Fünfzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

Ich hatte bereits erfahren, was für eine langwierige, harte und traurige Aufgabe es ist, das ersehnte Erz aus den Eingeweiden der Erde herauszuscharren, nun wurde ich inne, daß das Herausscharren erst die halbe Arbeit war, und daß die andere trübselige und mühselige Hälfte darin bestand, das Silber aus dem Erz herauszuziehen. Von sechs Uhr des Morgens bis zum Dunkelwerden dauerte die Arbeit. Gestein losschlagen und in die ›Batterie‹ schaufeln, in der es durch sechs von Dampf getriebene gewaltige Stampfen zerrieben und durch zuströmendes Wasser in einen festen Brei verwandelt wurde; Quecksilber, Steinsalz und andere Chemikalien je nach Bedürfnis in die ›Amalgamierpfannen‹ schütten, wo das erstere sich mit den Gold- und Silberteilen verbinden mußte; die Rinnen und die groben Decken reinigen, durch welche das Wasser aus der Pfanne abfloß, damit die winzigen Teilchen der Edelmetalle nicht verloren würden, die sich darin ablagerten – so ging die Plackerei ununterbrochen fort, und bei alledem fand ein Drittel des in einer Tonne Gestein enthaltenen Edelmetalls seinen Weg bis ans Ende der Rinnen in der Schlucht, so daß es später nochmals verarbeitet werden mußte. Gab es sonst nichts zu thun, so konnte man immer Sand durchwerfen, d. h. man konnte den getrockneten Sand, der durch die Rinnen in die Schlucht gespült worden war, zusammenschaufeln und gegen einen aufrechtstehenden Drahtschirm werfen, um ihn von Kieseln zu befreien und ihn so zu nochmaliger Verarbeitung vorzubereiten. Ohne dieses Sanddurchwerfen ging es in keinem Pochwerk ab, trotz der Verschiedenheit der angewandten Methoden. Von allen Erholungen der Welt ist aber dies Sanddurchwerfen an einem heißen Tage und mit einer langstieligen Schaufel am wenigsten begehrenswert.

Zum Schluß der Woche wurde die Maschine angehalten und wir wuschen auf, d. h. wir holten den Brei aus den Pfannen und Batterien und spülten den Schmutz geduldig hinweg, bis nur noch die angesammelte Masse von Quecksilber samt den darin eingeschlossenen Schätzen übrig war, welche wir in Form fester Schneeballen zum Zweck der Besichtigung zu glänzenden prächtigen Haufen aufschichteten. Dabei kostete mich meine Unerfahrenheit einen schönen goldenen Ring, in den das Quecksilber eindrang wie Wasser in einen Schwamm, so daß er völlig zerstört wurde. In einer eisernen Retorte wurde durch Verdampfung das Quecksilber aus diesen Kugeln entfernt, der Dampf aber in einen Eimer geleitet, wo bei der Abkühlung das sehr kostspielige Quecksilber wieder seine natürliche Form erhielt. In der Retorte lag dann das Ergebnis unserer Wochenarbeit vor uns, ein Klumpen, zweimal so groß wie ein Mannskopf, von reinem, weißem Silber, das wie Rauhfrost aussah. Der Klumpen wurde schließlich eingeschmolzen und in eine Barrenform gegossen.

Von jedem Barren wurde ein Eckchen abgeschnitten für die ›Feuerprobe‹ – ein ganz interessantes Verfahren. Dieses Eckchen wird so dünn wie Papier ausgehämmert und auf einer Wage von solcher Feinheit und Empfindlichkeit gewogen, daß, wenn man auf ein Stückchen Papier von bestimmtem Gewicht mit einem groben, weichen Bleistift seinen Namen schreibt und es dann abermals wägt, die Wage deutlich ein höheres Gewicht anzeigt. Dann wird ein wenig Blei gleichfalls gewogen, mit der Silberflocke zusammengerollt, und die beiden bei großer Hitze in der sogenannten ›Kapelle‹ geschmolzen, einem kleinen Gefäße aus gepreßter Knochenasche in Gestalt einer Obertasse. Die unedlen Metalle oxydieren und werden samt dem Blei von der Kapelle, aufgesogen. Ein Kügelchen, aus vollkommen reinem Gold und Silber bestehend, bleibt zurück, und wenn der Wardein dieses wägt und den Abgang notiert, erkennt er, wieviel unedles Metall der Barren enthält. Jetzt hat er das Gold von dem Silber zu scheiden. Dazu wird das Kügelchen flach und dünn gehämmert und einige Zeit in einem Ofen mit Rotglühhitze behandelt. Nach der Abkühlung rollt man es wie einen Federkiel zusammen und erhitzt es in einem Glasgefäß mit Salpetersäure, welche das Silber auflöst, so daß das Gold rein zurückbleibt und für sich gewogen werden kann. Durch Zugießen von Salzwasser erhält das Silber wieder seine feste Form, worauf nichts mehr zu thun bleibt, als dieses zu wägen; dann kennt man das Verhältnis der verschiedenen in dem Barren enthaltenen Metalle, den der Wardein nun mit einem Stempel versieht, der seinen Wert bezeichnet.

Das Geschäft eines Wardeins war sehr einträglich, und deshalb befaßten sich auch gelegentlich Leute damit, denen es an der wissenschaftlichen Befähigung fehlte. Es war einmal ein Wardein, der aus allen Proben, die man ihm brachte, so reiche Resultate heraus bekam, daß er binnen kurzem fast das ganze Geschäft monopolisiert hatte. Aber wie alle Leute, die Erfolg haben, wurde er ein Gegenstand des Neides und des Verdachtes. Die andern Wardeine verschworen sich gegen ihn und zogen zum Beweise, daß sie es ehrlich meinten, einige angesehene Bürger ins Geheimnis. Dann schickten sie dem glücklichen Geschäftsmann einen Fremden mit einem Stückchen Schleifstein, den er prüfen sollte. Nach Verlauf einer Stunde brachte er heraus, daß eine Tonne dieses Gesteins 1284,40 Dollars an Silber und 366,36 Dollars an Gold geben müsse.

Die ganze Geschichte kam sofort in die Zeitung und der beliebte Wardein machte sich binnen zwei Tagen aus dem Staube.

Ich will hier beiläufig bemerken, daß ich in der Silbermühle nur eine Woche blieb. Ich erklärte meinem Arbeitgeber, ohne Lohnerhöhung könne ich nicht länger bleiben. Mir gefalle zwar das Quarzmehlmachen, ja ich sei ganz bezaubert davon; nie zuvor hätte ich zu einer Beschäftigung in so kurzer Zeit eine so zärtliche Neigung gewonnen; nichts gäbe, wie es mir scheine, der geistigen Thätigkeit einen solchen Schwung, als eine Batterie zu füttern und Sand durch einen Drahtschirm zu werfen, und nichts sporne die sittlichen Eigenschaften eines Menschen so an, als Silber ausschmelzen und Decken waschen – trotzdem fühle ich mich genötigt, um Lohnerhöhung zu bitten.

Er sagte, er zahle mir zehn Dollars wöchentlich und das sei doch eine ganz hübsche runde Summe. Wieviel ich denn wolle?

Ich erwiderte, etwa viermal hunderttausend Dollars monatlich nebst der Kost sei alles, was ich in Anbetracht der schweren Zeiten vernünftiger Weise verlangen könne.

Man wies mich aus dem Hause. Und doch, wenn ich auf jene Tage zurückblicke und mir die maßlos schwere Arbeit, die ich in jenem Pochwerk verrichtete, ins Gedächtnis zurückrufe, bedauere ich nur, ihm nicht siebenmalhunderttausend abverlangt zu haben. Um die volle Kraft und Bedeutung des über ihn verhängten Fluches zu verstehen: ›Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen‹ hätte Adam aus dem Garten Eden von Rechts wegen geradeswegs in ein Quarz-Pochwerk gehen sollen.

Nicht lange nachher war es die geheimnisvolle, wunderbare ›Zementgrube‹, die mir, gleich der übrigen Bevölkerung, den Verstand verrückte, so daß ich nur auf eine Gelegenheit lauerte, mich bei deren Aufspürung beteiligen zu können.

Sechzehntes Kapitel.

Sechzehntes Kapitel.

Irgendwo in der Nachbarschaft des Monosees, nahm man an, müsse Whitemans wunderbare Zementgrube liegen. Alle Augenblicke hieß es, Whiteman sei in totenstiller Nacht verstohlen und in Verkleidung durch Esmeralda gekommen; dann gab es jedesmal eine tolle Aufregung, denn natürlich steuerte er seiner geheimnisvollen Grube zu und da galt es, ihm zu folgen. Kaum drei Stunden nach Tagesanbruch waren dann alle Pferde, Maultiere und Esel in der Nachbarschaft aufgekauft, geliehen oder gestohlen, und die halbe Ortsgemeinde befand sich auf Whitemans Spuren unterwegs nach den Bergen. Allein Whiteman pflegte sich tagelang wie zwecklos in den Bergschluchten herumzutreiben, bis den Bergleuten die Lebensmittel ausgingen und sie wieder nach Hause gehen mußten. Ich habe es erlebt, daß es um elf Uhr nachts in einem großen Bergmannslager hieß, Whiteman sei soeben vorbei gekommen, und daß schon zwei Stunden darauf die sonst so stillen Straßen von Menschen und Tieren wimmelten. Einer wie der andere bestrebte sich dann, die Sache recht geheim zu halten, flüsterte aber trotzdem wenigstens einem Nachbar zu, Whiteman sei durchgekommen. Und lange vor Tagesanbruch – das letztemal mitten im tiefen Winter – ging dann die Hetzjagd los, das Lager war verlassen und die gesamte Bevölkerung auf der Suche nach Whiteman.

Der Sage zufolge waren bei der ersten Einwanderung vor länger als zwanzig Jahren drei junge Deutsche, Brüder, nachdem sie auf der Ebene bei einem von Indianern angerichteten Gemetzel mit dem Leben davongekommen, zu Fuß durch die Wüste gewandert, und hatten in der Hoffnung, Kalifornien zu erreichen, bevor sie vor Hunger umkamen, einfach die Richtung nach Westen eingeschlagen. Als sie eines Tages in einer Bergschlucht ausruhten, bemerkte einer von ihnen eine eigentümliche Zementader, die mit Klumpen eines schmutziggelben Metalls wie gespickt war. Sie sahen, daß es Gold sei und daß sich hier an einem einzigen Tage ein Vermögen erwerben lasse. Die Ader war etwa so breit wie eine Trottoirplatte und reichlich zwei Drittel derselben bestand aus reinem Gold. Jedes Pfund des wunderbaren Zements hatte einen Wert von nahezu zweihundert Dollars. Die Brüder nahmen so viel mit als sie tragen konnten, verwischten alle Spuren der Ader, machten eine rohe Zeichnung von der Örtlichkeit und den Hauptmerkmalen ihrer Umgebung und brachen wieder nach Westen auf. Aber ihre Not wuchs. Auf ihren Irrfahrten fiel der eine Bruder und brach das Bein; die andern mußten ihn in der Wildnis sterben lassen. Der zweite gab ermüdet und von Hunger erschöpft bald nachher die weitere Wanderung auf und legte sich gleichfalls zum Sterben nieder. Der dritte erreichte nach zwei oder drei Wochen voll unglaublicher Entbehrungen, entkräftet, körperlich und gemütskrank, die Niederlassungen Kaliforniens. Seinen Zement hatte er bis auf ein paar Bruchstücke weggeworfen, aber diese genügten, um alle Welt in die tollste Aufregung zu versetzen. Er selbst wollte indes mit der Zementgegend nichts mehr zu schaffen haben und ließ sich nicht bewegen, jemand dorthin zu führen. Er war ganz zufrieden, als Taglöhner auf einer Farm arbeiten zu können. Jedoch überließ er Whiteman seine Zeichnung und beschrieb ihm die Zementregion so gut er es vermochte. Damit übertrug er den Fluch auf ihn – denn als ich Whiteman zufällig in Esmeralda einen Augenblick sah, hatte er der verlorenen Grube unter Hunger, Durst, Armut und Krankheit ganze zwölf oder dreizehn Jahre nachgespürt. Manche glaubten, er habe sie gefunden, die meisten waren aber entgegengesetzter Meinung. Ich sah ein Stück Zement, so groß wie meine Faust, das Whiteman von dem jungen Deutschen bekommen haben sollte, und das war in der That recht verführerischer Natur. Klumpen von Jungferngold saßen darin so dicht wie die Rosinen in einem Napfkuchen. Eine einzige Woche lang eine solche Grube ausbeuten zu dürfen, würde einem Menschen mit vernünftigen Wünschen genügen. Ein neuer Geschäftsfreund von uns, ein Herr Higbie, kannte Whiteman von Ansehen recht gut, und ein anderer von unseren Freunden, ein Herr van Dorn, war nicht nur mit ihm bekannt, sondern hatte auch das Versprechen von ihm bekommen, er solle zu rechter Zeit im stillen einen Wink erhalten, damit er sich der nächsten Zementexpedition anschließen könne. Diesen Wink hatte van Dorn versprochen auf uns auszudehnen. Eines Abends nun kam Higbie sehr aufgeregt herein und sagte, er glaube ganz sicher, daß er oben in der Stadt Whiteman erkannt habe; er sei verkleidet und stelle sich betrunken. Nach einem Weilchen traf van Dorn ebenfalls ein und bestätigte die Nachricht; wir versammelten uns nun in unserer Hütte, steckten die Köpfe zusammen und berieten flüsternd unsere Pläne.

Um kein Aufsehen zu erregen, sollten wir die Stadt nach Mitternacht in zwei oder drei kleineren Abteilungen ruhig verlassen und uns im Morgengrauen auf der Wasserscheide über dem Monosee, acht bis neun Meilen weit entfernt, treffen. Der Aufbruch sollte ganz geräuschlos vor sich gehen und unterwegs kein lautes Wort gesprochen werden. Diesmal, meinten wir, wisse man in der Stadt nichts von Whitemans Anwesenheit und ahne nichts von dessen Vorhaben. Um neun Uhr ging unser Konklave auseinander, worauf wir uns eifrig und in tiefem Geheimnis an die Vorbereitungen machten. Um elf Uhr sattelten wir unsere Pferde, banden sie mit ihren langen Riatas oder Lassos fest und brachten dann eine Speckseite und einen Sack Bohnen, ein Säckchen Kaffee, etwas Zucker, hundert Pfund Mehl in Säcken, ein paar Blechtassen, einen Kaffeetopf, eine Bratpfanne und einige sonstige notwendige Gegenstände herbei. Dies alles wurde dem Handpferd auf den Rücken geladen; wer aber das Packen nicht von einem spanischen Sachverständigen gelernt hat, soll nur alle Hoffnung aufgeben, es durch natürliches Geschick fertig zu bekommen. Higbie besaß wohl einige Erfahrung darin, aber ein Meister war er nicht. Nachdem er die Sachen auf dem Packsattel aufgeschichtet hatte, schnürte er sie mit dem Strick zusammen, machte hier und da einen Knoten und zog manchmal so fest an, daß dem Tier die Flanken einsanken und es nach Atem schnappte; dabei wurde jedesmal der Strick an einer anderen Stelle locker. Vollkommen brachten wir die Ladung nicht fest, schließlich mochte es aber doch zur Not gehen; so brachen wir denn auf, einer immer dicht hinter dem andern, ohne ein Wort zu sprechen. Es war eine dunkle Nacht. Wir hielten uns in der Mitte der Straße und schritten langsam an den Hüttenreihen vorüber; so oft einer der Bergleute unter seine Thür trat, zitterte ich vor Furcht, daß das Licht uns bescheinen und Neugier erregen könnte. Aber es ereignete sich nichts. Wir begannen den langen gewundenen Weg aus der Schlucht hinaufzusteigen; bald wurden die Hütten seltener und die Strecken zwischen ihnen immer länger, so daß ich schließlich etwas freier atmete und mir nicht mehr ganz wie ein Dieb und Mörder vorkam.

Ich ritt zu hinterst und führte das Packpferd. Als der Anstieg steiler wurde, wollte diesem seine Last nicht mehr behagen; manchmal versuchte es an seiner Riata zu zerren, so daß eine Verzögerung entstand. In der Finsternis verlor ich meine Gefährten aus den Augen. Ich wurde ängstlich und schmeichelte und drohte dem Gaul so lange, bis er zu traben anfing; allein jetzt erschreckte ihn das Klappern der Blechtassen und Pfannen und er setzte sich in Lauf. Da seine Riata um meinen Sattelknopf geschlungen war, riß er mich vom Sattel, worauf die beiden Tiere munter ohne mich weiter liefen. Doch blieb ich nicht allein – die locker gewordene Ladung des Packpferdes purzelte herunter und fiel dicht neben mich. Es war fast unmittelbar vor der letzten Hütte. Ein Bergmann trat heraus mit dem Ruf: »Holla«.

Ich war dreißig Schritt von ihm weg und wußte, daß er mich nicht sehen konnte, da es im Schatten des Berges sehr dunkel war. So blieb ich ruhig liegen. Ein zweiter Kopf erschien im Licht unter der Hüttenthür und bald schritten die beiden Leute auf mich zu. Zehn Schritt von mir blieben sie stehen und der eine machte: »Bst! Horch!«

Wäre ich vor den Dienern der Gerechtigkeit geflohen und ein Preis auf meinen Kopf gesetzt gewesen, ich hätte mich in keiner traurigeren Lage befinden können. Jetzt schien mir, daß die Leute sich auf einen Felsblock setzten, obwohl ich nicht genau zu unterscheiden vermochte, was sie thaten. Der eine sagte:

»Ich habe ein Geräusch vernommen, es war ganz deutlich. Dort herum muß es gewesen sein!«

Ein Stein sauste an meinem Kopfe vorbei. Ich drückte mich so flach in den Staub wie eine Postmarke und dachte bei mir, wenn er das nächstemal ein klein wenig besser ziele, könne er wohl noch ein Geräusch zu hören bekommen. In meinem Innern verfluchte ich jetzt die heimlichen Expeditionen. Dies sollte meine letzte sein, und hätten auch die Sierras so viele Zementadern, wie der menschliche Körper Rippen. Nun sagte der eine von den Männern:

»Ich will dir ‚was sagen. Walch wußte, was er sagte, als er heute behauptete, er hätte Whiteman gesehen. Ich habe Pferde gehört – das war das Geräusch. Ich laufe spornstreichs hinunter zu Walch!«

Sie gingen, und ich war froh. Wohin sie gingen, war mir einerlei, wenn sie nur gingen. Mochten sie immerhin Walch aufsuchen; je eher, desto besser. Sobald sie die Thür der Hütte schlossen, tauchten meine Gefährten aus der Dunkelheit auf, sie hatten die Pferde aufgefangen und gewartet, bis die Luft rein war. Wir legten die Ladung dem Packpferd wieder auf und machten uns auf den Weg; mit Tagesanbruch erreichten wir die Wasserscheide und vereinigten uns mit van Dorn. Dann wanderten wir hinab in das Becken des Sees und hier fühlten wir uns sicher genug, um Halt zu machen und das Frühstück zu kochen, denn wir waren müde, schläfrig und hungrig. Drei Stunden darauf zog die ganze Bevölkerung von Esmeralda in langem Gänsemarsch über die Wasserscheide und verbreitete sich um den See herum, wo wir sie allmählich aus den Augen verloren.

