Hans sucht sich eine Frau

An Eva war ein Wunder geschehen. Jetzt, wo es galt, den wiedergewonnenen, schwerkranken Mann gesund zu pflegen, riß ihr starker Wille den schwachen Körper vom Lager empor. Anfangs konnte sie nur auf kurze Zeit ihr Bett verlassen und verlangte dann von Hans bald dies, bald das, wovon sie glaubte, daß es dem Kranken wohltäte. Sie flößte ihm warme Milch ein und dampfende, würzige Kräutertränke. Immer wieder erneuerte sie die Wärmsteine, mit denen sie sein Lager heizte. Peter mußte schwitzen und wurde davon so schwach, daß er sein Lager nicht verlassen konnte. So lag er wochenlang. Bei den ersten Gehversuchen klagte er über Schmerzen in allen Gelenken. Er verriet dem Sohn, in welchem Winkel der Bärenhöhle er seinen Labetrunk verborgen hatte. Der würde ihn kräftigen und heilen. Auch Eva hoffte es. Da Peter aber Schmerzen in den Gelenken fühlte, gab sie ihm davon nichts zu trinken, sondern rieb ihrem Mann damit täglich die Gelenke ein. Schon nach einer Woche ließen die Schmerzen merklich nach.

Und weil Eva die Ursache des Übels der kalten Nacht auf der Klammhöhe zuschrieb, die dem Körper ihres Mannes zu viel Wärme entzogen hatte, wollte sie seinem Leib recht viel Wärme zukommen lassen. Heiße Bäder sollte er haben. Hans mußte die Waschkammer unter dem Laubengang in eine Badestube verwandeln, den Fußboden mit einem Lattenrost aus Lärchenholz belegen und alle Mauerfugen sorgfältig vermörteln. Neben Evas kleinem Waschtrog wurde ein größerer Badetrog aus gut verfalzten Lärchenbohlen aufgestellt. Die offene Feuerstelle wurde mit verkeilten Steinen überwölbt, die den Raum lange warmhalten sollten.

In das Badewasser kamen erhitzte Steine. Zischend und singelnd stiegen von den Heizsteinen die Dampfbläschen auf, und die Badestube füllte sich mit heißem Nebel, in dem Peter verweilen mußte, bis Hans die Heizsteine aus dem heißen Wasser entfernt hatte. Dann mußte der Kranke in die Wohnstube; dort wurde er trockengerieben, in Tücher gehüllt und ins Bett gesteckt. Einmal wöchentlich kam er ins heiße Bad; nachher war er jedesmal sehr matt und vor allem hungrig; er bekam kräftig zu essen, und anschließend schlief er lange und tief. Langsam setzte die Genesung ein.

Auch Eva erstarkte zusehends. Der Wunsch, den Mann und Vater ihres Sohnes wieder gesund zu sehen, zwang sie, ihre eigene Schwäche zu überwinden.

Noch ehe der Sommer verging, stand Eva wieder vor dem Kochherd und bereitete für Peter, wonach er Verlangen hatte: Brote, mit Speck belegt und auf Speck gebacken, in Teig gebratenes Selchfleisch, Forellen in zerlassener Butter, gesäuertes Kitzfleisch, würzige Gemüsesuppen, Eierfladen mit Heidelbeermus, Eicheltrank mit Milch und Honig in reicher Abwechslung – alle Tage ein Festessen, das gab Peter wieder Kräfte. Die beiden Genesenden verbrachten die wärmste Tageszeit im Sonnenschein auf dem »Gang«, von dem aus sie die Gärten und Felder der Sonnleiten überschauen konnten, wo jetzt Hans allein alle Arbeit tat. Die Mutter ahnte wohl, welche Hoffnungen der Sohn für sich an die Genesung der Eltern knüpfte.

Bei aller Behendigkeit wäre Hans mit dem Absicheln des reifen Getreides nicht rechtzeitig fertig geworden; die Körner wären überreif auf dem Felde ausgefallen, hätte er sich die Arbeit nicht vereinfacht. Seine Rechte war vom Sicheln wie gelähmt. Er mußte ihr einen Ruhetag gönnen, im Hammerwerk. Dort brauchte er nur einen glühenden, gebogenen Eisenstab langsam unter den selbsttätigen Hammer nachzuschieben. Es entstand eine armlange Sichel mit dünngeklopfter Schneide. Dieses lange Grasmesser wollte er mit beiden Armen in weitem Schwung führen. Er schäftete es in ein gespaltenes Eichenstämmchen, an dem er zwei seitlich abstehende Aststummel als Handgriffe gelassen hatte. So vollkommen das neue Gerät aussah, erst mußten Schneide und Spitze sanft gebogen und dem Zweck angepaßt werden, wenn Hans aufrecht schreitend damit mähen sollte, ohne den Boden zu treffen.

Das neue Gerät bewährte sich gut. Von Zeit zu Zeit mußte er die Schneide mit einem feucht gehaltenen Splitter aus Quarzsandschiefer schärfen, eine geringe Mühe – denn der junge Mann wurde mit dem Getreideschnitt an einem Tag fertig, ohne nachher besonders müde zu sein.

Als Hans auf dem Bockskarren die ersten Getreidegarben eingeführt und sie auf dem glattgetretenen, sauber gekehrten Boden unter dem Laubengang ausgelegt hatte, kamen Vater und Mutter und halfen. Beim Dreschen zu dritt gab Hans den kräftigen Vorschlag, Peter und Eva folgten. Glücklich lächelten sie einander an: So fröhlich und gemeinsam hatten sie schon lange nicht mehr gearbeitet! Nach dem Dreschen holte Eva ihr größtes Sieb, Hans schaufelte die ausgedroschenen Körner hinein und rüttelte es, daß der sanfte Klammwind Spreu und winzige Unkrautsamen davontrug.

Als die Alpenrosen blühten und die Vogelmütter auf ihren Eiern saßen, erwachte in Hans unwiderstehlich die Sehnsucht nach der großen Welt. Halbfertig lag sein Schmalboot im Gras der ehemaligen Triftbucht; der See aber war verschwunden, sein Boden mit Huflattich, Pestwurz und Sauerampfer überwuchert, die aus angeschwemmten und angewehten Samen aufgegangen waren. Der Eingang zur Klamm war undurchdringlich mit Schwemmholz verlegt, durch das der Klammbach still seine ungezählten Arme sickern ließ; sie vereinigten sich in der Klamm wieder zur schäumenden Ache.

Eva verstand die Unrast ihres Sohnes. In stillen Dämmerstunden war sie seine Vertraute. Wie sie ihm einst Märchen erzählt hatte, so sagte sie ihm jetzt alles Ernste, was ihres Lebens Weisheit war, und verschwieg nichts. Sie wurde Hansens Anwalt beim Vater, alle seine Bedenken zerstreuend.

Sooft der Sohn auszog, den Weg in die Welt zu finden, bestand sie darauf, daß er sein bestes Gewand aus weichgewalktem Bockleder anzog. Sie schmückte seinen Hut aus Buchenschwamm mit Goldprimeln und füllte den Rucksack mit Wegzehrung für mehrere Tage.

Als er endlich den lange gesuchten Übergang gefunden hatte und wiederholt tagelang nicht nach Hause kam, betete Eva voll Zuversicht um die Erfüllung ihres heißen Wunsches.

Eines stillen Sommerabends saß sie, die Katze im Schoß, mit Peter auf ihrem Lieblingsplatz vor der Tür des Obergeschosses; unverwandt schaute sie zu den Klammwänden hinüber. Sie ahnte etwas.

Brennend rot sank die Sonne zwischen Henne und Spitz. Zartes Gewölk prangte in rotem Gold, gedämpft tönte das Läuten des Schlagwerks vom Geißengarten herüber, die Baumkronen im Kastaniengarten schwankten leicht im Abendwind, und auf dem höchsten Wipfelzweig der Hausfichte flötete eine Goldamsel.

Da schallte ein Juchzer durch die Abendstille. Von der Klammhöhe kam er, und die fernen Salzwände warfen den Jubelschrei zurück. Das war das verabredete Zeichen, daß Hans eine Frau gefunden hatte, eine Frau nach dem Herzen der Mutter. Das Geschlecht der Sonnleitner sollte fortbestehen.

*

Das war die Geschichte der Sonnleitner-Leute. Eine der Ur-Urenkelinnen Evas ist die Mutter des Erzählers: ein Mensch, der lieber gelitten hat, als daß er andere hätte leiden lassen. Mutter Marias Haare sind silberweiß geworden im Kampf gegen Unglück und Plage, die sie und die Ihrigen beinahe zu Boden gezwungen hätten, wenn ihre vorsorgende, opferfreudige Liebe nicht gewesen wäre.

Wir alle sind Nachkommen von Höhlensiedlern. Die Vorfahren eines jeden von uns haben den gleichen weiten Weg zurückgelegt. Wir haben die Sehnsucht nach dem Licht geerbt, die Lust am Schaffen und das Verständnis für die Sprache der Dinge um uns her. Die Freude an neuen Erkenntnissen, die Liebe zum Schönen, die Arbeit für andere und damit für uns selbst – das sind unsere Seligkeiten. Widerwärtigkeiten und Hemmnisse entmutigen uns nicht.

Der Hakenpflug

Der Bau des Laubenganges drängte, aber noch unaufschiebbarer waren die Frühlingsarbeiten im Garten und auf dem Feld. Peter begnügte sich damit, in der Stirnwand des Hauses die Fenster auszuheben. Er und Hans fällten noch rasch die zum Bau des Laubenganges nötigen Bäume, sie sollten in der Sonne gut austrocknen. Nun begannen sie, die Erde mit Spaten und Haue zu bearbeiten. Doch das Graben und Hacken in der Erde ging nur Stich für Stich, Hieb für Hieb. Am liebsten hätten sie mit ihren Hauen den Erdboden langhin aufgerissen; aber dazu waren diese Geräte viel zu schwach. Eines Morgens musterte Hans die Überreste einiger gefällter und zum Teil verbrannter Bäume, ob sich darunter etwas Brauchbares fände, das die Arbeit abkürzen könnte. Ein angekohlter, schräg abgebrochener Buchenblock mit einem lang abstehenden Gabelast drängte sich förmlich auf. So mochte das Hakenholz des dummen Riesen ausgesehen haben im Märchen von Kannalles. Hans zerrte den Block aufs Feld, wo Peter schon den Spaten handhabte. Noch wendete Hans das Holzstück zweifelnd hin und her, da nahm es der Vater aus seinen Händen, drückte die Spitze des Blocks in den Boden und begann zu ziehen. Sie ritzte den Boden nur leicht. Dem ließ sich durch einen aufgebundenen Stein abhelfen. Tiefer wurde die beim Ziehen gerissene Furche. Als die Spitze unversehens aus dem Boden heraussprang, band Peter ans hintere Ende des Buchenblocks einen gabeligen Ast als Druck- und Führungsholz. Dann trieb er die Spitze wieder in den Boden. Hans verstand die Absicht seines Vaters. Unaufgefordert spannte er sich vor den so entstandenen Hakenpflug, den Peter mit dem Gabelholz lenkte. Die Hakenspitze riß eine grobe Furche. So arbeiteten die Männer, bis sie beide in Schweiß gebadet waren. Zwei Schläge auf die Bratpfanne riefen Hans zum Kochen des Mittagmahles; er ging ohne Widerstreben, hatten sie doch mehr Boden aufgepflügt, als sie mit Haue und Spaten in einer Woche hätten aufgraben können.

Die Spitze des hölzernen Pflughakens war bald abgerieben und wurde durch eine eiserne ersetzt. Ein altes grobes Messer, in einen gesägten Ritz des Pflughakens geschäftet, riß viel zu schmale Furchen. Der Holzpflug mußte mit einem eisernen Schuh versehen werden, der, spitz und scharfkantig, leicht in den Boden eindringen sollte. Drei Tage Arbeit an der Grubenesse, und Peter hatte mehr Schmiedeeisen, als er brauchte. Mit dem vervollkommneten Pflug gelang es den beiden, vor Ablauf einer Woche alles Ackerland aufzureißen. Dann säten sie Getreidekörner in die Furchen. Hans, der die hart gewordenen Erdschollen mit dem Rechen zu bearbeiten begann, um das Saatgut zu decken, wurde ungeduldig, ihm ging es zu langsam. Er verfertigte vier armlange Rechen mit eisernen Zinken, verband sie durch einen Rahmen aus Hartholz, nagelte eine gegabelte Stange als Deichsel daran, belastete den Rechenrahmen mit Steinen und zog ihn über die Schollen hin und her, bis alles Saatgut mit Erde bedeckt war. Das neue Ackergerät, die Egge, war da! Eine Woche später setzten die Frühlingsregen ein. Vater und Sohn verbrachten die nasse Zeit in ihrer Werkstatt. Sie halfen einander beim Schnitzen der groben, schmalen Fensterrahmen, die sich wie eine Tür auf- und zumachen lassen sollten; deshalb wurden an einer Seite breite, zähe Bänder aus Schweineschwarte aufgenagelt.

