27.

Anna stand oben vor dem Spiegel, mit Hilfe ihrer Zofe Annuschka ein letztes Band auf ihrem Kleide feststeckend, als sie vor der Einfahrt das Geräusch des von Rädern gepreßten Kieses vernahm.

»Für Bezzy wäre es noch zu früh,« dachte sie und schaute aus dem Fenster. Sie erblickte einen Wagen, einen schwarzen Herrenhut der daraus hervorkam und die ihr so wohlbekannten Ohren Aleksey Aleksandrowitschs. »Das kommt ungelegen. Er wird doch nicht über Nacht hier bleiben?« dachte sie und ihr erschien alles das, was hieraus entstehen konnte, so entsetzlich und furchtbar, daß sie ihm, ohne sich eine Minute zu besinnen, mit heiterem und freudestrahlendem Gesicht entgegeneilte. Nur die Gegenwart des ihr schon bekannten Geistes der Lüge und Truges fühlend, ergab sie sich diesem sogleich, indem sie, ohne zu wissen was sie sagen sollte, zu sprechen begann.

»O, wie ist das reizend von dir!« sagte sie, dem Gatten die Hand reichend, und mit freundlichem Lächeln Sljudin, den Hausfreund, begrüßend. »Du bleibst doch über Nacht, hoffe ich?« war das erste Wort, welches der Geist der Lüge ihr eingab, »jetzt fahren wir doch zusammen. Es ist nur schade, daß ich Bezzy versprochen habe – sie will kommen, mich abzuholen.«

Aleksey Aleksandrowitsch verfinsterte sich bei dem Namen

»O, ich will Unzertrennliche nicht trennen,« antwortete er mit seinem gewöhnlichen launigen Tone. »Wir werden dann mit Michailow Wasiljewitsch zusammen hingehen; die Ärzte haben mir ohnehin das Gehen empfohlen, und ich werde daher zu Fuß laufen und mir dabei denken, ich wäre im Bad.«

»Wir haben indessen nicht die geringste Eile,« sagte Anna, »wollt Ihr Thee trinken?« Sie schellte. »Bringt Thee und sagt meinem Sergey, daß sein Vater angekommen sei. Was macht denn deine Gesundheit? – Michailow Wasiljewitsch, Ihr wäret noch nicht bei mir; seht Euch einmal an, wie hübsch es auf meinem Balkon draußen ist,« fuhr sie fort, sich bald an ihren Gatten, bald an dessen Begleiter wendend.

Sie sprach sehr ungekünstelt und natürlich, nur zu viel und zu schnell. Anna fühlte dies selbst umsomehr, als sie an dem neugierigen Blicke, mit welchem sie Michail Wasiljewitsch anschaute, inne wurde, daß er sie zu beobachten schien.

Michail Wasiljewitsch begab sich sofort nach der Terrasse hinaus. Sie ließ sich neben ihrem Manne nieder.

»Du siehst nicht ganz wohl aus,« begann sie.

»Ja,« antwortete er, »der Arzt war heute bei mir und hat mir eine Stunde Zeit geraubt. Ich merke wohl, daß ihn irgend einer von meinen Bekannten hergeschickt hatte; so kostbar ist meine Gesundheit.«

»Nun, was sagte der Arzt?«

Sie erkundigte sich nun über seine Gesundheit und seine Arbeiten, und redete ihm zu, sich Schonung zu gönnen und doch ganz zu ihr überzusiedeln.

Alles das hatte sie heiter, schnell und mit einem auffallenden Glanz in den Augen gesprochen, aber Aleksey Aleksandrowitsch schrieb diesem Tone bei ihr heute keinerlei Bedeutung zu.

Er vernahm nur ihre Worte und legte ihnen nur genau den nämlichen Sinn bei, den sie tatsächlich hatten. Er antwortete ihr gerad, wenn auch in seiner launigen Weise, und in dem gesamten Gespräch lag nichts Eigenartiges, doch konnte sich Anna nachmals der Empfindung eines peinigenden Schmerzes und der Scham nicht verschließen, wenn sie sich diese ganze kurze Scene wiederum vergegenwärtigte.

Sergey trat jetzt herein, begleitet von seiner Gouvernante. Hätte Aleksey Aleksandrowitsch sich selbst dazu verstanden, zu beobachten, so würde er den zaghaften, irrenden Blick wahrgenommen haben, mit welchem der kleine Sergey erst seinen Vater anschaute und dann seine Mutter, Aber er wollte nichts sehen,und sah auch nichts.

»Nun, junger Mann! Wie er groß geworden ist, recht so, das wird ein ganzer Mann! Wie geht es, junger Mann?«

Er gab dem erschreckten kleinen Sergey die Hand.

Sergey, schon vordem stets schüchtern gewesen in seinem Verhalten gegenüber dem Vater, fühlte sich jetzt, nachdem ihn Aleksey Aleksandrowitsch einen jungen Mann geheißen hatte, und ihm jenes Rätsel wieder in den Kopf kam, ob Wronskiy ein Freund oder ein Feind sei, seinem Vater entfremdet. Wie Schutz suchend, blickte er nach seiner Mutter; bei seiner Mutter allein war ihm wohl.

Aleksey Aleksandrowitsch hielt indessen sein Söhnchen an der Schulter, während er mit der Gouvernante zu sprechen begonnen hatte, und Sergey wurde es dabei so qualvoll peinlich zu Mute, daß Anna bemerkte, wie er sich zum Weinen anschickte.

Anna, welche in dem Augenblick als ihr Söhnchen eintrat errötet war, sprang jetzt, nachdem sie wahrgenommen, daß Sergey sich nicht wohl fühlte, schnell herbei, nahm die Hand ihres Mannes von der Schulter des Knaben, küßte diesen und führte ihn auf die Terrasse, worauf sie sogleich zurückkehrte.

»Indessen; es ist Zeit jetzt,« sagte sie, auf ihre Uhr blickend. »Weshalb nur Bezzy nicht kommt.«

»Ja,« versetzte Aleksey Aleksandrowitsch, stand auf, legte seine Finger ineinander und ließ sie knacken. »Ich bin auch noch gekommen, dir Geld zu bringen, da man die Nachtigallen ja doch nicht nur mit Liedern nährt, sagte er. Ich glaube, du brauchst welches.« –

»Nein, ich brauche keines – oder doch, ja, doch,« – antwortete sie, ohne ihn anzusehen, und errötete bis in die Haarwurzeln. »Ich denke doch, daß du von den Rennen wieder hierher zurückkommst.«

»Gewiß werde ich,« versetzte Aleksey Aleksandrowitsch. »Doch da kommt ja auch die Löwin von Peterhof, die Fürstin Twerskaja,« fügte er hinzu, indem er durch das Fenster eine englische einspännige Equipage anfahren sah, die sich durch einen außerordentlich hoch angebrachten kleinen Kutschbock auszeichnete. »Welch eine Koketterie. Es ist reizend. Doch, wir wollen nun auch gehen!«

Die Fürstin Twerskaja verließ ihre Equipage nicht; nur ihr Lakai in halblangen Stulpstiefeln, Pelerine und schwarzem Hut, sprang vor der Einfahrt herab.

»Ich gehe also, lebt wohl!« sagte Anna, küßte ihr Söhnchen, trat zu Aleksey Aleksandrowitsch und reichte diesem die Hand. »Es war recht hübsch von dir, daß du gekommen bist.« Aleksey Aleksandrowitsch küßte ihr die Hand. »Also auf Wiedersehen! Du kommst doch zum Thee; schön so!« sagte sie und ging, strahlend und heiter.

Sie war ihm indessen kaum aus dem Auge, als sie die Stelle auf ihrer Hand empfand, die seine Lippen berührt hatten, und voll Widerwillen erschauerte.

6.

Als Oblonskiy Lewin gefragt hatte, aus welchem Grunde derselbe eigentlich angekommen sei, war Lewin rot geworden; er war in Zorn geraten über sich, daß er rot geworden, und nicht in der Lage gewesen war, eine Antwort auf diese Frage zu geben, welche lauten sollte: »Ich bin gekommen, um deiner Schwägerin einen Antrag zu machen,« da er ja doch nur zu diesem Zwecke gekommen war.

Die Familien der Lewin und Schtscherbazkiy waren von altem moskauer Adel und standen stets miteinander in nahen und freundschaftlichen Beziehungen. Dieses Freundschaftsband wurde noch mehr befestigt zur Zeit der Universitätsstudien Lewins. Er bereitete sich zu gleicher Zeit wie der junge Fürst Schtscherbazkiy, der Bruder Dollys und Kitys, zum Studium vor, und bezog zugleich mit diesem die Hochschule.

In jener Zeit war Lewin oft im Hause der Schtscherbazkiy gewesen, er hatte sich in die Familie derselben verliebt. So seltsam dies wohl erscheinen mag, aber Konstantin Lewin war tatsächlich in das Haus, in die Familie verliebt, und zwar besonders in die weibliche Hälfte der Familie Schtscherbazkiy.

Lewin selbst hatte seine Mutter nie gekannt, seine einzige Schwester war älter als er, so daß er im Hause der Schtscherbazkiy zum erstenmal jenen Kreis des alten, feingebildeten und ritterlichen familiären Adelslebens kennen lernte, dessen er durch den Tod der Eltern verlustig gegangen war.

Alle Glieder dieser Familie, insbesondere die weiblichen, erschienen ihm wie von einem geheimnisvollen, poetischen Schleier verhüllt und er erkannte in ihnen nicht nur keinerlei Mängel, sondern vermutete vielmehr unter jenem poetischen Schleier, der sie deckte, die erhabensten Gefühle und alle nur erdenkbaren Vollkommenheiten.

Wozu die drei Damen abwechselnd den Tag hindurch französisch und englisch sprachen, weshalb sie zu bestimmter Stunde, sich abwechselnd, das Klavier spielten, dessen Klänge bei dem Bruder oben gehört wurden, bei dem sie als Studenten arbeiteten, weshalb Lehrer für die französische Litteratur, Musik, Zeichnen, Tanzen ins Haus kamen, weshalb zu bestimmten Stunden alle drei jungen Damen mit Mademoiselle Linon in der Equipage den Twerskiyboulevard hinabfuhren, in ihren Atlaspelzen – Dolly in einem langen, Nataly in einem halblangen und Kity in einem ganz kurzen, so daß die üppigen Füßchen in den drallsitzenden, roten Strümpfchen vollständig gesehen werden konnten, weshalb sie in Begleitung eines Lakaien mit goldener Kokarde an der Mütze den Twerskiyboulevard abspazieren mußten – alles dies und noch vieles andere, was sich in ihrem reizumwobenen Dasein abspielte, verstand er nicht; aber er wußte, daß alles, was hier vor sich ging, schön war, und er war vernarrt besonders in das Geheimnisvolle der Vorgänge.

Zur Zeit seiner Universitätsstudien hätte er sich beinahe in die älteste, in Dolly, verliebt, aber man verheiratete sie sehr bald schon an Oblonskiy. Er verliebte sich hierauf in die Zweitälteste.

Er empfand, daß er eine der Schwestern lieben müsse, nur konnte er nicht zu der Erkenntnis gelangen, welche die Erkorene eigentlich sei. Indessen auch Nataly folgte – sobald sie nur in der Gesellschaft erschienen war – einem Diplomaten Lwoff an den Altar.

Kity War noch ein Kind, als Lewin die Universität verließ. Der junge Schtscherbazkiy, welcher in die Marine eintrat, ertrank im baltischen Meere, und die Beziehungen Lewins zu den Schtscherbazkiy wurden ungeachtet seines freundschaftlichen Verhältnisses zu Oblonskiy immer entferntere.

Als aber nun Lewin im laufenden Jahre zu Beginn des Winters nach Moskau kam nach einem einjährigen Aufenthalt auf dem Lande, und die Schtscherbazkiys wiedersah, da erkannte er, in welche von den drei Mädchen ihm endgültig vom Schicksal beschieden worden war, sich zu verlieben.

Es hätte wohl scheinen können, als ob nichts einfacher sei als dies, daß er, ein Mann von guter Familie, eher reich als arm und im Alter von zweiunddreißig Jahren, der jungen Fürstin Schtscherbazkiy einen Heiratsantrag machte; allem Anschein nach mußte man ihn doch als eine gute Partie anerkennen.

Aber Lewin war verliebt und demzufolge schien ihm, daß Kitty ein in allen Beziehungen so vollkommenes Wesen sei, ein so über allem Irdischen erhabenes Geschöpf, er aber hingegen ein so gewöhnlicher Mensch, ein so niederes Wesen, daß sich nicht einmal daran denken lasse, es würde ihn irgend jemand anderes, oder gar sie selbst, als ihrer würdig ansehen.

Nachdem er zwei Monate in Moskau wie im Rausche zugebracht hatte, fast jeden Tag Kity in der großen Gesellschaft sehend, wohin er sich begab, um ihr begegnen zu können, beschloß er plötzlich bei sich selbst, daß es nicht sein könne und reiste ab aufs Land.

Die Überzeugung Lewins, daß es nicht in Erfüllung gehen könne, beruhte darauf, daß er in den Augen der Verwandten Kitys als eine nicht vorteilhafte, nicht angemessene Partie in Erwägung der persönlichen Vorzüge des Mädchens galt und daß dieses selbst ihn nicht lieben könne.

In den Augen der Verwandten hatte er keine berufsmäßige, bestimmtgeregelte Thätigkeit, keine Stellung in der Welt, während seine Freunde jetzt, da er schon zweiunddreißig Jahre zählte, der eine Oberst und Flügeladjutant, der andere Professor, der dritte Bank- und Eisenbahndirektor, oder Gerichtspräsident geworden war wie Oblonskiy. Er aber – der recht wohl wußte, als was er für die übrigen erscheinen mußte – war ein Gutsbesitzer der sich mit Viehzucht, mit der Jagd auf Birkhühner und mit Bauten beschäftigte, das heißt ein talentloser Mensch, von dem nichts geleistet wurde und welcher nach den Begriffen der Gesellschaft nur das that, was taugliche Menschen eben niemals thun.

Selbst die reizumwobene, schöne Kity konnte einen Mann der so unschön war, wie er selbst von sich sagte, und ganz besonders einen so einfachen, durch nichts sich auszeichnenden Menschen unmöglich lieben.

Außerdem erschienen ihm seine früheren Beziehungen zu Kity – Beziehungen eines Erwachsenen zu einem Kinde infolge seiner Freundschaft zu ihrem Bruder als eine neue Scheidewand vor der Liebe.