Ob mein Unfall dies veranlaßt hatte oder nicht, haben wir nie erfahren, eins aber war sicher – das Geheimnis war heraus und Whiteman wollte sich diesmal auf das Suchen nach der Zementgrube nicht einlassen, was uns bitter verdroß.

Wir hielten Rat und beschlossen, aus unserm Mißgeschick den möglichsten Nutzen zu ziehen und eine Woche Ferien an den Ufern des seltsamen Sees zu verleben. Derselbe wird bald Mono, bald das ›Tote Meer von Kalifornien‹ genannt. Er ist einer der wunderlichsten Schrullen der Natur, aber kaum jemals schon in Büchern erwähnt und höchst selten besucht, weil er abseits von der gewöhnlichen Heerstraße liegt und überdies so schwer zu erreichen ist, daß meist nur Leute, die an die stärksten Strapazen gewöhnt sind, die Beschwerlichkeit eines Ausflugs dahin auf sich nehmen mögen.

Am Morgen des zweiten Tages zogen wir nach einer entfernten und besonders wildromantischen Stelle am Seeufer, wo ein Bach mit frischem, eiskaltem Wasser aus dem Berge hervorsprudelte und sich in den See ergoß, und schlugen dort ein regelrechtes Lager auf. Von dem zehn Meilen weiter weg wohnenden Besitzer eines einsamen Ranchos mieteten wir ein großes Boot und zwei Schrotflinten. An Behagen und Zerstreuung konnte es uns nun nicht fehlen und bald waren wir mit dem See und allen seinen Eigentümlichkeiten gründlich bekannt.

Siebzehntes Kapitel.

Siebzehntes Kapitel.

Der Monosee liegt in einer toten, stillen, baumlosen, entsetzlichen Wüste, achttausend Fuß über der Meeresfläche, und ist von Bergen umschlossen, die ihn um zweitausend Fuß überragen und deren Gipfel stets in Wolken gehüllt sind. Diese feierliche, schweigende, von keinem Segel belebte Wasserfläche, an einem der einsamsten Orte auf Erden, bietet nur wenige anmutige und malerische Züge. Es ist eine einförmig graue Wasserfläche von etwa hundert Meilen Umfang, mit zwei Inseln in der Mitte, die nichts sind als erstarrte, blasige und rissige Lava, die mit einer Kruste von Bimsstein und einer grauen Aschenschicht bedeckt ist – dem Leichentuch des erloschenen Vulkans, dessen ungeheuren Krater der See ausgefüllt hat.

Dieser ist zweihundert Fuß tief, und seine trüben Wasser sind so stark mit Alkali geschwängert, daß, wenn man das allerschmutzigste Kleidungsstück auch nur ein- oder zweimal hineintaucht und ausringt, man es so rein findet, als ob es durch die Hände der geschicktesten Waschfrau gegangen wäre. Die Wascharbeit machte uns während unseres dortigen Aufenthaltes nicht viel Mühe. Wir banden die schmutzige Wäsche der Woche einfach hinten an unser Boot und fuhren eine Viertelmeile weit, und die Sache war bis auf das Ausringen fertig. Wenn wir uns von dem Wasser auf die Köpfe schütteten und ein paarmal darauf rieben, so gab es drei Zoll hohen weißen Schaum. An wunden Stellen oder bei aufgesprungener Haut erzeugt das Wasser begreiflicherweise unerträgliche Schmerzen.

Im Monosee giebt es weder Fische noch Frösche, noch Schlangen noch Quappen, kurz nichts, was sonst einen See belebt. Auf der Oberfläche schwimmen Millionen wilder Enten und Seemöven, dagegen existiert unter derselben kein lebendes Wesen, ausgenommen ein weißer, haariger, halbzolllanger Wurm, der einem Stückchen ausgefransten Faden gleicht. In einer Gallone Wasser mögen fünfzehntausend solcher Würmer enthalten sein. Von ihnen erhält das Wasser die erwähnte grauweiße Farbe. Dann giebt es dort eine Fliege, ziemlich ähnlich unserer Hausfliege, die sich ans Ufer setzt, um die Würmer zu fressen, die an den Strand gespült werden. Man kann jeder Zeit um den See herum einen zolltiefen, sechs Fuß breiten Gürtel von Fliegen sehen – also einen Gürtel von Fliegen, der hundert Meilen lang ist. Wirft man einen Stein unter sie, so schwärmen sie auf, wie eine dichte Wolke. Man kann sie so lange unter Wasser halten, wie man will, sie machen sich nichts daraus, und bilden sich sogar, wie es scheint, noch etwas darauf ein. Läßt man sie los, so schnellen sie an die Oberfläche, sind trocken wie ein Bericht aus dem Patentamt und wandeln so unbekümmert von dannen, als wären sie eigens zu dem Zwecke dressiert, der Menschheit auf ihre Weise eine belehrende Unterhaltung zu gewähren. Die Vorsehung läßt nichts planlos geschehen. Ein jedes Ding hat seinen Nutzen, seine bestimmte Rolle und seinen gehörigen Platz im Haushalt der Natur: die Enten fressen die Fliegen, die Fliegen die Würmer, die Indianer alle drei, die Wildkatzen fressen die Indianer, die weißen Leute fressen die Wildkatzen – und so ist alles zur Zufriedenheit geordnet.

Der Monosee liegt in gerader Linie hundert Meilen vom Meere, von welchem ihn zwei oder drei Bergketten trennen, und doch kommen jedes Jahr Tausende von Seemöven dahin, um ihre Eier zu legen und ihre Jungen aufzuziehen. Man könnte ebenso gut Seemöven in Kansas erwarten; und in diesem Zusammenhang wollen wir einen andern Zug der Weisheit der Natur betrachten. Da die Inseln im See nur aus mit Asche und Bimsstein bedeckten Lavamassen bestehen und weder einen Baum noch sonst etwas Brennbares hervorbringen, und da Möveneier keiner Seele das mindeste nützen, wenn sie nicht gekocht sind, so hat die Natur auf der größeren Insel für eine nieversiegende Quelle siedenden Wassers gesorgt, in der man seine Eier binnen vier Minuten so hart kochen kann wie das härteste Wort, das ich in den ganzen letzten fünfzehn Jahren habe fallen lassen. Keine zehn Fuß weit von der kochenden Quelle befindet sich eine solche von reinem kaltem Wasser, das angenehm und gesund ist. So bekommt man auf dieser Insel Kost und Wäsche frei, und wenn die Natur noch weiter gegangen wäre und einen echten amerikanischen Hotelkellner geliefert hätte, der grob und ungefällig ist und stolz darauf, weder über die Abgangszeit und die Route der Eisenbahnzüge noch über sonst irgend etwas Auskunft geben zu können – ich würde mir kein angenehmeres Kosthaus wünschen. Ein halbes Dutzend kleiner Bergwasser stießen in den Monosee, nicht ein einziger Bach dagegen verläßt denselben, trotzdem nimmt er anscheinend weder zu noch ab, und was er mit seinem Überfluß an Wasser thut, bleibt ein dunkles Geheimnis.

In der Nachbarschaft des Monosees, giebt es bloß zwei Jahreszeiten, nämlich den Abzug des einen Winters und die Ankunft des nächsten. Mehr als einmal habe ich in Esmeralda nach glühender Hitze – um acht Uhr morgens zeigte das Thermometer neunzig Grad – vierzehn Zoll hohen Schnee fallen sehen, so daß dasselbe Thermometer bis neun Uhr abends auf vierundvierzig Grad an geschützten Orten fiel. Unter günstigen Umständen schneit es in der kleinen Stadt Mono wenigstens einmal in jeden! Monat des Jahres. So unbeständig ist daselbst die Witterung, daß eine Name es kaum wagen kann, einen Ausgang zu machen, ohne ihren Fächer in der einen, ihre Schneeschuhe in der andern Hand mitzunehmen. Und wenn die Einwohner zur Feier des Nationalfestes am vierten Juli einen Umzug veranstalten, so schneit es ihnen gewöhnlich auf die Köpfe.

Erstes Kapitel.

Erstes Kapitel.

In dem vorhergehenden Bande habe ich den Leser über die Prärieen, das Felsengebirge und durch die Alkaliwüste in die Hauptstadt des damals neu errichteten Territoriums Nevada, nach der Stadt Carson geführt. Es war eine ›hölzerne‹ Stadt; ihre Einwohnerzahl betrug zweitausend. Die Hauptstraße bestand aus einer Reihe kleiner, weißer Bretterhäuschen mit Kaufläden, zu hoch, um darauf zu sitzen, aber für alle sonstigen Erfordernisse kaum hoch genug. Dieselben standen hart aneinandergebaut, als mangelte es an Raum auf der mächtigen Ebene. Den Gehweg bildeten Bretter, die mehr oder minder locker waren und beim Darauftreten gerne klapperten. Mitten in der Stadt, den Läden gegenüber, befand sich die allen Städten jenseits des Felsengebirges angeborene ›Plaza‹ – ein großer, offener, ebener Platz mit einem Freiheitsbaum in der Mitte, sehr geeignet zu öffentlichen Versteigerungen, Pferdemärkten und Volksversammlungen, sowie zum Absteigeplatz der Fuhrleute. Zwei andere Seiten der Plaza waren von Läden, Bureaus und Ställen eingefaßt. Der übrige Teil der Stadt lag ziemlich zerstreut.

Auf der Poststation und auf dem Wege zum Gouverneur wurden wir verschiedenen Bürgern vorgestellt, darunter einem Herrn Harris, der sich zu Pferde befand. Derselbe begann ein Gespräch, unterbrach sich jedoch mit der Bemerkung: »Ich muß Sie auf einen Augenblick um Entschuldigung bitten; dort drüben steht der Zeuge, der geschworen hat, ich sei bei der Beraubung der kalifornischen Post beteiligt gewesen – eine ganz unverschämte Einmischung, da ich mit dem Menschen gar nicht bekannt bin.«

Darauf ritt er hin und machte dem Betreffenden Vorhalt mit einem sechsläufigen Revolver, wogegen sich dieser mit dem seinigen entschuldigte. Als die Pistolen leer waren, nahm der Unbekannte sein Geschäft (er flickte sich seine Peitschenschnur) wieder auf, während Herr Harris mit höflichem Bückling an uns vorbei nach Hause ritt. Er hatte eine Kugel durch den einen Lungenflügel und mehrere in die Hüften bekommen, und die kleinen Blutströme, die dem Pferd über die Flanken liefen, gaben dem Tier ein ganz malerisches Aussehen. Ich habe später, so oft ich Harris nach jemand schießen sah, immer wieder an jenen ersten Tag in Carson denken müssen.

Weiter sahen wir an diesem Tage nichts, denn es war zwei Uhr, und nach Landessitte brach jetzt der tägliche ›Washoe-Zephyr‹ los. Mit demselben kam eine aufsteigende Staubwehe, etwa von der Größe der Vereinigten Staaten, welche Nevadas Hauptstadt unsern Blicken entzog. Indes gab es dabei doch mancherlei zu sehen, was für Neuangekommene nicht ganz uninteressant war; denn die mächtige Staubwolke war dicht betüpfelt mit Dingen, die den höheren Luftschichten fremd sind, lebenden und toten, die zwischen den sich fortwälzenden Staubwirbeln hin und her flatterten, gingen und kamen, auftauchten und wieder verschwanden – mit Hüten, Hühnern und Sonnenschirmen, die hoch oben am Himmel hinsegelten; mit Decken, Blechschildern, Salbeigestrüpp und Schindeln, die etwas tiefer hin flogen; noch weiter unten mit Strohmatten und Büffellederröcken; mit Schaufeln und Kohlenkasten in der nächsten Luftschicht; Glasthüren, Katzen und kleinen Kindern in der folgenden; zerbrochenen Bretterzäunen, leichten Einspännern und Schubkarren in der nächsten; und zu unterst, bis zu höchstens dreißig oder vierzig Fuß Höhe über dem Boden, wehte ein Wirbelsturm auswandernder Dächer und leerer Bauplätze hin.

Es war wirklich etwas zu sehen dabei. Ich hätte noch mehr sehen können, wäre ich imstande gewesen, mir die Augen staubfrei zu halten.

Aber in allem Ernst, ein Washoe-Wind ist durchaus keine Kleinigkeit. Er bläst schwächliche Häuser um, nimmt gelegentlich Schindeldächer mit, rollt Blechdächer zusammen wie Notenhefte, weht dann und wann eine Postkutsche um und verschüttet die Reisenden; und als die Ursache der vielen Kahlköpfe dort zu Lande hört man überall angeben, der Wind wehe den Leuten die Haare vom Kopfe, während sie himmelwärts nach ihren Hüten schauen. Die Straßen der Stadt bieten an Sommernachmittagen meist ein recht belebtes Bild, da stets eine Menge Leute Jagd auf ihre entweichenden Hüte machen, wie Stubenmädchen auf eine Spinne.

Der ›Washoe-Zephyr‹ (Washoe ist ein beliebter Spitzname für Nevada) ist eigentlich ein recht schriftmäßiger Wind, insofern kein Mensch weiß, ›von wannen er kommt‹, d. h. wo er entsteht. Er kommt geradeswegs über die Berge aus Westen, aber jenseits der Kammhöhe, auf der andern Seite drüben, ist nichts von ihm zu entdecken. Er wird vermutlich auf der Höhe des Gebirges eigens hergestellt und fliegt von dort aus; er ist zur Sommerszeit ein recht pünktlicher Wind. Seine Geschäftsstunden währen von zwei Uhr nachmittags bis zum nächsten Morgen um dieselbe Stunde, und wer sich während dieser zwölf Stunden auf eine Reise wagt, muß mit dem Winde rechnen, will er nicht ein paar Meilen leewärts von seinem Ziel anlangen. Und doch ist das erste, worüber sich ein Besucher aus Washoe in S. Francisco beklagt, daß dort die Seewinde so heftig wehen. So ist der Mensch nun einmal!

Den Staatspalast des Gouvernements von Nevada entdeckten wir in einem einstöckigen weißen Bretterhause, das im Innern zwei kleine Zimmer enthielt und an der Stirnseite – der Großartigkeit halber – einen auf Stützen ruhenden Dachstock hatte; es zwang dem Bürger Hochachtung ab und erfüllte den Indianer mit Ehrfurcht. Die unlängst eingetroffenen richterlichen Beamten des Territoriums, der Ober- und der Hilfsrichter, und was sonst zur Regierungsmaschinerie gehörte, waren weniger glänzend untergebracht. Sie wohnten rings umher in Privathäusern zur Miete und hatten ihre Amtslokale in ihren Schlafstuben. Mein Bruder (›Mr. Secretary‹) und ich schlugen unser Quartier in dem ›Ranch‹ einer würdigen französischen Dame auf. Sie hieß Bridget O’Flannigan und gehörte zur Gefolgschaft Sr. Excellenz des Gouverneurs. In seinen guten Tagen, als er Oberbefehlshaber der hauptstädtischen Polizei in New-York war, hatte sie ihn gekannt und wollte ihn nun in seinem Mißgeschick als Gouverneur von Nevada auch nicht verlassen. Unsere Stube lag im unteren Stock und ging auf die Plaza hinaus, und nachdem wir unser Bett, einen kleinen Tisch, zwei Stühle, den feuerfesten Schrank der Regierung und das Konversationslexikon darin untergebracht hatten, war immer noch Raum genug für einen Besuch vorhanden – vielleicht sogar für zwei, aber nicht ohne Dehnung der Wände. Übrigens konnten die Wände eine solche vertragen – wenigstens die Zwischenwände, denn sie bestanden lediglich aus einer einzigen Schicht groben Baumwollstoffes, der von einer Zimmerdecke zur andern ausgespannt war. Dies war die Regel in Carson, eine Zwischenwand anderer Art bildete eine seltene Ausnahme. Wenn man in seinem dunkeln Zimmer stand, die Zimmernachbarn dagegen Licht brannten, so erzählten die Schatten an dem Tuch oft merkwürdige Geheimnisse! Sehr häufig waren diese Zwischenwände aus zusammengehefteten alten Mehlsäcken hergestellt; dann war der Unterschied zwischen der gemeinen Herde und der Aristokratie nur der, daß die gemeine Herde schmucklose Säcke hatte, während die Wände des Aristokraten durch rudimentäre Fresken, d. h. rote und blaue Mühlenzeichen auf den Säcken, Staunen erregten. Gelegentlich verschönerten die besseren Stände auch ihr Sackleinen durch Aufkleben von Holzschnitten aus Harpers Wochenschrift; nicht selten verstiegen sich die Wohlhabenden und Gebildeten sogar bis zu Spuck-Näpfen und andern Beweisen eines kostspieligen und üppigen Geschmackes. Wir besaßen einen Teppich und ein Waschbecken von echtem Steingut. Infolgedessen wurden wir von den übrigen Insassen des Ranchs der Dame O’Flannigan rücksichtslos gehaßt. Als wir gar noch einen bemalten Fenstervorhang von Wachsleinwand dazu anschafften, waren wir einfach unseres Lebens nicht mehr sicher. Um Blutvergießen zu verhüten, zog ich eine Treppe höher und schlug mein Quartier bei den titellosen Plebejern in einer der vierzehn weißen, schmalen Bettstellen aus Fichtenholz auf, die in zwei langen Reihen in dem einzigen Zimmer standen, welches das zweite Stockwert bildete.

Sie waren eine lustige Gesellschaft, die vierzehn. Meist hatten sie sich aus freien Stücken dem Gouverneur angeschlossen. Als sie in New-York und San Francisco zu seiner Gefolgschaft stießen, hatten sie sich gesagt, daß sie bei der Balgerei um Ämtchen und sonstige im Territorium abfallende Brocken nichts zu verlieren, vielmehr vernünftiger Weise eher vielleicht etwas zu gewinnen hätten. Sie hießen im Volksmund ›die irische Brigade‹, obwohl sich unter der ganzen Umgebung des Gouverneurs nur vier oder fünf Irländer befanden. Die gutmütige Excellenz war sehr verdrießlich über das Gerede, das seine Leibgarde hervorrief – besonders, als sich das Gerücht verbreitete, es seien bezahlte Meuchelmörder, die er sich mitgebracht habe, um erforderlichen Falles die demokratischen Wahlstimmen in der Stille zu vermindern!

