20.

Wronskiy quartierte in einer geräumigen und sauberen, in zwei Abteilungen getrennten Fischerhütte. Petrizkiy befand sich mit ihm hier in dem Kantonnement zusammen. Derselbe schlief, als Wronskiy mit Jaschwin in die Hütte trat.

»Steh‘ auf; genug geschlafen!« sagte Jaschwin, hinter die Zwischenwand gehend und den dort mit der Nase tief in ein Kissen gedrückten Petrizkiy an der Schulter rüttelnd.

Petrizkiy sprang plötzlich auf die Füße und blickte um sich.

»Dein Bruder war hier,« sagte er zu Wronskiy, »er hat mich geweckt, der Teufel mag ihn holen. Er hat hinterlassen, daß er wiederkommen würde.«

Bei diesen Worten zog er von neuem die Bettdecke an sich, und warf sich wieder auf das Kissen.

»Laß mich doch, Jaschwin,« sagte er, ärgerlich auf diesen, der ihm die Decke wegzog. »Laß mich!« Er wandte sich um und öffnete die Augen. »Gieb lieber einen guten Rat, was man hier trinken kann, ich habe solch einen üblen Geschmack im Munde« –

»Branntwein ist das beste was es giebt,« scherzte Jaschwin. »Tereschtschenko! Branntwein für den Herrn und Gurken,« rief er, augenscheinlich in seine eigene Stimme verliebt.

»Du denkst Branntwein; wie?« frug Petrizkiy, mürrisch und die Augen verdrehend. »Was trinkst du denn? Wir wollen doch lieber zusammen trinken! Wronskiy, trinkst du etwas mit?« wandte sich Petrizkiy aufstehend und die getigerte Decke unter den Arm zusammenfassend. Er ging nach der Thür der Scheidewand, hob die Arme und sang auf französisch »Es war ein König von Thule!« »Wronskiy, trinkst du nicht?«

»Scher dich zum Satan,« antwortete dieser, den ihm von seinem Diener gereichten Waffenrock anlegend.

»Wo soll es denn hingehen?« frug ihn Jaschwin, »da kommt ja auch die Troyka,« fügte er hinzu, den Wagen vorfahren sehend.

»Nach dem Marstall und dann muß ich noch zu Brjanskiy wegen der Pferde,« sagte Wronskiy.

Wronskiy hatte in der That versprochen, zu Brjanskiy zu kommen, welcher in einer Entfernung von einigen zehn Werst von Peterhof wohnte, und ihm Geld für Pferde zu bringen. Er gedachte auch dort länger zu verweilen, allein die Kameraden erkannten, daß er nicht nur dorthin fahren werde.

Petrizkiy fuhr fort zu singen und zwinkerte mit den Augen indem er die Lippen spitzte, als ob er sagen wollte, wir wissen was das für ein Brjanskiy ist.

»Sieh nur zu, daß du dich nicht verspätigst!« meinte Jaschwin, und fuhr dann fort, sogleich auf ein anderes Thema überspringend. »Was macht denn mein Brauner, geht er gut?« frug er, durch das Fenster nach dem Pferd draußen in der Gabeldeichsel blickend, welches er verkauft hatte.

»Halt!« rief Petrizkiy dem schon fortfahrenden Wronskiy nach. »Dein Bruder hat für dich einen Brief und ein Billet hier gelassen! Halt doch, wo ist denn beides?«

Wronskiy blieb noch.

»Wo denn?«

»Wo? Nun, hierum handelt es sich eben,« antwortete Petrizkiy feierlich, von der Nase mit dem Zeigefinger nach oben fahrend.

»So sprich doch, das ist ja zu thöricht,« lachte Wronskiy.

»Ich habe den Kamin nicht geheizt. Hier irgendwo herum.«

»Hast du nun genug geschwatzt? Wo ist denn der Brief?«

»Ich habe ihn wirklich nicht. Ich habe ihn vergessen. Oder sollte ich ihn nur im Traume gesehen haben? Halt, halt; doch wozu sollst du dich erzürnen. Hättest du wie ich gestern, vier Flaschen in Brüderschaft getrunken, so würdest du auch vergessen, wo man liegt. Halt, gleich besinne ich mich.« Petrizkiy schritt hinter die Scheidewand und legte sich wieder auf das Bette. »Siehst du, so lag ich, und so stand er, ja, ja, ja; da ist er ja,« und Petrizkiy zog den Brief unter der Matratze hervor, in der er ihn verborgen hatte.

Wronskiy nahm das Schreiben und die Zuschrift des Bruders. Es war das, was er erwartet hatte: Vorwürfe seitens der Mutter, weil er nicht zu ihr kam und eine Mitteilung vom Bruder, in der gesagt wurde, es zeige sich eine Unterredung nötig.

Wronskiy wußte, daß beides sich um den nämlichen Angelpunkt drehte.

»Was geht das sie an?« dachte er und steckte dann den Brief, den er zerknitterte, zwischen die Knöpfe seines Rockes, damit er ihn unterwegs nochmals mit Aufmerksamkeit lesen könne.

In dem Flur der Hütte begegneten ihm zwei Offiziere, deren einer von dem nämlichen, der andere von einem anderen Regimente war. Das Quartier Wronskiys war gewöhnlich der Versammlungsort aller Offiziere.

»Wohin?«

»Muß nach Peterhof.«

»Das Pferd gekommen aus Zarskoje?«

»Gekommen; aber noch nicht gesehen.«

»Man sagt, Machotins Gladiator hinke.«

»Unsinn! Wahrscheinlich nur, wenn Ihr durch diesen Schlamm hier reitet!« antwortete der andere.

»Ha, da sind meine Retter!« rief Petrizkiy, die Eintretenden erblickend. Neben ihm stand der Diener mit Branntwein und Gurken auf einem Präsentierteller.

»Dies hier hat uns Jaschwin befohlen, zu meiner Erfrischung zu mir zu nehmen.«

»Nun, Ihr habt es uns schön gegeben gestern Nacht,« sagte der Eine der Offiziere, »wir haben die ganze Nacht nicht schlafen können.«

»Ich dachte gar! Hört nur, wie das zuging: Wolkoff stieg auf das Dach und meinte, es sei ihm recht traurig ums Herz. Ich sagte zu ihm, er solle Musik machen, den Trauermarsch. Da schlief er auf dem Dache während des Trauermarsches ein.«

»Der muß unfehlbar Branntwein trinken, unfehlbar und dann Selterswasser und viel Limonade,« sagte Jaschwin, neben Petrizkiy hintretend wie eine Mutter, die ihn veranlaßt, eine Arznei zu nehmen, »hinterher aber ein ganz klein wenig Champagner – jedoch nur ein einziges Fläschchen.«

»Das ist doch wenigstens ein verständiges Wort. Bleib da, Wronskiy, wir wollen zusammen trinken!«

»Nein, entschuldigt, meine Herren, aber heute trinke ich nicht mit.«

»Was, denkst du zu schwer zu werden? Nun dann thun wir es allein. Gieb das Selterswasser und Limonade!«

»Wronskiy,« rief noch ein anderer, als dieser bereits draußen auf dem Flur war.

»Was noch?«

»Du müßtest dir die Haare scheren lassen; sie werden dir sonst auch zu schwer, besonders auf der Platte.«

Wronskiy begann in der That vorzeitig spärliches Haar zu bekommen. Er lachte lustig, zeigte seine dichtstehenden Zähne, schob die Mütze über die spärliche Stelle, ging hinaus und setzte sich in seinen Wagen.

»Nach dem Marstall!« sagte er, und holte die Briefe wieder hervor um sie von neuem zu lesen, dachte aber bald nicht mehr daran, um sich bis zur Besichtigung der Pferde nicht zu zerstreuen.

18.

War auch das innere Leben Wronskiys gänzlich ausgefüllt von seiner Leidenschaft, so floß sein äußeres Leben unverändert und ungehindert in den alten gewohnten Geleisen der gesellschaftlichen und militärischen Beziehungen und Interessen dahin.

Die Interessen seines Regiments bildeten in Wronskiys Leben ein wichtiges Gebiet, sowohl deshalb, weil er sein Regiment liebte, als noch mehr deshalb, weil man ihn selbst liebte im Regiment.

Man liebte Wronskiy nicht nur im Regiment, sondern man achtete ihn auch und war stolz auf ihn daselbst, man brüstete sich damit, daß dieser Mann, so ungeheuer reich, mit so vorzüglicher Bildung und Fähigkeiten, so augenscheinlicher Prädestination für Carriere, Ehrgeiz und Ehrsucht, gleichwohl alles dies hintenansetzte, und von allen Interessen des Lebens, diejenigen seines Regiments und seiner Kameraden seinem Herzen am nächsten stellte.

Wronskiy kannte diese Meinung der Kameraden über ihn, und nicht genug daß er ein solches Leben liebte, fühlte er sich auch verpflichtet, jene Ansichten über ihn stets zu rechtfertigen.

Es versteht sich von selbst, daß er mit keinem seiner Kameraden von seiner Liebe gesprochen hatte; selbst in den wüstesten Gelagen that er es nicht – übrigens war er auch nie bis zu dem Grade berauscht, daß er die Beherrschung seiner selbst verloren hätte – und verstopfte den Leichtfertigen unter seinen Kameraden den Mund, welche es versuchten, auf sein Liebesverhältnis anzuspielen.

Dessen ungeachtet war dieses Verhältnis in der ganzen Hauptstadt bekannt, und jedermann wußte mehr oder weniger genau über seine Beziehungen zur Karenina zu sprechen.

Die Mehrzahl der jungen Männer beneidete ihn namentlich um das, was gerade das Schwerwiegendste in dieser Liebe war – um die hohe Stellung Karenins und daher um die Bloßstellung der Liebschaft vor der Welt.

Die Mehrzahl der jungen Frauen welche Anna mißgünstig waren, weil es ihnen schon längst unangenehm gewesen war, daß man sie »die Tugendhafte« nannte, freute sich nun auf das, was sie voraussahen. Man wartete lediglich auf den Umschlag in der gesellschaftlichen Meinung, um über sie mit der ganzen Wucht der Verachtung herfallen zu können.

Sie häuften gleichsam jene Haufen von Unrat auf, mit denen man sie werfen wollte, sobald die Zeit dazu gekommen sein würde.

Die Mehrzahl der älteren Leute endlich und die Hochgestellten waren ungehalten über diesen gesellschaftlichen Skandal, der sich hier vorbereitete.

Die Mutter Wronskiys, welche von dem Verhältnis erfahren hatte, war anfänglich nicht ungehalten darüber; einmal deshalb, weil nichts einem jungen vornehmen Manne nach ihren Begriffen den letzten Schliff so verlieh, als eine Konnexion in der höchsten Sphäre, dann aber auch deshalb, weil die Karenina, die ihr so sehr gefallen hatte und so viel von ihrem Söhnchen sprach, ganz und gar ein Weib war wie es alle schönen und echten Weiber sind – nach den Begriffen der Gräfin Wronskaja.

In letzter Zeit aber hatte sie nun erfahren, daß ihr Sohn eine ihm angetragene, für seine Carriere wichtige Stellung nur deshalb ausgeschlagen hatte, um bei seinem Regimente bleiben zu können, wo er die Karenina sehen konnte; sie hatte erfahren, daß deswegen hochgestellte Personen mit ihm unzufrieden waren – und sie änderte infolge dessen ihre Meinung.

Ihr gefiel auch nicht, daß es sich nach alledem, was sie über diese Liaison erfuhr, hier nicht um eine glänzende, feinsinnige Konnexion in der großen Welt handelte, wie sie sie gebilligt haben würde, sondern um eine Art verzweifelter Wertherscher Leidenschaft, wie man ihr erzählte, die ihn leicht zu Thorheiten hinreißen konnte.

Sie hatte ihren Sohn seit dessen unvermuteter Abreise von Moskau nicht wieder gesehen und ihn durch ihren ältesten Sohn ersuchen lassen, einmal zu ihr zu kommen. Der älteste Bruder war gleichfalls ungehalten über den jüngeren. Er machte keinen Unterschied, um was für eine Liebe es sich hier handelte, ob um eine große oder kleine, eine leidenschaftliche oder nicht leidenschaftliche, eine lasterhafte oder nicht lasterhafte – er selbst, obwohl er Kinder hatte, hielt sich eine Balleteuse und war infolge dessen sehr nachsichtig für ähnliche Dinge – aber er wußte, daß es sich hier um ein Liebesverhältnis handelte, welches denen nicht gefiel, denen man gefallen sollte, und deshalb tadelte er die Führung seines Bruders.

Außer der Beschäftigung mit dem Dienst und der Welt hatte Wronskiy noch eine weitere Zerstreuung in den Pferden; er war ein leidenschaftlicher Pferdeliebhaber.

Im laufenden Jahre sollten Offiziersrennen mit Hindernissen abgehalten werden. Wronskiy hatte sich mit zu den Rennen angemeldet, eine englische Vollblutstute angekauft und war jetzt, ungeachtet seiner Liebe, leidenschaftlich, wenn auch zurückhaltend, für die bevorstehenden Rennen eingenommen.

Diese beiden Leidenschaften störten sich also gegenseitig nicht. Im Gegenteil, er bedurfte einer Beschäftigung und Zerstreuung, die unabhängig von seiner Liebe war und an welcher er sich daher erfrischen und von den allzu mächtigen Eindrücken wieder erholen konnte.

14.

Indem Lewin in heiterster Stimmung in der Nähe seines Hauses ankam, hörte er eine Schlittenglocke von der Seite des Haupteingangs.

»Da kommt jemand von der Eisenbahn an,« dachte er, »es ist just die Zeit der Ankunft des Moskauer Zuges. Wer könnte das sein? Ha, wie wenn es Bruder Nikolay wäre? Er hatte ja gesagt, es wäre möglich, daß er entweder in das Bad reiste oder vielleicht zu mir käme.«

Es war ihm in der ersten Minute erschreckend und unangenehm, daß die Gegenwart des Bruders seine heitere, glückliche Frühlingsstimmung stören sollte. Aber alsbald empfand er Scham ob dieser Empfindung, und, gleichsam als habe er eine geistige Umarmung bereit, erwartete er ihn nun mit stiller Freude und wünschte jetzt von ganzer Seele, der Ankommende möchte sein Bruder sein.

Er trieb das Pferd an und erblickte, hinter die Akazienallee einbiegend, die herankommende Posttroyka von der Eisenbahnstation und darin einen Herrn im Pelz. Es war nicht sein Bruder.

»Ach, wenn es dann nur ein angenehmer Gesellschafter ist, mit dem man wenigstens reden kann,« dachte er.

»Aha!« rief er plötzlich hocherfreut aus, beide Arme hochhebend. »Ah, der liebe Besuch! Wie freue ich mich über dich!« rief er und erkannte Stefan Arkadjewitsch.

»Jetzt werde ich sofort erfahren, ob sie schon verheiratet ist, oder wann dies der Fall sein wird,« dachte er. An diesem herrlichen Frühlingstag fühlte er, daß ihn die Erinnerung an sie gar nicht mehr schmerzte.

»Wie; hast du mich nicht erwartet?« frug Stefan Arkadjewitsch, den Schlitten verlassend, auf Rock, Wange und Brauen ganz bedeckt mit Schmutz, aber in heiterster Laune und bei bester Gesundheit.

»Ich bin ankommen, um dich erstens zu besuchen,« sagte Stefan Arkadjewitsch, den Freund umarmend und küssend, »zweitens, auf den Anstand zu gehen, und drittens meinen Wald in Jerguschewo zu verkaufen.«

»Reizend! Und welchen Frühling haben wir dazu! Bist du gar noch im Schlitten angekommen?«

»Mit dem Wagen geht es noch schlechter, Konstantin Dmitritsch,« antwortete der Lewin bekannte Jamschtschik.

»Nun, ich freue mich herzlich, überaus über deine Ankunft,« lächelte Lewin treuherzig wie ein Kind.

Er führte seinen Gast in das Gastzimmer, in welches auch das Gepäck Stefan Arkadjewitschs gebracht wurde; ein Reisesack, ein Gewehr in Lederüberzug, eine Cigarrentasche; und verließ diesen dann, damit er sich waschen und umkleiden könne, während er selbst sich einstweilen nach dem Kontor begab, um über das Pflügen und den Kleber Rücksprache zu nehmen.

Agathe Michailowna, stets außerordentlich um die Reputation des Hauses besorgt, trat ihm im Vorzimmer mit Fragen über das Abendessen in den Weg.

»Macht alles, wie Ihr wollt, nur schnell,« sagte er und ging zu dem Verwalter.

Als er zurückkehrte, trat Stefan Arkadjewitsch, gewaschen, gekämmt und mit strahlendem Lächeln aus seiner Thür heraus, und beide stiegen nun nach oben.

»Wie freue ich mich, zu dir gekommen zu sein! Jetzt werde ich erkunden, worin die Geheimnisse bestehen, welche du hier hütest. Indessen, nein, ich beneide dich! Welch ein Haus; wie hübsch hier alles ist! Hell, freundlich,« sagte Stefan Arkadjewitsch, vergessend, daß es nicht stets Frühling sei und nicht immer helle schöne Tage gebe, so wie es der heutige war. »Und deine Amme, – famos! – Lieber wäre mir ja freilich eine kleine hübsche Zofe in Kattun gewesen, aber zu deinem mönchischen und strengen Leben – paßt sie vorzüglich.«

Stefan Arkadjewitsch erzählte nun viele interessante Neuigkeiten und unter ihnen besonders die für Lewin höchst wichtige Kunde, daß sein Bruder Sergey Iwanowitsch beabsichtige, im laufenden Sommer auf das Dorf herauszukommen.

