48. Kapitel

Wo der Domherr mit der Besprechung der Ritterbücher fortfährt, nebst andern Dingen, so des geistvollen Herrn würdig sind

»Es ist so, wie Euer Gnaden sagen, Herr Domherr«, sprach der Pfarrer, »und aus diesem Grunde verdienen diejenigen um so strengeren Tadel, die bis heute dergleichen Bücher verfaßt haben, ohne jemals vernünftige Überlegung zu Rate zu ziehen oder die Kunst und die Regeln, durch die sie sich leiten lassen und in der Prosa Ruhm erwerben konnten, wie es in Versen die beiden Fürsten der griechischen und der lateinischen Dichtung getan.«

»Ich selbst bin einmal in eine gewisse Versuchung geraten, ein Ritterbuch zu schreiben«, versetzte der Domherr, »und habe dabei alle die Regeln beobachtet, die ich soeben erwähnte; und wenn ich die Wahrheit sagen soll, so habe ich mehr als hundert Blätter vollgeschrieben und habe sie, um die Probe zu machen, ob sie meiner Wertschätzung entsprächen, Leuten mitgeteilt, die leidenschaftlich für diese Art Bücher schwärmen, sowohl gelehrten und verständigen als auch ungebildeten und beschränkten, die nur für ungereimtes Zeug Sinn haben, und habe bei allen den erwünschten Beifall gefunden. Aber trotzdem habe ich es nicht fortgesetzt, sowohl weil ich glaubte, mit dieser Arbeit etwas meinem Berufe Fernliegendes zu tun, als auch weil ich einsah, daß die Zahl der Einfältigen größer ist als die der Einsichtigen, und weil ich – obschon das Lob weniger Verständiger besser ist als der Spott vieler Dummköpfe – mich nicht dem unklaren Urteil der sich in Einbildung blähenden Menge unterwerfen will, die doch vor allen andern sich mit dem Lesen solcher Bücher abgibt. Was aber vorzugsweise mir die Arbeit aus den Händen nahm, ja mich von dem Gedanken, sie zu vollenden, gänzlich abbrachte, war eine Betrachtung, die ich für mich anstellte und die durch die heutzutage aufgeführten Lustspiele angeregt wurde. Ich sagte mir nämlich: wenn diese Stücke, die man jetzt gibt, sowohl die rein erfundenen als auch die aus der Geschichte entnommenen, alle oder doch meistenteils anerkanntermaßen ungereimtes Zeug sind und weder Hand noch Fuß haben, und wenn trotzdem die Menge sie mit Vergnügen anhört und für gut hält und mit Beifall belohnt, während sie es nicht im entferntesten sind; und wenn die Verfasser, die sie schreiben, und die Schauspieler, die sie aufführen, sagen, sie müßten so sein, weil die Menge sie so und nicht anders haben will; und wenn die Lustspiele, die einen Plan haben und die Handlung folgerichtig entwickeln, wie die Kunst es verlangt, nur für drei, vier einsichtige Leute vorhanden sind, die Verständnis dafür haben, und alle übrigen Hörer ganz verständnislos sind für deren Kunst, und wenn es mithin für die Verfasser und Darsteller viel besser ist, bei der Menge ihr Brot zu verdienen, als bei den wenigen Ruhm zu erwerben: da wird es am Ende mit meinem Buch ebenso gehen, nachdem ich mir die Finger lahmgeschrieben, um die erwähnten Vorschriften zu beobachten, und ich werde am Ende den Schneider von Campillo spielen, der die Hosen unentgeltlich nähte und noch den Zwirn dazugab.

Und wiewohl ich die Schauspieler mehrmals zu überzeugen suchte, daß sie mit ihrer Ansicht im Irrtum sind und daß sie mehr Leute anziehen und größeren Ruf erlangen würden, wenn sie Komödien darstellten, die den Regeln der Kunst folgen, als jene Stücke voller Widersprüche und Ungereimtheiten, so halten sie dennoch so fest an ihren Meinungen und sind damit so verwachsen, daß weder vernünftige Erwägungen noch die augenscheinlichsten Tatsachen imstande wären, sie davon abzubringen. Ich erinnere mich, daß ich eines Tages zu einem dieser Starrköpfe äußerte: Sagt mir doch, erinnert Ihr Euch nicht, daß vor wenig Jahren in Spanien drei Trauerspiele zur Aufführung kamen, die ein berühmter Dichter dieser Lande verfaßt hatte und die so wirkungsvoll waren, daß sie die Hörer alle, sowohl die einfachen als auch die gebildeten, sowohl die zum großen Haufen gehörenden als auch die auserlesenen, in Bewunderung, freudige Stimmung und hohes Staunen versetzten und daß die drei Stücke für sich allein den Darstellern mehr Geld einbrachten als dreißig der besten, die seitdem und bis jetzt geschrieben wurden? – Ganz gewiß, antwortete der Schauspieler, den ich meine, Euer Gnaden spricht ohne Zweifel von der Isabela, der Phyllis und der Alexandra. – Diese meine ich allerdings, erwiderte ich ihm; und denkt einmal darüber nach, ob sie die Vorschriften der Kunst genau befolgt haben und ob sie etwa deshalb, weil sie sie befolgten, nicht für so wertvoll gegolten, wie sie es sind, und nicht jedermann gefallen haben. So liegt also die Schuld nicht an dem großen Haufen, der etwa Ungereimtes verlangt, sondern an jenen, die nichts andres darzustellen verstehen. So ist es, und das Schauspiel Für Undank Rache war keine Ungereimtheit, und die Numancia enthielt keine, und man fand keine in der Komödie vom Kaufmann als Liebhaber oder gar in der Freundlichen Feindin noch in etlichen anderen, die von verschiedenen einsichtsvollen Dichtern verfaßt wurden, ihnen selbst zu Ruhm und Ehre und denen zum Gewinn, die sie aufführten. Noch andre Gründe fügte ich diesen hinzu, womit ich meines Bedünkens ihn etwas verlegen machte, ihn aber weder zu einem Zugeständnis bewog noch genügend überzeugte, um ihn von seinen irrigen Ansichten abzubringen.«

»Euer Gnaden hat einen Gegenstand berührt, Herr Domherr«, sprach hier der Pfarrer, »der in mir einen alten Groll wiedergeweckt hat, den ich gegen die jetzt im Schwange befindlichen Bühnenstücke hege und der nicht minder heftig ist als gegen die Ritterbücher; denn während die Komödie, wie Tullius Cicero meint, ein Spiegel des menschlichen Lebens, ein Lehrbuch der Sitten und ein Bild der Wahrheit sein soll, sind die heutigen Stücke Spiegel der Ungereimtheiten, Lehrbücher der Albernheiten und Bilder der frechen Lüsternheit. Denn welche größere Ungereimtheit ist denkbar auf dem Gebiete, von dem wir sprechen, als daß in der ersten Szene des ersten Aufzugs ein Kind in Windeln erscheint und in der zweiten als ein bereits bärtiger Mann auftritt? Und ist es nicht der ärgste Widersinn, uns einen Greis als tapfern Kämpfer und einen jungen Mann als Feigling darzustellen, einen Lakaien als redegewandt im Wortstreit, einen Edelknaben als Ratgeber, einen König als Taglöhner und eine Prinzessin als Küchenmagd? Was soll ich sodann von der Art sagen, wie die Zeit eingehalten wird, binnen deren die Handlung in diesen Schauspielen vorgehen kann oder konnte, was soll ich anderes sagen, als daß ich manches Drama gesehen habe, wo der erste Aufzug in Europa anfing, der zweite in Asien und der dritte in Afrika zu Ende ging und gewiß, wenn es vier Aufzüge gewesen wären, der vierte in Amerika schließen und also das Stück in allen vier Weltteilen spielen würde? Und wenn tatsächlich die Nachahmung der Wirklichkeit das hauptsächlichste Erfordernis eines Schauspiels ist, wie kann sich ein auch nur mittelmäßiger Kopf befriedigt fühlen, wenn bei einer Handlung, die der Dichter in die Zeiten des Königs Pippin und Karls des Großen verlegt, als Hauptperson der Kaiser Heraklius auftritt, der mit dem Kreuz in Jerusalem einzieht und das Heilige Grab erobert wie Gottfried von Bouillon, während doch zahllose Jahre zwischen diesem und jenem Ereignis liegen; und wenn man demselben Drama, während es sich auf reine Erfindung gründet, hier etliche geschichtliche Tatsachen beigibt und dort Bruchstücke von andern beimischt, die sich bei verschiedenen Personen und zu verschiedenen Zeiten ereignet haben, und dies nicht etwa nach einem die Wahrscheinlichkeit beachtenden Plan, sondern mit offenbaren, in jeder Beziehung unentschuldbaren Irrtümern? Und das Schlimme dabei ist, daß es einfältige ungebildete Menschen gibt, die da sagen, das eben sei das Vollkommene, und mehr wollen heiße ganz besondere Leckerbissen begehren.

Und wie erst, wenn wir auf die geistlichen Schauspiele kommen! Wieviel falsche Wunder werden in diesen erdichtet, wieviel unterschobene und mißverstandene Dinge, wo die Wunder des einen Heiligen einem andern zugeschrieben werden! Ja, selbst in den weltlichen Stücken erkühnen sie sich, Wunder tun zu lassen ohne andre Rücksicht und ohne andern Grund, als daß ihrer Meinung nach das betreffende Wunder und die betreffende Maschinerie – wie man es nennt – sich an jener Stelle gut ausnehmen, damit ungebildetes Volk in Staunen gerate und in die Komödie laufe. All dieses verfälscht die Wahrheit, würdigt die Geschichte herab, ja, es macht den spanischen Dichtern Schande; denn die ausländischen, die mit größter Genauigkeit die Gesetze des Dramas beobachten, halten uns für roh und ungebildet, wenn sie die Abgeschmacktheiten und Ungereimtheiten in unsren dramatischen Werken sehen. Und es wäre keine genügende Entschuldigung dafür, zu sagen, der hauptsächliche Zweck eines wohlgeordneten Gemeinwesens bei der Genehmigung öffentlicher Schauspiele sei, der Gesamtheit eine anständige Erholung zu vergönnen und hie und da die schlimmen Gelüste zu verscheuchen, welche der Müßiggang zu erzeugen pflegt; und da dieser Zweck mit jeder Art von Drama, mit einem guten oder schlechten, erreicht werde, so sei kein Grund vorhanden, Gesetze aufzustellen und die Verfasser und Darsteller derselben zu nötigen, sie nur so zu schaffen, wie sie sein sollten, weil, wie gesagt, mit jedem beliebigen Schauspiel erreicht werde, was man damit bezwecken wolle. Hierauf würde ich antworten, daß dieser Zweck unvergleichlich besser mit guten Komödien erreicht würde als mit nicht guten; denn aus der Aufführung eines kunstreichen und gutgebauten Schauspieles komme der Hörer frohgestimmt durch den Witz, belehrt durch die Wahrheit, in Verwunderung gesetzt durch die Handlung, aufgeklärt durch die verständigen Ansichten, gewarnt durch die trügerischen Ränke, gewitzigt durch die Beispiele, entrüstet ob des Lasters, in Liebe entflammt für die Tugend. Alle diese Gemütsbewegungen nämlich muß ein gutes Bühnenstück im Hörer hervorrufen, so ungebildet und unempfänglich er auch sei; und es ist die unmöglichste der Unmöglichkeiten, daß ein Schauspiel, das all diese Eigenschaften besäße, nicht weit mehr ergötzen und unterhalten, gefallen und befriedigen sollte als ein Stück, dem diese fehlen, wie das zum größten Teil bei den heute aufgeführten Schauspielen der Fall ist. Und daran tragen die Dichter, die sie schreiben, keine Schuld; denn es gibt unter ihnen manche, die ganz wohl wissen, worin sie sich verfehlen und was sie eigentlich tun sollten. Aber da die Bühnenstücke zur käuflichen Ware geworden sind, so sagen sie, und zwar mit Recht, die Schauspieler würden die Stücke nicht nehmen, wenn sie nicht von diesem Schlage wären, und darum sucht der Dichter sich dem anzubequemen, was der Schauspieler, der ihm seine Arbeit bezahlen soll, von ihm verlangt. Und daß dieses reine Wahrheit ist, kann man aus den vielen, ja unzähligen Schauspielen ersehen, die einer der reichstbegabten Geister dieser Lande mit solcher Anmut und solchem Witz gedichtet hat, in so schönen Versen, mit so geistvollen Gesprächen, mit so bedeutsamen Lehrsprüchen, kurz, so voller Beredsamkeit und Erhabenheit des Stils, daß er die Welt mit seinem Ruhm erfüllt. Aber weil er sich den Wünschen der Schauspieler anbequemen wollte, haben seine Stücke nicht sämtlich, wie es doch mit einigen geschehen, den Grad der Vollkommenheit erreicht, den sie eigentlich haben müßten.

Andre schreiben ihre Stücke, durchaus ohne zu überlegen, was sie tun, so daß nach der Aufführung die Darsteller sich genötigt sehen, zu flüchten und sich in die Ferne zu begeben, um nicht zur Strafe gezogen zu werden, wie das schon oftmals geschehen ist, weil sie manches zum Nachteil gewisser Könige und etlichen Adelsfamilien zur Unehre auf die Bühne brachten. Aber all diese Unzuträglichkeiten und noch viele andre, die ich nicht erwähne, würden aufhören, wenn in der Residenz ein einsichtiger, erfahrener Mann da wäre, der alle Bühnenstücke vor der Aufführung zu prüfen hätte, nicht nur diejenigen, welche in der Hauptstadt, sondern alle, die in ganz Spanien zur Aufführung kommen sollen; und wenn sodann ohne solche Genehmigung mit Siegel und Unterschrift keine Behörde die Aufführung eines Schauspiels in ihrem Amtsbereich erlaubte, dann würden die Schauspieler die Stücke erst nach der Hauptstadt senden und könnten sie alsdann in aller Sicherheit aufführen, und die Verfasser würden mit mehr Sorgfalt und Fleiß ihre Werke gründlich überdenken, da sie stets die strenge Prüfung ihrer Stücke durch einen Sachkenner vor Augen hätten; und auf diese Weise würden gute Schauspiele geschrieben und würde glücklich erreicht werden, was man mit ihnen beabsichtigt: für die Unterhaltung des Volkes, für den guten Ruf der spanischen Dichter, für die Sicherheit der Schauspieler und deren eignes Bestes zu sorgen und den Behörden die Unannehmlichkeit zu ersparen, sie zur Verantwortung zu ziehen.

Und wenn man einem andern oder dem nämlichen das Amt übertrüge, die etwa neu erscheinenden Ritterbücher zu prüfen, so würde gewiß eins und das andre in der Vollkommenheit ans Licht treten, die Euer Hochwürden geschildert hat, unsre Sprache mit erfreulichen und köstlichen Schätzen von Beredsamkeit bereichern und veranlassen, daß die alten Bücher verdunkelt würden im edleren Glanz der neuen, die zum anständigen Zeitvertreib erscheinen würden nicht nur für die Müßiggänger, sondern auch für die beschäftigteren Leute. Denn der Bogen kann nicht fortwährend gespannt bleiben, und die Natur und Schwäche des Menschen kann sich ohne eine anständige Erholung nicht aufrecht halten.«

So weit waren der Domherr und der Pfarrer in ihrer Unterhaltung gekommen, als der Barbier hinter ihnen hervorkam, sich ihnen näherte und zu dem Pfarrer sprach: »Dies, Herr Lizentiat, ist der Ort, von dem ich vorher gesagt habe, wir könnten dort am besten Mittagsruhe halten und den Ochsen frisches und reichliches Futter geben.«

»Auch mir scheint es so«, entgegnete der Pfarrer; und als er dem Domherrn sein Vorhaben mitteilte, wollte auch dieser mit ihnen da rasten, weil die schöne Lage des Tals ihn anzog, das sich ihren Blicken darbot. Sowohl um die Reize der Gegend als auch die fernere Unterhaltung des Pfarrers zu genießen, zu dem er bereits Zuneigung fühlte, und auch Don Quijotes Taten mehr im einzelnen zu erfahren, beorderte er ein paar von seinen Dienern zu der Schenke, die sich nicht weit von dort zeigte, um aus derselben für sie alle zu holen, was zu essen vorrätig wäre; denn er nahm sich vor, hier den ganzen Nachmittag Rast zu halten. Darauf entgegnete einer von den Dienern, das Saumtier mit dem Mundvorrat, das schon in der Schenke angelangt sein müsse, sei mit Lebensmitteln genugsam beladen, so daß man aus der Schenke nichts weiter holen müsse als Futter für die Tiere.

»Wenn dem so ist«, versetzte der Domherr, »so führe man alle Maulesel dorthin und lasse das Saumtier hierher zurückkommen.«

Indem ersah Sancho die Gelegenheit, jetzt ohne die fortwährende Gegenwart des Pfarrers und des Barbiers, die ihm verdächtig waren, mit seinem Herrn reden zu können; er näherte sich also dem Käfig, in dem sich der Ritter befand, und sprach zu ihm: »Señor, um die Last von meinem Gewissen zu wälzen, muß ich Euch sagen, wie es mit Eurer Verzauberung zugeht. Die zwei nämlich, die da mit verhülltem Gesicht umhergehen, sind der Pfarrer unseres Ortes und der Barbier, und ich glaube, sie haben den Anschlag, Euch auf solche Manier fortzubringen, aus reinem Neid darüber ausgesonnen, daß Euer Gnaden so weit über ihnen steht, weil Ihr weltberühmte Taten tut. Da dies volle Wahrheit ist, so folgt daraus, daß Ihr nicht verzaubert seid, sondern betrogen und zum Narren gehalten. Zum Beweise dafür will ich Euch über etwas befragen, und wenn Ihr mir so antwortet, wie Ihr mir meiner Meinung nach antworten müßt, so werdet Ihr den Betrug mit Händen greifen und werdet einsehen, daß Ihr nicht verzaubert, sondern verrückt seid.«

»Frage, was du willst, Sancho, mein Sohn«, erwiderte Don Quijote, »ich werde dich zufriedenstellen und dir ganz nach deinem Herzenswunsch Antwort geben. Und was deine Behauptung angeht, daß diese beiden, die da um uns hin und her gehen, der Pfarrer und Barbier, unsre Landsleute und Bekannten, seien, so kann es ganz gut so scheinen, daß sie es sind; aber daß sie es wahr und wirklich wären, das glaube nur ja nicht. Was du glauben und meinen mußt, ist dieses: wenn sie ihnen in der Tat gleichsehen, wie du sagst, so kann es nur so zugehn, daß jene, die mich verzauberten, ihre äußere Erscheinung angenommen haben. Denn den Zauberern ist es leicht, jegliche Gestalt anzunehmen, die ihnen gerade beliebt, und sie werden die unsrer Freunde angenommen haben, um dich zu dem Wahnglauben zu verleiten und dich in ein Labyrinth von Selbsttäuschungen zu verlocken, aus dem dir kein Faden des Theseus heraushelfen würde; und sie werden es auch deshalb getan haben, damit ich in meinem Urteil von den Dingen schwankend werde und nicht in Erfahrung bringe, von wannen mir dieses Unheil kommt. Denn wenn einerseits du mir sagst, daß der Barbier und der Pfarrer unseres Ortes in meiner Begleitung sind, und anderseits ich mich eingekäfigt sehe und doch von mir weiß, daß keine menschliche Kraft, wenn sie nicht etwa übernatürlich ist, mich einzukäfigen vermöchte, was, sage mir, soll ich andres sagen oder glauben, als daß die besondere Art meiner Verzauberung jede andere Art übertrifft, von der ich jemals gelesen in all den Geschichten von fahrenden Rittern, die verzaubert wurden? Sonach kannst du dich völlig beruhigen und getrösten, soviel deine Vermutung betrifft, daß sie die Personen seien, die du nennst; denn das sind sie geradeso wenig, wie ich ein Türke bin. Was aber den Umstand betrifft, daß du mich über etwas befragen willst, sprich, und ich werde dir Antwort geben, wenn du mich auch von heute bis morgen früh fragen wolltest.«

Don Quijote

»So helfe mir Unsre Liebe Frau!« schrie Sancho laut. »Ist’s denn möglich, und ist Euer Gnaden so hart am Kopfe und so schwach im Hirn, daß Ihr nicht einseht, wie reine Wahrheit ich Euch sage, und daß an Eurem Gefängnis und Mißgeschick die Bosheit mehr schuld ist als die Zauberei? Es ist aber einmal so, und ich will Euch den augenscheinlichen Beweis führen, daß Ihr keineswegs verzaubert seid; wenn anders, so saget mir, so wahr Gott Euch aus dem Sturm dieser Bedrängnis erlösen soll und so wahr Ihr Euch in den Armen unseres Fräuleins Dulcinea sehen möget, wann Ihr es am wenigsten denkt…«

»Hör auf, mich zu beschwören«, fiel Don Quijote ein, »und frage, was immer du zu wissen wünschest. Ich habe dir schon gesagt, ich werde dir Punkt für Punkt genau antworten.«

»Das will ich eben«, erwiderte Sancho, »und was ich wünsche, ist, daß Ihr mir saget, ohne irgend etwas hinzuzutun oder wegzulassen, sondern mit aller Wahrheit, wie alle jene sie sagen müssen und wirklich sagen, die da zum Beruf des Waffenwerks sich bekennen in der Eigenschaft als fahrende Ritter, wie Euer Gnaden sich dazu bekennt…«

»Ich sage dir, ich werde dir in keinem Punkte etwas vorlügen«, entgegnete Don Quijote, »komm nur zu Ende mit deinem Fragen, denn in der Tat langweilst du mich mit all deinen Entschuldigungen, Bitten und Einleitungen, Sancho.«

»Ich sage Euch, ich bin von der Redlichkeit und Wahrheitsliebe meines gnädigen Herrn ganz überzeugt; und so, weil es für unsre Geschichte wichtig ist, frag ich Euch und sag es mit aller Ehrerbietung, ob, seit Euer Gnaden eingekäfigt ist und nach Eurer Meinung in diesem Käfig als ein Verzauberter weilt, ob vielleicht Euch Lust und Wunsch gekommen ist, was Großes oder Kleines zu verrichten, wie man zu sagen pflegt?«

»Ich verstehe nicht, was das heißen soll, Großes verrichten, Sancho; drücke dich deutlicher aus, wenn du willst, daß ich dir glatt antworten soll.«

»Ist’s möglich?« rief Sancho, »Großes oder Kleines verrichten, das versteht Euer Gnaden nicht? Ei, schon die erst entwöhnten Kinder werden in der Schule damit auf erzogen! Ich meine, ob Euch Lust gekommen ist, zu tun, was man nicht unterlassen kann?«

»Nun, nun versteh ich dich, Sancho. Freilich, oftmals schon, und jetzt eben habe ich sotane Lust; erlöse mich aus dieser Verlegenheit, denn es ist wahrlich nicht alles sauber im Unterstübchen.«

49. Kapitel

Worin von der verständigen Zwiesprache berichtet wird, welche Sancho Pansa mit seinem Herrn Don Quijote hielt

»Aha!« sagte Sancho, »jetzt hab ich Euch gefangen. Das eben war mir lieb zu hören, so lieb als Seele und Seligkeit. Kommt mal her, gnädiger Herr! Könnt Ihr leugnen, was man gemeiniglich unter uns zu sagen pflegt, wenn es einem übel ist: ›Ich weiß nicht, was dem da fehlt; er ißt nicht, er trinkt nicht, er schläft nicht, und auf alle Fragen antwortet er verkehrt; es sieht geradeso aus, als wäre er verzaubert?‹ Daraus nun wird jeder annehmen, daß Leute, die nicht essen und nicht trinken und nicht schlafen und die bewußten natürlichen Dinge nicht verrichten, daß selbige Leute verzaubert sind, nicht aber die Leute, die den Drang verspüren, den Euer Gnaden verspürt; und Ihr trinket, wenn man’s Euch verabreicht, und Ihr esset, wenn Ihr was habt, und antwortet auf jegliches, wenn man Euch fragt.«

»Ganz richtig ist, was du sagest, Sancho«, entgegnete Don Quijote. »Allein ich habe dir schon bemerkt, es gibt gar verschiedene Arten von Verzauberungen. Auch ist es möglich, daß mit der Zeit die eine Art sich in die andre verwandelt hat und daß es jetzt bei Verzauberten bräuchlich ist, alles zu tun, was ich tue, wenn sie es auch früherhin nicht getan haben, so daß man also gegen den Brauch der verschiedenen Zeiten keine Gründe geltend machen und auch keine Folgerungen daraus ziehen kann. Ich weiß und bin des festen Glaubens, daß ich verzaubert bin, und das genügt mir zur Beruhigung meines Gewissens; ja, ich würde mir ein großes Gewissen daraus machen, wenn ich glaubte, nicht verzaubert zu sein, und es geschehen ließe, daß ich müßig und feig in diesem Käfig sitze und so viele bedrängte und in Nöten befangene Leute um die Hilfe betröge, so ich selbigen gewähren könnte, welche gerade zu dieser Zeit und Stunde ohne Zweifel meines Beistandes und Schirmes aufs dringendste und aufs äußerste bedürfen.«

»Wohl«, versetzte Sancho, »trotz alledem sag ich, zu allem Überfluß und zur bessern Überzeugung wäre es gut, wenn Euer Gnaden versuchte, aus diesem Gefängnis zu kommen, und ich mache mich anheischig, mit allen Kräften dazu behilflich zu sein, ja, Euch herauszuholen; und daß Ihr dann wieder versuchtet, auf Euren wackern Rosinante zu steigen, der seinem Aussehen nach ebenfalls verzaubert ist, so schwermütig und trübselig geht er einher; und daß wir hierauf noch einmal unser Glück versuchten und auf Abenteuer auszögen. Sollte es uns aber damit nicht gut ergehen, so können wir immer noch in den Käfig zurückkehren, und auf mein Wort als eines redlichen und getreuen Schildknappen verspreche ich Euch, mich mit Euch darin einzusperren, falls Euer Gnaden so unglücklich oder ich ein solcher Esel sein sollte, daß es mir nicht gelänge, meinen Vorschlag zu glücklicher Ausführung zu bringen.«

»Ich bin’s zufrieden, Freund Sancho, alles zu tun, was du willst«, erwiderte Don Quijote; »und sobald du eine Gelegenheit siehst, meine Befreiung ins Werk zu setzen, werde ich in allem und zu allem dir gehorsamen; du jedoch, Sancho, wirst ersehen, wie du dich täuschest in deiner Ansicht von meinem Mißgeschick.«

Mit solcherlei Gesprächen unterhielten sich der fahrende Ritter und sein übelfahrender Schildknappe, bis sie an die Stelle kamen, wo der Pfarrer, der Domherr und der Barbier schon abgestiegen auf sie warteten. Der Kärrner spannte seine Ochsen sogleich aus und ließ sie los und ledig auf dem begrünten lieblichen Platze weiden gehen, dessen frische Kühle zum Genusse einlud, freilich nicht so verzauberte Persönlichkeiten wie Don Quijote, sondern nur so gescheite und einsichtige Leute wie seinen Schildknappen. Der letztere bat den Pfarrer um Erlaubnis für seinen Herrn, sich auf eine kleine Weile aus dem Käfig herauszubegeben; denn wenn sie ihn nicht herausließen, würde dies Gefängnis nicht so reinlich bleiben, wie es sich für einen Ritter von so feinem Anstand gezieme.

Der Pfarrer merkte seine Absicht und erwiderte, er würde sehr gern diesen Wunsch erfüllen, wenn er nicht fürchten müßte, daß sein Herr, sobald er sich in Freiheit sähe, seine tollen Streiche begehen und sich auf und davon machen würde auf Nimmerwiedersehen.

»Ich bürge dafür, daß er nicht entspringt«, sagte Sancho.

»Ich auch und wir alle«, sprach der Domherr, »zumal wenn er mir sein Wort als Ritter gibt, sich ohne unsere Einwilligung nicht von uns zu entfernen.«

»Ja, ich gebe es«, fiel Don Quijote hier ein, der alles angehört hatte, »um so mehr, als jemand, der verzaubert ist wie ich, ohnehin nicht die Freiheit besitzt, über seine Person nach eignem Belieben zu verfügen. Denn der ihn verzaubert hat, kann bewirken, daß er nicht imstande ist, während dreier Jahrhunderte sich vom Fleck zu rühren; und wäre er auch entflohen, so zwingt ihn der Zauberer, im Fluge zurückzukehren.« Da dem nun so sei, so könnten sie ihn ganz gut von den Banden lösen, besonders da es allen zum Besten gereiche, und wenn sie ihn nicht lösten, dann würde, so beteuerte er ihnen, unfehlbar der Geruch sie belästigen, wenn sie sich nicht aus seiner Nähe weit wegmachten.

Der Domherr ergriff seine Hand, obwohl ihm beide noch gebunden waren, und auf sein Gelöbnis und Ehrenwort wurde er entkäfigt. Er freute sich unendlich und über die Maßen, wie er sich außerhalb des Käfigs sah. Das erste, was er tat, war, daß er seinen ganzen Körper reckte und streckte; dann trat er sofort zu Rosinante, schlug ihn zweimal mit flacher Hand auf die Kruppe und sprach: »Noch immer hoff ich zu Gott und seiner gebenedeiten Mutter, o du Blume und Spiegel aller Rosse; daß wir beide baldigst uns wieder so finden werden, wie wir es ersehnen, du dich mit deinem Herrn auf dem Rücken und ich mich auf dir, das Amt übend, für welches Gott mich in die Welt gesandt hat.«

Mit diesen Worten entfernte sich Don Quijote, ging nebst Sancho an eine abgelegene Stelle und kehrte von dort sehr erleichtert zurück mit um so lebhafterem Wunsche, alles auszuführen, was sein Schildknappe anordnen würde. Der Domherr betrachtete ihn aufmerksam und staunte ob der Seltsamkeit seiner gewaltigen Narreteien und zugleich darüber, daß er in allem, was er sagte und antwortete, einen so ausgezeichneten Verstand an den Tag legte und nur dann Bügel und Zügel verlor, wie schon früher zum öfteren gesagt, wenn man mit ihm vom Ritterwesen redete. Darob von Mitleid bewegt, sprach er zu Don Quijote, nachdem sie sich alle auf dem grünen Rasen gelagert, um den Mundvorrat des Domherrn zu erwarten: »Ist es möglich, edler Junker, daß das widerwärtige, eitle Lesen von Ritterbüchern die Gewalt über Euch hatte, Euch den Kopf so zu verdrehen, daß Ihr zuletzt gar glauben mögt, Ihr seiet wirklich verzaubert und anderes dergleichen, das von der Wahrheit so weit entfernt ist wie die Lüge von der Wahrheit? Und wie kann nur ein verständiger Mensch an die unendliche Menge von Amadísen glauben? Wie kann er glauben, daß es in der Welt jemals jenen wirren Haufen berühmter Ritter gegeben, so manchen Kaiser von Trapezunt, so manchen Felixmarte von Hyrkanien, so manchen Zelter, so manch fahrendes Fräulein, so viele Schlangen, so viele Drachen, so viele Riesen, so viele unerhörte Abenteuer, so viele Arten von Verzauberungen, so viele Schlachten, so viel ungeheuerliche Kämpfe, so vielen Prunk der Trachten, so viele verliebte Prinzessinnen, so viele Schildknappen, die zu Grafen werden, so viele witzige Zwerge, so manch Liebesbriefchen und so manch Liebesgetändel, so viele heldenhaft kämpfende Weiber, kurz, so zahlreiche und so ungereimte Begebenheiten, wie die Ritterbücher sie enthalten? Von mir muß ich sagen: wenn ich sie lese, machen sie mir einigermaßen Vergnügen, solange mein Geist sich von dem Gedanken fernhält, daß sie sämtlich Lüge und leichtfertige Torheit sind; aber sobald mir bewußt wird, was sie eigentlich sind, schleudere ich das beste von ihnen wider die Wand; ja, ich würde sie alle ins Feuer werfen, wenn ich gerade eines im Zimmer oder in der Nähe hätte, recht als Verbrecher, die eine derartige Strafe verdienen, weil sie Fälscher und Betrüger sind und sich ganz außerhalb der Verhältnisse bewegen, die der Menschennatur gemäß sind; auch als Erfinder neuer Lehren und neuer Lebensweise und als solche, die den unwissenden Pöbel verleiten, all die Albernheiten darin am Ende gar zu glauben und für wahr zu halten. Ja, sie erdreisten sich sogar, den Geist verständiger und edler Männer von gutem Stande in Verwirrung zu bringen, wie man wohl daraus ersehen kann, was sie Euer Gnaden angetan. Denn sie haben Euch in eine Verfassung gebracht, daß es notwendig geworden, Euch in einen Käfig zu sperren und auf einem Ochsenkarren zu fahren, wie wenn man einen Löwen oder Tiger von Ort zu Ort her oder hin führt, um ihn sehen zu lassen und Geld mit ihm zu verdienen. Wohlan denn, Señor Don Quijote, habt Mitleid mit Euch selber und kehrt in den Schoß der Vernunft zurück, versteht sie, die vom gütigen Himmel Euch in reichem Maße verliehen worden, zu gebrauchen und die glücklichen Gaben Eures Geistes auf das Lesen andrer Bücher zu verwenden, auf daß es Eurem Gewissen zum Heil und zur Erhöhung Eurer Ehre gereiche.

Und wenn Ihr dennoch, von Eurer angeborenen Neigung hingerissen, Bücher von Großtaten und vom Rittertum lesen wollt, so leset in der Heiligen Schrift das Buch der Richter, denn da werdet Ihr großartige Begebnisse finden und Taten, ebenso wahr wie heldenhaft. Einen Viriatus hatte Lusitanien, einen Cäsar Rom, einen Hannibal Karthago, einen Alexander Griechenland, einen Grafen Fernán González Kastilien, einen Cid Valencia, einen Gonzalo Fernández Andalusien, einen Diego García de Parédes Estremadura, einen Garcí-Pérez de Vargas Jeréz, einen Garcilaso Toledo, einen Don Manuel de Léon Sevilla, und deren Heldentaten zu lesen kann die ausgezeichnetsten Geister unterhalten, belehren, ergötzen und zur Bewunderung hinreißen. Dies würde allerdings eine Beschäftigung sein, würdig des klaren Verstandes Euer Gnaden, mein lieber Herr Don Quijote, und aus ihr würdet Ihr gelehrter in der Geschichte hervorgehen und als ein glühender Verehrer der Tugend, unterwiesen in allem Guten, gebessert in aller edlen Sitte, tapfer ohne Tollkühnheit, vorsichtig ohne Feigheit; und all dies Gott zu Ehren, Euch zum Nutzen und der Mancha zu hohem Ruhm, aus welcher Ihr, wie ich erfuhr, Eure Geburt und Abstammung herleitet.«

Mit höchster Aufmerksamkeit lauschte Don Quijote den Worten des Domherrn, und als dieser geendet hatte, blickte er ihm eine gute Weile ins Gesicht und sprach dann: »Mich bedünkt, edler Junker, die Reden Euer Gnaden gehen darauf hinaus, mir die Überzeugung beizubringen, daß es niemals fahrende Ritter in der Welt gegeben hat und daß alle Ritterbücher falsch, lügenhaft, schädlich und für das Gemeinwesen nutzlos sind, daß ich übel getan, sie zu lesen, noch übler, an sie zu glauben, und am allerübelsten, ihnen nachzuahmen, indem ich mich damit abgegeben, dem durch sie vorgezeichneten überharten Beruf des fahrenden Rittertums zu folgen – während Ihr mir in Abrede stellt, daß es jemals in der Welt Amadíse gegeben, weder von Gallien noch von Griechenland, noch irgendeinen der andern Ritter, von denen die Schriften voll sind.«

»All dieses ist buchstäblich so, wie Euer Gnaden es eben vorträgt«, sagte hier der Domherr.

