Eva drängte zum Umbau. Bisher hatte sie mit den Junghunden Geduld gehabt. Allmählich aber war es ihr unerträglich, mit ihnen samt deren Ungeziefer in der Stube zu hausen. Auch Hans sehnte sich nach einer eigenen Stube im Obergeschoß, wo er seine Funde aufheben und neue Werkzeuge, vor allem seine Erfindungen unterbringen konnte.

Volle zwei Jahre vergingen, bis die vielen Baumstämme gefällt, behauen, angekohlt und gekerbt waren, die den Blockbau des Obergeschosses auf der ganzen Länge des steinernen Unterbaues und des Stalles bildeten. Sein Bodenrahmen war im Steinbau eingemörtelt, Block an Block mit eisernen Klammern festgekrallt, damit kein Föhnsturm das Gefüge lockere. Dann verging noch ein halbes Jahr, bis der gewonnene Raum in Mittelstube, Vorratskammer und Sammelstube für Hans aufgeteilt und mit dem Notwendigsten ausgestattet war.

Als geschickter Zeugschmied und Schnitzer schuf Hans nach und nach für jede Art von Arbeit das richtige, kräftesparende Werkzeug. Seine Küchenmesser waren dünn und lang, die Schnitzmesser kurz an dickem Stiel; sein breites Beil zum Behauen des Bauholzes hatte einen nach rechts angebogenen Stiel, es taugte zum seitlichen Behacken der Werkhölzer, aber nicht zum Spalten von Brennholz. Auch an Meißeln hatte er eine reiche Auswahl: breite, schmale, schief- und rundschneidige. Seine Baumsägen waren grobzähnig und weitgeschrägt, seine Werksägen für Hartholz feinzähnig und schmalgeschrägt; weitaus feiner aber waren jene kleinen, aus gehärtetem Stahl gefertigten Spannsägen, mit denen er Knochen und Metall bearbeitete. Seine neuesten Werkzeuge waren eine Feile, ein gewundener Bohrer und ein Nageleisen. Die Feile hatte er aus einem glühenden Flacheisen mit einem harten Meißel behauen und dann gehärtet; den Bohrer verdankte er einem verunglückten Bohrversuch. Er wollte einen Balken mit einem angeglühten Eisenstab durchbohren und drehte ihn ab, als dieser erkaltet und brüchig geworden im Holz stecken geblieben war. Zuerst war Hans wütend, aber dann betrachtete er das gezwirbelte Stück Eisen genauer, pfiff durch die Zähne, holte seine Feile und begann, die Kanten der Windungen zu bearbeiten. Zum Schluß härtete er das Ding und hatte nun einen Bohrer, der, an einem gebogenen Holzgriff gedreht, sich rasch ins Holz fraß. Peter, der die Werkzeuge seines Sohnes bewunderte, dachte oft an die Zeiten, als er mit ein und demselben Hartstein graben, schaben und schneiden mußte. Er begann, seinen hochaufgeschossenen Sohn, der so viel von der Mutter hatte, zu schätzen und hörte auf seinen Rat. Und Eva merkte mit Freude, daß Hans, von seinen Arbeiten und Erfindungen abgelenkt, immer seltener an die »große Welt da draußen« dachte.

Peters Nägel waren anfangs nur langgespitzte Eisenstäbchen, deren dickeres Ende nach dem Einschlagen umgebogen werden mußte, wobei das spröde Metall meist an der Bugstelle brach. Hans bog die Nägel um, solange er sie glühend unter dem Hammer hatte, aber auch das war nicht das richtige:

Beim Eintreiben in das Holz verbogen sie sich erst recht. Nun versuchte er, das obere Nagelende kopfartig auseinanderzuschlagen. Es ging, aber jeder Schlag wurde von der Klammer, mit der die Linke das Eisenstück festhielt, auf den Arm übertragen, ein fortgesetztes Prellen, das wehtat und müde machte. Gezwungenermaßen erfand Hans ein Nageleisen. Es war nichts anderes als eine schwachfedernde, plumpe Klemme aus breitem Eisenband, zwischen deren dicken Backen der Nagel in einer Rille festgehalten wurde, während ein Reiterchen, aus einem umgebogenen Eisenstab geformt, die Backen aneinanderzwang, so daß sie nicht nachgeben konnten, wenn der Hammer den Nagelkopf breitschlug.

