Der Röhrbrunn

Im Ziergarten grenzte Peter eine Ecke für die Zicklein ab, die nicht mehr bei ihren Müttern trinken sollten. Für die kommende Heumahd schmiedete er das breitrückige Grasmesser dünner, so daß es länger scharf blieb, und gab ihm eine weit vorgreifende, halbmondförmige Krümmung, damit es die Grasbüschel besser umfassen konnte. Den Wetzstein, ein Stück Kieselschiefer, tat er in ein Bockshorn und etwas Wasser dazu.

Nach dem Heuen half er Eva bei der Gartenarbeit. Sie hatte im Frühjahr schon beim Setzen bedacht, welche Pflänzchen viel und welche weniger Wasser brauchten. Ihr Lieblingsgemüse, die Brunnenkresse, hatte sie gleich unterhalb des kleinen Teiches in der linken oberen Gartenecke eingesetzt und anschließend daran Sauerampfer und den kleinen Baldrian, in den Beeten junge Schwarzwurzeln, Bocksbart, Gundelrebe, Maßliebchen, Löwenzahn und Wegwarte; dann kamen die Möhren und die Würzkräuter, Thymian, Gundelkraut, Kümmel, Anis, Fenchel und Lauch. Die unterste, feuchteste Bodenstufe war mit sprießendem Schwadengras begrünt. Sie hatte die Pflänzchen in großen Abständen gepflanzt, so daß deren Blattsterne sich ausbreiten konnten. Zwischen ihnen aber ging das vom Wind gesäte Unkraut so üppig auf, daß Eva mit dem Jäten kaum nachkam. Die meiste Mühe machte ihr das Gießen der durstigen Pfleglinge auf den oberen Bodenstufen, denn der Sommerregen hielt auf der sonnbestrahlten Berglehne nie lange vor, und der kleine Teich lag meist trocken. Eva mußte das Wasser vom entlegenen Moorbachfall in Töpfen herbeitragen.

Zwischen den Beeten kroch Hansl herum und schwatzte vergnügt vor sich hin. Den Eltern fiel es nicht leicht, die Sprache des Kleinen zu verstehen. »Nini« hießen die gelben Blüten des Löwenzahns, aber auch die gelben Falter und die Goldkörnchen an der Halskette der Mutter, und die Großen meinten, es bedeute »gelb«. Aber die hellblauen Blüten der Wegwarte waren auch »nini«; da mußte es wohl »schön« bedeuten. Und »nini« waren die reifen Erdbeeren – es hieß also auch so viel wie »gut«.

Waren schon die alten Füchse trotz alles Schimpfens nicht immer stubenrein, die Jungen wurden es überhaupt nicht. Und Hansl ging nie an einer Missetat vorbei, ohne »ä-!« zu sagen. »Ä-!« sagte er auch zum Lehm am Teichrand, zu schimmeligen Kastanien, zu seinen Händen, wenn er in der Erde gewühlt hatte. Aber auch unreife Erdbeeren warf er mit einem verächtlichen »Ä-!« von sich. Es waren also nicht nur selbsterfundene Namen für Dinge, sondern Urteile über das, was ihm gefiel oder mißfiel.

Als Evas größter Topf zerbrach, machte Peter zwar aus einem abgesägten, hohlen Baumstück einen Kübel, den er einstweilen mit Weidenbändern umwand, damit das Holz nicht reißen konnte. Eva hatte aber keine Freude an dem plumpen Gefäß. Der Boden quoll auf, und der Kübel wurde trotz der Reifen rissig.

Im Geißengarten hatten die Ziegen bald alles Gebüsch abgefressen, das sie erreichen konnten. Täglich mußte ihre Futterraufe mit frischgeschnittenem Grünfutter gefüllt werden, täglich mußten sie getränkt werden. Da Peter den Schmelz- und den Töpferofen wieder in Ordnung brachte und viel Arbeit hatte, sorgte Eva für die Ziegen. Die Tiere waren rührend anhänglich, weil sie ihnen auch Salz zu bringen pflegte. Peter trug sich mit dem Gedanken, die Bewässerung des Gartens in der Weise zu lösen, daß er vom Moorbachfall einen Wasserarm quer über den Alten Steinschlag bis zum Haus leitete. Vom Teich aus, den er zu einem Sammelbecken ausbauen wollte, könnte dann das ganze Gartenland berieselt werden, und Eva wäre das mühsame Wasserschleppen ein für allemal los.

Je anstrengender die Wochen waren, desto peinlicher hielt Eva an der Heiligkeit des Sonntags fest. Schon am Vortage wurde gründlich aufgeräumt und abends gebadet. Keine Schmutzarbeit durfte den Feiertag stören. Saubere Kleider wurden angezogen, Lieblingsspeisen kamen auf den Tisch. Der Besuch des Ahnlgrabes und des Sonnenbildes in den alten Wohnhöhlen war eine gemeinsame Wanderung durch die Heimat, ein Rückerinnern an die schwere Vergangenheit. Für Hansl, der abwechselnd von Vater und Mutter getragen wurde, war dieser Spaziergang ein Schwelgen in Licht, Farbe und Duft. Auch regnerische Sonntage hatten ihr Schönes. Da holte Eva die Zeichensteine und Wochenstäbe hervor und las mit Peter, wie alles gewesen war und wie gut sich alles gefügt hatte.

Für Hansl kamen schmerzensreiche Tage: seine Zähne brachen durch. Eva mußte ihn allmählich an Milchbrei gewöhnen. Sein Wimmern und Wehklagen, das jetzt seine Selbstgespräche unterbrach, verstummte nur, wenn er etwas fand, woran er die wachsenden Zähne versuchen konnte. Aus Angst, daß er einen abgenagten Holzsplitter verschlucken könnte, suchte Eva nach etwas Harmlosem, Feinfaserigem und erinnerte sich der Wurzelstöcke der weißen Schwertlilien. Ein Stück davon schabte sie sauber ab, trocknete und durchlochte es und hängte es dem Kleinen an einer langen Schnur um den Hals. Und sooft er nagen wollte, nahm er das duftende Hölzchen in den Mund und biß darauf herum.

Peter hatte inzwischen aus Raseneisenerz einen Vorrat an Eisen ausgeschmolzen. Indem er es immer wieder anglühte und klopfte, machte er es hämmerbar. Als er für Evas Wasserkübel zwei eiserne Reifen schmiedete, hielt er sich zwar genau an das Maß des Gefäßes, konnte aber nur den einen, noch glühenden Reifen aufbringen; der zweite, der längst erkaltet war, saß am Rande fest. Erst als er auch ihn wieder glühend gemacht hatte, konnte er ihn auftreiben und sah, wie beim Erkalten des Reifens sich alle Fugen der Kübelwand schlössen. Aber Eva hatte an dem Kübel noch immer keine Freude; er war viel zu plump und zu schwer.

Der Bau der Wasserleitung war schwieriger, als Peter gedacht hatte. Drei Wochen brauchte er, bis er quer über die Steinschlaglehne eine Rinne angelegt und die Leitungsrohre aus hohlen Baumstämmen bis in die Nähe des Hausteiches geführt hatte. In einer mondhellen Nacht, während Eva schlief, vollendete Peter sein Werk. Als die Familie am nächsten Morgen vor dem Haus beim Frühmahl saß, hob Hansl den rechten Zeigefinger. Horch! hieß das. Mit offenem Munde lauschte er hinüber zum Teich und schaute bald Eva, bald Peter an, der ein Schmunzeln nicht unterdrücken konnte. Eva sah nach, was denn da rieselte. Ein Wasserstrahl aus dem Baumrohr! Eva trat einen Schritt näher und sah die lange, schnurgerade gemauerte Rinne, Peters heimliches Werk, von ihm ersonnen und geschaffen, damit ihr das Wasserschleppen erspart werde. Sprachlos vor Freude faßte sie seine rissige, schwielige Rechte und zog sie an ihre Brust. Dann schlang sie die Arme um seinen Hals und küßte ihn auf Mund und Wangen. Keine Mühe scheuen, wenn es gilt, dem andern eine Plage zu ersparen – das war die rechte Liebe.

Mutterschaft

Die Sonne näherte sich merklich dem Winterhorn. Weich lag der Neuschnee auf dem Dach des Sonnleitnerhauses. Aber die Felswand, die zugleich die Rückwand der Wohnstube war, glänzte feucht vom niederrieselnden Schmelzwasser, sooft die Sonne die Schneemassen auf den Bändern und in den Rissen der Südwand taute; der lehmige Boden wurde weich. Und wieder nahm Peter die Bauarbeit auf. Eine dicke Mörtelschicht, die das Wasser von der Felswand zum Dach ableiten sollte, trug er dort auf, wo das Dach den Felsen berührte. Die Felswand selbst verkleidete er auf der Stubenseite mit senkrecht verspreizten, flach behackten Fichtenständern. Dann zimmerte er Wandbretter, auf die Eva ihre Koch- und Eßgeschirre stellen konnte. Und da es ihr mißfiel, daß seine Schmiedewerkzeuge und sein Allerlei in der Wohnküche lagen, richtete sich Peter die verlassene Bärenhöhle als Werkstatt ein.

Nach einem erfolgreichen Jagdgang baute er den Rauchabzug zur Räucherkammer um und fügte zwischen ihre Wände eiserne Querstäbe ein, an denen er alle bisher gesammelten Fleischvorräte an Haken aufhängte.

Es war am Tage vor Sonnwend. Blutrot versank die Sonne dicht am Winterhorn. Am nächsten Morgen war der Boden mit lockerem Neuschnee bedeckt. Spurenschnee! Peter schliff die Stahlspitze seines Speeres nach und koppelte Schnapp und Einäugel an die Riemen. Er wollte ein Wildschwein erjagen; Wildschweine waren jetzt fett von der Eichelmast. In der dämmerigen Stube sah er nicht die Angst in Evas Gesicht, als sie ihn bat, bald heimzukommen. Er versprach es leichthin. Aber draußen im Wald hatte er nur seine Beute im Sinn – Beute, die Fett gab, das im Winter nicht fehlen durfte! Erst gegen Mittag gelang es ihm, tief unten im Eichenbestand an der Triftbucht einen Keiler zu erlegen. Den Nachmittag verbrachte er damit, das schwere Tier den holprigen Waldpfad bergauf zu schleifen.

Es dämmerte schon, als er vor den Bärenhöhlen rastete. Beim Anblick des Reisighaufens, den er für das Sonnwendfeuer gerichtet hatte, holte er Stahl, Stein und Zunder aus seiner Jagdtasche und schlug Feuer. Den glimmenden Schwamm schob er mit einem harzgetränkten Wergbüschel unter das Reisig und blies mit vollen Backen die Glut an. Erst als die Flammen loderten, schleppte er seine Beute heimzu. Eva sollte von der Schwelle des Hauses aus das Sonnwendfeuer sehen.

Als er in die düstere Wohnstube trat, fiel ihm zuerst auf, daß die Herdflamme am Verlöschen war. Fröhlich rief er: »Da bin ich!« Keine Antwort, keine Bewegung in der Stille des Raumes. Bläff kroch heran und zwängte sich an dem Lauschenden vorbei ins Freie, um nach alter Gewohnheit vom Blute des Beutetieres zu lecken. Da erblickte Peter im zuckenden Licht der Ampel Evas bleiches Gesicht auf dem Kissen ihres Lagers. Warum gab sie keine Antwort? Mit klopfendem Herzen näherte er sich dem Bett. Schlief sie? Warum war sie so blaß? Lauschend neigte er sein Ohr zu ihrem Munde. Sie atmete still und regelmäßig. Sie lebte! Da rief er sie noch einmal beim Namen, leise, aber eindringlich: »Eva, Everl! So hör doch!«

Ihre Augenlider flatterten, ein Lächeln glitt über ihr Gesicht, ihre Lippen öffneten sich, und wie im Traum, sprach sie: »Wie soll er heißen?«

Da erst gewahrte Peter das Köpfchen des Kindes, um das die Mutter den rechten Arm gelegt hatte. Er sank auf die Knie und dankte dem Allmächtigen, der das Wunder hatte geschehen lassen. Da erwachte das Kind und quäkte leise vor sich hin. Was die alte Ahnl einst dem Findling beim Kräutersammeln mitgeteilt hatte über die Pflege von Mutter und Kind, fiel Peter, dem Vater, wieder ein. Er machte Feuer und wärmte Wasser für ein Bad. Durch die Tierblasen der Fenster drang gedämpft ein Schimmer des Sonnwendfeuers herein. Und als er das Kind badete, gab Eva ihm den Namen: »Hans soll er heißen, wie der Ähnl, und alles können soll er, wie der Ähnl! – Gott möge unser Kind beschützen!«

Der kleine Hans

Das Kind gedieh, die Mutter aber brauchte lange, bis sie sich erholte. Sie klagte über den kalten Boden. Die Felle auf dem Lehmflöz waren vom Schimmel befallen. Peter belegte den Boden mit flach behauenen Stämmen, die noch von den Wänden der Blockhütte übrigwaren. Das bißchen Milch, das er der Scheckin noch abmelken konnte, gab er Eva, buk Fruchtfladen und kochte, wonach es sie gelüstete. Für den kleinen Hans fand sich ein tragbares Bettchen, nämlich die Futterkrippe der Geiß, die Peter mit Heu, Rehfellen und weichgeklopften Scheiben von Buchenschwämmen auslegte.