Worauf Don Quijote erwiderte: »Auch fügte Euer Gnaden noch die Versicherung hinzu, es hätten mir die besagten Bücher großen Schaden zugefügt, da sie mir den Kopf verrückt und mich in einen Käfig gebracht hätten, und ich täte besser daran, mich zu belehren und meine Lesegewohnheiten zu ändern, nämlich andre Bücher zu lesen, die mehr der Wahrheit gemäß sind und bessere Ergötzung und Belehrung bieten.«

»So ist es«, sprach der Domherr.

»Ich aber«, versetzte Don Quijote, »finde meinesteils, daß der Mann ohne Verstand und der Verzauberte Euer Gnaden selbst ist, da Ihr es für richtig gehalten habt, dergleichen große Lästerungen gegen etwas auszustoßen, das überall in der Welt solche Geltung gefunden und für so wahr erachtet wird, daß, wer es leugnen wollte, wie Euer Gnaden es leugnet, dieselbe Strafe verdiente, die Ihr den Büchern auferlegt, wenn Ihr sie leset und sie Euch langweilen. Denn jemandem einreden zu wollen, daß Amadís nie auf Erden gelebt und ebensowenig auch die andern abenteuernden Ritter, von denen die Geschichtsbücher voll sind, das heißt einem einreden wollen, daß die Sonne nicht leuchtet und das Eis nicht kältet und die Erde uns nicht trägt. Mithin, welch vernünftiges Wesen kann es auf Erden geben, das einem andern einreden könnte, es sei nicht volle Wahrheit, was von der Prinzessin Floripes erzählt wird und von Guido von Burgund und von Fierabrás, nebst der Brücke von Mantible, was alles sich zu Zeiten Karls des Großen zugetragen? Ich schwör’s bei allem, was heilig ist, dies ist alles so wahr, wie daß es jetzt Tag ist. Und wenn es Lüge ist, so muß es auch Lüge sein, daß je ein Hektor gewesen ist und ein Achilles und ein Trojanischer Krieg und die zwölf Pairs von Frankreich und König Artus von England, der noch bis heute in einen Raben verwandelt lebt, so daß man ihn von einem Augenblick zum andern in seinem Königreich zurückerwartet. Und dann mag man sich auch erdreisten, zu sagen, erlogen sei die Geschichte von Guarino Mezquino und die von der Aufsuchung des Heiligen Gral, und Fabeln seien die Geschichten von den Liebeshändeln Herrn Tristans und der Königin Isolde, wie von denen der Ginevra und des Lanzelot; während es doch Personen gibt, die sich beinahe noch erinnern, die Hofdame Quintañona gesehen zu haben, welche zu ihrer Zeit die beste Mundschenkin in ganz Großbritannien war. Und das ist so sicher wahr, daß ich mich erinnere, wie meine Großmutter von väterlicher Seite mir öfter sagte, wenn sie eine alte Dame in ehrwürdiger Haube sah: ›Die da, lieber Enkel, sieht aus wie die Hofdame Quintañona.‹ Daraus ziehe ich den Schluß, meine Großmutter muß sie gekannt haben oder sie hat wenigstens ein Bild von ihr gesehen.

Sodann, wer kann leugnen, daß die Geschichte von Peter und der schönen Magelona wahr ist, da man noch heutzutage in der Waffensammlung unsrer Könige den Zapfen sieht, mit welchem der Graf Peter das hölzerne Pferd hin und her lenkte, auf dem er durch die Lüfte flog? Und selbiger Zapfen ist etwas größer als eine Karrendeichsel. Und neben dem Zapfen sieht man dort den Sattel des Babieca, und in Roncesvalles befindet sich das Horn Roldáns, so groß wie ein mächtiger Balken. Woraus folgt, daß es einen Ritter Peter gegeben, daß es Männer wie Cid gegeben und andre dergleichen Ritter,

die, wie die Leute sagen,
hinausziehn auf ihre Abenteuer.

Wenn das geleugnet wird, so sage man mir doch auch, es sei unwahr, daß der tapfere Lusitanier Juan de Merlo ein fahrender Ritter war und nach Burgund hinzog und in der Stadt Arras gegen den berühmten Herrn von Charní, genannt der edle Herr Peter, im Zweikampf stritt und später in der Stadt Basel gegen den edlen Herrn Heinrich von Rabenstein und aus beiden Wagnissen als Sieger hervorging, reich an Ruhm und Ehre; und unwahr seien auch die ebenfalls in Burgund bestandenen Abenteuer und Herausforderungen der heldenhaften Spanier Pedro Barba und Gutierre Quijada – von dessen Geschlecht ich mich in geradem Mannesstamme ableite –, welche die Söhne des Grafen von Saint-Paul besiegten. Und so soll man mir auch leugnen, daß Don Fernando de Guevara nach Deutschland auf Abenteuer auszog, wo er mit Herrn Georg, einem Ritter vom Hofe des Herzogs von Österreich, seinen Strauß ausfocht. Man soll mir sagen, die Kämpfe des Suero de Quiñones, des Helden von jenem Waffengang, seien nur Spaß gewesen; Spaß nur die Kämpfe des edlen Herrn Luis de Falces, die er für seine Devise ausfocht gegen den kastilischen Ritter Don Gonzalo de Guzmán, nebst vielen andern Heldentaten, so christliche Ritter der spanischen und auswärtigen Reiche ausgerichtet haben, die so wahr und erwiesen sind, daß ich nochmals sagen muß: wer sie leugnen wollte, dem würde aller Menschenverstand und alle gesunde Vernunft fehlen.« Der Domherr war hocherstaunt über diese Mischung von Wahrheit und Lügen, welche Don Quijote vorbrachte, und zu sehen, welche Kenntnis er von allem hatte, was die Taten seines fahrenden Rittertums betraf und daran rührte, und so antwortete er ihm: »Ich kann nicht leugnen, Señor Don Quijote, daß einiges von dem, was Ihr gesagt, wahr ist, besonders was die fahrenden Ritter Spaniens angeht; und ebenso will ich auch zugeben, daß es zwölf Pairs von Frankreich gegeben hat, aber ich mag nicht glauben, daß sie all jene Taten getan, die der Erzbischof Turpin von ihnen berichtet. Das Wahre daran ist, sie waren von dem König von Frankreich auserlesene Ritter, die man Pairs, das heißt Ebenbürtige, nannte, weil sie an Tüchtigkeit, Adel und Tapferkeit alle einander ebenbürtig waren; und wenn sie es nicht waren, sollten sie es wenigstens sein. Es war also ein Orden wie die jetzt bekannten Orden von Santiago oder Calatrava, bei welchen vorausgesetzt wird, daß jeder darin Aufgenommene ein mannhafter und tapferer Ritter von guter Geburt ist. Und so wie man jetzt sagt ›Ritter vom heiligen Johannes‹ oder, ›von Alcantara‹, so sagte man zu jener Zeit ein ›Ritter aus der Zahl der zwölf Pairs‹, weil es zwölf in jeder Beziehung Ebenbürtige waren, die man für diesen Kriegsorden auserkor. Was den Punkt betrifft, ob es einen Cid gegeben, so ist daran kein Zweifel, ebensowenig daran, daß es einen Bernardo del Carpio gegeben; aber daß sie die großen Taten getan, die man erzählt, das ist meiner Meinung nach sehr zu bezweifeln. Was nun das andere betrifft, den Zapfen, den Ihr dem Grafen Peter zuschreibt und der neben dem Sattel Babiecas in der königlichen Waffensammlung zu sehen ist, so bekenn ich meine Sünde, ich habe zwar den Sattel, aber nicht den Zapfen zu sehen bekommen, so dumm oder so kurzsichtig muß ich wohl sein, wo er doch so groß ist, wie Euer Gnaden sagen.«

»Freilich ist er da, ohne allen Zweifel«, entgegnete Don Quijote; »und zum weiteren Wahrzeichen: er steckt in einem Futteral von Rindsleder, damit er nicht vom Schimmel angegriffen wird.«

»Das kann ja alles sein«, versetzte der Domherr, »aber bei den Weihen, die ich empfangen habe, ich entsinne mich nicht, daß ich ihn gesehen hätte. Aber auch wenn er sich dort befindet, so verpflichte ich mich darum noch nicht, die Geschichten von so viel Amadísen, von solchem wirren Haufen von Rittern zu glauben, die uns weit und breit erzählt werden. Und es liegt keine Vernunft darin, daß ein Mann wie Euer Gnaden, so ehrenhaft, voll so guter Eigenschaften, mit so klarem Verstande begabt, sich einbilden soll, daß die zahlreichen, jegliches Maß übersteigenden Narreteien Wahrheiten seien, die da in den abgeschmackten Ritterbüchern geschrieben stehen.«

42. Kapitel

Welches berichtet, was noch weiter in der Schenke vorging, und auch von viel andern wissenswürdigen Dingen handelt

Nach diesen Worten schwieg der Maurensklave, und Don Fernando sprach zu ihm: »Gewiß, Herr Hauptmann, der Stil und Ton, in dem Ihr uns diese merkwürdige Geschichte erzählt habt, verdient das Lob, daß er der Neuheit und Merkwürdigkeit der Sache selbst ganz ebenbürtig war. Alles war ungewöhnlich und eigentümlich und voll von Begebnissen, die den Hörer spannen und in Staunen setzen. Und wir haben Euch mit so viel Vergnügen zugehört, daß, wenn uns auch noch der morgende Tag bei der Unterhaltung mit dieser Geschichte träfe, wir uns freuen würden, wenn sie aufs neue begänne.«

Nun erboten sich ihm auch der Pfarrer und die andern zu allen Dienstleistungen, die in ihren Kräften stünden, und dies in so freundschaftlichen und aufrichtigen Ausdrücken, daß der Hauptmann über ihre wohlwollenden Gesinnungen hoch erfreut war. Insbesondere bot ihm Don Fernando an, wenn er mit ihm heimkehren wolle, so würde er seinen Bruder, den Marquis, veranlassen, bei Zoraidas Taufe die Patenstelle zu übernehmen, und er für seinen Teil würde so für ihn sorgen, daß er in seiner Heimat mit aller Würde und Bequemlichkeit eintreffen könne, die seiner Person gebühre. Der Sklave dankte für dies alles mit feinster Höflichkeit, wollte jedoch keine seiner großmütigen Anerbietungen annehmen.

Indessen nahte bereits die Nacht, und bei deren Einbruch kam eine Kutsche in Begleitung einiger Leute zu Pferd in der Schenke an. Sie verlangten Herberge, worauf die Wirtin antwortete, es sei in der ganzen Schenke nicht eine Handbreit mehr unbesetzt.

»Wenn das auch der Fall ist«, sprach einer der Leute zu Pferd, die in den Hof hereingeritten waren, »wird es doch an Raum für den Herrn Oberrichter nicht fehlen, der hier ankommt.«

Bei diesem Namen geriet die Wirtin in Verlegenheit und sagte: »Die Schwierigkeit ist nur die, daß ich keine Betten habe; wenn Seine Gnaden der Herr Oberrichter ein solches mit sich führt, und ganz gewiß wird das der Fall sein, so möge er in Gottes Namen einkehren, und mein Mann und ich werden unser Gemach räumen, um es Seiner Gnaden bequem zu machen.«

»In Gottes Namen denn«, erwiderte der Reisediener.

Inzwischen war aber schon ein Herr aus der Kutsche gestiegen, an dessen Tracht man sofort seinen Stand und Amtsberuf erkannte; denn das lange Gewand und die weiten Ärmel mit Handkrausen zeigten, daß er ein Oberrichter war, wie sein Diener gesagt hatte. Er führte an seiner Hand ein Fräulein, das etwa sechzehn Jahre alt schien; sie war im Reiseanzug und so zierlich, schön und fein anzuschauen, daß ihr Anblick allen Bewunderung abnötigte; ja, sie alle, hätten sie nicht Dorotea, Luscinda und Zoraida gesehen, die in der Schenke waren, hätten glauben müssen, daß eine ähnliche Schönheit wie die dieses Fräuleins nicht so leicht zu finden sei.

Beim Eintreten des Oberrichters und des Fräuleins war Don Quijote zugegen, und als dieser den fremden Herrn sah, sprach er sogleich: »Euer Gnaden kann getrost Einkehr halten und sich ergehen in dieser Burg. Denn wiewohl sie eng und ohne Bequemlichkeit ist, gibt es weder eine Enge noch Unbequemlichkeit, so nicht für das Waffenwerk und die Gelehrsamkeit Raum hätten, zumal wenn Waffenwerk und Gelehrsamkeit die Schönheit als Führerin und Wegweiserin bei sich haben, wie Euer Gnaden Gelahrtheit sie in diesem schönen Fräulein bei sich hat, einer Dame, vor welcher nicht nur die Burgen sich erschließen und ihr Inneres offenbaren, sondern auch die Felsen sich auseinandertun und die Berge sich spalten und herabneigen müssen, um ihr Einlaß zu gewähren. Es trete also, sag ich, Euer Gnaden in dies Paradies ein; denn hier werdet Ihr Sterne und Sonnen finden, würdig, dem Himmel sich zu gesellen, den Euer Gnaden mitbringt; hier werdet Ihr das Waffenwerk auf seiner höchsten Stufe und die Schönheit auf dem Gipfel der Vollkommenheit finden.«

Der Oberrichter geriet in Verwunderung über Don Quijotes Reden und begann ihn mit großer Aufmerksamkeit zu betrachten; er wunderte sich nicht weniger über sein Aussehen als über seine Äußerungen, und ehe er seinerseits Worte der Entgegnung fand, geriet er aufs neue in Staunen, als er Luscinda, Dorotea und Zoraida erscheinen sah; diese nämlich waren bei der Neuigkeit von den neuen Gästen und bei der Kunde von der Schönheit des Fräuleins, von der ihnen die Wirtin gesagt, herzugeeilt, um sie zu sehen und zu empfangen.

Don Fernando indessen und Cardenio und der Pfarrer begrüßten ihn auf eine verständigere und weltmännischere Weise, als Don Quijote es getan. Endlich trat der Herr Oberrichter ins Haus, höchst befremdet über alles, was er sah und was er hörte, und die Schönen aus der Schenke hießen das schöne Fräulein willkommen. Der Oberrichter bemerkte alsbald, daß all die Anwesenden vornehme Leute waren; allein Don Quijotes Gestalt, Aussehen und Haltung machten ihn gänzlich irre. Und nachdem man gegenseitig viele Höflichkeiten ausgetauscht und die Räumlichkeiten der Schenke besichtigt, traf man die Anordnung, daß alle Frauen sich der Abrede gemäß in die schon erwähnte Kammer begeben, die Männer aber vor dieser gleichsam als Schutzwache bleiben sollten. So war der Oberrichter damit einverstanden, daß seine Tochter – dies war das Fräulein – mit den übrigen Damen ginge, was sie gerne tat; und mit einem Teil vom schmalen Bette des Schenkwirts und mit der Hälfte des vom Oberrichter mitgebrachten machten die Damen es sich diese Nacht bequemer, als sie es erwartet hatten.

Der befreite Maurensklave, dem vom ersten Augenblick an, wo er den Oberrichter erblickte, das Herz heftig pochte und Ahnungen erweckte, daß dies sein Bruder sein könne, fragte einen der Diener, die den letzteren begleiteten, wie der Herr heiße und aus welcher Gegend er sei. Der Diener antwortete, jener sei der Lizentiat Juan Pérez de Viedma und stamme seines Wissens aus einem Ort im Gebirge von León.

Diese Mitteilung, und was er mit eignen Augen gesehen, überzeugte ihn vollends, jener sei sein Bruder, der nach dem Rat seines Vaters sich den Studien gewidmet hatte; und in höchster Aufregung und Freude rief er Don Fernando, Cardenio und den Pfarrer beiseite, erzählte ihnen, was vorgehe, und gab ihnen die Gewißheit, der Oberrichter sei sein Bruder. Der Diener hatte ihm auch noch erzählt, derselbe gehe nach Indien, da er als Oberrichter beim Appellationshof von Mexiko angestellt sei. Er erfuhr auch, jenes Fräulein sei dessen Tochter, ihre Mutter sei an der Geburt des Mädchens gestorben und der Vater sei durch die Mitgift, die ihm samt der Tochter im Hause verblieben, ein sehr reicher Mann geworden. Er bat sie um Rat, welchen Weg er einschlagen solle, um sich ihm zu entdecken oder um sich vorher zu vergewissern, ob etwa, wenn er sich dem Richter entdeckt habe, dieser sich der Armut des Bruders schämen oder ihn mit liebevollem Herzen aufnehmen werde.

»Es möge mir überlassen bleiben, diese Probe anzustellen«, sagte der Pfarrer, »zumal sich gar nichts andres denken läßt, als daß Ihr, Herr Hauptmann, die allerbeste Aufnahme finden werdet. Denn die geistige Bedeutung und der verständige Sinn, die Euer Bruder in seinem edlen Äußeren erkennen läßt, deuten nicht darauf, daß er hochmütig oder vergeßlich ist oder daß er nicht die Zufälligkeiten des Schicksals richtig zu würdigen weiß.«

»Trotz alledem«, sagte der Hauptmann, »möchte ich mich ihm nicht mit einemmal, sondern nur allmählich, wie auf Umwegen, zu erkennen geben.«

»Ich sage Euch ja«, entgegnete der Pfarrer, »ich werde meinen Plan so anlegen, daß wir alle zufrieden sein werden.«

Inzwischen war das Abendessen schon aufgetragen, und alle setzten sich an den Tisch außer dem Hauptmann sowie den Damen, welche in ihrem Zimmer für sich speisten. Während man nun bei der Tafel war, sprach der Pfarrer: »Herr Oberrichter, desselben Namens wie Euer Gnaden hatte ich einen Kameraden in Konstantinopel, wo ich ein paar Jahre in der Sklaverei war, und dieser Kamerad war einer der tüchtigsten Soldaten und Hauptleute im ganzen spanischen Fußvolk; aber so mutig und tapfer er war, so unglücklich war er auch.«

»Und wie hieß dieser Hauptmann, mein werter Herr?« fragte der Oberrichter.

»Er hieß«, antwortete der Pfarrer, »Rui Pérez de Viedma und war gebürtig aus einem Ort im Gebirge von Léon. Er erzählte mir eines Tages einen Vorfall, der sich zwischen seinem Vater und seinen Brüdern zugetragen, und hätte mir ihn nicht ein so wahrheitsliebender Mann wie er erzählt, so hätte ich es für eines jener Märchen gehalten, wie sie die alten Weiber des Winters beim Herdfeuer erzählen. Denn er sagte mir, sein Vater habe sein Vermögen unter seine drei Söhne verteilt und ihnen dabei besseren Rat gegeben, als man in den Gedichten des Dionysius Cato findet. Und ich muß sagen, der Rat, dem er folgte, in den Krieg zu gehen, schlug ihm so gut aus, daß er es in wenigen Jahren durch seine Tapferkeit und seine Tüchtigkeit bis zum Hauptmann beim Fußvolk brachte und in solcher Achtung stand, daß er sich schon auf dem Wege sah, demnächst Oberst zu werden. Allein das Glück ward ihm feindlich, denn gerade als er berechtigt schien, dessen Gunst zu erwarten, da büßte er sie vollständig ein, indem er seine Freiheit an jenem ruhmreichen Schlachttage verlor, wo so viele sie wiedererlangten, nämlich bei Lepanto. Ich meinesteils verlor die Freiheit in Goleta, und später fanden wir uns infolge verschiedener Schicksale als Kameraden in Konstantinopel. Von dort kam er nach Algier, wo ihm, wie mir bekannt, eines der seltsamsten Abenteuer von der Welt begegnet ist.«

Nun fuhr der Pfarrer fort, in gedrängter Kürze alles zu erzählen, was dem Bruder mit Zoraida begegnet war, und der Oberrichter hörte dem Zeugen so merkwürdiger Erlebnisse mit höherer Spannung zu, als er jemals bei Gericht einen Zeugen verhört hatte. Der Pfarrer ging nur bis zu dem Punkte, wo die Franzosen die in der Barke segelnden Christen ausplünderten, so daß seine Gefährten und die schöne Maurin in Armut und Not gerieten; er habe nicht erfahren, wohin sie weiter gelangt seien, ob sie nach Spanien gekommen oder ob die Franzosen sie nach Frankreich gebracht hätten.

Alles, was der Pfarrer erzählte, hörte der Hauptmann mit an, der nicht weit davon stand und jede Bewegung seines Bruders beobachtete; dieser aber seufzte tief auf, als der Pfarrer seine Erzählung geendet, seine Augen füllten sich mit Tränen, und er sprach: »O Señor! Wenn Ihr wüßtet, was für Nachrichten Ihr mir mitgeteilt habt und wie nahe sie mich berühren! So nahe, daß ich es mit meinen Tränen bezeugen muß, die gegen alle Schicklichkeit und meiner Zurückhaltung zum Trotz mir aus den Augen strömen! Dieser tapfere Hauptmann, den Ihr nennt, ist mein ältester Bruder, der, weil er tüchtiger und von höherem Streben als ich und mein jüngster Bruder, den ehrenvollen und würdigen Beruf des Kriegers erwählte, als die eine Laufbahn von den dreien, die unser Vater uns vorschlug, wie Euer Kamerad Euch in der Erzählung, die Euch so märchenhaft erschien, mitgeteilt hat. Ich schlug die gelehrte Laufbahn ein, in welcher Gott und mein beharrlicher Fleiß mich zu der Stellung befördert haben, in welcher Ihr mich seht. Mein jüngerer Bruder befindet sich in Peru und ist so reich, daß er mit dem Gelde, das er meinem Vater und mir gesendet, seinen einst mitgenommenen Anteil reichlich ersetzt, ja meinem Vater hinreichende Mittel in die Hände gegeben hat, um seiner angeborenen Freigebigkeit Genüge zu tun. Und so war auch mir die Möglichkeit geworden, mich während meiner Studien anständiger und standesgemäßer zu halten und zu dem Posten zu gelangen, welchen ich jetzt bekleide. Noch lebt mein Vater und stirbt schier vor Sehnsucht, von seinem ältesten Sohne zu hören, und fleht zu Gott mit unaufhörlichem Gebete, daß der Tod ihm nicht eher die Augen schließe, bis er die seines Sohnes noch im Lebensglanze wiedergesehen. Von diesem aber, der doch ein so verständiger Mann ist, wundert es mich, daß er in seinen großen Drangsalen und Widerwärtigkeiten oder wenigstens, als er in glücklicheren Verhältnissen war, seinem Vater nie die geringste Nachricht von sich gesandt hat; denn wenn dieser oder einer von uns es erfahren hätte, so wäre er nicht genötigt gewesen, auf das Wunder mit dem Rohrstab zu warten, um sein Lösegeld zu erlangen. Indessen jetzt quält mich der Zweifel, ob jene Franzosen ihm die Freiheit geschenkt oder ihn umgebracht haben, um den verübten Raub zu verheimlichen. Dies alles wird nun zur Folge haben, daß ich meine Reise nicht mit jenem frohen Mute, mit dem ich sie begonnen, sondern mit Trauer und Schwermut fortsetzen muß. O mein guter Bruder! Wer doch wüßte, wo du weilest! Dann würde ich hineilen, dich aufzusuchen und dich von deinen Drangsalen zu erlösen, wenn ich auch selbst für dich leiden müßte. Oh, wer doch unserm alten Vater die Nachricht brächte, daß du noch lebst! Und lägst du auch in den tiefstverborgenen Sklavenzellen der Berberei, aus ihnen würden seine Reichtümer und die meines Bruders und die meinigen dich frei machen. Und du, o schöne großherzige Zoraida, wer dich würdig belohnen könnte für alles, was du Gutes an meinem Bruder getan! Wer doch zugegen sein könnte bei der Wiedergeburt deiner Seele und bei der Vermählung, die uns alle mit so hoher Freude erfüllen würde!«

Diese Worte und andre ähnlichen Inhalts sprach der Oberrichter, und er war von den Nachrichten über seinen Bruder so tief ergriffen, daß die Zuhörer alle es sich nicht versagen konnten, ihrer Rührung gleich ihm Ausdruck zu verleihen.

Wie nun der Pfarrer sah, daß ihm so wohl gelungen, was er beabsichtigt hatte und was der Hauptmann wünschte, wollte er sie alle nicht länger in ihrer Betrübnis lassen; und so stand er vom Tische auf, ging in das Zimmer, wo sich Zoraida befand, nahm sie bei der Hand, und es folgten ihr Luscinda, Dorotea und die Tochter des Oberrichters. Der Hauptmann stand voll Erwartung da, was der Pfarrer beginnen wolle; dieser aber faßte ihn mit seiner andern Hand, führte so das Paar zu dem Oberrichter und den andern Edelleuten hin und sprach: »Laßt Eure Tränen nicht länger fließen, Herr Oberrichter, Euer Sehnen werde nun mit allem Glücke gekrönt, das nur zu wünschen ist, denn vor Euch stehen Euer lieber Bruder und Eure liebe Schwägerin. Der Mann, den Ihr hier seht, ist der Hauptmann Viedma, und dies ist die schöne Maurin, die soviel Gutes an ihm getan hat; die Franzosen, von denen ich Euch sagte, haben sie in die bedrängte Lage versetzt, die Ihr seht, damit Ihr die Großmut Eures edlen Herzens bewähren könnet.«

Der Hauptmann eilte herzu, um seinen Bruder zu umarmen, und dieser legte ihm beide Hände auf die Schultern, um ihn erst aus einiger Entfernung zu betrachten; aber nachdem er ihn endlich wiedererkannt hatte, preßte er ihn so fest in die Arme und vergoß so liebevolle Freudentränen, daß die meisten der Anwesenden sich nicht enthalten konnten, mit ihm zu weinen. Die Worte, welche die Brüder miteinander wechselten, die innigen Gefühle, denen sie Ausdruck verliehen, lassen sich kaum vorstellen, geschweige denn mit der Feder beschreiben. Da gaben sie einander in kurzer Darstellung Bericht über ihre Erlebnisse; da zeigten sie die treue Freundschaft zweier Brüder in vollkommenster Wahrheit; da umarmte der Oberrichter die liebliche Zoraida, da bot er ihr sein ganzes Vermögen an; da hieß er seine Tochter sie umarmen, und die schöne Christin und die wunderschöne Maurin lockten aufs neue Tränen aus aller Augen. Da stand Don Quijote in höchster Aufmerksamkeit, ohne ein Wort zu reden, und beschaute sich diese wundersamen Vorgänge, die er alle den Hirngespinsten der fahrenden Ritterschaft zuschrieb. Da trafen sie die Abrede, der Hauptmann und Zoraida sollten mit dem Bruder nach Sevilla zurückkehren und ihren Vater benachrichtigen, daß er gefunden worden und sich in Freiheit sehe, damit der alte Herr, wenn er es könnte, sich zur Hochzeit und Taufe Zoraidas einfände; denn der Oberrichter konnte seinen Reiseplan nicht ändern, da er Nachricht empfangen, daß binnen eines Monats eine Flotte von Sevilla nach Neuspanien absegeln werde, und es für ihn großen Nachteil mit sich gebracht hätte, diese Reisegelegenheit zu versäumen.

Alle waren nun glücklich und froh über die günstige Wendung im Schicksal des ehemaligen Sklaven, und da die Nacht beinahe schon zwei Drittel ihrer Bahn zurückgelegt hatte, beschlossen sie, wenigstens während des Restes derselben ihr Lager aufzusuchen und zu ruhen. Don Quijote erbot sich, die Bewachung der Burg zu übernehmen, damit sie nicht von irgendwelchem Riesen überfallen würden oder von andern abenteuernden Schurken, die da nach dem reichen Schatz an Schönheit gierig sein möchten, den die Burg verwahre. Alle, die ihn kannten, sagten ihm Dank dafür und setzten zugleich den Oberrichter in Kenntnis von Don Quijotes seltsamer Geistesrichtung, worüber er sich nicht wenig ergötzte.

Sancho Pansa allein verzweifelte fast darüber, daß es mit dem Schlafengehen so lang dauerte, aber er allein auch wußte sich bequemer zu betten als alle andern, indem er sich auf Sattel und Decken seines Esels legte – die ihn später so teuer zu stehen kamen, wie man bald erfahren wird.

Nachdem sich also die Damen in ihr Gemach zurückgezogen und die andern sich so gut oder so wenig schlecht als möglich gelagert hatten, begab sich Don Quijote zur Schenke hinaus, um vor der Burg Wache zu halten, wie er es versprochen.

Als nun der Morgen herannahte, da drang zu den Ohren der Damen eine so wohltönende, so liebliche Stimme, daß alle ihr unwillkürlich aufmerksames Gehör schenken mußten, besonders Dorotea, die wach war und an deren Seite Doña Clara de Viedma schlief – so hieß nämlich die Tochter des Oberrichters. Niemand vermochte zu erraten, wer der Mann sei, der so schön singe; es war eine Stimme für sich allein, ohne Begleitung eines Instruments. Einmal kam es ihnen vor, als töne der Gesang aus dem Hofe, ein andermal, als ob aus dem Pferdestall, und während sie in dieser Ungewißheit höchst aufmerksam zuhörten, kam Cardenio an die Türe des Gemachs und sprach: »Wer nicht schläft, der horche auf; ihr werdet die Stimme eines jungen Maultiertreibers vernehmen, der so herrlich singt, daß es zum Herzen dringt.«

»Wir haben ihn schon gehört, Señor«, antwortete Dorotea.

Hiermit entfernte sich Cardenio; und Dorotea horchte mit gespannter Aufmerksamkeit und vernahm folgendes Lied:

43. Kapitel

Wo die anmutige Geschichte des jungen Maultiertreibers erzählt wird, nebst andern merkwürdigen Vorfällen, so sich in der Schenke zutrugen

Ich bin Amors Fährmann, segle,
Wo die Hoffnung schier entschwunden,
Wo auf Amors tiefen Meeren
Nimmer wird ein Port gefunden.

Einem Sterne folgt mein Schifflein,
Fernher strahlt er mir im Dunkeln;
Nie sah jener Palinurus
Schönre Sterne droben funkeln.

Und er lenkt mich fern auf Meere,
Die nie Menschen noch befuhren;
Sorgenvoll und unbesorgt doch
Späht mein Herz nach seinen Spuren.

Sprödigkeit, ganz unerhört jetzt,
Tugend, die mir wird zum Fluche,
Sind die Wolken, die ihn bergen,
Wenn ich sehnsuchtsvoll ihn suche.

Klarer, lichter Stern, an dessen
Süßem Glanz ich neu gesunde,
Bleib! Die Stunde deines Scheidens
Wird auch meines Todes Stunde.

Als der Sänger so weit gekommen war, wollte Dorotea auch Clara das Vergnügen an einer so schönen Stimme gönnen; sie weckte sie daher mit den Worten: »Verzeih mir, Kind, daß ich dich wecke, denn ich tue es, damit dir der Genuß wird, die schönste Stimme zu hören, die du vielleicht in deinem Leben vernommen hast.«

Clara erwachte, noch ganz schlaftrunken, und verstand anfangs nicht, was Dorotea ihr sagte; sie fragte daher erst noch einmal, Dorotea wiederholte ihre Worte, und nun ward Clara aufmerksam. Kaum aber hatte sie zwei Verse vernommen, mit denen der Sänger sein Lied fortsetzte, da befiel sie ein seltsames Zittern, als läge sie an einem heftigen Anfall von Viertagefieber darnieder; sie preßte Dorotea innig in ihre Arme und sprach: »O mein Herzensfräulein, warum habt Ihr mich geweckt? Die größte Wohltat, die mir in diesem Augenblick das Schicksal erweisen konnte, war, daß es mir Augen und Ohren verschlossen hielt, um diesen unglücklichen Sänger nicht zu sehen und nicht zu hören.«

»Was sagst du, Kind?« erwiderte Dorotea, »bedenke, daß der Sänger ja nur ein Maultiertreiber ist.«

»Das ist er nicht«, sagte Clara, »er ist Eigentümer großer Güter, und die Herrschaft, die er über mein Herz besitzt, wird ihm, wenn er sie nicht selbst aufgeben will, in alle Ewigkeit nie genommen werden.«

Dorotea staunte ob der Worte des jungen Mädchens, die so voll tiefen Gefühls waren, daß sie weit über der Reife ihres jugendlichen Alters zu liegen schienen; und daher sprach sie zu ihr: »Ihr redet so eigen, Fräulein Clara, daß ich Euch nicht verstehen kann; erklärt Euch ausführlicher und sagt mir: was ist’s mit dem Herzen und der Herrschaft, die Ihr erwähnt, und mit diesem Sänger, dessen Stimme Euch in solche Aufregung versetzt? Aber sagt mir für jetzt gar nichts; denn ich möchte nicht, um Euch Eure Unruhe zu nehmen, das Vergnügen einbüßen, den Sänger zu hören; es will mich bedünken, daß er mit andern Versen und anderer Melodie seinen Gesang aufs neue beginnt.«

»Nun, in Gottes Namen«, entgegnete Clara und hielt sich beide Ohren mit den Händen zu, um nichts zu hören. Darüber wunderte sich Dorotea abermals; sie horchte nun auf den Gesang, der in folgenden Weisen ertönte:

O du mein süßes Hoffen,
Das kühn sich Bahn bricht durch Unmöglichkeiten,
Da du die Wahl getroffen,
Zum fernen Ziel den Dornenweg zu schreiten,
Laß dein Vertraun nicht sinken,
Siehst du bei jedem Schritt den Tod dir winken.

Wer schwelgt in trägem Frieden,
Wird nie des Sieges Ruhm und Preis erjagen;
Vom Glück sind stets gemieden,
Die feig mit dem Geschick den Kampf nicht wagen,
Auf Mannesehr verzichten,
Und nur auf süße Ruh die Sinne richten.

Wohl darf’s gebilligt werden,
Verkauft den Siegespreis die Liebe teuer:
Kein höh’res Gut auf Erden,
Als das die Lieb erprobt in ihrem Feuer;
Und wahr sprach, der da lehrte:
Was wenig kostet, steht gering im Werte.

