Während Lewin nach Hause zurückkehrte, erkundigte er sich nach allen Einzelheiten der Krankheit Kitys und nach den Plänen der Schtscherbazkiy und obwohl es ihm schwer gefallen wäre, dies zugestehen zu müssen, so verursachte ihm doch das, was er vernahm, ein Gefühl der Genugthuung.

Ein Gefühl der Genugthuung verursachte es ihm deshalb, weil nun noch Hoffnung war, und noch mehr deshalb, weil sie Schmerzen litt, sie, die ihm so weh gethan.

Als indessen Stefan Arkadjewitsch von den Ursachen der Krankheit Kitys zu reden begann und den Namen Wronskiys erwähnte, unterbrach ihn Lewin:

»Ich habe keinerlei Recht, mich nach den intimen Einzelheiten zu erkundigen, und um die Wahrheit zu sagen, ja auch keinerlei Interesse daran.«

Stefan Arkadjewitsch lächelte kaum merklich; er fing wohl die momentane ihm so bekannte Veränderung in den Zügen Lewins auf, die jetzt so finster wurden, wie sie eine Minute zuvor noch heiter gewesen waren.

»Hast du denn schon völlig abgeschlossen betreffs des Waldes mit Rjabinin?« frug Lewin.

»Ja; ich bin in Ordnung; der Preis ist recht gut; achtunddreißigtausend Rubel. Acht im voraus, die übrigen in sechs Jahren. Ich habe lange Zeit geschwankt, aber kein Mensch gab mehr.«

»Das heißt, du giebst den Wald umsonst weg,« bemerkte Lewin finster.

»Weshalb denn umsonst?« frug Stefan Arkadjewitsch mit gutmütigem Lächeln, Wohl wissend, daß in diesem Augenblick nichts für Lewin sich der Billigung erfreuen würde.

»Weil der Wald zum mindesten fünfhundert Rubel jede Desjatine wert ist.« versetzte Lewin.

»Ach, über diese Gutsherren,« rief scherzend Stefan Arkadjewitsch. »Das ist eben Euer Ton der Geringschätzung gegenüber den Standesgenossen aus der Stadt. Wie wir auch handeln, wir glauben stets, am besten gehandelt zu haben! Glaube mir, ich habe alles reiflich überlegt und überdacht,« sagte er, »der Wald ist sehr vorteilhaft verkauft, so daß ich im Grunde nur noch fürchten muß, er könnte plötzlich von der Abschließung des Geschäftes zurücktreten. Der Wald ist übrigens nur zu Brennholz zu gebrauchen und hält nicht mehr als dreißig Saschen auf die Desjatine; er aber gab mir zweihundert Rubel für die Desjatine.«

Lewin lächelte geringschätzig.

»Ich weiß,« dachte er, »daß diese Manier nicht nur ihm eigen ist; sie ist allen den vornehmen Stadtherren charakteristisch, die da innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren vielleicht zweimal im ganzen auf dem Dorfe draußen sind und nachdem sie einige Begriffe vom Landleben aufgeschnappt haben, dieselben sofort richtig oder falsch anwenden und damit schon der festen Meinung sind, sie verständen die Landwirtschaft aus dem Grunde. Er sagt dreißig Saschen Holz enthielt in seinem Walde eine Desjatine? Da spricht er eben einfach, ohne etwas zu verstehen. »Ich will dich nicht im entferntesten belehren bezüglich dessen, was du in deinem Amte arbeitest,« fuhr Lewin fort, »ja, wenn es erforderlich ist, werde ich dich selbst um Rat fragen. Aber bist du ebenso sicher überzeugt, daß du die Forstwissenschaft genau kennst? Dieselbe ist sehr schwierig. Hast du einmal deine Bäume gezählt?«

»Was Bäume zählen?« sagte Stefan Arkadjewitsch lachend, in dem beharrlichen Bestreben, den Freund seiner inneren Mißstimmung zu entreißen. »Das wäre Sandkörner zählen, oder die Strahlen der Planeten berechnen, obwohl eine hochstehende Intelligenz« –

»Ja wohl, aber die hochstehende Intelligenz bedeutet hier Rjabinin. Kein Kaufmann kauft, ohne zu rechnen, wenn man ihm nicht etwas umsonst giebt, wie du dies jetzt thust. Ich kenne deinen Wald genau, denn alljährlich bin ich dort auf der Jagd» Er ist fünfhundert Rubel bares Geld nach der Desjatine wert, während er dir nur zweihundert – und noch obenein auf Raten – zahlen will. Das bedeutet ganz einfach so viel, daß du ihm eben dreißigtausend Rubel schenkst.«