Die junge Mutter sehnte sich nach der Sonne. Warme Winternachmittage hätte sie am liebsten draußen verbracht. Peter baute ihr aus Birkenstämmchen einen bequemen Sessel mit Rückenlehne und Armstützen und legte ihn mit Fellen weich aus; und vollends glücklich war Eva, wenn er mit ihr draußen zu Mittag aß. Sie fühlten sich sicher im Frieden des Hauses, den auch die Fuchshunde nicht stören durften.

Hansls Gesicht, das anfangs so faltig und verdrießlich ausgesehen hatte, wurde rund und glatt. Seine Eltern fanden es entzückend. Nicht minder bewunderten sie seine winzigen Hände und Füße, mit denen er fuchtelte und zappelte. Seine Augen, die in den ersten Lebenswochen ausdruckslos ins Unbestimmte geblickt hatten, richteten sich immer aufmerksamer auf alles, was leuchtete, glänzte und sich bewegte. Sein Lächeln und Krähen wurden von Mutter und Vater als Zeichen von Klugheit bejubelt. Bald drehte Hansl sein Gesicht den Dingen zu, von denen ein Ton ausging, und schien sich zu freuen, wenn er entdeckte, was da geklungen hatte. Sein glücklicher Vater bastelte ihm aus leeren Walnüssen, in die er Steinchen einschloß, eine Rassel, die Hansl unermüdlich schüttelte. Um seine Ohrenfreuden zu vermehren, ließ Eva ihre alte bronzene Bratpfanne vom Deckenbalken herabbaumeln und schlug mit dem Kochlöffel darauf. Dem langausklingenden »Gunn-n!« lauschte der Bub mit offenem Munde. Da gab Eva ihm den Kochlöffel und hängte die Pfanne tiefer. Der Kleine schlug auch danach, meist traf er daneben, da seine Hand noch nicht der Führung des Auges gehorchte; sooft es ihm aber glückte, schrie er vor Freude.

Der Nachwinter war mild. Laue Stürme schleuderten Schneeregen gegen die schlaffgewordenen Tierblasen in den Fensterluken. Die kalten Baumkronen des nahen Laubwaldes ächzten und warfen totes Geäst ab. Immer häufiger wurden die föhnigen Tage. Dröhnend fuhren Schnee- und Steinlawinen zu Tal. Die Brandstätte auf der Sonnleiten prangte im Schmuck der Huflattiche, deren Blütensönnchen sich auf beschuppten Stengeln der Sonne zuwendeten. An stillen Tagen saß Eva auf ihrem Sessel im Sonnenschein und nähte ihrem Sohn das erste Hemdchen aus weichgewalktem Rehleder, denn Nesselgewebe war zu rauh für seine zarte Haut. Vater Peter schnitzte an einem Spielzeug für den Sohn oder an Eßlöffeln aus dem harten Holz des Eisbeerbaumes.

Auf den Höhen schmolz der Schnee, und über die kahle Brandstätte der Sonnleiten rieselten glitzernde Bächlein. Dem Stubenboden aber entstieg ein schwerer, muffiger Geruch. Da riß Peter einige Bodenbalken auf und entdeckte zu seinem Entsetzen, daß die Erde unter dem Holz breiig war; das Bodengebälk schimmelte und moderte, von weißen Fäden des Hausschwammes durchzogen.

Peter grub für das Bergwasser Abzugsgräben an beiden Seiten des Hauses und bewarf den Sockel der Mauern bis auf den Felsgrund mit Mörtel. Anschließend grub er den Stubenboden bis auf die felsige Unterlage ab und deckte ihn mit angekohlten Baumstämmen. Darauf legte er einen Lehmbelag, den er, um ihn zähe zu machen, mit Ziegenmist vermischt und geknetet hatte. Unter der Stirnmauer des Hauses stach er Abzugsrinnen, damit das Wasser ablaufen konnte.

Unterhalb des Hauses, auf der nach den Bärenhöhlen gelegenen Seite, hob er eine knietiefe Grube aus. Darin sollte sich das Bergwasser sammeln und einen Teich bilden.

Die föhnige Zeit gab Peter viel zu tun. Der Boden des künftigen Gemüselandes, wo noch die Strünke der verbrannten Bäume standen, mußte gelockert werden. Eva half dabei. Weil der Hang, an dem die Schmelzwasser haltlos niederrieselten, so steil war, legte sie die Beete als breite Stufen an, wo das Wasser sich stauen und dann versickern mußte. An ihren Möhren, die sie im vorigen Sommer gesät hatte, entdeckte Eva Dinge, die ihr zu denken gaben. Die Wurzeln jener Möhren, die sie so frühzeitig gesät hatte, daß sie noch im Herbst zum Blühen kamen, waren mager und zähe, die Wurzeln der zu spät gesäten aber dick und saftig. Eva beschloß, die gut Geratenen blühen zu lassen und ihre Samen im Spätsommer auszusäen. Damit aber die Ziegen nicht wieder das Gemüseland kahlfressen konnten, sollte Peter den ganzen Anbaugrund mit einem schulterhohen Zaun umhegen.

Kaum war der Zaun fertig und der kleine Hofraum vor dem Haus vom Garten abgeschlossen, brachte die Scheckin, gerade als die Sonne hinter der Henne unterging, vier gesunde Zicklein zur Welt, unter denen nur ein Böckchen war. Eine Woche danach erfreute Bleß, die Einjährige, ihre Pfleger durch ein weibliches Zicklein. Alle Sorge um Felle und Fleisch war vorbei. Wenn auch ein Teil der Milch den Zicklein überlassen werden mußte, den größten Teil des Jahres hatten die Sonnleitnerleute Milch im Überfluß. Aber der Zuwachs an Ziegen, die Peter nicht immer bewachen konnte, zwang ihn, auch den Weideplatz im Alten Steinschlag in weitem Bogen zu umzäunen. Erzverarbeitung, Töpferei und die geliebte Schmiedearbeit, alles mußte zurückstehen, bis der Zaun fertig war. An der Felswand entstand aus groben Felsbrocken und schwerem Gebälk ein niederer Stall, in dem die Tiere bei Unwetter Schutz fanden.

Eva, die Pflänzlinge für den Gemüsegarten beschaffen mußte, trug auf ihren Wanderungen ihren Buben im Rucksack mit sich. Sie war wieder gesund und kräftig. Hansl, für den sie einen Liegekorb aus Weidenruten geflochten hatte, nachdem er einmal aus der Krippe gepurzelt war, behinderte sie nicht in ihrer Arbeit. Hatte er sich an der Mutterbrust sattgetrunken, dann lag er vergnügt in seinem Korb, auf Moos und Feuerschwammlappen weich gebettet, mitten im Gartenland. Als Sonnenschutz diente ein Tannenast, den Eva neben ihm ins Erdreich steckte. Seine Augen folgten den Schmetterlingen, die von Blume zu Blume gaukelten, und den Singvögeln, die zwitschernd die Beete nach Insekten absuchten. Der Kleine machte auch an sich selbst allerlei Entdeckungen: Er fand, daß jeder Finger sich in den Mund stecken ließ; er zog die Beine herauf und versuchte bald an der linken, bald an der rechten großen Zehe zu lutschen. Er strich sich mit den Fingern über die Lippen und brummte dabei. Er schuf sich ein wunderliches Kauderwelsch, das seiner Mutter wie eine fremde Sprache vorkam. Unfaßbar war es ihr, daß Hansl den heimkehrenden Peter mit »Atja« ansprach und seinen Mund in breitem Lächeln verzog. Atja! – woher hatte er dieses Wort?

Die Fuchshunde und deren Junge beschäftigten ihn unausgesetzt. Sobald er sie sah, kroch er ihnen auf allen vieren nach; und jeder Hund hieß bei ihm einfach »Haff, haff«! Hatte er bei Tag zu viel geschlafen, dann begann er nachts seinen ganzen Wortschatz auszukramen. Und mochten die Eltern noch so müde sein, sie lauschten seinen vieldeutigen Selbstgesprächen, bis er sich in den Schlaf gelallt hatte.

Das Blockhaus

Beim Frühstück, das die beiden Menschen wie in alter Zeit neben dem Feuer kauernd einnahmen, war Peter schweigsam. Er grübelte darüber nach, wie er eine schwere Axt schmieden könnte, ähnlich dem durchlochten Steinbeil. Und sie sollte an einem eichenen Stiel verläßlich festsitzen! Noch kaute er am letzten Bissen, als er schon die Schneeschuhe anschnallte, er wollte die an der Grubenesse verschneiten Geräte und Eisenbrocken heimholen.

Gegen Mittag kam Peter schwerbeladen zurück. Er brachte Gußeisen und Holzkohle. Einen Schritt vor Evas Feuerstelle, also ganz nahe am Höhlenausgang, baute er eine neue Grubenesse, flickte den zerrissenen Blasebalg und fügte in die Windwege rollende Hindernisse ein. Er schmiedete zunächst ein Beil, das mit dem eisernen Stiel ein Stück bildete. Schon die ersten Versuche zeigten, daß die Schwere des Stiels die Wucht des Beiles verminderte. Unverdrossen schmiedete er das Werkzeug, das ihn enttäuscht hatte, zu einem fingerdicken, drei Finger breiten Band um. Die eine Hälfte dieses Bandes hämmerte er über die Nase des Ambosses krumm, daß sie als Haube ein großes Öhr umschloß; die andere Hälfte schmiedete er breit und scharfkantig. Dann härtete er die so entstandene Axt. Als Schaft trieb er von oben her einen Eichenprügel mit dem dünneren Ende voran so in das Öhr ein, daß die Axt sich am dickeren Ende festrammte; ein Zweigstummel am dicken Ende sicherte sie vor dem Abgleiten.

Während des Abendessens hatte er das neue Werkzeug vor sich liegen und liebäugelte mit ihm wie mit einem neuen Arbeitsgenossen, der Gutes versprach. Immer wieder nahm er es in die Hand, immer wieder mußte Eva es bewundern. Und sie heuchelte nicht, als sie sagte: »Peter, du kannst doch alles, was du wirklich willst, alles!« Nach dem Essen wollte er die neue Axt schleifen, aber Eva nahm ihm die Arbeit ab.

Es kamen drei frostklare Tage; Peter benützte sie, um Fichtenstämme zu fällen.

Als die Axt stumpf geworden war, suchte er in den Trümmern des Neuen Steinschlags nach einem geeigneten Schleifstein. Er wählte einen aus, der viele Quarzkörner und wenig Glimmer enthielt. Der neue, nur daumendicke Schleifstein ließ sich mit beiden Händen gut an der Axtschneide entlangführen und nahm ohne allzu großen Kraftaufwand genug vom Eisen weg. Peter dachte auch an Eva und suchte für sie einige kleinere Wetzsteine. Mit seiner frischgeschärften Axt machte er sich von neuem an die Arbeit. Sie griff gut ins Holz, aber beim dritten Hieb flog sie vom Stiel: Der Zweigstummel daran, der das Eisen am Abgleiten gehindert hatte, war durchgerieben. Ärgerlich machte sich Peter daran, einen neuen Stiel zu schnitzen.

Schon am Abend des ereignisreichen Tages zog er einen der Baumstämme vor dem Eingang in die Höhe, behackte ihn auf vier Schritt Länge und kerbte die beiden Enden handtief ein, dort sollte der Stamm aufgelegt und eingelassen werden. Beim Abendessen und noch lange danach sprach er vergnügt davon, wie festgefügt seine neue Blockhütte werden sollte.

Außer der neuen Axt verwandte Peter beim Kerben der Stammenden noch die zweihändige bronzene Säge; sie griff trotz Evas Hilfe nicht tief ein, da ihr Band im Rücken stärker war als in der Schneide. Peter kam auf zwei Verbesserungen: Erst mußten die Zähne der Säge an ihren Spitzen auseinandergebogen werden, so daß ein Zahn schräg nach links, der nächste schräg nach rechts außen stand und so fort; dann mußte das Sägeblatt an beiden Enden in einen leicht angespaltenen Bogenstab geschäftet werden, so daß es gespannt wurde und sich von einem Arbeitenden allein handhaben ließ. Auch das Sägeblatt mußte länger und härter sein, und Peter hämmerte einen eisernen Stab flach und dünn. Eine ganze Woche brauchte er dazu, weil er erst einen Meißel schmieden, härten, schleifen und beim Ausstemmen der Zähne am Sägeblatt oft anglühen mußte. Endlich war die Säge zu seiner Zufriedenheit ausgefallen, und nun verarbeitete er einen großen Eisenbrocken zu einem wuchtigen Hammer und kleinere Eisensplitter zu einfachen Nagelstäben, trieb sie kammartig in einen kurzen, armdicken Prügel, schäftete in zwei vorgebohrte Löcher die beiden Spitzen eines gespaltenen langen Steckens und übergab das neue Ding Eva: »Da, das ist ein neuer Rechen. Schaut wie eine große Hand aus mit vielen Fingern dran. Damit wirst du dich leichter tun beim Laubzusammenscharren.«

Peter schmiedete ihr auch noch ein krummes Grasmesser, das er flach in einen gespaltenen Stiel schäftete, und gab ihr eines der schmalen Quarzsand-Schieferstücke als Wetzstein.