Mehr als Peters Kräuterabsud wirkten frische Luft und Sonnenschein auf Evas Befinden. Sie kam wieder so weit zu Kräften, daß sie die sonnigste Zeit des Tages im Garten verbringen konnte. Eva machte große Augen, als sie das Feld bestellt sah, aus dessen regensattem Boden die Sonne die roten Keimspitzen der Saat hervorlockte. Sie bewunderte den schweren Pflug, den Peter und Hans gemeinsam gebaut hatten! Tief atmend zog sie die duftgeschwängerte Luft ein, die von den sonnenbestrahlten Blumenhalden herüberwehte. Während sie Hans bei der Gartenarbeit half, sangen die Vögel in den blühenden Baumkronen; im Saugarten quiekten Ferkel, und vom Geißengarten her klang das Schlagwerk. Vom Moorbachfall kam ein stärkeres Geräusch herüber, als fiele ein schwerer Hammer in regelmäßigen Abständen auf Eisen. Hans mußte erkunden, was es war. Peter hatte gegenüber der Mühle an die Welle des Wasserrades ein Hammerwerk geschaltet, das wie das Schlagwerk eingerichtet war, nur daß der Amboß die Stelle der klingenden Pfanne einnahm, während ein langer Hammerstiel als Hebel von den Zapfen der Welle angetrieben wurde. Daneben schwelte Holzkohle in einer Erdmulde, zu der die Windröhren der Blasebälge führten. Das alles berichtete Hans der staunenden Mutter, und hastig arbeitete er weiter an den Gemüsebeeten; es zog ihn mächtig zum neuen Hammerwerk, wo der Vater Gußeisenbrocken in Schmiedeeisen umwandelte. Hans wollte bei dieser Arbeit helfen und übernahm das Blasebalgtreten, während Peter ein rotglühendes Stück Gußeisen nach dem anderen mit der Klemme aus der Esse hob, auf den Amboß legte und unter dem selbsttätig schlagenden Hammer hin und her schob. Unverdrossen erhitzte er es immer wieder, bis das Eisen seine Sprödigkeit verlor.

Mißvergnügt über das langweilige, schweißtreibende Ziehen und Treten der Blasebälge, spürte Hans den lebhaften Wind, der, vom Wasserfall verursacht, ihm über den erhitzten Leib strich. Ach, wenn sich doch die vom Wasserfall bewegte Luft einfangen und der Glut in der Esse zuführen ließe! Es gelang ihm leicht, den Vater zum Bau eines Windkastens zu bewegen. Unterhalb des Schaufelrades, wo der Wasserfall gischtend auffiel, stellten sie den bodenlosen Bohlenkasten ins Bachbett, so daß er das eingefallene Wasser abfangen und durchlassen konnte, umbauten ihn mit schweren Felsblöcken, deckten ihn und dichteten alle Fugen über dem Wasser. Im Deckel ließen sie nur das Wasserloch offen und an der Seite zum Hammerwerk ein Windloch, in das sie ein aus vier Flachhölzern geformtes Windführungsrohr einfügten. Wie Hans erwartet hatte, strömte durch das Rohr die im Windkasten zusammengedrängte Luft ununterbrochen in die Esse und fachte die Flammen an, so daß der Gußeisenklumpen in Weißglut geriet.

In langen Sätzen rannte Hans nach Hause. Mit glänzenden Augen berichtete er der Mutter vom gezähmten Wind, der von nun an für ihn und den Vater arbeiten sollte, und wie das Wasser die Mühle trieb und den Schmiedehammer dazu. Er schwelgte in Zukunftsplänen. Statt des breiten, schweren Hammers würde er einen schmalen, leichten vor den Antriebszapfen schalten; er würde die Zapfen vermehren, damit der Hammer schneller und leichter schlüge – ja, und statt des flachen Amboßes würde er einen gewölbten, einen kantigen oder hohlen unter den Hammer stellen und Eisenplatten und Gefäße schmieden, Eisenbänder durchlochen oder teilen! Daß er nicht übertrieb, bewies er schon in der nächsten Woche. Was er der Mutter an neuen Koch- und Eßgeräten vorlegte, übertraf ihre kühnsten Erwartungen. Und Peter schmiedete in seinem Hammerwerk in zwei Tagen mehr Nägel, als er voraussichtlich zum Bau des Laubenganges brauchen würde.

Da das Bauholz für den Laubengang noch nicht trocken genug war, rodeten die Männer ein Waldstück, um neues Gartenland zu gewinnen. Das dauerte bis zum Spätherbst. An einem nebelfeuchten Tage fällten sie eine alte Buche, in deren Höhlung sie ein Bienenvolk entdeckten, das träge um die gefüllten Honigwaben kroch und bei dem naßkalten Wetter in seiner Behausung blieb. Peter und Hans hatten gleichzeitig einen guten Gedanken: Sie sägten den Stamm oberhalb und unterhalb der Bienenwohnung auf Manneshöhe zurecht und stellten ihn im Garten zwischen Steinblöcken auf, das Flugloch nach Süden gerichtet. Auf den Klotz setzten sie ein Regendach. An der Rückseite des Stocks brachten sie eine zwei Handspannen breite, verschließbare Öffnung an, dort wollten sie den Honig herausnehmen, ohne die Bienen zu stören oder gar zu vertreiben. Bei dieser Gelegenheit entdeckte Hans, daß die Bienen an die nach innen ragenden Astkerne ihre Waben geklebt hatten. Und nun tat er etwas: Er ahmte das Verfahren der Bienen nach! Er nahm die Honigwaben heraus und knetete die mit Larven besetzten Brutwaben an Stäbchen fest, verspreizte sie quer zwischen den Wänden des Stocks, fegte mit einem Entenflügel die kältestarren Bienen zusammen und schaufelte sie in den Stock, wo sie an den Wänden langsam emporkrochen. Eva hob die vollen Honigwaben in ihrer Vorratskammer auf. Nun hatte sie genug Honig für ihren Sonnstagskuchen und zum Süßen des braunen Eicheltrankes, jetzt und in Zukunft – denn im Garten wohnte ein Bienenvolk! Nachdem Peter und Hans die Rückseite des Stocks mit einem Brett verschlossen und die Fugen mit Lehm verstrichen hatten, meinten sie, für die Bienen genug getan zu haben und setzten ihre unterbrochene Holzarbeit fort. Eine Woche lang widerhallte der Heimliche Grund von ihren Axtschlägen. Dann kam die verspätete Herbsternte in Kastaniengarten und Eichenbestand und nach den ersten Nachtfrösten die Bergung der Laubstreu.

Der Winter ließ sich im wohlversorgten Steinhaus aushalten. Peter schnitt, kerbte und bohrte das Bauholz vor. Hans arbeitete in seiner Stube. Seine Sammlungen sollte man auch sehen, sie brauchten Helle, viel Helle. Hans schaffte sie, indem er in die Schmalwand auf der Westseite seiner Stube ein großes Fenster einließ. Als Scheiben nahm er dünn gespaltene, durchsichtige Glimmerplatten. Erst als der Raum von Licht durchflutet war, ordnete er seine Schätze auf die Wandbretter. An einem regnerischen Sonntagnachmittag holte er Mutter und Vater herüber. Sie wunderten sich über die Fülle von merkwürdigen Dingen und noch mehr darüber, was Hans über jedes einzelne zu sagen wußte, wie und wo er es gefunden oder erfunden, was die Dinge versprochen, welche Enttäuschung sie gebracht, was sie gehalten hatten, was ihm an ihnen rätselhaft war und an welches Ereignis sie erinnerten.

Nun holte Peter den Schädel des Bären herbei, den er vor der alten Wohnhöhle erschlagen, den Schädel der Wildkatze, die er am Tage der ersten Feuergewinnung erlegt hatte, und den gefundenen Schädel mit dem verstümmelten Hirschgeweih: »Stell’s dazu!« Eva wollte nicht zurückstehen und übergab die Zeichensteine und Wochenstäbe. Der Sammler war überglücklich. Später verbrachte die Mutter manchen Sonntagnachmittag mit Hans in seiner »Sammlung«, und bald gingen beide ans Umräumen. Alle Wandbretter wurden leergemacht und die Gegenstände auf den Fußboden gelegt, wo sich das, was zusammengehörte, schier von selber zusammenfand. Beim Wiedereinräumen kam alles in die rechte Ordnung und ins rechte Licht. Auf dem untersten Bord lagen die Andenken an die Höhlenzeit, auf dem mittleren die der Pfahlbauzeit, und was zur Block- und Steinbauzeit gehörte, hatte auf dem obersten seinen Platz. Links vom Fenster aber kamen zuunterst die Kristalle und Erzstufen, dann die bunten Märchensteine und zum Schluß alles, was von Lebendem herrührte. Manches besonders schöne Stück wurde zur Zier an die Wand gehängt. Wenn Hans nachdenklich und schweigsam wurde, zeichnend oder bastelnd der Lösung einer Aufgabe näherzukommen trachtete, ließ ihn die Mutter allein. Am meisten beschäftigten ihn Wirkung und Vorteil des Hebels. Zwei Vorteile kannte er schon von der Hebestange und vom Schlagwerk her: mit wenig Kraftverbrauch eine große Last zu bewegen und die Richtung der Arbeitskraft in der Auswirkung zu ändern. Der Mutter hatte er einen Wunsch abgelauscht. Immer wieder hatte sie von einer Schere erzählt, die aus zwei beweglichen Messern bestanden und der Ahnl gehört hatte. Aber ihre Erinnerung daran war undeutlich. Jetzt versuchte Hans, ein Doppelmesser, wie er es sich vorstellte, zu schmieden. Er nahm zwei alte Messer, glühte sie dicht unter den Griffen an, schlug Löcher durch, legte sie kreuzweise übereinander und hämmerte einen kurzen Stift als Achse durch die beiden Löcher. Der Vater, dem er heimlich die mit zwei Händen bewegbare Schere zeigte, erinnerte sich, daß die Ahnl ihre Schere nur mit einer Hand bewegt hatte. Auch das war leicht zu machen. Hans brannte das Holz der Griffe weg und hämmerte die glühenden Stieldorne der Messer so nach außen um, daß ein Ring für den Daumen und ein zweiter für die Finger entstand. Dann härtete und schliff er die Scherenmesser, fügte sie zusammen und rieb sie mit Schachtelhalmstroh blank; nun schnitten sie Leder und Haare glatt. Und jetzt wußte er auch schon, was er dem Vater unter den Lichterbaum legen wollte: zwei andere Formen einer Schere: nämlich eine Schmiedezange, mit der er das Eisenstück, das er bearbeiten wollte, leichter festhalten konnte als mit der Klemme, und eine Beißzange mit breiten, kurzen, scharfkantigen Kiefern.

Am Heiligen Abend war die Freude beider Eltern groß. Die Güte der Schere erprobte Eva sofort an Hansens Kopfhaar, sie schnitt es im Nacken ab, so daß er es nicht mehr zu knoten brauchte. Peters Weihnachtsgabe für Frau und Sohn war eine hochgebaute Harfe mit siebzehn Saiten.

Hans verbrachte jede freie Stunde in seiner Sammlung, betrachtete seine Schätze, dachte nach, versuchte dies und das und verließ höchst ungern seine Stube, wenn sein Vater, der das Bauholz für den Laubengang sägte, Hilfe brauchte. Das kostete nur Zeit, die er so dringend für seine eigenen Arbeiten benötigte. Was lag näher, als wieder das Wasser für sich arbeiten zu lassen. Damit die Säge sich der Drehung des Mühlrades anpaßte, schmiedete er eine dünne, kreisrunde Scheibe aus Harteisen und versah ihren Rand mit geschränkten Zähnen. Dann brauchte er nur das Ende der Radwelle vierkantig zu beschneiden, die viereckig durchlochte Sägescheibe daranzustecken und mit zwei Querzapfen, anzuklemmen, oder nicht? Wie er es sich erdacht hatte, so ging es: Schob er an die sich drehende Sägescheibe einen Baumstamm der Quere nach, so schnitt sie Scheiter oder Scheiben, schob er ihr den Stamm der Länge nach zu, so schnitt sie Bretter. Aber auch das Schieben kostete Zeit! Da baute Hans oberhalb der Säge eine schräge Gleitbahn. Darauf legte er den entrindeten Stamm über Rollhölzer, so daß er sich durch die eigene Schwere auf die Säge zubewegte.