Den unschönen, gutmütigen Mann für den er sich selbst hielt, konnte man Wohl seiner Meinung nach als einen Freund lieben, aber um mit einer solchen Liebe geliebt zu werden, mit welcher er Kity liebte, dazu mußte man ein schöner Mensch sein, und – was immer noch die Hauptsache dabei blieb – man mußte ein absonderlicher Mensch sein. –

Er hatte wohl vernommen, daß die Weiber öfters auch häßliche Menschen lieben, einfache Menschen, aber er glaubte nicht daran, indem er nur nach sich selbst urteilte.

Er selbst aber konnte nur schöne Weiber lieben, nur solche, die mit einem Reiz des Geheimnisvollen und Besonderen begabt waren.

Nachdem Lewin so zwei Monate hindurch auf dem Lande gewesen war, überzeugte er sich, daß es sich für ihn nicht um eine jener Verliebtheiten handele, wie er sie in der Zeit seiner Jugend an sich erfahren hatte, sondern daß seine Empfindungen ihm keine Minute mehr Ruhe ließen, daß er nicht leben könne, ohne daß die Frage eine Entscheidung gefunden hätte, ob sie seine Gattin werden würde oder nicht, und daß seine ganze Verzweiflung nur aus der Vorstellung entstand, daß er nicht die geringsten Beweismittel dafür besaß, daß ihm ein Korb erteilt werden würde.

So fuhr er denn jetzt nach Moskau mit dem festen Vorsatz, einen Antrag zu stellen und zu heiraten, wenn man ihn erhörte.

Sonst – – er vermochte sich nicht zu denken, was mit ihm geschehen würde, sollte er eine Zurückweisung erfahren.

28.

Als Aleksey Aleksandrowitsch bei den Rennen erschien, saß Anna bereits auf der Tribüne neben der Fürstin Bezzy, auf derselben Tribüne, auf welcher sich die gesamte höchste Gesellschaft versammelt hatte. Sie sah ihren Gatten erst von ferne.

Zwei Menschen, ihr Mann und ihr Geliebter, waren die beiden Mittelpunkte für ihr Dasein, und ohne daß ihr die äußeren Sinne dazu verholfen hätten, empfand sie deren Nähe.

Schon von fern fühlte sie die Annäherung ihres Gatten und unwillkürlich folgte sie ihm in dem Menschengewoge, inmitten dessen er sich bewegte.

Sie sah, wie er zu der Tribüne kam, bald herablassend auf die Begrüßungen antwortend die ihn suchten, bald freundlich, aber zerstreut Gleichgestellten begegnend, bald streberisch die Blicke der Mächtigen der Erde erwartend, und seinen großen runden Hut abnehmend, der die Spitzen seiner Ohren drückte.

Sie kannte alle diese Manieren und sie alle waren ihr zuwider.

»Allein der Ehrgeiz, allein der Wunsch. Erfolg zu haben, das ist alles, was in seiner Seele wohnt,« dachte sie, »und seine hochfliegenden Pläne, die Liebe zur Volksaufklärung, seine Religiosität, alles das sind nur die Mittel dazu, diesen Erfolg zu erreichen.«

An seinen Blicken nach der Damentribüne – er schaute gerade auf sie, erkannte aber seine Frau nicht in dem Meere von Zöpfen, Bändern, Federn, Sonnenschirmen und Blumen – nahm sie wahr, daß er sie suche; doch sie wollte ihn mit Absicht nicht bemerken.

»Aleksey Aleksandrowitsch!« rief ihm die Fürstin Bezzy zu, »Ihr seht wohl Eure Gattin gar nicht; hier ist sie ja!« –

Er lächelte in seiner kühlen Weise.

»Es ist hier so viel Glanz, daß die Augen davon geblendet werden,« sagte er und trat in die Tribüne ein.

Seinem Weibe zulächelnd, wie ein Mann lächeln muß, der seiner Frau begegnet, die er vor kurzem eben erst gesehen hat, begrüßte er auch die Fürstin und die übrigen Bekannten, jedem das Seine zuteilend; das heißt mit den Damen scherzend und mit den Herren Bewillkommnungen tauschend.

Unten, neben der Tribüne stand ein von Aleksey Aleksandrowitsch höchst geachteter Mann, bekannt durch seinen Geist und seine Bildung; ein Generaladjutant.

Aleksey Aleksandrowitsch geriet ins Gespräch mit ihm; es fand gerade eine Pause zwischen den Rennen statt und nichts störte daher die Unterhaltung.

Der Generaladjutant sprach sich abfällig über Rennen aus; Aleksej Aleksandrowitsch widersprach, indem er dieselben vertrat.

Anna hörte seine dünne, gleichmäßige Stimme, die kein Wort von dem was sie sprach, verschluckte. Aber jedes seiner Worte erschien ihr unrichtig und schnitt ihr schmerzhaft ins Ohr.

Als das Vierwerstrennen mit den Hindernissen begann, beugte sie sich nach vornüber, und blickte unverwandt nach Wronskiy, wie er zu seinem Pferde trat und aufsaß. Zur nämlichen Zeit mußte sie die widerliche, nicht verstummende Stimme ihres Mannes hören.

Sie empfand Qualen in der Angst um Wronskiy, aber noch mehr wurde sie gequält von dem unaufhörlich schallenden Klange seiner dünnen Stimme mit den ihr so bekannten Accenten.

»Ich bin ein schlechtes, ein verworfenes Weib,« dachte sie, »aber ich liebe es nicht, zu lügen; ich werde die Lüge nicht ertragen – seine Stimme aber – das ist eine Lüge! – Er weiß alles und sieht alles; was jedoch kann er fühlen, wenn er so ruhig zu sprechen vermag? Wenn er mich tötet oder Wronskiy, ich würde ihn achten. Aber nein, er bedient sich lediglich der Lüge und der Etikette,« sprach Anna zu sich selbst, ohne darüber nachzudenken, was sie eigentlich von ihrem Manne wollte und wie sie ihn zu sehen wünschte.

Sie begriff auch nicht, daß diese eigentümliche Sprechseligkeit heute bei Aleksey Aleksandrowitsch, von der sie so in Gereiztheit versetzt wurde, nur der Ausdruck seiner inneren Verwirrung und Unruhe war.

Wie ein Kind, welches gefallen ist, emporspringt und seine Muskeln in Bewegung bringt, um den Schmerz zu betäuben, so war diese geistige Gymnastik für Aleksey Aleksandrowitsch unentbehrlich, damit er jene Gedanken über seine Frau betäuben konnte, welche in ihrer Gegenwart wie in der Wronskiys, sowie angesichts der beständigen Wiederholung von dessen Namen, seine Aufmerksamkeit so in Anspruch nahmen. Und wie es bei dem Kinde natürlich ist zu springen, so mußte auch er gut und verständig reden.

»Die Gefahr ist bei den Offiziersrennen, den Kavalleristenrennen,« sagte er, »eine unerläßliche Voraussetzung. Wenn England in seiner Militärgeschichte auf die glänzendsten Leistungen von Reitern blicken kann, so ist dies nur dem zu danken, daß es in sich selbst historisch diese Kraft, sowohl der Menschen wie der Tiere zu entwickeln verstand. Der Sport hat nach meiner Meinung eine hohe Bedeutung, wir aber sehen – wie immer, – nur die oberflächlichste Seite der Sache.«

»Nicht die oberflächliche,« sagte die Fürstin Twerskaja, »denn ein Offizier soll zwei Rippen gebrochen haben.«

Aleksey Aleksandrowitsch lächelte mit dem ihm eigenen Lächeln, indem er nur die Zähne zeigte, ohne damit etwas zu sagen.

»Setzen wir also den Fall, Fürstin, daß es sich hierbei nicht um eine Oberflächlichkeit handelte,« fuhr er dann fort, »so liegt doch dann etwas Innerliches vor. Doch darum handelt es sich ja nicht,« und er wandte sich von neuem an den General, mit welchem er ernst weiter sprach, »vergeßt doch nicht, daß hier Leute vom Militärstand reiten, die sich diese Thätigkeit auserkoren haben, und gebt mir zu, daß jeder Beruf seine Kehrseite der Medaille hat. Dieser Sport gehört zu den Obliegenheiten des Militärstandes. Jener ungestalte Sport des Boxens hingegen oder der der spanischen Stiergefechte ist nur ein Zeichen von Barbarei. Der specialisierte Sport hingegen das der Fortentwicklung.«

»O nein. Ich komme nicht wieder ein zweites Mal hierher, denn dies regt mich zu sehr auf,« rief die Fürstin Twerskaja. »Habe ich nicht recht, Anna?«

»Es regt allerdings auf, aber man kann sich nicht abschließen,« sagte eine andere Dame. »Wäre ich eine Römerin gewesen, ich würde keine Cirkusvorstellung versäumt haben.«

Anna sagte nichts; sie blickte, das Glas nicht von dem Auge nehmend, auf einen bestimmten Punkt.

In diesem Augenblick schritt ein hochgewachsener General durch die Tribüne. Aleksey Aleksandrowitsch brach sein Gespräch ab, stand hastig, aber würdevoll auf und verbeugte sich tief vor dem vorbeischreitenden Offizier.

»Reitet Ihr nicht mit?« scherzte dieser mit ihm.

»Mein Reiten ist schwieriger« versetzte Aleksey Aleksandrowitsch ehrfurchtsvoll.

Obwohl diese Antwort nichts weiter in sich schloß, machte der General doch ein Gesicht, als habe er ein geistreiches Wort von einem geistreichen Menschen vernommen, und vollkommen die pointe de la sauce verstanden.

»Jede Sache hat zwei Seiten,« fuhr Aleksey Aleksandrowitsch hierauf fort, »es giebt Schauspieler und Zuschauer. Die Liebe, für diese Schauspiele ist das echteste Kennzeichen niederer Entwickelung seitens der Zuschauer. Ich gebe ja das zu, allein« –

»Fürstin, pari!« rief plötzlich von oben die Stimme Stefan Arkadjewitschs, der sich zu Bezzy gewandt hatte.

»Auf wen haltet Ihr?«

»Anna und ich auf den Fürsten Kuzowljeff,« antwortete Bezzy.

»Ich auf Wronskiy. Ein Paar Handschuhe!«

»Gilt!« –

»Wie hübsch; nicht wahr?«

Aleksey Aleksandrowitsch war verstummt, während man um ihn herum sprach, doch hub er sogleich wieder an.

»Ich bin ja einverstanden, es giebt keine Männerspiele, die« –

In der nämlichen Sekunde begann das Rennen und alle Gespräche wurden abgebrochen.

Aleksey Aleksandrowitsch war gleichfalls verstummt. Alles erhob sich von den Sitzen und eilte nach dem Flusse.

Aleksey Aleksandrowitsch interessierte sich nicht für die Rennen und blickte deshalb gar nicht nach den Reitenden hinüber, sondern begann zerstreut mit abgespannten Blicken die Zuschauer zu mustern. Sein Blick blieb auf Anna ruhen.

Ihr Gesicht war bleich und herb. Sie sah und hörte offenbar nichts, ausgenommen einen Einzigen. Ihre Hand preßte krampfhaft den Fächer, sie atmete nicht.

Er blickte sie an und wandte sich dann hastig ab, auf andere Gesichter schauend.

»Auch jene Dame dort – und andere nicht minder – sehen höchst erregt aus, das ist ja sehr natürlich,« sagte Aleksey Aleksandrowitsch zu sich selbst.

Er wollte nicht auf sie blicken, aber sein Auge blieb unwillkürlich auf ihr haften. Er schaute wiederum in ihr Antlitz, sich bemühend, das nicht zu lesen, was so klar auf ihm geschrieben stand, und gegen seinen Willen, mit Entsetzen, las er auf demselben, was er nicht erkennen wollte.

Der erste Sturz Kuzowljeffs bei dem Flusse brachte alles in Aufregung, aber Aleksey Aleksandrowitsch sah klar auf dem bleichen, triumphierenden Gesicht Annas, daß der, dem sie mit den Augen folgte, nicht gestürzt war.

Als hierauf, nachdem Machotin und Wronskiy die große Barriere genommen hatten, der folgende Offizier ebendaselbst auf den Kopf stürzte und wie tot auf dem Platze blieb, als ein Schrei des Entsetzens durch die Zuschauermassen ging, da sah Aleksey Aleksandrowitsch, daß Anna dies gar nicht einmal bemerkt hatte und nur mit Mühe faßte, wovon man ringsum sprach. Immer tiefer und tiefer, mit größter Beharrlichkeit bohrte sich sein Blick in sie hinein.

Anna, förmlich verschlungen von dem Anblick des dahinjagenden Wronskiy, empfand den von seitwärts auf sich gerichteten Blick der kalten Augen ihres Gatten.

Sie schaute für einen Augenblick empor, blickte ihn fragend an, verfinsterte sich leicht und wandte sich dann wieder weg, als wollte sie ihm sagen, das alles ihr gleichgültig sei, und nun schaute sie nicht ein einziges Mal mehr nach ihm.

Das Rennen verlief sehr unglücklich. Von den siebzehn Teilnehmern an demselben waren mehr als die Hälfte gestürzt und bei seiner Beendigung befand sich alles in einer Aufregung, die sich noch mehr erhöhte, weil der Zar mißvergnügt darüber geworden war.

29.

Alle äußerten laut ihre Mißbilligung, alle wiederholten die von irgend jemand geäußerte Phrase, »das reichte nur an einen Cirkus mit Löwenkämpfen« heran, und ein Entsetzen teilte sich jedermann mit, so daß, als Wronskiy stürzte und Anna laut aufschrie, hierin nichts Außergewöhnliches lag.

In dem Gesicht Annas aber ging nun eine Veränderung vor sich, welche vollständig gegen alle Etikette verstieß.

Sie war gänzlich außer Fassung geraten und sank in sich zusammen wie ein gefangener Vogel, bald wollte sie sich erheben und forteilen; bald wandte sie sich an Bezzy.

»Fahren wir ab, gehen wir!« rief sie der Fürstin zu.

Aber Bezzy hörte sie gar nicht; sie sprach soeben nach vorn hinabgebeugt, mit einem an sie herangetretenen General.

Aleksey Aleksandrowitsch trat zu Anna und reichte ihr höflich die Hand.

»Gehen wir, wenn es Euch gefällig ist,« sagte er in französischer Sprache, aber Anna hörte nur auf das, was der General berichtete und bemerkte ihren Mann gar nicht.