Bald darauf ging Eva in einer mondhellen Frostnacht hinaus und plünderte die Preiselbeerstauden an der Lehne des Alten Steinschlags, und Peter wagte sich zwischen die niedergegangenen Steinmassen des Neuen Steinschlags, um sie nach altem Brauch zu durchstöbern. Auch diesmal stieß er auf abgestürztes Wild, zwei Steinböcke, und fand, daß Fleisch, Gedärm, Felle und Hörner verwendbar waren. Als die zunehmende Kälte Eva gar zu arg zusetzte, half Peter ihr das Grünfutter heimschaffen und staunte nicht wenig, wieviel sie mit ihrem plumpen Grasmesser geschnitten hatte. Nach einem kräftigen Frühmahl holten beide den versäumten Nachtschlaf nach, erwachten aber, als die Sonne die Morgennebel zerteilt hatte, und verbrachten den hellen Tag in emsiger Arbeit.

Zunächst galt es, die Steinböcke abzuhäuten, Fleisch und Felle zum Räuchern vorzubereiten. Vergnügt schwang Peter draußen sein neues breitschneidiges Beil, entastete gefällte Stämme und kürzte sie auf die Länge von vier Schritten. Dann erst holte er sich den lange vergessenen Kalk, mauerte feste Steinsockel um die vorderen Eckständer und setzte den Blockhüttenbau, wie er ihn sich vorgezeichnet hatte, fort. Trotz Evas Hilfe dauerte es volle sechs Wochen, bis er das Dachgebälk mit Schilf decken konnte, während Eva die Fugen der Blockwände mit Lehm und Moos abdichtete. Sie wunderte sich, daß der Mörtel zwischen den Steinen weich blieb, hoffte aber, daß er bei wärmerem Wetter doch noch hart werden würde. Peters Allerlei räumte sie in die linke Hälfte des Hohlraumes unter dem Stubenboden. Die rechte Hälfte sollte einstweilen die Geiß beherbergen und eine Falltür die Abfallstoffe vom Wohnraum aufnehmen.

Während die beiden ihr neues Heim einrichteten, herrschte draußen ein Schneetreiben, als wollten sich die Wintergeister noch einmal austoben, ehe der Lenz ihre Macht brach. Aber die dicken Bohlenwände der Blockhütte boten besseren Windschutz als die dünnen, geflochtenen Wände der Pfahlhütten.

Der Schneefresser

Sooft es noch schneite, auf den Hängen der Sonnleiten blieb der Schnee nicht mehr liegen. Über Goldprimeln und blühenden Heidekräutern gaukelten langgeschwänzte, gelbe Falter und weiße mit roten Augenflecken. Vom besonnten Werkplatz schauten Peter und Eva sorgenfrei hinüber zur schneebedeckten Grableiten und hinunter zum winterlich öden Steinfeld. Eva sang bei der Arbeit mit Ringamseln und Goldhähnchen um die Wette. Wie die Vögel reihte sie tiefe und hohe Töne aneinander und freute sich daran. Unter der Südwand, wo keine Steinschläge drohten, hallten Peters Axtschläge wider. Er rodete einen Bestand von Fichten und Buchen, Eva brauchte Platz für ihre Nutzpflanzen; sie sollte das Wildgemüse nicht mehr im weiten Talgrund zusammensuchen müssen. Er gab es von vornherein auf, die starken Bäume mit Axt und Säge zu fällen; es genügte, jeden Stamm auf der Sonnenseite tief einzukerben; den Rest konnte der nächste Föhnsturm besorgen.

Und der »Schneefresser« kam, noch ehe die Grableiten grünte. Es war gegen Abend eines ungewöhnlich hellen Frühlingstages. Glanzlos versank die Sonne zwischen blutigroten Wolkenbänken. Von fernher klang ein noch nie gehörtes Rauschen rieselnder Wasser und bewegter Baumkronen. Erst als der Mond, umgeben von einem blaßgelblichen Hof, über den Salzwänden emporstieg, suchten Eva und Peter ihr Lager auf. Der Schneefresser war unterwegs, endlich! Dennoch sprangen sie entsetzt auf, als frühmorgens das Krachen eines stürzenden Baumriesen jäh ihren Schlaf beendete. Sie lauschten dem Heulen in der Luft, dem Stürzen der angekerbten Bäume, dem Surren und Sirren stiebender Sandkörner. Zeitweise aussetzend, dann wieder mit erneuter Wut an der Blockhütte zerrend, dauerte der heiße Sturm den Tag über und tat die von ihm erwartete Arbeit.

Gegen Abend wurde es still. Alles war gut vorübergegangen! War es das wirklich? Aus der Höhle kam ein feines Klingen, dann ein kurzes Aufheulen des Sturmes im Walde. Eine schwere Luftwoge prallte gegen die Vorderwand der Blockhütte, so daß sie aufächzte und bebte. Peter und Eva sprangen gleichzeitig von ihren Sitzen. Sie fühlten den Hüttenboden unter ihren Füßen wanken, hörten das Gebälk der Wände und des Daches in den Kerben scharren und kreischen. Ehe sie sich recht besinnen konnten, wurde das Dach über ihren Köpfen weggerissen; Balken, Stangen, Schilfbündel wirbelten steil an der Felswand hoch. Asche und glühende Kohlen wurden vom Herd weg nach allen Seiten zertragen. Brüllend vor Schreck zerrte unten die Geiß an ihren Riemen. Da schlüpfte Eva hinab und schnitt sie los, damit sie sich ins Freie flüchten könnte. Sie selbst floh in die Bärenhöhle. Dorthin stürzte auch Peter und ihm nach die drei Fuchshunde. Hand in Hand standen die ihres Heimes Beraubten in der finsteren Höhle und lauschten dem Entsetzlichen, dem sie entronnen waren. Draußen schlug ein Sturmstoß von unten her an, hob Bodenhölzer und Seitenbohlen, als wären sie dürres Reisig, und trieb sie scheuernd die Felswand hinauf.

Peters Werk war vernichtet. Eva sah nicht die Zornestränen an seinen Wimpern, sie fühlte nur sein stoßweises Schluchzen, das Zucken seiner Hand. Da legte sie ihm ihren Arm um den Hals und sprach auf ihn ein:

»Schau, Peter – wir haben ja uns, uns ist nichts geschehen. Es hätt‘ auch anders kommen können. Wir sind ja schon im Frühling – und bald wird’s Sommer. Im Herbst wär’s schlimmer gewesen, viel schlimmer.«

Peter wühlte nachdenklich im Fell seines Lieblingshundes. Eva hatte recht. Gut, daß es jetzt schon so gekommen war. Und wie so oft in schlaflosen Nächten überlegte er, was zu tun sei. Zurück in die niederen, dämmerigen Bärenhöhlen? Nein, niemals! Er würde eine Höhle bauen, eine geräumige Höhle – aus schweren Felstrümmern und Mörtel – genau unter der Südwand, wo kein Steinschlag drohte das Dach aus schweren Baumstämmen – und Felsbrocken darauf – kein Sturm sollte es abdecken können – allen Stürmen sollte es trotzen, sein Steinhaus – für immer!

Brandstätten auf der Sonnleiten

Um die Mittagsstunde des nächsten Tages verließen Peter und Eva die Höhlen, lockten die Geiß, banden sie im Freien an und suchten die vom Sturm verstreuten Trümmer ihrer Blockhütte und ihr Gerät zusammen. Alles Werkholz wurde vor der Höhle für den neuen Bau bereitgeschichtet. Zwischen der Südwand und dem Gewirr gestürzter Bäume gelangten sie zu einer mannsstarken Fichte, nahe am Felsen, eine stürzende Buche hatte sie gestreift. Neben der geschundenen Fichte lag die riesenhafte Buche, weit abseits ihr abgeknickter Wipfel und zwischen beiden ein toter Buntspecht. In der oberen Bruchhälfte des Buchenstammes war die Bodenmulde der kunstvoll gezimmerten Nisthöhle zu sehen, die Decke der Spechtwohnung samt dem Flugloch fand sich im Bruch des Wipfelstückes. Sinnend betrachtete Peter die zerstörte Höhle, die der Vogel mit großem Fleiß gezimmert hatte. Er nahm den keilförmigen Schnabel des Spechtes zwischen die Finger und prüfte mit dem Daumen die Schneide der steilgestellten Spitzkante. Er reckte den Vogelhals, der wie ein kurzer Axtstiel den Kopf mit dem lebendigen Werkzeug geführt hatte. Je länger er den Schnabel betrachtete, um so auffallender erschien ihm dessen Ähnlichkeit mit seiner eigenen Axt.

Kopfschüttelnd machte er Eva auf diese Ähnlichkeit aufmerksam. Auch sie betrachtete das Wunder und meinte dann in ihrer schlichten Art: »Ja, Gott hat den Axtschnabel des Spechts früher erfunden als du deine Axt; Enten und Gänsen hat er Ruderfüße früher wachsen lassen, als du das Ruder erfunden hast.«

Peter arbeitete von nun an täglich bis zur Abenddämmerung, während neben der künftigen Hausfichte ein Reisigfeuer prasselte. Eva schaffte das Astholz weg und stapelte es vor der Bärenhöhle auf. Die Säge kreischte, die Axt klang. So ging es wochenlang, bis die Stämme kahl waren. Mit Hilfe eines Hebebaumes rollte Peter die entasteten Fichten so weit an den Waldrand, daß der Bauplatz unter der Südwand frei wurde. Die Stämme der alten Buchen aber lagen massig auf dem künftigen Gartengrund. Sie mit der Säge zu zerlegen, war unmöglich.

Die Zeit der Erdbeerblüte war da, und mit dem Bau des Steinhauses mußte begonnen werden, wenn es vor dem Winter unter Dach kommen sollte. Drei Wochen lang brannte Peter Kalk, schmiedete Werkzeuge und schleppte Steine; seine Handflächen bedeckten sich mit Schwielen. Aber köstlich waren die Feierstunden, in denen es nicht wenig zu lachen gab; denn Bläff und Einäugel hatten Junge, schiefergraue Wollknäuel, die miteinander balgten, ihre Mütter zausten und den eigenen Schwänzen nachjagten.

Als es wärmer wurde, schlugen in den Schlupfwinkeln unter dem Holz Schlangen ihr Heim auf und sonnten sich auf den Baumstümpfen. Diese neuen Gäste waren unerwünscht. Peter schaffte große Bündel Fichtenreisig unter die verstümmelten Kronen der liegenden Baumriesen und wartete auf einen ruhigen Tag, um Feuer anzulegen. Dem Walde zu säuberte er einen breiten Bodenstreifen von dürrem Gezweig und Laub; ein nackter Saum sollte das Weitergreifen des Feuers verhindern.

An einem windstillen Abend knatterten die Fichtenreiser. Qualmend, zischend leckten die Flammen an den abgestorbenen Stämmen und züngelten senkrecht empor. Als die Nacht anbrach, stieg vom breiten Glutherd wogendes Feuer auf, krachend zerbarsten die Stämme; durch die flimmernde, heiße Luft flatterten von allen Seiten zahllose Nachtfalter und Schwärmer dem ungewohnten Lichte zu. Mit versengten Flügeln fielen sie zu Boden. Peter, der das Feuer bewachte und es mit einem nassen Zweigbesen bewaffnet umkreiste, fegte glimmende Reiser und sterbende Schmetterlinge in die Glut, aber auch Schlangen, die ihre Schlupfwinkel verlassen hatten, und solche, die von fernher dem Feuerschein zugekrochen waren.

Ein Platzregen kurz vor Sonnenaufgang löschte das Feuer. Weiße Dampfwolken stiegen von den schwelenden Stammresten auf, ein dicker Brei aus Asche und Holzkohle floß zähe über die verheerte Sonnleiten hinunter bis zum Kastanienwäldchen, wo er sich staute. Schlaftrunken taumelte Peter zur Höhle.

Zwei Tage später schafften Peter und Eva die verkohlten Holzreste an den Waldrand, säuberten die Brandstätte und begannen den künftigen Gartenboden aufzulockern. Dabei verbog Eva den dünnen Stiel von Peters bronzenem Handspaten. Da bog sie den Stiel so, daß aus dem Spaten eine Haue entstand, mit der sich wie mit dem gekrümmten Finger einer Hand scharren ließ. Peter schäftete sie rasch in einen längeren Stiel, und nun griff sie im Schwung tiefer in die Erde ein.

Doch Evas erster Versuch, frisch ausgegrabenes Wildgemüse einzupflanzen, mißlang kläglich. In der Sonne blieb keiner der Pflänzlinge am Leben. Um doch noch im gleichen Jahr einen Erfolg zu erzielen, rieb Eva aus vorjährigen Dolden wilder Mohrrüben die Samen und legte sie einzeln in flache Grübchen. Peter grenzte durch Auflegen von Baumstämmen den Baugrund ab und begann Bausteine herbeizuschleppen.

Bald kam er davon ab, die Steine einzeln heranzutragen. Er nahm ein Fell und legte eine Ladung darauf. Zufällig kam ein großer Brocken auf einen Holzknüttel zu liegen und ließ sich leicht auf dieser natürlichen Walze weiterbewegen. Ohne es zu wollen, hatte Peter ein neues Beförderungsmittel gefunden! Von nun an legte er längere Steinblöcke, die sich nicht leicht befördern ließen, auf je zwei Rundhölzer und schob sie über den zwei rollenden Knütteln vorwärts. Eva, die jetzt keine schwere Arbeit tun konnte, mußte das hinter dem Steinblock frei gewordene Rollholz aufheben und es wieder vor die Last legen.

Nach vier Wochen Arbeit, sie hatten noch lange nicht genug Bausteine angehäuft, war es mit Evas Kraft vorbei; sie konnte nicht einmal mehr die Rollhölzer vortragen. Peter, fast berstend vor Ungeduld, die Mauern des Hauses wachsen zu sehen, unterbrach das Heranschaffen der Steine. In einer Lehmgrube übergoß er einen Teil seines gebrannten Kalkes mit Wasser, und als die Kalkmilch brodelte, setzte er Sand zu, so daß ein breiiger Mörtel entstand.