Die fast mühelose Herstellung glatter Bretter, von denen sich nach und nach die schönste Stubenausstattung tischlern ließ, erregte Peters unverhohlene Bewunderung, und aus Evas Augen strahlte die Freude. Doch wenn Hans seine Sammlung betrachtete und die Blicke über den Inhalt der unteren Wandbretter gleiten ließ, wurde er ganz bescheiden. Was hatte der Vater alles vor ihm ersonnen! Mit Vater hatte alles angefangen, ohne ihn wäre nichts von dem geworden, was nun war. Und weilten seine Blicke auf den Kristalldrusen, den Versteinerungen, den Früchten, den Schädeln, den Eiern, den gestreiften Schneckenschalen, dann dachte er an das, was die Mutter gesagt hatte, daß der Allmächtige alles geschaffen hatte. Und seine Ehrfurcht vor dem unsichtbaren Gott wuchs, der nur durch seinen Willen alles hat werden lassen, während er, Hans, doch zu allem die Hände brauchte. Fragen stiegen in ihm auf: Wie ist das geworden? Wie? Und warum gerade so und nicht anders? Was er wußte, was er selbst konnte, wie gering war es im Vergleich zu dem, was er nicht verstand, und zu dem vielen, was er nie und nimmer zu schaffen vermocht hätte! Vor ihm lagen Rätsel über Rätsel, die er lösen wollte, eines nach dem anderen. Ob er lange genug lebte? Jedes Weilchen seines Lebens war ihm kostbar geworden. Keine Gelegenheit durfte er versäumen, um neue Erkenntnisse zu erschauen, zu erlauschen, zu erforschen, zu erarbeiten. Die Menschen draußen in der großen Welt mochten wohl vieles wissen, das er von ihnen erfahren könnte. Und wieder packte ihn die Sehnsucht nach der Ferne und drängte, so daß er sich eiserne Schuhe mit abwärts gebogenen, scharfen Rändern schmiedete. Wie die Steinböcke mit ihren scharfkantigen Hufen, wollte er dann über Fels und Eis klimmen eines Tages, eines Tages …

Gesäuertes Brot

Gegen Ende des Winters wurde Eva wieder krank, und Hans, der alle Hausarbeit auf sich nahm, verbrachte die meiste Zeit in ihrer Nähe. Ihr zuliebe sang er zum neuen Saitenspiel seine Erzählungen von längst und jüngst geschehenen Taten. Sooft er abkömmlich war, meißelte er heimlich an einem Backtrog, den sich die Mutter längst wünschte.

Im Frühling wimmelte es von Jungtieren, die Erde mußte bearbeitet werden, Frühlingsblumen prangten und dufteten, bunte Schmetterlinge, Hummeln und fremde Bienen kamen auf die Sonnleiten zu Gast. Was aber machten die Hausbienen in ihrem Baumstamm? Noch keine hatte das Flugloch des Stocks verlassen. Und doch war es hohe Zeit, daß sie mit dem Sammeln begannen. Der Honigvorrat Evas ging rascher zur Neige, als die sparsame Hausfrau vorausgesehen hatte. Peter, den Evas Kränklichkeit oft verdroß, kehrte wieder zum alten Brauch zurück, kleine Mengen Honig heimlich mit Wasser zu mischen und den gegorenen Met als Trost- und Labetrunk zu genießen. Nun, da er das Bienenvolk im Garten wußte, sah er keinen Grund, sich den Genuß zu versagen.

Das Bauholz für den Laubengang war fertig. Evas Bedürfnis nach Sonnenschein sollte bald erfüllt werden. Die Obstbäume, die im Vorjahr zurückgeschnitten und von Wurzeltrieben gereinigt worden waren, zeigten vielfach Kurztriebe mit vielen, auffallend großen Blütenknospen, die einen reichen Ertrag versprachen. Und Eva freute sich schon, daß ihre Hausbienen honigsammelnd von Blüte zu Blüte fliegen würden. Aber noch schienen sie ihren Winterschlaf zu halten. Die Bäume waren verblüht, die Fruchtknoten dick und prall, aber noch immer schienen die Bienen zu schlafen. Hans entfernte in Gegenwart der Mutter das Verschlußbrett an der Rückwand des Bienenstocks. Ein übler Gestank quoll ihnen entgegen. Auf dem Boden der Höhlung lagen die Bienen in Haufen beisammen, regungslos, mit Schmutz besudelt, einzelne von Schimmel überzogen: Das Bienenvolk war tot. Eva hatte Tränen in den Augen, und Peter, der hinzugekommen war, stieß einen Ruf tiefer Enttäuschung aus. Da sagte Eva, was sie ahnte: »Wißt ihr, was da geschehen ist? Verhungert sind sie! Ihr habt ihnen allen Honig genommen; das war ja ihr Wintervorrat. Arme Bienen!«

Peter kehrte wütend in seine Werkstatt zurück. Hans aber fegte den Bienenstock leer und wusch alle Wände mit Aschenlauge. Erst nach Tagen, als die Bienenwohnung vom Winde getrocknet und geruchlos war, fügte er die Hinterwand ein. Während er mit dem Vater am Laubengang baute, grübelte er darüber nach, wie er es anstellen sollte, für seinen Bienenstock ein neues Volk zu bekommen. Indes lockten die blühenden Ränder der Gemüsebeete fremde Bienen um so reichlicher an, je mehr Sommerblüher die Frühlingsblumen ablösten.

Hans verfiel darauf, das Flugloch des leeren Bienenstockes mit Honigwasser zu besprengen, um die Gäste auf die leere Wohnung aufmerksam zu machen. Sie gingen wohl ein und aus, aber keine Biene blieb darin über Nacht. Am hellen Mittag nach der Sommersonnenwende jedoch senkte sich ein schwärmendes Volk zum Stock nieder. Als wimmelnde Traube hing es unter dem Flugloch. Die Sonnleitnerleute beobachteten mit angehaltenem Atem, wie langsam der Einzug vor sich ging, während aus dem Innern des Stockes ein eigenartiges Summen drang, als riefe eine »Stimme« das Volk ins Innere. In der nächsten Woche ließen Peter und Hans ihren Laubengang im Stich und suchten den Wald nach hohlen Baumstämmen ab. Es gelang ihnen, im Garten neben dem besiedelten Klotz noch fünf andere aufzustellen, die Hans mit Bohrer, Meißel und Säge in geräumige Bienenwohnungen verwandelte. Er versah sie mit Querstäben zum Ansetzen der Waben. Zwei Klötze wurden noch im Laufe des Sommers von zugeflogenen Schwärmen besiedelt.

Im Spätsommer bauten Hans und Peter einen Windfang vor die Haustür und darüber für Eva ein Sonnenplätzchen, das durch eine Tür im Obergeschoß zugänglich war. An den Ausbau des Laubenganges kamen die beiden Männer noch nicht.

Zur gleichen Zeit holten sich die Sonnleitnerleute zum ersten Mal eigenen Honig von den Stöcken und beschlossen, den Tierchen das als Wintervorrat zu lassen, was sie noch bis zum Herbst eintragen würden. Bei dieser Gelegenheit schaffte Peter drei Töpfe Honig für sich beiseite, damit ihm der Met nicht ausginge. Da er seinen heiter stimmenden Trank weder mit Hans noch mit Eva teilen wollte, verwahrte er ihn in der Bärenhöhle und schluckte heimlich davon, sooft er auf Fischfang zog, den er lange vernachlässigt hatte.

Evas Befinden besserte sich wieder ein wenig; Peter verschob den Weiterbau am Laubengang auf das nächste Jahr und widmete sich der Heuernte. Zum Helfer beim Einbringen hatte er sich einen starken Ziegenbock abgerichtet. Der wollte zwar anfangs nicht, aber unter dem Zwang des Riemenzeuges, das ihn an die zwei Zugstangen des Karrens fesselte, und angetrieben vom juckenden Schlag der Weidengerte, fügte er sich in sein Los. Nach dem Getreideschnitt hatte das Zugtier bereits gelernt, daß ein Zungenschnalzer des Lenkers »Los, zieh!« bedeutete und ein »Brr!« soviel wie »Halt!«

In der Speisekammer fehlte es Eva an nichts; leid tat ihr nur, daß es ihr noch nicht gelungen war, lockeres Brot herzustellen, wie sie es aus früher Kindheit in Erinnerung hatte. Ihre Fladen waren hart und nicht selten speckig. Da kam ihr ein scheinbar bedeutungsloses Ereignis zu Hilfe. An einem nebligen Tage, den Peter und Hans zum Einfahren von Brennholz benützten, entdeckte sie in einem Napf auf dem Herdrand einen Teigrest vom Tag vorher. Zu ihrem Staunen war der Teig bis zum Rand des Napfes gequollen und roch eigentümlich säuerlich, aber keineswegs widerwärtig. Eva scheute sich, den Teigrest in den Abfall zu tun. Ohne sich zu besinnen, vermischte sie ihn mit frischem Mehl, knetete das Ganze mit Milch und Wasser durch, gab etwas Salz darein und ein paar Körner Fenchel. Mit diesem Gewürz hoffte sie den vielleicht faden Geschmack des sauer gewordenen Teigs zu vertreiben.

Ehe sie den Kuchen formen konnte, mußte sie die Pfanne, die mit den angetrockneten Teigresten bekleckst war, reinigen und mit einem Brocken Schweinefett über dem Pfannenträger erhitzen. Wie erstaunte sie, als sie zu ihrem Teigklumpen zurückkehrte und sah, daß er viel größer geworden war!

Was sie mit der Hand herausnahm, war auffallend leichter als der Teig, den sie sonst zu verwenden pflegte. Nicht ohne Neugierde, was aus dem wunderlich angewachsenen Teig beim Backen werden würde, legte sie handtellergroße Stücke davon in heißes Fett auf die Pfanne. Die Laibchen wuchsen, und die gelbliche Rinde, die an der Oberfläche entstanden war, bekam Risse; dann wuchsen sie nicht mehr, aber ein köstlicher Geruch verbreitete sich durch den Raum. Eva, die aus dem Duft der neuen Speise voll Zuversicht auf einen ebenso guten Geschmack schloß, wendete die Brote, so daß die blasse Oberseite auch in das heiße Fett zu liegen kam. Gerade als das Gebäck fertig war, verkündeten die höheren Töne der Wasseruhr, daß der Mittag nahe war. Eva öffnete die Tür zu ihrem Sonnenplatz und schlug mit dem Kochlöffel dreimal kräftig gegen den Boden der Bratpfanne: Mittagessen!

Die beiden Männer ließen sich nicht lange rufen.

Diesmal wurde ihr das höchste Lob zuteil, das Peter zu vergeben hatte: »Ja, Everl, dein Brot schmeckt ja besser als der Ahnl ihres.« Und nach einigen Bissen setzte er hinzu: »So backen’s die reichen Leute draußen in der großen Welt.«

»Reiche Leute?« fragte Hans dazwischen.

»Nun ja, Menschen, die mehr haben, als sie selber brauchen.«

Hans aß nachdenklich … große Welt, schon wieder die große Welt, aus der das Korn gekommen war, die Kornblumen und die Schwalben! Nun war er überzeugt, daß die Menschen dort draußen wohl manches konnten und vieles wußten, wovon er im Heimlichen Grund nichts ahnte.

Als er einige Tage darauf der Mutter zusah, wie sie die halbgaren Brote in der Pfanne wendete, verfiel er auf den Gedanken, den Herd so zu verbessern, daß die Mutter das Brot, ohne es zu wenden, ausbacken konnte. Aus dicken Tonplatten, die zum Ersatz der hölzernen Wasserleitungsrohre gebrannt worden waren, beim Brennen jedoch ihre Wölbung eingebüßt hatten, baute er über die Feuerstelle des Obergeschosses eine Backröhre, die er auf Steinen hohlliegen ließ, so daß die unter und über ihr brennenden Flammen sie von oben und unten, von rechts und links erhitzen mußten. Besser als der tägliche Brei, besser als die Fladen schmeckte den Sonnleitnerleuten das tägliche Brot, eine Erfindung, an der sie sich alle beteiligt hatten.

Hansl wird hart

Im Sonnleitnerhof balgten sich die Jungkatzen, sie belauerten und haschten einander, sie neckten die jungen Fuchshunde, deren Scheinkämpfe sich mit viel Gekläff und Geknurr abspielten; sie versteckten sich hinter großen Steinen im Hof und sprangen Hansl und Eva an die Beine.

Das schwächste der drei Kätzchen war am zutraulichsten. Es bekam den Namen Schnurri und wurde Hansls Schlafkamerad. Seine beiden Brüder aber, Grauli und Fleck, verscherzten sich die Gunst der Menschen. Sie töteten Singvögel am Futterplatz, sie fauchten, bissen und kratzten, sooft Hansl versuchte, ihnen durch ein paar Hiebe deutlich zu machen, daß sie den Hausfrieden störten.