»Auch den Fuß hat er gebrochen, sagt man,« erzählte der General, »so etwas ist noch nicht dagewesen!«

Anna erhob, ohne ihrem Manne zu antworten, das Augenglas und blickte nach dem Platze, auf welchem Wronskiy gestürzt war; derselbe lag aber soweit entfernt, und es drängte sich soviel Volks dort, daß nichts zu unterscheiden war.

Sie ließ das Augenglas sinken und wollte gehen, aber im nämlichen Augenblick kam ein Offizier herangesprengt, welcher dem Zaren einen Rapport brachte. Anna beugte sich lauschend nach vorn.

»Stefan, Stefan!« rief sie ihrem Bruder zu.

Aber auch ihr Bruder hörte sie nicht, und sie wollte abermals von ihrem Platze forteilen.

»Ich biete Euch noch einmal meinen Arm, falls Ihr zu gehen wünscht,« wiederholte Aleksey Aleksandrowitsch, ihren Arm berührend. Mit Widerwillen wandte sie sich von ihm ab und antwortete, ohne ihm ins Gesicht zu blicken:

»Nein, nein, laßt mich, ich will bleiben!«

Sie sah jetzt, daß von dem Platze aus, auf welchem Wronskiy gestürzt war, ein Offizier durch den Kreis hindurch nach den Tribünen lief. Bezzy winkte ihm mit dem Taschentuch; der Offizier brachte die Nachricht, daß der Reiter nicht tot sei, sein Pferd aber das Kreuz gebrochen habe.

Als Anna dies vernommen hatte, setzte sie sich schnell wieder nieder und bedeckte das Gesicht mit ihrem Fächer.

Aleksey Aleksandrowitsch gewahrte, daß sie weinte und weder ihre Thränen zurückzuhalten vermochte, noch selbst das Schluchzen, welches ihre Brust hob.

Aleksey Aleksandrowitsch deckte sie mit seiner Person, ihr Zeit gewährend, sich zu fassen.

»Zum drittenmal biete ich Euch meinen Arm,« sprach er nach einiger Zeit, sich nochmals zu ihr wendend. Anna blickte ihn an, ohne zu wissen, was sie antworten sollte. Die Fürstin Bezzy kam ihr indessen zu Hilfe.

»Nein; Aleksey Aleksandrowitsch, ich habe Anna mit mir hergeführt, und habe gelobt sie wieder mitzunehmen,« mischte sie sich ein.

»Entschuldigt mich, Fürstin,« sagte er ihr mit höflichem Lächeln, aber fest ins Auge schauend, »ich bemerke doch, daß Anna nicht recht wohl ist und wünsche daher, daß sie mit mir fährt.«

Anna blickte erschreckt empor, stand gehorsam auf und legte ihren Arm in den ihres Gatten.

»Ich werde zu ihm senden, mich erkundigen und Nachricht senden,« flüsterte ihr Bezzy zu.

Beim Verlassen der Tribüne unterhielt sich Aleksey Aleksandrowitsch ganz so, wie gewöhnlich, mit den ihm Begegnenden, und Anna mußte, ganz so wie gewöhnlich, mit antworten und mit sprechen; aber sie war sich selbst nicht mehr ähnlich, und schritt wie im Traume am Arm ihres Mannes dahin.

»Ist er tot oder nicht? Ist es überhaupt wahr? Wird er heute kommen oder nicht? Werde ich ihn heute wiedersehen?« dachte sie.

Wortlos setzte sie sich in den Wagen Aleksey Aleksandrowitschs, wortlos fuhr sie aus dem Haufen der Equipagen weg.

Ungeachtet alles dessen, was er wahrgenommen hatte, erlaubte sich Aleksey Aleksandrowitsch noch immer nicht, über den tatsächlichen Zustand seiner Frau Betrachtungen anzustellen.

Er sah nur äußerliche Kennzeichen. Er sah, daß sie gegen den Ton verstoßen hatte und erachtete es für seine Pflicht, ihr das zu sagen. Aber es wurde ihm sehr schwer, nicht auch noch mehr zu sagen, sondern nur dies allein.

Er öffnete den Mund, um ihr zu sagen, wie sie sich taktlos benommen hätte, aber unwillkürlich brachte er etwas ganz anderes heraus.

»Wie sehr sind wir doch alle diesen grausamen Schauspielen zugethan,« sagte er, »ich bemerke« –

»Was? Ich verstehe nicht,« versetzte Anna verächtlich.

Er fühlte sich verletzt, und begann sofort, zu sagen, was er sagen wollte.

»Ich muß Euch sagen,« – begann er.

»Jetzt kommt die Erklärung,« dachte sie und es wurde ihr bang zu Mute.

»Ich muß Euch sagen, daß Ihr Euch heute taktlos benommen habt,« sprach er auf französisch.

»Inwiefern habe ich mich taktlos benommen?« frug sie laut zurück und wandte den Kopf schnell nach ihm um, ihm gerade ins Auge blickend, aber durchaus nicht mehr mit dem früheren, eine gewisse Heiterkeit verbergenden Ausdruck, sondern mit entschlossener Miene, unter der sie nur mit Mühe die Furcht, die sie empfand, verbarg.

»Vergeßt nicht,« sagte er zu ihr, ans das geöffnete Fenster des Wagens hinter dem Kutscher hinweisend.

Er erhob sich und zog das Fenster auf.

»Was habt Ihr für unangemessen befunden?« wiederholte sie.

»Jenen Verzweiflungsausbruch, den Ihr nicht imstande waret zu verbergen, bei dem Sturze eines der Reitenden.« Er wartete, daß sie etwas entgegnen solle, aber sie schwieg, vor sich hinschauend. »Ich bat Euch schon einmal, Euch so zu benehmen in der Welt, daß auch die bösen Zungen nichts gegen Euch sagen könnten. Es gab eine Zeit, in welcher ich Euch nur von inneren Beziehungen reden konnte; jetzt rede ich nicht mehr von ihnen. Jetzt rede ich von den äußeren. Ihr habt Euch tadelhaft geführt, und ich wünschte, daß sich dies nicht wiederholte.«

Sie hörte kaum die Hälfte seiner Worte, sie empfand Schrecken vor ihm und dachte nur daran, ob es denn wahr sei, daß Wronskiy nicht tot geblieben wäre. Sagte man nicht, daß er unversehrt geblieben sei und nur sein Pferd das Rückgrat gebrochen habe?

Sie lächelte nur verstellt ironisch, als er geendigt hatte, und antwortete nichts, weil sie gar nicht gehört hatte, was er sagte.

Aleksey Aleksandrowitsch begann rücksichtsloser zu sprechen, aber als er klar erkannte, worüber er eigentlich redete, teilte sich die nämliche Bangnis, die Anna empfunden hatte, auch ihm mit. Er sah dieses Lächeln und ein seltsamer Irrtum überkam ihn.

»Sie lächelt über meinen Verdacht und wird wohl sogleich das Nämliche wieder sagen, was sie mir damals gesagt hat: daß es keinen Grund zu Verdacht für mich gebe, und all das lächerlich sei.«

Jetzt, da über ihm die Entdeckung schwebte, erwartete er nichts so sehr, als daß sie ihm so ironisch wie früher antworten möchte, sein Verdacht sei lächerlich und entbehrte der Begründung. So furchtbar war es, was er jetzt wußte, daß er in diesem Augenblick bereit war an alles zu glauben.

Aber der Ausdruck ihres Gesichts, welches erschreckt und finster aussah, verhieß ihm jetzt nicht einmal eine Täuschung mehr.

»Möglich ja, daß ich mich irre,« sagte er, »in diesem Falle bitte ich um Entschuldigung.«

»Nein; Ihr habt nicht geirrt,« sagte sie langsam, ihm verzweiflungsvoll in sein kaltes Antlitz blickend. »Ihr habt nicht geirrt. Ich war in Verzweiflung und mußte es sein. Ich höre Euch wohl, aber ich denke an ihn. Ich liebe ihn und bin seine Geliebte. Ich kann Euch nicht mehr ertragen, ich fürchte, – ich hasse Euch! Macht mit mir, was Ihr wollt.« –

Sie warf sich in die Ecke des Wagens und begann zu schluchzen, das Gesicht mit den Händen bedeckend.

Aleksey Aleksandrowitsch regte sich nicht; er wechselte auch die gerade Richtung seines Blickes nicht, seine Züge aber nahmen urplötzlich die feierliche Unbeweglichkeit eines Toten an, und dieser Ausdruck änderte sich nicht während der ganzen Dauer der Fahrt bis zu dem Landsitz.

Als man am Hause angekommen war, wandte er sein Haupt mit noch ganz dem nämlichen Ausdruck nach ihr hin.

»Gut. Aber nichtsdestoweniger fordere ich die Beobachtung der äußerlichen Bedingungen des Anstandes bis dahin« – seine Stimme erbebte – »wo ich Maßnahmen getroffen haben werde, welche meine Ehre wahren sollen, und die werde ich Euch mitteilen.«

Er stieg vor ihr aus und hob sie aus dem Wagen. Vor dem Diener drückte er ihr die Hand, setzte sich dann wieder in den Wagen und fuhr nach Petersburg davon.

Bald nach seiner Abfahrt kam ein Diener von der Fürstin Bezzy und brachte Anna ein Billet:

»Ich habe zu Aleksey gesandt um mich nach seinem Befinden zu erkundigen. Er schreibt mir, daß er gesund und unverletzt, aber in Verzweiflung sei.« –

»Wenn er nur ist!« dachte sie, »wie gut habe ich daran gethan, ihm alles zu gestehen.« – Sie blickte nach der Uhr. Es waren noch drei Stunden übrig und die Erinnerung an die Einzelheiten ihres letzten Zusammenseins brachten ihr das Blut zum Sieden. »Mein Gott, wie hell es ist. Es ist entsetzlich, aber ich liebe es, sein Antlitz zu sehen und liebe dieses phantastische Licht. Und mein Gatte? O! Aber Gott sei gedankt, daß mit ihm alles vorüber ist.«

21.

Der interimistische Marstall, aus Brettern errichtet, befand sich dicht neben dem Rennplan und hierher mußte gestern sein Pferd übergeführt worden sein. Er hatte dasselbe noch nicht gesehen.

Innerhalb der letzten Tage hatte er überhaupt nicht geritten, sondern nur seinem Traineur das Tier überlassen und er wußte jetzt nicht das Geringste über das Befinden desselben.

Kaum war er aus dem Wagen gestiegen, als sein Groom wie der Pferdejunge heißt, den Wagen schon aus der Ferne erkennend, den Traineur herbeirief.

Ein hagerer Engländer in hohen Stulpstiefeln und kurzem Jackett mit einem Büschel Haaren, welches allein unter dem Kinn stehen gelassen war, erschien mit dem ungelenken Gang der Jockeys, die Arme spreizend und öfters ausglitschend.

»Nun, was macht Frou-Frou?« frug Wronskiy auf Englisch.

» All right Sir – alles in Ordnung. Herr,« gurgelte der Engländer irgendwo an einer Stelle in seiner Kehle. »Aber es ist besser, Ihr geht jetzt nicht zu ihm,« fügte er hinzu, die Mütze lüftend. »Ich habe den Maulkorb angelegt, das Pferd ist aufgeregt. Es ist besser, Ihr geht nicht zu ihm, das wird es nur beunruhigen.«

»Nein, ich muß zu ihm. Ich muß ihn sehen.«

»So kommt,« antwortete der Engländer, noch immer kaum den Mund voneinanderbringend mit mürrischem Gesicht, und setzte sich mit den Armen stoßend in seinem geschraubten Gang wieder in Bewegung.

Sie traten in den Hof vor der Baracke. Ein Knabe in einer sauberen Kurtka, lebhaft und gutgehalten aussehend, hatte du jour, mit einem Besen in der Hand. Er trat den Ankommenden entgegen und schritt alsdann hinter ihnen drein.

In der Baracke standen fünf Pferde in gesonderten Ständen, und Wronskiy wußte nun, daß hierher heute sein Hauptrival, der Fuchs Gladiator Machotins, gebracht worden war.

Mehr als sein eigenes Pferd zu sehen, verlangte es Wronskiy nach Machotins Gladiator, welchen er noch nicht kannte.

Allein Wronskiy wußte, daß es nach den Regeln der Sportfreunde nicht gestattet war, das Pferd zu betrachten, ja, auch nur Fragen über dasselbe zu stellen.

Während er im Gang dahinschritt, öffnete der Groom die Thür eines zweiten Standes links und Wronskiy erblickte einen schönen Fuchs mit weißen Füßen. Er wußte, daß dies der Gladiator war, aber mit der Empfindung eines Menschen, der sich abwendet von einem offenen fremden Briefe, drehte er sich um und schritt nach dem Stande seines Frou-Frou.

»Hier steht das Pferd Mac – Mac – ich kann niemals diesen Namen aussprechen,« sagte der Engländer über die Schulter blickend, und wies mit seinem großen Daumen mit schmutzigem Nagel nach dem Stande des »Gladiator«.

»Machotins? Ja, ja, der wird mir ein ernster Gegner werden.«

»Wenn Ihr ihn rittet,« sagte der Engländer, »würde ich auf Euch setzen.«

»Frou-Frou ist nervöser und stärker,« sagte Wronskiy, lächelnd über das Lob seiner Reitkunst.

»Bei den Hindernissen liegt alles im Reiten, und im pluck,« meinte der Engländer.

Den »pluck«, das heißt die Energie und Kühnheit im Reiten fühlte Wronskiy nicht nur genugsam vorhanden in sich, er war – was bei weitem mehr sagen wollte – sogar fest überzeugt, daß überhaupt kein Mensch auf Erden mehr pluck besitzen könne, als er besaß.

»Ihr wißt wohl, daß große Aufmunterung hier nicht nötig sein wird.«

»Nicht nötig,« antwortete der Engländer, »aber sprecht gefälligst nicht so laut; das Pferd kommt leicht in Aufregung,« fügte er dann hinzu, mit dem Kopfe nach dem verschlossenen Stande nickend, vor welchem sie standen, und aus dem man das Stampfen der Hufe auf dem Stroh vernahm.

Er öffnete die Thür und Wronskiy trat in den schwach, nur durch ein einziges Fensterchen beleuchteten Stall, in welchem, mit den Füßen in dem frischen Heu scharrend, ein geschecktes Pferd mit Beißkorb stand.

Sich im Stalle umschauend, maß Wronskiy noch einmal unwillkürlich mit einem umfassenden Blick alle Vorzüge seines Lieblingsrosses.