Ehe die dicke Mauer kniehoch war, brachte die Geiß zwei Zicklein zur Welt; eines, das weibliche, war zart gebaut und weiß wie Bläß, die Stammutter der Mischlinge; das andere, ein Böcklein, zeigte die dunkle Färbung der Steinböcke; auf der Stirn hatte es einen weißen Fleck. Es erbte den Namen des im Vorjahr verunglückten Schwärzel.

Schon am Abend ihres ersten Lebenstages standen die Zicklein auf ihren plumpen Beinchen, die sie beim Saugen so drollig spreizten, daß Eva lachen mußte, sooft sie es sah. Es lag viel Zärtlichkeit in der Art, wie sie die Tierchen auf den Armen herumtrug.

Für Peter hatte der Anblick seiner schönen, jungen Frau etwas Rührendes. Und Eva litt es gern, wenn er ihren Kopf zwischen seine schwieligen Hände nahm oder über ihre Haare strich.

Bau des Steinhauses

Und wieder mußte Peter den Hausbau unterbrechen: Die Scheckin und ihre Jungen brauchten Winterfutter. Zwei Wochen lang schaffte er Heu herbei, das er dicht am Stamm einer breiten Fichte vor den Bärenhöhlen häufte, so daß der von den Ästen nach außen geleitete Regen an der Oberfläche des Heuschobers niedergleiten konnte. Im Alten Steinschlag, wo Eva die Scheckin und ihre zwei Jungen angepflockt hatte, stellte sich ein wilder Bock ein, den Peter zwar mit der Wurfleine fing, der aber als unzähmbarer Ausreißer bald wieder in die Freiheit entwich.

Ohne sich über den Verlust zu ärgern, kehrte Peter zu seinem Bau zurück. Die Quetschwunden, die er bei der Arbeit davontrug, bestrich er mit frischem Harz und kümmerte sich nicht weiter darum. Er dachte nur an das Haus, das vor dem Winter fertig werden mußte. Zu Eva war er ganz anders als früher. Etwas Weiches, Zärtliches war in sein Wesen gekommen, das den rauhen Eindruck seiner gedrungenen Gestalt milderte und sein sonnverbranntes, von schwarzem Haupt- und Barthaar umwalltes Gesicht veränderte. Eva fühlte, wie gern er sie hatte. Ihr zuliebe beschränkte er sich einstweilen auf die Wohnküche, deren Wettermauer er zuerst fertig machen wollte. Da Eva ihm nicht mehr helfen konnte, baute er ein bankartiges Holzgerüst, auf dem er Bausteine und Mörtelgefäß bereitstellte. Als die Wettermauer fertig war, nahm er die Stirnmauer in Angriff. Eva, der die Wettermauer schief vorkam, holte von ihrem Webstuhl einen der mit einem Lehmklumpen beschwerten, straffen Fäden, legte das obere, freie Ende an die Mauer und machte Peter darauf aufmerksam, daß unten zwischen dem gespannten Faden und der Mauer ein fast handbreiter Abstand war. Peter lächelte über den von ihr entdeckten Schönheitsfehler der Mauer; er wußte ja, daß der hart werdende Mörtel die Bausteine zu einem einzigen Felsen verbinden werde.

Regentage bedeuteten für ihn keine Unterbrechung der Arbeit; er schleppte Bausteine und pries die Kühle. Der Spätsommer war da, die Mauern des Hauses wuchsen. Da er Eva bei der Zubereitung der Mahlzeiten in der Nähe haben wollte, errichtete er unweit der rechten hinteren Ecke ihrer künftigen Stube, der Türschwelle schräg gegenüber, den neuen, aus Steinen gemauerten Herd. Aus Rücksicht auf seine Frau, der er das Bücken und Kauern vor der Feuerstelle ersparen wollte, baute er den Herd hüfthoch auf. Hinter der Feuerstelle wollte er die Räucherkammer anlegen. Unter der sorgfältig gefügten Wölbung des Herdes hatte er eine Nische freigelassen, in der das Brennholz vorgetrocknet werden sollte. Eva war froh über den vervollkommneten Herd. Nur einen Wunsch hatte sie noch: Peter sollte ihr statt der Steine, die sie gelegentlich unter ihre Töpfe und Näpfe zu legen pflegte, um dem Feuer darunter Raum zu geben, einen Dreifuß machen, wie ihn die Ahnl gehabt hatte. Und Peter schmiedete aus gebogenen Eisenstäben den Dreifuß, der nun ein ständiges Küchengerät blieb.

Damit der Rauch abstreichen konnte, führte Peter von der linken Herdkante aufwärts eine Mauer bis zur voraussichtlichen Höhe des Daches auf, wo die Rauchluke ausgespart werden sollte. An der Außenseite dieser Mauer machte er eine Nische für die Ahnenbilder. Die Ausführung der Stirnwand des Hauses ging rasch vor sich, da Peter die Tür- und Fensteröffnungen ausgespart hatte; er war in bester Laune und teilte Evas Freude, deren Möhrensamen in ihrem ersten Gartenbeet fast alle aufgegangen waren. Weil es so gut gegangen war, entschloß sie sich, trotz der vorgerückten Jahreszeit, noch ein zweites Beet anzulegen und es wieder mit Möhrensamen einzusäen. Wenn auch vor dem Winter nicht mehr auf eine Ernte zu hoffen war, so mußte doch das spät gesäte Gemüse früh im nächsten Jahr kommen!

Schwüle Tage kamen mit nächtlichen Gewittern, und auf den Wettersturz folgte eine kühle, windige Zeit mit gelegentlichem Regen. Peter ahnte den nahenden Herbst und beschleunigte seine Bauarbeit. Während ihn die von Eva beanstandete Wettermauer vor dem Klammwind schützte, stand er auf dem Gerüst und vermörtelte sorgfältig die Fugen der Stirnmauer. Plötzlich gab die Wettermauer dem Winddruck nach; das von fallenden Steintrümmern getroffene Gerüst kippte um, und Peter stürzte samt seinem Mörteltopf auf den Steinhaufen. An Schienbeinen und Ellbogen blutend, rappelte er sich auf.

Eva, die im Alten Steinschlag ihre Scheckin gemolken hatte, kam, durch das Gepolter der stürzenden Steine neugierig gemacht, herbeigeeilt und erschrak beim Anblick des Trümmerhaufens. »Peter, sag, hast dir weh getan?« Er schüttelte den Kopf. Sie aber bemerkte die Quetschwunden und legte blutstillende Feuerschwammlappen auf. Und dann sah sie, wie ihr Mann vom Webstuhl einen Spannfaden holte und die lotrechte Stirnmauer nachprüfte; sie lächelte still vor sich hin.

Trotz seines Arbeitseifers war Peter erst kurz vor der herbstlichen Tagundnachtgleiche so weit, daß er die Fensteröffnungen durch Steinplatten abschließen konnte. Und schon drängte die Zeit.

Frühreif abgefallene, wurmstichige Eicheln und Kastanien mahnten ihn an die nahe Herbsternte. Diesmal würde er allein sammeln müssen! So arbeitete er denn in mondhellen Nächten oder beim Schein einer Pechfackel, bis ihm die Hände den Dienst versagten.

Eine Woche nach dem Tage, an dem die sinkende Sonne die Henne erreicht hatte, konnte er mit dem Legen der Dachbalken beginnen, die noch vom Blockhaus stammten.

Diesmal sollte ihm kein Föhn das Dach abheben! Peter legte die stärksten Längsbalken gleichlaufend mit der Felswand und der vorderen Hausmauer in ausgesparte Lücken der Quermauern ein, wo er sie zwischen Steinkeile und Mörtel bettete. Aus zwei Fichtenstämmen fügte er eine Leiter zusammen, und nun ging das Legen der Dachbalken rasch vonstatten, da sie ja schon die richtige Länge hatten. Sorgfältig band er sie nieder und deckte sie mit Schilf, das er mit Stäben und Steinblöcken beschwerte.

Und Eva beeilte sich, die zuvor eingeweichten Tierblasen auf Rutenrahmen zu spannen; sie sollten in die Fensteröffnungen eingefügt werden. Schon bot das neue Heim den Sonnleitnern sicheren Schutz vor allen Wetterunbilden. Eva weißte die Stubenwände und flocht eine schulterhohe Tür, bei günstigem Wetter wollte sie viel Licht in die Stube hereinlassen. An Fellen zum Verhängen der großen Lichtluke war kein Mangel.

Nach der Riesenarbeit des Hausbaues empfand Peter die Tage der Herbstjagd als Erholung. Er erbeutete einen Rehbock und zwei Jungschweine, deren Fleisch er in den Rauchfang hängte. Als der erste Schnee die Sonnleiten vorübergehend bedeckte und Eva es ungern sah, daß Peter die Scheckin mit den Zicklein in die bereits eingerichtete Wohnstube brachte, errichtete er noch einen kleineren Anbau, der von der Wohnküche aus zugänglich war. Die hintere Hälfte des neuen Raumes wurde zum Stall, die vordere zur Vorratskammer bestimmt. So konnte Eva bei schlechtem Wetter zu Tieren und Vorräten gelangen, ohne sich die Füße naß zu machen. Da sie ihr Lager neben der warmen Herdmauer haben wollte, baute er ihr ein neues, hochbeiniges Bett und stellte das alte für sich an der Wettermauer auf. Und sooft Eva seine Rechte mit beiden Händen umfaßte, war er glücklich.

Der Hakenpflug

Der Bau des Laubenganges drängte, aber noch unaufschiebbarer waren die Frühlingsarbeiten im Garten und auf dem Feld. Peter begnügte sich damit, in der Stirnwand des Hauses die Fenster auszuheben. Er und Hans fällten noch rasch die zum Bau des Laubenganges nötigen Bäume, sie sollten in der Sonne gut austrocknen. Nun begannen sie, die Erde mit Spaten und Haue zu bearbeiten. Doch das Graben und Hacken in der Erde ging nur Stich für Stich, Hieb für Hieb. Am liebsten hätten sie mit ihren Hauen den Erdboden langhin aufgerissen; aber dazu waren diese Geräte viel zu schwach. Eines Morgens musterte Hans die Überreste einiger gefällter und zum Teil verbrannter Bäume, ob sich darunter etwas Brauchbares fände, das die Arbeit abkürzen könnte. Ein angekohlter, schräg abgebrochener Buchenblock mit einem lang abstehenden Gabelast drängte sich förmlich auf. So mochte das Hakenholz des dummen Riesen ausgesehen haben im Märchen von Kannalles. Hans zerrte den Block aufs Feld, wo Peter schon den Spaten handhabte. Noch wendete Hans das Holzstück zweifelnd hin und her, da nahm es der Vater aus seinen Händen, drückte die Spitze des Blocks in den Boden und begann zu ziehen. Sie ritzte den Boden nur leicht. Dem ließ sich durch einen aufgebundenen Stein abhelfen. Tiefer wurde die beim Ziehen gerissene Furche. Als die Spitze unversehens aus dem Boden heraussprang, band Peter ans hintere Ende des Buchenblocks einen gabeligen Ast als Druck- und Führungsholz. Dann trieb er die Spitze wieder in den Boden. Hans verstand die Absicht seines Vaters. Unaufgefordert spannte er sich vor den so entstandenen Hakenpflug, den Peter mit dem Gabelholz lenkte. Die Hakenspitze riß eine grobe Furche. So arbeiteten die Männer, bis sie beide in Schweiß gebadet waren. Zwei Schläge auf die Bratpfanne riefen Hans zum Kochen des Mittagmahles; er ging ohne Widerstreben, hatten sie doch mehr Boden aufgepflügt, als sie mit Haue und Spaten in einer Woche hätten aufgraben können.

Die Spitze des hölzernen Pflughakens war bald abgerieben und wurde durch eine eiserne ersetzt. Ein altes grobes Messer, in einen gesägten Ritz des Pflughakens geschäftet, riß viel zu schmale Furchen. Der Holzpflug mußte mit einem eisernen Schuh versehen werden, der, spitz und scharfkantig, leicht in den Boden eindringen sollte. Drei Tage Arbeit an der Grubenesse, und Peter hatte mehr Schmiedeeisen, als er brauchte. Mit dem vervollkommneten Pflug gelang es den beiden, vor Ablauf einer Woche alles Ackerland aufzureißen. Dann säten sie Getreidekörner in die Furchen. Hans, der die hart gewordenen Erdschollen mit dem Rechen zu bearbeiten begann, um das Saatgut zu decken, wurde ungeduldig, ihm ging es zu langsam. Er verfertigte vier armlange Rechen mit eisernen Zinken, verband sie durch einen Rahmen aus Hartholz, nagelte eine gegabelte Stange als Deichsel daran, belastete den Rechenrahmen mit Steinen und zog ihn über die Schollen hin und her, bis alles Saatgut mit Erde bedeckt war. Das neue Ackergerät, die Egge, war da! Eine Woche später setzten die Frühlingsregen ein. Vater und Sohn verbrachten die nasse Zeit in ihrer Werkstatt. Sie halfen einander beim Schnitzen der groben, schmalen Fensterrahmen, die sich wie eine Tür auf- und zumachen lassen sollten; deshalb wurden an einer Seite breite, zähe Bänder aus Schweineschwarte aufgenagelt.

