Zweites Kapitel.

Macko rüstete sich für die Fahrt. Während zweier Tage ließ sich Jagienka nicht in Bogdaniec sehen, hatte sie doch beständig Beratungen mit dem Böhmen. Erst am dritten Tage, an einem Sonntag, traf der alte Ritter auf dem Wege zur Kirche mit ihr zusammen. Mit ihrem Bruder Jasko und mit einem beträchtlichen Gefolge bewaffneter Knechte begab sie sich nach Krzesnia, denn sie fürchtete, Cztan und Wilk, die wohl wieder gesund sein mochten, könnten vielleicht einen Ueberfall auf sie planen.

»Ich wollte Euch nach der Messe in Bogdaniec aufsuchen,« erklärte Jagienka, Macko begrüßend, »denn ich möchte etwas mit Euch bereden, allein wir können auch jetzt gleich darüber sprechen.«

Nach diesen Worten schickte sie das Gefolge voraus, offenbar damit die Knechte das Gespräch nicht mitanhören sollten, und sich Macko nähernd, fragte sie: »Es ist also gewiß, daß Ihr Euch auf die Fahrt macht?«

»Ja, und zwar schon morgen, nicht später, Gott gebe dies.«

»Und Ihr zieht nach Marienburg?«

»Nach Marienburg oder wohin mich das Geschick führt.«

»So hört nun auch mich. Gar lange schon habe ich überlegt, was mir zu thun obliegt, und jetzt möchte ich von Euch einen Rat haben. Früher freilich, als der Vater noch lebte und der Abt noch bei Kräften war, da lag alles anders. Außerdem hielten sich Cztan und Wilk, so lange sie glaubten, ich würde einen von ihnen wählen, gegenseitig im Zaume. Jetzt aber stehe ich schutzlos da. Wie in einem Gefängnis muß ich innerhalb der Pfähle von Zgorzelic bleiben, wenn ich mich nicht allen möglichen Kränkungen aussetzen will. Sagt selbst, ob das nicht so ist?«

»Traun,« erwiderte Macko, »das alles ist mir auch schon in den Sinn gekommen.«

»Und habt Ihr einen Ausweg gefunden?«

»Nein. Eins mußt Du aber doch bedenken: wir sind in Polen, also in einem Lande, in dem Gewaltthaten gegen ein Mägdlein schwer geahndet werden.«

»Das ist wohl der Fall, allein über die Grenze ist’s nur ein Sprung. Schlesien liegt ja auch im polnischen Gebiete, das weiß ich ganz gut, trotzdem aber greifen sich dort die Fürsten fortwährend an und bekämpfen sich gegenseitig. Mein geliebtes Väterchen lebte noch, wenn dies nicht der Fall wäre. Die Deutschen, die dort eingedrungen sind, stiften gar viel Unruhe, verüben gar viele Unthaten, wer sich daher verbergen will, der schlägt sich einfach zu ihnen. Weder Wilk noch Cztan würden leichtes Spiel mit mir haben, dessen bin ich gewiß, allein es handelt sich dabei auch um meine Brüder. Entferne ich mich von hier, dann wird Ruhe herrschen, bleibe ich indessen in Zgorzelic, weiß Gott allein, was sich noch ereignen mag. Angriffe, Kämpfe werden unausbleiblich sein. Jasko ist schon vierzehn Jahre alt und durch keine Macht der Welt, geschweige denn durch mich, wird er sich zurückhalten lassen. Das letzte Mal, als Ihr uns zu Hilfe eiltet, da war er immer voraus, ja, es hätte nicht viel gefehlt, und Cztan hätte ihn mit der Keule, mit der er auf unsere Leute einschlug, an den Kopf getroffen. Jasko hat den Knechten schon erklärt, er werde jene beiden zum Kampfe auf festgetretener Erde fordern. Nicht einen Tag wird Frieden herrschen, das sage ich Euch. Gar Schlimmes kann daher den Bürschlein begegnen.«

»Bei meiner Treu, Cztan und Wilk sind freilich Hundskerle,« rief Macko eifrig, »allein gegen Kinder werden sie ihre Hände nicht erheben.«

»Gegen Kinder werden sie ihre Hände freilich nicht erheben, doch im Getümmel, bei einer Feuersbrunst, die Gott verhüten möge, können sich allerlei Zufälle ereignen. Doch wozu lange darüber reden? Die alte Cieciechowa liebt meine Brüder wie ihre eigenen Kinder, in ihrer Obhut wird es ihnen an nichts gebrechen, und ohne mich sind sie weit sicherer als in meiner Anwesenheit.«

»Das kann wohl sein!« bemerkte Macko, dann schaute er Jagienka prüfend an und fragte: »Was ist Dein Begehr?«

Da antwortete diese leise: »Nehmt mich mit Euch!«

Obwohl Macko dies vorausgesehen, that er doch sehr verwundert, hielt sein Pferd an und rief: »Da sei Gott vor, Jagienka.«

Die Maid aber senkte das Haupt und erwiderte mutlos, ja traurig: »Wie Ihr nur seid! Was mich betrifft, ich sage stets alles aufrichtig, ich verschweige nichts! Ihr beide, Ihr sowohl wie Hlawa, habt gesagt, Zbyszko werde jene andere niemals wiederfinden, ja, Hlawa sieht noch weit Schlimmeres voraus. Gott ist nun mein Zeuge, daß ich ihr nichts Böses wünsche, nein, die Mutter Gottes möge der Bedauernswerten beistehen und sie beschützen, denn wenn sie auch dem Herzen Zbyszkos weit näher steht als ich, so ist dies eben mein Los, an dem sich nichts mehr ändern läßt. Aber, seht Ihr, bevor Zbyszko sie gefunden hat, oder ehe es sicher ist, daß er sie niemals finden wird, wie Ihr annehmt, so – so –«

»So – was?« fragte Macko, als er bemerkte, daß Jagienka immer verlegener und verwirrter wurde.

»So werde ich weder das Weib von Cztan, noch von Wilk, noch von irgend einem anderen.«

Macko atmete befriedigt auf, dann warf er ein: »Ich dachte nie anders, als daß Du schon gewählt habest!«

»Hei!« ließ sie sich noch trauriger als zuvor vernehmen.

»Doch nun, was willst Du eigentlich? Kann ich Dich vielleicht zu den Kreuzrittern mitnehmen?«

»Zu den Kreuzrittern gerade nicht. Am liebsten möchte ich jetzt zu dem Abte gehen, der in Sieradz krank darnieder liegt. Er hat sicherlich keine einzige liebende Seele um sich, denn die Spielleute trinken gewiß mehr als ihnen gut ist. Er aber ist doch mein Taufpate, mein Wohlthäter. Wenn er nur gesund wäre, dann würde ich ihn um seinen Schutz bitten, wird er doch von allen Leuten gefürchtet.«

»Dagegen habe ich nichts einzuwenden,« erklärte Macko, der im Grunde genommen über den Entschluß Jagienkas sehr erfreut war, kannte er doch die Kreuzritter genugsam, um sich der festen Ueberzeugung hinzugeben, Danusia werde nicht lebend aus deren Händen entkommen.

»Ich möchte nur noch eins betonen,« fügte er schließlich hinzu, »man hat seine liebe Not mit einem Mägdlein auf der Fahrt.«

»Das mag bei jeder andern zutreffen, aber nicht bei mir. Wohl habe ich bis jetzt noch nicht gekämpft, allein es ist nichts Neues für mich, den Bogen zu spannen oder die Beschwerden der Jagd zu ertragen. Fürchtet nichts, was nötig ist, das wird geschehen. Ich werde Jaskos Kleider anlegen, meine Haare in ein Netz thun und mich mit einem Schwerte gegürtet, auf den Weg machen. Jasko ist zwar jünger, aber gerade so groß als ich, und wir gleichen uns so sehr, daß mein verstorbenes Väterchen uns nicht zu unterscheiden vermochte, als wir uns zu Fastnacht verkleideten. Weder der Abt noch irgend ein anderer wird mich daher erkennen, das müßt Ihr doch einsehen.«

»Wie ist es aber dann mit Zbyszko?«

»Wenn ich mit ihm zusammentreffe –«

Macko schaute einen Augenblick nachdenklich vor sich hin, dann lachte er plötzlich laut auf und sagte: »Aber Wilk aus Brzozowa und Cztan aus Rogow, die werden schön wild werden!«

»Mögen sie so wütend werden wie sie wollen! Schlimmer wäre es, wenn sie uns folgen würden.«

»Ei, ich fürchte mich nicht. Wohl bin ich alt, aber es wäre besser für sie, nicht unter meine Fäuste zu kommen, deren Kraft meinem Geschlechte nur Ehre macht. Zbyszko hat ihnen schon eine Probe davon gegeben.«

So sprechend gelangten sie nach Krzesnia. In der Kirche trafen sie mit dem alten Wilk aus Brzozowa zusammen, der von Zeit zu Zeit Macko grimmige Blicke zuwarf. Letzterer beachtete dies jedoch nicht weiter, sondern machte sich nach der Messe leichten Herzens mit Jagienka auf den Heimweg. Kaum hatte er sich indessen von dem Mägdlein an dem Kreuzwege getrennt, kaum befand er sich allein in Bogdaniec, so kamen ihm weniger erfreuliche Gedanken in den Sinn. Daß weder Zgorzelic, noch die Angehörigen Jagienkas während deren Abwesenheit bedroht werden würden, dessen war er gewiß. »Sie suchen das Mägdlein zu gewinnen,« sagte er sich, »das ist aber etwas ganz anderes. Gegen Waisen und deren Eigentum wird weder Wilk noch Cztan einen Finger rühren, denn damit würden sich beide mit schimpflicher Unehre bedecken und jeder Lebende würde sie gleich wirklichen Wölfen bekämpfen. Bogdaniec jedoch bleibt der Gnade Gottes anheimgegeben. Man wird die Gräben zuschütten, das Vieh forttreiben, die Bauern hinweglocken! Gott allein weiß, ob ich nach meiner Rückkehr alles wieder in stand zu setzen vermag. Vielleicht muß ich meine Zuflucht zum Gericht nehmen, nicht nur die Faust, sondern auch das Gesetz regiert bei uns. Ob ich indessen zurückkehre? Und wann werde ich zurückkehren? Gegen mich sind sie von Haß erfüllt, bin ich doch zwischen sie und Jagienka getreten. Wie grimmig wird aber ihr Haß erst entflammen, wenn die Maid mit mir zieht!«

Schwere Sorgen drückten den alten Ritter darnieder. In trefflichster Weise hatte er Bogdaniec wieder bewirtschaftet, allein er zweifelte keinen Augenblick daran, daß nun seine Mühen umsonst gewesen, daß er nach seiner Rückkehr den Herrenhof verwüstet, verödet vorfinden werde.

»Traun,« dachte Macko bei sich, »dagegen muß sich doch ein Mittel finden lassen!«

Nach dem Mittagsmahle befahl er, sein Pferd zu satteln. Unverweilt stieg er auf und ritt geradewegs nach Brzozowa. Mit einbrechender Dämmerung langte er dort an. Der alte Wilk saß in einer nach vorn gelegenen Stube bei einem Kruge Met, der junge Wilk hingegen, dem Cztan übel mitgespielt hatte, lag auf einer mit Fellen bedeckten Bank und trank auch. Unbemerkt trat Macko ein. Ganz nahe der Schwelle blieb er stehen, hoch aufgerichtet, mit ernstem, fast finsterem Gesichte, aber ohne eine Waffe in den Händen; nur ein mächtiges Schwert trug er an der Seite. Da der helle Schein des Feuers die hagere Erscheinung grell beleuchtete, erkannten ihn Vater und Sohn sofort, sprangen wie der Blitz auf ihre Füße, rannten an die Wand und griffen zu der ersten besten Wehr, deren sie habhaft werden konnten.

Der alte erfahrene Macko aber kannte seine Leute durch und durch. So war er denn auch nicht im geringsten beunruhigt, ja, er griff nicht einmal nach seinem Schwert, sondern fragte, die Hände in die Seite stemmend, in festem, etwas spöttischem Tone: »Was soll dies heißen? Ist das die berühmte Gastfreundschaft in Brzozowa?«

Auf diese Worte hin ließen die also Angeredeten sofort die Hände sinken, so daß gleich darauf das Schwert des Alten, die Lanze des Jungen klirrend zu Boden fielen. Beide schauten mit vorgestrecktem Halse und noch immer Böses prophezeihendem Blicke auf Macko, bald aber spiegelte sich Staunen und Scham aus ihren Gesichtern.

Mackos Lippen jedoch umspielte ein Lächeln, als er sagte: »Gelobt sei Jesus Christus!«

»Von Ewigkeit zu Ewigkeit!« antwortete Wilk und dessen Sohn.

»Und der heilige Georg!«

»Dem wir dienen!«

»Gern bin ich zu den Nachbarn gekommen.«

»Gern begrüßen wir Euch! Heilig ist uns der Gast!«

Nach diesen Worten eilte der alte Wilk, gefolgt von seinem Sohne, auf Macko zu. Beide schüttelten ihm kräftig die Hand und geleiteten ihn hierauf zum Ehrensitze am Tische. Schon nach wenigen Minuten waren Holzscheite im Kamine aufgeschichtet, der Tisch ward mit einer Matte belegt; Schüsseln mit allerlei Gerichten, sowie Schläuche mit Bier und Krüge mit Met wurden aufgetragen, und die drei begannen zu essen und zu trinken. Zeitweise warf der junge Wilk dem Gaste eigentümliche Blicke zu, die deutlich bewiesen, wie in ihm die widerstreitendsten Gefühle – Ehrfurcht und Haß – miteinander kämpften. Dabei bediente er aber jenen so geschäftig, daß er vor Anstrengung erbleichte, war er doch verwundet und dadurch seiner gewöhnlichen Kraft beraubt. Sowohl Vater wie Sohn brannten vor Neugierde zu erfahren, weshalb Macko sich bei ihnen eingestellt hatte, trotzdem hütete sich aber ein jeder, irgend etwas zu fragen, sondern harrte geduldig des Augenblickes, in dem Macko selbst davon zu sprechen beginnen werde.

Letzterer jedoch pries indessen, als ein Mann von guter Gesittung, zuvörderst die Gastfreundschaft, Speise und Trank, und erst, nachdem er sich sattsam gestärkt hatte, hub er mit würdevoller Stimme also an: »Nur zu häufig, traun, herrscht Streit, herrscht Kampf zwischen den Menschen, und doch sollte unter Nachbarn stets Frieden sein.«

»Es giebt kein köstlicheres Gut, als Frieden!« entgegnete Wilk mit gleicher Würde.

»Es ereignet sich auch gar zu oft,« fuhr Macko fort, »daß ein Mann, der mit irgend einem Menschen in Unfrieden gelebt hat und sich plötzlich auf eine lange Reise vorbereiten muß, nur sehr ungern von jenem Menschen scheidet und sich nicht auf die Fahrt machen will, ohne ihm Lebewohl gesagt zu haben.«

»Der Herr lohne Euch die Freundschaftsworte.«

»Ich brauche nicht nur Worte, sondern ich bethätige sie auch, kam ich doch hierher.«

»Von ganzer Seele freuen wir uns darob. Wenn Ihr nur täglich bei uns vorsprechen würdet.«

»Wollte Gott, ich könnte Euch in Bogdaniec die Ehre erweisen, welche denen gebührt, die auf ritterliche Sitte halten, allein ich muß ungesäumt von dannen ziehen.«

»In den Krieg oder an irgend einen heiligen Ort?«

»Eines oder das andere wäre mir weit gemäßer, denn, schlimm genug, zu den Kreuzrittern mache ich mich auf die Fahrt.«

»Zu den Kreuzrittern?« riefen Vater und Sohn fast in einem Atem.

»Ja,« antwortete Macko. »Wer aber zu ihnen zieht, ohne mit ihnen in Freundschaft verbunden zu sein, der thut gut daran, mit Gott und den Menschen Frieden zu schließen, sonst würde er vielleicht mit dem Leben auch die ewige Seligkeit verlieren.«

»Es ist gar seltsam,« meinte der alte Wilk, »allein bis jetzt ist mir noch kein Mensch zu Gesicht gekommen, der unter ihnen geweilt hätte, ohne Bedrückung erdulden zu müssen.«

»Und steht es nicht ebenso mit unserm ganzen Königreiche!« fügte Macko hinzu. »Weder durch die Litauer, bevor sie die heilige Taufe empfangen haben, noch durch die Tataren ist es jemals schlimmer bedrückt worden, als durch jene Weißmäntel.«

»Das ist die reine Wahrheit, aber wißt Ihr was: wohl haben sie nicht gerastet und nicht geruht, bis sie alles in ihrer Gewalt hatten, jetzt aber kommt die Zeit der Vergeltung.«

Leichthin spie der alte Wilk nach diesen Worten in die Hände, während sein Sohn hinzufügte: »Es kann gar nicht anders sein.«

»So wird es kommen, das ist gewiß. Aber wann? Nicht von uns hängt dies ab, sondern von dem König. Vielleicht kommt alles früher, als wir denken – vielleicht aber auch viel später – Gott allem weiß es. Inzwischen muß ich mich zu den Kreuzrittern begeben.«

»Wohl mit dem Lösegeld für Zbyszko?«

Als der junge Wilk den Namen Zbyszkos von seinem Vater nennen hörte, ward er bleich vor Haß und Ingrimm.

Macko jedoch entgegnete ruhig: »Vielleicht nehme ich Lösegeld mit mir, allein es wird nicht für Zbyszko sein.«

Diese Worte erregten die Neugierde von Vater und Sohn so sehr, daß schließlich der alte Wilk, der sich nicht länger im Zaume zu halten vermochte, bemerkte: »Es steht Euch ja frei, mir zu antworten oder nicht. Weshalb zieht Ihr dahin?«

»Ihr sollt gleich alles erfahren, Ihr sollt gleich alles erfahren,« erklärte Macko mit dem Kopfe nickend, »doch zuvor muß ich von etwas anderm reden. Seht Ihr, wenn ich von dannen ziehe, bleibt Bogdaniec dem Schutze Gottes überlassen. Früherhin, als ich zusammen mit Zbyszko unter Fürst Witold in den Krieg zog, da hatte nicht nur der Abt ein wachsames Auge auf unser Besitztum, sondern auch Zych aus Zgorzelic. Jetzt aber kann weder der eine noch der andere dafür sorgen. Gar peinlich ist es für jeden Menschen, denken zu müssen, daß er sich umsonst abgemüht und abgearbeitet hat. Doch Ihr wißt ja selbst, wie dies zu gehen pflegt. Man wird mir meine Bauern abspenstig machen, die Grenze verrücken. Ein jeder wird von meinem Vieh so viel stehlen, als er nur vermag, und so der Herr Jesus mich ungefährdet zurückkehren läßt, werde ich eine Wüstenei antreffen. Ich komme daher zu Euch, als zu meinen Nachbarn, mit der Bitte, Bogdaniec Euern Schutz angedeihen zu lassen und nicht zu gestatten, daß ich von irgend jemand beraubt werde.«

Als der alte Wilk diese Bitte vernahm, blickte er auf den jungen Wilk, und der junge Wilk blickte auf den alten Wilk, und beide verwunderten sich über die Maßen. Ein kurzes Schweigen trat ein, denn keiner von ihnen fand sogleich eine Antwort. Macko führte indessen die Trinkschale mit Met an die Lippen, trank sie aus und fuhr dann so behaglich und vertraulich fort, als ob er mit seinen besten Freunden spräche: »Ich will Euch nun aufrichtig sagen, wer mir sicherlich am meisten schaden wird. Kein anderer wie Cztan aus Rogow. Vor Euch hätte ich keine Furcht, selbst wenn wir uns in Unfrieden trennen würden, denn Ihr seid ritterlich gesinnte Männer, die jedem Feind kühn ins Antlitz schauen, niemals aber hinter dessen Rücken schamlose Rache üben. Hei! mit Euch ist das etwas ganz anderes. Ein Ritter ist eben ein Ritter! Cztan jedoch ist ein einfältiger Tropf; von einem einfältigen Tropf aber kann ich um so weniger Gutes erwarten, als er mir, wie Ihr wißt, sehr aufsässig ist, weil ich störend zwischen ihn und Jagienka, die Tochter von Zych, getreten bin.«

»Die Ihr Eurem Bruderssohn geben wollt!« brach nun der junge Wilk los.

Macko warf dem Sprechenden einen scharfen, kalten Blick zu, dann wandte er sich wieder zu dem alten Wilk, indem er ruhig erklärte: »Wißt, mein Bruderssohn hat sich mit einer jungen Erbin aus Masovien vermählt, die ihm einen beträchtlichen Brautschatz mitgebracht hat.«

Ein noch tieferes Schweigen als zuvor trat nun ein. Eine ganze Weile starrten Vater und Sohn offenen Mundes auf Macko, bis sich endlich der alte Wilk also vernehmen ließ: »Hei, was soll dies sein? Es geht ja die Rede … Nun, erzählt doch!«

Ohne indessen auf diese Worte zu achten, fuhr Macko weiter fort: »Dies ist auch der Grund, weshalb ich eine Fahrt antreten muß. Ich bitte Euch daher nochmals, haltet von Zeit zu Zeit Umschau in Bogdaniec, verhütet, daß mein Besitztum von irgend jemand geschädigt werde, und schützt mich vor allem als gute, treue Nachbarn gegen Cztans Ueberfälle.«

Für den jungen Wilk, der einen ziemlich scharfen Verstand besaß, unterlag es keinem Zweifel mehr, daß es für ihn, nach der Verheiratung von Zbyszko, von unendlichem Werte war, sich mit Macko gut zu stellen, da Jagienka großes Vertrauen in diesen setzte und in allem dessen Rat befolgte. Vor den Blicken des jungen Heißsporns öffneten sich plötzlich ganz neue Aussichten. »Es genügt jetzt nicht mehr, mich mit Macko zu vertragen,« sagte er sich, »ich muß ihn für mich einzunehmen suchen.« Obwohl er schon etwas angetrunken war, streckte er daher rasch seine Hand unter dem Tische aus, umfaßte seines Vaters Knie und drückte es zum Zeichen, daß dieser nichts Ungehöriges sagen möge.

»Habt nur keine Angst vor Cztan!« wandte er sich hierauf zu Macko. »Oho, er soll es nur einmal versuchen! Er hat mich zwar ein wenig verhauen, das ist wahr, ich habe ihm aber in einer Weise auf seine zottige Schnauze gegeben, daß seine eigene Mutter ihn wohl kaum erkannt haben würde. Befürchtet nichts, macht Euch nur ruhig auf die Fahrt. Keine Hand soll an Bogdaniec rühren.«

»Ihr seid ehrbare Männer, das sehe ich. Schwört Ihr es mir?«

»Wir schwören es!« riefen beide.

»Auf Euer Wappen?«

»Auf unser Wappen, ja, wenn Ihr wollt, auf das Kreuz! So wahr uns Gott helfe!«

Macko lächelte zufrieden vor sich hin, dann hub er von neuem an: »Nun, das und nichts anderes habe ich von Euch erwartet. Und weil das so ist, will ich Euch noch etwas sagen. Zych hat mich, wie Ihr wohl wißt, zum Schützer seiner Kinder bestellt. Deshalb trat ich auch Euch, Dir, jungen Bürschlein und Cztan entgegen, als Ihr gewaltsam in Zgorzelic einzufallen suchtet. Bin ich aber erst in Marienburg oder Gott weiß wo sonst, wird mein Schutz den armen Kindern wenig nützen. Gott hält zwar seine schirmende Hand über alle Waisen, und wer solchen Uebles thut, der hat nicht nur seinen Kopf verwirkt, sondern wird auch ehrlos erklärt. Allein trotzdem fällt es mir schwer zu gehen, furchtbar schwer. Gebt mir daher auch Euer Wort, daß Ihr weder selbst Zychs Waisen behelligen wollt, noch dulden werdet, daß sie von andern Unrecht leiden.«

»Wir schwören, wir schwören!«

»Auf Eure ritterliche Ehre und auf Euer Wappen?«

»Auf unsere ritterliche Ehre und auf unser Wappen!«

»Wie auch auf das Kreuz?«

»Ja, auch auf das Kreuz.«

»Gott ist unser Zeuge, Amen!« fügte Macko schließlich hinzu, indem er erleichtert aufatmete, war er doch nun gewiß, daß die beiden selbst dann ihrem Eid treu bleiben würden, wenn ihnen Zorn und Grimm die Kehle zuzuschnüren drohten. So wollte er sich denn auch sofort verabschieden, allein er ward fast mit Gewalt von Vater und Sohn zurückgehalten. Er mußte mit dem alten Will Brüderschaft trinken, während der junge Wilk, der gewöhnlich Händel suchte, sobald er seiner Sinne nicht mehr ganz mächtig war, sich damit begnügte, entsetzliche Drohungen gegen Cztan auszustoßen. Dabei bemühte er sich aber so eifrig um Mackos Gunst, als ob ihm dieser schon am folgenden Tage Jagienka zuführen werde. Noch ehe Mitternacht anbrach, war er indessen dermaßen erschöpft, daß ihn eine Ohnmacht anwandelte, und nachdem er wieder zu sich gebracht worden war, fiel er in einen bleiernen Schlaf. Der Vater folgte gar bald dem Beispiele des Sohnes, und beide machten den Eindruck von Leblosen, als Macko sie verließ.

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Beide machten den Eindruck von Leblosen, als Macko sie verließ.

Da dieser aber sehr viel ertragen konnte, war er selbst keineswegs betrunken, sondern nur etwas angeheitert. Voll Freude rief er sich daher auf dem Heimwege all das in das Gedächtnis zurück, was er erreicht hatte.

