Meine Reise um die Welt – Erste Abteilung

Zehntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Eure menschliche Umgebung, die macht das Klima.

Querkopf Wilsons Kalender.

Der Oktober war vor der Tür, der Frühling hatte sich eingestellt. Alle, die man fragte, erklärten, daß es Frühling sei, aber in Canada hätte man ihn, ohne den geringsten Argwohn zu erregen, für Sommer verkaufen können. Solches Wetter ist bei uns zu Hause wunderschön, wenn man nämlich einen Aufenthalt im Gebirge ober am Seestrande macht. Aber dort nannten sie es kühl und behaupteten, wer wissen wolle was Wärme sei, müsse im Sommer nach Sydney kommen, und um die eigentliche Hitze kennen zu lernen, brauche man nur etwa tausend Meilen nach Norden zu gehen; in der Nähe des Aequators legen die Hennen gebackene Eier.

Kapitän Sturt, der große Forschungsreisende, macht folgende Beschreibung von der Hitze:

»Der Wind, der den ganzen Morgen aus N.O. geblasen hatte, wurde zum heftigen, alles ausdörrenden Sturm. Ich werde seine verheerende Wirkung nie vergessen. Zwar suchte ich Schutz hinter einem großen Gummibaum, aber die glühenden Windstöße waren so entsetzlich, daß ich glaubte, das Gras müsse in Brand geraten. Ein unerträglicher Zustand, der alles Leben zu vernichten drohte. Die Pferde standen mit dem Rücken nach dem Winde und senkten die Nase tief zu Boden; sie hatten nicht Muskelkraft genug, um den Kopf in die Höhe zu halten; alle Vögel waren verstummt, und die Blätter des Baums, unter dem wir saßen, fielen massenhaft von den Zweigen. Zur Mittagszeit nahm ich meinen Thermometer, der in 127° geteilt war, aus dem Futteral; das Quecksilber stand auf 125°. Ich glaubte, das könne nicht richtig sein und legte das Instrument in die Gabel eines nahen Baumes, wo es dem Einfluß von Wind und Sonne ausgesetzt war. Als ich eine Stunde später danach sah, war das Quecksilber bis zur Spitze gestiegen und hatte die Kugel zersprengt, was wohl noch kein Reisender je zu berichten gehabt hat. Mir fehlen die Worte, um dem Leser auch nur eine schwache Vorstellung von der intensiven, atembeklemmenden Glut zu geben, welche während der Zeit herrschte.«

Wenn solche heiße Winde über Sydney dahinwehen, führen sie manchmal einen sogenannten ›Staubregen‹ mit sich, der auch in andern Städten Australiens häufig genug vorkommt. Selbst erlebt habe ich keinen, aber nach der Schilderung zu urteilen, welche Mr. Gane davon gibt, muß die Naturerscheinung den in Nevada herrschenden Alkalistaubwirbeln nicht unähnlich sein.

»Je mehr wir von der Höhe hinabstiegen,« sagt Gane, »um so größer wurde die Hitze, bis wir die hübsche Stadt Dubbo erreichten, die nur sechshundert Fuß über dem Meeresspiegel auf einer weiten Ebene liegt … Bei trockenem Wetter zerkrümelt der Erdboden förmlich und die Oberfläche bedeckt sich mit einer dicken Staubschicht. Weht nun der Wind aus einer gewissen Richtung, so hebt er die ganze Schicht in einem Stück in die Luft empor; gleich einer langen, schwärzlichen Wolke. Bei solchem Staubregen kann man die Hand kaum vor Augen sehen, und der Unglückliche, den er im Freien überrascht, muß so schnell wie möglich ein schützendes Obdach suchen. Jede gute Hausfrau, welche die dunkle Säule im Wirbel auf ihr Heim zusteuern sieht, beeilt sich, Türen und Fenster zu schließen. Eine Dame, die mehrere Jahre in Dubbo wohnte, hat mir gesagt, daß wenn man aus Nachlässigkeit das Fenster des Wohnzimmers beim Staubregen offen läßt, der Staub so dick auf dem Teppich liegt, daß man ihn mit einer Schaufel fortschaffen muß.«

Wahrscheinlich in ganzen Wagenladungen. Nein, so schlimm ist es in Nevada doch nicht.

Elftes Kapitel.

Elftes Kapitel.

Leben ist Leiden. Selbst die verborgene Quelle des Humors ist nicht Freude, sondern Schmerz. Es gibt keinen Humor im Himmel.

Querkopf Wilsons Kalender.

Kapitän Cook hat Australien im Jahre 1770 entdeckt und achtzehn Jahre später gründete die britische Regierung ihre dortige Sträflingskolonie. Alles in allem wurden im Lauf von dreiundfünfzig Jahren 83 000 Sträflinge nach Neusüdwales eingeschifft. Sie trugen schwere Ketten, wurden schlecht genährt und von ihren Aufsehern arg mißhandelt. Bei der geringsten Uebertretung der Regel drohten ihnen harte Strafen; sie standen unter der ›grausamsten Zucht, die je geübt worden ist‹, sagt ein Schriftsteller.

Damals kannte das englische Gesetz kein Erbarmen. Für geringfügige Vergehen, die heutzutage mit einer kleinen Geldbuße oder ein paar Tagen Gefängnis bestraft würden, schickte man Männer und Frauen auf sieben oder vierzehn Jahre bis ans andere Ende der Welt und für schwere Verbrechen auf Lebenszeit.

Kinder, die ein Kaninchen gestohlen hatten, kamen auf sieben Jahren nach der Strafkolonie.