Eines Tages sagte Peter zu seinem Buben: »Hansl, schau, Fleck und Grauli sind nicht zum Aushalten; immer wollen sie etwas umbringen. Wenn wir sie am Leben lassen, machen sie alle Vögel tot, die Mutter so gern hat. Weißt was, wenn’s kalt wird und die zwei ihren Winterpelz haben, dann schieß‘ ich sie tot, und wir machen der Mutter warme Fäustlinge aus ihrem Fell, Fäustlinge, die ihr bis über die Ellbogen reichen.«

Er hatte die Worte gut gewählt. Hansl nickte; die Vorstellung, daß die Mutter weiche, warme Fäustlinge bekommen sollte, ließ ihn die kalte Zeit herbeiwünschen.

Von da an sperrte er die beiden Katzen jedesmal ein, wenn er die Vögel fütterte; seine Schnurri aber klemmte er sich unter den linken Arm, und wenn sie beim Heranfliegen eines Vogels nur zuckte, schimpfte er sie aus.

Selbstverständlich verstand Schnurri nicht die Worte, aber den warnenden Ton deutete sie richtig, und es fiel ihr nicht schwer, sich zurückzuhalten, da sie ja täglich gut gefüttert wurde. Nach wenigen Tagen war sie die Vögel so gewöhnt, daß sie schnurrend auf der Türschwelle saß. Schnurri wurde eine richtige Hauskatze, die in Stall und Vorratskammer Mäuse jagte, in Feierstunden aber bei der Familie saß und mit ihrem Schnurren zur Behaglichkeit beitrug.

Wie im Vorjahr mußte Hansl im Geißengarten die Ziegen hüten. Am besonnten Eingang der Wohnhöhle hatte er für Schnurri ein weiches Mooslager gerichtet. Unter einem feuchten Lappen lag ein Lehmklumpen bereit, aus dem er, wenn er Lust verspürte, Gefäße und Figuren formte, die schon viel besser ausfielen als früher.

Eines Tages hatte er an einer armlangen Darmsaite einen Holzspan als Fahrzeug auf dem Wasser hin und her gezogen und dann im Übermut um seinen Kopf gewirbelt. Dabei hatte er entdeckt, daß das rasch bewegte Ding surrte. Je schneller er das Schwirrholz herumwirbelte, desto höher wurde das Surren. Das tönende Holz erschien ihm wie ein geheimnisvolles Lebewesen; es war ja die Stimme des Windes. Sofort schnitzelte er aus einem Hartholzsplitter ein größeres Schwirrholz, band es an eine lange Saite und dann an einen kurzen Peitschenstock. Dieses Spielzeug ließ er nicht nur im Geißengarten schwirren, sondern schon in aller Frühe im Sonnleitnerhof. Eines Morgens traf er damit einen Milchtopf und zerschlug ihn. Dafür bekam er vom Vater die ersten ärgerlichen Scheltworte zu hören.

Eines Tages aber traf Hansls Schwirrer die Wange der Mutter; ihr Schmerzensschrei erschreckte ihn bis ins tiefste Herz; er stürzte vor ihr nieder und umklammerte angstvoll ihre Knie. Sie solle ihm nicht böse sein, das habe er nicht gewollt.

Die blutunterlaufene Stelle auf Evas Wange war noch wochenlang zu sehen! Hansl hatte Ursache, den Kopf hängen zu lassen, und sah die Schwirrhölzer vorläufig nicht mehr an.

Nach der letzten Heumahd und nach der Herbstfruchternte nahm Peter eines Tages seinen Sohn auf die Jagd mit und zeigte ihm, wie man Rehe beschlich und erlegte.

Vergessen waren jetzt die Schwirrhölzer; das Schießen mit Pfeil und Bogen löste sie ab. Nur Raubvögel wollte er schießen, denn Singvögel hatte die Mutter viel zu gern, ihr wollte er um keinen Preis weh tun. Raubvögel und Tauben waren ihm erlaubt. Ja, auch Tauben, und bald steuerte Hansl, der mit Pfeil und Bogen geschickt umzugehen lernte, zur Ernährung bei.

Auch seine Pfeile schnitzte er selber, aus Schilfhalmen. Eines Tages blies er aus reiner Spielerei in einen Halm und zuckte erschreckt zusammen, als ein schriller Ton entstand. Weil er aber allem auf den Grund ging, blies er immer wieder und merkte, daß die Höhe des Tons etwas mit der Länge des Schilfhalmes zu tun hatte: je kürzer der Halm, um so höher der Ton!

Er schnitt sich eine Anzahl verschieden langer Schilfpfeifen zurecht, denen er abwechselnd hohe und tiefe, zeitweise auch so schrille Töne entlockte, daß seine Eltern sich die Ohren zuhielten.

Hansl probierte seelenruhig weiter seine Pfeifen aus, reihte sie zwischen Daumen und Fingern aneinander und übte so lange, bis er den Frageruf der Goldamsel beinahe richtig nachahmen konnte. Die Pfeifen aber, die diesen Wohlklang ergaben, band er an ein flaches Holz und hatte nun eine Rohrflöte von sieben Tönen, die er genau kannte. Seine musikalischen Übungen brachten Eva auf den Gedanken, ihm mit Peters Hilfe ein weniger schrilles Instrument zu verschaffen. Sie erinnerte sich der Darmsaiten am Spannstab, die sie durch Zupfen zum Schnarren gebracht hatte. Zwischen einem kräftigen Schilfhalm und einem Querholz wurden acht Darmsaiten angebracht; sie konnten mit einem Drehpflöckchen verschieden gespannt werden und gaben, wenn man daran zupfte, je nachdem hohe oder tiefe Töne. Das gefiel Hansl so gut, daß er die Töne mitsummte.

Evas Wasseruhr

Trübe, sonnenlose Wintertage kamen. Eva, die in der Tageseinteilung vom Wetter unabhängig sein wollte, erfand einen recht einfachen Zeitmesser. Er bestand aus zwei gleich großen Töpfen, von denen der eine mit Wasser gefüllt, auf einem durchlochten Dreifuß, der andere darunter stand.

Die dicken Topfböden hatte sie mit einem Hartsteinsplitter so weit durchbohrt, daß ein Pfropf, aus einem hohlen Hartriegelstab angefertigt, genau in das Loch paßte. Im Markloch des Pfropfes steckte ein dünnes, in vier Abständen gekerbtes Stäbchen. Eva stellte den mit Wasser gefüllten Topf auf den Dreifuß, und wenn an einem sonnigen Mittag der Schatten des linken Türpflockes der Gartentür auf den linken Rand der Stubentür fiel, zog sie das Stäbchen aus dem Pfropf des oberen Topfes und steckte es in den Pfropf des unteren. Tropfen auf Tropfen fiel dann in das untere Gefäß, in dem unmerklich das Wasser anstieg und es bis zum nächsten Mittag füllte. So hatte Eva es mit verschieden weiten Bohrungen erprobt. War der untere Topf zu einem Viertel voll, so stand der Wasserspiegel bei der ersten Kerbe des Stäbchens: Ein Viertel des Tages war verstrichen.

Am nächsten Mittag wechselte sie die Töpfe aus und goß oben so viel Wasser nach, wie aus einem ihr unerklärlichen Grunde geschwunden war. Wohl stellten sich Ungenauigkeiten ein, wenn ein paar Mittage nacheinander der Sonnenschein ausblieb, aber für Evas Ansprüche ging ihre Wasseruhr genau genug; ihr Arbeitstag war eingeteilt.

Der metallische Ton der Bratpfanne rief nicht nur Hansl und Peter zum Essen, auch Schnurri und die Hunde stellten sich ein, die Schweine grunzten, die Ziegen meckerten, und selbst die Enten schnatterten, denn alle waren gewöhnt, ihr Essen vor den Menschen zu bekommen.

An naßkalten Sonntagen pflegte Hansl, von seiner Mutter angeleitet, die Zeichensteine und Wochenstäbe vor sich hinzulegen, aber bald ordnete er sie selbst nach der Reihenfolge der Geschehnisse, von denen sie berichteten. Und dann erzählte er, was die Mutter erzählt hatte. Er begann, mit Rötel oder Holzkohle auf Mergelschiefer die sprechenden Bilder nachzuzeichnen. Je öfter er dies tat, um so einfacher wurden die Bilder, um so reicher aber auch die selbsterfundenen Zeichen. Beine bedeuteten »gehen«, »laufen«, »steigen«, je nach ihrer Stellung; ein Kopf mit einem Bart besagte »Mann« oder »stark«; ein Korb mit Früchten »viel«; eine Wellenlinie konnte »Wasser« bedeuten oder auch »fließen«. Und wenn Hansl »vorlas«, was er gezeichnet hatte, klang es lebhafter und lebendiger. Das wiederum gefiel seinem Vater so gut, daß auch er Bilder für sein Tun und Wollen erfand.

Eva freute sich über die vielen Bildschriften und vor allem, wenn sie hörte, was sie an Gedanken ausdrückten.

Auch in ihr lag ein Schatz verborgen, und Hansl hatte den Schlüssel dazu. Wenn er in der Dämmerstunde drängte und bat: »Mutter, erzähl etwas!« – dann ging die Schatzkammer auf, und Mutter Eva, die Vielbeschäftigte, wurde zur Märchendichterin. Sie lauschte auf etwas Wunderbares, das in ihr raunte und flüsterte, und immer fing es an: »Es war einmal …« In allem, was aus ihr sprach, siegte das Gute, das Schöne, das rechte Maß. Und Hansl nahm alles in sich auf und vergaß auch in seinem späteren Leben nicht, daß zum Glück des Menschen Güte und Gerechtigkeit gehören.

Der findige Hansl

Der Winter war vorbei. In den Nächten hallte der Wald wider von den schauerlichen Gesängen der Wildkatzen. Schnurri ließ es sich nicht nehmen, Nacht für Nacht in den Wald zu verschwinden, sie mußte beim Singen dabei sein. Die Tage verschlief sie, als ob sie das Spielen verlernt hätte. Nach zwei Wochen aber wurde sie wieder ein munterer Kamerad.

Der Vater baute eine lange Sitzbank, die auf vier gegrätschten Beinen fest und sicher stand. Hansl aber machte sie zu seiner Werkbank. Im Reitsitz saß er darauf und bastelte dies und das. Mutter Eva knetete Ton für neues Geschirr und litt es gern, daß ihr Sohn die Gefäße ausschmückte. Solange sie noch feucht waren, gaben sie dem Druck seiner Finger nach, und naß aufgetragener Ton blieb an ihnen haften. So entstanden Töpfe mit Gesichtern, mit allerlei Tiergestalten und Blumen, schöner, als sein Vater es fertigbrachte.

An der Ziegentränke, die durch einen Wasserstrahl aus der Leitung gespeist wurde, wuchs ein Weidenschößling, von dem ein Zweig so schräg herüberragte, daß seine Blätter vom fallenden Wasser getroffen und niedergedrückt wurden. Sooft er emporschnellte, immer wieder mußte der Zweig hinunter und schlug mit der Spitze klatschend auf einen Stein der Mauerung. Dieses stete Aufschlagen gab Hansl zu denken: Bewegung, Schlag und Schall! Das rinnende Wasser erschien ihm wie etwas Lebendiges, das eine Arbeit leistete. Und er wollte ihm etwas Wichtiges zu tun geben.

Sein halbmüßiges Hirtenbubenleben behagte ihm nicht mehr; lieber hätte er daheim der kränkelnden Mutter geholfen, statt im Ziegengarten auf Geier zu lauern, die sich nur selten zeigten. Und er sann darauf, ein Schlagwerk zu bauen, das, vom Wasser getrieben, seine Bratpfanne immer wieder zum Tönen bringen sollte; dann würden die Geier den unruhigen Ort ganz meiden, und er müßte nicht immer da sein. Sein suchender Blick fiel auf einen abgebrochenen Fichtenwipfel mit vier Astquirlen. Hansl rammte rechts und links vom Wasserstrahl zwei Stäbe in den Boden und legte den Wipfel in die Gabelungen, so daß die Zinken des zweiten Quirls vom fallenden Wasser getroffen wurden; sie machten unter dem Wasserdruck nur einen einzigen Ruck. Nun spaltete er alle Zinken auf und verbreiterte sie durch eingeschobene Brettchen. Jetzt drehte sich das Wasserrad, bis sich der linke Astquirl am Gabelständer spießte. Ihm schnitt Hansl alle Zinken ab und ließ nur einen Knoten übrig. Und nun setzte er den Gabelständer so nahe an den Knoten, daß er das Hin- und Hergehen der Quirlwelle hinderte. So blieben die Schaufeln des Rades immer unter dem Wasserstrahl; das Wasserrad drehte sich unerwartet schnell. Die auf gleiche Länge gekürzten Zinken des dritten Quirls sollten das eine Ende eines Schlaghebels drücken, damit sein anderes Ende in die Höhe ginge und nach dem Loslassen auf die Bratpfanne schlüge.

