Das Tedeum für den Sieg von Lens

Die Nachricht von dem großen Siege bei Lens war entscheidend: der Hof gewann wieder das Übergewicht über das Parlament. Alle willkürlich auferlegten Steuern, gegen die sich das letztere erhob, waren stets durch die Notwendigkeit, die Ehre Frankreich aufrecht zu erhalten, und mit der Hoffnung auf einen Sieg begründet worden. Da man jedoch seit Nördlingen nur Schlappen erlitten hatte, so war es dem Parlament leicht, an Herrn von Mazarin vorwurfsvolle Fragen in Beziehung auf die stets versprochenen und immer wieder vertagten Siege zu stellen. Diesmal aber war man zu einem Ziele gelangt, man hatte einen vollständigen Triumph, so daß die Parteigänger des Hofes und selbst der junge König mit ihnen riefen:

Ah! meine Herren vom Parlament, wir wollen sehen, was Ihr dazu sagen werdet.

Die Königin drückte ihr königliches Kind, dessen stolzes, unbändiges Wesen so gut mit ihrem Charakter im Einklange stand, an ihr Herz. An demselben Abend fand ein Rat statt, wozu der Marschall de la Meilleraye und Herr von Villeroy, weil sie Mazariner waren, Chavigny und Seguier, weil sie das Parlament haßten, und Guitaut und Comminges, weil sie der Königin ergeben waren, berufen wurden.

Von dem, was im Rate beschlossen worden war, verlautete nichts, man erfuhr nur, daß am nächsten Sonntag ein Tedeum zu Ehren des Sieges von Lens gesungen werden sollte.

Am folgenden Sonntag erwachten also die Pariser sehr heiter: ein Tedeum war zu jener Zeit noch etwas Außergewöhnliches und Großartiges. Die Sonne erhob sich strahlend und vergoldete die düsteren Türme der bereits mit einer ungeheuren Menschenmenge gefüllten Hauptstadt; die dunkelsten Gassen der Altstadt hatten ein festliches Aussehen angenommen, und die Quais entlang sah man lange Reihen von Bürgern, Handwerkern, Frauen und Kindern, die, wie ein zu seiner Quelle zurückkehrender Fluß, Notre-Dame zuströmten.

Es herrschte indessen die größte Freiheit unter dieser ungeheuren Volksmasse; alle sprachen offen ihre Meinung aus und läuteten sozusagen Aufruhr, wie die tausend Glocken aller Kirchen von Paris Tedeum läuteten. Da die Polizei der Stadt durch die Stadt selbst besorgt wurde, so störte nichts die Einhelligkeit des allgemeinen Hasses, nichts machte die Worte in diesen schmähsüchtigen Mäulern zu Eis.

Indessen hatte sich schon um acht Uhr morgens das Regiment der Garden der Königin, unter dem Befehl Guitauts und seines Neffen Comminges, mit Trommeln und Trompeten an der Spitze, vom Palais Royal an bis zur Notre-Dame aufgestellt, ein Manöver, dem die auf Militärmusik und glänzende Uniformen allezeit versessenen Pariser ruhig zuschauten.

Friquet zog seinen Sonntagsstaat an und erhielt unter dem Vorwande einer Geschwulst, die er sich durch eine Anzahl in eine Mundseite geschobene Kirschensteine verschaffte, von Bazin, seinem Herrn, einen Urlaub auf den ganzen Tag. Anfangs schlug der Mesner den Urlaub ab, aber in seiner Gegenwart nahm die Geschwulst dergestalt an Umfang zu, daß er am Ende brummend nachgab. An der Tür spuckte Friquet die Geschwulst aus und sandte Bazin eine jener Gebärden zu, die einem Pariser Gamin seine Überlegenheit über alle Straßenjungen des Weltalls sichern. In seinem Gasthaus hatte er sich natürlich dadurch losgemacht, daß er vorgab, er müsse die Messe bedienen.

Friquet war also frei und hatte, wie gesagt, seine kostbarste Toilette gemacht; als ganz besondere Zier trug er eine jener schwer zu beschreibenden Mützen, die zwischen dem mittelalterlichen Barett und dem Hute aus der Zeit Ludwigs XIII. die Mitte halten. Seine Mutter hatte ihm diese seltsame Kopfbedeckung fabriziert und sich dabei, wahrscheinlich aus Mangel an gleichem Stoffe, um die Farben nicht sonderlich bekümmert, so daß dieses Meisterwerk der Kappenmacherei des siebzehnten Jahrhunderts auf der einen Seite gelb und grün, auf der andern weiß und rot war. Friquet aber schritt darum nicht minder stolz und triumphierend einher.

Als Friquet seinen Herrn verließ, lief er in der größten Eile nach dem Palais Royal. Er kam gerade in dem Augenblick an, wo das Regiment der Garden herausmarschierte, und da er aus keinem andern Grunde erschien, als um sich seines Anblicks zu erfreuen und sich an seiner Musik zu ergötzen, so nahm er seine Stelle an der Spitze des Regiments, trommelte mit zwei Stückchen Schiefer und ging von dieser Übung zu der Trompete über, die er mit dem Munde auf höchst kunstvolle Weise nachahmte.

Diese Unterhaltung dauerte von der Barriere des Sergens bis zum Platze Notre-Dame, und Friquet fand ein wahres Vergnügen daran. Dann aber erinnerte er sich, daß er nicht gefrühstückt hatte, und beschloß nach reiflicher Überlegung, der Rat Broussel solle die Kosten seines Mahles tragen.

Er lief rasch weg, gelangte atemlos vor die Türe des Brousselschen Hauses und klopfte heftig an.

Seine Mutter, die alte Dienerin Broussels, öffnete.

Was machst du hier, Taugenichts? sagte sie, und warum bist du nicht in Notre-Dame? – Ich war dort, Mutter Nannette, antwortete Friquet, aber ich sah, daß Dinge vorgingen, von denen Meister Broussel notwendig unterrichtet werden müßte, und mit Erlaubnis des Herrn Bazin, Ihr wißt wohl, Mutter Nannette, des Herrn Bazin, des Mesners, kam ich hierher, um mit Herrn Broussel zu sprechen. – Was willst du Herrn Broussel sagen, Affe? – Ich will mit ihm selbst sprechen. – Das kann nicht sein; er arbeitet. – Dann werde ich warten, antwortete Friquet.

Und er stieg rasch die Treppe hinauf, während Nannette langsamer folgte.

Aber sage mir doch, sprach sie, was willst du bei Herrn Broussel?

Ich will ihn benachrichtigen, antwortete Friquet, aus Leibeskräften schreiend, daß ein ganzes Regiment Garden in der Richtung nach diesem Hause marschiert. Da ich nun überall sagen hörte, es herrsche am Hof eine üble Stimmung gegen ihn, so will ich ihn warnen, damit er auf seiner Hut ist.

Broussel hörte das Geschrei des Jungen und eilte, erfreut über seinen rastlosen Eifer, in den ersten Stock hinab, denn er arbeitete in seinem Kabinett im zweiten.

Der Rat belehrte Friquet über seinen vermeintlichen Irrtum, lobte ihn aber wegen seines Eifers und hieß Frau Nannete dem Jungen Aprikosen und ein Stück Weißbrot geben.

Broussel selbst ging nun zu seiner Frau, verlangte sein Frühstück und setzte sich an das Fenster. Die Straße war gänzlich verlassen; aber in der Ferne hörte man, gleich dem Geräusche einer steigenden Flut, das ungeheure Tosen der Volkswogen, die um Notre-Dame her immer stärker anschwollen.

Dieses Geräusch verdoppelte sich, als d’Artagnan mit einer Kompanie Musketiere sich an den Pforten von Notre-Dame aufstellte, um den Kirchendienst verrichten zu lassen. Er hatte Porthos gesagt, er möge diese Gelegenheit benutzen, um die Ceremonie zu sehen. Porthos bestieg in großer Gala sein schönstes Pferd und machte den Ehrenmusketier, wie dies einst d’Artagnan so oft getan hatte.

Um zehn Uhr verkündigte die Kanone des Louvre den Aufbruch des Königs. Eine Bewegung wie die der Bäume, deren Gipfel der Sturmwind faßt und schüttelt, durchlief die Menge, die sich hinter den unbeweglichen Musketen der Garden hin und her trieb. Endlich erschien der König mit der Königin in einem ganz mit Gold überzogenen Wagen. Zehn andere Wagen folgten mit den Ehrendamen, den Offizieren des königlichen Hauses und dem ganzen Hofe.

Es lebe der König! rief man von allen Seiten.

Der Zug rückte langsam vor und brauchte beinahe eine Stunde, um den Raum zurückzulegen, welcher den Louvre von der Place Notre-Dame trennt. Hier begab er sich allmählich unter das ungeheure Gewölbe der düstern Kathedrale, und der Gottesdienst begann.

Als die Königin am Ende des Gottesdienstes bemerkte, daß Comminges in ihrer Nähe stand und die Bestätigung eines Befehles erwartete, den sie ihm, ehe sie den Louvre verließ, gegeben hatte, so sagte sie halblaut zu ihm: Geht, Comminges, und Gott stehe Euch bei!

Comminges entfernte sich sogleich, trat aus der Kirche und begab sich nach der Rue Saint-Christophe.

Friquet, der diesen schönen Offizier mit zwei Leibwachen bemerkte, machte sich das Vergnügen, ihm nachzugehen, und zwar mit um so größerer Geschwindigkeit, als die Ceremonie in demselben Augenblick endigte und der König wieder in seinen Wagen stieg.

In der Rue Cocatrix hielt ein Wagen mit Comminges‘ Wappen, den ein Gefreiter und vier Garden besetzt hielten. Der Gefreite schaute sich beständig um, und sobald er Comminges erscheinen sah, sagte er dem Kutscher ein Wort, worauf dieser die altertümliche Karosse in Bewegung setzte und vor Broussels Haus fuhr.

Comminges klopfte zur gleichen Zeit, wo der Wagen hier hielt, an die Tür.

Man öffnete. Der Offizier fragte den Bedienten und erfuhr, daß Meister Broussel wirklich zu Hause war und zu Mittag speiste. Comminges ging hinter dem Bedienten und Friquet hinter Comminges die Treppe hinauf.

Broussel saß mit seiner Familie bei Tische, ihm gegenüber seine Frau, zu seinen beiden Seiten seine Töchter und am Ende der Tafel sein Sohn Louvières.

Beim Anblick des Offiziers fühlte sich Broussel etwas bewegt; als er aber sah, daß Comminges höflich grüßte, stand er auf und grüßte ebenfalls.

Aber trotz dieser gegenseitigen Artigkeit drückte sich aus den Gesichtern der Frauen Unruhe aus. Auch Louvières wurde sehr bleich und erwartete ungeduldig die Erklärung des Offiziers.

Mein Herr, sprach Comminges, ich bin der Überbringer eines Befehles Seiner Majestät des Königs.

Sehr wohl, mein Herr, antwortete Broussel, was für ein Befehl ist es? Und er streckte seine Hand aus.

Ich habe Befehl, mich Eurer Person zu bemächtigen, mein Herr, sprach Comminges, immer in demselben Tone und mit derselben Höflichkeit, und wenn Ihr mir glauben wollt, so werdet Ihr Euch die Mühe ersparen, diesen langen Brief zu lesen, und mir folgen.

Hätte der Blitz mitten unter diese so friedlich versammelten Leute geschlagen, die Wirkung hätte nicht furchtbarer sein können. Broussel wich ganz zitternd zurück. Es war in jener Zeit etwas Schreckliches, infolge der Feindschaft des Königs eingekerkert zu werden. Louvières machte eine Bewegung, als wollte er nach seinem Degen laufen, der in einer Ecke des Speisezimmers auf einem Stuhle lag, aber ein Blick des guten Broussel, der den Kopf nicht verlor, hemmte diese Bewegung. Frau Broussel zerfloß in Tränen. Die Töchter hielten ihren Vater umfangen.

Auf! mein Herr, sprach Comminges, beeilen wir uns; man muß dem König gehorchen.

Mein Herr, sagte Broussel, ich habe eine leidende Gesundheit und kann mich in diesem Zustand nicht gefangen geben. Ich verlange Zeit.

Das ist unmöglich, erwiderte Comminges. Der Befehl ist bestimmt und muß sogleich vollstreckt werden.

Unmöglich? sprach Louvières; hüten Sie sich wohl, mein Herr, uns zur Verzweiflung zu treiben.

Unmöglich? rief eine kreischende Stimme im Hintergrunde des Zimmers.

Comminges wandte sich um und sah, mit dem Besen in der Hand, Frau Nannette, deren Augen in allen Feuern des Zornes glänzten.

Meine gute Nannette, halte dich ruhig, ich bitte dich, sprach Broussel.

Ich mich ruhig halten, wenn man meinen Herrn verhaftet, meinen Herrn, die Stütze, den Befreier, den Vater des armen Volkes? Ach ja, Ihr kennt mich wohl … Wollt Ihr gehen? sagte sie zu Comminges.

Comminges lächelte und sprach, sich an Broussel wendend: Ich bitte, bringt dieses Weib zum Schweigen und folgt mir.

Ich schweigen, ich? rief Nannette. Ach, ja, da müßte noch ein anderer kommen, als Ihr, mein schöner Königsvogel. Ihr werdet es wohl sehen.

Und Dame Nannette stürzte ans Fenster und schrie mit einer durchdringenden Stimme: Zu Hilfe! Man verhaftet meinen Herrn! Man verhaftet den Rat Broussel! Zu Hilfe!

Mein Herr, sagte Comminges, erklärt Euch sogleich: Werdet Ihr gehorchen oder gedenkt Ihr einen Aufruhr zu erregen?

Ich gehorche, ich gehorche, mein Herr, sprach Broussel, indem er sich aus den Armen seiner Töchter loszumachen und mit dem Blicke seinen Sohn zurückzuhalten suchte.

Comminges umfaßte inzwischen die Magd, die mit ihrem Geschrei nicht aufhörte, mit dem Arme und wollte sie fortreißen. Aber in demselben Augenblick heulte eine andere Stimme aus dem Zwischenstock hervor in Falsetton: Mörder! Feuer! Mörder! Man tötet Herrn Broussel! Man erwürgt Herrn Broussel!

Es war Friquets Stimme. Als Frau Nannette sich unterstützt fühlte, fuhr sie noch kräftiger fort.

Bereits erschienen neugierige Köpfe an den Fenstern, und Volk lief herbei, das schnell immer zahlreicher wurde. Als Friquet dies bemerkte, sprang er vom Zwischenstock auf den Kutschenhimmel und rief: Sie wollen Herrn Broussel verhaften; es sind Leibwachen im Wagen, und der Offizier ist da oben.

Das Volk fing an zu murren, und der Lärm nahm immer mehr zu. Die Straße konnte die Menge nicht mehr fassen, die von allen Seiten herbeiströmte. Das von dem Gefreiten hundertmal wiederholte Geschrei: Im Namen des Königs! vermochte nichts mehr gegen diese furchtbare Menge, sondern schien sie im Gegenteil noch mehr aufzubringen, so daß die jetzt zwischen Haus und Wagen aufgestellten Garden in die höchste Gefahr gerieten, als ein Reiter herbeieilte und, da er sah, daß die Soldaten bedroht wurden, mit dem Degen in der Faust mitten ins Gedränge stürzte und den Garden eine unerwartete Hilfe brachte.

Dieser Reiter, dessen Antlitz vor Zorn bleich war, war ein junger Mensch von kaum fünfzehn bis sechzehn Jahren. Er stieg ab, lehnte sich mit dem Rücken an die Wagendeichsel, machte sich einen Wall aus seinem Pferde, zog seine Pistolen aus den Halftern, steckte sie in den Gürtel und fing an, um sich zu schlagen, wie ein Mensch, der mit der Handhabung des Schwertes vollkommen vertraut ist. Zehn Minuten lang hielt er den Kampf mit dem Volke allein aus. Jetzt sah man Comminges erscheinen und Broussel vor sich her treiben.

Zerschlagen wir den Wagen! rief das Volk.

Zu Hilfe! schrie die Alte.

Mörder! schrie Friquet, der sich eifrig damit beschäftigte, die Leibwachen mit allem zu beschießen, was ihm unter die Hand kam.

Im Namen des Königs! rief Comminges.

Der erste, der einen Schritt tut, stirbt von meiner Hand! rief Raoul, der, als er sich hart bedrängt sah, seine Degenspitze einem Riesen zu spüren gab, der ihn hatte zermalmen wollen, nunmehr aber, da er sich verwundet fühlte, brüllend zurückwich.

Denn es war Raoul, der, seinem Versprechen gegen den Grafen de la Fère gemäß, nach einer fünftägigen Abwesenheit von Blois zurückgekehrt und jetzt, um die Ceremonie mit anzuschauen, durch die Straßen geritten war, welche ihn in kürzerer Zeit nach Notre-Dame führten.

Comminges warf Broussel fast in die Kutsche und sprang nach. In diesem Augenblick erkrachte ein Büchsenschuß; eine Kugel fuhr von oben herab durch Comminges‘ Hut und zerschmetterte einer Leibwache den Arm. Comminges schaute empor und sah mitten im Pulverdampf an einem Fenster des zweiten Stockes das drohende Gesicht Louvières‘.

Gut, mein Herr, rief Comminges, Ihr sollt von mir hören.

Und Ihr auch, mein Herr, erwiderte Louvières; wir werden sehen, wer lauter spricht.

Tod dem Offizier! Tod! heulte das Volk, aufgeregt durch den Flintenknall.

Und es begann eine gewaltige Bewegung.

Noch einen Schritt, rief Comminges, das Kutschenleder zurückschlagend, daß man gut in den Wagen sehen konnte, und zugleich Broussel seinen Degen auf die Brust setzend, noch einen Schritt, und ich töte den Gefangenen! Ich habe Befehl, ihn tot oder lebendig zu bringen. Ich bringe ihn tot, und dann ist alles abgemacht.

Man vernahm einen furchtbaren Schrei. Broussels Frau und Töchter streckten flehend ihre Hände nach dem Volke aus.

Das Volk begriff, daß der bleiche, entschlossene Offizier seinen Worten gemäß handeln würde, und wich, obschon unter beständigen Drohungen, zurück.

Comminges ließ den verwundeten Soldaten zu sich in den Wagen steigen und befahl den andern, den Schlag zu schließen. Fahr nach dem Palast, sagte er zum Kutscher, der mehr tot als lebendig auf dem Bocke saß.

Dieser peitschte seine Pferde, und das Volk gab Raum. Als man aber nach dem Quai kam, mußte man anhalten. Der Wagen stürzte um. Die Pferde wurden von der Menge getreten, erstickt, zermalmt. Raoul, der immer noch zu Fuß war, denn er hatte nicht Zeit gehabt, wieder zu Pferd zu steigen, begann, da er es müde war, mit der flachen Klinge dreinzuschlagen, die Degenspitze zu gebrauchen; dasselbe taten die Leibwachen. Aber dieses furchtbare letzte Mittel brachte das Volk vollends außer sich. Bereits sah man von Zeit zu Zeit in der Menge einen Flintenlauf oder die Klinge eines Degens glänzen. Es erkrachten einige Schüsse, die ohne Zweifel bloß in die Luft gefeuert waren, aber das Echo ließ darum die Herzen nicht minder beben. Aus den Fenstern regnete es fortwährend mit Wurfgeschossen. Das Geschrei: Tod den Garden! In die Seine mit dem Offizier; übertönte den Lärm, so groß er auch war. Den Hut zerknittert, das Gesicht blutig, fühlte Raoul, wie ihn nicht nur seine Kraft, sondern auch der Verstand verließ. Seine Augen schwammen in einem rötlichen Nebel, und durch diesen Nebel sah er hundert drohende Arme sich ausstrecken, bereit, ihn zu ergreifen, wenn er fallen würde. Comminges raufte sich in dem umgestürzten Wagen vor Wut die Haare aus. Die Garden konnten niemand mehr Hilfe bringen, denn jeder war mit seiner eignen Verteidigung beschäftigt. Alles war verloren, Wagen, Pferde, Wachen, Soldaten und vielleicht der Gefangene, alles sollte in Stücke zerrissen werden, als plötzlich eine Raoul wohlbekannte Stimme ertönte und ein breites Schwert in der Luft glänzte. In demselben Augenblick öffnete sich die Menge, durchbrochen, niedergeworfen. Rechts und links stechend und schlagend, eilte ein Musketieroffizier Raoul zu Hilfe und faßte ihn im Augenblick, wo er niedersinken wollte, in die Arme.

Gottes Blut! rief der Offizier, haben sie ihn ermordet, dann wehe ihnen!