»Traun,« sagte er sich, »Bogdaniec ist nun ebensowenig gefährdet wie Zgorzelic. Wohl werden jene wüten, wenn sie hören, daß Jagienka fort ist, allein deren Eigentum ist jetzt ebenso sicher vor ihnen wie das meine. Dazu haben sie sich verpflichtet. Von dem Herrn Jesus ist dem Menschen Verstand verliehen worden. Wo man daher mit den Fäusten nichts auszurichten vermag, da muß man die Klugheit walten lassen. Wenn ich zurückkehre, wird mich der Alte zum Kampfe fordern, doch was liegt daran! Gott gebe nur, daß ich auch bei den Kreuzrittern meinen Zweck erreichen werde. Vielleicht steht mir aber die heilige Mutter Gottes bei, und ich kann für Zbyszko ebenso günstig wirken, wie ich dies für die Kinder Zychs und für Bogdaniec gethan habe.«

Plötzlich schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, das Mägdlein müsse ja gar nicht von dannen ziehen, der alte und der junge Wilk würden es sicherlich wie den eigenen Augapfel behüten, gleich darauf verwarf er aber wieder diese Idee. »Wohl werden jene über die Maid wachen, Cztan wird aber trotzdem nicht von seinen Ueberfällen abstehen,« sagte er sich von neuem. »Gott allein weiß, wer dann den Sieg davon tragen würde, sicherlich käme es zu fortwährenden Angriffen und Kämpfen, unter denen Zychs Söhne, Zgorzelic, ja sogar das Mägdlein zu leiden hätten. Weit leichter läßt sich Bogdaniec beschützen; für Jagienka ist es indessen jedenfalls ratsamer, fern von den beiden Raufbolden und in der Nähe des reichen Abtes zu sein.«

Da Macko schon lange nicht mehr glaubte, Danusia könne lebend aus den Händen der Kreuzritter entkommen, nährte er stets die Hoffnung in sich, Zbyszko werde, wenn er verwitwet zurückkehre, dies als eine Fügung Gottes betrachten und Jagienka heimführen.

»Hei, allmächtiger Gott und Herr!« dachte er bei sich, »wenn Zbyszko, der doch nun im Besitze von Spychow ist, sich mit Jagienka vermählen würde und dadurch Moczydoly und all das in Besitz bekäme, was ihr der Abt hinterläßt, hei, dann wollte ich es nicht an Wachs für Kerzen fehlen lassen.«

Von solchen Gedanken und Betrachtungen erfüllt, erschien Macko der Heimweg aus Brzozowa weit kürzer als dies in Wirklichkeit der Fall war, denn erst spät in der Nacht langte er an Ort und Stelle an. Voll Verwunderung nahm er daher den hellen Lichtschein wahr, der durch das ölgetränkte Papier der Fenster fiel. Die Bediensteten schliefen noch nicht, und kaum ritt er in Bogdaniec ein, so eilte ihm ein Knecht entgegen.

»Sind Gäste hier?« fragte Macko, vom Pferde steigend.

»Ja, der junge Herr aus Zgorzelic mit dem Böhmen.«

Macko staunte über diesen Besuch. Jagienka hatte versprochen, sich vor Tagesanbruch einzustellen, dann wollten sie sich sofort auf den Weg machen. Weshalb war daher Jasko gekommen und noch dazu zu einer so späten Stunde? Der alte Ritter glaubte nicht anders, als daß sich irgend etwas in Zgorzelic ereignet habe. Voll Angst und Sorge eilte er ins Haus.

In der großen Vorderstube brannten in dem thönernen Kamine, das überall in dem Gehöfte die gewöhnlich in der Mitte der Gelasse befindlichen Feuerherde ersetzte, lustig prasselnd mächtige Scheite aus Tannenholz, während zwei von eisernen Ringen über dem Tische festgehaltene Fackeln noch mehr Licht verbreiteten. Macko erblickte auch sofort Jasko, den Böhmen Hlawa und noch einen jungen Burschen mit Wangen so rot wie ein Apfel.

»Wie steht’s mit Dir, Jasko, und was ist mit Jagienka?« fragte der alte Ritter.

»Jagienka befahl mir, Euch zu sagen,« antwortete der Gefragte, indem er Macko die Hand küßte, »sie habe nach reiflichem Ueberlegen beschlossen, zu Hause zu bleiben.«

»Da sei Gott vor! Und warum denn, weshalb denn? Was ist ihr denn plötzlich in den Sinn gekommen?«

Seine blauen Augen fest auf Macko richtend, brach der junge Bursche mit einem Male in lautes Lachen aus.

»Was soll dieses Gelächter bedeuten?«

Doch das Lachen verstummte nicht, nein, Hlawa und der andere junge Bursche stimmten fröhlich darin ein.

»Was sagt Ihr nun!« rief der vermeintliche Jasko. »Wenn Ihr mich nicht erkennt, wer soll mich denn sonst erkennen?«

Jetzt blickte Macko prüfend auf die anmutende Erscheinung und rief dann sofort:

»Im Namen des Vaters und des Sohnes! Die reinste Fastnacht! Doch weshalb bist Du hier, Du Irrwisch?«

»Traun, weshalb? Wer eine Fahrt unternehmen will, der muß sich zeitig auf den Weg machen.«

»Doch Du solltest ja erst morgen mit Tagesanbruch hierher kommen.«

»Wo denkt Ihr hin! Morgen, bei Tagesanbruch, damit mich ein jeder sehen kann! Morgen werden sie in Zgorzelic denken, daß ich bei Euch zu Gast sei, und erst übermorgen wird man Nachforschungen anstellen. Sieciechowa und Jasko wissen zudem alles, und Jasko hat mir auf seine ritterliche Ehre einen Eid geleistet, daß er nur dann die Wahrheit enthüllen werde, wenn sich meine Leute beunruhigen sollten. Ihr habt mich also wirklich nicht erkannt?«

Nun brach auch Macko in Lachen aus.

»Laß Dich einmal anschauen! Hei, ein ganzer Kerl bist Du, etwas ganz Besonderes! Bei meiner Treu, wenn ich nicht schon so alt wäre – doch ich sage Dir, Mägdlein, nimm Dich in acht, nimm Dich in acht. Wenn wir uns zu oft sehen, dann …«

Lachend drohte er Jagienka mit dem Finger, während er sie mit stets wachsender Bewunderung betrachtete, hatte er doch noch nie zuvor einen solch hübschen Burschen gesehen. Sie trug ein rotseidenes Netz über den Haaren, ein grünes Tuchwams, Beinkleider, von denen die eine Hälfte die Farbe des Netzes hatte, die andere gestreift war, und welche sich an den Hüften weit aufbauschten, gegen die Knöchel zu aber eng und anschließend wurden. Ein kostbares Schwert prangte an dem Gürtel der Maid, ihr Antlitz aber war so sonnig und strahlend wie die Morgenröte, ihre Schönheit so anziehend, daß man kein Auge von ihr verwenden konnte.

»So wahr mir Gott helfe,« ergriff schließlich Macko fröhlich das Wort, »man weiß in der That nicht, ob Du irgend ein feines Herrlein oder eine holde Blume bist. Doch wer ist das hier?« fuhr er fragend fort. »Gewiß irgend ein rechter Taugenichts.«

»Das ist ja die Tochter der Sieciechowa,« antwortete Jagienka. »Gar einsam würde ich mich bei Euch fühlen, wäre ich allein. Wie könnte dies auch anders sein? So nahm ich denn Anielka mit mir, dann ist’s lustig, und ich habe sowohl Gesellschaft wie Hülfe. Sie wird ebensowenig erkannt werden wie ich.«

»Das ist nun wieder eine wahre Lust für Dich, Du Schalk! An einer war es nicht genug, es müssen gleich zwei sein.«

»Verspottet mich nicht!«

»Ich spotte doch nicht! Sobald indessen der Tag anbricht, wird man Dich und sie erkennen.«

»Ach was! Woran denn?«

»Weil Deine Knie sich einwärts biegen und die ihren auch.«

»Ei, laßt mich in Frieden!«

»Vor mir hast Du Ruhe, denn ich bin über dies Alter hinaus. Ob Dich aber Cztan und Wilk in Frieden lassen werden, das weiß Gott allein. Doch rate einmal, Du wilde Hummel, woher ich komme? Nirgends anders her als von dem alten Wilk.«

»Gerechter Gott! Was sagt Ihr?«

»Die Wahrheit, wie es auch die Wahrheit ist, daß der alte und der junge Wilk sich verpflichtet haben, Bogdaniec und Zgorzelic gegen Cztan zu verteidigen. Einen Feind herauszufordern oder mit ihm zu kämpfen, dazu gehört nicht viel, wer aber den Feind zum Wächter des eigenen Besitztums zu bestellen versteht, der kann kein Tölpel sein.« Nun schilderte Macko seinen Besuch bei dem alten und dem jungen Wilk und erzählte ausführlich, wie er allmählich die beiden in ihrer eigenen Schlinge zu fangen gewußt hatte. Voll Spannung lauschte Jagienka der Erzählung, schließlich aber erklärte sie: »Der Herr Jesus hat es bei Euch nicht an Schlauheit fehlen lassen. Zweifellos wird alles so geschehen, wie Ihr es wünscht.«

Da senkte Macko das Haupt, als ob er gar betrübt wäre, indem er sagte: »Hei, Mägdlein, wenn alles so ginge, wie ich wünsche, dann würdest Du längst die Herrin in Bogdaniec sein.«

Jagienka schaute den Sprechenden mit ihren blauen Augen zuerst groß an, dann beugte sie sich auf seine Hand und drückte einen Kuß darauf.

»Was soll das heißen?« fragte der alte Ritter.

»O nichts, nichts … Ich will Euch nur ›Gute Nacht‹ sagen, denn es ist schon spät, und wir müssen uns vor Tagesanbruch auf den Weg machen.«

Nach diesen Worten entfernte sie sich mit Anielka, während sich Macko mit Hlawa in eine Nebenstube begab, wo die beiden, auf Büffelfellen ruhend, bald in tiefen, festen Schlaf fielen.

Drittes Kapitel.

Wenn schon Sieradz, welches die Kreuzritter im Jahre 1331 dem Erdboden gleich machten, nachdem sie ein entsetzliches Blutbad angerichtet und mit Feuer und Schwert daselbst gewütet hatten, unter Kasimir dem Großen wieder neu aufgebaut worden war, zeichnete sich der Platz doch durch nichts Besonderes aus und stand hinter manch anderen Städten des Königreiches weit zurück. Jagienka freilich, deren Leben sich bis jetzt zwischen Zgorzelic und Krzesnia abgespielt hatte, ward von Staunen und Bewunderung ergriffen beim Anblick der Mauern, der Türme, des Rathauses, vor allem aber beim Anblick der Kirchen, denen die aus Holz erbaute Kirche in Krzesnia in nichts ähnelte. Im ersten Momente verlor sie in solchem Maße die sie sonst kennzeichnende Lebhaftigkeit und Entschiedenheit, daß sie nicht laut zu sprechen wagte, sondern Macko nur im Flüstertone über all die Wunder befragte, welche ihre Augen blendeten. Als der alte Ritter sie aber gar noch versicherte, Sieradz lasse sich mit Krakau ebenso wenig vergleichen, wie eine gewöhnliche Flamme mit der Sonne, wollte sie dies nicht glauben, hielt sie es doch für unmöglich, daß es noch eine zweite Stadt von solcher Pracht auf Erden gebe.

In dem Kloster wurden sie von jenem hochbejahrten Prior begrüßt, der sich noch aus seiner Kindheit an das von den Kreuzrittern angerichtete Blutbad erinnerte und von welchem bei einer früheren Gelegenheit Zbyszko empfangen worden war. Macko vernahm voll Kummer und Sorge die Nachrichten über den Abt, der längere Zeit in dem Kloster verweilt hatte. Erst seit vierzehn Tagen, so berichtete der Prior, halte sich jener bei seinem Freunde, dem Bischof von Plock auf. Während seiner Anwesenheit sei er fast fortwährend krank darnieder gelegen. Frühmorgens, sowie tagsüber sei er zwar stets bei vollem Bewußtsein gewesen, gegen Abend hätten sich aber seine Sinne meistens verwirrt. Dann habe er häufig versucht, aufzuspringen, indem er den Befehl erteilte, ihn mit dem Panzer zu bekleiden, da er den Fürsten Jan aus Natibor zum Kampfe fordern wolle. »Die fahrenden Kleriker mußten ihn immer mit Gewalt auf seinem Lager festhalten,« fuhr der Prior fort. »Ja, dies war aber fast ein Ding der Unmöglichkeit und schloß stets eine gewisse Gefahr in sich. Erst in jüngster Zeit ist eine Besserung eingetreten. Wohl hat die Schwäche zugenommen, der Geist ist jedoch klar geblieben, und in voller Klarheit hat der Abt befohlen, ihn nach Plock zu bringen. Wißt, er erklärte mir, er vermöge keinem Menschen so zu vertrauen wie dem Bischof von Plock, deshalb wolle er auch nur von diesem die heiligen Sakramente empfangen und in dessen Hände seinen letzten Willen niederlegen. Mit aller Kraft widersetzten wir uns dieser Reise, denn er war so schwach, daß wir fürchteten, er werde seinen Bestimmungsort nicht lebend erreichen, doch wir konnten nichts ausrichten. Seine Spielleute machten daher einen Wagen für ihn bereit und geleiteten ihn hinweg. Gott gebe, daß er glücklich ans Ziel gelange.«

»Wenn ihn der Tod irgendwo in der Nähe von Sieradz ereilt hätte, wäre Euch doch sicherlich Kunde davon geworden,« warf Macko ein.

»Ja, davon wäre uns Kunde geworden,« antwortete das gute alte Väterchen. »Aus diesem Grunde glaube ich auch nicht, daß er schon diesseits von Leczyca seinen letzten Atemzug gethan hat, was aber jenseits geschehen ist, wie können wir das wissen! So Ihr ihm jedoch nachfolgt, werdet Ihr auf Euerem Wege schon alles in Erfahrung bringen.«

Tief bekümmert über das Gehörte, besprach sich Macko mit Jagienka, die durch den Böhmen schon von der Fahrt des Abtes nach Plock unterrichtet worden war.

»Was ist nun zu thun?« fragte der alte Ritter das Mägdlein, »was gedenkst Du anzufangen?«

»Ihr begebt Euch nach Plock, und ich gehe mit Euch!« entgegnete die Gefragte kurz entschlossen.

»Wir gehen mit Euch nach Plock!« sekundierte die Tochter der Sieciechowa sofort mit ihrem dünnen Stimmchen.

»Schau, schau, wie diese beiden mit ihren Ratschlägen gleich bei der Hand sind! Meiner Treu, als ob man nur so ohne weiteres nach Plock gehen könnte!«

»Vermag ich vielleicht allein mit Anielka den Heimweg anzutreten? Und überdies, wenn Ihr mich nicht weiter mit Euch nehmen wollt, dann wäre ich besser gleich in Zgorzelic geblieben. Glaubt Ihr denn nicht, daß ich jetzt nach meiner Heimkehr noch mehr zu fürchten hätte als früher?«

»Und der alte und der junge Wilk? Sind die vielleicht nicht Mannes genug, um Dich gegen Cztan zu schützen?«

»Ich müßte ja die Verteidiger ebenso fürchten wie die Angreifer! Doch ich merke ganz gut, daß Ihr nur streitet, um zu streiten, und es gar nicht ernst meint.«

Dies war auch wirklich der Fall. Macko wünschte, daß Jagienka mit ihm ziehe, und hätte es nur ungern gesehen, wenn sie nach Zgorzelic zurückgekehrt wäre. Kaum hatte er daher des Mägdleins Antwort vernommen, so lachte er laut auf und sagte: »Sie hat die Weiberröcke ausgezogen, damit sie Verstand bekomme!«

»Ei was, nur im Kopfe ist der Sitz des Verstandes!«

»Plock liegt jedoch ganz abseits von meinem Wege.«

Der Böhme bestritt dies und behauptete, die Fahrt nach Marienburg sei viel näher über Plock.

»Du hast also mit dem Böhmen schon alles ausgemacht?«

»Gewiß, und er hat folgendermaßen gesprochen: ›Wenn dem jungen Herrn in Marienburg irgend etwas Schlimmes zugestoßen sein sollte, ließe sich mit Hilfe der Fürstin Alexandra aus Plock viel erreichen. Ganz abgesehen davon, daß sie eine Anverwandte des Königs ist, steht sie auch in ganz besonders freundlichen Beziehungen zu den Kreuzrittern, bei denen sie großes Ansehen genießt‹.«

»Das ist richtig, so wahr mir Gott helfe,« rief Macko. »Ein jeder weiß dies, und wenn sie uns ein Schreiben an den Großmeister geben würde, könnten wir unbehelligt die Lande der Kreuzritter durchziehen. Sie ist dem Orden sehr zugethan, folglich ist der Orden auch ihr sehr zugethan. Ein guter Rat, ein guter Rat! Dieser Böhme ist ein kluger Bursche!«

»Und wie klug ist er!« stimmte die Tochter der Sieciechowa voll Eifer bei, indem sie mit ihren blauen Augen begeistert emporblickte.

Da wandte sich Macko plötzlich mit der Frage zu ihr: »Wieso hast denn Du hier mitzusprechen?«

In tiefster Verwirrung senkte die Maid die langen Wimpern und erglühte gleich einer roten Rose.

Macko wußte indessen nur zu wohl, daß ihm kein anderer Ausweg blieb, als die beiden Mägdlein mit sich zu nehmen. Im Grunde seiner Seele war dies auch sein Wunsch, und so setzte er denn des andern Morgens seine Fahrt fort, nachdem er sich von dem greisen Prior verabschiedet hatte.

Infolge der Schneeschmelze und der dadurch steigenden Gewässer kam er indessen weit weniger rasch vorwärts, als dies früher der Fall gewesen war. Aber auch nicht nur auf allen Edelhöfen und Pfarreien, an denen er vorüber kam, hielt er Nachfrage nach dem Abt, sondern auch in den Herbergen, in denen er mit seinen Begleitern des Nachts Rast machte. Des Abtes Spuren zu verfolgen, fiel nicht schwer, hatte er doch allerorts reichliche Spenden gegeben, teils für Almosen, teils um Messen lesen zu lassen, wie auch zur Anschaffung einer Glocke oder zur Wiederherstellung irgend einer alten Kirche. Was Wunder, daß sich daher der oder jener Küster, der oder jener Pfarrer seiner ebensowohl voll Dankbarkeit erinnerte, wie gar manches arme Väterchen, welches »um Gaben bittend« einherwanderte. Rings umher ging die Rede: »Gleich einem Engel zog er dahin.« Alt und jung betete für seine Gesundung, wenngleich der und jener die Furcht hegte, er werde des ewigen Heiles eher teilhaftig, als einer zeitweiligen Besserung. An etlichen Plätzen hatte der Abt, seiner zunehmenden Schwäche wegen, sogar zwei oder drei Tage verweilen müssen, Macko durfte sich daher der Hoffnung hingeben, daß er ihn noch einholen könne.

Allein er täuschte sich in dieser Annahme. Bevor er Leczyca erreichte, nötigte ihn das Anschwellen der Flüßchen Nera und Bzura, vier Tage in einer verlassenen Schenke zu verbringen, deren Besitzer sich wohl aus Furcht vor Wassersnot geflüchtet haben mochte. Die Landstraße, welche von der Herberge zur Stadt führte, war trotz der darin eingerammten Pfähle fast ungangbar geworden, denn es hatte sich auf weite Strecken hinaus ein Wassertümpel neben dem andern gebildet. Wit, einer der Mannen Mackos, der aus dieser Gegend stammte, hatte zwar einmal etwas von einem durch den Wald führenden Weg gehört, aber er weigerte sich, als Führer zu dienen, wollte er doch bestimmt wissen, daß in den Sümpfen bei Leczyca allerlei böse Geister ihr Wesen trieben. Seiner Ansicht nach war unter diesen besonders der mächtige Boruta 5 zu fürchten, der es sich stets angelegen sein ließ, die Menschen an bodenlose Stellen zu locken und sie dann nur um den Preis ihres Seelenheiles freigab. Aber auch die Schenke selbst stand in üblem Rufe. Macko hatte sich daher nur ungern zu einer längeren Einkehr entschlossen, wenn schon er keineswegs fürchten mußte, mit seinen Begleitern Hunger zu leiden, da er wie alle, die in jener Zeit eine Fahrt unternahmen, reichliche Zehrung mit sich führte.

Und siehe da, thatsächlich hörten die Rastenden des Nachts einen gewaltigen Lärm auf dein Dache des Wirtshauses, zuweilen dünkte es sie auch, es klopfe jemand an die Thüre. Jagienka und Anielka aber, die beide in einem engen Gelasse neben der großen Vorderstube schliefen, vernahmen deutlich, wie in der Dunkelheit kleine Füßchen über den Lehmboden, ja an den Wänden auf und ab huschten. Dies verursachte ihnen keinen allzugroßen Schrecken, waren sie doch von Zgorzelic her an böse Geister gewöhnt, für die man seiner Zeit auf Befehl des alten Zych stets Speise vor die Thüre gestellt hatte, und welche, wie angenommen wurde, nichts Schlimmes vollführten, wenn man mit Gaben nicht kargte. In einer Nacht indessen erscholl aus dem nahen Dickicht ein dumpfes, unheilverkündendes Gebrüll. Am nächsten Morgen zeigten sich zwar die gegen die Sümpfe führenden Spuren mächtiger Hufe, welche wohl von Auerochsen oder Büffeln herrühren mochten, allein Wit behauptete, kein anderer als Boruta sei dies gewesen, der, einerlei ob er in der Gestalt eines Edelmannes oder in sonst irgend einer menschlichen Gestalt erscheine, Pferdefüße habe, und die Schuhe, die er zu tragen pflegte, sobald er sich unter den Leuten zeigte, in den Sümpfen der Schonung halber sofort wieder abnehme. Als Macko hörte, Boruta könne durch das Spenden eines Trunkes versöhnlich gestimmt werden, überlegte er den ganzen Tag bei sich, ob es nicht sündhaft sei, einem bösen Geiste Gutes zu erweisen, und schließlich zog er Jagienka zu Rate.

»Wie wäre es, wenn ich auf die Nacht eine Ochsenblase, mit Wein oder Honig gefüllt, an den Zaun hinge?« fragte der alte Ritter. »Ist am andern Morgen etwas davon ausgetrunken, dann wissen wir, daß er sich hier in der Nähe umhertreibt.«

»Bedenkt, daß wir zur glücklichen Errettung Zbyszkos des Segens der himmlischen Mächte bedürfen!« antwortete das Mägdlein. »Wie leicht könnten sie sich aber durch Euere That gekränkt fühlen.«

»Das ist ja auch meine Furcht, doch ich sage mir stets wieder: Es handelt sich hier nur um Honig und nicht um meine Seele! Hei, meine Seele ist mir nicht feil. Was kümmern sich indessen die himmlischen Mächte um eine Ochsenblase voll Honig? Und zudem,« fuhr Macko mit gedämpfter Stimme fort, »gebietet es die Sitte, daß ein Edelmann dem andern selbst dann beistehe, wenn letzterer ein ganz verwerflicher Mensch sein sollte. Alle Leute behaupten jedoch, er sei ein Edelmann.«

»Wer?« fragte Jagienka.

»Den Namen eines bösen Geistes will ich nicht in den Mund nehmen.«

Gegen Abend hing indessen Macko eigenhändig eine der großen Ochsenblasen, wie sie häufig zur Aufbewahrung von Getränken dienen mußten, an den Zaun, und schon am nächsten Morgen war die Ochsenblase bis auf den Grund geleert.

Der Böhme lächelte zwar gar seltsam, als die Rede darauf kam, allein kein Mensch beachtete ihn. In dem alten Ritter aber rief jene Thatsache große Freude hervor, gab er sich doch nun der Hoffnung hin, mit seinen Begleitern unbehelligt und ohne Fährlichkeiten über die Sümpfe zu kommen.

»Sonst müßte ja die Behauptung der Leute, daß er wisse, was Ehre heißt, falsch sein,« dachte Macko bei sich.

Jetzt handelte es sich freilich vor allem darum, in Erfahrung zu bringen, ob man durch den Wald kommen könne. Dies mochte wohl sehr leicht der Fall sein, denn überall da, wo der Boden durch Baumwurzeln und zusammengewachsenes Geäst geschützt ist, kann er nicht so rasch von dem Regen aufgeweicht werden. Wit jedoch, der sich wohl am besten für diese Aufgabe geeignet haben würde, schrie sofort, als Macko nur eine Anspielung darauf machte: »Ihr könnt mich totschlagen, Herr, aber ich gehe nicht.« Da man umsonst versuchte, ihm klar zu machen, daß tagsüber böse Geister keine Macht haben, wollte der alte Ritter zuerst selbst gehen, schließlich wurde indessen ein anderer Ausweg gefunden. Hlawa sollte das Wagnis unternehmen. Der Böhme war ein keker Bursche, dem nichts erwünschter war, als seinen Mut vor den Leuten, insbesondere aber vor Frauen bethätigen zu dürfen. Er machte sich daher sofort bereit, indem er eine Streitaxt in seinen Gurt steckte und einen derben Knüttel zur Hand nahm.

Vor Tagesanbruch trat er seine Wanderung an. Man glaubte sicher, er könne schon gegen Mittag wieder zurück sein. Große Unruhe bemächtigte sich daher aller, als dies nicht der Fall war. Vergeblich horchten die Knechte, als die Mittagszeit herannahte, nach allen Richtungen des Waldes. Wit machte nur abwehrende Handbewegungen, indem er erklärte: »der kommt nicht mehr zurück; wenn er aber zurückkäme, dann wäre es schlimm genug für uns, denn Gott weiß, ob er nicht einen Wolfsrachen hat und in einen Wärwolf verwandelt ist.« Diese Worte versetzten alle in den tiefsten Schrecken. Macko war nicht mehr er selbst, Jagienka machte fortwährend, dem Walde zugekehrt, das Zeichen des Kreuzes, während Anielka, ohne an ihre Verkleidung zu denken, immer wieder umsonst nach ihrer Schürze suchte und schließlich, als sie nichts fand, womit sie ihre Augen bedecken konnte, das Gesicht in die Hände barg, welche nur zu bald von großen, langsam herabrinnenden Thränen benetzt wurden.

