Es ritten im ganzen siebzehn Offiziere. Die Rennen gingen auf einer großen ellipsenförmigen Ringbahn von vier Werst vor der Tribüne vor sich. Auf dieser Ringbahn waren neun Hindernisse errichtet worden; nämlich der Fluß; dann eine große, feste Barriere von zwei Arschin Höhe mitten vor der Tribüne, ein trockener Graben, ein mit Wasser gefüllter Kanal, ein abschüssiger Hügel, ein »irländisches Bankett«, welches – als eines der schwierigsten Hindernisse – aus einem Wall bestand, der von Reihwerk besetzt war und hinter dem sich, nicht sichtbar für die Pferde, noch ein Graben befand; sodaß das Pferd zwei Hindernisse nehmen oder stürzen mußte, ferner noch zwei Gräben mit Wasser und ein trockener, und das Ziel des Rennens war gegenüber der Tribüne.

Das Rennen begann indessen nicht von dem Kreise aus, sondern etwa hundert Faden seitwärts von demselben und auf diesem Abstand hin befand sich das erste Hindernis, der abgedämmte Fluß, von drei Arschin Breite, welches die Reiter nach Gutdünken überspringen oder in der Furt durchreiten konnten.

Dreimal versuchten die Reiter zu starten, aber jedesmal brach eines der Pferde aus und man mußte wieder von vorn anfangen.

Der Starter, Oberst Sjostrin, begann schon ärgerlich zu werden, als er endlich beim viertenmale »los« rief und die Reiter davonflogen.

Aller Augen, alle Binokles richteten sich auf den bunten Trupp der Reiter während diese starteten.

»Man hat sie abgelassen! Da reiten sie hin!« hörte man es von allen Seiten nach der tiefen Stille der Erwartung erschallen.

Trupps von Menschen und einzelne Fußgänger begannen nun von Punkt zu Punkt zu laufen, um besser sehen zu können. In der ersten Minute schon trennte sich der dichte Haufe der Reiter und es wurde sichtbar, wie dieselben zu zweien und dreien und einzeln hintereinander, sich dem Flusse näherten. Den Zuschauern schien es, als ob sie noch alle geschlossen liefen, während sich für die Reiter Sekunden schon Unterschiede bildeten, die für sie hohe Bedeutung besaßen.

Der höchst aufgeregte und zu nervöse Frou-Frou verlor den ersten Moment, und mehrere Pferde gewannen Vorsprung vor ihm, aber Wronskiy überholte, bevor sie noch bis an den Fluß gelangt waren, mit allen Kräften das in den Zügeln reißende Pferd haltend, mit Leichtigkeit drei von ihnen und vor ihm blieb nur noch der braune Gladiator Machotins, der mit seinem Hinterteil taktmäßig und leicht dicht vor Wronskiy ausschlug und allen voran die reizende Diana, welche den Fürsten Kuzowljeff trug, der mehr tot als lebendig war.

In den ersten Minuten hatte Wronskiy weder über sich selbst, noch über sein Pferd Macht. Bis zum ersten Hindernis, dem Flusse, vermochte er die Bewegung des Pferdes nicht zu leiten.

Der Gladiator und die Diana liefen nebeneinander und schwebten fast im selben Moment über dem Fluß, auf die andere Seite hinüberfliegend. Kaum bemerkbar, gleichsam fliegend, folgte ihnen Frou-Frou, aber im selben Augenblick, als Wronskiy sich in der Luft fühlte, erblickte er plötzlich fast unter den Füßen seines Pferdes Kuzowljeff, der sich mit der Diana jenseits des Flusses wälzte. – Kuzowljeff hatte nach dem Sprunge die Zügel nachgelassen, sodaß sein Pferd sich mit ihm überkugelte.

Diese Einzelheiten erfuhr Wronskiy erst später, jetzt gewahrte er um, daß gerade unter seinen Füßen, wo Frou-Frou niedertreten mußte, der Fuß oder Kopf Dianas liegen könne. Frou-Frou indessen machte gleich einer fallenden Katze mitten im Sprunge eine Anstrengung mit den Füßen und dem Rücken, vermied das Pferd und flog weiter.

»Braves Pferd!« dachte Wronskiy.

Über den Fluß gelangt, hatte Wronskiy volle Herrschaft über sein Pferd gewonnen, er begann jetzt zurückzuhalten in der Absicht, die große Barriere hinter Machotin zu nehmen und erst in der folgenden, hindernisfreien Distanz von zweihundert Faden Länge, es zu versuchen, diesen auszustechen.

Die große Barriere stand dicht vor der Zaren-Tribüne. Der Kaiser, der gesamte Hof und die Volksmengen, alle blickten auf die beiden Reiter, auf ihn und Machotin, der um eine Pferdelänge Abstand vor ihm ritt, als es »zum Teufel« ging – wie die feste Mauer genannt wurde.