Stefan Arkadjewitsch hatte keine Silbe von Kity erwähnt oder überhaupt vom Hause der Schtscherbazkiy, nur einen Gruß seiner Gattin hatte er Lewin überbracht.

Dieser war ihm dankbar für sein Zartgefühl und freute sich des Besuchs. Wie dies gewöhnlich bei ihm war, überkamen ihn in seiner Einsamkeit eine Masse von Gedanken und Empfindungen, die er seiner Umgebung nicht mitzuteilen vermochte und jetzt schüttete er vor Stefan Arkadjewitsch sein Herz aus, seine poetische Freude am Frühling sprach er ihm aus, erzählte von seinen Mißgeschicken und Plänen in der Wirtschaft, seinen Gedanken, seinen Ansichten über die Bücher die er las, und namentlich von der Idee seines eigenen Werkes, dessen Grundlage – obwohl er dessen nicht Erwähnung that – eine Kritik sämtlicher älterer Werke über Landwirtschaft bilden sollte.

Stefan Arkadjewitsch, ohnehin stets freundlich und für jeden Wink empfänglich, war bei diesem Besuche ganz besonders liebenswürdig und Lewin bemerkte an ihm einen ihm selbst noch neuen, schmeichelhaften Zug von Hochachtung, ja etwas wie Zärtlichkeit.

Die Anstrengungen Agathe Michailownas und des Kochs, das Abendessen möglichst opulent herzurichten hatten nur ermöglicht, daß die beiden, vom Hunger geplagten Freunde, sich zum Imbiß niedersetzend, Brot und Butter, die Hälfte einer kalten Gans, und eingesalzene Pilze, sowie das zu sich nehmen konnten, was Lewin Suppe ohne Pasteten nannte, und womit der Koch ganz besonders seinen Besuch imponieren wollte.

Allein Stefan Arkadjewitsch, obwohl er ganz andere Soupers gewöhnt, fand alles ganz vorzüglich; sowohl die Suppe und das Brot, wie die Butter und besonders die Gans und die Pilze und die aus Nesseln bereitete Schtschi, das Huhn in weißer Tunke und den Weißwein aus der Krim – alles war vorzüglich und wunderbar.

»Köstlich, köstlich,« sagte er, eine dicke Cigarette nach dem Braten in Brand steckend. »Da bin ich zu dir von dem Dampfwagen und seinem Rasseln und Poltern gekommen, in diesen stillen Hafen. Du sagst also, daß das Element der Arbeiter selbst erst noch studiert werden müsse und leitend sei für die Wahl der Methoden in der Landwirtschaft? Ich bin hierin freilich ein Laie, aber es scheint mir, als ob eine solche Theorie und Anpassung einen Einfluß auch auf den Arbeiter selbst haben müsse.«

»Ja wohl; doch höre weiter: Ich spreche nicht von der Nationalökonomie, sondern von einer wissenschaftlichen Landwirtschaft an sich. Sie muß der Naturwissenschaft gleich sein, die gegebenen Erscheinungen in den Kreis ihrer Beobachtungen ziehen und den Arbeiter mit seinem ökonomischen, ethnographischen« –

In diesem Augenblick trat Agathe Michailowna mit dem Thee ein.

»Nun, Agathe Michailowna,« sagte Stefan Arkadjewitsch zu ihr, die Fingerspitzen ihrer wulstigen dicken Hände küssend, »welch eine herrliche Gans habt Ihr doch gebracht, welch eine Suppe! – Indessen, ist es nicht etwa Zeit, Konstantin?« fügte er plötzlich hinzu.

Lewin blickte durch das Fenster nach der Sonne, welche hinter den nachtragenden Wipfeln des Waldes hinunterging.

»Es ist Zeit, Zeit,« antwortete er hierauf. »Kusma! Spanne die Lineyka an!« Lewin eilte hinab.

Stefan Arkadjewitsch, ebenfalls hinuntersteigend, nahm sorgfältig den Überzug von einem lackierten Kasten und öffnete diesen, worauf er demselben sein kostbares Gewehr von neuester Konstruktion entnahm.

Kusma, welcher schon ein reiches Trinkgeld witterte, ging nicht von Stefan Arkadjewitsch fort und zog diesem Strümpfe und Stiefeln an, was Stefan Arkadjewitsch ihm recht gern zu thun gestattete.

»Hinterlaß‘ doch, Konstantin, daß, wenn der Kaufmann Rjabinin kommen sollte, ich ihm befohlen hätte, heute zu kommen und mich zu erwarten.«

»Willst du denn Rjabinin deinen Wald verkaufen?«

»Ja; du kennst ihn wohl?«

»Ob ich ihn kenne! Ich habe mit ihm Geschäfte gehabt auf Treu und Glauben.«

Stefan Arkadjewitsch brach in Gelächter aus. »Auf Treu und Glauben« war ein Lieblingsausdruck dieses Kaufmanns.

»Ja, er spricht wunderbar komisch. – Der Hund hat auch schon verstanden, wohin wir jetzt gehen werden,« fügte Lewin hinzu, mit der Hand Laska streichelnd, der sich winselnd an Lewin schmiegte und diesem bald die Hände, bald die Stiefel und selbst das Gewehr leckte.

Der Schlitten stand schon vor der Thür als sie hinaustraten.

»Ich habe anspannen lassen, obwohl es nicht weit ist; oder wollen wir zu Fuß gehen?«

»Nein; wir wollen lieber fahren,« sagte Stefan Arkadjewitsch, an das Gefährt herantretend. Er setzte sich hinein, hüllte seine Füße in das Tigerfell und zündete sich eine Cigarre an. »Wie, rauchst du denn nicht? Die Cigarre ist doch, wenn nicht selbst ein Genuß, sicherlich die Krönung eines solchen, und ein Zeichen vergnügter Stimmung. Das ist Lebensgenuß! Und wie sehr wünschte ich, leben zu können?«

»Stört dich denn jemand daran?« lächelte Lewin.

»Nein; du aber bist ein glücklicher Mensch. Alles was du liebst, das ist um dich herum; liebst du Pferde – so sind sie da; liebst du die Jagd – so kannst du hinausgehen in den Wald; und willst du dich der Landwirtschaft widmen – so hast du sie vor dir.«

»Es kann schon sein, und infolge dessen, daß ich mich über das freue, was ich um mich herum habe, betrübe- ich mich gar nicht über das, was ich nicht habe,« sprach Lewin und seine Gedanken weilten bei Kity.

Stefan Arkadjewitsch verstand ihn; er blickte ihn an, sprach aber kein Wort.

Lewin war Oblonskiy dankbar dafür, daß derselbe, mit dem ihm stets eignen Takte bemerkend, Lewin scheue sich das Gespräch auf die Schtscherbazkiy zu bringen, nichts von denselben erwähnte.

Jetzt aber verlangte es Lewin doch darnach, das zu erfahren, was ihn so quälte, aber er fand nicht den Mut, davon zu beginnen.

»Wie stehen deine Angelegenheiten?« frug Lewin, sich daran erinnernd, daß es nicht gut sei, wenn er immer nur an sich selbst denke.

»Du giebst ja freilich nicht zu, daß man noch Semmeln lieben könnte, wenn man schon völlig satt sei, – nach deiner Meinung ist dies ein Verbrechen. Ich aber erkenne kein Leben an ohne Liebe,« sagte er, die Frage Lewins nach seiner Weise auffassend. »Was ist dagegen zu thun? Ich bin nun einmal so. Und es geschieht damit doch dem Betreffenden so wenig Übles im Vergleich zu der Menge von Angenehmem.«

»Wie, hast du schon wieder eine neue Liaison?« frug Lewin.

»Allerdings, liebster Freund. Weißt du, du kennst doch den Typus der Ossianischen Weiber, jener Weiber, die man im Traume sieht. – Nun, solche giebt es auch in der Wirklichkeit – und diese Weiber sind furchtbar. Das Frauenzimmer, lieber Freund, ist ein Objekt, welches, so viel man es auch studieren mag, doch immer vollkommen neu bleibt.«

»Dann ist es wohl jedenfalls besser, es gar nicht zu studieren.«

»O nein. Es hat einmal ein Mathematiker gesagt, daß die wahre Befriedigung nicht in der Entdeckung der Wahrheit liege, sondern in der Erforschung derselben.«

Lewin hörte schweigend zu. Ungeachtet aller Anstrengungen, die er machte, konnte er sich nicht dem Ideengang seines Freundes accomodieren und dessen Empfindungen, sowie den Reiz begreifen, der in dem Studium derartiger Frauen liegen sollte.

15.

Der Ort des Anstandes befand sich unweit oberhalb eines klemm Flüßchens in einem Espenwäldchen.

Als die beiden an den Wald gelangt waren, stieg Lewin aus und führte Oblonskiy in die Ecke eines moosigen feuchten Wiesenplatzes, der sich schon von der Schneekruste befreit hatte.

Er selbst wandte sich nach dem andern Rande zu einer Birke und entledigte sich, nachdem er sein Gewehr an die Gabel eines dürren, niedrigen Astes derselben gelehnt hatte, feines Rockes, gürtete sich fest und probte nun die Freiheit der Bewegungen seiner Arme.

Der alte graue Hühnerhund Laska, der den Freunden gefolgt war, legte sich behutsam ihm gegenüber und spitzte die Ohren.

Die Sonne sank hinter dem dichten Walde und im Schein des Abendrots zeichneten sich die Birken, die zerstreut in dem Espengebüsch umherstanden scharf mit ihren hängenden Zweigen und den Knospen ab, die schon im Begriff waren, aufzuspringen.

Aus dem Waldesdickicht heraus, in welchem noch der Schnee lag, floß das Wasser kaum hörbar in tausendfach verästelten schmalen Rinnen. Kleine Vögelchen zwitscherten und flogen zeitweilig von Baum zu Baum.

In den Zwischenpausen, die von lautloser Stille ausgefüllt waren, vernahm man das Rascheln des verdorrten Laubes aus dem vorigen Jahre, das von dem Thauen der Erde und dem Springen des Grases bewegt wurde.

»Hier hört und sieht man das Gras wachsen,« sagte Lewin zu sich, indem er bemerkte, wie sich ein nasses Espenblatt neben der Spitze eines jungen Grashalmes bewegte. Er stand, lauschte und blickte bald niederwärts auf den moosigen feuchten Boden, bald schaute er auf Laska der die Ohren spitzte, und auf die sich vor ihm ausbreitenden nackten Wipfel des Waldes mit dem von weißen Streifen von Wolken überzogenen dämmernden Himmel.

Ein Habicht flog mit langsamem Flügelschlag hoch über dem Walde drüben, ein zweiter kam in der nämlichen Richtung dahergezogen und verschwand. Die Vögel zwitscherten lauter und ängstlicher im Hain. In der Nähe rief ein Uhu, und Laska, erschreckend, machte vorsichtig einige Schritte nach vorwärts; neigte dann den Kopf seitwärts und lauschte. Hinter dem Flusse her wurde ein Kuckuck vernehmbar. Zweimal schrie er mit dem gewöhnlichen Ruf, dann schnarrte er und verstummte.

»Da, schon der Kuckuck!» sagte Stefan Arkadjewitsch, aus seinem Busche heraustretend.

»Ich höre ihn,« antwortete Lewin mißvergnügt die Stille des Waldes mit seiner ihm selbst jetzt unangenehm vorkommenden Stimme unterbrechend. »Er ist schon zeitig da.«

Die Gestalt Stefan Arkadjewitschs verschwand wieder im Gebüsch und Lewin sah nur noch das helle Licht eines Streichholzes und darauf das rote Glühen einer Cigarette und deren blauen Qualm.

Tschik-tschick – knackten die Hähne am Gewehr, welche Stefan Arkadjewitsch aufgezogen hatte.

»Was schreit denn dort?« frug Oblonskiy, Lewins Augenmerk auf ein gedehntes Geräusch lenkend, welches mit seinem Tone, gleichsam schäkernd klang, als ob ein Füllen wieherte.

»Weißt du nicht, was das ist? Das ist ein Hasenmännchen; das mag ruhig sprechen; aber höre, da fliegt etwas,« rief Lewin fast laut, indem er die Hähne spannte.

Man hörte in der That ein fernes dünnes Pfeifen und in jenem Takt, wie er dem Jäger so bekannt ist, wurde nach zwei Sekunden ein zweites, dann ein drittes Pfeifen vernehmbar und hierauf ertönte ein Schnarchen.

Lewin schaute mit den Augen nach rechts und nach links, – da vor ihm, an dem mattblauen Himmel über den verschlungenen, zarten Schößlingen auf den Wipfeln der Espen erschien ein fliegender Vogel.

Er flog gerade auf Lewin zu; die nahenden Töne seines Schnarchens, ähnlich dem gleichmäßigen Reißen eines straffen Gewebes, ertönten unmittelbar über seinem Ohr; schon war der lange Schnabel sichtbar und der Hals des Vogels und in dem nämlichen Moment, in dem Lewin anlegte, blitzte hinter dem Busche, hinter welchem Oblonskiy stand, ein roter Feuerstrahl auf; der Vogel ging wie ein Pfeil hernieder und stieg dann wieder auf. Nochmals strahlte ein Blitz auf, ein Schuß ertönte und mit schlagenden Flügeln, als strebe er, sich noch in der Luft zu halten, hielt der Vogel im Fluge inne, stand einen Moment und stürzte dann schwer zur nassen Erde hernieder.

»War das etwa fehl geschossen?« rief Stefan Arkadjewitsch, der hinter dem Rauche nichts hatte sehen können.

»Hier ist sie,« sagte Lewin, auf Laska zeigend, welcher, das eine Ohr erhebend, und hoch mit der buschigen Spitze seines Schwanzes wedelnd, leisen Schrittes, als wünsche er, daß das Vergnügen länger währe, und als lächle er dazu, den erlegten

Vogel seinem Herrn apportierte. »Nun, ich bin froh, daß es dir gelungen ist,« sagte Lewin zu dem Freunde, dabei aber ein Gefühl des Neides empfindend, daß nicht er die Schnepfe hatte erlegen können.

»Ein schlechter Schuß aus dem rechten Rohre,« antwortete Stefan Arkadjewitsch, das Gewehr ladend – »st – da kommt wieder eine.« –

In der That vernahm man das durchdringende, schnell aufeinanderfolgende Pfeifen von neuem.

Zwei Schnepfen, miteinander spielend und sich verfolgend, nur pfeifend aber nicht schnarchend, flogen dicht über den Köpfen der Jäger hin. Vier Schüsse fielen und wie die Schwalben blitzschnell eine Wendung machend, verschwanden die Schnepfen aus dem Gesichtskreis.

Der Anstand war vorzüglich. Stefan Arkadjewitsch erlegte noch zwei Stück, auch Lewin zwei, doch konnte er eine derselben nicht auffinden.

Es begann nun zu dunkeln. Hell und silbern glänzte die niedrigstehende Venus schon am Himmel hinter den Birken hervor in zartem Lichte und hoch im Osten stand der Arkturus düster mit seinem roten Lichte, und gerade über dem Kopfe Lewins flimmerten die Sterne des großen Bären.

Die Waldschnepfen hatten aufgehört zu fliegen, aber Lewin beschloß noch zu warten, bis die Venus, die ihm noch unterhalb eines bestimmten Astes der Birke erschien, über denselben gestiegen sein würde und die Sterne des großen Bären, von denen er erst einen sehen konnte, alle erschienen sein würden.

Die Venus trat denn auch über den Ast der Birke, das Rad des Bären und die Deichsel war schon vollkommen sichtbar an dem dunkeln Himmel, aber er wartete noch immer.

»Ist es nun nicht Zeit?« meinte Stefan Arkadjewitsch.

Im Walde war es schon still geworden, nicht ein einziger Vogel regte sich mehr.

»Warten wir noch ein wenig,« sagte Lewin.

»Wie du willst.«

Sie standen jetzt fünfzehn Schritte voneinander entfernt.

»Stefan!« Hub da plötzlich und unvermittelt Lewin an, »weshalb sagst du mir denn nicht, ob deine Schwägerin sich verheiratet hat, oder wenn dies geschehen wird?«

Lewin fühlte sich in diesem Augenblicke so fest und ruhig, daß keine Antwort, mochte sie lauten wie sie wollte, ihn hätte aufregen können. Aber das hätte er doch nicht erwartet, was Stefan Arkadjewitsch ihm mitteilte.

»Sie hat nicht daran gedacht zu heiraten, und denkt auch jetzt nicht daran; aber sie ist sehr krank und die Arzte haben sie in das Ausland geschickt. Man fürchtet sogar für ihr Leben.«

»Was sagst du da!« schrie Lewin. »Sie ist sehr krank? Was hat sie? Wie ist sie« –

Im nämlichen Augenblick, als sie dies sprachen, spitzte Laska die Ohren und richtete den Blick erst nach dem Himmel, dann vorwurfsvoll auf die Sprechenden.

»Habt Ihr gar so viel Zeit gefunden, um plaudern zu können?« schien der Hund zu denken, »und dort stiegt eine Schnepfe, da ist sie – sie werden sie verpassen.«

Aber im selben Moment vernahmen die beiden Freunde das durchdringende Pfeifen, welches sich ihnen gleichsam in die Ohren drängte, und sie faßten plötzlich ihre Gewehre. Zwei Blitze zuckten auf und zwei Donnerschläge hallten in dem nämlichen Augenblick. Die hochsteigende Schnepfe ließ augenblicklich ihre Flügel matt fallen und stürzte in den Hain herab, die zarten Schößlinge knickend.