Da mit einem Male, um die abendliche Melkezeit – die Sonne ging gerade unter – erschien Hlawa wieder und nicht allein, nein, sondern er trieb eine seltsame, aber doch menschenähnliche Gestalt an einem Stricke vor sich her. Mit lautem Freudengeschrei wurde der Böhme begrüßt; bald jedoch verstummten die Rufe beim Anblick der merkwürdigen, in eine Wolfshaut gehüllten, schmächtigen Erscheinung, die mit ihrem geschwärzten Antlitz und mit ihren auffallend behaarten Händen einen gar unheimlichen Eindruck machte.

»Im Namen des Vaters und des Sohnes, was bringst Du uns dafür einen Kobold?« fragte der sich allmählich von seinem Schrecken erholende Macko.

»Das weiß ich selbst nicht!« entgegnete der Knappe. »Seiner Behauptung nach ist er freilich ein Mensch und zwar ein Pechsieder, ob er aber die Wahrheit spricht, vermag ich nicht zu sagen.«

»O, das ist kein Mensch, das ist kein Mensch!« ließ sich jetzt Wit vernehmen.

Doch Macko befahl ihm Schweigen, betrachtete prüfend und aufmerksam den Ergriffenen und sprach dann plötzlich zu letzterem also: »Mache das Zeichen des Kreuzes! Sofort mache das Zeichen des Kreuzes!«

»Gelobt sei Jesus Christus!« rief der Gefangene unverweilt. So rasch wie möglich machte er hierauf das Zeichen des Kreuzes, holte, mit größerem Zutrauen umherblickend, tief Atem und sagte abermals: »Gelobt sei Jesus Christus! Hei,« fügte er gleich darauf hinzu, »ich wußte wahrlich nicht, ob ich in die Hände von Teufeln oder von Christen gefallen sei. O Jesus!«

»Hege keine Furcht. Du bist unter Christen, die gar gern die heilige Messe hören, doch sprich, wer bist Du?«

»Ein Pechsieder, o Herr. Wir sind unserer sieben in den Hütten, die wir mit Frauen und Kindern bewohnen.«

»Wie weit hausest Du von hier?«

»Etwas über tausend Schritte weit.«

»Welchen Weg pflegt Ihr nach der Stadt einzuschlagen?«

»Wir benützen stets den Weg hinter dem Teufelsthale.«

»Mache nochmals das Zeichen des Kreuzes.«

»Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.«

»So ist’s gut. Kann der Weg auch befahren werden?«

»Jetzt ist’s freilich überall sumpfig, allein der Weg durch den Wald ist immer noch besser als die Landstraße, denn der dort wehende Wind trocknet die Feuchtigkeit rascher auf. Gar schlimm sieht es zwar bis zu den Hütten aus, mit einem des Waldes Kundigen aber kann ein jeder ohne große Fährlichkeiten dahin gelangen.«

»Willst Du uns für einen Skotus führen? Nein, bei meiner Treu, zwei Skotus sollst Du haben.«

Der Pechsieder stimmte bereitwillig ein, bat aber noch um einen Leib Brot, denn wenn auch die im Walde Hausenden niemals Hunger litten, hatten sie doch seit längerer Zeit kein Brot mehr zu Gesicht bekommen. Es wurde nun beschlossen, am nächsten Morgen aufzubrechen, denn dies gegen Abend zu thun, war nicht »ratsam«.

Boruta, so erklärte der Pechsieder, stürme zuweilen entsetzlich durch den Wald. Einfachen Leuten füge er indessen keinen Schaden zu, er jage nur, von Zorn gegen den Fürsten von Leczyca 6 entbrannt, andere Teufel durch das Gehölze. Des Nachts mit ihm zusammenzutreffen, sei aber für jeden Menschen dann besonders gefährlich, wenn dieser zu viel getrunken habe. Bei Tage brauche sich aber ein nüchterner Mann nicht vor ihm zu fürchten.

»Du aber zitterst ja vor Furcht!« bemerkte Macko.

»Weil dieser Ritter hier, ohne daß ich es bemerkte, mich mit solchem Ungestüm packte, daß ich ihn nicht für einen gewöhnlichen Menschen halten konnte.«

Diese Aeußerung veranlaßte Jagienka zu lautem Lachen, hatten doch sie und mit ihr alle andern in dem Pechsieder einen »schlimmen Unhold« gewittert, während der Knappe von dem Pechsieder als ein unflätiger Geist betrachtet worden war. Als aber Anielka sofort dem Beispiele ihrer Gebieterin folgte, da meinte Macko: »Noch sind Deine Guckäuglein naß von den über Hlawa vergossenen Thränen und schon grinsest Du wieder.«

Nun schaute der Böhme in das rosige Antlitz des Mägdleins, dessen Augenwimpern noch ganz feucht waren, und fragte: »Haben Eure Thränen mir gegolten?«

»Nein, nein,« antwortete die Maid, »ich ängstigte mich, das ist alles.«

»Ihr seid von edler Art und solltet Furcht nicht kennen. Eure Herrin ist weit beherzter. Was könnte Euch auch unterwegs und unter so viel Menschen Schlimmes zustoßen?«

»Mir wohl nicht, aber Euch.«

»Ihr sagtet aber doch, Ihr weintet nicht um mich.«

»Ja, weil ich es auch nicht that.«

»Weshalb habt Ihr denn geweint?«

»Aus Angst.«

»Jetzt aber habt Ihr wohl keine Angst mehr?«

»Nein.«

»Und warum nicht?«

»Weil Ihr zurückgekehrt seid.«

Dem Mägdlein einen dankbaren Blick zuwerfend, sprach nun Hlawa lächelnd: »Bei meiner Treu, auf solche Weise könnte unser Gespräch bis morgen in der Frühe währen. Ihr seid ein arglistiger Schalk!«

»Spottet nicht über mich!« bat die Tochter der Sieciechowa in leisem Tone.

Anielka war auch in der That nichts weniger als arglistig, und der äußerst kluge Hlawa wußte dies nur zu gut. Eben so klar war er sich aber auch darüber, daß die Maid ihm täglich teurer wurde. Wohl liebte er Jagienka, allein er liebte sie wie der Untergebene die Königstochter liebt – voll Ehrerbietung, doch hoffnungslos. Die gemeinsame Fahrt aber hatte zudem die Tochter der Sieciechowa und ihn fast immer zusammengeführt. Sobald sie sich auf den Weg machten, ritt der alte Macko mit Jagienka voran und so kam es, daß sich Hlawa stets Anielka zugesellen mußte. War es daher zu verwundern, wenn den einem Auerochsen an Kraft gleichenden Burschen, dem das Blut heiß durch die Adern rollte, ein Zittern überlief, sobald er in die blauen Augen der Jungfrau schaute, sobald seine Blicke auf deren blonden, welligen, von dem Netze nur schwer zusammengehaltenen Haaren ruhten, auf dieser schlanken, wohlgebildeten Gestalt, vor allem aber auf den wie aus Marmor gemeißelten Beinen, welche sich so fest an den Rappen schmiegten. Unwillkürlich hatte er all diese Reize immer sehnsüchtiger mit seinen Blicken verschlungen, und immer häufiger war ihm der Gedanke gekommen, der Teufel würde leichtes Spiel mit ihm haben, wenn er die Gestalt eines solch jungen Burschen annähme. Und so süß war dieses Bürschlein, so süß wie Honig, und so gehorsam, daß es dem Böhmen alles an den Augen ablas, und so fröhlich wie ein Spatz auf dem Dache. Gar seltsame Gedanken schossen daher dem Knappen zuweilen durch den Sinn, und als er einmal ein wenig mit Anielka bei den Saumrossen zurückgeblieben war, wandte er sich plötzlich zu ihr und hub also an: »Wißt, ich möchte Euch geradezu packen wie der Wolf das Lamm.«

Da lachte die Maid so herzlich, daß ihre weißen Zähne sichtbar wurden.

»Wollt Ihr mich denn auffressen?«

»Ja, und mit allen Euern Knochen!«

Tief errötete sie unter dem Blicke, den er ihr bei diesen Worten zuwarf. Ein längeres Schweigen war dann eingetreten, aber beider Herzen pochten laut, das Herz des jungen Knappen vor sehnsüchtigem Verlangen, das Herz der Jungfrau vor einer süßen berückenden Angst.

Heißes Begehren hatte anfänglich alle andern Gefühle in der Brust des Böhmen erstickt, und als er sich Anielka gegenüber dem Wolfe verglich, der sich auf das Lamm stürzt, hatte er die Wahrheit gesprochen. Jetzt aber, an diesem Abend, da ihre Augen und Wangen feucht von Thränen schimmerten, da ward ihm plötzlich ganz weich ums Herz. Wie war sie gut, wie war sie ihm zu eigen! Doch nicht Hochmut, nicht Stolz schwellten ihm das Herz beim Anblick der Thränenspuren, nein, er wurde zaghafter, rücksichtsvoller, denn er besaß eine ehrliche, ritterliche Natur. Nicht mehr wie früher sagte er unbesorgt und unbedacht alles frei heraus, was ihm gerade in den Sinn kam, und wenn er auch abends beim Mahle mit dem schüchternen Mägdlein ein wenig tändelte, so that er dies doch jetzt in einer ganz andern Weise wie früher und diente ihr wie ein ritterlicher Knappe einem Edelfräulein zu dienen pflegt. Obgleich nun das ganze Denken und Sinnen Mackos auf den für den nächsten Morgen geplanten Aufbruch und auf die Weiterreise gerichtet war, bemerkte er doch dies alles sehr wohl und lobte den Böhmen ob seiner guten Sitten, die er sich wohl, wie der alte Kämpe meinte, mit Zbyszko an dem masovischen Hofe erworben habe.

»Hei, Zbyszko,« fügte Macko gleich darauf zu Jagienka gewendet, hinzu: »Hei, Zbyszko, der wäre sogar einem Könige gegenüber an seinem Platze.«

Als man sich bald nach dem Mahle trennte, küßte der Knappe Jagienkas Hand und führte dann auch die Hand Anielkas an die Lippen, indem er sagte: »Glaubt mir, Ihr habt mich nicht zu fürchten und dürft Euch auch vor andern nicht fürchten, denn wenn ich Euch nahe bin, schütze ich Euch vor jedem Ungemach.«

Gleich darauf legten sich die Männer in der Vorderstube zur Ruhe, während Jagienka und Anielka in einem Nebengelasse eine breite, mit dem Nötigsten versehene Schlafbank gemeinsam benützten. Bei keiner von beiden wollte sich indessen der Schlummer einstellen, und besonders Anielka bewegte sich beständig unruhig auf dem groben Drillich hin und her. Nach geraumer Zeit näherte daher Jagienka ihr Köpfchen dem der Gefährtin und flüsterte: »Anielka!«

»Ich höre!«

»Mich dünkt, daß Du diesem Böhmen sehr hold bist … Sprich, ist es nicht so?«

Doch es erfolgte keine Antwort, deshalb hub Jagienka von neuem an: »Ich verstehe dies nur zu gut. Drum sprich doch!«

Allein die Tochter der Sieciechowa blieb nach wie vor stumm, preßte aber plötzlich ihre Lippen auf die Wangen der Herrin und küßte sie wieder und wieder.

Da entrangen sich schwere Seufzer dem jungfräulichen Busen Jagienkas und abermals flüsterte sie so leise, daß Anielka die Worte kaum vernehmen konnte: »Ich verstehe dies nur zu gut, ich verstehe dies nur zu gut!«

  1. Ein Sumpfgeist. Anmerkung der Uebersetzerinnen
  2. Der Sage nach wollte Boruta mit Hilfe des Teufels Fürst von Leczyca werden. Anmerkung der Uebersetzerinnen.

Erstes Kapitel.

Auf den starken Schneefall folgte nun strenge Kälte mit trockenen aber hellen Tagen. Da funkelte der Wald in den Strahlen der Sonne, über dem Fluß lag eine dicke Eisschichte und vom Morast war nichts mehr zu sehen. Es kamen helle Nächte, in denen sich die Kälte dermaßen steigerte, daß die Bäume im Walde laut krachten und barsten. Die Vögel näherten sich den Behausungen, die Straßen wurden gefährlich, denn die Wölfe scharten sich rudelweise zusammen und überfielen nicht nur einzelne Wanderer, sondern drangen sogar bis zu den Dörfern vor. In den raucherfüllten Hütten, am wärmenden Herde, glaubten indessen die Landleute nach dem strengen Winter ein fruchtbares Jahr voraussagen zu können und sahen den herannahenden Festtagen heiter entgegen. Der fürstliche Jagdhof war verödet. Die Fürstin hatte sich mit dem Hofstaate und dem Pater Wyszoniek nach Ciechanow begeben. Zbyszko, der sich zwar schon viel wohler fühlte, aber doch noch nicht kräftig genug war, um ein Pferd zu besteigen, blieb mit seinen Leuten, Sanderus und dem böhmischen Knappen auf dem Jagdhof zurück, wo nun eine, die Oberaufsicht führende Edelfrau in gesetztem Alter die Pflichten der Hausfrau erfüllte. Aber mit allen Fibern seines Herzens zog es ihn zu seinem jungen Weibe. Wohl war es ihm ein unendlich süßer Gedanke, daß Danusia sein eigen war und keine Macht der Welt sie ihm mehr zu rauben vermochte, aber andererseits steigerte dieser Gedanke seine Sehnsucht noch mehr. Unaufhörlich wünschte er den Augenblick herbei, da er im stande sein werde, den Jagdhof zu verlassen, und überlegte, was er dann zu thun, wohin er sich zu wenden habe, und wie er Jurand versöhnen könne. Zwar überkam ihn auch manchmal eine große Unruhe, aber im allgemeinen stellte sich ihm die Zukunft im rosigsten Lichte dar. Danusia zu dienen und den Feinden die Pfauenbüsche von den Helmen zu reißen, dies erschien ihm als das Ziel seines Lebens. Gar häufig überkam ihn die Lust, mit dem Böhmen, den er lieb gewonnen hatte, davon zu sprechen, allein da er bemerkte, daß der Knappe, der Jagienka mit ganzer Seele ergeben war, nur ungern von Danusia sprach, und da er zudem das Geheimnis nicht enthüllen und nicht alles sagen durfte, was geschehen war, stand er schließlich immer wieder von seinem Vorhaben ab.

Seine Gesundheit besserte sich indessen von Tag zu Tag. Eine Woche vor dem Christabend konnte er zum erstenmal ein Pferd besteigen, und obwohl er fühlte, daß ihm dies in der Rüstung noch nicht möglich sein werde, faßte er dennoch frischen Mut. Uebrigens glaubte er auch nicht, daß er sich binnen kurzem in Panzer und Helm zu Roß setzen müsse, und im schlimmsten Falle, meinte er, werde es nicht mehr allzulange währen, bis er kräftig genug dazu sei. In der Stube versuchte er zuweilen mit dem Schwerte zu einem Schlage auszuholen, und er kam ganz gut damit zu stande. Das Beil war ihm zwar noch zu schwer, doch sagte er sich, wenn er es mit beiden Händen beim Stil fasse, werde er es ganz gut schwingen können.

Schließlich zwei Tage vor dem heiligen Abend, befahl er, die Wagen in Bereitschaft zu halten, die Pferde zu satteln und kündigte dem Böhmen an, er werde sich nach Ciechanow begeben. Der treue Knappe geriet darob nicht wenig in Sorge, vornehmlich da eine grimmige Kälte herrschte, aber Zbyszko sagte ihm: »Aengstige Dich nicht um mich, Glowacz,« 1 – so nannte er ihn bisweilen, indem er seinen Namen ins Polnische übertrug – »wozu sollten wir denn noch länger hier auf dem Jagdhofe verweilen? Wenn ich in Ciechanow erkranken würde, ließe man mir auch dort die nötige Pflege angedeihen. Uebrigens will ich den Weg nicht zu Pferd, sondern zu Schlitten zurücklegen, ich will mich bis zum Halse unter dem Heu vergraben, mit Fellen zudecken, und erst wenn wir in der Nähe von Ciechanow angelangt sind, werde ich mein Pferd besteigen.

Und so geschah es in der That. Der Böhme kannte seinen jungen Herrn genau und wußte, daß es nicht ratsam war, sich ihm zu widersetzen oder seine Befehle unausgeführt zu lassen. Eine Stunde später brachen sie daher auf. Als Zbyszko kurz vor der Abreise Sanderus mit seinen beiden Laden in einen Schlitten steigen sah, sagte er zu ihm: »Weshalb bist Du an mir hängen geblieben wie eine Klette an der Schafwolle? Du sprachst doch davon, daß Du nach Preußen wollest.«

»Ja, ich sprach davon, daß ich nach Preußen wolle,« entgegnete Sanderus. »Aber wie könnte ich mich bei solchem Schnee allein auf die Reise machen? Die Wölfe würden mich ja auffressen, bevor der erste Stern am Himmel erscheint, und hier zu bleiben, dazu habe ich gar keine Ursache. Nein, ich ziehe vor, die Leute in der Stadt durch fromme Werke zu erbauen, sie mit meiner heiligen Ware zu beschenken und aus den Klauen des Teufels zu retten, wie ich es dem Vater der ganzen Christenheit in Rom geschworen habe. Zudem habe ich Euer Gnaden außerordentlich lieb gewonnen und ich will Euch vor meiner Rückkehr nach Rom nicht verlassen, weil es wohl möglich ist, daß ich Euch irgend eine Gefälligkeit erweisen kann.«

»Er ist besonders gern bereit, auf Euere Kosten zu essen und zu trinken, Herr,« bemerkte nun der Böhme, »diese Gefälligkeit erweist er Euch am liebsten. Aber wenn uns im Walde bei Przasnysz ein Rudel Wölfe überfällt, dann können wir ihn zum Fraße hinwerfen, denn zu etwas Besserem taugt er nicht.«

»Paßt nur auf, daß Euch die sündigen Worte nicht am Schnurrbart anfrieren,« entgegnete Sanderus. »Solche Eiszapfen schmelzen nur im Höllenfeuer.«

»Ei was!« versetzte Glowacz, seinen noch etwas spärlichen Schnurrbart streichend, »und ich sage Dir, sobald wir Rast machen, wird Bier gewärmt, Du aber bekommst nichts davon!«

»Eine neue Sünde! Denn es heißt in der Schrift: Du sollst den Durstigen tränken!«

»Nun, einen Eimer voll Wasser sollst Du dort haben, und inzwischen bekommst Du, was ich jetzt in der Hand halte.«

Bei diesen Worten nahm er soviel Schnee, als er mit beiden Händen fassen konnte, und warf ihn Sanderus ins Gesicht. Doch dieser wich zurück, indem er sagte: »Ihr seid ganz unnötig in Ciechanow, denn dort wird ein kleiner Bär aufgezogen, der schon ganz gut mit Schneebällen werfen kann.«

So ergingen sie sich in Spottreden, obwohl sie sich im Grunde recht zugethan waren. Zbyszko ließ es ruhig zu, daß Sanderus mitfuhr, denn der wunderliche Mann ergötzte ihn und schien zudem eine gewisse Anhänglichkeit an ihn zu haben.

Der Aufbruch vom Jagdhofe fand an einem hellen Morgen statt, während eine solche Kälte herrschte, daß man die Pferde durch Decken schützen mußte. Eine dichte Schneeschichte lag über der ganzen Gegend. Die Dächer der Hütten waren kaum zu sehen, stellenweise schien der Rauch gerade aus den weißen Schneemassen hervorzukommen und von der Morgenröte rosig gefärbt, stieg er dann empor, sich hoch oben in kleine, den Federbüschen der Ritter gleichende Ringe zerteilend.

Zbyszko fuhr in einem Schlitten, teils um seine Kräfte zu schonen, teils der strengen Kälte wegen, vor der er sich auf dem Heulager und durch Pelzdecken am besten schützen konnte. Er befahl Sanderus, sich zu ihm zu setzen und die Armbrust bereit zu halten, falls sich Wölfe zeigen sollten. Unterdessen aber plauderte er fröhlich mit ihm.

»In Przasnysz,« sagte er, »wollen wir nur die Pferde füttern und uns erwärmen. Dann fahren wir sogleich weiter nach Ciechanow, um der Herrschaft meine Verehrung zu bezeigen und dem Gottesdienst anzuwohnen.«

»Und dann?« fragte Glowacz.

Zbyszko lachte und entgegnete: »Wer weiß, dann vielleicht nach Bogdaniec.«

Voll Verwunderung schaute ihn der Knappe an. Der Gedanke fuhr ihm durch den Kopf, daß sein Herr der Tochter Jurands entsagt habe, und dies erschien ihm um so wahrscheinlicher, als die Jungfrau den Jagdhof verlassen hatte. Zu den Ohren des Böhmen aber war die Kunde gedrungen, daß der Gebieter von Spychow dem jungen Ritter feindlich gesinnt war. Darob fühlte der treue Bursche eine gewisse Befriedigung, denn obgleich er selbst Jagienka liebte, blickte er doch zu ihr empor wie zu einem unerreichbaren Stern am Himmel und hätte freudig sein Leben hingegeben, um ihr Glück damit zu erkaufen. Auch Zbyszko hing er treu an, und den beiden bis zum Tode zu dienen, war das Ziel seiner Wünsche.

»So läßt sich Euer Gnaden schon auf Euerm Erbgut nieder?« fragte er voll Vergnügen.

»Wie könnte ich mich auf meinem Erbgut niederlassen?« entgegnete Zbyszko. »Habe ich nicht jene Kreuzritter herausgefordert und zuvor schon Lichtenstein? De Lorche erzählte mir, der Meister werde wahrscheinlich den König nach Thorn zu Gast bitten, und dann kann ich mich dem königlichen Gefolge anschließen. Auch glaube ich, daß in Thorn Herr Zawisza aus Garbow oder Herr Powala aus Taczew mir bei unserm Herrn die Erlaubnis auswirkt, bis aufs äußerste mit diesen Kreuzrittern, diesen Mönchen zu kämpfen. Sicherlich stellen sich diese mit ihren Knappen auf dem Wahlplatze ein und Du kommst gleichfalls ins Treffen.«

»Käme es nicht so weit, so würde ich am liebsten Mönch werden,« sagte der Böhme.

Zbyszko blickte ihn voll Befriedigung an.

»Nun, dem wird es auch nicht gut gehen, der Deinem Eisen zu nahe kommt! Unser Herr Jesu verlieh Dir außerordentliche Stärke, doch darfst Du Dich dieser Stärke nicht allzusehr rühmen, denn ein richtiger Knappe muß demütig sein.«

Der Böhme nickte mit dem Kopfe, zum Zeichen, daß er sich seiner Stärke nicht rühmen, den Deutschen gegenüber aber auch nicht mit seiner Kraft zurückhalten wolle, und Zbyszko lachte, während sie so weiter fuhren, aber nicht mehr über den Knappen, sondern über seine eigenen Gedanken.

»Der alte Herr wird froh sein, wenn wir zurückkehren,« hub Glowacz nach einer Weile wieder an – »und auch in Zgorzelic werden sie sich freuen.«

In diesem Augenblick sah Zbyszko Jagienka so deutlich vor sich, wie wenn sie ihm gegenüber auf dem Schlitten säße. Und so war es immer, so oft er an sie dachte, stand sie ihm auch deutlich vor Augen.

»Nein,« sagte er sich, »sie wird sich nicht freuen, denn wenn ich nach Bogdaniec zurückkehre, so wird Danusia bei mir sein – und Jagienka mag einen andern nehmen!« Hier zogen Wilk aus Brzozowa und der junge Cztan aus Rogow vor seinem geistigen Auge vorüber und plötzlich war ihm der Gedanke unangenehm, daß das Mägdlein einem von diesen beiden in die Hände fallen könne. »Wenn sie doch einen andern, bessern fände!« dachte er. »Sie ist so züchtig, so redlich und gut, jene Burschen aber sind Biersäufer und Spieler.«

Er wußte auch schon im voraus, daß sein Oheim höchst ungehalten sein werde, wenn er erfuhr, was geschehen war, aber der Gedanke tröstete ihn wieder, daß Macko in erster Linie Wert auf Herkunft und Vermögen legte und darauf bedacht war, das Ansehen seines Geschlechtes zu erhöhen. Jagienka stand ihm zwar näher und war die Tochter seines nächsten Nachbarn, hingegen war aber Jurands Grundbesitz größer als der Zychs aus Zgorzelic, und so konnte man leicht voraussehen, daß Macko nicht lange über dies Ehebündnis zürnen werde, zumal ihm die Neigung seines Bruderssohnes bekannt war und er auch wußte, wieviel Dank dieser Danusia schuldete. Brummte er also anfangs, so beruhigte er sich gewiß auch wieder und dann gewann er wohl Danusia so lieb wie sein eigenes Kind.

Und plötzlich empfand Zbyszko große Sehnsucht nach seinem Oheim, an dem er mit ganzer Seele hing und der, obwohl er kein weichherziger Mensch war, ihn doch liebte wie seinen Augapfel, der ihn in allen Kämpfen besser als sich selbst geschützt, sich nur um seinetwillen durch Beute bereichert hatte, nur um seinetwillen darauf ausging, sein Hab und Gut zu mehren. Sie standen ja auch ganz allein auf der Welt, sie hatten keine Blutsverwandten außer dem Abte, und gewöhnlich, wenn sie sich trennen mußten, wußte der eine nicht, was er ohne den andern beginnen sollte, vornehmlich aber dem alten Mann ging es so, welcher für sich keinen Wunsch mehr hatte.