Aus einem Holunderstab machte Hansl den Hammerstiel und durchlochte ihn in der Mitte der Quere nach; dann durchbohrte er die Gabel eines Standholzes, steckte ein Eisenstäbchen als Achse durch die Gabel und den in ihr ruhenden Hammerstiel. Die Pfanne schob er unter den eingezwängten Hammerstein. Das andere Ende des Stiels, das er verbreitert hatte, mußte von den Zinken des treibenden Quirls getroffen werden.

Hansl hatte sich alles so gut ausgedacht, aber – das Schlagwerk war stumm. Das Wasserrad drehte sich so rasch, daß die Zinken den Schlaghebel viel zu schnell nacheinander streiften und der Hammer nie Zeit hatte, auf die Pfanne niederzufallen. Er wurde auf halbem Wege durch den Druck des nächsten Zapfens wieder gehoben. Da entschloß sich der junge Erfinder, von den fünf Zapfen des Quirls drei zu kürzen, so daß nur der erste und der dritte lang blieben. Und jetzt erlebte er seine Überraschung: Bei jeder Umdrehung des Rades schlug der Hammer erst stark, dann schwach auf die Pfanne: Gunn – gunn – gunn – gunn so klang es ohne Unterlaß. Hans lauschte verzückt und merkte nicht, daß sich alle Ziegen und Zicklein hinter ihm versammelt hatten und erstaunt auf das wunderliche Klingen horchten. In Gedanken versunken stand der Erfinder da. Eine Ahnung dämmerte ihm auf, daß der Druck des fallenden Wassers vielleicht auch noch anderes leisten könnte, als ein Schlagwerk zu treiben.

Angelockt von dem sonderbaren Klingen waren Peter und Eva in den Ziegengarten geeilt. Ihr Sohn bemerkte sie erst, als der Vater ihm die Rechte auf die Schulter legte. »Bub, das hast du gut gemacht! Sag, wie bist du denn drauf gekommen?« Nun erzählte Hansl, warum, wozu und wie er die »Geierscheuche« erfunden hatte. Eva lächelte. Hansls Hilfe daheim war ihr hoch willkommen.

Je weiter der Frühling fortschritt, um so schöner wurde das Leben auf der Sonnleiten. Die im Vorjahr aufgezogenen, gut gefütterten Enten hatten den Winter gesund überstanden. Alle waren zahm, nur der Enterich nicht. Jetzt saßen drei auf den Eiern, und bald wimmelte es auf dem Teich von jungen Entlein. Was die anderen an Eiern legten, verwendete Eva in der Küche. Da gab es Eierfladen auf Speckschnitten geröstet, das schmeckte wunderbar.

Zur Zeit der Erdbeerblüte brachte Schnurri fünf Kätzchen zur Welt. Auch die Fuchshunde hatten geworfen, und bald balgten sich die Jungen im Hofe herum. Kurz nach der ersten Heumahd heizte Peter den Töpferofen an und brannte Evas neues, von Hansl geschmücktes Geschirr. Der Bub aber hatte wieder etwas Neues ersonnen. Um die junge Bläff, die mit dem Namen ihrer Mutter auch alle deren guten Eigenschaften geerbt hatte, zum Ziegenhüten abzurichten, besteckte er ein Holzkreuz mit aufgelesenen Federn. Das band er an eine lange Darmsaite, die er über einen Baumast zog. Diesen »Geier« ließ er vor Bläff auf- und niederschweben und lehrte sie, danach zu schnappen. Die junge Hündin ging mit Feuereifer auf das Spiel ein und kläffte, bis ihr die Stimme überschlug. Und wenn es ihr gelang, dem sonderbaren Vogel eine Feder auszureißen, wurde sie von ihrem jungen Herrn getätschelt und gelobt. Dann hetzte er sie auf herumlungernde Krähen und Häher und freute sich an dem wütenden Gebell des Hundes, dem die Beute immer entschwebte. Vom Schlagwerk verscheucht, vom Hund abgeschreckt, waren die Geier nicht mehr zu fürchten, und Hansl konnte beruhigt der Mutter helfen: volle Futterkörbe herbeischleppen und Brennholz spalten. Oft sah Eva sinnend zu, wie ihr Sohn mit Freuden tat, was für sie zu schwer gewesen wäre. Wie stattlich der Bub heranwuchs, wie flink ihm die Arbeit von der Hand ging!

Hansl griff zur eisenbeschlagenen Mistgabel, um den Ziegenstall zu reinigen. Beim Abladen des Mistes auf dem Dunghaufen fielen ihm die üppigen Grashalme auf, die er trug; viel kräftiger und höher als die Halme des Schwadengrases waren sie! Und mitten unter ihnen wuchsen blaue Blumen, wie er sie vorher nie gesehen hatte. Dunkelblaue Sterne waren es, deren Ränder wieder aus Sternen bestanden. Daneben schaukelten große blutrote Blüten auf schlanken, fein behaarten Stielen. Er pflückte, was er davon erlangen konnte, und brachte sie der Mutter. Kopfschüttelnd betrachtete Eva die fremden Gäste. Peter, der gerade dazukam, nahm ihr den Strauß aufgeregt aus der Hand. »Die blauen sind ja Kornblumen! Kornblumen! Die Ahnl hat sie gesammelt; sie sind gut für hitzige Augen, gut für böse Wunden und wunde Mundwinkel. Und die blutroten da, die hat sie auch gebracht; giftiges Zeug, das die Leute schläfrig macht. Bub, wo hast sie her?« Da führte Hansl den Vater zum Düngerhaufen, und Peter pfiff wieder einmal vor sich hin, wie er das bei besonderen Überraschungen zu tun pflegte. Mit dem Jagdmesser grub er nach und fand an den Wurzeln tief unter der Streuschicht die halbvermoderten Schwungfedern eines Taubenflügels. Jetzt wußte er genug: »Hansl, weißt noch, wie du im vorigen Herbst die Tauben gerupft und ausgenommen hast? Die Federn, das Gedärm und die Kröpfe hast du auf den Mist getragen. Und die Kröpfe waren voll großer, dicker Körner.«

»Jaja«, sagte Hansl, »aber wo haben sie denn die Körner geholt?«

Peter beschrieb mit der Rechten einen weiten Bogen nach der Gegend hinter der Klamm: »Von draußen halt, aus der großen Welt.« Er verstummte; vor seinem inneren Auge tauchten blumendurchsetzte Kornfelder auf – Felder, an denen er in ferner Kindheit vorbeigekommen war.

»Die schönen Blumen auch?« fragte aufhorchend der Bub. »Gibt’s dort draußen in der Welt viele solche Blumen?«

»Wohl, wohl, Bub, die gibt’s«, bejahte der Vater, ohne der Frage eine Bedeutung beizumessen.

In Hansls Herzen aber erwachte die Sehnsucht nach der geheimnisvollen Ferne, und er fragte sich, ob draußen nicht auch gute Menschen unter den bösen hausten, wie das Korn und die blauen heilkräftigen Kornblumen neben dem giftigen Klatschmohn, der die Leute einschläferte.

Um ihren Sohn vom Grübeln abzulenken, lehrte Eva ihn ein Spiel, das ihr die Ahnl gezeigt hatte: Sie füllte einen Napf mit Seifenwasser und tauchte einen Strohhalm hinein, so daß ein Tropfen daran hängenblieb. Dann blies sie sachte durch den Halm, und es entstand eine hohle, wunderfeine Kugel. Hansl machte große Augen. Ah, wie schön! Wie war das nur möglich? Es gelang ihm, aus der Seifenlösung faustgroße Kugeln zu blasen, die in allen Farben des Regenbogens schillerten. Zum Spiel auf seiner Hirtenflöte und der kleinen Harfe war nun ein Lichtspiel hinzugekommen, das ihn eine andere Art von Schönheit erleben ließ. Die Freude an den herrlichen Farben, die auf der zarten Kugel einen wundersam bewegten, geheimnisvollen Reigen aufführten, war unsagbar. Vor der Schönheit, die die nahe Gegenwart bot, verging das Sehnen nach der großen Welt.

Sehnsuchtsmärchen

Als im Hochsommer schwere Getreideähren, die nicht gleichzeitig reiften, ihre schlanken Halme zur Erde bogen, wurden sie von Peter einzeln gepflückt und von Eva mit den Fingern entkörnt. Es war Weizen und Gerste durcheinander. Eva las das verschiedene Saatgut aus und bewahrte es gesondert in Körbchen auf. Hansl aber bereitete für die Mutter eine Überraschung vor. Er sammelte die Fruchtstände der Blumen, deren Samen er heimlich neben dem Zaun ausstreuen wollte.

Im Herbst, als der Wald rot, golden und erzbraun prangte, gruben Vater und Sohn den trockeneren Teil des Schwadenkornfeldes oberhalb des Saugartens mit neuen, langstieligen Hauen und Spaten um. Sie entfernten sorgsam, was an Rasenflözen darin war und brachten die Flöze auf die Brunnleiten. Dort sollte fortan alles Unkraut, aber auch Erde und Sand zwischen die Geröllblöcke eingeschüttet werden, damit der Boden ebener und grasreicher würde. Den zu festem Kompost verrotteten Dung des Abfallhaufens, in dem die Getreidehalme so üppig gewachsen waren, breiteten sie karrenweise auf dem neuen Acker aus und deckten Walderde darüber. Hansl, der den Rechen führte, glättete damit das lange und breite Beet. Eva teilte es in drei kleinere Beete; in das eine kam Schwadenkorn, in das andere Gerste und in das dritte Weizen. Sie versenkte jedes Samenkorn in ein Grübchen, eines vom anderen eine Handspanne weit entfernt. Jedes Körnchen sollte zum Wachsen Platz haben.

Als das geschehen war, begann für Peter und Eva die Pilz- und Wildobsternte im Wald; Hansl mußte unterdessen das Haus hüten und das Essen bereiten. Ihn reizten die leeren Flächen neuer Töpfe, die Eva zum Vortrocknen an den Herd gestellt hatte. Aber sein Zierat aus feuchtem Ton fiel vom trockenen Grund ab; da rührte er geschabten Rötel, mit dem er auf Mergelschiefer zu zeichnen pflegte, mit Kalkmilch zu einem hellroten Brei an und betupfte die Töpfe mit Blumenbildern. Für Blätter und Stengel zerklopfte er die grünen Steine aus Vaters Erzvorräten und zerrieb sie auf der Quetschmühle. Gemahlene Blausteine gaben die blaue Farbe für die Kornblumen ab. Besonders schön wurde ein Topf, den er erst mit Kalkmilch geweißt und dann mit den feuchten Farben betupft hatte.

Groß war Evas Entzücken über den Farbenjubel auf ihren Töpfen. Um der Pracht Glanz zu verleihen, befeuchtete sie die übertrockneten Töpfe mit Salzwasser und hoffte, daß nach dem Brand die Farben unter der Glanzschicht besonders schön leuchten würden. Als Peter ihrem Drängen nachgab und die Töpfe brannte, erlebten Eva und ihr Sohn eine große Enttäuschung. Die Farben waren teils abgeblättert, teils hatten sie sich verändert – aus dem Blau der Kornblumen war ein schmutziges Grün geworden. Dennoch waren beide stolz auf das Neue, von dessen Vervollkommnung sie sich viel versprachen.

Das obere Staubecken am Moorbachfall bekam eine niedere Steinmauer und eine Decke aus Baumstämmen; das Wasser sollte nicht gefrieren. Das schöne Wetter hielt an. Peter beschloß daher, den Röhrenbrunnen grottenartig zu überbauen und die gewölbte Brunnstube durch eine Tür in der Hausmauer mit der Wohnküche zu verbinden, damit Eva im strengen Winter trockenen Fußes zum Brunnen gelangen konnte. Aber für den Bau der Wölbung konnte er die Steine nicht so verwenden, wie sie im Neuen Steinschlag lagen, sondern mußte sie an Ort und Stelle keilförmig zurichten. Die Schmalseite unten, die Breitseite oben, wurden sie über Holzstützen von den Steinmauern aufwärts übereinandergelegt, immer näher zur Mitte, wo die Schlußkeile durch ihr Gewicht der Wölbung Halt gaben.