»Ausgezeichnet! Die ist uns beiden!« rief Lewin und eilte mit Laska in den Hain, um die Schnepfe zu suchen. »Weshalb war mir dies unangenehm gewesen,« dachte er jetzt bei sich. »Also Kity krank. Was ist da zu thun? Das ist recht traurig? – Aha, jetzt hat er sie gefunden! Mein kluges Tier,« sagte er, den noch warmen Vogel aus dem Maule Laskas nehmend und denselben in die fast schon gefüllte Jagdtasche steckend. »Ich habe sie gefunden, Stefan!« rief er.

16.

Während Lewin nach Hause zurückkehrte, erkundigte er sich nach allen Einzelheiten der Krankheit Kitys und nach den Plänen der Schtscherbazkiy und obwohl es ihm schwer gefallen wäre, dies zugestehen zu müssen, so verursachte ihm doch das, was er vernahm, ein Gefühl der Genugthuung.

Ein Gefühl der Genugthuung verursachte es ihm deshalb, weil nun noch Hoffnung war, und noch mehr deshalb, weil sie Schmerzen litt, sie, die ihm so weh gethan.

Als indessen Stefan Arkadjewitsch von den Ursachen der Krankheit Kitys zu reden begann und den Namen Wronskiys erwähnte, unterbrach ihn Lewin:

»Ich habe keinerlei Recht, mich nach den intimen Einzelheiten zu erkundigen, und um die Wahrheit zu sagen, ja auch keinerlei Interesse daran.«

Stefan Arkadjewitsch lächelte kaum merklich; er fing wohl die momentane ihm so bekannte Veränderung in den Zügen Lewins auf, die jetzt so finster wurden, wie sie eine Minute zuvor noch heiter gewesen waren.

»Hast du denn schon völlig abgeschlossen betreffs des Waldes mit Rjabinin?« frug Lewin.

»Ja; ich bin in Ordnung; der Preis ist recht gut; achtunddreißigtausend Rubel. Acht im voraus, die übrigen in sechs Jahren. Ich habe lange Zeit geschwankt, aber kein Mensch gab mehr.«

»Das heißt, du giebst den Wald umsonst weg,« bemerkte Lewin finster.

»Weshalb denn umsonst?« frug Stefan Arkadjewitsch mit gutmütigem Lächeln, Wohl wissend, daß in diesem Augenblick nichts für Lewin sich der Billigung erfreuen würde.

»Weil der Wald zum mindesten fünfhundert Rubel jede Desjatine wert ist.« versetzte Lewin.

»Ach, über diese Gutsherren,« rief scherzend Stefan Arkadjewitsch. »Das ist eben Euer Ton der Geringschätzung gegenüber den Standesgenossen aus der Stadt. Wie wir auch handeln, wir glauben stets, am besten gehandelt zu haben! Glaube mir, ich habe alles reiflich überlegt und überdacht,« sagte er, »der Wald ist sehr vorteilhaft verkauft, so daß ich im Grunde nur noch fürchten muß, er könnte plötzlich von der Abschließung des Geschäftes zurücktreten. Der Wald ist übrigens nur zu Brennholz zu gebrauchen und hält nicht mehr als dreißig Saschen auf die Desjatine; er aber gab mir zweihundert Rubel für die Desjatine.«

Lewin lächelte geringschätzig.

»Ich weiß,« dachte er, »daß diese Manier nicht nur ihm eigen ist; sie ist allen den vornehmen Stadtherren charakteristisch, die da innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren vielleicht zweimal im ganzen auf dem Dorfe draußen sind und nachdem sie einige Begriffe vom Landleben aufgeschnappt haben, dieselben sofort richtig oder falsch anwenden und damit schon der festen Meinung sind, sie verständen die Landwirtschaft aus dem Grunde. Er sagt dreißig Saschen Holz enthielt in seinem Walde eine Desjatine? Da spricht er eben einfach, ohne etwas zu verstehen. »Ich will dich nicht im entferntesten belehren bezüglich dessen, was du in deinem Amte arbeitest,« fuhr Lewin fort, »ja, wenn es erforderlich ist, werde ich dich selbst um Rat fragen. Aber bist du ebenso sicher überzeugt, daß du die Forstwissenschaft genau kennst? Dieselbe ist sehr schwierig. Hast du einmal deine Bäume gezählt?«

»Was Bäume zählen?« sagte Stefan Arkadjewitsch lachend, in dem beharrlichen Bestreben, den Freund seiner inneren Mißstimmung zu entreißen. »Das wäre Sandkörner zählen, oder die Strahlen der Planeten berechnen, obwohl eine hochstehende Intelligenz« –

»Ja wohl, aber die hochstehende Intelligenz bedeutet hier Rjabinin. Kein Kaufmann kauft, ohne zu rechnen, wenn man ihm nicht etwas umsonst giebt, wie du dies jetzt thust. Ich kenne deinen Wald genau, denn alljährlich bin ich dort auf der Jagd» Er ist fünfhundert Rubel bares Geld nach der Desjatine wert, während er dir nur zweihundert – und noch obenein auf Raten – zahlen will. Das bedeutet ganz einfach so viel, daß du ihm eben dreißigtausend Rubel schenkst.«

»Du wirst mich nicht so leicht eines anderen belehren können,« erwiderte Stefan Arkadjewitsch ebenfalls mitleidig, »weshalb hat denn kein Mensch einen höheren Preis auf den Wald geboten?«

»Deshalb, weil er mit den Kaufleuten einig ist; er hat ihnen einfach ein Verzichtgeld gegeben. Ich habe mit ihnen allen zu thun gehabt, und kenne sie genau; das sind ja überhaupt keine eigentlichen Kaufleute, sondern nur Wucherer. Rjabinin geht gar nicht an ein Geschäft, bei dem er etwa nur zehn oder fünfzehn Prozent verdiente, sondern er wartet, bis er für zwanzig Kopeken einen Rubel kaufen kann.«

»Genug nun! Du bist heute nicht bei Laune?«

»Keineswegs,« versetzte Lewin mürrisch, als beide vor dem Hause anfuhren.

Vor der Freitreppe stand bereits eine stark mit Eisen und Leder beschlagene kleine Tjelega mit einem wohlgefütterten, an breiten straffgespannten Kummetriemen eingespannten Pferde.

In dem Wagen saß steif, rot wie ein Krebs und straff, gegürtet ein Handlungsdiener, welcher Kutscherdienste für Rjabinin versah.

Dieser selbst befand sich schon im Hause; er begegnete den beiden Freunden im Vorzimmer. Rjabinin war ein hochgewachsener hagerer Mann in mittleren Jahren; er trug einen Schnurrbart und glattrasiertes Kinn; seine Augen zeichneten sich durch einen trüben glotzenden Schein aus. Bekleidet war er mit einem langschoßigen blauen Überrock, dessen Knöpfe tief unter das Gefäß reichten und hohen Stiefeln, die unten faltig waren und dann bis an die Waden herauf glatt standen. Über die Stiefeln hatte er große Galoschen gezogen.

Er wischte sich das Gesicht im Kreise herumfahrend mit dem Taschentuch ab, und bewillkommnete, den Überzieher zuknöpfend, der ihm schon ohnehin sehr gut saß, lächelnd die Eintretenden, Stefan Arkadjewitsch die Hand entgegenstreckend als wünsche er etwas von ihm zu nehmen.

»Seid Ihr also auch angekommen,« sagte Stefan Arkadjewitsch, ihm die Hand reichend. »Schön so.« –

»Ich wagte es nicht, die Weisung Ew. Excellenz zu überhören, obwohl der Weg allerdings gar zu schlecht war. Ich habe thatsächlich den ganzen Weg zu Fuß gehen müssen, bin aber doch zur rechten Zeit noch eingetroffen. Konstantin Dmitritsch, meine Hochachtung,« wandte er sich hierauf an Lewin, sich bemühend, auch dessen Hand ergreifen zu können.

Indessen Lewin runzelte die Stirn; er gab sich den Anschein, als bemerke er die dargebotene Hand gar nicht und langte die Schnepfen aus der Jagdtasche heraus.

»Habt Ihr Euch auf der Jagd amüsiert? Was ist das für ein Vogel da?« fügte er hinzu, geringschätzig auf die Schnepfen blickend, »er ist gewiß recht schmackhaft.«

Mißbilligend schüttelte er den Kopf, als zweifle er außerordentlich daran, daß solch ein Braten die Brühe wert sein könne.

»Wünscht man ins Kabinett?« sagte Lewin, sich verfinsternd, auf französisch zu Stefan Arkadjewitsch. »Begebt euch ins Kabinett, ihr könnt dort Rücksprache nehmen.«

»Geht ganz gut; wo es gefällig ist,« bemerkte Rjabinin mit nachlässiger Würde, gleich als wünsche er fühlen zu lassen, daß es wohl für Andere Schwierigkeiten dabei geben könne, wie und mit wem man Umgang pflege, für ihn aber nie und in keiner Beziehung.

In das Kabinett eintretend, blickte sich Rjabinin nach seiner Gewohnheit um, als suche er das Heiligenbild, bekreuzte sich indessen nicht, als er es entdeckt hatte. Er schaute sich die Schränke und Bücherregale an, lächelte mit dem nämlichen Ausdruck des Zweifels und der Geringschätzung wie über die Schnepfen, und schüttelte mißbilligend den Kopf, durchaus nicht zugebend, daß auch dieser Braten die Brühe wert sein könne.

»Nun, habt Ihr Geld mitgebracht?« frug Oblonskiy, »setzt Euch.«

»Auf das Geld kommt es jetzt noch nicht an. Um uns zu sehen, bin ich eigentlich nur gekommen, und um mit Euch Rücksprache zu nehmen.«

»Worüber denn noch? Aber setzt Euch doch!«

»Bin so frei,« antwortete Rjabinin und setzte sich in einer Lage in den Lehnstuhl, die er sich, gegen die Lehne gestemmt unmöglich noch unbequemer machen konnte.

»Ihr müßt noch nachlassen, Fürst, es ist gar zu schlimm so. Das Geld liegt bereit bis auf die Kopeke; nach der Zahlung giebt es keinen Rücktritt mehr.«

Lewin hatte während dieses Gesprächs sein Gewehr in den Schrank gestellt, und wollte soeben das Zimmer verlassen. Als er indessen die Worte des Kaufmanns vernahm, blieb er stehen.

»Also habt Ihr den Wald umsonst genommen?« sagte er. »Der Herr ist leider zu spät zu mir gekommen, sonst würde ich den Preis bestimmt haben.«

Rjabinin stand auf und schwieg, blickte aber lächelnd von unten her an Lewin hinauf.

»Ihr seid sehr sparsam, Konstantin Dmitritsch,« begann er lächelnd, indem er sich zu Stefan Arkadjewitsch wandte.

»Man kann bei dem Herrn entschieden nichts kaufen; ich hatte Weizen bei ihm einhandeln wollen und gutes Geld geboten.«

»Warum soll ich Euch mein Eigentum umsonst geben? Ich habe es doch auch nicht auf der Erde gefunden, und auch nicht gestohlen.«

»Entschuldigt; in heutiger Zeit ist es ausgesprochenermaßen unmöglich, zu stehlen. Unsere Zeit kennt eine geregelte Gesetzpflege, alles ist jetzt in bester Ordnung. Wir haben als Ehrenmänner miteinander verhandelt, er will seinen Wald sehr teuer verkaufen und nichts davon ablassen, ich aber bitte nur um eine geringe Ermäßigung.«

»Ist denn Euer Geschäft abgeschlossen? Wenn es abgeschlossen ist, so giebt es nichts mehr zu handeln, wenn nicht,« sagte Lewin, »so werde ich den Wald kaufen.«

Das Lächeln von den Zügen Rjabinins war plötzlich verschwunden. Ein habichtartiger, schurkenhafter und harter Ausdruck zeigte sich auf denselben. Mit den schnellen hageren Fingern nestelte er seinen Überrock auf, öffnete seine Brust vorn, die kupfernen Knöpfe der Weste mit der goldenen Uhrkette und langte schnell eine dicke alte Brieftasche hervor.

»Bitte sehr, der Wald ist mein,« sagte er, sich schnell bekreuzend und die Hand vor sich streckend. »Nehmt hier das Geld, mein ist der Wald. So handelt Rjabinin und nach Groschen wird hier nicht gefeilscht,« fügte er hinzu, die Stirne runzelnd und die Brieftasche schwingend.

»An deiner Stelle würde ich doch nicht so hastig sein,« sagte Lewin.

»Aber, bitte, ich habe mein Wort gegeben,« bemerkte Oblonskiy verwundert.

Lewin verließ das Gemach und schlug die Thür hinter sich zu, Rjabinin aber, ihm nachblickend, schüttelte lächelnd den Kopf.

»Das ist eben die Jugend, entschieden nur die Jugend. Ich kaufe den Wald, glaubt mir auf Ehre, nur des Rufes halber, daß eben Rjabinin und kein anderer von Oblonskiy einen Wald gekauft hat. Gott wird mir helfen, meine eigene Rechnung dabei zu finden. Glaubt mir bei Gott! Gestattet, wir wollen den Vertrag aufsetzen« –

Nach Verlauf einer Stunde knöpfte sich der Kaufmann seinen Leibrock und den Überzieher wieder zu, den Kaufvertrag in der Tasche, setzte sich alsdann in seine Tjelega und fuhr heim.

»O, diese vornehmen Herren,« meinte er zu dem Verwalter, »sie sind immer die nämlichen.«

»Ja wohl,« versetzte der Verwalter, dem Kaufmann die Zügel reichend und das lederne Schutztuch festknöpfend.

»Wie stände es denn mit einem kleinen Geschäftchen unter der Hand, Michail Ignatjitsch?«

»Nun, wir wollen einmal sehen.« –

17.

Stefan Arkadjewitsch stieg, die Tasche strotzend voll von dem Papiergeld, welches ihm auf drei Monate im voraus von dem Händler ausgezahlt worden war, zur Treppe hinauf.

Das Geschäft mit dem Walde war abgeschlossen, das Geld war in seiner Tasche, der Anstand auch vorzüglich und er befand sich infolge dessen in heiterster Stimmung; gerade deswegen aber wünschte er sehr, die üble Stimmung, welche Lewin übermannt zu haben schien, zu zerstreuen.

Er wollte den Tag bei dem Abendessen ebenso angenehm beenden, wie er begonnen worden war.

Lewin befand sich in der That nicht bei guter Laune, und er vermochte es ungeachtet aller Anstrengungen, liebenswürdig und freundlich dem teuren Besuch gegenüber zu sein, nicht über sich zu gewinnen, diese Stimmung zu siegen.

Der Freudenrausch über die Nachricht, daß Kity noch nicht geheiratet hatte, begann ihn etwas abzulenken. Kity war also nicht vermählt, und sie war krank, krank von der Liebe zu einem Menschen der sie verachtet haben mußte. Diese Schmach traf auch ihn in gewisser Beziehung mit. Wronskiy hatte sie verschmäht und sie hatte ihn selbst von sich gewiesen, ihn, Lewin. Wronskiy hatte folglich das Recht auch auf Lewin verächtlich herabzublicken und war demnach sein Feind.

Aber klar zu denken hatte Lewin all das nicht vermocht. Er fühlte nur dunkel, daß in der ganzen Angelegenheit etwas für ihn Kränkendes liege, und zürnte sich jetzt selbst, aber nicht über die Nachricht, die ihn wiederum seines seelischen Gleichgewichts beraubt hatte; er war überhaupt in der Stimmung mit allen, was ihm in den Weg kam, Händel zu suchen.

Der thörichte Verkauf jenes Waldes, der Betrug dem Oblonskiy zum Opfer gefallen, und der sich sogar in seinem Hause vollziehen mußte, versetzte ihn in lebhaftesten Zorn.

»Nun, bist du denn fertig?« frug er den ihm oben entgegenkommenden Oblonskiy, »willst du essen?«

»Ich hätte durchaus nichts dagegen. Wunderbar, welchen Appetit man so auf dem Lande verspürt. Hast du Rjabinin nicht eingeladen, mit uns zu essen?«

»Zum Teufel mit dem!«

»Wie du den aber auch behandelt hast!« sagte Oblonskiy, »nicht einmal die Hand hast du ihm gegeben. Weshalb kann man denn das nicht?«

»Deshalb, weil ich einem Lakaien keine Hand gebe, und ein Lakai noch immer hundertmal besser ist, als dieser Mensch.«

»Wie du doch bist; stets auf den Hinterfüßen! Was sagt hierzu der gesellschaftliche Verkehr?« erwiderte Oblonskiy.

»Wer solchen mit ihm pflegen will, – dem wünsche ich wohl bekomms, mir ist er widerlich.«

»Du bist eben, wie ich sehe, durchaus Opponent.«

»Mag sein; ich habe niemals darüber nachgedacht, was ich eigentlich bin. Ich bin – Konstantin Lewin – weiter nichts.« –

»Und zwar ein Konstantin Lewin, welcher nicht besonders bei Laune ist,« sagte Stefan Arkadjewitsch lächelnd.

»Ja wohl, ich bin nicht bei Laune, und willst du wissen, weshalb? Wegen deiner – entschuldige mich – deiner Dummheit bei dem Verkauf des Waldes.«

Stefan Arkadjewitsch schmunzelte gutmütig, wie ein Mensch, den man unschuldig beleidigt und beunruhigt.