Und er wandte sich um, so furchtbar anzuschauen in seiner Stärke, in seinem Zorn, in seiner drohenden Gebärde, daß die wütendsten Rebellen sich auseinander stürzten, um zu entfliehen, und daß mehrere sogar in die Seine fielen.

Herr d’Artagnan, murmelte Raoul.

Ja, Gottes Blut, und mir scheint zu Eurem Glücke, mein junger Freund! Hört, Ihr Leute! rief er, sich auf den Steigbügeln erhebend und sein Schwert schwingend, während er mit Stimme und Gebärde Musketiere herbeirief, die ihm so schnell nicht hatten folgen können. Auf, fegt alles vom Platze. Ergreift die Musketen! Macht Euch fertig! Schlagt an!

Bei diesem Befehl verschwanden die Volkshaufen so rasch, daß sich d’Artagnan eines homerischen Lachens nicht enthalten konnte.

Ich danke, d’Artagnan, sprach Comminges, die Hälfte seines Leibes durch den Schlag der umgeworfenen Kutsche streckend. Wie heißt der junge Mann, damit ich ihn der Königin nennen kann?

Raoul wollte antworten, als d’Artagnan sich gegen sein Ohr neigte und zu ihm sagte: Schweigt und laßt mich antworten!

Dann sich gegen Comminges neigend, sprach er: Verliert keine Zeit, Comminges, geht aus dem Wagen heraus, wenn Ihr könnt, und laßt einen andern herbeischaffen. – Welchen? – Bei Gott, den ersten besten, der über den Pont-neuf kommen wird. Die Leute, die darin fahren, werden es hoffentlich für ein Glück halten, wenn sie ihre Kutsche für den Dienst des Königs leihen dürfen. – Aber ich weiß nicht … erwiderte Comminges. – Geht doch, oder in fünf Minuten kommen alle diese Lumpenkerle mit Schwertern und Musketen zurück. Ihr werdet getötet, und Euer Gefangener ist befreit. Vorwärts, seht, dort kommt gerade eine Kutsche!

Mit Hilfe dieser Kutsche und dank d’Artagnans Entschlossenheit, der beim abermaligen übermächtigen Andrang des Volkes mit seinen Musketieren auf die Menge lossprengte und sie noch einmal zum Weichen brachte, gelang es endlich, den Gefangenen in Sicherheit zu bringen. Sobald er selbst entbehrlich zu sein glaubte, wandte sich d’Artagnan mit Raoul seitwärts und erreichte mit ihm glücklich die Rehziege.

Die schöne Madeleine meldete d’Artagnan, Planchet sei mit Mousqueton zurückgekommen, der heldenmütig das Ausziehen der Kugel ertragen habe und sich so wohl befinde, als es bei seinem Zustand nur immer möglich sei.

D’Artagnan befahl nun, Planchet zu rufen; aber so oft man ihn auch rief, Planchet erschien nicht: er war verschwunden. Dann machte er Raoul wohlgemeinte Vorwürfe darüber, daß er sich unberufen als Mazariner in die bürgerlichen Streitigkeiten gemischt habe, er sage ihm dies im Namen des abwesenden Grafen de la Fère. Zugleich stand er auf, ging zu seinem Sekretär, nahm einen Brief und bot ihn Raoul.

Sobald Raoul das Papier durchlaufen hatte, trübten sich seine Blicke.

O mein Gott, sagte er, seine schönen, tränenfeuchten Äugen zu d’Artagnan aufschlagend, der Herr Graf hat also Paris verlassen, ohne mich zu sehen? – Er ist vor vier Tagen abgereist, sprach d’Artagnan. Wollt Ihr’s Euch gefallen lassen, mich einstweilen als Vormund anzunehmen? – Gewiß, Herr d’Artagnan, erwiderte Raoul; Ihr seid ein so braver Mann, und der Herr Graf de la Fère liebt Euch so sehr. – Ei, mein Gott, liebt mich auch, ich werde Euch nicht sehr plagen, aber unter der Bedingung, daß Ihr Frondeur seid, mein junger Freund, und zwar sehr Frondeur. – Kann ich fortwährend Frau von Chevreuse besuchen? – Ei, mein Gott, ja! und den Herrn Koadjutor auch und ebenso Frau von Longueville. – Gut, ich werde Euch gehorchen, obgleich ich Euch nicht verstehe. – Es ist nicht nötig, daß Ihr mich versteht. Halt! rief d’Artagnan, sich nach der Tür, welche man eben öffnete, wendend, hier kommt Herr du Vallon mit ganz zerrissenen Kleidern.

Ja, sprach Porthos, von Schweiß triefend und ganz mit Staub überzogen, für die zerrissenen Kleider habe ich viele Häute zerrissen. Wollten mir diese Lumpenkerle nicht mein Schwert nehmen? Pest! was für eine Volksbewegung! fügte der Riese mit ruhiger Miene bei. Aber ich habe wenigstens zwanzig mit dem Knopfe meines Balmung totgeschlagen. Gebt mir einen Tropfen Wein, d’Artagnan.

O, ich kenne Euch, sprach der Gascogner, Porthos‘ Glas bis an den Rand füllend; doch wenn Ihr getrunken habt, sagt mir Eure Meinung.

Porthos leerte das Glas auf einen Zug. Als er es auf den Tisch gestellt und seinen Schnurrbart ausgesaugt hatte, fragte er: Worüber?

Hier ist Herr von Bragelonne, der mit aller Gewalt bei der Verhaftung Broussels helfen wollte, und den ich nur mit großer Mühe von der Verteidigung des Herrn von Comminges abhalten konnte.

Teufel! versetzte Porthos, was würde der Vormund gesagt haben, wenn er es erfahren hätte!

Seht Ihr! rief d’Artagnan, seid Frondeur, mein Freund, und bedenkt, daß ich in jeder Beziehung die Stelle des Herrn Grafen einnehme.

Dann sich gegen seinen Gefährten umwendend, sprach er: Kommt Ihr mit, Porthos?

Wohin? fragte Porthos, sich ein zweites Glas Wein eingießend.

Wir wollen dem Kardinal unsere Aufwartung machen.

Porthos leerte das zweite Glas mit derselben Ruhe, mit der er das erste getrunken hatte, nahm seinen Hut und folgte d’Artagnan.

Die Fähre

Unser Leser wird sich Raouls erinnern, den wir auf der Straße nach Flandern verließen. Sobald er seinen Beschützer aus den Augen verloren hatte, gab er seinem Pferde die Sporen, einmal um seinen schmerzlichen Gedanken zu entfliehen, und dann um vor Olivain seine große Erregung zu verbergen.

Eine Stunde raschen Rittes zerstreute bald die düsteren Gedanken. Das unbekannte Vergnügen, frei zu sein, ein Vergnügen, das selbst die angenehm empfinden, die nie unter einer Abhängigkeit zu leiden hatten, vergoldete für Raoul Himmel und Erde und besonders den fernen, azurblauen Horizont des Lebens, den man Zukunft nennt.

Als er aber nach verschiedenen Versuchen, mit Olivain ein anregendes Gespräch zu führen, dieses Bemühen als fruchtlos aufgab, stimmte ihn die Erinnerung an die allezeit geistreiche und belehrende Unterhaltung des Grafen wieder traurig, und dieses Gefühl steigerte sich noch, als er am Wege ein Schlößchen erblickte, das ein wenig La Vallière glich. Dieser Anblick versetzte Raoul fünfzig Meilen westwärts, und wehmütig rief er sich jedes Zusammensein mit seiner kleinen Luise ins Gedächtnis zurück.

Mit trübem Herzen und schwerem Kopf befahl er Olivain, die Pferde in eine kleine Herberge zu führen, die er an der Landstraße, ungefähr in einer halben Büchsenschußweite über dem Orte erblickte, zu dem man gelangt war.

Hier war es sein erstes, an seinen Wohltäter einen Brief voll zärtlicher Dankbarkeit zu richten, während er den vom Wirte eifrig aufgetischten Imbiß Olivain überließ.

Hier sowohl wie im nächsten Orte, wo er seinen Brief zur Post gab, erfuhr er, daß ein junger Edelmann mit seinem Hofmeister vor ihm her und ebenfalls zum Heere reise. Nur drei Viertelstunden sollte er voraus, aber gut beritten sein und tüchtig ausgreifen.

Wir wollen diesen Edelmann einzuholen suchen, sagte Raoul zu Olivain, dann werden wir angenehme Gesellschaft haben.

Um vier Uhr nachmittags gelangten sie nach Compiègne, wo Raoul mit gutem Appetit zu Mittag speiste und hörte, der junge Edelmann habe die Absicht geäußert, in Noyon über Nacht zu bleiben. Sofort beschloß Raoul, ebenfalls noch an diesem Tage bis Noyon zu reiten.

Vergebens protestierte Olivain mit der Bemerkung, die Pferde seien ermattet, und achtzehn Meilen für die erste Tagereise genug.

Raoul fühlte sich selbst müde; aber er wünschte seine Kräfte zu versuchen, und da er den Grafen tausendmal von Etappen von fünfundzwanzig Stunden hatte sprechen hören, wollte er nicht gar zu sehr hinter seinem Vorbild zurückbleiben.

Er ritt also immer fort, wobei er von Zeit zu Zeit den Gang seines Pferdes trotz der Bemerkungen Olivains zu beschleunigen suchte, und folgte einer reizenden schmalen Straße, welche zu einer Fähre führte und, wie man ihm versichert hatte, den Weg um eine Meile abkürzte. Auf dem Gipfel eines Hügels angelangt, erblickte er den Fluß vor sich. Ein kleiner Trupp von Berittenen hielt am Ufer und stand im Begriff, sich einzuschiffen. Da Raoul nicht zweifelte, daß es der Edelmann und sein Geleite sei, rief er, war aber noch zu weit entfernt, um gehört zu werden. Er setzte daher sein Pferd, so müde es auch war, in Galopp, aber eine wellenförmige Erhöhung entzog ihm bald den Anblick der Reisenden, und als er auf eine neue Anhöhe gelangte, hatte die Fähre das Ufer verlassen und schwamm nach dem entgegengesetzten Gestade.

Als Raoul sah, daß er nicht zeitig genug hinabgelangen konnte, um mit den Reisenden über den Fluß zu setzen, hielt er an und wartete auf Olivain.

In diesem Augenblicke hörte man einen Schrei, der vom Flusse zu kommen schien. Raoul wandte sich auf die Seite, von wo der Schrei erscholl, hielt die Hand über seine von der untergehenden Sonne geblendeten Augen und rief: Olivain, was seh‘ ich da unten!

Ein zweiter, noch durchdringenderer Schrei erscholl.

Ei, gnädiger Herr, sagte Olivain, das Seil der Fähre ist gerissen, und das Schiff treibt ab. Aber was seh‘ ich dort im Wasser?

Ja! rief Raoul, seine Blicke auf einen Punkt im Flusse heftend, es ist ein Pferd, ein Reiter! – Sie sinken! rief Olivain.

Raoul ließ sofort seinem Pferde die Zügel schießen, drückte ihm die Sporen in den Leib, und das Tier sprang, vom Schmerze gestachelt, über eine Art von Geländer, das den Landungsplatz umgab, und in den Fluß hinein, so daß Schaumwogen aufspritzten.

Ach, gnädiger Herr! rief Olivain, was macht Ihr? Mein Gott und Vater!

Raoul lenkte sein Pferd nach dem Unglücklichen, der in Gefahr schwebte. Es war dies übrigens ein ihm vertrautes Manöver. An den Ufern der Loire geboren, hatte er hundertmal den Strom zu Pferde durchschwommen.

O mein Gott! fuhr Olivain ganz in Verzweiflung fort, was würde der Herr Graf sagen, wenn er Euch erblickte!

Der Graf hätte es gemacht, wie ich, antwortete Raoul, sein Pferd kräftig antreibend.

Aber ich, aber ich! rief Olivain, der sich ganz bleich am Ufer hin- und hertrieb, wie soll ich hinüberkommen?

Spring, Hasenherz! rief Raoul, beständig schwimmend.

Dann wandte er sich an den Reisenden, der sich zwanzig Schritte vor ihm abarbeitete, und rief ihm zu: Mut, mein Herr, Mut, es kommt Hilfe!

Olivain ritt vor und wich zurück, ließ sein Pferd sich bäumen und warf sich endlich, von Scham überwältigt, wie Raoul in den Fluß, wobei er aber beständig vor sich hinbrummte: Ich bin tot! Wir sind verloren!

Die Fähre lief indessen, von der Strömung erfaßt, rasch den Fluß hinab, und man hörte ihre Insassen laut um Hilfe rufen.

Ein Mann mit grauen Haaren war aus der Fähre in den Fluß gesprungen und schwamm kräftig auf die Person zu, die dem Ertrinken nahe war. Aber er rückte nur langsam vorwärts, da er gegen den Strom schwimmen mußte.

Raoul bemerkte, wie Pferd und Reiter, denen er Hilfe bringen wollte, immer mehr untersanken. Das Tier hatte nur noch die Nüstern über dem Wasser, und der Reiter, der bei der Anstrengung gegen die Wellen die Zügel losließ, streckte die Arme aus und den Kopf vorwärts. Noch eine Minute, und alles war verschwunden.

Mut! rief Raoul, Mut!

Das Wasser lief bereits über den Kopf des Ertrinkenden und erstickte seine Stimme.

Raoul warf sich von seinem Pferde, dem er die Sorge für seine Selbsterhaltung überließ, und in drei bis vier Stößen war er bei dem Edelmann. Er ergriff sogleich das Pferd bei der Kinnkette und hob ihm den Kopf über das Wasser; das Tier atmete nun freier und verdoppelte seine Anstrengungen. Zugleich erfaßte Raoul eine der Hände des jungen Mannes und führte sie an die Mähne, an die sie sich augenblicklich mit der unwillkürlichen Zähigkeit des Ertrinkenden anklammerte. Überzeugt, daß der Reiter nicht mehr loslassen würde, beschäftigte sich Raoul nur noch mit dem Pferde, das er nach dem entgegengesetzten Ufer lenkte, während er es beim Durchschneiden des Wassers unterstützte und mit aufmunterndem Zuruf antrieb.

Bald stieß das Tier auf einen festen Grund und faßte Fuß auf dem Sande.

Gerettet! rief der Mann mit den grauen Haaren, der nun ebenfalls Fuß faßte.

Gerettet! murmelte mechanisch der junge Edelmann, ließ die Mähne los und glitt über den Sattel herab in Raouls Arme.

Raoul war nur zehn Schritte vom Ufer entfernt. Er trug den ohnmächtigen Jüngling dahin, legte ihn auf das Gras, riß die Schnüre seines Kragens auf und löste die Spangen seines Wamses.

Eine Minute nachher war der Mann mit den grauen Haaren bei ihm.

Allmählich kehrte durch die Bemühungen Raouls und des Alten das Leben auf die bleichen Wangen des Kavaliers zurück, der nun die Augen wieder öffnete, ganz verwirrt umherschaute, dann aber bald seine Blicke auf den heftete, der ihn gerettet hatte.

Ach, mein Herr! rief er, Euch suchte ich; ohne Euch war ich tot, dreimal tot!

Ei, man wird auch wieder lebendig, wie Ihr seht, mein Herr, antwortete Raoul, und Ihr seid mit einem Bade davongekommen.

Welchen Dank sind wir Euch schuldig! rief der Graukopf.

Ah, Ihr seid hier, mein guter d’Arminges! Ich habe Euch sehr geängstigt, nicht wahr? Aber daran seid Ihr selbst schuld. Ihr wart mein Lehrer, warum habt Ihr mich nicht besser schwimmen gelehrt?

Ach, Herr Graf, sprach der Greis, wenn Euch Unheil widerfahren wäre, ich hätte es nie wieder gewagt, mich vor dem Herrn Marschall zu zeigen!

Aber wie ist es denn zugegangen? fragte Raoul.

Ganz einfach, antwortete der Gerettete. Wir hatten ungefähr den dritten Teil des Flusses erreicht, als das Seil der Fähre zerriß. Bei dem Geschrei und den Bewegungen der Ruderer scheute mein Pferd und sprang in den Fluß. Ich schwimme schlecht und wagte es nicht, mich ins Wasser zu stürzen. Statt die Bewegungen meines Rosses zu unterstützen, lähmte ich sie und war nahe daran, aufs allerschönste zu ertrinken, als Ihr gerade zur rechten Zeit kamt, um mich aus dem Fluß zu ziehen. Wenn Ihr einverstanden seid, mein Herr, so gehören wir einander von nun an auf Leben und Tod.

Mein Herr, sprach Raoul, sich verbeugend, ich bin, das versichere ich Euch, ganz und gar Euer Diener.

Ich heiße Graf von Guiche, fuhr der Reiter fort. Mein Vater ist der Marschall von Grammont. Und nun, da Ihr wißt, wer ich bin, so werdet Ihr mir wohl die Ehre erzeigen, mir zu sagen, wer Ihr seid.

Ich bin der Vicomte von Bragelonne, sprach Raoul, errötend, weil er seinen Vater nicht nennen konnte, wie der Graf von Guiche es getan hatte.

Vicomte, Euer Gesicht, Eure Güte und Euer Mut ziehen mich zu Euch hin, Ihr besitzt bereits meine ganze Dankbarkeit. Umarmen wir uns, ich bitte Euch um Eure Freundschaft.

Mein Herr, entgegnete Raoul, indem er die Umarmung des Grafen erwiderte, auch ich liebe Euch bereits von ganzem Herzen. Betrachtet mich also, ich bitte Euch, als einen ergebenen Freund.

Und nun, wohin geht Ihr? fragte Guiche.

Zum Heere des Prinzen, Graf.

Ich ebenfalls, rief der junge Mann, höchst erfreut. O schön, wir tun den ersten Pistolenschuß miteinander.

So ist es gut; liebt Euch! sprach der Hofmeister. Beide noch jung, hat Euch ohne Zweifel Euer Stern zusammengeführt. Nun aber, fuhr er fort, müßt Ihr die Kleider wechseln. Eure Lakaien müssen bereits im Gasthof angelangt sein. Frische Wäsche und Wein sollen Euch erwärmen. Kommt! Die jungen Leute hatten gegen diesen Vorschlag nichts einzuwenden; sie stiegen wieder zu Pferde und schauten einander bewundernd an: es waren in der Tat zwei schmucke Reiter von schlankem, hohem Wuchs, zwei edle Gesichter mit offener Stirn, sanftem, stolzem Blick, redlichem, feinem Lächeln. Guiche mochte ungefähr achtzehn Jahre alt sein, aber er war kaum größer als Raoul, der erst fünfzehn zählte.

Sie reichten sich mit einer unwillkürlichen Bewegung die Hand, spornten ihre Pferde und ritten nebeneinander vom Flusse nach dem Gasthof.

Mesner und Chorknabe

D’Artagnan schlug den Weg nach dem Pont-Neuf ein. Er war sehr erfreut, daß er Planchet wieder gefunden hatte, indem er zunächst einen guten Diener und später, wenn Planchet wieder seine frühere Stellung im bürgerlichen Leben einnahm, eine wertvolle Verbindung mit dem feindlichen Lager zu haben hoffte. Zufrieden mit dem Glück wie mit sich selbst, erreichte er also Notre-Dame. Er stieg die Freitreppe hinauf, trat in die Kirche, wandte sich an einen Sakristan, der eine Kapelle ausfegte, und fragte ihn, ob er Herrn Bazin kenne.

Herrn Bazin, den Mesner? sprach der Sakristan.

Ihn selbst.

Er bedient da unten die Messe in der Kapelle der Jungfrau.

D’Artagnan zitterte vor Freude. Jetzt, wo er wirklich ein Ende des Fadens in der Hand hatte, machte er sich wohl anheischig, das andere zu erreichen.

Er kniete vor der Kapelle nieder, um seinen Mann nicht aus dem Gesicht zu verlieren. Es war zum Glück eine stille Messe, die bald endigen mußte. D’Artagnan, der seine Gebete vergessen und ein Meßbuch mitzunehmen versäumt hatte, benützte seine Muße, um Bazin prüfend zu betrachten.

Man darf wohl behaupten, Bazin trug sein Gewand mit ebensoviel Majestät als Glückseligkeit. Man sah, daß er zum Gipfel seines Ehrgeizes gelangt war, und daß der mit Silber verzierte Fischbeinstab, den er in der Hand hielt, ihm ebenso ehrenvoll vorkam, als der Kommandostab, den Condé in der Schlacht von Freiburg in die feindlichen Reihen warf oder nicht warf. Sein Äußeres hatte eine seiner Tracht vollkommen entsprechende Veränderung erlitten. Sein ganzer Körper hatte sich abgerundet und gleichsam kanonisiert. Die hervorspringenden Teile seines Gesichtes schienen verschwunden zu sein. Er hatte immer noch seine Nase, aber jede seiner Wangen hatte aufschwellend einen Teil davon an sich gezogen. Das Kinn verlor sich unter dem Halse. Viereckig und heilig geschnittene Haare bedeckten die Stirne bis auf drei Linien von den Augenbrauen, wobei zu beachten ist, daß Bazins Stirne zur Zeit ihrer größten Entblößung nie über anderthalb Zoll hoch gewesen.

