen. Der Kapitän (wie sie ihn nannten) habe beschlossen, so bald die Ladung verkauft sey, sich meiner sogleich zu entledigen, wenn man Land entdecke. Sie stießen ab, riethen mir zu eilen, damit ich von der Fluth nicht überrascht würde und sagten mir Lebewohl. In diesem traurigen Zustande ging ich vorwärts und kam bald auf festen Boden, wo ich mich auf eine Erhöhung niedersetzte, um auszuruhen und zu überlegen, was ich am zweckmäßigsten beginnen könne. Als ich mich ein wenig erholt hatte, ging ich in das Innere des Landes und beschloß, mich den ersten Wilden zu überliefern, die ich anträfe, und mit Armbändern, Glasringen und anderem Spielzeug, womit sich die Seefahrer auf jenen Reisen zu versehen pflegen, und wovon ich einige bei mir trug, meine Sicherheit zu erkaufen. Das Land war durch lange Reihen von Bäumen, die jedoch nicht regelmäßig gepflanzt waren, sondern natürlich wuchsen, durchschnitten; auch befanden sich dort sehr viele Graswiesen und mehrere Haferfelder. Ich ging sehr vorsichtig, aus Furcht überrascht, oder von der Seite oder von hinten mit Pfeilen geschossen zu werden. Alsdann gelangte ich auf einen betretenen Pfad, wo ich viele Spuren von Menschenfüßen und auch von Kuhhufen sah, die meisten waren jedoch die von Pferdehufen. Zuletzt sah ich mehrere Thiere auf einem Felde, und eines oder zwei, von derselben Art, die auf Bäumen saßen. Ihre Form war sehr sonderbar und häßlich, so daß ich ein wenig aus der Fassung kam und mich hinter einen Busch legte, um sie besser zu beobachten. Einige kamen dem Platze näher, wo ich lag, und boten mir dadurch Gelegenheit ihre Form näher zu erkennen. Kopf und Brust war ihnen mit dickem Haar besetzt, einiges gelockt und anderes lang herabhängend. Sie hatten Bärte wie Ziegen, einen langen Haarstreifen auf dem Rücken und an den vorderen Theilen ihrer Beine; der übrige Theil ihres Körpers war entblößt, so daß ich die Haut erkennen konnte, welche von schmutzig dunklem Braun war. Sie waren nicht geschwänzt und hatten auch kein Haar an den hinteren Lenden, mit Ausnahme des Anus. Die Natur mußte diesen Körpertheil mit Haaren versehen haben, um sie zu schützen, denn ich sah, daß jene Geschöpfe sich in derselben Art setzten, wie auch niederlegten und auf den Hinterfüßen standen.

Sie erklommen hohe Bäume so behend wie Eichhörnchen, denn sie besaßen starke und scharfe Klauen, welche in scharfen Haken endeten. Sie pflegten mit wunderbarer Behendigkeit zu hüpfen und zu springen. Die Weibchen waren nicht so groß wie die Männchen; sie hatten lang herabhängendes Haar auf ihren Köpfen, aber keines im Gesicht, so wie auf dem größeren Theile des übrigen Körpers. Ihre Brustspitzen hingen zwischen ihre Vorderpfoten und erreichten beinahe den Boden, wann sie gingen. Das Haar beider Geschlechter war von verschiedenen Farben, braun, roth, schwarz und gelb.

Im Ganzen sah ich auf allen meinen Reisen niemals ein so unangenehmes Thier, welches mir eine ähnliche Abneigung erweckt hätte. Somit dachte ich, jetzt habe ich genug gesehen, stand voll Verachtung und Abscheu auf und folgte dem betretenen Weg, indem ich hoffte, er werde mich zu der Hütte eines Indiers führen. Ich war noch nicht weit gegangen, als ich einem jener Geschöpfe auf meinem Wege begegnete, welches geraden Weges auf mich zu kam. Als das häßliche Ungeheuer mich erblickte, verdrehte es alle Züge seines Gesichtes und starrte mich an, als habe es einen ähnlichen Gegenstand noch nie gesehen; alsdann kam es näher und hob seine Vorderpfoten in die Höhe, vielleicht aus Neugier, vielleicht auch aus Bosheit. Ich aber zog meinen Hirschfänger und gab ihm einen derben Schlag mit der flachen Klinge. Mit der Schärfe wagte ich nicht zu schlagen, denn ich besorgte die Einwohner möchten gegen mich aufgereizt werden, wenn sie erführen, ich hätte ein Exemplar ihres Viehes getödtet oder verstümmelt. Als das Thier den Schmerz empfand, fuhr es zurück und brüllte so laut, daß eine Heerde von wenigstens vierzig Stück vom nächsten Felde her mich umschwärmte, laut heulte und mir boshafte Gesichter schnitt. Ich aber lief auf einen Baumstamm zu, lehnte meinen Rücken dagegen und wehrte die Thiere durch das Schwingen meines Hirschfängers ab. Mehrere Individuen dieses verfluchten Geschlechtes ergriffen die hinteren Zweige, sprangen auf den Baum und beschmutzten meinen Kopf mit ihrem Koth; ich kam übrigens noch gut davon, denn ich drückte mich dicht an den Stamm, ward aber beinahe von dem Gestank des Kothes erstickt, welcher an allen Seiten neben mir herabfiel.

In meiner Noth bemerkte ich jedoch, wie sie plötzlich alle so schnell wie möglich davon liefen. Hierauf wagte ich es, den Baum zu verlassen und den Weg zu verfolgen, voll Erstaunen, was jene Thiere erschreckt haben könnte. Als ich aber linkshin umblickte, sah ich ein Pferd, welches langsam auf dem Felde spazieren ging; dies war aber die Ursache, weßhalb meine Verfolger flohen, als sie dies Thier erblickt hatten. Das Pferd fuhr ein wenig zurück, als es mich bemerkte, erholte sich jedoch bald von seinem Schrecken und sah mir in’s Gesicht mit deutlichen Zeichen des Erstaunens. Es besah meine Hände undFüße und ging mehreremale um mich herum. Ich wollte meinen Pfad verfolgen; es stellte sich mir jedoch in den Weg, blickte mit sanftem Ausdruck und zeigte nicht die geringste Neigung zur Gewaltthätigkeit. Wir blieben stehen, indem wir eine Zeit lang einander ansahen; zuletzt war ich so kühn, meine Hand zu seinem Halse zu erheben, in der Absicht es zu streicheln, und pfiff dabei, wie dies Reitknechte zu thun pflegen, wenn sie ein fremdes Pferd behandeln müssen. Dies Thier aber schien meine Höflichkeit mit Verachtung anzunehmen, schüttelte sein Haupt, senkte seine Brauen und erhob sanft seinen Vorderfuß, um meine Hand zu entfernen. Alsdann wieherte es drei- oder viermal, jedoch in so verschiedenem Ton, daß ich auf den Gedanken kam, es spreche mit sich selbst in einer ihm eigenthümlichen Sprache.

Als wir beide uns auf diese Weise mit einander abgaben, kam ein anderes Pferd hinzu. Dies begann in einer etwas förmlichen Weise sich an das andere zu wenden; alsdann berührten sie sanft ihre Vorderhufe, wieherten abwechselnd mehreremale und veränderten dabei den Ton, so daß dieses beinahe artikulirt zu seyn schien. Sie gingen einige Schritte zurück, als wollten sie sich mit einander berathen, spazierten nebeneinander her, rückwärts und vorwärts, wie Personen, die sich über eine wichtige Angelegenheit unterhalten, wobei sie häufig ihre Blicke auf mich hinwendeten; als wollten sie mich bewachen, damit ich nicht entwischte. Ich erstaunte, ein solches Benehmen bei unvernünftigen Thieren zu bemerken, und dachte bei mir selbst, wenn die Einwohner dieses Landes einen verhältnißmäßigen Grad von Vernunft besitzen, so müssen sie das weiseste Volk der Erde seyn. Dieser Gedanke gab mir so viel Trost, daß ich weiter zu gehen beschloß, bis ich ein Haus oder ein Dorf entdecken, oder mit den Eingeborenen zusammentreffen könnte, indem ich die beiden Pferde sich nach Belieben mit einander unterhalten ließe. Das erstere Pferd jedoch, welches eine scheckige graue Farbe hatte, wieherte, als ich mich fortstehlen wollte, in so ausdrucksvollem Tone, daß ich glaubte seinen Willen zu verstehen; deßhalb drehte ich mich um und ging auf dasselbe zu, um seine ferneren Befehle zu erwarten, indem ich jedoch meine Furcht so viel wie möglich zu verbergen suchte. Ich begann nämlich Besorgniß zu fühlen, wie dies Abenteuer enden würde, und der Leser wird sich leichteinbilden, daß ich mit meiner gegenwärtigen Lage nicht sehr zufrieden war.

Die beiden Pferde kamen mir näher und besahen sehr ernsthaft mein Gesicht und meine Hände. Das graue rieb meinen Hut mit dem Vorderhuf und verrückte ihn so sehr, daß ich genöthigt war, ihn abzunehmen um ihn wieder besser aufzusetzen, worauf beide (das andere Pferd war kastanienbraun) sehr erstaunt schienen. Das letztere befühlte meinen Rockschooß, und als es fand, daß derselbe locker um mich herumhing, sahen mich beide mit neuen Zeichen der Verwunderung an. Es streichelte meine rechte Hand und schien die Zartheit und Farbe derselben zu bewundern, drückte sie aber so stark zwischen den Huf und das Fesselgelenk, daß ich aufzuschreien genöthigt wurde. Sie kamen auch sehr in Verlegenheit, in Betreff meiner Schuhe und Strümpfe, die sie oft befühlten, worauf sie einander mit verschiedenen Bewegungen zuwieherten, welche denen eines Philosophen glichen, wenn er ein neues und schwieriges Phänomen auflösen will.

Im Ganzen war das Benehmen dieser Thiere so ordentlich und vernünftig, so scharfsinnig und klug, daß ich zuletzt daraus schließen mußte, es seyen Zauberer, die sich zu irgend einem Zweck verwandelt und beschlossen hätten, sich an einem Fremden zu belustigen, den sie unterwegs anträfen; oder vielmehr, die über den Anblick eines Menschen wirklich erstaunten, der in Kleidung, Gesichtszügen und Farbe von den übrigen Menschen so verschieden sey, welche in einem so entfernten Klima wohnen könnten. In Folge dieses Schlusses hielt ich an sie folgende Anrede: Meine Herrn, wenn sie Zauberer sind, wie ich zu vermuthen Ursache habe, so müssen sie jede Sprache verstehen können. Ich bin darum so frei, Euer Gnaden wissen zu lassen, daß ich ein armer, unglücklicher Engländer bin, welcher durch Unglück an dieses Land verschlagen wurde. Deßhalb bitte ich einen von Ihnen, mich auf seinem Rücken reiten zu lassen, als wären Sie wirkliche Pferde, und mich zu einem Hause oder zu einer Stadt zu bringen, wo ich Hülfe werde finden können. Als Belohnung für diese Gefälligkeit werde ich Ihnen dies Messer und dieses Armband geben. (Ich hatte beide zuvor aus meiner Tasche gezogen.) Die beiden Geschöpfe schwiegen während ich sprach, schienen jedoch mir mit großer Aufmerksamkeit zuzuhören; als ich geendet hatte, wieherten Beide sich häufig zu, als wären sie in ein ernsthaftes Gespräch vertieft. Ich bemerkte deutlich, daß ihre Sprache die Leidenschaften sehr gut ausdrückte, und daß die Worte in ein Alphabet aufgelöst werden könnten, welches bei Weitem einfacher wie das Chinesische seyn müßte.

Ich konnte häufig das Wort Yähu unterscheiden, welches mehreremale von ihnen wiederholt wurde, und obgleich es mir unmöglich war, die Bedeutung zu errathen, so bemühte ich mich, während die beiden Pferde sich mit einander unterhielten, es meiner Zunge zugänglich zu machen. Sobald sie schwiegen sprach ich deßhalb Yähu mit lauter Stimme aus, indem ich zugleich, so gut wie möglich, das Wiehern eines Pferdes nachahmte. Hierüber schienen Beide sehr erstaunt, und der Schecke wiederholte mir das Wort zweimal, als wolle er mir den richtigen Accent zeigen. Ich sprach es ihm nach so gut wie möglich, und fand, daß ich mich jedesmal verbesserte, ob ich gleich von Vollkommenheit noch sehr weit entfernt war. Alsdann machte der Braune mit mir den Versuch hinsichtlich eines zweiten Wortes, welches noch schwerer auszusprechen war; um es durch unsere Orthographie auszudrücken, werde ich es Hauyhnhnms schreiben müssen. Diese Aussprache gelang mir nicht so gut, wie die frühere; nach zwei oder drei Versuchen hatte ich jedoch mehr Glück, und Beide erstaunten über meine Fähigkeit.

Nach einem weiteren Gespräch, von welchem ich vermuthete, daß es sich auf mich beziehe, nahmen die beiden Freunde von einander Abschied, indem sie dasselbe Compliment, die Hufe zu berühren, wiederholten. Das braune Pferd gab mir ein Zeichen, ich solle ihm vorangehen, und ich hielt es für klug, zu gehorchen, bis ich einen bessern Wegweiser würde erhalten haben. Als ich anfing etwas langsamer zu gehen, schrie es hune, hune. Ich errieth seinen Willen und gab ihm so gut wie möglich zu verstehen, ich sey müde und könne nicht schneller gehen, worauf es still stand, um mich ausruhen zu lassen.

Kapitel 2


Kapitel 2 Der Verfasser wird von einem Hauyhnhnm in dessen Haus geführt. Beschreibung des Hauses. Aufnahme des Verfassers. Nahrung der Hauyhnhnms. Der Verfasser kömmt in Noth wegen Mangels an Speise, wird aber zuletzt daraus erlöst. Seine Nahrung in diesem Lande.

Als wir ungefähr anderthalb Stunden gegangen waren, kamen wir zu einer Art von Haus, welches aus eingerammten und kreuzweise gelegten Balken bestand. Das Dach war niedrig und mit Stroh bedeckt. Ich faßte somit wieder einigen Muth und zog einiges Spielzeug, welches die Reisenden als Geschenke für Wilde in Amerika und andern Welttheilen mitzubringen pflegen, aus der Tasche, denn ich hoffte, die Bewohner des Hauses würden dadurch bewogen werden, mich freundlich aufzunehmen. Das Pferd gab mir ein Zeichen, zuerst hineinzugehen; es bestand aus einem großen Raume mit einem Lehmboden und mit Trögen und Krippen, welche sich an der Wand hin ausdehnten. Ich sah dort zwei Klepper und zwei Stuten, welche nicht aßen, und wovon Einige zu meinem Erstaunen auf ihren Schenkeln saßen; noch mehr aber wunderte ich mich, als ich sah, wie die übrigen in der Haushaltung beschäftigt waren, obgleich sie nur aus gewöhnlichem Vieh bestanden. Dies bestätigte meine Vermuthung, ein Volk, welches unvernünftige Thiere so sehr zu civilisiren verstehe, müsse nothwendig alle Nationen der Welt an Weisheit übertreffen. Der Braune kam gleich hinter mir drein, und verhinderte dadurch eine schlimme Behandlung, die ich vielleicht von den andern hätte erleiden müssen. Er wieherte mehrere Male im Tone des Befehls und erhielt Antwort.

Ausser diesem Raume befanden sich in dem Hause noch drei andere, die, der Länge des Gebäudes nach, gegen einander über lagen, indem die Thüren sich in gerader Linie vis à vis befanden. Wir gingen durch den zweiten Raum zum dritten. Hier trat der Braune zuerst ein, indem er mir winkte, ihm zu folgen. Ich wartete im zweiten Raume und hielt meine Geschenke für den Herrn und die Herrin des Hauses bereit. Sie bestanden aus zwei Messern, drei Armbändern von falschen Perlen, einem kleinen Spiegel und einem Halsband aus gläsernen Kugeln. Das Pferd wieherte zwei oder dreimal und ich erwartete eine Menschenstimme als Erwiedrung zu hören, vernahm jedoch keine andere Antwort, als in demselben Dialekte und ein paar Töne, die ein wenig heischerer klangen; deßhalb dachte ich, dies Haus gehöre einer Person von Ansehn unter diesem Volke, weil so viele Ceremonien gemacht wurden, bevor ich Zutritt erhielt. Der Umstand, daß ein Mann von Stande durch Pferde bedient würde, lag jedoch außerhalb meiner Begriffe; ich besorgte, mein Gehirn sey durch Unglück und Leiden verwirrt worden; ich faßte Muth und sah mich in dem Räume um, wo ich allein gelassen ward; der Raum war mit denselben Möbeln wie der erste, jedoch bei weitem zierlicher versehen. Ich rieb mir die Augen, allein ich sah stets nur dieselben Gegenstände. Ich kniff mir in die Arme und die Seiten, um mich zu erwecken, denn ich hoffte, Alles sey nur ein Traum. Aus Allem dem schloß ich, der ganze Schein könne nur durch Zauberei und Magie bewirkt seyn. Ich hatte jedoch keine Zeit, in meinen Gedanken fortzufahren; der Braune kam aus der Thüre und gab mir ein Zeichen, ihm in den dritten Raum zu folgen, wo ich eine sehr schöne Stute mit zwei Füllen sah, die mit ihren Hinterfüßen auf künstlich geflochtenen und vollkommen reinen Strohmatten saßen.