»Nun, genug jetzt! Hat es wohl schon ja auf Erden einen Menschen gegeben, der einmal etwas verkauft hat, und dem man nicht sogleich nach dem Verkauf gesagt hätte, die betreffende Sache sei bei weitem mehr wert? Solange er aber verkaufen will, bietet kein Mensch etwas! Nein, nein, ich sehe wohl, daß du gegen diesen unglückseligen Rjabinin einen gewissen Groll hegst.«

»Mag sein, daß es auch wirklich so ist. Willst du aber auch wissen warum? Du wirst freilich wieder sagen, ich sei widerspenstig, oder sonst eine entsetzliche Bezeichnung auf mich anwenden; aber unter allen Umständen ist es für mich traurig und ich möchte sagen beleidigend, zu sehen, wie sich von allen Seiten her die Verarmung des Adels vollzieht; auch ich gehöre zu em Adel und bin,trotz aller Etikettevorschriften froh, zu ihm zu gehören. Die Verarmung ist keine Folge des Luxus. Dieser könnte doch nicht die Ursache dazu sein, denn das Leben auf dem großen Fuße – das ist ja die einzige Beschäftigung, welche die Adligen eben nur verstehen! Jetzt kaufen die Bauern bei uns in der Umgegend sich Boden auf – ich bin darüber nicht ungehalten. Der Herr thut nichts, der Bauer arbeitet und verdrängt einfach den Müßiggänger. So muß es sein, und ich freue mich über den Bauer, aber mir ist es ärgerlich zu sehen, wie diese Verarmung des Adels in gewisser Weise ohne ein – ich weiß nicht wie ich es nennen soll – Verschulden desselben eintritt! Kauft da ein polnischer Pächter von einer adligen Dame, welche in Nizza lebt, ein herrliches Gut für den halben Preis den es Wert ist. Dort giebt man einem Kaufmann die Desjatine Boden für einen Rubel in Pacht, während sie zehn wert ist. Und heute hast du diesem Schufte da ohne jede Ursache dreißigtausend Rubel geschenkt.«

»Aber, soll ich denn wirklich jeden einzelnen Baum berechnen?«

»Natürlich! Du mußt das! Du freilich hast nicht gezählt, aber Rjabinin hat dies gethan. Die Kinder Rjabinins werden Mittel haben zum Leben und zu ihrer Ausbildung, deine aber vielleicht einmal nicht!«

»Nun, entschuldige, aber es liegt doch etwas recht Mühseliges in dieser Berechnung. Wir haben doch eben unseren Beruf, jene hingegen haben den ihrigen, und sie müssen um Gewinn arbeiten. Die Sache ist übrigens abgeschlossen und vorüber. – Da kommt ja auch unser Mauläffchen und mein liebes Herzblättchen. Agathe Michailowna wird uns wohl diesen wundersamen Schtschi vorsetzen.«

Stefan Arkadjewitsch setzte sich an den Tisch und begann mit Agathe Michailowna zu scherzen, indem er ihr versicherte, daß er ein solches Abendessen lange Zeit nicht genossen habe.

»Ihr lobt mich wenigstens einmal,« meinte Agathe Michailowna, »aber Konstantin Dmitritsch ißt was ich ihm vorsetze, und geht dann ruhig vom Tische; wäre auch nur eine Brotrinde darauf gewesen.« –

Soviel sich Lewin auch bemühte, sich selbst zu beherrschen, er blieb mürrisch und schweigsam. Er hatte noch eine Frage für Stefan Arkadjewitsch auf dem Herzen, aber er vermochte sich nicht dazu zu entschließen, und konnte auch die Form nicht finden, ebensowenig wie den rechten Augenblick, wo er sie stellen könne.

Stefan Arkadjewitsch war bereits in sein Zimmer hinabgestiegen und hatte sich bereits ausgekleidet. Er wusch sich nochmals, hüllte sich in sein Nachthemd von feinster Seide und legte sich nieder, während Lewin noch immer bei ihm im Gemach verweilte, von den verschiedensten Kleinigkeiten sprechend, aber noch immer nicht imstande, zu fragen, was er fragen wollte.

»Wie wunderbar fabriziert man doch die Seife,« sagte er, ein Stück wohlriechender Seife besehend und es in den Händen wendend; Agathe Michailowna hatte es dem Gaste hingelegt, aber Oblonskiy war nicht dazu gekommen Gebrauch davon zu machen. »Das muß einer sehen, was das für ein Kunsterzeugnis ist.«

»Ja; wie weit geht nicht heutzutage die allgemeine Vervollkommnung,« sagte Stefan Arkadjewitsch, wohlgefällig gähnend. »In den Theatern zum Beispiel, und dann jene erheiternden – ah, ah, ah,« gähnte er wieder – »auch das elektrische Licht jetzt überall, ah, ah, ah« –

»Ja, – das elektrische Licht,« sagte Lewin; »übrigens, wo ist denn eigentlich Wronskiy jetzt,« frug er, plötzlich das Stück Seife weglegend.

»Wronskiy?« echote Stefan Arkadjewitsch, ein Gähnen unterdrückend, »er ist in Petersburg. Er fuhr bald nach dir von Moskau weg und ist nicht ein einziges Mal nach dem wieder hier gewesen. Weißt du lieber Konstantin ich will dir die Wahrheit sagen« – fuhr Stefan fort, sich auf den Tisch stützend und sein hübsches rosiges Gesicht auf den Arm legend, wobei seine Augen gutmütig und schlafselig schimmerten, wie zwei Sterne, »du bist selbst an der ganzen Sache schuld gewesen. Du hast dich vor deinem Rivalen gefürchtet. Und doch habe ich dir damals gesagt, ich wisse nicht, auf wessen Seite mehr Chancen wären. Warum bist du denn nicht in die Bresche getreten? Ich sagte dir damals, daß« – er gähnte nur mit den Kiefern, ohne den Mund dabei zu öffnen.

»Weiß er oder weiß er nicht, daß ich ihr eine Erklärung gemacht habe?« frug sich Lewin, auf Stefan schauend. »Es ist etwas Verschlagenes, Diplomatisches in seinem Gesicht,« dachte er, schweigend und in dem Gefühl, daß er errötete, Stefan Arkadjewitsch voll ins Auge blickend.

»Wenn Kity damals irgendwie beeinflußt gewesen sein sollte, so war dies höchstens eine Bezauberung infolge aufgebotener Grazie seitens Wronskiys,« fuhr Oblonskiy fort, »weißt du, jener vollendete Aristokratenton und eine künftige hervorragende Stellung in der hohen Welt hatten nicht auf Kity gewirkt, sondern nur auf die Mutter derselben.«

Lewin runzelte die Stirn. Die Kränkung der Abweisung, welche er hatte erfahren müssen, schmerzte jetzt wieder in seinem Herzen wie eine frische, eben erst empfangene Wunde. Aber er war daheim und hier fühlte er sich auf seinem eigenen Grund und Boden.

»Halt ein, halt ein,« rief er, Oblonskiy unterbrechend, »du sagst, der Aristokratenton! Gestatte mir doch die Frage, worin besteht eigentlich die Aristokratie Wronskiys oder sonst eines beliebigen Menschen, eine Aristokratie, welche sich berufen fühlen dürfte, mich zu verachten? Du hältst Wronskiy für einen Aristokraten – ich nicht! – Ein Mensch, dessen Vater sonstwo aufgetaucht ist, dessen Mutter einst, Gott weiß mit wem allen, in Beziehungen gestanden hat – nein, du mußt schon entschuldigen, aber ich meinesteils halte mich selbst nur für einen Aristokraten und alle diejenigen, die mir ähnlich sind, welche in der Geschichte ihrer Familie auf drei oder vier ehrenhafte Generationen zurückweisen können, die sich auf dem höchsten Standpunkte der Bildung befanden – die Begabung an sich selbst und der Verstand ist Sache für sich – und welche niemals, und vor niemand sich erniedrigt haben, und nie der Hilfe anderer benötigten – so wie dies mein Vater und mein Großvater gethan! Und ich kenne gar viele solcher Leute! Es scheint dir niedrig, daß ich die Bäume im Walde zähle, du aber schenkst Rjabinin lieber dreißigtausend Rubel; natürlich, du empfängst ja auch Gehalt und ich weiß nicht was sonst noch, ich aber nicht, und deshalb halte ich mein väterliches Erbe, das mühsam erworbene, hoch und wert. Wir sind die Aristokraten, nicht diejenigen, welche nur von den Spenden der Großen dieser Erde existieren können, und die man für wenige Heller erkaufen kann.«

»Wen meinst du denn eigentlich? Ich bin völlig mit dir einverstanden,« antwortete Stefan Arkadjewitsch aufrichtig und heiter, obwohl er recht gut empfand, daß Lewin unter dem Namen derer, welche man für wenige Heller kaufen könne, auch seine Persönlichkeit mit gemeint sei. Die Aufregung Lewins gefiel ihm in Wahrheit. »Wen meinst du denn eigentlich? Obwohl vieles nicht richtig ist, was du von Wronskiy sprichst, so will ich doch kein Wort darüber verlieren. Ich sage dir offen, an deiner Stelle würde ich mit nach Moskau fahren« –

»Niemals; ich weiß freilich nicht, ob dir etwas Gewisses bekannt oder unbekannt ist; mir ist dies völlig gleich; jedenfalls aber will ich dir sagen, daß ich eine Erklärung gegeben und eine Zurückweisung erfahren habe und daß Katharina Aleksandrowna heute für mich nur noch eine bittere und mich selbst entehrende Erinnerung ist.«

»Weshalb denn? Das ist ein Unsinn!«

»Wir wollen nicht weiter reden. Entschuldige mich gefälligst, wenn ich zu schroff gegen dich war,« sagte Lewin. Jetzt nachdem er sich ausgesprochen hatte, war er wieder der Nämliche, der er am Morgen dieses Tages gewesen. »Du zürnest mir doch nicht, Stefan? Ich bitte dich, nicht ungehalten auf mich zu sein?« Lächelnd nahm er Stefan Arkadjewitschs Hand.

»Nein, nein, durchaus nicht; ich wüßte auch nicht, warum. Freue ich mich doch vielmehr, daß wir uns einmal gegenseitig ausgesprochen haben. Aber weißt du, ein Morgenanstand wäre etwas Herrliches. Wollen wir nicht fahren? Ich würde dann gar nicht schlafen, sondern mich direkt vom Anstand zur Bahnhofstation begeben.«

5.

Stefan Arkadjewitsch hatte in der Schule gut gelernt, dank seinen guten Anlagen, aber er war faul und müßig, gewesen und hatte daher zu den Letzten gehört; ungeachtet seines stets zerstreuten Lebens aber, seines niederen Ranges und seiner Jugend, bekleidete er die ehrenvolle, mit gutem Gehalt dotierte Stelle eines Natschalnik in einem der moskauer Gerichtshöfe. Er hatte dieses Amt erhalten durch den Gatten seiner Schwester Anna, den Alexey Alexandrowitsch Karenin, der eine der höchsten Stellen in dem Ministerium inne hatte, zu welchem jener Gerichtshof gehörte. Hätte indessen Karenin seinen Schwager nicht in dieses Amt bestellt, so würde dieser mit Hilfe von hundert anderen Persönlichkeiten, Brüdern, Schwestern, Verwandten, Vettern, Onkeln und Tanten dieses Amt oder ein dem entsprechendes mit sechstausend Rubel Gehalt erlangt haben, so wie er sie brauchte, da seine Verhältnisse trotz des bedeutenden Vermögens seiner Frau, derangiert waren.

Halb Moskau und Petersburg war ihm verwandt, mit Stefan Arkadjewitsch befreundet. Er war geboren inmitten jener Menschen, welche die Macht in dieser Welt waren oder bildeten. Ein Drittel der Männer aus der Staatsverwaltung war mit seinem Vater befreundet und hatte ihn schon im Kinderhemdchen gekannt; ein anderes Drittel stand sich mit ihm auf »du«, und das dritte – waren lauter gute Freunde von ihm selbst; es ergab sich hieraus, daß alle die Spender der irdischen Güter in Gestalt von Staatsämtern, Arenden, Konzessionen und ähnlichen Dingen dieser Art, sämtlich mit ihm befreundet waren und ihn nicht unberücksichtigt lassen konnten. Oblonskiy brauchte sich auch gar nicht besonders zu bemühen, um ein fettes Amt zu erhalten; er brauchte nur die Annahme eines solchen nicht zu verweigern, niemandem mißgünstig zu sein, nicht zu streiten, niemandem zu nahe zu treten, kurz, nichts zu thun, was er nach seiner ihm eigenen Gutmütigkeit auch ohnehin niemals gethan haben würde. Es wäre ihm lächerlich erschienen, hatte man ihm gesagt, daß er nicht ein Amt mit einem Gehalte zugewiesen bekommen würde, wie er ihm notwendig war, umsoweniger, als er ja gar nichts Außergewöhnliches damit forderte. Er wollte nur das haben, was seine Altersgenossen erhalten hatten, und er konnte ein Amt von der nämlichen Art nicht minder gut ausfüllen, als jeder andere.

Stefan Arkadjewitsch liebten nicht nur alle diejenigen, die ihn in seiner gutmütigen, heiteren Sinnesart, seiner untadelhaften Ehrenhaftigkeit kennen gelernt hatten, sondern es lag überhaupt in ihm, in seiner hübschen, freundlichen Erscheinung, seinen blitzenden Augen, schwarzen Augenbrauen, Haaren, seinem weißen und rosigen Gesicht etwas physisch Wirkendes, was alle Menschen freundschaftlich und erheiternd anmutete, die mit ihm in Berührung kamen. Kam es einmal vor, daß nach einer Unterhaltung mit ihm sich ergab, es sei nichts gerade Lustiges dabei gewesen, so freute sich doch jedermann – schon am nächsten oder übernächsten Tage – ganz ebenso wieder wie das erste Mal, – über eine neue Begegnung mit ihm.

Seit drei Jahren im Besitz des Amtes des Natschalnik eines der Gerichtshöfe in Moskau, hatte sich Stefan Arkadjewitsch neben der Liebe auch die Achtung seiner Amtskollegen, untergebenen Natschalniks und aller derer erworben, die mit ihm geschäftlich zu thun hatten.

Die vorzüglichsten Eigenschaften Stefan Arkadjewitschs, die ihm diese allgemeine Achtung im Dienste erworben hatten, bestanden zuerst in einer außergewöhnlichen Leutseligkeit im Verkehr, die in ihm auf der Erkenntnis der Mängel seines Ichs beruhte, zweitens in einer vollkommenen Liberalität, nicht jener, von welcher er in der Zeitung gelesen hatte, sondern in jener, die ihm im Blute lag, und mit welcher er in vollkommenem innerem Gleichgewicht mit jedermann verkehrte, welches Berufes und Standes er immer auch sein mochte; drittens – was das Wichtigste war – in einer vollkommenen Kaltblütigkeit gegenüber den Gegenständen, mit denen er sich zu befassen hatte, kraft deren er sich niemals hinreißen ließ und nie Fehler machte.

Nachdem Stefan Arkadjewitsch am Platze seiner Amtswaltung angelangt war, begab er sich begleitet von dem ehrerbietigen Portier der das Portefeuille trug, in sein kleines Kabinett, legte die Uniform an und verfügte sich in das Gerichtszimmer. Die Schreiber und Beamten erhoben sich sämtlich mit freundlichem und ehrerbietigem Gruße. Stefan Arkadjewitsch ging eilig, wie er dies stets zu thun pflegte, nach seinem Platze, drückte den Mitgliedern die Hände und nahm Platz. Er scherzte ein wenig, sprach ruhig wie viel sich eben gerade schickte, und widmete sich dann seiner Arbeit.

Niemand verstand es besser als Stefan Arkadjewitsch, jene Grenze in Selbständigkeit, in Einfachheit und im amtlichen Verkehr zu finden, welche zu einer angenehmen amtlichen Thätigkeit notwendig ist. Der Sekretär trat freundlich und ehrerbietig wie jedermann im Gerichtshof Stefan Arkadjewitschs mit den Papieren zu diesem heran und sprach in dem nämlichen familiär liberalen Tone mit ihm, wie er eben durch ihn erst eingeführt worden war.

»Wir haben gewisse Nachrichten von der Regierung des Gouvernement Penza erhalten. Hier sind sie, wäre es vielleicht gefällig« –

»Haben wir sie endlich erhalten?« antwortete Stefan Arkadjewitsch, die Akten mit dem Finger zuschlagend. »Also frisch ans Werk, meine Herren!« und die Gerichtssitzung begann.

»Wenn sie wüßten,« dachte er, mit ausdrucksvoller Miene das Haupt bei dem Anhören des Referats neigend, »welch ein arger Sünder eine halbe Stunde vor diesem Augenblick der Präsident dieser Sitzung war!« Sein Blick aber lächelte bei der Verlesung des Referats. Zwei Stunden vergingen nun vorschriftsmäßig und ohne Unterbrechung in den Amtsgeschäften, nach Verlauf dieser Zeit jedoch trat die Frühstückspause ein.

Noch nicht zwei Stunden waren vergangen, als sich die großen Glasthüren des Saales plötzlich öffneten und jemand hereintrat. Alle Mitglieder der Sitzung schauten, gleichsam wie bei einer photographischen Aufnahme, erfreut über die willkommene Zerstreuung, nach der Thür, aber der Wächter, welcher dort postiert war, trieb den Eingedrungenen sogleich wieder zurück und schloß hinter ihm von neuem die Glasthür.

Als die Aktenlektüre beendet war, erhob sich Stefan Arkadjewitsch, streckte sich, zog in Gegenwart der Sitzungsmitglieder eine Cigarette hervor und begab sich, diesen noch großmütig eine vorzeitige Muße schenkend, in sein Kabinett. Seine beiden Kollegen, der altgediente Nikitin, und der Kammerjunker Grinjewitsch, folgten ihm.

»Nach dem Frühstück wollen wir die Sache vollends erledigen,« sagte Stefan Arkadjewitsch.

»Wir werden schon fertig werden,« meinte Nikitin.

»Ein echter Verschwender muß aber doch dieser Thomitsch sein,« bemerkte Grinjewitsch in Hinblick auf eine von den Persönlichkeiten, welche an dem Prozeß beteiligt waren, den man soeben behandelt hatte.