Bald endigte der Geistliche seine Messe. Er sprach die Worte des Sakraments und zog sich zurück, indem er zum großen Erstaunen d’Artagnans seinen Segen gab, den jeder knieend empfing. Aber das Erstaunen d’Artagnans hörte auf, als er in dem Geistlichen den Coadjutor selbst erkannt hatte, das heißt, den bekannten Jean-François de Gondi, der zu dieser Zeit, die Rolle ahnend, die er spielen sollte, sich durch Almosen populär zu machen bemüht war.

D’Artagnan warf sich auf die Knie, wie die andern, empfing seinen Teil vom Segen und machte das Zeichen des Kreuzes; aber in dem Augenblick, wo Bazin, die Augen zum Himmel aufschlagend und demütig als der letzte an ihm vorüberging, faßte ihn d’Artagnan unten an seinem Rocke.

Bazin schaute nieder und machte einen Sprung rückwärts, als ob er eine Schlange gesehen hätte.

Herr d’Artagnan! rief er, vade retro, Satanas! …

Wie, mein lieber Bazin, sagte der Offizier lachend, so nehmt Ihr einen alten Freund auf!

Herr, antwortete Bazin, die wahren Freunde des Christen sind die, welche ihm an seinem Heil arbeiten helfen, und nicht diejenigen, welche ihn davon abwenden.

Mein lieber Bazin, versetzte d’Artagnan, Ihr müßt an dem Orte, wo Ihr mich findet, erkennen, daß ich mich in diesen Dingen bedeutend verändert habe, und da ich nicht daran zweifle, daß auch Euer Herr jetzt auf dem besten Wege ist, sein Heil zu gründen, so komme ich, um Euch zu fragen, wo er sich aufhält, damit er mir durch seinen Rat auch zu meinem Heile verhelfe.

Sagt lieber, um ihn mit Euch in die Welt zurückzuführen. Zum Glücke, fügte Bazin bei, weiß ich nicht, wo er ist, denn da wir an einem heiligen Orte sind, würde ich keine Lüge wagen.

Wie! rief d’Artagnan sehr ärgerlich, Ihr wißt nicht, wo Aramis ist?

Einmal ist Aramis sein Name des Verderbens; in Aramis findet man Simara, und dies ist ein Teufelsname; zu seiner Ehre hat er diesen Namen für immer aufgegeben.

Ich suchte auch nicht Aramis, erwiderte d’Artagnan, entschlossen, bis zum Ende geduldig zu bleiben, sondern den Abbé d’Herblay. Nun, mein lieber Bazin, sagt mir, wo er ist.

Habt Ihr nicht gehört, Herr d’Artagnan, daß ich Euch antwortete, ich wisse es nicht?

D’Artagnan sah ein, daß er von Bazin nichts herausbringen würde. Bazin log offenbar, aber er log mit so viel Eifer und Festigkeit, daß man leicht erraten konnte, er würde nicht von seiner Lüge abgehen.

Wohl, Bazin, sagte d’Artagnan; da Ihr nicht wißt, wo Euer Herr sich aufhält, so sprechen wir nicht weiter davon. Wir wollen uns als gute Freunde trennen. Nehmt diese halbe Pistole und trinkt auf meine Gesundheit.

Ich trinke nicht, Herr, sagte Bazin, majestätisch die Hand des Offiziers zurückstoßend, das ist gut für die Laien.

Ärgerlich über das Mißglücken auch dieses Versuches, ließ d’Artagnan Bazins Rock los; dieser benützte sogleich die Gelegenheit und zog sich rasch in die Sakristei zurück, wo er sich nicht eher in Sicherheit glaubte, als bis er die Türe hinter sich zugeschlossen hatte.

Während d’Artagnan zornig auf die geschlossene Tür schaute, fühlte er, daß jemand seine Schulter berührte, und als er sich umwandte, sah er zu seinem größten Erstaunen Rochefort vor sich stehen.

Ihr hier, mein lieber Rochefort, sagte d’Artagnan halblaut. – St! erwiderte Rochefort. Wußtet Ihr, daß ich frei war? – Ich habe es aus erster Hand erfahren. – Von wem? – Von Planchet. –Wie, von Planchet? – Allerdings, er hat Euch gerettet. – Planchet? … in der Tat, ich glaubte ihn wiederzuerkennen. Das beweist, mein Lieber, daß eine Wohltat nie verloren geht. – Was macht Ihr hier? – Ich habe Gott für meine glückliche Befreiung gedankt, sagte Rochefort. – Was weiter? denn ich nehme an, daß das nicht alles ist. – Und dann kam ich, um die Befehle des Coadjutors einzuholen und zu sehen, ob wir nicht etwas tun können, um den Mazarin in Wut zu bringen. – Unbesonnener! Ihr werdet machen, daß man Euch noch einmal in die Bastille steckt. – Oh! was das betrifft, so werde ich wohl auf meiner Hut sein; dafür stehe ich Euch. Die frische Luft ist so gut! Auch gedenke ich, fuhr Rochefort, mit voller Brust atmend, fort, eine Spazierfahrt auf das Land, eine Reise in die Provinz zu machen. – Ich ebenfalls, sagte d’Artagnan. – Darf man Euch, ohne unbescheiden zu sein, fragen, wohin Ihr geht? – Ich suche meine Freunde auf. – Welche Freunde? – Die, von denen ich Euch gestern Kunde geben sollte. – Athos, Porthos und Aramis? Ihr sucht sie? – Ja. – Auf Ehre? – Was ist denn darüber zu erstaunen? – Nichts … Das ist komisch … Und in welchem Auftrag sucht Ihr sie? – Ihr vermutet es nicht? – Allerdings. – Leider weiß ich nicht, wo sie sind. – Und Ihr habt kein Mittel, Nachricht von ihnen zu bekommen? Wartet acht Tage, und ich gebe Euch Auskunft. – Acht Tage, das ist zu viel; ich muß sie vor drei Tagen gefunden haben. – Drei Tage, das ist kurz, sagte Rochefort, und Frankreich ist groß. – Gleichviel. Ihr kennt das Wort: es muß sein. Mit diesem Wort macht man viele Dinge. – Und wann geht Ihr auf Nachforschungen aus? – Ich tue dies bereits. – Gut Glück! – Und Euch glückliche Reise! – Vielleicht treffen wir uns auf dem Wege. – Das ist nicht wahrscheinlich. – Wer weiß? der Zufall ist launenhaft. – Gott befohlen! – Auf Wiedersehen! Doch halt, wenn Mazarin mit Euch spricht, so sagt ihm, ich habe Euch beauftragt, ihm mitzuteilen, er werde binnen kurzem sehen, ob ich zum Handeln zu alt sei.

Geh, geh, sprach d’Artagnan, als der Freund sich entfernte. Tu, was du willst. Mir liegt nichts daran: es gibt keine zweite Constance in der Welt! Hierauf entfernte er sich eilig aus der Kathedrale und legte sich an der Ecke der Rue des Canettes in den Hinterhalt. Von hier konnte er Bazin, der zweifellos bald die Kirche verließ, beobachten.

Fünf Minuten nachher erschien Bazin auf dem Vorplatz. Er schaute rings umher, um sich zu versichern, ob er nicht gesehen würde, aber er erblickte unsern Offizier nicht. Dadurch beruhigt, wagte er sich in die Rue Notre-Dame. D’Artagnan stürzte aus seinem Versteck hervor und kam noch zeitig genug an, um ihn in die Rue de la Juiverie einbiegen und in der Rue de la Calandre in ein anständiges Haus eintreten zu sehen. Unser Offizier zweifelte nicht daran, daß der würdige Mesner in diesem Hause wohne.

Er trat, da er es nicht für geraten hielt, in dem Hause selbst Erkundigungen einzuziehen, in eine kleine Schenke an der Ecke der Rue Saint-Eloi und der Rue de la Calandre und verlangte ein Maß Gewürzwein. Während das Getränk bereitet wurde, schaute sich d’Artagnan um. Er erblickte in der Schenke einen aufgeweckten kleinen Jungen von zwölf bis fünfzehn Jahren, in dem er einen Burschen zu erkennen glaubte, den er zwanzig Minuten vorher unter dem Gewande eines Chorknaben gesehen hatte. Er befragte ihn und erfuhr, daß der Befragte von sechs bis neun Uhr morgens den Beruf eines Chorknaben und von neun Uhr bis Mitternacht den eines Kellners betreibe.

Während d’Artagnan mit dem Burschen plauderte, führte man ein Pferd vor Bazins Haus. Das Pferd war völlig gesattelt und gezäumt. Einen Augenblick nachher kam Bazin herab.

Halt, sagte der Junge, unser Mesner begibt sich auf den Weg. – Wohin geht er? fragte d’Artagnan. – Bei Gott, ich weiß es nicht. – Eine halbe Pistole, wenn du es in Erfahrung bringst. – Für mich? rief der Knabe, dessen Augen vor Freude funkelten, wenn ich in Erfahrung bringe, wohin Herr Bazin geht? Das ist nicht schwierig! Ihr treibt keinen Spott mit mir? – Nein, auf Offizierswort; sieh, hier ist die halbe Pistole.

Und er zeigte ihm die Münze, aber ohne sie ihm wirklich zu geben.

Ich will ihn fragen.

Das ist gerade das Mittel, um nichts zu erfahren, erwiderte d’Artagnan, warte, bis er weggeritten ist. Dann forsche, frage, unterrichte dich. Das ist deine Sache; die halbe Pistole wartet hier.

Und er steckte sie wieder in seine Tasche.

Als nach fünf Minuten Bazin, sein Pferd nach seiner Gewohnheit mit dem Regenschirm antreibend, in kurzem Trabe weggeritten war, stürzte sich der Junge wie ein Leithund auf seine Spur. Noch nicht zehn Minuten waren abgelaufen, als er wieder zurückkam.

Nun? fragte d’Artagnan, wohin ist er geritten? – Die halbe Pistole ist immer noch für mich? – Ganz gewiß. Antworte. Hier ist sie.

Der Junge steckte die Münze in seine Tasche.

Und nun, wohin ist er gegangen? sprach d’Artagnan lachend. – Nach Noisy. – Woher weißt du dies? – Ah! bei Gott, ich brauchte nicht viel Witz, um es zu erfahren. Ich erkannte in dem Pferde das eines Fleischers, der es zuweilen Herrn Bazin leiht. Ich dachte nun, der Fleischer leihe ihm sein Pferd nicht, ohne zu fragen, wohin er reite. – Und er antwortete dir, Herr Bazin … – Er begebe sich nach Noisy. Dies scheint übrigens seine Gewohnheit zu sein, denn er reitet drei- bis viermal in der Woche dahin. – Kennst du Noisy? – Ganz gewiß; meine Amme ist dort. – Ist ein Kloster daselbst? – Ein prächtiges, ein Jesuitenkloster. – Gut, murmelte d’Artagnan; es unterliegt keinem Zweifel mehr. – Ihr seid also zufrieden? – Ja. – Wie heißt du? – Friquet.

Und da unser Offizier jetzt wußte, was er wissen wollte, so bezahlte er den Gewürzwein, den er nicht getrunken hatte, und schlug rasch wieder den Weg nach der Rue Tiquetonne ein.

D’Artagnan findet Aramis auf Planchets Pferde

Als d’Artagnan eintrat, sah er einen Mann an der Ecke des Kamins sitzen; es war Planchet, aber so gut metamorphosiert durch die alten Kleider, die der Eheherr zurückgelassen hatte, daß er selbst Mühe hatte, ihn wieder zu erkennen. Madeleine stellte ihn allen Aufwärtern vor. Planchet wandte sich an den Offizier mit einer schönen flamändischen Phrase. Der Offizier antwortete ihm mit einigen Worten, die keiner Sprache angehörten, und der Handel war abgeschlossen. Madeleines Bruder trat in d’Artagnans Dienst.

Da der Musketierleutnant nicht bei Tage in Noisy ankommen wollte, hatte er Zeit vor sich, denn Noisy lag nur drei bis vier Meilen von Paris auf der Straße nach Meaux.

Er fing damit an, daß er ein tüchtiges Frühstück zu sich nahm, hierauf wechselte er seine Kleider, weil er fürchtete, die Kasake des Musketierleutnants könne Mißtrauen einflößen. Dann nahm er den stärksten und solidesten von seinen drei Degen, den er nur an festlichen Tages zu wählen pflegte, und endlich gegen zwei Uhr ließ er zwei Pferde satteln und ritt mit Planchet, nach dem die Polizei, auch in der Rehziege, immer noch eifrig gesucht hatte, davon.

Anderthalb Meilen von Paris hielt d’Artagnan an, da er sah, daß er in seiner Ungeduld immer noch zu früh aufgebrochen war, und ließ die Pferde verschnaufen. Die Herberge, wo er hielt, war voll von Leuten von verdächtigem Aussehen. Sie schienen eine nächtliche Unternehmung vorzuhaben. Ein in einen Mantel gehüllter Mensch erschien an der Türe. Als er aber einen Fremden sah, machte er ein Zeichen mit der Hand, und zwei Trinker gingen mit ihm hinaus, um sich mit ihm zu besprechen.

D’Artagnan näherte sich ganz gleichgültig der Wirtin, lobte ihren Wein und erfuhr, daß es in Noisy nur zwei stattlichere Häuser gebe; das eine gehöre dem Erzbischof von Paris und werde in diesem Augenblick von seiner Nichte, der Herzogin von Longueville, bewohnt: das andere sei ein Jesuitenkloster und das Eigentum dieser würdigen Väter. Man konnte sich also nicht täuschen.

Um vier Uhr begab sich d’Artagnan wieder auf den Weg; er ließ sein Pferd nur noch im Schritt gehen, denn er wollte erst, wenn es völlig Nacht geworden wäre, an Ort und Stelle kommen. So hatte er Muße, die Lage noch einmal gehörig zu bedenken.

Ein Wort der Wirtin hatte den Gedanken d’Artagnans eine besondere Richtung gegeben. Dieses Wort war der Name der Frau von Longueville. Diese hatte in der Tat alles, was zum Nachdenken veranlassen kann: sie war eine der vornehmsten Damen des Königreichs, eine der schönsten Frauen des Hofes. An den alten Herzog von Longueville verheiratet, den sie nicht liebte, galt sie anfangs für die Geliebte Colignys, der sich in einem Zweikampf auf der Place-Royale von dem Herzog von Guise für sie töten ließ. Dann sprach man von einer etwas zu zärtlichen Freundschaft, die sie für den Prinzen von Condé empfunden haben sollte, worüber sich die furchtsamen Seelen des Hofes skandalisierten. Ferner sagte man, ein wahrer und aufrichtiger Haß sei auf diese Freundschaft gefolgt, und die Herzogin von Longueville stehe in diesem Augenblick in politischer Verbindung mit dem Prinzen von Marsillac, dem ältesten Sohne des alten Herzogs de la Rochefoucault, den sie zu einem Feinde des Herzogs von Condé, ihres Bruders, zu machen bemüht sei.

D’Artagnan dachte an alles dies. Er dachte an Aramis, der, ohne mehr zu sein als er, einst der Geliebte der Frau von Chevreuse gewesen. Er fragte sich, warum es in der Welt Menschen gebe, die alles erreichen, was sie wünschen, diese in der Politik, jene in der Liebe, während andere, sei es aus Zufall, sei es aus Ungeschick, mit allen ihren Hoffnungen auf dem halben Weg bleiben.

Er mußte sich zugestehen, daß er trotz seines Geistes, trotz seiner Geschicklichkeit dieser letzteren Kategorie angehört habe und wohl immer angehören werde, als Planchet sich ihm näherte und sagte:

Ich wette, gnädiger Herr, Ihr denkt an dasselbe, wie ich. – Ich zweifle, Planchet, erwiderte d’Artagnan lächelnd. Doch woran denkst du? Laß hören. – Ich denke an die verdächtig aussehenden Leute, die in der Herberge tranken. – Stets klug, Planchet. – Gnädiger Herr, das ist Instinkt. – Nun, sprich: Was sagt dein Instinkt in dieser Hinsicht? – Mein Instinkt sagte mir, diese Leute seien in einer schlimmen Absicht in der Herberge, und gerade als ich mir das, was mir mein Instinkt in dem dunkelsten Winkel des Stalles sagte, überlegte, trat ein in einen Mantel gehüllter Mann mit zwei andern in eben diesen Stall. – Ah, ah! rief d’Artagnan. Nur weiter! – Der eine von den zwei Männern sagte: Er muß sicherlich in Noisy sein oder heute abend dahin kommen, denn ich habe seinen Bedienten erkannt. – Du bist deiner Sache gewiß? fragte der Mann im Mantel. – Ja, mein Prinz. – Mein Prinz? unterbrach ihn d’Artagnan. – Ja, mein Prinz, doch hört: Wenn er dort ist, was sollen wir dann tun? sprach der andere Trinker. – Was man tun soll? sagte der Prinz. – Ja, er ist nicht der Mann, der sich so fangen läßt; er wird gehörig mit dem Degen spielen. – Nun, man muß es machen wie er, dabei aber bemüht sein, ihn lebendig zu bekommen. Habt Ihr Stricke, um ihn zu binden, und einen Knebel, um ihn in seinen Mund zu stecken? – Wir haben dies alles. – Seid auf Eurer Hut, aller Wahrscheinlichkeit nach ist er als Kavalier verkleidet. – Ja, ja, Monseigneur, seid unbesorgt. – Übrigens werde ich dabei sein und Euch führen. – Ihr steht dafür, daß die Gerichte …? – Ich stehe für alles, sagte der Prinz. – Gut, wir werden unser möglichstes tun. – Und damit verließen sie den Stall. – Nun, sprach d’Artagnan, was geht das uns an? Das ist ein Unternehmen, wie es in unserer Zeit jeden Tag vorkommt. – Es ist gut, sprechen wir nicht mehr davon.

Als sie eine Meile weitergeritten waren, näherte sich Planchet d’Artagnan und sagte zu ihm: Gnädiger Herr! – Was gibt’s? – Schaut auf diese Seite. Kommt es Euch nicht vor, als erblicktet Ihr etwas wie Schatten, die mitten durch die Nacht hinziehen? Horch! es kommt mir vor, ich höre Pferdetritte. – Unmöglich, sagte d’Artagnan, die Erde ist durch den Regen aufgeweicht. Aber es scheint mir auch, als sähe ich etwas.

Und er hielt an, um zu schauen und zu horchen.

Wenn man keine Pferdetritte hört, so hört man wenigstens Gewieher.

Wirklich schlug das Gewieher eines Pferdes an d’Artagnans Ohr.

Unsere Leute sind im Feld, sagte er, aber das geht uns nichts an. Setzen wir unsern Weg fort.

Eine halbe Stunde nachher erreichten sie die ersten Häuser von Noisy. Es mochte etwa halb neun Uhr abends sein.

Nach den ländlichen Gewohnheiten hatte sich schon die gesamte Einwohnerschaft niedergelegt, und kein Licht glänzte mehr im Orte.

D’Artagnan und Planchet setzten ihren Weg fort; rechts und links von ihrer Straße hob sich auf dem düstern Grau des Himmels der noch dunklere Umriß der Dächer hervor. Von Zeit zu Zeit kläffte ein aufgeweckter Hund hinter einer Türe, oder eine erschrockene Katze verließ eiligst die Mitte des Pflasters, um sich in einen Haufen von Reisbüscheln zu flüchten, wo man ihre Augen wie Karfunkel glänzen sah. Das waren die einzigen lebendigen Wesen, welche das Dorf zu bewohnen schienen.

Ungefähr gegen die Mitte des Fleckens erhob sich, den Hauptplatz beherrschend und vereinzelt zwischen zwei Gassen liegend, eine dunkle Masse, vor der ungeheure Linden ihre entblätterten Äste ausbreiteten. D’Artagnan beschaute das Gebäude aufmerksam.

Das muß das Schloß des Erzbischofs sein, sagte er zu Planchet. Hier wohnt die schöne Frau von Longueville. Aber wo ist das Kloster?

Das Kloster? erwiderte Planchet, das Kloster ist am Ende des Dorfes, ich kenne es.

Nun wohl, sprach d’Artagnan, im Galopp bis dahin, Planchet, während ich den Gurt meines Pferdes fester anziehe, und komm dann zurück, wenn du ein erleuchtetes Fenster siehst.

Nach fünf Minuten kam Planchet zurück und sagte: Gnädiger Herr, es ist ein einziges Fenster gegen das Feld hinaus erleuchtet.