Frau O’Flannigan gab ihnen Kost und Wohnung für je zehn Dollars die Woche, und sie gaben dagegen fröhlich ihre Schuldverschreibungen. Sie waren damit völlig zufrieden. Dagegen fand Bridget bald, daß uneinlösbare Schuldscheine doch keine genügende Sicherheit für eine Fremdenpension in Carson-City bilden. So lag sie nun dem Gouverneur in den Ohren, für die ›Brigade‹ eine Beschäftigung aufzutreiben. Sie sowohl als die Leute selbst setzten ihm so lange zu, bis er in eine gelinde Verzweiflung geriet und schließlich die Brigade antreten ließ. »Meine Herren,« redete er sie an, »ich habe eine einträgliche und ersprießliche Thätigkeit für Sie ausgesonnen – eine Thätigkeit, welche Ihnen Erholung inmitten herrlicher Landschaften gewähren und Ihnen ununterbrochen Gelegenheit verschaffen wird, Ihren Geist durch Beobachtung und Studium zu bereichern. Ich wünsche die Möglichkeit der Anlegung einer Eisenbahn von Carson aus nach Westen bis zu einem gewissen Punkte festzustellen. Beim Zusammentritt der Legislatur werde ich dafür sorgen, daß das erforderliche Gesetz durchgeht und eine entsprechende Summe bewilligt wird.«

»Wie, eine Eisenbahn über die Sierra Nevada?«

»Jawohl, – und Sie sollen zu diesem Zweck die Gegend ostwärts bis zu einem gewissen Punkte untersuchen!«

Er machte die einen zu Vermessern, die andern zu Kettenträgern u. s. w.; dann ließ er sie los in die Wüste. Das war eine Erholung, daß es eine Art hatte! Erholungsfußtouren, auf denen sie die Meßketten durch Sand und Salbeigestrüpp schleppten unter einer schwülen Sonne und zwischen Ochsengerippen, Cayoten und Taranteln. Es war die reinste, höchste Romantik! Sie betrieben die Vermessung sehr langsam, sehr bedächtig, sehr sorgfältig. Während der ersten Woche kehrten sie alle Abende staubbedeckt, fußkrank, müde und hungrig, aber höchst vergnügt zurück. Sie brachten einen großen Vorrat ungeheurer haariger Spinnen – Taranteln – mit, die sie im oberen Zimmer des Ranch in zugedeckte Biergläser einsperrten. Nach Verlauf der ersten Woche mußten sie im freien Felde kampieren, denn sie waren tüchtig nach Osten vorgerückt. Sie erkundigten sich sehr eifrig nach der Lage jenes im unklaren gelassenen ›gewissen Punktes‹, ohne jedoch Aufschluß darüber zu erhalten. Endlich, auf eine besonders dringende Anfrage: »Wie weit östlich?« telegraphierte Gouverneur Nye zurück: »Bis zum atlantischen Ozean, Ihr Teufelsbraten! – über den schlagt eine Brücke und macht, daß ihr hinüber kommt!«

Darauf hin kamen die bestaubten Packesel zurück, die nun einen Bericht einreichten und ihre Arbeit einstellten. Der Gouverneur nahm die Sache fortwährend höchst gemütlich; er meinte, da Frau Flannigan sich wegen des Unterhalts der Brigade doch in jedem Falle irgendwie an ihn halten werde, so wolle er sich mit den Jungens auch so viel Spaß machen, als möglich; er gedenke, setzte er mit freundlichem Augenzwinkern hinzu, sie mit ihren Vermessungen bis nach Utah hinein zu schicken und dann an Brigham zu telegraphieren, er solle sie wegen Grenzverletzung hängen lassen.

Die Vermesser brachten immer noch mehr Taranteln mit, so daß wir schließlich eine ganze Menagerie auf Brettern und Fenstersimsen im Zimmer aufgestellt hatten. Manche von diesen Spinnen konnten ihre haarigen muskulösen Beine über eine gewöhnliche Untertasse auseinander sperren; und wenn ihre Gefühle verletzt wurden oder man ihrer Würde zu nahe trat, so mußte man sie nach ihrem Ausdruck für die heillosesten Halunken im ganzen Tierreich halten. Bei jeder noch so leisen Berührung ihrer gläsernen Gefängnisse waren sie in einem Augenblick auf den Beinen und kampfgerüstet. In der ersten Nacht nach der Rückkehr der Brigade wehte wie gewöhnlich ein wütender ›Zephyr‹, der um Mitternacht das Dach eines benachbarten Stalles fortblies, so daß eine Ecke desselben krachend durch unfern Ranch hereingefahren kam. Es erfolgte ein gleichzeitiges Erwachen, eine geräuschvolle Musterung der Brigade im Dunkeln und ein allgemeines Stolpern und Übereinanderpurzeln in dem schmalen Gange zwischen den Bettreihen. Mitten in dem Getümmel fuhr Bob H.– aus seinem gesunden Schlafe auf und stieß dabei mir dem Kopfe ein Brett herunter. Im selben Augenblick schrie er:

»Reißt aus, Jungens, die Taranteln sind los!«

Einen gräßlicheren Alarmruf hätte es nicht geben können. Niemand wagte mehr das Zimmer zu verlassen aus Furcht, auf eine Tarantel zu treten. Jeder tappte nach einem Koffer oder einem Bett und schwang sich hinauf. Dann folgte die eigentümlichste Stille – eine Stille gräßlicher Spannung, voll Erwartung, Hoffnung, Furcht. Es war pechfinster, und um das Schauspiel der vierzehn zu genießen, wie sie in höchst mangelhafter Toilette ängstlich auf Koffern und Betten hockten, mußte man sich schon mit der Einbildungskraft behelfen, denn zu sehen war schlechterdings nichts. Dann folgten gelegentlich kleine Unterbrechungen der Stille; man konnte an der Stimme erkennen, wer sprach und wo der Betreffende sich befand; auch vermochte man zu unterscheiden, aus welcher Richtung die sonstigen Geräusche kamen, die einer der armen Dulder durch sein Herumtappen oder eine Änderung seiner Körperlage verursachte. Die ab und zu vernehmbaren Stimmen waren nicht sehr gesprächig – man hörte nur ein schwaches ›Au!‹ gefolgt von einem tüchtigen Aufstampfen; dann wußte man, daß der betreffende Herr einen haarigen Teppich oder sonst etwas dergleichen auf der Haut gespürt und daraufhin einen Satz aus dem Bette auf den Stubenboden gemacht hatte. Darnach wieder tiefe Stille. Jetzt rief eine nach Luft schnappende Stimme:

»Mi–mir Kabbelt etwas hinten am Hals hinauf!« Alle Augenblicke konnte man einen halbunterdrückten Schrei, ein schwaches Strampeln und ein angstvolles ›ach, Herrgott!‹ vernehmen – zum Zeichen, daß einer sich vor etwas zurückzog, was ihm wie eine Tarantel vorkam, und zwar ohne Zeitverlust. Nun schrie auf einmal hinten in der Ecke eine Stimme laut und wild auf:

»Ich hab‘ ihn! Ich hab‘ ihn!« (Hierauf Pause, während der die Verhältnisse sich vermutlich änderten,) »Nein, er hat mich! O, geht denn gar niemand und holt eine Laterne?«

In dem Augenblick erschien die Laterne in den Händen der Frau O’Flannigan. Nachdem diese aus dem Bett gestiegen und Licht gemacht, hatte sie trotz ihrer Begier, sich von der Größe des durch das feindliche Dach angerichteten Schadens zu überzeugen, wohlweislich nicht unterlassen, eine angemessene Weile zu warten, bevor sie oben nachsah, ob der Wind jetzt fertig oder noch mehr Unthaten vorhabe.

Die Scenerie, welche sich enthüllte, als plötzlich der Schein der Laterne ins Zimmer strahlte, war malerisch und wäre vielleicht manchen Leuten komisch vorgekommen, für uns war sie es nicht. Wir saßen zwar in höchst wunderlicher Stellung und in einem nicht minder wunderlichen Aufzug auf Kisten, Koffern und Betten herum, allein wir hatten viel zu große Angst und fühlten uns zu unbehaglich, um etwas Komisches darin zu finden; so war denn nirgends auch nur der Schein eines Lächelns zu bemerken. Was mich betrifft, so kann ich mir nichts Ärgeres vorstellen als die Pein, die ich während der wenigen Minuten voll angstvoller Spannung im Dunkeln, umgeben von diesen kriechenden, blutgierigen Taranteln, erduldet hatte. In kaltem Todesschweiß war ich von Bett zu Bett, von Kiste zu Kiste gehüpft, und so oft ich an etwas Stacheligem streifte, bildete ich mir bereits ein, ich spüre die Fänge.

Ich ginge lieber in den Krieg, als dieses Vorkommnis noch einmal mitzumachen. Es war übrigens niemand zu Schaden gekommen. Derjenige welcher glaubte, eine Tarantel ›habe ihn‹, irrte sich gründlich – er hatte sich nur die Finger in einen Kistenspalt geklemmt. Von den entwichenen Taranteln wurde keine jemals mehr gesehen; es waren zehn oder zwölf gewesen. Wir durchsuchten das Zimmer mit Licht von oben bis unten, jedoch ohne Erfolg. Dann gingen wir wohl zu Bette? O nein! Alles Gold der Welt hätte uns nicht dazu gebracht. Wir blieben die Nacht vollends auf, spielten ›Cribbage‹ und hielten scharfe Ausschau nach dem Feinde.

Zehntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Zwei Leute in der Gesellschaft waren mir ganz besonders widerwärtig. Der eine war ein kleiner Schwede von ungefähr fünfundzwanzig Jahren, der nur ein einziges Lied konnte, das er in einemfort sang. Den Tag über waren wir sämtlich in einem einzigen, kleinen, zum Ersticken dunstigen Schenkzimmer zusammengepfercht, und so gab es vor der Musik dieses Menschen kein Entrinnen. Mitten durch all das Lästern, Wiskeysaufen, Stoßen und Zanken tönte sein langweiliger Gesang ohne irgend welche Abwechslung in der gleichen einförmigen Weise, so daß ich zuletzt gerne den Tod erlitten hätte, um dieser Marter zu entgehen. Der andere war ein stämmiger Raufbold, ›Arkansas‹ geheißen; im Gürtel trug er zwei Revolver, aus dem Stiefel sah ihm ein Bowiemesser heraus; er war stets betrunken und auf der Suche nach Händeln, doch fürchtete man ihn so sehr, daß ihm niemand den Gefallen thun wollte, mit ihm anzubinden. Durch allerlei kleine Kriegslisten suchte er bald diesen bald jenen zu einer beleidigenden Bemerkung zu verlocken, und hie und da leuchtete sein Gesicht freudig auf, wenn er meinte, er habe eine Rauferei gehörig eingefädelt; aber unfehlbar vereitelte sein Opfer alle Bemühungen, und dann gab er jedesmal eine Enttäuschung kund, die schier pathetisch war. Den Wirt, Johnson, einen bescheidenen, gutmütigen Menschen, nahm Arkansas bald als vielversprechenden Gegenstand aufs Korn und ließ ihm ein Zeitlang Tag und Nacht keine Ruhe. Am vierten Morgen betrank sich Arkansas und paßte auf eine gute Gelegenheit. Bald darauf kam Johnson, gemütlich vom Wiskey angeheitert, herein und begann:

»Ich glaube die Wahl in Pennsylvanien –«

Arkansas erhob warnend den Finger, worauf Johnson inne hielt. Der andere richtete sich unsicher auf und trat ihm schwankend gegenüber mit den Worten:

»Wa–was wissen Sie vo–von Pennsylvanien? Antworten Sie mir. Wa–was wissen Sie von Pennsylvanien?«

»Ich wollte bloß sagen –«

»Sie wollten bloß sagen – Sie! Sie wollten bloß sagen – was wollten Sie sagen? Das ist’s! Das will ich wissen. Ich will wissen, wa–was Sie (Schlucken) von Pennsylvanien wissen, weil Sie sich so verdammt breit damit machen. Antworten Sie mir darauf!«

»Herr Arkansas, wenn Sie mir erlauben wollten –«

»Wer hindert Sie denn? Bringen Sie keine Sticheleien gegen mich vor – lassen Sie das sein. Kommen Sie nicht mit großthuerischen Redensarten und Fluchen und Schwören wie ein Verrückter herein – lassen Sie das gefälligst bleiben. Denn ich lasse mir das nicht gefallen. Wenn Sie sich mit mir schießen wollen, heraus mit der Schlüsselbüchse! Ich bin dabei! Heraus damit!«

Johnson flüchtete rückwärts in eine Ecke, wohin Arkansas drohend folgte. »Aber ich habe ja gar nichts gesagt, Herr Arkansas!« rief der Wirt. »Sie lassen einen ja nicht ausreden. Ich wollte bloß sagen, daß es in Pennsylvanien nächste Woche eine Wahl geben wird – das war alles – das war das einzige, was ich sagen wollte; ich will nicht gesund hier stehen, wenn es nicht so war.«

»Gut, aber warum sagten Sie das nicht gleich? Was kamen Sie so geschwollen herein und versuchten Spektakel anzufangen?«

»Aber ich bin doch gar nicht geschwollen hereingekommen, Herr Arkansas, ich wollte ja nur –«

»Ich bin also ein Lügner? Nicht wahr? Beim Geist des gr–großen Cäsar –«

»Aber bitte, Herr Arkansas, ich habe so etwas durchaus nicht sagen wollen; ich will gleich tot sein, wenn ich daran gedacht habe. Die Jungens werden Ihnen alle bezeugen, daß ich stets gut von Ihnen gesprochen und Sie höher geachtet habe als irgend jemand im Hause. Fragen Sie ‚mal Smith. Ist es nicht so, Smith? Habe ich nicht erst gestern abend gesagt, wenn ihr einen feinen Herrn haben wollt, der es immer und unter allen Umständen ist und bleibt, so seht euch den Arkansas an? Sie können jeden von den Herren hier fragen, ob das nicht genau meine Worte sind. Kommen Sie jetzt, Herr Arkansas, wir wollen einen Schluck nehmen – wir wollen uns die Hände schütteln und ein Tröpfchen trinken. Kommen Sie her, alle miteinander, ich traktiere! Kommt her, Bill, Tom, Bob, Scotty – kommt her. Ihr sollt alle mit mir und Arkansas, meinem alten Arkansas – meinem prächtigen, alten Arkansas, einen Kleinen trinken. Geben Sie mir noch ‚mal die Hand. Seht ihn an, Jungens – nur einmal seht ihn an. Da steht der weiseste Mann in ganz Amerika – und wer das leugnet, der hat’s mit mir zu thun, damit Punktum. Geben Sie mir die alte Tatze noch einmal.«

Sie umarmten sich. Dies geschah von seiten des Wirtes mit trunkener Zärtlichkeit, welche von Arkansas, der um den Preis eines Schnapses wiederum seine Beute aus den Händen lassen mußte, mit lässiger Gleichgültigkeit hingenommen wurde. In seinem Glück darüber, daß er der Schlachtbank entronnen, war der Wirt so thöricht, noch weiter fortzuschwatzen, statt der Gefahr aus dem Wege zu gehen. Dies hatte zur Folge, daß Arkansas bald darauf wieder gefährliche Blicke nach ihm zu werfen begann und sagte:

»Wirt, wollen Sie ge–gefälligst diese Be–Bemerkung noch einmal machen, wenn es Ihnen beliebt?«

»Ich sagte zu Scotty, mein Vater sei über achtzig Jahre alt gewesen, als er starb.« »War das alles, was Sie sagten?«

»Ja, das war alles.«

»Sagten Sie weiter nichts als das?«

»Nein, nichts weiter.«

Ein unbehagliches Schweigen folgte. Arkansas spielte einen Augenblick mit seinem Glase, die Ellbogen auf den Schenktisch gestützt. Dann kratzte er sich nachdenklich mit dem linken Stiefel am rechten Schienbein, während das unheildrohende Schweigen noch fortdauerte. Auf einmal schlenderte er mit verdrießlicher Miene nach dem Ofen zu, schob in grober Weise zwei oder drei Leute mit der Schulter aus ihren behaglichen Stellungen weg, machte sich’s bequem und gab einem schlafenden Hund einen Fußtritt, daß er heulend unter eine Bank fuhr; darauf spreizte er seine langen Beine auseinander, nahm die Schöße seines aus einer Pferdedecke gemachten Rockes unter die Arme und schickte sich an, sich die Hinterseite zu wärmen. Nach einem Weilchen begann er für sich zu brummen, und bald darauf schlotterte er an den Schenktisch zurück und sagte:

»Wirt, was soll das heißen, daß Sie alte Persönlichleiten zusammenkratzen und sich mit Ihrem Vater groß machen? Paßt Ihnen unsere Gesellschaft nicht? Hm? Wenn Ihnen diese Gesellschaft nicht recht ist, so thäten wir vielleicht besser, zu gehen. Ist das Ihre Meinung? Wollen Sie darauf hinaus?«

»Ei, du meine Güte, Arkansas, ich habe an so etwas gar nicht gedacht. Meine Eltern –«

»Wirt, fiedeln Sie mir nicht solches Zeug vor. Lassen Sie das. Wenn Sie durchaus Spektakel haben müssen, frisch heraus damit (Schlucken) – aber scharren Sie nicht vergangene, alte Dinge aus dem Boden auf, um sie Leuten in die Zähne zu werfen, die Frieden zu halten wünschen, wenn es halbwegs geht. Was ist denn überhaupt heut‘ morgen mit Ihnen los? Noch nie habe ich einen Menschen gesehen, der sich so aufspielte!«

»Arkansas, ich habe mir wirklich nichts Schlimmes dabei gedacht, aber ich will’s sein lassen, wenn es Ihnen unangenehm ist. Ich glaube, meine Schnäpse sind mir in den Kopf gestiegen, und dann die Überschwemmung und daß ich so viele Leute zu füttern habe und sorgen muß, daß –«

»Also das ist’s, was Ihnen im Kopf herumgeht? Sie wollen uns los sein, he? Ist’s nicht so? Heraus damit!«

»Bitte, so seien Sie doch vernünftig, Arkansas. Sie wissen ja doch, daß ich nicht der Mann darnach bin, um –«