Beharrlichkeit im Lieben
Erringt gar manches Mal Unmöglichkeiten;
Und bin ich fest geblieben,
Dem unerreichbarn Ziele nachzuschreiten,
So soll mir’s auch gelingen,
Den Himmel von der Erd aus zu erringen.

Hier hörte die Stimme auf, und Clara begann aufs neue zu seufzen und zu schluchzen. All dieses entzündete um so mehr Doroteas Neugier, den Anlaß so süßen Gesanges und so schmerzlichen Weinens zu erfahren, und so fragte sie Clara wiederum, was sie vorher habe sagen wollen.

Jetzt drückte Clara sie fester ans Herz, und in der Besorgnis, Luscinda möchte sie hören, hielt sie ihren Mund so dicht an Doroteas Ohr, daß sie sicher war, von niemandem belauscht zu werden, und sprach zu ihr: »Jener Sänger, mein Fräulein, ist der Sohn eines Edelmanns aus dem Königreich Aragón, der zwei Herrschaften besitzt und in der Residenz dem Hause meines Vaters gegenüber wohnte. Und obschon mein Vater die Fenster seiner Wohnung im Winter mit Vorhängen und im Sommer mit Holzgittern wohl verwahrt hielt, so weiß ich nicht, wie es zuging und wie es nicht zuging: der junge Herr, der noch ins Kolleg ging, erblickte mich, ich weiß nicht ob in der Kirche oder anderswo; endlich verliebte er sich in mich und gab es mir von den Fenstern seines Hauses aus durch so viel Zeichen und so viele Tränen zu verstehen, daß ich ihm Glauben, ja Liebe schenken mußte, ohne noch zu wissen, wie ernstlich seine Liebe sei. Unter den Zeichen, die er mir machte, war eines, daß er seine Hände ineinanderlegte, womit er mir zu verstehen gab, daß er sich gern mit mir vermählen möchte; und wiewohl ich mich höchlich freuen würde, wenn dem so wäre, wußte ich doch, so ganz allein und mutterlos, nicht, mit wem ich es besprechen sollte, und ließ die Sache gehen, wie sie ging, ohne ihm je eine andre Gunst zu erweisen, als daß ich, wenn mein Vater und auch der seinige das Haus verlassen hatten, den Vorhang – oder das Gitter – ein wenig in die Höhe hob und mich in ganzer Gestalt sehen ließ, worüber er sich so glücklich und selig gebärdete, daß er schier verrückt zu werden schien.

Inzwischen kam die Zeit heran, wo mein Vater abreisen sollte, und er erfuhr es, wenn auch nicht durch mich, da es mir nie möglich war, ihn zu sprechen. Er wurde krank, wie ich vermute, aus Gram, und so konnte ich ihn am Tag unserer Abreise nicht sehen, um von ihm, wenn auch nur mit Blicken, Abschied zu nehmen. Aber nachdem wir zwei Tage lang gereist waren und eben eine Tagereise von hier entfernt in ein Gasthaus einkehrten, da erblickte ich ihn plötzlich an der Tür des Gasthauses, angezogen wie der Bursche eines Maultiertreibers, und die Tracht schien ihm so natürlich, daß es mir unmöglich gewesen wäre, ihn zu erkennen, wenn ich sein Bild nicht so treu im Herzen trüge. Ich erkannte ihn und ward von Staunen und Freude ergriffen. Er sah mich verstohlen an, hinter dem Rücken meines Vaters, da er sich immer vor ihm verbirgt, wenn er auf den Wegen und in den Herbergen, wo wir einkehren, an mir vorübergeht. Und da ich weiß, wer er ist, und bedenke, daß er nur aus Liebe zu mir unter soviel Mühsalen zu Fuße reist, vergehe ich vor Gram, und wo sich seine Füße hinwenden, da wenden sich meine Augen hin. Ich weiß nicht, welche Absicht ihn hierherführt, noch wie es ihm möglich war, von seinem Vater fortzukommen, der ihn außerordentlich liebt, weil er keinen andern Erben hat und weil der junge Mann es verdient, wie Ihr sofort erkennen werdet, wenn Ihr ihn seht. Außerdem kann ich Euch sagen, daß alles, was er singt, aus seinem eignen Kopfe kommt, denn, wie ich gehört habe, hat er viel gelernt und dichtet vortrefflich. Aber es kommt noch etwas dazu: jedesmal, wenn ich ihn sehe oder singen höre, zittre ich am ganzen Leibe und werde von Angst überfallen, mein Vater möchte ihn erkennen und unsere gegenseitige Neigung entdecken. Nie in meinem Leben habe ich ein Wort mit ihm gesprochen, und dessenungeachtet liebe ich ihn so innig, daß ich ohne ihn nicht leben kann. Das, mein Fräulein, ist alles, was ich Euch über diesen Sänger sagen kann, dessen Stimme Euch so sehr gefallen hat, daß Ihr an ihr allein schon erkennen könnt, daß er kein Maultiertreiber ist, wie Ihr meintet, sondern daß er Gebieter über Seelen und Herrschaften ist.«

»Redet nicht weiter, Señora Doña Clara«, sprach Dorotea jetzt und küßte sie dabei vieltausendmal, »redet nicht weiter, sag ich, und geduldet Euch, bis der Morgen kommt. Mit Gottes Hilfe hoffe ich Eure Angelegenheiten zu dem glücklichen Ende zu bringen, das ein so züchtiger Anfang verdient.«

»O mein Fräulein!« versetzte Clara, »welch ein Ende läßt sich hoffen, wenn doch sein Vater so vornehm und so reich ist, daß er mich kaum wert achten wird, seines Sohnes Dienerin, geschweige denn seine Gemahlin zu sein? Und dann, mich heimlich hinter dem Rücken meines Vaters verheiraten, das würde ich um alles in der Welt nicht tun. Ich wünschte nur, der junge Mann kehrte nach Hause und ließe von mir ab; vielleicht, wenn ich ihn nicht sähe und wenn die große Strecke des Weges, den wir reisen, uns trennte, würde sich die Pein, die ich jetzt empfinde, beschwichtigen lassen. Zwar muß ich wohl sagen, dies Mittel, das mir eben eingefallen, würde mir gar wenig helfen. Ich weiß nicht, welcher Teufel es so gefügt oder durch welches Pförtchen sich die Liebe zu ihm mir ins Herz eingeschlichen hat, da ich doch ein so junges Mädchen bin und er ein so junges Herrchen ist; in der Tat glaube ich, wir sind vom selben Alter, und ich zähle noch nicht volle sechzehn Jahre; denn mein Vater sagt, daß ich dies Alter erst auf nächsten Michaelistag vollenden werde.«

Dorotea konnte das Lachen nicht unterdrücken, als sie Clara so kindlich plaudern hörte, und sprach zu ihr: »Jetzt, Fräulein, wollen wir das wenige, was von der Nacht wohl noch übrig ist, in Ruhe verschlafen; Gott wird Tag werden lassen, und es wird uns schon gelingen, oder ich müßte mich schlecht auf dergleichen verstehen.«

Hiermit sanken sie in Schlummer, und in der ganzen Schenke herrschte tiefe Stille. Nur die Tochter der Wirtin und Maritornes schliefen nicht; sie wußten, welchen Sparren Don Quijote im Kopf hatte, sie hatten gesehen, wie er vor der Schenke in voller Rüstung zu Pferd Wache hielt, und nahmen sich vor, sich einen Spaß mit ihm zu machen oder sich mindestens mit dem Anhören seiner Narreteien die Zeit zu vertreiben.

Nun gab es in der ganzen Schenke kein Fenster, das aufs Feld hinausging; nur auf dem Heuboden war eine Luke, durch welche man das Stroh hinauswarf. An diese Luke stellten sich die beiden vermeintlichen Burgfräulein und sahen, wie Don Quijote zu Pferde saß, auf seinen Spieß gelehnt, und von Zeit zu Zeit so schmerzlich tiefe Seufzer ausstieß, daß es schien, als würde ihm mit jedem die Seele schier aus dem Leibe gerissen. Und zugleich hörten sie ihn mit weicher, zärtlicher, liebebeseelter Stimme sagen: »O meine Herrin Dulcinea von Toboso, du höchster Inbegriff aller Schönheit, Gipfel und Vollendung aller Klugheit und Bescheidenheit, Rüstkammer der anmutigsten Holdseligkeit, Vorratshaus aller Sittsamkeit, Vorbild alles dessen, was es Ersprießliches, Sittenreines und Erquickliches auf Erden gibt! O sage, woran mag anitzo deine Herrlichkeit sich erlusten? Hältst du vielleicht deinen fürtrefflichen Sinn gerichtet auf diesen in deinen Ketten schmachtenden Ritter, den es verlangt hat, sich aus eignem freiem Willen in soviel Gefahren zu stürzen, nur um sich deinem Dienst ergeben zu zeigen? Gib mir Nachricht von ihr, o ewige Lampe mit dem dreifach verschiedenen Antlitz! Das ihrige beneidest du vielleicht jetzt im Anschauen ihrer Schönheit und siehst zu, wie sie eine Galerie ihres prunkenden Palastes durchwandelt oder wie sie sich mit der Brust über einen Balkon lehnt und bei sich erwägt, wie sie unbeschadet ihrer Tugend und erhabenen Stellung den Sturm beruhigen könne, den dies mein zagendes Herz um ihretwillen erleidet; welche Glorie sie meinen Qualen, welche Linderung sie meinen Kümmernissen, kurz, welches Leben sie meinem Tode und welchen Lohn sie meinen Diensten gewähren soll! Und du, Sonne, die du dich gewiß schon jetzt beeilst, deine Rosse zu satteln, um früh zur Hand zu sein und nach meiner Herrin dich umzuschauen! Sobald du sie erblickest, bitte ich dich, sie von mir zu grüßen. Aber hüte dich, daß du nicht, wenn du sie siehst und grüßest, sie auf das Antlitz küssest; denn ich würde eifersüchtiger auf dich sein, als du es auf jene behende grausame Schönheit warst, die dich so schwitzen ließ und durch die Ebenen Thessaliens jagte, oder war es längs der Ufer des Peneus, denn ich erinnere mich nicht genau, wo du damals in deiner Eifersucht und Verliebtheit umherliefst.«

So weit war Don Quijote in seinen betrübsamen Herzensergießungen gekommen, als die Wirtstochter begann, ihm »Pst! pst!« zuzuflüstern, und zu ihm sprach: »Verehrter Herr, geruhe doch Euer Gnaden hierherzukommen, wenn Ihr so gut sein wollt.«

Auf diese Winke und Worte drehte Don Quijote den Kopf und bemerkte bei dem Lichte des Mondes, der gerade in seiner vollen Helle schien, daß man ihm von der Dachluke aus zurief, welche ihm ein Fenster schien und obendrein eins mit vergoldetem Gitter, wie es sich für so reiche Burgen geziemt; denn eine solche war in seiner Einbildung die Schenke. Und gleich im Augenblick stellte sich ihm in seiner verrückten Phantasie vor, daß gerade wie das vorige Mal das huldselige Fräulein, die Tochter der Burgherrin, von Liebe zu ihm überwältigt, aufs neue um seine Neigung werben wolle. Und in diesem Gedanken wendete er, um sich nicht unritterlich und undankbar zu zeigen, Rosinante am Zügel, ritt an die Dachluke heran, und als er die beiden Mädchen erblickte, sprach er: »Bedauern hege ich um Euretwillen, huldseliges Fräulein, daß Ihr Eure liebenden Sinne auf ein Ziel gerichtet habet, wo es nicht möglich, Euch die entsprechende Erwiderung finden zu lassen, wie sie Eure hohe Fürtrefflichkeit und Lieblichkeit verdient. Dessen aber dürft Ihr die Schuld nicht diesem jammervollen fahrenden Ritter beimessen, welchen Liebe in die Unmöglichkeit versetzt hat, seine Neigung einer andern hinzugeben, sondern nur der, die er in derselben Minute, wo seine Augen sie erschauten, zur unumschränkten Gebieterin seines Herzens machte. Verzeihet mir, fürtreffliches Fräulein; ziehet Euch in Euer Gemach zurück und begehret nicht, mich durch entschiedenere Kundgebung Eurer Wünsche zu noch größerem Undank zu nötigen. Wenn Ihr aber in mir etwas anderes finden könnt, womit ich Eurer Liebe zu mir ein Genüge zu tun vermöchte, etwas anderes, das nicht wieder selbst Liebe ist, so fordert es von mir, und ich schwör Euch bei jener süßen Feindin mein, die nun fern ist, es Euch augenblicks zu gewähren, und fordertet Ihr von mir sogar eine Locke von Medusas Haaren, die allesamt Schlangen waren, oder auch die Sonnenstrahlen selbst in eine Flasche eingesiegelt.«

»Von all diesem hat mein Fräulein nichts nötig«, fiel hier Maritornes ein.

»Und was denn, kluge Zofe, hat Euer Fräulein nötig?« entgegnete Don Quijote.

»Nur eine von Euren schönen Händen«, sprach Maritornes, »um an ihr das heiße Begehren zu kühlen, das sie zu dieser Dachluke getrieben hat, wobei ihre Ehre so große Gefahr läuft, daß, wenn ihr Vater dahintergekommen wäre, wahrlich, ihr Ohr das kleinste Stück gewesen wäre, das er ihr abgeschnitten hätte.«

»Das hätte ich wohl sehen mögen!« versetzte Don Quijote. »Aber er wird sich wohl davor hüten, wenn er nicht das unglückseligste Ende nehmen will, das je auf Erden einem Vater zum Lohne dafür geworden, daß er seine Hände an die zarten Glieder seiner liebeerfüllten Tochter gelegt.«

Maritornes hielt es für sicher, daß Don Quijote die verlangte Hand darreichen werde, und da sie in Gedanken schon mit sich einig war, was sie tun wollte, ging sie von der Dachluke hinunter nach dem Pferdestall, nahm dort das Halfter von Sancho Pansas Esel und kehrte eilig zu ihrer Luke zurück. Hier hatte sich Don Quijote bereits mit den Füßen auf Rosinantes Sattel gestellt, um das Gitterfenster zu erreichen, wo seine Einbildung das liebeswunde Fräulein stehen sah, und indem er ihr die Hand reichte, sprach er: »Nehmt, Fräulein, diese Hand, oder richtiger gesagt, diese Zuchtrute aller Missetäter auf Erden, nehmt diese Hand, sag ich, die noch nie von eines Weibes Hand berührt worden, nicht einmal von der Hand jener Erkorenen, der mein ganzer Leib völlig zu eigen gehört. Ich reiche sie Euch nicht, damit Ihr sie küsset, sondern damit Ihr das Gewebe ihrer Sehnen, das Gefüge ihrer Muskeln, die Breite und Mächtigkeit ihrer Adern betrachtet, woraus Ihr entnehmen werdet, wie groß die Stärke dieses Armes ist, dem solch eine Hand zugehört.«

»Das wollen wir gleich sehen«, sprach Maritornes, machte eine Schlinge in das Halfter, warf sie ihm um das Handgelenk, ging dann gebückt von der Dachluke weg und band das andere Ende des Halfters so fest wie möglich an den Riegel der Bodentüre. Don Quijote, der die Reibung des rauhen Stricks an seinem Handgelenk spürte, sprach: »Euer Gnaden scheint meine Hand mehr zu striegeln als zu streicheln; behandelt sie nicht so übel, denn sie ist schuldlos daran, wenn mein Herz übel an Euch handelt, und es ist nicht recht, daß Ihr an einem so kleinen Teile für das Ganze Eures Ingrimms Eure Rache übt; bedenket, daß, wer edel liebt, sich nicht so unedel rächt.«

Aber alle diese Reden Don Quijotes hörte schon niemand mehr; denn sobald Maritornes ihm die Hand in der Schlinge gefangen hatte, liefen die beiden Mädchen weg und wollten sich fast totlachen und ließen ihn dort so festgebunden, daß es ihm unmöglich war, sich zu befreien. Er stand denn nun, wie gesagt, mit den Füßen auf Rosinante, den ganzen Arm durch die Dachluke gestreckt und am Handgelenk und am Türriegel festgehalten, mit der größten Angst und Besorgnis, wenn Rosinante nach der einen oder andern Seite einen Schritt täte, so würde er am Arm aufgehängt bleiben. Er wagte daher nicht die geringste Bewegung, da von Rosinantes Geduld und Gemütsruhe sich ganz wohl erwarten ließ, er würde ein ganzes Jahrhundert stehen bleiben, ohne sich zu rühren.

Als Don Quijote sich nun so gebunden sah und gewahrte, daß die Damen sich bereits entfernt hatten, verfiel er schließlich auf den Gedanken, all dies geschehe durch Zauberei wie das letztemal, als in dieser nämlichen Burg jener verzauberte Mohr oder eigentlich Eseltreiber ihn fürchterlich durchbleute; und er verwünschte im tiefsten Innern seinen Mangel an Verstand und Überlegung, daß er, nachdem er das erstemal aus dieser Burg so schlecht weggekommen, sich dennoch darauf eingelassen habe, sie ein zweitesmal zu betreten, da es doch bei den fahrenden Rittern als Regel gilt, daß jedesmal, wenn sie sich an ein Abenteuer gewagt und damit kein Glück gehabt haben, es ein Zeichen ist, daß selbiges Abenteuer nicht ihnen, sondern einem andern vorbestimmt ist und daß sie also nicht nötig haben, sich ein zweitesmal daranzuwagen.

Dessenungeachtet zog er an seinem Arm, um zu versuchen, ob er sich frei machen könne. Aber er war so festgebunden, daß all seine Versuche vergeblich waren. Freilich zog er mit Behutsamkeit, damit Rosinante sich nicht rühre. Wiewohl er sich gerne gesetzt und in den Sattel gebracht hätte, konnte er nichts andres tun, als auf den Füßen stehen bleiben, wenn er sich nicht die Hand ausrenken wollte. Jetzt kam der Augenblick, wo er sich das Schwert des Amadís wünschte, gegen welches keine Zauberkunst etwas vermochte; jetzt kam die Stunde, wo er sein Schicksal verwünschte; jetzt begann er sich in grellen Farben auszumalen, wie sehr man ihn in der Welt vermissen werde, solange er hier verzaubert bliebe; denn das zu sein, glaubte er mit vollster Gewißheit. Jetzt auch gedachte er aufs neue seiner geliebten Dulcinea von Toboso; jetzt rief er seinen wackern Schildknappen Sancho Pansa herbei, der aber in Schlaf begraben und, auf den Sattel seines Esels hingestreckt, in diesem Augenblick nicht einmal an die eigne Mutter, die ihn geboren, gedacht hätte; jetzt rief er die Zauberer Lirgandeo und Alquife zu Hilfe; jetzt flehte er um Beistand zu dessen treuer Freundin Urganda; und endlich fand ihn der Morgen in solcher Verzweiflung und Beklemmung, daß er brüllte wie ein Stier; denn er hatte nicht die geringste Hoffnung, daß seinen Qualen mit dem anbrechenden Tag Abhilfe kommen werde, da er sie für ewig hielt, weil er sich verzaubert glaubte. Und was ihn in diesem Glauben bestärkte, war, daß Rosinante sich nicht bewegte, weder wenig noch viel, und er dachte sich, er und sein Roß würden ohne Essen noch Trinken noch Schlafen so stehen bleiben, bis dieser böse Einfluß der Sterne vorüber wäre oder bis ein andrer, noch gelahrterer Zauberkünstler ihn entzaubern würde.

Indessen fand er sich in seinem Glauben arg betrogen. Kaum fing der Morgen an zu grauen, als vier Männer zu Pferde, sehr wohlgekleidet und trefflich ausgerüstet, ihre Büchsen über den Sattelbogen gelegt, zur Schenke herantrabten. Sie pochten mit mächtigen Schlägen an die Tür der Schenke, die noch verschlossen war. Don Quijote sah dies von seinem hohen Standpunkt aus und wollte auch von da aus die Pflicht einer Schildwache nicht versäumen; er rief mit lauter, stolzer Stimme: »Ritter oder Knappen, oder wer ihr immer sein möget, es kommt euch nicht zu, an die Pforte dieser Burg zu pochen. Denn es ist zur Genüge offenbar, daß zu solcher Stunde entweder die darin Weilenden im Schlafe liegen oder aber nicht gewohnt sind, ihre Festen zu erschließen, bis denn der Sonne Licht sich über die ganze Erde hin verbreitet hat. Macht euch von dannen und wartet, bis der Tag leuchtet, und dann werden wir sehen, ob es sich gebührt oder nicht, daß man euch die Pforte erschließe.«

»Was Teufel für Feste oder Burg ist dies?« sprach einer von den Reitern, »daß man uns nötigen will, solche Umstände zu machen? Wenn Ihr der Wirt seid, so laßt uns aufmachen; wir sind Reisende und verlangen weiter nichts als für unsere Pferde Futter; dann wollen wir weiter, denn wir haben Eile.«

»Meint ihr Ritter, daß ich nach einem Wirt aussehe?« entgegnete Don Quijote.

»Ich weiß nicht, nach was Ihr ausseht«, versetzte der andre, »aber ich weiß, daß Ihr Unsinn redet, wenn Ihr diese Schenke eine Burg nennt.«

»Eine Burg ist es«, sprach Don Quijote darauf, »und eine der besten in diesem ganzen Gau, und es sind Personen darin, die schon ein Zepter in der Hand und eine Krone auf dem Haupte tragen.«

»Besser wäre es umgekehrt«, sagte der Reisende, »das Zepter auf dem Kopf und die Krone in der Hand. Und es wird wohl so sein, wenn wir es recht betrachten, daß eine Gesellschaft Schauspieler sich drin befindet, die wohl gewohnt sind, gar oft die Kronen und Zepter zu tragen, von denen Ihr sprecht. Denn in einer so kleinen Schenke, und wo solche Stille herrscht wie in dieser, da, dünkt es mich, kehren nicht wohl Personen ein, denen Krone und Zepter gebühren.«

»Ihr wißt wenig von der Welt«, entgegnete Don Quijote, »da Euch unbekannt ist, welche Wunder der fahrenden Ritterschaft zustoßen.«

Die Gefährten des Mannes wurden der Unterhaltung überdrüssig, die er mit Don Quijote führte, und daher begannen sie aufs neue mit größtem Ungestüm zu pochen, so daß der Wirt aufwachte und nicht minder alles, was in der Schenke war. Er stand daher auf und fragte, wer da poche.

Es geschah nun, daß eine von den Stuten, auf welchen die vier Männer saßen, sich dem Rosinante näherte, um ihn zu beriechen, der bisher schwermütig und trübselig, mit gesenkten Ohren, ohne sich zu rühren, seinen ausgestreckten Herrn trug. Da der Gaul aber schließlich doch von Fleisch und Bein war, wiewohl er von Holz schien, konnte er nicht umhin, sich zu fühlen und das Tier, das ihn mit Liebkosungen begrüßt hatte, wieder seinerseits zu beriechen. Kaum aber hatte er sich nur ein klein wenig bewegt, da rutschten Don Quijote beide Füße von ihrer Stelle, glitten vom Sattel herab, und er wäre auf den Boden gestürzt, wäre er nicht am Arme hängengeblieben. Dies verursachte dem Ritter so gewaltigen Schmerz, daß ihm war, als wenn man ihm das Handgelenk abschnitte oder den Arm ausrenkte. Denn er blieb so nah über dem Boden schweben, daß er mit den äußersten Fußspitzen die Erde berührte. Aber dies war für ihn um so schlimmer, denn da er merkte, wie wenig ihm daran fehlte, um mit den Fußsohlen auftreten zu können, mühte er sich ab und streckte sich, soviel er konnte, um den Boden zu erreichen, gerade wie diejenigen, welche bei der Folterung am Flaschenzug so hängen, daß sie den Boden berühren und doch nicht berühren; sie selber mehren ihre Schmerzen durch ihre Bemühung, sich auszustrecken, getäuscht durch die Hoffnung, die ihnen vorspiegelt, wenn sie sich nur ein wenig mehr strecken könnten, würden sie den Boden erreichen.

44. Kapitel

Worin von den unerhörten Ereignissen in der Schenke des weiteren berichtet wird

Nun begann Don Quijote so furchtbar zu brüllen, daß der Wirt eilig das Tor der Schenke auftat und in vollem Schrecken hinauslief, um zu sehen, wer ein solches Geschrei erhob, und die Fremden, die sich draußen befanden, taten desgleichen. Maritornes, die ebenfalls von dem Lärmen aufgewacht war, dachte sich gleich, was es sein möchte, lief auf den Heuboden und band unbemerkt das Halfter los, an dem der Ritter hing, und er fiel sofort zu Boden angesichts des Wirtes und der Reisenden, welche auf ihn zueilten und ihn fragten, was er habe, daß er solches Geschrei ausstoße.

Ohne ein Wort zu erwidern, riß er sich den Strick vom Handgelenk, stellte sich auf die Füße, stieg auf Rosinante, nahm seine Tartsche in den Arm, legte seinen Spieß ein, ließ den Gaul einen tüchtigen Anlauf nehmen, wandte sich in kurzem Galopp zurück und sprach: »Wer auch immer behaupten wollte, ich sei mit Fug und Recht verzaubert worden, den, soferne meine Gebieterin, die Prinzessin Míkomikona, es mir großzügig verstattet, den heiß ich einen Lügenbold, biete ihm Trotz und fordre ihn zum Zweikampf heraus.«

Die neuen Ankömmlinge gerieten in großes Staunen über Don Quijotes Äußerungen, aber der Wirt riß sie bald aus ihrer Verwunderung, indem er ihnen sagte, wer Don Quijote sei und wie man sich nicht um ihn zu kümmern brauche, da er nicht bei Verstand sei. Hierauf fragten sie den Wirt, ob vielleicht ein Jüngling von ungefähr fünfzehn Jahren in diese Schenke gekommen sei, gekleidet wie ein Bursche bei den Maultiertreibern, welcher die und die Merkmale an sich habe; und hierbei bezeichneten sie genau, woran Doña Claras Liebhaber zu erkennen war. Der Wirt antwortete, es seien so viele Leute in der Schenke, daß er den Jüngling, nach dem sie fragten, nicht besonders bemerkt habe. Indem aber sah einer von ihnen die Kutsche, in welcher der Oberrichter gekommen war, und rief: »Hier muß er sein, ganz gewiß; denn dies ist die Kutsche, der er immer nachziehen soll. Bleibe einer von uns am Tor, die andern sollen hinein, ihn zu suchen. Am besten macht einer von uns die Runde um die ganze Schenke, damit er nicht über die Hofmauer entspringt.«

»So soll’s geschehen«, erwiderte einer von ihnen.

Zwei gingen hinein, einer blieb am Tor, der vierte ging um die Schenke herum. Der Wirt sah alledem zu und konnte nicht verstehen, zu welchem Zweck diese Vorkehrungen getroffen wurden, wiewohl er vermutete, sie suchten jenen Jüngling, den sie ihm beschrieben hatten.

Jetzt war es heller Tag geworden, und sowohl deshalb als auch infolge des Lärms, den Don Quijote verursacht hatte, waren alle wachgeworden und standen auf, zuerst Doña Clara und Dorotea; denn beide hatten diese Nacht sehr schlecht geschlafen, die eine vor Unruhe, ihren Geliebten so nahe zu wissen, die andre vor neugierigem Drang, ihn zu sehen. Don Quijote seinerseits, als er sah, daß keiner der vier Reisenden ihn beachtete oder ihm auf seine Herausforderung Antwort gab, war ganz außer sich und raste vor Ärger und Wut. Und hätte er in den Satzungen seines Rittertums gefunden, daß der fahrende Ritter erlaubtermaßen ein neues Abenteuer in die Hand nehmen und ausrichten dürfe, nachdem er sein Wort gegeben, sich auf keines einzulassen, bis er das früher bereits von ihm begonnene Unternehmen zu Ende geführt habe, so würde er sie alle angefallen und gezwungen haben, ihm wider ihren Willen Rede zu stehn. Aber da es ihm schien, daß es für ihn weder geziemend noch wohlgetan sei, ein neues Unternehmen zu beginnen, bevor er Míkomikona in ihr Reich eingesetzt, mußte er schweigen und in aller Ruhe abwarten, auf was die Vorkehrungen jener Reisenden abzielten.

Einer dieser letzteren fand endlich den Jüngling, den sie suchten, wie er neben einem Maultiertreiber schlief, nicht im entferntesten besorgend, daß jemand ihn suchte, und noch weniger, daß man ihn fände. Der Mann ergriff ihn am Arm und sagte zu ihm: »Gewiß, Señor Don Luis, Eure Tracht ist der Würde Eures Standes sehr angemessen, und das Bett, in dem ich Euch finde, paßt ausgezeichnet zu der sorgsamen Pflege, mit der Euch Eure Mutter erzogen hat.«

Der Jüngling rieb sich die schlaftrunkenen Augen und sah den Mann, der ihn am Arme hielt, eine geraume Weile an; und als er in ihm einen Diener seines Vaters erkannte, erschrak er so heftig, daß er lange Zeit nicht die Kraft fand, ihm ein Wort zu erwidern.

Der Diener aber fuhr fort: »Hier ist nichts andres zu tun, Señor Don Luis, als Euch in Geduld zu fassen und nach Hause zurückzukehren, falls Ihr nicht etwa wollt, daß mein Herr, Euer Vater, den Weg in jene andere Welt wandre, denn andre Folgen kann der Gram nicht haben, den Eure Entfernung ihm verursacht hat.«

»Wie hat denn mein Vater erfahren«, sprach Don Luis, »daß ich diesen Weg eingeschlagen habe und in dieser Tracht?«

»Ein Student«, antwortete der Diener, »dem Ihr Euer Vorhaben anvertraut habt, hat es uns entdeckt, selber von Schmerz ergriffen bei dem Ausbruch des Schmerzes, der Euren Vater augenblicklich befiel, als er Euch vermißte; da schickte er vier seiner Diener aus auf die Suche nach Euch, und wir alle sind hier zu Euern Diensten, glücklicher, als sich nur erdenken läßt, ob der guten Erledigung unseres Auftrags, womit wir zurückkehren und Euch vor die Augen führen werden, die Euch so innig lieben.«

»Damit wird es gehen, wie ich will oder wie der Himmel gebeut«, entgegnete Don Luis.

»Was könnt Ihr wollen, oder was kann der Himmel anders gebieten, als daß Ihr mit Eurer Heimkehr einverstanden seid?« versetzte der Diener, »denn etwas andres ist nicht möglich.«

Dem ganzen Gespräch zwischen den beiden hörte der Maultiertreiber zu, neben welchem Don Luis sein Lager hatte; er stand auf, ging hinaus und erzählte die Vorgänge Don Fernando und Cardenio und den andern, die sich bereits angekleidet hatten. Er sagte ihnen, der fremde Mann rede diesen Jüngling mit Don an, habe lange mit ihm gesprochen und wolle ihn nach dem Hause seines Vaters zurückbringen, der junge Mann aber wolle nicht. Da sie dies hörten und zu gleicher Zeit sich erinnerten, welche schöne Stimme der Himmel ihm verliehen, wurde in ihnen allen der Wunsch rege, genauer zu erfahren, wer er sei, ja sogar ihm Beistand zu leihen, wenn man etwa mit Gewalt gegen ihn vorgehen wolle. Und so begaben sie sich alle zu der Stelle, wo sie ihn noch mit seinem Diener sprechen und streiten hörten.

Unterdessen kam Dorotea aus ihrem Gemach und hinter ihr Doña Clara in voller Bestürzung. Dorotea rief Cardenio beiseite und erzählte ihm in kurzen Worten die Geschichte des Sängers und Doña Claras; er dagegen berichtete ihr, was seitdem mit Don Luis vorgegangen, nämlich daß die Diener seines Vaters gekommen seien, ihn zu suchen. Er sprach aber nicht so leise; daß es Doña Claras Ohren entgangen wäre, und sie geriet darüber so außer sich, daß sie zu Boden gestürzt wäre, wenn Dorotea sie nicht rasch gehalten hätte. Cardenio ermahnte Dorotea, in das Gemach zurückzugehen; er würde sich bemühen, alles in Ordnung zu bringen. Sie taten also.

Schon waren die vier, welche Don Luis suchen sollten, alle zusammen in der Schenke und standen um ihn her und suchten ihn zu bereden, er möge sogleich, ohne einen Augenblick zu zögern, heimkehren und seinem Vater Trost bringen. Er antwortete, er könne dies unter keiner Bedingung tun, ehe er nicht eine Angelegenheit durchgeführt habe, bei der ihm Leben und Ehre und Seele auf dem Spiel stehe. Die Diener drangen nun stärker in ihn und versicherten ihm, sie würden auf keinen Fall ohne ihn zurückkehren, und ob er nun wolle oder nicht, sie würden ihn mitnehmen.

»Das werdet ihr nicht tun«, entgegnete Don Luis, »oder ihr müßtet mich tot fortschleppen; auf welche Weise immer ihr mich fortbringen möget, ihr werdet mich nur ohne Leben von hinnen schleppen.«

Inzwischen waren die übrigen in der Schenke Anwesenden zu dem heftigen Wortgefecht hinzugekommen, nämlich Cardenio, Don Fernando und seine Gefährten, der Oberrichter, der Pfarrer, der Barbier und Don Quijote, den es bedünkte, es sei nicht länger nötig, vor der Burg Wache zu halten. Cardenio, schon bekannt mit der Geschichte des Jünglings, fragte die Diener, was sie veranlasse, den jungen Mann gegen seinen Willen fortzuführen.

»Was uns dazu veranlaßt«, antwortete einer von den vieren, »ist, daß wir seinem Vater das Leben erhalten wollen, der durch die Flucht dieses jungen Edelmannes in die Gefahr geraten ist, es einzubüßen.«

Darauf versetzte Don Luis: »Ich sehe keinen Grund, hier über meine Angelegenheiten Auskunft zu geben. Ich bin ein freier Mann und werde zurückkehren, wann es mir behagt; und wenn nicht, so soll keiner von euch mich dazu zwingen.«

»Die Vernunft wird Euer Gnaden zwingen«, entgegnete der Diener, »und wenn sie über Euch nicht genug vermag, so wird sie über uns genug vermögen, damit wir ausführen, wozu wir gekommen und wozu wir verpflichtet sind.«

»Wir wollen doch einmal gründlich untersuchen, was dies bedeutet«, fiel hier der Oberrichter ein.

Der Diener jedoch, der ihn als Hausnachbarn erkannte, entgegnete: »Kennt Euer Gnaden, Herr Oberrichter, diesen Edelmann nicht? Es ist der Sohn Eures Nachbars und hat sich aus seines Vaters Haus in einer seinem Range so unangemessenen Tracht entfernt, wie Euer Gnaden sehen kann.«

Der Oberrichter betrachtete ihn aufmerksamer und erkannte ihn; er umarmte ihn und sprach: »Was sind das für Kindereien, Señor Don Luis? Oder welcher gewichtige Grund konnte Euch bewegen, auf solche Weise zu reisen und in solcher Tracht, die sich so wenig für Euren Stand schickt?«

Dem Jüngling traten die Tränen in die Augen, und er konnte dem Oberrichter kein Wort erwidern. Dieser sagte zu den vier Dienern, sie möchten sich beruhigen, alles werde gut gehen; und Don Luis an der Hand fassend, führte er ihn beiseite und fragte ihn, warum er hierhergekommen sei.