Nachdem ich eingetreten war, erhob sich die Stute von ihrem Sitz, trat nahe an mich heran, untersuchte genau mein Gesicht und meine Hände und gab mir einen im höchsten Grade verächtlichen Blick; alsdann wandte sie sich zu dem Hengste, und ich hörte, wie das Wort Yähu zwischen Beiden häufig ausgesprochen wurde. Die Bedeutung desselben konnte ich aber noch nicht verstehen, obgleich es das erste war, dessen Aussprache ich erlernt hatte. Allein bald wurde ich zu meiner ewigen Kränkung darüber unterrichtet. Der Hengst winkte mir mit dem Kopfe und wiederholte mir das hhuun hhunn, wie unterweges, was ich bereits verstand und womit er andeutete, ich solle ihm folgen. Alsdann führte er mich in den Hof, wo ein anderes Gebäude in einiger Entfernung vom Hause stand. Wir traten ein und ich sah drei dieser scheußlichen Kreaturen, welche ich bei meiner Landung zuerst angetroffen hatte; sie nährten sich von Wurzeln und vom Fleische einiger Thiere, wie ich nachher erfuhr von Hunden und Eseln und bisweilen auch von krepirten Kühen. Mit dem Halse waren sie durch starke Weidenruthen an einen Balken festgebunden. Sie hielten ihre Nahrung mit den Vorderpfoten und zerrissen dieselbe mit ihren Zähnen.

Das Herr-Pferd befahl einem fuchsrothen Klepper, welcher sein Diener war, das größte dieser Thiere loszubinden und in den Hof zu bringen. Die Bestie und ich wurden nahe aneinander gestellt und unsere Gesichtszüge sowohl vom Herrn wie vom Diener aufmerksam verglichen, worauf sie Beide das Wort Yähumehrere Male wiederholten.

Hier kann ich meinen Abscheu und mein Erstaunen nicht beschreiben, als ich in diesem verabscheuungswürdigen Thier eine vollkommene Menschenfigur erblickte. Das Gesicht war zwar flach und breit, die Nase eingedrückt, die Lippen geschwollen und der Mund sehr weit. Diese Verschiedenheiten von unsrer Gesichtsbildung sind aber allen wilden Nationen gemein, welche ihre Kinder auf dem Boden umherkriechen, oder sie auf dem Rücken tragen lassen, so daß die Kinder mit dem Gesicht über den Schultern ihrer Mutter gesäugt werden. Die Vorderpfoten des Yähu waren von meinen Händen nur durch die Länge der Nägel, durch die Rauheit und Bräune der Handflächen und durch die haarige Rückseite verschieden. Dieselbe Aehnlichkeit fand zwischen unsern Füßen statt, wie ich sehr wohl wußte, die Pferde jedoch ahneten dieses nicht, weil ich Schuhe und Strümpfe trug. Dasselbe war an jedem Theile unsers Körpers der Fall, mit Ausnahme der Haare und der Farbe, wie ich schon beschrieben habe.

Die größte Schwierigkeit, welche sich den beiden Pferden zu bieten schien, bestand darin, daß sie meinen Körper von dem des Yähu so sehr verschieden sahen. Dies verdankte ich meinen Kleidern, wovon sie keinen Begriff hatten. Der fuchsrothe Klepper bot mir eine Wurzel, die er nach Art der Hauyhnhnms, welche ich am passenden Orte beschreiben werde, zwischen seinem Huf und dem Fußgelenk hielt; ich nahm dieselbe in meine Hand, roch darauf und gab sie so höflich, wie es mir möglich war, wieder zurück. Alsdann brachte er aus dem Stall der Yähus ein Stück Eselsfleisch; es stank aber so furchtbar, daß ich es mit Ekel zurückwies. Hierauf warf er es dem Yähu zu, der es mit Gier verschlang. Alsdann zeigte er mir ein Bündel Heu und einen Kübel voll Hafer, allein ich schüttelte den Kopf, um anzudeuten, beides sey kein Futter für mich. Auch fürchtete ich schon wirklich den Hungertod, wenn ich kein Individuum meiner Gattung anträfe; denn was die schmutzigen Yähus betraf, so muß ich gestehen, daß ich nie so verabscheuungswürdige Geschöpfe in jeder Hinsicht gesehen habe, obgleich es damals nur Wenige gab, welche in demselben Grade wie ich, die Menschheit liebten. Je näher ich ihnen kam, desto verhaßter sind sie mir geworden, so lange ich im Lande blieb. Dies bemerkte das Herr-Pferd aus meinem Benehmen und schickte deßhalb den Yähu in seinen Stall zurück. Alsdann legte es seinen Vorderhuf an den Mund, worüber ich erstaunte, obgleich es diese Bewegung ungezwungen und ganz natürlich ausführte; zugleich gab es mir auch durch andere Zeichen zu verstehen, ich möge andeuten, was ich zu essen wünsche. Ich konnte ihm aber keine Antwort geben, die es zu begreifen vermochte, und wäre dies auch selbst der Fall gewesen, so sah ich keine Möglichkeit, mir irgend eine Nahrung zu verschaffen. Während wir so uns verständlich zu machen suchten, bemerkte ich, daß eine Kuh vorbeiging; ich zeigte auf dieselbe und drückte meinen Wunsch aus, sie melken zu dürfen. Dies hatte Würkung. Das Pferd führte mich in’s Haus zurück und befahl einer Stute-Magd, mir ein Zimmer zu öffnen, wo ein ziemlicher Vorrath von Milch in irdenen und hölzernen Gefäßen, reinlich und in Ordnung, verwahrt war. Die Magd gab mir hierauf eine große Schaale voll Milch, die ich mit großem Appetit trank, und wodurch ich sehr erfrischt wurde.

Gegen Mittag sah ich eine Art Fuhrwerk, einem Schlitten ähnlich, welches von vier Yähus gezogen wurde, vor den Hause anlangen; darin befand sich ein altes Pferd, welches eine Person von Stande zu seyn schien. Es stieg mit den Hinterfüßen herunter, da es unglücklicher Weise am linken Vorderfuße verletzt worden war. Es wollte mit unserm Pferde zu Mittag speisen, und wurde von demselben mit großer Höflichkeit empfangen. Man speiste im besten Zimmer, und erhielt Hafer in Milch gekocht als zweiten Gang der Tafel. Das alte Pferd aß diese Speise warm, die übrigen aber kalt. Die Tröge wurden in Cirkelform aufgestellt und in mehrere Abtheilungen geschieden. Die Pferde saßen dabei mit ihren Hinterschenkeln auf Strohbündeln. In der Mitte befand sich eine große Krippe mit Winkeln, welche jeder Abtheilung der Tröge entsprach, so daß jedes Pferd sein ihm bestimmtes Heu nebst dem Gemisch von Milch und Hafer sehr anständig und regelmäßig aß. Das Benehmen der männlichen und weiblichen Füllen war sehr bescheiden, und das des Herren und seiner Gemahlin außerordentlich heiter und gefällig gegen den Gast. Der Braune befahl mir, mich an seine Seite zu stellen; er und sein Freund hielten über mich eine lange Unterredung, wie ich aus den Blicken des Fremden und aus der häufigen Wiederholung des Wortes Yähu bemerken konnte.

Ich trug zufällig meine Handschuhe. Als dies der Braune, das Herr-Pferd, bemerkte, schien er sehr erstaunt und gab mir durch Zeichen seine Verwunderung zu verstehen, was ich mit meinen Händen angefangen habe; er legte seinen Huf drei oder viermal auf dieselben, als wolle er mir andeuten, ich solle ihnen die frühere Form wiedergeben. Dies that ich auch; denn ich zog sogleich meine Handschuhe aus und steckte sie in die Tasche. Dies veranlaßte ein ferneres Gespräch, und ich sah, die Gesellschaft sey mit meinem Betragen zufrieden. Auch bemerkte ich bald die guten Folgen. Mir wurde befohlen, die wenigen Worte, die ich verstand, auszusprechen. Während die Gesellschaft bei Tische saß, lehrte mich der Herr die Namen für Hafer, Milch, Feuer, Wasser und einige andere Gegenstände, diese konnte ich sehr bald ihm nachsprechen, da ich von früher Jugend an viele Gewandtheit im Erlernen fremder Sprachen besessen habe.

Als das Mittagessen vorbei war, nahm das Herr-Pferd mich bei Seite und gab mir durch Zeichen und Worte zu verstehen, es thue ihm sehr leid, daß ich nichts zu essen habe. Hafer wird in der Sprache der Hauyhnhnms Hlunnh genannt. Ob ich gleich diese Speise zuerst zurückgewiesen hatte, so fiel mir doch gleich darauf ein, ich könne daraus eine Art Brod machen, welches nebst der Milch genügen würde, mich am Leben zu erhalten, bis ich in ein anderes Land und zu Geschöpfen meines eigenen Geschlechtes fliehen könnte. Das Pferd befahl sogleich einer weißen Magd-Stute aus seiner Familie mir eine Masse Hafer in einer Art hölzernen Mulde zu bringen. Dieses Getreide erhitzte ich so gut wie möglich am Feuer, bis die Hülsen absprangen, worauf ich diese vom Korne zu sichten suchte; letzteres mahlte und zerquetschte ich zwischen zwei Steinen, vermischte es mit Wasser und machte daraus einen Teich oder Kuchen, den ich am Feuer röstete und warm mit Milch aß. Anfänglich schien mir dies eine sehr unschmackhafte Speise, ob sie gleich in vielen Theilen Europa’s gewöhnlich ist; sie wurde mir aber mit der Zeit erträglich, und da ich schon oft in meinem früheren Leben zu magerer Kost genöthigt war, so bemerkte ich hier nicht zum ersten Mal, wie leicht man die Natur befriedigen kann. Auch muß ich erwähnen, daß ich mich nie auch nur eine Stunde lang übel befunden habe, so lange ich auf der Insel blieb. Allerdings bemühete ich mich, Kaninchen oder Vögel mit Schlingen aus Jähu-Haar zu fangen; oft auch sammelte ich gesunde Kräuter, die ich kochte und als Salat beim Brode aß. Bisweilen machte ich mir ein wenig Butter und trank die Molken; auch war mir der Mangel an Salz sehr empfindlich, allein die Gewohnheit söhnte mich bald mit dieser Entbehrung aus. Ich hege jetzt die Ueberzeugung, der häufige Gebrauch des Salzes sey bei uns eine Folge des Luxus, und sey zuerst als ein Reizmittel zum Trinken eingeführt worden, mit Ausnahme des Falles, wo es dazu dient, das Fleisch auf langen Reisen oder den Orten, die von großen Märkten entfernt liegen, vor Fäulniß zu bewahren. Wir bemerken ja, daß kein Thier als der Mensch das Salz liebt, und was mich betrifft, so hat es mich viele Mühe gekostet, den Geschmack desselben in irgend einer Speise zu ertragen, nachdem ich das Land der Hauyhnhnms verlassen hatte.

Dies genüge, um meine Lebensart in Hinsicht der Speisen darzustellen, womit andere Reisende ihre Bücher füllen, als sey den Lesern daran gelegen, ob wir gut oder schlecht essen. Es war jedoch nothwendig, den Gegenstand zu erwähnen, sonst würde die Welt es für unmöglich halten, daß ich drei Jahre lang in solch einem Lande und unter solchen Einwohnern meine Nahrung fand.

Gegen Abend befahl das Herr-Pferd, mir einen Ort zur Wohnung zu bereiten. Dieser war nur sechs Ellen vom Hause entfernt und von dem Stall der Jähus getrennt. Hier bekam ich einiges Stroh; ich bedeckte mich mit meinen Kleidern und hatte einen gesunden Schlaf. In kurzer Zeit hatte ich mich auch besser in meine Lage gewöhnt, wie der Leser später erfahren wird, wenn ich über meine Lebensart genauer sprechen werde.

Kapitel 3


Kapitel 3 Der Verfasser sucht die Sprache der Hauyhnhnms zu erlernen; sein Herr ist ihm dabei behülflich. Beschreibung der Sprache. Mehrere Hauyhnhnms von Stande kommen an aus Neugier den Verfasser zu sehen. Er gibt seinem Herrn einen kurzen Bericht von seiner Reise.

Meine hauptsächlichste Bemühung war die Erlernung der Sprache, worin mich mein Herr (von nun an werde ich ihn so nennen), dessen Kinder und das Gesinde des Hauses unterrichteten. Sie betrachteten es nämlich als ein Wunder, daß ein unvernünftiges Thier so viel Spuren eines vernünftigen Geschöpfes offenbare. Ich zeigte auf jedes Ding, fragte nach dem Namen, zeichnete denselben in meinem Tagebuche auf, wenn ich allein war, und verbesserte dadurch den Accent, daß ich die Mitglieder der Familie ersuchte, die Worte mir öfter vorzusprechen. Bei dieser Beschäftigung war mir der fuchsrothe Klepper, einer der unteren Bedienten, im höchsten Grade nützlich.

Die Hauyhnhnms sprechen hauptsächlich durch die Nase in die Kehle aus. Ihre Sprache kommt von allen europäischen, die ich kenne, dem Hochdeutschen am nächsten, sie ist aber bei Weitem zierlicher und ausdrucksvoller. Kaiser Karl V. machte dieselbe Bemerkung, indem er sagte, spreche er je zu seinem Pferde, so werde dies im Hochdeutschen geschehen.

Die Neugier und Ungeduld meines Herrn war so groß, daß er seine Mußestunden oft damit zubrachte, mich zu unterrichten. Er war überzeugt (wie er mir nachher sagte) ich sey ein Yähu; indeß meine Gelehrigkeit, Höflichkeit und Reinlichkeit setzten ihn in Erstaunen; jene Eigenschaften waren nämlich denen der Yähus durchaus entgegengesetzt. Er war sehr in Verlegenheit hinsichtlich meiner Kleider, und dachte öfter bei sich, sie müßten ein Theil meines Leibes seyn; ich legte sie nämlich nie ab, als bis die Familie eingeschlafen war, und zog sie wieder an, bevor sie des Morgens eintrat. Mein Herr war begierig zu erfahren, woher ich käme, wie ich mir diesen Anschein der Vernunft erworben habe, die ich in allen meinen Handlungen zeige; ferner wünschte er auch meine Geschichte aus meinem eigenen Munde zu hören; er hoffte ich würde bei den großen Fortschritten, die ich in Erlernung der Worte und Sätze mache, bald im Stande seyn, ihm dieselbe zu erzählen. Um mein Gedächtniß zu unterstützen, schrieb ich Alles, was ich erlernt hatte, im englischen Alphabete nieder, und fügte bei den Worten die Uebersetzung hinzu. Es kostete viel Mühe, ihm auseinanderzusetzen, was ich vorhabe, denn die Einwohner haben nicht den geringsten Begriff von Büchern und Literatur.

Nach ungefähr zehn Wochen war ich im Stande die meisten seiner Fragen zu verstehen, nach drei Monaten konnte ich ihm erträgliche Antworten geben. Er war außerordentlich neugierig zu erfahren, aus welchem Theile des Landes ich gekommen sey, und wie ich gelernt habe, vernünftige Geschöpfe nachzuahmen, weil die Yähus (denen ich in Gesicht, Kopf und Händen gleiche, den allein sichtbaren Theilen) die ungelehrigsten aller Thiere seyen, obgleich sie einen größeren Anschein von List, und die stärkste Neigung zum Unheil zeigten. Ich erwiderte, ich sey über die See von einem sehr entfernten Platze mit vielen andern meines Geschlechtes in einem großen hohlen Gefäße, aus dem Holze der Bäume verfertigt, hergekommen. Meine Gefährten hätten mich gezwungen auf dieser Küste zu landen, und mich alsdann verlassen, damit ich für mich selbst sorgen möge. Nur mit Schwierigkeit und durch viele Zeichen brachte ich ihn dahin, daß er mich verstand. Er antwortete: Ich müsse mich nothwendig irren, oder habe Dinge gesagt, welche nicht existirten. (Die Hauyhnhnms haben in ihrer Sprache kein Wort, welches Lüge oder Falschheit ausdrückt). Er wisse, es sey unmöglich, daß sich noch ein Land jenseits des Meeres befinde, und daß ein Haufen Thiere auf dem Wasser ein hölzernes Gefäß nach Belieben leiten könnte. Er wisse ferner, kein Hauyhnhnm könne solch ein Gefäß verfertigen, und würde dessen Leitung den Yähus auch nimmer anvertrauen.