Stefan Arkadjewitsch runzelte die Stirn bei diesen Worten Grinjewitschs, und gab diesem damit zu verstehen, daß es nicht angemessen sei, vorzeitig ein Urteil auszusprechen; er antwortete nichts auf Grinjewitschs Bemerkung.

»Wer war denn vorhin hereingekommen?« frug er den Wächter.

»Irgend jemand, Ew. Excellenz, war ohne angefragt zu haben eingetreten, ich hatte mich gerade wegbegeben. Man frug nach Euch, und ich beschied, daß wenn die Mitglieder der Sitzung herauskommen würden« –

»Wo ist der Mann?«

»Der Mann ging auf den Vorsaal hinaus und hat sich dort aufgehalten. Der dort ist es,« antwortete der Wächter, auf einen stark und kräftig gebauten Mann mit krausem Barte zeigend, der, ohne seine Schaffellmütze vom Kopfe zu nehmen, schnell und gewandt die ausgetretenen Stufen der steinernen Treppe hinaufstieg. Ein schmächtiger Beamter, welcher sich gerade mit einem Portefeuille unter den von oben Herabkommenden befand, war stehen geblieben und schaute mit verdächtigem Blicke nach den Füßen des Hinaufeilenden, worauf er sich mit fragendem Ausdruck nach Oblonskiy hinwandte.

Stefan Arkadjewitsch stand auf der Treppe. Sein gutmütiges Gesicht glänzte aus dem gestickten Kragen der Uniform nur noch mehr auf, nachdem er den Eilenden erkannt hatte.

»Da ist er ja! Lewin; endlich!« rief er mit vertraulichem und ironischem Lächeln dem ihm entgegenkommenden Lewin zu. »Wie kommt es denn, daß du es nicht verschmäht hast, mich in dieser Löwenhöhle aufzusuchen?« sagte Stefan Arkadjewitsch, nicht zufrieden, seinem Freunde die Hand zu drücken und ihm einen Kuß applizierend.

»Bist du schon lange hier?«

»Soeben bin ich angekommen, und mich verlangte sehr, dich zu sehen,« antwortete Lewin, befangen und zugleich auch aufgeregt und unruhig im Kreise umherblickend.

»Nun, komm, wir wollen in mein Kabinett gehen,« sagte Stefan Arkadjewitsch.

Er kannte die selbstbewußte und leicht gereizte Befangenheit seines Freundes, und zog ihn, nachdem er ihn bei der Hand genommen hatte, hinter sich her nach dem Kabinett, gleich als geleite er ihn durch Gefahren.

Stefan Arkadjewitsch stand sich auf »du« mit allen seinen Freunden; mit den Alten von sechzig Jahren, mit den jungen von zwanzig, mit Schauspielern und Ministern, mit Kaufleuten und Generaladjutanten, so daß sehr viele der mit ihm auf Brüderschaft stehenden sich auf den beiden Endpunkten der gesellschaftlichen Stufenleiter der Standesunterschiede befanden und sehr verwundert gewesen wären, wenn sie erfahren hätten, daß sie durch Oblonskiy etwas allgemein bindendes gemeinsam hatten?

Er stand auf du und du mit jedermann, mit dem er Champagner getrunken hatte, und er trank mit Allen Champagner; aus diesem Grunde aber verstand er auch, wenn er in Gegenwart seiner Untergebenen ihn herabwürdigende »Duzfreunde« traf, wie er viele seiner Freunde nannte, infolge des ihm eigenen Taktgefühls den unangenehmen Eindruck den dies auf die untergebenen Beamten machte, herabzustimmen. Lewin war nicht einer von denen, die durch das Duzen ihn erniedrigten, aber Oblonskiy in seinem Takte empfand, Lewin werde innerlich nicht wünschen können, daß er die beiderseitige Intimität so zum Ausdruck bringe, und deshalb beeilte er sich, ihn in das Kabinett zu führen.

Lewin war fast im nämlichen Alter mit Oblonskiy und er stand auf dem Duzfuße mit diesem nicht nur infolge des Champagnertrinkens. Lewin war Oblonskiys Kamerad und Freund von frühester Jugend auf; beide liebten einander ungeachtet der Verschiedenheit ihrer Charaktere und Geschmacksrichtung, wie sich eben nur Freunde lieben können, die von erster Jugend auf miteinander zusammen gewesen sind.

Aber nichtsdestoweniger, wie oft kommt es nicht unter den Menschen vor, daß wenn Zwei sich verschiedene Wirkungskreise erkoren haben, jeder von ihnen, wenn er auch die Thätigkeit des andern beurteilen kann und gutheißt, sie gleichwohl auf dem Grund seiner Seele verachtet. Jedem schien es, als wenn das Leben, welches er führe, allein ein wirkliches Leben sei, und daß das, welches der andere führe, nur eine Selbstüberschätzung sei. Oblonskiy konnte sich eines leichten, ironischen Lächelns beim Erblicken Lewins nicht erwehren. Es war dies stets der Fall, wenn er Lewin von dessen Dorfe nach Moskau kommen sah, denn was dieser eigentlich auf dem Dorfe trieb, das vermochte Stefan Arkadjewitsch niemals vollständig zu verstehen – es interessierte ihn aber auch herzlich wenig. –

Lewin kam nach Moskau stets in Aufregung, in Hast und Unruhe, in einer gewissen Beklemmung und mit einem gewissen Zorn über diese Beklemmung, hauptsächlich aber mit einer völlig naiven, urwüchsigen Anschauung der Dinge. Stefan Arkadjewitsch lachte darüber und liebte es dabei.

Ganz ebenso verachtete auch Lewin in seinem Innern sowohl die großstädtische Lebensweise seines Freundes und dessen. Amtstätigkeit, die er für höchst leer und nichtig hielt, und lachte wiederum über Oblonskiy. Aber der Unterschied lag darin, daß Oblonskiy, indem er that was alle thun, voll innerer Wahrheit und Gutmütigkeit lachte, während Lewin dies ohne jene Wahrheit und bisweilen voll Zornes that.

»Wir haben lange auf dich gewartet,« sagte Stefan Arkadjewitsch, in das Kabinett eintretend und die Hand Lewins loslassend, gleichsam als wolle er diesem damit zeigen, daß nun die Gefahren vorüber seien. »Ich freue mich herzlich, dich zu sehen,« fuhr er fort, »nun, was machst du? Wie geht es? Wann bist du angekommen?«

Lewin schwieg; er schaute auf die ihm unbekannten Gesichter der beiden Kollegen Oblonskiys und insbesondere auf die Hand des eleganten Grinjewitsch, die so schneeweiße schlanke Finger hatte, an deren Enden so lange, gelbliche zurückgebogene Nägel saßen, sowie auf die ungeheuren, glitzernden Knopfspangen auf dem Oberhemd; diese Hände hatten augenscheinlich all seine Aufmerksamkeit gefesselt, und gaben ihm keine Freiheit zu denken mehr. Oblonskiy bemerkte dies sogleich und lächelte.

»Ah, erlaubt, daß ich Euch bekannt mache,« sagte er.

»Meine Amtsbrüder: Philipp Iwanitsch Nikitin – Michail Stanislawitsch Grinjewitsch« – und fuhr hierauf fort, zu Lewin gewendet, »ein Landrichter, ein noch unverdorbener Mensch der Natur, ein Gymnast, der mit einer Hand fünf Pud aushebt, der Vieh züchtet und jagt und mein Freund ist, Konstantin Dmitrijewitsch Lewin, ein Bruder von Sergey Iwanowitsch Koznyscheff.«

»Sehr angenehm,« antwortete der Alte.

»Ich habe wohl die Ehre, Ihren Herrn Bruder zu kennen, den Sergey Iwanowitsch,« sagte Grinjewitsch, seine feine Hand mit den langen Nägeln Lewin reichend.

Dieser verzog das Gesicht, drückte ceremoniell die dargereichte Hand und wandte sich hierauf sogleich an Oblonskiy. Obwohl er eine hohe Achtung vor seinem in ganz Rußland bekannten einzigen Bruder, welcher Schriftsteller war, hegte, so vermochte er es doch nicht zu ertragen, wenn man sich an ihn nicht wie an Konstantin Lewin wandte, sondern an den Bruder des berühmten Koznyscheff.

»Nein, nein, ich bin kein Landrichter mehr; ich habe mit alledem gebrochen und werde zu keiner Bauernversammlung mehr fahren,« sagte er, sich an Oblonskiy wendend.

»So schnell ist das gegangen!« antwortete Oblonskiy lächelnd, »aber wie ist das geschehen, und weshalb?«

»Das ist eine lange Geschichte. Ich werde sie dir schon einmal erzählen,« versetzte Lewin, begann aber dabei schon im Augenblick zu berichten.

»Mit kurzen Worten; ich habe mich überzeugt, daß es keinen Wirkungskreis für den Zemstwo mehr giebt oder geben kann,« sagte er in einem Tone, als habe ihn soeben jemand beleidigt. »Einerseits ist er eine Spielerei; man spielt Parlament, und ich bin weder jung genug hierzu noch hinlänglich bejahrt, um an Spielzeugen Gefallen zu finden, andrerseits« – er gähnte – »ist er ein Mittel für die sogenannte Clique des betreffenden Landkreises, Geld zu verdienen. Früher gab es Vormundschaften, Gerichte, jetzt existiert das Semstwo, nicht unter der Flagge von Sportelschneiderei, sondern der des unverdienten Gehalts,« sprach er so hitzig, als habe jemand von den Anwesenden seine Meinung schon bestritten.

»Aha, da bist du ja, wie ich sehe, wiederum in einem neuen Entwicklungsstadium, in dem des Konservatismus,« sagte Stefan Arkadjewitsch. »Indessen, wir wollen doch später mehr hierüber sprechen.«

»Ja wohl. Später. Ich habe dich indessen einmal sehen müssen,« antwortete Lewin, scheel auf die Hand Grinjewitschs blickend.

Stefan Arkadjewitsch lächelte kaum merklich.

»Sagtest du nicht auch einmal, daß du nie und nimmermehr einen modernen Anzug anlegen würdest?« frug er, auf die Garderobe Lewins blickend, dessen Anzug augenscheinlich von einem französischen Tailleur gefertigt war. »Es ist schon so; ich sehe, daß hier eine neue Phase eingetreten ist.«

Lewin errötete plötzlich, doch er errötete nicht so, wie die erwachsenen Leute, also flüchtig, und ohne daß man selbst davon Notiz nimmt, sondern so wie Knaben erröten, welche fühlen, daß sie in ihrer Befangenheit lächerlich werden, und die infolge davon mehr und mehr Scham empfinden, röter und röter werden, und fast in Thränen ausbrechen.

So seltsam war es, dieses verständige, männliche Antlitz in solch einem knabenhaften Zustande zu sehen, daß selbst Oblonskiy abstand, es länger noch anzublicken.

»Aber wo wollen wir uns sehen? Ich muß dich ja so dringend sprechen,« fuhr Lewin fort.

Oblonskiy schien nachzudenken.

»Machen wir es so: Wir fahren zu Gurin frühstücken und dort können wir uns unterhalten; bis drei Uhr stehe ich zu deiner Verfügung.«

»Nein,« antwortete Lewin sinnend, »ich muß noch weiter fahren.«

»Gut; dann speisen wir Mittag zusammen.«

»Speisen? Ich will ja gar nichts Besonderes von dir, nur zwei Worte mit dir sprechen, dich etwas fragen; dann können wir uns meinethalben unterhalten.«

»Nun, so sag mir diese zwei Worte und nach dem Mittagessen können wir weiter reden.«

»Die zwei Worte sind diese,« sagte Lewin, »jedoch – sie haben nichts Besonderes.« –

Sein Gesicht nahm plötzlich einen zornigen Ausdruck an, welcher von dem Bestreben, seine innere Gepreßtheit zu unterdrücken herrührte.

»Was machen die Schtscherbazkiy? Steht es noch immer bei ihnen wie früher?« frug er.

Stefan Arkadjewitsch, welcher längst wußte, daß Lewin in seine Schwägerin Kity verliebt war, lächelte fast unmerklich, seine Augen blitzten aber heiter auf.

»Du sagtest mir zwar zwei Worte, ich aber bin nicht imstande, dir mit ebenso viel Worten nur zu antworten, denn – entschuldige auf einen Augenblick« –

Ein Sekretär trat mit Akten ein und näherte sich Oblonskiy mit freundlicher Ehrerbietung und einem gewissen, allen Sekretären gemeinsamen bescheidenen Selbstbewußtsein, welches hier hervorging aus dem Gefühl der Überlegenheit über seinen Vorgesetzten in der Kenntnis der Amtsgeschäfte. Der Sekretär begann mit fragendem Ausdruck eine Angelegenheit auseinanderzusetzen.

Stefan Arkadjewitsch legte ohne den Sekretär zu Ende zu hören, freundlich seine Hand auf den Arm desselben.

»Nein, nein, Ihr müßt schon so thun, wie ich gesagt habe,« antwortete er ihm, seine Weisung durch ein Lächeln abschwächend und kurz auseinandersetzend, wie er die Sache auffasse. Er nahm die Akten weg und sagte: »So also macht Ihr es gefälligst wohl, Zacharias Nikitin!«

Verwirrt entfernte sich der Sekretär.

Lewin hatte sich während der Zeit der Beratung mit demselben vollständig wieder von seiner Verlegenheit befreit; er stand jetzt, beide Arme auf einen Stuhl gestützt und auf seinem Gesicht zeigte sich eine ironische Aufmerksamkeit.

»Ich verstehe nicht, verstehe nicht,« sprach er.

»Was verstehst du nicht?« frug Oblonskiy, mit sonnigem Lächeln eine Cigarette hervorholend. Er erwartete von Lewin wieder eine seltsame Deduktion.

»Ich verstehe nicht, was Ihr da thut,« sagte Lewin, die Achseln zuckend. »Wie kannst du das vollen Ernstes thun?«

»Wovon sprichst du denn?«

»Nun, davon, daß – Ihr nichts thut!«

»So denkst du wohl, aber wir sind von Geschäften überhäuft.«

»Von papiernen. Mag sein, du hast eine besondere Anlage dazu,« bemerkte Lewin.

»Denkst du, daß ich etwa Mangel daran litte?«

»Ist nicht ganz unmöglich,« antwortete Lewin. Aber nichtsdestoweniger liebe ich deine Erhabenheit hier und bin stolz, daß ich einen so großen Mann zum Freunde habe. Du hast mir aber doch noch nicht auf meine Frage geantwortet,« fügte er hinzu, mit verzweifelter Anstrengung Oblonskiy gerade in das Auge schauend.

»Nun, gut, gut; warte noch ein wenig und du wirst schon noch hören. Es ist recht gut, wenn man nicht weniger als dreitausend Desjatinen Landes im Karazinsker Kreise besitzt und solche Muskeln hat wie du, solch eine Frische wie ein zwölfjähriges Mädchen – aber du kommst schon auch noch auf unseren Standpunkt. Was aber jenes andere anbetrifft, wonach du frugst, so ist von einer Veränderung nichts zu berichten; schade indessen ist es, daß du so lange nicht hier gewesen bist.«

»Ist etwas vorgefallen?« frug Lewin erschreckt.

»Nein, nichts,« antwortete Oblonskiy. »Wir werden schon noch weiter sprechen, warum aber bist du denn eigentlich nach Moskau gefahren?«

»O, davon werden wir gleichfalls nachher sprechen,« versetzte Lewin, wiederum bis an die Ohren errötend.

»Schön. Ich begreife,« äußerte Stefan Arkadjewitsch.

»Weißt du übrigens, ich würde dich zu mir einladen, allein meine Frau ist jetzt nicht recht gesund. Willst du indessen die Schtscherbazkiys heute sehen, so sind sie aller Wahrscheinlichkeit nach jetzt im Zoologischen Garten, von vier bis fünf Uhr. Kity läuft Schlittschuh. Fahre hin, und ich werde auch nachkommen; wir können alsdann irgendwo vereint dinieren.«

»Ausgezeichnet, auf Wiedersehen also.«

»Sieh aber zu, denn so wie ich dich kenne, kannst du alles plötzlich vergessen haben, oder wieder auf das Dorf gefahren sein!« rief Stefan Arkadjewitsch lachend aus.

»O nein; gewiß nicht.«

Er eilte davon, und besann sich erst an der Thür des Kabinetts, daß er die Kollegen Oblonskiys gar nicht zum Abschied begrüßt hatte.

»Er scheint ein sehr energischer Herr zu sein,« sagte Grinjewitsch, nachdem Lewin gegangen war.

»Ja, Verehrtester,« antwortete Stefan Arkadjewitsch, den Kopf schüttelnd – »der ist doch ein Glückspilz! Dreitausend Desjatinen Landbesitz im Karazinsker Kreise, und diese Gesundheit! Könnte es unser einem nicht ebenso gut ergehen.«

»Beklagt Ihr Euch etwa noch, Stefan Arkadjewitsch?«

»Ach ja, es ist recht traurig, recht schlimm,« antwortete Stefan Arkadjewitsch mit einem schweren Seufzer.

6.

Die Fürstin Bezzy verließ das Theater, ohne den Schluß des letzten Aktes abzuwarten.

Sie war kaum in ihrem Toilettezimmer angelangt, und hatte kaum ihr schmales, bleiches Gesicht frisch gepudert, abgerieben, sich wieder empfangsfertig gemacht und den Thee nach dem großen Salon befohlen, als schon die Equipagen, eine nach der anderen, vor ihrem großen Palast in der Bolschaja Morskaja angerollt kamen. Die Gäste kamen zur breiten Einfahrt herein; ein trunksüchtiger Portier, welcher des Vormittags zur Erbauung der Vorübergehenden hinter der Glasthür Zeitungen las, öffnete geräuschlos die mächtige Pforte und ließ die Ankömmlinge an sich vorbei hereindefilieren.