Während er diese Frage nebst mancher andern an ihn richtete, hörte man großes Geschrei am Tor der Schenke. Zwei Gäste, die hier übernachtet hatten und jetzt alle Welt nur mit Erkundigungen über das Vorhaben der vier Diener beschäftigt sahen, hatten nämlich den Versuch gemacht, von dannen zu gehen, ohne ihre Zeche zu bezahlen. Allein der Wirt, der auf seine eigenen Angelegenheiten besser als auf fremde achtgab, packte sie, als sie zum Tor hinauswollten, verlangte seine Zahlung und schalt sie ob ihres bösen Vorhabens mit so starken Ausdrücken, daß er sie reizte, ihm mit den Fäusten die Antwort zu geben. Und nun begannen sie ihn so mächtig zu dreschen, daß der arme Wirt mit lautem Geschrei um Hilfe rufen mußte. Die Wirtin und ihre Tochter sahen sich rings um und fanden keinen andern so unbeschäftigt wie Don Quijote, um dem Wirt beispringen zu können, und zu dem Ritter sprach die Wirtstochter: »Herr Ritter, um der Tapferkeit willen, die Gott Euch verliehen, steht meinem armen Vater bei, den zwei Bösewichter zu Brei schlagen.«

Hierauf antwortete Don Quijote ganz gelassen und in größter Gemütsruhe: »Huldseliges Fräulein, Eure Bitte kann für itzo keine Erfüllung finden, sintemal mir verwehrt ist, mich in ein anderweitig Abenteuer einzulassen, bevor ich nicht ein solches zu Ende geführt, als an welches mein Wort mich gebunden hält. Aber was ich dennoch tun kann, um Euch dienstbar zu sein, das will ich Euch sofort sagen: Eilet hin und saget Eurem Vater, er möge sich in diesem Kampfe so gut halten und so lange, wie er es vermag, und sich in keinem Falle besiegen lassen, dieweil ich mir von der Prinzessin Míkomikona die Vergünstigung erbitte, ihm in seiner Bedrängnis beistehen zu dürfen; und so sie eine solche gewährt, dann haltet es für sicher, daß ich ihn aus selbiger Not erlösen werde.«

»Gott verzeih mir meine Sünden!« rief hierauf Maritornes, die dabeistand, »bevor Euer Gnaden die Vergünstigung einholt, von der Ihr redet, wird unser Herr sich in der andern Welt befinden.«

»Gestattet immerhin, Ihr Fräulein, daß ich die besagte Vergünstigung einhole«, entgegnete Don Quijote, »und hab ich sie einmal erlangt, dann liegt wenig daran, ob er sich bereits in der andern Welt befinde; denn selbst von dort werd ich ihn zurückholen, wie sehr selbige Welt sich dawidersetzen möge, oder mindestens werde ich Euch solche Rache an denen verschaffen, die ihn ins Jenseits befördert haben, daß Euch mehr als nur mittelmäßige Genugtuung werden soll.«

Ohne ein Wort weiter zu sprechen, wandte er sich zu Dorotea, kniete vor ihr nieder und bat mit rittermäßigen und bei fahrenden Kämpen bräuchlichen Worten, Ihre Hoheit möge ihm großgünstigst die Vergünstigung gewähren, dem Burgvogt dieser Burg beizuspringen und beizustehen, welcher sich von harter Unbill bedrängt finde. Die Prinzessin gewährte sie ihm mit willigem Mute, und er schritt, seine Tartsche in den Arm nehmend und Hand an sein Schwert legend, zum Tor der Schenke hin, wo die beiden Gäste noch mit dem Wirte balgten und ihm den Balg zerklopften. Aber sobald er näher kam, hielt er jählings inne und blieb stille stehen, obwohl Maritornes und die Wirtin ihm zuriefen, weshalb er stehenbleibe, er solle ihrem Herrn und Ehemann zu Hilfe kommen!

»Ich bleibe stehen«, sprach Don Quijote, »dieweil es mir nicht ziemt, gegen schildknappliches Gesindel das Schwert zu ziehen; rufet mir aber meinen Knappen Sancho her, ihm kommt es zu und gebührt es, sotane Verteidigung und Rache auf sich zu nehmen.«

Dies trug sich am Tor der Schenke zu, und an diesem Tor gingen die Faustschläge und Backpfeifen aufs allerbeste hin und wider, und das alles auf Kosten des Wirts und zum wütenden Ärger der Maritornes, der Wirtin und ihrer Tochter, die schier in Verzweiflung gerieten, daß sie mit ansehen mußten, wie Don Quijote feige dastand und ihr Gemahl, Vater und Dienstherr so mißhandelt wurde.

Doch verlassen wir ihn – es wird ihm schon an einem Helfer nicht fehlen, oder wenn doch, so dulde und schweige, wer sich an mehr wagt, als seine Kräfte ihm verheißen – und wenden wir uns fünfzig Schritte zurück, um zu hören, was Don Luis dem Oberrichter antwortete, den wir verließen, als er den jungen Mann beiseite nahm und ihn befragte, weshalb er zu Fuße und in so unwürdiger Tracht hierhergekommen. Der Jüngling faßte des Oberrichters Hände mit aller Macht, wie um anzudeuten, daß ihm ein großer Schmerz das Herz zusammendrücke, und reichliche Tränen vergießend, sprach er: »Verehrter Herr, ich kann Euch nichts andres sagen als dies: von dem Augenblick an, wo der Himmel es fügte und unsere Nachbarschaft es vermittelte, daß ich das Fräulein Doña Clara, Eure Tochter und meine Gebieterin, erblickte, von jenem Augenblick an machte ich sie zur Herrin meines Willens; und wenn der Eure, Ihr, mein wahrer Vater und Herr, es nicht verwehrt, so soll sie noch heut am Tage meine Gattin werden. Um ihretwillen hab ich meines Vaters Haus verlassen, ihr zuliebe hab ich diese Tracht angelegt, um ihr überallhin zu folgen, wie der Pfeil sich nach dem Ziele wendet oder der Schiffer nach dem Polarstern. Sie weiß von meinen Wünschen nicht mehr, als was sie daraus erraten konnte, daß sie einigemal von weitem meine Augen Tränen vergießen sah. Ihr kennt ja, Señor, den Reichtum und Adel meiner Eltern und wißt, daß ich ihr einziger Erbe bin; falls Eurer Meinung nach diese glücklichen Umstände Euch genügende Gründe bieten, um es auf gut Glück zu wagen, mich vollkommen glücklich zu machen, so nehmt mich alsogleich zu Eurem Sohne an. Wenn aber mein Vater, von eignen Plänen andrer Art angetrieben, an dem hohen Glück, das ich selbst gefunden, keinen Gefallen hegen sollte, so hat doch die Zeit mehr Gewalt, die Dinge umzuwandeln und zu ändern, als der Wille des Menschen.«

Hierauf schwieg der verliebte Jüngling, und der Oberrichter stand verlegen da, in Ungewißheit über die eigentümliche und verständige Art, wie Don Luis ihm sein Denken und Fühlen offenbart hatte, und unschlüssig, welche Entscheidung in einem so unversehens und unerwartet eingetretenen Fall zu fassen sei. Und so gab er Don Luis nur die Antwort, er möge sich einstweilen beruhigen und seine Diener hinhalten, daß sie diesen Tag noch nicht zurückkehrten, damit man Zeit gewänne, zu überlegen, was für sie alle am ersprießlichsten sei.

Don Luis küßte ihm stürmisch die Hände, ja er badete sie in seinen Tränen, was ein steinern Herz hätte erweichen können, geschweige das des Oberrichters, der als ein verständiger Mann bereits eingesehen hatte, wie angemessen diese Ehe für seine Tochter sei; und sofern es möglich wäre, wollte er sie mit Zustimmung von Don Luis‘ Vater abschließen, von dem er wußte, daß er beabsichtigte, seinem Sohne einen kastilischen Adelstitel zu verschaffen.

In der Zwischenzeit hatten die Gäste mit dem Wirte Frieden geschlossen, denn durch Überredung und gütliches Zusprechen von Seiten Don Quijotes, mehr als infolge von dessen Drohungen, hatten sie dem Wirt seine Rechnung bezahlt.

Die Diener von Don Luis warteten auf das Ende der Unterredung mit dem Oberrichter und den Entschluß ihres Herrn. Da ließ der Teufel, der nimmer schläft, im nämlichen Augenblick jenen Barbier zur Schenke kommen, welchem Don Quijote den Helm Mambrins und Sancho Pansa das ganze Geschirr seines Esels weggenommen und mit dem des seinigen vertauscht hatte. Als besagter Barbier sein Tier in den Stall führte, erblickte er Sancho Pansa, der gerade an dem Sattel irgend etwas zurechtmachte; und als er diesen Sattel sah, erkannte er ihn gleich, ging unverweilt auf Sancho Pansa los und schrie dabei: »Aha, Herr Spitzbube, hab ich Euch hier! Her mit meiner Schüssel und meinem Sattel, mit meinem ganzen Geschirr, das Ihr mir gestohlen habt!«

Als Sancho sich so unversehens angegriffen sah und hörte, mit welchen Schimpfworten man ihn belegte, packte er mit der einen Hand den Eselssattel, und mit der andern versetzte er dem Barbier eine Maulschelle, daß ihm Lippen und Zähne in Blut schwammen. Allein der Barbier ließ darum den Sattel nicht los, vielmehr erhob er ein so mächtiges Geschrei, daß alle Leute aus der Schenke zu dem Lärm und Kampf herzuliefen. Und er rief: »Zu Hilfe im Namen des Königs und der Gerechtigkeit! Weil ich mein Eigentum wiederhaben will, da will mich dieser Dieb, dieser Straßenräuber umbringen!«

»Du lügst!« entgegnete Sancho, »ich bin kein Straßenräuber; in ehrlichem Krieg hat mein Herr Don Quijote diese Beute gewonnen.«

Bereits war Don Quijote herbeigekommen und sah mit großem Vergnügen, wie trefflich sein Schildknappe zu Schutz und Trutz zu kämpfen wußte, und von da an hielt er ihn für einen echten, rechten Mann und nahm sich in seinem Innern vor, ihn bei der ersten Gelegenheit, die sich böte, zum Ritter zu schlagen, weil es ihn bedünkte, bei Sancho würde der Orden der Ritterschaft gut angebracht sein.

Unter anderem hörte man während des Kampfes den Barbier auch sagen: »Ihr Herren, dieser Eselssattel ist so sicher mein, wie mir der Tod sicher ist, den ich Gott dem Herrn schulde. Ich kenne den Sattel so gut, als hätte ich ihn geboren, und dort steht mein Esel im Stall, der wird nicht leiden, daß ich lüge; oder leugnet mir’s einer, so probiert ihn meinem Esel an, und wenn er ihm nicht wie angegossen sitzt, so will ich zeitlebens ein Schuft sein. Ja noch mehr, am nämlichen Tag, wo man mir ihn weggenommen hat, da hat man mir auch eine messingene Barbierschüssel gestohlen, ganz neu, sie war einen Goldtaler wert.«

Hier konnte sich Don Quijote nicht enthalten, ihm Antwort zu geben. Er stellte sich zwischen die beiden, trieb sie auseinander, legte den Sattel auf den Boden nieder, damit er ihn vor Augen habe, bis die Wahrheit ans Licht gebracht werde, und sprach: »Auf daß Euer Gnaden alle klar und offenbar ersehen, in welchem Irrtum dieser wackere Knappe befangen ist: er nennt eine Schüssel, was der Helm des Mambrin ist, war und sein wird, den ich ihm im ehrlichen Krieg abgenommen und dessen Herr mit redlichem und rechtmäßigem Besitz ich geworden bin. Was den Sattel betrifft, da mische ich mich nicht hinein; ich kann darüber nichts sagen, als daß mein Schildknappe Sancho mich um die Erlaubnis gebeten hat, dem Roß dieses besiegten Feiglings Sattel und Zaumzeug abzunehmen und das seinige damit auszurüsten, und er nahm es. Daß sich das Pferdegeschirr in einen Eselssattel verwandelt hat, dafür kann ich keinen andern Grund angeben als den gewöhnlichen, daß nämlich derlei Verwandlungen bei den Begebnissen im Rittertume des öftern vorkommen. Um nun das, was ich vorher gesprochen, zu bekräftigen, lauf, Sancho, mein Sohn, und hole den Helm her, welchen dieser gute Mensch für eine Bartschüssel erklärt.«

»Meiner Six, Señor«, sprach Sancho, »wenn wir für unsre Behauptung keinen andern Beweis haben, als den Euer Gnaden vorbringt, dann ist der Helm des Mambrin ebensogut eine Barbierschüssel wie das Pferdegeschirr dieses guten Kerls ein Eselssattel.«

»Tu, was ich dir gebiete«, entgegnete Don Quijote, »es wird in dieser Burg doch nicht alles mit Zauberei zugehen.«

Sancho ging nach der Schüssel und holte sie herbei, und sobald Don Quijote sie erblickte, nahm er sie in die Hand und sprach: »Möge doch Euer Gnaden zusehen, mit welcher Stirn dieser Knappe sagen kann, es sei dies eine Bartschüssel und nicht der Helm, von dem ich gesprochen habe! Und ich schwöre bei dem Ritterorden, der mein erkorener Beruf ist, dieser Helm ist derselbe, den ich ihm abgenommen, ohne daß am selbigen das geringste hinzu- oder hinweggetan worden.«

»Das unterliegt keinem Zweifel«, sprach hier Sancho, »denn seit dem Tage, wo mein Herr ihn erobert hat, bis zum heutigen Tage hat er mit selbigem nicht mehr als einen einzigen Kampf bestanden, als er jene Unglücklichen aus ihren Ketten befreite, und hätte ihm dieser Schüsselhelm nicht geholfen, so wäre es ihm damals nicht sehr gut ergangen, denn es gab genugsam Steinwürfe bei jenem argen Strauß.«

45. Kapitel

Worin der Zweifel über Mambrins Helm und den Eselssattel gründlich und in voller Wahrheit aufgehellt wird, nebst andern Abenteuern, so sich zugetragen

»Was halten Euer Gnaden, meine Herren«, sagte der Barbier, »von den Behauptungen dieser edlen Herren, da sie beharrlich dabei bleiben, es sei dies keine Bartschüssel, sondern ein Helm?«

»Und wer das Gegenteil sagt«, sprach Don Quijote, »dem werde ich zu Gemüte führen, daß er lügt, falls es ein Ritter ist; und wenn ein Knappe, daß er nochmals lügt und tausendmal lügt.«

Unser Barbier Nikolas, der bei allem zugegen war, wollte, da er Don Quijotes Sparren so gut kannte, noch Öl ins Feuer gießen und den Spaß weitertreiben, damit sie alle was zu lachen hätten, und so sagte er zu dem andern Barbier: »Herr Barbier, oder was Ihr sonst seid, wißt, daß auch ich von Eurem Handwerk bin und seit länger als zwanzig Jahren mein Meisterzeugnis habe und mich auf alle Werkzeuge des Bartscherertums, nicht eines ausgenommen, sehr wohl verstehe. Ebenso war ich in meiner Jugend eine Zeitlang Soldat: und weiß auch, was ein Helm ist und was eine Eisenhaube und was ein Helm mit Visier, und weiß noch anderes in betreff des Kriegswesens, ich meine der verschiedenen Waffen. Und ich sage mit aller schuldigen Achtung vor besserem Ermessen und vorbehaltlich besserer Einsicht: dies Ding, das sich hier vor unseren Augen befindet und das dieser wackere Herr in Händen hält, ist nicht nur nicht eine Barbierschüssel, sondern ist so fern davon, eine solche Schüssel zu sein, wie das Weiße fern ist vom Schwarzen und die Wahrheit von der Lüge. Sodann sage ich, daß es zwar ein Helm ist, aber kein vollständiger Helm.«

»Gewiß nicht«, sprach Don Quijote hierauf, »denn es fehlt ihm die Hälfte, nämlich die Halsberge.«

»So ist es«, fiel der Pfarrer ein, der die Absicht seines Freundes, des Barbiers, bereits wohl verstanden hatte, und das nämliche bestätigten Cardenio sowie Don Fernando und seine Gefährten. Selbst der Oberrichter würde seinen Teil zu dem Spaß beigetragen haben, wenn nicht die Angelegenheit mit Don Luis seine Gedanken in Anspruch genommen hätte; aber der Ernst der Gegenstände, die er zu bedenken hatte, hielt ihn in so beständiger Spannung, daß er wenig oder gar nicht auf diese Possen achten konnte.

»Gott steh mir bei!« sagte jetzt der gefoppte Bartscherer, »ist es möglich, daß so viel vornehme Herren behaupten, dies sei nicht eine Bartschüssel, sondern ein Helm! Das ist offenbar eine Geschichte, die eine ganze Universität mit ihrer Weisheit in Verwunderung setzen könnte. Gut denn; wenn diese Schüssel also tatsächlich ein Helm ist, muß dieser Eselssattel wohl auch ein Pferdegeschirr sein, wie dieser Herr gesagt hat.«

»Mir allerdings scheint es ein Eselssattel«, sprach Don Quijote, »aber ich habe bereits gesagt, daß ich mich hierein nicht mische.«

»Ob es ein Eselssattel oder Pferdezeug ist«, sagte der Pfarrer, »das hängt ganz von der Entscheidung des Herrn Don Quijote ab, denn in Dingen des Rittertums ordnen wir uns ihm ganz unter.«

»Bei Gott, meine Herren«, entgegnete Don Quijote, »so vieles und so Seltsames ist mir in dieser Burg die beiden Male begegnet, die ich darin geherbergt, daß ich nicht wagen kann, irgend etwas mit Bestimmtheit über die Dinge zu sagen, die in selbiger geschehen; denn ich meine, alles, was hier vorgeht, geschieht mittels Zauberkunst. Das erstemal quälte mich gewaltig ein verzauberter Mohr, der in der Burg weilt, und auch Sancho ging es mit dessen Helfershelfern gar nicht gut; und heute nacht habe ich schier zwei Stunden an diesem meinem Arm schwebend gehangen, ohne zu wissen, wie oder warum ich in dieses Mißgeschick geraten bin. Wenn ich daher in einer Sache von solcher Unklarheit meine Meinung ausspräche, das hieße, in eine dreiste Übereilung beim Urteilen verfallen. Was die Behauptung betrifft, dieses sei eine Barbierschüssel und kein Helm, darauf habe ich schon geantwortet; aber bezüglich der Entscheidung, ob dieses ein Esels- oder ein Pferdesattel ist, da erkühne ich mich nicht, einen endgültigen Spruch zu fällen, das überlasse ich ausschließlich dem besseren Ermessen Euer Gnaden. Vielleicht weil ihr nicht zu Rittern geschlagen seid, wie ich es bin, berühren euch die Verzauberungen dieses Ortes nicht und ist euere Urteilskraft frei und könnt ihr von den Dingen in dieser Burg so urteilen, wie sie wahr und wirklich sind, und nicht, wie sie mir erscheinen.«-

»Es ist kein Zweifel daran«, entgegnete Don Fernando hierauf, »daß der Herr Don Quijote diesmal sehr richtig gesagt hat, nur uns komme die Entscheidung dieses Falles zu; und damit alles ordentlich zugeht, will ich die Stimmen dieser Herren im geheimen sammeln und von dem Ergebnis vollständige und deutliche Kunde geben.«

Für diejenigen, die über Don Quijotes Sparren schon Bescheid wußten, war das alles ein Stoff zu unendlichem Lachen; aber denen, die nichts davon wußten, schien es der größte Unsinn der Welt, besonders den vier Dienern des Don Luis, und ebenso dem letzteren und so auch drei andern Reisenden, die soeben zufällig in die Schenke gekommen waren und wie Landreiter aussahen, was sie auch wirklich waren. Wer aber am meisten außer sich geriet, das war der Barbier, dessen Bartschüssel sich ihm vor seinen Augen in den Helm Mambrins verwandelt hatte und der gar nicht daran zweifelte, daß auch sein Eselssattel sich ihm in ein reiches Pferdegeschirr verwandeln würde. Alle aber, die einen wie die andern, brachen in Gelächter aus, als sie sahen, wie Don Fernando die Stimmen sammelte und sich um der geheimen Abstimmung willen ins Ohr flüstern ließ, ob dies Kleinod, über das soviel gekämpft worden, ein Eselssattel oder ein Pferdezeug sei. Und nachdem er die Stimmen derer, die Don Quijote kannten, gesammelt hatte, sprach er laut zu dem Barbier:

»Der Kasus ist, guter Freund, daß ich bereits müde bin, so viele Stimmen zu sammeln; denn ich sehe, daß keiner, den ich nach dem Verlangten frage, mir nicht antwortet, es sei ein Unsinn, dies für einen Eselssattel auszugeben, sondern es sei das Sattelzeug eines Pferdes, und obendrein eines Pferdes von reiner Rasse. So müßt Ihr Euch denn in Geduld fassen, denn zu Eurem und Eures Esels Leidwesen ist dies ein Pferdegeschirr und nicht ein Eselssattel; Ihr habt Euernteils falsch geklagt und nichts bewiesen und habt verloren.«

»So will ich im Jenseits verloren sein«, versetzte der arme Barbier, »wenn Ihr, gnädige Herren, Euch nicht alle täuscht, und möge meine Seele so sicher vor Gott erscheinen, wie dies mir ein Eselssattel scheint und nicht ein Pferdezeug. Allein, Gewalt geht vor … mehr will ich nicht sagen. Und wahrlich, ich bin nicht betrunken, ich habe mir heute noch nichts vergönnt, ausgenommen etwa, Sünden zu begehen.«

Nicht weniger Lachen erregten die albernen Reden des Barbiers als die verrückten Don Quijotes, der jetzt sprach: »Hier ist nichts weiter zu tun, als daß jeder nehme, was ihm gehört, und wem es Gott gegeben hat, dem mag Sankt Petrus es gesegnen.«

Einer aber von den vier Dienern des Don Luis sagte: »Wenn dies nicht etwa eine verabredete Fopperei ist, kann ich unmöglich verstehen, daß Leute von gesundem Verstand, wie alle hier Anwesenden sind oder scheinen, sich erlauben können zu sagen, dies sei keine Bartschüssel und jenes kein Eselssattel; aber da sie es sagen und behaupten, so muß ich annehmen, es steckt ein absonderlich Geheimnis dahinter, so hartnäckig bei einer Behauptung zu bleiben, wovon uns das Gegenteil durch die Wirklichkeit und durch die Erfahrung selbst dargetan wird. Denn ich schwör’s bei dem und jenem« – und er stieß den Schwur rundheraus –, »mich soll nichts auf der Welt überreden, daß dies sich umgekehrt verhalte und daß dies nicht eine Barbierschüssel und jenes nicht der Sattel eines Esels sei.«

»Es könnte der Sattel einer Eselin sein«, sagte der Pfarrer.

»Das ist ganz einerlei«, entgegnete der Diener, »denn es handelt sich nicht hierum, sondern darum, ob es ein Eselssattel ist oder nicht, wie die gnädigen Herren sagen.«

Dies vernahm einer der eben angekommenen Landreiter, der dem Streit und der ganzen Verhandlung zugehört hatte, und sprach voller Zorn und Ärger: »Das ist ebenso sicher ein Eselssattel, wie mein Vater einer ist, und wer was anderes gesagt hat oder sagt, muß toll und voll sein!«

»Ihr lüget als ein niederträchtiger Schelm!« rief Don Quijote, erhob seinen Spieß, den er nie aus den Händen ließ, und holte zu einem so gewaltigen Schlag auf den Kopf des Landreiters aus, daß er ihn, wenn er nicht ausgewichen wäre, ohne weiteres niedergestreckt hätte. Der Spieß zersprang auf dem Boden in Stücke, und als die anderen Landreiter ihren Kameraden mißhandelt sahen, erhoben sie die Stimme und riefen nach Beistand für die Heilige Brüderschaft. Der Wirt, welcher auch zur Genossenschaft der Landreiter gehörte, lief eilig hinein nach seinem Amtsstab und seinem Schwert und stellte sich dann seinen Kameraden zur Seite. Die Diener des Don Luis umringten diesen, damit er ihnen in dem Getümmel nicht entkomme. Als der Barbier das ganze Haus in Aufruhr sah, griff er wieder nach seinem Sattel, und das nämliche tat Sancho. Don Quijote zog sein Schwert und griff die Landreiter an. Don Luis schrie seinen Dienern zu, sie sollten ihn lassen und Don Quijote zu Hilfe eilen, ebenso dem Cardenio und Don Fernando, die beide sich Don Quijotes annahmen. Der Pfarrer schrie laut auf; die Wirtin kreischte, ihre Tochter jammerte, Maritornes weinte; Dorotea stand in Bestürzung, Luscinda war erschrocken, Doña Clara ohnmächtig. Der Barbier prügelte Sancho, Sancho zerdrosch den Barbier; Don Luis, den einer seiner Diener am Arm zu fassen gewagt, damit er nicht entfliehe, gab ihm einen Faustschlag, daß ihm Mund und Zähne in Blut schwammen; der Oberrichter nahm sich des Jünglings an; Don Fernando hatte einen Landreiter unter sich gebracht und nahm ihm mit den Füßen das Maß seines ganzen Körpers nach Herzenslust; der Wirt schrie wiederum und mit stärkerer Stimme als zuvor: »Zu Hilfe der Heiligen Brüderschaft!« So war die ganze Schenke voll Klagen und Schreien und Kreischen, Wirrsal, Ängsten, Schrecken, Unheil, Schwerthieben, Maulschellen, Prügel, Fußtritten und Blutvergießen.

Und in diesem Chaos, in diesem ganzen Gewirre und Labyrinth der verschiedensten Dinge tauchte plötzlich in Don Quijotes Geiste die Vorstellung auf, er habe sich gewaltsam mitten in die Zwietracht von Agramants Lager eingedrängt, und so rief er mit einer Stimme, welche die ganze Schenke durchdröhnte: »Haltet alle ein, steckt alle die Schwerter ein, kommt alle zur Ruh, hört mich alle an, wenn ihr am Leben bleiben wollt!«

Beim Ton dieser mächtigen Stimme hielten alle inne, und er fuhr fort: »Habe ich euch nicht gesagt, ihr Herren, daß diese Burg verzaubert ist und daß eine Landsmannschaft von Teufeln in ihr hausen muß? Zu dessen Bewahrheitung sollt ihr nun mit euren eigenen Augen sehen, wie die Zwietracht in Agramants Lager jetzt hierher übergegangen und mitten unter uns hereingetragen ist. Schauet, wie dort gekämpft wird um das Schwert, hier um das Roß, an jener Stelle um den Adler, dort um den Helm, und wir alle kämpfen, wir alle verstehen uns nicht. So komme denn Euer Gnaden, Herr Oberrichter, und Euer Gnaden, Herr Pfarrer, und der eine trete auf als König Agramant, der andere als König Sobrino, und stiftet Frieden unter uns; denn bei dem allmächtigen Gott, es ist eine Schande, daß soviel hochgestellte Leute, wie wir hier sind, einander aus so leichtfertigen Ursachen totschlagen!«

Don Quijote

Die Landreiter, die Don Quijotes Redensarten nicht verstanden und sich von Don Fernando, Cardenio und deren Gefährten übel zugerichtet sahen, wollten sich nicht zur Ruhe fügen. Der Barbier dagegen wollte es gern, weil ihm bei dem Kampfe der Bart und der Sattel arg mitgenommen worden waren. Sancho gehorchte bei der leisesten Mahnung seines Herrn als ein pflichtgetreuer Diener; auch die vier Diener des Don Luis gaben sich zum Frieden, da sie sahen, wie wenig sie vom Gegenteil gehabt hätten. Nur der Wirt blieb hartnäckig dabei, man müsse die Unverschämtheiten dieses Narren züchtigen, der ihm bei jedem Anlaß die Schenke in Aufruhr bringe. Zuletzt wurde der Lärm, wenigstens für den Augenblick, gestillt, und in Don Quijotes Einbildung blieb der Eselssattel ein Pferdegeschirr bis zum Tag des Jüngsten Gerichts, die Barbierschüssel ein Helm und die Schenke eine Burg.

Als nun auf Zureden des Oberrichters und des Pfarrers alle sich beruhigt und miteinander Frieden geschlossen hatten, drangen die Diener des Don Luis aufs neue in ihn, augenblicks mit ihnen heimzukehren; und während er sich mit ihnen auseinandersetzte, besprach sich der Oberrichter mit Don Fernando, Cardenio und dem Pfarrer, was er tun solle unter diesen Umständen, die er ihnen darlegte, und teilte ihnen auch alles mit, was Don Luis ihm gesagt hatte. Endlich kamen sie überein, Don Fernando solle den Dienern eröffnen, wer er sei und wie er den Wunsch hege, daß Don Luis ihn nach Andalusien begleite, wo er bei seinem Bruder, dem Marquis, eine ehrenvolle Aufnahme finden werde, wie sie seine Persönlichkeit verdiene; denn man kenne Don Luis‘ Vorsatz, auf solche Weise nicht zu seinem Vater für diesmal zurückzukehren, und wenn man ihn in Stücke risse. Als nun die vier den Stand Don Fernandos und den bestimmten Vorsatz ihres jungen Herrn erfuhren, faßten sie unter sich den Beschluß, drei von ihnen sollten heimkehren, um dessen Vater Bericht zu erstatten, der vierte aber sollte bei Don Luis zurückbleiben, um ihn zu bedienen, und nicht von ihm weichen, bis sie wiederkommen würden, ihn zu holen, oder bis er vernähme, was sein Vater ihnen befehle.

So wurde durch das hohe Ansehen Agramants und die Klugheit des Königs Sobrino diese ganze Maschinerie des Haders in den Stand der Ruhe gebracht.

Als aber der Feind der Eintracht und Widersacher des Friedens sich verhöhnt und seinen Zweck vereitelt sah und inneward, wie wenig Nutzen er daraus gezogen, daß er sie alle in einen solchen Irrgarten geführt hatte, da gedachte er, nochmals einen Versuch zu machen und neuen Streit und Unfrieden zu stiften.

Es war nämlich allerdings so, daß die Landreiter sich beruhigt hatten, weil sie etwas vom Stande der Herren erhorcht, mit denen sie im Kampf gewesen; sie hatten sich aus dem Streite zurückgezogen, weil es sie bedünkte, auf welche Weise auch die Sache ausginge, sie würden in diesem Kampfe jedenfalls den kürzeren ziehen. Allein, einer von ihnen, und zwar gerade der, welchen Don Fernando durchgewalkt und mit Fußtritten bearbeitet hatte, erinnerte sich jetzt, daß er unter verschiedenen Haftbefehlen gegen etliche Verbrecher auch einen gegen Don Quijote bei sich trug, den die Heilige Brüderschaft festzunehmen befohlen hatte, weil er die Galeerensklaven in Freiheit gesetzt, wie dies Sancho mit gutem Grund befürchtet hatte. Da ihm dieses gerade wieder einfiel, wollte er sich vergewissern, ob die Kennzeichen zuträfen, die man ihm von Don Quijote angegeben; er holte etliche Pergamente aus dem Busen und fand das gesuchte. Er begann nun langsam zu lesen, denn er war kein großer Leser, und bei jedem Worte heftete er die Augen auf Don Quijote, verglich die Kennzeichen im Haftbefehl mit den Gesichtszügen des Ritters und fand, daß ohne allen Zweifel er der Mann sei, auf den sich der Steckbrief beziehe. Und kaum hatte er sich dessen versichert, als er seine Pergamente wieder einsteckte, mit der Linken den Haftbefehl vorzeigte, mit der Rechten Don Quijote so fest am Hals packte, daß diesem der Atem ausging, und mächtig schrie: »Zu Hilfe der Heiligen Brüderschaft! Und damit alle ersehen, daß ich dies mit Recht verlange, so lese man diesen Befehl, wo es geschrieben steht, daß dieser Straßenräuber festzunehmen ist!«

Der Pfarrer nahm den Haftbefehl und sah, daß alles sich in Wahrheit so verhalte, wie der Landreiter gesagt, und daß die Kennzeichen stimmten. Bei Don Quijote aber stieg, als er sah, wie übel ihm von einem schurkischen Bauernlümmel mitgespielt wurde, die Wut auf den höchsten Gipfel. Es knirschten ihm die Knochen im Leibe, er packte mit aller Gewalt den Landreiter an der Kehle, und wären diesem nicht seine Kameraden zu Hilfe gekommen, so hätte er eher das Leben als Don Quijote seine Beute gelassen.

Der Wirt, der seinen Amtsgenossen zu Hilfe kommen mußte, eilte sogleich herzu, ihnen Beistand zu leisten. Die Wirtin, die ihren Mann aufs neue in Streit befangen sah, erhob aufs neue ihre Stimme, in deren Ton sogleich ihre Tochter und Maritornes zur Begleitung einfielen, indem sie den Himmel und alle Anwesenden um Beistand anriefen. Als Sancho aber die Vorgänge sah, sprach er: »So wahr Gott lebt, was mein Herr über die Verzauberungen in dieser Burg gesagt hat, ist alles wahr, denn in ihr kann man auch nicht eine Stunde ruhig leben.«

Don Fernando trennte den Landreiter und Don Quijote, und beide waren froh, als er ihnen die Hände auseinanderriß, mit denen sie sich fest gepackt hatten, der eine den andern am Rockkragen, der andere den einen an der Kehle. Aber die Landreiter ließen darum nicht ab, ihren Gefangenen zu fordern; sie verlangten, man solle ihnen beistehen und den Ritter gebunden ausliefern und ihn in ihre Gewalt geben, denn solches sei man dem Dienste des Königs und der Heiligen Brüderschaft schuldig, in deren Namen sie nochmals Hilfe und Beistand verlangten, um die Verhaftung dieses Räubers, dieses Strauchdiebs und Wegelagerers zustande zu bringen.