Das Wort Hauyhnhnm bezeichnet in der Landessprache ein Pferd und in seiner Etymologie die Vollkommenheit der Natur. Ich sagte meinem Herrn: Jetzt sey ich noch in Verlegenheit hinsichtlich der Ausdrücke; ich würde diesem Mangel jedoch so schnell wie möglich abhelfen, und hoffe in kurzer Zeit im Stande zu seyn, ihm wunderbare Dinge zu sagen. Er hatte die Güte, seiner eigenen Stute, seinen beiden Füllen und den Bedienten der Familie Befehl zu ertheilen, jede Gelegenheit zu meinem Unterrichte zu benutzen. Jeden Tag gab er sich zwei oder drei Stunden lang selbst die Mühe. Mehrere Hengste und Stuten von Stande aus der Nachbarschaft kamen oft in unser Haus, nachdem das Gerücht von einem wunderbaren Yähu verbreitet war, der wie ein Hauyhnhnm sprechen könne, und in allen Worten und Handlungen einige Funken von Vernunft offenbare. Diese fanden Vergnügen daran, sich mit mir zu unterhalten; sie legten mir mehrere Fragen vor und erhielten solche Antworten, wie ich sie geben konnte. Durch alle diese Vortheile machte ich so bedeutende Fortschritte, daß ich in fünf Monaten nach meiner Ankunft alles verstand, was mir gesagt wurde, und daß ich mich ziemlich deutlich ausdrücken konnte.

Die Hauyhnhnms, welche meinen Herrn besuchten, um mich zu sehen und um mit mir zu sprechen, konnten kaum glauben, ich sey ein wirklicher Yähu, weil mein Körper eine andere Bedeckung habe, wie die Übrigen meines Geschlechtes. Sie erstaunten, mich ohne Haar und Haut, mit Ausnahme meines Kopfes und meiner Hände, zu sehen, allein ich hatte dies Geheimniß meinem Herrn nach einem Ereigniß entdeckt, welches ungefähr vierzehn Tage vorher vorgefallen war.

Ich habe dem Leser schon gesagt, daß es jede Nacht meine Gewohnheit war, mich auszuziehen und mit meinen Kleidern zu bedecken, sobald die Familie zu Bett gegangen war.

Einst geschah es, daß mein Herr mich eines Morgens früh durch den fuchsrothen Klepper holen ließ, welcher sein Bedienter war. Als er kam, war ich noch fest eingeschlafen, meine Kleider waren an einer Seite heruntergefallen und mein Hemd über den Leib abgestreift. Ich erwachte bei dem Geräusch das er machte, und bemerkte, daß er seiner Botschaft sich mit einiger Verlegenheit entledigte; hierauf ging er zu meinem Herrn und gab demselben mit einigem Schrecken einen verwirrten Bericht von dem, was er gesehen hatte.

Dies bemerkte ich sogleich; als ich nämlich angekleidet war und meine Aufwartung Seiner Gnaden gemacht hatte, fragte sie mich nach der Bedeutung des Berichtes, den ihr der Diener gegeben habe; ich sey nämlich nicht dasselbe Geschöpf im Schlafe, welches ich in anderen Zeiten zu seyn scheine; sein Diener habe ihm die Versicherung gegeben, ein Theil von mir sey weiß, ein anderer gelb oder wenigstens nicht so weiß und einige andere Theile sogar von brauner Farbe. Bis dahin hatte ich das Geheimniß meiner Kleidung verhehlt, um mich so viel wie möglich von jenem verfluchten Geschlecht der Yähus zu unterscheiden; jetzt aber fand ich, dies sey mir nicht länger möglich. Außerdem überlegte ich, meine Kleider und Schuhe würden bald abgenützt seyn, denn sie waren schon in abnehmendem Zustande, und ich mußte sie durch irgend ein Mittel aus den Fellen der Yähus oder anderer Thiere wieder ersetzen. Dadurch hätte das Geheimniß ohnedem verrathen werden müssen. Somit sagte ich meinem Herrn: In dem Lande, woher ich komme, bedecke sich das ganze Geschlecht, wozu ich gehöre, den Leib mit Haaren verschiedener Thiere, welche man künstlich zubereite. Dies geschehe sowohl des Anstandes wegen, als auch um die unangenehmen Einflüsse der Luft, sowohl in Hitze wie in Kälte, zu vermeiden. Was mich selbst betreffe, so wolle ich ihn sogleich hievon überzeugen, wenn er die Güte habe, mir den Befehl zu ertheilen. Ich bitte allein um Verzeihung, wenn ich diejenigen Theile nicht bloßstelle, deren Verheimlichung uns die Natur gebiete. Er antwortete: Meine Rede sey sonderbar, besonders aber der letztere Theil; er könne nicht begreifen, weßhalb die Natur uns zu verheimlichen lehre, was sie uns gegeben habe. Weder er noch seine Angehörigen schämten sich irgend eines Theiles an ihrem Leibe. Ich möge jedoch thun, was mir beliebe. Hierauf knöpfte ich meinen Rock auf und zog ihn aus, ebenso auch meine Weste. Alsdann legte ich Schuhe, Strümpfe und Beinkleider ab. Ich ließ mein Hemd bis an den Bauch herabfallen, zog den untern Theil herauf und befestigte es, wie einen Gürtel, um die Mitte meines Leibes, meine Naktheit zu verbergen.

Mein Herr beobachtete mein ganzes Verfahren mit den Zeichen großer Neugier und Verwunderung. Er nahm alle meine Kleider mit dem Fußgelenke auf und untersuchte eines nach dem andern mit vieler Genauigkeit, alsdann streichelte er sanft meinen Leib und besah mich von allen Seiten. Hierauf sagte er: Ich sey ein vollkommener Yähu, sey jedoch von den Uebrigen meines Geschlechtes in der Weiße und Sanftheit meiner Haut sehr verschieden; ferner auch durch den Mangel an Haar an mehreren Theilen meines Körpers; durch die Form und die Größe meiner Vorder- und Hinterklauen; endlich auchdurch mein Bestreben, fortwährend auf meinen Hinterpfoten zu gehen. Er wünschte Nichts weiter zu sehen und ertheilte mir Erlaubniß, meine Kleider wieder anzulegen, denn ich schauderte vor Kälte.

Ich sagte ihm wie unangenehm es mir sey, daß die Benennung Yähu, dieses verhaßten Thieres, gegen welches ich den äußersten Haß und Verachtung hege, mir so häufig beigelegt werde, und bat ihn deßhalb, er möge das Wort nicht ferner auf mich anwenden und dasselbe seiner Familie und seinen Freunden sagen, denen er erlaube mich zu besuchen. Ich bat ihn ferner, das Geheimniß meiner falschen Körperbedeckung zu bewahren, so lange meine gegenwärtige Kleidung aushalten würde, denn wie sein Diener, der fuchsrothe Klepper, bemerkt habe, werde es im Interesse seiner Ehre seyn, nicht davon zu reden.

Zu Allem dem gab mein Herr sehr gnädig seine Einwilligung, und so wurde das Geheimniß bewahrt, bis meine Kleider abgenutzt waren, so daß ich genöthigt wurde, dieselben auf verschiedene Weise zu ersetzen, wie ich nachher beschreiben werde. Alsdann sprach er seinen Wunsch aus, ich möge unterdessen die Landessprache erlernen. Er sey nämlich über meine Fähigkeit der Rede und Vernunft noch sehr erstaunt, als über die Gestalt meines Körpers, ich möge mich bedecken oder nicht. Auch warte er voll Ungeduld auf die wunderbaren Dinge, die ich ihm erzählen wolle.

Von da an verdoppelte er seine Mühe mich zu unterrichten; er brachte mich in alle Gesellschaften und trug Sorge, daß ich höflich behandelt wurde; er sagte nämlich seinen Freunden insgeheim, dies werde mich in guter Laune erhalten und mich für sie unterhaltender machen.

An jedem Tage legte er mir mehrere Fragen, in Betreff meiner, vor, die ich so gut wie möglich beantwortete; hiedurch hatte er bereits einige allgemeine Ideen erlangt, ob diese gleich noch sehr unvollkommen waren. Es würde langweilig seyn, das ganze Verfahren darzustellen, wodurch ich zu einer regelmäßigen Unterhaltung gelangte. Der erste Bericht, den ich jedoch in einiger Ordnung und Länge von mir gab, war folgender Art:

Ich sey aus einem sehr entfernten Lande gekommen, nebst fünfzig Andern meines Geschlechtes; wir seyen in einem großen hölzernen Gefäß, welches bei Weitem größer sey, als das Haus Ihrer Gnaden, über das Meer gereist. Ich beschrieb ihm das Schiff so gut wie möglich, und erklärte ihm durch mein Schnupftuch, wie der Wind es vorwärts treibe. Nach einem Zwiste unter uns, sey ich hier an der Küste ausgesetzt worden und weiter gegangen, ohne zu wissen wohin, bis er mich von der Verfolgung der verabscheuungswürdigen Yähus befreit habe. Mein Herr fragte mich hierauf, wie das Schiff gebaut sey, und wie die Hauyhnhnms des Landes dasselbe der Führung von Thieren überlassen könnten. Meine Antwort war: Ich würde in meinem Berichte nicht fortzufahren wagen, wenn er mir nicht sein Wort gebe, daß er sich nicht ärgern wolle, und alsdann würde ich ihm die Wunder erzählen, die ich so oft versprochen. Er bewilligte meine Bitte, und ich gab ihm dann die Versicherung, das Schiff sey von Geschöpfen, die mir gleichen, verfertigt. In meinem Vaterlande, so wie in allen Ländern, die ich durchreiste, seyen die Yähus allein die vernünftigen und regierenden Thiere; bei meiner Ankunft sey ich so erstaunt gewesen, als ich ihn erblickte, daß die Hauyhnhnms als vernünftige Geschöpfe handelten, wie er und seine Freunde sich verwunderten, einige Spuren von Vernunft bei einem Geschöpfe zu finden, das er Yähu zu nennen die Güte habe. Ich gestand ein, daß ich den Yähus in jedem Theile meines Körpers gleiche, daß ich mir jedoch ihre ausgeartete und viehische Natur nicht erklären könne. Ich sagte ferner: Wenn das Glück mich jemals in mein Vaterland zurückführe, um meine Reise hieher, wie ich beschlossen habe, zu erzählen, so würde mir Jeder glauben, ich habe etwas berichtet, was nirgends existire, und hätte eine Geschichte in’s Blaue erfunden; ich müsse bei aller Achtung, die ich gegen ihn, seine Familie und Freunde hege, und unter der Bedingung, daß er sich nicht beleidigt fühle, offen eingestehen, daß meine Landsleute mir schwerlich glauben werden, ein Hauyhnhnm sey das herrschende Geschöpf einer Nation und der Yähu das Vieh.

Kapitel 4


Kapitel 4 Begriff der Hauyhnhnms von Wahrheit und Falschheit. Des Verfassers Bericht wird von seinem Herrn nicht gebilligt. Der Verfasser gibt einen genaueren Bericht über sich selbst und die Ereignisse seiner Reise.

Mein Herr hörte mich mit Zeichen des Aergers in seinen Zügen an, denn Bezweifeln oder Nichtglauben ist in diesem Lande so wenig bekannt, daß die Einwohner nicht sagen können, wie sie sich unter solchen Umstanden zu benehmen haben. Auch erinnere ich mich mehrerer Unterredungen mit meinem Herrn, wo ich gelegentlich von Lügen und falscher Darstellung sprach, da wir uns gerade über die Natur der Mannheit in andern Ländern unterhielten, so daß er nur mit Schwierigkeit den Sinn meiner Worte verstand, ob er gleich sonst eine scharfsinnige Urtheilsgabe besaß. Seine Schlußfolge war nämlich diese: der Gebrauch der Rede ist uns zum gegenseitigen Verständniß und zur Kenntniß der Thatsachen gegeben. Sagt nun Jemand irgend etwas, welches nicht existirt, so wird der Zweck verfehlt, weil man ja von mir nicht sagen kann, daß ich den Sinn seiner Rede begreife, auch bin ich so weit davon entfernt, etwas mir Neues zu erfahren, daß ich schlimmer daran bin, als wüßte ich gar Nichts; ich glaube zuletzt etwas Weißes sey schwarz, und etwas Kurzes lang. Dieses waren alle Begriffe, die er über das Vermögen des Lügens besaß, welches von allen Menschengeschöpfen so vollkommen verstanden und so allgemein ausgeübt wird.

Ich kehre von dieser Abschweifung zurück. Als ich behauptete, die Yähus seyen ausschließlich in meinem Vaterlande die herrschenden Thiere, sagte mein Herr, dies übersteige seine Begriffe. Alsdann wünschte er zu wissen, ob wir auch Hauyhnhnms hätten und wie dieselben beschäftigt wären. Ich erwiderte ihm, wir besäßen eine große Anzahl Hauyhnhnms; sie grasten im Sommer auf den Wiesen und würden des Winters in Häusern mit Heu und Hafer ernährt; Yähu-Bedienten wären bei ihnen angestellt, um ihre Haut rein zu striegeln, ihre Mähnen zu kämmen, ihre Hufe zu untersuchen, ihnen Futter zu reichen und ihr Bett zu machen. Ich verstehe Dich wohl, sagte mein Herr, wie sehr die Yähus auch auf die Vernunft Anspruch machen, sind die Hauyhnhums dennoch die Herren. Ich wünsche nur, daß man mit Euren Yähus eben so gut umgehen kann.

Ich bat ihn: Seine Gnaden möge mich entschuldigen, daß ich nicht weiter fortfahre. Ich sey überzeugt, der Bericht, den ich Ihr geben werde, müsse Ihr im höchsten Grade mißfallen. Mein Herr bestand jedoch auf seinem Befehle, ihm Gutes und Schlimmes zu sagen. Alsdann berichtete ich, um ihm zu gehorchen: Die Hauyhnhums, die wir bei uns Pferde nennen, seyen die großmüthigsten und zierlichsten Thiere, die wir besitzen, sie hätten ausgezeichnete Vorzüge durch Körperkraft und Schnelligkeit; wenn sie Personen von Stande gehörten, würden sie zu Reisen, Wettrennen und Wagenziehen gebraucht. Sie würden sehr sorgfältig und gütig behandelt, bis sie krank oder an den Füßen lahm wären.

Alsdann aber verkaufe man sie und placke sie auf jede nur mögliche Art, bis sie todt seyen; hierauf ziehe man ihnen die Haut ab und verkaufe dieselbe nach dem Werthe; den Leichnam aber lasse man von Hunden und Raubvögeln verschlingen.

Die gewöhnliche Pferderace sey jedoch nicht so glücklich; sie werde von Pächtern, Fuhrleuten und anderem gemeinen Volke gehalten, welche eine größere Arbeit verlangen und schlechteres Futter geben.

Ich beschrieb so gut wie möglich unsere Art zu reiten

die Form und den Gebrauch des Zaums,

des Sattels,

des Sporns,

der Peitsche, des Geschirrs und der Räder.

Ich fügte hinzu: Wir befestigen Platten von einer gewissen harten Substanz, welche wir Eisen nennen, unten an die Füße, um zu verhindern, daß die Hufe nicht auf steinigen Wegen zerbrechen, auf denen wir gewöhnlich reiten.

Nachdem mein Herr seinen Unwillen ausgedrückt hatte, sprach er sein Erstaunen aus, wie wir uns auf den Rücken eines Hauyhnhnm wagen könnten; er sey überzeugt, der schwächste Diener seines Hauses sey im Stande, den stärksten Yähu abzuwerfen, oder wenn er sich niederwerfe und auf dem Rücken rolle, jenes Thier zu Tode zudrücken. Ich erwiderte, unsere Pferde würden vom dritten und vierten Jahre an für den Zweck, den wir beabsichtigen, zugeritten; würden einige von ihnen als schlecht erkannt, so gebrauche man sie zum Wagen ziehen; für jede boshafte Laune würden sie in ihrer Jugend gehörig gepeitscht; die Hengste, die man zum gewöhnlichen Reiten oder Ziehen bestimme, würden gewöhnlich im zweiten Jahre nach ihrer Geburt verschnitten, um ihren Muth zu vermindern, und um sie zahmer und sanfter zu machen; sie seyen allerdings für Belohnungen und Strafen empfänglich, allein Seine Gnaden möge bedenken, daß sie nicht die geringste Spur von Vernunft besäßen, eben so wenig, wie die Yähus in diesem Lande.