Es kamen kalte Tage, der Wind wurde schneidend, die beiden Maurer aber setzten den Bau der Brunnstube fort und waren nicht wenig stolz, als ihr Gewölbe fertig war. Es gab auch dann nicht nach, als sie die hölzernen Stützen wegnahmen – ja, als sich beide daraufstellten, hielt es sogar ihr Gewicht aus. Noch vor dem ersten Schneefall wurden sie mit dem Beschütten der Grotte fertig, in der nun auch Milch, Fleisch und anderes aufbewahrt werden konnte.

Jahre vergingen. Reicher wurde Peter an schmiedbarem Eisen, reicher Eva an buntem Geschirr, und reicher Hans an Kunstfertigkeit, schöne Dinge zu schaffen, der Mutter zuliebe und zur eigenen Lust. Dem Borstenpinsel, den die Mutter zum Weißen der Stubenwände benützte, hatte er viele kleine Pinsel aus Ziegenhaaren nachgebildet, mit denen er auf dem Tongeschirr seine Erdfarben auftrug und versuchsweise bald dieses, bald jenes zerriebene Gestein beimengte. Den schönsten Glanz erhielten seine Töpferfarben, wenn er den Erdfarben mehlig zerriebenen Quarzsand zusetzte. Und er kam darauf, daß keinem Farbenbrei das Kieselmehl fehlen durfte.

So ernst Hans es mit seinen Versuchen nahm, in seinem Herzen war er noch ein Kind, obwohl schon ein leichter Bartflaum seine Oberlippe dunkel färbte. Noch immer lauschte er Evas Märchen und dichtete sie für sich um. Wenn sie Kampfmärchen erzählte, war er der Held, der die Kämpfe bestand und die Furcht nicht kannte. Und gab’s in der engen Welt des Heimlichen Grunds auch keine Feinde mehr zu besiegen, sein Geist suchte sie draußen in der großen Welt jenseits der Klammwände, wo die hartherzigen Menschen hausten und wo in wogenden Ährenfeldern Wunderblumen blühten. Vor dem Einschlafen dichtete er sich sein Lieblingsmärchen: Aus den Händen böser Riesen befreite er ein Mädchen, ein blauäugiges, das seiner blonden Mutter glich.

Die Sehnsucht nach der weiten Welt hatte sich des jungen Sonnleitners bemächtigt; er sann auf Mittel, die enge Heimat des Felsenkessels zu verlassen.

Doch sooft seine geheimen Wünsche, von denen er wußte, daß sie Mutter und Vater betrüben würden, ihn vorsichtig und wie absichtslos fragen ließen, ob denn kein Weg aus dem Heimlichen Grund hinausführe in die weite Welt, erfuhr er immer wieder: Nein, kein Weg führt hinaus. In der Klamm braust und gischtet die Ache, und Bergteufel lauern auf den Höhen – die haben den Ähnl im Steinschlag getötet!

Hans konnte das Träumen nicht lassen. Hatte nicht die Mutter erzählt, daß Menschen in Vögel und Fische verwandelt worden waren? Warum sollte das nicht wieder möglich sein? Alles war möglich. Er mußte nur die rechten, die zauberkräftigen Worte finden! Und aus seinen Wünschen wurden erträumte Erlebnisse. Als mächtiger Adler mit großen, weitausladenden Schwingen erhob er sich über die Höhen der Klammwände; hinter ihnen schimmerten die Eisfelder der Henne, des Sommerspitzes und des Winterhorns; weithin dehnten sich Bergwiesen mit Rindern und Schafen; aus der Tiefe tauchten bewaldete Hügel auf. Und seine Adlerfittiche trugen ihn darüber hinaus zu den Kornfeldern voll übergroßer, weitleuchtender Blumen.

Schlug nicht der Adler, der hoch über dem Gebirge schwebte, die Luft mit den Schwingen? Was der Adler konnte, warum sollte er, Hans, es nicht können?

Oh, einen Adler wollte er töten, seine Schwingen sich an die Arme binden, in die Lüfte wollte er sich erheben und über die Höhen schweben, hinüberschweben in die Welt, wo es noch etwas zu erkämpfen gab…

Wenn Hans singend und plaudernd bei der webenden Mutter saß, achtete er unwillkürlich auf die Bewegung ihrer Hände.

Daß die Zweierfäden sich mit Hilfe der Kammschlingen nur heben, aber nicht senken ließen, verdroß ihn. Er wollte der Mutter die Arbeit erleichtern und nahm sich vor, einen besseren Webekamm zu machen, mit fadendünnen Zinken, damit die Webe möglichst dicht würde. Ja, und starr müßten die Zinken sein, daß sie die Zweierfäden nicht nur heben, sondern auch hinunterdrücken könnten. In einer stillen Stunde beim Ziegenhüten begann Hans, das neue Gerät zu basteln und fand eine einfache Lösung der schwierigen Aufgabe: Er brauchte nur dünne Doppelfäden als Kammzinken der Quere nach über einen schmalen Rahmen zu spannen und in der Mitte jedes Doppelfadens zwischen zwei Knoten ein Öhr für den Zwischenfaden zu lassen – so mußten, wenn dieser Kammrahmen gehoben oder gesenkt wurde, alle durchgefädelten Zweierfäden gleichzeitig mitgehen. Damit aber das Loch für den Faden sich nicht verenge, mußten die Fadenzinken mit einem heißen Gemisch aus Harz und Wachs eingelassen werden, das beim Erkalten steinhart wurde. Wie erdacht, so gemacht: Der neue Webekamm tat den erwarteten Dienst. Durch das Harzwachs waren auch die Knoten und Fäden glatt geworden, so daß die Einserfäden in den Schlitzen zwischen den Zinken sich nicht merklich rieben. Das Garn hatte Hans vor dem Bespannen des Webrahmens nicht mit Kastaniensuppe, sondern mit einem Absud von Kornmehl vorbereitet, so daß es nach dem Festtrocknen des Kleisters noch glatter geworden war. Die spitz zugezwirbelten Zweierfäden ließen sich leicht durch die Öhre der Kammzinken fädeln.

Die lange, flache Webnadel war an den Kanten geschärft. So taugte sie nicht nur zum Durchziehen des Arbeitsfadens durch die Fächer, sondern auch zum Anschlagen der neuen Querfäden an die fertige Webe. Die zeitraubende Verwendung des Anschlagkammes entfiel.

Mutter Evas Augen strahlten, als die Erfindung ihres Sohnes sich so gut bewährte!

Eisen

Die Rückkehr zur Höhlensiedelei gestaltete sich nicht so einfach, wie sie es sich vorgestellt hatten. Wohl gelang es ihnen, in einem Tage mit Steinen, Bruchholz und Lehm den untersten Teil des Höhlengrundes so weit zu heben, daß ein halbwegs ebener Boden zustandekam. Aber der gewonnene Raum reichte kaum hin, an der linken Wand eine Lagerstatt zu errichten, in der Mitte der Höhle die Feuerstelle zu mauern und rechts die Ziege anzupflocken. Lästig waren die sonst so geschätzten Fuchshunde, sie erwiesen sich als recht unsaubere Mitbewohner. Auch war kein Tageslicht für einen Werkplatz vorhanden und kein Raum für die Nahrungsvorräte, die im Berginnern verschimmelt wären. Evas Webstuhl und viele Werkzeuge mußten einstweilen im baufälligen Pfahlbau bleiben. Sie drängte Peter, die Höhle durch einen Vorbau nach außen zu erweitern. Bevor er aber die dazu nötigen Fichtenstämme fällen konnte, mußte er die Bären abhäuten, damit Eva Felle und Fleischvorrat räuchern und das Gedärm reinigen konnte, das zu Bogensaiten, Bind- und Nähfäden verarbeitet werden sollte.

Drei Tage hatte er vollauf zu tun. Die Bärenfelle spannte er über gekreuzte Stäbe, um sie zum Abschluß des Höhlentores zu verwenden. Eva schleppte Kochgeschirr und trockenes Brennholz herauf, stellte auf einen Steinsockel neben dem Bett die tönernen Ahnenbilder, rammte in eine Felsenritze einen Stab, hängte die immer brennende Ampel daran und legte eine Rehhaut voll Kastanien neben die Feuerstelle. Um den Fleischvorrat aufzuhängen, klemmte sie Knüttel in den schrägen Schacht, der zu den oberen Höhlen führte, und zündete darunter ein Räucherfeuer aus Fichtenreisig an. Als sie Salz aus dem Berge holte, war sie glücklich, daß sie sich auf dem Wege zu den alten Wohnhöhlen nicht mehr vor den Bären zu fürchten brauchte. Vor den Wildschweinen, die sich im Eichenbestand aufhielten, hatte Eva keine Angst. Denen brauchte sie nur aus dem Wege zu gehen. Wohlgemut schleppte sie das halbgefüllte Rehfell aus der Salzkammer im Berg durch die alten Wohnhöhlen und schleifte es zu den Bärenhöhlen. Hier lehnten schon ein paar armdicke Fichtenstämme, die Peter gefällt hatte, schräg vor dem Eingang, und der Boden war mit abgeschlagenen Reisern bedeckt. Daran knabberte die Scheckin, die Peter mit langem Riemen an einem der Stämme festgebunden hatte. Nicht weit davon kauerte er in Gesellschaft der Fuchshunde, die mit viel Behagen Bärenknochen abnagten, und erneuerte die locker gewordene Bindung seines einzigen noch brauchbaren Bronzebeiles.

Eva begann gleich mit den Vorbereitungen zum Räuchern. Tagsüber nahmen sich beide kaum Zeit, ein paar Kastanien zu essen und einige Worte zu wechseln. Als es aber in der frühen Dämmerung zu schneien begann, lehnte Peter alles, was er an Stämmen vorbereitet hatte, so vor die Höhle, daß die Wipfelenden über dem Höhlentor die Felswand berührten und in der Mitte der Öffnung ein hohler Spalt blieb. Er schloß ihn durch einen Vorhang aus Bärenfellen. So war die vom Feuer erhellte Wohnhöhle vor der kalten Nachtluft geschützt.

Während Peter und Eva das gut gewürzte Rippenstück eines Jungbären an grünem Stab über dem Feuer drehten, legte Peter ausführlich dar, wie er sich den Bau des neuen Heimes dachte. Er zeigte ihr den rohen Aufriß auf einer Mergelschieferplatte. Kein Steinhaus sollte es werden, sondern nur eine dickwandige Pfahlhütte, ein Vorbau zur Erweiterung der Höhle, ein festes Gefüge, das dem Winddruck widerstehen konnte. Kreuzweise an den Ecken aufeinandergelegte und durch tiefe Einkerbungen ineinanderversenkte Baumstämme sollten die Wände bilden, deren Fugen sich mit Moos und feuchtem Lehm verstreichen ließen.

Am nächsten Tag erlegte Peter unweit seines verfallenen Töpferofens, aus dessen Mauer er einige Kalksteine gebrochen hatte, ein Jungschwein, das er gleich heimschaffte. Als er zurückkehrte, um die Kalksteine zu holen, fiel sein Blick auf die verrosteten Bruchstücke des Grauzeugs, das er vor seiner Verwundung aus dem Sumpferz ausgeschmolzen hatte. Sie fesselten seine Aufmerksamkeit so sehr, daß er nicht mehr an den Kalk dachte. Es reizte ihn, die im Vorjahr mißglückten Schmiedeversuche wieder aufzunehmen. Wenn es ihm gelänge, das spröde Grauzeug hämmerbar zu machen, dann böte ihm das im Moorschlamm abgesetzte Sumpferz die Möglichkeit, breite Keile und Beile zu schmieden, die beim Bau der Blockhütte bessere Dienste leisten würden als sein schmales Beil aus Braunzeug.

Viel zu ungeduldig, den Schmelzofen wiederherzustellen, hob er im Lehmboden neben der Bachmündung eine fußtiefe Grube aus und holte aus seiner verlassenen Pfahlhütte die beiden Blasebälge, Nesselwerg, Klemme, Hammer und Lederschurz. Dann schleppte er einen Granitblock herbei, der ihm als Amboß dienen sollte. Vom nahen Meiler trug er einen Schurz voll Holzkohle zur neuen Feuerstelle. Für die Windzuführungsrohre der Blasebälge stach er von außen zwei Löcher schräg durch den Lehm, so daß deren Mündungen in der halben Tiefe der Grube ins Innere führten. Die von außen in die Windgänge eingefügten Gebläserohre dichtete er mit nassem Lehm ein, füllte die Grube zur Hälfte mit Holzkohle, schüttete die rostigen Bruchstücke seines Grauzeugs – es war Gußeisen – darauf und deckte sie mit einem Haufen Fichtenreisig auf einer Unterlage aus trockenem Nesselwerg.