»Wollen Sie mir drohen, he? Beim Himmel, der Mann muß erst geboren werden, der mich ins Bockshorn jagt. Probier’s nur nicht, mir so aufzuspielen, mein Lämmchen. – Ich kann viel vertragen, aber das vertrag‘ ich nicht. Komm hervor hinter dem Schenktisch da, daß ich dich Mores lehre. Du willst uns vertreiben, du schleichender, heimtückischer Hund. Geh heraus hinter dem Schenktisch da! Ich will dich lehren, einen Biedermann mit Bramarbasieren zu quälen und mit hochmütigen Blicken zu reizen, der dir immer alles zu lieb gethan hat!«

»Bitte, Arkansas, nicht schießen, bitte! Wenn’s zu Blutvergießen kommt –«

»Hören Sie, meine Herren? Hören Sie, wie er von Blutvergießen spricht? Also Blut willst du sehen, nicht wahr, du wütender Mordgeselle! Du hast dir vorgenommen, heut‘ morgen jemand umzubringen! Das hab‘ ich gleich gewußt. Mich hast du auf dem Korn, nicht wahr? Mir willst du an den Hals, nicht wahr? Aber ich will dir schon zuvorkommen, du diebischer Niggersohn mit schwarzem Herzen und weißer Leber! Heraus mit deiner Schlüsselbüchse!« Damit begann Arkansas zu feuern, während der Wirt in heller Todesangst über Bänke, Menschen und alles, was ihm im Weg stand, wegsetzte. Inmitten des tollen Getümmels fuhr der Wirt krachend durch eine Glasthüre, und als Arkansas ihm nachsprang, erschien plötzlich die Frau des Wirtes in der Thüröffnung und trat dem Raufbold mit einer Schere entgegen. Die Frau war großartig in ihrer Wut. Erhobenen Hauptes und blitzenden Auges stand sie einen Augenblick da, dann rückte sie mit gezückter Waffe vor. Verblüfft hielt der Schurke inne und trat einen Schritt zurück. Sie folgte ihm, trieb ihn Schritt für Schritt bis in die Mitte der Schenkstube und gab ihm hier vor der verwunderten Menge, die sich um sie sammelte und sie mit starrem Staunen betrachtete, eine solche Tracht Zungenhiebe, wie sie vielleicht noch nie einem eingeschüchterten und gründlich beschämten Prahlhans zu teil geworden sind. Als sie zu Ende war und sich als Siegerin zurückzog, erzitterte das Haus von Beifallsgebrüll und jedermann bestellte in einem Atem ›Schnaps für die ganze Gesellschaft.‹

Die Lektion war völlig genügend. Die Schreckensherrschaft war vorüber, Arkansas‘ Macht für immer gebrochen. Während der ganzen Zeit, die wir noch auf unserer Insel in Gefangenschaft verbringen mußten, saß einer stets geduckt beiseite, mengte sich nie in einen Streit, ließ nie eine Prahlerei hören und nahm geduldig die Beleidigungen hin, die ihm die Menge, welche bisher vor ihm zu Kreuz gekrochen, jetzt unaufhörlich zuschleuderte – und dies war Arkansas.

Am fünften oder sechsten Morgen verlief sich das Wasser vom Lande wieder, aber die Strömung im alten Flußbett war immer noch hoch und reißend, und keine Möglichkeit hinüberzukommen. Am achten Tage ging sie immer noch zu hoch, als daß man ganz ohne Gefahr hätte übersetzen können; allein das Leben in der Schenke war bei der Unsauberkeit, Trunkenheit und Rauflust der Gäste nicht länger auszuhalten, und so machten wir einen Versuch, fortzukommen. Bei heftigem Schneesturm schifften wir uns in einem Kahne ein, nahmen die Sattel mit an Bord und zogen die Pferde im Schlepptau an den Halftern hinter uns drein. Der Preuße Ollendorf befand sich vorn am Bug mit einem Ruder, Ballou ruderte in der Mitte und ich saß im Stern und hielt die Halfter. Als die Pferde den Grund verloren und zu schwimmen anfingen, wurde Ollendorff ängstlich; er fürchtete, die Pferde könnten uns vom Ziel abbringen, und es war klar, daß, falls es uns nicht gelang, an einer gewissen Stelle zu landen, wir, von der Strömung fortgerissen, unfehlbar in den Hauptarm des Carson treiben würden, der zurzeit einen kochenden Strudel bildete. Ein solches Mißgeschick würde aller Wahrscheinlichkeit nach unsern Tod bedeutet haben; denn wir wären mit unserm Kahn in den See geschwemmt worden oder umgestürzt und ertrunken. Wir mahnten Ollendorff, seine fünf Sinne zusammenzuhalten und sich vorsichtig zu betragen, aber es nutzte nichts. In dem Augenblick, als das Boot ans Ufer stieß, that er einen Sprung, so daß das Fahrzeug umschlug und in dem zehn Fuß tiefen Wasser herumwirbelte. Ollendorff erfaßte einen Strauch, an dem er sich ans Ufer zog, während Ballou und ich hinüberschwimmen mußten, wobei uns unsere Überzieher sehr hinderlich waren. Aber wir hielten uns an dem Kahn fest, und obwohl wir beinahe den Carson hinabgespült worden wären, gelang es uns zuletzt doch, das Boot ans Ufer zu schieben und sicher zu landen. Wir waren zwar durchkältet und durchnäßt, aber doch in Sicherheit. Die Pferde halfen sich gleichfalls ans Land; aber unsere Sättel waren natürlich verloren. Wir banden die Tiere an Salbeibüsche fest, wo sie vierundzwanzig Stunden ausharren mußten. Dann schöpften wir das Boot aus und schafften darin für sie Futter und wollene Decken hinüber, während wir selbst noch einmal in dem Wirtshause übernachteten, ehe wir uns abermals auf die Reise wagten.

Am nächsten Morgen, als wir mit neuen Sätteln und sonstigen Ausrüstungsgegenständen aufbrachen, schneite es immer noch wie rasend. Wir stiegen auf und ritten ab. Der Schnee bedeckte den Boden so hoch, daß keine Spur von der Straße erkennbar war, und der Schnee fiel so dicht, daß wir nicht mehr als hundert Schritt weit vor uns sehen konnten, sonst hätten wir an den Bergketten unsere Richtung erkennen können. Die Sache sah bedenklich aus; allein Ollendorff erklärte, er habe einen Instinkt so fein wie ein Kompaß und wäre im stände, schnurgerade auf Carson–City zuzureiten, und die Linie genau einzuhalten. Bei der geringsten Abweichung von derselben würde ihn sein Instinkt so sicher warnen wie einen Sünder sein Gewissen. Glücklich und zufrieden folgten wir seiner Spur. Eine halbe Stunde lang haspelten wir uns ziemlich mühselig weiter, dann aber trafen wir auf eine neue Fährte, und Ollendorff rief stolz:

»Ich wußte es ja, daß ich so unfehlbar bin wie ein Kompaß, Jungens! Hier sind wir genau in den Fußspuren von jemand, der uns den Weg zeigen wird, ohne daß wir uns anzustrengen brauchen. Wir wollen uns eilen, damit wir uns der Gesellschaft da vorne anschließen können.«

Nun ließen wir die Pferde so stark traben, als es in dem tiefen Schnee anging; und nicht lange, so schien es, als kämen wir den vor uns Reitenden näher; denn die Spuren wurden deutlicher. Eilig strebten wir vorwärts, und nach Verlauf einer Stunde sahen die Spuren noch neuer und frischer aus – nur waren wir überrascht, daß die Zahl der Reisenden fortwährend zuzunehmen schien. Wir konnten uns nicht denken, wie eine so große Gesellschaft zu solcher Zeit in diese Einöde käme, bis einer von uns meinte, es müsse wohl eine Kompagnie Soldaten vom Fort sein. Zufrieden mit dieser Lösung des Rätsels, ritten wir noch etwas rascher weiter; sie konnten ja nicht mehr fern sein. Aber die Spuren vermehrten sich noch immer, so daß wir schon anfingen zu glauben, das Peloton Soldaten müsse sich auf unerklärliche Weise zu einem Regiment vermehrt haben – Ballon behauptete, es seien schon mindestens fünfhundert daraus geworden. Auf einmal hielt er an und sagte: »Jungens, das sind ja unsere eigenen Spuren! Mehr als zwei Stunden lang sind wir wahrhaftig wie in einem Zirkus immer wieder rundum geritten, hier außen in der öden Wüste! Bei Gott, das ist ja ganz ›hydraulisch‹!«

Dann wurde der alte Mann wild und fing an zu schimpfen. Er gab Ollendorff allerhand schlimme Namen, sagte, in seinem Leben hätte er keinen solchen dämlichen Pinsel gesehen wie ihn, und machte zum Schluß die ganz besonders giftige Bemerkung, er wisse nicht einmal so viel wie ein Logarithmus!

Wir waren richtig unseren eigenen Spuren gefolgt. Ollendorff samt seinem inneren Kompaß fiel von nun an in Ungnade. Am Schlüsse unseres mühseligen Rittes befanden wir uns wieder am Ufer des Baches, während sich drüben durch das Schneetreiben hindurch in matten Umrissen das Wirtshaus zeigte. Noch überlegten wir, was nun zu thun sei, da landete der junge Schwede mit dem Kahn und schlug seinen Weg zu Fuß nach Carson-City ein, immer denselben langweiligen Singsang herleiernd. Eine Minute darauf war er nur noch undeutlich sichtbar und versank dann in dem weißen Meer der Vergessenheit. Man hörte nie wieder von ihm. Ohne Zweifel verlor er die ruhige Besinnung, verirrte sich, sank vor Ermüdung in Schlaf und fiel so dem Tode in die Arme. Möglicherweise folgte er auch unsern verräterischen Spuren, bis er vor Erschöpfung zusammenbrach.

Inzwischen fuhr die Überlandpost durch den jetzt rasch fallenden Bach; es war ihre erste Fahrt nach Carson seit dem Eintritt der Überschwemmung. Ohne Zeitverlust folgten wir den von ihr gezogenen Furchen und trabten lustig voran, denn wir setzten volles Zutrauen in die Lokalkenntnis des Postillons. Unsere Pferde konnten es zwar mit dem frischen Gespann der Post nicht aufnehmen, so daß wir diese bald aus dem Gesicht verloren, doch hatte dies nichts zu bedeuten, denn die tiefen Einschnitte, die die Räder machten, dienten uns als Wegweiser. Mittlerweile war es drei Uhr nachmittags geworden, und es mußte bald Nacht werden. Das geschieht aber dort zu Lande nicht mittelst einer allmählich stärker werdenden Dämmerung, sondern geht so plötzlich vor sich, wie wenn eine Kellerthür zugeschlagen wird. Der Schnee fiel noch immer gleich dicht, so daß wir keine fünfzehn Schritte vor uns sehen konnten; aber ringsum vermochten wir durch den Schimmer des weißen Schneebettes die glatten, zuckerhutförmigen Erhöhungen zu erkennen, in welche sich die Salbeibüsche verwandelt hatten; die beiden schmalen Rinnen dicht vor uns aber waren die mehr und mehr sich füllenden und langsam verschwindenden Wagengeleise.

Nun waren jene Salbeibüsche alle von derselben Höhe, drei oder vier Fuß hoch, und sie standen alle etwa sieben Fuß auseinander, soweit das Auge reichte; jeder derselben war jetzt ein bloßer Schneehaufen; in jeder Richtung, die man einschlagen mochte, bewegte man sich wie in einem gut angelegten Obstgarten durch eine rechts und links von einer Reihe dieser Schneehaufen eingefaßte Gasse – eine Gasse von der gewöhnlichen Breite einer Landstraße, in der Mitte sauber und eben, und an den Seiten ganz natürlich ansteigend. Bisher war uns das noch gar nicht eingefallen. Nun stelle man sich einmal vor, wie es uns eiskalt überlief, als uns tief in der Nacht der Gedanke kam, wir möchten vielleicht jetzt, da die schwache Spur der Wagenräder längst begraben und unseren Blicken entzogen war, in einer bloßen Allee von Salbeibüschen, meilenweit weg von der Straße hin irren und immer weiter von derselben abkommen. Wäre uns ein Eisklumpen über den nackten Rücken gerutscht, es hätte eine behagliche Empfindung sein müssen, verglichen mit diesem Gefühl. Das seit einer Stunde schläfrig gewordene Blut regte sich plötzlich wieder und schoß uns verzweifelt durch die Adern. Alle in Schlummer versunkenen Kräfte des Geistes und Körpers stammten auf. Sofort waren wir wach und munter, aber nur um vor Angst und Bestürzung zu zittern und zu klappern. Unverzüglich machten wir Halt, stiegen von den Pferden und bückten uns tief, um nach den Spuren der Straße zu suchen. Vergeblich; denn eine Bodenvertiefung, die nicht zu erkennen war, wenn man sich vier oder fünf Fuß über derselben befand, ließ sich erst recht nicht wahrnehmen, wenn man sie fast mit der Nase berührte.

Elftes Kapitel

Elftes Kapitel

Es kam uns zwar vor, als befänden wir uns auf einer Straße; aber das war noch kein Beweis. Denn als wir nach verschiedenen Richtungen hinschritten, zog jeder von uns aus den regelmäßigen Reihen von Schneehaufen und den dazwischen hinlaufenden Wegen den unumstößlichen Schluß, daß er den richtigen Weg gefunden und die beiden andern sich geirrt hätten. Wir waren kalt und steif und die Pferde ermüdet. In unserer verzweifelten Lage beschlossen wir, ein Feuer aus Salbeibüschen anzumachen und bei demselben bis zum Morgen zu kampieren. Dies war das Vernünftigste, weil, falls wir von der richtigen Straße abgekommen waren und der Schneesturm noch einen Tag anhielt, kaum noch eine Rettung blieb, wofern wir weiter ritten.

Wir waren alle einig darüber, daß ein Lagerfeuer uns noch am ehesten am Leben erhalten könnte, und so machten wir uns ohne Aufschub daran, ein solches herzustellen. Da wir keine Zündhölzchen finden konnten, versuchten wir es mit den Pistolen. Zwar hatte keiner von der Gesellschaft dies jemals probiert, aber wir glaubten, es werde sich ganz bequem machen lassen, denn wir hatten des öfteren davon in Büchern gelesen und verließen uns nun darauf mit derselben vertrauensvollen Einfalt wie auf jenen anderen Bücherschwindel, der von Indianern und verirrten Jägern erzählt, die sich durch Reiben von zwei dürren Holzstücken Feuer verschaffen.

Auf den Knieen drängten wir uns in dem tiefen Schnee an einander; die Pferde steckten ihre Nasen zusammen und beugten ihre Köpfe geduldig über uns, und so fuhren wir in unserem wichtigen Experiment fort, während die federigen Flocken herunterwirbelten und uns in eine Gruppe weißer Statuen verwandelten. Wir brachen Zweige von einem Salbeibusch, säuberten einen kleinen Platz vom Schnee und häuften das Holz auf, es mit unsern Leibern schützend. Dies nahm zehn bis fünfzehn Minuten in Anspruch, und nun setzte Ollendorff unter allgemeiner Stille und atemloser, ängstlicher Spannung seinen Revolver daran, drückte ab und – fort flog unser Holzhäufchen in alle Winde.

Das war recht betrübend, aber es verblaßte vor einem noch größeren Schrecken – die Pferde waren fort. Ich war damit betraut gewesen, die Zügel zu halten, hatte sie aber in der Aufregung des Pistolenexperiments unversehens fallen lassen, und die frei gewordenen Tiere waren in dem Unwetter davongelaufen. Sie aufsuchen zu wollen, wäre verlorene Mühe gewesen; ihre Fußtritte brachten kein Geräusch hervor und man konnte ihnen auf zwei Ellen nahe sein, ohne sie zu sehen. So gaben wir sie denn auf und verwünschten die Bücher mit ihren Lügen, in denen steht, daß Pferde in Zeiten der Not, Schutz und Gesellschaft suchend, bei ihrem Herrn bleiben.

Wir waren schon vorher elend genug daran gewesen, nun fühlten wir uns noch viel verlassener. Geduldig, doch ohne Hoffnung brachen wir noch einmal Reisig ab und schichteten es auf, worauf es der Preuße abermals in alle Winde schoß. Offenbar war das Feueranmachen mit einem Pistol eine Kunst, die Übung und Erfahrung erforderte, und eine Wüste um Mitternacht und bei Schneegestöber war nicht der Ort zur Erlangung dieser Fertigkeit. Wir gaben diesen Versuch auf und wandten uns zu dem andern. Ein jeder von uns nahm zwei Hölzer und machte sich daran, sie aneinander zu reiben. Nach Ablauf einer halben Stunde waren wir vor Kälte ganz erstarrt und die Hölzer nicht minder. Bitter verwünschten wir Indianer, Jäger und Bücher, die uns mit ihrem einfältigen Rate bethört hatten, und fragten uns, was nun zunächst zu thun sei. In diesem entscheidenden Augenblicke entdeckte Ballon in einer Tasche, die er bisher ganz übersehen hatte, vier Zündhölzchen. Wären es Goldbarren gewesen, sie würden uns, verglichen damit, als ein ärmlicher, wertloser Glücksfund vorgekommen sein. Man glaubt nicht, wie prächtig sich ein Zündholz unter solchen Umständen ausnimmt, wie lieblich und kostbar und von welch erhabener Schönheit umflossen es dem Auge erscheint. Voll hoher Hoffnungen sammelten wir nochmals Reisig, und als der Alte sich anschickte, das erste Hölzchen in Brand zu setzen, sahen wir ihm mit einem Interesse zu, das ganze Druckseiten nicht genügend zu schildern vermöchten. Hoffnungsvoll brannte das Zündhölzchen einen Augenblick lang und ging dann aus. Wäre es eine Menschenseele gewesen, man hatte ihr Erlöschen nicht tiefer betrauern können. Das nächste Hölzchen blitzte nur auf, um sogleich wieder zu ersterben. Das dritte blies der Wind gerade in dem Augenblick aus, als es Erfolg verhieß. Enger als je drückten wir uns nun zusammen und entwickelten eine peinliche Aufmerksamkeit, als Ballon mit unserer letzten Hoffnung über sein Hosenbein strich. Das Hölzchen fing Feuer, brannte zuerst blau und kümmerlich, flackerte dann aber zu einer kräftigen Flamme auf. Der alte Herr schützte sie mit der Hand und bückte sich langsam damit. Jeder von uns war mit ganzer Seele bei seinem Thun, Blut und Atem stockten uns. Endlich ergriff die Flamme die Hölzer, teilte sich allgemach mehreren mit – zögerte – gewann wieder etwas mehr Kraft – zögerte nochmals – behielt fünf herzbrechende Minuten lang das Leben – um dann wie die Seele eines Sterbenden noch einmal aufzuflackern und zu erlöschen.