»Hei! Er wird sich freuen! Er wird sich sicherlich freuen!« sagte sich Zbyszko unablässig, »und ich wollte nur, daß Jurand mich so aufnehme, wie Macko mich aufnehmen wird.«

Und er suchte sich vorzustellen, was Jurand sagen und wie er sich gebärden werde, wenn er von der Trauung erfuhr. Dieser Gedanke beunruhigte ihn wohl einigermaßen, bereitete ihm aber keinen großen Kummer, weil die Sache nun einmal geschehen und nichts mehr daran zu ändern war. Zum Kampfe durfte er Jurand nicht herausfordern, wenn dieser aber seine Zustimmung durchaus nicht geben wollte, konnte Zbyszko folgendermaßen zu ihm sprechen: »Willigt ein, ich bitte Euch darum, denn Ihr habt ja nur ein menschliches Anrecht auf Danusia, ich aber habe ein Anrecht, daß mir von Gott verliehen worden ist – und jetzt gehört sie nicht mehr Euch, die Meine ist sie nun!«

Von einem in der heiligen Schrift bewanderten Kleriker hatte der Jüngling gehört, das Weib müsse Vater und Mutter verlassen und dem Manne folgen, daher war er überzeugt, daß ihm die Gewalt über sein Weib zustand. Doch glaubte er nicht, daß es zwischen ihm und Jurand zu einem dauernden Zwiste kommen werde, weil er durch Danusias Bitten viel zu erreichen hoffte und eben so viel, wenn nicht mehr, durch die Vermittlung des Fürsten, dessen Unterthan Jurand war, sowie durch die Fürsprache der Fürstin, welche er als Pflegemutter seines Kindes hochschätzte.

In Przasnysz riet man Zbyszko, Nachtrast zu machen, indem man ihn vor den Wölfen warnte, welche sich des Frostes wegen in großen Rudeln zusammenscharten und die Straßen noch unsicherer machten als sonst. Doch Zbyszko beachtete diese Warnung nicht, weil er zufälliger Weise in der Schenke einige masovische Ritter mit ihrem Gefolge traf, die sich ebenfalls zum Fürsten nach Ciechanow begeben wollten, sowie einige bewaffnete Kaufleute aus Ciechanow, die mit ihren schwerbeladenen Wagen aus Preußen kamen. Im Verein mit all diesen Leuten war nichts zu befürchten, und so brachen sie denn bei Anbruch der Nacht auf, obwohl sich schon gegen Abend ein heftiger Wind erhoben hatte, der die Wolken vor sich hertrieb, und ein dichtes Schneegestöber begonnen hatte. Unterwegs hielten sie sich dicht aneinander, doch kamen sie so langsam vorwärts, daß Zbyszko befürchtete, sie würden ihr Ziel schwerlich am heiligen Abend erreichen. An einigen Stellen war es nötig, den Schnee wegzuschaufeln, da die Pferde nicht weiterkommen konnten. Zum Glück war der Weg durch den Forst nicht zu verfehlen, doch langten sie erst am Christabend in Ciechanow an. Möglicherweise wären sie durch Schnee und Wind rings um die Stadt gefahren, ohne zu ahnen, daß sie sich schon ganz nahe befanden, wenn sie nicht auf dem Hügel, wo das neuerbaute Schloß stand, ein hellloderndes Feuer erblickt hätten. Niemand wußte, ob das Feuer an diesem heiligen Abend angezündet worden war, um einsamen Wanderern als Wegweiser zu dienen, oder ob es nach althergebrachter Sitte geschah, aber keiner von Zbyszkos Reisegefährten sann jetzt darüber nach, denn alle waren vornehmlich darauf bedacht, so rasch wie möglich eine Unterkunft in der Stadt zu finden.

Mittlerweile ward der Sturm immer stärker. Ein scharfer kalter Wind wehte große Schneemassen empor, rüttelte an den Bäumen, heulte, raste, riß ganze Schneelawinen mit sich fort, wirbelte sie umher, überschüttete damit Wagen und Pferde, trieb die naßkalten Flocken in die Gesichter der Reisenden, nahm ihnen den Atem und erstickte ihre Worte. Das Geläute der an den Deichseln angebrachten Glocken war nicht mehr zu hören, hingegen ließen sich mitten durch das Brausen und Pfeifen des Sturmes zuweilen klagende Laute vernehmen, die bald wie das Geheul von Wölfen, bald wie das ferne Gewieher von Rossen klangen, zuweilen aber auch wie die in namenloser Angst ausgestoßenen Hilferufe eines Menschen. Die ermatteten Pferde drängten sich noch dichter aneinander und kamen immer langsamer vorwärts.

»Hei! Welch ein Schneesturm ist dies! Welch ein Schneesturm!« sagte der Böhme mit vom Sturme halberstickter Stimme. »Ein wahres Glück, Herr, daß wir uns in der Nähe der Stadt befinden und das Feuer dort uns leuchtet, sonst wäre es uns schlimm ergangen.«

»Wer sich jetzt auf freiem Felde aufhält, dem ist der Tod gewiß!« entgegnete Zbyszko. »Aber ich sehe das Feuer gar nicht mehr.«

»Der Schein kann nicht durch den aufgewirbelten Schnee dringen. Oder vielleicht hat der Wind das aufgehäufte Holz auseinandergetrieben.«

Auch auf den andern Wagen sprachen die Kaufleute und Ritter von dem Unwetter. Alle meinten, wer fern von menschlichen Behausungen von einem solchen Schneesturm überrascht werde, für den würden am anderen Morgen keine Glocken mehr läuten.

Und Zbyszko, der plötzlich unruhig geworden war, hub wieder an: »Gott verhüte, daß Jurand jetzt unterwegs ist.«

Der Böhme, der unausgesetzt nach der Richtung blickte, wo das Feuer gebrannt hatte, wandte sich nun um, indem er sagte: »Wird denn der Herr aus Spychow hierher kommen?«

»Ja!«

»Mit dem Jungfräulein?«

»Fürwahr, die Flamme scheint erstickt zu sein!« war Zbyszkos Antwort.

In der That war das Feuer erloschen. Auf dem Wege, dicht bei den Wagen und Pferden zeigten sich nun einige Reiter.

»Weshalb reitet Ihr geradewegs auf uns zu?« rief der wachsame Böhme, die Armbrust ergreifend. »Wer seid Ihr?«

»Wir sind Mannen des Fürsten, die ausgesandt wurden, um bedrängten Reisenden Beistand zu leisten.«

»Gelobt sei Jesus Christus!«

»Von Ewigkeit zu Ewigkeit!«

»Geleitet uns zur Stadt!« sprach Zbyszko.

»Ist keiner von Euern Gefährten unterwegs zurückgeblieben?«

»Keiner!«

»Woher kommt Ihr?«

»Von Przasnysz!«

»Und mit fremden Reisenden seid Ihr nicht zusammengetroffen?«

»Nein! Aber vielleicht befinden sich noch Reisende auf den andern Landstraßen.«

»Unsere Leute sind nach allen Richtungen ausgeschickt worden. Fahrt nun hinter uns her, Ihr seid vom Wege abgekommen. Nach rechts müßt Ihr Euch halten!«

Alle wendeten nun die Pferde. Während einiger Zeit war nur das Brausen des Windes vernehmbar.

»Befinden sich schon viele Gäste in dem alten Schloß?« fragte Zbyszko nach einer Weile.

Einer der hinter ihm reitenden Mannen beugte sich vor, weil er ihn nicht recht verstanden hatte.

»Was sagt Ihr, Herr?«

»Ich frage, ob sich viele Gäste bei dem Fürstenpaar befinden.«

»So viele wie gewöhnlich! Also genug!«

»Und ist der Herr aus Spychow schon hier?«

»Nein, aber er wird erwartet. Einige Leute sind ihm entgegen geritten.«

»Mit Pechpfannen?«

»Ja, doch bei solchem Winde werden sie wenig nützen.«

Weiter konnten sie nicht sprechen, weil der Sturm immer mehr raste und tobte.

»Eine wahre Teufelshochzeit,« sagte der Böhme.

Doch Zbyszko gebot ihm zu schweigen und den Bösen nicht unnötiger Weise heraufzubeschwören.

»Weißt Du denn nicht,« sagte er, »daß an einem solchen Festtage die Macht des Teufels erlahmt, und daß sich die Teufel unter dem Eise verbergen? Einer von ihnen wurde einst am Christabend bei Sandomir von Fischern in einem Netze gefunden. Er hielt einen Hecht im Maule, aber als er das Geläute der Glocken hörte, da war es mit seiner Kraft vorbei, und sie schlugen mit ihren Stöcken auf ihn ein bis zum feierlichen Mahle am Christabend. Dies ist ja ein heftiger Sturm, doch will es unser Herr Jesus so haben, damit der morgige Tag umso schöner werde.«

»Wie nahe sind wir schon an der Stadt gewesen, aber ohne diese Mannen wären wir vielleicht bis Mitternacht in der Irre herumgefahren,« bemerkte Glowacz.

»Weil das Feuer erloschen ist.«

Mittlerweile waren sie in der Stadt angelangt. Hier lag der Schnee so hoch, daß er an vielen Stellen bis zu den Fenstern reichte und sie verdeckte. Dies war der Grund, weshalb sie keinen Lichtglanz gesehen, als sie sich noch außerhalb der Stadt befanden. Der Sturm war hier weniger fühlbar. Die Straßen waren verödet, denn für die Bürger hatte die Feier des heiligen Abends schon begonnen. Von einem Haus zum andern zogen Knaben mit dem Kripplein und einer Ziege und sangen, trotz des Sturmes, ihre Weihnachtslieder. Auf dem Marktplatze sah man Leute, die mit Erbsenstroh umhüllt waren und wie Bären umhersprangen, doch sonst waren wenig Menschen zu sehen. Die Kaufleute, welche Zbyszko und die andern Ritter begleitet hatten, blieben in der Stadt zurück, während jene weiter bis zu dem vom Fürsten bewohnten alten Schlosse fuhren, dessen erleuchtete Glasfenster in heiterm Glanze strahlten.

Die Zugbrücke war schon herabgelassen, denn die alten Zeiten, da die Litauer ins Land einzufallen pflegten, waren vorüber, und die Kreuzritter, welche einen Krieg mit dem König von Polen voraussahen, bemühten sich eifrig um die Freundschaft des Fürsten von Masovien. Einer der Mannen des Fürsten blies in sein Horn, worauf das Thor sofort geöffnet wurde. Am Eingange standen einige Bogenschützen, aber auf den Zinnen war keine menschliche Seele zu sehen, da der Fürst den Wachen gestattet hatte, sich zurückzuziehen. Der alte Mrokota, welcher schon zwei Tage vorher angelangt war, kam den Gästen entgegen, und nachdem er sie im Namen des Fürsten begrüßt hatte, geleitete er sie in ihre Stuben, damit sie sich für die Mahlzeit festlich kleiden konnten.

Zbyszko begann ihn jetzt nach Jurand auszuforschen, und Mrokota antwortete, der Gebieter von Spychow sei noch nicht anwesend, werde aber erwartet, denn er habe versprochen, zu kommen, und wenn seine Krankheit sich verschlimmert hätte, so würde er Kunde davon gegeben haben. Indessen seien ihm einige Reisige entgegengeschickt worden, weil sich die ältesten Leute keines solchen Schneesturmes erinnern konnten.

»Vielleicht wird es nicht mehr allzulange dauern, bis sie hier sind.«

»Traun, allzulange kann es nicht mehr währen. Die Fürstin befahl schon, Schüsseln für sie zu dem gemeinsamen Mahle aufzustellen.«

Nun freute sich Zbyszko im Herzen, obgleich ihm stets ein wenig bange vor Jurand war, und er sagte sich: »Was er thun wird, weiß ich nicht, aber das kann er nicht ungeschehen machen, daß sie meine Gattin geworden ist, daß die heißgeliebte Danusia mein Weib ist.« Und während er darüber nachsann, vermochte er kaum an sein eigenes Glück zu glauben. Dann kam ihm auch der Gedanke, daß sie ihrem Vater vielleicht schon alles gestanden, ihn zu versöhnen gesucht und ihn gebeten habe, sie mit ihrem Gatten zu vereinigen. »Denn fürwahr, was hat er Besseres zu thun? Jurand ist ein kluger Mann, und er weiß, wenn er jetzt zwischen sie und mich träte, würde ich sie doch mit mir fortnehmen, denn ich habe nun ein größeres Anrecht an sie.«

Mittlerweile unterhielt er sich mit Mrokota, während er sich zum Mahle ankleidete, er fragte nach dem Befinden des Fürsten und besonders nach dem Befinden der Fürstin. Mit großer Freude vernahm er, daß im Schlosse alle wohlauf und heiter waren, wennschon sich die Fürstin sehr nach ihrem teuern Singvögelchen sehnte. Mrokota fügte hinzu, Jagienka, welche von der Fürstin gleichfalls geliebt werde, die aber ihrem Herzen nicht so nahe stehe, spiele ihr jetzt zuweilen auf der Laute vor.

»Wie? Jagienka?« fragte Zbyszko voll Verwunderung.

»Jagienka aus Wielgolas, die Enkelin des alten Herrn aus Wielgolas. Ein schönes Mägdlein, zu dem der Lothringer in Liebe entbrannt ist.«

»So befindet sich Herr de Lorche hier?«

»Wo sollte er sonst sein? Vom Jagdschlößchen kam er hierher, und er wird auch bleiben, denn es gefällt ihm gut am Hofe. An Gästen fehlt es unserm Fürsten niemals.«

»Ich sehe ihn gern wieder, denn er ist ein Ritter, der jedes Lob verdient.«

»Auch er ist Euch zugethan. Doch gehen wir jetzt, der Fürst und die Fürstin werden sich sogleich zu Tische setzen.«

Miteinander verließen sie die Stube. In den beiden Kaminen des Speisesaales brannten mächtige Feuer, die von den Dienern fleißig geschürt wurden. Zahlreiche Gäste und Hofleute waren schon versammelt. Der Fürst trat zuerst ein, in Begleitung des Wojwoden und einiger ihm nahestehenden Hofherren. Zbyszko ließ sich vor ihm auf die Knie nieder und küßte seine Hand.

Er aber fuhr ihm sanft über das Haupt, führte ihn dann ein wenig beiseite und sagte: »Ich weiß schon alles. Anfangs war ich ungehalten darüber, daß es ohne meine Einwilligung geschehen ist, aber Ihr hattet ja wirklich keine Zeit dazu, sie einzuholen, weil ich mich damals in Warschau befand, wo ich auch die Festtage verbringen wollte. Eine bekannte Thatsache ist übrigens, daß man den Weibern nicht Widerpart halten soll, wenn sie etwas durchsetzen wollen, denn man erreicht doch nichts damit. Die Fürstin liebt Euch wie eine Mutter, und ihr willfahre ich gern, um ihr Kummer und Thränen zu ersparen.«

Zbyszko beugte zum zweiten Mal die Knie vor dem Fürsten.

»Gebe Gott, daß ich Eure Gnade vergelten kann, allergnädigster Herr!«

»Gepriesen sei er, der Dich gesunden ließ! Sagt der Fürstin, mit welchem Wohlwollen ich Euch aufnahm, darüber wird sie sich freuen. Du lieber Gott! Ihr Vergnügen ist auch mein Vergnügen! Bei Jurand werde ich ein gutes Wort für Dich einlegen, und so denke ich, daß er seine Zustimmung giebt, denn er ist der Fürstin treu zugethan.«

»Und gäbe er seine Zustimmung auch nicht – so habe ich jetzt doch ein größeres Anrecht an Danusia!«

»Wohl hast Du jetzt ein größeres Anrecht an sie, damit muß er sich aussöhnen, aber seinen Segen kann er Euch vorenthalten. Mit Gewalt bringt niemand etwas bei ihm zu stande, und ohne des Vaters Segen bleibt auch der göttliche Segen aus.«

Als Zbyszko diese Worte vernahm, wurde er sehr betrübt, denn daran hatte er bisher nicht gedacht. Mittlerweile trat die Fürstin mit Jagienka aus Wielgolas und andern Hofdamen ein, und er neigte sich tief vor der Herrin. Sie begrüßte ihn noch gnädiger als der Fürst, auch begann sie sogleich mit ihm von Jurands baldiger Ankunft zu sprechen. Die Schüsseln für die Erwarteten seien schon aufgestellt, sagte sie, man habe Leute ausgesandt, um sie ungefährdet durch den Schneesturm zu geleiten. Aber an diesem heiligen Abend noch länger mit dem Mahle zu warten, sei unmöglich, da der »Herr« dies nicht liebe. Ihrer Ansicht nach könnten sie indessen noch vor Beendigung des Mahles eintreffen.

»Was Jurand anbelangt,« bemerkte die Fürstin, »so wird Gott ihn erleuchten. Entweder sage ich ihm heute noch alles, oder morgen nach dem Frühgottesdienst, und auch der Fürst versprach mir, daß er ein gutes Wort für Dich einlegen wolle. Zwar pflegt Jurand oft halsstarrig zu sein, aber nicht denen gegenüber, die er liebt, und nicht denen gegenüber, welchen er verpflichtet ist.«

Nun beredete sich die Fürstin mit Zbyszko darüber, wie er sich bei einem Zusammentreffen mit dem Vater seines Weibes zu verhalten habe, um ihn nicht zu beleidigen und seinen Zorn nicht auf sich zu laden. Scheinbar war die Herrin guten Mutes, aber ein besserer Menschenkenner und schärferer Beobachter als Zbyszko hätte in ihren Worten doch eine gewisse Unruhe wahrgenommen. Vielleicht lag der Grund darin, daß der Gebieter von Spychow nicht leicht zu behandeln war, vielleicht auch begann sie sich ein wenig zu ängstigen, daß die Erwarteten so lange ausblieben. Denn draußen tobte der Schneesturm immer heftiger, und alle meinten, wer auf freiem Felde davon überrascht werde, der könne sich nicht weiterhelfen. Die Fürstin indessen hatte ihre besondern Mutmaßungen; sie sagte sich, Danusia habe möglicherweise ihrem Vater gestanden, daß sie Zbyszko angetraut war, jener sei aufgebracht darüber und habe beschlossen, sich nicht nach Ciechanow zu begeben. Doch zog die Herrin vor, Zbyszko ihre Gedanken nicht mitzuteilen, zudem wäre ihr kaum Zeit dafür geblieben, da die Pagen nun die Speisen auftrugen. Doch Zbyszko eilte auf die Fürstin zu, umfaßte ihre Knie und fragte: »Und wenn sie nun kommen, wie wird es dann werden, allergnädigste Herrin? Mrokota sagte mir, für Jurand sei eine Stube bereit und für seine Knappen befände sich auch ein Heulager darin. Aber was wird sonst noch bereit sein?«

Die Fürstin lachte, und ihm mit ihrem Handschuh leicht ins Gesicht schlagend, sagte sie: »Stille! Was willst Du denn? Seht mir einmal den an!«

Damit trat sie zu dem Fürsten, für den die Lehensträger schon den Armstuhl zurechtstellten, damit er Platz nehmen konnte. Zuvor jedoch reichte ihm einer von ihnen eine flache Schüssel voll dünner, zerschnittener Fladen und Oblaten, welche der Fürst mit den Gästen, Hofherren und Dienern zu teilen hatte. Mit einer ähnlichen Schüssel wartete der Fürstin ein schöner Knabe auf, der Sohn des Kastellans aus Sochaczew. Auf der andern Seite des Tisches stand der Pater Wyszonick, welcher den Segen über das auf duftendes Heu 2 gestellte Mahl sprechen sollte.

Da plötzlich zeigte sich an der Thüre ein Mann, der über und über mit Schnee bedeckt war und laut ausrief: »Allergnädigster Herr!«

»Was ist geschehen?« fragte der Fürst, welcher es nur ungern sah, daß die Ceremonie unterbrochen wurde.

»Auf der Landstraße von Radzanow sind einige Reisende ganz verschüttet. Es ist nötig, noch mehr von unsern Leuten abzuschicken, um sie aus dem Schnee herauszugraben.«

Alle erschraken, als sie dies hörten, auch der Fürst geriet in Bestürzung, und sich zu dem Kastellan aus Sochaczew wendend, gebot er: »Berittene mit Schaufeln! Schnell!«

Dann fragte er den Verkündiger der schlimmen Nachricht: »Und sind viele verschüttet?«

»Darüber kann man nichts Sicheres sagen. Der Sturm tobt noch zu heftig. Es sind Pferde und Wagen. Und eine ganz beträchtliche Anzahl von Leuten scheint es zu sein.«

»Was für Leute es sind, wißt Ihr nicht?«

»Der Gebieter von Spychow mit Gefolge soll es sein.«

  1. Der böhmische Name Hlawa, der polnische Glowacz heißen auf deutsch: »Haupt«, »Kopf«, Glowacz heißt auch »Dickkopf«. Anm. d. Uebers.
  2. Althergebrachte polnische Sitte zur Erinnerung an die Geburt Christi und die Krippe. Anmerkung der Uebersetzerinnen.

Drittes Kapitel.

Die Kunde von den Vorgängen in Szczytno war indessen schon vor dem Bruder Rotgier nach Ciechanow gelangt und erweckte dort große Verwunderung und Unruhe. Weder der Fürst noch sonst jemand am Hofe konnte den Sachverhalt begreifen. In jüngster Zeit erst, gerade als Mikolaj aus Dlugolas sich nach Marienburg mit einem Briefe des Fürsten begeben sollte, worin dieser sich bitter über die Entführung Danusias durch die aufrührerischen, an der Grenze wohnenden Komture beklagte und fast drohend die unverzügliche Rückgabe des Mädchens verlangte, war ein Schreiben des Grundherrn von Spychow eingetroffen, mit der Nachricht, daß seine Tochter sich nicht bei den Kreuzrittern, sondern in den Händen gewöhnlicher, fremdländischer Räuber befinde und daß sie binnen kurzem gegen ein Lösegeld freigelassen werde.

Infolgedessen war der Gesandte nicht abgereist, denn niemand war es auch nur in den Sinn gekommen, daß die Kreuzritter Jurand zu einem solchen Briefe gezwungen hatten, indem sie ihm mit dem Tode seiner Tochter drohten. Aber auch so erschien das Vorgegangene unbegreiflich, weil die streitsüchtigen Grenzbewohner, welche einesteils dem Fürsten, andernteils dem Orden untergeben waren, wohl zur Sommerzeit Raubzüge zu unternehmen pflegten, nicht aber im Winter, wo der Schnee ihre Spuren verraten hätte. Gewöhnlich überfielen sie Kaufleute, auch erlaubten sie sich Plünderungen, in den Dörfern nahmen sie die Leute fest und trieben das Vieh fort; daß sie es jedoch wagten, sogar mit dem Fürsten anzubinden und dessen Pflegetochter, das einzige Kind eines mächtigen, allgemein gefürchteten Ritters zu entführen, dies schien geradezu alles Maß zu überschreiten. Jurands Brief, der mit dessen eigenem Siegel versehen war und diesmal durch einen Boten überbracht ward, von dem man wußte, daß er thatsächlich aus Spychow kam, hatte indessen alle Zweifel beschwichtigt. So war denn jeder Argwohn hinfällig geworden, der Fürst aber geriet in einen heftigen, ganz ungewöhnlichen Wutanfall und ordnete eine Verfolgung der Räuber längs der Grenze seines Fürstentums an, indem er zugleich den Fürsten von Plock aufforderte, das Gleiche zu thun und die Frevler nicht zu schonen.

Gerade um diese Zeit traf nun die Kunde von dem ein, was sich in Szczytno begeben hatte, und von Mund zu Mund gehend vergrößerte sie sich um das Zehnfache. Man erzählte sich, Jurand sei mit fünf andern vor der Burg angekommen, durch das offene Thor eingedrungen und habe ein solches Blutbad angerichtet, daß nur wenige von der Besatzung übrig geblieben seien. Ferner wurde berichtet, daß man in den benachbarten Burgen Hilfe suchen und die tüchtigsten Ritter sowie Scharen bewaffneten Fußvolks herbeiholen mußte, welche erst nach zweitägiger Belagerung im stande waren, sich den Eintritt in die Burg zu erzwingen und dort Jurand samt seinen Gefährten zu besiegen. Man sprach auch davon, daß nun wahrscheinlich von denselben Scharen die Grenze überschritten werde und daß unfehlbar ein großer Krieg beginne. Der Fürst, welcher wußte, wie viel dem Großmeister daran lag, daß im Kriegsfall mit dem polnischen König die beiden masovischen Fürstentümer neutral blieben, schenkte diesen Gerüchten wenig Glauben, denn ihm war es nicht verborgen, daß die Polen sich von keiner menschlichen Macht zurückhalten ließen, wenn die Kreuzritter mit ihm oder mit dem Fürsten Ziemowit von Plock Krieg anfangen würden. Deshalb fürchtete sich der Meister vor einem Kriege. Ein Krieg mußte kommen, das wußte er wohl, doch wünschte er ihn hinauszuschieben, zuvörderst darum, weil er friedliebender Natur war, zweitens darum, weil er, um sich mit der Streitmacht Jagiellos zu messen, ein Heer in Bereitschaft halten mußte, wie der Orden noch nie eines aufgestellt hatte, und weil er überdies gezwungen war, sich der Hilfe der Fürsten und der Ritterschaft nicht nur in Deutschland, sondern auch im ganzen Westen zu versichern.

Der Fürst fürchtete daher den Krieg nicht, doch wollte er sich Klarheit über das verschaffen, was vorgegangen war und was er thatsächlich von den Ereignissen in Szczytno, von dem Verschwinden Danusias, sowie von den Gerüchten über die Verhältnisse au der Grenze denken solle. Wenn schon er nun den Ordensleuten nicht gewogen war, vernahm er es doch mit Genugthuung, als eines Abends der Hauptmann der Bogenschützen ihm verkündigte, daß ein Kreuzritter eingetroffen sei und um Gehör bitte.

Er empfing ihn auf hochmütige Weise, und wiewohl er sofort sah, daß er einen der Brüder vor sich hatte, die in dem Jagdhofe gewesen waren, that er doch, als ob er sich seiner nicht erinnere, und fragte ihn, wer er sei, woher er komme und was ihn nach Ciechanow führe.