Don Quijote lachte laut auf, als er diese Äußerungen hörte, und sprach mit vollster Gelassenheit: »Kommt mal her, schmutziges, gemeines Volk; also den Gefesselten die Freiheit wiedergeben, die Gefangenen von den Banden lösen, den Bedrängten Beistand leisten, die Gefallenen aufrichten, die Hilfeflehenden aus der Not erretten, das heißt ihr Straßenraub? Ha, nichtswürdiges Gesindel! Um eures niedrigen, pöbelhaften Sinnes willen verdient ihr, daß der Himmel euch niemals offenbare, welch hohe Bedeutung die fahrende Ritterschaft in sich trägt, und euch niemals erkennen lasse, in welcher Sündhaftigkeit und Verstocktheit ihr wandelt, wenn ihr nicht den bloßen Schatten, geschweige denn die wirkliche Anwesenheit eines jeglichen fahrenden Ritters in hohen Ehren haltet. Kommt mal her, ihr Landräuber und nicht Landreiter, ihr Wegelagerer unter dem Freibrief der Heiligen Brüderschaft, sagt mir: Wer war der Verblendete, der einen Haftbefehl gegen einen Ritter wie mich unterzeichnet hat? Wer war’s, der nicht wußte, daß die fahrenden Ritter von aller gerichtlichen Obergewalt befreit und ausgenommen sind, daß ihr Schwert ihr Recht, ihr Mut ihre Regel, ihr Wille ihr Gesetz ist? Wer war der Tollhäusler, sag ich wieder und wieder, der nicht weiß, daß es keinen Adelsbrief mit soviel Vorrechten und soviel Ausnahmevergünstigungen gibt, als wie ihn ein fahrender Ritter an dem Tage erwirbt, wo er den Ritterschlag empfängt und sich dem harten Beruf des Rittertums hingibt? Welcher fahrende Ritter hat jemals Kopfsteuer bezahlt oder den Kauf- und Tauschpfennig, der Königin Nadelgeld, die siebenjährige Königssteuer, Wegezoll oder Fährgeld? Welcher Schneider bekam je von ihm Macherlohn für Kleider? Welcher Burgvogt nahm ihn in seine Burg auf, daß er ihm die Zeche abgefordert hätte? Welcher König zog ihn nicht an seine Tafel? Welches Fräulein neigte sich ihm nicht zu und ergab sich ihm nicht in Unterwürfigkeit nach all seinem Begehr und Belieben? Und endlich, welchen fahrenden Ritter auf Erden gibt es, hat es gegeben, wird es geben, der nicht Mut und Kraft besäße, um für sich ganz allein vierhundert Landreitern, die ihm vor die Augen treten, vierhundert Stockprügel aufzuzählen?«

41. Kapitel

Worin der Sklave seine Geschichte fortsetzt

Keine vierzehn Tage waren vorübergegangen, als bereits unser Renegat eine recht gute Barke gekauft hatte, die mehr als dreißig Personen fassen konnte. Und um die Ausführung seines Unternehmens zu sichern und es zu tarnen, beschloß er eine Fahrt und führte sie auch aus, indem er nach einem Orte namens Sargel segelte, der dreißig Stunden von Algier in der Richtung gegen Orán liegt, wo viel Handel mit trockenen Feigen betrieben wird. Zwei- oder dreimal machte er diese Fahrt in Gesellschaft mit dem erwähnten Tagarinen. Tagarinos nennt man in der Berberei die Mauren aus Aragon, die aus Granada nennt man Mudéjares, und im Königreich Fez tragen die Mudéjares den Namen Elches; sie sind die Leute, deren sich vorzugsweise der König jenes Landes im Kriege bedient.

Jedesmal, wenn nun der Renegat mit seiner Barke eine Fahrt machte, warf er den Anker in einer kleinen Bucht aus, die nicht zwei Bogenschuß weit von dem Garten war, wo Zoraida meiner wartete; und dort pflegte er absichtlich mit den maurischen Burschen, die am Ruder saßen, entweder das Salá, das Gebet nach muselmännischem Brauch, zu verrichten oder auch sich wie zum Scherze in dem zu versuchen, was er bald im Ernste tun wollte. Deshalb ging er öfters nach dem Garten Zoraidas, um Obst von ihr zu erbitten, und ihr Vater gab es ihm, ohne ihn zu kennen. Dabei hatte er die Absicht, Zoraida zu sprechen, wie er mir nachher erzählte, und ihr zu sagen, er sei es, der sie auf mein Geheiß in Christenlande führen solle, so daß sie vergnügt und sicher sein könne; allein es war ihm niemals möglich, weil die Maurinnen sich vor keinem Mauren oder Türken sehen lassen, wenn nicht ihr Gemahl oder ihr Vater es ihnen ausdrücklich befiehlt. Von Christensklaven lassen sie sich Verkehr und Umgang gefallen, manchmal sogar mehr, als sich geziemt. Mir wäre es leid gewesen, wenn er mit ihr gesprochen hätte; denn vielleicht hätte es sie aufgeregt und beunruhigt, wenn sie gesehen hätte, daß ihre Angelegenheit im Munde von Renegaten umging. Allein Gott, der es anders fügte, gewährte der guten Absicht unsres Renegaten keine Erfüllung.

Als dieser nun sah, wie sicher er von und nach Sargel fuhr, und daß er, wann und wie und wo er wollte, die Anker auswarf und daß sein Genöose, der Tagarine, keinen andern Willen hatte als den seinen und ich bereits losgekauft war und nichts weiter mehr zu tun blieb, als etliche Christen zu finden, die das Ruder führten, sagte er mir, ich möchte mir überlegen, welche Leute ich außer den losgekauften noch mitnehmen wollte. Ich solle mich mit ihnen auf den nächsten Freitag verabreden, auf welchen Tag er unsre Abfahrt bestimmt habe. Daraufhin besprach ich mich mit zwölf Spaniern, alles tüchtige Ruderer, und zwar solchen, denen es am leichtesten fiel, unbemerkt aus der Stadt zu kommen. Es war nicht einfach, unter den obwaltenden Verhältnissen so viele zu finden; denn es waren zwanzig Schiffe zum Kreuzen ausgelaufen und hatten alle Ruderknechte mit fortgenommen; und auch diese zwölf hätten sich nicht gefunden, wenn nicht zufällig ihr Herr diesen Sommer zu Hause geblieben wäre, ohne eine Raubfahrt zu unternehmen, weil er einen Zweimaster, den er auf der Werft hatte, erst ausbauen wollte. Diesen Leuten sagte ich nichts weiter, als daß sie nächsten Freitag nachmittags einer nach dem andern sich im stillen aus der Stadt schleichen, die Richtung nach Hadschí Murads Garten einschlagen und dort warten sollten, bis ich käme. Diesen Auftrag erteilte ich jedem für sich allein mit dem Befehle, falls sie etwa noch andre Christen dort sähen, ihnen nichts weiter zu sagen, als daß ich sie dort hinbestellt habe.

Nachdem ich diese Vorkehrung getroffen, blieb mir noch eine andre übrig, und zwar die wichtigste, nämlich Zoraida zu benachrichtigen, auf welchem Punkte die Angelegenheiten stünden, damit sie vorbereitet und auf der Hut sei, um nicht zu erschrecken, wenn wir sie vor der Zeit, wo sie die Rückkehr des Christenschiffes erwarten konnte, unversehens überfielen. Daher beschloß ich, nach dem Garten zu gehen und zu versuchen, ob ich sie sprechen könnte. Unter dem Vorwand, verschiedene Kräuter zu pflücken, ging ich einen Tag vor meiner Abreise hin, und die erste Person, die mir begegnete, war ihr Vater, der mich in der Sprache fragte, die in der ganzen Berberei, ja bis nach Konstantinopel zwischen Sklaven und Mauren gesprochen wird und die weder Maurisch noch Kastilianisch noch sonst eine Nationalsprache ist, sondern eine Mischung aus allen Sprachen, in der wir uns alle verständigen; ich sage also, in dieser Art von Sprache fragte er mich, was ich in diesem seinem Garten suche und wessen Sklave ich sei. Ich antwortete ihm, ich gehörte dem Arnauten Mamí, und zwar sagte ich das deshalb, weil ich bestimmt wußte, daß dieser ein vertrauter Freund von ihm war; ich fügte bei, ich suchte überall nach allerhand Kräutern für Salat. Er fragte mich, ob ich den Loskauf erwartete und wieviel mein Herr für mich verlange. Mitten in all diesen Fragen und Antworten trat die schöne Zoraida, die mich schon längst bemerkt hatte, aus dem Gartenhause, und da die Maurinnen durchaus nicht spröde sind, sich vor Christen sehen zu lassen, und, wie ich schon gesagt, keineswegs vor ihnen Scheu haben, so trug sie kein Bedenken, sich ihrem Vater und mir zu nähern. Ja, als ihr Vater sah, daß sie mit langsamen Schritten herbeikam, rief er ihr zu und gebot ihr näher zu treten.

Es würde mich zu weit führen, wollte ich hier die große Schönheit, die Anmut, den herrlichen und reichen Schmuck schildern, womit meine geliebte Zoraida vor meinen Augen erschien; ich kann nur sagen, daß an ihrem wunderschönen Hals, ihren Ohren und Haaren mehr Perlen hingen, als sie Haare auf dem Haupte hatte. An ihren Fußknöcheln, die sie nach dortigem Brauch unverhüllt zeigte, trug sie Carcaches – so nennt man auf maurisch die Spangen oder Ringe an den Füßen – von feinstem Gold mit so viel eingelegten Diamanten, daß ihr Vater, wie sie mir später sagte, sie auf zehntausend Dublonen schätzte, und die Armbänder, die sie am Handgelenk trug, waren ebensoviel wert. Die Perlen waren sehr zahlreich und äußerst kostbar, denn bei den Maurinnen ist der größte Prunk und Stolz, sich mit reichen Perlen und Perlsamen zu schmücken, und daher gibt es mehr Perlen und Perlsamen bei den Mauren als bei allen übrigen Völkern. Und Zoraidas Vater stand im Rufe, deren sehr viele zu besitzen, und zwar die teuersten, die es in Algier gab, und außerdem noch mehr als zweimalhunderttausend spanische Taler; und von alledem war sie die Herrin, die jetzt meine Herrin ist. Ob sie mit all diesem Schmucke damals reizend erschien oder ob nicht – aus den Resten, die ihr unter so vieler Mühsal geblieben sind, läßt es sich abnehmen. Wie mußte erst in glücklicheren Verhältnissen ihre Erscheinung sein! Denn man weiß ja, daß bei manchen Frauen die Schönheit ihre Tage und Zeiten hat und daß es äußerer Umstände bedarf, um sie zu mindern oder zu mehren, und es ist natürlich, daß Gemütsbewegungen sie erhöhen oder herabdrücken, ja sie sogar in den meisten Fällen ganz zerstören. Doch kurz gesagt, damals trat sie herzu, über alle Maßen geschmückt, schön über alle Maßen, oder mindestens schien sie mir die Reichstgeschmückte und Schönste, die ich bis dahin gesehen; und da ich dazu noch empfand, wie innig sie mich ihr verpflichtet hatte, so meinte ich eine Gottheit vom Himmel vor mir zu sehen, die zur Erde herabgestiegen zu meiner Wonne und zu meiner Rettung.

Als sie näher kam, sagte ihr Vater zu ihr in der Landessprache, ich sei ein Sklave seines Freundes, des Arnauten Mamí, und komme hierher, um Salat zu holen. Sie nahm nun zuerst das Wort und fragte mich in jenem Sprachengemisch, das ich erwähnt habe, ob ich ein Edelmann sei und aus welchem Grunde ich mich nicht loskaufte. Ich antwortete ihr, ich sei schon losgekauft, und am Kaufpreis könne sie sehen, wie hoch mein Herr mich schätze, da man für mich fünfzehnhundert Soltanís gegeben habe. Sie entgegnete darauf: »In Wahrheit, wenn du meinem Vater gehörtest, ich hätte ihn veranlaßt, dich nicht für zweimal soviel Soltanís herzugeben; denn ihr Christen lügt immer in allen euren Angaben und stellt euch arm, um die Mauren zu hintergehen.«

»Das könnte wohl sein, Fräulein«, antwortete ich ihr, »aber in Wahrheit, meinem Herrn gegenüber bin ich bei der Wahrheit geblieben und bleibe stets bei ihr und werde bei ihr bleiben gegenüber jedermann auf Erden.«

»Und wann gehst du?« fragte Zoraida.

»Morgen, glaube ich«, erwiderte ich, »denn es liegt hier ein Schiff aus Frankreich, das morgen unter Segel geht, und ich denke mit diesem zu reisen.«

»Ist es nicht besser«, erwiderte Zoraida., »zu warten, bis Schiffe aus Spanien kommen, und lieber mit diesen zu fahren als mit den Franzosen, die nicht eure Freunde sind?«

»Nein«, antwortete ich, »wiewohl ich, wenn man Nachricht hätte, daß ein spanisches Schiff in Bälde kommt, es abwarten würde. Indessen ist es sichrer, morgen abzureisen; denn meine Sehnsucht nach der Heimat und nach den Personen, die mir teuer sind, ist so heftig, daß sie mir nicht gestattet, eine andre, spätere Gelegenheit abzuwarten, wenn sie auch viel bequemer wäre.«

»Du bist gewiß in deiner Heimat verheiratet«, sagte Zoraida, »und sehnst dich daher nach deinem Weibe zurück.«

»Ich bin nicht verheiratet«, entgegnete ich, »aber ich habe mein Wort gegeben, mich zu verheiraten, sobald ich hinkomme.«

»Und ist die Dame schön, der du dein Wort gegeben?« fragte Zoraida.

»So schön ist sie«, antwortete ich, »daß sie, wenn ich sie nach Gebühr preisen und dir die Wahrheit sagen soll, dir sehr ähnlich sieht.«

Darüber lachte ihr Vater herzlich und sprach: »Bei Allah, Christ, da muß sie sehr schön sein, wenn sie meiner Tochter ähnlich sieht; denn diese ist die Schönste in diesem ganzen Lande. Meinst du nicht, so sieh sie dir genau an, und du wirst finden, daß ich dir die Wahrheit sage.«

Bei dem größten Teil dieser Unterredung diente uns Zoraidas Vater als Dolmetsch, da er in Sprachen erfahrener war; denn obwohl sie die Mischsprache redete, die, wie gesagt, dort üblich ist, so machte sie sich doch mehr durch Zeichen als durch Worte verständlich.

Während wir nun bei diesen und sonst allerhand Gesprächen waren, kam ein Maure in vollem Lauf herbei und schrie laut, es seien über die Ummaurung oder Mauer des Gartens vier Türken herübergestiegen und pflückten das Obst ab, obschon es noch nicht reif sei. Der Alte erschrak heftig und ebenso Zoraida; denn die Furcht der Mauren vor den Türken ist allgemein und beinahe angeboren, besonders vor den Soldaten, die so unverschämt sind und über die Mauren, die ihnen Untertan sind, so große Gewalt haben, daß sie sie schlechter behandeln, als wenn es ihre Sklaven wären.

Sogleich sprach nun Zoraidas Vater zu ihr: »Tochter, ziehe dich ins Haus zurück und schließe dich ein, während ich hingehe, mit diesen Hunden zu reden; und du, Christ, suche deine Kräuter und geh in Frieden, und Allah bringe dich glücklich zu deinem Lande heim.«

Ich verneigte mich, und er ging hin, die Türken zu verjagen, und ließ mich mit Zoraida allein, welche zuerst tat, als wollte sie ins Haus, wie ihr Vater befohlen hatte; allein kaum war er hinter den Bäumen des Gartens verschwunden, als sie sich zu mir wendete und mit tränenvollen Augen zu mir sagte: »Tamechí, Christ, tamechí?« was bedeutet: »Gehst du, Christ, gehst du?«

Ich antwortete ihr: »Allerdings, Fräulein, aber unter keiner Bedingung ohne dich; am nächsten Freitag erwartest du mich, und erschrick nicht, wenn du uns erblickst; denn ganz sicher reisen wir nach dem Christenlande.«

Ich sagte ihr dies auf eine solche Art, daß sie mich nach all den Briefen, die zwischen uns gewechselt worden, sehr gut verstehen mußte; sie legte ihren Arm um meinen Hals und begann mit wankenden Schritten nach dem Hause zu gehen. Der Zufall aber – der ein sehr schlimmer hätte werden können, wenn der Himmel es nicht anders beschlossen hätte – fügte es, als wir auf die Art und in der Stellung dahingingen, wie ich euch berichtet, ihren Arm um meinen Hals geschlungen, daß da ihr Vater, der die Türken fortgewiesen hatte, zurückkam und uns auf solche Art und Weise zusammen gehen sah; wie wir denn auch bemerkten, daß er uns gesehen hatte. Zoraida, klug und besonnen, wollte ihren Arm nicht von meinem Halse wegziehen, schmiegte sich vielmehr dichter an mich und legte ihren Kopf an meine Brust, wobei sie die Knie ein wenig einsinken ließ und deutlich zu erkennen gab, daß eine Ohnmacht sie anwandle; und so ließ auch ich merken, daß ich sie wider Willen stützte. Ihr Vater lief eilends zu uns her, und als er seine Tochter in solchem Zustand sah, fragte er, was ihr fehle; aber da sie ihm nicht antwortete, sprach er: »Ganz gewiß ist sie vor Schrecken über das Eindringen dieser Hunde ohnmächtig geworden.«

Er riß sie von meiner Brust weg und drückte sie an die seinige, und sie, einen Seufzer ausstoßend, die Augen noch nicht trocken von Tränen, sprach wiederum: »Amechí, Christ, amechí! Gehe, Christ, geh.«

Darauf sagte ihr Vater: »Der Christ braucht ja nicht zu gehen, er hat dir nichts zuleide getan, und die Türken sind bereits fort. Es ist kein Grund, bange zu sein, es ist kein Grund, dich zu betrüben; denn, wie gesagt, die Türken sind auf meine Bitte desselben Weges zurückgekehrt, den sie hereingekommen waren.«

»Die Türken, Señor«, sprach ich hier zu ihm, »haben sie erschreckt, wie Ihr gesagt habt; aber da sie sagt, ich soll gehen, will ich ihr nicht lästig fallen. Bleibet in Frieden, und mit Eurer Erlaubnis werde ich, wenn es nötig ist, wieder nach Kräutern in diesen Garten gehen; denn wie mein Herr sagt, gibt es in keinem bessere für Salat als in diesem.«

»Sooft du willst, kannst du wiederkehren«, antwortete Hadschí Murad, »denn meine Tochter hat dies nicht gesagt, weil du oder ein andrer von den Christen ihr unangenehm gewesen. Vielmehr hat sie, während sie eigentlich sagen wollte, die Türken sollten gehen, nur irrtümlich gesagt, du solltest gehen, oder auch weil es bereits Zeit für dich war, deine Kräuter zu suchen.«

Hiermit verabschiedete ich mich sogleich von beiden, und sie entfernte sich mit einem Gesichtsausdruck, als ob sie sich das Herz aus dem Leibe reißen wollte, mit ihrem Vater. Ich durchstreifte indessen unter dem Vorwand, Kräuter zu suchen, den ganzen Garten weit und breit, soviel ich nur Lust hatte; ich beobachtete, wo die Ein- und Ausgänge waren, wie das Haus verwahrt sei und welche Gelegenheiten sich darböten, um unser Vorhaben am besten auszuführen. Darauf ging ich von dannen und berichtete alles, was geschehen, dem Renegaten und meinen Gefährten und konnte kaum die Stunde erwarten, wo ich angstbefreit das Glück genießen würde, welches das Schicksal mir in der schönen reizenden Zoraida darbot.

Endlich verging die Zeit, der Tag brach an, und der bestimmte Zeitpunkt näherte sich, den wir alle so heiß ersehnten, und da die Befehle und Anweisungen, die wir mit kluger Erwägung und langer Beratung zu öftern Malen erteilt hatten, von allen genau befolgt wurden, so gelang uns denn auch alles nach Wunsch. Denn am Freitag nach dem Tage, wo ich mit Zoraida im Garten gesprochen, ging der Renegat bei Anbruch der Nacht mit der Barke an einer Stelle vor Anker, wo fast gegenüber die reizende Zoraida weilte. Bereits waren die Christen, die die Ruderbank besetzen sollten, in Bereitschaft und an verschiedenen Stellen der Umgegend versteckt. Alle waren in Spannung und freudiger Aufregung und erwarteten mich voll Begier, sich des vor ihnen liegenden Schiffes alsbald zu bemächtigen; denn sie wußten nichts von der Verabredung mit dem Renegaten, sondern sie glaubten, sie sollten mit Gewalt ihre Freiheit gewinnen und zu diesem Zwecke den Mauren in der Barke das Leben rauben.

Sobald ich mich nun nebst meinen Gefährten erblicken ließ, kamen all die andern versteckten Helfer auf uns zu. Das geschah zu der Zeit, wo bereits die Stadttore verschlossen waren, und es war in dem ganzen Gefilde umher niemand zu sehen. Als wir uns zusammengefunden, waren wir ungewiß, ob es besser sei, erst Zoraida zu holen oder zuerst die maurischen Bagarinos, die die Ruderbänke in der Barke besetzt hielten, zu überwältigen; und während wir noch in diesem Zweifel befangen waren, traf unser Renegat bei uns ein und fragte uns, womit wir uns noch aufhielten; es sei jetzt die Stunde, alle seine Mauren säßen sorglos da und die meisten in tiefem Schlummer. Wir sagten ihm unsere Bedenken, und er entgegnete, das Wichtigste sei, sich zuerst des Schiffes zu bemächtigen, was sich mit größter Leichtigkeit und ohne Gefahr tun lasse, und dann könnten wir gleich Zoraida abholen. Uns allen schien seine Ansicht die richtige, und ohne länger zu zögern, begaben wir uns unter seiner Führung zu dem Schiff; er sprang zuerst hinein, zog seinen Krummsäbel und rief auf maurisch: »Keiner von euch rühre sich von der Stelle, oder ihr seid des Todes.«

Bereits waren fast alle Christen an Bord gestiegen. Als die Mauren, die ohnehin nicht sehr beherzt waren, ihren Schiffsherrn so reden hörten, schraken sie zusammen, und ohne daß einer von ihnen allen zu den Waffen griff – deren sie ohnehin wenige oder fast gar keine hatten –, ließen sie sich ohne die geringste Widerrede von den Christen die Hände binden. Diese taten das mit größter Geschwindigkeit, wobei sie den Mauren drohten, wenn sie irgendeinen Laut von sich gäben, so würde man sie auf der Stelle über die Klinge springen lassen.

Als dieses vollbracht war, blieb die Hälfte der Unsern zur Bewachung der Ruderer zurück, und wir übrigen gingen, wiederum unter Führung des Renegaten, nach dem Garten Hadschí Murads, und das günstige Geschick fügte es, daß, als wir das Tor öffnen wollten, es mit solcher Leichtigkeit aufging, als wäre es gar nicht verschlossen gewesen; und so gelangten wir in großer Ruhe und Stille zu dem Hause, ohne daß jemand uns bemerkte. Schon stand die reizende Zoraida uns erwartend am Fenster, und sobald sie Laute hörte, fragte sie mit leiser Stimme, ob wir Nisaranís wären, das heißt soviel: ob wir Christen wären. Ich antwortete ihr mit Ja und bat sie herunterzukommen. Als sie mich erkannte, zögerte sie keinen Augenblick, eilte, ohne mir ein Wort zu erwidern, unverzüglich herunter, öffnete die Tür und zeigte sich aller Augen so schön und in so reicher Tracht, daß ich nicht imstande bin, es genügend zu preisen. Sobald ich sie erblickte, ergriff ich ihre Hand und küßte sie, und dasselbe tat auch der Renegat nebst meinen beiden Gefährten, und die andern, die von der Sache nichts wußten, taten, was sie uns tun sahen, und es schien nicht anders, als wollten wir ihr unsern ehrerbietigen Dank bezeigen und sie als unsre Herrin und Geberin unsrer Freiheit anerkennen.

Der Renegat fragte sie auf maurisch, ob ihr Vater im Garten sei; sie antwortete, ja, er schlafe jedoch. »Dann wird es nötig sein, ihn aufzuwecken«, erwiderte der Renegat, »und ihn mit uns zu nehmen, sowie alles, was er in diesem schönen Garten Wertvolles hat.«

»Nein«, entgegnete sie, »an meinen Vater dürft ihr unter keiner Bedingung rühren; auch befindet sich in diesem Hause nichts, als was ich mitnehme, und dies ist so viel, daß es hinreichen wird, um euch alle reich und zufrieden zu machen. Wartet nur einen Augenblick, und ihr werdet schon sehen.«

Mit diesen Worten ging sie ins Haus zurück und sagte, sie werde gleich wiederkommen; wir möchten nur ruhig sein und kein Geräusch machen. Ich fragte den Renegaten, was er mit ihr verhandelt habe; er erzählte es mir, und ich erklärte ihm, es dürfe in keiner Beziehung irgend etwas andres geschehen, als was Zoraida wolle. Bereits erschien diese wieder, beladen mit einem Kästchen voller Goldtaler, so schwer, daß sie es kaum tragen konnte.

Inzwischen wollte das Mißgeschick, daß ihr Vater aufwachte und das Geräusch vernahm, das sich hin und wieder im Garten bemerken ließ. Er trat ans Fenster, erkannte sogleich, daß alle Leute im Garten Christen waren, und mit gewaltigem unaufhörlichem Geschrei rief er auf arabisch: »Christen, Christen! Räuber, Räuber!«

Dies Geschrei versetzte uns alle in unbeschreibliche Angst und Bestürzung. Aber der Renegat, der sah, in welcher Gefahr wir uns befanden und wieviel für ihn darauf ankam, mit diesem Unternehmen zu einem glücklichen Ende zu kommen, ehe man uns entdeckte, eilte mit größter Schnelligkeit hinauf zu Hadschí Murad und mit ihm ein paar der Unsrigen, während ich nicht wagte, Zoraida zu verlassen, die wie ohnmächtig mir in die Arme gesunken war.

Kurzum, die, welche hinaufgeeilt waren, besorgten ihre Angelegenheit so schleunig, daß sie in einem Augenblick mit Hadschí Murad wieder herabkamen; sie brachten ihn mit gebundenen Händen, im Munde einen Knebel, der ihm kein Wort zu reden erlaubte; sie drohten ihm, wenn er zu sprechen versuche, würde es ihn das Leben kosten. Als seine Tochter ihn erblickte, verhüllte sie sich die Augen, um ihn nicht zu sehen, und ihr Vater stand voll Entsetzens, da er nicht wußte, wie sehr freiwillig sie sich in unsre Hände gegeben hatte. Da aber jetzt die Füße nötiger als alles andere waren, so begaben wir uns eiligst und ohne weiteres Überlegen zu der Barke, wo die Zurückgebliebenen uns bereits in Besorgnis erwarteten, es möchte uns etwas Übles zugestoßen sein.

Es mochten kaum die zwei ersten Stunden der Nacht vorüber sein, als wir uns schon sämtlich in der Barke befanden, und hier nahm man dem Vater Zoraidas die Bande von den Händen und den Knebel aus dem Munde; allein der Renegat wiederholte seine Warnung, kein Wort zu sprechen, sonst würde man ihm das Leben rauben. Er aber, als er seine Tochter im Schiffe sah, begann schmerzlich zu seufzen, zumal da er bemerkte, daß ich sie innig umarmt hielt und daß sie, ohne abzuwehren oder zu klagen oder sich zu sträuben, ruhig dasaß; aber trotzdem schwieg er aus Furcht, der Renegat möchte seine Drohungen wahrmachen. Als nun Zoraida sah, daß sie sich an Bord befand und daß wir die Ruder hoben, um in See zu stechen, und daß ihr Vater dort saß nebst den andern gefesselten Mauren, sagte sie zu dem Renegaten, er möge mich um die Gunst für sie bitten, die Mauren von den Banden zu lösen und ihrem Vater die Freiheit zu geben; denn sie würde sich lieber ins Meer stürzen, als daß sie vor ihren Augen und um ihretwillen einen Vater, der sie so sehr geliebt, gefangen fortgeschleppt sähe. Der Renegat sagte es mir, und ich erwiderte, ich sei damit ganz einverstanden. Er aber entgegnete, es sei nicht tunlich, weil sie, wenn man sie hier am Ufer zurücklasse, sogleich das ganze Land zusammenschreien und die Stadt in Aufruhr bringen und Anstalten treffen würden, uns mit ein paar leichten Fregatten zu verfolgen und uns den Weg zu Lande und zur See zu verlegen, so daß wir nicht zu entkommen vermöchten. Was sich tun lasse, sei, an der ersten christlichen Küste, wo man anlegen werde, sie in Freiheit zu setzen.

Dieser Meinung stimmten wir alle bei, und Zoraida, der man dieses nebst den Gründen mitteilte, die uns bewegen, ihrem Wunsche nicht sogleich zu entsprechen, gab sich ebenfalls zufrieden; und mit freudigem Stillschweigen und heiterem Bemühen erfaßte ein jeder von unsern kräftigen Rudersleuten seine Ruderstange, und uns von ganzem Herzen Gott befehlend, begannen wir, die Richtung auf die Balearen zu nehmen, welche das nächstgelegene Christenland sind. Allein da der Wind sachte von Norden zu wehen begann und die See ziemlich hoch ging, war es nicht möglich, den Kurs auf Mallorca einzuhalten, und wir sahen uns genötigt, uns am Ufer hin in der Richtung nach Orán treiben zu lassen, nicht ohne große Besorgnis, daß wir von Sargel aus entdeckt werden möchten, welcher Ort an dieser Küste etwa sechzig Meilen von Algier entfernt liegt. Auch fürchteten wir, in diesem Strich einem der Zweimaster zu begegnen, die gewöhnlich mit Handelsfracht von Tetuán kommen. Allerdings waren wir alle der Meinung, wenn uns ein Kauffahrteischiff begegnete, das nicht gerade zur Kaperei ausgerüstet wäre, würden wir nicht nur nicht ins Verderben geraten, sondern sogar ein Fahrzeug erbeuten, auf dem wir unsre Fahrt mit größerer Sicherheit vollenden könnten.

Während wir so weiterruderten, hielt Zoraida ihren Kopf in meine Hände gedrückt, um ihren Vater nicht zu sehen, und ich hörte, wie sie beständig Lela Marién anrief, uns zu helfen. Wir mochten an die dreißig Meilen weit gerudert sein, als der Morgen uns zu leuchten begann und wir uns etwa drei Büchsenschüsse weit von der Küste fanden, die wir ganz menschenleer sahen, ohne jemand, der uns bemerken konnte. Aber dessenungeachtet suchten wir mit Aufgebot aller Kräfte einigermaßen die hohe See zu gewinnen, die jetzt etwas ruhiger war, und nachdem wir etwa zwei Meilen weit hinausgeschifft waren, wurde Befehl erteilt, abteilungsweise zu rudern, während wir etwas frühstücken wollten; denn die Barke war mit Mundvorrat wohlversehen. Allein die Ruderleute sagten, es sei jetzt keine Zeit, irgendwie der Ruhe zu pflegen; man möge denen, die nicht das Ruder führten, zu essen geben, sie aber würden unter keiner Bedingung die Ruder aus den Händen lassen.

Es geschah also, aber währenddessen erhob sich ein kräftiger Wind, der uns zwang, die Segel beizusetzen und die Ruder einzuziehen und den Kurs nach Orán einzuhalten, weil eine andre Fahrt nicht möglich war. Alles wurde mit größter Schnelligkeit ausgeführt, und so fuhren wir unter Segel mehr als acht Seemeilen in der Stunde, ohne eine andre Besorgnis, als einem Schiff zu begegnen, das auf Kaperei ausgerüstet wäre. Wir gaben den maurischen Bagarinos zu essen, und der Renegat sprach ihnen Trost zu und sagte ihnen, sie seien hier nicht als Gefangene, man werde sie bei erster Gelegenheit in Freiheit setzen.

Das nämliche sagte er dem Vater Zoraidas; der aber entgegnete: »Von eurer Großmut und Freundlichkeit könnte ich eher alles andre erwarten und glauben, ihr Christen; aber haltet mich nicht für so einfältig, daß ich glaube, ihr werdet mich in Freiheit setzen. Denn wahrlich, ihr habt euch ja nicht in die Gefahr begeben, mir die Freiheit zu rauben, um sie mir dann so freigebig wieder zu schenken, namentlich da ihr wißt, wes Standes ich bin und welcher Vorteil euch daraus entstehen kann, daß ihr mir sie wiedergebt. Und wollt ihr mir den Preis dafür angeben, so biete ich euch auf der Stelle alles an, was ihr für mich und für diese meine unglückliche Tochter verlangen wollt, oder aber für sie allein, die ja der größte und beste Teil meines Herzens ist.«

Bei diesen Worten begann er so bitterlich zu weinen, daß er uns alle zum Mitleid bewegte und Zoraida nötigte, ihre Blicke auf ihn zu richten; und als sie ihn weinen sah, ward sie so gerührt, daß sie sich von ihrem Sitze zu meinen Füßen erhob und hineilte, ihren Vater zu umarmen. Sie preßte ihr Gesicht an das seinige, und beide brachen in so schmerzliches Jammern aus, daß viele von uns mit ihnen weinen mußten.

Aber als ihr Vater sie in festlichem Schmucke und mit soviel Kostbarkeiten prangend sah, sagte er in seiner Sprache zu ihr: »Was ist das, Tochter? Gestern abend, ehe uns das schreckliche Unglück traf, in dem wir uns jetzt befinden, sah ich dich in deiner gewöhnlichen Haustracht:, und jetzt, ohne daß du Zeit hattest, dich umzukleiden, und ohne daß ich dir eine freudige Nachricht mitgeteilt hätte, die geeignet wäre, mit Schmuck und Kleidertracht gefeiert zu werden, sehe ich dich mit den herrlichsten Gewändern bekleidet, die ich dir, als uns das Glück am günstigsten war, zu geben imstande war? Gib mir Antwort hierauf, denn dies setzt mich in größeres Staunen und größere Verwunderung als all das Mißgeschick selbst, in dem ich mich befinde.«

Alles, was der Maure seiner Tochter sagte, übersetzte uns der Renegat, und sie erwiderte ihm nicht ein Wort. Aber als er seitwärts in der Barke das Kästchen erblickte, worin sie gewöhnlich ihre Kostbarkeiten hatte und das er, wie er sich wohl erinnerte, in Algier gelassen und nicht in das Gartenhaus mitgenommen hatte, geriet er in noch größere Bestürzung und fragte, wie dies Kästchen in unsre Hände gelangt sei und was sich darin befinde. Darauf sagte der Renegat, ohne abzuwarten, daß ihm Zoraida eine Antwort erteilte: »Gebt Euch, Señor, nicht die Mühe, so viele Fragen an Zoraida zu richten; denn durch Beantwortung einer einzigen werde ich Euch über alles aufklären. So will ich Euch denn wissen lassen, daß sie Christin ist; sie allein war die Feile unsrer Ketten und die Befreiung aus unsrer Sklaverei. Sie befindet sich hier aus eignem, freiem Willen und ist, wie ich glaube, so froh darüber wie einer, der aus der Finsternis in das Licht heraustritt, aus dem Tode ins Leben, aus der Höllenpein in die Glorie des Himmels.«

»Ist es Wahrheit, was der sagt, meine Tochter?« sprach der Maure.

»Es ist so«, antwortete Zoraida.