Frou-Frou war ein Pferd von mittlerer Größe und in seinen Proportionen nicht eben tadellos. Es war schmal im Knochenbau und obwohl sein Bug sich stark nach vorn gab, war er doch schmal. Das Hinterteil hing etwas und auf den Vorderbeinen, besonders aber den Hinterbeinen war es ziemlich krummbeinig.

Die Muskeln der Hinter- und Vorderfüße waren nicht allzu stark, dafür aber war es in der Partie des Bauchgurtes ungewöhnlich dick, was jetzt namentlich in Verwunderung setzte, angesichts der Kraft und des Mutes des Tieres.

Die Knochen seiner Füße unterhalb der Kniee schienen nicht stärker als ein Daumen wenn man von der vorderen Seite blickte, dafür waren sie aber um so breiter, wenn man sie von seitwärts betrachtete.

Das ganze Pferd schien, abgesehen von der Rippenpartie, wie von seitwärts zusammengedrückt und in die Länge gezogen.

Aber eine Eigenschaft besaß dieses Pferd, welches alle Mängel vergessen machte, diese Eigenschaft war seine Abstammung, jene Abstammung, die ostentativ ist, wie der englische Ausdruck besagt. Die Muskeln stark zwischen dem Netze der Adern hervortretend, welches auf der seinen, zuckenden und glatten, atlasartigen Haut sich erstreckte, erschienen so fest, als wären sie Knochen. Der hagere Kopf mit den hervorstehenden, glänzenden Augen die sich bei dem Schnauben der Nüstern zu erweitern schienen, deren zarte Haut immer wie mit Blut übergossen aussah.

In der ganzen Gestalt des Tieres, und insbesondere an seinem Kopfe prägte sich ein bestimmter, energischer und zugleich zarter Ausdruck aus; dieses Pferd war eines jener Tiere, welche, wie es schien, nur deshalb nicht sprechen, weil die organische Einrichtung ihres Maules dies nicht gestattet.

Wronskiy wenigstens kam es vor, als empfinde das Tier alles, was er empfand, als er den Blick auf dasselbe richtete.

Kaum war er in die Nähe des Pferdes getreten, als dasselbe tief Luft einzog und sein hervorstehendes Auge derart drehte, daß das Weiße wie mit Blut unterlaufen erschien. Hierauf blickte es von der entgegengesetzten Seite nach den Eingetretenen, schüttelte den Beißkorb und trat fortwährend von einem Fuße auf den anderen.

»Seht, wie es sich erregt hat!« rief der Engländer.

»Mein schönes Pferd!« rief Wronskiy zu dem Tiere tretend und ihm zuredend. Indessen je näher er dessen Kopfe kam, um so ruhiger wurde es plötzlich, während seine Muskeln unter dem dünnen, zarten Haar spielten.

Wronskiy klopfte ihm den festen Hals, ordnete einen Büschel Mähnenhaare, der auf die falsche Seite gefallen war, auf dem schmalen Nacken und näherte sich mit dem Gesicht den offenstehenden zarten Nüstern, die denen einer Fledermaus ähnlich waren. Das Pferd zoß schnaubend die Luft ein und stieß sie dann aus den geblähten Nüstern wieder hinaus, bebend, das spitze Ohr dicht anlegend, und die harte, schwarze Lippe gegen Wronskiy lefzend, als wünsche es, ihn am Ärmel anzupacken. Doch seines Beißkorbes inne werdend, schüttelte es diesen und begann dann wiederum, von einem auf den anderen Fuß zu stampfen.

»Sei ruhig, mein Guter, sei ruhig!« sagte er, ihm mit der Hand nochmals den Rücken hinunterstreichend in dem frohen Bewußtsein, daß sich sein Pferd in dem besten Zustande befinde, der sich denken lasse. Hierauf verließ er den Stall.

Die Aufregung des Pferdes hatte sich auch Wronskiy mitgeteilt. Dieser empfand, daß ihm das Blut zum Herzen trat und es ihm ebenso zu Mute sei, wie seinem Pferde, daß es ihn verlangte, sich Bewegung zu machen, zu beißen. Es war ein ängstlich beklommenes, und doch freudiges Gefühl.

»So hoffe ich also auf Euch,« sagte er zu dem Engländer, »um sechs und ein halb Uhr heißt es auf dem Platze sein.«

»Ganz wohl,« versetzte dieser. »Aber wohin fahrt Ihr, Mylord?« frug er plötzlich, die Benennung Mylord, die er früher fast nie gebraucht hatte, anwendend.

Wronskiy hob erstaunt den Kopf und blickte, wie er dies recht wohl zu thun verstand, nicht in die Augen, sondern auf die Stirne des Engländers, erstaunt über die Kühnheit der Frage desselben.

Als er indessen inne wurde, daß der Engländer diese Frage an ihn richtete, indem er ihn nicht als seinen Herrn sondern als den Jockey betrachtete, antwortete er:

»Ich muß zu Brjanskiy, doch werde ich in einer Stunde wieder hier sein. Zum wievieltenmale hat man heute wohl diese Frage an mich gestellt,« sagte er zu sich selbst und errötete, was ihm sonst selten zu passieren pflegte.

Der Engländer blickte ihn aufmerksam an, und fuhr, gleich als ob er wüßte, wohin jener gehe, fort:

»Die Hauptsache ist, der Ruhe zu pflegen vor dem Reiten,« sagte er, »keine seelische Mißstimmung sich schaffen und sich in keiner Beziehung zerstreuen.«

» All right,« lächelte Wronskiy, sprang in den Wagen und ließ sich nach Peterhof fahren.

Er war kaum einige Schritte gefahren, da bewegte sich eine Wolke, die schon am Morgen mit Regen gedroht hatte herauf und es goß nun in Strömen von oben herab.

»Das ist dumm,« dachte Wronskiy, das Schutzdach des Wagens aufrichtend. »Es war schon so morastig genug, nun aber wird ein vollendeter Sumpf entstehen. In der Stille seines geschlossenen Wagens sitzend, zog er wiederum den Brief der Mutter hervor und den des Bruders und las beide durch.

»Ja, ja, es ist stets ein und dasselbe. Alle, seine Mutter, sein Bruder, jedermann schien es für nötig zu finden, sich in seine Herzensangelegenheiten zu mischen. Diese Einmischung aber erweckte in ihm den Zorn, ein Gefühl, das er sonst selten empfand. Was geht das sie an? Weshalb halt es ein jeder für seine Pflicht, sich um mich zu kümmern? Warum dringen sie so in mich? Wohl deshalb, weil sie sehen, daß es sich hier um etwas handele, was sie einfach nicht verstehen. Wäre dies noch eine einfache, fashionable Liaison, so würden sie mich in Ruhe lassen, aber sie fühlen, daß es sich hier um etwas anderes handelt, nicht um eine Spielerei, und daß jenes Weib mir teurer ist, als das Leben. Dies ist ihnen unbegreiflich und deshalb verdrießt es sie. Mag unser Schicksal sich gestalten wie es wolle, wir selbst haben es uns geschaffen und wir dürfen uns nicht über dasselbe beklagen,« so sprach er zu sich selbst, im Geiste sich bei dem Worte »wir« mit Anna vereinend. »Nein, sie müssen uns erst beibringen, wie man leben solle? Sie haben gar nicht das Verständnis dafür, was Glück ist; sie wissen gar nicht, daß ohne diese Liebe für uns kein Glück vorhanden ist, aber auch kein Unglück – kein Leben,« dachte er bei sich.

Er geriet über alle diese Einmischungen namentlich deshalb in Zorn, weil er in seinem Innern fühlte, daß sie alle nur zu sehr Recht hätten. Er empfand wohl, daß die Liebe, die ihn mit Anna vereint hielt, nicht eine zeitweilige Neigung war, die vorübergehen werde, wie alles in der großen Welt veränderlich ist, und keine anderen Spuren im Leben des Einen oder des Anderen zurückläßt, als angenehme oder unangenehme Erinnerungen.

Er fühlte all das Peinliche sowohl seiner als ihrer Lage, all die Schwierigkeit angesichts der Kompromittierung vor den Blicken der Welt, in der sie verkehrten, ihre Liebe zu verheimlichen, zu lügen und zu täuschen; zu lügen und zu betrügen und unaufhörlich auf die Umgebung Rücksicht nehmen zu müssen, obwohl doch die Leidenschaft die sie beide band, so mächtig war in ihnen, daß sie alles andere vergaßen, außer dieser Leidenschaft.

Er gedachte lebhaft aller der so häufig sich wiederholenden Fälle der Notwendigkeit zu lügen und zu betrügen, die seiner Natur doch sonst so fremd waren; er dachte besonders lebhaft daran, was er schon öfter bei sich bemerkt hatte, daß das Gefühl der Beschämung über diese Zwangslage zu Lug und Trug in ihm aufgekeimt war.

Seit der Zeit seines Verhältnisses zu Anna hatte er eine ihn bisweilen nur überkommende seltsame Empfindung. Es war das Gefühl des Ekels über etwas Unbestimmtes – ob vor Aleksey Aleksandrowitsch, vor sich selbst, oder vor der ganzen Welt – er wußte es nicht genau.

Daher suchte er dies seltsame Gefühl stets von sich zu weisen – aber gleichwohl setzte er den Gang seiner Gedanken jetzt fort.

»Ja, sie war vordem unglücklich, aber stolz und still; jetzt aber kann sie nicht mehr ruhig und würdevoll sein, wenngleich sie auch dem nicht Ausdruck verleiht. Es muß entschieden ein Ende nehmen,« beschloß er endlich bei sich selbst.

Zum erstenmal kam ihm klar der Gedanke in den Kopf, daß er zweifelsohne dieses Lügenleben abbrechen müsse und zwar je schneller um so besser; »wir müssen alles verlassen; sie und ich, und müssen uns beide an einem fremden Orte allein mit unserer Liebe verbergen,« so sprach er zu sich selbst.

22.

Der Regenguß währte nicht lange Zeit, und als Wronskiy im vollen Trab des Rassepferdes, welches die beiden ohne Zügel beigespannten, im Morast nebenher laufenden Beipferde nach sich zog, ankam, schaute bereits die Sonne wieder hervor und die Dächer der Villen, die alten Linden in den Gärten zu beiden Seiten der Hauptstraße schimmerten in feuchtem Glanze; Von den Zweigen tropfte das Wasser lustig hernieder, von den Dächern rann es herab.

Er dachte schon nicht mehr daran, daß dieser Regen die Rennbahn verderben werde, sondern er freute sich darüber, daß er dank diesem Regen sie daheim und allein antreffen würde. Wußte er doch, daß Aleksey Aleksandrowitsch, erst unlängst aus dem Bade zurückgekehrt, noch nicht von Petersburg herübergekommen war.

In der Hoffnung, Anna allein zu finden, stieg Wronskiy wie er dies stets zu thun pflegte, um weniger Aufsehen zu erregen, aus, ohne über das Brückchen vor dem Hause zu fahren, und ging zu Fuß hinein. Er schritt auch nicht von der Straße zur Freitreppe empor, sondern begab sich in den Hof.

»Ist der Herr schon angekommen?« frug er den Gärtner.

»Nein, aber die Herrin ist daheim. Wollt Ihr nicht die Freitreppe hinaufgehen, es sind dort Leute, die Euch öffnen werden,« versetzte der Gärtner.

»Nein, ich will vom Garten ans hineingehen.«

Nachdem er sich so überzeugt hatte, daß sie allein sei, schritt er, im Wunsche sie zu überraschen, da er ihr nicht versprochen hatte, heute zu ihr zu kommen, und sie infolgedessen nicht daran denken konnte, daß er noch vor den Rennen sie besuchen werde, vorsichtig den Säbel aufnehmend über den Sand des Weges der mit Blumen eingesäumt war, zur Terrasse, welche nach dem Parke hinausging.

Wronskiy hatte jetzt alles vergessen, was er unterwegs über die Schwierigkeit und Beengtheit seiner Lage gedacht hatte, er dachte jetzt nur das Eine, daß er sie im nächsten Augenblick schon sehen sollte, und zwar nicht nur im Geiste, sondern in der Wirklichkeit, so wie sie lebte, wie sie war.

Er hatte schon, so leise als möglich, um jedes Geräusch zu vermeiden, die Terrasse betreten, als ihm plötzlich etwas einfiel, was er stets vergessen hatte, das, was den peinlichsten Punkt in seinen Beziehungen zu ihr bildete – ihr Söhnchen mit seinem fragenden, ihm feindselig erscheinenden Blick.

Dieser Knabe war häufiger als alle anderen ein Hindernis in ihrem beiderseitigen Verhältnis gewesen. Wenn er anwesend war, wagte es weder Wronskiy noch Anna, irgend etwas selbst andeutungsweise zu berühren, was sie in Anwesenheit aller nicht hätten berühren können, ja sie gestatteten sich selbst nicht einmal, in Andeutungen zu sprechen, welche der Knabe noch nicht verstehen konnte.

Sie sprachen kein Wort hierüber, und alles wurde, gleichsam als wäre dies selbstverständlich, einfach unterdrückt. Hätten sie es doch für eine Beleidigung der eigenen Person angesehen, wenn sie dieses Kind täuschten und so sprachen sie in seiner Gegenwart nur, wie alte Bekannte eben zu reden pflegen.

Aber ungeachtet dieser Vorsicht, sah Wronskiy dennoch häufig den Blick des Knaben starr, aufmerksam und zweifelnd auf sich gerichtet und fühlte eine seltsame Scheu und Unsicherheit, bald Freundlichkeit, bald Kühle und Beklommenheit in den Beziehungen desselben zu sich.

Es war als ob das Kind es fühlte, daß zwischen diesem Manne und seiner Mutter eine ernste Verbindung bestehe, deren Bedeutung er nur noch nicht zu erkennen vermochte.

In der That fühlte der Knabe, daß er diese geheimen Beziehungen nicht begreifen könnte; er strengte sich an, vermochte aber nicht, sich das Gefühl klar zu machen, welches er diesem Manne gegenüber empfinden mußte.

Mit diesen Ahnungen in der Erklärung jenes Gefühles, erkannte der Knabe recht wohl, wie sein Vater, die Gouvernante, die Amme, alle um ihn herum, Wronskiy nicht nur nicht liebten, sondern vielmehr mit Abscheu und Schrecken nach ihm blickten, obwohl niemand von ihm sprach, sowie, daß seine Mutter ihn wie ihren besten Freund betrachtete.