Fast zu der nämlichen Zeit kamen die Dame des Hauses in erneuter Frisur und mit erfrischtem Gesicht aus der einen Thür, die Gäste aus der anderen; sie traten in den großen Saal mit den dunkelen Wänden, den prächtigen Teppichen und der hellerleuchteten Tafel mit dem unter dem Glanz der Kerzen hellschimmernden weißen Tafeltuch, dem silbernen Samowar und dem durchsichtigen Porzellan des Theegeschirrs.

Die Dame des Hauses setzte sich an den Samowar und entledigte sich der Handschuhe. Die Stühle mit Hilfe geräuschlos thätiger Diener heranbewegend, setzte sich die Gesellschaft, in zwei Teile geteilt, nämlich am Samowar bei der Dame des Hauses und am entgegengesetzten Ende des Saals, bei der schönen Gattin eines Gesandten, in schwarzem Sammet und mit scharfen, schwarzen Brauen.

Das Gespräch in den beiden Gruppen schwankte, wie gewöhnlich während der ersten Minuten, durch den Eintritt neu Ankommender, durch Begrüßungen, durch das Anbieten des Thees unterbrochen; es war, als suche man ein Thema, bei welchem man verweilen könnte.

»Sie ist ungewöhnlich hübsch als Schauspielerin und es ist klar ersichtlich, daß sie Kaulbach studiert hat,« sagte ein Diplomat in dem Kreise der Frau des Gesandten, »habt Ihr bemerkt, wie sie in Ohnmacht fiel?«

»O bitte; wir wollen doch nicht von der Nilson reden; von der läßt sich nichts Neues mehr sagen,« äußerte eine dicke rote Dame ohne Augenbrauen und Chignon, blond und in einem altmodischen Seidenkleide. Es war die Fürstin Mjagkaja, eine wegen ihrer Einfachheit und Derbheit im Verkehr enfant terrible benannte Dame.

Die Fürstin Mjagkaja saß in der Mitte zwischen beiden Kreisen und nahm, aufmerksam zuhörend, bald an dem Gespräch des einen Kreises teil, bald an dem des anderen.

»Mir haben heute nicht weniger als drei Menschen diese nämliche Phrase über Kaulbach gesagt, gleichsam als hätten sie sich dazu verabredet. Die Phrase hat ihnen, ich weiß nicht warum, so ausnehmend gefallen.«

Die Unterhaltung stockte infolge dieser Bemerkung und es war notwendig, ein neues Thema ausfindig zu machen.

»Erzählt uns doch etwas Lustiges – aber nichts Schlechtes,« wandte sich die Gattin des Gesandten, eine große Meisterin in der schöngeistigen Konversation, wie man sie auf englisch small talk nennt, an den Diplomaten, der gleichfalls nicht wußte, was er jetzt beginnen sollte.

»Man sagt, das sei sehr schwer auszuführen, denn nur das Böse sei lustig,« begann er jetzt lächelnd.

»Doch ich will es versuchen. Gebt mir ein Thema, alles liegt in einem Thema, ist dieses gegeben, so kann man leicht daran anknüpfen. Ich denke oftmals, daß es doch den großen Rednern des vorigen Jahrhunderts jetzt sehr schwierig werden müßte, verständig zu reden, denn alles Verständige langweilt.«

»Das ist eine alte Geschichte,« lachte die Gattin des Gesandten. Die Unterhaltung wurde sehr energielos geführt, aber eben deshalb, weil sie zu energielos geführt wurde, stockte sie wieder. Es war daher notwendig, seine Zuflucht zu einem sicheren, einem nie versagenden Mittel zu nehmen, dem des Klatsches.

»Findet Ihr nicht, daß Tuschkewitsch etwas von Ludwig dem Fünfzehnten hat?« fuhr der Diplomat fort, mit den Augen auf einen hübschen blonden jungen Mann weisend, welcher am Tische stand.

»O ja; er ist von der nämlichen Geschmacksrichtung wie die Dame des Hauses; und daher ist er auch so häufig hier.«

Dieses Gespräch wurde unterstützt, indem durch Winke über etwas gesprochen wurde, was man in diesem Salon nicht aussprechen durfte, nämlich über die Beziehungen Tuschkewitschs zu der Fürstin Bezzy.

Um den Samowar bei der Dame des Hauses hatte man während dessen ganz in der gleichen Weise einige Zeit hindurch zwischen drei unvermeidlichen Thematen geschwankt, zwischen der letzten Neuigkeit aus der Gesellschaft, dem Theater und der Verurteilung des Nächsten, und das Gespräch war gleichfalls auf dem letzten der drei stehen geblieben, bei dem Klatsch.

»Habt Ihr schon gehört, daß die Maltischtschewa – nicht die Tochter, sondern die Mutter, sich ein Kostüm von diable rose fertigen läßt?«

»Nicht möglich! Nein, das ist ja reizend!«

»Ich staune, wie die das hat ausdenken können – sie ist also doch nicht so dumm – man sieht nur nicht, wie fein sie ist.«

Ein jeder wußte einen Brocken, den er zur Verurteilung oder doch zur Verspottung der unglücklichen Maltischtschewa beisteuern konnte und das Gespräch war jetzt so munter im Gange, wie ein flammender Holzstoß.

Der Gatte der Fürstin Bezzy, ein gutmütiger Dickbauch und leidenschaftlicher Sammler von Gravuren hatte soeben gehört, daß bei seiner Gattin Gäste seien und war daher, noch bevor er in den Klub ging, im Salon erschienen. Unhörbar näherte er sich über den weichen Teppich daher der Fürstin Mjagkaja.

»Wie gefiel Euch die Nilson?« war seine Begrüßung.

»Ach, wie kann man sich doch so heranstehlen? Wie habt Ihr mich jetzt erschreckt!« antwortete sie. »Aber sprecht mir nicht mehr, um aller Heiligen willen, von der Oper, Ihr versteht ja doch Wohl gar nichts von Musik. Es ist da schon besser, ich accomodiere mich Euch und rede mit Euch von Majoliken und Gravuren. Nun, was für einen Schatz habt Ihr denn da neulich gekauft?«

»Wünscht Ihr, daß ich ihn Euch zeige? Aber Ihr versteht doch nicht die Bedeutung.«

»Zeigt ihn mir. Ich habe das bei jener – wie nennt man sie doch – bei jener Bankiersfamilie gelernt – bei denen giebt es sehr gute Gravuren. Die haben sie uns gezeigt.«

»Wie, waret Ihr bei Schützburg?« frug die Dame des Hauses vom Samowar herüber.

»Ich bin dort gewesen, ma chère. Man hatte mich eingeladen, mit meinem Manne zur Tafel hinzukommen und erzählte mir, daß allein die Sauce zu Tisch tausend Rubel gekostet habe,« sprach die Fürstin Mjagkaja mit lauter Stimme m dem Gefühle, daß alles an ihrem Munde hing, »und diese Sauce war doch häßlich, sie sah so grünlich aus. Man hätte den Gastgeber seinerseits einladen müssen, ich hätte alsdann eine Sauce für fünfundachtzig Kopeken hergestellt und alle würden damit sehr zufrieden gewesen sein. Ich kann keine Saucen für Tausende von Rubeln herstellen.«

»Ist die natürlich!« bemerkte die Dame des Hauses.

»Bewundernswert,« flüsterte ein anderer.

Die Wirkung, welche die Erzählungen der Fürstin Mjagkaja hervorzurufen pflegten, war stets einzig in ihrer Art, und das Geheimnis der Erzielung dieses Effektes lag darin, daß sie, wenn auch nicht immer ganz so wie in diesem Augenblicke, einfach erzählte, und was Sinn hatte.

In der Gesellschaft, in welcher sie lebte, brachten derartige Reden den Effekt des geistreichsten Witzes hervor. Die Fürstin Mjagkaja vermochte nicht zu begreifen, wie es kam, daß ihre Worte so wirkten, allein sie wußte, daß dies der Fall war, und sie nutzte diese Erkenntnis aus.

Obwohl alles den Worten der Fürstin Mjagkaja die vollste Aufmerksamkeit widmete, und selbst das Gespräch in der Umgebung der Frau des Gesandten abgebrochen worden war, wollte gleichwohl die Herrin des Hauses das Augenmerk der Gesellschaft auf einen Punkt lenken und wandte sich daher an die Dame des Gesandten.

»Wollt Ihr in der That keinen Thee? Ihr hättet zu uns herüberkommen müssen,« begann sie.

»O nein; ich sitze recht gut hier,« versetzte lächelnd die Frau des Gesandten und setzte die angesponnene Unterhaltung fort.

Das Gespräch war sehr animiert; man richtete soeben die Karenin, Mann und Frau.

»Anna hat sich sehr verändert seit ihrem letzten Moskauer Aufenthalt. Es liegt so etwas Seltsames in ihr,« äußerte ihre Freundin.

»Die Veränderung rührt namentlich daher, daß sie als ihren Schatten mit sich den Aleksey Wronskiy gebracht hat,« sagte die Frau des Gesandten. »Was wollt Ihr doch. Grimm erzählt eine Fabel: Es war einmal ein Mensch ohne Schatten, ein Mensch der seines Schattens beraubt worden war zur Strafe für ein Vergehen. Ich vermag nicht zu begreifen, worin hier die Strafe liegen soll; indessen einem Weibe muß es allerdings unangenehm sein, keinen Schatten zu besitzen.«

»Ja, aber die Weiber, die einen solchen haben, enden meist nicht gut,« antwortete die Freundin Annas.

»Hütet Eure Zunge,« sagte plötzlich die Fürstin Mjagkaja, welche diese Worte vernommen hatte. »Die Karenina ist ein schönes Weib; ihren Mann liebe ich übrigens nicht, sie aber sehr.«

»Weshalb liebt Ihr ihren Mann nicht? Er ist doch ein so bedeutender Mensch,« frug die Frau des Gesandten. »Mein Mann sagt, daß es nur wenig solcher Regierungsbeamten in Europa gebe.«

»Das Nämliche sagt auch mein Mann, aber ich glaube es nicht,« antwortete die Fürstin Mjagkaja. »Hätten unsere Männer nichts gesprochen, so würden wir schon selbst erkannt haben, wie es mit ihm steht; nach meiner Meinung ist Aleksey Aleksandrowitsch einfach dumm. Ich sage dies nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Habe ich nicht recht, daß alles einmal herauskommt? Früher, als man mir aufoktroyiert hatte, ihn geistreich zu finden, forschte ich fortwährend, und fand mich selbst dumm, da ich seinen Geist nicht entdeckte; kaum aber hatte ich zu mir selbst gesagt, er sei dumm, natürlich ganz im geheimen, da war mit einem Male alles klar. Ist es nicht so?«

»O wie boshaft Ihr heute doch seid!«

»Nicht im geringsten. Ich habe keinen anderen Ausweg. Einer von uns beiden ist dumm; und ihr wißt ja doch, von sich selbst sagt man dergleichen nie.

»Niemand ist zufrieden mit seiner Lage, aber jeder mit seinem Verstande,« warf der Diplomat mit einem französischen Verse ein.

»Da haben wirs; gewiß,« wandte sich die Fürstin Mjagkaja sogleich an ihn. »Etwas ganz anderes aber ist es mit der Anna; sie ist ein reizendes liebes Weib. Was soll man ihr etwa deshalb nachsagen, weil alle Welt vernarrt ist in sie und ihr wie ein Schatten folgt?«

»Ich denke auch gar nicht daran, sie deshalb zu verurteilen,« verwahrte sich die Freundin Annas.

»Wenn uns selbst niemand wie ein Schatten folgt, so haben wir deshalb noch lange kein Recht, einem anderen etwas Unrechtes nachzusagen.«

Nachdem sie derart die Freundin Annas abgefertigt hatte, wie es dieser zukam, erhob sich die Fürstin Mjagkaja und ließ sich mit der Frau des Gesandten am Tische nieder, wo sich das allgemeine Gespräch um den König von Preußen bewegte.

»Wen habt Ihr denn soeben dort verlästert?« frug Bezzy.

»Die Karenin. Die Fürstin hat uns eine Charakteristik Aleksey Aleksandrowitschs gegeben,« versetzte die Frau des Gesandten, sich lächelnd an den Tisch setzend.

»Schade, daß wir sie nicht gehört haben,« antwortete die Dame des Hauses nach der Eingangsthür blickend. »Ah, da seid Ihr ja endlich!« rief sie lächelnd dem eben angekommenen Wronskiy zu.

Wronskiy war nicht nur mit jedermann in diesem Kreise bekannt, sondern sah alle die er hier antraf, täglich, und trat daher mit jenen ruhigen Manieren ein, mit denen man in ein Zimmer kommt, das man soeben erst verlassen hatte.

»Woher ich komme?« antwortete er sogleich auf die Frage der Frau des Gesandten. »Nun, was ist zu thun, ich muß es schon sagen, aus der Operette. Ich kann sie wohl zum Hundertstenmale hören, aber stets höre ich sie mit neuem Vergnügen. Das ist reizend! Ich weiß wohl, daß mir dies nicht wohlansteht, aber in der Oper schlafe ich ein, während ich in der Operette bis zur letzten Minute vergnügt und fröhlich aushalte. Heute« –

Er nannte eine französische Schauspielerin und wollte sich über sie verbreiten, aber die Frau des Gesandten unterbrach ihn mit komischem Entsetzen.

»Bitte, nicht von diesem Theaterschrecken erzählen.«

»Nun, nun; lassen wir es; umsomehr, als alle diese Schrecken kennen.«

»Und alle würden wohl dorthin fahren, wäre dies ebenso üblich für die Gesellschaft, wie die Oper,« fügte die Fürstin Mjagkaja hinzu.

7.

An der Eingangsthür wurden abermals Schritte vernehmbar und die Fürstin Bezzy, welche erkannte, daß dies die Karenina sei, blickte auf Wronskiy.

Dieser schaute nach der Thür und sein Gesicht nahm einen seltsam neuen Ausdruck an. Er blickte erfreut, starr und zugleich schüchtern geworden auf die Eingetretene und erhob sich langsam. Im Salon erschien niemand anders als Anna Karenina.

Wie stets mit außerordentlich gerader Haltung, die Richtung des Blickes in nichts verändernd, legte sie mit jenem schnellen, festen und gewandten Schritt, durch welchen sie sich vor den übrigen Damen der großen Welt auszeichnete, die wenigen Schritte zurück, die sie von der Dame des Hauses trennten, drückte dieser die Hand, lächelte und blickte mit dem nämlichen Lächeln auch nach Wronskiy.

Dieser verbeugte sich rief und schob ihr einen Sessel zu.

Sie dankte nur mit einer Verneigung des Hauptes, errötete aber und wurde finster, wandte sich indes gleich darauf, ihren Bekannten flüchtig zunickend und ihnen die dargereichten Hände drückend, an die Fürstin Bezzy.

»Ich war bei der Gräfin Lydia und wollte eigentlich früher kommen, allein ich habe mich im Sitzen dort verspätet. Sir John war bei ihr; er ist ein sehr interessanter Mann.«

»Ah, ist das nicht jener Missionar?«

»Ja wohl; er erzählt sehr fesselnd vom indischen Leben.«

Die allgemeine Unterhaltung, von der Ankunft des Gastes unterbrochen gewesen, flackerte jetzt wieder auf wie das Licht einer ausgeblasenen Lanipe.

»Sir John! Ja, Sir John! Ich habe ihn gesehen, er spricht sehr gut. Die Wlasjewa ist vollständig vernarrt in ihn.«

»Ist es denn wahr, daß die Wlasjewa, die jüngere, den Topoff heiraten wird?«

»Man sagt, es sei völlig sicher.«

»Ich wundere mich über die Eltern. Man sagt, diese Ehe werde aus Liebe geschlossen?«

»Aus Liebe? Was sind das für antediluvianische Ideen, die Ihr da habt? Wer spricht heute noch von Liebe?« äußerte die Frau des Gesandten.

»Was ist zu thun? Diese alte dumme Mode ist noch immer nicht abgeschafft,« sagte Wronskiy.

»Um so schlimmer für diejenigen, welche sich noch von ihr beherrschen lassen. Ich kenne glückliche Ehen, die nur vernunftgemäß geschlossen worden sind.«

»Mag sein, aber auch im Gegenteil; wie häufig verfliegt das Glück der Vernunftehen gleich dem Staub, besonders dadurch, daß sich eben jene Leidenschaft plötzlich zeigt, die wir nicht anerkannt haben,« sagte Wronskiy.

»Aber Vernunftehen nennen wir die, welche nur von Leuten geschlossen werden, die sich im Leben ausgetobt haben. Es ist hier wie mit dem Scharlachfieber, man muß eben erst hindurch sein.«

»Dann muß man eben lernen die Liebe künstlich abzuimpfen, wie die Pockenkrankheit.«

»In meiner Jugend war ich einmal in einen Kurrendesänger verliebt,« sagte die Fürstin Mjagkaja, ich weiß aber wirklich nicht, ob es mir etwas genützt hat.«

»Nein, ohne Scherz, ich glaube, daß man, um die Liebe zu erkennen, sich erst in ihr täuschen muß um sich dann zu bessern,« sagte die Fürstin Bezzy.

»Auch noch nach der Heirat?« frug scherzend die Frau des Gesandten.

»Man kann nie zu spät Reue empfinden,« sagte der Diplomat in einem englischen Sprichwort.