Mehrere Minuten lang sprach keiner ein Wort. Ein feierliches Schweigen herrschte. Selbst der Wind hielt verstohlen inne mit seinem Wehen, und machte nicht mehr Geräusch als die fallenden Schneeflocken, so daß eine unheilverkündende Stille entstand. Endlich begann man mit gepreßter Stimme sich auszusprechen, und es zeigte sich bald, daß einer wie der andere von uns in seinem Innern fest überzeugt war, diese Nacht sei unsere letzte in diesem Leben. Ich hatte im stillen gehofft, der einzige zu sein, der diese Empfindung hatte. Als die andern ruhig ebenfalls diese Überzeugung bekannten, klang es wie Grabgeläute. Ollendorff sagte: »Brüder, laßt uns zusammen sterben! Und laßt uns hinübergehen ohne ein bitteres Gefühl gegen einander. Laßt Vergangenes vergeben und vergessen sein. Ich weiß, ihr grollet mir, weil ich schuld daran war, daß gestern der Kahn umschlug und weil ich gescheit sein wollte und euch im Kreise im Schnee herumführte – aber ich meinte es gut, verzeiht mir. Ich gestehe offen, daß ich auf Ballou böse war, weil er mich geschimpft und einen Logarithmus genannt hatte; was das ist, weiß ich nicht; es muß aber wohl etwas sein, das in Amerika für ungehörig und unehrenvoll gilt; es ist mir kaum einen Augenblick aus dem Sinn gekommen und hat mich sehr gekränkt – aber lassen wir das, ich vergebe Ihnen von ganzem Herzen, Herr Ballou, und –«

Der arme Ollendorff brach zusammen und Thränen liefen ihm die Wange herunter. Aber nicht ihm allein; denn ich brach ebenfalls in Weinen aus und Ballou nicht minder. Als Ollendorff wieder reden konnte, erteilte er mir Vergebung für verschiedenes, was ich ihm gethan und gesagt hatte. Dann zog er seine Schnapsflasche heraus und erklärte, ob er nun sterben oder am Leben bleiben möge, nie werde er wieder einen Tropfen anrühren. Der Hoffnung auf das Leben habe er gänzlich entsagt und, obwohl schlecht vorbereitet, wolle er sich doch demütig in sein Schicksal ergeben. Allerdings wünschte er noch eine kleine Frist, aber nicht aus irgend welchem selbstsüchtigen Grunde, sondern um seinen Sinn gründlich zu ändern, sich der Pflege der Armen zu weihen, Kranke zu warten und der Welt Mäßigkeit zu predigen, damit sein Leben zu einem heilsamen Beispiel für die Jugend werde und er es zuletzt mit dem tröstlichen Gedanken beschließen dürfe, daß er nicht umsonst gelebt habe. Seine Umkehr solle gleich in diesem Augenblick beginnen, hier im Angesicht des Todes, da ihm keine Zeit mehr gewährt sei, sich zum Wohl und Heil der Menschheit zu bethätigen – und damit schleuderte er die Whiskeyflasche fort.

Ballou machte Bemerkungen ähnlichen Inhalts und begann die ›Umkehr‹, deren Fortsetzung er nicht erleben sollte, damit, daß er das alte Kartenspiel wegwarf, welches unsere Gefangenschaft während der letzten Tage behaglich, ja überhaupt erträglich gemacht hatte. Nie habe er gewerbsmäßig gespielt, sagte er, aber er sei überzeugt, daß die Beschäftigung mit den Karten unsittlich und schädlich sei, und wer ganz rein und tadellos sein wolle, derselben entsagen müsse, »und deshalb,« so fuhr er mit seinem steten wunderlichen Gebrauch von Fremdwörtern fort, »fühle ich mich jetzt bei diesem Akt schon in größerer Sympathie mit jenen zu gänzlicher und obsoleter Reform notwendigen spirituellen Saturnalien.« Dieser Silbenfall rührte ihn tiefer, als irgend ein verständlicher Satz des besten Redners es vermocht hätte; der alte Mann schluchzte mit einer Wehmut, die nicht ohne Beimischung einer gewissen Befriedigung war.

Meine eigenen Bemerkungen waren in demselben Tone gehalten wie die meiner Kameraden, und ich weiß, daß die Gefühle, aus denen sie entsprungen, tief empfundene und aufrichtige waren. Wir meinten es alle aufrichtig und waren tief erschüttert und voll heiligen Ernstes; sahen wir uns doch ohne jede Hoffnung im Angesichte des Todes. Ich warf meine Pfeife weg mit der Empfindung, mich dadurch endlich von einem verhaßten Laster frei gemacht zu haben, das mich mein Lebtag beherrscht hat. Während ich noch sprach, überwältigte mich der Gedanke an das Gute, das ich in der Welt hätte thun können und an das noch größere Gute, das ich von nun an aus höherem Antriebe und mit besseren Zielen und Leitsternen hätte thun können, wären mir nur noch ein paar Jahre beschieden gewesen – und meine Thränen flossen wieder. Wir umschlangen uns mit den Armen und erwarteten die Schläfrigkeit, die dem Tode des Erstarrens voranzugehen pflegt. Sie stahl sich gar bald über uns, und wir sagten einander ein letztes Lebewohl. Ein behaglicher Traumzustand wob sich um meine schwindelnden Sinne, während die Schneeflocken meinen nunmehr besiegten Körper mit einem Leichentuche bedeckten. Das Bewußtsein schwand. Der Kampf des Lebens war vorüber.

Zwölftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Ich weiß nicht, wie lange ich mich in dem Zustand völligen Vergessens befand, aber es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Allmählich erwachte ich wieder einigermaßen zum Bewußtsein, und es stellte sich ein immer heftigeres, quälendes Schmerzgefühl in den Gliedern, ja im ganzen Körper ein. Mir schauderte, durch mein Gehirn schoß der Gedanke: Das ist der Tod, das ist das Jenseits.

Auf einmal erhob sich neben mir etwas Weißes und eine grämliche Stimme sagte:

»Will einer der Herren mir gefälligst einen Tritt vor den Hintern geben?«

Es war Ballou – wenigstens war es ein struppiger Schneemann mit Ballous Stimme.

Ich erhob mich, und wer schildert mein Erstaunen, als ich im Morgengrauen keine zwanzig Schritte von uns weg die Brettergebäude einer Poststation erblickte und dabei unter einem offenen Schuppen unsere Pferde noch mit Sattel und Zaum!

Eine gewölbte Schneewehe zerbarst jetzt, aus der Ollendorff auftauchte; und alle drei saßen wir nun da und starrten die Gebäude an, ohne ein Wort zu sagen. Wir hatten auch in der That nichts zu sagen. Wir standen wie die Ochsen am Berge. Die ganze Situation war so peinlich lächerlich und demütigend, daß sie sich nicht in Worte fassen läßt.

Die Freude unserer Herzen über unsere Rettung war vergiftet, ja fast zerstört. Nicht lange, so wurden wir immer verdrießlicher und mürrischer; dann klopften wir, ärgerlich über einander, ärgerlich über uns selber, ärgerlich über alles mögliche, mit finsteren Blicken den Schnee von unseren Kleidern und wateten in ungeselligem Gänsemarsch zu unseren Gäulen hin, nahmen ihnen die Sättel ab und suchten im Posthause Obdach.

Ich habe kaum eine Einzelheit dieses seltsamen und abgeschmackten Abenteuers übertrieben. Es trug sich fast genau so zu. Wir hatten uns wirklich in einer Schneewehe gelagert und hielten uns für hoffnungslos verloren, während sich keine zwanzig Schritte weit von uns ein bequemes Wirtshaus befand.

Zwei ganze Stunden lang saßen wir im Posthause, jeder einzeln für sich in seine ärgerlichen Gedanken vertieft. Das Geheimnis war enthüllt, wir wußten jetzt ganz gut, warum die Pferde uns verlassen hatten. Sie waren gescheiter gewesen als wir, hatten sich ohne Zweifel schon nach wenigen Augenblicken unter dem schützenden Schuppen befunden, von dort aus jedenfalls alle unsere Bekenntnisse und Klagelieder mit angehört und sich nicht schlecht darüber gefreut.

Nach dem Frühstück wurde uns besser zu Mute und die Lust am Leben kam bald zurück. Die Welt nahm sich wieder heiter aus und das Dasein war uns lieb und wert. Auf einmal überkam mich ein Gefühl des Unbehagens und der Unruhe. Es bohrte und nagte immer stärker an mir ohne Unterlaß. Ach, meine Wiedergeburt war nicht vollständig, ich war zu keinem neuen Leben erwacht – ich fühlte Lust zum Rauchen!

Ich widerstand mit aller Kraft, aber das Fleisch war schwach. Einsam wanderte ich fort und kämpfte eine ganze Stunde lang mit mir selbst. Ich rief mir meine guten Vorsätze in Erinnerung und hielt mir selbst eine ausführliche Predigt voll überzeugender Kraft, voll schwerer Vorwürfe. Aber es war alles umsonst. Bald sah ich mich zwischen den Schneewehen herumschleichen und nach meiner weggeworfenen Pfeife suchen. Nach langem Forschen entdeckte ich sie endlich und verkroch mich, um mich im Verborgenen daran zu erfreuen.

Eine gute Weile blieb ich in meinem Versteck hinter der Scheune und legte mir die Frage vor, wie mir wohl zu Mute sein würde, falls meine tapferem, stärkerern, gesinnungstüchtigern Kameraden mich in dieser meiner Erniedrigung betreffen sollten. Endlich zündete ich mir die Pfeife an und kein menschliches Wesen kann sich niedriger und gemeiner vorkommen als ich mir damals erschien. Ich schämte mich meiner eigenen erbärmlichen Gesellschaft. In fortwährender Angst vor Entdeckung kam ich auf den Gedanken, die andere Seite der Scheune könnte vielleicht etwas mehr Sicherheit bieten, und so schlich ich mich um die Ecke. Als ich mit brennender Pfeife um dieselbe bog, kam Ollendorf mit seiner Flasche an den Lippen um die andere Ecke, und zwischen uns saß, ohne uns zu bemerken, Ballon, tief versunken in ein Spielchen ›Solitaire‹, mit seinen alten fettigen Karten!

Das hieß denn doch die Abgeschmacktheit bis aufs äußerste treiben! Wir schüttelten uns die Hände und gelobten uns, nie mehr von ›Umkehren‹ und ›Beispielen für das heranwachsende Geschlecht‹ zu reden.

Unsere Poststation lag am Rande einer Wüste von sechsundzwanzig Meilen Länge. Hätten wir uns am Abend vorher derselben eine halbe Stunde früher genähert, so würden wir lautes Rufen und Pistolenschießen vernommen haben, denn man erwartete einige Schaftreiber mit ihren Herden, die sich rettungslos verirren mußten, falls sie nicht durch den Schall geleitet würden. Während unseres Aufenthalts auf der Station trafen drei von den Viehtreibern ganz erschöpft von ihren Irrfahrten ein, von zwei anderen aber hörte man nie wieder etwas.

Rechtzeitig langten wir in Carson an, wo wir uns Erholung gönnten. Hierdurch, sowie durch die Vorbereitungen zu unserer Reise nach Esmeralda wurden wir eine Woche festgehalten, was uns die Möglichkeit verschaffte, dem Prozeß zwischen Hyde und Morgan wegen des großen Erdrutsches beizuwohnen – einer Episode, die noch heutzutage in Nevada berühmt ist. Nach den notwendigen einleitenden Worten will ich diese eigentümliche Angelegenheit ganz so erzählen, wie sie sich zutrug.

6. Kapitel

Der Alte geht zum Kreisrichter – Huck entschließt sich Reißaus zu nehmen – Ernsthaftes Nachdenken! – Politisches – Nächtliche Lustbarkeit

6. Kapitel

Soweit also war’s gut! Bald aber war der alte Mann wieder zurechtgeflickt und machte die Gegend aufs neue unsicher. Er ging zum Kreisrichter und drohte ihn zu verklagen und tat’s auch wirklich, als der sich weigerte das Geld herauszugeben. Dann wollte er mich verklagen, weil ich trotz seines Verbots in die Schule trabte. Er fing mich ein paarmal ab und walkte mich tüchtig durch, ich aber ging nach wie vor hin, und es gelang mir meistens, ihn zu überlisten oder aber davonzurennen. Vorher war mir die Schule gerade kein Vergnügen gewesen, nun aber fand ich Lust daran, weil es den Alten so ärgerte. Der Prozeß vor Gericht wegen des Geldes ging nur sehr langsam vonstatten, sie schienen darüber einschlafen zu wollen. So borgte ich denn ab und zu zwei oder drei Dollar vom Kreisrichter, mit denen ich mich dann beim Alten von einer versprochenen Tracht Prügel loskaufte. Sooft er Geld hatte, hatte er auch einen Rausch, und sooft er einen Rausch hatte, tobte er durch die Straßen, und sooft er das tat, wurde er eingesperrt. Solch ein Leben gefiel ihm, das war gerade, was er wolltet

Allmählich aber machte er doch die Gegend um das Haus der Witwe allzu unsicher. Sie warnte ihn zwar ein paarmal und drohte, sie wolle die Nachbarn zu Hilfe rufen gegen ihn, aber das half nichts. Er wurde nur wütend und sagte, er wolle zeigen, wer Huck Finns Herr sei! So fing er mich an einem schönen Frühlingstage ab, als ich nichts Schlimmes ahnte, schleppte mich mit Gewalt zum Fluß in ein Boot, setzte nach dem Illinois-Ufer über, wo der Wald am dicksten stand, und brachte mich da in eine alte Blockhütte, die niemand hätte auffinden können, der nicht genau wußte, wo sie lag.

Ich mußte immer an seiner Seite bleiben, und zum Durchbrennen gab’s nicht die kleinste Gelegenheit. So wohnten wir denn in der alten Hütte, und bei Nacht verschloß er die Tür und legte den Schlüssel unter seinen Kopf. Er besaß eine alte Flinte, die er wahrscheinlich irgendwo gestohlen hatte. Wir jagten und fischten und lebten von der Beute. Von Zeit zu Zeit schloß er mich ganz ein, ging hinunter an die Fähre, tauschte dort Fische, und was er geschossen hatte, gegen Schnaps ein, kam heim, betrank sich, vergnügte sich auf seine Weise und prügelte mich durch. Die Witwe hatte mittlerweile herausgefunden, wo mich der Alte hingeschleppt, und sandte einen Mann, der mich befreien sollte. Den trieb aber mein Vater mit der Flinte in die Flucht. Bald hatte ich mich denn auch an das Leben gewöhnt, befand mich wohl dabei und liebte es; nur das Durchhauen war nicht ganz nach meinem Geschmack.

Es war so lustig und so faul und so behaglich, den ganzen Tag nach Herzenslust herumzuliegen, nur zu rauchen oder zu fischen und Bücher Bücher, und Lernen Lernen sein zu lassen. Zwei oder drei Monate verflossen so, meine Kleider waren nur noch schmutzige Lumpen, und ich konnte kaum mehr begreifen, wie ich es je bei der Witwe ausgehalten hatte, wo man sich waschen mußte, vom Teller essen, sich kämmen, zu Bett gehen und zur bestimmten Stunde aufstehen, ewig sich mit Büchern herumplagen und dazu das Keifen und Zetern der alten Miss Watson mit anhören. Ich wollte gar nicht wieder zurück in das Gefängnis! Das Fluchen hatte ich mir abgewöhnt, weil es die Witwe nicht gern hörte, nun machte ich mich aber lustig wieder dran, mit meinem Alten um die Wette. Ich hatte es eigentlich ganz gut da draußen im Wald, wenn ich so alles in allem nehme.

Allmählich aber wurde der Alte zu beweglich mit seinem Stock, ich konnt‘ es kaum mehr aushalten, ich war voll Striemen und Beulen. Auch ging er immer öfter weg und schloß mich ein. Einmal blieb er beinahe drei Tage aus. Es war schrecklich einsam, und ich dachte schon, er sei ertrunken und ich müsse hier verhungern. Das war mir denn doch zu bunt! Wie oft hatte ich schon versucht durchzubrennen, aber es ging nicht. Die Fenster waren Löcher, durch die kein Hund durchgekonnt hätte, der Kamin war zu eng, und die Türen aus festen Eichenbohlen gezimmert. Ein Messer oder irgend etwas Derartiges hütete sich der Alte wohl zurückzulassen, wenn er ging. Wie oft schon hatte ich die Hütte durchstöbert, von oben bis unten, ohne je etwas zu entdecken, diesmal aber fand ich unter einem Dachbalken, ganz in der Ecke, eine alte, rostige Holzsäge. Wer war froher als ich! Rasch eingeschmiert und nun frisch drauf los! Ich hob ein Stück von einer alten Pferdedecke auf, die in eine Ecke beim Tisch genagelt war, damit der Wind das Licht nicht ausblase, und begann dahinter die Balken anzusägen, um ein Stück herauszunehmen, so groß, daß ich durchschlüpfen könnte. Es war eine tüchtige, saure Arbeit, und als ich beinahe damit zu Ende war, hörte ich Vaters Flinte im Wald. Ich nun schnell, schaff‘ die Sägspäne beiseite, leg‘ den Teppich vors Loch und verberg‘ die Säge. Kaum war ich fertig, stolperte richtig der Alte zur Türe herein.

Er war schlechter Laune – hatte also nicht getrunken, erzählte, er sei in der Stadt gewesen und daß alles verkehrt ginge. Der Advokat sage, er werde ohne Zweifel den Prozeß gewinnen, wenn er nur erst einmal zur Verhandlung käme. Es werde aber immer wieder hinausgeschoben und daran sei nur der Kreisrichter mit seinem Einfluß schuld. Dann sollten die Leute gesagt haben, es würde einen neuen Prozeß geben, um mich von ihm fortzunehmen und die Witwe zu meinem Vormund zu machen, und dann würde die Sache wahrscheinlich gegen ihn ausfallen. Diese Nachricht versetzte mir einen gewaltigen Stoß, denn zur Witwe wollte ich keinesfalls zurück, wo sie mich in alles mögliche hineinzwängten, in Kleider und Manieren, um mich zu sievilisieren. Jetzt fing der alte Mann an zu fluchen und fluchte auf alles und jeden, den er kannte, dann fing er von vorn an, um sicher zu sein, daß er keinen vergessen hatte, und endlich rundete er das Ganze niedlich mit einem saftigen Fluch auf die Welt im allgemeinen ab.