Mehr als Peters Kräuterabsud wirkten frische Luft und Sonnenschein auf Evas Befinden. Sie kam wieder so weit zu Kräften, daß sie die sonnigste Zeit des Tages im Garten verbringen konnte. Eva machte große Augen, als sie das Feld bestellt sah, aus dessen regensattem Boden die Sonne die roten Keimspitzen der Saat hervorlockte. Sie bewunderte den schweren Pflug, den Peter und Hans gemeinsam gebaut hatten! Tief atmend zog sie die duftgeschwängerte Luft ein, die von den sonnenbestrahlten Blumenhalden herüberwehte. Während sie Hans bei der Gartenarbeit half, sangen die Vögel in den blühenden Baumkronen; im Saugarten quiekten Ferkel, und vom Geißengarten her klang das Schlagwerk. Vom Moorbachfall kam ein stärkeres Geräusch herüber, als fiele ein schwerer Hammer in regelmäßigen Abständen auf Eisen. Hans mußte erkunden, was es war. Peter hatte gegenüber der Mühle an die Welle des Wasserrades ein Hammerwerk geschaltet, das wie das Schlagwerk eingerichtet war, nur daß der Amboß die Stelle der klingenden Pfanne einnahm, während ein langer Hammerstiel als Hebel von den Zapfen der Welle angetrieben wurde. Daneben schwelte Holzkohle in einer Erdmulde, zu der die Windröhren der Blasebälge führten. Das alles berichtete Hans der staunenden Mutter, und hastig arbeitete er weiter an den Gemüsebeeten; es zog ihn mächtig zum neuen Hammerwerk, wo der Vater Gußeisenbrocken in Schmiedeeisen umwandelte. Hans wollte bei dieser Arbeit helfen und übernahm das Blasebalgtreten, während Peter ein rotglühendes Stück Gußeisen nach dem anderen mit der Klemme aus der Esse hob, auf den Amboß legte und unter dem selbsttätig schlagenden Hammer hin und her schob. Unverdrossen erhitzte er es immer wieder, bis das Eisen seine Sprödigkeit verlor.

Mißvergnügt über das langweilige, schweißtreibende Ziehen und Treten der Blasebälge, spürte Hans den lebhaften Wind, der, vom Wasserfall verursacht, ihm über den erhitzten Leib strich. Ach, wenn sich doch die vom Wasserfall bewegte Luft einfangen und der Glut in der Esse zuführen ließe! Es gelang ihm leicht, den Vater zum Bau eines Windkastens zu bewegen. Unterhalb des Schaufelrades, wo der Wasserfall gischtend auffiel, stellten sie den bodenlosen Bohlenkasten ins Bachbett, so daß er das eingefallene Wasser abfangen und durchlassen konnte, umbauten ihn mit schweren Felsblöcken, deckten ihn und dichteten alle Fugen über dem Wasser. Im Deckel ließen sie nur das Wasserloch offen und an der Seite zum Hammerwerk ein Windloch, in das sie ein aus vier Flachhölzern geformtes Windführungsrohr einfügten. Wie Hans erwartet hatte, strömte durch das Rohr die im Windkasten zusammengedrängte Luft ununterbrochen in die Esse und fachte die Flammen an, so daß der Gußeisenklumpen in Weißglut geriet.

In langen Sätzen rannte Hans nach Hause. Mit glänzenden Augen berichtete er der Mutter vom gezähmten Wind, der von nun an für ihn und den Vater arbeiten sollte, und wie das Wasser die Mühle trieb und den Schmiedehammer dazu. Er schwelgte in Zukunftsplänen. Statt des breiten, schweren Hammers würde er einen schmalen, leichten vor den Antriebszapfen schalten; er würde die Zapfen vermehren, damit der Hammer schneller und leichter schlüge – ja, und statt des flachen Amboßes würde er einen gewölbten, einen kantigen oder hohlen unter den Hammer stellen und Eisenplatten und Gefäße schmieden, Eisenbänder durchlochen oder teilen! Daß er nicht übertrieb, bewies er schon in der nächsten Woche. Was er der Mutter an neuen Koch- und Eßgeräten vorlegte, übertraf ihre kühnsten Erwartungen. Und Peter schmiedete in seinem Hammerwerk in zwei Tagen mehr Nägel, als er voraussichtlich zum Bau des Laubenganges brauchen würde.

Da das Bauholz für den Laubengang noch nicht trocken genug war, rodeten die Männer ein Waldstück, um neues Gartenland zu gewinnen. Das dauerte bis zum Spätherbst. An einem nebelfeuchten Tage fällten sie eine alte Buche, in deren Höhlung sie ein Bienenvolk entdeckten, das träge um die gefüllten Honigwaben kroch und bei dem naßkalten Wetter in seiner Behausung blieb. Peter und Hans hatten gleichzeitig einen guten Gedanken: Sie sägten den Stamm oberhalb und unterhalb der Bienenwohnung auf Manneshöhe zurecht und stellten ihn im Garten zwischen Steinblöcken auf, das Flugloch nach Süden gerichtet. Auf den Klotz setzten sie ein Regendach. An der Rückseite des Stocks brachten sie eine zwei Handspannen breite, verschließbare Öffnung an, dort wollten sie den Honig herausnehmen, ohne die Bienen zu stören oder gar zu vertreiben. Bei dieser Gelegenheit entdeckte Hans, daß die Bienen an die nach innen ragenden Astkerne ihre Waben geklebt hatten. Und nun tat er etwas: Er ahmte das Verfahren der Bienen nach! Er nahm die Honigwaben heraus und knetete die mit Larven besetzten Brutwaben an Stäbchen fest, verspreizte sie quer zwischen den Wänden des Stocks, fegte mit einem Entenflügel die kältestarren Bienen zusammen und schaufelte sie in den Stock, wo sie an den Wänden langsam emporkrochen. Eva hob die vollen Honigwaben in ihrer Vorratskammer auf. Nun hatte sie genug Honig für ihren Sonnstagskuchen und zum Süßen des braunen Eicheltrankes, jetzt und in Zukunft – denn im Garten wohnte ein Bienenvolk! Nachdem Peter und Hans die Rückseite des Stocks mit einem Brett verschlossen und die Fugen mit Lehm verstrichen hatten, meinten sie, für die Bienen genug getan zu haben und setzten ihre unterbrochene Holzarbeit fort. Eine Woche lang widerhallte der Heimliche Grund von ihren Axtschlägen. Dann kam die verspätete Herbsternte in Kastaniengarten und Eichenbestand und nach den ersten Nachtfrösten die Bergung der Laubstreu.

Der Winter ließ sich im wohlversorgten Steinhaus aushalten. Peter schnitt, kerbte und bohrte das Bauholz vor. Hans arbeitete in seiner Stube. Seine Sammlungen sollte man auch sehen, sie brauchten Helle, viel Helle. Hans schaffte sie, indem er in die Schmalwand auf der Westseite seiner Stube ein großes Fenster einließ. Als Scheiben nahm er dünn gespaltene, durchsichtige Glimmerplatten. Erst als der Raum von Licht durchflutet war, ordnete er seine Schätze auf die Wandbretter. An einem regnerischen Sonntagnachmittag holte er Mutter und Vater herüber. Sie wunderten sich über die Fülle von merkwürdigen Dingen und noch mehr darüber, was Hans über jedes einzelne zu sagen wußte, wie und wo er es gefunden oder erfunden, was die Dinge versprochen, welche Enttäuschung sie gebracht, was sie gehalten hatten, was ihm an ihnen rätselhaft war und an welches Ereignis sie erinnerten.

Nun holte Peter den Schädel des Bären herbei, den er vor der alten Wohnhöhle erschlagen, den Schädel der Wildkatze, die er am Tage der ersten Feuergewinnung erlegt hatte, und den gefundenen Schädel mit dem verstümmelten Hirschgeweih: »Stell’s dazu!« Eva wollte nicht zurückstehen und übergab die Zeichensteine und Wochenstäbe. Der Sammler war überglücklich. Später verbrachte die Mutter manchen Sonntagnachmittag mit Hans in seiner »Sammlung«, und bald gingen beide ans Umräumen. Alle Wandbretter wurden leergemacht und die Gegenstände auf den Fußboden gelegt, wo sich das, was zusammengehörte, schier von selber zusammenfand. Beim Wiedereinräumen kam alles in die rechte Ordnung und ins rechte Licht. Auf dem untersten Bord lagen die Andenken an die Höhlenzeit, auf dem mittleren die der Pfahlbauzeit, und was zur Block- und Steinbauzeit gehörte, hatte auf dem obersten seinen Platz. Links vom Fenster aber kamen zuunterst die Kristalle und Erzstufen, dann die bunten Märchensteine und zum Schluß alles, was von Lebendem herrührte. Manches besonders schöne Stück wurde zur Zier an die Wand gehängt. Wenn Hans nachdenklich und schweigsam wurde, zeichnend oder bastelnd der Lösung einer Aufgabe näherzukommen trachtete, ließ ihn die Mutter allein. Am meisten beschäftigten ihn Wirkung und Vorteil des Hebels. Zwei Vorteile kannte er schon von der Hebestange und vom Schlagwerk her: mit wenig Kraftverbrauch eine große Last zu bewegen und die Richtung der Arbeitskraft in der Auswirkung zu ändern. Der Mutter hatte er einen Wunsch abgelauscht. Immer wieder hatte sie von einer Schere erzählt, die aus zwei beweglichen Messern bestanden und der Ahnl gehört hatte. Aber ihre Erinnerung daran war undeutlich. Jetzt versuchte Hans, ein Doppelmesser, wie er es sich vorstellte, zu schmieden. Er nahm zwei alte Messer, glühte sie dicht unter den Griffen an, schlug Löcher durch, legte sie kreuzweise übereinander und hämmerte einen kurzen Stift als Achse durch die beiden Löcher. Der Vater, dem er heimlich die mit zwei Händen bewegbare Schere zeigte, erinnerte sich, daß die Ahnl ihre Schere nur mit einer Hand bewegt hatte. Auch das war leicht zu machen. Hans brannte das Holz der Griffe weg und hämmerte die glühenden Stieldorne der Messer so nach außen um, daß ein Ring für den Daumen und ein zweiter für die Finger entstand. Dann härtete und schliff er die Scherenmesser, fügte sie zusammen und rieb sie mit Schachtelhalmstroh blank; nun schnitten sie Leder und Haare glatt. Und jetzt wußte er auch schon, was er dem Vater unter den Lichterbaum legen wollte: zwei andere Formen einer Schere: nämlich eine Schmiedezange, mit der er das Eisenstück, das er bearbeiten wollte, leichter festhalten konnte als mit der Klemme, und eine Beißzange mit breiten, kurzen, scharfkantigen Kiefern.

Am Heiligen Abend war die Freude beider Eltern groß. Die Güte der Schere erprobte Eva sofort an Hansens Kopfhaar, sie schnitt es im Nacken ab, so daß er es nicht mehr zu knoten brauchte. Peters Weihnachtsgabe für Frau und Sohn war eine hochgebaute Harfe mit siebzehn Saiten.

Hans verbrachte jede freie Stunde in seiner Sammlung, betrachtete seine Schätze, dachte nach, versuchte dies und das und verließ höchst ungern seine Stube, wenn sein Vater, der das Bauholz für den Laubengang sägte, Hilfe brauchte. Das kostete nur Zeit, die er so dringend für seine eigenen Arbeiten benötigte. Was lag näher, als wieder das Wasser für sich arbeiten zu lassen. Damit die Säge sich der Drehung des Mühlrades anpaßte, schmiedete er eine dünne, kreisrunde Scheibe aus Harteisen und versah ihren Rand mit geschränkten Zähnen. Dann brauchte er nur das Ende der Radwelle vierkantig zu beschneiden, die viereckig durchlochte Sägescheibe daranzustecken und mit zwei Querzapfen, anzuklemmen, oder nicht? Wie er es sich erdacht hatte, so ging es: Schob er an die sich drehende Sägescheibe einen Baumstamm der Quere nach, so schnitt sie Scheiter oder Scheiben, schob er ihr den Stamm der Länge nach zu, so schnitt sie Bretter. Aber auch das Schieben kostete Zeit! Da baute Hans oberhalb der Säge eine schräge Gleitbahn. Darauf legte er den entrindeten Stamm über Rollhölzer, so daß er sich durch die eigene Schwere auf die Säge zubewegte.