»Wie! Du bist wirklich«, erwiderte der Alte, »eine Christin? Du bist es, die ihren Vater in die Hände seiner Feinde überliefert hat?«

Darauf antwortete Zoraida: »Eine Christin, das bin ich; ich bin es aber nicht, die dich in diese Lage versetzt hat; denn nie ging mein Wunsch dahin, dich im Leid zu verlassen oder dir ein Leid zuzufügen, nein, mir vielmehr Glück zu erwerben.«

»Und welch ein Glück hast du dir erworben, meine Tochter?«

»Das«, antwortete sie, »frage du Lela Marién, sie wird es dir besser sagen können als ich.«

Kaum hatte der Maure dies gehört, als er mit unglaublicher Behendigkeit sich kopfüber ins Meer stürzte, wo er ohne Zweifel ertrunken wäre, wenn sein langes, faltiges Gewand ihn nicht eine kurze Zeit über Wasser gehalten hätte. Zoraida schrie, man möge ihn aus den Fluten retten; wir eilten ihm alle zu Hilfe, faßten ihn am Oberkleid und zogen ihn halb erstickt und besinnungslos heraus. Zoraida war so von Schmerz überwältigt, daß sie, als wenn er schon tot wäre, jammernd und schmerzvoll Klage über ihn erhob. Wir legten ihn mit dem Gesichte nach unten, er gab viel Wasser von sich, und nach zwei Stunden kam er wieder zu sich.

Inzwischen war der Wind umgeschlagen; wir mußten wieder landwärts drehen und alle Kraft der Ruder aufbieten, um nicht an der Küste aufzufahren. Aber unser gutes Glück fügte es, daß wir eine Bucht erreichten, die längs eines kleinen Vorgebirgs oder einer Landzunge sich erstreckt und von den Mauren die Bucht der Caba rumia, das heißt des bösen Christenweibes, genannt wird. Nach einer Sage der Mauren liegt an diesem Orte die Caba begraben, um derentwillen Spanien zugrunde ging; denn Caba heißt in ihrer Sprache ein böses Weib und rumia eine Christin. Ja sie halten es sogar für eine üble Vorbedeutung, dort Anker zu werfen, wenn einmal die Notwendigkeit sie dazu zwingt; denn ohne eine solche gehen sie dort nie vor Anker. Indessen für uns war es nicht die Ruhestatt eines bösen Weibes, sondern der sichere Hafen unserer Rettung, so hoch ging die See. Wir stellten unsere Schildwachen am Lande aus und ließen die Ruder keinen Augenblick aus den Händen; wir aßen von den Vorräten, die der Renegat besorgt hatte, und beteten von ganzem Herzen zu Gott und Unserer Lieben Frau, uns hilfreich und gnädig zu sein, auf daß wir einen so günstigen Anfang mit glücklichem Ende krönen möchten.

Auf Zoraidas Bitte wurde Anstalt getroffen, ihren Vater und die andern Mauren, die gebunden im Schiff lagen, ans Land zu setzen; denn sie hatte nicht das Herz, und ihr weiches Gemüt konnte es nicht ertragen, vor ihren Augen ihren Vater gefesselt und ihre Landsleute gefangen zu sehen. Wir versprachen ihr, es bei unserer Abfahrt zu tun, da keine Gefahr davon drohte, sie in dieser wüsten Gegend zurückzulassen.

Unsere Gebete waren nicht so vergeblich, daß der Himmel sie nicht gehört hätte; er ließ alsbald den Wind zu unseren Gunsten umschlagen und die See ruhig werden und lud uns ein, die begonnene Fahrt jetzt wieder fröhlich fortzusetzen. Als wir das gewahrten, banden wir die Mauren los und setzten sie einen nach dem andern an Land, worüber sie sich höchlich wunderten. Als wir aber im Begriff waren, Zoraidas Vater, der wieder bei voller Besinnung war, auszuschiffen, sagte er: »Warum, glaubt ihr Christen, freut sich dies böse Weib, daß ihr mir die Freiheit schenkt? Glaubt ihr, es geschehe etwa aus Mitleid mit mir? Wahrlich nein, sie tut es nur, weil meine Anwesenheit sie stören würde, wenn sie ihre bösen Gelüste befriedigen will; auch dürft ihr nicht denken, daß sie zur Änderung ihres Glaubens deshalb bewogen worden, weil sie meint, dem eurigen gebühre der Vorzug vor dem unsrigen, sondern vielmehr, weil sie weiß, daß man in eurem Lande sich der Sittenlosigkeit freier hingeben kann als in dem unseren.«

Hierauf wendete er sich zu Zoraida, wobei ich und ein anderer Christ ihn mit beiden Armen umfaßt hielten, damit er sich nicht zu etwas Wahnwitzigem hinreißen ließe, und sprach zu ihr: »O du schändliches Mädchen, du übelberatenes Kind! Wo willst du hin, blind und unsinnig, in der Gewalt dieser Hunde, unserer gebornen Feinde? Verflucht sei die Stunde, in der ich dich erzeugte, verflucht sei das Wohlleben und die Üppigkeit, worin ich dich auf erzog!«

Da ich indessen gewahrte, daß er in einer Verfassung war, um nicht so bald zu Ende zu kommen, so beeilte ich mich, ihn ans Land zu setzen, aber auch von da aus fuhr er mit wilden Schreien fort in seinen Verwünschungen und Jammerklagen und rief Mohammed an, er möge Allah bitten, uns zu vernichten, zu verderben und auszutilgen. Und als wir, da wir unter Segel gegangen, seine Worte nicht mehr hören konnten, sahen wir noch sein leidenschaftliches Gebaren, wie er sich den Bart ausriß, die Haare raufte und sich auf den Boden niederwarf. Einmal aber erhob er seine Stimme so gewaltig, daß wir vernahmen, wie er rief: »Kehre zurück, geliebte Tochter, kehre ans Land zurück, ich verzeihe dir alles; überlaß diesen Leuten all das Geld dort, es gehört ja schon ihnen, kehre zurück, um deinem kummervollen Vater Trost zu spenden! Er wird in dieser Sandwüste das Leben lassen, wenn du ihn verlassest.«

All dieses hörte Zoraida, und alles bewegte sie zu innigem Schmerz und heißen Tränen, und sie vermochte ihm nichts anderes zu sagen und kein anderes Wort zu erwidern als dies eine: »Es gebe Allah, mein Vater, daß Lela Marién, welche die Ursache ist, daß ich Christin geworden, dich in deiner Traurigkeit tröste! Allah weiß, daß ich nichts anderes tun konnte, als was ich getan, und daß diese Christen meinem guten Willen nichts zu danken haben, denn hätte ich auch den Willen gehabt, nicht mit ihnen zu gehen und in unserem Hause zu bleiben, es wäre mir unmöglich gewesen, so eilig drängte es mich in meiner Seele, dies Werk ins Werk zu setzen, das mich ein ebenso gutes dünkt, wie du, geliebter Vater, es für ein schlechtes erachtest.«

Als Zoraida dieses sprach, konnte ihr Vater sie schon nicht mehr hören und wir ihn nicht mehr sehen. Ich sprach ihr Trost zu, und wir alle waren nur noch auf unsere Fahrt bedacht, die jetzt der Wind begünstigte, so daß wir es wirklich für sicher hielten, bei Anbruch des nächsten Morgens die spanische Küste zu erreichen.

Aber da selten oder nie das Glück uns rein und ungetrübt zuteil wird, ohne daß ein verwirrender oder plötzlich heranstürmender Unfall es begleitet oder ihm nachfolgt, so fügte es unser Geschick oder veranlaßten es vielleicht die Verwünschungen, die der Maure auf seine Tochter geschleudert – denn stets sind solche Flüche zu fürchten, von welchem Vater sie auch kommen mögen –, es fügte das Schicksal, sage ich, als wir uns bereits auf hoher See befanden und schon etwa drei Stunden der Nacht vorüber waren und wir unter vollgeschwelltem Segel hinfuhren und mit festgebundenen Ruderstangen, da der günstige Wind uns der Mühe überhob, sie zu gebrauchen, daß wir da plötzlich beim hellen Scheine des Mondes dicht bei uns ein Rundschiff sahen, das alle Segel gesetzt hatte und das Steuer etwas nach links hielt und quer vor uns vorüberfuhr, und zwar so nahe, daß wir die Segel reffen mußten, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Und die anderen ihrerseits legten sich mit aller Macht in das Steuer, um uns Raum zum Vorbeifahren zu lassen. Jene hatten sich an Bord des Schiffes aufgestellt, um uns zu fragen, wer wir seien, wohin wir segelten und woher wir kämen; aber da sie uns dies auf französisch fragten, so sagte unser Renegat: »Keiner gebe Antwort, denn dies sind ohne Zweifel französische Seeräuber, denen alles recht zum Plündern ist.«

Auf diese Warnung hin antwortete keiner ein Wort. Aber kaum waren wir an ihnen vorbei, und das Schiff segelte bereits unter dem Wind, als jenes unversehens zwei Geschütze löste, und wie es schien, waren beide mit Kettenkugeln geladen; denn der eine Schuß riß unsern Mast mitten durch und warf ihn samt dem Segel ins Meer, und da im nämlichen Augenblick das andere Geschütz feuerte, schlug die Kugel mitten in unser Schiff ein, so daß sie es ganz auseinanderriß, ohne jedoch anderen Schaden zu tun. Wie wir nun unsere Barke sinken sahen, begannen wir alle um Hilfe zu schreien und die im Schiffe zu bitten, sie möchten uns aufnehmen, weil wir am Ertrinken wären. Jetzt drehten sie bei, ließen ihr Boot oder ihre Schaluppe in See, und es stiegen gegen zwölf Franzosen darein, wohlbewaffnet mit Musketen und brennenden Lunten, und fuhren dicht an unser Schiff heran. Als sie aber sahen, daß unsere Anzahl so gering und das Schiff im Sinken war, nahmen sie uns an Bord, wobei sie sagten, wir hätten dies alles nur unserer Unhöflichkeit zuzuschreiben. Unser Renegat nahm das Kästchen mit Zoraidas Reichtümern und warf es unbemerkt ins Meer.

Nun begaben wir uns insgesamt zu den Franzosen hinüber, und diese, nachdem sie uns über alles ausgefragt hatten, was sie von uns zu wissen wünschten, nahmen uns alles weg, was wir besaßen, als wären wir ihre Todfeinde, und Zoraida beraubten sie sogar der Spangen, die sie an den Fußgelenken trug. Doch die Bekümmernis, in welche sie Zoraida hiermit versetzten, war bei mir lange nicht so groß als diejenige, die mir aus der Angst entstand, sie möchten vielleicht vom Raub der reichen und kostbaren Kleinodien weitergehn zum Raub jenes einen Kleinods, das den höchsten Wert hatte und von ihr am höchsten geschätzt wurde. Indessen geht die Gier dieser Leute auf nichts weiteres als auf das Geld, dessen sich ihre Habsucht nie ersättigen kann, und sie trieben es so arg, daß sie uns selbst die Sklavenkleider weggenommen hätten, wenn diese vom geringsten Nutzen für sie gewesen wären. Es war sogar unter ihnen die Rede davon, man solle uns alle in ein Segel wickeln und ins Meer werfen, denn sie hatten die Absicht, etliche spanische Häfen anzulaufen und sich dabei für Bretonen auszugeben, und wenn sie uns lebend mitnähmen, so würden sie der Strafe nicht entgehen, weil der verübte Raub nicht unentdeckt bliebe. Allein der Hauptmann, der nämliche, der meine geliebte Zoraida ausgeplündert hatte, sagte, er für seinen Teil begnüge sich mit der Beute, die er schon habe, und er wolle keinen spanischen Hafen anlaufen, sondern bei Nacht, oder wie es ihm sonst möglich wäre, durch die Meerenge von Gibraltar nach La Rochelle gehen, von wo er ausgelaufen sei.

So kamen sie denn überein, uns das Beiboot ihres Schiffes zu überlassen nebst allem für die kurze Fahrt Erforderlichen, die wir noch vor uns hatten, was sie auch am nächsten Tage ausführten, als wir bereits im Angesicht der spanischen Küste waren. Bei diesem Anblick war all unser Kummer und all unsere Armut gänzlich vergessen, als wären es nicht wir, die das alles erlebt hätten; so groß ist die Freude, die verlorene Freiheit wiederzugewinnen.

Es mochte gegen Mittag sein, als sie uns in das Boot aussetzten, wobei sie uns zwei Fässer mit Wasser und etwas Zwieback mitgaben; und der Schiffshauptmann gab, ich weiß nicht in welcher Anwandlung von Barmherzigkeit, der lieblichen Zoraida beim Einschiffen etwa vierzig Goldtaler und erlaubte seinen Soldaten nicht, ihr ihre Kleider wegzunehmen, dieselben, die sie noch jetzt trägt. Wir stiegen in das Boot und dankten ihnen für das Gute, was sie an uns getan; wir wollten lieber unsere Erkenntlichkeit als unsern Groll zeigen.

Sie suchten nun die hohe See zu gewinnen, um die Richtung nach der Meerenge einzuschlagen; wir aber, ohne nach einem andern Leitstern zu blicken als nach der Küste vor uns, ruderten so tapfer voran, daß wir bis Sonnenuntergang nahe genug waren, um nach unserer Meinung noch vor Einbruch der vollen Nacht das Gestade erreichen zu können. Aber da in jener Nacht der Mond nicht schien und der Himmel, finster war und da wir die Küste nicht kannten, wo wir hingeraten, hielten wir es nicht für sicher, ans Land zu stoßen, während viele von uns gerade dies vorzogen und meinten, wir sollten aufs Land zusteuern, selbst wenn wir auf Felsen und fern von bewohnten Gegenden landen sollten, denn nur so könnten wir der Gefahr entgehen, die wir mit Recht fürchteten, daß dortherum Korsarenschiffe aus Tetuán streifen möchten, welche bei Anbruch der Nacht noch in der Berberei und beim Frührot schon an den spanischen Küsten sind, hier gewöhnlich Beute machen und dann heimkehren, um nachts wieder zu Hause zu schlafen. Endlich einigten wir uns dahin, daß wir uns allmählich dem Lande nähern und, wenn die ruhige See es gestatte, uns ausschiffen sollten, wo es eben möglich wäre.

So geschah es denn auch, und es mochte kurz vor Mitternacht sein, als wir an den Fuß eines hohen, unförmigen Berges gelangten, der jedoch nicht so schroff aus der See aufstieg, daß er uns nicht ein wenig Raum zur bequemen Landung verstattet hätte. Wir stießen an das sandige Ufer, sprangen alle ans Land, küßten den Boden und dankten mit innigsten Freudentränen Gott unserm Herrn für die unvergleichliche Wohltat, die er uns erwiesen. Wir nahmen aus dem Boote die darin befindlichen Vorräte, zogen es an Land und stiegen eine große Strecke den Berg hinauf. Denn waren wir nun auch angelangt, so konnten wir doch unser Gemüt noch nicht beruhigen und nicht völlig glauben, daß es christlicher Boden sei, der unsere Füße trage. Der Morgen schien mir später anzubrechen, als wir gewünscht hätten; wir stiegen den ganzen Berg vollends hinauf, um zu sehen, ob sich von da aus ein bewohnter Ort entdecken lasse oder wenigstens ein paar Schäferhüttchen; aber so weit wir auch die Blicke aussandten, sahen wir weder einen Wohnort noch einen Menschen, weder Weg noch Steg. Trotzdem beschlossen wir, weiter ins Land hineinzugehn, da es doch nicht anders sein konnte, als daß wir bald jemanden auffinden würden, der uns Nachricht über das Land gäbe.

Was mich indessen am meisten quälte, war, daß ich sehen mußte, wie Zoraida zu Fuß diese unwegsame Gegend durchwanderte. Denn wiewohl ich sie manchmal auf meinen Armen trug, so ermüdete meine Ermüdung sie weit mehr, als das Ausruhen ihr zur Ruhe ward, und daher wollte sie mir diese Mühe durchaus nicht nochmals zumuten. Ich führte sie daher immer an der Hand, wobei sie große Geduld bewies und stets den Schein der Heiterkeit bewahrte, und so mochten wir weniger als eine Viertelmeile gegangen sein, als plötzlich der Klang einer Schelle an unsere Ohren drang, ein deutliches Zeichen, daß dort in der Nähe sich eine Herde befinden müßte, und als wir alle aufmerksam umherspähten, ob eine solche sich sehen lasse, bemerkten wir am Fuß einer Korkeiche einen jungen Schäfer, der ruhig und sorglos sich mit seinem Messer einen Stab schnitzte. Wir riefen ihm laut zu, er hob den Kopf und sprang in die Höhe, und die ersten, die ihm vors Auge kamen, waren, wie wir nachher erfuhren, der Renegat und Zoraida. Und da er sie in Maurentracht sah, meinte er gleich, alle Mauren aus der ganzen Berberei seien ihm schon auf dem Hals; er lief mit wunderbarer Geschwindigkeit in den Wald und weiter und schrie aus vollem Hals: »Mauren, Mauren sind im Land! Mauren, Mauren! Zu den Waffen, zu den Waffen!«

Bei diesem Geschrei gerieten wir alle in Bestürzung und wußten nicht, was wir anfangen sollten. Da wir indessen bedachten, das Geschrei des Schäfers müsse das Land in Aufruhr bringen und die Strandreiter würden bald herbeieilen, um zu sehen, was vorgehe, so beschlossen wir, der Renegat solle seine Türkenkleider ausziehen und ein maurisches Gileco, das heißt eine Sklavenjacke anlegen, welche einer von uns ihm auf der Stelle gab, obschon er deshalb im bloßen Hemde einhergehen mußte. Und so befahlen wir uns Gott dem Herrn und zogen desselben Weges, den wir den Schäfer hatten einschlagen sehen, stets den Augenblick erwartend, wo die Strandreiter über uns herfallen würden. Und unsere Vermutung trog uns nicht; denn es mochten noch nicht zwei Stunden vergangen sein, als wir, aus dem Dickicht bereits auf ebenes Land herausgekommen, gegen sechzig Reiter erblickten, die in rasender Eile mit verhängten Zügeln auf uns zukamen; sobald wir ihrer ansichtig wurden, standen wir still und erwarteten sie. Als sie nun in die Nähe kamen und statt der Mauren, die sie suchten, so viele arme Christen erblickten, wußten sie sich gar nicht dareinzufinden. Einer von ihnen aber fragte uns, ob wir vielleicht der Anlaß gewesen seien, daß ein Schäfer Lärm geschlagen und zu den Waffen gerufen habe.

Ja, sagte ich; und als ich gerade anfangen wollte, ihm meine Erlebnisse zu erzählen, und woher wir kämen und woher wir seien, erkannte einer der Christen, die unsre Rudersleute gewesen, den Reiter, der die Frage an uns gerichtet, und sprach, ohne mich ein Wort reden zu lassen: »Preis und Dank sei Gott, ihr Herren, der uns zu so gutem Ziel geführt hat; denn wenn ich mich nicht irre, ist der Boden, den wir betreten, die Gemarkung von Vélez Málaga; und falls nicht etwa nach den langen Jahren der Sklaverei mein Gedächtnis mich täuscht, seid Ihr, Señor, der Ihr uns fragt, wer wir seien, Pedro de Bustamante, mein Oheim.«

Kaum hatte der Christensklave das gesagt, als der Reiter vom Pferde herabsprang, auf den Jüngling zustürzte und ihn in die Arme schloß mit den Worten: »Du mein Herzensneffe, mein geliebter Neffe, wohl erkenne ich dich, und längst haben wir dich als tot beweint, ich und meine Schwester, deine Mutter, und alle die Deinigen, die noch am Leben sind, und Gott war so gnädig, ihr Leben zu verlängern, damit sie das Vergnügen genießen, dich wiederzusehen. Wir hatten gehört, daß du dich in Algier befandest, und nach deiner Kleidung und dem Aufzug deiner ganzen Gesellschaft zu schließen, muß es bei eurer Befreiung wunderbar zugegangen sein.«

»So ist’s«, antwortete der Jüngling, »und wir werden Zeit finden, Euch alles zu berichten.«

Sobald die Reiter wahrnahmen, daß wir befreite Christensklaven waren, stiegen sie von ihren Pferden, und jeder bot uns das seinige an, um uns nach der Stadt Vélez Málaga zu bringen, die anderthalb Meilen von da entfernt lag. Einige von ihnen gingen zurück, um das Boot nach der Stadt zu bringen, da wir ihnen sagten, wo wir es gelassen; die andern nahmen uns hinter sich auf ihre Pferde, und Zoraida ritt auf dem Pferde des Oheims des erwähnten Sklaven. Das ganze Volk kam uns aus der Stadt entgegen, da man von einem, der vorausgelaufen war, schon die Nachricht von unsrer Ankunft erfahren hatte. Sie wunderten sich nicht darüber, befreite Christensklaven oder in Sklaverei geratene Mauren zu erblicken; denn alle Leute an dieser Küste sind jene wie diese zu sehen gewohnt. Was sie bewunderten, war Zoraidas Schönheit, die zu dieser Zeit und in diesem Augenblicke auf ihrem Höhepunkt stand, infolge der Bewegung beim Reiten sowohl als auch der Freude, sich endlich auf christlichem Boden zu befinden. Das frohe Gefühl der überstandenen Gefahr hatte ihre Wangen mit so lieblicher Röte überzogen; daß ich wagen möchte zu behaupten, wenn nicht die Neigung mich damals täuschte: es hat nie ein schöneres Geschöpf auf Erden gegeben, wenigstens habe ich keines je gesehen.

Wir begaben uns geradeswegs in die Kirche, um Gott für die gewährte Gnade Dank zu sagen, und sowie Zoraida hineintrat, sagte sie gleich, es seien hier Gesichter, die demjenigen Lela Mariéns ähnlich sähen. Wir sagten ihr, es seien Bildnisse von ihr, und der Renegat erklärte ihr, so gut er konnte, was die Bilder bedeuteten, damit sie dieselben verehre, als ob deren jedes in Wirklichkeit die nämliche Lela Maria wäre, die mit ihr gesprochen habe. Da sie einen guten Verstand und eine leichte Fassungskraft besitzt, begriff sie sofort alles, was man ihr über die Bilder sagte.

Von der Kirche aus führte und verteilte man uns in verschiedene Häuser des Ortes; allein den Renegaten, Zoraida und mich führte jener Christ, der mit uns hierhergekommen, in das Haus seiner Eltern, die mit den Gaben des Glücks mäßig bedacht waren und uns mit soviel Liebe aufnahmen und pflegten wie ihren eignen Sohn.

Sechs Tage blieben wir zu Vélez, und hierauf ging der Renegat, nachdem er sich zunächst der kirchlichen Untersuchung unterworfen hatte, nach der Stadt Granada, um durch Vermittlung der heiligen Inquisition wieder in den Schoß der Allerheiligsten Kirche aufgenommen zu werden. Die übrigen befreiten Christen wendeten sich ein jeder dahin, wohin es ihn am besten bedünkte. Zoraida und ich blieben allein zurück, nur mit den wenigen Talern, die die Höflichkeit des Franzosen Zoraida geschenkt hatte, und von diesem Gelde kaufte ich das Tier, auf dem sie reitet. Bis jetzt weihe ich ihr meine Dienste als Vater und Reisebegleiter, nicht als Gatte, und so ziehen wir hin mit der Absicht, zu erfahren, ob mein Vater noch am Leben ist oder ob einem meiner Brüder ein günstigeres Schicksal als mir geworden. Zwar da der Himmel mich zu Zoraidas Lebensgefährten bestimmt hat, so bedünkt es mich, daß mir kein andres Los zufallen könnte, so günstig es auch wäre, das ich höher schätzen würde. Die Geduld, mit der Zoraida die Beschwerden erträgt, welche die Armut mit sich bringt, und ihre Sehnsucht, bald Christin zu sein, ist so groß und von solcher Art, daß sie mir Bewunderung abnötigt und mich dazu verpflichtet, ihr alle Zeit meines Lebens meine Dienste zu weihen; wiewohl die Wonne, der Ihrige zu sein und sie die Meine zu nennen, mir dadurch getrübt und zerstört wird, daß ich nicht weiß, ob ich in meinem Vaterland einen Winkel finden werde, um ihr ein Heim zu bereiten, und ob nicht die Zeit und der Tod eine solche Änderung in den Verhältnissen und der Lebensweise meines Vaters und meiner Brüder bewirkt haben, daß ich, wenn sie nicht mehr da sind, kaum jemanden finden würde, der mich kennen wollte.

Mehr weiß ich euch nicht, meine Herren, von meiner Geschichte zu sagen. Ob sie unterhaltend und merkwürdig ist, mag eure erprobte Einsicht beurteilen. Was mich betrifft, so muß ich sagen, ich hätte sie euch gern in gedrängterer Kürze erzählt, wiewohl ohnehin schon die Besorgnis, euch zu langweilen, meiner Zunge geboten hat, mehr als einen Umstand beiseite zu lassen.

4. Kapitel

Von dem, was unserm Ritter begegnete, als er aus der Schenke schied

Es mochte um die Stunde des anbrechenden Tages sein, als Don Quijote aus der Schenke schied, so zufrieden, so frischen Mutes, so überglücklich, sich nun zum Ritter geschlagen zu sehen, daß ihm das Vergnügen aus allen Gliedern, ja aus dem Gurt seines Gaules herausplatzte. Aber da ihm die Ratschläge seines Wirtes ins Gedächtnis kamen in betreff der so notwendigen Vorräte, die er mitführen solle, insbesondere des Vorrats an Geld und Hemden, so beschloß er, nach Hause zurückzukehren und sich mit all diesem wie auch mit einem Schildknappen zu versehen, wobei er sich vorsetzte, einen Bauersmann in Dienst zu nehmen, seinen Ortsnachbar, der arm war und Kinder hatte, jedoch zu dem Knappenamte des Rittertums sehr tauglich war. In solchen Gedanken lenkte er den Rosinante seinem Dorfe zu, und dieser, den heimischen Futterplatz schon kennend, begann mit solcher Lust zu traben, daß es schien, als berührte er den Boden nicht mit seinen Füßen.

Der Junker hatte noch nicht viel des Weges zurückgelegt, da deuchte es ihm, als ob ihm zur rechten Hand, aus dem Dickicht eines dort befindlichen Gehölzes, ein schwaches Schreien herausdringe, wie von jemand, der wehklagte; und kaum hatte er es vernommen, als er sprach: »Dank spende ich dem Himmel für die Gnade, so er mir tut, da er mir so bald Gelegenheiten vor die Augen stellt, wo ich erfüllen kann, was ich meinem Beruf schulde, und wo ich die Frucht meines tugendhaften Vorhaben pflücken kann. Diese Weherufe kommen ohne Zweifel von einem oder einer Hilfsbedürftigen, so meines Beistandes und Schutzes bedarf.«

Don Quijote

Und die Zügel wendend, lenkte er Rosinante nach der Stelle hin, wo ihm das Schreien herzukommen schien. Und als er wenige Schritte in das Gehölz hineingeritten, sah er eine Stute an eine Eiche gebunden und an eine andre einen Jungen von etwa fünfzehn Jahren, entblößt von der Mitte des Leibes bis zu den Schultern; dieser war es, der das Geschrei ausstieß, und nicht ohne Grund, denn ein Bauer von kräftiger Gestalt war daran, ihm mit seinem Gurt zahlreiche Hiebe aufzumessen, und jeden Hieb begleitete er mit einer Verwarnung und einem Rate, denn er rief: »Die Zunge still, die Augen wach!« Und der Junge antwortete in einem fort: »Ach, Herr, ich will’s nicht wieder tun; bei Christi Leiden, ich will’s nicht wieder tun, ich verspreche Euch, von nun an mehr acht aufs Vieh zu haben.«

Als Don Quijote sah, was vorging, rief er mit zürnender Stimme: »Zuchtloser Ritter, schlecht geziemt es, den anzugreifen, der sich nicht verteidigen kann; steigt zu Rosse und nehmt Euren Speer« – denn der Bauer hatte auch einen Speer an die Eiche gelehnt, wo die Stute mit den Zügeln angebunden war –, »da werd ich Euch zu erkennen geben, daß es der Feiglinge Gepflogenheit ist, so zu handeln wie Ihr.«

Der Bauer, der diese Gestalt, mit Waffen umschanzt, über sich herkommen sah, wie sie den Speer über sein Gesicht hinschwang, hielt sich schon für tot und erwiderte mit begütigenden Worten: »Herr Ritter, dieser Junge, den ich da züchtige, ist ein Knecht von mir, der mir dazu dient, eine Herde Schafe zu hüten, die ich in dieser Gegend habe; er ist so unachtsam, daß mir jeden Tag eins fehlt, und weil ich seine Unachtsamkeit – oder seine Spitzbüberei – bestrafe, sagt er, ich tue es aus Knauserei, um ihm den Lohn, den ich ihm schulde, nicht zu zahlen; und bei Gott und meiner Seele, er lügt.«

»Lügt? Das vor mir, nichtswürdiger Bauernkerl?« rief Don Quijote. »Bei der Sonne, die uns bescheint, ich bin drauf und dran, Euch mit diesem Speer durch und durch zu stechen. Zahlt ihm gleich ohne längere Widerrede; wo nicht, bei dem Gotte, der uns gebeut, so mach ich Euch auf der Stelle den Garaus und hau Euch zunichte. Bindet ihn sogleich los.«

Der Bauer ließ den Kopf hängen, und ohne ein Wort zu entgegnen, band er seinen Knecht los. Don Quijote fragte diesen, wieviel ihm sein Herr schulde; er antwortete: »Neun Monate, zu sieben Realen jeden Monat.« Don Quijote machte die Rechnung und fand, daß sie sich auf dreiundsechzig Realen belief, und sagte dem Bauer, er solle sie alsogleich aus dem Beutel ziehen, wenn er nicht darob des Todes sein wolle. Der furchtsame Bauer antwortete, bei den Nöten, in denen er sei, und bei dem Schwur, den er getan – und doch hatte er noch gar nicht geschworen! –, es seien nicht so viel Realen; denn es müßten ihm abgezogen und in Rechnung gestellt werden drei Paar Schuhe, die er ihm verabreicht habe, und ein Real für zwei Aderlässe, die man ihm gegeben, als er krank gewesen.

»Das ist alles ganz gut«, entgegnete Don Quijote, »aber die Schuhe und die Aderlässe sollen für die Hiebe sein, die Ihr ihm ohne seine Schuld gegeben. Denn wenn er das Leder der von Euch bezahlten Schuhe zerrissen hat, so habt Ihr ihm sein eigenes Leder gegerbt und zerschlissen; und wenn ihm in seiner Krankheit der Bader Blut abgezapft hat, so habt Ihr es ihm bei gesundem Leibe abgezapft, so daß er in dieser Beziehung Euch nichts mehr schuldet.«

»Das Unangenehme in der Sache, Herr Ritter, liegt darin, daß ich kein Geld bei mir habe; Andrés soll mit mir nach Hause kommen, und da werde ich ihm zahlen Real für Real.«

»Ich noch mit ihm gehen?« sagte der Junge, »o weh! Lieber Herr, nicht im Traum tät ich das; denn sobald er sich allein mit mir sieht, wird er mir die Haut abziehen wie einem heiligen Bartholomäus.«

»Solches wird er nicht tun«, entgegnete Don Quijote. »Daß ich es ihm gebiete, ist hinreichend, damit er mir Gehorsam erweise, und sofern er bei dem Ritterorden, den er empfangen hat, mir es schwört, lasse ich ihn frei gehen und verbürge die Zahlung.«

»Bedenke Euer Gnaden, Herr, was Ihr da saget«, versetzte der Junge; »denn dieser mein Dienstherr ist kein Ritter, hat auch keinerlei Ritterorden empfangen; er ist Juan Haldudo der Reiche, Bürger zu Quintanar.«

»Das tut wenig zur Sache«, erwiderte Don Quijote, »denn es kann Haldudos geben, die Ritter sind; um so mehr, da jeder der Sohn seiner Taten ist.«

»So ist’s in Wahrheit«, sagte Andrés darauf; »aber dieser mein Herr, welcher Taten Sohn ist er, da er mir meinen Lohn, meinen Schweiß und meine Arbeit, vorenthalten will?«

»Ich will Euch nichts vorenthalten, mein guter Andrés«, antwortete der Bauer; »tut mir nur den Gefallen mitzugehen, und ich schwör Euch bei allen Ritterorden, die es in der Welt gibt, Euch zu bezahlen, wie ich gesagt, Real für Real und obendrein mit Zinseszinsen.«

»Die Zinsen erlasse ich Euch«, sagte Don Quijote; »gebt ihm sein Geld bar, damit begnüge ich mich, und bedenket wohl, daß Ihr es erfüllet, wie Ihr es geschworen habt; wenn nicht, so schwöre ich Euch mit demselben Eide, daß ich wiederkehre, um Euch aufzusuchen und zu züchtigen, und daß ich Euch finden werde, wenn Ihr Euch auch noch besser als eine Eidechse versteckt. Und wenn Ihr wissen wollt, wer Euch dieses gebietet, damit Ihr Euch um so ernstlicher verbunden fühlet, es zu erfüllen, so erfahret, daß ich der tapfre Don Quijote von der Mancha bin, der Abhelfer aller Unbilden und Widerrechtlichkeiten. Und somit Gott befohlen, und es komme das Versprochene und Beschworne nicht aus Euren Gedanken, bei Strafe der ausgesprochenen Strafe!«

Und dies sagend, spornte er seinen Rosinante, und in kurzer Zeit war er fern von ihnen.

Der Bauer folgte ihm mit den Augen, und als er bemerkte, daß der Ritter aus dem Gehölze hinaus und nicht mehr zu sehen war, wendete er sich zu seinem Knechte Andrés und sagte zu ihm: »Komme Er her, mein Sohn, ich will Ihm zahlen, was ich Ihm schulde, wie dieser Abhelfer aller Unbilden mir geboten hat.«

»Da schwör ich drauf«, entgegnete Andrés, »und sage, daß Ihr vernünftig handelt, das Gebot des wackern Ritters zu erfüllen; möge er tausend Jahr leben! Denn danach zu schließen, wie er tapfer ist und ein guter Richter, so wird er, so wahr Gott lebt, wenn Ihr mich nicht bezahlt, zurückkehren und ausführen, was er gesagt.«

»Auch ich schwöre drauf«, versetzte der Bauer; »aber ob meiner großen Liebe zu Ihm will ich die Schuld vergrößern, um die Bezahlung zu vergrößern.«

Und er packte ihn am Arm und band ihn abermals an die Eiche und gab ihm da so viel Hiebe, daß er ihn fast für tot auf dem Platze ließ. »Rufe Er jetzt, Herr Andrés«, sprach der Bauer, »den Abhelfer aller Unbilden, und Er wird sehen, wie er dieser Unbill nicht abhilft; zwar glaube ich, daß sie noch gar nicht vollendet ist, denn es kommt mir die Lust, Ihm lebendig die Haut abzuziehen, wie Er gefürchtet.«

Indessen band er ihn endlich los und gab ihm die Erlaubnis, zu gehen und seinen Richter aufzusuchen, auf daß dieser das ausgesprochene Urteil vollstrecke.