Die Witwe solle nur einmal kommen und mich zu holen versuchen, er wisse einen Platz, sechs oder sieben Meilen weit im Walde drin, da wolle er mich hinstecken, da könnten sie nach mir suchen, bis sie schwarz würden, eh‘ sie mich fänden. Einen Augenblick lang stand mir der Atem still, dann aber fiel mir ein, daß ich bis dahin kaum mehr zur Hand sein dürfte, um ihm diese Freude zu machen.

Der Alte hieß mich nun zum Boot gehen und die Sachen holen, die er eingehandelt hatte. Es war ein Sack mit ungefähr fünfzig Pfund Mehl, eine Speckseite, Munition und ein tüchtiger Krug Branntwein, ein altes Buch, zwei Zeitungen und sonst allerlei, dann noch ein Stück Seil. Ich machte mir die Ladung zurecht, schaffte sie ans Land und setzte mich dann in das Boot, um einmal ernsthaft über meine Lage nachzudenken. Ich hielt es für das beste, mit der Flinte und ein paar Angelruten in die Wälder durchzubrennen, mich da zu verbergen, dann nach einiger Zeit während der Nacht weiterzuwandern, zu jagen und zu fischen, um etwas zu essen zu haben, und so immer weiter und weiter bis weder der Alte noch die Witwe mich je würden wiederfinden können. In dieser Nacht wollte ich meine Sägearbeit an der Hütte fertigmachen, sobald der alte Mann betrunken war, worauf ich sicher zählte, wenn ich den Vorrat von Branntwein betrachtete, mit dem er sich versehen hatte. Ich war so voll von meinen Plänen, daß ich alles um mich her vergaß, bis mich mein Alter von der Hütte her anrief und fragte, ob ich schlafe oder was sonst mit mir los sei.

Ich schaffte nun die Sachen zur Hütte, und darüber war’s beinahe dunkel geworden. Während ich das Abendessen kochte, hatte sich der Alte an seinen Krug gemacht, einige herzhafte Züge getan und war dadurch warm geworden. Seinen letzten Rausch hatte er in der Stadt gehabt, wo er die ganze Nacht über in der Gosse gelegen hatte. Er sah aber auch danach aus! Man hätte ihn für Adam halten können, er schien ein wandelnder Erdenkloß, so überzogen mit Kot und Lehm war er. Wenn der Schnaps lebendig in ihm wurde, beschäftigte er sich beinahe immer mit Politik und der Regierung.

Diesmal schimpfte er nicht schlecht: »Das will eine Regierung sein, Donnerwetter, und dabei ist sie, bei Licht gesehen, keinen Pfifferling wert! Kommen sie da mit dem Gesetz und wollen einem alten Mann den Sohn wegnehmen, den einzigen Sohn, den er mit Mühe, Angst und Not und schweren Kosten großgezogen hat. Ja und gerade dann, wenn der Sohn glücklich so weit ist, daß er verdienen könnte und etwas für seinen armen, alten Vater tun, dann kommen sie mit dem Gesetz und wollen ihn wegnehmen. Und das will eine Regierung sein, wahrhaftig, allen Respekt davor! Und das ist noch nicht alles! Noch lange nicht! Da gibt’s auch noch ein Gesetz, das dem Schurken von Kreisrichter hilft, mir mein Geld nicht herauszugeben – mein eignes Geld! Solch ein Gesetz gibt’s! Ein Gesetz, das einen Mann, der seine sechstausend Dollar und mehr wert ist, nimmt und ihn in ein altes Loch stopft, wie das hier, ihn statt mit Kleidern mit Fetzen behängt, die für ein Schwein zu schlecht wären, ihn – wahrhaftig eine wundervoll weise Regierung, bei der man nicht zu seinem Recht kommen kann! Ich hätte gute Lust, dem ganzen Bettel den Rücken zu kehren und das Land zu verlassen! Hab’s aber dem Kreisrichter auch gesagt, tüchtig, und alle konnten’s hören, war mir ganz egal, sie können’s weitersagen, wenn sie wollen! Sag‘ ich, für zwei Cents wend‘ ich dem vermaledeiten Land den Rücken, und straf mich Gott, wenn ich ihm je wieder nahe komme. Das ist, weiß Gott, und wahrhaftig gerad‘, was ich gesagt hab‘. Und, sag‘ ich, da seht meinen Hut an, wenn man das Ding überhaupt einen Hut nennen kann, an dem der Kopf fehlt und der Rand nur ein Fetzen ist, mit solchem Hut läßt die Regierung dieses gesegneten Landes einen Mann laufen, der einer der wohlhabendsten der Stadt wäre, wenn er zu seinem Recht kommen könnte – so eine Regierung, daß Gott erbarm!«

Und so gings weiter, immer in derselben Tonart. Dabei stolperte der Alte in der Hütte hin und her in heller Wut, und da er nicht aufpaßte, wo ihn seine wackeligen Spazierhölzer hintrugen, so fiel er schließlich über das kleine Fäßchen mit gesalzenem Schweinefleisch und stieß sich die beiden Schienbeine wund. Nun aber hätte man ihn hören müssen, wie er loszog! – Gott und die Welt im allgemeinen, die Regierung und das Fäßchen ganz im besonderen bekamen ihr redlich Teil ab. Weiß Gott, so hatte ich ihn selber noch nicht gehört! Er hüpfte erst auf einem Bein, dann auf dem andern und strich mit der Hand über den geschundenen Teil, plötzlich holte er kräftig aus und versetzte dem Missetäter von Faß einen schallenden Fußtritt. Da hatte er sich aber versehen und den Fuß genommen, an dem die Zehen aus dem Stiefel herausguckten. Das Gebrüll, das dem Tritt folgte, machte mir ordentlich die Haare zu Berge stehen – plumps lag er am Boden und wälzte sich, heulend vor Schmerz und die gräßlichsten Flüche herunterrasselnd, die ihm zu Gebote standen.

Nach dem Abendessen zog der Alte den Schnapskrug liebäugelnd heran und meinte, darin sei genug für zwei Räusche und ein Delerium tramens oder wie er’s nannte. Das war immer seine Redensart, und es schien ein Witz zu sein, denn er grinste dabei, aber ich verstand ihn nicht. In einer Stunde, so rechnete ich, würde er schwer geladen sein und dann konnte ich entweder den Schlüssel nehmen, oder die Wand vollends durchsägen, je nachdem. Er trank und trank und fiel schließlich auf sein Lager, aber das Glück war mir doch nicht günstig. Er kam zu keinem tiefen Schlaf, sondern warf sich unruhig von einer Seite zur andern. Er ächzte und stöhnte und hieb um sich und konnte keine Ruhe finden. Schließlich wurde ich selbst so müde, daß ich meine Augen nicht mehr offenhalten konnte, und ehe ich wußte, was ich tat, war ich selig hinübergeschlummert, während das Licht immer weiterbrannte.

Wie lange ich schlief, weiß ich nicht, aber plötzlich wurde ich durch einen furchtbaren Schrei geweckt und fuhr in die Höhe. Der Alte stand mitten in der Hütte, hieb um sich wie ein Toller nach allen Seiten und brüllte etwas von Schlangen. Er jammerte, sie kröchen an seinen Beinen herauf, und sprang wie wahnsinnig laut schreiend hin und her, ächzte dann, nun habe ihn eine gebissen, ich aber schaute und schaute und konnte keine einzige Schlange entdecken. Jetzt lief er wie toll immer im Kreis herum und brüllte: »Nimm sie weg, tu sie fort, sie beißt mich ja in den Hals!« Ich habe noch an keinem Menschen so wilde Augen gesehen, wie er sie machte. Bald wurde er müde, fiel zu Boden und lag kurze Zeit still. Plötzlich fing er an, sich hin und her zu rollen, mit den Händen in der Luft zu fechten, immer schneller und schneller, nach allem zu stoßen und zu treten, was ihm in den Weg kam, wobei er immerzu kreischte, der Teufel wolle ihm den Hals umdrehen. Auch damit hatte er bald genug und lag ächzend eine Weile still. Allmählich wurde er ruhiger und gab keinen Ton mehr von sich. Ich konnte die Eulen und Wölfe draußen im Walde hören; die Stille war grausig. Der Alte lag drüben in der andern Ecke. Auf einmal richtet er sich halb auf, legt den Kopf auf eine Seite und lauscht. Dann sagte er ganz leise: »Trab trab – trab, jetzt kommen die Toten! Trab – trab – trab, die wollen mich holen. Ich will aber nicht mit – nein – da sind sie – laßt mich in Ruh‘ rührt mich nicht an, oder – Hand weg, sag‘ ich – puh, wie kalt – weg oder – oh, laßt doch mich armen Teufel in Frieden!«

Jetzt kroch er auf allen vieren herum und bat und beschwor die Toten, ihn in Ruhe zu lassen, wickelte sich schließlich fest in seine alte Decke und kugelte sich unter den Tisch, immerfort um Loslassen flehend. Dann fing er an zu heulen; man hörte es unter der Decke hervor.

Nach einer Weile warf er die Decke von sich, sprang auf, blickte wild um sich, entdeckte mich und jagte mich durch die ganze Hütte. Er sagte, ich sei der Engel des Todes und er wolle mich einfangen und töten und dann könne ich ihm nichts mehr tun. Ich flehte ihn an, mich gehen zu lassen, ich sei ja nur der Huck, aber er lachte gellend auf und brüllte und fluchte und setzte immerzu hinter mir her. Einmal machte ich plötzlich kehrt, um ihn zu überraschen und an ihm vorbeizuschlüpfen, unter seinem Arm durch. Da erwischte er mich bei der Jacke, oben am Kragen, und ich dachte schon, ich sei geliefert, aber schnell wie der Blitz schlüpfte ich aus der Jacke und rettete mich so. Zum Glück war er bald zu müde, um die wilde Jagd weiter fortzusetzen, und setzte sich mit dem Rücken gegen die Tür, sagte, er wolle eine Minute ausruhen und mich dann töten. Das Messer legte er unter sich, brummte dabei etwas von »schlafen und neue Kraft sammeln und dann zeigen, wer der Stärkere sei«.

So schlummerte er denn auch bald ein. Nach einer Weile nahm ich den alten Stuhl, so leise ich konnte, stieg hinauf und nahm die Flinte von der Wand. Ich zog den Ladstock heraus, stieß ihn in den Lauf, um zu sehen, ob geladen sei, legte dann die Flinte über das Fleischfaß, mit der Mündung auf den Alten, verkroch mich selbst dahinter und wartete nun, bis er sich regen würde. – Und wie langsam und stille schleppte sich die Zeit dahin!

7. Kapitel

Auf dem Anstand – In die Hütte eingeschlossen – Vorbereitung zur Flucht – Versenken der Leiche – Ein neuer Plan – Ruhe

7. Kapitel

»Wirst du wohl aufstehen! Was ist denn hier los?«

Ich öffnete meine Augen und sah um mich, war noch ganz wirr und betäubt und suchte mich vergeblich an alles zu erinnern. Ich mußte fest geschlafen haben; es war schon ganz hell. Vater stand vor mir, sah brummig aus, als ob ihm nicht recht gut sei, und fragte: »Was hast du mit der Flinte vor?«

Ich sah gleich, daß er nichts von seinen nächtlichen Taten wisse. So sagt‘ ich: »Es wollte jemand zur Tür herein, da hab‘ ich mich auf den Anstand gestellt!« – »Warum hast du mich nicht geweckt?«

»Ich hab’s probiert, aber es ging nicht!«

»Schon gut! Heb dich weg und schwatz nicht soviel. Mach und sieh nach, ob ein Fisch an der Leine hängt, für unser Frühstück. Ich komm‘ gleich nach!«

Er schloß die Türe auf, und ich machte mich davon, hinunter ans Flußufer. Ich sah Baumäste und Holzstücke im Wasser treiben und wußte, daß es nun im Steigen begriffen war. Das waren schöne Zeiten in der Stadt, wenn der Fluß stieg. Da kamen oft große Stücke Holz, manchmal ganze Baumstämme dahergeschwommen, oft fünf, sechs auf einmal, oft noch mehr, und man brauchte sie mir herauszufischen und auf dem Holzplatz oder in der Sägmühle zu verkaufen. Das war ein einträgliches Geschäft.

So schlenderte ich am Ufer hin, mit einem Auge schielte ich nach dem Alten, mit dem andern lugte ich, ob das Wasser etwas herantreiben würde. Wahrhaftig, sehe ich da plötzlich ein kleines Boot heranschwimmen, ein prächtiges Ding, zwölf bis vierzehn Fuß lang und so stolz dahersegeln wie ein Schwan. Ich schieße ins Wasser wie ein Frosch, ohne mich zu besinnen, geradeso, wie ich war, und steure auf das Boot los. Ich war darauf gefaßt, jemanden drin liegen zu sehen, der mich für meine vergebliche Mühe tüchtig auslachen würde; ich hatte schon gehört, daß sie die Leute manchmal auf solche Weise foppen. Diesmal war’s nicht so, es war wirklich ein leeres Boot, und ich kletterte hinein und lenkte es ans Ufer. Denk ich, der alte Mann wird sich freuen, wenn er’s sieht, es ist wenigstens zehn Dollar wert. Aber als ich ans Ufer kam, war der Alte noch nicht in Sicht. Plötzlich kam mir eine neue Idee, und ich legte das Boot in einer kleinen Bucht ganz unter Reben und Weiden versteckt an. Ich will es für mich behalten, dacht‘ ich, es gut verbergen und dann, statt in die Wälder durchzubrennen, in dem Boot davongehen, den Fluß hinunter rudern, mir einen versteckten Platz am Ufer aussuchen und dort mein Lager aufschlagen; dann brauche ich doch nicht zu Fuß Reißaus zu nehmen und mir die Beine abzulaufen. Da ich mich ziemlich nahe bei der Hütte befand, konnte mich der Alte jeden Augenblick überraschen, aber es gelang mir doch, das Boot sicher zu verstecken. Wie ich fertig bin und hinter einer alten Weide vorschaue – richtig, da steht er, hat aber das Gewehr an der Backe und zielt gerade nach irgend etwas. Er hatte also nichts gemerkt.

Als er näher kam, war ich eifrig mit den Angelleinen beschäftigt. Er schimpfte und brummte, daß ich so langsam sei, und ich sagte, ich sei ins Wasser gefallen bei der Arbeit, drum daure es so lange, denn ich wußte, er würde meine nassen Kleider sehen und mich ausfragen. Wir zogen fünf Katzenfische mit der Leine ans Land und gingen sehr befriedigt heim.

Nach dem Frühstück legten wir uns wieder hin, um zu schlafen, denn wir waren beide etwas erschöpft von den nächtlichen Lustbarkeiten. Vor dem Einschlafen kam mir der Gedanke, daß es für mich viel sicherer wäre, wenn ich den Alten und die Witwe ganz davon abhalten könnte, mich zu verfolgen, als wenn ich mich darauf verließe, einen möglichst großen Vorsprung zu gewinnen, bevor sie mich vermißten. Gut ist gut und besser ist besser!

Zuerst wollte mir gar nichts Gescheites einfallen; mit einemmal hebt der Alte den Kopf, um ein neues Maß Wasser zu dem vorhergegangenen hinunterzugießen, und sagt: »Wenn wieder einer um die Hütte schnüffelt, Huck, rüttelst du mich wach, hörst du? Der hatte nichts Gutes im Sinn, dem brenn‘ ich eins auf den Pelz! Also, du weckst mich!«

Dann legte er sich hin und schlief weiter. Aber was er gesagt, hatte mich gerade auf das gebracht, was ich suchte, und nun wußte ich, wie ich’s anzustellen hatte, daß niemand mir nachsetzen würde.

Gegen zwölf Uhr standen wir von unserm Lager auf und gingen den Fluß entlang. Das Wasser stieg ziemlich schnell und trieb eine Menge Holz mit sich. Auch ein Floß schwamm vorbei, oder ein Teil von einem, etwa neun zusammengebundene Baumstämme; wir stiegen in unser Boot und brachten sie ans Land. Dann kam das Mittagessen. Jeder andre hätte nun am Ufer gewartet und gesehen, was er noch weiter herausschlagen könnte, das war aber des Alten Art nicht. Neun Baumstämme waren genug für einen Rausch, so wollte er sie denn sofort zur Stadt bringen und versilbern. Er schloß mich also ein, nahm das Boot, befestigte das Stück Floß dran und ruderte fort – es war so gegen halb drei. Heute nacht würde er nicht wiederkommen, dessen war ich ziemlich sicher. Ich wartete nun, bis ich ihn gänzlich außer Hörweite glaubte, holte dann meine Säge vor und begann meine Arbeit von gestern fortzusetzen. Ehe der Alte noch das andre Ufer erreicht haben konnte, war ich glücklich aus dem scheußlichen Loch heraus und konnte gerade noch sehen, wie er als Punkt mit seinem Schiff und Floß drüben verschwand.

Ich nahm den Sack Mehl und schleppte ihn ans Boot, bog die Reben und Zweige beiseite und zog ihn hinein, dann machte ich’s geradeso mit der Speckseite und dem Branntweinkrug. Ich nahm allen Kaffee und Zucker, der da war, und alle Munition, ich nahm den Wassereimer und den Würfelbecher, den Feuerhaken und eine alte Zinntasse, meine rostige Säge, zwei Pferdedecken, den Kessel und den Kaffeetopf. Ich nahm die Angelleinen, die Schwefelhölzer, kurz alles, was sich nur wegtragen ließ, und einen Kupferdreier wert war. Ich räumte die Hütte rein aus. Eine Axt hätte ich noch gern gehabt, aber es war keine da, bis auf die eine draußen auf dem Holzhaufen, und ich wußte, warum ich die liegen ließ. Zuletzt nahm ich noch die Flinte, und dann war ich fertig.

Durch das Aus- und Einsteigen und Herausschleppen der Sachen war der Boden vor dem Loch ordentlich festgetreten worden. Daher gab ich ihm, so gut es ging, das vorige Aussehen wieder, indem ich Staub darauf streute, der auch das Sägmehl verdeckte. Das herausgenommene Stück Balken paßte ich wieder sorgfältig in die Öffnung, legte zwei Steine davor, um ’s festzuhalten, und wenn man zwei oder drei Fuß entfernt stand und nicht wußte, daß es losgesägt war, konnte man’s auch nicht bemerken. Außerdem war’s auf der Rückseite der Hütte, wo selten jemand hinkam.