»Du wirst mich nicht so leicht eines anderen belehren können,« erwiderte Stefan Arkadjewitsch ebenfalls mitleidig, »weshalb hat denn kein Mensch einen höheren Preis auf den Wald geboten?«

»Deshalb, weil er mit den Kaufleuten einig ist; er hat ihnen einfach ein Verzichtgeld gegeben. Ich habe mit ihnen allen zu thun gehabt, und kenne sie genau; das sind ja überhaupt keine eigentlichen Kaufleute, sondern nur Wucherer. Rjabinin geht gar nicht an ein Geschäft, bei dem er etwa nur zehn oder fünfzehn Prozent verdiente, sondern er wartet, bis er für zwanzig Kopeken einen Rubel kaufen kann.«

»Genug nun! Du bist heute nicht bei Laune?«

»Keineswegs,« versetzte Lewin mürrisch, als beide vor dem Hause anfuhren.

Vor der Freitreppe stand bereits eine stark mit Eisen und Leder beschlagene kleine Tjelega mit einem wohlgefütterten, an breiten straffgespannten Kummetriemen eingespannten Pferde.

In dem Wagen saß steif, rot wie ein Krebs und straff, gegürtet ein Handlungsdiener, welcher Kutscherdienste für Rjabinin versah.

Dieser selbst befand sich schon im Hause; er begegnete den beiden Freunden im Vorzimmer. Rjabinin war ein hochgewachsener hagerer Mann in mittleren Jahren; er trug einen Schnurrbart und glattrasiertes Kinn; seine Augen zeichneten sich durch einen trüben glotzenden Schein aus. Bekleidet war er mit einem langschoßigen blauen Überrock, dessen Knöpfe tief unter das Gefäß reichten und hohen Stiefeln, die unten faltig waren und dann bis an die Waden herauf glatt standen. Über die Stiefeln hatte er große Galoschen gezogen.

Er wischte sich das Gesicht im Kreise herumfahrend mit dem Taschentuch ab, und bewillkommnete, den Überzieher zuknöpfend, der ihm schon ohnehin sehr gut saß, lächelnd die Eintretenden, Stefan Arkadjewitsch die Hand entgegenstreckend als wünsche er etwas von ihm zu nehmen.

»Seid Ihr also auch angekommen,« sagte Stefan Arkadjewitsch, ihm die Hand reichend. »Schön so.« –

»Ich wagte es nicht, die Weisung Ew. Excellenz zu überhören, obwohl der Weg allerdings gar zu schlecht war. Ich habe thatsächlich den ganzen Weg zu Fuß gehen müssen, bin aber doch zur rechten Zeit noch eingetroffen. Konstantin Dmitritsch, meine Hochachtung,« wandte er sich hierauf an Lewin, sich bemühend, auch dessen Hand ergreifen zu können.

Indessen Lewin runzelte die Stirn; er gab sich den Anschein, als bemerke er die dargebotene Hand gar nicht und langte die Schnepfen aus der Jagdtasche heraus.

»Habt Ihr Euch auf der Jagd amüsiert? Was ist das für ein Vogel da?« fügte er hinzu, geringschätzig auf die Schnepfen blickend, »er ist gewiß recht schmackhaft.«

Mißbilligend schüttelte er den Kopf, als zweifle er außerordentlich daran, daß solch ein Braten die Brühe wert sein könne.

»Wünscht man ins Kabinett?« sagte Lewin, sich verfinsternd, auf französisch zu Stefan Arkadjewitsch. »Begebt euch ins Kabinett, ihr könnt dort Rücksprache nehmen.«

»Geht ganz gut; wo es gefällig ist,« bemerkte Rjabinin mit nachlässiger Würde, gleich als wünsche er fühlen zu lassen, daß es wohl für Andere Schwierigkeiten dabei geben könne, wie und mit wem man Umgang pflege, für ihn aber nie und in keiner Beziehung.

In das Kabinett eintretend, blickte sich Rjabinin nach seiner Gewohnheit um, als suche er das Heiligenbild, bekreuzte sich indessen nicht, als er es entdeckt hatte. Er schaute sich die Schränke und Bücherregale an, lächelte mit dem nämlichen Ausdruck des Zweifels und der Geringschätzung wie über die Schnepfen, und schüttelte mißbilligend den Kopf, durchaus nicht zugebend, daß auch dieser Braten die Brühe wert sein könne.