Ich benutzte viele Umschreibungen, um meinem Herrn eine richtige Idee von Allem, was ich gesagt hatte, beizubringen; die Sprache der Hauyhnhnms ist nämlich nicht sehr reich an Worten, weil ihre Bedürfnisse und Leidenschaften beiweitem geringer sind wie bei uns. Es ist mir jedoch unmöglich, seinen edlen Unwillen über die harte Weise, womit wir die Hauyhnhnms behandeln, zu beschreiben; besonders nachdem ich ihm die Art und Weise erklärte, wie wir die Pferde bei uns verschneiden, um zu verhindern, daß sie ihr Geschlecht fortpflanzen, und um ihren Sinn zur Sklaverei herabzustimmen. Mein Herr sagte: Wenn es möglicherweise ein Land geben könne, wo nur die Yähus Vernunft besäßen, so müßten sie nothwendig die herrschende Thierrace bilden. Vernunft werde mit der Zeit stets die brutale Gewalt besiegen. Wenn er jedoch die Form unserer Körper, und vorzüglich die des meinigen, betrachte, so müsse er auf die Vermuthung gerathen, kein Geschöpf von meinem Bau müsse für die Anwendung der Vernunft in den gewöhnlichen Geschäften des Lebens so schlecht geeignet seyn. Er wünsche deßhalb zu wissen, ob meine Landsleute mir oder den Yähus seines Vaterlandes glichen. Ich gab ihm die Versicherung, ich sey so gebaut, wie die meisten meines Alters; die Jüngeren und die Frauen seyen jedoch bei Weitem zarter und sanfter, und die Haut der letzteren gewöhnlich so weiß wie Milch. Er erwiderte: Ich sey wirklich von anderen Yähus sehr verschieden, reinlicher und nicht so häßlich; hinsichtlich des wirklichen Nutzens sey ich jedoch, wie er glaube, im Nachtheil; meine Nägel könne ich weder an den Vorder- noch Hinterfüßen gebrauchen; meine Vorderfüße könne er nicht mit diesem Namen bezeichnen, denn er habe nie bemerkt, daß ich auf denselben einhergehe; sie seyen zu sanft, um die Härte des Bodens zu ertragen; ich halte sie gewöhnlich nicht bedeckt; die Bedeckung jedoch, die ich dabei anwende, sey nicht von derselben Form und auch nicht so stark wie bei den Hinterfüßen; ich könne mit keiner Sicherheit gehen, denn sobald einer meiner Hinterfüße ausgleite, so müsse ich unfehlbar zu Boden fallen. Alsdann fand er auch an andern Theilen meines Körpers Manches auszusetzen: die Flachheit meines Gesichts, die Hervorragung meiner Nase, die Stellung meiner Augen vor der Stirne, so daß ich nicht nach beiden Seiten hin sehen könnte, ohne den Kopf umzuwenden; ich sey nicht im Stande mich zu ernähren, ohne meinen Vorderfuß zum Munde zu erheben, weßhalb auch die Natur jene Gelenke so gestellt habe, daß sie dem Bedürfniß entsprächen.

Er könne nicht begreifen, wozu die vielen Gelenke und Abtheilungen an meinen Hinterfüßen dienten; sie seyen zu weich um die Härte und Schärfe der Steine zu ertragen, wenn ich nicht die Haut von andern Thieren zu Hülfe nehme; mein ganzer Leib bedürfe des Schutzes gegen Hitze und Kälte, den ich täglich mit einem lästigen Verfahren anziehen und ablegen müsse; zuletzt auch bemerkte er, jedes Thier in diesem Lande weiche den Yähus aus, welche von Schwächeren vermieden, von den Stärkeren zurückgetrieben würden. Wenn er nun auch zugäbe, daß wir Vernunft besäßen, so könne er deßhalb dennoch nicht begreifen, wie wir jene natürliche Abneigung überwänden, wie wir überhaupt jene andern Thiere zähmten und uns dienstbar machten. Er wolle jedoch mit mir über diese Angelegenheit nicht streiten, sondern wünsche meine eigene Geschichte, das Land, wo ich geboren sey und die verschiedenen Handlungen und Ereignisse meines Lebens, bevor ich hieher gekommen, zu erfahren. Ich gab ihm die Versicherung, daß ich ihn in jedem Punkte zufrieden zu stellen wünsche. Ich bezweifle jedoch, daß es mir möglich seyn werde, in vielen Punkten mich deutlich auszudrücken, wovon Seine Gnaden keinen Begriff haben könne, weil ich Nichts in diesem Lande sehe, womit ich dieselben zu vergleichen vermöge. Ich würde jedoch mein Möglichstes thun und mich durch Gleichnisse verständlich zu machen suchen, und bitte demüthig Seine Gnaden, Sie möge mir behülflich seyn, wenn ich der passenden Worte bedürfen sollte, was Sie auch die Güte hatte mir zu versprechen.

Ich sagte, wie ich von ehrlichen Eltern, auf einer Insel mit Namen England, geboren sey; dieselbe liege von diesem Lande so viele Tagereisen entfernt, wie der stärkste Diener Seiner Gnaden in dem jährlichen Laufe der Sonne zurücklegen könne. Ich sey als Wundarzt erzogen worden, zu einem Stande, welcher Wunden und Verletzungen am Körper, die man durch Gewaltthätigkeit oder Zufall erlange, wieder heile. Mein Vaterland werde von einem weiblichen Menschen, welcher Königin heiße, beherrscht; auf meiner letzten Reise sey ich der Befehlshaber eines Schiffes gewesen und habe fünfzig Yähus unter mir gehabt. Von diesen seyen viele zur See gestorben, so daß ich dieselben durch Andere aus verschiedenen Nationen hätte ersetzen müssen. Unser Schiff sey zweimal in Gefahr gewesen zu sinken, das erstemal durch einen heftigen Sturm, und das zweitemal durch einen Stoß gegen Felsen. Hier unterbrach mich mein Herr mit der Frage, wie ich Fremde von verschiedenen Ländern nach so vielen Verlusten und Wagnissen hätte überreden können, sich mit mir auf das Meer zu wagen. Ich sagte, es wären Leute in verzweifelten Umständen, welche gezwungen worden seyen, wegen Verbrechen oder Armuth aus ihrem Vaterlande zu fliehen. Einige seyen durch Processe zu Grunde gerichtet worden, Andere hätten all ihr Vermögen im Trinken, Spielen und anderen Ausschweifungen verschwendet; Andere seyen wegen Hochverrats, Andere wegen eines Mordes, Diebstahls, wegen Vergiftung, Raub, Meineid, Fälschung, Falschmünzerei, Nothzucht und wegen unnatürlicher Laster, wegen Desertion oder wegen des Ueberlaufens zum Feinde geflohen; die Meisten hätten Gefängnisse erbrochen. Keiner wage in sein Vaterland zurückzukehren, aus Furcht, gehängt zu werden, oder in einem Gefängnisse zu verhungern; deßhalb seyen sie gezwungen, ihren Lebensunterhalt an andern Orten sich zu erwerben.

Während dieser Unterredung hatte mein Herr mehrere Male die Güte, mich zu unterbrechen. Ich mußte häufige Umschreibungen gebrauchen, um ihm die Natur der verschiedenen Verbrechen darzustellen, wegen welcher ein Theil meiner Schiffsmannschaft gezwungen war, aus dem Vaterlande zu fliehen. Diese Arbeit erforderte ein Gespräch von mehreren Tagen, bevor er mich verstehen konnte. Er war durchaus nicht im Stande zu begreifen, wozu die Ausübung dieser Laster nothwendig und nützlich sey. Um ihm dieses klar zu machen, suchte ich ihm einen Begriff von dem Wunsche, Reichthümer und Macht zu erwerben, beizubringen; ferner auch von den furchtbaren Folgen der Wollust, Unmäßigkeit, der Bosheit und des Neides. Alles dies mußte ich durch Beispiele und durch erfundene Fälle ihm erläutern. Hierauf glich er einem Menschen, der über etwas früher nie Gesehenes und Gehörtes, von dem heftigsten Erstaunen ergriffen wird. Er erhob seine Augen mit Schrecken und Unwillen. Für Macht, Regierung, Krieg, Gesetz, Strafe und für tausend andere Dinge fand sich kein Ausdruck in jener Sprache; dadurch ward die Schwierigkeit, meinem Herrn einen allgemeinen Begriff von dem, was ich sagen wollte, zu geben, beinahe unüberwindlich. Da er jedoch einen ausgezeichneten und durch Ueberlegung, so wie auch durch Gespräch gebildeten Verstand besaß, erwarb er sich zuletzt ein competentes Urtheil über Alles, was die Menschennatur in unseren Welttheilen auszuführen im Stande ist; er bat mich deßhalb, ihm einen besonderen Bericht von dem Lande, welches Europa heißt, besonders aber von meinem Vaterlande zu geben.

Kapitel 5


Kapitel 5 Der Verfasser gibt seinem Herrn, auf dessen Befehl, einen Bericht über den Zustand von England. Die Ursachen der Kriege unter den europäischen Fürsten. Der Verfasser beginnt mit Darstellung der englischen Staatsverfassung.

Leser, du mußt gütigst in Acht nehmen, daß der folgende Auszug vieler Gespräche, die ich mit meinem Herrn hielt, den Inbegriff der wesentlichsten Punkte enthält, die ungefähr zwei Jahre lang zu verschiedenen Malen besprochen wurden. Seine Gnaden verlangte nämlich häufig eine genügendere Auskunft, nachdem ich in der Hauyhnhnm-Sprache größere Fortschritte gemacht hatte.

Ich stellte meinem Herrn so gut wie möglich den ganzen Zustand von Europa dar; ich sprach von Handel und Manufakturen, von Künsten und Wissenschaften, und die Antworten, die ich ihm auf alle Fragen gab, die bei den verschiedenen Gegenständen sich darboten, lieferten unerschöpflichen Stoff zum Gespräche. Ich werde hier jedoch allein die Hauptsache von demjenigen niederschreiben, was mein Vaterland betrifft, indem ich es so gut wie möglich ordne, wobei ich jedoch auf Zeit und andere Umstände wenig Rücksicht nehme, und mich allein streng an die Wahrheit halte. Es thut mir leid, daß ich kaum im Stande seyn werde, der Beweisführung und der Ausdrucksweise meines Herrn Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Beide müssen durch meine geringere Auffassungsgabe, so wie durch die Uebersetzung in unser barbarisches Englisch nothwendig viel Nachtheil erleiden.

Um den Befehlen Seiner Gnaden zu gehorchen, erzählte ich Ihr deßhalb die Revolution unter dem Prinzen von Oranien, den langen Krieg mit Frankreich, welchen der genannte Fürst begann, und den seine Nachfolgerin, die gegenwärtige Königin[Fußnote] erneuete. Wie alle großen Mächte der Christenheit daran Theil nahmen, und wie er jetzt noch fortgesetzt wird.[Fußnote] Ich berechnete, auf seine Bitte, daß ungefähr eine Million Yähus im Verlauf desselben umgekommen seyen, ungefähr hundert Städte, oder eine noch größere Anzahl, sey eingenommen und fünfmal so viel Schiffe verbrannt oder versenkt worden.

Mein Herr fragte mich alsdann, welche Beweggründe dergleichen Kriege gewöhnlich bewirkten. Ich erwiderte, die Ursachen seyen unzählig; ich würde nur einige der hauptsächlichsten erwähnen. Bisweilen würden Kriege durch Fürsten bewirkt, welche niemals glaubten, daß sie Land und Leute genug zu beherrschen hätten; bisweilen auch durch die Verderbniß der Minister, welche ihren Herrn in einen Krieg verwickelten, um das Geschrei der Unterthanen über eine schlechte Regierung zu ersticken, oder demselben eine andere Richtung zu geben; Verschiedenheit der Meinungen habe mehrere Millionen Leben gekostet, ob Fleisch Brod, oder Brod Fleisch sey, ob der Saft einer gewissen Beere in Blut oder Wein bestehe; ob man das Pfeifen als Laster oder Tugend annehmen müsse; ob es besser sey, einen Pfahl zu küssen oder in das Feuer zu werfen; wie man sich am besten bekleiden müsse, schwarz, weiß, roth oder grau; ob der Rock lang oder kurz, eng oder weit, schmutzig oder reinlich seyn solle. Auch seyen keine Kriege so wüthend und blutig und dauerten so lange, wie diejenigen, welche durch Verschiedenheit der Meinungen erregt würden, besonders wenn die streitigen Gegenstände unbedeutend seyen.

Bisweilen entstehe der Zank zwischen zwei Fürsten, um zu entscheiden, wer von ihnen einen dritten außer Besitz, in Betreff seiner Länder, setzen solle, wo jedoch keiner auf ein Recht Anspruch machen dürfe; bisweilen zanke der eine Fürst mit dem andern, aus Besorgniß, dieser werde Zank mit ihm anfangen; bisweilen weil er zu schwach sey; bisweilen, fuhr ich fort, wollen unsere Nachbarn Etwas haben, was wir besitzen, oder sie besitzen die Dinge, die wir haben wollen, und dann kämpfen wir beide, bis sie unsere Dinge nehmen, oder wir die ihrigen haben. Es ist eine leicht zu rechtfertigende Ursache des Krieges, ein Land anzugreifen, wenn das Volk durch Hungersnoth geschwächt, durch Pest zerstört und durch bürgerlichen Parteikampf verwirrt ist. Es ist leicht zu rechtfertigen, wenn wir unseren nächsten Alliirten den Krieg erklären, sobald eine seiner Städte für uns sich eignet, oder wenn ein Landstrich eine solche Lage hat, daß er unsere Besitzthümer abgerundet und zusammenhängend macht. Wenn ein Fürst seine Streitkräfte einer Nation sendet, wo das Volk arm und unwissend ist, so darf er mit Recht die eine Hälfte tödten und die andere zu Sklaven machen, um sie zu civilisiren und sie von ihrer barbarischen Lebensweise abzubringen. Es ist ferner, im Fall ein Fürst die Hülfe eines andern nachsucht, um sich vor fremdem Angriff zu retten, ein königliches, ehrenvolles und häufiges Verfahren, daß der Bundesgenosse, wenn er den angreifenden Feind vertrieben hat, das Land für sich selbst in Besitz nimmt und den erretteten Fürsten tödtet, verhaftet oder verbannt. Verbindung durch Blutsverwandtschaft oder Ehe ist eine häufige Ursache zu Kriegen zwischen Fürsten, und je näher die Verwandtschaft ist, desto größer ist auch die Neigung zu Zwist. Arme Nationen sind hungrig, reiche sind stolz; Stolz und Hunger wird stets mit einander in Streit gerathen. Deßhalb wird das Handwerk eines Soldaten für das ehrenvollste von allen gehalten. Ein Soldat ist nämlich ein Yähu, der gemiethet wird, so viele Individuen seiner Gattung wie möglich, die ihn nie beleidigt haben, mit kaltem Blute zu tödten. Es gibt ferner eine Art bettelhafter Fürsten in Europa, welche nicht selbst im Stande sind, Kriege zu führen, und deßhalb ihre Truppen an reichere Nationen für einen bestimmten Sold vermiethen. Davon behalten sie drei Viertel für sich selbst, und dies ist das beste Einkommen für ihren Unterhalt. Dergleichen gibt es in mehreren Theilen Europas.

Mein Herr erwiderte: Was Ihr mir über den Krieg gesagt habt, zeigt wirklich auf bewunderungswürdige Weise, daß Ihr der Vernunft entbehrt, worauf Ihr dennoch Anspruch macht; es scheint jedoch ein glücklicher Umstand, daß die Scham größer als die Gefahr ist, und daß die Natur Euch so gebildet hat, daß Ihr nicht viel Unheil anrichten könnt. Da nämlich Euer Mund flach am Gesichte liegt, so könnt Ihr, ohne gegenseitige Einwilligung, einander nicht beißen. Eure Klauen ferner, an Euren Vorder- und Hinterpfoten, sind so kurz und weich, daß Einer unserer Yähus ein Dutzend der Euren vor sich hertreiben kann. Berechne ich deßhalb die Anzahl derjenigen, die Ihr anführtet, als in einer Schlacht getödtet, so muß ich glauben, daß Ihr etwas gesagt habt, was nicht existirt.

Ich konnte es nicht unterlassen, über seine Unwissenheit den Kopf zu schütteln und ein wenig zu lächeln. Da ich nun selbst mit der Kriegskunst nicht unbekannt war, gab ich ihm eine Beschreibung von Kanonen, Feldschlangen, Musketen, Karabinern, Kugeln, Pistolen, Pulver, Degen, Schlachten, Belagerungen, Rückzügen, Angriffen, Minen, Contreminen, Bombardements, Seeschlachten, Schiffen mit tausend Mann die untergingen, zwanzigtausend Mann, die auf beiden Seiten fielen, dem Wimmern der Sterbenden, Gliedern, die in die Luft aufflögen; von Rauch, Lärm, Verwirrung, wie Menschen durch Pferdehufe zertreten würden, von Flucht, Verfolgung, Sieg; wie die Felder alsdann mit Leichen besät seyen, welche als Futter für Wölfe, Hunde und Raubvögel liegen blieben; vom Plündern, Berauben, Nothzüchten, Verbrennen und Zerstören.