Dann kehrte er zu Eva zurück und holte von ihrer Feuerstelle einen Topf voll Glut, die er mit Moderholz deckte. Laufend langte er wieder bei der Grubenesse an, brachte die Glut an die Holzkohle und setzte seine Blasebälge in Gang, indem er sie abwechselnd rechts und links mit dem Zugriemen blähte und mit den Füßen niedertrat. Unter den Gebläserohren begann die Holzkohle zu glühen; dieses Glühen setzte sich in der ganzen Füllung fort und teilte sich auch den Metallbrocken mit. Bläuliche, rauchlose Flämmchen züngelten aus der Glut. Kaum bemerkte Peter, daß die Blasebälge unter seinen Füßen dampften, als schon der linke Balg vom Fußrost bis zum Windgang platzte. In seinem Eifer hatte Peter nicht mehr daran gedacht, ein bewegliches Hindernis in den Windgang einzubauen. Für diesmal war der Schmelzversuch mißlungen. Erst mußten die Mängel und Schäden des Gebläses behoben werden.

Die Metallstücke in der Grubenesse glühten aber so lebhaft, daß Peter nicht widerstehen konnte und sich mit der Klemme ein faustgroßes Stück herausholte. Es zerbarst beim Hämmern, und der Schmied warf es in die Glut zurück und versuchte es mit einem zweiten, einem dritten und vierten. Dieses letzte Stück war eines, das den Schmiedeversuchen im vorigen Sommer zweimal widerstanden hatte. Und was Peter gerade an diesem Stück am wenigsten erwartet hatte, geschah: Es gab dem Druck des Hammers nach, ohne zu bersten. Selbst als es nicht mehr glühte, streckte es sich unter den wuchtigen Schlägen zu einem stumpfkantigen Keil. Ein Fehlschlag auf die federnde Klemme gab dem noch nicht fertigen Keil so viel Schwung, daß er in flachem Bogen vom Amboßstein in den Bach flog. Als Peter den Keil aus dem Wasser zog, war er lauwarm und an seiner Oberfläche blauschwarz angelaufen. Aussichtslos, ihn in der verlöschenden Glut wieder schmiedbar zu machen!

Die rauhe Oberfläche des granitenen Amboßsteines aber verlockte Peter, durch Schleifen zu erreichen, was er zu schmieden versäumt hatte. Sofort fiel ihm auf, daß der neue Keil seine Bronzebeile an Härte übertraf. So mühevoll und langsam das Schleifen vor sich ging – es verdroß Peter nicht. Je härter das Werkzeug war, desto länger mochte es die Schneide behalten.

Eva wunderte sich, daß ihr Mann, den sie vergeblich zum Essen erwartet hatte, erst in der Abenddämmerung und ohne Kalk heimkam und ihr freudestrahlend einen Keil in die Hände legte, dessen Schneide so glänzte wie die eines frischgeschliffenen Beiles zu Ähnls Zeiten! Es war wirklich Eisen, nicht schlechter als das, aus dem das Werkzeug des Ähnls bestanden hatte.

Brechelbank und Hanslbank

Seit aus dem Inhalt der Taubenkröpfe Getreidehalme und Ackerblumen aufgegangen waren, hatte Eva keinen vollen Taubenkropf mehr auf den Abfallhaufen geworfen. Sie besäte allmählich mit allen darin gefundenen Sämereien einige gut gedüngte Versuchsbeete im Garten und hoffte, auf diese Weise Pflanzen zu erhalten, deren Anbau sich besser lohnte als der von Wildgemüse. Was die Menschen in der großen Welt durch jahrelange Züchtung aus Wildgemüse und von weither stammenden Nutzpflanzen erzielt hatten, wurde ihr vielleicht durch die von Tauben aufgepickten Samen zuteil. Einzelne der in den Kröpfen vorgeweichten Samen gingen noch vor dem Winter auf, auch die Wintersaat grünte, und manches zur Unzeit Gesäte verdarb. Viele Körner aber hatten ihre Keimfähigkeit verloren.

Im nächsten Jahr brachte die Sommersonne manchen der Fremdlinge zum Blühen. Da machte sich zunächst allerlei schönblühendes Unkraut breit, aber auch gefüllte Gartennelken, kniehoher, himmelblau blühender Lein und üppige Stauden grellgelber Ringelblumen. Einzeln und in großen Abständen gesetzt gediehen prächtiger Gartenkohl und Kohlrüben mit kropfig verdickten Stengeln, wie die Ahnl sie einst bei den Bauern für ihre Arzneikräuter eingetauscht hatte. Hirse ging auf, duftendes Dillkraut, großblütiger Gartenmohn, Kletterbohnen, Kornraden und Getreidehalme, dazwischen Möhren mit dicken, gelben, süßen Wurzeln, ja sogar großblätterige Feldrüben und Linsen, Wicken, Erbsen.

Evas Gemüsegarten wurde zu klein. Vater und Sohn fällten zwei Buchen und einen Ahorn, und Eva legte neue Beete außerhalb der Gartenmauer an, die der Wildschweine wegen mit einer starken Dornhecke umzäunt wurden. Hans mußte sein Hirtenamt vernachlässigen und sich auf Bläff und auf das Schlagwerk verlassen. Einmal gelang es ihm, vom Hund herbeigerufen, einen Bartgeier abzuschießen, der sich gerade seiner Beute bemächtigt hatte. Hans hieb dem Geier die Schwingen ab und spannte sie zum Trocknen auf. Der Ertrag der neuen Gemüse war so reich, daß Eva nicht nur genug davon frisch verkochen, sondern auch einen großen Wintervorrat in einer Erdgrube einkellern konnte, die mit Fichtenästen und Rasenflözen vor Frost geschützt war. Groß war ihre Freude an den Hülsenfrüchten, von denen sie drei Körbe voll einheimste. Den geernteten Leinsamen bewahrte sie im ersten Jahr als Saatgut auf, aber schon im nächsten quetschte sie aus den Körben einen Topf voll honiggelben Öls. Als Hans nach einigen Wochen entdeckte, daß Flecken davon, die auf seinem Beinkleid verharzten, farbige Stäubchen festhielten, hatte er im Leinöl das Mittel gefunden, Erdfarben haltbar anzubringen. Von da an blieben die gezimmerten Truhen, Wandbretter und Löffelhalter nicht ohne bunten Schmuck.

Die Flachsstengel waren abgeerntet, Mutter und Sohn freuten sich auf das Einwässern, Darren, Brecheln, Hecheln, Spinnen und Weben, das sie gemeinsam tun wollten. Bisher hatte Eva die Rinde des gedörrten Flachses mühsam mit den Händen gebrochen. Hans unternahm es, ihr eine Brechelbank zu bauen. Diese sollte zwei steile Schalenhölzer tragen, zwischen denen ein langes, auf- und abgehendes Holzmesser die Rinde der quer aufgelegten Stengel knicken sollte. Zuerst mußte er ein brauchbares Schnitzgerät anfertigen. Um die splitterigen, unebenen, von einem Baumstamm abgespalteten Flachhölzer mit dem zweihändigen Schnitzmesser formen und glätten zu können, mußte er jedes zwischen Brust und Boden festklemmen. Das war zu unbequem, er versuchte es anders und legte das Holz auf seine lange Werkbank; der Vater mußte ein Ende des Holzes mit den Fäusten niederhalten, während Hans das Schnitzmesser führte. Dem Vater ging bald die Geduld aus. Da beschwerte Hans das eine Ende mit einem großen Stein, setzte sich rittlings vor das andere Ende seines Werkholzes und führte das Schnitzmesser vom Stein zu sich her über das Holz, daß dünne Späne entstanden. Aber selbst größere Steine gaben dem Zuge nach. Da erinnerte er sich an den Hebel, mit dem sich Bausteine und Baumstämme bewegen ließen, und verfiel darauf, mit einem drehbaren Hakenholz das Werkholz niederzuzwingen, aber noch wußte er nicht, wie er den Hebel anbringen sollte.

Wie manchmal im Leben kam ihm etwas Unerwartetes zu Hilfe. Mutter Eva wurde krank, und Hans mußte die Hausarbeiten übernehmen. Sobald er die Tiere versorgt und das Essen im Kessel über das Feuer gehängt hatte, rückte er seine Bank ans Bett der Kranken und schnitzte an den Teilen der Brechelbank. In der stillen Stube störte nichts sein Grübeln und Nachdenken. Er unterbrach die Arbeit an der Brechelbank und verbesserte seine Schnitzbank, meißelte in ihr eines Ende einen Durchlaß, bohrte dann die Seiten des Durchlasses und das Hakenholz quer durch und steckte einen Eisenstab als Achse des Hakenholzes durch die Löcher. Wenn er unten mit dem Fuß den Hebelbalken nach vorn drückte, bewegte sich oben der knorrige Kopf nach hinten abwärts gegen das Werkholz und drückte es fest an die Bank. Das Hakenholz war der starke Arm, den Hans gesucht hatte. Er gab dem knorrigen Astkopf die Gestalt einer klobigen Faust. Am Mittag rief Hans durch drei kräftige Schläge auf die Bratpfanne den Vater herbei. Staunend begutachtete Peter die Schnitzbank, die auch er gut gebrauchen konnte. Eva nannte das Gerät »Hanslbank«. Fröhlich führte der Erfinder das Schnitzmesser über das Werkholz, und ehe es Abend wurde, waren die Schalenhölzer der Brechelbank dünn und glatt.

Beim Abendessen aber sagte Eva, die den mit Arbeitsabfall übersäten Stubenboden nicht säubern konnte, sie wolle auf den Dachboden ziehen, damit sie den Wust von Spänen und Werkholz nicht immer anschauen müsse. Ihr Mann sah ein, daß die Wohnküche nicht auch Werkstatt sein konnte und beschloß, über der Küche einen neuen Wohnraum zu bauen, ein Obergeschoß aus festgefügten, mit Eisenklammern verkrallten Baumstämmen. Aber dazu waren große Vorbereitungen nötig, Eva mußte noch Geduld haben.

Hans räumte auf, so gut es ging, rückte am nächsten Morgen die Schnitzbank noch näher ans Bett der Kranken und brachte sie wieder in gute Laune: Er bat sie einfach um ein neues Märchen. Da begann sie zu erzählen und sagte mehr, als sie sagen wollte, und anderes, als sie vorgehabt hatte; es war, als spräche ein Geist aus ihr, dem ihre Zunge gehorchen mußte:

»Es war einmal ein Vater und eine Mutter, die lebten mit ihrem Sohn in einem schönen Tal fern von anderen Menschen. Der Sohn hatte Mutter und Vater so lieb, daß er ihnen das Leben leicht machen wollte. Dem Vater half er beim Schmieden und Schnitzen, beim Bauen und Heuen, der Mutter beim Kochen und Jäten, bei jeglicher Arbeit in Garten und Haus. Er besorgte die Haustiere, daß sie gern seinem Wort gehorchten. Und wenn die nebelgrauen Wintertage Vater und Mutter traurig machten, dann sang und pfiff er wie die Ringamseln und Zaunkönige und machte seine Eltern so fröhlich, als wär’s Frühling um sie her. Und weil er alles konnte, was er aus Liebe unternahm, nannten sie ihn ›Kannalles‹. Ja, und als Kannalles groß wurde und ein weicher Bart sein Gesicht zierte, waren das Haus und die Gärten ringsumher mit allem versehen, was die drei Menschen zum Leben brauchten; sie hatten sogar mehr, als sie brauchten. Da sann Kannalles darüber nach, was er Neues schaffen könnte. Es fiel ihm aber nichts mehr ein, und er mußte öfter müßiggehen, als ihm lieb war. Da träumte ihm in einer mondhellen Nacht, er sei ausgezogen über leuchtende Firne und grüne Matten in die weite, weite Welt. Dort fand er ein wunderschönes Mädchen, das von einem dummen, bösen Riesen gefangengehalten wurde. Als Kannalles morgens aufwachte, verließ er Mutter und Vater und zog in die Welt hinaus, das schöne Mädchen zu suchen, das ihm Gott im Traume gezeigt hatte.

Über Felsenwüsten, Firnfelder und Steinkare, durch Wälder und Sümpfe wanderte er fort, bis er zu einem steinernen Haus kam, umgeben von fruchtbarem Boden und Wiesen, darauf die schönsten Rinder weideten. Dort sah er das Mädchen genauso schön, wie er’s im Traum gesehen hatte. Es war vor ein schweres Hakenholz gespannt, das ein riesiger, einäugiger Mann in den Boden drückte, um damit die schwarze Erde aufzureißen. Kannalles trat hin vor die beiden und sprach den Riesen an: ›Gib mir das Mädchen! Gott hat es mir im Traum gezeigt; ich will nicht dulden, daß du es quälst.‹ Da streifte das Mädchen die Fesseln ab, die es hielten, richtete die blauen Augen auf Kannalles und trat einen Schritt näher.