Hm! wenn ich ein Frondeur wäre, so klopfte ich hier an und wäre überzeugt, daß ich ein gutes Lager bekäme; wenn ich ein Mönch wäre, klopfte ich da unten an und wäre ebenfalls überzeugt, daß ich ein gutes Abendbrot bekäme, während es im Gegenteil leicht möglich ist, daß wir zwischen dem Schlosse und dem Kloster vor Hunger und Durst verschmachtend auf der harten Erde liegen müssen.

Ja, fügte Planchet bei, wie der berühmte Esel Buridans. Doch mittlerweile wollt Ihr, daß ich klopfe?

St! sagte d’Artagnan, das einzige Fenster, welches erleuchtet war, ist dunkel geworden.

Hört Ihr, gnädiger Herr, sprach Planchet.

In der Tat, was für ein Geräusch ist dies?

Es war wie das Tosen eines herannahenden Sturmes; in demselben Augenblick kamen zwei Reiterhaufen von je zehn Mann aus jeder von den zwei Gassen hervor, welche sich am Hause hinzogen, und umzingelten, alle Ausgänge verschließend, d’Artagnan und Planchet.

Oho, sagte d’Artagnan, indem er seinen Degen zog und sich hinter sein Pferd zurückstellte, während Planchet dasselbe Manöver ausführte. Sollte man wirklich an uns wollen?

Hier ist er, wir haben ihn! sprachen die Reiter, sich mit bloßem Degen auf d’Artagnan stürzend. – Verfehlt ihn nicht, rief eine hohe Stimme. – Nein, Monseigneur, seid unbesorgt.

D’Artagnan glaubte den Augenblick gekommen, sich in das Gespräch zu mischen.

Holla! meine Herren! rief er mit seinem gascognischen Akzente, was wollt Ihr? Was verlangt Ihr? – Du sollst es erfahren, brüllten die Reiter im Chor. – Halt, halt! schrie der, den sie Monseigneur genannt hatten, haltet ein, wenn Euch Euer Kopf lieb ist. Das ist nicht seine Stimme.

Ei, meine Herren, sprach d’Artagnan, ist man in Noisy wahnsinnig geworden? Nehmt Euch wohl in acht, denn ich sage Euch, daß ich den ersten, der sich mir auf die Länge meines Degens nähert, und mein Degen ist lang, den Bauch aufschlitze.

Der Anführer näherte sich.

Was macht Ihr hier? sagte er mit einem hochmütigen und an das Befehlen gewöhnten Tone. – Was macht Ihr hier? entgegnete d’Artagnan. – Seid höflich, oder man wird auch auf die gehörige Weise striegeln, denn obgleich man sich nicht nennen will, wünscht man doch seinem Range gemäß respektiert zu werden. – Ihr wollt nicht erkannt sein, weil Ihr einen Hinterhalt leitet, sagte d’Artagnan; aber ich, der ich ruhig mit meinem Lakaien reise, ich habe keine Ursache, meinen Namen zu verschweigen. Kennt Ihr Herrn d’Artagnan? – Leutnant bei den Musketieren? fragte die Stimme. – Denselben. – Allerdings. – Nun wohl, fuhr der Gascogner fort, Ihr müßt gehört haben, daß er ein Mann von festem Faustgelenk und seiner Klinge ist. – Ihr seid Herr d’Artagnan? Dann kommt Ihr hierher, um ihn zu verteidigen. – Wen, ihn? – Denjenigen, den wir suchen. – Es scheint, erwiderte d’Artagnan, daß ich, während ich nach Noisy zu kommen glaubte, ganz unvermutet ins Reich der Rätsel gelangt bin. – Gut, sprach die Stimme, entfernt Euch von hier, räumt uns den Platz. – Mich von hier entfernen, sagte d’Artagnan, dem dieser Befehl seine Pläne durchkreuzte, dies ist nicht so leicht, da ich vor Müdigkeit umsinke und mein Pferd ebenso. Ihr müßtet denn geneigt sein, mir ein Abendessen und ein Lager in der Gegend anzubieten. – Halunke! – Herr! rief d’Artagnan, nehmt Euch mit Euren Worten gefälligst in acht, denn wenn Ihr noch ein zweites Wort wie dieses gebrauchtet, so würde ich es Euch, und wäret Ihr nun Marquis, Herzog oder Prinz, in den Bauch zurückstoßen; versteht Ihr? – Ganz richtig, sprach der Anführer, man kann sich nicht täuschen, es ist ein Gascogner, der hier spricht, und folglich nicht der Mann, den wir suchen. Wir haben unsern Streich für diesen Abend verfehlt und können nichts Besseres tun, als uns zurückzuziehen … Wir werden uns wiederfinden, Meister d’Artagnan, fügte der Anführer, den Ton verstärkend, bei. – Ja, aber nicht mit denselben Vorteilen, rief der Gascogner spottend dem fortsprengenden Trupp nach; denn wenn Ihr mich wieder findet, seid Ihr vielleicht allein und es ist Tag.

Du siehst, sprach d’Artagnan, als das Geräusch der galoppierenden Pferde verhallt war, ruhig zu Planchet, daß sie nicht an uns wollten.

Aber an wen denn sonst?

Meiner Treu, ich weiß es nicht, und es liegt mir auch nichts daran. Für mich ist die Hauptsache, in das Jesuitenkloster zu kommen. Zu Pferde also und dann angeklopft. Es mag kosten, was es will, sie werden uns nicht fressen.

Und d’Artagnan schwang sich wieder in den Sattel. Als Planchet dasselbe tat, fiel eine unerwartete Last auf das Hinterteil seines Pferdes.

He, Herr! rief Planchet, ich habe einen Mann hinter mir!

D’Artagnan wandte sich um und sah wirklich zwei menschliche Gestalten auf dem Pferde Planchets.

Es scheint, der Teufel verfolgt uns, rief er, zog den Degen und war im Begriff, den Unerwarteten anzugreifen.

Nein, nein, mein lieber d’Artagnan, sagte dieser, es ist nicht der Teufel; ich bin es, Aramis. Im Galopp, Planchet, und am Ende des Dorfes links gehalten.

Anna von Österreich im Alter von sechsundvierzig Jahren

Allein mit Bernouin, blieb Mazarin einen Augenblick nachdenklich; er wußte viel, aber er wußte immer noch nicht genug. Mazarin war Betrüger im Spiel. Er beschloß, die Partie mit d’Artagnan nicht eher anzufangen, als bis er alle Karten seines Gegners genau kennen würde.

Monseigneur hat nichts zu befehlen? sagte Bernouin.

Allerdings, antwortete Mazarin, leuchte mir, ich gehe zu der Königin.

Bernouin nahm eine Kerze und ging voraus.

Es war ein geheimer Gang vorhanden, der von den Zimmern und dem Kabinett Mazarins nach den Zimmern der Königin führte, und den der Kardinal benutzte, so oft er sich zu Anna von Österreich begab.

Als Bernouin in das Schlafzimmer gelangte, in dem dieser Gang mündete, traf er Madame Beauvais. Madame Beauvais und Bernouin waren die innigen Vertrauten dieser schon alten Liebe, und Madame Beauvais übernahm es, den Kardinal bei Anna von Österreich zu melden, die sich mit ihrem Sohne, König Ludwig XIV., in ihrem Betzimmer befand.

In einem großen Lehnstuhl sitzend, den Ellbogen auf den Tisch und den Kopf auf die Hand gestützt, betrachtete Anna von Österreich das königliche Kind, das, auf dem Boden liegend, in einem großen Schlachtenbuch blätterte. Anna von Osterreich war die Königin, die sich am allerbesten mit Majestät zu langweilen wußte. Sie blieb zuweilen stundenlang in ihr Schlafgemach oder in ihr Betzimmer zurückgezogen, ohne zu lesen oder zu beten.

Madame Beauvais erschien an der Türe des Betzimmers und meldete den Kardinal Mazarin. Das Kind erhob sich auf einem Knie und schaute, die Stirne runzelnd, seine Mutter an.

Warum kommt er so, sagte es, ohne um Audienz zu bitten?

Anna errötete leicht. Es ist wichtig, versetzte sie, daß ein erster Minister in Zeiten, wie sie jetzt sind, der Königin zu jeder Stunde über alles berichten kann, ohne daß er die Neugierde oder die Mutmaßungen des ganzen Hofes anzuregen braucht.

Aber man hat mir auf meine Frage gesagt, daß der Herr von Richelieu nicht so kam, sprach das unbeugsame Kind.

In diesem Augenblick trat Mazarin ein. Der König stand auf, nahm sein Buch, schloß es und trug es auf den Tisch, bei dem er aufrecht stehen blieb, um Mazarin zu nötigen, ebenfalls zu stehen. Mazarin bückte sich ehrfurchtsvoll vor der Königin und machte eine tiefe Verbeugung vor dem König, der ihm mit einem ziemlich stolzen Kopfnicken dankte; aber ein Blick seiner Mutter tadelte ihn, daß er sich den Gefühlen des Hasses hingab, die er seit seinen Kinderjahren gegen den Kardinal hegte, und er empfing mit lächelnden Lippen das Kompliment des Ministers.

Anna von Österreich war bemüht, auf Mazarins Gesicht die Ursache dieses unvorhergesehenen Besuches zu erraten, denn der Kardinal kam gewöhnlich erst dann zu ihr, wenn sie allein war.

Der Minister machte ein unmerkliches Zeichen mit dem Kopf, die Königin wandte sich an Madame Beauvais und sagte: Es ist Zeit, daß sich der König schlafen legt. Ruft Laporte.

Ludwig XIV. biß sich in die Lippen und erbleichte. Als einen Augenblick nachher Laporte eintrat, ging er gerade auf ihn zu, ohne seine Mutter zu küssen.

Nun, Louis, sagte Anna, warum küßt Ihr mich nicht?

Ich glaubte, Ihr wäret böse auf mich, Madame, Ihr jagt mich fort.

Ich jage Euch nicht fort. Ihr habt nur vor kurzem erst die Blattern gehabt, seid noch leidend, und ich fürchte, das lange Wachen könnte Euch anstrengen.

Ihr habt das nicht gefürchtet, als Ihr mich heute in den Palast schicktet, um die abscheulichen Edikte zu erlassen, über die das Volk so sehr murrte.

Und der König entfernte sich, ohne seine Mutter zu küssen und ohne den Kardinal zu grüßen.

Ganz gut, sprach Mazarin, ich sehe es gerne, daß man Seine Majestät mit Abscheu vor der Heuchelei erzieht. – Wie meint Ihr dies? fragte die Königin mit beinahe schüchternem Tone. – Nun, Seine Majestät gibt sich keine Mühe zu verbergen, wie geringe Zuneigung er für mich hat, was mich indessen nicht abhält, seinem Dienste, so wie dem Eurer Majestät, völlig ergeben zu sein. – Ich bitte Euch für ihn um Vergebung, erwiderte die Königin. Er ist ein Kind, das noch nicht alle seine Verpflichtungen gegen Euch zu erkennen vermag.

Der Kardinal lächelte.

Aber, fuhr die Königin fort, Ihr seid ohne Zweifel in einer wichtigen Angelegenheit gekommen. Was gibt es?

Mazarin setzte oder vielmehr lehnte sich in einen weiten Stuhl zurück und sprach in schwermütigem Ton:

Was es gibt? Aller Wahrscheinlichkeit nach werden wir bald gezwungen sein, uns zu verlassen, wenn Ihr nicht Eure Ergebenheit für mich so weit treiben wollt, mir nach Italien zu folgen. – Und warum dies? fragte die Königin.

Weil, wie es in der Oper Thisbe heißt: »Die ganze Welt verschworen ist, zu trennen unsre Liebe.«

Ihr scherzt, Herr, sagte die Königin mit einem Versuch, ihre frühere Würde wieder anzunehmen.

Ach nein, Madame, sprach Mazarin, ich scherze nicht im geringsten. Glaubt mir, ich möchte eher weinen, habe ich nicht Euch selbst eines Tages ganz freundlich dem Herzog von Orleans zulächeln sehen, als er sagte: Euer Mazarin ist der Stein des Anstoßes, er entferne sich, und alles wird gut gehen? – Was sollte ich machen? – Oh! Madame, es scheint mir, Ihr seid die Königin. – Ein schönes Königtum, der Gnade des ersten besten Tintenklecksers vom Palais Royal oder des elendesten Strohjunkers im Reich preisgegeben! – Ihr seid aber stark genug, um die Leute von Euch zu entfernen, die Euch mißfallen. – Das heißt, die Euch mißfallen, antwortete die Königin. – Mir? – Allerdings. Wer hat Frau von Chevreuse fortgeschickt? – Eine Intrigantin, welche gegen mich die Kabalen fortsetzen wollte, die sie gegen Herrn von Richelieu angefangen hatte. – Wer hat Frau von Hautefort fortgeschickt, die mir so sehr ergeben war, daß sie die Gnade des Königs ausschlug, um in der meinigen zu bleiben? – Eine Heuchlerin, die Euch jeden Abend beim Auskleiden sagte, einen Priester lieben, heiße seine Seele verderben; als ob man Priester sein müßte, weil man Kardinal ist! – Wer hat Herrn von Beaufort verhaften lassen? – Ein Brausekopf, der von nichts Geringerem sprach, als von meiner Ermordung. – Ihr seht wohl, Kardinal, versetzte die Königin, daß Eure Feinde auch die meinigen sind. – Das ist nicht genug, Madame. Eure Freunde müssen auch die meinigen sein. – Meine Freunde? Herr! sprach die Königin und schüttelte den Kopf. Ach, ich habe keine mehr! – Ja, sucht nur unter Euren ehemaligen Freunden, unter denen, die Euch gegen den Herzog von Richelieu kämpfen und ihn sogar besiegen halfen.

Wo will er hinaus? murmelte die Königin und schaute den Kardinal unruhig an.

Ja, fuhr dieser fort, unter gewissen Umständen wußtet Ihr mit dem mächtigen, feinen Geiste, der Eure Majestät charakterisiert, mit Hilfe Eurer Freunde die Angriffe dieses Gegners zurückzuschlagen. – Ich? sagte die Königin, ich habe nur gelitten. – Ja, sprach Mazarin, wie die Frauen leiden, indem sie sich rächen. Kommen wir zur Sache. Kennt Ihr Herrn d’Artagnan? fuhr Mazarin, der Königin ins Gesicht schauend, fort.

Anna von Österreich empfing den Stoß mitten im Herzen.

Sollte der Gascogner geschwatzt haben? murmelte sie. Dann fügte sie laut bei:

D’Artagnan? wartet doch. Ja gewiß, dieser Name ist mir bekannt: d’Artagnan, ein Musketier, der eine meiner Frauen liebte. Ein armes Geschöpfchen, das meinetwegen an Gift starb.

Ist dies alles? fragte Mazarin.

Die Königin schaute den Kardinal erstaunt an.

Aber, mein Herr, sagte sie, es scheint, Ihr unterwerft mich einem Verhör. – Bei dem Ihr jedenfalls, erwiderte Mazarin mit seinem ewigen Lächeln und seinem stets süßen Tone, nur nach Eurer Phantasie antwortet. – Drückt Euren Wunsch klar, aus, mein Herr, und ich werde ebenso antworten, sagte die Königin, die ungeduldig wurde. – Wohl, Madame, antwortete Mazarin, sich verbeugend. Ich wünschte, Ihr ließet mich an Euren Freunden Anteil nehmen, wie ich Euch an dem bißchen Gewandtheit und Talent Anteil nehmen ließ, womit mich der Himmel begabt hat. Die Umstände sind von ernster Bedeutung, und man muß energisch handeln. – Abermals! sprach die Königin, ich glaubte, mit Herrn von Beaufort wären wir quitt. – Ihr habt nur den Strom gesehen, der alles niederreißen wollte, und das stehende Wasser nicht wahrgenommen. – Vollendet! sagte die Königin. – Nun wohl, fuhr Mazarin fort; ich dulde alle Tage Unverschämtheiten, die sich Eure Prinzen und Eure betitelten Knechte gegen mich erlauben, lauter Automaten, die nicht sehen, daß ich ihren Faden in der Hand halte. Wir haben allerdings Herrn von Beaufort verhaften lassen, aber das war der ungefährlichste von allen. Noch ist der Prinz vorhanden. – Der Sieger von Rocroi? Daran könnt Ihr doch nicht denken! – Ja, Madame, und zwar sehr oft, aber Pazienza, wie wir Italiener sagen. Dann, nach Herrn von Condé, ist der Herzog von Orleans da. – Was sagt Ihr? der erste Prinz von Geblüt, der Oheim des Königs! – Nicht der erste Prinz von Geblüt, nicht der Oheim des Königs, sondern der feige Meuterer, der unter der vorigen Regierung, angetrieben von seinem launenhaften, phantastischen Charakter, gestachelt von erbärmlichem Ärger, verzehrt von einem platten Ehrgeiz, eifersüchtig auf alles, was ihn an ritterlichem Sinn und Mut übertraf, aufgebracht darüber, daß er wegen seiner inneren Hohlheit nichts war, sich zum Echo aller Verleumdungen, zur Seele aller Kabalen machte. Nicht der erste Prinz von Geblüt, nicht der Oheim des Königs, ich wiederhole es, sondern der Mörder eines Chalais, Montmorency und Cinq-Mars, der jetzt dasselbe Spiel zu spielen versucht und sich einbildet, er werde die Partie gewinnen, weil er jetzt nicht mehr einen drohenden, sondern einen lächelnden Mann sich gegenüberstehen hat. Aber er täuscht sich, er wird verlieren, und es liegt nicht in meinem Interesse, bei der Königin diesen Gärungsstoff der Uneinigkeit zu dulden, mit dem der verstorbene Kardinal die Galle des Königs zwanzig Jahre lang in Aufruhr erhalten hat.

Anna errötete und barg ihren Kopf in beiden Händen.

Ich will Eure Majestät nicht demütigen, fuhr Mazarin mit etwas ruhigerem Tone, aber zugleich mit seltsamer Festigkeit fort. Man soll die Königin ehren und ihren Minister achten, denn in aller Augen bin ich nur dieses.

Was soll ich denn tun? fragte Anna von Österreich, gebeugt unter dieser gebietenden Stimme.

Ihr sollt in Eurem Gedächtnis den Namen der treuen, ergebenen Männer suchen, die trotz Herrn von Richelieu über das Meer gefahren sind, Spuren ihres Blutes die ganze Straße entlang zurücklassend, um Ew. Majestät einen gewissen Schmuck zu bringen, den sie Herrn von Buckingham gegeben hatte.

Anna von Österreich erhob sich, majestätisch und zornig, als ob eine Feder sie aufgeschnellt hätte, und schaute den Kardinal mit dem Stolz und der Würde an, wodurch sie in den Tagen ihrer Jugend so mächtig gewesen war.

Ihr beleidigt mich, Herr, sagte sie. – Ich will, fuhr Mazarin unbeirrt fort, ich will, daß Ihr für Euern Gatten tut, was Ihr einst für Euern Liebhaber getan habt. – Abermals diese Verleumdung? rief die Königin; ich hielt sie für tot und erstickt, denn Ihr hattet sie mir bis jetzt erspart. Jetzt sprecht Ihr mir aber ebenfalls davon. Desto besser, denn die Frage wird jetzt ein für allemal unter uns abgemacht werden, versteht Ihr mich? – Aber, Madame, sprach Mazarin, erstaunt über diese Rückkehr der Kraft, ich verlange gar nicht, daß Ihr mir alles sagen sollt. – Und ich will Euch alles sagen, entgegnete Anna von Österreich. Hört also: Es gab wirklich zu jener Zeit vier ergebene Herzen, vier ritterliche Seelen, vier treue Degen, die mir mehr als das Leben, die mir die Ehre retteten. – Oh! Ihr gesteht! rief Mazarin.– Ist nur die Ehre der Schuldigen auf das Spiel gesetzt, mein Herr, und kann man nicht einen Menschen, eine Frau besonders, durch falschen Schein entehren? Ja, der Schein war gegen mich, und ich sollte entbehrt werden, und dennoch, ich schwöre es Euch, war ich nicht schuldig. Ich schwöre es …

Sie suchte nach etwas Heiligem, worauf sie schwören könnte, zog aus einem unter der Tapete verborgenem Schranke ein kleines, mit Silber eingelegtes Kistchen von Rosenholz hervor, stellte es auf den Altar und fuhr fort: Ich schwöre auf diese heilige Reliquie, ich liebte Herrn von Buckingham, aber Herr von Buckingham war nicht mein Liebhaber.

Und was für eine Reliquie ist es, auf die Ihr diesen Eid leistet? sprach Mazarin lächelnd; denn ich muß gestehen, als Römer bin ich ungläubig; es ist ein Unterschied unter den Reliquien.