Wronskiy empfand diese von allen Seiten auf ihn selbst gerichteten Blicke, aber er sah nichts, als die Ohren und den Hals seines Rosses und die ihm entgegenfliegende Erde, sowie die Croupe und die Weißen Füße des Gladiator, die eilig vor ihm Takt schlugen und sich noch immer in der nämlichen Entfernung hielten.

Der Gladiator hob sich im Sprunge, ohne anzustoßen, schlug mit dem kurzen Schweif und entschwand den Blicken Wronskiys.

»Bravo!« sprach eine Stimme.

Im nämlichen Augenblick tauchten unter den Augen Wronskiys, dicht vor ihm selbst, die Bretter der Barriere auf.

Ohne die geringste Veränderung in der Bewegung schnellte das Pferd unter ihm empor; die Bretter verschwanden, nur hinter ihm stieß etwas an. Sein Pferd, erhitzt über den vor ihm laufenden Gladiator, hatte sich zu zeitig vor der Barriere sprungfertig gemacht und mit dem Hinterhuf an diese angeschlagen.

Aber sein Lauf veränderte sich nicht, und Wronskiy, welcher eine Schlammflocke ins Gesicht erhalten hatte, erkannte, daß er noch immer im selben Abstande vom Gladiator war. Wiederum sah er vor sich dessen Croupe, den kurzen Schweif, und wiederum die nämlichen, sich nicht entfernenden, Weißen Füße in ihrer schnellen Bewegung.

Im nämlichen Augenblick, als Wronskiy daran dachte, daß er jetzt Machotin überholen müsse, begann Frou-Frou selbst, als ob es bereits erkannt hätte, woran sein Herr jetzt dachte, ohne jede Aufmunterung bedeutend aufzugehen und sich Machotin von der vorteilhaftesten Seite aus zu nähern, von der des Strickes, aber Machotin gab nicht Raum.

Wronskiy dachte nun erst daran, daß es auch möglich wäre, ihn von außen noch immer zu überholen, als Frou-Frou schon den Gang änderte und ganz in der gleichen Weise die Überholung versuchte.

Der von Schweiß schon dunkel werdende Bug Frou-Frous erschien jetzt neben der Croupe des Gladiator.

Einige Sprünge machten beide Pferde nebeneinander, aber vor dem Hindernis, dem sie sich jetzt näherten, begann Wronskiy, um nicht den großen äußeren Bogen machen zu müssen, mit den Zügeln zu arbeiten, und überholte Machotin schnell, mitten auf dem abschüssigen Hügel.

Er sah im Vorüberstiegen Machotins Gesicht von Schmutz überspritzt; ihm schien auch, als lächle es. Wronskiy hatte Machotin überholt, aber er fühlte diesen sofort hinter sich, und hörte das unaufhörliche, nahe hinter seinem Rücken gleichmäßig ertönende Stampfen und das abgebrochene, noch ganz kräftige Schnauben aus den Nüstern des Gladiator.

Die folgenden beiden Hindernisse, der Graben und die Barriere, wurden leicht genommen, aber Wronskiy hörte jetzt das Schnauben und Stampfen des Gladiator näher. Er trieb sein Pferd an und bemerkte voll Freude, daß dieses mit Leichtigkeit seinen Lauf beschleunigte und der Schall der Hufschläge des Gladiator wieder in der früheren Distanz hörbar war.

Wronskiy führte das Rennen und that somit, was er gewollt, und was ihm Kord geraten hatte – jetzt war er seines Erfolges sicher. – Seine Erregung, Freude und Zärtlichkeit zu Frou-Frou nahm mehr und mehr zu. Er hätte sich gern umgeblickt, wagte dies aber nicht zu thun, und bemühte sich daher ruhig zu werden und sein Pferd nicht zu drängen, um demselben so viel Kräfte zu erhalten, wie viel der Gladiator, seinem eigenen Gefühl nach, noch besaß.

Es war noch eins, und zwar das schwerste Hindernis übrig. Nahm er es vor den übrigen, dann mußte er als Erster ankommen. Er jagte auf das »irische Bankett« zu.

Er und Frou-Frou sahen dieses Hindernis schon aus der Ferne und beiden zugleich, ihm und dem Pferde, kam ein Moment des Zweifels.

Er bemerkte die Unentschlossenheit seines Tieres an dessen Ohren, und hob die Gerte, fühlte aber sofort, daß sein Zweifel unbegründet war; das Pferd wußte, was es galt.

Es ging stark auf und ganz so wie er vorausgesetzt hatte, hob es sich, stieß sich vom Erdboden ab und folgte dann dem Gesetz der Schwere, welches es weit über den Graben hinweg trug.

In dem nämlichen Takte, ohne jede Anstrengung und in der nämlichen Gangart setzte Frou-Frou seinen Lauf fort.

»Bravo, Wronskiy!« vernahm er Stimmen aus dem Haufen von Menschen, welche bei diesem Hindernis standen. Er wußte, daß es die Stimmen seiner Kameraden vom Regiment waren, und konnte sogar recht gut die Stimme Jaschwins heraushören, ohne diesen jedoch zu sehen.