»Nun, habt Ihr Geld mitgebracht?« frug Oblonskiy, »setzt Euch.«

»Auf das Geld kommt es jetzt noch nicht an. Um uns zu sehen, bin ich eigentlich nur gekommen, und um mit Euch Rücksprache zu nehmen.«

»Worüber denn noch? Aber setzt Euch doch!«

»Bin so frei,« antwortete Rjabinin und setzte sich in einer Lage in den Lehnstuhl, die er sich, gegen die Lehne gestemmt unmöglich noch unbequemer machen konnte.

»Ihr müßt noch nachlassen, Fürst, es ist gar zu schlimm so. Das Geld liegt bereit bis auf die Kopeke; nach der Zahlung giebt es keinen Rücktritt mehr.«

Lewin hatte während dieses Gesprächs sein Gewehr in den Schrank gestellt, und wollte soeben das Zimmer verlassen. Als er indessen die Worte des Kaufmanns vernahm, blieb er stehen.

»Also habt Ihr den Wald umsonst genommen?« sagte er. »Der Herr ist leider zu spät zu mir gekommen, sonst würde ich den Preis bestimmt haben.«

Rjabinin stand auf und schwieg, blickte aber lächelnd von unten her an Lewin hinauf.

»Ihr seid sehr sparsam, Konstantin Dmitritsch,« begann er lächelnd, indem er sich zu Stefan Arkadjewitsch wandte.

»Man kann bei dem Herrn entschieden nichts kaufen; ich hatte Weizen bei ihm einhandeln wollen und gutes Geld geboten.«

»Warum soll ich Euch mein Eigentum umsonst geben? Ich habe es doch auch nicht auf der Erde gefunden, und auch nicht gestohlen.«

»Entschuldigt; in heutiger Zeit ist es ausgesprochenermaßen unmöglich, zu stehlen. Unsere Zeit kennt eine geregelte Gesetzpflege, alles ist jetzt in bester Ordnung. Wir haben als Ehrenmänner miteinander verhandelt, er will seinen Wald sehr teuer verkaufen und nichts davon ablassen, ich aber bitte nur um eine geringe Ermäßigung.«

»Ist denn Euer Geschäft abgeschlossen? Wenn es abgeschlossen ist, so giebt es nichts mehr zu handeln, wenn nicht,« sagte Lewin, »so werde ich den Wald kaufen.«

Das Lächeln von den Zügen Rjabinins war plötzlich verschwunden. Ein habichtartiger, schurkenhafter und harter Ausdruck zeigte sich auf denselben. Mit den schnellen hageren Fingern nestelte er seinen Überrock auf, öffnete seine Brust vorn, die kupfernen Knöpfe der Weste mit der goldenen Uhrkette und langte schnell eine dicke alte Brieftasche hervor.

»Bitte sehr, der Wald ist mein,« sagte er, sich schnell bekreuzend und die Hand vor sich streckend. »Nehmt hier das Geld, mein ist der Wald. So handelt Rjabinin und nach Groschen wird hier nicht gefeilscht,« fügte er hinzu, die Stirne runzelnd und die Brieftasche schwingend.

»An deiner Stelle würde ich doch nicht so hastig sein,« sagte Lewin.

»Aber, bitte, ich habe mein Wort gegeben,« bemerkte Oblonskiy verwundert.

Lewin verließ das Gemach und schlug die Thür hinter sich zu, Rjabinin aber, ihm nachblickend, schüttelte lächelnd den Kopf.

»Das ist eben die Jugend, entschieden nur die Jugend. Ich kaufe den Wald, glaubt mir auf Ehre, nur des Rufes halber, daß eben Rjabinin und kein anderer von Oblonskiy einen Wald gekauft hat. Gott wird mir helfen, meine eigene Rechnung dabei zu finden. Glaubt mir bei Gott! Gestattet, wir wollen den Vertrag aufsetzen« –

Nach Verlauf einer Stunde knöpfte sich der Kaufmann seinen Leibrock und den Überzieher wieder zu, den Kaufvertrag in der Tasche, setzte sich alsdann in seine Tjelega und fuhr heim.

»O, diese vornehmen Herren,« meinte er zu dem Verwalter, »sie sind immer die nämlichen.«

»Ja wohl,« versetzte der Verwalter, dem Kaufmann die Zügel reichend und das lederne Schutztuch festknöpfend.

»Wie stände es denn mit einem kleinen Geschäftchen unter der Hand, Michail Ignatjitsch?«

»Nun, wir wollen einmal sehen.« –