Die fast mühelose Herstellung glatter Bretter, von denen sich nach und nach die schönste Stubenausstattung tischlern ließ, erregte Peters unverhohlene Bewunderung, und aus Evas Augen strahlte die Freude. Doch wenn Hans seine Sammlung betrachtete und die Blicke über den Inhalt der unteren Wandbretter gleiten ließ, wurde er ganz bescheiden. Was hatte der Vater alles vor ihm ersonnen! Mit Vater hatte alles angefangen, ohne ihn wäre nichts von dem geworden, was nun war. Und weilten seine Blicke auf den Kristalldrusen, den Versteinerungen, den Früchten, den Schädeln, den Eiern, den gestreiften Schneckenschalen, dann dachte er an das, was die Mutter gesagt hatte, daß der Allmächtige alles geschaffen hatte. Und seine Ehrfurcht vor dem unsichtbaren Gott wuchs, der nur durch seinen Willen alles hat werden lassen, während er, Hans, doch zu allem die Hände brauchte. Fragen stiegen in ihm auf: Wie ist das geworden? Wie? Und warum gerade so und nicht anders? Was er wußte, was er selbst konnte, wie gering war es im Vergleich zu dem, was er nicht verstand, und zu dem vielen, was er nie und nimmer zu schaffen vermocht hätte! Vor ihm lagen Rätsel über Rätsel, die er lösen wollte, eines nach dem anderen. Ob er lange genug lebte? Jedes Weilchen seines Lebens war ihm kostbar geworden. Keine Gelegenheit durfte er versäumen, um neue Erkenntnisse zu erschauen, zu erlauschen, zu erforschen, zu erarbeiten. Die Menschen draußen in der großen Welt mochten wohl vieles wissen, das er von ihnen erfahren könnte. Und wieder packte ihn die Sehnsucht nach der Ferne und drängte, so daß er sich eiserne Schuhe mit abwärts gebogenen, scharfen Rändern schmiedete. Wie die Steinböcke mit ihren scharfkantigen Hufen, wollte er dann über Fels und Eis klimmen eines Tages, eines Tages …

Gesäuertes Brot

Gegen Ende des Winters wurde Eva wieder krank, und Hans, der alle Hausarbeit auf sich nahm, verbrachte die meiste Zeit in ihrer Nähe. Ihr zuliebe sang er zum neuen Saitenspiel seine Erzählungen von längst und jüngst geschehenen Taten. Sooft er abkömmlich war, meißelte er heimlich an einem Backtrog, den sich die Mutter längst wünschte.

Im Frühling wimmelte es von Jungtieren, die Erde mußte bearbeitet werden, Frühlingsblumen prangten und dufteten, bunte Schmetterlinge, Hummeln und fremde Bienen kamen auf die Sonnleiten zu Gast. Was aber machten die Hausbienen in ihrem Baumstamm? Noch keine hatte das Flugloch des Stocks verlassen. Und doch war es hohe Zeit, daß sie mit dem Sammeln begannen. Der Honigvorrat Evas ging rascher zur Neige, als die sparsame Hausfrau vorausgesehen hatte. Peter, den Evas Kränklichkeit oft verdroß, kehrte wieder zum alten Brauch zurück, kleine Mengen Honig heimlich mit Wasser zu mischen und den gegorenen Met als Trost- und Labetrunk zu genießen. Nun, da er das Bienenvolk im Garten wußte, sah er keinen Grund, sich den Genuß zu versagen.

Das Bauholz für den Laubengang war fertig. Evas Bedürfnis nach Sonnenschein sollte bald erfüllt werden. Die Obstbäume, die im Vorjahr zurückgeschnitten und von Wurzeltrieben gereinigt worden waren, zeigten vielfach Kurztriebe mit vielen, auffallend großen Blütenknospen, die einen reichen Ertrag versprachen. Und Eva freute sich schon, daß ihre Hausbienen honigsammelnd von Blüte zu Blüte fliegen würden. Aber noch schienen sie ihren Winterschlaf zu halten. Die Bäume waren verblüht, die Fruchtknoten dick und prall, aber noch immer schienen die Bienen zu schlafen. Hans entfernte in Gegenwart der Mutter das Verschlußbrett an der Rückwand des Bienenstocks. Ein übler Gestank quoll ihnen entgegen. Auf dem Boden der Höhlung lagen die Bienen in Haufen beisammen, regungslos, mit Schmutz besudelt, einzelne von Schimmel überzogen: Das Bienenvolk war tot. Eva hatte Tränen in den Augen, und Peter, der hinzugekommen war, stieß einen Ruf tiefer Enttäuschung aus. Da sagte Eva, was sie ahnte: »Wißt ihr, was da geschehen ist? Verhungert sind sie! Ihr habt ihnen allen Honig genommen; das war ja ihr Wintervorrat. Arme Bienen!«

Peter kehrte wütend in seine Werkstatt zurück. Hans aber fegte den Bienenstock leer und wusch alle Wände mit Aschenlauge. Erst nach Tagen, als die Bienenwohnung vom Winde getrocknet und geruchlos war, fügte er die Hinterwand ein. Während er mit dem Vater am Laubengang baute, grübelte er darüber nach, wie er es anstellen sollte, für seinen Bienenstock ein neues Volk zu bekommen. Indes lockten die blühenden Ränder der Gemüsebeete fremde Bienen um so reichlicher an, je mehr Sommerblüher die Frühlingsblumen ablösten.

Hans verfiel darauf, das Flugloch des leeren Bienenstockes mit Honigwasser zu besprengen, um die Gäste auf die leere Wohnung aufmerksam zu machen. Sie gingen wohl ein und aus, aber keine Biene blieb darin über Nacht. Am hellen Mittag nach der Sommersonnenwende jedoch senkte sich ein schwärmendes Volk zum Stock nieder. Als wimmelnde Traube hing es unter dem Flugloch. Die Sonnleitnerleute beobachteten mit angehaltenem Atem, wie langsam der Einzug vor sich ging, während aus dem Innern des Stockes ein eigenartiges Summen drang, als riefe eine »Stimme« das Volk ins Innere. In der nächsten Woche ließen Peter und Hans ihren Laubengang im Stich und suchten den Wald nach hohlen Baumstämmen ab. Es gelang ihnen, im Garten neben dem besiedelten Klotz noch fünf andere aufzustellen, die Hans mit Bohrer, Meißel und Säge in geräumige Bienenwohnungen verwandelte. Er versah sie mit Querstäben zum Ansetzen der Waben. Zwei Klötze wurden noch im Laufe des Sommers von zugeflogenen Schwärmen besiedelt.

Im Spätsommer bauten Hans und Peter einen Windfang vor die Haustür und darüber für Eva ein Sonnenplätzchen, das durch eine Tür im Obergeschoß zugänglich war. An den Ausbau des Laubenganges kamen die beiden Männer noch nicht.

Zur gleichen Zeit holten sich die Sonnleitnerleute zum ersten Mal eigenen Honig von den Stöcken und beschlossen, den Tierchen das als Wintervorrat zu lassen, was sie noch bis zum Herbst eintragen würden. Bei dieser Gelegenheit schaffte Peter drei Töpfe Honig für sich beiseite, damit ihm der Met nicht ausginge. Da er seinen heiter stimmenden Trank weder mit Hans noch mit Eva teilen wollte, verwahrte er ihn in der Bärenhöhle und schluckte heimlich davon, sooft er auf Fischfang zog, den er lange vernachlässigt hatte.

Evas Befinden besserte sich wieder ein wenig; Peter verschob den Weiterbau am Laubengang auf das nächste Jahr und widmete sich der Heuernte. Zum Helfer beim Einbringen hatte er sich einen starken Ziegenbock abgerichtet. Der wollte zwar anfangs nicht, aber unter dem Zwang des Riemenzeuges, das ihn an die zwei Zugstangen des Karrens fesselte, und angetrieben vom juckenden Schlag der Weidengerte, fügte er sich in sein Los. Nach dem Getreideschnitt hatte das Zugtier bereits gelernt, daß ein Zungenschnalzer des Lenkers »Los, zieh!« bedeutete und ein »Brr!« soviel wie »Halt!«

In der Speisekammer fehlte es Eva an nichts; leid tat ihr nur, daß es ihr noch nicht gelungen war, lockeres Brot herzustellen, wie sie es aus früher Kindheit in Erinnerung hatte. Ihre Fladen waren hart und nicht selten speckig. Da kam ihr ein scheinbar bedeutungsloses Ereignis zu Hilfe. An einem nebligen Tage, den Peter und Hans zum Einfahren von Brennholz benützten, entdeckte sie in einem Napf auf dem Herdrand einen Teigrest vom Tag vorher. Zu ihrem Staunen war der Teig bis zum Rand des Napfes gequollen und roch eigentümlich säuerlich, aber keineswegs widerwärtig. Eva scheute sich, den Teigrest in den Abfall zu tun. Ohne sich zu besinnen, vermischte sie ihn mit frischem Mehl, knetete das Ganze mit Milch und Wasser durch, gab etwas Salz darein und ein paar Körner Fenchel. Mit diesem Gewürz hoffte sie den vielleicht faden Geschmack des sauer gewordenen Teigs zu vertreiben.

Ehe sie den Kuchen formen konnte, mußte sie die Pfanne, die mit den angetrockneten Teigresten bekleckst war, reinigen und mit einem Brocken Schweinefett über dem Pfannenträger erhitzen. Wie erstaunte sie, als sie zu ihrem Teigklumpen zurückkehrte und sah, daß er viel größer geworden war!

Was sie mit der Hand herausnahm, war auffallend leichter als der Teig, den sie sonst zu verwenden pflegte. Nicht ohne Neugierde, was aus dem wunderlich angewachsenen Teig beim Backen werden würde, legte sie handtellergroße Stücke davon in heißes Fett auf die Pfanne. Die Laibchen wuchsen, und die gelbliche Rinde, die an der Oberfläche entstanden war, bekam Risse; dann wuchsen sie nicht mehr, aber ein köstlicher Geruch verbreitete sich durch den Raum. Eva, die aus dem Duft der neuen Speise voll Zuversicht auf einen ebenso guten Geschmack schloß, wendete die Brote, so daß die blasse Oberseite auch in das heiße Fett zu liegen kam. Gerade als das Gebäck fertig war, verkündeten die höheren Töne der Wasseruhr, daß der Mittag nahe war. Eva öffnete die Tür zu ihrem Sonnenplatz und schlug mit dem Kochlöffel dreimal kräftig gegen den Boden der Bratpfanne: Mittagessen!

Die beiden Männer ließen sich nicht lange rufen.

Diesmal wurde ihr das höchste Lob zuteil, das Peter zu vergeben hatte: »Ja, Everl, dein Brot schmeckt ja besser als der Ahnl ihres.« Und nach einigen Bissen setzte er hinzu: »So backen’s die reichen Leute draußen in der großen Welt.«

»Reiche Leute?« fragte Hans dazwischen.

»Nun ja, Menschen, die mehr haben, als sie selber brauchen.«

Hans aß nachdenklich … große Welt, schon wieder die große Welt, aus der das Korn gekommen war, die Kornblumen und die Schwalben! Nun war er überzeugt, daß die Menschen dort draußen wohl manches konnten und vieles wußten, wovon er im Heimlichen Grund nichts ahnte.

Als er einige Tage darauf der Mutter zusah, wie sie die halbgaren Brote in der Pfanne wendete, verfiel er auf den Gedanken, den Herd so zu verbessern, daß die Mutter das Brot, ohne es zu wenden, ausbacken konnte. Aus dicken Tonplatten, die zum Ersatz der hölzernen Wasserleitungsrohre gebrannt worden waren, beim Brennen jedoch ihre Wölbung eingebüßt hatten, baute er über die Feuerstelle des Obergeschosses eine Backröhre, die er auf Steinen hohlliegen ließ, so daß die unter und über ihr brennenden Flammen sie von oben und unten, von rechts und links erhitzen mußten. Besser als der tägliche Brei, besser als die Fladen schmeckte den Sonnleitnerleuten das tägliche Brot, eine Erfindung, an der sie sich alle beteiligt hatten.

Stillstand und Rückschritt

An Mühsalen ärmer, an Muße reicher, gingen die Tage der Sonnleitner dahin.

Seit Feuer, Wasser und Wind ihnen dienstbar waren, seit der Ziegenbock den Karren zog, verbessertes Werkzeug und Gerät die Arbeit leichter machten, ging alles auch viel schneller von der Hand. Was Peter zu bauen begonnen hatte, war fertig geworden. Den Nuß- und Kastanienwald umgab eine mannshohe Mauer; der Laubengang war vollendet; zwischen Brunnstube und Haus war eine kleine Waschkammer unter dem Laubengang eingebaut. Und der Südwand zu war ein Keller mit dicken Steinmauern und rasenbedeckten Wölbungen angeschlossen. Da Hansens kleine Backröhre sich bewährte, hatte er zu ebener Erde, dem Herd gegenüber die Steinmauer gewissermaßen ausgestülpt und einen großen Backofen errichtet, der, gut geheizt und reingefegt, zwölf Brotlaibe gleichzeitig buk, den Vorrat für ein paar Wochen. So gut hielt er die Hitze, daß nachher noch Früchte oder Flachs gedörrt werden konnten.

Im Winter verbrachte Hans halbe Tage auf den Eisflächen der beiden Seen. Es machte ihm Vergnügen, auf den hölzernen Schlittschuhen, denen er alte Messerklingen als Kufen eingetrieben hatte, über die glatten Flächen weit schneller hinzugleiten, als Peter es auf seinen knöchernen Schlittschuhen gekonnt hatte. In der wärmeren Zeit durchstreifte er alle Teile des Heimlichen Grunds, sammelte Merkwürdigkeiten für seine Denk- und Sammelstube, grub im eingeschwemmten Höhlenlehm nach Steinwerkzeugen, die er in das unterste Fach seiner Sammlung legte.

Der Viehbestand war aufs Notwendigste verringert; die gutgedüngten Äcker, der wohlgepflegte Garten gaben viel mehr Ertrag, als die drei Menschen und ihre Haustiere brauchten. Vom halbzahmen Nachwuchs der Fuchshunde und von den Jungziegen, die sie schlachteten, hatten sie einen reichen Vorrat an Fellen, die sich gut zu Kleidern und Decken verarbeiten ließen. Was Peter und Hans bastelten, war nicht mehr nur gegen die nackte Not. Sie hatten entdeckt, daß Horn sich in der Wärme biegen und mit einer einfachen Säge leicht bearbeiten ließ; der feine Kamm, die Hornlöffel waren nicht zweckmäßiger als die aus Holz oder Metall, aber schöner.