»Ich bin der Bruder Rotgier,« erwiderte der Kreuzritter, »und erst vor kurzer Zeit hatte ich die Ehre, mich vor dem allergnädigsten Fürsten zu beugen.«

»Wenn Du ein Bruder bist, weshalb trägst Du die Ordenszeichen nicht?«

Der Ritter erklärte nun, er habe den weißen Mantel nicht angelegt, weil er sonst unfehlbar durch die masovischen Ritter gefangen genommen oder erschlagen worden wäre. »Allüberall, auf der ganzen Welt,« sagte er, »in allen Königreichen und Fürstentümern ebnet uns das Zeichen des Kreuzes auf dem Mantel den Weg, ihm danken wir das Wohlwollen und die Gastfreundschaft vieler Menschen, in Masovien allein bringt das Kreuz dem, der es trägt, sicheres Verderben.«

Doch der Fürst fiel ihm zornig ins Wort: »Nicht das Kreuz bringt Euch Verderben,« sagte er, »denn auch wir verehren das Kreuz, sondern nur Eure eigene Lasterhaftigkeit … Und wenn Euch die Leute anderwärts besser aufnehmen, so kommt dies daher, daß sie Euch nicht so gut kennen.« Als er jedoch wahrnahm, daß der Ritter über diese Worte heftig erschrak, fragte er: »Bist Du in Szczytno gewesen, oder weißt Du, was sich dort zugetragen hat?«

»Ich bin in Szczytno gewesen und weiß, was sich dort zugetragen hat,« antwortete Rotgier, »nicht als Gesandter bin ich hierher gekommen, sondern einzig aus dem Grunde, weil der erfahrene und gottesfürchtige Komtur aus Insburk zu mir sagte: Unser Meister liebt den frommen Fürsten und vertraut seiner Gerechtigkeit; während ich daher nach Marienburg eile, begieb Du Dich nach Masovien und verkünde, welche Beschimpfungen wir erdulden mußten, welches Unglück uns zugestoßen ist. Gewiß wird der gerechte Herrscher den Friedensstörer, den grimmigen Streiter nicht begünstigen, welcher soviel Christenblut vergoß, als ob er ein Werkzeug des Satans wäre!«

Und nun erzählte er alles, was sich in Szczytno ereignet hatte: wie Jurand, welcher durch die Brüder berufen worden war, um zu sehen, ob das aus den Händen der Räuber befreite Mädchen seine Tochter sei, anstatt Dankbarkeit zu zeigen, im Wahnwitz über alle Mannen hergefallen sei, wie er Danveld, den Bruder Godfryd, den Engländer Hugues, von Bracht und zwei Knappen aus edlem Geschlechte erschlagen habe, von den Knechten gar nicht zu reden; wie die Brüder, welche kein Blut vergießen wollten, sich zuletzt gezwungen sahen, ein Netz über den Rasenden zu werfen, welcher dann die Waffe gegen sich selbst richtete und sich entsetzliche Wunden beibrachte, und wie man nicht nur in der Burg, sondern auch in der Stadt, in jener Nacht sofort nach dem Kampfe, inmitten des Wintersturmes in den Lüften lautes Gelächter und fürchterliche Stimmen gehört hatte, welche riefen: »Unser Jurand! Der Feind des Kreuzes! Der unschuldiges Blut vergossen hat! Unser Jurand!«

Die ganze Erzählung und vornehmlich die letzten Worte des Kreuzritters machten tiefen Eindruck auf die Anwesenden. Angst und Schrecken überkam sie, während sie sich fragten, ob Jurand thatsächlich höllische Mächte zu Hilfe gerufen habe – und sie versanken in tiefes Schweigen. Aber die Fürstin, welche ebenfalls zugegen war und um ihrer geliebten Danusia willen schmerzliche Sorge im Herzen hegte, wendete sich ganz unvermutet mit der Frage an Rotgier: »Ihr sagtet, Ritter, als Ihr jenes verkümmerte Geschöpf aus den Händen der Räuber befreit hattet, wäret Ihr der Meinung gewesen, es sei Jurands Tochter, und deshalb hättet Ihr ihn nach Szczytno berufen?«

»So ist es, allergnädigste Herrin!« erwiderte Rotgier.

»Und wie konntet Ihr dies glauben, da Ihr Jurands wirkliche Tochter bei mir auf dem Jagdhofe gesehen habt?«

Nun geriet Bruder Rotgier in Verwirrung, da er nicht auf diese Frage vorbereitet gewesen war. Der Fürst erhob sich und richtete einen strengen Blick auf ihn; auch Mikolaj aus Dlugolas, Mrokota aus Mocarzewo, Jasko aus Jagielnica und andere masovische Ritter sprangen sogleich auf den Mönch zu, indem einer nach dem andern in drohendem Tone fragte: »Wie konntet Ihr dies glauben? Sprich, Deutscher! Wie war dies möglich?«

Doch Rotgier hatte sich wieder gefaßt und sagte: »Wir Ordensbrüder erheben unsere Augen nicht zu den Frauen. Auf dem Jagdhofe weilten gar viele Hoffräulein in der Umgebung der allergnädigsten Fürstin, aber welche unter ihnen Jurands Tochter war, wußte keiner der Unsrigen.«

»Danveld wußte es,« ließ sich hier Mikolaj aus Dlugolas vernehmen, »er sprach mit ihr während der Jagd.«

»Danveld steht nun vor Gott!« entgegnete Rotgier, »und von ihm will ich nur das eine sagen, daß am Morgen nach seinem Tode auf seinem Sarge blühende Rosen gefunden wurden. In dieser Winterszeit aber kann keine Menschenhand sie dort niedergelegt haben.«

Abermals trat ein tiefes Schweigen ein.

»Wieso erfuhrt Ihr, daß Jurands Tochter entführt worden war?« fragte der Fürst.

»Gerade die Verwegenheit dieser That hat sie überall ruchbar gemacht.«

»Aber ich bin höchst erstaunt darüber, daß Ihr eine Blödsinnige für Jurands Tochter halten konntet!« warf der Fürst mit Nachdruck ein.

Darauf entgegnete Bruder Rotgier: »Danveld sagte: ›Gar häufig schon hat der Satan seine Knechte verraten, und so hat er vielleicht auch Jurands Tochter verwandelt!‹«

»Die Räuber, als der Schrift unkundige Leute, konnten doch unmöglich Kalebs Schrift nachahmen und Jurands Siegel fälschen. Wer hat dies also gethan?«

»Der böse Geist!«

Und abermals schwiegen alle.

Rotgier blickte dem Fürsten forschend in die Augen und sagte: »Fürwahr, gleich einem Schwerte durchbohren diese Fragen meine Brust, denn Argwohn und Zweifel sind darin enthalten. Doch im Vertrauen auf die Gerechtigkeit Gottes und auf die Macht der Wahrheit frage ich Euch, allergnädigster Fürst: hat Jurand selbst uns einer solchen That beschuldigt, und wenn er uns beschuldigte, weshalb hat er dann, bevor wir ihn nach Szczytno beriefen, die ganze Grenze nach den Räubern abgesucht, um die Tochter von ihnen loszukaufen?«

»Nun … das ist wahr!« antwortete der Fürst. »Und wenn Ihr irgend etwas vor den Menschen verborgen hättet, vor Gott könnt Ihr es nicht verbergen. Er hatte wohl im ersten Augenblick Verdacht auf Euch, aber dann … dann ist er wohl anderen Sinnes geworden.«

»Seht wie der Glanz der Wahrheit obsiegt über das Dunkel,« sagte Rotgier.

Und er schaute mit Siegerblicken im Saale umher, denn ihn dünkte, die Kreuzritter seien klügere, verschlagenere Köpfe als die Polen, und dies Volk werde dem Orden immer zur Beute und Nahrung dienen, wie die Fliege der Spinne zur Beute und Nahrung dient.

Seine frühere Geschmeidigkeit bei Seite lassend, näherte er sich nun dem Fürsten und begann in erhobenem, eindringlichem Tone: »Entschädige uns, Herr, für unsere Verluste, für das uns zugefügte Unrecht, für unsere Thränen und unser Blut! Dir war dieser Höllensohn unterthan, im Namen der Gerechtigkeit entschädige uns daher für das uns zugefügte Unrecht und für das vergossene Blut!«

Und der Fürst schaute ihn voll Verwunderung an.

»Beim allmächtigen Gott!« sagte er, »was verlangst Du? Wenn Jurand sich im Wahnsinn in Euerem Blute wälzte, habe ich dann die Verantwortung für seinen Wahnsinn?«

»Dir war er unterthan, Herr,« versetzte der Kreuzritter, »und in Deinem Fürstentum liegen seine Besitzungen, seine Dörfer und seine Burg, worin er Diener des Ordens gefangen hielt; möge daher wenigstens seine Habe, möge sein Gut und jene verruchte Burg von nun an Eigentum der Geschädigten werden. Zwar wird dies kein würdiger Ersatz für das edle Blut sein, das von ihm vergossen ward, zwar werden die Toten dadurch nicht ins Leben zurückgerufen, aber vielleicht wird es einigermaßen Gottes Zorn besänftigen und die Schmach vertilgen, welche sonst das ganze Fürstentum treffen würde. O Herr! Allüberall besitzt der Orden Länder und Burgen, welche ihm durch die Gunst und Frömmigkeit christlicher Fürsten überwiesen worden sind, nur hier, in Deinem Staate hat er keine Spanne Landes. Mögen wir für das uns zugefügte Unrecht, welches zu Gott nach Rache schreit, wenigstens dadurch entschädigt werden, damit wir sagen können, daß auch hier Leute leben, welche gottesfürchtigen Herzens sind.«

Durch all diese Worte wurde der Fürst in noch größeres Staunen versetzt, und erst nach langem Schweigen antwortete er: »Bei den Wundmalen des Erlösers! … Wenn Euer Orden sich hier niederlassen durfte, wessen Gunst verdankte er dies, wenn nicht der Gunst meiner Vorfahren? Habt Ihr noch nicht genug an den Ländern, Gütern, Städten, welche einst uns und unserm Volke gehörten und nun Euer sind? Zudem lebt Jurands Tochter noch, denn niemand hat Euch ihren Tod angezeigt. Und Ihr wollt Euch an einer Waise Brautschatz vergreifen, ihr das Brot nehmen, um Euch dadurch für das Euch zugefügte Unrecht zu entschädigen?«

»Herr, Du gestehst zu, daß uns Unrecht geschehen ist,« sprach Rotgier, »gewähre uns daher auch die Genugthuung, welche Dein fürstlicher, gerechter Sinn Dir eingiebt!«

Wieder war er im Innersten hocherfreut, weil er sich sagte: »Nun werden sie nicht klagen, sondern darüber beraten, wie sie sich selbst reinwaschen und aus dieser Sache herausziehen können. Niemand wird uns etwas vorwerfen und unser Name wird so fleckenlos sein wie die weißen Ordensmäntel.«

Da ließ sich unerwarteter Weise der alte Mikolaj aus Dlugolas also vernehmen: »Man beschuldigt Euch der Habsucht und Gott weiß, ob mit Unrecht, denn auch in dieser Angelegenheit liegt Euch mehr am Gewinn als an der Ehre des Ordens.«

»Das ist wahr!« riefen die masovischen Ritter im Chore.

Rotgier trat einige Schritte weiter vor, erhob stolz das Haupt und schaute mit hochmütigen Blicken umher, indem er sagte: »Nicht als Gesandter bin ich hierher gekommen, sondern nur um Zeugnis über die Vorgänge in Szczytno abzulegen, und als Ordensritter, der bereit ist, die Ehre des Ordens mit seinem eigenen Blute bis zum letzten Atemzuge zu verteidigen! … Wer also wagt, trotz dessen, was der Gebieter von Spychow selbst ausgesagt hat, den Orden der Teilnahme an der Entführung von Jurands Tochter zu beschuldigen, der möge diese ritterliche Forderung annehmen und sich dem Gottesgericht unterwerfen.«

So sprechend warf er seinen Handschuh vor sich hin, der zu Boden fiel. Sie aber standen in tiefem Schweigen da, denn obgleich mehr als einer gern sein Schwert am Genick des Kreuzritters schartig gemacht hätte, fürchteten sie doch alle das Gottesgericht. Jurands ausdrückliche Erklärung, daß es nicht die Ordensritter gewesen, die seine Tochter entführt hatten, war keinem unter ihnen verborgen geblieben, daher sagte sich ein jeder im Innern, daß Rotgier im Rechte sei und daß deshalb auch der Sieg auf seiner Seite sein werde.

Dieser ward immer kecker und verwegener, und die Hände in die Seiten stemmend fragte er: »Befindet sich einer unter Euch, der gewillt ist, diesen Handschuh aufzuheben?«

Da trat ein Ritter, dessen Eintritt von niemand bemerkt worden war und der an der Thüre dem Gespräche schon seit einiger Zeit zugehört hatte, in die Mitte des Saales und sagte: »Ich bin gewillt, es zu thun!«

Bei diesen Worten warf er Rotgier seinen eigenen Handschuh ins Gesicht und sprach dann mit einer Stimme, die inmitten der tiefen Stille wie Donner klang: »Vor dem Angesichte Gottes, in Gegenwart des erhabenen Fürsten und all der berühmten Ritter dieses Landes sage ich Dir, Kreuzritter, daß Du gleich einem Hunde gegen Recht und Gerechtigkeit belferst. Ich fordere Dich daher in die Schranken zu Fuß oder zu Roß, zum Kampfe mit der Lanze oder mit der Streitaxt, mit dem kurzen oder mit dem langen Schwerte, und nicht um die Freiheit wollen wir streiten, nein, um Leben und Tod.«

In der Halle hätte man die Fliege an der Wand hören können. Aller Augen richteten sich auf Rotgier und auf den Ritter, der jenen vor die Schranken gefordert hatte. Niemand vermochte ihn zu erkennen, denn wenn er auch kein Visier an seinem Helm hatte, war dieser doch mit einer so breiten Kante versehen, daß dadurch nicht nur die Ohren und der obere Teil des Gesichtes fast vollständig bedeckt waren, sondern auch der untere Teil des Antlitzes beschattet ward. Der Kreuzritter war nicht weniger überrascht als die andern. Wie ein Blitzstrahl am nächtlichen Himmel, so spiegelte sich auf seinen bleichen Zügen bald gänzliche Fassungslosigkeit, bald wilder Zorn. Rasch ergriff er den Handschuh, der von seinem Gesichte herabgleitend, sich an einem Gliede der Armschiene festgehakt hatte, und fragte: »Wer bist Du, der Du Gott zum Richter anrufst?«

Da löste der unbekannte Ritter die Schnalle unter seinem Kinn, nahm den Helm ab, so daß sein jugendfrisches Antlitz sichtbar ward, und antwortete: »Zbyszko aus Bogdaniec, der Ehegemahl von Jurands Tochter.«

Staunend vernahmen alle Anwesenden diesen Ausspruch, hatte doch außer dem Fürstenpaare, dem Pater Wyszoniek und dem Lothringer niemand Kenntnis von der Vermählung Danusias gehabt. Die Kreuzritter waren daher der Ansicht gewesen, die Tochter Jurands habe keinen andern natürlichen Beschützer als ihren Vater. Mit einem Male trat auch jetzt Herr de Lorche in die Mitte des Saales und rief: »Auf meine ritterliche Ehre bezeuge ich die Wahrheit seiner Worte, und einem jeden, der daran zu zweifeln wagt, dem werfe ich den Handschuh hin.«

Rotgier, der keine Furcht kannte und dessen Brust in diesem Augenblick von grimmem Zorn erfüllt war, würde vielleicht auch diesen Handschuh aufgehoben haben, wenn er sich nicht rechtzeitig eines Besseren besonnen und seinen Groll bezwungen hätte. Denn ganz abgesehen davon, daß er sich ins Gedächtnis zurückrief, welch ansehnlicher Ritter der Lothringer war und welche Macht er als Blutsverwandter des Grafen Geldryi besaß, mußte er schon deshalb an sich halten, weil sich nun der Fürst erhob und finsteren Blickes erklärte: »Es ist nicht gestattet, den Handschuh aufzuheben, denn auch ich bezeuge, daß jener Ritter die Wahrheit gesprochen hat.«

Daraufhin neigte Rotgier das Haupt, wendete sich zu Zbyszko und sagte: »Wenn es auch Dein Wille ist, fechten wir den Kampf innerhalb geschlossener Schranken zu Fuß und mit der Streitaxt aus.«

»Schon das erste Mal habe ich Dich auf diese Weise gefordert!« antwortete Zbyszko.

»Gott verleihe der gerechten Sache den Sieg!« riefen die masovischen Ritter.

Viertes Kapitel.

An dem ganzen Hofe, sowohl unter den Rittern wie unter den Frauen, herrschte Zbyszkos wegen große Unruhe. Alle liebten ihn, allein durch Jurands Brief zweifelte keiner daran, daß der Kreuzritter, der zudem als einer der berühmtesten Ordensbrüder galt, im Recht sei. Van Krist, dessen Knappe, erzählte auch fortwährend, und vielleicht mit Absicht, den masovischen Edeln von seinem Herrn. Er schilderte ihnen, wie dieser, bevor er ein waffentragender Mönch geworden war, zu der Ehrentafel der Kreuzritter gezogen worden sei, an der nur die berühmtesten Ritter teilnehmen durften, also solche Ritter, die schon eine Fahrt in das gelobte Land unternommen oder siegreich gegen Drachen, Riesen oder mächtige Zauberer gekämpft hatten. Prahlerisch versicherte er auch, sein Herr habe schon häufig, das ›Misericordia‹ in der einen; das Schwert oder die Streitaxt in der andern Hand, allein den Kampf mit fünf Gegnern aufgenommen, so daß die seinen Worten lauschenden Masuren sich sehr beunruhigt fühlten und etliche also sprachen: »Hei! wenn Jurand hier wäre, der würde es sicher mit zwei solcher Kreuzritter aufnehmen, denn kein Deutscher ist ihm jemals entkommen! Doch wehe dem Jüngling! An Kraft, an Jahren und an Erfahrung ist ihm der Geforderte überlegen.« Wohl um sich und den andern Mut einzuflößen, bemühte sich der und jener, die Namen masovischer oder überhaupt polnischer Ritter anzuführen, die, sei es in höfischen Turnieren, sei es beim Lanzenbrechen, zahlreiche Siege über Ritter aus dem Westen erfochten hatten. Allen voran wurde Jawisza aus Garbow genannt, dem kein Ritter in der Christenheit gleichkam. Einige wenige gab es indessen auch, die große Hoffnung auf Zbyszko setzten. »Das ist kein Weichling,« sagten sie, »nein, wie Ihr ja hörtet, ist unter seinen Streichen das Haupt von mehr als einem Deutschen auf die festgetretene Erde gerollt.« Frischer Mut wurde aber in aller Herzen durch eine That von Zbyszkos Knappen erweckt. Als nämlich am Vorabend des Zweikampfes Hlawa Ohrenzeuge davon war, wie van Krist die unverschämtesten Dinge von den Siegen Rotgiers erzählte, faßte der junge Heißsporn den Redenden unter dem Kinn, bog dessen Kopf zurück und sagte: »Da Du Dich nicht schämst, den Menschen hier allerlei Lügen aufzubinden, blicke gen Himmel und bedenke, daß auch Gott Dich hört!« Und so lange hielt er ihn auf diese Weise fest, daß man während der Zeit ein Vaterunser hätte beten können. Sofort nachdem van Krist wieder freigekommen war, erkundigte er sich über Hlawas Herkunft und forderte ihn, als er vernahm, das dieser aus edlem Geschlechte stamme, zum Zweikampfe mit der Streitaxt.

Dieser Vorgang war gar tröstlich für die Masuren und aufs neue sagte einer zu dem andern: »Solche Streiter werden sich auf dem Kampfplatze bewähren. Haben sie daher das Recht, haben sie Gott auf ihrer Seite, dann tragen die Ordensbrüder keine heilen Knochen aus dem Kampfe davon!« Da es aber Rotgier verstanden hatte, durch seine Auseinandersetzungen Sand in aller Augen zu streuen, sorgte sich der und jener darüber, auf welcher Seite das Recht sei, ja der Fürst selbst teilte die Befürchtungen der andern.

Infolgedessen ließ er am Vorabend des Zweikampfes Zbyszko zu einer Unterredung zu sich entbieten, bei der nur noch die Fürstin anwesend war.

»Bist Du sicher, daß Gott auf Deiner Seite stehen wird?« fragte er den jungen Ritter. »Woher weißt Du, daß die Kreuzritter Danusia entführt haben? Hat Dir Jurand irgend etwas darüber mitgeteilt? Denn siehst Du, hier ist Jurands Brief, den Pater Kaleb geschrieben hat. In dem Schreiben, das mit Jurands Siegel versehen ist, sagt letzterer ausdrücklich, Danusia sei nicht von den Kreuzrittern entführt worden. Was hat er Dir mitgeteilt?«

»Er sagte, Danusia sei nicht von den Kreuzrittern entführt worden.«

»Wie wagst Du es daher, Dein Leben aufs Spiel zu setzen, wie wagst Du es. Dich dem Gottesgerichte zu unterwerfen?«

Zbyszko verstummte. Nach geraumer Zeit indessen hub er mit bebenden Lippen und mit thränenfeuchten Augen wieder also an: »Ich weiß gar nichts, allergnädigster Herr! Zusammen mit Jurand bin ich von hier fortgezogen. Unterwegs habe ich ihm meine Vermählung mit Danusia kund gethan. Als eine Versündigung gegen Gott bezeichnete er diese That; da ich ihm aber bedeutete, es sei Gottes Wille gewesen, beruhigte er sich – verzieh er mir. Auf der ganzen Fahrt behauptete er stets, seine Tochter sei von niemand anderm als von den Ordensbrüdern entführt worden. Was sich aber dann ereignet haben mag, ist mir unerklärlich. Jenes Weib, das mir seiner Zeit ein Heilmittel in den Jagdhof überbracht hatte, kam mit einem Boten nach Spychow. Jurand schloß sich mit den beiden zu einer Unterredung ein. Was die drei besprochen haben, weiß ich nicht; nachdem sie jedoch auseinander gegangen waren, vermochten Jurands eigene Knechte ihren Herrn kaum mehr zu erkennen, schien er doch wie von Furcht und Schrecken erstarrt. Er erklärte auch: ›Nicht die Kreuzritter sind die Schuldigen‹, allein er entließ nicht nur de Bergow, sondern auch alle andern Gefangenen aus der Haft, er selbst aber entfernte sich aus der Burg ohne einen Knappen, ohne Knecht … Mir wurde gesagt, er wolle sich zu den Räubern Danusias begeben, um diese loszukaufen, ich möge in Spychow seine Rückkehr erwarten. Nun denn, ich wartete! Plötzlich kam die Nachricht aus Szczytno, Jurand habe unzählige Deutsche erschlagen, sei aber dann selbst gefallen. O wohledler Herr, mir brannte der Boden von Spychow unter den Füßen, mir drohte der Wahnsinn. Den Mannen befahl ich, zu Pferde zu steigen – ich wollte Jurands Tod rächen. Da sagte Pater Kaleb zu mir: ›Du kannst die Burg nicht stürmen, einen Krieg darfst Du nicht beginnen. Begieb Dich zu dem Fürsten, vielleicht hörst Du durch ihn von Danusia‹. So kam ich hierher und traf gerade noch recht ein, um jenen Hund belfern zu hören, um zu vernehmen, wie er sich über das den Kreuzrittern zugefügte Unrecht, über Jurands Wahnwitz ausließ. Ich habe seinen Handschuh aufgehoben, weil ich ihm schon einmal eine Herausforderung habe zugehen lassen, und wenn ich auch nichts weiß, weiß ich doch so viel, daß die Kreuzritter teuflische Lügner sind – ohne Scham, ohne Ehre, ohne Treue! Seht, allergnädigster Fürst, erhabene Fürstin, die Ordensritter haben de Fourcy ermordet, auf meinen Knappen versuchten sie jedoch die Schuld zu laden. Bei Gott, wie ein Vieh haben sie de Fourcy hingeschlachtet, dann aber erschienen sie vor Dir, o Herr, und forderten Vergeltung, forderten Rache. Wer kann schwören, daß sie nicht vor Jurand ebensolche Lügen vorgebracht haben, wie jetzt vor Dir, o Herr? Wohl weiß ich nicht, wo Danusia ist, trotzdem aber habe ich den Kreuzritter gefordert. Der Tod ist mir erwünscht. Was gilt mir noch mein Leben ohne sie, die Heißgeliebte!«

Von Verzweiflung ergriffen, riß er sich das Netz von dem Haupte und grub schluchzend seine Hände in die nun über seine Schultern herabwallenden Haare.

Auch Anna Danuta war tief erschüttert. Der Raub Danusias hatte sie schwer getroffen. Nun legte sie ihre Hand auf das Haupt Zbyszkos und sagte: »Gott der Herr wird Dir beistehen, er wird Dich segnen, er wird Dich trösten.«

Fünftes Kapitel.

Der Fürst widersetzte sich dem Zweikampfe nicht. Der herrschenden Sitte gemäß lag dies auch gar nicht in seiner Macht. Dagegen forderte er, daß Rotgier an den Meister und an Zygfryd ein Schreiben des Inhalts sende, er selbst habe zuerst dem masovischen Ritter den Handschuh vor die Füße geworfen. Daraufhin sei es zum Kampfe mit dem Ehegemahl von Jurands Tochter gekommen, der ihm übrigens schon viel früher eine Herausforderung geschickt habe. In diesem Briefe gab der Kreuzritter dem Großmeister auch die Erklärung ab, er stelle sich nur deshalb ohne vorherige Erlaubnis zum Zweikampfe, weil es sich um die Unterdrückung eines widerlichen Verdachtes handle, der Schimpf und Schande auf den Orden häufen würde. Für die Ehre des Ordens sei aber er, Rotgier, jederzeit bereit, sein Blut zu opfern. Dieser Brief wurde sofort durch einen Knecht des Ordensritters an die Grenze geschickt, von wo er dann weiter nach Marienburg mit der Post befördert ward, welche die Kreuzritter schon viele Jahre in ihrem Gebiete eingerichtet hatten.