Bis zum Boot gab es nur Grasboden, da war meine Spur nirgends zu entdecken, wovon ich mich überzeugte. Ich stand am Ufer und spähte in den Fluß. – Alles sicher! So nahm ich die Flinte und ging ein Stück in den Wald hinein, um irgendeinen Vogel zu schießen. Da sehe ich ein wildes Schwein. Die werden dort immer gleich wild, wenn sie erst einmal von einer Farm ausgebrochen sind. Ich schoß den Kerl und schleppte ihn zur Hütte.

Jetzt nahm ich die Axt zur Hand, zerschmetterte die Tür und hieb um mich, daß die Fetzen nur so flogen. Dann schleppte ich das Schwein bis zum Tisch, schlug ihm mit dem Beil ein Loch in den Hals und legte es auf den Boden zum Verbluten – die Hütte war nicht gedielt, sondern hatte gestampften Lehmboden. Dann nahm ich einen alten Sack, füllte ihn mit schweren Steinen, wälzte ihn durch die Blutlache und zog ihn dann hinter mir her dem Flusse zu, wo ich ihn hineinwarf. Er hatte eine breite, blutige Spur hinterlassen, die ein Blinder finden konnte. Ich wollte, Tom Sawyer wäre dabeigewesen, der hätte noch allerlei dazu erfunden, um dem Ding einen romantischen Anstrich zu geben – in solchen Sachen war er groß.

Zuletzt riß ich mir dann noch ein paar Haare aus, tauchte die Axt ins Blut, klebte die Haare hinten dran und warf die Axt in einen Winkel. Dann nahm ich das Schwein, preßte die Wunde fest gegen mich, daß sie nicht mehr tröpfeln konnte, und schleppte das Tier eine gute Strecke weit unterhalb den Fluß entlang, wo ich’s hineinwarf. Da fiel mir noch etwas anderes ein. Ich nahm den Sack Mehl und trug ihn zurück in die Hütte, dann holte ich die Säge, stellte den Sack an den Ort, an dem er gestanden, ritzte mit der Säge ein Loch hinein, denn es waren keine Messer oder Gabeln da; der Alte besorgte alles mit seinem Taschenmesser. Dann schleppte ich den Sack ein paar hundert Meter durch das Gras und die Weiden zu einem östlich von der Hütte gelegenen Teich, der voll Binsen war und – voll Enten, wenn die rechte Zeit dazu war. Am andern Ende des Sees führte ein Pfad in die Wildnis, das wußte ich, aber nicht wohin, jedenfalls aber entgegengesetzt vom Flusse. Das Mehl kam ganz langsam aus dem Riß heraus und hinterließ eine kleine weiße Spur über den ganzen Weg bis zum See, dann ließ ich noch des Alten Wetzstein fallen, als ob es zufällig geschehen sei, band das Loch im Sack mit einer Schnur zu, damit das Mehl nicht mehr herausfallen konnte, nahm den Mehlsack, holte die Säge und ging zu meinem Boot zurück.

Jetzt war’s beinahe dunkel geworden, und so ruderte ich denn das Boot eine Strecke weit den Fluß hinunter, befestigte es an einem Weidenstamm, aß ’nen Mund voll und wartete auf den Mond, der eben aufging. Ich zündete mir eine Pfeife an und begann ernstlich über meinen Plan nachzudenken. Sag‘ ich zu mir selbst: Natürlich werden sie der Spur folgen, auf der ich den alten Steinsack zum Fluß gezogen habe, und werden dann das ganze Wasser nach meiner Leiche absuchen. Und dann rennen sie hinter der Mehlspur her bis zum See und weiter durch den Wald in die Schluchten jenseits, um die Räuber zu finden, die mich gemordet und alles gestohlen haben. Außer im Fluß werden sie nirgends nach meiner Leiche suchen, des bin ich sicher, und sie werden es bald müde sein und sich nicht weiter um mich kümmern. Das ist mir gerade recht! Ich kann dann bleiben, wo ich will! Die Jackson-Insel da drüben ist gut genug für mich, dort bin ich von früher her mit jedem Schlupfwinkel bekannt, und niemand kommt je dahin. Nachts kann ich dann in die Stadt rudern und sehen, ob ich nicht hie und da etwas erwischen kann, was sich brauchen läßt. Hurra, die Jackson-Insel sei mein Reich!

Ich war ziemlich müde geworden, und das erste, was ich tat, war, daß ich einschlief. Als ich wieder aufwachte, wußte ich einen Augenblick lang gar nicht, wo ich war. Ich setzte mich auf und blickte nicht wenig verwundert nach allen Seiten. Jetzt kam mir wieder alles ins Gedächtnis zurück. Der Fluß sah aus, als sei er Meilen und Meilen breit. Der Mond schien so hell, daß ich die Holzstücke zählen konnte, die hundert Meter weit entfernt still und schwarz dahinglitten. Alles war totenstill, und es sah aus, als sei’s sehr spät, und es roch auch so, so frisch, so, so – ihr wißt, was ich sagen will, ich kann nur keine Worte dafür finden.

Ich gähnte und reckte und streckte mich und wollte gerade mein Boot losmachen und weiterrudern, als ich drüben über dem Wasser etwas hörte. Ich horchte. Bald hatt‘ ich’s heraus, was es war. Ein dumpfer regelmäßiger Laut, wie ihn Ruder von sich geben, wenn sie sieh in den eisernen Klammern bewegen, drang durch die stille Nacht. Ich spähte unter den Weidenzweigen hervor und richtig, da war’s ein Boot, das übers Wasser herüberkam. Wie viele drin waren, konnte ich noch nicht sagen. Es kam näher und näher, und bald erkannte ich, daß nur ein einziger Mann drin saß. Denk‘ ich, holla, das ist doch am End‘ der Alte, obgleich ich ihn diese Nacht nicht erwartete. Der Kahn wurde mit der Strömung unterhalb von mir angetrieben und ruderte dann im seichten Wasser dicht am Ufer herauf, so dicht, daß ich ihn mit ausgestrecktem Gewehr hätte berühren können. Und richtig – da saß der Alte, und zwar nüchtern, was ich sofort an der Art, wie er die Ruder führte, erkannte.

Jetzt galt’s, keine Zeit zu verlieren. Im nächsten Augenblick trieb ich leise aber schnell den Strom hinunter, immer im Schatten des Ufers hin. So ruderte ich eine oder zwei Meilen weiter, dann ließ ich mein Boot mehr der Mitte des Flusses zutreiben, da ich wußte, daß das Fährhaus in der Nähe sein mußte, von dem mich die Leute bemerken und anrufen konnten. Ich war nun mitten im Treibholz drin, zündete mir eine Pfeife an, legte mich längelang in mein Boot und ließ mich von den Wellen treiben.

Da lag ich und rauchte, und starrte in den Himmel, an dem kein Wölkchen stand. Daß der so bodenlos tief aussehen kann, wenn man so im Mondschein auf dem Rücken liegt und immerzu hineinstarrt, hatte ich gar nicht gewußt. Aber so war’s! Und wie weit man in solcher Nacht auf dem Wasser hören kann! Ich hörte die Leute an der Fähre sprechen und konnte jedes Wort verstehen, das sie sagten. Der eine meinte, die Tage würden nun immer länger und die Nächte kürzer. Drauf sagte ein andrer, die heutige sei aber keine von den kurzen, worauf alle lachten; er wiederholte den Ausspruch, den er wohl für einen guten Witz hielt, und die andern lachten wieder. Dann sagte einer, es sei schon drei Uhr, hoffentlich bliebe der Morgen nun keine Woche mehr aus, was wieder viel Spaß erregte, und dann trieb mein Boot weiter und weiter, und die Stimmen wurden allmählich undeutlich, so daß ich nur noch den Ton hören, aber die Worte nicht mehr verstehen konnte; das Lachen hörte ich noch länger, aber dann verklang auch das.

Nun war ich ziemlich weit unterhalb der Fähre. Ich erhob mich und erblickte vor mir die Jackson-Insel, die sich – mit dichtem Wald bestanden – von fern groß und dunkel und massig, wie ein Dampfschiff ohne Lichter, vom Wasser abhob. Die Sandbank vorn konnte man nicht sehen; das Wasser stand zu hoch im Augenblick.

Bald war ich dort. Erst trieb mich die starke Strömung an der Spitze vorbei, dann kam ich in stilles Wasser und landete am Ufer gegen Illinois zu. Ich versteckte mein Boot in einer kleinen Bucht, die ich kannte, in dichtem Weidengebüsch, so daß es kein Mensch von außen entdecken konnte. Hurra, nun war ich sicher!

Dann kroch ich am Ufer hinauf, setzte mich auf einen Baumstamm und sah auf den mächtigen Strom hinaus, auf dem das viele Treibholz so schwarz und so still dahinglitt. Weit, weit da drüben lag die Stadt, drei oder vier Lichter glitzerten wie Sterne von dorther. Jetzt kam ein mächtiges Holzfloß mit einer Laterne daher. Ich beobachtete es, wie es so langsam näher schwamm. Ein Mann stand drauf, und ich hörte ihn sagen: »Achtung, Jungens da vorn, he, Steuerbord!« Es war, als ob er neben mir stünde, und er war doch weit da draußen mitten auf dem Strom.

Am Himmel zeigte sich jetzt ein Streifchen Grau, und ich zog mich in den Wald zurück, um mich noch ein wenig aufs Ohr zu legen vorm Frühstück.

8. Kapitel

Schlafen im Walde – Auferweckung der Toten – Auf der Wacht! – Expedition ins Innere der Insel – Ruhelose Nacht – Jim erscheint – Jims Flucht – Schlimme Anzeichen – »Das einbeinerige Nigger« – »Balam«

8. Kapitel

Die Sonne stand hoch am Himmel, als ich erwachte, und es war sicher schon acht Uhr, wenn nicht mehr. Ich lag im Gras unter dem Schatten der Bäume und fühlte mich so behaglich und zufrieden, wie der Vogel im Nest. Die Sonne war nur durch einige Lücken zwischen ein paar Bäumen zu erblicken, sonst standen die Bäume jedoch so dicht, daß sie alles in dunklen Schatten hüllten. An der Stelle, wo sich das Licht durch die Blätter stahl, sah’s am Boden wie gesprenkelt aus, und an dem Hin- und Hertanzen der glänzenden Flecke merkte man, daß oben ein leiser Wind wehte. Ein paar Eichhörnchen saßen auf einem Ast und blinzelten mir freundlich zu.

Ich war mächtig faul und bequem und dachte gar nicht daran, aufzustehen und das Frühstück zu bereiten. Gerade schloß ich die Augen wieder, um noch einmal einzuduseln, als ich, freilich noch unbestimmt, ein tiefes, fernes ›Bum – bum‹ auf dem Fluß zu hören meinte. Ich richtete mich halb auf, stützte den Kopf in die Hand und horchte. Da schallt’s wieder! Nun aber auf und ans Ufer und durch’s Gebüsch hinausgespäht! Und richtig, eine gute Strecke weiter oben, ungefähr der Fähre gegenüber, sehe ich eine Rauchwolke auf dem Wasser liegen. Da kommt auch die Fähre und ist voller Leute. Jetzt wußte ich, woran ich war! Bum! Ein kleines Rauchwölkchen kommt aus der Seite des Schiffes, ich kann’s deutlich sehen. Weiß Gott! Sie feuern die Kanone über dem Wasser ab, um meinen Leichnam an die Oberfläche zu treiben!

Ich war unterdessen tüchtig hungrig geworden, durfte aber nicht dran denken, Feuer anzuzünden; der Rauch hätte mich verraten können. So setzte ich mich denn hin und hörte dem Bumbum der Kanone zu und sah dem Rauche nach. Der Fluß war hier eine halbe Stunde breit und sieht an einem Sommermorgen immer wundervoll aus – ich hatte also eine ganz vergnügliche Zeit, während sie dort nach meinen irdischen Resten suchten. Nur hätte ich gern etwas zu essen gehabt! Da fiel mir auf einmal ein, daß die Leute Quecksilber in einen Brotlaib zu stecken pflegen und den ins Wasser werfen, weil sie sagen, der treibe direkt dem toten Körper zu. Holla, denk‘ ich, kannst vielleicht so ein Totenbrot erwischen, wird dir viel besser schmecken als deinem Leichnam. Und richtig, kaum seh‘ ich mich um, kommt auch schon was dahergeschwommen, was einem Brot verzweifelt ähnlich sieht. Mit einer Stange zieh‘ ich’s ‚ran, erwisch’s auch glücklich, und wahrhaftig, es ist das schönste Bäckerbrot, wie’s die feinen Leute essen, keins von dem harten, grauen, armseligen Zeug, an dem sich unsereiner sonst die Zähne ausbeißt. Man muß wahrlich erst sterben, um so eins zu bekommen!

Da saß ich denn auf meinem Baumstamm, ließ mir mein Brot schmecken und sah den Anstrengungen meiner Leichenjäger zu. Auf einmal kommt mir der Gedanke, der mir ordentlich heiß macht. Siehst du, denk‘ ich so bei mir, da hat gewiß die Witwe oder der Pfarrer gebetet, daß mich das Brot erreichen solle, und weiß Gott, da ist’s zu mir hergeschwommen! Muß also doch etwas dran sein! Heißt das, nur wenn’s die Witwe oder der Pfarrer oder sonst jemand tut, denn mir selbst wollt’s nie gelingen, es mußte irgendwo einen Haken haben. Es wirkt eben nur bei der richtigen Sorte!

Nun zündete ich mir mein Pfeifchen an und schaute immerzu nach dem Fährboot aus. Es trieb mit der Strömung daher, und da die sich längs der Insel hinzog, kam es sicher dicht an mir vorüber, wie das Brot auch. Auf diese Weise konnte ich mir meine lachenden Erben genau betrachten. Wie’s näher und näher kam, löschte ich meine Pfeife, stieg zum Ufer hinunter und legte mich dicht hinter einen Baumstamm, der zwei Äste hatte, wo ich bequem durchschielen konnte.

Jetzt kamen sie heran, und zwar so dicht, daß sie auf einer Planke bequem ans Ufer hätten kommen können. Fast alle meine Bekannten waren im Boot. Der Alte, der doch ein wenig betreten aussah, und der Kreisrichter und seine Tochter, und Joe Harper und Tom Sawyer mit seinem Bruder, seiner Schwester und der alten Tante Polly und sonst noch andre. Die Witwe und Miss Watson vermißte ich, die waren wohl zu tief gebeugt vor Kummer. Alle sprachen von dem Mord, bis sie der Kapitän unterbrach, indem er rief: »Sehen Sie sich jetzt hier gut um, meine Herrschaften, hier an der Insel ist der Strom am reißendsten. Da ist es leicht möglich, daß er ans Ufer gespült worden ist und hier im Gestrüppe hängt. Wenigstens hoffe ich, daß wir ihn hier finden!«

Das hoffte ich nun gar nicht! – Sie drückten sich jetzt alle ans Geländer, starrten ins Wasser und wagten kaum zu atmen, ich hätte ihnen ins Gesicht lachen mögen, so komisch kamen mir die ernsten Mienen vor, die sie schnitten.

»Bumm – mm – m – m!« Die Kanone knallte diesmal so dicht neben mir los, daß ich beinah taub von dem Schlag und blind von dem Rauch wurde und meinte, ich sei des Todes. Wären ein paar Kugeln drin gewesen, dann hätten sie den Leichnam, nach dem sie suchten, gewiß bekommen. Ganz allmählich kam ich wieder zu mir und merkte, daß ich, Dank dem Himmel, wirklich noch heil und ganz sei. Inzwischen war das Boot schon weit an der Insel entlanggefahren und bald ganz außer Sicht. An der Spitze der Insel wendeten sie und fuhren an der andern Seite herauf, immer ab und zu ein Bum hören lassend. Ich rannte quer über die Insel und konnte sie nun noch einmal sehen, wie sie, der Totenjagd müde, der Stadt zusteuerten. Nun hoffte ich, wieder meine ungestörte Ruhe zu haben!

Ich schaffte meine Siebensachen aus dem Boot herauf und richtete mich mitten im dichtesten Walde häuslich ein. Mit meinen Decken machte ich mir eine Art Zelt und stellte meine Habseligkeiten darunter, um sie vor etwaigem Regen zu schützen. Hernach fing ich mir einen Fisch, zündete ein Feuer an und kochte mein Abendessen. Dann warf ich noch eine Leine aus, um auch für das Frühstück am andern Morgen gesorgt zu haben.

Als es dunkel wurde, setzte ich mich rauchend an mein Feuer und war sehr wohl zufrieden mit mir selbst. Allmählich aber fühlte ich mich ein bißchen einsam, ging ans Ufer und sah den Wellen zu, wie sie vorbeizogen, sah die Sterne am Himmel blitzen, zählte sie und dann die Stücke Holz, die vorbeitrieben, und darauf ging ich zurück und legte mich schlafen. Ein beßres Mittel, sich das Gefühl der Einsamkeit zu vertreiben, gibt es gar nicht.

So ging’s nun drei Tage und Nächte weiter, immer dasselbe ohne jede Abwechslung. Dann aber fiel mir ein, eine Expedition ins Innere zu unternehmen. Die Insel war mein Reich, ich war hier sozusagen Alleinherrscher und wollte jeden Winkel kennenlernen; vor allem aber galt’s, die Zeit totzuschlagen. Ich fand eine Masse schöner, reifer Erdbeeren und dabei eine Menge andrer noch unreifer Beeren, die aber alle mit der Zeit eßbar werden würden, wie ich hoffte.

Ich schlug mich also durch den dichten Wald, bis ich dachte, nun müsse das Ende der Insel ungefähr erreicht sein.

Meine Flinte hatt‘ ich auch mitgenommen, aber noch gar nichts geschossen, ich fürchtete, der Knall könne mich verraten. Fast wäre ich über eine ganz ansehnliche Schlange gestolpert; sie ringelte sich durch das Gras und die Blumen weiter, ich immer dahinter her, seh‘ weder rechts noch links und stehe plötzlich vor der Asche eines Lagerfeuers, die noch warm war und rauchte.

Mein Herz fiel mir fast in die Stiefel. Ohne mich viel umzusehen, schlich ich mich, so leise ich konnte, auf den Fußspitzen davon. Von Zeit zu Zeit stand ich ein wenig still und spitzte die Ohren, mein Herz schlug aber so laut, daß ich gar nichts hören konnte. Noch ein Stück weiter schleichend lauschte ich dann wieder, und so machte ich’s abwechselnd eine ganze Zeitlang. Sah ich einen Baumstamm, so hielt ich ihn für einen Menschen, trat ich auf einen Ast und der knackte, so war mir’s, als schnitte mir jemand den Atem entzwei und ließe mir nur die eine Hälfte davon, und zwar die kleinere.