Andrés zog nicht wenig erbost von dannen und schwur, den tapfern Don Quijote von der Mancha aufzusuchen und ihm Punkt für Punkt des Vorgefallenen zu erzählen, und sein Herr werde es ihm mit siebenfachem Ersatze zahlen müssen. Aber bei alledem ging er weinend von dannen, und sein Herr blieb lachend zurück.

Und auf solche Weise half der tapfere Don Quijote der Ungebühr ab; und höchst vergnügt über das Geschehene, dünkte es ihn, er habe seinem Rittertum einen äußerst glücklichen und erhabenen Anfang gegeben. Mit großer Selbstzufriedenheit zog er nach seinem Dorfe hin und sprach dabei halblaut: »Wohl kannst du dich glücklich nennen über alle Frauen, die heut über die Erde hinwandeln, o du vor allen Schönen schöne Dulcinea von Toboso, da es dir zum Lose fiel, all deinem Willen und Belieben einen so kriegskühnen und so berufenen Ritter unterwürfig und dienstbar zu haben, wie es Don Quijote von der Mancha ist und sein wird, welcher gestern, wie die ganze Welt weiß, den Ritterorden empfing und heute die größte Gewalttat und Unbill abgestellt hat, welche widerrechtlicher Sinn je erdachte und ein grausames Herz je verübte. Heute riß er die Geißel aus der Hand jenem mitleidlosen Bösewicht, der so ganz ohne Anlaß jenen zarten Prinzen geprügelt.«

Indem gelangte er an einen Weg, der sich in vier teilte, und sogleich kamen ihm die Kreuzwege in den Sinn, wo die fahrenden Ritter sich der Überlegung hingaben, welchen dieser Wege sie einschlagen sollten; und um sie nachzuahmen, hielt er eine Zeitlang still, und nachdem er äußerst gründlich überlegt hatte, ließ er dem Rosinante den Zügel frei, dem Willen des Gaules den seinigen unterordnend; der aber folgte seinem ersten Vorhaben, nämlich den Weg nach seinem Stalle zu traben. Und als er etwa zwei Meilen geritten, erschaute Don Quijote eine große Schar von Leuten, die, wie man nachher erfuhr, toledanische Kaufleute waren, welche zum Einkauf von Seide nach Murcia reisten. Es waren ihrer sechs; sie zogen daher mit ihren Sonnenschirmen nebst vier Dienern zu Pferde und drei Maultierjungen zu Fuß. Kaum erblickte die Don Quijote, als er sich einbildete, es gebe dies wiederum ein Abenteuer, und da er in allem, soviel ihm möglich schien, die Begebnisse, die er in seinen Büchern gelesen, nachahmen wollte, so meinte er, da komme ihm ein solches gerade zupaß, um es ritterlich zu bestehen. Und so, mit stattlicher Haltung und Zuversichtlichkeit, setzte er sich stramm in den Steigbügeln, faßte den Speer fest, legte die Tartsche an die Brust, und inmitten des Weges haltend, wartete er, daß jene fahrenden Ritter herannahten – denn für solche hielt und erachtete er sie selbstverständlich –, und als sie so weit herangekommen, daß sie gesehen und gehört werden konnten, erhub Don Quijote seine Stimme und sprach mit stolzem Gebaren: »Alle Welt halte still, wenn nicht alle Welt bekennt, daß es in aller Welt kein schöneres Fräulein gibt als die Kaiserin der Mancha, die unvergleichliche Dulcinea von Toboso.«

Beim Klang dieser Worte und beim Anblick der seltsamen Gestalt, die sie gesprochen hatte, hielten die Kaufleute an, und an der Gestalt und den Worten erkannten sie alsbald die Verrücktheit des Mannes, dem diese und jene angehörten. Indessen wollten sie gern ausführlicher erfahren, auf was jenes Bekenntnis abziele, das man von ihnen verlangte, und einer von ihnen, der zu Späßen gelaunt und ein äußerst gescheiter Kopf war, sprach zu ihm: »Herr Ritter, wir unsrenteils wissen nicht, wer die treffliche Dame ist, von der Ihr redet; zeigt sie uns, und wenn sie von so großer Schönheit ist, wie Ihr angebt, so werden wir gutwillig und ohne welchen Zwang das Bekenntnis der Tatsache ablegen, das uns von Eurer Seite abverlangt wird.«

»Wenn ich sie euch zeigte«, entgegnete Don Quijote, »was würdet ihr Großes damit tun, eine so offenkundige Wahrheit zu bekennen? Das Wesentliche in der Sache besteht gerade darin, daß ihr, ohne sie zu sehen, es glauben, bekennen, behaupten, beschwören und verfechten müsset; wo nicht, so seid ihr mit mir in Fehde, ungeschlachtes und übermütiges Volk; und ob ihr nun einer nach dem andern kommt, wie es die Regel des Rittertums erheischt, ob alle zusammen, wie es Gewohnheit und böslicher Brauch derer von eurem Gelichter ist, hier erwarte und erharre ich euch, vertrauend dem Rechte, das ich auf meiner Seite habe.«

»Herr Ritter«, erwiderte der Kaufmann, »ich bitt Euch flehentlich im Namen all dieser Prinzen, die wir hier sind, damit wir unser Gewissen nicht beschweren durch das Bekenntnis einer von uns nie gesehenen noch gehörten Sache, und zumal da letztere so sehr zur Beeinträchtigung der Kaiserinnen und Königinnen in den Landschaften Alcarria und Estremadura ist, daß Euer Gnaden geruhen möge, uns irgendein Bildnis dieser Dame zu zeigen, wenn es auch nur so groß wäre wie ein Weizenkorn, denn wenn man den Faden hat, kann man daran den Knäuel aufwickeln; und damit werden wir zufriedengestellt und beruhigt sein, und Euer Gnaden wird Genugtuung und Befriedigung zuteil werden. Ja, ich meine sogar, wir sind schon so sehr auf ihrer Seite, daß, wenn auch ihr Bild uns zeigen sollte, daß sie auf einem Auge schielt und aus dem andern ihr Zinnober und Schwefel fließt, wir trotz alledem, um Euer Gnaden gefällig zu sein, zu ihren Gunsten alles, was Ihr wollt, sagen werden.«

»Nicht fließt von ihr, niederträchtiges Hundegezücht«, antwortete Don Quijote von Zorn entflammt, »nicht fließt von ihr, sag ich, was ihr da saget, sondern Ambra und Moschus auf Wangen weich wie Baumwollflocken, und sie ist weder scheel noch bucklig, sondern gerader als eine Spindel vom Guadarrama-Gebirg. Ihr aber sollt die ungeheure Lästerung büßen, die ihr gegen eine solche Schönheit ausgestoßen, wie die meiner Herrin ist.

Don Quijote

Und dies sagend, stürzte er mit eingelegtem Speer auf den Sprecher los, mit solcher Wut und solchem Ingrimm, daß, wenn das gute Glück es nicht gefügt hätte, daß Rosinante auf halbem Weg strauchelte und fiel, es dem verwegenen Kaufmann übel ergangen wäre.

Rosinante stürzte, und sein Herr kugelte ein gutes Stück Weges weit über das Feld hin; er wollte sich wieder aufrichten und vermochte es nimmer; solche Hindernis und Beschwer verursachten ihm Speer, Tartsche, Sporen und Helm, nebst dem Gewicht der uralten Rüstung. Und während er sich abarbeitete, um aufzukommen, und nicht konnte, rief er in einem fort: »Fliehet nicht, feiges Volk, elendes Volk; bedenket, daß nicht durch meine Schuld, sondern die meines Pferdes ich hingestreckt hier liege.«

Einer von den mitreisenden Maultierjungen – der gewiß nicht sehr wohlgesinnt war! – konnte, als er den armen Gestürzten solch hochmütige Reden führen hörte, es nicht länger ertragen, ohne ihm die Antwort auf die Rippen zu geben. Er eilte auf ihn zu und ergriff den Speer, und nachdem er ihn in Stücke zerbrochen, begann er mit einem dieser Stücke unsrem Don Quijote so viele Prügel zu geben, daß, ungeachtet und trotz seiner Rüstung, er ihn wie Weizen im Mühltrichter zermahlte. Seine Herren riefen ihm zu, er solle ihn nicht so arg prügeln, er solle von ihm ablassen; aber der Junge war einmal im Zug und wollte das Spiel nicht aufgeben, bis er den ganzen Rest seines Zornes auf die Karte gesetzt; er machte sich an die übrigen Bruchstücke des Speeres und zerbrach sie vollends auf dem gestürzten Jammermann, der bei dem ganzen Ungewitter von Prügeln, das auf ihn regnete, den Mund keinen Augenblick schloß und Drohungen ausstieß gegen Himmel und Erde und gegen die Wegelagerer, denn für das hielt er sie.

Der Junge ward endlich müde, und die Kaufleute verfolgten ihre Straße und nahmen für den ganzen Weg Stoff zum Plaudern über den armen Prügelhelden mit. Dieser, sobald er sich allein sah, versuchte aufs neue, ob er sich aufrichten könnte; allein wenn er es nicht konnte, da er gesund und wohlbehalten, wie sollte er es jetzt tun, zerdroschen und schier in Stücke zerschlagen? Und dennoch hielt er sich beglückt, denn es bedünkte ihn, es sei dies ein Mißgeschick, wie es der Beruf fahrender Ritter mit sich bringe, und er schrieb es gänzlich der Schuld seines Rosses zu. Und bei alledem wurde es ihm nicht möglich, sich aufzurichten, so zerbleut war er am ganzen Leibe.

40. Kapitel

Worin die Geschichte des Sklaven fortgesetzt wird
Sonett

»Ihr selgen Geister, ihr vom Staubgewande
Befreit, weil ihr gewirkt fürs Rechte, Gute,
Schwangt euch vom Erdenweh, das auf euch ruhte,
Zum besten höchsten Heil der Himmelslande.

Ihr habt des Körpers Kraft gesetzt zum Pfande
Für wahre Ehr, ihr habt in hohem Mute
Gefärbt mit eignem und mit fremdem Blute
Das tiefe Meer, den Sand am Dünenstrande.

Denn eher als der Mut schwand euch das Leben,
Ihr müden Kämpfer, und die Welt verleiht euch,
Ob ihr besiegt auch seid, des Sieges Krone.

Und dieser Tod, dem ihr euch preisgegeben
Hier zwischen Wall und Feindesschwert, er weiht euch
dem Ruhm hienieden, dort dem ewgen Lohne.«

»Geradeso weiß ich es auswendig«, sagte der Sklave. »Und das Sonett auf die neue Feste, wenn ich mich recht entsinne«, sprach der Edelmann, »lautet so:

Sonett

Von diesem Strand, den Feinde ganz zertraten,
Aus diesen Türmen, die zertrümmert liegen,
Da sind zum ewgen Leben aufgestiegen
Die frommen Seelen spanischer Soldaten.

Dreitausend waren’s, die zu Heldentaten
Den Arm geübt, die nimmer laß in Kriegen,
Bis daß die kleine Schar, erschöpft vom Siegen,
Erlag, von eigner Schwäche jetzt verraten.

Dies ist der Boden, dem es ward zum Lose,
Zu bergen tausend Schmerzerinnerungen,
So in der Vorzeit wie in neusten Jahren.

Doch haben nie aus seinem harten Schoße
Sich frömmre Seelen himmelwärts geschwungen,
Nie trug er Leiber, die so tapfer waren.«

Die Sonette mißfielen nicht. Der Sklave freute sich über die guten Nachrichten, die man ihm von seinem Leidensgefährten mitteilte, und fuhr folgendermaßen in seiner Erzählung fort:

Nachdem also Goleta und die Feste eingenommen waren, machten die Türken Anstalt, Goleta zu schleifen; denn die Feste war so zugerichtet, daß nichts mehr niederzureißen übrig war. Und um es mit mehr Beschleunigung und weniger Bemühen zu bewerkstelligen, unterminierten sie den Platz von drei Seiten. Allein mit keinem ihrer Minengänge vermochten sie in die Luft zu sprengen, was als der am wenigsten starke Teil gegolten hatte, nämlich die alten Mauern; und alles, was von den neuen Festungswerken übrig war, die das »Klosterpfäfflein« erbaut hatte, stürzte mit größter Leichtigkeit zu Boden.

Endlich kehrte die Flotte triumphierend und siegreich nach Konstantinopel zurück, und wenige Monate darauf starb Uludsch-Alí, mein Herr, den man Uludsch-Alí Fartach nannte, was im Türkischen den grindigen Renegaten bedeutet; denn das war er, und es ist Sitte bei den Türken, daß sie Beinamen nach irgendeinem Körperfehler bekommen, den sie an sich tragen, oder nach einer guten Eigenschaft, die sie besitzen. Und das geschieht darum, weil es unter ihnen nur vier Familiennamen gibt, welche Geschlechtern eigen sind, die von dem Hause Osman abstammen. Die übrigen erhalten ihren Namen und Beinamen bald von den Gebrechen des Körpers, bald von den Vorzügen des Geistes. Dieser Grindkopf diente auf der Ruderbank vierzehn Jahre lang als Sklave des Großherrn, und im Alter von mehr als vierunddreißig Jahren trat er zum Islam über aus Ärger darüber, daß ein Türke ihm, während er am Ruder saß, einen Backenstreich versetzte, und um sich rächen zu können, fiel er von seinem Glauben ab. Er war ein so tapferer Held, daß er ohne die schimpflichen Mittel und Wege, durch welche die meisten Günstlinge des Großtürken emporsteigen, König von Algier wurde und dann Oberbefehlshaber zur See, was die dritthöchste Würde in jenem Reich ist. Er war Kalabrese von Geburt, und vom moralischen Standpunkt aus war er ein braver Mann und behandelte seine Sklaven, deren er zuletzt dreitausend hatte, sehr menschlich. Diese wurden, wie er es in seinem Testamente hinterließ, nach seinem Tode zwischen seinen Renegaten und dem Großherrn verteilt, welcher bei allen Sterbefällen als Sohn und Erbe angesehen wird, und zwar zu gleichen Teilen mit den übrigen Söhnen des Verstorbenen.

Ich fiel einem venezianischen Renegaten zu, der schon als Schiffsjunge in die Gefangenschaft Uludsch-Alís geraten war, und dieser hatte ihn so gern, daß er ihm unter seinen jungen Leuten am meisten Gunst erwies; aus ihm aber wurde der grausamste Renegat, den man jemals gesehen. Er hieß Hassan Agá, gelangte zu großem Reichtum und wurde König von Algier. Dorthin fuhr ich mit ihm von Konstantinopel, und da ich mich nun so nahe bei Spanien befand, war ich ganz vergnügt; nicht als ob ich daran gedacht hätte, jemandem über mein Unglück Nachricht zu geben, sondern weil ich erproben wollte, ob mir das Schicksal in Algier günstiger wäre als in Konstantinopel, wo ich schon die verschiedensten Fluchtversuche gemacht hatte, doch ohne Glück und Erfolg. In Algier dachte ich andere Mittel zu finden, um das so sehr ersehnte Ziel zu erreichen; denn nie verließ mich die Hoffnung, meine Freiheit zu erlangen; und wenn bei den Plänen, die ich ausdachte, anlegte und ins Werk setzte, der Erfolg den Absichten nicht entsprach, so verzagte ich darum nicht, sondern ersann und suchte mir eine andre Hoffnung, um mich aufrechtzuerhalten, wenn sie auch nur schwach und dürftig war. Hiermit brachte ich meine Tage hin, eingesperrt in ein Gefängnis oder Haus, welches die Türken Bagno nennen, wo sie die christlichen Sklaven einsperren, sowohl die des Königs und einiger Privatpersonen als auch die des »Lagerhauses«, was soviel bedeutet als die Sklaven des Gemeinderats, welche von der Stadt zur Ausführung der öffentlichen Arbeiten und zu andern Verrichtungen gebraucht werden. Diesen letzteren Sklaven wird es sehr schwer, ihre Freiheit zu erlangen. Denn da sie der Gemeinde gehören und keinen eignen Herrn haben, so ist niemand vorhanden, mit dem man über ihren Loskauf unterhandeln könnte, selbst wenn sie das Geld dazu hätten. In diese Bagnos, wie gesagt, pflegen einige Privatleute aus der Stadt ihre Sklaven zu bringen, besonders solche, die freigekauft werden sollen; denn an diesem Ort sind sie bequem und sicher aufgehoben, bis das Lösegeld eintrifft. Auch die Sklaven des Königs, die freigekauft werden sollen, gehen nicht mit der übrigen Mannschaft zur öffentlichen Arbeit, außer wenn ihr Lösegeld zu lange ausbleibt; denn dann läßt man sie arbeiten und mit den andern nach Holz gehen und so schwer arbeiten, daß sie um so dringender um Geld schreiben.

Ich nun war einer von denen, deren Loskauf für sicher galt. Da man nämlich wußte, daß ich Hauptmann war, so half es mir nichts, daß ich mein Unvermögen und meine Armut schilderte, und es hinderte nicht, daß ich unter die Zahl derer gesetzt wurde, deren Loskauf in Aussicht stand. Man legte mir eine Kette an, mehr zum Zeichen, daß ich zum Loskauf bestimmt sei, als um mich damit sicherer festzuhalten; und so lebte ich in diesem Bagno mit vielen anderen Edelleuten und vornehmen Herren, die zur Auslösung bestimmt waren oder für vermögend dazu gehalten wurden. Und obschon wir häufig, ja fast beständig unter Hunger und Blöße zu leiden hatten, so litten wir doch am meisten darunter, daß wir jeden Augenblick die nie erhörten und nie gesehenen Grausamkeiten hören und sehen mußten, die mein Herr gegen die Christen verübte. Er ließ jeden Tag seinen Mann aufknüpfen, ließ den einen pfählen, dem andern die Ohren abschneiden, und dies aus so geringfügigem Grunde oder so gänzlich ohne Grund, daß sogar die Türken einsahen, er tue es nur um des Tötens willen und weil er von Natur darauf angelegt war, der Schlächter des ganzen Menschengeschlechtes zu sein.

Nur ein einziger Soldat kam gut mit ihm aus, ein gewisser de Saavedra. Obschon dieser vieles gewagt hatte, was lange Jahre im Angedenken der Leute dort leben wird, und alles nur, um seine Freiheit zu erringen, so gab der Herr ihm nie einen Schlag und ließ ihm nie einen geben, noch sagte er ihm je ein böses Wort; und doch fürchteten wir, schon für den geringsten all der Streiche, die er verübte, er werde gepfählt werden, und er selbst fürchtete es mehr als einmal. Wenn ich es nicht unterlassen müßte, weil die Zeit es nicht vergönnt, würde ich sofort einiges davon erzählen, was jener Soldat getan, und dies würde euch vermutlich besser unterhalten und in größere Verwunderung setzen als meine eigene Geschichte.

Ich berichte also weiter: Auf unsern Gefängnishof gingen von oben her die Fenster des Hauses eines reichen und vornehmen Mauren, welche, wie bei diesem Volke bräuchlich, eher Gucklöcher als Fenster waren, und selbst diese waren mit engen, dichten Gittern versehen. Eines Tages geschah es nun, daß ich und drei Gefährten auf einer Böschung im Hofe unseres Gefängnisses uns zum Zeitvertreib darin versuchten, mit den Ketten zu springen; wir waren allein, denn die andern Christen waren alle draußen bei der Arbeit. Da erhob ich zufällig die Augen und sah, daß aus jenen vergitterten Fensterchen, die ich erwähnte, ein Rohrstab zum Vorschein kam, an dessen Ende ein Linnentuch geknüpft war; der Stab schwankte und bewegte sich hin und her, als wolle er ein Zeichen geben, wir sollten uns nähern und ihn in Empfang nehmen. Wir überlegten uns die Sache, und einer meiner Genossen ging hin und stellte sich unter den Rohrstab, um zu sehen, ob man ihn fallen lasse, oder was sonst damit geschehen möchte; aber sobald er hinzutrat, wurde der Stab aufwärtsgezogen und hin und her bewegt, gerade als ob man mit dem Kopf nein geschüttelt hätte. Der Christ ging zurück, und der Stab wurde wieder heruntergelassen und machte dieselben Bewegungen wie vorher. Ein anderer von meinen Gefährten ging hin, und es geschah ihm dasselbe wie dem ersten. Endlich ging der dritte hin, und es ging ihm wie dem ersten und zweiten. Als ich dies sah, wollte ich nicht unterlassen, ebenfalls mein Glück zu versuchen, und sowie ich mich näherte und mich unter den Rohrstock stellte, ließ man ihn fallen, und er fiel zu meinen Füßen mitten in das Bagno. Ich eilte sogleich, das Tuch loszubinden, und sah einen Knoten daran, und in demselben befanden sich zehn Cianís; es sind dies Münzen von geringhaltigem Golde, die bei den Mauren in Umlauf sind, jeder im Wert von zehn Realen unseres Geldes. Ob ich mich über den Fund freute, brauche ich wohl nicht zu sagen. Jedenfalls war meine Freude so groß wie meine Verwunderung, wenn ich nachdachte, woher dies Glück uns kommen konnte, oder vielmehr mir; denn der Umstand, daß man den Rohrstab keinem als mir herunterwerfen wollte, war ein Zeichen, das deutlich erwies, daß mir allein die Wohltat zugedacht war. Ich nahm mein schönes Geld, zerbrach den Stab in Stücke, kehrte auf die Böschung zurück, blickte nach dem Fenster und sah daraus eine weiße Hand zum Vorschein kommen, die das Fenster öffnete und rasch wieder schloß. Hieraus folgerten wir oder vermuteten wenigstens, die Wohltat müsse von einem Weibe kommen, das in diesem Haus wohne; und zum Zeichen unsrer Dankbarkeit machten wir Salemas nach maurischem Brauch, indem wir das Haupt neigten, den Körper vorwärts bogen und die Arme über die Brust kreuzten. Kurz darauf wurde ein kleines, aus Stäbchen verfertigtes Kreuz zum Fenster herausgehalten und gleich wieder zurückgezogen. Dieses Zeichen bestärkte uns in der Meinung, in diesem Hause müsse sich eine Christin als Sklavin befinden und sie sei es, die uns die Wohltat erwiesen habe. Aber das schneeige Weiß ihrer Hand und die Spangen, die wir an dieser sahen, ließen alsbald diese Vermutung als nichtig erscheinen, wiewohl wir uns nunmehr dem Gedanken hingaben, es müsse eine von ihrem Glauben abgefallene Christin sein; solche werden von ihren eigenen Herren häufig zu rechtmäßigen Ehefrauen genommen und halten dies sogar für ein Glück, weil geborne Christinnen bei ihnen in höherer Achtung stehen als die Weiber aus ihrem eigenen Volk. Indessen bei all unsern Mutmaßungen trafen wir weitab von der Wirklichkeit.

Von da an bestand unsre ganze Unterhaltung darin, nach dem Fenster zu blicken und es als unsern Glückspol zu betrachten, dies Fenster, wo uns der Stern des Rohrstabes erschienen war; allein es vergingen volle vierzehn Tage, daß wir ihn nicht zu Gesicht bekamen, und ebensowenig die Hand noch sonst ein Zeichen. Und obwohl wir während dieser Zeit uns mit allem Eifer bemühten zu erfahren, wer in jenem Hause wohne und ob etwa in demselben eine zum Islam übergetretene Christin weile, fanden wir niemand, der uns etwas anderes sagte, als daß in dem Haus ein reicher und vornehmer Maure lebte, namens Hadschí Murad, welcher Befehlshaber der Festung Pata gewesen war, was bei ihnen ein hochangesehenes Amt ist. Aber als wir uns dessen am wenigsten versahen, daß es dort wieder Cianís regnen würde, sahen wir unvermutet den Rohrstab zum Vorschein kommen und ein andres Linnentuch daran mit einem dickeren Knoten; und dies geschah zur Zeit, wo das Bagno gerade wie das letztemal einsam und menschenleer war. Wir wiederholten den früheren Versuch, indem von uns jeder vor mir hinzutrat; aber erst mir ward der Stab zuteil; denn erst als ich mich näherte, ließ man ihn fallen. Ich löste den Knoten und fand darin vierzig spanische Goldtaler, einen Brief in arabischer Sprache geschrieben und mit einem großen Kreuz unter der Schrift. Ich küßte das Kreuz, nahm die Taler und kehrte auf die Böschung zurück. Wir machten alle unsre Salemas, die Hand zeigte sich abermals, ich deutete durch Zeichen an, daß ich den Brief lesen würde; das Fenster schloß sich.

Wir standen alle da in Staunen und Freude ob des Vorfalls, und da keiner von uns Arabisch verstand, so war zwar unser Verlangen groß, den Inhalt des Briefes zu erfahren, aber noch größer die Schwierigkeit, jemanden zu finden, der ihn uns vorlesen konnte. Endlich kam ich zu dem Entschluß, mich einem Renegaten aus Murcia anzuvertrauen, der sich stets für einen treuen Freund von mir erklärt und mir im stillen hinreichende Unterpfänder gegeben hatte, die ihn nötigten, jedes Geheimnis treu zu wahren, was ich ihm anvertrauen würde. Manche Renegaten pflegen, wenn sie die Absicht haben, in ein christliches Land zurückzukehren, Bescheinigungen vornehmer Gefangener bei sich zu tragen, worin die letztern in bestmöglicher Form bezeugen, daß der fragliche Renegat ein rechtschaffener Mann sei, der Christen immer Gutes erwiesen habe und den Wunsch hege, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu entweichen. Einige unter ihnen lassen sich diese Bescheinigungen in redlicher Absicht geben, andre aber nur aus Berechnung; denn wenn sie gekommen sind, um ein Christenland zu plündern, und etwa Schiffbruch erleiden oder in Gefangenschaft geraten, so ziehen sie ihre Bescheinigungen hervor und sagen, man werde aus diesen Papieren ersehen, in welcher Absicht sie gekommen seien, nämlich im Christenlande zu bleiben, und deshalb seien sie mit den türkischen Kreuzern auf die Fahrt gegangen. Damit retten sie sich vor dem ersten Ungestüm der Gegner. Dann versöhnen sie sich mit der Kirche, ohne daß ihnen etwas Unangenehmes geschieht, und wenn sie ihre Gelegenheit ersehen, kehren sie nach der Berberei zurück und werden wieder, was sie vorher waren.

Andre gibt es, die solche Papiere in redlicher Absicht sich verschaffen und benutzen und im Christenlande bleiben. Nun war mein Freund einer dieser letzteren Renegaten; er besaß Bescheinigungen von allen unsern Gefährten, worin wir ihn aufs beste empfahlen; und hätten die Mauren diese Papiere bei ihm gefunden, so hätten sie ihn lebendig verbrannt. Ich hatte in Erfahrung gebracht, daß er sehr gut Arabisch verstand und es nicht nur sprechen, sondern auch schreiben konnte. Aber ehe ich mich ihm ganz entdeckte, bat ich ihn, mir dies Papier vorzulesen, das ich zufällig in einem Mauerloch meiner Schlafstelle gefunden hätte. Er öffnete es und war eine Zeitlang damit beschäftigt, es durchzusehen und den Sinn herauszubringen, wobei er unverständlich vor sich hinmurmelte. Ich fragte ihn, ob er es verstehe; er antwortete mir: »Sehr gut«, und wenn er es mir Wort für Wort übersetzen solle, so möchte ich ihm Tinte und Feder geben, damit er die Arbeit besser machen könne. Wir gaben ihm das Gewünschte auf der Stelle, er ging langsam und bedächtig ans Übersetzen, und als er fertig war, sprach er: »Was hier auf spanisch zu lesen ist, das alles steht in diesem maurischen Briefe, ohne daß ein Buchstabe daran fehlt, und überall, wo steht, ›Lela Marién‹, heißt dies soviel wie ›Unsere Liebe Frau, die Jungfrau Maria‹.«

Wir lasen den Brief, und er lautete so:

Als ich noch ein Kind war, hatte mein Vater eine Sklavin, welche mich das christliche Gebet in meiner Muttersprache lehrte und mir vieles von Lela Marién sagte. Die Christin ist gestorben und ist nicht ins Ewige Feuer gekommen, sondern zu Allah, denn sie ist mir seitdem zweimal erschienen, und sie sagte mir, ich möchte in ein Christenland gehen, um Lela Mariéns Anblick zu genießen, die mich sehr liebhabe. Ich weiß nicht, wie ich hinkommen soll. Ich habe aus diesem Fenster viele Christen gesehen, aber keiner schien mir ein Edelmann als du allein. Ich bin sehr schön und jung und habe vieles Geld zum Mitnehmen. Sieh zu, ob du ein Mittel findest, wie wir fort können, und dorten sollst du mein Ehemann werden, wenn du willst; willst du aber nicht, so macht es mir nichts aus; denn Lela Marién wird mir schon einen Gemahl verschaffen. Ich habe dies geschrieben, erwäge sorgsam, wem du es zu lesen gibst. Verlaß dich auf keinen Mauren, denn sie sind alle Schurken. Darob habe ich große Bekümmernis, weil ich wünschte, du möchtest dich keinem entdecken; denn wenn mein Vater es erfährt, wird er mich gleich in einen Brunnen werfen und mich mit Steinen verschütten. An den Rohrstab werde ich einen Faden knüpfen, daran binde deine Antwort; und wenn du keinen hast, der sie dir auf arabisch niederschreibt, so sage mir alles durch Zeichen; Lela Marién wird schaffen, daß ich dich verstehe. Sie und Allah mögen dich behüten, so auch dieses Kreuz, welches ich vielmals küsse, denn so lehrte mich’s die Sklavin.

Nun erwägt, meine Herren und Damen, ob wir Gründe hatten, uns gründlich zu freuen und uns höchlich zu verwundern ob der Mitteilung dieses Briefes. Und in der Tat, beides geschah in so lebhafter Weise, daß der Renegat klar ersah, nicht zufällig sei der Brief gefunden, sondern in Wirklichkeit einem von uns geschrieben worden. Er bat uns demnach, wenn seine Vermutung zutreffe, möchten wir uns ihm anvertrauen und ihm alles mitteilen; denn er werde sein Leben an unsre Befreiung setzen. Und dies sagend, zog er aus dem Busen ein metallenes Kruzifix und schwur mit reichlichen Tränen bei dem Gott, den dieses Bildnis vorstelle und an den er, obschon ein Sünder und Missetäter, aufrichtig und fest glaube, uns in allem, was wir ihm nur immer entdecken wollten, Treue und Verschwiegenheit zu bewahren. Denn es bedünke ihn, ja er ahne, daß die Schreiberin dieses Briefes das Werkzeug sein werde, ihm und uns allen die Freiheit zu verschaffen, ihn aber insbesondere an das Ziel zu bringen, das er zumeist ersehne, nämlich in den Schoß der heiligen Mutter Kirche zurückzukehren, von welcher er durch seine Unwissenheit und Sündhaftigkeit wie ein faules Glied abgetrennt und geschieden sei. Unter so viel Tränen und Zeichen so tiefer Reue sagte dies der Renegat, daß wir alle einmütigen Sinnes beschlossen, ihm die volle Wahrheit zu offenbaren, und so gaben wir ihm ausführlichen Bericht, ohne ihm das geringste zu verschweigen. Wir zeigten ihm das Fensterchen, aus welchem der Stab zum Vorschein kam; er merkte sich von hier aus das Haus und nahm sich vor, mit größter Beflissenheit Erkundigung einzuziehen, wer darin wohne. Auch kamen wir überein, daß es angemessen sei, den Brief der Maurin zu beantworten, und da wir in ihm den Mann hatten, der dazu imstande war, so schrieb der Renegat auf der Stelle nieder, was ich ihm angab; es waren genau die Worte, die ich euch sagen werde, denn von allem Wesentlichen, was mir im Verlauf dieser Geschichte begegnete, ist nichts meinem Gedächtnis entschwunden und wird ihm nicht entschwinden, solange ich des Lebens genieße. Was also der Maurin zur Antwort wurde, war das Folgende:

Der wahre Allah behüte dich und jene gebenedeite Lela Marién, welche die wahre Mutter Gottes und die nämliche ist, die es dir ins Herz gelegt, nach christlichen Landen zu ziehen, weil sie dich innig liebt. Bitte du sie, sie wolle dir gnädigst eingeben, wie du ins Werk setzen mögest, was sie dir gebeut; sie ist so voller Güte, daß sie es gewiß tun wird. Meinerseits, wie von seiten all der Christen, die sich mit mir hier befinden, biete ich dir an, alles, was in unsern Kräften steht, für dich zu tun, und sollte es uns das Leben kosten. Unterlaß nicht, zu schreiben und mir Nachricht zu geben, was du zu tun gedenkst. Ich werde dir stets antworten; denn der große Allah hat uns einen Christensklaven zur Seite gegeben, der deine Sprache so gut spricht und schreibt, wie du aus diesem Briefe ersehen wirst. So kannst du uns denn ohne Besorgnis von allem, was du willst, Kunde geben. Auf deine Äußerung: wenn du in Christenlande gelangtest, wollest du mein Weib werden – das verspreche ich dir als ein guter Christ, und wisse, daß die Christen ihre Versprechungen besser halten als die Mauren. Allah und seine Mutter Marién mögen dich in ihre Hut nehmen, meine Herrin.

Als dieser Brief geschrieben und verschlossen war, wartete ich zwei Tage, bis das Bagno menschenleer war wie so häufig, und dann begab ich mich sogleich zum gewohnten Gang auf die Böschung, um zu sehen, ob der Stab zum Vorschein komme; und wirklich zögerte er nicht lange, sich zu zeigen. Sobald ich ihn erblickte, obschon ich nicht sehen konnte, wer ihn heraushielt, zeigte ich den Brief, womit ich zu verstehen geben wollte, man solle den Faden daran befestigen; aber er hing bereits am Stabe herab, und ich band den Brief an den Faden. Bald darauf erschien aufs neue unser Stern mit dem weißen Friedensbanner des Bündelchens. Man ließ es herunterfallen, ich hob es auf und fand in dem Tuche mehr als fünfzig Taler an silberner und goldener Münze von aller Art, welche mehr als fünfzigmal unsre Freude verdoppelten und unsre Freiheitshoffnung kräftigten.

Am nämlichen Abend kam der Renegat wieder und sagte uns, er habe erfahren, daß in diesem Haus der nämliche Maure wohne, von dem man uns schon gesagt hatte, daß er Hadschí Murad heiße, ein außerordentlich reicher Mann; dieser besitze eine einzige Tochter, die Erbin seines ganzen Vermögens, und sie gelte in der ganzen Stadt als das schönste Weib in der ganzen Berberei; viele von den hieherkommenden Unterkönigen hätten sie zur Ehefrau begehrt, sie hätte sich aber niemals verheiraten wollen. Auch habe er gehört, daß sie eine Christensklavin gehabt, diese sei jedoch schon gestorben. Dies alles stimmte mit dem Inhalt des Briefes überein.