Peter, der viele Jahre hindurch von einer schweren Arbeit zur anderen geeilt war, empfand den halben Müßiggang als wohlverdiente Rast. Sein Sohn wurde ein Grübler, ein Beobachter seiner Umgebung, der manches bemerkte, was ihm früher entgangen war. Unter anderem war ihm aufgefallen, daß ein krummer Fichtenzweig, den die Mutter entrindet und als Aufhängehaken in eine Fuge der Steinmauer geklemmt hatte, sich an trockenen Tagen nach oben krümmte, bei trübem Wetter aber nach unten streckte. Weiter machte er die Erfahrung, daß es zu regnen pflegte, wenn die Zweigspitze ihren tiefsten Stand erreicht hatte. Um auch Vater und Mutter die »Sprache« der Wetterrute verständlich zu machen, bestrich er den Teil der Mauer, an dem das Rutenende auf und ab spielte, mit hellem Mörtel und zeichnete oben das Bild der Sonne, in der Mitte Wolken und zuunterst einen Alpensalamander, der ja bei nassem Wetter auf Regenwürmer Jagd macht; das hieß also: »Sonnig, bewölkt, regnerisch.«

Wenn Hans eine Wanderung unternahm, begleitete Eva ihn ein Stück Weges. Hand in Hand gingen sie und fühlten, daß auch ihre Gedanken Hand in Hand gingen. Von einem solchen Gang heimkehrend, pflückte Eva die Blüten der kleinen blaublühenden Schwertlilie. Sie tat davon in ihren groben Leinwandschurz, so viel sie erlangen konnte, um den Ahnen ein Blumenopfer zu bringen. Daheim entdeckte sie, daß einige zerdrückte Blüten ihre saubere Schürze blau befleckt hatten, und verfiel auf den Gedanken, sie zu zerquetschen und mit ihrem Saft die ganze Schürze zu färben. Zwar verblaßte die Farbe in der Sonne, aber immerhin war Eva daraufgekommen, daß sie mit Heidelbeeren, wilden Reseden und Walnußschalen Garnsträhnen verschieden einfärben und damit beim Weben ihr Zeug mit Zierstreifen schmücken konnte, für Hans ein untrügliches Zeichen, daß sie sich wieder gesünder fühlte. Ohne Selbstvorwürfe konnte er nun, die Steigeisen an den Füßen, den eisenbeschlagenen Bergstock in der Hand, mit Seil, Bogen und Köcher zu Höhen emporsteigen, die sein Vater nie erreicht hatte. Damit es ihm unterwegs nicht an guter Nahrung fehlte, stopfte Eva knusprige Brote in seinen Rucksack, füllte Milch in ein irdenes, mit Riemen umwickeltes Flachgefäß, das er kunstvoll aus zwei Hälften geformt, gebrannt und an den Rändern gedichtet hatte.

Hans zogen die Klammwände an. Jenseits des Moorsees, wo die alte Eibe an der steilen Klammwand ihm als Steigbaum diente, hatte er sich einen Pfad zur Höhe angelegt, mit Hammer und Meißel Stufen in die Wand gehauen und an eingetriebenen Eisennägeln geknotete Nesselseile befestigt. Ihre mit Steinen beschwerten Enden schwang er um höher gelegene Latschenbäume und Felsblöcke und hangelte sich daran empor.

Eines Tages stand er hoch droben auf der Felsenkante. Unter ihm lag im Mittagsglanz der grünumsäumte Moorsee mit den verfallenen Pfahlhütten und eine Stufe tiefer der breite Klammbachsee, durch den die Bachströmung einen glitzernden Streifen zog. Rechts, am Fuß der Grableiten, war der flache Hügel, unter dem die Ahnl im Schatten dreier kümmerlicher Kastanien ruhte, die im Laufe der Jahre aus dem ersten Fruchtopfer Evas emporgewachsen waren, ohne jemals reife Früchte zu tragen. Und jenseits des Sonnsteins gähnten hinter der dunklen Urwaldmasse die alten Wohnhöhlen und das Felsentor, aus dem der Klammbach kam. Darüber glänzte die kalte Wüste eisbedeckter Bergriesen. Dort war die Welt nicht, aus der das Korn gekommen war. Zur Linken säumte Laubwald die Südwände, hinter denen in breiter Ferne Hochgipfel ragten. Unter den grell beleuchteten Südwänden grüßte aus dem saftigen Grün der Sonnleiten das Steinhaus mit seinen Nebengebäuden herüber. Blauer Holzrauch stieg aus seinem Kamin. Wie klein nahm sich alles aus! Und vor dem Haus prangte der Garten, wogten die Getreidefelder.

Wieder mußte Hans an die Tauben denken, die aus der Welt dort draußen die Körner gebracht hatten. Jenseits der Klammwände mußte sie liegen, diese ersehnte Welt, in der das Gute und Wunderbare neben dem Schrecklichen daheim war. Und er konnte nicht hinüber – noch nicht! Hinter grünen Hochflächen türmten sich Felsenschroffen, die Fuß und Auge hemmten. Dort hausten Adler, die er im Blau kreisen sah, und von dorther kam wohl das braune, flüchtige Wild, das er manchmal in der Morgenfrühe aus der Ferne erspäht hatte, wenn es an schmalen Rasenbändern im Gefels äste. Steinböcke waren es nicht, er glaubte auf den Stirnen der Tiere kurze, schwarze, hakenförmig gebogene Hörner erkannt zu haben. Daheim, über dem Lager des Vaters, hing ein solches Gehörn, »Gamskrickel« nannte es der Vater. Und daß er nur einmal im Steinschlag derlei erbeutet hatte, erklärte er damit, daß die schwächeren Gemsen die Felsengebiete mieden, wo es Steinwild gab.

Einmal brachte Hans von seiner Höhenwanderung sein Milchgefäß noch halbvoll heim, und als er es entleerte, fanden sich gelbe, haselnußgroße Fettklümpchen, die Eva als Butter erkannte; aber wie die Ahnl sie bereitet hatte, wußte sie nicht mehr. Hans jedoch genügte es, zu wissen, daß die Butter sich durch die Erschütterungen beim Gehen aus der Milch geschieden hatte. Gern ging er wieder an die lange vernachlässigte Schnitzbank, begnügte sich aber nicht damit, der Mutter ein Gefäß zu bauen, in dem sie die Milch stoßen konnte. Diese Arbeit sollte das Wasser besorgen. Er verlängerte die Welle eines Wasserrades durch eine Achse, die er mit einem Speichenrad aus flachen Brettchen versah. Darunter stellte er einen kleinen, halbrunden Holztrog mit dem abgeschöpften fetten Rahm, in den die Speichen beim Drehen hineinschlagen mußten. Damit die Milch nicht verspritzt wurde, stülpte er eine Schüssel über den Milchtrog. Das Rad drehte sich, und seine Speichen besorgten das Butterschlagen.

Vom Butterbrot kam Eva auf etwas anderes: Quark mit Butter, gehacktem Salbei und Sauerampfer vermischt, gab würzigen Kräuterkäse, ein gesundes Essen!

*

Eines Tages beobachtete Hans einen Adler, der auf der Hochfläche über den Klammwänden ein Murmeltier schlug und mit der Beute in den Fängen der höchsten Kante einer steilen Felswand zustrebte. Dort lag zwischen dem schräg niederhängenden Geäst einer alten Legföhre am Rande des Abgrundes der struppige Adlerhorst, für Hans unzugänglich. Der Gedanke, den Adler zu erlegen und mit dessen Schwingen das Fliegen zu erlernen, ließ ihn geduldig warten, bis der Raubvogel wieder abstrich. Aber der aufs äußerste gespannte Bogen brachte den Pfeil kaum zur halben Höhe der Wand, und unerreichbar hoch zog der Adler seine Kreise, nach neuer Beute äugend. Auf dem Heimweg schnitt sich Hans aus dem Eibenbaum einen starken Ast, der einen neuen federnden Bogen abgeben sollte. Doch was nützte der stärkere Bogen, wenn er ihn mit der Linken halten mußte und nur die Rechte zum Spannen der Saite frei hatte? So vermochte er ihn nicht stark genug zu biegen. Da bot sich ein sanft gekrümmter, am Ende gegabelter Eichenprügel an, ihm den Bogen zu halten, daß er die Saite mit beiden Händen spannen konnte. Der Bogen gab nach, und die straff gespannte Saite fand Widerstand an einem abstehenden Zweigstummel des Prügels. Jetzt legte Hans seinen längsten Pfeil links vom Eichenstab auf die Saite, zielte auf den Wipfel eines entfernten Baumes und wollte die Saite über den Widerstand heben. Der Zweigstummel aber gab dem Zug zu früh nach, er krümmte sich nach vorn, die Saite schnellte den Pfeil ab, der flog am Ziel vorbei und blieb hoch jenseits des Ziels im Stamm einer Legföhre an der Südwand stecken. Noch niemals war es Hans gelungen, einen Pfeil so hoch emporzuschießen. Er war mit dem vorläufigen Erfolg zufrieden.

Aber wie die Saite im richtigen Augenblick aus dem Widerstand bringen? Wochen vergingen, bis Hans darauf kam, diesen Widerstand beweglich zu machen. Und nichts lag näher, als den Hebel seiner Schnitzbank verkleinert am Bogenschaft anzubringen. Er stemmte einen Durchlaß in den Schießprügel und durchbohrte die so entstandenen Backenteile des Schaftes, um einen harteisernen Nagel als Achse quer durchstecken zu können. Dann schnitzte er aus gut getrocknetem Eisbeerholz den fast fingerlangen Widerstand. Dieser bekam oben einen Kopf, dessen Kinn die gespannte Saite zu halten hatte. Unten endete er in einem Zünglein. Der stärkere Mittelteil des Widerstandes wurde durchlocht, hier mußte die in den Backen sitzende Achse durchgehen. Den unförmigen Eichenprügel, dessen dickes Ende sich beim Abdrücken als Kolben gegen die Schulter stemmen ließ, entrindete Hans, spannte ihn in die Schnitzbank, glättete ihn mit dem Schnitzmesser, machte den Kolben flach, höhlte oben vom Durchlaß des Widerstandes bis zum gegabelten Ende mit dem Hohlmeißel eine Führungsrinne für den Pfeil aus, nahm den oberen, im Wege stehenden Zweigstummel der Gabelung weg, beließ aber den unteren, damit der Bogen im Zweigwinkel einen Halt hatte. Und weil beim Ziehen am Zünglein die gespannte Bogensaite mit einem hörbaren »Schnapp« über den im Durchlaß untertauchenden Kopf des Widerstandes hinüberhüpfte, nannte Hans sein neues Schießgerät »Schnäpper«. Seinen Eltern zeigte er es erst, als er den Kolben auf der einen Seite mit dem Sonnenbild, auf der anderen mit einem schwebenden Adler geziert hatte und mit dem Schnäpper gut umgehen konnte.

Bewundernd drehte der Vater Hansens neuestes Werk in den Händen. Eine Erinnerung dämmerte in ihm auf. Lächelnd sagte er: »Hans, wenn du alt genug wirst, erfindest du noch alles, was sie draußen haben in der großen Welt.«

Tags darauf kletterte Hans mit seinem Schnäpper zur Klammhöhe empor, und abends brachte er den Adler heim, samt einem weißen, krauswolligen Lamm, das der Räuber wohl draußen jenseits der Klammwände gegriffen hatte. Wieder etwas Wunderbares aus der großen Welt!

Jetzt hatte Hans keine Ruhe mehr; er mußte hinüber. Er brachte an den Adlerflügeln Riemen an, mit denen er sie an seinen Armen befestigte. Dann versuchte er, von der Höhe des Sonnsteins niederzufliegen zur Sandbank. Aber so kräftig er die Luft mit den Fittichen schlug, er sauste unaufhaltsam abwärts, kaum daß die Schwingen die Wucht seines Falles abzuschwächen vermochten. Bis zu den Knöcheln sank er im feuchten Sand ein, schlug sich Knie und Kinn blutig und fiel plump vornüber. Immer wieder versuchte er den Adlerflug nachzuahmen, und es dauerte eine Weile, bis ihm die Erkenntnis dämmerte, daß für seinen schweren Körper andere Fittiche nötig gewesen wären als die des Adlers.

Aber ganz gab er sein Vorhaben nicht auf.

War ihm so vieles gelungen, so sollte ihm das Fliegen auch noch gelingen, vielleicht anders, als er jetzt meinte! Vorerst aber fügte er sich darein, daß ihm in die Welt hinaus kein anderer Weg blieb als der durch die Klamm. Er hatte die Vorstellung, daß die Schlucht vom Abfluß des Seewassers erfüllt sei, dessen ununterbrochenes Rauschen durch den Grund hallte. Wenn er einmal imstande sein sollte, wie eine Forelle durch die reißende Ache seinen Weg zu nehmen, dann mußte er wohl erst das Schwimmen erlernen. Wie beneidete er die Wasserratten und Spitzmäuse im Bereich des Moorsees, die im Schwimmen und Tauchen gleich geschickt waren! Bei näherem Zusehen entdeckte er, daß sie nichts anderes taten, als ihre Beine wie im raschen Lauf zu bewegen. Das versuchte auch er in der seichten Triftbucht.