»Mein prächtiges Pferds« dachte er über Frou-Frou und lauschte auf das, was hinter ihm vorging. »Er hat es auch genommen,« dachte er, hinter sich das Stampfen des Gladiator hörend.

Es blieb nun noch ein letzter Graben voll Wasser von zwei Arschin Breite übrig.

Wronskiy schaute gar nicht nach demselben, begann aber, im Wunsche, mit großer Distance Sieger zu werden, kreisförmig mit den Zügeln zu arbeiten, und im Takt mit dem Gang des Pferdes dessen Kopf zu heben und nachzulassen. Er fühlte, daß das Tier seine letzte Kraft aufbot; nicht nur sein. Hals und die Schultern waren naß, sondern auch im Genick und auf dem Kopfe, an den scharfgespitzten Ohren trat der Schweiß in Tropfen hervor und es atmete scharf und kurz.

Er wußte indessen, daß des Pferdes Kraft noch reichlich auf die noch zurückzulegenden zweihundert Faden langen werde, und nur daran, daß er sich der Erde näher fühlte, und an einer eigenartigen Weichheit der Bewegungen Frou-Frous erkannte Wronskiy, um wieviel sein Pferd seine Schnelligkeit vermehrt hatte.

Es überflog den Graben, als habe es ihn gar nicht bemerkt. Es überflog ihn wie ein Vogel, aber im nämlichen Augenblick fühlte Wronskiy zu seinem Schrecken, daß er, den Bewegungen seines Pferdes nicht schnell genug folgend, ohne zu wissen, wie es zuging, selbst eine ungeschickte nicht wieder auszugleichende Bewegung gemacht hatte, indem er sich auf den Sattel niedergelassen.

Seine Lage veränderte sich plötzlich und er fühlte, daß etwas Schreckliches geschehen sei. Noch aber hatte er sich nicht Rechenschaft über das, was vorgefallen war zu geben vermocht, als plötzlich dicht neben ihm selbst die weißen Füße des Fuchshengstes auftauchten und Machotin vorüberflog.

Wronskiy hatte mit dem einen Fuße den Boden berührt und sein Pferd wälzte sich auf diesen Fuß. Kaum hatte er denselben frei gemacht, als es nach einer Seite hin zusammenbrach, schwer ächzend und fruchtlose Bewegungen mit seinem schlanken schweißtriefenden Halse machend, um sich zu erheben.

Es wälzte sich auf der Erde vor seinen Füßen, wie ein erschossener Vogel; eine ungeschickte Bewegung, die Wronskiy gemacht, hatte ihm das Rückgrat gebrochen.

Doch dies erkannte er erst viel später. Jetzt sah er nur das Eine, daß Machotin sich schnell von ihm entfernte, er aber, unsicher schwankend, einsam auf dem schmutzbedeckten unbeweglichen Erdboden stand und vor ihm, schwer atmend, Frou-Frou lag, den Kopf nach ihm wendend und ihn mit seinem schönen Auge anblickend.

Noch immer nicht begreifend, was geschehen sei, zerrte Wronskiy sein Pferd an dem Zügel. Es krümmte sich wiederum zusammen, wie ein Fisch, mit den Seiten seines Sattels knarrend und streckte die Vorderfüße nach vorn, aber nicht imstande, das Hinterteil zu erheben, bemühte es sich vergeblich und fiel wieder auf die Seite.

Mit von Leidenschaft entstellten Zügen, bleich und mit bebenden Kinnbacken, gab ihm Wronskiy einen Stoß mit dem Absatz in die Seiten und zog nochmals an den Zügeln. Aber es bewegte sich nicht mehr, und drückte nur die Nase auf die Erde, seinen Herrn mit sprechendem Blicke anschauend.

»O!« stöhnte Wronskiy, nach seinem Kopfe greifend, »o, was habe ich gethan!« – rief er aus. »Ein Rennen verloren, und durch meine Schuld, durch einen schmählichen, einen unverzeihlichen Fehler. O, dieses unglückliche, herrliche, vernichtete Tier! O, was habe ich gethan!«

Volk, der Arzt, der Feldscher und Offiziere seines Regiments kamen herbeigeeilt. Zu seinem Unglück fühlte er sich heil und unversehrt. Sein Pferd hatte das Rückgrat gebrochen und es sollte erschossen werden.

Wronskiy war nicht imstande, auf die an ihn gestellten Fragen zu antworten, er vermochte mit niemand zu sprechen.

Er wandte sich um, und die ihm vom Kopfe gefallene Mütze nicht aufhebend, verließ er die Rennbahn, ohne zu wissen, wohin er ging.

Er fühlte sich unglücklich. Zum erstenmal in seinem Leben erfuhr er an sich das schwerste Unglück – ein nicht wieder gut zu machendes Unglück, und ein solches, an welchem er selbst die Schuld trug.

Jaschwin kam ihm mit der Mütze nach und begleitete ihn heim; nach einer halben Stunde kam Wronskiy wieder zu klarer Fassung.

Die Erinnerung an dieses Rennen aber blieb noch lange Zeit hindurch eine der schwersten und peinlichsten seines Lebens.