Was bedeutet das? Wer ist dieser Mann? Wie soll ich ihn lieben? Da ich dies nicht verstehen kann, so bin ich thöricht oder schlecht, dachte das Kind, und hiervon rührte sein forschendes, fragendes, teils feindseliges Benehmen, seine Schüchternheit und Ungleichheit her, die Wronskiy so verlegen machte.

Die Gegenwart dieses Kindes rief stets wieder in Wronskiy jenes seltsame Gefühl unerklärlichen Widerwillens hervor, welches er in der letzten Zeit in sich empfunden hatte. Sie rief in ihm und in Anna ein Gefühl hervor, welches dem eines Seefahrers ähnlich war, der nach dem Kompaß schaut und sieht, daß die Richtung in der er sich schnell vorwärts bewegt, weit von der richtigen abliegt, und daß es doch nicht in seinem Vermögen steht, diese Bewegung zu hemmen, daß ihn dabei jede Minute weiter und weiter mit fortführe und er sich gestehen müsse in dieser Entfernung von der vorgeschriebenen Richtung – das alles gleichgültig sei und man sich in das Verderben fügen müsse.

Dieses Kind mit seinem naiven Blick auf das Leben war der Kompaß, der beiden den Grad ihrer Verirrung von dem zeigte, was sie genau kannten, aber nicht kennen wollten.

Heute war der kleine Sergey nicht zu Haus und Anna war vollständig allein. Sie saß auf der Terrasse, die Rückkehr ihres Kindes erwartend, welches gegangen war, um sich im Freien zu tummeln und Regentropfen zu haschen. Sie hatte einen Diener und eine Zofe es zu suchen geschickt und saß nun wartend allein.

Anna war in eine weiße Robe gekleidet und saß in einer Ecke der Terrasse hinter Blumen, ohne ihn kommen zu hören.

Das schwarzgelockte Haupt neigend, drückte sie die Stirn an die kalte Vase, welche auf dem Geländer stand und hielt sich an derselben mit ihren beiden schönen Händen, an welchen die Ringe staken, die ihm so wohlbekannt waren. Die Schönheit ihrer ganzen Erscheinung, des Hauptes, des Halses, der Hände, überraschte Wronskiy stets von neuem und berührte ihn gleichsam von neuem wie etwas Unerwartetes.

Er stand, voll Entzücken auf sie blickend. Kaum aber wollte er einen Schritt vorwärts thun, um sich ihr zu nähern, da empfand sie seine Nähe, sie ließ die Vase los und wandte ihm ihr glühendes Gesicht zu.

»Was ist Euch, fühlt Ihr Euch nicht wohl?« frug er sie auf französisch, ihr näher tretend. Er wollte auf sie zueilen, warf aber zuvor, indem er sich ins Gedächtnis rief, daß Fremde da sein könnten, einen Blick nach der Balkonthür und errötete, wie er stets errötete, wenn er fühlte, daß er in Furcht und Vorsicht handeln müsse.

»Nein; ich bin gesund,« versetzte sie, sich erhebend und seine dargereichte Hand fest drückend. »Ich erwartete dich nicht« –

»Mein Gott, wie kalt diese Hände sind!« rief er aus.

»Du hast mich erschreckt,« antwortete sie; »ich bin allein und erwarte meinen Sergey; er ist spielend fortgelaufen, sie müssen von hierher kommen.«

Obwohl sie sich bemühte, ruhig zu bleiben, bebten ihre Lippen.

»Verzeiht mir, daß ich gekommen bin, aber ich vermochte den Tag nicht zu verbringen, ohne Euch nur einmal wiederzusehen,« fuhr er französisch fort, wie er stets that, wenn er das unmöglich klingende, kalte russische »Ihr« ebenso wie das gefahrbringende russische »du« umgehen wollte.

»Weshalb verzeihen? Ich freue mich ja!«

»Aber Ihr seid doch unwohl oder verstimmt,« fuhr er fort ohne ihre Hände freizulassen und sich zu ihr herniederbeugend. »Woran dachtet Ihr?«

»Nur immer an Eins,« antwortete sie lächelnd.

Sie sagte damit die Wahrheit. Wenn es auch sein mochte, zu jeder Minute zu der man sie Härte fragen mögen, woran sie denke, konnte sie ohne einen Irrtum befürchten zu müssen, antworten, daß sie nur an das Eine, an ihr Glück und an ihr Unglück, gedacht habe.

Auch jetzt hatte sie daran gedacht, als er zu ihr kam; sie dachte daran, weshalb für die anderen, für Bezzy zum Beispiel – sie kannte deren vor der Welt geheim gehaltenes Verhältnis zu Tuschkewitsch – alles dies so leicht war, für sie selbst aber so qualvoll.

Heute quälte sie dieser Gedanke unter dem Drucke verschiedenartiger Erwägungen ganz besonders. Sie erkundigte sich nach den Rennen, er antwortete ihr, da er wahrnahm, daß sie sich in Aufregung befinde, im Bemühen sie zu zerstreuen und begann ihr in möglichst unbefangenem Tone Einzelheiten über die Anstalten zu den bevorstehenden Rennen zu erzählen.

»Soll ich es sagen oder nicht?« dachte sie hierbei, in seine ruhigen, freundlichen Augen blickend. »Er ist so glücklich, so beschäftigt mit seinen Rennen, daß er nichts verstehen wird, wie es nötig ist, daß er nie die ganze Bedeutung, die dieses Verhältnis für uns hat, erkennen wird.«

»Aber Ihr habt mir noch nicht gesagt, woran Ihr dachtet, als ich eintrat,« fuhr er fort, sein Gespräch abbrechend, »sagt mir es doch, bitte!«

Sie antwortete nicht, sondern blickte nur, den Kopf ein wenig neigend, verstohlen und fragend mit ihren schimmernden Augen unter den langen Wimpern nach ihm empor. Ihre Hand, mit einem abgepflückten Blatte spielend, zitterte. Er gewahrte dies und sein Gesicht drückte wieder jene Ergebenheit, jene knechtische Hingebung aus, die sie dereinst so sehr gewonnen hatte.

»Ich sehe, daß etwas vorgefallen ist. Kann ich aber eine Minute ruhig sein, wenn ich weiß, daß Ihr ein Leid tragt, welches ich nicht teilen soll? Sprecht zu mir, um Gottes willen,« sprach er in beschwörendem Tone.

»Ich würde es ihm nie verzeihen, wenn er nicht die ganze Bedeutung der Sache erfassen könnte. Es ist daher besser, ich spreche gar nicht; weshalb eine solche Probe machen,« dachte sie bei sich selbst, ihn beständig anblickend und fühlend, wie ihre Hand mit dem Blatte mehr und mehr zu zittern begann.

»Bei Gott beschwöre ich Euch,« wiederholte er, ihre Hand ergreifend.

»Soll ich sprechen?«

»Ja, ja!«

»Ich bin gesegnet,« sprach sie leise und langsam.

Das Blatt in ihrer Hand bebte noch stärker, sie aber ließ ihn nicht aus den Augen, um zu ergründen, wie er die Nachricht aufnehme.

Er war bleich geworden, wollte etwas antworten, hielt aber inne. Dann ließ er ihre Hand frei und senkte den Kopf.

»Ja, er hat sie erfaßt, die Bedeutung dieses Ereignisses,« dachte sie und drückte ihm dankbar die Hand.

Aber sie irrte in der Annahme, daß er die Tragweite dieser Nachricht so begriffen hätte wie sie, das Weib, sie erfaßte.

Mit verzehnfachter Macht empfand er bei derselben die Wirkung jenes seltsamen, ihn öfter überkommenden Gefühls des Ekels vor etwas ihm Unbekannten, zugleich aber erkannte er auch, daß jene Krise, die er ersehnt hatte, jetzt herbeikam, daß jetzt vor dem Gatten nichts mehr verheimlicht werden könne und daß es notwendig werde, so oder so, möglichst schnell dieser unnatürlichen Situation ein Ende zu machen.

Nichtsdestoweniger aber teilte sich auch ihm ihre physische Erregung mit. Er schaute mit mildem ergebenen Blick auf sie, küßte ihre Hand, erhob sich und begann langsam auf der Terrasse umherzugehen.

»Ja wohl;« sagte er, entschlossen zu ihr hintretend. »Weder ich noch Ihr haben auf unser Verhältnis so geblickt, daß wir es etwa als Spielerei aufgefaßt hätten. Heute aber hat sich unser Geschick entschieden. Wir müssen unfehlbar ein Ende machen,« sagte er, sich umblickend, »mit dieser Lüge, in der wir leben.«

»Ein Ende machen? Inwiefern denn, Aleksey?« frug sie leise.

Sie hatte sich jetzt beruhigt und ihr Gesicht strahlte in zärtlichem Lächeln.

»Den Mann verlassen und unser Leben vereinigen.«

»Es ist ja ohnehin schon vereinigt,« bemerkte sie kaum vernehmbar.

»Ja, indessen ganz, vollständig muß dies geschehen.«

»Aber wie denn, Aleksey, wie denn, belehre mich doch!« frug sie, mit traurigem Lächeln über die hoffnungslose Verwickelung ihrer Lage. »Giebt es denn einen Ausweg aus solcher Lage? Bin ich nicht das Weib meines Gatten?« –

»Es giebt Auswege aus jeder Lage. Man muß nur einen Entschluß fassen,« sagte er. »Alles wird besser sein, als diese Situation, in welcher du dich befindest. Ich sehe ja, wie du dich mit allem selbst peinigst, mit der Welt, deinem Sohne und deinem Manne.«

»O, nur nicht mit dem Manne,« versetzte sie mit treuherzigem Lächeln. »Ich weiß nichts von ihm und denke seiner nicht. Er ist für mich nicht da.«

»Du sprichst nicht aufrichtig. Ich kenne dich. Du machst dir ein Gewissen über ihn.«

,.Aber er weiß es doch nicht,« sagte sie und eine helle Röte stieg ihr plötzlich in das Gesicht; Wangen, Stirn und Hals erröteten und Thränen der Scham traten ihr in die Augen. »Wir wollen nicht mehr von ihm sprechen«

23.

Wronskiy hatte schon mehrfach, wenn auch nicht so entschieden, versucht, wie jetzt, Anna zu einer Beurteilung ihrer Lage zu veranlassen. Er war stets auf jene Oberflächlichkeit, jenen Leichtsinn im Urteilen gestoßen, mit dem sie ihm auch jetzt geantwortet hatte auf seine Aufforderung.

Es lag etwas darin, was sie sich gleichsam nicht klar machen konnte oder wollte, gleich als ob, sobald sie nur hierüber zu sprechen begann, sie selbst in sich selbst hineingehen müßte, und als eine ganz andere wieder aus sich herauskäme, als eine seltsame, ihm fremde Frau, die er nicht liebe und nur fürchte, und welche ihm Widerstand leiste.

Heute aber hatte er den Entschluß gefaßt, ihr eine volle Erklärung zu geben.

»Weiß er nun etwas oder nicht,« frug Wronskiy in seinem gewohnten, festen, ruhigen Ton, »weiß er nun etwas oder nicht, uns geht das nichts an. Wir können nicht – Ihr könnt unter obwaltenden Verhältnissen nicht so bleiben, besonders jetzt.«

»Aber was ist zu thun, nach Eurer Meinung?« frug sie mit dem alten leichtsinnigen Spott.

Sie, die so sehr gefürchtet hatte, er möchte ihre Hiobspost zu leicht auffassen, sie fühlte sich jetzt davon gekränkt, daß er infolge derselben ausführte, es müsse gehandelt werden.

»Man muß ihm alles erklären und ihn verlassen.«

»Nicht übel, wenn ich dies thäte,« antwortete sie.

»Ihr wißt wohl, was aus alledem folgen müßte?«

»Ich kann Euch alles im voraus erzählen« – ein böser Glanz entzündete sich in diesen noch vor einer Minute so weichgewesenen Blicken: »Aha, Ihr liebt einen anderen und seid mit diesem in ein verbrecherisches Verhältnis getreten« – bei der Nachahmung ihres Gatten that sie, was Aleksey Aleksandrowitsch gethan hatte; sie legte einen Nachdruck auf das Wort verbrecherisch. »Ich habe Euch vorher auf die Folgen eines solchen in religiöser, in bürgerlicher und familiärer Beziehung aufmerksam gemacht. Aber Ihr habt mich nicht gehört. Jetzt kann ich meinen Namen nicht der Schande überliefern – ebensowenig wie meinen Sohn,« wollte sie hinzufügen, aber über den Sohn vermochte sie nicht zu scherzen, »der Schande nicht überliefern,« ergänzte sie und sprach noch weiter in dieser Weise. »Im allgemeinen wird er mit seiner aristokratischen Manier, seiner Klarheit und Präzision sagen, er könne mich nicht von sich lassen, sondern werde Maßregeln, die von ihm abhingen, ergreifen, um den Skandal zu vermeiden. Und er wird ruhig und gewissenhaft thun, was er sagt. So wird es kommen. Er ist kein Mensch, sondern eine Maschine, aber eine gefährliche Maschine, wenn sie erzürnt ist,« fügte sie noch hinzu, in der Erinnerung an Aleksey Aleksandrowitsch und an alle Einzelheiten seiner Erscheinung, seiner Sprechweise, und ihm alles zum Fehler anrechnend, was sie nur Übles an ihm zu entdecken vermochte, und ohne ihn um Verzeihung zu bitten für die furchtbare Sünde, deren sie sich vor ihm schuldig gemacht hatte.

»Aber Anna,« fuhr Wronskiy mit überzeugender weicher Stimme fort, sich bemühend, sie zu beruhigen, »es ist doch notwendig, ihm alles zu sagen und sich dann dem zu fügen, was er unternehmen wird.«

»Und wie stände es mit einer Flucht?«

»Weshalb nicht fliehen? Ich sehe überhaupt keine Möglichkeit, dieses Verhältnis fortzusetzen, und spreche nicht in meinem Interesse, sondern ich sehe, daß Ihr leidet!«

»Ja, fliehen; und ich muß alsdann Eure Geliebte werden,« sagte sie bitter.

»Anna,« antwortete er vorwurfsvoll zärtlich.

»Ja, ja,« fuhr sie fort, »ich werde Eure Geliebte werden und alles ins Unglück stürzen.«

Sie wollte wiederum hinzufügen »auch mein Kind«; aber sie vermochte nicht, dieses Wort auszusprechen.