Da das Wasser nicht tief war, fanden die Füße immer wieder den Boden. Immerhin brachte er seine Beine dazu, das Wasser zu schlagen; leider geriet er dabei mit dem Kopf darunter und schluckte viel Nasses. Da mußte das Schlagen mit den Armen die Brust wieder heben. Das erste Mal ging Hans nicht eher aus dem Bad, als bis er, wenn prustend und keuchend, sich auf dem Wasser halten konnte.

Von da an setzte er seine Übungen täglich fort, an heißen Tagen ging er sogar zweimal zum Schwimmen, und bald fühlte er sich im Wasser so sicher, daß er sich nicht mehr an das Vorbild der vierfüßigen Schwimmer zu halten brauchte. Mit den Armen ausgreifend, wagte er sich in die Tiefen des Moorsees, wo er tauchte, wie die Wildenten zu tauchen pflegen. Zur großen Verwunderung seines Vaters brachte er aus dem Schlamm unter dem verfallenen Pfahlbau die ersten gebrannten Lehmscherben herauf und die Hälften eines Steinbeils mit einem Zapfen im Bohrloch. Als Altertümer bekamen sie in seiner Sammlung einen Ehrenplatz.

Hans wurde wieder in sich gekehrt und schweigsam. Er nahm sich, wie gewohnt, der Hausarbeit an; es gelang ihm jedoch nicht, die Mutter darüber zu täuschen, daß er an ungestillten Sehnsüchten litt.

Auch Eva, die um seine Zukunft bangte, wurde wortkarg, so daß ihrem Mann der Aufenthalt im Heim verleidet war. Er hatte gehofft, der sonnige Laubengang werde sie froh machen. Enttäuscht mied er ihren Anblick und hielt sich meist in der Triftbucht auf, wo er mehr zum Spaß als aus Notwendigkeit Fische fing. Ab und zu arbeitete er an einem neuen Floß. Er fügte starke, vierkantig behauene Fichtenbohlen dicht aneinander und verkrallte sie mit eisernen Klammern. Schließlich umrandete er den platten Floßboden mit einer kniehohen Brüstung und verstopfte alle Fugen mit Moos und zerlassenem Harz. Da er das plumpe Fahrzeug trotz untergelegter Walzen nicht allein ins Wasser schieben konnte, rief er Hans zu Hilfe, gab ihm aber gleich zu verstehen, daß diese »Plätten« sein Fahrzeug sei. Hans begriff nicht, weshalb der Vater das so betonte, sagte aber nichts. Er hatte keine Ahnung, daß Peter allein sein und unbeobachtet Met trinken wollte, und verzog sich verdrossen in den nahen Eichenbestand, er wollte den Vater und dessen Plätte vom Waldrand aus beobachten. Die erste Fahrt durch die kaum merkliche Kreisströmung des Buchtwassers ging nicht glatt vonstatten. Mit Axt und Säge mußte Peter, bis zu den Hüften im Wasser watend, das Fahrwasser von Hindernissen säubern. Kaum aber war er im tiefen Wasser über dem Klammbachbett, als die starke Strömung seine Plätte mitriß und der Klamm zutrieb. Nur der drehenden Bewegung seines Fahrzeuges hatte er es zu verdanken, daß er jenseits der Bachtiefe in die Gegenströmung geriet; sie brachte ihn oberhalb des Ahnlgrabes so nahe ans Ufer, daß er sich am Gebüsch bis in die Höhe des Sonnsteins hangeln konnte, wo die Plätte scharrend den Bodenschotter berührte.

Seine Absicht, bei der Rückfahrt schräg die Bachströmung unterhalb des Sonnsteins zu schneiden, erreichte er, indem er vom Hinterende des Fahrzeugs aus das breite Ruder der drehenden Wirkung des Wassers entgegenstemmte. Glücklich im ruhigen Fahrwasser der Triftbucht angelangt, stieß er einen langgedehnten Juchzer aus, der in Hans den Wunsch nach einem eigenen Fahrzeug erweckte. Die plumpe Plätte glich aber so wenig einem schlank gebauten, beweglichen Fisch, daß Hans beschloß, bei seinem Boot, das klein und leicht werden sollte, den Körperbau der Fische nachzuahmen. Vielleicht gelang es ihm dann, damit durch die Klamm-Ache in die große Welt hinauszukommen!

Die nächsten Tage verbrachte Peter mit Frau und Sohn. Heiter wie schon lange nicht mehr, ließ er sich von ihnen bei der Herstellung eines viereckigen Tauchnetzes helfen, das, an den gegenüberliegenden Ecken durch kreuzweise festgebundene Stäbe gespannt, an einer langen Stange von der Plätte aus ins Wasser gesenkt und mit der Beute hochgezogen werden sollte. Er selbst flocht aus starken Weidenruten einen Fischhalter, einen Korb von Mannslänge und halber Armlänge mit gut aufliegendem Deckel. In diesem Korb wollte er immer einen lebenden Fischvorrat im Wasser versenkt bereit haben.

Als es ihm gelungen war, zwei Äschen und eine Forelle zu fangen, fuhr er damit fort, bis der Fischhalter reichlich besetzt war. Die Tiere lagen, nachdem ihre ersten stürmischen Fluchtversuche vergeblich geblieben waren, stumpf ergeben auf dem Boden des Kastens. Schon in der nächsten Nacht stellte sich ein Fischotter als nächtlicher Dieb am Fischhalter ein. Peter war außer sich. Nach langem Lauern gelang es ihm in einer mondhellen Nacht, den Dieb durch einen Pfeilschuß zu töten. Zum Schutz seiner Beute ersann er einen Verschlußriegel, den er auf der Innenseite des Deckels in Ösen laufen und von außen mit einem Haken schieben konnte. Der Riegel des einfachen Schlosses gehorchte nur dem Schlüssel, der eine bestimmte Hakenlänge hatte. Vorsichtshalber machte sich Peter noch einen Ersatzschlüssel.

Nun kamen bei den Sonnleitnerleuten häufiger frische Fische auf den Tisch, in Salzwasser mit Kräutern und Wurzeln gesotten und mit zerlassener Butter übergössen oder am Spieß gebraten. Hunde und Katzen erbettelten sich ihren Anteil an den Mahlzeiten. Die Leidenschaft, mit der sich der Hausvater dem Fang widmete, schaffte einen überreichen Vorrat an Räucherfischen für den Winter. Diese neue Fangart mit ihren Geduldsproben, Erfolgen und Mißerfolgen machte Peter so viel Spaß, daß er ganze Tage auf der Plätte verbrachte.

Eva, die recht empfindlich geworden war, kränkte sich über diese neue »Vernachlässigung«, erreichte aber mit ihren Vorwürfen nur, daß der Mann sich in seinem Fahrzeug häuslich einrichtete, um bei jedem Wetter, auch nachts, draußen sein zu können. Er baute auf einen Teil des Floßes eine Hütte und setzte ihr ein schilfgedecktes, weit vorspringendes Giebeldach auf. Innen schichtete er ein weiches Mooslager auf und pflasterte die Feuerstelle mit Steinen und Lehm. An das Kopfende des Lagers stellte er eine Truhe für sein Geschirr, seine Werkzeuge und Nahrungsmittel; dort verwahrte er auch seine Met-Töpfe. Die plumpe Truhe verschloß er mit einem starken Eisenriegel, dessen Hakenschlüssel er mit Öhr und Schnur versah.

Als die fahrbare Hütte, deren Seiten sich mit Fellen verhängen ließen, fertig war, blieb Peter Tage und Nächte hintereinander draußen auf dem See. Dann wieder streifte er mit Bogen und Lockspeise die Umgebung des Moores ab, um Abwechslung in seine Kost zu bringen und Köder für die Fische zu gewinnen. Nebenbei sammelte er Dinge, die im Haushalt auf der Sonnleiten von Nutzen waren. Was er an Schilf hinaufbrachte, war mehr, als zur Ausbesserung des Daches gebraucht wurde. Hans wäre es lieber gewesen, der Vater hätte wie sonst das Heuen besorgt, da er selbst die wieder krank gewordene Mutter nicht allein lassen konnte. Aber nur einmal erinnerte er den Vater an das Heuen; er wagte es nicht wieder. Peter war der Anblick seiner kränkelnden Frau peinlich, er konnte ihr ja nicht helfen. Und Hans war groß und klug genug, die Mutter zu pflegen und daheim jede Arbeit zu tun. Peters Kummer wurde gemildert vom stillen Leben des schilfumrandeten Sees, der sich reich mit Wildenten, Bläßhühnern, Rohrdommeln und Reihern bevölkert hatte. Die Tage verdämmerte er in der Bootshütte.

Eine Plage, die er schon als Pfahlbausiedler sattsam kennengelernt hatte, waren die Stechmücken. Abends und nachts, aber auch an feuchten Tagen suchten sie massenhaft sein Wohnboot auf. Der Rauch des Herdfeuers schützte nicht immer vor diesen Quälgeistern, da der Wind oft den Qualm über den Plattenrand hinausdrückte. Um den Rauch beliebig gegen die Mücken blasen zu können, fertigte Peter ein tönernes Rauchtöpfchen mit einem von unten aufsteigenden Saugrohr an, das er noch durch einen hohlen Holunderstab verlängerte. Er stopfte dürres Laub in das Rauchgefäß, legte Glut auf und begann am Rohr zu saugen.

Das neue Gerät bewährte sich. Peter konnte mit dem Rohr den Rauch heraussaugen und ihn mit vollen Backen gegen die Mücken blasen. Sie mußten weichen. Daß dabei Zunge und Gaumen vom Rauch gebeizt wurden und wehtaten, nahm Peter in Kauf, und dann täuschte das Spiel mit dem Rauch auch über die Langeweile hinweg. Wenn Gaumen und Zunge gar zu sehr brannten, tat ein Schluck Met gut. Der gewohnheitsmäßige Genuß des sanft berauschenden Getränks machte Peters Sinn leicht; der sonst so ernste Mann wurde grundlos heiter und so geschwätzig, daß es Hans und Eva auffiel. Sauer gewordene Überreste seines Mets, die ähnlich rochen wie der von Ahnls Zeiten her bekannte Himbeeressig, brachte Peter zum Würzen von Tunken heim.

Der reiche Honigertrag der Bienenstöcke war für den Mann ein Anlaß, noch mehr Met zu bereiten und noch mehr und häufiger zu trinken. Oft schlug seine anfänglich heitere Stimmung aus geringfügigen Anlässen ins Gegenteil um. Er konnte über Nebensächlichkeiten so wütend werden, daß Mutter und Sohn es als Erleichterung empfanden, wenn er das Haus wieder verließ und auf seine Plätte zog.

Sein Rauchzeug verbesserte er, indem er einen starken Federkiel als Mundstück in das Holunderrohr steckte und dem Buchenlaub dürre Blätter von Erdbeeren, Huflattich, Waldmeister und Birken beimischte; aber er fand kein Kraut, das sich ohne Husten und tränende Augen schmauchen ließ. Trotzdem blieb das Rauchen, anfangs nur ein Abwehrmittel gegen die Mücken, ein angenehmer Zeitvertreib. Zunge und Gaumen wurden unempfindlich gegen den herben Geschmack. Trinkend und rauchend lebte Peter meist in einem Zustand leichter Berauschtheit, in dem er ernsten Gefahren gegenüber hilflos gewesen wäre.

Zum Glück gab es im Heimlichen Grund im Sommer keine Gefahren. Bären waren nicht mehr da, die Wildschweine selten geworden, sie hatten sich in die versumpften Gebiete des Urwalds zurückgezogen. Und die Umgebung der begangenen Pfade war mit Igelfamilien so gut besiedelt, daß sie von Schlangen frei war.

Was lag daran, daß Peter in seinem Wohnboot trank und rauchte? Wie hatte er für Eva gearbeitet, um ihr das Leben zu erleichtern und behaglich zu machen! Und nun war sie für ihn ein zartes »Rühr-mich-nicht-an« geworden. Bei Rauchtöpfchen und Metkrug vergaß er seinen Kummer, war willensschwach, ließ sich treiben und ahnte nicht, wie stumpf er geworden war. Was sein Sohn trieb, kümmerte ihn nicht mehr.

Hans sammelte seit geraumer Zeit allerlei Schlacken im Abraum beim Kalkofen, beim Töpfer- und Eisenschmelzofen und reihte sie in seine Sammlung nebeneinander.

Über die Entstehung dieser Rückstände gab zunächst ein verschlackter Kieselstein Auskunft, der zufällig im Kalkofen mitgebrannt worden war. Seine Oberfläche hatte sich mit einer glatten, weißen, harten und durchsichtigen Schicht überzogen. Sie konnte nur durch Zusammenschmelzen von Kiesel und Kalk entstanden sein. Vom Eisenschmelzofen waren dunkle Schlacken mit Tropfgebilden da; Hans zerschlug sie – sie waren hohl. Er erinnerte sich der Seifenblasen und fand die Erklärung: Der Gebläsehauch war in die glutflüssige Schmelze von Kalk, Kiesel und Eisen eingedrungen und hatte sie gebläht. Beim Abkühlen waren die Löcher in der Eisenschlacke geblieben. Da nahm er sich vor, alle ihm bekannten Bestandteile der Schmelzmasse zu zerreiben, zu mischen, zusammenzuschmelzen und dem flüssigen Brei mit einem langen Blasrohr, dessen unteres Ende aus gebranntem Ton sein sollte, einen großen Tropfen zu entnehmen. Den brauchte er nur aufzublasen, und dann mußte er beim Erkalten eine hohle, vielleicht durchsichtige Kugel werden. Aus diesen Kugeln wollte er, solange sie noch nicht erstarrt waren, Gefäße formen.