›Wer bist du?‹ fragte der Riese und hob den Stab gegen ihn, ›das junge Ding gehört mir!‹ ›Ich bin Kannalles‹, gab der Jüngling zurück, ›Kannalles, der alles kann.‹ ›So, der alles kann?‹ fragte der andere und lachte dumm, ›das sollst du mir beweisen. Siehst du dort die starken Rinder auf der Weide? Keines von ihnen kann ich zwingen, mir das Hakenholz zu ziehen. Kannst du’s?« Da holte Kannalles Salz aus seiner Wandertasche, trat auf das stärkste Rind zu und hielt ihm das Salz vor; mit der anderen Hand kraulte er es zwischen den Hörnern, strich ihm liebkosend über den Nacken und gab ihm gute Worte. Und siehe da – es leckte am Salz und folgte ihm. Da legte er ihm die starken Riemen an, die das Mädchen abgestreift hatte, band ihm zwei Stränge um das Maul, um es zu lenken, und dann drückte er das Hakenholz in den Boden und trieb das Rind zum Ziehen an. Nun löste ihn der Riese ab. Das Rind zog stärker als das Mädchen. Kannalles aber nahm es bei der Hand und führte es unbehindert durch Wälder und Sümpfe, über Steinkare, Firne und Felsen. Er brachte das Mädchen zu Vater und Mutter. Die empfingen es mit guten Worten, Kuß und Umarmung. Kannalles baute ein neues Haus für sich und sein Weib. Sein Vater wurde alt und schwach, seine Mutter gebrechlich. Kannalles aber und seine Frau sorgten für die alten Eltern und ließen es an nichts fehlen.

Im Haus der Jungen aber wuchsen Kinder heran, pausbackig wie die Äpfel im Sonnenschein. Und zeitlebens hatte Kannalles vollauf zu tun, daß es allen, die er liebte, gut ging. Und so wurde Kannalles ein glücklicher Mann.«

In diesem Märchen hatte Eva alles ausgedrückt, was sie im Herzen wünschte. Ihrem Sohn aber hatte sie ein Vorbild in die Seele gesenkt: Er sollte sich als Kannalles erweisen.

Und tatsächlich: Hans sann darüber nach, wie er der Mutter die Arbeit am Webstuhl noch mehr erleichtern könnte. Sie sollte beide Hände für die Führung der Webnadel freibekommen, und der Webkamm sollte sich mit dem Fuße heben und senken lassen. Jetzt, wo Hans mit dem Hebel umzugehen wußte, schien es ihm leicht, Tritthölzer und Hebel so anzubringen, daß der Webkamm, von den Füßen bewegt, sich heben und senken konnte. In wochenlanger Arbeit baute er aus geraden Prügeln ein festes Gestell, das alles zu tragen hatte: den Webrahmen mit den gespannten Längsfäden; den Webkamm mit den Litzen, durch deren Öhre die Zweierfäden gespannt waren; oben den zweiarmigen Hebel, an dessen vorderem Arm der Webkamm hing, während an seinem hinteren Ende die Zugschnur zum linken Trittholz hinabführte. Das rechte Trittholz verband er durch eine Schnur mit dem unteren Rande des Webkammes, so daß dieser durch einen Tritt gesenkt werden konnte. Als alles fertig war, machte der glückliche Erbauer vor Mutter und Vater die Webeprobe. Wie unwiderstehlich der Webkamm dem Zug der Tritthölzer gehorchte, wie genau der Fachwechsel vor sich ging!

Peter betrachtete lange das gelungene Werk des Sohnes und sagte nichts. Dann sprach er wie zu sich selber: »Viel Arbeit dran, viel saubere Arbeit! Aber – wieviel hat vorher erdacht und gemacht sein müssen, ehe das möglich geworden ist.« »Ich weiß schon, Vater«, sagte Hans bescheiden. »Angefangen hat’s die Mutter, und die ersten Werkzeuge sind von dir.«

Bald darauf machte Peter seinem Sohn eine große Freude mit einem Steinblock, den er beim Erzsuchen aus dem Urgestein gelöst hatte. Er bestand aus ungewöhnlich großen Glimmerplatten. Peter wußte nichts damit anzufangen. Hans aber bemerkte an den abgestoßenen Rändern des Blocks, daß sich die Platten in hauchdünne, durchsichtige Blätter spalteten. Vorsichtig löste er Schicht um Schicht ab, paßte sie in Rahmen und ersetzte damit die gespannten Tierblasen in den Fensterluken. Nun drang das Licht von außen voll in die Stube.

Die Mühle am Bach

Die Schnitzbank hatte Hans beim Zurichten der Hölzer für den neuen Webstuhl gute Dienste geleistet. Er sah sich im Hause um, was er wohl noch schnitzen könnte. Jener plumpe Wassereimer, den der Vater aus einem hohlen Baumstamm gefertigt hatte, war arg rissig geworden. Für die vielen Vorräte waren die vorhandenen Körbe zu klein; Kübel und Truhen wollte die Mutter haben, und zum Geschirrwaschen breite, niedere Gefäße. Hans ging auf alle Wünsche der Mutter mit Feuereifer ein. Jeder Regentag war ihm als Basteltag hoch willkommen. Die an sich recht brauchbare Hanslbank erwies sich beim Zurichten der ungleich langen Flachhölzer für die Wände der verschieden hohen Holzgefäße als verbesserungsbedürftig. Zunächst meißelte Hans am Sitzende zwei neue Schlitze in die Bank, brachte darin ein verstellbares und verkeiltes Widerholz so an, daß das Werkholz unter der Klemmfaust nicht nach hinten abgleiten konnte; dann machte er die Klemmfaust selbst verstellbar, indem er die Achsenlöcher des Hebels vermehrte. So konnte er die Flachhölzer auch auf der Schmalseite aufstellen und die Kanten schräg schnitzen, damit sie sich zu gekrümmten Gefäßwänden zusammenfügen ließen. Weil aber das Werkholz auch in verschiedener Höhe bearbeitet werden mußte, meißelte er unterhalb der Klemmfaust einen dritten Schlitz durch die Bank, so daß er dort einen verstellbaren Lagerbock feststecken konnte. Nun ließ sich das Werkholz so weit heben, daß er sich während der Arbeit das Bücken ersparen konnte. Jetzt war die Schnitzbank so, wie er sie haben wollte! Und nun brauchte Hans noch einen Hohlmeißel, mit dem er die Innenseiten der Brettchen höhlen konnte, und zum Antrieb des Meißels einen Schlegel.

Da ihm das Kämmen der Flachsfasern zu lange dauerte, trieb Hans mehrere Reihen Eisenstäbchen in einen Holzblock; so entstand eine Kammbürste, deren Zähne in die Höhe starrten. Zog Eva das Faserbüschel kräftig durch diese Hechel, dann verfingen sich die gebrochenen Rindenstückchen mit etwas Werg an den Nägeln, während die golden glänzenden Flachsfäden in ihrer Hand blieben.

Der Winter machte den Arbeiten im Freien ein Ende, Hans konnte sich wieder ungestört dem Basteln widmen. Aber kaum hatte er den runden Boden eines Kübels fertig, den Rand schräg zugeschnitten, um ihn in die Kerben der Seitenwandhölzer einzulassen, da hatte Eva schon eine neue Aufgabe für ihn. Sie kauerte vor ihrer flachen Quetschmühle, die noch aus der Pfahlbauzeit stammte, und schrotete Weizenkörner. Hans sah, wie oft die Mutter ermüdet innehielt und nicht recht vorankam. Solange es wenig Körner zu schroten gegeben hatte, mochte die Quetschmühle genügt haben; aber jetzt war das anders. Suchend blickte Hans sich in der Stube um, ob irgendein Ding ihm Rat gäbe, sah dem Vater zu, wie dieser mit Hammer und Stahlmeißel eine Granitplatte in einen schweren Wirtelstein umzuwandeln suchte, der ihm beim Antrieb eines großen Bohrers dienen sollte. Peter wollte nämlich in die Balken des Obergeschosses Holznägel eintreiben. Nichts fiel ihm ein, dem Hans, er nahm seine Schnitzerei wieder auf. Sooft er ein Seitenbrettchen des Wasserkübels fertig hatte, legte er es so zum runden Bodenbrett, daß sie sich sternförmig aneinander reihten.

Als Eva beim Aufräumen die sorgfältig zueinandergepaßten Brettchen durcheinanderbrachte, mußte Hans sie am nächsten Tag mühsam wieder in die wohlbedachte Reihenfolge bringen. Diesmal bezeichnete er sie, damit sie nicht noch einmal durcheinandergerieten. Da er an den Fingern seiner Hand das nächstliegende Mittel zum Zählen hatte, ahmte er durch Striche erst die Finger, dann die Hand nach: auf das erste Brettchen ein Strich, auf das zweite zwei und so weiter, alles mit dem Meißel. Das fünfte Brettchen versah er mit einem groben Abzeichen einer Hand; vier Striche nebeneinander stellten die Finger vor, ein schräg abstehender den Daumen. Das zehnte Brettchen wurde mit zwei aneinandergefügten Handbildern gezeichnet. So hatte Hans ganz nebenbei einfache Zahlenbilder erfunden, die ihm von nun an bei allen seinen Arbeiten als Ordnungsmittel dienten.

Peter, der an der Hanslbank ebensoviel Freude hatte wie ihr Erfinder, versah dessen Schnitzmesser, den Flach- und den Hohlmeißel mit schrägen Schnittkanten, damit »der Bub« sich leichter täte; bald aber verdrängte er Hans von der Schnitzbank. Ihm war nämlich gelungen, die Granitscheibe kreisrund zu meißeln, und nun ging er daran, aus starken weißbuchenen Astgabeln das Gestell des Bohrers zu schnitzen. Hans hob den Wirtelstein auf. Prüfend führte er seine Hand über die grobkörnige Oberfläche und zuckte zurück: Die war ja brauchbar zum Zerkleinern der Getreidekörner!

Wochenlang mühte er sich, aus sehr hartem Sandstein einen in der Mitte durchlochten Mahlstein herzustellen, der sich als Läufer auf einem kegeligen Bodenstein drehen und so das Korn zerreiben sollte. Nach einem mißglückten Versuch gelang es ihm, den Bodenstein mit einer Randrinne zu versehen, die das Mehl aufnehmen sollte, das über eine Schnabelrinne in eine Schüssel abfallen konnte. Aber das schwerfällige Gerät erforderte Kräfte, die Mutter Eva nicht hatte. Als Hans das Korn auf der Handmühle mahlte, wurde er bald müde. Da dachte er an sein vom Wasser getriebenes Schlagwerk im Ziegengarten. Wäre es nicht möglich, auch das Mühlwerk vom Wasser treiben zu lassen, am unteren Moorbachfall zum Beispiel, wo die Strömung so stark war?

Er machte sich an die Arbeit. Sie war alles andere als leicht. Wie konnte die drehende Kraft der liegenden Achse des Wasserrades auf die stehende Achse des Mahlsteins übertragen werden? Wieder halfen Astquirle weiter: Der steile Quirl des Wasserrades sollte mit seinen Zähnen die Zähne des liegenden Quirls an der steilen Achse des Steins schieben. Da die Quirläste die Trägheit des schweren Steines nicht überwinden konnten, mußten sie durch eiserne Zähne ersetzt werden, die wiederum nur an eisernen Achsen sitzen konnten. Um das Mahlgut einzuschütten, mußte das Loch im Läufer trichterförmig erweitert werden.

Über diesen schwierigen, genauen Arbeiten verging der Sommer. Die Getreideernte war so üppig, daß es Hans unmöglich dünkte, die Ähren wie in früheren Jahren mit der Hand auszuklauben. Das mußte anders gehen! Mit Lederriemen band er einen kurzen Knüttel an einen langen Stock, breitete auf dem reingefegten Lehmboden des Hofes die Getreidegarben aus und schlug mit seinem Flegel die Körner aus den Ähren. Peter machte für sich und Eva auch je einen Dreschflegel, und nun schallte es im Dreischlag durch den Heimlichen Grund: »Tipp-tapp-tapp, tipp-tapp-tapp…«

Aber noch schöner hörte sich das Schlagen der Zapfen an, als die Mühle am Moorbach, vom fallenden Wasser getrieben, für die Menschen die Arbeit tat. An dieser ersten Bachmühle, die noch mancherlei Mängel hatte, besserte Hans so lange herum, bis sie zuverlässig arbeitete.

Alle Eisenteile wurden mit Fett vor Rost geschützt. Und dann baute sein Vater einen Schuppen darüber, denn weder Regen noch Sonne sollten das kostbare Mahlgut verderben.