Um die Tapferkeit meiner theuern Landsleute darzulegen, fügte ich hinzu: ich habe gesehen, wie sie hundert Feinde bei einer Belagerung auf einmal in die Luft sprengten und dieselbe Zahl auf einem Schiffe; die todten Körper seyen stückweise von den Wolken, zur großen Ergötzung der Zuschauer, herabgefallen. Ich wollte noch mehr Einzelheiten hinzufügen, als mein Herr mir zu schweigen befahl. Er äußerte: Jeder, welcher mit der Natur der Yähus bekannt sey, werde bei einem so elenden Thiere Alles, was ich gesagt habe, für möglich halten, wenn Körperkraft und List ihrer Bosheit gleich kämen. Während nun aber mein Vortrag seinen Abscheu gegen das ganze Geschlecht vermehrt habe, sey dadurch zugleich in seiner Seele ein störendes Gefühl entstanden, das er bis jetzt durchaus nicht gekannt habe. Er glaube, seine Ohren möchten sich allmählig an so schändliche Worte gewöhnen, und sie dann auch mit geringerem Abscheu anhören; obgleich er die Yähus dieses Landes hasse, tadle er sie nicht mehr wegen ihrer Eigenschaften, als einen Gnnayh (einen Raubvogel) wegen seiner Grausamkeit, oder einen scharfen Stein, weil derselbe seinen Huf ritze. Wenn aber ein Geschöpf, welches Anspruch auf Vernunft mache, Fähigkeit zu solchen Scheußlichkeiten besitze, so besorge er, die Verderbniß dieser Eigenschaften werde noch schlimmer seyn, als die bloß thierische Rohheit. Er sey deßhalb vollkommen überzeugt, daß wir, anstatt der Vernunft, nur irgend eine Eigenschaft besäßen, welche sich dazu eigne, unsere natürlichen Laster zu vermehren, so wie der Wiederschein einer gestörten Wasserfläche, das Bild eines schlecht gebildeten Körpers nicht allein größer, sondern auch verdreht wiedergebe.

Er fügte hinzu: Sowohl in dieser, als in andern Unterredungen habe er schon zu viel über Krieg gehört. Jetzt könne er noch einen andern Punkt nicht recht begreifen. Ich habe ihm gesagt, einige Matrosen aus meiner Mannschaft hätten ihr Vaterland verlassen, weil sie durch das Recht ruinirt seyen. Ich habe ihm die Bedeutung des Wortes schon erklärt, er könne jedoch nicht begreifen, wie das Gesetz, welches man doch zur Erhaltung Aller bestimme, irgend Jemand zu Grunde richten könne. Deßhalb wünsche er, ich möge ihm eine weitere Erklärung von dem geben, was ich unter Recht, und unter Denjenigen verstehe, welche davon entbänden, und zwar nach dem gegenwärtigen Verfahren in meinem Vaterlande. Er glaube, Natur und Vernunft seyen vernünftigen Thieren genügende Führer, und wir machten ja auf Vernunft sehr viel Anspruch. Beide zeigten uns ja, was wir thun und vermeiden müßten.

Ich gab Seiner Gnaden die Versicherung, das Recht sey eine Wissenschaft, wovon ich nicht viel erlernt habe; ich habe nur bei manchen mir erwiesenen Ungerechtigkeiten Advokaten genommen, jedoch würde ich ihm alle mir mögliche Aufklärung geben.

Es gibt, fuhr ich fort, bei uns eine Gesellschaft Menschen, die von Jugend auf in der Kunst auferzogen werden, durch Worte, die man zu dem Zwecke vervielfacht, deutlich zu beweisen, Schwarz sey Weiß und Weiß sey Schwarz, natürlich im Verhältnis wie man bezahlt. Zum Beispiel, wenn mein Nachbar meine Kuh zu haben wünscht, so findet er auch einen Rechtsgelehrten, welcher beweisen will, er müsse meine Kuh von mir erhalten. Alsdann muß ich einen andern Rechtsgelehrten miethen, der mein Recht vertheidigt. Es widerstreitet nämlich allen Rechtsregeln, daß irgend Jemand für sich selbst sprechen darf. In diesem Fall bin ich, der rechtmäßige Eigenthümer, zwei großen Nachtheilen ausgesetzt; erstens ist mein Rechtsgelehrter, da er von der Wiege an gewöhnt war, Falschheiten zu vertheidigen, durchaus nicht in seinem Elemente, soll er als Advokat der Wahrheit auftreten. Dies ist nämlich ein unnatürlicher Dienst, den er mit großer Ungeschicklichkeit, wo nicht mit bösem Willen, leistet. Zweitens muß mein Advokat mit großer Vorsicht verfahren, sonst erhält er einen Verweis von den Richtern, und wird von den andern Advokaten als ein Mensch verabscheut, welcher die Rechtspraxis gern vermindern möchte. Deßhalb kann ich nur durch zwei Verfahrungsarten meine Kuh mir retten. Die erste besteht darin, daß ich den Rechtsgelehrten meines Gegners durch ein doppeltes Honorar für mich gewinne. Alsdann wird er seinen Clienten dadurch verrathen, daß er ihm zu verstehen gibt, ich habe das Recht auf meiner Seite. Die zweite Verfahrungsart besteht darin, daß mein Rechtsgelehrter meine Sache so ungünstig wie möglich darstellt, indem er zugibt, meine Kuh gehöre meinem Gegner; geschieht dies mit Geschicklichkeit, so wird dadurch die günstige Stimmung der Richter für mich gewonnen. Nun müssen Eure Gnaden wissen, daß diese Richter Personen sind, welche der Staat besoldet, um alle Fragen über Eigenthum zu entscheiden, so wie auch die Strafen der Criminalverbrecher. Man wählt sie aus den geschicktesten Rechtsgelehrten, welche alt und faul geworden sind. Da sie nun ihr ganzes Leben hindurch gegen Wahrheit und Billigkeit eingenommen wurden, sind sie der unglücklichen Nothwendigkeit unterworfen, daß sie Betrug, Meineid und Unterdrückung begünstigen. Einige habe ich gekannt, welche lieber eine große Bestechung von derjenigen Partei, die Recht hatte, ausschlugen, als daß sie den ganzen Stand dadurch beleidigt hätten, wenn sie eine der Natur ihres Amtes unwürdige Handlung begingen.

Es ist Grundsatz unter diesen Rechtsgelehrten, daß Alles, was früher geschehen ist, rechtmäßiger Weise wieder geschehen darf. Deßhalb notiren sie alle früheren Entscheidungen gegen Gerechtigkeit und den allgemeinen und gesunden Menschenverstand sorgfältig auf. Diese Urtheile heißen Präcedentien, und werden fortwährend als Autoritäten vorgebracht, um die unbilligsten Meinungen zu rechtfertigen, und die Richter unterlassen es nie, nach jenen Bestimmungen zu entscheiden.

Bei den Verhandlungen vermeiden die Advokaten und Richter sehr sorgfältig, auf die gute Seite ihres Processes einzugehen, sie werden laut, heftig und langweilig und verweilen bei allen Umständen, die nicht zum eigentlichen Zwecke führen. Zum Beispiel in dem oben erwähnten Falle wollen sie niemals wissen, welchen rechtlichen Anspruch mein Gegner auf meine Kuh besitzt, sondern ob er gesagt habe, die Kuh sey roth oder schwarz, mit langen oder kurzen Hörnern; ob das Feld, worauf sie grase rund oder viereckig sey; ob sie im Stall oder auf der Weide gemolken werde; an welchen Krankheiten sie leide u. s. w. Alsdann werden die Präcedentien um Rath gefragt, der Proceß wird von Zeit zu Zeit vertagt und nach zehn, zwölf, dreizehn Jahren endlich entschieden.

Ferner ist zu bemerken, daß diese Gesellschaft ein besonderes Rothwälsch oder einen Jargon besitzt, die kein anderer Mensch versteht, und worin alle Gesetze geschrieben sind. Mit besonderer Sorgfalt wird dasselbe vermehrt. Dadurch wird die wahre Essenz der Wahrheit und Falschheit des Rechtes und Unrechtes durch einander gemischt. Somit erfordert die Entscheidung, ob das Feld, welches von meinen Vorfahren durch sechs Generationen mir hinterlassen wurde, mir oder einem dreihundert Meilen weit entfernten Fremden gehört, die Zeit von dreißig Jahren.

In Processen der Personen, welche wegen eines Verbrechens gegen den Staat angeklagt wurden, ist die Verfahrungsart bei Weitem kürzer und empfehlenswerther. Der Richter sucht zuerst die Stimmung der Machthaber zu erforschen, und kann alsdann einen Verbrecher sehr leicht retten oder hängen lassen, indem er alle Rechtsformen mit der gehörigen Genauigkeit beobachtet.

Hier unterbrach mich mein Herr mit den Worten: Wie schade, daß Personen, welche nach meiner Beschreibung der Rechtsgelehrten so wunderbare Geistesfähigkeiten nothwendig besitzen müssen, nicht besser angestellt werden, um Andere in Weisheit und Kenntnissen zu unterrichten! Ich erwiderte, mit Ausnahme ihres eigenen Geschäftes seyen sie die unwissendsten, dümmsten Bewohner meines Vaterlandes, im gewöhnlichen Gespräch durchaus verächtlich, erklärte Feinde aller Wissenschaft und Gelehrsamkeit, überall geneigt, den gesunden Verstand auf den Kopf zu stellen, und jeden Gegenstand, worüber man spreche, in derselben Weise, wie in ihrem Geschäfte, zu verdrehen.

Kapitel 6


Kapitel 6 Die Beschreibung des Zustandes von England, unter der Königin Anna, wird fortgesetzt. Der Charakter eines Premierministers an europäischen Höfen.

Mein Herr konnte durchaus nicht begreifen, aus welchen Beweggründen dies Geschlecht der Rechtsgelehrten sich solche Verdrießlichkeit, Unruhe und Zänkerei unter ihrer eigenen Gilde errege und sich zu einem Bunde, welcher Ungerechtigkeit bezwecke, vereinige, und zwar ausschließlich, um den Nebenthieren Unrecht zuzufügen; auch konnte er den Sinn meiner Worte nicht verstehen, als ich ihm sagte, sie thäten dies gemiethet für ein Honorar. Es machte mir somit viele Mühe, ihm den Gebrauch des Geldes und die Stoffe, woraus es verfertigt wird, zu beschreiben. Ich sagte: Habe ein Yähu genügenden Vorrath an dieser kostbaren Substanz, so sey er im Stande, Alles sich anzuschaffen, was er zu besitzen wünsche, die schönsten Kleider, die prächtigsten Häuser, große Landstrecken, kostbare Speisen und Getränke; er könne unter den schönsten Frauen wählen. Da nun das Geld allein im Stande sey, alle diese Wünsche zu befriedigen, so glaubten unsre Yähus, sie könnten nie genug haben, um es auszugeben oder zu sparen, je nachdem sie durch ihren natürlichen Charakter Neigung zur Verschwendung oder zum Geize besäßen. Der Reiche genieße die Früchte von der Arbeit des Armen, und die Zahl der Reichen verhalte sich zu der von Armen wie Eins zu Tausend. Die Masse unsers Volkes werde gezwungen, jeden Tag um geringen Lohn zu arbeiten, damit Wenige im Ueberfluß leben könnten.

Ich sprach weitläuftig über diese und manche andere hieher gehörige Gegenstände, mein Herr konnte mich aber durchaus nicht verstehen, denn er ging von der Vermuthung aus, alle Thiere besäßen Antheil an den Produkten der Erde, vorzüglich aber diejenigen, welche die Uebrigen beherrschten. Deßhalb bat er mich, ihm zu sagen, worin jene kostbaren Speisen beständen, und weßhalb denn irgend Jemand ihrer bedürfe. Hierauf zählte ich ihm alle Gerichte auf, die mir gerade einfielen, sowie auch die Arten ihrer Zurichtung. Letzteres könne nicht geschehen, ohne daß Schiffe nach den verschiedenen Theilen der See ausgesendet würden, um Flüssigkeiten sowohl zum Getränk als zu Saucen und unzähligen andern Bequemlichkeiten herbeizuholen. Ich gab ihm die Versicherung, der ganze Erdkreis müsse dreimal umschifft werden, bevor ein vornehmer weiblicher Yähu ein Frühstück oder ein Geschirr zu demselben bekommen könne. Mein Herr antwortete, mein Vaterland müsse ein sehr elendes sein, da es keine Nahrung seinen Einwohnern verschaffen könne. Am meisten aber erstaune er über den Umstand, daß die ungeheuren von mir erwähnten Landstriche gänzlich ohne frisches Wasser wären, und daß unser Volk über die See schicken müsse, um Getränk herbeizuholen. Ich erwiderte, England, mein theures Vaterland, bringe ungefähr das Dreifache an Früchten mehr hervor, als seine Einwohner verzehren könnten, sowie auch Flüssigkeiten, welche man aus Korn, sowie aus den Früchten gewisser Bäume presse. So bereite man ein treffliches Getränk in demselben Verhältnisse, wie die übrigen Gemächlichkeiten des Lebens.

Um jedoch die Unmäßigkeit oder den Luxus unserer männlichen und die Eitelkeit unserer weiblichen Einwohner zu befriedigen, schickten wir den größeren Theil unserer Bedürfnisse in andere Länder, und erhielten dafür Materialien für Krankheiten, Laster und Thorheit zum Verbrauche. Daraus ergebe sich als nothwendige Folge, daß ein großer Theil unseres Volkes gezwungen werde, ihren Lebensunterhalt durch Betteln, Rauben, Stehlen, Betrügen, Kuppeln, Schmeicheln, Verführen, Falschschwören, Fälschen, Spielen, Lügen, Kriechen, Bramarbasiren, Scribeln, Prophezeien, Vergiften, Buhlen, Schwatzen, Klatschen, durch Freidenkerei und andere Beschäftigungen zu erlangen. Es war jedoch viele Mühe erforderlich, einen jeden dieser Ausdrücke ihm verständlich zu machen.

Wein, fuhr ich fort, ward aus fremden Ländern bei uns eingeführt, nicht um den Mangel an Wasser oder anderen Getränken zu ersetzen, sondern weil derselbe aus einer Flüssigkeit besteht, die uns munter macht, indem sie uns den Verstand nimmt, alle melancholischen Gedanken zerstreut, wilde und ausschweifende Ideen im Hirn erzeugt, unsere Hoffnung erhöht und unsere Furcht verbannt, jede Wirkung der Vernunft auf einige Zeit unterbricht und uns an dem Gebrauch unserer Glieder verhindert, bis wir in einen tiefen Schlummer fallen. Wir erwachen jedoch jedesmal krank und entmuthigt, und der Gebrauch dieses Getränkes erweckt bei uns Krankheiten, welche unser Leben unangenehm machen und verkürzen. Ausserdem ernährt sich die Volksmasse durch den Umstand, daß sie die Bequemlichkeiten des Lebens den Reicheren liefern und sich gegenseitig damit versorgen. Z. B. wenn ich zu Haus bin und mich nach meinem Stande kleide, so trage ich an meinem Leibe die Arbeit von hundert Handwerkern. Der Bau und die Möblirung meines Hauses erfordert dieselbe Anzahl; die fünffache Zahl ist jedoch nothwendig, meine Frau zu schmücken.

Alsdann erzählte ich von einer andern Art Leute, welche sich ihren Lebensunterhalt dadurch erwerben, daß sie sich mit den Kranken abgeben. Vorher hatte ich nämlich meinem Herrn schon gesagt, ein großer Theil meiner Matrosen sey an Krankheiten gestorben. Hier konnte ich ihm jedoch nur mit größter Schwierigkeit meine Worte verständlich machen. Er hatte den Begriff, ein Hauyhnhnm könne wenige Tage vor seinem Tode alt und schwach werden, oder durch irgend einen Zufall sich ein Glied verletzen; er hielt es aber für unmöglich, daß die Natur, welche doch bei allen Dingen Vollkommenes hervorbringt, es leiden sollte, daß Krankheiten in unseren Körpern sich erzeugen. Er wünschte deßhalb die Ursache von diesem unnatürlichen Uebel zu erfahren.

Ich sagte ihm, wir nährten uns von tausend Dingen, die einander entgegenwirkten; wir äßen ohne hungrig zu seyn und tränken, ohne Durst zu fühlen. Wir wachten oft in den Nächten und genößen starke Getränke, ohne etwas zu essen; dies erwecke Trägheit, entzünde unsere Körper und beschleunige oder verhindere die Verdauung. Verdorbene weibliche Yähus erlangten eine gewisse Krankheit, welche Fäulniß der Knochen bei denjenigen bewirke, die sich mit ihnen abgäben; diese Krankheit, so wie manche andere, gingen vom Vater auf den Sohn über.

Somit kommen, fuhr ich fort, viele Yähus auf die Welt, mit complicirten Krankheiten; ich kann hier unmöglich den ganzen Katalog menschlicher Krankheiten anführen, denn diese bestehen aus fünf- bis sechshundert, die sich über jedes Glied und Gelenk verbreiten; kurz, jeder innere und äussere Theil hat seine eigenthümliche Krankheit. Um diesem abzuhelfen, ward bei uns eine gewisse Menschenklasse zu dem Geschäft oder zu dem Vorwande, die Kranken zu heilen, aufgezogen.

Weil ich in diesem Geschäfte einige Geschicklichkeit besitze, kann ich Eurer Gnaden das ganze Geheimniß und die Methode darlegen, nach welcher diese Leute zu verfahren pflegen.