»Das ist es eben,« rief Bezzy, »man muß sich bessern, wenn man geirrt hat. Wie denkt Ihr darüber?« wandte sie sich an Anna, die mit kaum bemerkbarem, kaltem Lächeln auf den Lippen, dem Gespräch schweigend zugehört hatte.

»Ich denke,« antwortete Anna, mit dem abgestreiften Handschuh spielend, »ich denke wie viel Köpfe, so viel Sinne und ebenfalls, wie viel Herzen so viel Arten von Liebe.«

Wronskiy hatte Anna angeblickt und in höchster Spannung erwartet, was sie sagen würde. Jetzt seufzte er auf wie nach einer überstandenen Gefahr, als sie diese Worte gesprochen hatte.

Anna wandte sich plötzlich an ihn.

»Ich habe ein Schreiben von Moskau erhalten. Man schreibt mir, daß Kity Schtscherbazkaja sehr krank ist.«

»Sollte es möglich sein?« antwortete Wronskiy finster werdend.

Anna blickte ihn streng an.

»Interessiert Euch dies nicht?«

»Im Gegenteil, außerordentlich. Was schreibt man Euch denn, wenn die Frage erlaubt ist?« frug er.

Anna stand auf und trat zu Bezzy.

»Gebt mir doch eine Schale Thee,« sagte sie, hinter deren Stuhl stehen bleibend.

Während Bezzy ihr den Thee eingoß, ging Wronskiy zu Anna hin.

»Was schreibt man Euch?« wiederholte er.

»Ich denke oft, daß die Männer gar nicht erkennen, was unedel ist, und doch stets hiervon sprechen,« sagte Anna, ohne Wronskiy zu antworten. »Ich wollte Euch das schon lange mitteilen,« fügte sie alsdann hinzu, einige Schritte weiter gehend und sich an einen Ecktisch mit Albums setzend.

»Die Bedeutung Eurer Worte verstehe ich nicht ganz.« versetzte er, ihr die Schale reichend.

Sie blickte auf den Diwan neben sich und er ließ sich sogleich auf demselben nieder.

»Ja, ich wollte Euch sagen,« fuhr sie fort, ohne ihn anzusehen, »daß Ihr schlecht gehandelt habt, schlecht, sehr schlecht.«

»Weiß ich etwa nicht selbst, daß ich unrecht gethan habe? Aber wer war die Ursache, daß ich so handelte?«

»Weshalb sagt Ihr mir dies?« frug sie ihn streng anblickend.

»Ihr wißt es, weshalb,« versetzte er kühn und freudig, ihrem Blick begegnend und ohne die Augen zu senken.

Nicht er, sondern sie geriet in Verwirrung.

»Dies sagt mir nur das Eine, daß Ihr kein Herz habt,« sagte sie, aber der Blick ihrer Augen zeugte davon, daß sie wisse, er besitze ein Herz, und daß sie sich vor diesem Herzen fürchte.

»Wovon Ihr soeben sprecht, das war nur ein Irrtum, keine Liebe gewesen.«

»Ihr wißt, daß ich Euch verboten habe, dieses Wort auszusprechen; es ist ein häßliches Wort,« sagte Anna erschreckend; sogleich aber empfand sie, daß sie mit diesem einen Worte des »Verbietens« gezeigt hatte, sie räume sich selbst gewisse Rechte über ihn ein, und dies mußte ihn nur noch mehr ermutigen, von Liebe zu ihr zu sprechen. »Ich wollte Euch dies schon längst sagen,« fuhr sie fort, ihm entschlossen ins Auge blickend, während ihr Gesicht sich mit glühendem Purpur bedeckte, »heute bin ich mit bestimmtem Vorsatz hierher gekommen, da ich wußte, ich würde Euch hier antreffen. Ich bin gekommen, Euch zu sagen, daß dies ein Ende nehmen muß. Ich habe nie vor jemand erröten müssen, Ihr aber bringt mich so weit, daß ich mich vor mir selber schuldig fühlen muß.«

Er blickte sie an und war überrascht von dieser neuen, durchgeistigten Schönheit ihres Gesichts.

»Was wollt Ihr aber von mir?« sagte er dann einfach und ernst.

»Ich will, daß Ihr wieder nach Moskau fahrt und Kity um Verzeihung bittet,« antwortete sie.

»Ihr selbst wollt dies nicht.«

Er erkannte wohl, daß sie ihm dies sagte, weil sie sich selbst zwang nicht das auszusprechen, was sie vielleicht wünschte.

»Wenn Ihr mich liebt, wie Ihr sagt,« flüsterte sie, »so thut es, damit ich ruhig werde.«

Sein Gesicht leuchtete auf.

»Als ob Ihr nicht wüßtet, daß Ihr für mich das ganze Leben seid. Aber Beruhigung verstehe ich Euch nicht zu geben und so kann ich sie Euch also auch nicht geben. Aber mich selbst, meine Liebe – ja. Ich kann an Euch und mich nicht gesondert denken; und Ihr und ich sind beide für mich eins. Daher sehe ich von vornherein weder eine Ruhe für mich selbst, noch für Euch. Ich sehe nur die Möglichkeit einer künftigen Verzweiflung, eines Unglücks, oder die Möglichkeit eines Glückes – ach, welches Glückes! Ist dieses aber unmöglich?« fügte er hinzu, nur die Lippen leise bewegend. Sie verstand ihn aber.

Alle Kräfte ihres Geistes strengte sie an, um zu sagen, was sie sagen mußte, aber anstatt dessen heftete sie nur einen Blick auf ihn, der voll von Liebe war – und brachte kein Wort hervor.

»Da haben wir’s!« jubelte Wronskiy innerlich. »Gerade, als ich schon den Mut verlor und als es schien, daß kein Erfolg mehr zu hoffen sei, – da haben wir’s. Sie liebt mich. Sie gesteht es ein!«

»So thut es doch um meinetwillen und sprecht nie mehr solche Worte zu mir. Wir wollen gute Freunde sein,« sprach sie, wahrend ihr Auge ganz anderes kündete.

»Freunde können wir nicht sein, das wißt Ihr selbst. Aber wir werden die glücklichsten oder die unglücklichsten unter den Menschen sein, und dies liegt in Eurer Macht.«

Sie wollte etwas erwidern, doch er unterbrach sie.

»Ich bitte freilich nur um eins, ich bitte um das Recht, hoffen zu dürfen in Qualen, wie jetzt; wenn dies aber nicht möglich ist, so befehlt mir zu verschwinden und ich werde verschwinden. Ihr werdet mich dann nicht mehr sehen, sobald Euch meine Gegenwart lästig ist.«

»Ich will Euch nicht vertreiben.«

»Aber dann ändert Euch nicht in dieser Absicht, laßt alles so, wie es ist,« sagte er mit bebender Stimme. »Dort kommt Euer Gatte« –

In der That trat in diesem Augenblick Aleksey Aleksandrowitsch mit seinem gleichgültigen ungeschickten Gang in den Salon.

Nachdem er seine Frau und Wronskiy gemustert hatte, schritt er zu der Dame des Hauses hin und begann, sich niedersetzend, und eine Schale Thee nehmend, mit seiner unbewegten, stets vernehmbaren Stimme in seinem gewohnten launigen Tone mit dieser zu reden, über irgend jemand scherzend.

»Euer Abend ist ja recht gut besetzt,« sagte er, die Gesellschaft überblickend, »lauter Grazien und Musen.«

Die Fürstin Bezzy vermochte indes diesen Ton seiner Rede nicht zu ertragen weil er sneering war, wie sie ihn nannte, und als kluge Frau brachte sie ihn sogleich auf ein ernstes Thema über die allgemeine Wehrpflicht.

Aleksey Aleksandrowitsch ließ sich sofort auf das Gespräch ein und begann mit großem Ernste die neue Verordnung vor der Fürstin Bezzy zu verteidigen, welche ihm opponierte.

Wronskiy und Anna blieben an dem kleinen Ecktisch sitzen.

»Aber das ist doch gegen den Anstand,« zischelte eine der Damen, mit den Augen nach der Karenina sowie nach Wronskiy und Annas Gatten hinweisend.

»Was habe ich Euch gesagt?« antwortete die Freundin Annas.

Aber nicht nur allein diese Damen, sondern fast alle, welche im Salon waren und auch die Fürstin Mjagkaja, sowie Bezzy selbst, blickten mehrmals auf die entfernt von dem gemeinschaftlichen Kreis befindlichen Zwei, als ob dies störend einwirkte.

Aleksey Aleksandrowitsch war der einzige, der den Blick auch nicht einmal nach jener Seite wandte und von dem begonnenen, interessanten Gespräch nicht abgelenkt wurde.

Als die Fürstin Bezzy den unangenehmen Eindruck bemerkte, der bei jedermann hervorgerufen zu sein schien, zog sie eine andere Persönlichkeit auf ihren Platz zur Weiterführung des Gesprächs mit Aleksey Aleksandrowitsch und begab sich zu Anna.

»Ich bin stets erstaunt über die Klarheit und Präcision der Ausdrucksweise Eures Gatten,« sagte sie. »Die transcendentesten Begriffe werden mir klar, wenn er spricht.«

»O ja,« antwortete Anna, von einem Lächeln des Glückes strahlend und ohne ein Wort von dem vernommen zu haben, was Bezzy zu ihr gesagt hatte.

Sie schritt zu der großen Tafel und beteiligte sich nun an der gemeinsamen Unterhaltung.

Aleksey Aleksandrowitsch trat, nachdem er etwa eine halbe Stunde verweilt hatte, zu seiner Gattin und schlug ihr vor, gemeinschaftlich heimzukehren, sie antwortete ihm jedoch, ohne ihn anzublicken, daß sie zum Abendessen bleiben werde.

Aleksey Aleksandrowitsch verabschiedete sich und ging.

Der Kutscher der Karenina, ein alter dicker Tatar, in glänzendem Lederkittel hielt nur mit Mühe noch das durchfrorene Handpferd, einen Grauschimmel, welcher sich vor der Einfahrt bäumte. Ein Diener öffnete die innere Thür. Der Portier stand an dem Außenthor.

Anna Arkadjewna nestelte mit ihrer kleinen gewandten Hand die Spitzen ihres Ärmels von einem Häkchen im Pelz los und lauschte dabei, das Köpfchen beugend, mit Entzücken den Worten die Wronskiy, der sie begleitete, sprach.

»Ihr habt doch nichts gesagt, nehme ich an. Ich fordere ja auch nichts,« sagte er, »aber Ihr wißt, daß ich nicht der Freundschaft nur bedürftig bin, für mich ist nur ein einziges Glück im Leben möglich, und dies ist das Wort, welches Euch so verhaßt ist, das Wort ›Liebe‹«.

»Liebe,« wiederholte sie langsam, mit innerlich klingender Stimme und fügte dann plötzlich, gerade, als sie die Spitze gelöst hatte, hinzu: »Ich liebe dieses Wort aus dein Grunde nicht, weil es für mich zuviel bedeutet, bei weitem mehr, als Ihr begreifen könnt,« sie blickte ihm ins Antlitz.

»Auf Wiedersehen.«

Sie reichte ihm die Hand, ging mit schnellem elastischem Schritte an dem Portier vorüber und verschwand in ihrem Coupé.

Ihr Blick, die Berührung ihrer Hand, erfüllten ihn mit Glut. Wronskiy küßte seine Hand an der nämlichen Stelle, wo sie dieselbe berührt hatte und fuhr nach Hause, glücklich in dem Bewußtsein, daß er am heutigen Abend seinem Ziele weit näher gekommen sei, als während beider letztvergangenen Monate.

Aleksey Aleksandrowitsch hatte nichts Auffallendes oder Unschickliches darin gefunden, daß seine Frau mit Wronskiy an einem abgesonderten Tische und in lebhaftester Unterhaltung gesessen; aber es war ihm nicht entgangen, daß dies den Übrigen im Salon doch Wohl etwas eigentümlich und unstatthaft erschienen sein mußte. Deshalb erst erschien es ihm nun gleichfalls unschicklich, und er konstatierte daher, daß er seiner Frau hierüber eine Mitteilung machen müsse.

Nach Hause zurückgekehrt, begab sich Aleksey Aleksandrowitsch in sein Kabinett, wie er dies gewöhnlich zu thun pflegte und ließ sich in seinem Lehnstuhl nieder, ein Buch über Papismus an der durch ein eingelegtes Papiermesser bezeichneten Stelle aufschlagend, und las bis ein Uhr nachts, wie er es auch sonst that; nur rieb er sich heute bisweilen dabei die hohe Stirn und schüttelte den Kopf, als wolle er etwas daraus von sich weisen. Zu der gewohnten Stunde erhob er sich und machte seine Nachttoilette. Anna Karenina war noch nicht angekommen. Das Buch unter dem Arme, ging er hinauf. Am heutigen Abend war sein Kopf anstatt mit den gewöhnlichen Ideen und Plänen über Amtsangelegenheiten, mit Gedanken über seine Frau angefüllt, mit dem Gedanken, als ob etwas Unangenehmes sich mit dieser ereignet habe.

Zuwider seiner sonstigen Gepflogenheit, legte er sich nicht in das Bett, sondern begann, die Hände auf den Rücken gelegt, in seinen Zimmern hin und wieder zu wandern.

Er konnte nicht schlafen gehen in dem Gefühl, daß er zuvor noch den ihm neu eingefallenen Umstand überdenken müsse.

Als Aleksey Aleksandrowitsch bei sich selbst zu dem Entschluß gelangt war, er müsse doch mit seinem Weibe Rücksprache nehmen, schien ihm dies sehr leicht und einfach, jetzt aber, da er über jenen neuen Umstand nachzudenken begonnen hatte, erschien es ihm sehr verwickelt und schwierig.

Aleksey Aleksandrowitsch war nicht eifersüchtig. Die Eifersucht kränkte nach seiner Überzeugung ein Weib und man mußte zu dem Weibe Vertrauen haben.

Weshalb man dieses Vertrauen haben müsse, das heißt die volle Zuversicht, daß sein junges Weib ihn stets lieben werde, darüber legte er sich keine Frage vor.

Er hatte eben noch kein Mißtrauen empfunden weil er Vertrauen hegte und sich sagte, er müsse es hegen.

Jetzt aber, obwohl die Überzeugung in ihm, daß die Eifersucht ein entehrendes Gefühl sei und man das Vertrauen behalten müsse, noch nicht wankend geworden war, empfand er doch, daß er Auge in Auge mit einem unlogischen abgeschmackten Etwas stand, aber er wußte nicht, was er thun sollte.

Aleksey Aleksandrowitsch stand Auge in Auge mit dem Leben selbst, er stand vor der Möglichkeit, sein Weib könne Liebe zu jemand außer ihm empfinden, und dies dünkte ihm so abgeschmackt und unverständlich, weil eben dies das Leben selbst war.

Sein ganzes Leben hatte Aleksey Aleksandrowitsch in den Kreisen des Beamtenlebens verbracht, die es nur mit den Reflexen des Lebens zu thun hatten, und stets wenn er mit diesem Leben selbst zusammenstieß, wandte er sich von ihm ab. Er hatte jetzt ein Gefühl ähnlich dem, wie es ein Mensch hat, der ruhig auf einer Brücke einen Abgrund überschreitet und plötzlich inne wird, daß diese Brücke zerstört ist und klafft.

Dieser Abgrund war – das Leben selbst, diese Brücke – das künstliche Dasein welches er führte. Zum erstenmal kamen ihm die Fragen über die Möglichkeit, daß sein Weib einen andern lieben könne, und erschrak davor.

Ohne sich zu entkleiden, ging er in gleichmäßigem Schritte auf und ab auf dem hallenden Parkett des nur von einer Lampe erhellten Speisesalons, auf dem Teppich des dunkeln Empfangszimmers, in welchem nur auf dem großen erst unlängst vollendeten Porträt über dem Diwan, welches ihn selbst darstellte, ein Lichtschein reflektiert wurde und durch ihr Kabinett, in welchem zwei Kerzen brannten die ihren Schein auf die Bilder ihrer Verwandten und Freundinnen warfen und auf die schönen, ihm längst so bekannten Nippes auf ihrem Schreibtisch. Durch ihr Gemach begab er sich bis zur Thüre des Schlafzimmers, dann kehrte er wieder um.

Bei jeder Runde seiner Wanderung und namentlich auf dem Parkett des hellen Speisezimmers blieb er stehen und sprach zu sich selbst: »Ja, man muß eine Entscheidung treffen; ich muß ihr meine Meinung darüber sowie meinen Entschluß mitteilen.«

Und damit schritt er wieder zurück.

»Doch was soll ich eigentlich sagen? Welche Entscheidung soll ich ihr mitteilen?« sprach er zu sich selbst im Salon, ohne eine Antwort auf diese Frage zu finden. »Aber,« frug er sich selbst, vor der Umkehr nach dem Kabinett, »was ist denn eigentlich vorgefallen? Nichts! Sie hatte nur ziemlich lange mit ihm gesprochen. Und was ist dabei? Nichts. Soll nicht ein Weib in der großen Welt mit jemand sprechen können? Und dann, eifersüchtig sein, heißt sich erniedrigen, sich selbst und sie mit;« so sprach er zu sich, in ihr Kabinett zurückkehrend. Aber dieses Urteil, das vorher noch so großes Gewicht für ihn gehabt hatte, wog und bedeutete jetzt nichts mehr. Er kehrte von der Thür ihres Schlafzimmers wieder nach dem Saale zurück, aber kaum war er wieder in den dunklen Empfangssalon gekommen, da schien ihm eine Stimme zuzuflüstern, es wäre doch wohl anders, und wenn andere dies bemerkt, so werde wohl dennoch etwas vorliegen. Und wiederum sprach er zu sich in dem Speisesalon, er müsse entscheiden und mit ihr reden, und wiederum frug er sich in dem Empfangssalon bevor er umkehrte, wie er sich entscheiden solle. Und dann, was denn eigentlich vorgefallen sei und antwortete wiederum »nichts«.