Die Königin machte einen kleinen goldenen Schlüssel von ihrem Halse los und übergab ihn dem Kardinal.

Öffnet, mein Herr, sprach sie, und seht selbst.

Mazarin nahm erstaunt den Schlüssel und öffnete das Kistchen, worin er nur ein vom Rost zerfressenes Messer und zwei Briefe fand, von denen der eine mit Blut befleckt war.

Was ist das? fragte Mazarin.

Was das ist, mein Herr? sprach Anna von Österreich mit königlicher Gebärde und indem sie ihren immer noch vollkommen schönen Arm über das Kästchen streckte, ich will es Euch sagen; diese zwei Briefe sind die einzigen, die ich ihm je geschrieben habe; dieses Messer ist das, mit dem ihn Felton ermordet hat. Leset die Briefe, mein Herr, und Ihr werdet sehen, ob ich gelogen habe.

Es ist gut, Madame, sagte Mazarin, indem er unwillkürlich nach dem Messer griff, es aber nach einem Blick auf seine blut- und rostzerfressene Scheide schaudernd in das Kästchen legte, ich baue auf Euern Eid.

Ja, mein Herr, sprach die Königin, das Kistchen wieder verschließend und ihre Hand darauf legend; es ist allerdings wahr. Diese Reliquie klagt mich an, daß ich stets undankbar gegen die gewesen bin, welche mich gerettet haben, und alles taten, um ihn zu retten; daß ich dem braven d’Artagnan, von dem Ihr soeben spracht, nichts gegeben habe, als die Erlaubnis, meine Hand zu küssen, und diesen Diamanten.

Die Königin streckte ihre schöne Hand gegen den Kardinal aus und zeigte ihm einen herrlichen Edelstein, der an ihrem Finger funkelte.

Er hat ihn, wie es scheint, in einem Augenblick der Verlegenheit verkauft: er hat ihn verkauft, um mich zum zweitenmale zu retten, denn es geschah, um einen Boten an den Herzog zu schicken und ihn zu benachrichtigen, daß er ermordet werden solle.

D’Artagnan wußte es also?

Er wußte alles. Wie er dies machte, weiß ich nicht. Kurz, er verkaufte den Ring an Herrn des Essarts, an dessen Finger ich ihn sah, und von welchem ich ihn wieder kaufte; doch dieser Diamant gehört ihm, mein Herr, gebt ihm denselben in meinem Namen zurück, und da Ihr das Glück habt, einen solchen Menschen in Eurer Nähe zu besitzen, so sucht Vorteil daraus zu ziehen.

Ich danke, Madame, sprach Mazarin, ich werde Euren Rat benützen.

Und nun, sagte die Königin, als hätte die Aufregung sie völlig entkräftet, habt Ihr noch etwas anderes von mir zu fordern?

Nichts, Madame, erwiderte Mazarin mit seinem einschmeichelndsten Tone, ich habe Euch nur zu bitten, mir meinen ungerechten Verdacht zu vergeben, aber ich liebe Euch so unendlich, daß man nicht staunen darf, wenn ich selbst über die Vergangenheit eifersüchtig bin.

Ein Lächeln von unbeschreiblichem Ausdruck umspielte die Lippen der Königin.

Der Kardinal nahm die Hand der Königin, küßte sie zärtlich und zog sich zurück.

Kaum hatte er sich entfernt, als sich die Königin in das Gemach ihres Sohnes begab und Laporte fragte, ob der König zu Bette gegangen sei. Laporte deutete mit der Hand auf das schlafende Kind.

Anna von Österreich stieg auf die Stufen des Bettes, näherte ihre Lippen der Stirn ihres Sohnes und drückte sanft einen Kuß darauf; dann ging sie stille, wie sie gekommen war, wieder weg und sagte bloß zu dem Kammerdiener: Sorget dafür, mein lieber Laporte, daß der König dem Kardinal, gegen den er und ich so große Verbindlichkeiten haben, ein freundlicheres Gesicht macht.

Gascogner und Italiener

Inzwischen war der Kardinal in sein Zimmer zurückgekehrt. Er fragte Bernouin, ob nichts Neues vorgefallen und ob keine Meldung gekommen sei, und hieß ihn auf seine verneinende Antwort abtreten. Sodann öffnete er die Türe des Korridors und hierauf die des Vorzimmers und sagte zu dem auf der Bank sitzenden und mühsam den Schlaf bekämpfenden Leutnant:

Folgt mir, mein Herr!

Vortrefflich, murmelte d’Artagnan, Rochefort hat mir Wort gehalten; das Gute kommt mir, scheint’s, im Schlaf.

Herr d’Artagnan, sagte Mazarin, nachdem er sich gesetzt und eine bequeme Stellung eingenommen hatte, Ihr seid mir immer als ein braver, mutiger Mann vorgekommen.

Das ist möglich, dachte d’Artagnan, aber er hat sich Zeit gelassen, es mir zu sagen. Dessenungeachtet bückte er sich vor Mazarin bis auf den Boden, um sein Kompliment zu erwidern.

Nun wohl, fuhr Mazarin fort, der Augenblick ist gekommen, um aus Eurem Talent und aus Eurem Mut Nutzen zu ziehen.

Die Augen des Offiziers schleuderten gleichsam einen Freudenblitz, der sogleich wieder erlosch, denn er wußte nicht, wo Mazarin hinaus wollte.

Befehlt, Monseigneur, ich bin bereit, Eurer Eminenz zu gehorchen.

Herr d’Artagnan, fuhr Mazarin fort, Ihr habt unter der letzten Regierung gewisse Taten vollbracht …

Eure Eminenz ist zu gut, daß sie sich dessen erinnert … Es ist wahr, ich habe den Krieg mit ziemlich günstigem Erfolg mitgemacht …

Ich spreche nicht von Euren Kriegstaten, entgegnete Mazarin, denn obgleich sie einiges Aussehen machten, so sind sie doch von andern übertroffen worden.

D’Artagnan spielte den Erstaunten.

Wie? sprach Mazarin, Ihr antwortet nicht? – Ich warte darauf, versetzte d’Artagnan, daß Monseigneur mir sage, von welchen Taten er zu sprechen die Gnade hat. – Ich spreche von den Abenteuern in … Ihr wißt wohl, was ich sagen will? – Ach nein, Monseigneur, antwortete d’Artagnan ganz erstaunt. – Ihr seid verschwiegen? Desto besser! Ich spreche von jenem Abenteuer der Königin, von den Nestelstiften, von der Reise, die Ihr mit drei von Euren Freunden gemacht habt. – He, he! dachte der Gascogner, ist das eine Falle? Da müssen wir fest halten.

Und seine Züge drückten ein Erstaunen aus, um das ihn Mondori und Bellerose, die besten Schauspieler jener Zeit, beneidet hätten.

Sehr gut! rief Mazarin lachend. Bravo! man hat mir mit Recht gesagt, Ihr seiet der Mann, dessen ich bedürfe. Aber sprecht immerhin, denn die Königin selbst entbindet Euch Eures Schwures. – Die Königin! sagte d’Artagnan mit einem Erstaunen, das diesmal nicht gespielt war. – Ja, die Königin. Und zum Beweise, daß ich in ihrem Namen mit Euch spreche, hat sie mich beauftragt, Euch diesen Diamanten zu zeigen, von dem sie behauptet, Ihr kennt ihn, und den sie von Herrn des Essarts wieder erkauft hat.

Mazarin streckte die Hand nach dem Offizier aus, und dieser seufzte, als er den Ring wiedererkannte, den ihm die Königin an jenem Ballabend im Stadthause geschenkt hatte.

Es ist wahr, sagte d’Artagnan, ich erkenne diesen Diamanten, der der Königin gehört hat. – Ihr seht also wohl, daß ich in ihrem Namen mit Euch spreche. Antwortet mir, ohne weiter Komödie zu spielen. Ich habe Euch schon gesagt und wiederhole, daß Euer Glück davon abhängt. – Meiner Treu, Monseigneur, ich habe es sehr nötig, mein Glück zu machen. Ew. Eminenz vergaß mich so lange. – Das läßt sich in acht Tagen gut machen. Ihr seid hier; aber wo sind Eure Freunde? – Ich weiß es nicht, Monseigneur. – Wie, Ihr wißt es nicht? Wo werdet Ihr sie da wiederfinden? – Überall, wo sie sich aufhalten; das ist meine Sache. – Gut … Eure Bedingung? – Geld, Monseigneur, so viel, als unsere Unternehmungen fordern. Ich erinnere mich zuweilen nur zu gut, wie sehr uns Geldmangel hemmte, und ohne diesen Diamanten wären wir auf dem Wege liegen geblieben. – Teufel! Geld, und zwar viel, sprach Mazarin. Wie rasch Ihr darauf losgeht, Herr Offizier! Wißt Ihr, daß in den Kassen des Königs kein Geld ist? – Macht es wie ich, Monseigneur, verkauft die Diamanten der Krone. Glaubt mir, man führt große Dinge nur schlecht aus mit kleinen Mitteln. – Nun wohl, sprach Mazarin, wir werden Euch zu befriedigen suchen. Richelieu, dachte d’Artagnan, hätte mir bereits fünfhundert Pistolen Handgeld gegeben. – Ihr gehört also mir? – Ja, wenn meine Freunde wollen. – Aber falls sie sich weigern, kann ich auf Euch zählen? – Ich habe nie etwas Gutes ganz allein getan, antwortete d’Artagnan, den Kopf schüttelnd.– Sucht sie also auf. – Was soll ich ihnen sagen, um sie zu bestimmen, Eurer Eminenz zu dienen? – Ihr kennt sie besser als ich; nach ihren Charakteren versprecht ihnen. – Was soll ich ihnen versprechen? – Sie mögen mir dienen, wie sie der Königin gedient haben, und meine Dankbarkeit wird glänzend sein. – Was sollen wir tun? – Alles, denn es scheint, Ihr wißt alles zu tun. Fürs erste, sucht Eure Freunde. – Monseigneur, vielleicht sind sie nicht in Paris; ja dies ist sogar wahrscheinlich, ich werde reisen müssen. Ich bin nur ein sehr armer Musketierleutnant, und die Reisen sind teuer.

Mazarin blieb einen Augenblick nachdenklich, als ob sich ein gewaltiger Kampf in seinem Innern entspänne. Dann ging er auf einen dreifach geschlossenen Schrank zu und zog einen Sack hervor, den er wiederholt in der Hand wog, ehe er ihn d’Artagnan gab.

Nehmt dies, sprach er mit einem Seufzer, es ist für die Reise.

Wenn es spanische Dublonen oder Goldtaler sind, dachte d’Artagnan, so können wir noch ein Geschäft miteinander machen.

Er verbeugte sich vor dem Kardinal und schob den Sack in seine weite Tasche.

Nun, das ist abgemacht, versetzte der Kardinal, Ihr reist. – Ja, Monseigneur. – Schreibt mir alle Tage und gebt mir Nachricht von Euren Unterhandlungen. – Ich werde nicht ermangeln, Monseigneur. – Gut. Doch halt, der Name Eurer Freunde …? – Nach kurzem Schweigen antwortete d’Artagnan entschlossen: Der Graf de la Fère, sonst Athos genannt, Herr du Ballon, sonst Porthos genannt, und der Chevalier d’Herblay, gegenwärtig Abbé d’Herblay, früher Aramis genannt.

Der Kardinal lächelte.

Junker, sprach er, die sich mit falschen Namen unter die Musketiere hatten aufnehmen lassen, um nicht ihre Familiennamen zu kompromittieren … lange Stoßdegen, leichte Börsen. Man kennt das.

Wenn es Gottes Wille ist, daß diese Stoßdegen in den Dienst Eurer Eminenz treten, erwiderte d’Artagnan, so wage ich den Wunsch auszudrücken, die Börse Eurer Eminenz möge leicht und die ihrige dafür schwer werden; denn mit diesen drei Männern und mit mir kann Eure Eminenz ganz Frankreich und sogar ganz Europa in Bewegung setzen, wenn es Euch beliebt.

Diese Gascogner, sprach Mazarin lächelnd, kommen den Italienern in der Prahlerei gleich.

In jedem Fall, sagte d’Artagnan mit einem ähnlichen Lächeln, in jedem Fall stehen sie, wenn es sich um das Schwert handelt, über ihnen.

Und er trat ab, nachdem er um einen Urlaub gebeten hatte, der ihm sogleich bewilligt und von dem Kardinal selbst unterzeichnet wurde.

Sobald der Kardinal allein war, rieb er sich die Hände.

Hundert Pistolen! murmelte er, hundert Pistolen! Um hundert Pistolen habe ich ein Geheimnis erhandelt, wofür Herr Richelieu zwanzigtausend Taler bezahlt hätte. Diesen Diamanten nicht zu rechnen, fügte er bei und warf einen verliebten Blick auf den d’Artagnan vorenthaltenen Ring, der wenigstens zehntausend Livres wert ist.

D’Artagnan aber näherte sich, kaum daß er draußen war, der ersten Laterne und schaute rasch in den Sack.

Silbertaler! rief er verächtlich, ich vermutete es! Ach, Mazarin, Mazarin! Du hast kein Vertrauen zu mir. Desto schlimmer! Das wird dir Unglück bringen.

Dann ging er in die Rue Tiquetonne, wo er in der Herberge zur Rehziege wohnte.

Wir wollen kurz erzählen, wie d’Artagnan dazu gekommen war, diese Wohnung zu wählen.

D’Artagnan mit vierzig Jahren

Seit der Zeit, wo wir in unserer Erzählung Die drei Musketiere d’Artagnan in der Rue des Fossoyeurs No. 12 verließen, war vieles und besonders viele Jahre vorübergegangen.

D’Artagnan hatte es nicht an sich fehlen lassen, wohl aber sein Glück. Viel hatte er auch durch den Verlust seiner Freunde verloren, denn wie alle feinen und geistreichen Naturen setzte er sich leicht mit allen guten Eigenschaften, die ihm entgegentraten, in Einklang. Athos verließ ihn zuerst, um sich auf ein kleines Landgut zurückzuziehen, das er in der Gegend von Blois geerbt hatte; sodann Porthos, um seine Prokuratorin zu heiraten, und endlich Aramis, um wirklich in den geistlichen Stand einzutreten und sich zum Abbé machen zu lassen.

Obgleich jetzt Leutnant der Musketiere geworden, sah sich d’Artagnan nach dem Weggang der Freunde vereinzelt. Eine Zeit lang hatte die liebliche Erinnerung an Madame Bonacieux dem Geiste des jungen Leutnants noch eine ideale Richtung gegeben; aber wie die Erinnerung an alle Dinge dieser Welt vergänglich ist, so verwischte sich auch diese allmählich. Von den zwei entgegengesetzten Naturen, die in d’Artagnan lebten, trug die materielle endlich den Sieg davon, und so war d’Artagnan allmählich das geworden, was man jetzt einen echten Troupier nennt.

Darum hatte d’Artagnan nicht gerade seine ursprüngliche Feinheit verloren, nein, durchaus nicht. Diese Feinheit hatte sich im Gegenteil vielleicht noch vermehrt oder war wenigstens doppelt auffallend unter einer etwas plumpen Hülle; aber diese Feinheit richtete sich nicht auf die großen Dinge des Lebens, sondern auf den materiellen Wohlstand, d. h. auf den Besitz eines guten Lagers, einer guten Tafel, einer guten Wirtin.

Und d’Artagnan hatte dies alles seit sechs Jahren in der Rue Tiquetonne unter dem Schilde der Rehziege gefunden.

In der ersten Zeit seines Aufenthalts in diesem Gasthofe verliebte sich die Wirtin, eine schöne, frische Flamänderin von fünf- bis sechsundzwanzig Jahren, sterblich in ihn. Der unbequeme Gatte, dem d’Artagnan zehnmal zum Schein gedroht hatte, er werde ihm seinen Degen durch den Leib rennen, war an einem schönen Morgen verschwunden, um für immer zu desertieren, nachdem er heimlicherweise einige Fässer Wein verkauft und das Geld und die Juwelen mitgenommen hatte. Man hielt ihn für tot; seine Frau besonders behauptete keck, er sei hinübergegangen. Endlich nach drei Jahren einer Verbindung, die d’Artagnan sich wohl hütete zu brechen, denn er fand jedes Jahr seine Geliebte und sein Lager angenehmer als zuvor, erhielt d’Artagnan Befehl, mit seiner Musketierkompanie an der Expedition nach Franche Comté teilzunehmen. Als er ausrückte, gab es großes Wehklagen, Tränen ohne Ende, feierliche Versprechungen, treu zu bleiben, alles von seiten der Wirtin, wohlverstanden. D’Artagnan war zu sehr vornehmer Mann, um etwas zu geloben; auch versprach er nur, alles zu tun, was in seinen Kräften liege, um den Ruhm seines Namens zu erhöhen.

In dieser Hinsicht kennt man d’Artagnan. Er setzte sich auf eine bewundernswürdige Weise den Gefahren aus. Und als er an der Spitze seiner Kompanie angriff, erhielt er eine Kugel durch die Brust, die ihn auf das Schlachtfeld niederstreckte. Man sah ihn vom Pferde fallen, man sah, daß er sich nicht wieder erhob, man hielt ihn für tot, und alle, welche Hoffnung hatten, ihm in seinem Grad zu folgen, sagten auf gut Glück, er sei es.

Aber d’Artagnan war nicht der Mann, der sich nur so töten ließ. Nachdem er während der Tageshitze ohnmächtig auf dem Schlachtfelde liegen geblieben war, bewirkte die Kühle der Nacht, daß er wieder zu sich kam. Er erreichte ein Dorf, klopfte an die Türe des schönsten Hauses und wurde aufgenommen, wie die Franzosen überall und immer aufgenommen werden, wenn sie verwundet sind; man verband, pflegte, heilte ihn, und als er sich wieder besser fühlte denn je, schlug er eines schönen Morgens den Weg nach Frankreich ein, in Frankreich die Straße nach Paris, und in Paris die Richtung nach der Rue Tiquetonne.

Wer d’Artagnan fand sein Zimmer von einem vollständigen Männerkleiderständer besetzt, abgesehen von einem Degen, der an der Wand befestigt war.

Er wird zurückgekommen sein, dachte er; desto schlimmer und desto besser.

Es versteht sich, daß d’Artagnan immer an den Gatten dachte.

Er erkundigte sich: neue Kellner, neue Magd, die Herrin des Hauses war spazierengegangen.

Allein? fragte d’Artagnan. – Mit dem Herrn. – Der Herr ist also zurückgekehrt? – Allerdings, antwortete die Magd naiv.

Wenn ich Geld hätte, sprach d’Artagnan zu sich selbst, so würde ich gehen, aber ich habe keines. Ich muß bleiben und bei Durchkreuzung der ehelichen Pläne dieses ungelegenen Gastes den Rat meiner Wirtin befolgen.

Er vollendete eben diesen Monolog, da rief plötzlich die Magd:

Ah! sieh da, hier kommt gerade die Madame mit dem Herrn.

D’Artagnan warf einen Blick weit in die Straße hinaus und sah wirklich die Wirtin am Arme eines ungeheuren Schweizers zurückkehren. Der Schweizer wiegte sich im Gehen mit einer Miene, die d’Artagnan an seinen Freund Porthos erinnerte.

Das ist der Herr? sprach d’Artagnan zu sich selbst. Oh! oh! er ist gewaltig gewachsen, wie mir scheint. Und er setzte sich in dem Saal an einen recht augenfälligen Platz.

Die Wirtin bemerkte d’Artagnan bei ihrem Eintritte sogleich und stieß einen kurzen Schrei aus. Bei diesem Schrei stand d’Artagnan, der sich für erkannt hielt, rasch auf, lief auf sie zu und umarmte sie zärtlich. Der Schweizer schaute ganz verdutzt die Wirtin an, die todesbleich dastand.

Ah, Ihr seid es, Herr! Was wollt Ihr von mir? fragte sie in der größten Unruhe.

Der Herr ist Euer Vetter? der Herr ist Euer Bruder? sprach d’Artagnan, ohne sich im geringsten aus der Rolle bringen zu lassen, die er spielte; und ohne eine Antwort von ihr abzuwarten, warf er sich in die Arme des Helvetiers.

Wer ist dieser Mensch? fragte dieser.

Die Wirtin antwortete nur mit krampfhaften Zuckungen.

Wer ist dieser Schweizer? fragte d’Artagnan.

Der Herr will mich heiraten, antwortete die Wirtin zwischen zwei Krampfanfällen.

Euer Gatte ist also endlich gestorben?

Was geht das Euch an? entgegnete der Schweizer.

Es geht mich viel an, sprach d’Artagnan, insofern Ihr diese Frau ohne meine Einwilligung nicht heiraten könnt, und insofern ich sie nicht gebe.