Wronskiy konnte nicht begreifen, wie sie mit ihrer starken, ehrenhaften Natur imstande war, diese Situation voller Lug und Trug noch zu ertragen, daß sie nicht wünschte, sich derselben zu entziehen, doch er ahnte ja nicht, daß der hauptsächlichste Grund hierfür das Wort »Sohn« bildete, das sie nicht über die Lippen zu bringen vermochte.

Wenn sie ihres Sohnes dachte und seiner künftigen Beziehungen zu der Mutter, die seinen Vater verließ, wurde es ihr so entsetzlich zu Mute, über das, was sie gethan, daß sie nicht mehr überlegte, sondern, als echtes Weib, sich bemühte, nur noch Beruhigung zu erlangen, mit Trugschlüssen und Worten, in dem Wunsche, es möchte alles beim alten geblieben sein und die furchtbare Frage in Vergessenheit kommen, was mit dem Sohne werden solle.

»Ich bitte, ich beschwöre dich,« sagte sie mit plötzlich völlig verändertem, aufrichtigen und zärtlichem Tone, ihn bei der Hand nehmend, »sprich nie mit mir hierüber!«

»Aber, Anna« –

»Nie! – Überlaß mir alles. All die Niedrigkeit, all das Entsetzliche meiner Lage kenne ich, aber es ist bei alledem doch die Entscheidung nicht so leicht, als du meinst. Überlaß alles mir und gehorche mir; sprich auch nicht mehr hierüber mit mir. Willst du mir das versprechen? Nein, nein, versprich« –

»Ich verspreche alles, kann aber nicht ruhig sein namentlich angesichts dessen, was du da gesagt hast. Ich kann nicht ruhig sein, wenn du nicht Ruhe finden kannst.«

»Ich?« fuhr sie fort. »Ja, bisweilen empfinde ich ja Schmerz, aber dies geht schon vorüber, wenn du niemals mit mir davon sprechen willst. Thust du es dennoch, dann erst werde ich Qualen empfinden.«

»Ich verstehe dich nicht,« sagte er.

»Ich weiß wohl,« unterbrach sie ihn, »wie schwer es deiner ehrenhaften Natur fällt, zu lügen, und ich bemitleide dich. Gar oft denke ich daran, wie du für mich dein Leben untergraben hast.«

»Ganz ähnlich habe auch ich soeben gedacht,« sagte er, »wie konntest du meinetwegen dich ganz und gar zum Opfer bringen? Ich kann es mir nicht vergeben, daß du so unglücklich geworden bist.«

»Ich unglücklich?« sagte sie, sich ihm nähernd, und ihn mit verzücktem Lächeln der Liebe anblickend, »ich erscheine mir wie ein hungriger Mensch, den man Speise gereicht hat. Mag sein, daß er dabei friert und sein Kleid zerrissen ist, daß er sich schämt darob – er ist aber doch nicht unglücklich. Ich unglücklich? Nein, hier ist mein Glück!«

Sie vernahm die Stimme ihres heraneilenden Söhnchens und erhob sich jäh. die Terrasse mit schnellem Blick überfliegend.

Ihr Blick erglühte in jenem Feuer, das er kannte, mit schneller Bewegung erhob sie ihre mit Ringen bedeckten schönen Hände, nahm ihn beim Kopfe und blickte ihn mit langem Blicke an, dann näherte sie ihr Antlitz mit halbgeöffneten lächelnden Lippen, küßte ihn schnell auf den Mund und beide Augen und stieß ihn dann von sich. Sie wollte forteilen, doch er hielt sie.

»Wann?« frug er flüsternd, sie mit entzückten Blicken messend.

»Heute, um ein Uhr,« flüsterte sie und ging dann, unter einem schweren Seufzer, mit ihren leichten und schnellen Schritten dem Sohne entgegen.

Sergey hatte den Regen im großen Parke abgewartet, mit seiner Amme in einer Laube sitzend.

»Also auf Wiedersehen,« sagte sie zu Wronskiy. »Nun muß ich bald zu den Rennen. Bezzy hat versprochen, mich abzuholen.«

Wronskiy blickte nach seiner Uhr und ging eiligst von dannen.

24.

Als Wronskiy nach der Uhr an dem Balkon des Hauses der Karenin blickte, war er so in Verwirrung, so mit seinen Gedanken beschäftigt, daß er wohl die Zeiger auf dem Zifferblatt sah, aber nicht zu erkennen vermochte, welche Zeit es war. Er schritt nach der Chaussee hinaus und begab sich, vorsichtig durch den Morast watend, zu seinem Wagen.

Wronskiy war derart von seiner Empfindung für Anna erfüllt, daß er gar nicht mehr daran gedacht hatte, welche Zeit es sei, und ob es noch Zeit sei, zu Brjanskiy zu fahren.

Er besaß nur noch, wie dies so häufig vorkommt, die äußere Fähigkeit des Gedächtnisses, welche ihm zeigte, wie die Dinge hintereinander zu erledigen waren. Er trat zu seinem Kutscher, welcher auf dem Bocke in dem schon schrägfallenden Schatten einer dichten Linde träumte, scheuchte die in Säulen schwärmenden Stechfliegen, die auf den nassen Pferden tanzten, und weckte dann den Kutscher, sprang in den Wagen und befahl, zu Brjanskiy zu fahren.

Als er ungefähr sieben Werst gefahren war, war er soweit zu sich gekommen, daß er nach der Uhr sah und erkannte, es sei halb sechs und er werde sich verspäten.

Am heutigen Tage fanden mehrere Rennen statt; ein Eröffnungsrennen, ein Offiziersrennen von zwei Werst Distance, eines von vier Werst und das Rennen, an welchem er selbst teilnahm.

Zu seinem eignen Rennen konnte er noch kommen, aber wenn er zu Brjanskiy fahren wollte, so konnte er eben noch ankommen, und er kam dann erst an, wenn der ganze Hof schon anwesend sein würde.

Dies war unangenehm; doch er hatte Brjanskiy sein Wort gegeben, zu ihm kommen zu wollen und entschied sich deshalb dafür, weiter zu fahren, indem er dem Kutscher befahl, die Troika nicht zu schonen.

Er kam zu Brjanskiy, hielt sich bei demselben fünf Minuten auf und eilte dann zurück. Diese schnelle Fahrt beruhigte ihn.

All das Bedrückende, das in seinen Beziehungen zu Anna lag, all das Unbestimmte, was noch nach der stattgehabten Unterredung zwischen ihnen obwaltete, verschwand jetzt ganz aus seinem Kopfe, und mit Wonne und Lebhaftigkeit dachte er jetzt an das Rennen, daran, daß er dennoch eilen müsse, und nur bisweilen flammte dazwischen die Erwartung der Glückseligkeit des Wiedersehens, welches ihm für die heutige Nacht zugesagt war, in hellem Lichte in seiner Vorstellungskraft auf.

Die Spannung auf das bevorstehende Rennen ergriff ihn mehr und mehr, im Maße, als er weiter und weiter in die Atmosphäre der Rennbahn gelangte, und die Equipagen überholte, die von den Landgütern und von Petersburg her zu den Rennen fuhren.

In seinem Quartier war niemand mehr anwesend; alle waren schon zu den Rennen gegangen und sein Lakai erwartete ihn an der Thür. Während er sich umkleidete, teilte ihm dieser mit, daß das zweite Rennen schon begonnen habe und viele Herren bereits nach ihm gefragt hätten. Auch von dem Marstall sei schon zweimal der Groom gekommen.

Ohne Hast kleidete er sich um – er hastete niemals und verlor nie die Selbstbeherrschung – und befahl alsdann, nach den Baracken zu fahren. Von diesen aus konnte er schon das Gewoge der Equipagen, der Fußgänger und Soldaten sehen, welche die Rennbahn umgaben und die von Menschen wimmelnden Tribünen.

Es fand wahrscheinlich soeben das zweite Rennen statt, da er gerade zur Zeit seines Eintritts in die Baracken die Glocke vernahm.

Als er sich dem Stalle näherte, begegnete ihm Machotins weißfüßiger Fuchs »Gladiator« den man in einer orangefarbenen und blauen Decke, an welcher sich ungeheuer große blaue Ohrklappen befanden, nach der Bahn führte.

»Wo ist Kord?« frug er den Knecht.

»Im Stalle: er sattelt.«

In dem geöffneten Stallraum war Frou-Frou schon gesattelt. Man war im Begriff, ihn herauszuführen.

»Bin ich also doch nicht zu spät gekommen?«

»All right, all right! Alles in Ordnung,« antwortete der Engländer. »Seid nur nicht aufgeregt.«

Wronskiy überflog nochmals mit einem Blicke die herrlichen, ihm so teuren Formen des Pferdes, welches am ganzen Körper bebte, und ging dann, sich nur mit Überwindung von diesem Anblick losreißend, aus der Baracke.

Er kam zu den Tribünen gerade zur günstigsten Zeit, um keinerlei Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Soeben ging das Zwei-Werste-Rennen zu Ende und aller Augen richteten sich auf den Reiter von der Kavaliergarde der die Tete desselben führte und den Leibhusaren der ihm folgte und auf die Rosse, welche mit Aufgebot der letzten Kräfte daherjagend, sich dem Pfosten näherten.

Aus der Mitte und von außerhalb des Kreises drängte sich alles nach dem Pfosten hin und eine Gruppe von Soldaten und Offizieren des Kavaliergarderegiments gab mit lauten Rufen ihrer Freude über den zu erwartenden Triumph ihres Offiziers und Kameraden Ausdruck.

Wronskiy trat unbemerkt in die Mitte dieses Kreises, fast zur nämlichen Zeit, als die Glocke ertönte, welche das Ende des Rennens anzeigte und der hochgewachsene Kavaliergardist, welcher Sieger geblieben war, über und über mit Kot bespritzt, sich auf dem Sattel zurückbeugte und seinem grauen Hengst, der von Schweiß dunkel geworden war, die Zügel ließ.

Der Hengst, der nur mit Mühe die Füße noch heben konnte, mäßigte die rasende Schnelligkeit seines großen Körpers und der Kavaliergardist schaute sich, gleich einem Menschen der aus einem schweren Traume erwacht, im Kreise um, zu lächeln versuchend. Ein Haufe von Freunden und Fremden umringte ihn.

Wronskiy mied mit Absicht jenen gewählten Trupp aus der hohen Welt, der sich gemessen und doch frei bewegte und vor den Tribünen im Gespräch umherging.

Er wußte, daß dort auch Anna Karenina war, sowie Bezzy, und das Weib seines Bruders und begab sich daher mit Absicht, um sich nicht zu zerstreuen, nicht dahin.

Es trafen ihn indessen unaufhörlich Bekannte die ihn anhielten, ihm Einzelheiten über die schon beendeten Rennen erzählten und ihn frugen, weshalb er sich verspätet habe.

Zur selben Zeit, als die Teilnehmer am Rennen in die Rennkasse berufen wurden, um ihre Preise entgegenzunehmen und als alles sich nach dorthin wandte, trat Alexander, der ältere Bruder Wronskiys, ein Oberst in Epauletten, von kleiner Gestalt, und ebenso stämmig gebaut wie Aleksey, aber frischer und röter im Gesicht, mit roter Nase und offenem, trunksüchtigen Gesicht zu ihm.

»Hast du meinen Brief empfangen?« begann derselbe. »Man kann dich ja niemals antreffen!«

Aleksander Wronskiy war ungeachtet seines ausschweifenden, namentlich dem Trunke huldigenden Lebens, wegen dessen er bekannt war, ein vollendeter Hofmann.

Als er jetzt mit seinem Bruder über eine für ihn so sehr unerquickliche Angelegenheit sprach, nahm er doch in dem Bewußtsein, daß jetzt vieler Augen auf sie gerichtet sein konnten, eine lächelnde Miene an, als scherze er gleichsam über eine Kleinigkeit mit seinem Bruder.

»Ich habe ihn empfangen, verstehe aber wahrhaftig nicht, um was du dich hierbei zu sorgen hättest,« antwortete Aleksey.

»Ich muß mich um das kümmern, was von mir soeben hervorgehoben wurde, daß man dich nämlich nirgends findet, und man dir am Montag in Peterhof begegnet ist.«

»Es giebt Angelegenheiten, die nur der Beurteilung derjenigen unterstehen, die davon direkt interessiert werden, und die Angelegenheit, um die du dich so sehr kümmerst, ist eine solche« –

»Ja, ja, aber dann dient man eben nicht, nicht« –

»Ich bitte dich, dich nicht einzumischen; und damit genug« –

Das finstere Gesicht Aleksey Wronskiys wurde bleich und sein hervorstehendes Unterkinn zitterte, was bei ihm nur selten vorkam.

Als Mensch von sehr gutem Herzen erregte er sich nur selten, geschah dies aber einmal, und bebte erst das Kinn bei ihm, dann war er – und dies wußte auch Aleksander Wronskiy – gefährlich. – Aleksander Wronskiy lächelte heiter.

»Ich hatte dir nur einen Brief der Mutter geben wollen. Antworte ihr und zerstreue dich nicht vor deinem Rennen.«

»Bonne chance,« fügte er hinzu, lächelte und ging. Gleich nach ihm aber hielt Wronskiy wiederum eine freundschaftliche Begrüßung auf.

»Man will wohl seine Freunde gar nicht kennen! Guten Tag mon cher!« redete ihn jetzt Stefan Arkadjewitsch an, dessen Gesicht auch hier, inmitten des Glanzes von Petersburg, nicht minder in den gewundenen frisierten Backenbärten vor Röte schimmerte, als in Moskau. »Ich bin erst gestern angekommen und freue mich sehr, deinen Sieg mit ansehen zu können; wann werden wir uns heute sehen?«

»Komm morgen ins Kasino,« antwortete Wronskiy, und drückte ihm sich empfehlend den Ärmel seines Paletots, worauf er nach dem Mittelpunkt des Rennplatzes schritt, woselbst schon die Pferde zu dem großen Rennen mit Hindernissen hereingeführt wurden.

Die schweißtriefenden, abgematteten Pferde des vorigen Rennens wurden, von den Grooms geführt, nach Hause gebracht, und eins nach dem anderen erschienen zum bevorstehenden Rennen neue, meist englische Pferde, in Hauben, mit ihren hängenden Leibern, seltsamen, ungeheuren Vögeln ähnlich.

Rechts brachte man das feurige Vollblut Frou-Frou, welches wie auf Sprungfedern auf seinen elastischen und ziemlich langen Beinen dahinschritt. Unfern davon nahm man dem spitzohrigen Gladiator die Decke ab. Die runden, reizend schönen, vollkommen ebenmäßigen Formen des Hengstes mit dem prächtigen Hinterteil, den ungewöhnlich kurzen, steif auf den Hufen aufstehenden Beinen, zogen unwillkürlich die Aufmerksamkeit Wronskiys auf sich.