Wieder waren Erd- und Himbeeren reif. In ihren Duft mischte sich der süße Geruch von Heu. Die drei Oberstuben waren notdürftig eingerichtet. Darüber lag der geräumige Dachboden, in den, vom Herd des Obergeschosses ausgehend, die Räucherkammer hineinragte.

Im Fußboden der Mittelstube war ein viereckiger, mit einer Falltür gesicherter Durchlaß, zu dem von unten eine schmale Bohlenstiege heraufführte; sie war ein bißchen zu steil, nahm aber dafür der unteren Stube wenig Raum weg.

Die Mittelstube im Obergeschoß, wo unter der Räucherkammer und über der unteren Feuerstelle der neue Herd stand, war Mutters Reich; die rechte Kammer über dem verbreiterten Stall war eine Vorratskammer; die linke, mit der Aussicht auf die Brunnleiten, gehörte Hans. Sein Vater, der sich in seiner Werkstatt am wohlsten fühlte, war froh, die untere Stube zu behalten, wo er den Herdwinkel als Schmiede einrichtete und die linke Hälfte, wo sein Bett stand, zur Holzwerkstatt machte.

Noch im Herbst machte Hans den Dachboden durch eine Türluke, vor die er außen eine Leiter lehnte, von der Stallseite aus zugänglich, um so das Heu leichter auf den Boden schaffen zu können. Die alte Vorratskammer wurde mit dem Stall vereinigt, so daß auch die Ziegen mehr Platz hatten. Peter versah den Stall mit einem Boden aus hochliegenden Balken und brach für die abfließende Jauche in der vorderen Mauer eine Lücke aus, damit das Dungwasser dem Garten zugute käme.

Kaum war das starke Dach mit Steinen beschwert, der Dachboden mit Heu und Streu aufgefüllt, als die ersten Schneestürme losbrachen.

Evas Herdfeuer brannte nicht so gut, wie es in der unteren Stube gebrannt hatte. Da schuf Peter mit Hans eine vollkommenere Nachahmung des Herdrostes der Geißenhöhle. Jener hatte aus länglichen Steinen bestanden; der neue aber wurde aus fingerdicken Eisenstäben geschmiedet und kniehoch über dem Stubenboden in die Mitte des gewölbten Aschenraumes eingebaut. Nun konnte die Luft von unten her dem Feuer zuströmen. Zum Schluß überbaute Peter die Feuerstelle so, daß der Rauch abgefangen und in die Räucherkammer geleitet wurde, über die er einen gedeckten »Rauchfang« errichtete.

Peter suchte alle Überbleibsel seiner fast aufgebrauchten Eisenvorräte zusammen und wendete die nächsten Wochen daran, neues Eßzeug und für Eva eine neue Herdausstattung zu schmieden: einen Pfannenhalter, einen Kesselgalgen, einen Bratspieß mit Kurbel und Spießhaltern, Feuerzange und Schürhaken. Statt der einzelnen spitzen Stäbchen zum Aufspießen des Fleisches schäftete er je zwei Eisenspitzen in Holz und schuf so die erste Eßgabel der Familie. Es glückte ihm, noch vor der Wintersonnenwende mit seinen Schmiedearbeiten fertig zu werden.