Der Schweizer wurde purpurrot, wie eine Gichtrose. Er trug eine schöne, mit Gold besetzte Uniform; d’Artagnan war in einen grauen Mantel gehüllt. Der Schweizer maß sechs Fuß, d’Artagnan kaum über fünf. Der Schweizer glaubte sich zu Hause; d’Artagnan erschien ihm als ein Eindringling.

Wollt Ihr Euch wohl von hier entfernen? sagte der Schweizer und stampfte heftig mit dem Fuße, wie ein Mensch, der im Ernst zornig zu werden anfängt.

Ich? Keineswegs, sagte d’Artagnan.

Aber man braucht nur die Wache herbeizuholen! rief ein Kellner, der nicht begreifen konnte, wie dieser kleine Mensch sich unterstand, dem großen Manne den Platz streitig zu machen.

Du, sagte d’Artagnan, den der Zorn ebenfalls an den Haaren zu fassen anfing, indem er den Kellner beim Ohre nahm. Du bleibst auf dieser Stelle, oder ich reiße dir aus, was ich in der Hand halte. Ihr aber, erhabener Abkömmling von Wilhelm Tell, Ihr packt Eure Kleider, die in meinem Zimmer sind und mich belästigen, alsbald zusammen und sucht Euch schleunigst eine andere Herberge.

Der Schweizer brach in ein schallendes Gelächter aus.

Ich gehen? sagte er, und warum?

Ah, das ist gut, erwiderte d’Artagnan, ich sehe, daß Ihr französisch versteht. Dann macht einen Gang mit mir, und ich werde Euch das übrige erklären.

D’Artagnan führte den Schweizer fort, trotz der Wehklagen der Wirtin, die ihr Herz wieder zu ihrer alten Liebe sich hinneigen fühlte.

Die zwei Gegner gingen geradezu nach den Fossés Montmartre. Es war Nacht, als sie dort ankamen. D’Artagnan bat den Schweizer höflich, ihm das Zimmer abzutreten und nicht mehr zurückzukommen. Dieser zog seinen Degen.

Dann werdet Ihr hier ruhen, sprach d’Artagnan. Es ist eine garstige Lagerstätte, aber ich bin nicht schuld daran, denn Ihr habt es so gewollt.

Bei diesen Worten zog er ebenfalls vom Leder und kreuzte den Degen mit seinem Gegner.

Er hatte es mit einer rohen Faust zu tun, aber seine Geschmeidigkeit tat es jeder Kraft zuvor. Der Stoßdegen des Schweizers fand nie den des Musketiers. Der Schweizer erhielt zwei Degenstiche und nahm es anfangs nicht wahr; plötzlich aber nötigten ihn Blutverlust und Schwäche, sich zu setzen.

Seht, sprach d’Artagnan, hab‘ ich es Euch nicht vorher gesagt? Ihr seid nun weit vorgerückt, Ihr halsstarriger Mensch. Zum Glück habt Ihr nur für vierzehn Tage. Bleibt hier, und ich werde Euch Eure Kleider durch den Aufwärter schicken. Adieu!

Darauf kehrte er ganz heiter in die Wohnung zurück und schickte wirklich die Kleider an den Schweizer ab, den der Aufwärter auf demselben Platze sitzend fand, wo ihn d’Artagnan gelassen hatte, und noch ganz verblüfft über das kecke Benehmen seines Gegners.

Der Aufwärter, die Wirtin und das ganze Haus legten gegen d’Artagnan die allergrößte Achtung an den Tag. Als er mit seiner Wirtin allein war, sagte er: Nun, schöne Madeleine, Ihr wißt, welcher Unterschied zwischen einem Schweizer und einem Edelmann besteht, Ihr aber habt Euch wie eine Schankwirtin benommen. Desto schlimmer für Euch; denn unter diesen Umständen verliert Ihr meine Achtung und meine Kundschaft. Ich habe den Schweizer fortgejagt, um Euch zu demütigen; aber ich werde hier nicht bleiben. Ich kann nicht weilen, wo ich verachte. Holla! Aufwärter! Man bringe mein Felleisen in die Liebestonne, Rue des Bourdonnais. Gott befohlen, Madame.

D’Artagnan war, wie es scheint, während er diese Worte sprach, zugleich majestätisch und rührend. Die Wirtin warf sich ihm zu Füßen, bat ihn um Verzeihung und hielt ihn mit süßer Gewalt zurück. Was soll ich noch mehr sagen? Der Bratspieß drehte sich, der Ofen summte, die schöne Madeleine weinte; d’Artagnan fühlte, wie sich Hunger, Kälte und Liebe zu gleicher Zeit wieder in ihm regten; er vergab, und nachdem er vergeben hatte, blieb er. So kam es, daß d’Artagnan in der Rue Tiquetonne in der Herberge zur Rehziege wohnte.

D’Artagnan trifft einen alten Bekannten

D’Artagnan kehrte also, ganz in Gedanken versunken, zurück; er fand ein lebhaftes Vergnügen daran, den Sack mit den Talern des Kardinals zu tragen, und dachte an den schönen Diamanten, der ihm gehört, und den er einen Augenblick an dem Finger des ersten Ministers hatte glänzen sehen.

Wenn dieser Diamant je wieder sein eigen würde, wollte er sich ein Stück Land um sein Ahnenschloß kaufen und auf das Erscheinen einer reichen Erbin warten und diese heiraten. Dann hätte ich, träumte er weiter, drei Knaben; aus dem einen würde ich einen vornehmen Herrn wie Athos, aus dem zweiten einen schönen Soldaten wie Porthos, und aus dem dritten einen leutseligen Abbé wie Aramis machen. Meiner Treu, das wäre weit besser als das Leben, das ich führe. Aber leider ist Monsignore Mazarin ein Filz, der sich seines Diamanten nicht zu meinen Gunsten entäußern wird.

Als er in die Rue Tiquetonne kam, hörte er einen großen Lärm und bemerkte eine auffallende Zusammenrottung unweit seiner Wohnung.

Als er sich näherte, sah er, daß die Zusammenrottung nicht vor seinem Gasthofe, sondern vor dem benachbarten Hause stattfand. Man stieß ein gewaltiges Geschrei aus, man lief mit Fackeln umher, und beim Schimmer dieser Fackeln gewahrte d’Artagnan Uniformen.

Er fragte, was vorgehe. Man antwortete ihm, ein Bürger habe einen von den Garden des Kardinals eskortierten Wagen mit etwa zwanzig von seinen Freunden angegriffen; aber es sei eine Verstärkung hinzugekommen, und man habe die Bürger in die Flucht geschlagen. Der Anführer der Rotte habe sich in das nächste Haus geflüchtet, und man durchsuche nun dieses Haus.

D’Artagnan, der nicht mehr so hitzig und unbesonnen war wie vor zehn Jahren und auch an seine Taler dachte, ging unbekümmert um den Lärm in die Rehziege zur schönen Madeleine, die ihn nicht erwartete und sich, voll Angst über den Straßenauflauf, doppelt seiner Ankunft freute.

D’Artagnan befahl, ihm sein Abendessen nachzubringen, nahm seinen Schlüssel und seinen Leuchter und stieg in sein Zimmer hinauf. Um der Vermietung nicht zu schaden, hatte er sich mit einem Zimmer im vierten Stocke begnügt. Unsere Wahrheitsliebe nötigt uns sogar, zu bemerken, daß das Zimmer unmittelbar über der Dachrinne und unter dem Dache lag.

Hier war seine erste Sorge, in einem alten Sekretär, an dem nichts als das Schloß neu war, seinen Sack zu verschließen. Als einen Augenblick nachher sein Abendbrot aufgetragen und die Flasche Wein herbeigebracht war, entließ er den Aufwärter, schloß die Türe und setzte sich zu Tische.

Dies geschah nicht etwa, um ungestört nachdenken zu können. D’Artagnan war kein Grübler, der sich durch unnötige Sorgen den Genuß des Mahles und den Schlaf raubte. Er hatte Hunger und verzehrte sein Abendbrot; nach dem Abendbrot legte er sich nieder und schlief bis zum Tagesanbruch. Da erwachte er in voller körperlicher und geistiger Frische. Er sprang mit militärischer Entschlossenheit aus dem Bette und ging nachdenkend in seinem Zimmer umher.

Im Jahre 43, sagte er, ungefähr sechs Monate vor dem Tode des seligen Kardinals habe ich einen Brief von Athos erhalten. Was schrieb er mir? Er wohne auf einem kleinen Landgut, ja, so ist es, auf einem kleinen Landgut; aber wo? So weit war ich gekommen, ich besinne mich, ich befand mich gerade im Laufgraben vor dem belagerten Besançon, als ein Windstoß den Brief fortnahm. Früher hätte ich ihn gesucht, obgleich ihn der Wind an einen sehr bedrohten Ort getragen hatte. Aber die Jugend ist ein großer Fehler … wenn man nicht mehr jung ist. Ich kann also nicht an Athos denken. Weiter … Porthos.

Ich habe einen Brief von ihm erhalten. Er lud mich zu einer großen Jagd auf den Monat September 1646 ein. Da ich zu dieser Zeit wegen des Todes meines Vaters in Bearn war, so wurde mir der Brief unglückseligerweise nachgeschickt. Ich war abgereist, als er ankam. Aber er verfolgte mich und erreichte Montmedy einige Tage, nachdem ich diese Stadt verlassen hatte. Endlich traf er mich im Monat April. Da er mir aber erst im April 1647 zukam, und die Einladung für den Monat September 46 war, so konnte ich keinen Gebrauch davon machen. Wir wollen diesen Brief einmal holen; er muß bei meinen Papieren liegen.

D’Artagnan öffnete eine kleine alte Truhe, fand bald den Brief, verlor aber keine Zeit mit dem Durchlesen, sondern beeilte sich, nach der angegebenen Adresse zu sehen. Die Adresse war Schloß du Ballon.

Porthos hatte nichts weiter dazugesetzt. In seinem Stolz glaubte er, jeder kenne das Schloß, dem er seinen Namen gegeben hatte.

Zum Teufel mit dem eitlen Burschen, sprach d’Artagnan. Immer derselbe! Es würde mir übrigens am besten passen, bei ihm anzufangen, da er wahrscheinlich Geld in Fülle besitzt, nachdem er 800 000 Livres von Herrn Coquenard geerbt hat. Das ist gerade das, was mir fehlt. Athos wird sich zum Narren getrunken, Aramis muß sich in seine Andachtsübungen versenkt haben.

D’Artagnan warf noch einen Blick auf Porthos‘ Brief. Er hatte eine Nachschrift, und diese Nachschrift enthielt folgende Worte:

Ich schreibe mit demselben Kurier an unsern würdigen Aramis in sein Kloster.

Ja, in sein Kloster; aber in welchem Kloster ist er? Es gibt 200 in Paris und 3000 in Frankreich. Und als er sich ins Kloster begab, hat er vielleicht zum drittenmal seinen Namen gewechselt. Aber nur Geduld, wir wollen sehen. Ich habe von ihm, dem lieben Freunde, auch einen Brief bekommen. Er bat mich um einen kleinen Dienst, den ich ihm auch leistete. Aber wohin habe ich diesen Brief gelegt?

D’Artagnan dachte einen Augenblick nach und ging dann an den Ständer, an welchem seine alten Kleider hingen. Er suchte sein Wams vom Jahre 1648, und da d’Artagnan ein ordnungsliebender Mann war, so fand er es an seinem Nagel. Er streckte die Hand in die Tasche und zog ein Papier heraus. Es war gerade der Brief von Aramis.

Herr d’Artagnan, schrieb ihm dieser, Ihr wißt, daß ich Streit mit einem gewissen Edelmann gehabt habe, der heute abend mit mir auf der Place Royale zusammentreffen will. Da ich zu der Kirche gehöre und die Sache mir schaden könnte, wenn ich sie einem andern mitteilte, als einem so sichern Freunde, wie Ihr seid, so schreibe ich Euch, damit Ihr mir als Sekundant dienen möget.

Ihr kommt durch die Rue Neuve-Sainte-Catherine; unter der zweiten Laterne rechts findet Ihr Euern Gegner. Unter der dritten werde ich mit dem meinigen sein. Ganz der Eurige,

Aramis.

Hier war nicht einmal ein Gott befohlen beigefügt. D’Artagnan erinnerte sich, er war nach dem bestimmten Orte der Zusammenkunft gegangen, hatte den bezeichneten Gegner gefunden, dessen Namen ihm nie bekannt wurde, und ihm einen schönen Degenstich in den Arm beigebracht. Dann war er aus Aramis zugeschritten, der ihm entgegenkam, denn er hatte seine Sache bereits abgemacht.

Es ist geschehen, hatte Aramis gesagt. Ich glaube, ich habe den Unverschämten getötet. Doch, lieber Freund, wenn Ihr meiner bedürft, so wißt Ihr, daß ich Euch ganz ergeben bin.

Darauf hatte Aramis ihm die Hand gedrückt und war verschwunden.

Er wußte also ebensowenig, wo Aramis war, als wo Athos und Porthos sich aufhielten. Und die Sache fing an, ziemlich bedenklich zu werden, als er das Geräusch einer Glasscheibe, die man in seinem Zimmer zerbrach, zu hören glaubte. Er dachte sogleich an seinen Sack, der in seinen Sekretär eingeschlossen war, und stürzte aus seiner Kammer. Er hatte sich nicht getäuscht, in dem Augenblick, wo er durch die Türe eintrat, kam ein Mann durch das Fenster herein.

Ah, Elender! rief d’Artagnan, der den Eindringling für einen Dieb hielt, und griff nach seinem Degen.

Ums Himmels willen, Herr, rief der Mann, steckt Euern Degen in die Scheide und tötet mich nicht, ohne mich zu hören.

Ich bin gewiß kein Dieb; ich bin ein ehrlicher Bürger, der sein Haus in der Straße hat, und heiße … Doch ich täusche mich nicht, Ihr seid Herr d’Artagnan.

Und du Planchet! rief der Leutnant.

Euch zu dienen, Herr, sprach Planchet, im höchsten Grad entzückt, wenn es mir möglich wäre.

Vielleicht, erwiderte d’Artagnan. Aber was zum Teufel läufst du um sieben Uhr morgens in dieser Jahreszeit auf den Dächern umher?

Gnädiger Herr, sprach Planchet, Ihr müßt wissen … doch nein, Ihr könnt es nicht wohl wissen …

Nun, was denn? sprach d’Artagnan. Aber zuerst stecke eine Serviette vor das Fenster und ziehe den Vorhang vor.

Planchet gehorchte.

Nun, so sprich, sagte d’Artagnan. – Gnädiger Herr, vor allen Dingen, sagte der kluge Planchet, wie steht Ihr mit Herrn von Rochefort? – Vortrefflich. Warum denn? Rochefort? Du weißt wohl, daß er jetzt einer meiner besten Freunde ist. – Ah, desto besser! – Aber was hat denn Rochefort damit zu tun, daß du so in mein Zimmer dringst? – Ah, gnädiger Herr, ich muß Euch zuerst sagen, Herr von Rochefort ist …

Planchet zögerte nur einen Augenblick, dann berichtete er, wie die Bürgergruppe, durch die sich die Eskorte bei der Rückführung Rocheforts in die Bastille einen Weg bahnte, unruhig geworden sei, wie Herr von Rochefort um Hilfe gerufen habe, wie er, Planchet, darauf herbeigeeilt sei und ihn befreit habe. Leider, fuhr Planchet fort, kam in diesem Augenblick eine Patrouille vorüber; sie vereinigte sich mit den eskortierenden Garden und rief uns an. Ich zog mich fechtend nach der Rue Tiquetonne zurück. Man verfolgte mich auf den Fersen, und ich flüchtete mich in das Haus hier nebenan. Man umzingelte und durchsuchte es, aber vergebens: ich hatte im fünften Stock eine mitleidige Person gefunden, die mich zwischen zwei Matratzen verbarg. In diesem Versteck blieb ich bis Tagesanbruch, und da ich dachte, man würde die Nachforschungen wieder anfangen, so wagte ich mich auf die Dachrinnen, um zuerst einen Eingang und dann einen Ausgang in irgend einem Hause zu finden, das nicht bewacht wäre. Dies ist meine Geschichte und auf Ehre, gnädiger Herr, ich würde in Verzweiflung geraten, wenn sie Euch unangenehm wäre. – Nein, sprach d’Artagnan, im Gegenteil, und bei meiner Treue, es freut mich sehr, daß Rochefort seine Freiheit erlangt hat. Aber weißt du auch, daß du, wenn du den Häschern in die Hände fällst, ohne Gnade und Barmherzigkeit gehenkt wirst? – Bei Gott, ich weiß es, rief Planchet; darum war ich auch so erfreut. Euch zu treffen. Wenn Ihr mich verbergen wollt, so kann dies niemand besser, als Ihr. – Ja, sagte d’Artagnan, das will ich auch, obgleich ich nicht mehr und nicht weniger wage, als meinen Grad, wenn es bekannt würde, daß ich einem Rebellen Zuflucht gegeben habe. – Ah! gnädiger Herr, Ihr wißt wohl, daß ich mein Leben für Euch wagen würde. – Du könntest sogar beifügen, du habest es gewagt, Planchet. Setze dich und speise in Ruhe, denn ich sehe, daß du die Überreste meines Abendbrots mit einem sehr ausdrucksvollen Blicke anschaust. – Ach, gnädiger Herr, Ihr rettet mir zweimal das Leben, denn ich habe seit gestern mittag kaum zwei Bissen gegessen.

Und er setzte sich zu Tische und fing an zu schlingen, wie in den schönen Tagen der Rue des Fossoyeurs. Endlich stieß er jenen Befriedigungsseufzer des ausgehungerten Menschen aus, der besagt, daß er nach einer ernsten und soliden Abschlagszahlung einen Halt machen will.

Nun sprich, sagte d’Artagnan, welcher dachte, der Augenblick sei gekommen, das Verhör zu beginnen. Verfahren wir der Ordnung nach: Weißt du, wo Athos ist? – Nein, gnädiger Herr, antwortete Planchet. – Teufel! Weißt du, wo Porthos ist? – Ebensowenig! – Teufel! Teufel! Und Aramis? – Auch nicht. – Teufel! Teufel! Teufel! – Aber, versetzte der kluge Planchet, ich weiß, wo Bazin ist. – Wie, du weißt, wo Bazin ist? – Ja, gnädiger Herr. – Und wo ist er? – In Notre-Dame. – Und was macht er in Notre-Dame? – Er ist Mesner. – Bazin Mesner in Notre-Dame? Weißt du es gewiß? – Ganz gewiß; ich habe ihn gesehen, ich habe ihn gesprochen. – Er muß wissen, wo sein Herr ist. – Ohne Zweifel.

D’Artagnan dachte nach. Dann nahm er seinen Mantel und seinen Degen und schickte sich an, fortzugehen.

Gnädiger Herr, sagte Planchet mit kläglicher Miene, wollt Ihr mich so verlassen? Bedenkt, daß ich nur auf Euch meine Hoffnung setze. – Man wird dich hier nicht suchen, entgegnete d’Artagnan. – Aber wenn man hierher käme, versetzte der kluge Planchet, bedenkt, daß ich für die Leute des Hauses, die mich nicht haben hereingehen sehen, ein Dieb wäre. – Das ist richtig. Sprichst du irgend ein Patois? – Ich spreche noch etwas Besseres, ich spreche eine Sprache, ich spreche Flamändisch. – Wo zum Teufel hast du es gelernt? – In Artois, wo ich zwei Jahre im Felde gewesen bin. Hört: Goeden Morgen, mynheer, ick ben begeerig te weeten hoe gezondheids omstand. – Das nennt er eine Sprache! Doch gleichviel, sagte d’Artagnan; es kommt ganz gelegen.

D’Artagnan ging an die Türe, rief einen der Aufwärter und befahl ihm, der schönen Madeleine zu sagen, sie möge heraufkommen.

Was macht Ihr, Herr? rief Planchet, Ihr wollt unser Geheimnis einer Frau anvertrauen!

Sei ruhig, diese wird nichts verraten.

In diesem Augenblick trat die Wirtin ein. Sie lief mit lachender Miene herbei, denn sie hoffte, d’Artagnan allein zu finden; als sie aber Planchet erblickte, wich sie erstaunt zurück.

Meine liebe Wirtin, sagte d’Artagnan, ich stelle Euch hier Euern Herrn Bruder vor. Er kommt von Flandern, und ich nehme ihn einige Tage in meine Dienste.

Meinen Bruder, sprach die Wirtin, immer erstaunter.

Wünscht doch Eurer Schwester guten Morgen, Meister Peter.

Wilkom zuster, sagte Planchet.