Mittlerweile wurde in dem Burghofe der Schnee festgetreten und mit Asche bestreut, damit die Füße der Kämpfenden nicht einsinken oder auf der glatten Oberfläche ausgleiten konnten. In der ganzen Burg herrschte eine ungewöhnliche Lebendigkeit. Eine solche Erregung hatte sich der Ritter und des Hofes bemächtigt, daß in der, dem Kampfe vorangehenden Nacht kein Auge den Schlaf fand. Man wurde nicht müde, sich gegenseitig zu versichern, daß ein Kampf zu Pferde mit Lanze oder Schwert fast stets Verwundungen herbeiführe, ein Kampf zu Fuß, der zudem mit der fürchterlichen Streitaxt ausgefochten werden sollte, immer einen tödlichen Ausgang nehme.

Die Herzen aller waren auf der Seite von Zbyszko. Aber gerade wegen der großen Vorliebe eines jeden für ihn oder für Danusia gedachten auch die meisten voll banger Sorge der Berühmtheit und Gewandtheit des Kreuzritters. Viele der Frauen verbrachten die Nacht in der Kirche, wo Zbyszko vor dem Zweikampfe bei Pater Wyszoniek die Beichte ablegte. Beim Anblick der fast knabenhaften Züge des jungen Ritters sprach eine zu der andern: »Das ist ja noch ein wahres Kind – weshalb soll sein jugendliches Haupt unter den deutschen Schwertstreichen fallen!« Und mit noch tieferer Inbrunst beteten sie um Schutz für ihn. Als er sich indessen bei Anbruch der Morgendämmerung von seinen Knien erhob und durch die Kapelle schritt, um sich in der Rüstkammer zu wappnen, da faßten die Frauen wieder frischen Mut. Denn wenn auch Zbyszko ein knabenhaftes Antlitz hatte, zeichnete er sich doch durch einen weit über das gewöhnliche Maß hinausgehenden, hohen, kräftigen Wuchs aus und machte dadurch den Eindruck eines geradezu vor Kraft strotzenden Jünglings, der es mit jedem aufzunehmen vermochte.

Der Kampf sollte in dem von einer Säulenhalle umgebenen Burghofe ausgefochten werden.

Kaum tagte es völlig, so erschienen der Fürst und die Fürstin mit den Kindern. Sie nahmen in der Mitte der Säulenhalle Platz, da man von hier aus den ganzen Vorhof am besten überblicken konnte. Ihnen zur Seite ließen sich die Vornehmsten des Hofes nieder, die Edelfrauen und die Ritter. Allmählich füllte sich jeglicher Winkel der Halle. Hinter einem von Schnee aufgeworfenen Walle stellte sich der größte Teil des Gesindes auf. Etliche kletterten sogar auf die Fenstergesimse oder auf das Dach.

»Gebe Gott, daß sich der Unsrige nicht ergeben muß!« flüsterten diese einfachen Leute einander zu.

Der Tag war feucht, kalt, aber klar. Ein Schwarm von Dohlen, die unter den Dachfirsten und in den Zinnen der Türme nisteten und von dem ungewöhnlichen Lärm aufgescheucht worden waren, flogen wild mit den Flügeln schlagend über der Burg hin und her. So groß war die Erregung von all den hier Versammelten, daß sie die herrschende Kälte durchaus nicht empfanden. Als aber nun gar der erste Trompetenstoß ertönte, der das Nahen der Kämpfer verkündete, da klopften die Herzen aller zum Zerspringen. Jene hingegen betraten von zwei entgegengesetzten Seiten die Schranken und blieben innerhalb der ihnen bestimmten Grenzen stehen. Den Zuschauern stockte der Atem in der Brust. Ein jeder sagte sich: »In nicht allzuferner Zeit werden vielleicht zwei Seelen vor dem Richterstuhle Gottes stehen, werden vielleicht zwei Leichname auf dem Schnee liegen.« Die Lippen, die Wangen der Frauen erbleichten bei diesem Gedanken, die Männer hingegen hielten die Blicke unverwandt fest auf die Widersacher gerichtet, hofften sie doch nach deren Erscheinung und Ausrüstung voraussagen zu können, auf wessen Seite sich der Sieg neigen werde.

Der Kreuzritter trug einen glänzenden, bläulich schimmernden Harnisch, das gleiche Hüftblech und einen ebensolchen Helm mit offenem Visier und mit einem prächtigen Pfauenfederbusche als Helmzier. Zbyszko erschien in der wunderbar schönen mailändischen Rüstung, die er seinerzeit von den Friesen erbeutet hatte. Sein Haupt schützte er durch einen schmucklosen, mit einer breiten Kante versehenen Helm, dessen Visier gleichfalls offen war. Mit der linken Hand hielten beide Ritter ihren mit Wappen versehenen Schild. Den Schild des Kreuzritters zierten oben Schachfelder, unten drei Löwen, die auf den Hinterbeinen standen. Auf dem Schilde Zbyszkos befand sich ein stumpfes Hufeisen. Die Rechte umfaßte die breite scharfe Streitaxt, deren eichener, schwarzgewordener Stil an Länge den Arm eines Mannes überragte. Hinter den Rittern schritten deren Knappen einher. Hlawa, von Zbyszko Glowacz genannt, und van Krist, die mit dunkeln Harnischen aus Eisenblech bekleidet, mit Axt und Schild bewaffnet waren. Van Krist führte einen Ginsterstrauch im Wappen, das Wappen des Böhmen ähnelte dem Wappen, das »Pamian« genannt wurde, nur daß statt der Axt, die den Stierkopf spaltete, ein kurzes Schwert bis zur Hälfte in dessen Auge steckte.

Ein zweiter Trompetenstoß erscholl. Beim dritten sollte, der Uebereinkunft gemäß, der Angriff beginnen. Kein allzu großer, mit Asche bestreuter Platz trennte die Gegner, über diesem Raum aber schwebte, gleich einem Unheil verkündenden Vogel – der Tod. Ehe indessen das dritte Zeichen gegeben ward, näherte sich Rotgier den Säulen, zwischen denen das Fürstenpaar saß, neigte sein behelmtes Haupt und sprach mit einer so lauten Stimme, daß man ihn in allen Winkeln der Säulenhalle verstehen konnte: »Ich nehme Gott, Euch, erhabene Frau, und die ganze Ritterschaft dieses Landes zu Zeugen, daß ich schuldlos bin an dem Blute, welches vergossen werden wird.«

Bei diesen Worten des Kreuzritters, die Zeugnis dafür ablegten, wie sicher sich dieser seines Sieges fühlte, krampften sich aller Herzen aufs neue vor Schrecken zusammen. Zbyszko aber wandte sich in seiner schlichten Art unverweilt zu dem Böhmen und sagte: »Widerlich mutet mich der Hochmut des Kreuzritters an, der wohl nach meinem Tode berechtigt wäre, nicht aber solange ich lebe. Jener Prahlhans aber trägt zudem Pfauenbüsche auf dem Helme, und ich habe nicht nur gelobt, mich dreier solcher zu bemächtigen, sondern so vieler als ich Finger an den Händen habe. Gott gebe seinen Segen dazu!«

»O Herr!« ließ sich hierauf Hlawa fragend vernehmen, während er sich niederbeugte und ein wenig von der auf den Schnee gestreuten Asche in die Hände nahm, damit ihm das Schwert nicht so leicht entgleite, »o Herr, kann es nicht Christus gewähren, daß ich rasch mit diesem preußischen Klepper fertig werde? Und steht es mir dann nicht frei, diesem Kreuzritter, wenn ich ihn vielleicht auch nicht angreifen darf, den Stiel der Streitaxt zwischen die Beine zu stoßen und ihn dadurch zu Falle zu bringen?«

»Gott schütze Dich!« rief Zbyszko lebhaft, »mit Schande würdest Du mich und Dich bedecken!«

Jetzt erklang der dritte Trompetenstoß. Kaum hatten ihn die Knappen vernommen, so eilten sie voll wildem Eifer aufeinander zu, die Ritter jedoch traten sich langsam und bedächtig entgegen, gerade als ob ihnen für den ersten Zusammenprall Würde und Anstand ganz besonders ans Herz gelegt worden wäre.

Nur wenige achteten auf die Knappen, die aber von den erfahrenen Mannen und von dem Gesinde, welche auf jene schauten, begriffen sofort, daß sich in diesem Kampfe die Wagschale zu Gunsten Hlawas neigen werde. Nur mühsam führte der Deutsche die Streitaxt, und die Art, wie er seinen Schild gebrauchte, hatte etwas Schlaffes. Unter dem runden Schilde kamen seine langen aber dünnen Beine zum Vorschein, während die kraftvollen Beine des Böhmen durch die enganschließende Gewandung so recht in die Augen fielen. Hlawa ging auch so ungestüm vor, daß van Krist vom ersten Augenblicke an zurückweichen mußte. Die Beobachter verstanden sofort, daß der eine von diesen Widersachern den andern wie ein Sturmwind, wie ein Blitzstrahl mit uneindämmbarem Feuereifer überfalle, und daß dieser andere nur kämpfe, um solange wie möglich den gefürchteten Augenblick von sich fernzuhalten, der ihm, seinem eigenen Gefühle nach, den Tod bringen mußte. Und so war es auch in der That, der Prahlhans, welcher sich überhaupt nur zum Kampfe stellte, wenn er ihm nicht ausweichen konnte, erkannte gleich, daß die kecken, unbedachtsamen Worte ihm einen Gegner zugeführt hatten, dessen Streiche Verderben bedeuteten. Sein Mut sank daher immer mehr, denn von einem jeden Schlag fürchtete er, zu Tode getroffen zu werden. Umsonst rief er es sich ins Gedächtnis zurück, daß es nicht genüge, die Hiebe mit dem Schilde aufzufangen, daß man Hiebe austeilen müsse. Beständig sah er die Streitaxt über seinem Haupte blinken, stets glaubte er, nun sei es mit ihm zu Ende. Den Schild vorhaltend, blinzelte er unwillkürlich mit den Augen voll Angst und Verzweiflung, ob er sie noch öffnen könne. Dann und wann holte er auch selbst zu einem Schlage aus, ohne indessen die Hoffnung zu hegen, seinen Widersacher zu treffen, und immer höher und höher hielt er den Schild in dem Glauben empor, sich dadurch besser schützen zu können.

Schließlich ward er matter und matter, und der Böhme schlug immer kräftiger auf ihn ein. Aehnlich wie von einem Fichtenstamme unter der Axt des Bauern mächtige Späne abspringen, so lösten sich unter den Streichen des Böhmen Plättchen auf Plättchen von der Rüstung des deutschen Knappen ab. Der breite Rand des Schildes bog sich und wurde brüchig, das Schulterblech am rechten Arme fiel zusammen mit dem durchhauenen und ganz mit Blut getränkten Lederwerk zur Erde. Van Krists Haare sträubten sich auf dem Haupte – Todesangst erfaßte ihn. Ein-, zweimal schlug er noch mit Aufbietung all seiner Kraft auf des Böhmen Schild. Schließlich jedoch sah er entsetzt ein, daß er gegen die erstaunliche Stärke seines Widersachers nicht aufzukommen vermöge, daß er sich nur durch irgend eine außergewöhnliche That retten könne, und so warf er sich plötzlich in seiner ganzen Schwere gegen die Beine von Hlawa.

Sofort stürzten beide zu Boden. In dem Bestreben eines jeden, die Oberhand über den andern zu gewinnen, umfaßten sie sich und wälzten sich auf dem Schnee. Nach geraumer Zeit gelang es indessen dem Böhmen, seinen Oberkörper freizumachen. Wohl ward er noch eine Weile lang durch die verzweiflungsvollen Anstrengungen seines Gegners darnieder gehalten, dann aber setzte er das Knie auf dessen mit einem Panzerhemd bedeckten Leib und riß das kurze, dreikantige Misericordia aus dem Gürtel.

»Gnade!« flüsterte van Krist leise, indem er die Augen zu dem Böhmen erhob.

Ohne indessen eine Antwort zu erteilen, beugte sich jener über den Besiegten, damit er leichter dessen Hals erreichen konnte, zerschnitt hierauf den Lederriemen des Helmes unter dem Kinn und stieß dem Gegner den unheilbringenden Dolch zweimal so tief in die Kehle, daß die nach unten gerichtete Spitze sogar in die Brust eindrang.

Van Krists Augen sanken tief in die Höhlen. Mit Armen und Beinen schlug er auf den Schnee, als ob er diesen von der Asche reinigen wolle, dann zuckte sein ganzer Körper zusammen und noch war keine Minute vergangen, so lag er unbeweglich, starr dahingestreckt auf der weißen Decke. Rotgefärbter Schaum trat auf seine Lippen, er war über und über mit Blut befleckt.

Nun erhob sich der Böhme. Er reinigte das Misericordia an der Gewandung des Deutschen, ergriff seine Streitaxt und sich darauf stützend beobachtete er unverwandt den erbitterten und hartnäckigen Kampf seines Ritters mit Bruder Rotgier.

Die Ritter aus dem Westen waren schon längst an ein bequemes, üppiges Leben gewöhnt, während die »Erben« in Kleinpolen und Großpolen, sowie in Masovien noch immer ein hartes, schweres Dasein führten, infolgedessen freilich aber auch ihre Körperkraft und ihre Ausdauer im Ertragen aller Art von Fährlichkeiten bei Fremden, ja sogar bei Uebelwollenden Bewunderung erregte. So zeigte es sich zwar auch jetzt, daß Zbyszko ebenso sehr den Kreuzritter an Kraft überragte, wie dies bei dem Böhmen dem Knappen van Krist gegenüber der Fall gewesen war, allein es erwies sich gleichzeitig, daß der junge Kämpe nicht nur an Alter, sondern auch in den ritterlichen Uebungen hinter dem Ordensbruder zurückstand.

Für Zbyszko war es daher gewissermaßen günstig, daß der Kampf mit der Streitaxt geführt ward, da von Entfaltung einer Fechtkunst mit dieser Waffe nicht die Rede sein konnte. Hätte er mit dem kurzen oder mit dem langen Schwerte kämpfen müssen, wobei es hauptsächlich darauf ankam, jeden Ausfall, jeden Stoß zu berechnen, jeden Hieb abzuweisen, würde der Deutsche ein erhebliches Uebergewicht über ihn gewonnen haben. Aber auch die Art, wie der Ordensbruder sich jetzt bewegte, wie er den Schild handhabte, machte es nicht nur Zbyszko selbst, sondern auch den Zuschauern klar, daß sie einen erfahrenen, nicht zu verachtenden Streiter vor sich hatten, der offenbar nicht zum erstenmale in solcher Weise kämpfte. Sobald Zbyszko zum Schlage ausholte, hielt Rotgier den Schild vor, im Augenblicke des Zuschlagens aber zog er ihn durch eine kleine Schwenkung unmerklich zurück. Dadurch verloren selbst die wuchtigsten Hiebe an Kraft, dadurch vermochten sie weder den Schild zu zertrümmern, noch dessen glatte Oberfläche zu zermalmen. Bald zog sich der Kreuzritter zurück, bald ging er vor, das eine Mal that er dies aber mit einer solchen Ruhe, das andere Mal wieder so rasch, daß das Auge seinen Bewegungen kaum zu folgen vermochte. Des Fürsten Herz ward allmählich von Angst um Zbyszko erfüllt, die Gesichtszüge der Mannen verdüsterten sich, dünkte doch allen, der Deutsche treibe ein absichtliches Spiel mit seinem Gegner. Oft hielt er den Schild gar nicht mehr vor, sobald indessen Zbyszko zuschlug, sprang er in der Weise zur Seite, daß die Schneide des Beiles in die Luft fuhr. Dies war um so gefährlicher, weil Zbyszko dabei leicht das Gleichgewicht verlieren und stürzen konnte, wodurch er unrettbar verloren gewesen wäre. All dies beobachtete der Böhme, an der Leiche van Krists stehend, sehr wohl. Voll Schrecken dachte er daher bei sich: »Gott schütze mich, wenn mein Herr stürzt, schlage ich dem Deutschen mit dem Beile zwischen die Schulterblätter und bringe ihn auch zu Fall.«

Zbyszko kam indessen nicht zu Fall. Er besaß eine solche Kraft in den Beinen, die er weit ausgespreizt hielt, daß er trotz der Schwere seines Körpers, trotz der fortwährenden Schwankungen fest standhielt.

Rotgier ward dies sofort klar, und die Zuschauer irrten sich in ihrer Annahme, er achte seinen Gegner gering. Im Gegenteile, gleich nach den ersten Hieben, als ihm, trotz der großen Geschicklichkeit in der Handhabung des Schildes, der rechte Arm fast steif wurde, wußte er, welch schweren Stand er diesem jungen Ritter gegenüber haben werde, und daß der Kampf, wenn es ihm nicht gelingen sollte, durch eine plötzliche und unerwartete Wendung jenen zu Fall zu bringen, ein langer, hartnäckiger werden würde. Er hatte darauf gerechnet, daß Zbyszko nach einem der vergeblichen Schläge auf dem Schnee ausgleiten werde, als er sich aber darin getäuscht sah, da bemächtigte sich seiner eine gewisse Unruhe. Nur zu gut gewahrte er unter dem geöffneten Visiere die eingezogenen Nasenlöcher, die zusammengepreßten Lippen, die zeitweise blitzenden Augen des Widersachers, und er hoffte nun darauf, Zbyszko lasse sich von seinem Feuereifer fortreißen, vergesse alles um sich her, verliere den Kopf und denke schließlich in seiner Verblendung nur mehr daran, Streiche auszuteilen, als sich zu schützen. Allein auch darin irrte sich der Kreuzritter. Zbyszko verstand es zwar nicht, die in die Luft geführten Hiebe zu vermeiden, trotzdem jedoch vergaß er nicht des Schildes und wußte sich, sobald er mit der Streitaxt zum Schlage ausholte, soweit zu decken, als es nötig war. Seine Wachsamkeit verdoppelte sich offenbar; augenscheinlich beurteilte auch er die Erfahrung und die Gewandtheit seines Gegners ganz richtig, den er vergaß sich keinen Augenblick, blieb stets Herr seiner selbst und ging immer vorsichtiger zu Werke. In seinen Angriffen zeigte sich eine gewisse Bedachtsamkeit, wie sie nicht unüberlegter Eifer, sondern nur kalte Berechnung hervorzubringen vermag.

Rotgier, der schon viele Einzelkämpfe bestanden, der schon manche Schlachten angeführt hatte, wußte aus Erfahrung, daß es Menschen gab, die, gleich den Raubvögeln, zum Kampfe geschaffen und von der Natur mit besonderen Eigenschaften dazu ausgestattet sind, Menschen, welche von vornherein all die Eigenschaften besitzen, die sich andere Jahre hindurch mühsam erringen müssen. Einem solchen Menschen aber stand er jetzt gegenüber, das bezweifelte er keinen Augenblick. Vom ersten Zusammenstoße an wußte er, daß dieser junge Ritter dem Reiher glich, der in dem Gegner nur die Beute sieht und an nichts anderes denkt, als sie zwischen seine Klauen zu bekommen. Ungeachtet der gewaltigen eigenen Kraft konnte er sich darin doch nicht mit Zbyszko messen. Wenn aber nun auch noch gar diese Kraft erlahmte, bevor er den entscheidenden Streich geführt hatte? Das würde sein Verderben bedeuten, zu Grunde gehen würde er in dem Kampfe mit diesem zwar unerfahrenen, aber furchtbaren jungen Streiter. Dies erwägend, schonte er seine Kräfte jetzt mehr. Fest hielt er den Schild nun an sich, eine jede seiner Bewegungen berechnete er. Weit weniger als früher ging er vor, um gleich darauf wieder zurückzuweichen, nur auf eines hielt er sein Augenmerk gerichtet. Unentwegt harrte er auf einen günstigen Moment, um den entscheidenden Streich führen zu können.

Der entsetzliche Kampf zog sich über die Maßen in die Länge. In der Säulenhalle herrschte eine tödliche Stille. Nur zeitweise war ein Klirren, ein dumpfer Klang zu vernehmen, wenn die Streitäxte auf die Schilde aufschlugen. Weder dem Fürstenpaare, noch den Rittern oder dem Hofstaate war ein solches Schauspiel fremd, nichtsdestoweniger aber preßte eine entsetzliche Angst die Herzen aller Zuschauer zusammen. Ein jeder begriff, daß es sich hier nicht darum handelte, Kraft, Gewandtheit und Mannhaftigkeit zu entfalten, sondern daß der Kampf mit der größten Wut, mit der größten Verzweiflung, mit unversöhnlichem Haß und glühendstem Rachedurst geführt ward. Auf der einen Seite stritt man erlittener Kränkung wegen, aus Liebe, aus grenzenlosem Herzeleid in diesem Gottesgerichte, auf der andern Seite zur Ehre des Ordens, aus grenzenloser Feindschaft.

Allmählich erhellte sich der kalte, düstere Tag. Die grauen Nebelschleier zerteilten sich, in dem Glanze der Sonne

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Der entsetzliche Kampf zog sich über die Maßen in die Länge.

blinkten der Harnisch des Kreuzritters, die silberne mailändische Rüstung Zbyszkos. In der Kapelle wurde die Terz eingeläutet. Kaum erklangen indessen die Glocken, so flatterte ein neuer Schwarm Dohlen so heftig mit den Flügeln schlagend und so laut krächzend unter den Dachfirsten der Burg hervor, als ob sie ihrer Freude Ausdruck verleihen wollten über das vergossene Blut und über den Leichnam, der so unbeweglich auf dem Schnee lag. Rotgiers Blick schweifte während des Kampfes ein oder zweimal über jenen hin, und stets ergriff ihn dabei das Gefühl unendlicher Vereinsamung. Wohl ruhten die Augen gar vieler auf ihm, aber Feindschaft leuchtete aus diesen Augen. Nur für Zbyszko beteten die Frauen, nur ihm galten all die guten Wünsche. Außerdem erweckte auch die Anwesenheit des Knappen ein Gefühl der Unbehaglichkeit in dem Kreuzritter. Nur zu gut wußte ja letzterer, daß ihn der Böhme nicht meuchlings im Rücken überfallen werde, allein trotzdem erfüllte ihn die Nähe der mächtigen Erscheinung mit der Unruhe, welche die Menschen beim Anblick eines Wolfes, eines Bären, eines Büffels empfinden, ohne von diesen Tieren durch ein Gitter getrennt zu sein. Und um so weniger konnte Bruder Rotgier diese Unruhe bemeistern, als der Böhme, von dem Wunsche beseelt, den Verlauf des Kampfes genau zu verfolgen, sich fortwährend hin und her bewegte, den Platz wechselte. Bald von der Seite, bald von hinten, bald von vorn nahte er sich dem Kämpfenden und warf ihm, den Kopf neigend, entweder durch die Oeffnungen des Visieres hindurch Unheil verkündende Blicke zu, oder er öffnete dasselbe zeitweise, um die Wirkung dieser Blicke noch zu verschärfen.

Eine gewisse Erschöpfung bemächtigte sich allgemach des Kreuzritters. Trotzdem fiel Schlag auf Schlag. Zweimal holte Rotgier zu gewaltigen Schlägen aus, mit denen er den rechten Arm Zbyszkos zu treffen hoffte, allein dieser stieß sie mit dem Schilde so kräftig zurück, daß die Streitaxt in der Hand seines Gegners schwankte, dieser selbst sich aber fortwährend zurückziehen mußte, um nicht zu stürzen. Und von diesem Augenblicke an gab es nur noch ein Zurückweichen für ihn. Allein nicht nur seiner Kraft ging er verlustig, er büßte auch seine Kaltblütigkeit, seine Ruhe ein. Voll Grimm, voll Verzweiflung vernahm er die vereinzelten Freudenrufe der Zuschauer über seinen Rückzug. Dichter und dichter folgten die Hiebe auf einander. Große Schweißtropfen rannen über die Stirn der Streitenden, keuchend rang sich ihr Atem zwischen den zusammengepreßten Zähnen hervor. Die Erregung der Zuschauer wuchs beständig, mit der bisher bewahrten Ruhe war es vorbei. Bald erschollen die Rufe der Mannen, bald die der Frauen: »Schlag zu! Auf ihn! Das ist ein Gottesgericht! Das ist Gottes Strafe! Gott steht Dir bei!« Umsonst winkte der Fürst, zum Zeichen, daß sich die Zuschauer ruhig verhalten sollten, er vermochte nichts auszurichten. Der Lärm wurde immer lauter, denn da und dort brachen Kinder in heftiges Weinen aus, während sogar rings um das Fürstenpaar jugendliche weibliche Stimmen schluchzend die Worte ausstießen: »Für Danuska, Zbyszko, für Danuska!«

Um Danusias willen kämpfte ja Zbyszko diesen Kampf. Keinen Augenblick zweifelte er daran, daß der Kreuzritter bei ihrer Entführung die Hand mit im Spiele gehabt hatte, und als er sich gegen ihn stellte, da geschah es der schweren Kränkungen halber, die ihr angethan worden waren. Doch er war jung und kampfeslustig. Kaum stand er daher seinem Gegner gegenüber, so dachte er nur noch an den Kampf selbst. Da plötzlich tönten jene Rufe an sein Ohr und erinnerten ihn an den Raub seines jungen Weibes, an dessen qualvolles Leid; Liebe, Schmerz und Rachedurst jagten ihm das Blut wie Feuer durch die Adern. Vor Ingrimm krampfte sich sein Herz zusammen und eine geradezu rasende Wut ergriff ihn. Den furchtbaren Schlägen seiner Streitaxt, die wie Donnerkeile niederfielen, vermochte der Kreuzritter nicht länger Widerstand zu leisten, und Zbyszko stieß schließlich seinen Schild mit solch übermenschlicher Gewalt gegen den Schild des Deutschen, daß dessen rechter Arm plötzlich, wie erlahmt, kraftlos darniedersank. Voll Schrecken und Angst wich nun dieser abermals zurück, indem er sich nach hinten beugte, um den Streichen zu entgehen, da sauste ihm die blinkende Axt vor den Augen und fiel wie der Blitz auf seine rechte Schulter nieder.

Den Lippen der Zuschauer entrang sich der herzzerreißende Aufschrei: »Jesus!« dann wich Rotgier noch einen Schritt zurück und stürzte rücklings zu Boden.