Ihr Hauptgrundsatz besteht darin, daß alle Krankheiten in Ueberfüllung bestehen. Daraus schließen sie, eine große Ausleerung des Körpers sey nothwendig, entweder aus dem natürlichen Kanale oder aus dem Munde. Ihr zweites Geschäft besteht darin, daß sie aus Kräutern, Mineralien, Gummi, Oelen, Wurzeln, Salzen, Pflanzensäften, Seegräsern, Excrementen, Baumrinden, Schlangen, Kröten, Fröschen, Spinnen, Fleisch und Knochen von todten Menschen, Vögeln, Thieren, Fischen eine Mischung bilden, die durch Geschmack und Geruch so abscheulich und ekelhaft wie möglich gemacht wird, so daß der Magen sie sogleich wieder auswirft.

Dies heißt ein Brechmittel; oder aber sie bilden aus Stoffen desselben Waarenlagers, indem sie noch einige andere giftige Materien hinzufügen, eine oben

oder unten

(wie der Arzt gerade gelaunt ist) einzunehmende Medicin, die auf gleiche Weise den Eingeweiden ekelhaft und unerträglich ist. Diese erleichtert die Gedärme und treibt alles darin Befindliche hinaus. Dieses letztere Mittel heißt ein Klystier.

Da die Natur, wie der Arzt behauptet, die obere Oeffnung für Einführung fester und flüssiger Nahrung, die untere zum Auswerfen bestimmt hat, so stellt die Kunst den genialen Grundsatz auf: die Natur, welche in jeder Krankheit gestört sey, müsse dadurch wieder in ihre gehörige Stellung gerathen, daß man den Leib in einer durchaus entgegengesetzten Weise behandle, indem man die Funktionen einer jeden Oeffnung austausche, feste und flüssige Substanzen hinten einführe und Ausleerungen durch den Mund bewirke.

Ausser wirklichen Krankheiten sind wir jedoch auch eingebildeten ausgesetzt, wofür die Aerzte besondere Kuren erfinden; diese Krankheiten haben ihre besonderen Namen und besondere Mittel. Hieran leiden aber fortwährend unsere weiblichen Yähus.

Die größte Kunst dieses Standes besteht aber darin, ein Prognostikum zu stellen, und dieses trifft auch fast immer ein. Die Vorhersagung der Aerzte in wirklichen Krankheiten, welche einen bösartigen Charakter zeigen, betrifft immer den Tod, der in ihrer Gewalt liegt, während sie über die Wiederherstellung nichts bestimmen können; bessert sich jedoch der Kranke auf unerwartete Weise, nachdem sie ihr Urtheil gesprochen, so wissen sie, wie ihr Scharfsinn durch eine genügende Weise der Welt gezeigt werden muß, damit sie nicht als falsche Propheten gelten.

Sie sind auch Gatten und Gattinnen, welche einander nicht leiden können, älteren Söhnen, Staatsministern und Fürsten bisweilen von größtem Nutzen gewesen. Früher hatte ich mit meinem Herrn über die Natur des Regierens im allgemeinen, und besonders über unsere ausgezeichnete Constitution gesprochen, welche mit Recht das Erstaunen und den Neid der ganzen Welt erregt. Da ich aber zufällig einen Staatsminister hier erwähnte, befahl er mir zu sagen, was für einen Yähu ich unter dieser Benennung verstehe.

Ich sagte ihm, ein Premierminister, den ich zu beschreiben beabsichtige, sey ein Geschöpf ohne Freude und Kummer, ohne Liebe und Haß, ohne Mitleid und Zorn; er hege wenigstens keine andere Leidenschaften, als ein heftiges Verlangen nach Reichthum, Macht und Titeln; er gebrauche seine Rede zu allen Dingen, nur nicht um seine wirklichen Gedanken zu verkünden; er sage nie eine Wahrheit, als in der Absicht, daß man sie für eine Lüge halte, noch eine Lüge, damit man sie als wahr ihm glaube; diejenigen, denen er in ihrer Abwesenheit die schlimmsten Dinge nachsage, könnten überzeugt seyn, daß er sie befördern werde; Andere, denen er in ihrer Gegenwart oder Abwesenheit Lobsprüche ertheile, könnten sich als verlorene Leute betrachten. Das schlimmste Zeichen für irgend eine Hoffnung sey jedoch ein Versprechen, besonders wenn es mit einem Eide bestätigt werde. Hierauf pflege sich Jedermann zurückzuziehen und alle Hoffnung aufzugeben.

Es gibt, fuhr ich fort, drei Methoden, wodurch ein Yähu unser Minister wird, die erste besteht darin, daß man mit Klugheit über eine Frau, Tochter oder Schwester zu verfügen weiß; die zweite darin, daß man den Vorgänger verräth oder untergräbt; die dritte besteht in einem wüthenden Eifer gegen die Verderbniß des Hofes, welchen man in öffentlichen Versammlungen zeigen muß.

Ein kluger Fürst wählt vorzüglich diejenigen, welche die letztere Methode in Anwendung bringen; solche Zeloten sind nämlich immer die gehorsamsten Diener bei den Leidenschaften und dem Willen ihres Herrn. Alsdann erhalten sich diese Minister ihre Stelle durch den Umstand, daß alle Aemter zu ihrer Verfügung stehen; sie bestechen nämlich die Mehrheit eines Senates oder großen Rathes; zuletzt lassen sie sich, um das Nachrechnen zu verhindern, eine Act of indemnity (ich beschrieb meinem Herrn die Natur derselben) geben, [Fußnote] und ziehen sich, mit der Beute der Nation beladen, vom Amte zurück.

Der Palast eines Premierministers gilt als Lehranstalt, um Andere zu diesem Geschäfte aufzuziehen; Pagen, Lakaien und Portiers werden in verschiedenen Departements Staatsminister, indem sie ihren Herrn nachahmen, und erwerben sich eine große Vollkommenheit in den drei Haupteigenschaften: der Unverschämtheit, des Lügens und der Bestechung. Demgemäß wird auch ihnen von Personen des höchsten Ranges ein untergeordneter Hof gebildet; bisweilen gelingt es ihnen durch Geschick und Unverschämtheit nach verschiedenen Stufenleitern die Nachfolger ihres Herrn zu werden.

Gewöhnlich wird derselbe durch eine verblühte Buhlerin oder durch einen Lieblingsbedienten regiert; dies sind die Kanäle, auf denen alle Gnadenbezeugungen verführt werden. Man kann dieselben in letzter Instanz die Beherrscher des Königreichs nennen.

Als mein Herr eines Tages hörte, wie ich den hohen Adel meines Vaterlandes erwähnte, hatte er die Güte, mir ein unverdientes Kompliment zu machen. Er sagte nämlich, ich sey gewiß aus einer edlen Familie entsprossen, weil ich in Gestalt, Farbe und Reinlichkeit alle Yähus seines Vaterlandes übertreffe, ob ich ihnen gleich in Kraft und Behendigkeit nachstehe, ein Umstand, der meiner besonderen Lebensart zuzuschreiben sey, worin ich von jenen Thieren abweiche; ausserdem sey ich mit der Fähigkeit, zu sprechen, begabt, und besitze einige Theile der Vernunft in solchem Grade, daß ich bei allen seinen Bekannten für ein Wunderthier gelte.

Er fügte die Bemerkung hinzu: bei den Hauyhnhnms sey der Schimmel, der Rothfuchs, der Eisengraue nicht ganz so gebildet, wie der Kastanienbraune, der Schecke und der schwarze Rappe; auch würden erstere nicht mit denselben Talenten, oder mit derselben Anlange zur Verbesserung geboren; deßhalb blieben sie fortwährend nur im Bedientenstande und verheiratheten sich auch niemals ausserhalb ihrer Race. Letzteres würde für unnatürlich und monströs gelten.

Ich sagte meinem Herrn den verbindlichsten Dank für die gute Meinung, die er gütigst von mir gefaßt hätte; ich fügte jedoch hinzu, wie ich aus niederem Stande von einfachen Eltern geboren sey, die mir nur eine erträgliche Erziehung ertheilen konnten. Der höhere Adel entspreche durchaus nicht der Idee, welche Seine Gnaden von demselben hege. Unsere jungen Lords würden von Kindheit auf in Faulheit und Ueppigkeit aufgezogen; sobald es ihr Alter erlaube, verbrauchten sie ihre Kraft und erhielten schmähliche Krankheiten von Buhlerinnen; sobald ihre Vermögensumstände ruinirt seyen, schlössen sie Ehen mit Reichern aus niederem Stande, die häßlich und ungesund, und zwar nur des Geldes wegen, die sie alsdann haßten und verachteten. Die Sprößlinge solcher Ehen seyen rachitische, scrophulöse und entstellte Kinder. Somit bestehe ein Geschlecht nicht länger als drei Generationen, im Fall die Frau sich keinen gesunden Vater bei Nachbarn und Bedienten hole, um den Stamm fortzusetzen oder zu bessern.

Ein schwacher und kranker Körper, ein mageres Gesicht, eine blasse Farbe seyen untrügliche Zeichen einer edlen Geburt. Ein gesunder und starker Bau gelte bei Männern von Stande für eine Schmach, weil die Welt daraus den Schluß ziehe, der wirkliche Vater sey ein Stalldiener oder Kutscher. Die Mängel seiner Seele seyen parallel mit denen des Körpers; jene bestehen aus einer Mischung von Laune, Dummheit, Unwissenheit, Eigensinn, Sinnlichkeit und Stolz.

Ohne die Einstimmung dieser erlauchten Adelichen könne kein Gesetz gegeben, aufgehoben oder verändert werden. Sie bildeten gleichfalls einen Gerichtshof, von welchem keine Appellation möglich sey.

Kapitel 7


Kapitel 7 Des Verfassers Vaterlandsliebe. Die Bemerkungen seines Herrn über die Constitution und die Regierung Englands werden vom Verfasser mit Parallelfällen und Vergleichungen beschrieben. Die Bemerkungen seines Herrn über menschliche Natur.

Leser, du wirst dich vielleicht wundern, daß ich eine so freimüthige Beschreibung meines eigenen Geschlechtes bei einer Race von Sterblichen gegeben habe, welche schon zu sehr geneigt war, die verächtlichste Meinung vom Menschengeschlecht zu hegen, weil sie eine vollkommene Aehnlichkeit zwischen mir und den Yähus bemerkte. Ich muß jedoch offen gestehen, die vielen Tugenden dieser ausgezeichneten Vierfüßler, im Vergleich mit menschlicher Verderbniß, hatten in sofern meine Augen geöffnet und meinen Verstand erweitert, daß ich die Handlungen und Leidenschaften der Menschen von einem verschiedenen Gesichtspunkte aus betrachtete, und daß ich die Meinung hegte, es sey nicht der Mühe werth, die Ehre meines Geschlechtes aufrecht zu erhalten; dies war mir ohnehin unmöglich, da mein Herr ausserordentlichen Scharfsinn besaß. Er zeigte mir täglich eine Menge von Fehlern, die ich besaß, ob ich gleich früher dieselben nicht im Geringsten geahnt hatte; unter Menschen würden dieselben nicht einmal für allgemeine Schwächen gelten. Durch sein Beispiel hatte ich ebenfalls den höchsten Abscheu vor Falschheit und Verstellung erlangt; die Wahrheit schien mir so liebenswürdig, daß ich ihr Alles aufzuopfern beschloß.

Um aufrichtig zu seyn, muß ich jedoch eingestehen, daß noch ein stärkerer Beweggrund mich zu der Frechheit verleitete, die ich mir in Darstellung der Dinge nahm. Als ich kaum ein Jahr im Lande gewesen war, empfand ich solche Liehe und Verehrung für die Einwohner, daß ich den festen Entschluß faßte, niemals zum Menschengeschlechte zurückzukehren, sondern mein Leben bei den bewunderungswürdigen Hauyhnhnms in Betrachtung und Ausübung jeder Tugend zuzubringen, von denen ich weder ein Beispiel noch Anregung zum Laster erhalten konnte. Das Schicksal, mein ewiger Feind, hatte jedoch beschlossen, ein so großes Glück solle mir nicht zu Theil werden. Jetzt gereicht mir jedoch der Gedanke zum Trost, daß ich in Allem, was ich von meinen Landsleuten sagte, ihre Fehler so sehr verminderte, wie ich es nur vor einem so strengen Examinator durfte; bei jedem Artikel gab ich der Sache eine möglichst günstige Wendung. Welcher Mensch würde nämlich durch Parteilichkeit für sein Geburtsland nicht hingerissen werden?

Ich habe den Hauptinhalt mehrerer Gespräche, die ich mit meinem Herrn während der Zeit hielt, da ich in seinen Diensten war, angegeben; der Kürze halber habe ich jedoch weit mehr ausgelassen, als hier aufgezeichnet ist.

Als ich alle seine Fragen beantwortet hatte, und als seine Neugier vollkommen befriedigt schien, ließ er mich eines Morgens in der Frühe rufen und befahl mir, mich in einiger Entfernung von ihm zu setzen; eine Ehre, die er mir vorher noch nie erwiesen hatte. Er sagte: Mit großem Ernste habe er meine ganze Geschichte, die ich sowohl in Betreff meines Vaterlandes wie meiner selbst gegeben, überlegt; er habe uns als eine Art Thiere betrachtet, denen durch irgend einen ihm unbegreiflichen Zufall ein kleiner Theil Vernunft anheimgefallen sey. Wir beraubten uns jedoch selbst der wenigen uns gegebenen Fähigkeiten; wir seyen in der Vermehrung unserer ursprünglichen Bedürfnisse sehr glücklich gewesen, und schienen unser ganzes Leben in vergeblichen Bemühungen zuzubringen, dieselben durch Erfindungen zu befriedigen. Was mich betreffe, so besitze ich weder die Kraft noch die Behendigkeit eines gewöhnlichen Yähu; ich gehe schwach auf meinen Hinterfüßen, habe ein Verfahren ausfindig gemacht, meine Klauen nutzlos zu machen, die mir auch nicht zur Vertheidigung dienen könnten, und das Haar von meinem Kinne zu entfernen, welches zum Schutzmittel vor Sonne und Wetter bestimmt sey. Endlich könne ich auch weder so schnell laufen noch auch Bäume erklimmen, wie die Yähus dieses Landes (diese nannte er gütigst meine Brüder). Unsere Institutionen, in Betreff der Regierung und Gesetze, entsprängen offenbar aus unserem Mangel an Vernunft und somit auch an Tugend; Vernunft allein sey genügend, ein vernünftiges Geschöpf zu regieren; wir dürften deßhalb keinen Anspruch auf den Charakter desselben machen. Dies aber müsse er aus meinem Berichte über mein eigenes Volk schließen, obgleich er sehr wohl sehe, ich habe, um dasselbe zu begünstigen, manches verschwiegen, und auch öfter das Ding gesagt, welches nicht existire.

Seine Meinung werde um so mehr bestätigt, da er bemerke, ich gleiche den andern Yähus in allen Theilen meines Körpers, mit Ausnahme derjenigen, wo die Verschiedenheit in Hinsicht der Stärke, Schnelligkeit, Behendigkeit mir zum wirklichen Nachtheile gereiche, wie in der Kürze meiner Klauen und in einigen andern Einzelnheiten, wobei die Natur nicht mitgewirkt habe. Nach der Darstellung, die ich ihm von unserer Lebensart, unseren Sitten und Handlungen gegeben, müsse er dieselbe Aehnlichkeit, hinsichtlich der geistigen Eigenschaften finden. Er sagte: Es sey bekannt, daß die Yähus einander haßten, und zwar in noch höherem Grade wie die übrigen Thierarten. Der gewöhnlich angeführte Grund liege in der Häßlichkeit ihrer Körperformen, die sie sämmtlich bei den übrigen, aber nicht bei sich selbst erblicken könnten. Er sey somit auf den Gedanken gekommen, daß wir nicht unklug handelten, indem wir unsere Leiber bedeckten, da wir durch diese Erfindung manche Häßlichkeiten vor einander versteckten, welche sonst kaum zu ertragen wären. Jetzt aber finde er, daß er sich geirrt habe, und daß die Zwistigkeiten jener Thiere in seinem Vaterlande aus demselben Grunde, wie bei den unsrigen entstünden. Denn, fuhr er fort, wenn Ihr fünf Yähus so viel Futter vorwerft, als fünfzig genügen müßte, so werden sie, anstatt friedlich zu essen, über einander herfallen; jeder Einzelne ist so gierig, daß er Alles für sich allein haben will.