Wir traten sogleich mit dem Renegaten in Beratung darüber, welches Verfahren einzuschlagen sei, damit wir die Maurin entführen und selber alle auf christliches Gebiet entkommen könnten, und endlich einigten wir uns für jetzt dahin, eine zweite Nachricht von Zoraida abzuwarten, so nämlich hieß sie, die sich jetzt Maria nennen will. Denn wir sahen ein, daß sie allein und niemand sonst imstande sei, uns die Besiegung all dieser Schwierigkeiten zu ermöglichen. Nachdem wir alle so übereingekommen, sagte der Renegat, wir möchten unbesorgt sein, er wolle sein Leben daransetzen, uns die Freiheit zu verschaffen.

Vier Tage hindurch war das Bagno voller Leute, was der Grund war, daß vier Tage lang der Stab sich nicht sehen ließ. Nach Verfluß derselben kam er während der gewohnten Einsamkeit des Bagnos wieder zum Vorschein mit einem Bündel, das so schwangeren Leibes war, daß es uns eine höchst glückliche Geburt verhieß. Wie früher neigten sich der Stab und das Bündel zu mir hernieder; ich fand darin wieder einen Brief und hundert Goldtaler ohne irgendeine andre Münze. Der Renegat war in der Nähe, wir begaben uns in unser Gefängnis, da ließen wir ihn den Brief lesen, und nach Angaben des Renegaten lautete er folgendermaßen:

Ich weiß nicht, mein Gebieter, wie ich es anfangen soll, daß wir nach Spanien gelangen; auch hat Lela Marién mir es nicht gesagt, obschon ich sie darum befragt habe. Ich kann Euch nur aus diesem Fenster möglichst viel Goldstücke zuwerfen, damit könnt Ihr Euch und Eure Freunde loskaufen; und einer soll nach einem Christenlande gehen und dort eine Barke kaufen und zurückkehren, um die andern abzuholen. Mich wird man im Garten meines Vaters finden, der vor dem Tore Babazón nahe an der See liegt, wo ich diesen ganzen Sommer mit meinem Vater und meinen Dienern zubringen werde; von dort könnt Ihr mich nachts ohne Gefahr entführen und nach der Barke bringen. Und vergiß nicht, daß du mein Gemahl werden sollst, wo nicht, werde ich Marién bitten, daß sie dich bestraft. Wenn du zu keinem das Vertrauen hast, daß er den Ankauf der Barke besorge, so kaufe dich los und besorge es selbst; denn ich weiß, du wirst sicherer als jeder andre zurückkehren, da du ein Edelmann und Christ bist. Sorge dafür, daß du den Garten erfährst, und sobald du wieder hier auf und ab wandelst, werde ich daraus ersehen, daß das Bagno leer ist, und werde dir viel Geld geben. Allah behüte dich, mein Gebieter.

Dieses stand im zweiten Briefe, dieses war sein Inhalt, und kaum hatten alle es vernommen, als ein jeder sich zum Loskauf drängte und versprach, hinzuziehen und mit aller Pünktlichkeit wiederzukehren. Auch ich erbot mich dazu. Allein der Renegat widersetzte sich allen derartigen Vorschlägen, indem er bemerkte, unter keiner Bedingung würde er dareinwilligen, daß einer frei werde, bis alle zusammen von dannen ziehen könnten; denn die Erfahrung habe ihn belehrt, wie schlecht die Freigewordenen ihr in der Gefangenschaft gegebenes Wort hielten. Oft hätten vornehme Personen unter den Gefangenen dieses Mittel angewendet, indem sie einen loskauften, damit er nach Valencia oder Mallorca gehe, mit hinreichendem Gelde versehen, um eine Barke auszurüsten und seine Befreier abzuholen; und nie seien sie zurückgekehrt, denn die erlangte Freiheit und die Furcht, sie wieder zu verlieren, löschten ihnen jede dankbare Verpflichtung aus dem Gedächtnis. Und zur Bekräftigung seiner Behauptung erzählte er uns in aller Kürze einen Fall, der sich gerade um diese Zeit mit christlichen Edelleuten zugetragen, den seltsamsten Fall, der je in diesen Landen vorgekommen, wo doch jeden Augenblick die staunenswertesten und wundersamsten Dinge sich ereignen. Endlich rückte er mit dem Rate heraus: was man tun könne, sei, ihm das Geld, das zum Loskauf eines Christen nötig sei, zu geben, um hier in Algier eine Barke anzuschaffen unter dem Vorwand, daß er Kaufmann werden und zu Tetuan und an der ganzen Küste Handel treiben wolle, und wenn er einmal Eigentümer der Barke sei, so falle es leicht, einen Plan zu entwerfen, wie man sie aus dem Bagno entführen und alle zu Schiff bringen könne, zumal wenn die Maurin, wie sie sage, Geld gebe, um sie alle loszukaufen. Denn sobald sie frei seien, würde es das leichteste Ding von der Welt sein, sich sogar mitten am Tage einzuschiffen. Die größte Schwierigkeit indessen bestehe darin, daß die Mauren einem Renegaten nicht gestatten, ein Schiff zu kaufen oder zu besitzen, außer einem großen Kaperkreuzer. Denn sie fürchten, daß, wer eine Barke kauft, besonders wenn es ein Spanier ist, sie nur zu dem Zweck haben will, um auf christliches Gebiet zu entkommen. Er aber werde diesem Übelstand dadurch abhelfen, daß er zusammen mit einem tagarinischen Mauren eine Barke kaufe und ihn am Gewinn des Handels beteilige, und unter diesem Deckmantel würde er doch zuletzt allein der Herr des Schiffes sein, womit sich alles übrige von selbst ausführen lasse.

Obwohl es nun mir und meinen Gefährten besser schien, jemanden nach Mallorca zu senden, um dort, wie es die Maurin gewünscht; eine Barke zu holen, so wagten wir ihm doch nicht zu widersprechen, da wir fürchteten, wenn wir seinen Vorschlag ablehnten, könne er unser Geheimnis verraten und uns gar in Lebensgefahr bringen, falls er den Verkehr mit Zoraida offenbarte, für deren Leben wir alle das unsre gegeben hätten. So beschlossen wir denn, uns der Hand Gottes und des Renegaten anheimzugeben, und im nämlichen Augenblick antworteten wir auch Zoraida, wir würden alles tun, was sie anrate, denn sie habe so gute Vorschläge gemacht, als hätte Lela Marién es ihr eingegeben, und von ihr allein hänge es jetzt ab, die Sache zu verschieben oder sie sogleich ins Werk zu setzen. Ich erbot mich aufs neue, ihr Gemahl zu werden, und hierauf gab sie uns am folgenden Tage, wo das Bagno zufällig menschenleer war, in verschiedenen Sendungen mit Hilfe des Stabes und des Tüchleins zweitausend Goldtaler und dabei einen Brief, in dem sie sagte, am nächsten Dschuma, das heißt Freitag, werde sie in den Garten ihres Vaters hinausziehen, und bevor sie dahin gehe, werde sie uns noch mehr Geld geben. Wenn das nicht hinreichend sei, so möchten wir es ihr mitteilen, und sie würde uns geben, soviel wir von ihr verlangten; ihr Vater sei so reich, daß er es nicht vermissen werde, um so mehr, da sie die Schlüssel zu allem habe.

Wir gaben dem Renegaten sogleich fünfhundert Goldtaler, um die Barke zu kaufen; mit achthundert verschaffte ich mir selbst meine Freiheit, indem ich das Geld einem valencianischen Kaufmanne gab, der sich um diese Zeit in Algier befand und mich vom Könige loskaufte. Er sagte gut für mich und setzte sein Wort zum Pfande, daß er bei der Ankunft des nächsten Schiffes aus Valencia mein Lösegeld bezahlen werde. Denn hätte er das Geld auf der Stelle gegeben, so hätte dies beim Könige den Verdacht erweckt, daß mein Lösegeld sich schon seit langer Zeit in Algier befinde und der Kaufmann es geheimgehalten habe, um Geschäfte zu machen. Kurz, mein Herr war so voller Ränke und Kniffe, daß ich unter keiner Bedingung es wagen mochte, ihn das Geld sofort einstecken zu lassen.

Am Donnerstag, ehe die schöne Zoraida den Garten beziehen sollte, gab sie uns wiederum tausend Goldtaler, benachrichtigte uns von ihrer Übersiedlung und bat mich, sobald ich mich loskaufe, solle ich den Garten ihres Vaters erkunden und jedenfalls Gelegenheit suchen, hinzukommen und sie zu sprechen. Ich antwortete ihr mit wenigen Worten, ich würde es tun, und sie möchte nicht unterlassen, uns mit all jenen Gebeten, welche die Sklavin sie gelehrt, in Lela Mariéns Schutz zu befehlen. Hierauf wurde Anstalt getroffen, daß meine drei Gefährten sich ebenfalls loskauften, sowohl um ihnen das Verlassen des Bagnos zu ermöglichen als auch um zu verhüten, daß, wenn sie mich frei sähen und sich selber nicht, obwohl Geld dazu vorhanden war, sie nicht etwa in Aufregung geraten und der Teufel sie verleiten möchte, etwas zu Zoraidas Nachteil zu tun. Denn obschon der Umstand, daß sie Leute von gutem Hause waren, mich vor dieser Besorgnis sicherzustellen schien, so wollte ich trotzdem die ganze Sache nicht aufs Ungefähr hin wagen, und so ließ ich sie auf die nämliche Weise loskaufen wie mich selbst, indem ich das ganze Geld dem Kaufmann übergab, damit er mit um so größerer Sicherheit und Beruhigung die Bürgschaft übernehmen könne; jedoch vertrauten wir ihm wegen der damit verbundenen Gefahr nie unser Einverständnis und Geheimnis an.

35. Kapitel

Welches von dem erschrecklichen und ungeheuerlichen Kampf handelt, den Don Quijote gegen Schläuche roten Weines bestand, und wo ferner die Novelle vom törichten Vorwitz beendet wird

Es blieb wenig mehr von der Novelle zu lesen übrig, als aus der Kammer, wo Don Quijote ruhte, Sancho Pansa in heller Aufregung herausstürzte und laut schrie: »Kommt, ihr Herren, eilig herbei und helft meinem Herrn, der in den hitzigsten und hartnäckigsten Kampf verstrickt ist, den meine Augen je gesehen. So wahr Gott lebt, er hat dem Riesen, dem Feinde der Prinzessin Míkomikona, einen Schwerthieb versetzt, der ihm den Kopf dicht am Rumpf abgehauen hat, als war’s eine Rübe!«

»Was sagst du, guter Freund?« sprach der Pfarrer, hörte auf und ließ den Rest der Novelle ungelesen; »bist du bei Sinnen, Sancho? Wie zum Teufel ist möglich, was du sagst, da der Riese zweitausend Meilen von hier entfernt ist?«

Indem vernahmen sie einen gewaltigen Lärm in der Kammer und hörten Don Quijote schreien: »Halt, Räuber, Wegelagerer, Schurke, hier halt ich dich fest, und dein krummer Säbel soll dir nicht helfen!«

Dabei klang es, als führte er mächtige Schwerthiebe gegen die Wände, und Sancho sprach: »Steht doch nicht da und horcht, das ist nicht nötig; geht lieber hinein und bringt sie auseinander oder steht meinem Herrn bei, obwohl das nicht mehr nötig sein wird; denn ohne Zweifel ist der Riese schon tot und gibt jetzt Gott Rechenschaft für sein bisheriges Lasterleben. Ich sah ja das Blut auf dem Boden fließen und den Kopf abgesäbelt seitwärts liegen, der ist so lang und breit wie ein großer Weinschlauch.«

»Ich will des Todes sein«, sprach jetzo der Schenkwirt, »wenn der Herr Quijote oder der Herr Gottseibeiuns nicht mit seinem Schwert auf einen der Schläuche roten Weines eingehauen, hat, die am Kopfende seines Lagers hängen, und der ausgelaufene Wein war es gewiß, der dem guten Kerl da wie Blut vorkam.«

Mit diesen Worten ging er in die Kammer und alle ihm nach, und sie fanden Don Quijote im seltsamsten Aufzug von der Welt. Er stand im Hemde da, und dieses war nicht so lang, daß es ihm von vorn die Schenkel gänzlich bedeckt hätte, während es hinten noch sechs Fingerbreit kürzer war; die Beine waren sehr lang und hager und mit Haaren bedeckt und keineswegs sauber; auf dem Kopfe hatte er ein schmieriges rotes Käppchen, das dem Wirt gehörte; um den linken Arm hatte er jene Bettdecke gewickelt, gegen welche Sancho besonderen Groll trug – und er wußte warum –, und in der Rechten hielt er das entblößte Schwert, hieb damit nach allen Seiten hin und führte Reden, als wäre er wirklich im Kampf mit einem Riesen begriffen. Und das Beste dabei war, daß seine Augen nicht offen waren, denn er war noch im Schlafe und träumte nur, er sei im Gefecht mit dem Riesen. Seine Einbildung von dem Abenteuer, das er zu bestehen im Begriff war, war so mächtig angespannt, daß sie ihn träumen ließ, er sei im Königreich Mikomikón angekommen und stehe bereits im Kampf mit seinem Feinde. Er hatte so viele Schwerthiebe auf die Schläuche geführt, im Glauben, er führe sie auf den Riesen, daß das ganze Gemach voll Weines stand. Als der Wirt das sah, geriet er in solche Wut, daß er sich auf Don Quijote stürzte und ihm mit geballter Faust zahllose Püffe versetzte, die, wenn Cardenio und der Pfarrer den Ritter nicht von ihm weggerissen, alsbald dem Kampf mit dem Riesen ein Ende gemacht hätten. Und trotz alledem wurde der arme Ritter nicht wach, bis der Barbier einen großen Kessel mit kaltem Wasser aus dem Brunnen herbeibrachte und ihn dem Ritter mit einem Guß über den ganzen Körper schüttete. Davon endlich erwachte Don Quijote, doch nicht zu so vollem Bewußtsein, daß er innegeworden wäre, in welchem Aufzuge er dastand.

Don Quijote

Dorotea, die sah, wie kurz und leicht bekleidet er war, wollte nicht eintreten, um dem Gefecht ihres Kämpen mit ihrem Widersacher zuzuschauen. Sancho suchte auf dem ganzen Boden herum nach dem Kopfe des Riesen, und da er ihn nicht fand, sagte er: »Ich sehe schon, was nur immer an dies Haus anrührt, sind lauter Zaubergeschichten. Neulich, an der nämlichen Stelle, wo ich jetzo stehe, haben sie mir eine Menge Maulschellen und Faustschläge versetzt, ohne daß ich wußte wer, und ich konnte mein Lebtag keinen Täter erblicken; und jetzt ist der Kopf hier nirgends zu finden, den ich doch mit meinen allereigensten Augen habe abhauen sehen, und das Blut lief aus dem Körper heraus wie aus einem Springbrunnen.«

»Von was für Blut, was für Springbrunnen redest du, du Feind Gottes und seiner Heiligen?« rief der Wirt. »Siehst du nicht, Spitzbube, daß das Blut und der Brunnen nichts andres sind als diese Schläuche, die da durchlöchert liegen, und der rote Wein, der hier in der Kammer schwimmt? Wofür ich dessen Seele in der Hölle schwimmen sehen möchte, der sie zerlöchert hat!«

»Ich weiß von nichts«, entgegnete Sancho, »ich weiß nur, daß ich am Ende so ins Pech gerate, daß mir, wenn ich den Kopf nicht finde, meine Grafschaft wie Salz im Wasser vergehen wird.«

So war es mit Sancho im Wachen ärger als mit seinem Herrn im Schlafe; in solcher Geistesverwirrung hielten ihn die Versprechungen seines Herrn befangen.

Der Wirt war ganz in Verzweiflung ob der Gelassenheit des Dieners und der Übeltaten des Herrn und schwur hoch und heilig, diesmal solle es nicht gehen wie das letztemal, wo sie ihm ohne Zahlung davongelaufen, und jetzo sollten dem Don Quijote die Vorrechte seiner Ritterschaft nicht darüber hinweghelfen, die alte und die neue Rechnung zu bezahlen, ja, alles bis auf die etwaigen Kosten für die Flicken, die man in die zerlöcherten Schläuche einsetzen müsse. Der Pfarrer hielt Don Quijote mit beiden Händen fest, und dieser, in der Überzeugung, er habe das Abenteuer bereits zu Ende geführt und befinde sich vor der Prinzessin Míkomikona, beugte die Knie vor dem Pfarrer und sprach: »Wohl mag Eure Hoheit, erhabene und weitberufene Herrin, von heute an inskünftig in Sicherheit davor leben, daß dies bösartige Geschöpf Hochderoselben Böses zufüge; und auch ich bin hinfüro des Wortes quitt, so ich Euch gegeben, sintemal ich selbiges mit Gottes Hilfe und durch die Gunst jener Herrin, durch die ich lebe und atme, so völlig erfüllt habe.«

»Hab ich’s nicht gesagt?« sprach Sancho, als er das hörte, »ja freilich; denn ich war nicht betrunken. Seht mir nun, ob mein Herr den Riesen nicht schon eingesalzen hat! Ich hab nun mein Schäfchen im trocknen, mit meiner Grafschaft ist’s in der Ordnung!«

Wer hätte nicht lachen müssen über die Narretei von Herr und Diener! Und sie lachten alle, nur nicht der Wirt, der des Teufels werden wollte. Indessen gaben sich der Barbier, Cardenio und der Pfarrer so viel Mühe, daß sie zuletzt, freilich mit nicht geringer Anstrengung, Don Quijote ins Bett brachten, und dieser schlief sogleich wieder ein, unter Zeichen übergroßer Erschöpfung.

Sie ließen ihn denn schlafen und gingen hinaus ans Tor der Schenke, um Sancho Pansa zu trösten, daß er den Kopf des Riesen nicht gefunden; jedoch hatten sie noch weit mehr zu tun, um den Wirt zu besänftigen, der über das plötzliche Hinscheiden seiner Schläuche in Verzweiflung war. Die Wirtin aber schrie und jammerte: »Ja, zur Unglückszeit und zur unseligsten Stunde ist dieser fahrende Ritter in mein Haus gekommen! Hätte ich ihn doch nie mit Augen gesehen, ihn, der mich so teuer zu stehen kommt! Das letztemal machte er sich auf und davon mit den Kosten für einen Tag Essen, Bett, Stroh und Futter für ihn und für seinen Schildknappen und einen Gaul und einen Esel und sagte, er sei ein abenteuernder Ritter – und möge Gott ihn in lauter abenteuerlichem Pech sieden lassen, ihn und alle Abenteurer, die es auf Erden gibt –, und deshalb sei er nicht verbunden, etwas zu zahlen; denn so stehe es im Zolltarif der fahrenden Ritter. Und seinetwegen ist kürzlich der andre Herr gekommen und hat mir meinen Schwanz mit fortgenommen und hat ihn mir um mehr als zwei Pfennige Minderwert zurückgebracht, die Haare ganz ausgerauft, daß er nicht mehr dazu zu gebrauchen ist, wozu ihn mein Mann haben will; und zum Schluß und Ende von allem werden mir meine Schläuche zerrissen und mein Wein mir ausgegossen. Oh, wenn es doch sein Blut wäre! Aber bei den Gebeinen meines Vaters und meiner Mutter Seligkeit, er soll es mir auf Heller und Pfennig bezahlen, oder ich müßte nicht heißen, wie ich heiße, und wäre nicht meines Vaters Tochter!«

Diese Äußerungen und andre solcher Art tat die Wirtin in großer Wut, und ihre wackere Magd Maritornes half ihr dabei. Die Tochter schwieg und lächelte zuweilen. Der Pfarrer wußte alles zu beschwichtigen, indem er versprach, ihren Verlust ihr so gut, wie ihm nur möglich, zu ersetzen, sowohl den sie an den Schläuchen als am Wein und insbesondere durch die Beschädigung des Schwanzes erlitten hatten, von dem sie soviel Aufhebens machten.

Dorotea tröstete Sancho Pansa mit der Erklärung, sobald es sich offenkundig zeige, daß sein Herr in Wahrheit den Riesen geköpft habe, so verheiße sie, sobald sie sich im friedlichen Besitz ihres Königreichs sehe, ihm die beste Grafschaft zu geben, die darin zu finden sei. Damit tröstete sich Sancho und versicherte der Prinzessin, sie dürfte sicher sein, daß er den Kopf des Riesen gesehen, und zum weiteren Merkzeichen hätte selbiger einen Bart, der ihm bis zum Gürtel ging. Und wenn er nicht zum Vorschein komme, so sei es darum, weil alles, was sich in diesem Hause ereigne, mit Zauberei zugehe, wie er selbst es neulich erfahren habe, als er hier übernachtete.

Dorotea erwiderte, sie glaube, daß dem so sei, und er solle nur unbesorgt sein. Alles werde gut gehen, alles werde nach Wunsch geschehen.

Nachdem alle sich beruhigt, wollte der Pfarrer die Novelle zu Ende lesen, da er sah, daß nur noch wenig übriggeblieben. Cardenio, Dorotea und alle andern baten ihn, sie zu beenden; und er, sowohl um den anderen gefällig zu sein als auch zum eigenen Vergnügen, fuhr mit der Erzählung fort:

Zunächst ging es so, daß Anselmo in seiner frohen Überzeugung von Camilas Tugend ein zufriedenes und sorgenfreies Leben führte und Camila mit berechneter Absicht Lotario ein finsteres Gesicht zeigte, damit Anselmo an das Gegenteil der Gesinnung glauben solle, die sie für den Freund empfand. Damit ihr Benehmen noch glaubwürdiger erschiene, bat Lotario ihn um Erlaubnis, sein Haus nicht mehr zu besuchen, da sich doch deutlich zeige, daß Camila von seinem Anblick peinlich berührt werde. Aber der betrogene Anselmo wollte davon nichts wissen. Und auf solche Weise wurde in tausendfacher Art Anselmo der Werkmeister seiner Schande, im Glauben, er sei der Schmied seines Glückes.

Mittlerweile war auch Leonelas Behagen, eine Vollmacht zu ihrem Liebeshandel zu besitzen, so weit gediehen, daß sie ohne alle Rücksicht ihrem Vergnügen zügellos nachjagte, darauf bauend, daß ihre Herrin sie schirmte, ja sogar ihr Rat gab, wie sie ohne Besorgnis ihre Gelüste befriedigen könnte. Endlich aber hörte Anselmo eines Nachts Schritte in Leonelas Gemach, und als er hinein wollte, um zu sehen, von wem sie herrührten, ward er gewahr, daß die Tür vor ihm zugehalten wurde, was ihn um so begieriger machte, sie zu öffnen. Er wandte so viele Kraft an, daß er sie aufstieß, und kam gerade zur rechten Zeit hinein, um zu sehen, daß ein Mann durchs Fenster auf die Straße sprang. Er eilte rasch hinaus, um ihn noch zu erreichen oder ihn zu erkennen, aber er vermochte weder das eine noch das andre auszuführen; denn Leonela umfaßte ihn mit den Armen und sprach zu ihm: »Beruhigt Euch, mein Gebieter, reget Euch nicht auf, eilet dem Mann nicht nach, der von hier hinausgesprungen, die Sache geht mich allein an, ja, so sehr, daß es mein eigner Bräutigam ist.«

Anselmo wollte es ihr nicht glauben, sondern zog den Dolch und drohte, Leonela zu erstechen, wenn sie ihm nicht die Wahrheit sage. Sie, in ihrer Angst, ohne zu wissen, was sie sagte, sprach zu ihm: »Tötet mich nicht, Señor, ich werde Euch Dinge von größerer Wichtigkeit sagen, als Ihr Euch vorstellen könnt!«

»Sag sie auf der Stelle«, entgegnete Anselmo, »oder du bist des Todes!«

»Im Augenblick ist es unmöglich«, antwortete Leonela, »so verstört bin ich; laßt mich bis morgen, dann sollt Ihr Dinge hören, daß Ihr staunen werdet. Und seid dessen gewiß, jener, der aus dem Fenster gesprungen, ist ein Jüngling aus dieser Stadt, der mir die Hand darauf gegeben, mein Gemahl zu werden.«

Damit beruhigte sich Anselmo, und er war bereit, die Frist abzuwarten, um die sie ihn gebeten; denn er dachte nicht daran, daß er etwas hören würde, das Camila zum Nachteil gereichte, weil er von ihrer Tugend überzeugt war. So verließ er denn das Gemach und ließ Leonela darin eingeschlossen zurück, indem er ihr sagte, sie werde nicht herauskommen, bis sie ihm bekenne, was sie ihm zu sagen habe.

Sogleich suchte er Camila auf und erzählte ihr, was ihm alles mit ihrer Zofe begegnet sei, und daß sie ihm versprochen habe, ihm große und wichtige Dinge zu sagen. Ob Camila in Bestürzung geriet oder nicht, das braucht wohl nicht gesagt zu werden. Die Angst, die sie empfand, war so überwältigend – denn sie glaubte wirklich, und es war wohl zu glauben, das Mädchen werde Anselmo alles sagen, was es von ihrer Untreue wußte –, daß sie nicht den Mut hatte, abzuwarten, ob sich ihr Verdacht als unbegründet zeigen werde oder nicht; und noch in der nämlichen Nacht, als sie glaubte, Anselmo liege jetzt im Schlafe, suchte sie ihre besten Kleinodien und einiges Geld zusammen, und ohne von jemandem bemerkt zu werden, verließ sie ihr Haus und eilte zu dem Lotarios, erzählte ihm alles Vorgefallene und bat ihn, sie in Sicherheit zu bringen oder sich mit ihr zusammen an einen Ort zu begeben, wo sie vor Anselmo geschützt wären.

Die Bestürzung, in welche Camila ihren Lotario versetzte, war so groß, daß er ihr kein Wort zu erwidern und noch weniger einen Entschluß zu fassen vermochte. Zuletzt kam er auf den Gedanken, Camila in ein Kloster zu bringen, in welchem eine Schwester von ihm Priorin war. Camila willigte ein, und mit der Eile, wie sie der Fall erheischte, brachte Lotario sie ins Kloster und ließ sie dort, während auch er sich augenblicklich aus der Stadt entfernte, ohne jemanden davon in Kenntnis zu setzen. Als es tagte, stand Anselmo auf, ohne zu bemerken, daß Camila von seiner Seite verschwunden war, und begierig zu erfahren, was Leonela ihm mitteilen wollte, ging er nach dem Zimmer, wo er sie eingeschlossen hatte. Er öffnete es und trat ein, fand aber Leonela nicht darin; er fand nur ein Bettlaken ans Fenster geknüpft, ein Zeichen und Beweis, daß sie sich hier hinuntergelassen und geflüchtet hatte. Voll Ärger kehrte er sogleich zurück, um es Camila zu sagen, und da er sie weder im Bette noch im ganzen Hause fand, war er starr vor Entsetzen. Er fragte die Diener des Hauses nach ihr, aber niemand konnte ihm Auskunft geben. Als er, nach Camila suchend, umherging, sah er zufällig ihr Schmuckkästchen offenstehen und entdeckte, daß ihre meisten Kleinodien daraus fehlten. Und damit wurde ihm sein Unglück erst vollends klar, und er begriff, daß Leonela nicht die Schuld an seinem Unglück trug. Und so, wie er ging und stand, ohne sich erst vollständig anzukleiden, in Trübsinn und tiefem Nachdenken, eilte er, seinem Freunde Lotario Bericht von seinem Unglück zu geben. Aber als er ihn nicht fand und dessen Diener ihm sagten, er sei diese Nacht aus dem Hause verschwunden und habe all sein vorrätiges Geld mitgenommen, da meinte er den Verstand zu verlieren. Und um das Maß vollzumachen, traf er bei der Rückkehr in seiner Wohnung niemanden von all seinen Dienern und Dienerinnen an, sondern fand das Haus öde und verlassen. Er wußte nicht, was er denken, sagen oder tun sollte, und nach und nach wurde es ihm ganz wirr im Kopfe. Er betrachtete sich gleichsam und erblickte sich in einem Augenblick ohne Weib, ohne Freund, ohne Diener; er erachtete sich verlassen vom Himmel über ihm und – ärger als alles – der Ehre beraubt, da er deren Verlust in Camilas Flucht erkennen mußte.

Endlich, nach einer geraumen Weile, beschloß er, sich auf das Dorf hinaus zu jenem Freunde zu begeben, wo er sich damals aufgehalten hatte, als er selbst den Anlaß dazu gab, daß dies ganze Unheil geplant und verwirklicht wurde. Er verschloß die Türen seines Hauses, stieg zu Pferd und begab sich beklommenen Herzens auf den Weg. Kaum aber hatte er die Hälfte davon zurückgelegt, als er, von seinen eigenen Gedanken übermannt, sich genötigt sah, abzusteigen und sein Pferd mit dem Zügel an einen Baum zu binden, an dessen Stamm er unter wehmütigen, schmerzvollen Seufzern niedersank. Hier verweilte er, bis beinahe die Nacht hereinbrach. Um diese Stunde sah er einen Mann zu Pferd aus der Stadt kommen. Er grüßte ihn und fragte ihn, welche Neuigkeiten es in Florenz gebe. Der Städter antwortete ihm: »Die seltsamste, die man seit langer Zeit dort vernommen. Denn man erzählt öffentlich, daß Lotario, jener vertraute Freund Anselmos des Reichen, der bei San Giovanni wohnte, diese Nacht Camila entführt hat, die Frau Anselmos, der ebenfalls nirgends zu finden ist. All dieses hat eine Dienerin Camilas ausgesagt, welche der Stadtvorsteher heute nacht dabei getroffen hat, wie sie sich an einem Bettlaken aus dem Fenster von Anselmos Hause herabließ. Ich weiß in der Tat nicht genau, wie sich der Handel zutrug; ich weiß nur, daß die ganze Stadt sich über diese Geschichte wundert, weil man eine derartige Handlungsweise bei der innigen und vertrauten Freundschaft zwischen den beiden nicht erwarten konnte, die so groß gewesen sein soll, daß man sie nur ›die beiden Freunde‹ nannte.«

»Weiß man vielleicht, welchen Weg Lotario und Camila eingeschlagen haben?« fragte Anselmo.

»Nicht im geringsten«, antwortete der Mann, »wiewohl der Stadtvorsteher alle Sorgfalt aufgewendet hat, um ihnen nachzuspüren.«

»Geht mit Gott«, sprach Anselmo.

»Er geleite Euch«, erwiderte der Städter und ritt davon.

Bei so schmerzlichen Nachrichten fehlte wenig, daß Anselmo auf den Punkt gekommen wäre, wo es nicht nur mit seinem Verstand, sondern auch mit seinem Leben zu Ende gehen mußte. Er erhob sich, so gut er es vermochte, und gelangte zum Hause seines Freundes, der von seinem Unglück noch nichts wußte; aber als er ihn bleich, abgehärmt und mit eingefallenen Wangen ankommen sah, merkte er wohl, daß Anselmo von schwerem Leide niedergedrückt sei. Anselmo bat, man möge ihn zu Bett bringen und ihm Schreibzeug geben. Es geschah also, man ließ ihn im Bette und allein; denn so verlangte er es, und er bat auch, die Tür zu schließen. Als er sich nun allein sah, begann die Vorstellung seines Unglücks ihn so zu bestürmen und zu überwältigen, daß er klar erkannte, es gehe mit seinem Leben zu Ende; und so traf er Anstalt, eine Nachricht von der Ursache seines so eigentümlichen Todes zu hinterlassen. Er fing zu schreiben an; aber bevor er mit der Aufzeichnung alles dessen, was er im Sinne hatte, zu Ende gekommen, verließen ihn die Kräfte, und er ließ sein Leben unter der Wucht des Schmerzes, den ihm sein törichter Vorwitz bereitet hatte.

Als der Herr des Hauses bemerkte, daß es schon spät war und Anselmo nicht rief, entschloß er sich einzutreten, um zu sehen, ob sein Unwohlsein schlimmer geworden, und er fand ihn ausgestreckt liegen, mit dem Gesicht nach unten gekehrt, die Hälfte des Körpers im Bette und die andre Hälfte auf dem Schreibtische, auf einem halb beschriebenen Papier; er hielt die Feder noch in der Hand. Der Hausherr näherte sich ihm, nachdem er ihm erst zugerufen, und als er, da er ihn an der Hand faßte, keine Antwort erhielt und ihn erstarrt fand, ward er inne, daß Anselmo tot war. Er erschrak und betrübte sich ungemein, rief die Leute vom Haus herbei, damit sie das Unglück sähen, das Anselmo betroffen, und las dann das Papier, auf dem er Anselmos Handschrift erkannte und welches folgende Worte enthielt:

Ein törichtes und vorwitziges Begehren hat mir das Leben geraubt. Wenn die Nachricht von meinem Tode zu Camilas Ohren gelangen sollte, so möge sie erfahren, daß ich ihr verzeihe; denn sie war nicht verpflichtet, Wunder zu tun, und ich hatte nicht nötig, von ihr zu verlangen, daß sie solche tue. Und da ich selbst der Werkmeister meiner Schande war, so ist kein Grund …

Bis hierher hatte Anselmo geschrieben, woraus sich erkennen ließ, daß an dieser Stelle sein Leben endete, ehe er den Satz enden konnte. Den nächsten Tag gab sein Freund den Verwandten Anselmos Kunde von seinem Tode; sie wußten schon sein Unglück und kannten auch das Kloster, wo Camila bereits nahe daran war, ihren Gemahl auf jener Reise, die keinem erlassen wird, zu begleiten, nicht aus Schmerz über die Nachricht vom Tode ihres Gatten, sondern über diejenige, die ihr über ihren abwesenden Freund zukam. Man erzählt, daß sie, obschon sie nun Witwe war, das Kloster nicht verlassen, aber noch weniger das Gelübde als Nonne ablegen wollte, bis ihr, nicht viele Tage nachher, die Nachricht wurde, daß Lotario in einer Schlacht gefallen, welche Monsieur de Lautrec dem »Großen Feldhauptmann« Gonzalo Fernández de Córdoba im Königreich Neapel geliefert; dorthin hatte sich der zu spät bereuende Freund gewendet. Als Camila dies erfuhr, legte sie das Gelübde ab und hauchte kurz darauf unter der Last des Kummers und des Trübsinnes ihr Leben aus. Dies war das Ende, das allen wurde, ein Ende, wie es aus einem so wahnwitzigen Anfang kommen mußte.

»Die Novelle gefällt mir wohl«, sprach der Pfarrer, »aber ich kann nicht glauben, daß es eine wahre Geschichte ist; und wenn sie erdichtet ist, so hat der Verfasser schlecht gedichtet; denn man kann sich nicht vorstellen, daß ein Ehemann so töricht sein kann, eine so kostspielige Probe wie Anselmo anstellen zu wollen. Wenn der Fall zwischen einem Liebhaber und seiner Geliebten vorgekommen wäre, so könnte man ihn zugeben; aber zwischen Mann und Frau hat er etwas Unmögliches in sich. Was aber die Art und Weise betrifft, wie er erzählt wird, so bin ich damit gar nicht unzufrieden.«