Dieser wollte nun zu seinem Pferde gehen, aber wieder hielt ihn ein Bekannter zurück.

»Dort ist ja Karenin!« sagte derselbe zu ihm, mit dem er ins Gespräch kam. »Er sucht seine Frau, die sich mitten auf der Tribüne befindet. Habt Ihr sie noch nicht gesehen?«

»Nein, ich habe sie nicht gesehen,« versetzte Wronskiy, nicht einmal einen Blick nach der Tribüne werfend, auf der man ihm die Karenina zeigte. Hierauf begab er sich zu seinem Pferd.

Wronskiy hatte kaum die Sattelung gemustert, über welche noch einige Anordnungen zu geben waren, als man die Teilnehmer am Rennen zu der Rennkasse berief, um die Nummern zu ziehen und den Start zu erläutern.

Mit ernsten, strengen Gesichtern, viele bleich, gingen siebzehn Herren zur Bude und nahmen ihre Nummern.

Wronskiy hatte Nummer sieben. Man vernahm den Ruf »Aufsitzen«. In der Empfindung, daß er zusammen mit den übrigen Teilnehmern am Rennen den Mittelpunkt bildete, auf den sich aller Augen gerichtet hielten, begab er sich in einem Zustand von Spannung, bei welchem er gewöhnlich gemessen und ruhig in seinen Bewegungen wurde, zu seinem Pferd.

Kord hatte sich für die Feier der Rennen mit seinem Paradeanzug, einem schwarzen hochzugeknöpften Überzieher, steif gestärkten Kragen, der ihm die Backen aufstemmte und einem runden schwarzen Hut und Kanonenstiefeln geschmückt. Er war, wie stets, ruhig und gemessen, und hielt eigenhändig das Pferd an beiden Zügeln, vor demselben stehend.

Frou-Frou fuhr fort zu beben wie im Fieber. Das üppige Feuer seiner Augen traf schräg auf den herzutretenden Wronskiy, welcher jetzt den Finger zwischen den Bauchgurt steckte. Das Pferd schielte stärker, zeigte die Zähne und legte das Ohr zurück.

Der Engländer kräuselte die Lippen, als wolle er ein Lächeln darüber zeigen, daß man seine Sattelung noch prüfe.

»Sitzt auf, Ihr werdet dann weniger erregt sein.«

Wronskiy warf noch einen letzten Blick auf seine Genossen. Er wußte, daß er sie beim Ritte selbst nicht mehr sehen werde.

Zwei derselben waren bereits auf den Platz nach vorn geritten, von welchem gestartet werden mußte.

Galzin, einer der gefährlichsten Rivalen, ein Freund Wronskiys, ging rund im Kreise um seinen Fuchshengst, der ihn nicht aufsitzen lassen wollte.

Ein kleiner Leibhusar in seinen engen Reithosen ritt eben Galopp, wie eine Katze über der Croupe zusammengeduckt dahin, im Wunsche, es den Engländern nachzumachen.

Der Fürst Kuzowljeff saß blaß auf seiner Vollblutstute aus dem Grabowskiyschen Gestüt, die sein Engländer an der Kandare führte.

Wronskiy und alle seine Kameraden kannten Kuzowljeff und seine »Nervenschwäche«, sowie auch seine entsetzliche Eitelkeit. Sie wußten, daß er sich vor allem fürchte, daß er sich selbst fürchtete, ein Militärpferd zu reiten; jetzt aber hatte er sich, obwohl es so entsetzlich war, daß sich die Leute den Hals brachen, daß bei jedem Hindernis ein Arzt und ein Lazarettwagen stand mit dem Samariterkreuz und der barmherzigen Schwester, dennoch entschlossen, mit zu reiten.

Beide begegneten sich mit den Blicken und Wronskiy zwinkerte ihm freundlich und aufmunternd zu. Er sah nur Einen nicht, seinen bedeutendsten Rivalen, Machotin auf dem Gladiator.

»Also keine Überstürzung,« sagte Kord zu Wronskiy, »und denket nur an das Eine: faßt nicht in die Zügel bei den Hindernissen und treibt nicht; überlaßt ihn sich selbst wie er will!«

»Gut, gut,« sagte Wronskiy, sich mit den Zügeln beschäftigend.

»Wenn möglich, so führt das Rennen, doch verzweifelt nicht bis zur letzten Minute, wenn Ihr auch hinten bleiben solltet!«

Das Pferd wollte sich soeben bewegen, als Wronskiy mit gewandter und kräftiger Bewegung in den stählernen, gezahnten Steigbügel trat und leicht und sicher seinen schlanken Körper in den knarrenden Ledersattel brachte.

Nachdem er mit dem rechten Fuße den andern Bügel gefaßt hatte, ordnete er mit der üblichen Bewegung die Doppelzügel zwischen den Fingern und Kord ließ die Hände los.

Gleichsam als wisse er nicht, mit welchem Fuße er zuerst anzutreten habe, so zog Frou-Frou mit gestrecktem Halse die Zügel vor, bewegte sich, wie auf Sprungfedern und schüttelte seinen Reiter auf dem geschmeidigen Rücken.

Kord, seinen Schritt beschleunigend, folgte ihm nach.

Das aufgeregte Pferd zerrte bald auf dieser, bald auf jener Seite an den Zügeln im Versuch, seinen Reiter zu überlisten, Wronskiy aber bemühte sich sorglich – mit Stimme und Hand, es zu besänftigen. –

Man war bereits zu dem abgedämmten Flusse gekommen, in der Richtung nach dem Platze, von dem aus gestartet werden mußte. Viele der Reiter waren vorn, viele noch dahinten, als plötzlich Wronskiy hinter sich im Kot des Weges das Geräusch eines galoppierenden Pferdes vernahm. Machotin überholte ihn auf seinem weißfüßigen Gladiator. Machotin lächelte, seine langen Zähne zeigend, Wronskiy aber blickte nur ingrimmig auf ihn. Er liebte jenen überhaupt nicht und jetzt erachtete er ihn als seinen gefährlichsten Rivalen. Er empfand Verdruß über Machotin, weil derselbe an ihm vorübersprengte, und sein Pferd zum Scheuen brachte.

Frou-Frou fiel in der That mit dem linken Fuße in Galopp, machte zwei Volten und ging dann, gereizt über die straffen Zügel in einen stoßenden Trab über, den Reiter dabei hochwerfend.

Auch Kord machte ein ärgerliches Gesicht und lief jetzt fast Trab hinter Wronskiy.

25.

Es ritten im ganzen siebzehn Offiziere. Die Rennen gingen auf einer großen ellipsenförmigen Ringbahn von vier Werst vor der Tribüne vor sich. Auf dieser Ringbahn waren neun Hindernisse errichtet worden; nämlich der Fluß; dann eine große, feste Barriere von zwei Arschin Höhe mitten vor der Tribüne, ein trockener Graben, ein mit Wasser gefüllter Kanal, ein abschüssiger Hügel, ein »irländisches Bankett«, welches – als eines der schwierigsten Hindernisse – aus einem Wall bestand, der von Reihwerk besetzt war und hinter dem sich, nicht sichtbar für die Pferde, noch ein Graben befand; sodaß das Pferd zwei Hindernisse nehmen oder stürzen mußte, ferner noch zwei Gräben mit Wasser und ein trockener, und das Ziel des Rennens war gegenüber der Tribüne.

Das Rennen begann indessen nicht von dem Kreise aus, sondern etwa hundert Faden seitwärts von demselben und auf diesem Abstand hin befand sich das erste Hindernis, der abgedämmte Fluß, von drei Arschin Breite, welches die Reiter nach Gutdünken überspringen oder in der Furt durchreiten konnten.

Dreimal versuchten die Reiter zu starten, aber jedesmal brach eines der Pferde aus und man mußte wieder von vorn anfangen.

Der Starter, Oberst Sjostrin, begann schon ärgerlich zu werden, als er endlich beim viertenmale »los« rief und die Reiter davonflogen.

Aller Augen, alle Binokles richteten sich auf den bunten Trupp der Reiter während diese starteten.

»Man hat sie abgelassen! Da reiten sie hin!« hörte man es von allen Seiten nach der tiefen Stille der Erwartung erschallen.

Trupps von Menschen und einzelne Fußgänger begannen nun von Punkt zu Punkt zu laufen, um besser sehen zu können. In der ersten Minute schon trennte sich der dichte Haufe der Reiter und es wurde sichtbar, wie dieselben zu zweien und dreien und einzeln hintereinander, sich dem Flusse näherten. Den Zuschauern schien es, als ob sie noch alle geschlossen liefen, während sich für die Reiter Sekunden schon Unterschiede bildeten, die für sie hohe Bedeutung besaßen.

Der höchst aufgeregte und zu nervöse Frou-Frou verlor den ersten Moment, und mehrere Pferde gewannen Vorsprung vor ihm, aber Wronskiy überholte, bevor sie noch bis an den Fluß gelangt waren, mit allen Kräften das in den Zügeln reißende Pferd haltend, mit Leichtigkeit drei von ihnen und vor ihm blieb nur noch der braune Gladiator Machotins, der mit seinem Hinterteil taktmäßig und leicht dicht vor Wronskiy ausschlug und allen voran die reizende Diana, welche den Fürsten Kuzowljeff trug, der mehr tot als lebendig war.

In den ersten Minuten hatte Wronskiy weder über sich selbst, noch über sein Pferd Macht. Bis zum ersten Hindernis, dem Flusse, vermochte er die Bewegung des Pferdes nicht zu leiten.

Der Gladiator und die Diana liefen nebeneinander und schwebten fast im selben Moment über dem Fluß, auf die andere Seite hinüberfliegend. Kaum bemerkbar, gleichsam fliegend, folgte ihnen Frou-Frou, aber im selben Augenblick, als Wronskiy sich in der Luft fühlte, erblickte er plötzlich fast unter den Füßen seines Pferdes Kuzowljeff, der sich mit der Diana jenseits des Flusses wälzte. – Kuzowljeff hatte nach dem Sprunge die Zügel nachgelassen, sodaß sein Pferd sich mit ihm überkugelte.

Diese Einzelheiten erfuhr Wronskiy erst später, jetzt gewahrte er um, daß gerade unter seinen Füßen, wo Frou-Frou niedertreten mußte, der Fuß oder Kopf Dianas liegen könne. Frou-Frou indessen machte gleich einer fallenden Katze mitten im Sprunge eine Anstrengung mit den Füßen und dem Rücken, vermied das Pferd und flog weiter.

»Braves Pferd!« dachte Wronskiy.

Über den Fluß gelangt, hatte Wronskiy volle Herrschaft über sein Pferd gewonnen, er begann jetzt zurückzuhalten in der Absicht, die große Barriere hinter Machotin zu nehmen und erst in der folgenden, hindernisfreien Distanz von zweihundert Faden Länge, es zu versuchen, diesen auszustechen.

Die große Barriere stand dicht vor der Zaren-Tribüne. Der Kaiser, der gesamte Hof und die Volksmengen, alle blickten auf die beiden Reiter, auf ihn und Machotin, der um eine Pferdelänge Abstand vor ihm ritt, als es »zum Teufel« ging – wie die feste Mauer genannt wurde.

Wronskiy empfand diese von allen Seiten auf ihn selbst gerichteten Blicke, aber er sah nichts, als die Ohren und den Hals seines Rosses und die ihm entgegenfliegende Erde, sowie die Croupe und die Weißen Füße des Gladiator, die eilig vor ihm Takt schlugen und sich noch immer in der nämlichen Entfernung hielten.

Der Gladiator hob sich im Sprunge, ohne anzustoßen, schlug mit dem kurzen Schweif und entschwand den Blicken Wronskiys.

»Bravo!« sprach eine Stimme.

Im nämlichen Augenblick tauchten unter den Augen Wronskiys, dicht vor ihm selbst, die Bretter der Barriere auf.

Ohne die geringste Veränderung in der Bewegung schnellte das Pferd unter ihm empor; die Bretter verschwanden, nur hinter ihm stieß etwas an. Sein Pferd, erhitzt über den vor ihm laufenden Gladiator, hatte sich zu zeitig vor der Barriere sprungfertig gemacht und mit dem Hinterhuf an diese angeschlagen.

Aber sein Lauf veränderte sich nicht, und Wronskiy, welcher eine Schlammflocke ins Gesicht erhalten hatte, erkannte, daß er noch immer im selben Abstande vom Gladiator war. Wiederum sah er vor sich dessen Croupe, den kurzen Schweif, und wiederum die nämlichen, sich nicht entfernenden, Weißen Füße in ihrer schnellen Bewegung.

Im nämlichen Augenblick, als Wronskiy daran dachte, daß er jetzt Machotin überholen müsse, begann Frou-Frou selbst, als ob es bereits erkannt hätte, woran sein Herr jetzt dachte, ohne jede Aufmunterung bedeutend aufzugehen und sich Machotin von der vorteilhaftesten Seite aus zu nähern, von der des Strickes, aber Machotin gab nicht Raum.

Wronskiy dachte nun erst daran, daß es auch möglich wäre, ihn von außen noch immer zu überholen, als Frou-Frou schon den Gang änderte und ganz in der gleichen Weise die Überholung versuchte.

Der von Schweiß schon dunkel werdende Bug Frou-Frous erschien jetzt neben der Croupe des Gladiator.

Einige Sprünge machten beide Pferde nebeneinander, aber vor dem Hindernis, dem sie sich jetzt näherten, begann Wronskiy, um nicht den großen äußeren Bogen machen zu müssen, mit den Zügeln zu arbeiten, und überholte Machotin schnell, mitten auf dem abschüssigen Hügel.

Er sah im Vorüberstiegen Machotins Gesicht von Schmutz überspritzt; ihm schien auch, als lächle es. Wronskiy hatte Machotin überholt, aber er fühlte diesen sofort hinter sich, und hörte das unaufhörliche, nahe hinter seinem Rücken gleichmäßig ertönende Stampfen und das abgebrochene, noch ganz kräftige Schnauben aus den Nüstern des Gladiator.

Die folgenden beiden Hindernisse, der Graben und die Barriere, wurden leicht genommen, aber Wronskiy hörte jetzt das Schnauben und Stampfen des Gladiator näher. Er trieb sein Pferd an und bemerkte voll Freude, daß dieses mit Leichtigkeit seinen Lauf beschleunigte und der Schall der Hufschläge des Gladiator wieder in der früheren Distanz hörbar war.