Deßhalb steht gewöhnlich ein Diener in der Nähe, wenn man sie ausser dem Stalle füttert, und diejenigen, welche im Stalle bleiben, werden in einiger Entfernung von einander angebunden. Stirbt eine Kuh aus Alter oder durch Zufall, bevor ein Hauyhnhnm dieselbe für seine eigenen Yähus in Sicherheit bringt, so stürzen Alle, die in der Nachbarschaft weilen, heerdenweise hinzu, und dann entsteht ein Kampf, wie Du beschrieben hast. An beiden Seiten versetzen sie sich furchtbare Wunden mit ihren Klauen, können sich aber nur selten tödten, weil ihnen die dazu bestimmten Instrumente, die Ihr erfunden habt, fehlen. Oft sind auch ähnliche Kämpfe von den Yähus verschiedener Gegenden, ohne sichtbare Ursache, gefochten worden; die Yähus eines Distrikts benützen eine passende Gelegenheit, die eines andern zu überraschen, bevor letztere vorbereitet sind. Ist aber ihr Projekt mißlungen, so kehren sie nach Hause und beginnen aus Mangel an Feinden unter sich einen Kampf, den Du einen Bürgerkrieg genannt hast.

In einigen Feldern dieses Landes gibt es auch gewisse glänzende Steine von verschiedenen Farben, worauf die Yähus sehr gierig sind. Sind einige derselben, wie dies mitunter geschieht, in der Erde befestigt, so graben sie Tage lang mit ihren Klauen, um sie loszumachen und verstecken sie dann in ihren Ställen; dabei sehen sie sich sehr vorsichtig um, aus Furcht, ihre Kameraden würden den Schatz bemerken. Mein Herr fügte hinzu: Er habe nie die Ursache dieses unnatürlichen Appetits entdecken und wozu diese Steine gebraucht würden errathen können. Jetzt aber glaube er, dies sey derselbe Geiz, den ich bei dem Menschengeschlechte beschrieben habe. Einst habe er, um einen Versuch zu machen, einen Haufen dieser Steine im Geheimen von dem Orte entfernt, wo einer seiner Yähus dieselben verborgen hatte. Alsdann habe das schmutzige Thier, sobald es seinen Schatz vermißte, durch lautes Klaggeschrei die ganze Heerde auf jenem Platze versammelt, elendiglich geheult und die übrigen gebissen und zerkrazt. Es habe sich abgehärmt, nicht mehr essen, trinken und arbeiten wollen, bis er seinem Bedienten befahl, die Steine im Geheimen zu demselben Loche wieder hinzutragen und dort, wie früher, zu verbergen. Als nun der Yähu seine Steine wieder fand, sey er sogleich munter und guter Laune geworden, habe mit großer Sorgfalt sie besser versteckt, und sey seitdem ein sehr fleißiges und brauchbares Thier geblieben.

Ferner gab mir mein Herr die Versicherung, auf den Feldern, wo jene kostbaren Steine im Ueberfluß sich vorfinden, würden die heftigsten und häufigsten Kämpfe geliefert, weil die benachbarten Jähus dort immerwährende Ueberfälle ausführten.

Er fügte hinzu: Wenn zwei Jähus einen solchen Stein auf einem Felde entdeckt haben, und wenn ein Streit entsteht, wer der Besitzer seyn soll, so nimmt ein dritter gewöhnlich den Vortheil gewahr und trägt ihn als sein Eigenthum hinweg. Mein Herr behauptete, dies habe einige Aehnlichkeit mit unseren Processen. Hier aber hielt ich es für unzweckmäßig, ihn zu enttäuschen, denn die von ihm erwähnte Entscheidung war weit billiger, wie manches bei uns gebräuchliche Verfahren, denn der Kläger und der Beklagte verliert nichts, als den streitigen Stein; unsere Gerichtshöfe hätten den Proceß nicht eheraufgegeben, als bis beiden Parteien Nichts mehr übrig geblieben wäre.

Mein Herr setzte alsdann seine Rede weiter fort und sagte: Nichts habe die Yähus verhaßter gemacht, als ihre rohe Gier, Alles, was sie erlangen könnten, zu verschlingen. Sie fräßen Kräuter, Wurzeln, Beeren, verfaultes Fleisch von Thieren, oder Alles dies durch einander gemischt; auch sey es ihre eigenthümliche Eigenschaft, daß sie dasjenige bei weitem lieber äßen, was sie durch Diebstahl und Raub aus größerer Entfernung sich verschafft hätten, als viel bessere Speisen, die sie zu Hause erlangen könnten.

Wenn ihre Beute ausreiche, so fräßen sie, bis sie beinahe platzten. Hierauf äßen sie eine von der Natur ihnen angezeigte Wurzel, die eine allgemeine Ausleerung bewirke. Auch suchten die Yähus noch eine andere Wurzel, die sehr saftig, aber selten und schwierig aufzufinden sey, mit großer Begierde, und sögen sie mit viel Entzücken aus. Diese Wurzel äussere bei ihnen dieselben Folgen, wie der Wein bei uns. Nach dem Genuß derselben pflegten sie sich zu umarmen oder zu zerreißen, sie heulten, lachten, drehten sich, stolperten und schliefen dann in Morästen ein.

Ich bemerkte auch wirklich, daß die Yähus in diesem Lande die einzigen Thiere waren, welche krank werden konnten. Diese Krankheiten waren jedoch nicht so zahlreich, wie die der Pferde bei uns, und wurden durch keine schlechte Behandlung, sondern durch den Schmutz und die Gier jenes ekelhaften Thieres erregt. Auch befindet sich in der Sprache der Hauyhnhnms nur eine allgemeine Benennung für diese Krankheiten, welche von dem Namen des Thieres entnommen ist, Ny-Yähu ausgesprochen wird, und Yähu-Uebel bedeutet. Die Kur besteht aus einem Gemisch von Dünger und Urin der Yähus, welches ihnen in den Mund gestopft wird. Später habe ich öfter bemerkt, daß dies Mittel mit Erfolg angewendet wurde, und ich empfehle dasselbe freimüthig meinen Landsleuten zum öffentlichen Besten, als ein bewunderungswürdiges Specificum gegen alle durch Ueberfüllung bewirkte Uebel.

Was Gelehrsamkeit, Regierung, Künste, Manufakturen u. s. w. betrifft, so gestand mein Herr, er könne keine Aehnlichkeit zwischen den Yähus seines und unseres Vaterlandes auffinden. Die einzige Aehnlichkeit, die er bemerke, liege in unserer Natur. Er habe zuvor von einigen neugierigen Hauyhnhms gehört, daß es in vielen Heerden einen herrschenden Yähu gebe (wie in den englischen Parks ein leitender Hirsch sich vorfindet), der gewöhnlich häßlicher und boshafter wie die übrigen Yähus sey.

Dieser Führer nehme gewöhnlich als Günstling denjenigen, der ihm am meisten gleiche; das Geschäft dieses Günstlings bestehe darin, daß er an den Füßen und an einem andern Theile seines Herrn lecke und die weiblichen Yähus in seinen Stall treibe; dafür erhalte er zur Belohnung mitunter ein Stück Eselsfleisch. Dieser Günstling werde von der ganzen Heerde gehaßt, und bleibe deßhalb, um geschützt zu werden, stets in der Nähe seines Herrschers. Er bleibe gewöhnlich in seinem Amte, bis ein schlimmerer gefunden werden könne; sobald er aber entlassen sey, komme sein Nachfolger an der Spitze aller Yähus in dem Distrikte, junger und alter, männlicher und weiblicher, welche sämmtlich sich auf ihm ihre Excremente entladen. In wie fern dies auf unsere Höfe, Günstlinge und Minister anwendbar sey, müsse ich am besten selbst bestimmen können.

Ich wagte nicht, diese boshafte Bemerkung zu beantworten, welche den menschlichen Verstand unter die Spürkraft eines gewöhnlichen Hundes erniedrigte, der Urtheil genug besitzt, um das Gebell des geschicktesten Hundes im Rudel zu unterscheiden und zu befolgen, ohne sich jemals hierin zu irren.

Mein Herr sagte alsdann, es seyen noch einige Eigenschaften bei den Yähus auffallend, die ich in meiner Beschreibung des Menschengeschlechts, wie er sehr wohl merke, übergangen oder nur oberflächlich berührt habe. Die Yähus hätten, wie andere Thiere, ihre Weibchen gemeinschaftlich, sie seyen aber darin verschieden, daß die weiblichen Yähus sogar während ihrer Trächtigkeit sich mit männlichen abgäben; die männlichen aber zankten und schlügen sich mit den weiblichen so erbittert, wie unter einander. Beide Umstände zeigten aber eine so schändliche Rohheit, welche bei einem Geschöpfe mit Gefühl nirgends anzutreffen sey.

Auch wundere er sich über die Neigung der Yähus zum Schmutze, da alle anderen Thiere doch eine natürliche Liebe zur Reinlichkeit besäßen. Was die beiden ersten Anklagen betraf, so ging ich gern ohne Antwort darüber hinweg, weil mir kein Wort zu Gebote stand, meine Species zu vertheidigen, was ich aus eigener Neigung nicht unterlassen hätte. Jedoch hätte ich in letzterer Beschuldigung das Menschengeschlecht sehr leicht rechtfertigen können, wenn es Schweine im Lande gegeben hätte, was aber unglücklicherweise nicht der Fall war. Dies mag zwar ein sanfteres Thier als der Yähu seyn, kann aber, wie ich demüthig behaupten möchte, auf keine größere Reinlichkeit Anspruch machen. Dies würde Seine Gnaden selbst mir zugestanden haben, hätte sie die schmutzige Nahrungsweise und Gewohnheit dieser Thiere gesehen, sich im Morast zu wälzen und zu schlafen.

Mein Herr erwähnte noch eine andere Eigenschaft, welche seine Diener bei mehreren Yähus entdeckt hatten, und die ihm durchaus unerklärbar schien. Er sagte, ein Yähu habe oft die Laune, sich in einen Winkel zurückzuziehn, sich auf den Boden zu legen, zu heulen und zu seufzen, alle die ihm näher kämen zurückzustoßen, obgleich er jung und fett wäre und weder an Essen noch an Trinken Mangel litte. Auch habe dann sein Bedienter nicht recht begreifen können, was dem Yähu denn eigentlich fehle. Das einzige Mittel, wodurch diesem Uebel abgeholfen werde, bestehe darin, daß man den Yähu sehr stark arbeiten ließe. Alsdann könne er jedesmal wieder zur Besinnung kommen. Hiebei schwieg ich, aus Parteilichkeit für mein Geschlecht; ich konnte darin die Launenhaftigkeit entdecken, der allein die Faulen, Ueppigen und Reichen ausgesetzt sind. Würden diese zu derselben Kur gezwungen, so möchte ich für die Heilung mich verbürgen.

Seine Gnaden bemerkte ferner, weibliche Yähus pflegten sich oft hinter einen Hügel oder in einem Busche zu verstecken, um die jungen männlichen vorübergehen zu sehen, alsdann zu erscheinen, sich wieder zu verstecken, viele narrenhafte Grimassen und Bewegungen zu zeigen; kämen männliche Yähus, so entfernten sie sich, sähen sich aber mehreremale um und liefen mit verstellter Furcht an einen Ort, wo der männliche Yähu ihnen folgen könne.

Wenn nun aber eine fremde weibliche Yähu in eine Gesellschaft anderer weiblichen Yähus gelangt, so gehen drei oder vier um sie herum, starren sie an, schnattern, grinsen und beriechen sie an allen Seiten. Alsdann wenden sie sich ab mit Bewegungen, welche Verachtung auszudrücken scheinen.

Vielleicht hätte sich mein Herr in diesen Spekulationen sehr verfeinern können, die er sich aus eigener Beobachtung oder nach dem Hörensagen bildete; ich erstaunte jedoch und fühlte wirklich viel Kummer, daß die Elemente der Koketterie und Klatscherei dem weiblichen Geschlechte angeboren zu seyn scheinen. Ich befürchtete stets, mein Herr werde die Yähus auch einiger unnatürlichen Laster anklagen, die bei uns oft genug vorkommen. Die Natur ist aber hierin keine erfahrene Lehrerin gewesen, und diese verfeinerten Vergnügungen sind allein durch Kunst und Vernunft auf unserer Seite der Erdkugel hervorgebracht worden.

Kapitel 10


Kapitel 10 Die Luggnagier werden sehr gerühmt. Eine besondere Beschreibung der Struldbruggs. Gespräche des Verfassers mit einigen ausgezeichneten Personen.

Luggnag wird von einem höflichen und großmüthigen Volke bewohnt. Obgleich die Luggnagier einigermaßen den Stolz besitzen, welcher allen östlichen Nationen gemein ist, so zeigen sie sichdennoch höflich gegen Fremde, besonders solche, welche am Hofe eine Stütze besitzen. Ich hatte viele Bekannte, und darunter Personen von der besten Gesellschaft. Da ich nun auch stets von meinem Dollmetscher begleitet wurde, so war die Unterhaltung durchaus nicht unangenehm.

Eines Tages fragte mich ein Mann von Stande in einer großen Gesellschaft, ob ich die Struldbruggs oder die Unsterblichen des Landes gesehen hätte. Ich verneinte dies und bat, mir zu erklären, was diese Benennung, welche sterblichen Geschöpfen ertheilt würde, denn eigentlich bedeute. Der Herr nun sagte mir: Es ereigne sich bisweilen, obgleich sehr selten, daß ein Kind mit einem runden rothen Flecken an der Stirne, gerade über der linken Braue, in einer Familie geboren werde.

Dieser Flecken aber sey ein unfehlbares Zeichen, daß es nimmer sterben werde. Wie er ihn beschrieb, war er ungefähr von der Größe eines silbernen Groschens, wird aber mit der Zeit weit größer und verändert die Farbe; im zwölften Jahre wird er grün, und behält diese Farbe bis zum fünfundzwanzigsten, wo er dunkelblau wird; im fünfundvierzigsten wird er kohlschwarz und so groß wie ein englischer Schilling, nachher aber läßt er keine weitere Veränderung zu. Der Herr sagte: diese Geburten seyen so selten, daß es im ganzen Königreiche nicht mehr als elfhundert Struldbruggs beider Geschlechter gebe; darunter befinde sich ein junges, vor drei Jahren geborenes Mädchen. Diese Produktionen seyen keiner Familie eigenthümlich, sondern ein bloßes Werk des Zufalls. Die Kinder der Struldbruggs selbst seyen eben so sterblich, wie die des übrigen Volkes.

Ich muß offen gestehen, daß ich mit unaussprechlichem Entzücken diesen Bericht hörte. Da nun der Herr, mit dem ich sprach, das Valnibarbische verstand, womit ich sehr gut bekannt war, so konnte ich es nicht unterlassen, Ausdrücke zu gebrauchen, die vielleicht ein wenig zu ausschweifend waren. Ich rief, wie in Entzücken, aus: Oh glückliche Nation, wo wenigstens jedes Kind das Glück haben kann, unsterblich zu seyn! Oh glückliches Volk, welches so viele noch lebende Beispiele der alten Tugend erblickt, und Lehrer besitzt, die es in der Weisheit früherer Zeiten unterrichten können! Am glücklichsten vor Allen sind aber jene ausgezeichneten Struldbruggs, welche durch Geburt von jenem allgemeinen Unglück der Menschennatur ausgenommen sind, einen freien und ungefesselten Geist besitzen, weil sie die Last und die Niedergeschlagenheit der Todesfurcht nicht kennen. Ich drückte mein Erstaunen aus, daß ich noch keine dieser erlauchten Personen bei Hofe gesehen habe; der schwarze Fleck an der Stirne sey ja ein so auffallendes Zeichen, daß ich dies schwerlich übersehen hätte. Es sey unmöglich, daß ein so verständiger Fürst, wie Seine Majestät, sich nicht mit einer bedeutenden Anzahl solcher weisen und brauchbaren Rathgeber hätte versehen sollen. Vielleicht aber sey die Tugend solcher ehrwürdigen Weisen zu streng für die verdorbenen und freien Sitten eines Hofes; wir sehen ja häufig durch Erfahrung, daß junge Leute zu eigensinnig und flüchtig seyen, um durch den verständigen Rath der älteren sich leiten zu lassen. Da jedoch Seine Majestät mir die Gnade ertheilt habe, den Zutritt zu ihrer königlichen Person zu bewilligen, so sey ich entschlossen, bei der ersten Gelegenheit ihr offen und weitläufig meine Meinung, mit Hülfe meines Dollmetschers, hierüber zu sagen. Ob der König meinen Rath gnädigst annehme oder nicht, so habe ich dennoch in einem Punkte einen festen Entschluß gefaßt. Seine Majestät habe mir häufig eine Versorgung in Ihrem Reiche angeboten. Ich würde mit größter Dankbarkeit diese Gnade annehmen und mein Leben im Gespräch mit jenen uns überlegenen Wesen, den Struldbruggs, zubringen, wenn sie die Güte hätten, mich in ihrer Gesellschaft zuzulassen.