Goeden dag, broeder, sprach die Wirtin voll Verwunderung.

So ist es gut, sagte d’Artagnan, der Herr ist Euer Bruder. Er kommt von Amsterdam. Ihr kleidet ihn in meiner Abwesenheit. Wenn ich zurückkehre, das heißt in einer Stunde, stellt Ihr ihn mir vor, und obgleich er kein Wort Französisch spricht, nehme ich ihn doch auf Eure Empfehlung, da ich Euch nichts abschlagen kann, in meine Dienste. Ihr versteht?

Das heißt, ich errate, was Ihr wünscht, und mehr bedarf es nicht, erwiderte Madeleine.

Ihr seid eine kostbare Frau, meine schöne Wirtin, ich baue ganz auf Euch.

Hierauf machte d’Artagnan Planchet ein Zeichen des Einverständnisses und verließ das Zimmer, um sich nach Notre-Dame zu begeben.

Die Place Royale

Alle vier gingen stillschweigend bis in die Mitte des Platzes. Da aber in diesem Augenblick der Mond aus den Wolken hervortrat, dachten sie, sie könnten an dieser entblößten Stelle zu leicht gesehen werden, und zogen sich unter die Linden, wo der Schatten stärker war, zurück.

Es waren Bänke in bestimmter Entfernung voneinander aufgestellt. Athos machte ein Zeichen; d’Artagnan und Porthos setzten sich auf eine Bank, Athos und Aramis blieben vor ihnen stehen.

Nach einem kurzen verlegenen Schweigen sprach Athos: Meine Herren, ein Beweis der Macht unserer alten Freundschaft ist unsere Gegenwart an diesem Ort. Keiner hat gefehlt, keiner hat sich also einen Vorwurf zu machen.

Hört, Herr Graf, erwiderte d’Artagnan, statt uns Komplimente zu sagen, die wir vielleicht beiderseits nicht verdienen, wollen wir uns als Leute von Herz erklären.

Das ist ganz mein Wunsch, antwortete Athos. Ich weiß, daß Ihr offenherzig seid; sprecht also mit Eurer ganzen Offenherzigkeit; habt Ihr mir oder dem Herrn Abbé d’Herblay etwas vorzuwerfen?

Ja, sprach d’Artagnan. Als ich die Ehre hatte, Euch in Euerm Schlosse Bragelonne zu besuchen, überbrachte ich Euch Anträge, die Ihr wohl begriffen habt. Statt mir wie einem Freunde zu antworten, spieltet Ihr mit mir wie mit einem Kinde, und diese Freundschaft, die Ihr so sehr preist, ist nicht durch den gestrigen Zusammenstoß unserer Schwerter, sondern durch Eure Heuchelei in Eurem Schlosse gebrochen worden.

D’Artagnan! sagte Athos im Tone sanften Vorwurfs.

Ihr habt Offenherzigkeit von mir verlangt, sprach d’Artagnan, hier ist sie. Ihr fragt mich, was ich denke, ich sage es Euch. Und nun habe ich Euch, Herr Abbé d’Herblay, dasselbe zu eröffnen. Ich handelte ebenso bei Euch, und Ihr habt mich ebenfalls getäuscht.

In der Tat, mein Herr, Ihr seid seltsam, sprach Aramis. Ihr kamt zu mir, um mir Vorschläge zu machen. Aber habt Ihr mir sie auch gemacht? Nein; Ihr habt mich nur ausgeforscht, und weiter nichts. Nun, was habe ich Euch gesagt? Mazarin sei ein Knauser, und ich würde Mazarin nicht dienen. Das ist das Ganze. Sagte ich Euch, ich würde keinem andern dienen? Im Gegenteil, ich gab Euch, glaube ich, zu verstehen, daß ich dem Prinzen angehörte. Wir haben sogar, wenn ich mich nicht täusche, ganz angenehm über den sehr wahrscheinlichen Fall gescherzt, daß Ihr von dem Kardinal den Auftrag erhalten würdet, mich zu verhaften. Wart Ihr Parteimann? Ja, allerdings. Nun wohl, warum sollten wir unsererseits nicht auch Parteimänner sein? Ihr hattet Euer Geheimnis, wie wir das unsere hatten. Wir haben dieselben nicht ausgetauscht; desto besser. Das beweist, daß wir unsere Geheimnisse zu bewahren wissen.

Ich mache Euch keinen Vorwurf, mein Herr, sagte d’Artagnan; nur weil der Graf de la Fère von Freundschaft gesprochen hat, unterwerfe ich Euer Benehmen einer Prüfung.

Und was findet Ihr dabei? fragte Aramis stolz.

Das Blut stieg d’Artagnan sogleich in den Kopf; er erhob sich und antwortete: Ich finde, daß es das Benehmen eines Jesuiten-Zöglings ist.

Als Porthos d’Artagnan sich erheben sah, erhob er sich ebenfalls. Die vier Männer standen also einander aufrecht und drohend gegenüber.

Bei d’Artagnans Antwort machte Aramis eine Bewegung, als wollte er die Hand an sein Schwert legen.

Athos hielt ihn zurück und sprach: D’Artagnan, Ihr kommt heute noch ganz empört über unser gestriges Abenteuer hierher. D’Artagnan, ich hielt Euch für so hochherzig, daß eine zwanzigjährige Freundschaft bei Euch eine viertelstündige Niederlage der Eitelkeit überdauern müßte. Laßt hören, sagt: glaubt Ihr mir also etwas vorwerfen zu können? Habe ich gefehlt, so werde ich meinen Fehler gestehen.

Die ernste klangreiche Stimme von Athos übte immer noch auf d’Artagnan ihren alten Einfluß aus, während ihn Aramis‘ durch die Aufregung schrill und kreischend gewordenen Töne aufbrachten. Er antwortete daher: Ich glaube, mein Herr Graf, Ihr hättet mir in Eurem Schlosse Bragelonne eine vertrauliche Mitteilung machen sollen, und dieser Herr eine ähnliche in seinem Kloster. Ich würde mich dann nicht in ein Abenteuer eingelassen haben, wo Ihr mir den Weg versperren mußtet. Weil ich jedoch diskret war, muß man mich nicht ganz und gar für einen Dummkopf halten. Hätte ich den Unterschied zwischen den Leuten, die Herr d’Herblay auf einer Strickleiter empfängt, und denen, die er auf einer hölzernen Leiter empfängt, ergründen wollen, so würde ich ihn wohl zum Sprechen genötigt haben.

Worein mischt Ihr Euch? rief Aramis, bleich vor Zorn, weil ihm auf einmal die Ahnung aufstieg, d’Artagnan könnte ihn bespäht und mit Frau von Longueville gesehen haben.

Ich mische mich in das, was mich angeht, und gebe mir das Ansehen, als hätte ich nicht bemerkt, was mich nicht angeht. Aber ich hasse die Heuchler, und in diese Kategorie setze ich die Musketiere, welche die Abbés spielen. Und dieser Herr, fügte er, sich gegen Porthos wendend, bei, dieser Herr ist meiner Meinung.

Porthos, der noch nicht gesprochen hatte, antwortete nur mit einer Silbe und mit einer Gebärde. Er sagte: Ja! und legte die Hand an den Degen.

Aramis machte einen Sprung rückwärts und zog den seinigen. D’Artagnan beugte sich, bereit zur Verteidigung oder zum Angriff.

Nun streckte Athos mit der majestätischen Gebärde, die nur ihm eigentümlich war, die Hand aus, zog langsam den Degen aus der Scheide, zerbrach das Eisen über seinem Knie und warf die Stücke beiseite. Dann wandte er sich gegen Aramis und sagte: Zerbrecht Euern Degen.

Aramis zögerte.

Es muß sein, sprach Athos und fügte mit leiserem, sanfterem Tone bei: Ich will es.

Noch bleicher, aber dem beherrschenden Einfluß des erhabenen Geistes folgend, zerbrach Aramis in seinen Händen die biegsame Klinge, kreuzte die Arme und wartete, bebend vor Wut.

Dieser Vorgang veranlaßte d’Artagnan und Porthos, zurückzuweichen. D’Artagnan zog seinen Degen nicht, Porthos steckte den seinen wieder in die Scheide.

Nie, sprach Athos, langsam seine rechte Hand zum Himmel erhebend, nie, ich schwöre es vor Gott, der uns in dieser feierlichen Pacht hört und sieht, nie wird mein Schwert die Eurigen berühren; nie wird mein Auge einen Blick des Zornes, nie mein Herz einen Schlag des Hasses für Euch haben. Wir haben miteinander gelebt, miteinander gehaßt und geliebt. Wir haben unser Blut vergossen und vermischt, und vielleicht besteht zwischen uns ein noch mächtigeres Band, als das der Freundschaft, nämlich das Band des gemeinsamen Verbrechens; denn wir haben alle vier ein menschliches Wesen verurteilt und hingerichtet, das wir von dieser Welt auszutilgen Wohl nicht berechtigt waren, obgleich es mehr der Hölle als dieser Welt anzugehören schien. D’Artagnan, ich habe Euch immer wie einen Sohn geliebt. Porthos, wir haben zehn Jahre Seite an Seite geschlafen; Aramis ist Euer Bruder, wie der meinige, denn Aramis hat Euch geliebt, wie ich Euch noch liebe, wie ich Euch stets lieben werde. Was kann der Kardinal Mazarin für uns sein, die wir die Hand und das Herz eines Mannes wie Richelieu bezwungen haben? Was kann dieser oder jener Prinz für uns sein, die wir die Krone auf dem Haupte eines Königs befestigt haben? D’Artagnan, ich bitte Euch um Verzeihung, daß ich gestern den Degen mit Euch gekreuzt habe. Aramis tut dasselbe gegenüber Porthos. Und nun haßt mich, wenn Ihr könnt; aber ich, ich schwöre Euch, daß ich trotz Eures Hasses nur Achtung und Freundschaft für Euch haben werde. Nun, wiederholt meine Worte, Aramis, und wenn sie wollen und Ihr wollt, so verlassen wir unsere alten Freunde auf immer.

Es herrschte einen Augenblick ein feierliches Stillschweigen, das von Aramis unterbrochen wurde.

Ich schwöre, sagte er mit ruhiger Miene und redlichem Blick, aber mit einer Stimme, in der ein letztes Zittern der Ausregung nachklang, ich schwöre, daß ich keinen Haß mehr gegen die hege, die meine Freunde waren; ich schwöre, daß ich es bedaure, Euren Degen berührt zu haben, Porthos; ich schwöre endlich, daß sich nicht nur der meinige nicht mehr gegen Eure Brust wenden, sondern daß in der Tiefe meiner geheimsten Gedanken für die Zukunft nicht einmal ein Schein von feindseligen Gefühlen gegen Euch mehr übrig bleiben wird. Kommt, Athos.

Athos machte eine Bewegung, um sich zu entfernen.

O! nein, nein! geht nicht! rief d’Artagnan, hingerissen von einer unwiderstehlichen Aufwallung, welche die Wärme seines Blutes und die angeborene Rechtschaffenheit seiner Seele verriet; geht nicht, denn ich habe auch einen Eid zu leisten. Ich schwöre, daß ich den letzten Tropfen meines Blutes, den letzten Fetzen meines Fleisches geben würde, um die Achtung eines Mannes, wie Ihr, Athos, die Freundschaft eines Mannes, wie Ihr, Aramis, zu erhalten. Und er stürzte in Athos‘ Arme.

Mein Sohn! rief Athos, ihn an sein Herz drückend.

Und ich, sagte Porthos, schwöre nichts; aber ich ersticke, hol‘ mich der Teufel! Wenn ich mich gegen Euch schlagen müßte, ich glaube, ich würde mich durchbohren lassen, denn ich habe auf der ganzen Welt nur Euch geliebt. Und der ehrliche Porthos zerfloß in Tränen, während er sich Aramis in die Arme warf.

Meine Freunde, sprach Athos, das ist es, was ich erwartete, was ich von zwei Herzen wie die Eurigen hoffte; ja, ich habe es gesagt und wiederhole es, unsere Geschicke sind unwiderruflich verbunden, obgleich wir auf verschiedenen Wegen wandeln. Ich achte Eure Meinung, d’Artagnan; ich ehre Eure Überzeugung, Porthos; aber obgleich wir uns auf entgegengesetzten Seiten schlagen, bleiben wir doch Freunde. Die Minister, die Prinzen werden wie ein Strom dahingehen, der Bürgerkrieg wird wie eine Flamme erlöschen, aber wir, wir werden bleiben, das sagt mir ein Vorgefühl.

Ja, sprach d’Artagnan, seien wir stets Musketiere und behalten wir als einzige Fahne die berühmte Serviette der Bastei Saint-Gervais, auf die der große Kardinal drei Lilien sticken ließ.

Ja, sagte Aramis, Kardinalisten oder Frondeurs, was liegt uns daran? Halten wir fest an unsern ergebenen Freunden, unsern lustigen Brüdern.

Und jedesmal, rief Athos, so oft wir uns im Gefechte treffen, nehmen wir bei dem einzigen Worte: Place Royale! den Degen in die linke Hand und reichen uns die Rechte, und wäre es mitten im Blutbad! Dies ist also abgemacht, fuhr er fort. Auf, meine Herren, Eure Hand. Seid Ihr ein wenig Christen?

Bei Gott! versetzte d’Artagnan.

Wir werden es bei dieser Gelegenheit sein, um unserem Schwur treu zu bleiben, sagte Aramis.

Ah, ich bin bereit, bei allem zu schwören, was man nur will, selbst bei Mohammed! Der Teufel soll mich holen, wenn ich je so glücklich gewesen bin, als in diesem Augenblick.

Und der gute Porthos trocknete seine noch feuchten Augen.

Hat einer von Euch ein Kreuz? fragte Athos.

Porthos und d’Artagnan schauten sich an, wie Menschen, denen man mit einer ganz unerwarteten Frage kommt.

Aramis lächelte und zog aus seiner Brust ein diamantenes Kreuz, das an einer Perlenschnur an seinem Halse hing. Hier ist eines, sagte er.

Nun wohl, versetzte Athos, schwören wir auf dieses Kreuz, das trotz seines Stoffes immerhin ein Kreuz ist, schwören wir, unter allen Umständen und immer einig zu sein, und möchte dieser Schwur nicht nur uns allein, sondern auch unsere Nachkommen binden. Ist dieser Eid Euch genehm?

Ja, antworteten sie einstimmig.

Ah! Verräter, flüsterte d’Artagnan ganz leise Aramis ins Ohr, Ihr habt uns auf das Kruzifix einer Frondeuse schwören lassen.

Zwei ehemalige Feinde

D’Artagnan kam um halb neun Uhr in die Bastille. Er ließ sich bei dem Gouverneur melden, der ihm, als er erfuhr, daß er im Namen und auf Befehl des Ministers kam, bis auf die Freitreppe entgegenging.

Der Gouverneur der Bastille war damals Herr du Tremblay, ein Bruder des berüchtigten Kapuziners Joseph, dieses furchtbaren Günstlings von Richelieu, den man die graue Eminenz nannte.

Herr du Tremblay empfing d’Artagnan mit der größten Höflichkeit und lud ihn ein, mit ihm zu Nacht zu speisen.

Ich würde dies mit dem größten Vergnügen tun, sprach d’Artagnan; aber wenn ich mich nicht täusche, steht auf dem Umschlag des Briefes: sehr eilig.

Das ist richtig, sagte Herr du Tremblay. Holla, Major, man lasse Nro. 256 herabkommen.

Beim Eintritt in die Bastille hörte man auf, ein Mensch zu sein, und wurde eine Nummer.

D’Artagnan schauderte beim Gerassel der Schlüssel. Er blieb zu Pferde, ohne absteigen zu wollen, und betrachtete die Gitterstangen, die tiefen Fenster und die ungeheuern Mauern.

Ich verlasse Euch, sprach Herr du Tremblay, als ein Glockenschlag erklang. Man ruft mich, um den Entlassungsbefehl zu unterzeichnen. Auf Wiedersehen, Herr d’Artagnan.

Der Teufel soll mich holen, wenn ich dir deinen Wunsch zurückgebe, murmelte d’Artagnan. Schon bei einem Aufenthalt von fünf Minuten fühle ich mich krank. Ich denke, daß ich lieber auf dem Stroh sterben, als auf dem Posten eines Bastillegouverneurs zehntausend Livres Renten sammeln möchte.

Kaum hatte er diesen Monolog vollendet, als der Gefangene erschien. Sobald d’Artagnan ihn erblickte, machte er eine Bewegung des Erstaunens, die er aber sogleich wieder bewältigte. Der Gefangene stieg in den Wagen, ohne, wie es schien, d’Artagnan erkannt zu haben.

Meine Herren, sagte d’Artagnan zu den vier Musketieren, man hat mir befohlen, den Gefangenen auf das schärfste zu bewachen. Ich will daher zu ihm hineinsteigen. Herr von Lillebonne, habt die Güte, mein Pferd am Zügel zu führen.

Sehr gern, mein Leutnant, antwortete der Angeredete.

D’Artagnan sprang vom Pferde, gab den Zügel dem Musketier, stieg in den Wagen und rief in einem Tone, in dem sich unmöglich auch nur die geringste Bewegung erkennen ließ: Ins Palais Royal, im Trab!

Sogleich entfernte sich der Wagen, und d’Artagnan warf sich, die herrschende Dunkelheit benutzend, dem Gefangenen um den Hals.

Rochefort! rief er, Ihr, Ihr seid es! Ich täusche mich nicht! – D’Artagnan! rief Rochefort erstaunt. – Ach, mein armer Freund, fuhr d’Artagnan fort; da ich Euch seit vier bis fünf Jahren nicht gesehen habe, so hielt ich Euch für tot. – Meiner Treu! erwiderte Rochefort, es ist kein großer Unterschied zwischen einem Toten und einem Begrabenen, und ich bin ein Begrabener. – Wegen welches Verbrechens seid Ihr in der Bastille? – Ich weiß es nicht. – Mißtrauen gegen mich, Rochefort? – Nein, auf Edelmannswort, denn ich kann unmöglich aus der Ursache hier sein, die man angibt. – Welche Ursache? – Als Dieb. – Ihr, Dieb? Rochefort, Ihr scherzt. – Nun, so hört, was geschehen ist. Eines Abends nach einer Orgie bei Reinard in den Tuilerien mit dem Herzog d’Harcourt, Fontrailles, von Rieux und anderen treiben wir in tollem Übermut das von dem Herzog von Orleans erfundene Vergnügen, in den Pariser Straßen den Leuten unvermerkt die Mäntel abzuziehen. Ich und Rieux hatten uns auf das eherne Pferd am Pont Neuf geschwungen, das Heinrich IV. trägt, als auf den Hilferuf eines Bestohlenen die Wache erscheint. Die andern entkommen, ich und Rieux werden, als wir vom Denkmal herunterspringen, gefaßt. Man steckt mich ins Gefängnis, und als ich nach acht Tagen an den Kardinal schreibe, holt man mich ab und führt mich in die Bastille, wo ich seit fünf Jahren sitze. Nun, was meint Ihr hierzu? – Nein, mein lieber Rochefort, das kann nicht der Grund Eurer Einkerkerung sein, Ihr werdet ihn übrigens wahrscheinlich jetzt erfahren. – Wohin führt Ihr mich denn? – Zu dem Kardinal. – Was will er von mir? Ihr müßt es wissen, denn daraus, daß Mazarin Euch gesandt hat, sehe ich, daß Ihr jetzt sein Günstling seid. – Ich weiß es nicht, ich befand mich zufällig im Vorzimmer, und der Kardinal wandte sich an mich, wie er sich an jeden andern gewendet hätte. Ich bin immer noch Leutnant bei den Musketieren, und dies, wenn ich richtig zähle, seit ungefähr einundzwanzig Jahren. – Es ist Euch doch kein Unglück widerfahren, und das ist schon viel. – Welches Unglück sollte mir widerfahren? Irgend ein lateinischer Vers sagt: Der Blitz trifft die Täler nicht; und ich bin ein Tal, mein lieber Rochefort, und zwar eines von den tiefsten. – Mazarin ist also immer noch Mazarin? – Mehr als je, mein Lieber; man sagt, er sei mit der Königin verheiratet. – Verheiratet! – Ist er nicht ihr Gemahl, so ist er sicherlich ihr Geliebter. – Einem Buckingham widerstehen und einem Mazarin nachgeben! – So sind die Frauen, versetzte d’Artagnan philosophisch. – Die Frauen Wohl, aber die Königinnen! – Ei, mein Gott, in dieser Hinsicht sind die Königinnen zweimal Frauen. – Und Herr von Beaufort ist immer noch im Gefängnis? – Immer noch, warum? – Da er mir wohlwollte, so hätte er mich herausbringen können. Und wie steht es mit dem Krieg? – Man wird ihn haben. – Mit Spanien? – Nein, mit Paris. – Was wollt Ihr damit sagen? – Hört Ihr die Flintenschüsse? – Ja. Nun? – Es sind aufrührerische Bürger. – Glaubt Ihr, man könnte aus den Bürgern etwas machen? – Gewiß, sie versprechen alles, und wenn sie einen Führer hätten … – Es ist ein Unglück, nicht frei zu sein. – Ei, mein Gott, verzweifelt doch nicht. Wenn Mazarin Euch holen läßt, so geschieht es einfach, weil er Euch braucht, und wenn er Euch braucht, nun, so mache ich Euch mein Kompliment. Es ist lange her, daß niemand meiner mehr bedurft hat; Ihr seht auch, wie weit ich es gebracht habe. – Beklagt Euch doch bei ihm! – Hört, Rochefort, einen Vertrag … – Welchen? – Ihr wißt, daß wir gute Freunde sind. – Bei Gott, ich trage die Male Eurer Freundschaft an mir: Drei Degenstiche! … – Nun wohl, wenn Ihr wieder in Gunst kommt, vergeßt mich nicht. – So wahr ich Rochefort heiße, aber unter der Bedingung der Gegenseitigkeit. – Abgemacht: hier ist meine Hand. – Die erste Gelegenheit also, die Ihr findet, um von mir zu sprechen … – Ich spreche von Euch: und Ihr? – Ebenso. – Und soll ich von Euren Freunden sprechen? – Von welchen Freunden? – Von Athos, Porthos und Aramis. Habt Ihr sie denn vergessen? – Beinahe. – Was ist aus ihnen geworden? – Ich weiß es nicht. – Wirklich? – Ah, mein Gott ja, wir haben uns verlassen, wie Ihr wißt; sie leben noch, das ist alles, was ich von ihnen sagen kann. Von Zeit zu Zeit erhalte ich mittelbare Nachrichten von ihnen; aber der Teufel soll mich holen, wenn ich weiß, in welchem Winkel der Erde sie sich aufhalten. Nein, auf Ehre! ich habe nur noch Euch zum Freunde, Rochefort. – Und der herrliche, wie nanntet Ihr doch den Burschen, den ich zum Sergeanten im Regimente Piemont machte? – Planchet. – Ja, so ist es, der herrliche Planchet; was ist aus ihm geworden? – Er hat einen Zuckerbäckerladen in der Rue des Lombards geheiratet. Der Bursche war stets ein großer Freund von Süßigkeiten. Er ist nun Pariser Bürger und treibt in diesem Augenblick wohl ohne Zweifel Aufruhr. Ihr werdet sehen, er ist Schöppe, ehe ich Kapitän bin. – Nur munter! mein lieber d’Artagnan, wenn man ganz unten am Rade ist, so dreht sich das Rad und hebt einen empor. Vielleicht ändert sich Euer Schicksal noch diesen Abend. – Amen, sprach d’Artagnan, den Wagen anhaltend.