Seine Gedanken wie sein Körper bildeten einen vollkommenen Kreislauf der auf nichts Neues mehr verfiel.

Er bemerkte dies endlich, rieb sich die Stirn und setzte sich in ihrem Kabinett nieder.

Hier nahmen seine Gedanken einen anderen Weg, während er auf ein auf ihrem Tische liegendes, angefangenes Schreiben blickte. Er begann nun, über sie selbst nachzudenken, und darüber, was sie wohl dachte und fühlte.

Er ließ zuerst ihr persönliches Leben an sich vorüberziehen, ihr Denken vergegenwärtigte er sich und ihre Wünsche, und die Idee, daß sie auch ein eigenes Leben führen könne, erschien ihm so furchtbar, daß er ihn sofort von sich wies.

Dies war jener Abgrund, in den hinabzublicken ihn graute. Sich im Denken und Fühlen in ein anderes Wesen hineinzuversetzen, war eine geistige Handlung, die Aleksey Aleksandrowitsch nicht kannte. Er hielt diese geistige Handlung für schadenbringend und für eine gefährliche Phantasterei.

»Am entsetzlichsten aber von allem,« dachte er, »ist dies, daß gerade jetzt, wo ich meine Aufgabe zu Ende führen will,« er dachte an seinen Plan den er jetzt durchgeführt hatte, »wo mir innere Ruhe und das Aufgebot aller geistigen Kräfte Bedingung ist, diese ungereimte Beunruhigung über mich kommen muß. Doch was soll ich nun thun? Ich bin keiner von denen, welche Beängstigung oder Unruhe zu ertragen wüßten, oder die Kraft besäßen, ihr ins Auge zu blicken! Ich muß daran denken, einen Entschluß zu fassen um all das los zu werden,« sagte er laut zu sich. »Die Fragen betreffs ihres Gefühlslebens, darüber was in ihrer Seele vor sich gegangen war oder gehen könne, sind nicht meine Sache, das ist Sache ihres Gewissens und unterliegt der Religion,« sagte er zu sich selbst und empfand eine Erleichterung in dem Bewußtsein, daß er nunmehr diejenige Kategorie der Bestimmungen gefunden habe, zu welcher der aufgetauchte Umstand gehöre. »Die Fragen welche ihr Gefühlsleben angehen und anderes mehr, sind also Fragen ihres eigenen Gewissens, und das geht mich nichts an. Meine Aufgabe ist hier klar vorgezeichnet. Als Haupt der Familie bin ich die Person, welche verpflichtet ist, sie zu leiten, und infolge dessen zum Teil auch die Person welche verantwortlich ist. Ich muß auf die Gefahr verweisen, die ich sehe, muß sie warnen und selbst Gewalt hierbei anwenden. Ich bin verpflichtet, ihr dies zu sagen.«

In dem Kopfe Aleksey Aleksandrowitschs hatte sich alles klar aufgebaut, was er seinem Weibe zu sagen gedachte, als er aber so überlegte, was er sagen wollte, beklagte er, für seine häuslichen Angelegenheiten in dieser nichtigen Weise seine Zeit und Geisteskräfte anwenden zu müssen, nichtsdestoweniger aber stand vor seinem geistigen Auge klar und scharf wie eine Anklage die Form und Fassung der nachfolgenden Rede:

»Ich muß ihr sagen und erklären wie folgt: Erstens eine Erklärung der Bedeutung der gesellschaftlichen Meinung und Etikette, zweitens eine theologische Erklärung über die Bedeutung der Ehe, drittens, falls erforderlich, ein Hinweis auf das möglicherweise eintretende traurige Geschick des Sohnes, viertens eine Verweisung auf das eigene Verderben.«

Nachdem er hierbei seine Finger, einen nach dem andern, nach unten ineinander gestreckt hatte, zog er und die Finger knackten in den Gelenken. Diese Geste – eine, üble Angewohnheit – hatte stets eine beruhigende Wirkung auf ihn ausgeübt und ihm das Gleichgewicht wieder verliehen das ihm auch jetzt so notwendig war.

Vor dem Thore vernahm man das Geräusch einer heranfahrenden Equipage. Aleksander Aleksandrowitsch blieb inmitten des Saales stehen. Auf der Treppe wurden weibliche Schritte hörbar.

Aleksey Aleksandrowitsch, zu seiner Rede bereit, stand, die Finger, welche schon gekracht hatten, pressend, in der Erwartung, es werde noch einer von ihnen knacken. Nur ein einziges Gelenk knackte noch.

Schon an dem Klang der leichten Schritte auf der Treppe empfand er ihre Annäherung und obwohl er mit seiner Rede zufrieden war, wurde es ihm doch bange ums Herz ob der bevorstehenden Auseinandersetzung.

Anna trat ein mit gesenktem Kopfe; sie spielte mit den Zipfeln ihres Baschliks. Ihr Gesicht leuchtete in hellem Glänze, aber dieser Glanz war kein heiterer – er gemahnte an den unglückverheißenden Schein der Feuersbrunst in finsterer Nacht.

Als sie ihren Mann erblickte, hob sie den Kopf und lächelte gleich als wäre sie erwacht.

»Bist du noch nicht zu Bett? Das wundert mich!« sagte sie, den Baschlik abwerfend, und, ohne stehen zu bleiben, nach ihrem Toilettezimmer weiter gehend. »Es ist Zeit, Aleksey Aleksandrowitsch,« fuhr sie fort, schon hinter der Thüre.

»Anna, ich muß etwas mit dir besprechen.«

»Mit mir?« antwortete sie verwundert, kam aus der Thür zurück und blickte ihn an. »Was giebt es denn? Worum handelt es sich?« frug sie, Platz nehmend. »Also beginne, wenn es so nötig ist; besser wäre es freilich, sich schlafen zu legen.«

Anna sprach, was ihr auf die Zunge kam, und sie verwunderte sich selbst, als sie sich hörte, wie fähig sie der Lüge war.

Wie einfach und natürlich waren ihre Worte, und wie natürlich klang es, als sie sagte, sie möchte nun schlafen gehen. Sie kam sich vor, als sei sie mit einem Panzer der Lüge angethan. Sie fühlte, daß sie von einer unsichtbaren Kraft unterstützt wurde, die sie hielt.

»Anna, ich muß dich warnen,« Hub er an.

»Warnen?« antwortete sie, »wovor?«

Sie blickte ihn so offenherzig, so heiter an, daß jemand, der sie nicht so gekannt hätte, wie ihr Gatte, nichts Unnatürliches an ihr hatte bemerken können, weder in ihrem Tone, noch in der Bedeutung ihrer Worte.

Für ihn aber, der sie kannte, und wußte, daß er, wenn er sich nur fünf Minuten spater niederlegte als sie, von ihr vermißt und gefragt wurde weshalb er nicht schlafen gehe, für ihn, welcher wußte, daß alle Freude und Luft, alles Leid ihm stets von ihr mitgeteilt worden war, für ihn bedeutete es gar viel, jetzt zu sehen, daß sie nicht bemerken wollte, in welcher Stimmung er sich befand und kein Wort von ihm selbst sprach. Er sah, daß die Tiefe ihrer Seele, früher stets vor ihm geöffnet gewesen, jetzt für ihn geschlossen war. Und doch erkannte er an ihrem Tone, daß sie hierüber nicht einmal in Verwirrung geriet, sondern fast keck zu ihm zu sagen schien: Ja, verschlossen, und so muß und wird es in alle Zukunft bleiben. Jetzt erfuhr er an sich ein Gefühl, ähnlich dem, welches ein Mensch empfunden haben würde der nach Hause zurückkehrt und sein Haus verschlossen findet. »Aber vielleicht läßt sich der Schlüssel noch finden,« dachte Aleksey Aleksandrowitsch.

»Ich möchte dich nur davor warnen,« sagte er, mit leiser Stimme, »daß du in deiner Unvorsichtigkeit und deinem Leichtsinn der Welt nicht Anlaß geben möchtest zum Klatsch über dich. Deine allzu lebhafte Unterhaltung heute mit dein Grafen Wronskiy« – er sprach diesen Namen ruhig, in Absätzen und mit festem Tone aus – »hat die allgemeine Aufmerksamkeit auf dich gelenkt.«

Er sprach und blickte ihr dabei in die lachenden, ihm jetzt in ihrer durchdringenden Schärfe furchtbar gewordenen Augen, aber beim Sprechen schon empfand er die ganze Nutzlosigkeit und Vergeblichkeit seiner Worte.

»Du machst es immer so,« antwortete sie, sich stellend, als verstände sie nicht das Geringste von alledem, was er gesprochen hatte und als habe sie absichtlich nur das Letzte davon aufgefaßt.

»Bald ist es dir unangenehm, wenn ich langweilig bin, bald, wenn ich heiter bin! Ich habe mich nicht gelangweilt, und dies kränkt dich?«

Aleksey Aleksandrowitsch erbebte und drückte seine Hände zusammen, um sie knacken zu lassen.

»Ach, bitte doch, knacke nicht mit den Fingern, ich kann das nicht ausstehen,« sagte sie.

»Anna, bist du das noch?« antwortete er leise, eine Anstrengung machend, seine Selbstbeherrschung zu behalten und die Bewegung seiner Hände ruhen lassend.

»Aber was ist denn eigentlich?« sagte sie mit aufrichtiger und komischer Verwunderung; »was willst du denn eigentlich von mir?«

Aleksey Aleksandrowitsch blieb stumm und fuhr sich mit der Hand über Stirn und Augen. Er sah ein, daß er, anstatt auszuführen, was er zu thun beabsichtigte, nämlich seine Frau zu warnen vor einem Fehltritt in den Augen der großen Welt, unwillkürlich über das in Erregung geriet, was ihr Gewissen anging, und so kämpfte er gewissermaßen mit einer Mauer, die er vor sich zu sehen wähnte.

»Ich habe mich entschlossen, das Folgende zu thun,« fuhr er kühl und ruhig fort, »und ich bitte dich daher, mich anzuhören. Ich halte, wie du weißt, die Eifersucht für ein beleidigendes und erniedrigendes Gefühl und werde mir niemals gestatten, mich von demselben leiten zu lassen; aber es giebt gewisse Gesetze des Anstandes, die man nicht ungestraft überschreiten darf. Heute nun habe nicht etwa nur ich, sondern, nach dem Eindruck zu urteilen, der in der Gesellschaft hervorgebracht worden ist, – jedermann hat bemerkt, daß du dich nicht völlig in den Schranken bewegt hast, die eben wünschenswert erschienen.«

»Ich verstehe entschieden nichts von alledem,« antwortete Anna, die Schultern ziehend, »es scheint ihm alles ziemlich gleichgültig zu sein,« dachte sie bei sich; »aber man hat in der Gesellschaft etwas bemerkt und dies beunruhigt ihn.«

»Du befindest dich nicht wohl, Aleksey Aleksandrowitsch,« fügte sie laut hinzu, erhob sich und wollte durch die Thür hinausgehen, aber er trat vor sie, als wünsche er, sie zurückzuhalten.

Sein Gesicht sah unschön und finster aus; wie es Anna noch nie gesehen hatte. Sie blieb stehen und begann, den Kopf nach hinten seitwärts wendend, mit ihrer gewandten Hand die Haarnadeln aus ihrer Frisur zu nehmen.

»Nun, ich höre, was da kommen wird,« sagte sie ruhig und ironisch. »Ich höre sogar mit Interesse, weil ich gern erfahren möchte, um was es sich eigentlich handelt.«

Sie sprach und war verwundert über den natürlichen, ruhigen Ton, den wahren Ton, mit welchem sie gesprochen hatte und über die Wahl der Worte, die sie anwendete.

»In alle Einzelheiten deines Gefühlslebens einzugehen, habe ich kein Recht; ich halte dies auch, im allgemeinen wenigstens, für unnütz und selbst für schädlich,« begann Aleksey Aleksandrowitsch. »Wenn wir so in unserem Innern Gedanken sammeln, speichern wir dabei oft vieles auf, was dort am besten unbemerkt liefen bleiben sollte. Deine Empfindungen – sie sind Sache deines Gewissens, ich aber bin verpflichtet vor dir, vor mir und vor Gott, dir deine Pflichten zu zeigen! Unser Leben ist verknüpft worden nicht durch die Menschen, sondern durch Gott. Dies Band zu zerreißen vermag nur das Verbrechen, und das Verbrechen zieht nach sich die Strafe.«

»Ich verstehe noch nichts. Mein Gott, und wie entsetzlich müde ich bin!« sagte sie, schnell mit der Hand das Haar durchwühlend und die noch übrig gebliebenen Haarnadeln heraussuchend.

»Anna, um Gottes willen, sprich nicht so,« warf er sanft ein, vielleicht irre ich mich, aber glaube mir, alles was ich auch sage, sage ich ebenso sehr für mich, wie für dich. Ich bin dein Mann und liebe dich!«

Einen Moment hindurch verlor ihr Gesicht an Spannkraft und der frivole Funke in ihrem Blick erlosch, aber das Wort »ich liebe dich« erweckte ihn wieder.

Sie dachte »er liebt mich? Kann er denn überhaupt lieben? Hätte er nicht zufällig davon gehört, daß die Liebe existiert, so würde er doch niemals dieses Wort gebraucht haben; denn er weiß ja doch gar nicht was Liebe ist. »Aleksey Aleksandrowitsch, ich verstehe wahrhaftig nicht,« sagte sie dann, »erkläre dich doch näher, was findest du denn« –

»Gestatte, laß mich ausreden. Ich liebe dich; aber ich spreche jetzt gleichwohl nicht von mir selbst; die Personen, um die es sich vornehmlich handelt, sind: unser Sohn und du! Es kann wohl sein, ich wiederhole es, daß meine Worte dir nutzlos und unangebracht erscheinen; vielleicht sind sie nur von einem Irrtum meinerseits hervorgerufen. In diesem Falle bitte ich dich, mir zu verzeihen. Aber solltest du selbst finden, daß auch nur die leiseste Berechtigung für sie vorhanden ist, dann bitte ich dich nachzudenken, und dich mir, wenn das Herz in dir spricht, zu erklären.«

Aleksey Aleksandrowitsch hatte, ohne dessen inne zu werden, gar nichts von alledem gesprochen, was er sich vorher zurechtgelegt.

»Ich habe nichts hierauf zu sagen. Und – wahrhaftig: es ist Zeit, schlafen zu gehen,« sagte sie hastig, nur mit Mühe ein Lächeln unterdrückend.

Aleksey Aleksandrowitsch seufzte und begab sich, ohne noch ein Wort zu sagen, ins Schlafgemach.

Als sie dasselbe betrat, ruhte er schon. Seine Lippen waren streng zusammengepreßt, seine Augen schauten sie nicht an. Anna legte sich in ihr Bett, und erwartete, daß er nochmals das Wort an sie richten werde. Sie fürchtete, daß er nochmals beginnen würde und doch sehnte sie sich zugleich darnach.

Doch er schwieg. Lange verharrte sie unbeweglich; dann vergaß sie seiner. Sie gedachte des anderen und sah ihn im Geiste; sie sah ihn und fühlte, wie sich ihr Herz bei diesem Gedanken füllte mit Aufregung und frevelhafter Freude. Plötzlich vernahm sie ein gleichmäßiges und leises Schnarchen.

In der ersten Minute erschrak Aleksey Aleksandrowitsch gleichsam vor seinem Schnarchen und hielt inne, nachdem er aber mehrere Atemzüge an sich gehalten, begann das Schnarchen aufs neue mit ruhiger Gleichmäßigkeit.

»Es ist schon spät, spät,« flüsterte sie lächelnd.

Lange lag sie noch, ohne sich zu regen mit offenen Augen? deren Glanz in der Dunkelheit sie selbst zu sehen glaubte.

10.

Seit dieser Zeit entwickelte sich ein neues Leben für Aleksey Aleksandrowitsch und für sein Weib.

Es ereignete sich nichts Besonderes. Anna verkehrte, wie bisher, in der vornehmen Welt weiter und war besonders häufig bei der Fürstin Bezzy; sie traf überall mit Wronskiy zusammen.

Aleksey Aleksandrowitsch sah dies wohl, doch vermochte er nichts dagegen zu thun. Auf alle seine Versuche, sie zu einer Aussprache zu veranlassen, begegnete sie ihm mit der undurchdringlichen Schranke einer heiteren Verständnislosigkeit. Äußerlich waren sie die Nämlichen geblieben, aber innerlich hatten sich ihre Beziehungen vollständig verändert.

Aleksey Aleksandrowitsch, ein in den Regierungsgeschäften so thatkräftiger Mann, sah sich hier ohnmächtig. Wie ein Stier, der ergeben die Hörner senkt, so wartete er des Schlages, zu dem – er fühlte es – über ihm schon ausgeholt war. Stets, wenn er begann, an seine Lage zu denken, fühlte er daß es nötig sei, noch einmal eine Probe zu machen, daß noch eine Hoffnung da sei, durch Güte, Zärtlichkeit und Zureden sie zu retten, sie zur Besinnung zu bringen, und täglich nahm er sich vor, mit ihr zu sprechen. Aber stets, wenn er mit ihr zu sprechen anfing, fühlte er auch, daß jener Geist des Bösen und Falschen, der über ihr waltete, auch ihn beherrschte, und er sprach mit ihr dann nicht davon und nicht in jenem Tone, in welchem er mit ihr reden wollte.

Unwillkürlich sprach er mit ihr in seinem gewohnten Tone des Scherzenden und in diesem Tone ihr zu sagen, was er sagen mußte, war unmöglich. – – –