Evas Wangen röteten sich, als sie am Heiligen Abend die kostbaren Geräte unter dem Lichterbaum fand. Aber ihre Freude wurde fast übertroffen von der Freude, die Vater und Sohn empfanden, als sie die wahren Wunder an Handarbeit sahen, die Eva vollbracht hatte: hohe, leinengefütterte Pelzmützen aus Hundefellen, warme Fäustlinge aus Katzenfellen und gut schließende Pelzjacken. Worüber sich aber die beiden Männer am meisten verwunderten, das waren sackartige, nahtlose Fußbekleidungen aus einem wolligen Garn, das durch Zusammenspinnen von Flachs- und Ziegenhaaren entstanden war. Das war Evas große Überraschung! Schon lange hatte sie versucht, ein rundherumgehendes Geflecht oder Gewebe herzustellen, was auf dem Webstuhl nicht möglich war. In der warmen Jahreszeit hatte ihr der Garten nie Muße für erfinderische Gedanken gelassen. Erst im Winter, als dank den Vorräten an Mehl, Fett und Fleisch ohne lange Vorbereitungen gekocht werden konnte, hatte sie Zeit gefunden, sich etwas auszudenken. Sie umwickelte erst einen, dann einen zweiten glattgeschabten Weidenrutenring mit einem gedrehten Faden – Strickel nannte sie ihn – und verflocht je zwei Wickelmaschen mittels eines zweiten Strickels, das sie mit einer groben Knochennadel führte. Dann zog sie den unteren Ring aus der Maschenreihe, umwickelte ihn, setzte ihn oben auf und flocht das Strickel an die Maschen darunter. So mühsam diese Flechterei gewesen war, so unbrauchbar erwies sich das Geflecht. Das erste so entstandene Säckchen verzog sich, die Wicklungen streckten sich. Erst als Eva nach vielen, vielen Versuchen von den zwei Strickeln abkam und das Lockerwerden der Wicklungen dadurch vermied, daß sie den oberen Faden unter der Nadel kreuzte, wurde das Geflecht dichter. Um das Strickel zu spannen, klemmte sie es zwischen zwei Finger der linken Hand und wickelte es um den Zeigefinger, den sie wie eine Kunkel abspreizte. Mit einer langen Holznadel in der Rechten stach sie durch eine Masche, fing mit der Nadelspitze den gespannten Faden ein und zwang ihn durch die untere Masche, die sie von der linken Nadel auf die rechte schob. So schlang und hob die Nadel eine neue Masche nach der anderen ab. Anfangs ging das Strickeln recht langsam, bis Eva ihre zwei langen Nadeln durch fünf kürzere, glattgeriebene aus Elsbeerholz ersetzte und die Finger mit der Zeit von selber wußten, was sie zu tun hatten. Von nun an klapperte das Strickelzeug so rasch, daß der gestrickelte »Säckel« zusehends wuchs. So waren die ersten zwei Paare entstanden, kleine fersenlose Säcke, die sich aber den Füßen anschmiegten und sie warm hielten.

Eva nützte den milden Nachwinter, um eifrig zu spinnen, zu weben, zu stricken und zu nähen, was sie und die Männer brauchen konnten: Säckel und Hemden – mindestens zweifach für jeden, damit gewechselt werden konnte. Und die Männer hielten mit ihrem Lob nicht zurück. Eva, die schon seit langem wieder kränkelte, gefiel es, im Lehnstuhl sitzend zu arbeiten, die schnurrende Katze im Schoß. Sie brauchte ja nicht aus dem Haus zu gehen und sich dem naßkalten Wetter auszusetzen. So blieb sie denn in der warmen, aber ungelüfteten Stube und wurde von Tag zu Tag bleicher und matter. Als der Frühlingsföhn die Schnee- und Steinmassen donnernd zu Tale schickte, konnte Eva vor Schwäche nicht mehr aufstehen. Eine unbeschreibliche Sehnsucht nach frischer Luft, nach Sonne ergriff sie. Sie, die in den Wohnräumen keinen Zug duldete, litt nun an Lufthunger. »Am liebsten möcht ich durch die Wand hinaus ins Freie!« Lächelnd stieß Peter seinen Sohn an: »Hans, mir scheint, wir werden mit dem Bauen nie fertig – die Mutter will durch die Wand ins Freie.« Er nahm Evas Rede wörtlich: Eine Türöffnung wollte er in die Mittelwand sägen und rund um das Haus einen luftigen Laubengang bauen, dessen Stützen vom Erdboden bis zum Dachrand ragen sollten. Dann konnte Eva zu jeder Tageszeit die Sonne aufsuchen, die ihr vielleicht Heilung brachte. Hans schilderte der Mutter die Aussicht über den ganzen Heimlichen Grund, wie er sie vom Dach aus genossen hatte. Da leuchtete ihr Gesicht vor Begeisterung: »Ja, ja, baut nur den Laubengang, das wird schön!«