In meinem Lager angelangt, war mir nicht mehr sonderlich unternehmungslustig zumute, mein Barometer war beträchtlich gesunken, und ich dachte bei mir: Sei kein solcher Narr und schnüffle da noch lange im Wald herum! Pack deine Siebensachen ins Boot, dann bist du zur Flucht bereit, wenn’s gilt! – Schlepp‘ ich also meinen ganzen Kram wieder ans Wasser und ins Boot hinein, lösch‘ mein Feuer und reiß‘ die Asche auseinander, so daß man denken konnte, es habe vor einem Jahr zum letztenmal gebrannt, und setze mich dann oben auf einen Baum, um Ausschau zu halten.

So saß ich also da oben eine oder zwei Stunden und hörte nichts und sah auch nichts, meinte aber immer tausenderlei zu sehen und zu hören. Ewig konnte ich dort nicht kleben bleiben, und so kroch ich denn wieder herunter, hielt mich aber doch immer im dichten Wald und gab gut acht auf alles um mich her. Zum Essen hatte ich nur Beeren und was mir vom Frühstück übriggeblieben war.

Als es dunkel wurde, war ich denn auch ziemlich hungrig geworden. Bevor der Mond aufging, nahm ich mein Boot, ruderte hinüber ans Illinoisufer, landete dort und kochte mir im Wald mein Essen. Eben wollte ich mir mein Nachtlager zurechtmachen, da – trab, trab, trab – höre ich Pferdehufe und kann auch Stimmen unterscheiden. Ich, nicht faul, auf, und alles ins Boot zurückgeschleppt, dann aber kroch ich wieder herbei, um zu sehen, was los sei.

Weit kam ich nicht, als ich plötzlich einen Mann sagen hörte: »Wenn wir einen geeigneten Platz finden, lagern wir am besten hier, die Pferde sind todmüde.«

Ich zögerte nicht lange, sondern kroch schleunigst zu meinem Boot zurück und ruderte davon. An der alten Stelle legte ich wieder an und entschloß mich, für heute im Boot zu übernachten.

Schlafen konnte ich aber nicht viel, die Gedanken hielten mich wach, und wenn ich dann einmal einnickte und wieder erwachte, meinte ich jedesmal, es habe mich schon einer am Kragen. Das war mir nun sehr ungemütlich. So konnte ich nicht weiterleben, und da denk‘ ich: Du gehst und siehst, wer mit dir auf der Insel wohnt, um jeden Preis, und wenn du darüber zugrunde gehst! Danach war mir besser zumute.

Gedacht, getan! Ich nehm‘ mein Ruder, geb‘ dem Boot einen leichten Stoß und laß es sachte im Schatten des Ufers an der Insel entlanggleiten. Der Mond schien so klar, und draußen auf dem Fluß war’s hell wie am Tage. Eine Stunde wohl trieb ich so dahin, alles um mich her war lautlos, wie im tiefsten Schlaf. Das Ende der Insel hatte ich nun beinahe erreicht. Ein kühles Lüftchen erhob sich und begann lustig zu wehen, und das war so gut, wie wenn mir einer gesagt hätte, nun sei’s vorbei mit der Nacht. Ich wendete also mein Boot und ließ den Schnabel ans Land stoßen, nahm meine Flinte und schlüpfte lautlos in den Wald. Dann setzte ich mich auf einen Baumstamm und sah zu, wie der Mond allmählich verschwand, Dunkelheit das Wasser deckte und dann im Osten ein schmaler, grauer Streifen den Tag ankündigte. Nun hing ich mein Gewehr über und stahl mich leise zu dem Ort, an dem ich das Lagerfeuer gesehen. Ich hatte aber kein Glück und konnte die Stelle lange nicht wiederfinden. Endlich erblickte ich einen Feuerschein durch die Bäume. Ich schlich sachte heran, und als ich ganz nahe war, fiel mein Blick auf einen Mann, der am Boden lag. Ich meinte, ich müsse vergehen. Der Mann hatte ein Tuch um seinen Kopf geschlungen und lag mit dem Kopf beinahe im Feuer. Ungefähr sechs Fuß entfernt kauerte ich im Gebüsch und wandte keinen Blick von ihm. Es war inzwischen dämmerig geworden und wurde heller und heller. – Mit einem Male reckt er sich, gähnt, streckt sich, fängt an, sich aus der Decke zu wickeln. Mir bleibt das Herz eine Sekunde still stehen, als ich dann aber genauer hinsehe, wen entdecke ich da? – Jim, Miss Watsons Jim, den alten, treuen Nigger! Wie froh war ich, ihn zu sehen!

»Jim, holla Jim!« schrei ich und jage hinterm Buschwerk vor.

Er starrt mich an mit rollenden Augen, faltet die Hände und sinkt in die Knie: »Nix tun, alte Jim nix tun! Sein nur arme alte Nigger, sein nix bös mit arme Geist! Alte Jim haben immer lieb gehabt arme Geist von tote Mensch. Du gehen wieder in die Wasser, wo du kommen her. Nix tun gute alte Jim, nix tun Geist von arme Huck, sein immer gewesen deine gute Freund!«

Bald hatte ich ihm begreiflich gemacht, daß ich nicht tot und auch nicht mein Geist sei. Ich war so froh, Jim gefunden zu haben; so war ich jetzt doch nicht mehr allein. Ich sagte ihm, mir sei nicht bange, daß er mich verraten würde. Ich schwatzte und schwatzte, und er saß da und starrte mich noch immer ungewiß an, tat aber den Mund nicht auf.

Endlich sag‘ ich: »Geh, ’s ist beinah hell, laß uns das Frühstück kochen. Schürs Feuer tüchtig, alter Kerl!«

»Warum sollen Jim schüren Feuer? Sollen kochen Erdbeeren un solcher Zeug? Du haben Flinte warraftig, du schießen anner Sach wie Erdbeeren!«

»Erdbeeren und solcher Zeug?« wiederhol‘ ich, »hast du davon gelebt bis jetzt, armer Teufel?«

»Haben nix können anners finden!« antwortete er.

»Wie lang bist du denn schon hier, Jim?«

»Sein Jim kommen in die Nacht, wenn du sein gestorben!«

»Was? Schon so lange?« – »Ja, warraftig!«

»Und die ganze Zeit hast du nur von Beeren und solcher Zeug gelebt?«

»Nur solcher schlechte Zeug, arme Jim!«

»Ei, du mußt ja halb verhungert sein, armer Kerl!«

»Jim könnten essen ganze Pferd, könnten Jim, warraftig! Wie lang du sein auf Insel?«

»Seit der Nacht, in der ich getötet wurde!«

»Warraftig! Was du haben gessen? Ach, du haben Flint! Das ’s gut! Jetzt du schießen gute Braten, Jim dann machen Feuer an!«

Nun gingen wir zuerst zum Boot, und während er einen guten Platz aussuchte zum Feueranmachen, holte ich Mehl, Speck, Kaffeetopf, Bratpfanne, Zucker und Blechtassen. Jim starrte nur so mit offenem Munde, als er die vielen Sachen sah, und dachte, es sei eine Hexerei im Spiel. Dann fing ich einen tüchtigen Fisch, Jim machte ihn zurecht und briet ihn.

Als das Frühstück fertig war, verschlangen wir’s kochend heiß, namentlich Jim ging mit Dampfkraft ans Werk; er war wirklich ganz ausgehungert, der arme Bursche. Als wir uns gehörig gestopft hatten, legten wir uns bequem in das Gras hin, und Jim sagte: » Aber, Huck, gute liebe Huck, hör mal alte Jim. Wer denn sein worden tot gestochen in alte Hütte drüben?«

Ich erzählte ihm alles, und er fand’s furchtbar klug und pfiffig. Er sagte, selbst Tom Sawyer hätte es nicht feiner fertigbringen können. Ich fühlte mich sehr stolz auf sein Lob hin und fragte dann: »Aber wie in der Welt kommst du hierher, Jim? Wie und warum?«

Er sah mich unruhig an, schwieg aber und sagte kein Wort. Dann meinte er: »Jim lieber nix sagen!«

»Warum, Jim?«

»Jim wissen warum! Du werden doch alte Jim nix verraten, Huck, werden doch nix?«

»Hol mich der und jener, wenn ich’s tu‘, Jim!«

»Jim dir glauben, alte Jim dir glauben, Huck! Jim, – arme alte Jim sein davongelaufen!«

»Jim!!!«

»Huck, du Jim nix verraten, du versprechen, Huck – du nix sagen von arme Jim!«

»Gut, ich hab’s versprochen, Jim, und ich halt‘ mein Wort, straf mich Gott, ich halt’s! Und wenn sie mich drum verachten und tothauen und einen Ablitionisten Abolitionisten hießen die Gegner der Sklaverei vor dem Bürgerkrieg. schimpfen, das ist mir alles eins. Ich sag‘ nichts und ich geh‘ auch nicht wieder zurück, Jim, also heraus mit der Sprache!«

»Ja, Huck, sein da gewesen so! Alte Missus – was sein Miss Watson – hat arme Jim so viel geplagt, sein gewesen so viel bös mit arme, alte Jim, hat aber immer versprochen, will arme Jim nix verkaufen nach New Orleans. Aber da sein gekommen Nigger-Händler, haben viel gehandelt mit alte Missus, sein Jim geworden so arg unruhig. Eine Abend spät arme, alte Jim sein gelegen vor die Türe, haben hören alte Missus sagen zu die Witwe: ›Missus Douglas‹, sie sagen, ›ich nix wollen verkaufen meine Nigger, aber achthundert Dollar sein schöne Stück Geld, sein viele, viele Geld, ich nix wissen was tun!‹ Sagen die Witwe: ›Oh, nix verkaufen arme, alte Jim, sein gute Kerl, sein brave Nigger!‹ Jim das hören un warten da nix länger, rennen nur fort, fort, schnell, schnell!

Rennen weiter, immer weiter an die Fluß, wollen stehlen Boot an die Wasser, sehen Jim aber Leute, Leute und immer Leute, warraftig die ganze Nacht, immer müssen jemand da sein. Legen sich Jim in die Schilf zum Warten. Kommen schon um sechs Uhr in die Morgen viele Menge Herren und Damens, steigen in die Boot, sagen, Huck sein tot gemacht drüben in die Wald, wollen gehen und sehen die Mordplatz. Waren arme Jim so traurig, wenn er das hören, denken er: Arme Huck, waren so brave Bursch, so junge Bursch, so lustige Bursch! Arme Huck!

Arme, alte Jim müssen liegen also in die Schilf ganze Tag lang. Sein er furchtbar hungrig, aber gar nix ängstlich. Er wissen, alte Missus und die Witwe wollen gehen früh in die Morgen über Land in große Gebetsversammlerung. Jim müssen treiben die Vieh in die Feld, werden sie ’n also nix suchen jetzt.

In die Abend kriechen Jim also raus un gehen weiter, Fluß nunter. Denken er, was tun? Denken er, wenn Jim gehen zu Fuß, kriegen ’n die Hunde, wenn er stehlen Schiff, kriegen ’n die Menschen, er müssen haben Floß, Floß sein gut, lassen keine Spur hinter sich.

Er also sehen um sich – un sehen bald Licht schwimmen in die Wasser. Er denken, das sein Floß, springen in die Wasser un schwimmen bis weit, weit in die Mitt! Kommen auch warraftig Floß daher, und Jim, alte, arme, nasse Jim halten sich fest un setzen sich drauf ganz hinten. Er denken, Nacht sein schwarz, Jim sein auch schwarz, werden also nix gesehen, und legen er sich so auf die Rücken. Sein viele Männer vorn bei die Licht, spielen un lachen un trinken, un arme Jim denken, er können fahren so die ganze Nacht.

Haben aber kein Glück nix, arme Jim! Kaum sein die Floß hier an ‚r Insel, kommen einer mit Latern auf Jim los. Arme Jim müssen wieder in kalte Wasser! Schwimmen so nach ‚r Insel, müssen lang suchen, bis er können landen, sein Ufer so viel steil. Er gehen in die Wald, wollen nix mehr wissen von Floß, wo Mann mit Latern kommen. Haben aber doch noch sein‘ Pfeif und trockene Schwefelhölzer in sein Kapp, so er sein ganz zufrieden, alte Jim!«

»Und so hast du die ganze Zeit gar kein Fleisch und gar kein Brot zu essen gehabt, armer Jim? Hast dich natürlich immer nur im dicksten Wald versteckt halten müssen! Hast du gehört, wie sie die Kanone losfeuerten?«

»Warraftig ja, Jim denken: Arme, kleine Huck, jetzt sie suchen nach seine Knochen! Jim haben auch Boot gesehen durch die Busch!«

Jetzt kamen ein paar junge Vögel daher, sie flogen immer einige Meter weit und ließen sich dann nieder. Sagt Jim, das sei ein Zeichen von Regen, wenigstens bei jungen Hühnern sei es eines, dann werd’s wohl auch so bei andern jungen Vögeln sein. Ich wollte mir ein paar fangen, Jim aber hielt mich zurück, das bedeute Tod, sagt er. Sein Vater sei einmal sehr krank gewesen, sagt er, und einer von ihnen habe einen Vogel gefangen, worauf die alte Großmutter gleich gesagt habe, nun werd‘ der Vater sterben, und richtig, so sei’s gewesen, er sei gestorben, aber freilich erst etwas später.

Jim sagt auch, man dürfe die Sachen nie aufzählen, die man zum Mittagessen kocht, das bringe Unglück, ebenso wenn man das Tischtuch nach Sonnenuntergang ausschüttle. Und er sagt, wenn ein Mann stirbt, der einen Bienenstock hat, so muß man’s den Bienen sagen, eh‘ die Sonne am nächsten Morgen aufgeht, oder sie hören alle auf zu arbeiten und sterben auch. Die Bienen stechen nie Dummköpfe, sagt Jim, das aber glaub‘ ich ihm nicht, denn oft und oft war ich hinter ihnen her, und sie haben mich noch nie gestochen, und ich halt‘ mich nicht gerade für einen Dummkopf.

Vieles hatte ich schon vorher gehört, aber doch nicht alles. Jim wußte alle Arten von Vorzeichen, sagte, er kenne beinahe alle. Mir schien’s, als ob alle Vorzeichen immer nur Schlechtes bedeuten, und so fragte ich ihn, ob’s nicht auch einige gäbe, die Glück brächten. Darauf meint‘ er: »Furchtbar wenig! – und die sein nix viel wert. Warum du denn wollen wissen, wenn Glück kommen? Du dich wollen schützen vor ihr? Glück sein mächtig stark, Glück kommen ganz von selbst ohne Zeichen. Wenn du haben Haar an die Brust un Haar auf die Arm, du werden noch reich einmal. Sein gutes Zeichen das! Wenn du sein arm und elend und wollen lieber gar nix mehr leben, du sehen auf die Haar und denken, warten mal noch bißchen, wird kommen besser – bald, bald!«

»Hast du haarige Brust und Arme, Jim?«

»Warum du fragen das? Du das nix selbst sehen? Jim haben Haare!«

»Drum eben! Bist du reich?«

»Nein, aber Jim sein gewesen so reich un Jim werden wieder reich einmal, bald! Einmal er haben vierzehn Dollars gehabt – vierzehn Dollars – aber Jim haben spekliert un alles – verloren!«

»In was hast du denn spekliert, Jim?«

»In ‚r Kuh, Huck, in ‚r lebendigen Kuh! Dumme, alte Jim, gehen hin und stecken zehn Dollars in alte, kranke Kuh, elend Vieh, was krepiert nach drei Tag!«

»Und die zehn Dollars, Jim, waren futsch?«

»Nein, nix ganz futsch! Nur neun! Jim gehen hin und verkaufen die Haut un den Talg für ein Dollar zehn Cents!«

»Sind dir also noch fünf Dollars und zehn Cents geblieben, Jim. Weiter! Hast du noch mehr spekliert

»Ja! Huck, du kennen das einbeinerige Nigger, das dem alten Mista Bradish sein? Altes Nigger da gründen eine Bank un sagen, jeder Nigger, was einen Dollar bringt, kriegen vier am End von die Jahr. Alle Niggers laufen un bringen sein Geld, haben aber nur nix viel. Sein Jim der einzige, wo hat viel, so er wollen haben auch mehr als wie annre Niggers. Er sagen, wenn Jim kriegen nix mehr, er selber wollen halten Bank. Das einbeinerige Nigger wollen das nicht haben, sagen, es sein zu wenig Geld für zwei Banken, er wollen Jim geben fünfunddreißig Dollars for fünf am End‘ von die Jahr.

Dumme Jim also geben fünf Dollars in die Bank. Denken dann, er gleich wollen anlegen die fünfunddreißig Dollars un nix warten auf die End von die Jahr. Eine annre Nigger, Bob, haben gefischt viele Holzstämme aus die Wasser, ganze Floß, ohne daß’s seine Herr wissen. Jim kaufen also die Holz un sagen, Bob sollen sich lassen geben die fünfunddreißig Dollars, wo sein in Bank am End von die Jahr. In die Nacht aber werden die Holz gestohlen, und die annre Morgen sagen das einbeinerige Nigger, Bank sei falliert un so keiner nix kriegen Geld, Jim sein fünf Dollars sein weg!«

»Und die zehn Cents, Jim, wo hast du sie hingebracht?«

»Erst Jim wollen sich was kaufen mit. Da er träumen in die Nacht, er sollen geben die zehn Cents alte Nigger Balam – Balams Esel er heißen, weil er sein so viel dumm –, haben aber immer Glück, alte Balam, un arme Jim haben gar nix Glück! Sagen also Traum: Jim sollen geben Balam Geld un lassen Balam ihr anlegen, dann Jim werden haben auch Glück! Balam also nehmen zehn Cents, gehen in die Kirche un hören Pfarrer sagen: ›Wenn du geben die Armen, du leihen die Herrn un du werden kriegen hundertfach alles zurück!‹ Alte Balam also, er geben die zehn Cents annre arme, alte Nigger un sitzen un warten, was jetzt kommen!«

»Nun, und was kam dann, Jim?«

»Nie nix, Huck! Arme Jim sein Cents war auch noch weg. Du werden kriegen hundertfach, sagt’r Pfarrer. Hundertfach! Jim wollten sein so froh mit sein arme, kleine zehn Cents, wenn er’s wieder hätten!«

»Na, Jim, laß gut sein! So lang du noch die Haare auf deiner Brust und deinen Armen hast, wirst du ja noch reich werden!«

»Warraftig! Un Jim sein schon reich jetzt! Jim sein doch sein eigen Herr! Hätten er nur die Geld, arme Jim, mehr er gar nix wollen!«