Wronskiy führte das Rennen und that somit, was er gewollt, und was ihm Kord geraten hatte – jetzt war er seines Erfolges sicher. – Seine Erregung, Freude und Zärtlichkeit zu Frou-Frou nahm mehr und mehr zu. Er hätte sich gern umgeblickt, wagte dies aber nicht zu thun, und bemühte sich daher ruhig zu werden und sein Pferd nicht zu drängen, um demselben so viel Kräfte zu erhalten, wie viel der Gladiator, seinem eigenen Gefühl nach, noch besaß.

Es war noch eins, und zwar das schwerste Hindernis übrig. Nahm er es vor den übrigen, dann mußte er als Erster ankommen. Er jagte auf das »irische Bankett« zu.

Er und Frou-Frou sahen dieses Hindernis schon aus der Ferne und beiden zugleich, ihm und dem Pferde, kam ein Moment des Zweifels.

Er bemerkte die Unentschlossenheit seines Tieres an dessen Ohren, und hob die Gerte, fühlte aber sofort, daß sein Zweifel unbegründet war; das Pferd wußte, was es galt.

Es ging stark auf und ganz so wie er vorausgesetzt hatte, hob es sich, stieß sich vom Erdboden ab und folgte dann dem Gesetz der Schwere, welches es weit über den Graben hinweg trug.

In dem nämlichen Takte, ohne jede Anstrengung und in der nämlichen Gangart setzte Frou-Frou seinen Lauf fort.

»Bravo, Wronskiy!« vernahm er Stimmen aus dem Haufen von Menschen, welche bei diesem Hindernis standen. Er wußte, daß es die Stimmen seiner Kameraden vom Regiment waren, und konnte sogar recht gut die Stimme Jaschwins heraushören, ohne diesen jedoch zu sehen.

»Mein prächtiges Pferds« dachte er über Frou-Frou und lauschte auf das, was hinter ihm vorging. »Er hat es auch genommen,« dachte er, hinter sich das Stampfen des Gladiator hörend.

Es blieb nun noch ein letzter Graben voll Wasser von zwei Arschin Breite übrig.

Wronskiy schaute gar nicht nach demselben, begann aber, im Wunsche, mit großer Distance Sieger zu werden, kreisförmig mit den Zügeln zu arbeiten, und im Takt mit dem Gang des Pferdes dessen Kopf zu heben und nachzulassen. Er fühlte, daß das Tier seine letzte Kraft aufbot; nicht nur sein. Hals und die Schultern waren naß, sondern auch im Genick und auf dem Kopfe, an den scharfgespitzten Ohren trat der Schweiß in Tropfen hervor und es atmete scharf und kurz.

Er wußte indessen, daß des Pferdes Kraft noch reichlich auf die noch zurückzulegenden zweihundert Faden langen werde, und nur daran, daß er sich der Erde näher fühlte, und an einer eigenartigen Weichheit der Bewegungen Frou-Frous erkannte Wronskiy, um wieviel sein Pferd seine Schnelligkeit vermehrt hatte.

Es überflog den Graben, als habe es ihn gar nicht bemerkt. Es überflog ihn wie ein Vogel, aber im nämlichen Augenblick fühlte Wronskiy zu seinem Schrecken, daß er, den Bewegungen seines Pferdes nicht schnell genug folgend, ohne zu wissen, wie es zuging, selbst eine ungeschickte nicht wieder auszugleichende Bewegung gemacht hatte, indem er sich auf den Sattel niedergelassen.

Seine Lage veränderte sich plötzlich und er fühlte, daß etwas Schreckliches geschehen sei. Noch aber hatte er sich nicht Rechenschaft über das, was vorgefallen war zu geben vermocht, als plötzlich dicht neben ihm selbst die weißen Füße des Fuchshengstes auftauchten und Machotin vorüberflog.

Wronskiy hatte mit dem einen Fuße den Boden berührt und sein Pferd wälzte sich auf diesen Fuß. Kaum hatte er denselben frei gemacht, als es nach einer Seite hin zusammenbrach, schwer ächzend und fruchtlose Bewegungen mit seinem schlanken schweißtriefenden Halse machend, um sich zu erheben.

Es wälzte sich auf der Erde vor seinen Füßen, wie ein erschossener Vogel; eine ungeschickte Bewegung, die Wronskiy gemacht, hatte ihm das Rückgrat gebrochen.

Doch dies erkannte er erst viel später. Jetzt sah er nur das Eine, daß Machotin sich schnell von ihm entfernte, er aber, unsicher schwankend, einsam auf dem schmutzbedeckten unbeweglichen Erdboden stand und vor ihm, schwer atmend, Frou-Frou lag, den Kopf nach ihm wendend und ihn mit seinem schönen Auge anblickend.

Noch immer nicht begreifend, was geschehen sei, zerrte Wronskiy sein Pferd an dem Zügel. Es krümmte sich wiederum zusammen, wie ein Fisch, mit den Seiten seines Sattels knarrend und streckte die Vorderfüße nach vorn, aber nicht imstande, das Hinterteil zu erheben, bemühte es sich vergeblich und fiel wieder auf die Seite.

Mit von Leidenschaft entstellten Zügen, bleich und mit bebenden Kinnbacken, gab ihm Wronskiy einen Stoß mit dem Absatz in die Seiten und zog nochmals an den Zügeln. Aber es bewegte sich nicht mehr, und drückte nur die Nase auf die Erde, seinen Herrn mit sprechendem Blicke anschauend.

»O!« stöhnte Wronskiy, nach seinem Kopfe greifend, »o, was habe ich gethan!« – rief er aus. »Ein Rennen verloren, und durch meine Schuld, durch einen schmählichen, einen unverzeihlichen Fehler. O, dieses unglückliche, herrliche, vernichtete Tier! O, was habe ich gethan!«

Volk, der Arzt, der Feldscher und Offiziere seines Regiments kamen herbeigeeilt. Zu seinem Unglück fühlte er sich heil und unversehrt. Sein Pferd hatte das Rückgrat gebrochen und es sollte erschossen werden.

Wronskiy war nicht imstande, auf die an ihn gestellten Fragen zu antworten, er vermochte mit niemand zu sprechen.

Er wandte sich um, und die ihm vom Kopfe gefallene Mütze nicht aufhebend, verließ er die Rennbahn, ohne zu wissen, wohin er ging.

Er fühlte sich unglücklich. Zum erstenmal in seinem Leben erfuhr er an sich das schwerste Unglück – ein nicht wieder gut zu machendes Unglück, und ein solches, an welchem er selbst die Schuld trug.

Jaschwin kam ihm mit der Mütze nach und begleitete ihn heim; nach einer halben Stunde kam Wronskiy wieder zu klarer Fassung.

Die Erinnerung an dieses Rennen aber blieb noch lange Zeit hindurch eine der schwersten und peinlichsten seines Lebens.

20.

Wronskiy quartierte in einer geräumigen und sauberen, in zwei Abteilungen getrennten Fischerhütte. Petrizkiy befand sich mit ihm hier in dem Kantonnement zusammen. Derselbe schlief, als Wronskiy mit Jaschwin in die Hütte trat.

»Steh‘ auf; genug geschlafen!« sagte Jaschwin, hinter die Zwischenwand gehend und den dort mit der Nase tief in ein Kissen gedrückten Petrizkiy an der Schulter rüttelnd.

Petrizkiy sprang plötzlich auf die Füße und blickte um sich.

»Dein Bruder war hier,« sagte er zu Wronskiy, »er hat mich geweckt, der Teufel mag ihn holen. Er hat hinterlassen, daß er wiederkommen würde.«

Bei diesen Worten zog er von neuem die Bettdecke an sich, und warf sich wieder auf das Kissen.

»Laß mich doch, Jaschwin,« sagte er, ärgerlich auf diesen, der ihm die Decke wegzog. »Laß mich!« Er wandte sich um und öffnete die Augen. »Gieb lieber einen guten Rat, was man hier trinken kann, ich habe solch einen üblen Geschmack im Munde« –

»Branntwein ist das beste was es giebt,« scherzte Jaschwin. »Tereschtschenko! Branntwein für den Herrn und Gurken,« rief er, augenscheinlich in seine eigene Stimme verliebt.

»Du denkst Branntwein; wie?« frug Petrizkiy, mürrisch und die Augen verdrehend. »Was trinkst du denn? Wir wollen doch lieber zusammen trinken! Wronskiy, trinkst du etwas mit?« wandte sich Petrizkiy aufstehend und die getigerte Decke unter den Arm zusammenfassend. Er ging nach der Thür der Scheidewand, hob die Arme und sang auf französisch »Es war ein König von Thule!« »Wronskiy, trinkst du nicht?«

»Scher dich zum Satan,« antwortete dieser, den ihm von seinem Diener gereichten Waffenrock anlegend.

»Wo soll es denn hingehen?« frug ihn Jaschwin, »da kommt ja auch die Troyka,« fügte er hinzu, den Wagen vorfahren sehend.

»Nach dem Marstall und dann muß ich noch zu Brjanskiy wegen der Pferde,« sagte Wronskiy.

Wronskiy hatte in der That versprochen, zu Brjanskiy zu kommen, welcher in einer Entfernung von einigen zehn Werst von Peterhof wohnte, und ihm Geld für Pferde zu bringen. Er gedachte auch dort länger zu verweilen, allein die Kameraden erkannten, daß er nicht nur dorthin fahren werde.

Petrizkiy fuhr fort zu singen und zwinkerte mit den Augen indem er die Lippen spitzte, als ob er sagen wollte, wir wissen was das für ein Brjanskiy ist.

»Sieh nur zu, daß du dich nicht verspätigst!« meinte Jaschwin, und fuhr dann fort, sogleich auf ein anderes Thema überspringend. »Was macht denn mein Brauner, geht er gut?« frug er, durch das Fenster nach dem Pferd draußen in der Gabeldeichsel blickend, welches er verkauft hatte.

»Halt!« rief Petrizkiy dem schon fortfahrenden Wronskiy nach. »Dein Bruder hat für dich einen Brief und ein Billet hier gelassen! Halt doch, wo ist denn beides?«

Wronskiy blieb noch.

»Wo denn?«

»Wo? Nun, hierum handelt es sich eben,« antwortete Petrizkiy feierlich, von der Nase mit dem Zeigefinger nach oben fahrend.

»So sprich doch, das ist ja zu thöricht,« lachte Wronskiy.

»Ich habe den Kamin nicht geheizt. Hier irgendwo herum.«

»Hast du nun genug geschwatzt? Wo ist denn der Brief?«

»Ich habe ihn wirklich nicht. Ich habe ihn vergessen. Oder sollte ich ihn nur im Traume gesehen haben? Halt, halt; doch wozu sollst du dich erzürnen. Hättest du wie ich gestern, vier Flaschen in Brüderschaft getrunken, so würdest du auch vergessen, wo man liegt. Halt, gleich besinne ich mich.« Petrizkiy schritt hinter die Scheidewand und legte sich wieder auf das Bette. »Siehst du, so lag ich, und so stand er, ja, ja, ja; da ist er ja,« und Petrizkiy zog den Brief unter der Matratze hervor, in der er ihn verborgen hatte.

Wronskiy nahm das Schreiben und die Zuschrift des Bruders. Es war das, was er erwartet hatte: Vorwürfe seitens der Mutter, weil er nicht zu ihr kam und eine Mitteilung vom Bruder, in der gesagt wurde, es zeige sich eine Unterredung nötig.

Wronskiy wußte, daß beides sich um den nämlichen Angelpunkt drehte.

»Was geht das sie an?« dachte er und steckte dann den Brief, den er zerknitterte, zwischen die Knöpfe seines Rockes, damit er ihn unterwegs nochmals mit Aufmerksamkeit lesen könne.

In dem Flur der Hütte begegneten ihm zwei Offiziere, deren einer von dem nämlichen, der andere von einem anderen Regimente war. Das Quartier Wronskiys war gewöhnlich der Versammlungsort aller Offiziere.

»Wohin?«

»Muß nach Peterhof.«

»Das Pferd gekommen aus Zarskoje?«

»Gekommen; aber noch nicht gesehen.«

»Man sagt, Machotins Gladiator hinke.«

»Unsinn! Wahrscheinlich nur, wenn Ihr durch diesen Schlamm hier reitet!« antwortete der andere.

»Ha, da sind meine Retter!« rief Petrizkiy, die Eintretenden erblickend. Neben ihm stand der Diener mit Branntwein und Gurken auf einem Präsentierteller.

»Dies hier hat uns Jaschwin befohlen, zu meiner Erfrischung zu mir zu nehmen.«

»Nun, Ihr habt es uns schön gegeben gestern Nacht,« sagte der Eine der Offiziere, »wir haben die ganze Nacht nicht schlafen können.«

»Ich dachte gar! Hört nur, wie das zuging: Wolkoff stieg auf das Dach und meinte, es sei ihm recht traurig ums Herz. Ich sagte zu ihm, er solle Musik machen, den Trauermarsch. Da schlief er auf dem Dache während des Trauermarsches ein.«

»Der muß unfehlbar Branntwein trinken, unfehlbar und dann Selterswasser und viel Limonade,« sagte Jaschwin, neben Petrizkiy hintretend wie eine Mutter, die ihn veranlaßt, eine Arznei zu nehmen, »hinterher aber ein ganz klein wenig Champagner – jedoch nur ein einziges Fläschchen.«

»Das ist doch wenigstens ein verständiges Wort. Bleib da, Wronskiy, wir wollen zusammen trinken!«

»Nein, entschuldigt, meine Herren, aber heute trinke ich nicht mit.«

»Was, denkst du zu schwer zu werden? Nun dann thun wir es allein. Gieb das Selterswasser und Limonade!«

»Wronskiy,« rief noch ein anderer, als dieser bereits draußen auf dem Flur war.

»Was noch?«

»Du müßtest dir die Haare scheren lassen; sie werden dir sonst auch zu schwer, besonders auf der Platte.«

Wronskiy begann in der That vorzeitig spärliches Haar zu bekommen. Er lachte lustig, zeigte seine dichtstehenden Zähne, schob die Mütze über die spärliche Stelle, ging hinaus und setzte sich in seinen Wagen.

»Nach dem Marstall!« sagte er, und holte die Briefe wieder hervor um sie von neuem zu lesen, dachte aber bald nicht mehr daran, um sich bis zur Besichtigung der Pferde nicht zu zerstreuen.