Nun wogte und schwirrte es in der Säulenhalle wie in einem Bienenstocke, aus welchem die Bienen, von der Sonne erwärmt, summend ausschwärmen. Geradezu scharenweise eilten die Ritter die Stufen hinab, während die Knechte von den Schneewällen herabsprangen, um die zu Tode Getroffenen in der Nähe zu betrachten. Allenthalben ertönte der Ruf: »Das ist Gottes Gericht! … Er ist der würdige Erbe Jurands! Lob ihm und Preis!« Andere wieder riefen: »Schauet her und staunt! Selbst Jurand hätte es nicht besser machen können!« Ein Kreis von Neugierigen sammelte sich allgemach um den erschlagenen Rotgier. Mit fahlem Antlitz, mit weit geöffnetem Munde lag er auf dem Rücken. Der blutüberströmte rechte Arm hing nur noch mit wenigen Fasern an der Schulter, von der er durch den wuchtigen Axthieb fast völlig getrennt worden war. Bei diesem Anblick meinten wieder etliche: »Schaut her. Voll Leben war er, voll Hochmut schritt er dahin, und jetzt rührt er keinen Finger mehr!« Und während einer mir dem andern in solcher Weise seine Gedanken austauschte, bewunderten alle erstens die Größe des Kreuzritters, der fast die ganze Länge des Kampfplatzes einnahm und im Tode einen womöglich noch gewaltigeren Eindruck als im Leben machte, zweitens staunten sie die auf dem Schnee in allen Farben schillernden Pfauenfedern an und drittens die Rüstung und die Waffen, welche an Wert einem großen Dorfe gleichgeachtet werden konnten. Da sich aber nun Hlawa, der Böhme, zusammen mit zwei Mannen Zbyszkos, dem Erschlagenen näherte, um ihm Rüstung und Waffen abzunehmen, umringten die Neugierigen Zbyszko selbst, indem sie ihn laut priesen und bis zum Himmel erhoben, dünkte es sie doch, daß sein Ruhm auch zum Ruhme des ganzen masovischen und polnischen Ritterstandes gereiche. Um es ihm leichter zu machen, wurde ihm Schild und Streitaxt abgenommen, ja, Mrokota aus Mocarzewa löste ihm den Helm, bedeckte aber seine schweißtriefenden Haare mit einer Mütze aus roter Seide. Gleichsam versteinert stand der junge Kämpe anfänglich da. Nur die noch in wildem Feuer glänzenden Augen in dem vor Erschöpfung und Erregung totenbleichen Antlitz zeugten dafür, daß er noch lebte. Plötzlich aber lief ein Zittern durch seine Glieder und er atmete tief aus. Unverweilt ergriff man ihn nun bei den Händen und führte ihn vor das Fürstenpaar, welches in einem erwärmten Gemache am Kamine seiner harrte. Zbyszko kniete nieder, und nachdem Pater Wyszoniek den Segen über ihn gesprochen und für die ewige Ruhe des Erschlagenen gebetet hatte, umarmte der Fürst den jungen Sieger und sprach also: »Gott der Allmächtige hat zwischen Euch gerichtet und Dir seinen Schutz verliehen, wofür sein Name gepriesen sei. Amen!«

Nach diesen Worten wandte er sich zu Herrn de Lorche und zu den andern Rittern, indem er hinzufügte: »Dich, fremder Ritter, und Euch alle, die Ihr hier nicht einheimisch seid, rufe ich zu Zeugen dafür auf, wie ich es auch selbst bezeuge, daß der Kampf nach Recht und Sitte ausgefochten ward, und daß auch hier, wie bei allen Kämpfen das Gottesgericht entschieden hat.«

Die anwesenden Wojwoden gaben im Chore ihre Zustimmung kund, während Herr de Lorche, dem die Worte des Fürsten verdolmetscht wurden, sich erhob und erklärte, er werde nicht nur bezeugen, daß sich alles nach ritterlichem und göttlichem Gesetze vollzogen habe, sondern auch einen jeden, der daran zweifle, sei es nun in Marienburg, sei es an irgend einem andern fürstlichen Hofe, vor die Schranken zum Kampfe zu Roß oder zu Fuß fordern. Diese Herausforderung aber werde er, de Lorche, nicht nur an gewöhnliche Ritter ergehen lassen, sondern auch an Riesen und Schwarzkünstler, ja, sogar an den allmächtigen Zauberer Merlin.

Die Fürstin Anna Danuta aber beugte sich in dem Augenblicke, in dem Zbyszko ihre Knie umfaßte, zu diesem nieder und sagte: »Weshalb bist Du nicht frohgestimmt? Freue Dich und danke Gott, denn wenn Gott Dich in seiner Barmherzigkeit aus dieser Gefahr errettete, dann wird er Dich auch nicht länger vereinsamt lassen, nein, er wird Dir Glück gewähren.«

Da antwortete Zbyszko: »Wie kann ich mich freuen, wohledle Frau? Gott verlieh mir zwar den Sieg, ich durfte Rache an jenem Kreuzritter nehmen, aber Danusia ist mir noch immer fern – nicht mehr weiß ich von ihr als wie zuvor.«

»Die grimmigsten Widersacher, Danveld, Godfryd und Rotgier sind aus dem Leben geschieden,« warf die Fürstin ein, »von Zygfryd aber sagen alle, daß er wohl grausam, doch gerecht sei. Lob und Preis sei dem allgütigen Gott auch dafür. Außerdem hat sich Herr de Lorche auch längst dahin ausgesprochen, daß, wenn der Kreuzritter falle, er selbst dessen Leiche fortführen werde. Dadurch komme er nach Marienburg und sei im stande, in eigener Person Danusia dem Großmeister in die Erinnerung zurückzurufen. Der Großmeister jedoch wird sich Gehör zu verschaffen wissen.«

»Gott verleihe dem Herrn de Lorche ein langes Leben!« entgegnete Zbyszko. »Ich ziehe mit ihm nach Marienburg.«

Diese Worte versetzten die Fürstin in tiefen Schrecken, hätte doch Zbyszko nichts Gefährlicheres unternehmen können, wenn er erklärt haben würde, er folge wehrlos den Spuren der Wölfe, die sich des Winters rudelweise in den dichten Wäldern Masoviens umhertrieben.

»Wozu?« rief sie daher. »Um einem sichern Verderben entgegenzugehen? Jetzt gleich nach dem Kampfe schützt Dich weder die Aussage des Herrn de Lorche, noch der Brief, den Rotgier vor dem Zusammentreffen geschrieben hat. Du erlangst damit nichts, Du bringst Dich nur selbst in Gefahr.«

Der junge Kämpe aber erhob sich und sagte, die Hände kreuzweis zusammenfaltend: »So wahr mir Gott helfe, ich ziehe nach Marienburg, und wenn es auch mein Tod wäre. So wahr mir Christus gnädig sein möge, werde ich Danusia bis zu meinem letzten Atemzuge suchen und nicht davon abstehen, bis sich meine Augen im Tode schließen. Leichter ist es doch, sich mit den Deutschen zu schlagen, sich mit ihnen zu messen, als einsam, wie mein junges Weib, in einem unterirdischen Kerker zu schmachten. O, weit leichter, weit leichter ist dies!«

Und wie immer, wenn er Danusias gedachte, erfaßte ihn auch jetzt wieder eine solche Erregung, ein solch grenzenloser Schmerz, daß er die Worte nur stoßweise hervorbrachte, gerade als ob ihm die Kehle zugeschnürt sei. Die Fürstin gab es auf, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Wer ihn zurückhalten wollte, das sah sie nur zu gut ein, der mußte ihn in einem unterirdischen Kerker festschmieden lassen.

Zbyszko konnte indessen nicht sofort aufbrechen. Wohl stand es den damaligen Rittern frei, sich alles aus dem Wege zu räumen, was ihren Plänen hindernd im Wege stand, aber es war ihnen nicht gestattet, die ritterliche Sitte außer acht zu lassen, kraft derer der Sieger im Zweikampfe einen ganzen Tag, ja, bis gen Mitternacht auf der Wahlstatt ausharren mußte. Dies galt als Beweis, daß er das Feld behauptet hatte, sowie als Zeichen, daß er zu jedem neuen Kampfe bereit war, zu dem ihn irgend ein Verwandter oder ein Freund des Besiegten fordern würde. Diese Sitte beobachteten sogar ganze Kriegsheere und gingen dadurch der Beute oftmals verlustig, die sie sich durch Verfolgung des Feindes hätten erringen können. Zbyszko versuchte es auch gar nicht, gegen diese feststehende Sitte anzukämpfen. Nachdem er eine kleine Stärkung zu sich genommen und sich aufs neue gewappnet hatte, verweilte er bis gen Mitternacht in dem Vorhofe der Burg unter dem dunkeln, winterlichen Himmel, auf das fragliche Erscheinen eines Feindes harrend. Erst nach Mitternacht und nachdem die Herolde seinen Sieg durch laute Trompetenstöße endgültig verkündet hatten, entbot ihn Mikolaj aus Dlugolas zur Abendmahlzeit, gleichzeitig aber auch zu einer Beratung mit dem Fürsten.

Sechstes Kapitel.

Der Fürst ergriff bei der Beratung als erster das Wort, indem er also sprach: »Schlimm ist es, daß wir weder ein Schreiben, noch irgend ein anderes Zeugnis gegen die Komture in Händen haben. Denn wenn gleich unsere Vermutung richtig erscheint, wenn auch nach meiner Ansicht keine anderen als sie die Tochter Jurands entführt haben, was nützt dies alles? Sie werden sich weiß zu waschen wissen. Und so der Großmeister nach irgend einem Beweis fragt, was kann ihm vorgewiesen werden? Traun, das Schreiben Jurands zeugt ja noch zudem für sie. – Du behauptest zwar,« fuhr er nach kurzer Pause zu Zbyszko gewendet fort, »das Schreiben sei Jurand abgezwungen worden. Dies mag wohl sein, ja, dies ist gewiß der Fall, denn wenn das Recht auf ihrer Seite wäre, hätte Dir Gott nicht seinen Schutz gegen Rotgier verliehen. Doch ebenso gut wie ihm ein Schreiben abgenötigt worden sein kann, mag er sich auch zu einem zweiten verstanden haben. Vielleicht hat ihnen Jurand bezeugt, daß sie unschuldig an der Entführung des bedauernswerten Mägdleins sind. Und angenommen, sie legen ein solches Zeugnis dem Großmeister vor, was dann?«

»Sie selbst gestanden ja zu, erlauchter Herr, daß sie Danusia den Räubern entrissen und nunmehr in ihrer Obhut haben.«

»Ich weiß es. Allein jetzt erklären sie, in einem Irrtum befangen gewesen zu sein. Nicht Danusia, sondern ein anderes Mägdlein stehe unter ihrem Schutz, behaupten sie, und der beste Beweis hierfür sei der, daß Jurand selbst letzteres von sich gewiesen habe.«

»Er wies es von sich, weil sie ihm eine fremde Maid statt seiner Tochter vorführten. Dadurch erregten sie ja eine solche Wut in ihm.«

»Das ist alles richtig. Nichtsdestoweniger werden sie erklären, dies beruhe einzig und allein auf unseren Mutmaßungen.«

»Ihre Ränke,« warf hier Mikolaj aus Dlugolas ein, »lassen sich mit einem Walde vergleichen. Am Rande des Waldes findet man sich noch zurecht, je tiefer man jedoch in das Dickicht dringt, desto schwieriger wird dies, und schließlich irrt man so lange umher, bis man den Weg ganz und gar verloren hat.«

Kaum hatte aber der Redende seine Worte dem Herrn de Lorche verdeutscht, so erklärte dieser: »Der Großmeister ist weit besser als die Komture und als die Brüder. Wohl besitzt er einen verwegenen Geist, allein er hält auf ritterliche Ehre.«

»So ist es!« ließ sich Mikolaj vernehmen. »Der Großmeister ist ein leutseliger Mann. Er versteht es zwar nicht, die Komture oder das Kapitel im Zaume zu halten, noch den Ausschreitungen des Ordens zu steuern, allein Freude findet er nicht daran. Macht Euch auf den Weg, macht Euch auf den Weg, Ritter de Lorche, und gebt ihm Kunde von dem, was hier geschehen ist. Vor Fremden nehmen sie sich mehr in acht, als vor uns, damit nicht an ausländischen Höfen ihre Tücke, ihre Schandthaten ruchbar werden. Sollte aber der Meister Beweise von Dir fordern, dann sprich also zu ihm: ›Nur Gott allein kennt die Wahrheit, die Menschen müssen sie erforschen; willst Du daher Beweise, o Herr, so forsche darnach. Laß die Burgen untersuchen, die Leute verhören und gestatte uns, all das zu unternehmen, was wir für gut finden. Ein albernes Märchen ist es, daß das Jungfräulein im Walde von Räubern geraubt worden sein soll‹.«

»Ein albernes Märchen!« wiederholte de Lorche.

»Denn Räuber würden es niemals gewagt haben, die Hände gegen ein Glied des fürstlichen Hofes oder gegen die Tochter Jurands zu erheben. Angenommen aber, sie hätten sich des Mägdleins bemächtigt, so wäre dies doch nur des Lösegeldes wegen geschehen und sie selbst hätten die Kunde gebracht, daß das Jungfräulein in ihrer Gewalt sei.«

»Das werde ich alles vorbringen,« erklärte der Lothringer. »De Bergow suche ich sofort auf. Wir stammen aus einem Lande und wenngleich ich ihn auch nicht kenne, weiß ich doch, daß er ein Blutsverwandter des Grafen Geldryi ist. Er soll daher dem Meister über alles berichten, was er erlebt und gesehen hat, denn er ist in Szczytno gewesen.«

Da Zbyszko nur wenig von dem verstand, was der Lothringer sagte, verdolmetschte ihm Mikolaj das, was er nicht verstand. Daraufhin umfaßte der junge Ritter den Herrn de Lorche und preßte ihn so ungestüm an die Brust, daß letzterer geradezu stöhnte.

Der Fürst aber fragte Zbyszko: »Und Du bist endgültig entschlossen, Dich ebenfalls auf den Weg zu machen?«

»Endgültig, wohledler Herr. Was bleibt mir auch anderes zu thun übrig? Könnte ich, wie ich wollte, würde ich Szczytno stürmen, trotzdem ich mir vielleicht die Zähne an den Mauern ausschlüge! Darf ich aber ohne Erlaubnis einen Krieg heraufbeschwören?«

»Wer ohne Ermächtigung einen Krieg hervorruft, der büßt dafür unter dem Schwerte des Henkers!« ergriff der Fürst das Wort.

»So will es das Gesetz!« antwortete Zbyszko. »Traun, ich könnte auch alle vor Gericht laden, welche in Szczytno gewesen sind, allein man sagte mir, Jurand habe sie dort wie das Vieh hingeschlachtet, und nun weiß ich nicht, wer noch am Leben ist, wer erschlagen ward … Doch, so wahr mir Gott und das heilige Kreuz beistehen, so wahr harre ich bis zu meinem letzten Atemzuge bei Jurand aus!«

»Trefflich sprichst Du – so frommt es Dir,« warf Mikolaj aus Dlugolas ein. »Und daß Du Dich nicht auf Szczytno warfst, ist ein Beweis für Deinen Verstand. Denn thöricht wäre es, zu mutmaßen, daß sich Jurand und dessen Tochter dort befinden. Viel wahrscheinlicher ist es, daß sie in irgend eine andere Burg überführt worden sind. Gott verlieh Dir den Sieg über Rotgier, weil Du Dich hier einstelltest.«

»So ist es!« stimmte der Fürst bei. »Doch nach dem, was mir von Rotgier gemeldet ward, ist nunmehr von den vier Brüdern nur noch der alte Zygfryd am Leben, während die andern Gott durch Jurands oder durch Deine Hand schon bestrafte. Was aber Zygfryd anbelangt, so ist er zwar kein Schurke wie jene, allein seine Grausamkeit übersteigt jedes Maß. Schlimm genug ist’s daher, daß Jurand und Danusia in seiner Gewalt sind – sie müssen so rasch wie möglich befreit werden. Damit Dir selbst nichts Schlimmes zustößt, gebe ich Dir ein Schreiben an den Meister mit. Höre genau auf das, was ich Dir sage, und bedenke, daß Du nicht als Gesandter, sondern als Vertrauter zu dem Meister ziehst, an den ich folgendes schreibe: ›Da sie sich seiner Zeit sogar unserer Person, dem Abkömmling ihrer Wohlthäter, bemächtigt haben, so ist es um so wahrscheinlicher, daß sie die Tochter Jurands entführten, auf den sie ganz besonders erbost sind. Es geht daher die Bitte an den Meister, um den Befehl, sofort Nachforschungen nach ihr anzustellen und sie in Deine Hände auszuliefern, so er sich meine Freundschaft sichern will‹.«

Kaum hatte Zbyszko diese Worte vernommen, warf er sich dem Fürsten zu Füßen und rief, dessen Knie umfassend: »Und Jurand, gnädigster Herr? Verwendet Euch auch für ihn! Wenn er tödlich verwundet ist, möge er doch wenigstens auf seinem Erbe, bei seinen Kindern sterben!«

»Jurands wird nicht vergessen!« entgegnete gütig der Fürst. »Der Meister hat ebenso wie ich zwei Schiedsrichter auszustellen, welche die Handlungsweise der Komture und Jurands nach den ritterlichen Ehrengesetzen prüfen sollen. Diese vier Schiedsrichter aber werden noch einen weiteren als Obmann wählen und ihrem Urteilsspruche muß sich jeder fügen.«

Damit war die Beratung zu Ende. Zbyszko verabschiedete sich von dem Fürsten, wollte er sich doch sofort auf den Weg machen. Bevor indessen alle auseinander gingen, nahm Mikolaj aus Dlugolas, der die Kreuzritter genau kannte, den jungen Kämpen auf die Seite und fragte: »Wie ist es mit dem Böhmen, Deinem Knappen? Willst Du ihn mit Dir zu den Deutschen nehmen?«

»Er wird mich sicherlich nicht verlassen wollen. Doch weshalb fragt Ihr?«

»Weil er mich jammert. Er ist ein tüchtiger Bursche, drum merk nun auf das, was ich Dir sage: Du wirst mit heiler Haut aus Marienburg zurückkehren, es sei denn, daß Du dort im Zweikampfe auf einen überlegenen Gegner stoßest, der Böhme aber geht einem sicheren Verderben entgegen.«

»Weshalb glaubt Ihr das?«

»Weil die Weißmäntel ihn der Ermordung des Herrn de Fourcy zeihen. Sie haben jedenfalls dem Großmeister von dessen Tod geschrieben und sicherlich behauptet, der Böhme sei der Urheber des Mordes. In Marienburg vergiebt man ihm diese vermeintliche Schuld nicht. Man wird ihm den Prozeß machen, ihn verurteilen, denn wie kannst Du den Großmeister von Hlawas Unschuld überzeugen? Dazu kommt auch noch, daß er Danveld das Handgelenk verdreht hat, Danveld aber war ein Blutsverwandter des Großmeisters der Johanniter. Gar leid ist es mir um den Burschen, und ich wiederhole es nochmals, daß er einem sicheren Tod entgegengeht, so er Dir folgt.«

»Ihm droht keine Gefahr, denn er bleibt in Spychow zurück.«

Doch es kam ganz anders. Durch mannigfache Gründe wurde das Verbleiben des Böhmen in Spychow vereitelt. Zbyszko und de Lorche machten sich am nächsten Morgen mit ihrem Gefolge auf den Weg. De Lorche, der durch Pater Wyszoniek von dem Eide freigesprochen war, mit dem er sich Ulrika de Elner angelobt hatte, trat glückselig und ganz erfüllt von der Holdseligkeit Jagienkas aus Dlugolas die Fahrt an, auf der er sich infolgedessen recht schweigsam verhielt. Er und Zbyszko konnten sich zudem nur schwer mit einander verständigen.

So war denn letzterer darauf angewiesen, mit Hlawa über Danusia zu sprechen, wodurch der Knappe auch von der beabsichtigten Fahrt nach Marienburg Kenntnis erhielt, von der er bisher nichts gewußt hatte.

»Ich gehe nach Marienburg,« teilte ihm Zbyszko mit, »und Gott allein weiß, wann ich zurückkehren werde. Vielleicht geschieht dies bald, vielleicht im Frühling oder in einem Jahre, vielleicht komme ich niemals zurück. Verstehst Du mich?«

»Ich verstehe alles. Ihr, gnädigster Herr, wollt dort gewiß die Ritter zum Zweikampfe fordern. Lob und Preis sei Gott dafür, denn sicherlich hat jeder Ritter auch einen Knappen.«

»Nein,« antwortete Zbyszko, »nicht um zu kämpfen ziehe ich aus, es sei denn, daß ich selbst herausgefordert werde. Du aber folgst mir nicht nach Marienburg, Du bleibst in Spychow.«

Diese Worte kränkten den Knappen aufs tiefste. Anfänglich jammerte er kläglich, dann aber bat er seinen jungen Herrn, ihn doch nicht zu verbannen.

»Ich habe geschworen,« erklärte er, »niemals von Euch zu weichen, gnädigster Herr; auf das Kreuz und auf meine Ehre habe ich diesen Eid geleistet. Und wenn Euch, gnädigster Herr, ein Unfall begegnen sollte, wie dürfte ich jemals wieder meiner Herrin in Zgorzelic unter die Augen treten? Geschworen habe ich es ihr, o Herr! Deshalb erbarmt Euch meiner, damit ich nicht mit Schimpf und Schande beladen, vor ihr erscheinen muß.«

»Hast Du ihr aber nicht auch gelobt, mir gehorsam zu sein?« fragte Zbyszko.

»In allem soll ich Euch Gehorsam leisten, nur verlassen soll ich Euch nicht. Wenn Ihr, gnädigster Herr, daher mich von Euch weist, muß ich Euch in geringer Entfernung folgen, um, so dies nötig wäre, sofort bei der Hand zu sein.«

»Ich weise Dich nicht von mir und werde Dich niemals von mir weisen!« antwortete Zbyszko. »Doch ich wäre ja geradezu geknechtet, wenn ich Dich nicht an irgend einen entfernt gelegenen Platz schicken, wenn ich mich selbst nicht auf einen Tag von Deiner Gegenwart befreien könnte. Du wirst doch nicht beständig hinter mir stehen wollen, wie der Henker hinter einer armen Seele? Und wie willst Du mir im Kampfe beistehen? Ich spreche nicht vom Kriege, denn in der Schlacht streiten die Menschen scharenweise, allein im Einzelkampfe kannst Du mir doch nichts nützen. Wäre Rotgier der Stärkere gewesen, so befände sich seine Rüstung nicht auf unserem Wagen, sondern die meine auf dem seinen. Keinen Vorteil würde mir Deine Anwesenheit in Marienburg bringen, nein, Unheil könnte mir nur daraus erwachsen.«

»Wie meint Ihr das, gnädigster Herr?«

All das, was Mikolaj aus Dlugolas ihm mitgeteilt hatte, erzählte nun Zbyszko dem Fragenden und sagte ihm, daß er, Hlawa, von den Komturen, die jede Schuld von sich abzuwälzen versucht hatten, des Mordes an Herrn de Fourcy beschuldigt worden sei, weshalb ihn sicherlich die Rache der Kreuzritter treffen werde.

»Und wenn sie Dich greifen,« fügte Zbyszko schließlich hinzu, »werde ich Dich doch nicht ihrer Rache überlassen. Mit meinem Kopfe müßte ich es aber dann bezahlen.«

Mit düsterer Miene lauschte der Böhme diesen Worten, deren Wahrheit er nur zu wohl erkannte. Trotzdem versuchte er es aber nochmals, seiner Bitte Gehör zu verschaffen.

»Von all denen, die mich sahen, ist keiner mehr am Leben,« warf er ein, »denn wie mir gesagt ward, hat der Gebieter von Spychow gar viele erschlagen, und Rotgier fiel durch Euere Hand.«

»Die Knechte sahen Dich, die jenen voranzogen, auch lebt der alte Kreuzritter Zygfryd noch und befindet sich sicherlich in Marienburg. Ist dies aber nicht der Fall, so wird ihn der Großmeister gewiß dahin berufen. Das gebe Gott!«

Darauf ließ sich nichts mehr sagen. Das Gespräch verstummte, und schweigend zogen nun Ritter und Gefolge bis nach Spychow. Dort trafen sie die ganze Besatzung der Burg zum Kampfe gerüstet, weil der alte Tolima nicht anders dachte, als daß entweder die Kreuzritter einen Ueberfall machen würden, oder daß Zbyszko nach seiner Rückkunft mit den Mannen zur Rettung Jurands ausziehen werde. An allen Uebergängen über die Sümpfe, auf den Wällen der Burg standen Wachen, die kriegsgewohnten Mannen harrten voll Ungeduld auf die Deutschen, von denen sie reiche Beute zu gewinnen hofften. Zbyszko und de Lorche wurden von dem Priester Kaleb empfangen, der ihnen nach dem Nachtmahle das mit Jurands Siegel versehene Pergament zeigte, auf welches er eigenhändig den letzten Willen des Gebieters von Spychow geschrieben hatte.

»In der Nacht, bevor er sich nach Szczytno auf den Weg machte, sagte er mir alles Wort für Wort vor. Traun, er glaubte nicht an seine Rückkehr.«

»Warum sagtet Ihr von all dem nichts?«

»Wie durfte ich dies, da mir Jurand seine Plane als Beichtgeheimnis anvertraute? Verleihe ihm die ewige Seligkeit, o Herr, und laß ihm das ewige Licht leuchten.«

»Sprecht dies Gebet nicht für ihn,« wendete Zbyszko ein, »er lebt noch. Ich weiß dies aus dem Munde des Kreuzritters Rotgier, mit dem ich einen Waffengang an dem fürstlichen Hofe hatte. Das Gottesgericht hat zwischen uns entschieden – er fiel durch meine Hand.«

»Damit verringert sich noch die Hoffnung auf Jurands Heimkunft – es sei denn, daß er durch Gottes Macht gerettet werde.«

»Mit diesem Ritter hier ziehe ich nun aus, um ihn aus den Händen der Feinde zu befreien.«

»Du kennst die Kreuzritter nicht, das unterliegt keinem Zweifel. Ich aber kenne sie, denn ehe Jurand mich zu sich nach Spychow berief, weilte ich während fünfzehn Jahren als Priester in ihren Landen. Nur Gott allein vermag Jurand zu retten.«

»Nur er kann uns seine Hilfe angedeihen lassen.«

»Amen!«

Pater Kaleb entrollte nun das Dokument, um es vorzulesen.