D’Artagnan stieg, da sie sich ihrem Ziele näherten, wieder zu Pferde und setzte sich an die Spitze der Eskorte. Fünf Minuten nachher gelangte man in den Hof des Palais Royal. D’Artagnan führte den Gefangenen über die große Treppe und ließ ihn durch das Vorzimmer in den Korridor gehen. Vor der Tür zu Mazarins Kabinett angelangt, wollte er eben sich melden lassen, als Rochefort die Hand auf seine Schulter legte und lächelnd zu ihm sagte:

D’Artagnan, soll ich Euch eines sagen, woran ich auf dem ganzen Wege dachte, als ich die Gruppen von Bürgern sah, durch die wir fuhren und die Euch und Eure vier Leute mit flammenden Augen betrachteten? – Sprecht, antwortete d’Artagnan. – Ich durfte nur um Hilfe rufen, um Euch und Eure Eskorte in Stücke hauen zu lassen, und dann war ich frei. – Warum habt Ihr es nicht getan? – Geht doch! Geschworene Freundschaft! Aber wenn mich ein anderer als Ihr geführt hätte …

D’Artagnan neigte das Haupt, sprach zu sich: Sollte Rochefort besser geworden sein, als ich? und ließ sich bei dem Minister melden.

Laßt Herrn Rochefort eintreten, rief mit ungeduldigem Tone Mazarin, sobald er die zwei Namen gehört hatte, und sagt Herrn d’Artagnan, er möchte warten; ich bin noch nicht mit ihm fertig.

Diese Worte machten d’Artagnan ganz heiter. Lange Zeit hatte niemand seiner bedurft, und diese Aufforderung erschien ihm als ein glückliches Vorzeichen. Was Rochefort betrifft, so brachte sie auf diesen keine andere Wirkung hervor, als daß sie ihm seine vollständige Fassung verlieh. Er trat in das Kabinett ein und fand Mazarin am Tische sitzend in seiner gewöhnlichen Tracht, d. h. als Monsignore, was ungefähr die Kleidung der Abbés jener Zeit war, ausgenommen, daß er violette Strümpfe und einen violetten Mantel trug.

Die Türen schlossen sich wieder. Rochefort sah Mazarin verstohlen an und ertappte den Minister auf einem Blick, der den seinigen kreuzte.

Rochefort hatten die fünf Jahre, die er im Gefängnisse zugebracht, sehr alt gemacht. Seine schwarzen Haare waren ganz weiß geworden, und auf dem einst bronzefarbigen Gesicht lag eine Blässe, die auf Erschöpfung deutete.

Bei seinem Anblick schüttelte Mazarin unmerklich den Kopf mit einer Miene, die wohl sagen wollte: Dieser Mensch scheint mir nicht mehr zu großen Dingen zu taugen.

Nach einem kurzen Stillschweigen zog Mazarin aus einem Stoß Papiere einen offenen Brief hervor, zeigte ihn dem Edelmann und sagte: Ich habe hier einen Brief gefunden, worin Ihr um Eure Freiheit nachsucht, Herr von Rochefort. Ihr seid also im Gefängnis?

Rochefort erwiderte bebend: Es scheint mir, Ew. Eminenz wußte das besser, als irgend jemand. – Ich? keineswegs. Es sind noch eine Menge von Gefangenen aus der Zeit des Herrn von Richelieu da, deren Namen ich nicht einmal weiß. – Wohl, doch bei mir ist es etwas anderes, Monseigneur, und Ihr wußtet den meinigen, denn auf einen Befehl von Ew. Eminenz bin ich nach der Bastille gebracht worden. – Ihr glaubt? – Ich weiß es gewiß. – Ja, in der Tat, ich glaube mich dessen zu erinnern. Habt Ihr Euch damals nicht geweigert, für die Königin eine Reise nach Brüssel zu machen? –Ah! ah! sprach Rochefort, das ist also die wahre Ursache. Ich suche sie seit fünf Jahren. Aber, Monseigneur, ich ging nicht nach Brüssel, weil ich der Königin dort nichts nützen konnte, ja, meine Anwesenheit dort ihr geradezu schaden mußte. – Ich sage nicht, daß dies die Ursache Eurer Verhaftung sei. Verstehen wir uns recht, ich stelle die Frage an Euch, und nicht mehr. Die Königin allerdings hat in Eurer Weigerung nichts anderes gesehen, als eine einfache Weigerung. Ihre Majestät die Königin hatte sich unter dem verstorbenen Kardinal sehr über Euch zu beklagen.

Rochefort lächelte verächtlich und sagte: Gerade weil ich Richelieu gut gegen die Königin gedient hatte, mußtet Ihr, da er tot war, Monseigneur, begreifen, daß ich Euch gegen die ganze Welt gut dienen würde.

Ich, Herr von Rochefort? sagte Mazarin, ich bin nicht wie Herr von Richelieu, der auf die Allmacht abzielte. Ich bin ein einfacher Minister, der keiner Diener bedarf, insofern ich selbst der Diener der Königin bin. Ihre Majestät aber ist sehr empfindlich, sie wird Eure Weigerung erfahren und für eine Kriegserklärung gehalten haben; da sie nun wußte, daß Ihr ein Mann von hervorragenden Eigenschaften und folglich sehr gefährlich seid, mein lieber Herr von Rochefort, so hat sie mir wohl den Befehl gegeben, mich Euer zu versichern. Auf diese Art befindet Ihr Euch in der Bastille.

Gut, Monseigneur, sagte Rochefort, es scheint mir, wenn ich infolge eines Irrtums in der Bastille sitze …

Ja, ja, versetzte Mazarin, allerdings, das läßt sich ins reine bringen; Ihr seid ein Mann, um gewisse Sachen zu begreifen und, wenn Ihr sie einmal begriffen habt, sie gut zu betreiben.

Das war die Meinung des Herrn Kardinals von Richelieu, und meine Bewunderung für diesen großen Mann vermehrt sich noch dadurch, daß Ihr die Güte habt, mir zu sagen, es sei auch die Eurige.

Das ist wahr, versetzte Mazarin. Der Herr Kardinal hatte viel Politik, und darin bestand seine große Überlegenheit im Vergleich zu mir, der ich ein ganz einfacher, schlichter Mann bin. Was mir schadet, das ist der Umstand, daß ich eine ganz französische Offenherzigkeit besitze.

Rochefort preßte die Lippen zusammen, um nicht zu lachen.

Ich komme also zur Sache; ich bedarf guter Freunde, treuer Diener. Wenn ich sage, ich bedarf, so will ich damit sagen, die Königin bedarf. Ich tue alles nur auf Befehl der Königin, versteht mich wohl: es ist nicht wie bei dem Kardinal von Richelieu, der alles nur aus eigener Laune tat. Ich werde auch nie ein großer Mann sein, wie er; dagegen bin ich ein guter Mann, Herr von Rochefort, und hoffe Euch dies zu beweisen.

Rochefort kannte diese seidenweiche Stimme, durch die zuweilen ein Zischen klang, das dem der Schlange glich.

Ich bin ganz bereit, Monseigneur, zu glauben, sagte er, obgleich ich meinesteils wenig Beweise von der Gutmütigkeit habe, von der Ew. Eminenz spricht.

Ah! Herr Rochefort, ich sagte Euch bereits, daß ich keinen Teil an Eurer Gefangenschaft hatte. Die Königin – Zorn einer Frau und einer Prinzessin, was wollt Ihr? Aber das geht, wie es kommt, und nachher denkt man nicht mehr daran …

Ich begreife, Monseigneur, daß sie nicht mehr daran denkt, da sie fünf Jahre im Palais Royal mitten unter Festen und Höflingen zubrachte; aber ich, der sie in der Bastille zubringen mußte …

Ei, mein Gott, Herr von Rochefort, glaubt Ihr, das Palais Royal sei ein so angenehmer Aufenthaltsort? Nein, nein, ich versichere Euch, wir haben auch gewaltiges Getöse gehabt. Doch sprechen wir nicht mehr hiervon. Ich spiele wie immer offenes Spiel und frage: Herr von Rochefort, seid Ihr von den Unseren?

Ihr müßt begreifen, Monseigneur, daß ich nichts Besseres wünschen kann, aber ich bin mit allen gegenwärtigen Angelegenheiten nicht im mindesten vertraut. In der Bastille spricht man über Politik nur mit den Soldaten und den Gefängniswärtern, und Ihr habt keinen Begriff, Monseigneur, wie wenig diese Leute mit den Vorgängen auf dem laufenden sind. Ist Herr von Bassompierre immer noch einer von den siebzehn Seigneurs?

Er ist tot, mein Herr, und das ist ein großer Verlust. Er war ein der Königin ergebener Mann, und die ergebenen Leute sind selten.

Bei Gott, ich glaube wohl, sprach Rochefort. Wenn Ihr welche habt, so schickt Ihr sie in die Bastille.

Aber wodurch beweist sich die Ergebenheit? sagte Mazarin.

Durch die Tätigkeit, antwortete Rochefort.

Ah! ja, durch die Tätigkeit, versetzte der Minister nachdenkend, aber wo finden sich Männer von Tätigkeit?

Rochefort zuckte die Achseln und erwiderte: Es fehlt nie daran, Monseigneur; nur sucht Ihr schlecht. Richelieu hat immer treue und ergebene Diener gehabt, und doch habe ich Leute gekannt, fuhr er fort, denn er dachte, es sei jetzt die Zeit gekommen, d’Artagnan Wort zu halten, ich habe Leute gekannt, die durch ihre Gewandtheit hundertmal den Scharfsinn des Kardinals scheitern ließen, durch ihre Tapferkeit seine Leibwachen und seine Spione geschlagen haben, Leute, die ohne Geld, ohne Unterstützung, ohne Kredit einem gekrönten Haupt eine Krone erhielten und den Kardinal dahin brachten, daß er um Verzeihung bitten mußte. – Aber die Leute, von denen Ihr sprecht, sagte Mazarin, in seinem Innern lächelnd, daß Rochefort dahin gelangte, wohin er ihn führen wollte, diese Leute waren dem Kardinal nicht ergeben, da sie gegen ihn kämpften. – Nein, denn sie wären besser belohnt worden; aber sie hatten das Unglück, derselben Königin ergeben zu sein, für die Ihr soeben Diener verlangtet. – Ah! sprach Mazarin mit bewunderungswürdiger Gutmütigkeit, wenn ich solche Menschen kennen würde. – Ei! Monseigneur, Ihr habt einen seit sechs Jahren vor Eurer Türe und habt ihn seit sechs Jahren zu nichts gut geglaubt. – Wen denn? – Herrn d’Artagnan. – Den Gascogner? rief Mazarin mit vortrefflich gespielter Verwunderung. – Dieser Gascogner hat eine Königin gerettet, und Herr von Richelieu mußte gestehen, daß er ihm gegenüber an Geschicklichkeit, Gewandtheit und Politik nur ein Schüler sei. – Wirklich? – Wie ich es Ew. Exzellenz zu sagen die Ehre habe. – Erzählt mir das ein wenig, mein lieber Herr von Rochefort. – Das ist sehr schwierig, Monseigneur, sagte der Edelmann lächelnd. Aber ich kann Euch ein Märchen erzählen, ein wahres Feenmärchen, dafür stehe ich Euch, Monseigneur. – Oh! sprecht, Herr von Rochefort; ich liebe die Märchen ungemein. – Ihr wollt es? sagte Herr von Rochefort, indem er in diesem feinen, listigen Gesicht eine Absicht wahrzunehmen suchte. – Ja.

Nun, so hört. Es war einmal eine Königin … aber eine mächtige Königin, die Königin eines der mächtigsten Reiche der Welt, der ein Minister sehr übel wollte, weil er ihr zuvor zu wohl gewollt hatte. Sucht nicht, Monseigneur, Ihr könnt nicht erraten, wer. Alles das ereignete sich lange Zeit, ehe Ihr in das Reich kamt, wo diese Königin regierte. Es erschien aber am Hofe ein Botschafter, so tapfer, so reich und so artig, daß alle Frauen sich in ihn verliebten, und die Königin selbst, ohne Zweifel wegen der Art und Weise, wie er die Staatsangelegenheiten behandelt hatte, die Unklugheit beging, ihm einen Schmuck zu schenken, der so merkwürdig war, daß er sich nicht ersetzen ließ. Da dieser Schmuck vom König war, so forderte der Minister diesen auf, von der Fürstin zu verlangen, daß sie gerade die bezeichneten Juwelen bei dem nächsten Balle tragen solle. Es ist überflüssig, Euch zu bemerken, daß der Minister aus einer gewissen Quelle erfahren hatte, wie der Schmuck dem Botschafter gefolgt war, der in großer Entfernung jenseits des Meeres lebte. Die große Königin war verloren, wie die letzte ihrer Untertaninnen, denn sie stürzte augenscheinlich von ihrer höchsten Höhe herab.

Wirklich?

Nun gut, Monseigneur, vier Menschen entschlossen sich, sie zu retten. Diese vier Menschen waren keine Prinzen, keine Herzöge, keine mächtigen Männer, keine reichen Männer, es waren vier Soldaten mit großem Herzen, gutem Arm und flinkem Degen. Sie reisten ab. Der Minister erfuhr ihre Abreise und schickte Leute auf ihren Weg aus, um sie zu verhindern, zu ihrem Ziele zu gelangen. Drei wurden durch die zahlreichen Angriffe kampfunfähig gemacht, aber ein einziger gelangte in den Hafen, tötete oder verwundete die, welche ihn festnehmen wollten, schiffte über das Meer und brachte den Schmuck der großen Königin zurück, die ihn an dem bestimmten Tag an die Schulter heften konnte. Was sagt Ihr von diesem Zuge, Monseigneur?

Das ist herrlich, sprach Mazarin träumerisch.

Nun, ich weiß noch ähnliche.

Mazarin sprach nicht mehr, er dachte nach.

Ihr habt mich nichts mehr zu fragen, Monseigneur? sagte Rochefort nach einigen Minuten. – Doch, Herr d’Artagnan war einer von diesen vier Menschen, sagt Ihr? – Er war der, welcher das ganze Unternehmen leitete. – Und wer waren die anderen? – Monseigneur erlaube, daß ich Herrn d’Artagnan überlasse, sie Euch zu nennen. Es waren seine Freunde und nicht die meinigen; er allein hätte einigen Einfluß auf sie, und ich kenne sie nicht einmal unter ihren wahren Namen.

Ihr mißtraut mir, Herr von Rochefort. Ich will ganz offenherzig sein: ich bedarf Euer, seiner, aller. – Fangen wir bei mir an, Monseigneur, da Ihr mich habt holen lassen und ich nun hier bin; dann möget Ihr zu ihnen übergehen. – Ihr, mein lieber Herr von Rochefort, sollt einen Vertrauensposten bekommen, Ihr geht nach Vincennes, wo Herr von Beaufort gefangen ist; Ihr bewacht ihn mir auf das schärfste. Nun, was habt Ihr denn? – Ihr schlagt mir etwas Unmögliches vor, sprach Rochefort und schüttelte mit betrübter Miene den Kopf. – Wie! etwas Unmögliches? Und warum ist diese Sache unmöglich? – Weil Herr von Beaufort einer meiner Freunde ist, oder vielmehr, weil ich einer der seinigen bin. Habt Ihr vergessen, Monseigneur, daß Beaufort bei der Königin für mich gut gestanden hat? – Herr von Beaufort ist seit jener Zeit der Feind des Staates. – Ja, Monseigneur, das ist möglich; aber da ich weder König noch Königin, noch Minister bin, so ist er nicht mein Feind, und ich kann Euer Anerbieten nicht annehmen. – Das nennt Ihr Ergebenheit? Ich wünsche Euch Glück: Eure Ergebenheit verpflichtet Euch nicht zu sehr bedeutenden Dingen, Herr von Rochefort. – Monseigneur, verwendet mich zu irgend etwas anderem, gebt mir eine Sendung, laßt mich tätig sein, aber auf der offenen Straße, wenn es möglich ist. – Mein lieber Herr von Rochefort, sagte Mazarin mit seiner spöttischen Miene, Euer Eifer reißt Euch fort, Ihr haltet Euch noch für einen jungen Mann, weil das Herz immer noch jung ist, aber die Kräfte fehlen Euch. Glaubt mir, Ihr bedürft jetzt vor allem der Ruhe. Holla! irgend jemand herein! – Ihr verfügt also nicht über mich? – Im Gegenteil, ich habe verfügt.

Bernouin trat ein.

Rufe einen Huissier, sprach Mazarin, und bleib‘ in meiner Nähe, fügte er mit leisem Tone bei.

Ein Huissier trat ein, der Kardinal schrieb einige Worte, die er diesem Mann zustellte, grüßte sodann mit dem Kopf und sagte: Gott befohlen, Herr von Rochefort.

Rochefort verbeugte sich ehrfurchtsvoll und sagte: Ich sehe, Monseigneur, man führt mich wieder in die Bastille. – Ihr seid gescheit. – Ich kehre dahin zurück, Monseigneur, aber ich wiederhole Euch, Ihr habt unrecht, daß Ihr mich nicht zu verwenden wißt. – Euch, den Freund meiner Feinde? – Warum nicht? Ihr hättet mich zum Feind Eurer Feinde machen sollen. – Glaubt Ihr, es gebe nur Euch allein? Seid überzeugt, Herr von Rochefort, ich werde Leute finden, welche so viel wert sind, als Ihr.

Man führte Rochefort in den Hof, wo er seinen Wagen und seine vier Mann Eskorte fand; aber er suchte vergebens seinen Freund.

Ah, ah! sagte Rochefort zu sich selbst, das verändert die Sache auf eine furchtbare Weise. Wenn jetzt noch so viel Volk auf den Straßen ist, so wollen wir Herrn von Mazarin zu beweisen suchen, daß wir, Gott sei Dank, noch zu etwas ganz anderem taugen, als zur Bewachung eines Gefangenen.