Der Herr, an den ich diese Worte richtete, antwortete mir (wie ich schon bemerkte, verstand er die Sprache von Balnibarbi) mit einem Lächeln, welches gewöhnlich ist, wenn man Unwissenheit bemitleidet: Es sey ihm sehr angenehm, eine Gelegenheit gefunden zu haben, weßhalb ich im Lande bleiben wolle; er bitte mich um Erlaubniß, der übrigen Gesellschaft meine Absicht wieder sagen zu dürfen. Dies geschah; die Anwesenden unterhielten sich in ihrer Landessprache, wovon ich keine Sylbe verstand; auch konnte ich an dem Ausdruck ihrer Züge den Eindruck nicht erkennen, welchen meine Worte bei ihnen erweckt hatten. Nach einem kurzen Schweigen sagte mir derselbe Herr: Seine Freunde und die meinigen (in dieser Art hatte er die Güte sich auszudrücken) seyen sehr erfreut über die verständigen Bemerkungen, die ich über das Glück und die Vortheile des unsterblichen Lebens gemacht habe, und sie wünschten besonders zu erfahren, welchen Lebensplan ich hinsichtlich meiner gebildet hätte, wäre mir das Schicksal zu Theil geworden, als Struldbrugg geboren zu werden.

Ich erwiderte, es sey nicht schwer, bei einem so reichhaltigen und angenehmen Gegenstand Beredtsamkeit zu zeigen; dies sey bei mir hauptsächlich der Fall, da ich mich oft an Visionen ergötzt habe, was ich thun würde wie ich mich z. B. als König, als General, als Lord benehmen würde; auch in dem Fall der Unsterblichkeit hätte ich mir bereits ein System gebildet, wie ich wirken und mir die Zeit vertreiben wolle, im Fall es mir möglich wäre, auf ewig zu leben.

Wäre ich so glücklich gewesen, als Struldbrugg in die Welt zu kommen, so würde ich, wenn ich mein eigenes Glück durch den Unterschied zwischen Leben und Tod erkannt hätte, auf alle mögliche Weise mir Reichthümer zu verschaffen suchen; durch Geschicklichkeit und gute Verwaltung könnte ich alsdann, nach vernünftiger Erwartung, in ungefähr zweihundert Jahren dieselben so sehr vermehren, daß ich der reichste Mann des Königreichs würde; zweitens würde ich mich von meiner frühesten Jugend an mit den Studien der Künste und Wissenschaften beschäftigen, wodurch ich zuletzt dahin gelangen müßte, alle Anderen an Gelehrsamkeit zu übertreffen. Zuletzt würde ich jede Handlung und jedes Ereigniß von Wichtigkeit aufnotiren, die Charaktere der aufeinanderfolgenden Fürsten und Staatsminister und meine Bemerkungen über jede Einzelnheit niederschreiben. Ich würde mir die verschiedenen Veränderungen der Gewohnheiten, Sprachen, Moden,Lebensarten und Vergnügungen merken. Durch alle diese Erwerbungen müßte ich ein lebendiger Schatz der Gelehrsamkeit und Weisheit und sicherlich das Orakel der Nation werden.

Ich würde mich nach sechzig Jahren nicht mehr verheirathen, sondern ein offenes Haus machen, jedoch immer noch Geld sparen. Ich würde den Geist hoffnungsvoller Jünglinge bilden und leiten, und würde sie nach meiner Erinnerung, Erfahrung und Beobachtung durch viele Beispiele von der Nützlichkeit der Tugend im öffentlichen und Privatleben überzeugen. Meine gewöhnliche und fortwährende Gesellschaft würde jedoch in einer Anzahl meiner unsterblichen Brüderschaft bestehen. Ich würde aus diesen ein Dutzend von den ältesten bis auf meine Zeitgenossen auswählen. Wo es Einigen derselben an Vermögen fehlte, würde ich sie mit passenden Wohnungen in der Nähe meines Gutes versehen, und Einige derselben stets an meine Tafel laden. Ich würde alsdann nur wenige der trefflichsten Sterblichen hinzuziehen, deren Verlust ich mit geringem Widerstreben zu ertragen, durch die Zeit verhärtet, erlernen müßte; die Geschlechter der Gegenwart aber in derselben Art behandeln, wie man sich über die jährliche Reihenfolge der Nelken und Tulpen in Gärten erfreut, ohne den Verlust derjenigen zu bedauern, welche im vergangenen Jahre verwelkt sind.

Wir würden uns gegenseitig unsere Bemerkungen und Denkwürdigkeiten über den Lauf der Zeiten mittheilen, Beobachtungen anstellen, wie die Verderbniß sich allmählich einschleicht und bei jedem Schritt ihr widerstehen, indem wir den Menschen immerwährende Belehrung und Warnung gäben. Käme dieser Umstand zu dem starken Einfluß unseres eigenen Beispiels hinzu, so müßte dies die fortwährende Entartung der Menschennatur verhindern, worüber man sich mit so vollem Recht in allen Zeiten beklagt.

Zu allen diesen glücklichen Verhältnissen müßte noch das Vergnügen hinzukommen, daß man die verschiedenen Revolutionen der Staaten und Reiche, die Veränderungen der oberen und niederen Welt bemerkte; daß man alte Städte in Trümmer fallen und unbedeutende Dörfer zu Residenzen sich erheben sehe; daß man erblicken könnte, wie berühmte Flüsse sich zu seichten Bächen verminderten, wie der Ocean die eine Küste verließe und eine andere überschwemmte; wie man bis jetzt unbekannte Länder entdecke, wie Barbarei die feinsten Nationen erdrücke und wie barbarische Völker sich civilisirten. Ich würde alsdann die Entdeckung der geographischen Länge, des Perpetuum mobile, der Universalmedicin und anderer großen Erfindungen noch erleben, welche zur größten Vollkommenheit gelangen müßten.

Wie wunderbare Entdeckungen würde man in der Astronomie machen, welche alsdann unsere eigenen Vorhersagungen überleben oder bestätigen müßten. Man könnte die Wanderungen und die Wiederkehr der Kometen mit dem Wechsel der Bewegung von Sonne, Mond und Sternen beobachten.

Ich sprach noch lange über andere Gegenstände, welche mir der natürliche Wunsch eines endlosen Lebens und einer Glückseligkeit unter dem Monde sehr leicht an die Hand gaben. Als ich geendet hatte, und als der Inhalt meiner Rede, wie vorher, der übrigen Gesellschaft übersetzt worden war, so entstand unter derselben ein langes Gespräch in der Landessprache, verbunden mit einigem Gelächter auf meine Kosten. Zuletzt aber sagte derselbe Herr, welcher mein Dollmetscher war, die übrigen Anwesenden hätten den Wunsch geäußert, er möge mir einige Irrthümer berichtigen, auf die ich durch die allgemeine Schwäche der menschlichen Natur verfallen, und deßhalb auch nicht sehr zu tadeln sey. Diese Race der Struldbruggs sey seinem Vaterlande eigenthümlich, denn es fänden sich solche Leute weder in Balnibarbi noch Japan, wo er die Ehre gehabt habe, Gesandter Seiner Majestät zu seyn; auch habe er dort bemerkt, daß die Einwohner beider Königreiche nicht glauben wollten, jene Thatsache sey möglich. Es scheine ihm, aus meinem Erstaunen, als er die Sache zuerst erwähnte, ich habe dieselbe als eine durchaus neue erfahren, welche man kaum für glaublich halten dürfe.

In den beiden erwähnten Königreichen, wo er während seines Aufenthalts mit einer großen Anzahl Personen in’s Gespräch gekommen sey, habe er bemerkt, langes Leben sey ein allgemeiner Wunsch des Menschengeschlechts. Jeder, dessen einer Fuß schon im Grabe stehe, stemme sich mit dem andern so stark wie möglich noch dagegen. Der älteste Greis hoffe noch einen Tag länger zu leben und betrachte den Tod als ein großes Uebel, welches die Natur ihn fortwährend zu vermeiden zwinge. Nur auf der Insel Luggnag sey die Begierde zum Leben nicht so heftig, weil sie Struldbruggs fortwährend vor Augen hätten. Der von mir aufgestellte Lebensplan sey unvernünftig und ungerecht, weil er eine immerwährende Blüthe der Jugend, Gesundheit und Lebenskraft voraussetze. Kein Mensch könne jedoch so thöricht seyn, diese zu hoffen, wie ausschweifend er auch in seinen Wünschen seyn möge. Die Frage handle sich deßhalb nicht darum, ob ein Mensch stets in der Blüthe der Jugend bei Gesundheit und Reichthum leben möge, sondern wie er ein ewiges Leben mit allen Nachtheilen des Greisenalters führen werde. Zwar wollten wenige Menschen ihren Wunsch, bei so harten Bedingungen unsterblich zu bleiben, eingestehen, er habe jedoch in den beiden vorher erwähnten Königreichen, Balnibarbi und Japan, die Bemerkung gemacht, daß jeder Mensch seinen Tod noch etwas länger verschiebe, wäre sein Leben auch noch so weit hinaufgerückt. Er habe noch nie gehört, ein Mensch sey gern gestorben, ausgenommen in der Aufregung des höchsten Grades von Gram und Körperqual. Er beruft sich auf mich, ob ich nicht in den von mir bereisten Ländern dieselbe allgemeine Neigung vorgefunden habe.

Nach dieser Vorrede gab mir der Herr einen besonderen Bericht über die Struldbruggs im Lande. Er sagte: Jene Menschen handelten wie gewöhnliche Sterbliche bis zum dreißigsten Lebensjahre; hierauf würden sie jedoch melancholisch und niedergeschlagen, und diese Stimmung steige bis zum achtzigsten Jahre. Er habe dies durch ihr eigenes Geständniß erfahren; sonst würde er sich kein allgemeines Urtheil haben bilden können, da nur zwei oder drei in einem Menschenalter geboren würden, und da somit die Zahl der Struldbruggs sehr gering sey. Gelangten sie nun zum achtzigsten Jahre, welches sonst als äußerster Lebenspunkt in diesem Lande angenommen werde, so zeigten sie nicht allein die Thorheiten und Schwächen anderer Greise, sondern noch eine weit größere Anzahl derselben, welche durch die furchtbare Aussicht, niemals zu sterben, bewirkt würden. Sie wären nicht allein eigensinnig, hölzern, habgierig, mürrisch, eitel und geschwätzig, sondern auch der Freundschaft unfähig und für jede natürliche Neigung erstorben, welche nie über ihre Enkel hinaus gehe. Neid und ohnmächtige Begierde seyen ihre überwiegenden Leidenschaften. Hauptsächlich betreffe jedoch ihr Neid diejenigen Gegenstände, welche Laster bei dem jüngeren Geschlecht und Tod bei dem älteren veranlaßten. Gedächten sie der früheren Zeiten, so fänden sie zugleich, daß ihnen jede Möglichkeit des Vergnügens abgeschnitten sey; sähen sie ein Begräbniß, so beklagten und beneideten sie, daß Andere in den Hafen der Ruhe gelangten, von welchem sie selbst auf ewig ausgeschlossen sind. Sie erinnern sich, fuhr der Herr weiter fort, nur an diejenigen Dinge, die sie in ihrer Jugend und in ihrem Mannesalter beobachteten, und auch in diesem Punkte ist ihr Gedächtniß sehr unvollkommen. Was aber die Wahrheit und die Einzelnheiten einer Thatsache betrifft, so ist es besser, sich auf die gewöhnliche Tradition, als auf ihr Gedächtniß zu verlassen. Die unglücklichsten unter den Struldbruggs sind diejenigen, welche kindisch werden und ihr Gedächtniß verlieren; diese erlangen mehr Mitleid und Hülfe, weil sie viele schlechte Eigenschaften, welche man bei den Uebrigen findet, nicht besitzen.

Wenn ein Struldbrugg ein Weib aus seiner Art heirathet, so wird die Ehe nach dem Gesetz des Königreichs aufgelöst, sobald der jüngere Theil das achtzigste Jahr erreicht hat. Nach dem Rechte wird es nämlich für eine billige Nachsicht gehalten, daß denjenigen, welche ohne ihre Schuld dazu verdammt sind, fortwährend in der Welt zu leben, ihr Elend, durch die Last eines Weibes, nicht verdoppelt werde.

Sobald sie das achtzigste Jahr erreicht haben, werden sie als gesetzlich todt betrachtet. Ihre Erben succediren sogleich in ihren Gütern; nur eine kleine Summe wird für ihre Ernährung zurückbehalten, und die ärmeren werden auf Kosten des Staates ernährt. Nach dieser Zeit dürfen sie kein Amt, mit oder ohne Gehalt, verwalten, sie dürfen kein Grundstück kaufen oder pachten; auch wird ihnen nicht erlaubt in irgend einem Civil- oder Kriminal-Proceß als Zeuge aufzutreten, nicht einmal bei der Entscheidung über Gränzen und Marken.

Im neunzigsten Jahre verlieren sie Zähne und Haare; in diesem Alter fehlt ihnen bereits der Geschmack; sie essen und trinken was sie erhalten können, ohne Vergnügen und Appetit. Die Krankheiten, an denen sie früher litten, dauern fort, ohne sich zu vermehren oder zu vermindern. Beim Sprechen vergessen sie die gewöhnlichsten Benennungen der Dinge und die Namen der Personen, sogar derjenigen, welche ihre nächsten Freunde und Verwandte sind. Aus demselben Grunde können sie sich nicht mehr mit Lesen vergnügen, weil ihr Gedächtniß vom Anfange des Satzes bis zum Ende nicht mehr ausreicht; hiedurch werden sie der einzigen Unterhaltung beraubt, deren sie sonst noch fähig seyn könnten.

Da die Landessprache fortwährenden Veränderungen unterworfen ist, so verstehen die Struldbruggs des einen Zeitalters nicht mehr die eines andern. Auch sind sie nach zweihundert Jahren nicht mehr im Stande, irgend ein Gespräch mit ihren Nachbarn, den Sterblichen, zu halten, wenn man wenige Worte ausnimmt. Somit erleiden sie auch den Nachtheil, als Fremde in ihrem Vaterlande zu leben.

Dies war der Bericht, so weit ich mich erinnern kann, der mir von den Struldbruggs gegeben wurde. Nachher sah ich fünf oder sechs von verschiedenen Zeitaltern, welche von einigen meiner Freunde zu verschiedenen Malen mir vorgeführt wurden. Obgleich man ihnen sagte, ich sey ein großer Reisender und habe die ganze Welt gesehen, hegten sie nicht die geringste Neugier um mir nur eine Frage vorzulegen. Sie baten mich nur, ich möge ihnen ein Slumskudask, oder ein Geschenk, zum Andenken geben, und dieses ist eine bescheidene Art des Bettelns, um das Gesetz zu umgehen, welches ihnen Bettelei streng verbietet, weil sie vom Staate unterhalten werden, obgleich sie nur eine sehr kärgliche Nahrung erhalten.

Sie werden von jeder Volksklasse verachtet und gehaßt. Wenn ein Struldbrugg geboren wird, hält man dies für ein böses Vorzeichen. Man kann ihr Alter erfahren, indem man die Register um Rath fragt, welche jedoch nicht über tausend Jahre hinaus gehalten, oder wenigstens durch bürgerliche Unruhen zerstört wurden. Die gewöhnliche Art ihr Alter zu berechnen aber besteht darin, daß man sie frägt, an welche Könige oder große Personen sie sich erinnern können, und daß man alsdann die Geschichte nachschlägt. Dies Verfahren ist untrüglich, denn der letzte Fürst, an den sie sich erinnern, hat seine Regierung vor ihrem achtzigsten Lebensjahre nicht begonnen.

Sie boten mir den scheußlichsten Anblick, der mir jemals vorgekommen ist; die Frauen waren aber noch furchtbarer anzusehen, wie die Männer. Neben den Entstellungen des Alters zeigten sie im Verhältniß zu ihren Jahren eine furchtbare Todtenfarbe, die ich nicht beschreiben kann, und unter einem halben Dutzend erkannte ich bald die ältesten, obgleich nicht mehr wie ein oder zwei Jahrhunderte den Unterschied ihres Alters abgaben.

Der Leser wird mir sehr leicht glauben, daß mein Wunsch, eines fortwährenden Lebens auf Erden, sehr herabgestimmt wurde. Ich schämte mich herzlich der angenehmen Visionen, die ich mir gebildet hatte, und dachte mir, kein Tyrann könne einen so schmerzhaften Tod erfinden, daß ich denselben einem solchen Leben nicht vorziehen möchte. Der König hörte Alles, was zwischen mir und meinen Freunden bei dieser Gelegenheit vorgegangen war, und hatte die Güte, mich hierüber zu necken. Er wünschte, ich könnte ein paar Struldbruggs in mein Vaterland senden, um unser Volk gegen die Todesfurcht zu schützen; dies war aber, wie es schien, durch die Grundgesetze des Königreichs verboten, sonst hätte ich gerne die Last und die Kosten des Transports auf mich genommen.

Ich wußte zugestehen, daß die Gesetze des Königreichs, in Betreff der Struldbruggs, auf Vernunftgründen beruhten, und daß jedes Land, unter ähnlichen Umständen, zu demselben Verfahren würde gezwungen werden. Da nämlich Geiz die nothwendige Folge des Greisenalters ist, so müßten diese Unsterbliche zuletzt die Eigenthümer des Vermögens der ganzen Nation werden und sich dadurch die Regierungsgewalt verschaffen, die sie aus Mangel an Fähigkeiten nicht ausüben könnten, so daß der Untergang des Staates die Folge seyn müßte.