Jurand vermachte darin all seinen Grund und Boden, all sein Hab und Gut Danusia und deren Nachkommen, setzte jedoch für den Fall, daß seine Tochter kinderlos sterben würde, deren Ehegemahl Zbyszko aus Bogdaniec zum alleinigen Erben ein. Zum Schlüsse stellte er diesen seinen letzten Willen dem Schutze des Fürsten anheim, damit, wenn irgend eine Bestimmung gegen das Gesetz verstoßen würde, diese Bestimmung durch die Gnade des Fürsten zum Gesetze erhoben werde. Der Zusatz war deshalb beigefügt worden, weil Pater Kaleb nur das Kirchenrecht, Jurand aber, dem Kampf und Krieg einzig und allein im Sinne gelegen war, nur die ritterlichen Gesetze kannte. Allein nicht nur Zbyszko las der Priester das Dokument vor, sondern auch den ältesten Mannen der Besatzung von Spychow, die sofort den jungen Ritter als Erben anerkannten und ihm Treue und Gehorsam gelobten.

Sie hofften auch, daß Zbyszko unverweilt mit ihnen zur Rettung ihres alten Gebieters ausziehen werde und freuten sich darob, denn tapferen Sinnes, sehnten sie sich stets nach Kampf und Krieg, und warmen Herzens hingen sie Jurand an. Große Betrübnis ergriff daher alle, als sie vernahmen, daß sie in Spychow bleiben sollten, daß ihr junger Gebieter nur mit einem kleinen Gefolge und nicht eines Krieges wegen, nein, nur um Klage zu erheben, nach Marienburg ziehen wolle. Diesen ihren Kummer teilte der Böhme Glowacz, wenngleich er andererseits hocherfreut war über die bedeutende Vermehrung von Zbyszkos Besitztümern.

»Hei, keiner wird sich so darüber freuen wie der alte Herr aus Bogdaniec!« rief er. »Auch hier würde er zu schalten und zu walten wissen! Was aber ist Bogdaniec im Vergleich mit einem solchen Erbe!«

Wie fast stets, wenn er sich in einer traurigen oder schwierigen Lage befand, wurde Zbyszko auch jetzt wieder von großer Sehnsucht nach seinem Oheim erfaßt, und sich zu dem Knappen wendend, sagte er ohne langes Ueberlegen: »Was hast Du hier so unnütz umherzusitzen. Du gehst nach Bogdaniec und überbringst ein Schreiben.«

»Wenn ich Euch, gnädigster Herr, doch nicht begleiten darf, wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dorthin zu kommen!« antwortete der Böhme hoch erfreut.

»Entbiete Pater Kaleb zu mir. Er soll der Wahrheit gemäß alles berichten, was sich ereignet hat. Der Ohm aber kann sich das Schreiben von dem Probst aus Kresno oder von dem Abte vorlesen lassen, falls sich letzterer in Zgorzelic befindet.«

Da mit einem Male strich sich Zbyszko über seinen keimenden Schnurrbart und fügte nachdenklich und wie zu sich selbst redend, hinzu: »Traun! Der Abt!«

Wie mit einem Zauberschlage heraufbeschworen, stand Jagienka vor seinem geistigen Auge – blauäugig, dunkelhaarig, frisch wie eine junge Hindin, allein mit thränenüberströmten Wangen. Kummervoll rieb sich der junge Kämpe etliche Minuten die Stirn, dann jedoch murmelte er, wie um sich selbst zu beruhigen: »Gar betrübt wird das Mägdlein sein, doch auch mich bewegt dies alles sehr!«

Mittlerweile war der Priester Kaleb in das Gelaß getreten und hatte sich zum Schreiben niedergesetzt. Zbyszko sagte ihm Wort für Wort vor und gab eine ausführliche Schilderung von all dem, was sich seit seinem Eintreffen in dem Jagdhofe ereignet hatte. Auch nicht die kleinste Einzelheit verschwieg er, sagte er sich doch, wie beglückt der alte Macko durch einen genauen Einblick in all diese Verhältnisse sein werde. Bogdaniec konnte ja in der That mit Spychow, diesem ausgedehnten und reichen Besitztum nicht verglichen werden, und der junge Kämpe wußte sehr wohl, welchen Wert sein Oheim auf Reichtum legte.

Nachdem nach großer Mühe und Anstrengung der Brief beendet und mit einem Siegel geschlossen war, beschied Zbyszko aufs neue seinen Knappen zu sich, um ihm das Schreiben mit den Worten zu übergeben: »Vielleicht kehrst Du mit dem Ohm hierher zurück. Große Freude würde mir dies bereiten.«

Doch über die Züge des Böhmen flog es wie ein Schatten. Unschlüssig trat er von einem Fuße auf den andern, wobei er so verlegen darein schaute, daß der junge Ritter sagte: »Hast Du mir noch etwas mitzuteilen, so rede!«

»Ich möchte noch eines wissen, gnädigster Herr! Ich möchte wissen – nun – was soll ich antworten, wenn ich von verschiedenen Leuten befragt werde –«

»Von verschiedenen Leuten?«

»Ich meine damit nicht die Bewohner von Bogdaniec, sondern die aus der Nachbarschaft. Sicherlich werden sie alles wissen wollen.«

Daraufhin schaute Zbyszko, der längst beschlossen hatte, nichts mehr geheim zu halten, seinen Knappen scharf an, indem er entgegnete: »Bei Dir handelt es sich nicht um verschiedene Leute, sondern einzig und allein um Jagienka aus Zgorzelic.«

»Nur um sie, o Herr!« ließ sich der Böhme vernehmen, während tiefe Röte mit tödlicher Blässe auf seinem Antlitz wechselte.

»Weißt Du denn, ob sie sich nicht schon mit Cztan aus Rogow oder mit Wilk aus Brzozow vermählt hat?«

»Jagienka hat sich mit keinem der beiden vermählt!« warf Hlawa in bestimmtem Tone ein.

»Wenn aber der Abt darauf bestanden haben sollte?«

»Der Abt hat sich noch stets dem Willen des Jungfräuleins gefügt.«

»Was willst Du also wissen? Erzähle ihr die Wahrheit wie allen andern.«

Sich vor dem jungen Ritter neigend, entfernte sich der Knappe in gedrückter Stimmung.

»Wollte Gott,« murmelte er vor sich hin, an Zbyszko denkend, »sie könnte Deiner vergessen! Wollte Gott, sie fände einen besseren Ehegemahl als Dich! Doch wenn sie Deiner auch nicht vergessen hat, was schadet das ihr? Wohl bist Du vermählt, doch Dein Eheweib ist Dir fern, ja, vielleicht ist es der Wille Gottes, daß Du Danusia verlierst, bevor Du die Ehe vollzogen hast!«

So groß nun auch die Treue war, mit der Hlawa dem jungen Ritter anhing, so groß das Mitleid war, das er für Danusia empfand, liebte er doch Jagienka über alles in der Welt. Seit er daher vor dem letzten Kampfe in Ciechanow von der Vermählung Zbyszkos vernommen hatte, trug er Schmerz und Bitterkeit im Herzen.

»Gebe Gott, daß Dir Danusia verloren ist!« murmelte er abermals vor sich hin.

Nach und nach regten sich aber doch mildere Gedanken in ihm, denn als er zu seinem Pferde trat, sagte er: »Gelobt sei Gott dafür, daß ich die Knie meiner Herrin umfassen darf!«

Von fieberhafter Ungeduld ergriffen, konnte Zbyszko kaum den Augenblick des Aufbruchs erwarten, war doch sein ganzes Sinnen und Trachten auf Danusia und Jurand gerichtet. Er litt geradezu Qualen, allein es blieb ihm nichts übrig, als wenigstens eine Nacht in Spychow zu verbringen, teils aus Rücksicht für Herrn de Lorche, teils wegen der Vorbereitungen, die eine solch lange Fahrt erforderte. Außerdem war er selbst durch den Kampf, die Erregung, den Mangel an Schlaf und durch den unaufhörlichen Kummer aufs tiefste ermattet. So warf er sich denn, freilich in später Nacht, auf das harte Lager Jurands, in der Hoffnung, daß ihn ein kurzer Schlaf erquicken werde. Bevor er indessen einschlummerte, klopfte Sanderus an die Thüre und trat zu ihm in die Kemenate.

»O Herr!« begann er, sich tief verneigend, »Ihr habt mich vom Tod errettet, bei Euch habe ich ein menschenwürdigeres Dasein geführt als je zuvor. Gott hat Euch mit einem gewaltigen Besitztum bedacht, Euch großen Reichtum verliehen, denn die Schatzkammer in Spychow ist nicht leer. Gebt mir eine volle Geldkatze, und ich will trotz der mir dabei drohenden Gefahr von Burg zu Burg in Preußen ziehen und sehen, ob ich Euch nützen kann.«

Wenn Zbyszko seiner ersten Regung gefolgt wäre, hätte er Sanderus aus der Stube gewiesen, kaum aber hatte er dessen Worte vernommen, zog er aus einer neben dem Lager stehenden ledernen Tasche für die Reise einen großen Beutel, warf diesen dem Sprechenden zu und sagte: »Hier nimm, und nun gehe! Bist Du ein Schurke, wirst Du mich betrügen, bist Du ehrlich, kannst Du mir nützen.«

»Gar schlau weiß ich die Menschen zu betrügen,« erklärte Sanderus, »Euch aber betrüge ich nicht, o Herr, Euch diene ich ehrlich.«

Historischer Roman aus dem XV. Jahrhundert


Die Kreuzritter. Zweites Buch

Historischer Roman aus dem XV. Jahrhundert

Buchumschlag

 

Nach dem Polnischen übersetzt von E. u. R. Ettlinger.

Illustriert von A. Schwormstädt.

2. Auflage.

Verlagsanstalt Benziger & Co. A.G.

Einsiedeln – Waldshut – Köln a/Rh.

New-York, Cincinnati, Chicago bei Benzinger Brothers. 1901.

Alle Rechte und Uebersetzungsrechte vorbehalten

Titelblatt

32.

Lewin hatte schon seit langem die Beobachtung gemacht, daß, wenn Einem im Umgang mit den Menschen deren allzugroße Zuvorkommenheit und Ergebenheit peinlich wird, sehr schnell auch ein übermäßig anspruchsvolles Wesen und Streitsucht unerträglich wird. Er fühlte, daß dies auch mit seinem Bruder der Fall sein würde; und in der That, die Sanftmut desselben reichte nicht lange aus. Schon vom anderen Morgen an wurde er reizbar und stritt geflissentlich mit dem Bruder, indem er diesen an seinen empfindlichsten Stellen zu treffen versuchte.

Lewin fühlte sich betreten, vermochte aber die Sache nicht zu ändern. Er empfand, daß sie beide nur, wenn sie sich nicht mehr verstellten, sondern aussprächen, was man »vom Herzen herunter« sprechen nennt, das heißt, nur was sie wirklich dachten und fühlten, sich gegenseitig offen einander ins Auge blicken könnten, und Konstantin nur zu sagen hätte »du mußt sterben, sterben!« während Nikolay ihm antworten müßte »ich weiß es, daß ich sterben werde, aber ich fürchte den Tod, ich fürchte, fürchte ihn.« – Mehr würden sie nicht sprechen, wenn sie so nur vom Herzen herunter gesprochen haben würden. Aber so war nicht zu leben, und deshalb versuchte es Konstantin, zu thun, was er für sein ganzes Leben hindurch versucht hatte, ohne es zu können, das, was nach seinen Beobachtungen viele so vortrefflich zu thun verstanden, und ohne das man nicht leben kann: Er versuchte es, nicht das zu sprechen, was er dachte, fühlte aber beständig, daß dies falsch sei, daß der Bruder ihn hierbei ertappe und davon gereizt werde.

Nach Verlauf von drei Tagen forderte Nikolay seinen Bruder auf, ihm seinen Plan nochmals zu entwickeln. Er begann darauf denselben nicht nur zu verwerfen, sondern ihn sogar absichtlich mit dem Socialismus zusammenzubringen.

»Da hast du lediglich einen fremden Gedanken aufgefaßt, ihn aber verballhornistert und willst ihn dem Unmöglichen anpassen.«

»Aber ich sage dir ja, daß er durchaus nichts Allgemeines in sich trägt. Die Socialisten verwerfen das Recht des Privateigentums, des Kapitals, der Erbfolge – ich aber, ohne diese wichtigste Stimula zu verwerfen,« – Lewin selbst war es widerlich, daß er sich derartiger fremder Worte bedienen mußte, aber seit er sich mehr mit seiner Arbeit beschäftigte, begann er unwillkürlich häufig und häufiger nichtrussische Worte zu brauchen – »will nur die Arbeit regeln.«

»Das ist es eben, daß du einen fremden Gedanken aufgefaßt und von ihm alles abgetrennt hast, was seine Bedeutung ausmacht, nun aber versichern willst, es sei dies etwas Neues,« antwortete Nikolay, heftig an seiner Halsbinde zerrend.

»Aber mein Gedanke hat nichts Allgemeines« –

»Denn,« erwiderte Nikolay Lewin mit gehässigem Glanz in den Augen und ironischem Lächeln: »dort liegt doch zum wenigsten ein Reiz darin, ein, wie soll ich sagen, mathematischer – nach seiner Klarheit und unzweifelhaften Richtigkeit. Möglicherweise ist er eine Utopie. Aber zugegeben, daß man aus der ganzen Vergangenheit eine tabula rasa machen könnte, daß es kein Privateigentum mehr gäbe, keine Familie, so wird doch immerhin die Arbeit bestehen, bleiben. »Bei dir aber ist nichts« –

»Weshalb vermischst du die Dinge? Ich bin nie ein Socialist gewesen.«

»Ich aber war es, und finde, daß die Idee verfrüht ist, obwohl sie klug ist, daß sie ihre Zukunft hat, wie das Christentum in den ersten Jahrhunderten.«

»Ich glaube, daß man die Arbeitskraft nur von dem Gesichtspunkt des Naturforschers aus beurteilen darf, das heißt, daß man sie studieren und ihre Eigenschaften erkennen muß.«

»Das ist aber ganz unnütz. Diese Kraft findet von selbst je nach dem Grade ihrer Entwickelung eine bekannte Form für ihre Bethätigung. Es hat überall Knechte gegeben und dann Vögte; auch bei uns giebt es die Gesellschaftsarbeit, die Pacht, die Arbeit auf Tagelohn – was willst du noch?«

Lewin geriet bei diesen Worten plötzlich in Zorn, da er auf dem Grunde seiner Seele die Befürchtung empfand, der Bruder könne recht haben – recht darin, daß er selbst zwischen dem Socialismus und den Ordnungsformen schwanke – was doch schwerlich möglich sein konnte.

»Ich suche Mittel dafür, mit Gewinn zu arbeiten, sowohl für mich selbst, wie für den Arbeiter. Ich will organisieren,« antwortete er heftig.

»Nichts willst du organisieren; du willst einfach originell sein, wie du es Zeit deines Lebens gewesen bist; du willst zeigen, daß du nicht mit den Bauern experimentierst, sondern vielmehr mit der Idee.«

»Nun– denkst du so – lassen wir das! versetzte Lewin, welcher fühlte, daß ihm der Muskel seiner linken Wange bebte, ohne daß er dies unterdrücken konnte.

»Du hattest nie Überzeugungen, und hast auch jetzt keine; nur deine Eigenliebe willst du befriedigen.«

»Schön so; aber verlaß dieses Thema!«

»Ich werde es lassen! Es ist schon längst Zeit dazu! Zum Teufel auch mit dir, ich wünschte, ich wäre gar nicht hergekommen!«

So sehr sich Lewin nun bemühte, den Bruder zu beruhigen, Nikolay wollte nichts hören und sagte, daß er am liebsten gleich wieder fortfahren möchte; Lewin sah, daß dem Bruder das Leben unerträglich geworden war.

Nikolay hatte bereits alle Anstalten zur Abreise getroffen, als Lewin wieder zu ihm kam und ihn bat, zu verzeihen, wenn er ihn gekränkt haben sollte.

»O, diese Großmut!« antwortete Nikolay lächelnd. »Wenn du denn einmal recht behalten willst, so will ich dir dieses Vergnügen gewähren. Du hast recht. Aber ich will dennoch fahren!«

Bei der Abreise selbst küßte ihn Nikolay und sprach, plötzlich seltsam und ernst auf den Bruder blickend:

»Bei alledem; gedenke meiner nicht im Bösen, mein Konstantin!« und seine Stimme schwankte.

Dies waren die einzigen Worte, die aufrichtig gesprochen worden waren. Lewin begriff, daß in diesen Worten der Sinn lag: »Du siehst es und weißt, daß ich sehr krank bin, und wir uns vielleicht niemals wieder sehen.«

Lewin verstand dies und die Thränen strömten ihm aus den Augen. Noch einmal küßte er seinen Bruder, konnte ihm aber nichts mehr antworten, – wußte ihm auch nichts mehr zu sagen. –

Am dritten Tage nach der Abreise des Bruders reiste Lewin nach dem Auslande ab. Als er auf der Eisenbahn mit Schtscherbazkiy, einem Vetter Kitys, zusammentraf, setzte er diesen durch seine Niedergeschlagenheit sehr in Erstaunen.

»Was hast du denn?« frug ihn Schtscherbazkiy.

»Nichts weiter: es giebt ja so wenig Angenehmes auf der Welt.«

»Inwiefern denn wenig? Komm, fahre mit mir nach Paris, in Gesellschaft eines gewissen Mylus. Da sollst du sehen, wie lustig es auf der Welt ist!«

»Nein. Ich bin schon fertig und möchte bald sterben.«

»Das ist doch dein Spaß!« lachte Schtscherbazkiy, »ich bin ja erst im Begriff anzufangen!«

»So meinte ich auch noch vor kurzem, jetzt aber weiß ich, daß ich bald sterbe.«

Lewin sprach damit nur aus, was er wahrhaft gedacht hatte in diesen letzten Tagen. In allem sah er nur den Tod oder die Annäherung an denselben. Aber das von ihm unternommene Werk beschäftigte ihn nur um so mehr. Es galt ihm jetzt, sein Leben irgendwie fertig zu leben, bevor noch der Tod kam. Dunkelheit verschleierte für ihn alles, aber gerade mit dieser Dunkelheit fühlte er, daß der einzige leitende Faden in ihr nur noch sein Werk war, und mit den letzten Kräften widmete er sich diesem, klammerte er sich an ihm an.

 

1.

Die Karenin, Gatte und Gattin, fuhren fort in einem Hause zusammen zu leben: sie sahen sich wohl alltäglich, waren aber einander vollständig entfremdet.

Aleksey Aleksandrowitsch hatte es sich zum Gesetz gemacht, sein Weib alltäglich nur deshalb zu sehen, daß die Dienerschaft kein Recht haben möchte, Vermutungen zu hegen. Die Mittagstafel daheim mied er jedoch. Wronskiy war nie im Hause Aleksey Aleksandrowitschs erschienen, Anna sah ihn aber außerhalb desselben und ihr Gatte wußte dies.

Die Lage war für alle drei peinvoll; und niemand von ihnen würde die Kraft besessen haben, auch nur einen einzigen Tag in derselben auszuhalten, wäre nicht die Erwartung dagewesen, daß sie sich ändern werde, daß alles dies nur eine zeitweilige, bittere und schwere Lage sei, welche vorübergehen würde. Aleksey Aleksandrowitsch wartete, daß diese Leidenschaft vergehen sollte, wie ja alles vergeht, daß alle die Sache vergessen möchten und sein Name nicht geschändet würde. Anna, von welcher diese ganze Situation abhing, und für die dieselbe peinlicher war, als für, alle sonst, ertrug sie, weil sie nicht nur wartete, sondern fest überzeugt war, daß alles dies sehr bald zur Entwickelung und Klärung gelangen müsse. Sie wußte freilich nicht im geringsten, was denn eigentlich die Schwierigkeit lösen solle, aber sie besaß die Überzeugung, daß etwas jetzt und sehr schnell eintreten müsse.

Auch Wronskiy, der sich ihr unwillkürlich fügte, erwartete etwas, das von ihm unabhängig, alle Schwierigkeiten klären müsse.

Inmitten des Winters hatte Wronskiy eine sehr langweilige Woche durchlebt. Er war einem ausländischen, in Petersburg zugereisten Prinzen zubeordert worden, und hatte die Aufgabe, diesem die Sehenswürdigkeiten Petersburgs zu zeigen. Gerade Wronskiy war es, welcher vorgestellt wurde, denn abgesehen davon, daß dieser die Kunst, sich mit Würde und zugleich Ehrerbietung zu benehmen, besaß, war er es auch gewohnt, mit Männern ähnlichen Ranges umzugehen; allein diese Pflicht wurde ihm zu einer sehr schweren. Der Prinz wünschte nichts zu übergehen, bezüglich dessen er in der Heimat gefragt werden konnte, ob er es in Rußland gesehen, ja, er wünschte auch selbst, soviel es möglich war, russischen Vergnügungen beizuwohnen. Wronskiy war nun verpflichtet, ihn hier und dorthin zu führen, und des Vormittags fuhren sie nun, um die Sehenswürdigkeiten in Augenschein zu nehmen, des Abends, um an nationalen Vergnügungen teilzunehmen. Der Prinz erfreute sich einer selbst unter Prinzen ungewöhnlichen Gesundheit; sowohl durch leibliche Übungen wie durch gute Pflege seines Körpers hatte er eine solche Kraft erworben, daß er trotz des Übermaßes, mit welchem er sich den Zerstreuungen hingab, frisch aussah wie eine mächtige, grüne holländische Gurke. Der Prinz war viel gereist und hatte gefunden, daß einer der vorzüglichsten Vorteile der modernen Verkehrsbequemlichkeiten die Möglichkeit, nationalen Vergnügungen beiwohnen zu können, bilde.

Er war in Spanien gewesen und hatte dort Serenaden veranstaltet und sich einer Spanierin genähert, welche Mandoline spielte. In der Schweiz hatte er Gemsen gejagt. In England im roten Frack unter Wetten zweihundert Fasanen erlegt. In der Türkei war er in einem Harem gewesen, in Indien hatte er auf Elefanten geritten und in Rußland jetzt wollte er alle echtrussischen Vergnügungen kennen lernen.

Wronskiy, der bei ihm eine Art erster Ceremonienmeister war, kostete es große Mühe, alle die Zerstreuungen, die dem Prinzen von verschiedenen Seiten vorgeschlagen wurden, zu sichten. Da waren die russischen Trabrennen, und die Bärenjagden, die Troiken und die Zigeuner, wie das Topfschlagen. Der Prinz accomodierte sich dem russischen Geiste mit außerordentlicher Leichtigkeit; er beteiligte sich am Topfschlagen, setzte sich eine Zigeunerin auf das Knie und frug, wie es schien, ob dies alles sei, ob nur darin der ganze russische Geist bestehe.

Am meisten von allen diesen russischen Vergnügungen gefielen allerdings dem Prinzen die französischen Schauspielerinnen, eine Balleteuse und der weißgesiegelte Champagner.

Wronskiy hatte Übung im Umgang mit Prinzen, aber – kam es davon, daß er selbst sich in letzter Zeit verändert hatte, oder von der allzu großen Nähe, in welcher er sich zu dem Prinzen befand – diese Woche erschien ihm als eine furchtbar schwere.

Die ganze Woche hindurch hatte er ohne Unterbrechung ein Gefühl empfunden, ähnlich dem eines Menschen, der zu einem gefährlichen Wahnsinnigen gesteckt wird, um zu erproben, ob er diesen wohl fürchtet und infolge der Nähe bei ihm, auch für seinen Verstand fürchten müsse.

Wronskiy empfand beständig den Zwang, nicht eine Sekunde den Ton strenger offizieller Ehrerbietung sinken lassen zu dürfen, damit er keine Schlappe erleide. Dre Umgangsweise des Prinzen gerade mit denjenigen, welche zur Verwunderung Wronskiys darüber aus der Haut fuhren, daß man ihm russische Vergnügungen biete, war eine souveräne. Sein Urteil über die russischen Frauen, die er kennen zu lernen gewünscht hatte, ließen Wronskiy mehr als einmal vor Unwillen erröten, aber der Hauptgrund, weshalb der Prinz für Wronskiy außerordentlich lästig war, war der, daß er in dem Prinzen unwillkürlich sich selbst wieder erkannte, und daß das, was er in diesem Spiegel erkannte, seiner Eigenliebe nicht eben schmeichelte. Der Prinz war ein sehr beschränkter, sehr eingebildeter, sehr gesunder und an sich sehr eigener Mensch, weiter aber nichts. Er war Gentleman, das war er in Wahrheit, und Wronskiy konnte das nicht in Abrede stellen. Er war gleichmütig und nicht kriechend vor Höheren, ungezwungen und einfach im Verkehr mit Gleichstehenden und gutmütig herablassend gegenüber den unter ihm Stehenden. Ganz genau so war aber auch Wronskiy, der das für einen großen Vorzug hielt; in der Umgebung des Prinzen war er doch der tiefer Stehende und die herablassend gutmütige Behandlungsweise ihm gegenüber regte ihn auf.

»Das ist ein dummer Stier; bin ich das auch?« dachte er bei sich.

Wie dem nun sein mochte, als er sich am siebenten Tage von ihm verabschiedete, vor der Abreise des Prinzen nach Moskau, und dessen Dank entgegennahm, war er glücklich, aus dieser peinlichen Lage und von diesem unangenehmen Spiegel erlöst zu sein.

Er verabschiedete sich von ihm auf der Station, bei der Rückkehr von der Bärenjagd, an welcher während einer ganzen Nacht russische Bravour eine Galavorstellung gegeben hatte.