Als ich vor dreiundzwanzig Jahren in London war, hatte man eben eine neue Strafe eingeführt, um dem Garrottieren und der Mißhandlung von Ehefrauen Einhalt zu tun – fünfundzwanzig Hiebe mit der neunschwänzigen Katze auf den nackten Rücken. Man sagt, diese furchtbare Strafe habe auch den verstocktesten Bösewicht bekehrt, und kein Mensch sei je imstande gewesen, nach dem neunten Hiebe seine Gefühle noch für sich zu behalten; gewöhnlich fing das Klagegeheul schon früher an. Die Wirkung des Gesetzes auf die Garrottierer und schlechten Ehemänner war ganz vortrefflich, aber es kam dem modernen London zu unmenschlich vor und wurde wieder aufgehoben. Manches arme, zerschlagene englische Eheweib hat seitdem Anlaß gehabt, diese grausame Nachsicht einer sentimentalen Menschlichkeit bitter zu beklagen.

Fünfundzwanzig Hiebe! In Australien und Tasmanien erhielt der Sträfling fünfzig für jedes kleine Vergehen; oft fügte ein roher Beamter noch fünfzig hinzu und abermals fünfzig, solange das unglückliche Opfer die Qual aushielt ohne den Geist aufzugeben. In einer alten amtlichen Urkunde habe ich von einem Fall in Tasmanien gelesen, wo ein Sträfling, der ein paar silberne Löffel gestohlen hatte, dreihundert Hiebe erhalten hat. Und das war noch nicht die höchste Zahl. Wer teilte sie aber aus? Häufig ein anderer Sträfling, zuweilen der beste Kamerad des Unglücklichen, und er mußte die Peitsche mit allem Nachdruck führen, sonst bekam er sie selber zu kosten zum Lohn für sein Erbarmen, ohne daß er dem Freunde damit einen Dienst geleistet hätte. Das Strafinstrument wanderte nur in eine andere Hand, bis das Urteil in vollster Ausdehnung vollzogen war.

Das Sträflingsleben in Tasmanien war so unerträglich, und ein Selbstmord so schwer auszuführen, daß die Menschen in ihrer Verzweiflung sich zuweilen zusammentaten und durch das Los bestimmten, wer von ihnen einen aus ihrer Zahl töten sollte, damit dem Leben des Mörders und der Augenzeugen seiner Tat durch Henkers Hand ein Ende gemacht würde.

Dies sind nur Beispiele aus einer ganzen Flut ähnlicher Fälle, nur schwache Andeutungen, welche die Unsumme von Leiden ahnen lassen, die das Sträflingsleben mit sich brachte und von denen wir uns schaudernd abwenden.

Zwölftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Wir können uns das Wohlgefallen anderer Menschen sichern, wenn wir uns nichts zu schulden kommen lassen und ihnen zu Diensten sind; aber unser eigener Beifall ist hundertmal mehr wert, und es ist noch kein Mittel entdeckt worden, uns den zu sichern.

Querkopf Wilsons Kalender.

Vier Jahre nach Ankunft der ersten Sträflinge zählte die Kolonie deren etwa 2500. Einige – vielleicht eine ziemliche Menge – waren wohl sehr schlechte Menschen, selbst für die damalige Zeit; aber die meisten werden vermutlich nicht viel verderbter gewesen sein, als es die Leute, die daheim blieben, im allgemeinen waren. Wir können kaum umhin das zu glauben. Ein Volk, das es unentwegt mit ansehen konnte, wie man Frauen, die von Frost und Hunger getrieben ein Stück Speck oder einen alten Lumpen stahlen, an den Galgen brachte, wie man Knaben ihrer Mutter und den Vater seiner Familie entriß, um sie wegen ähnlicher kleiner Vergehen auf lange Jahre in die Strafkolonie zu schleppen – ein solches Volk läßt sich doch unmöglich als ›zivilisiert‹ bezeichnen. Auch muß sein Fortschritt in der Zivilisation weder rasch noch bedeutend gewesen sein, da alle wußten wie es jenen Unglücklichen in der Verbannung erging und sich vierzig Jahre lang ruhig darein ergaben.

Wenn wir uns zudem noch den Charakter und das Verhalten der hohen Herren und der Beamten vergegenwärtigen, welche für Aufsicht, Ernährung und Zucht der Sträflinge zu sorgen hatten, so finden wir auch da keinen wesentlichen Unterschied der Moral oder Gesittung im Vergleich mit den Sträflingen selbst oder ihren Volksgenossen im Heimatland. Sie standen so ziemlich alle auf der gleichen Stufe.

Nicht lange, so begannen sich auch freiwillige Ansiedler in der Kolonie niederzulassen, und diese sowohl als die schon beträchtliche Anzahl der Deportierten, bedurften des Schutzes für den Fall, daß Zwistigkeiten unter ihnen selbst oder mit den Eingeborenen entstünden. Letztere kamen auch einigermaßen in Betracht, wiewohl sie sehr wenig zahlreich waren. Zu einer Zeit, als man sie noch ziemlich ungestört ließ, weil sie niemand im Wege standen, rechnete man in Neusüdwales etwa einen Eingeborenen auf ein Gebiet von 45 000 Morgen.

Wie sollte man die Kolonie schützen? Kein Offizier der regulären Armee hätte sich um einen Dienst am andern Ende der Welt beworben, bei dem weder Ehre noch Auszeichnung zu holen war. So sah sich denn England genötigt, eine Art uniformierter Bürgermiliz auszurüsten und einzuschiffen, das sogenannte ›Korps von Neusüdwales‹, das aus tausend Mann bestand.

Für die Kolonie war das ein furchtbarer Schlag, der sie fast zu Boden schmetterte. Anschaulicher hätte der moralische Zustand Englands außerhalb der Gefängnisse gar nicht dargestellt werden können, als durch diese Korps. Die Kolonisten zitterten vor Angst, daß man ihnen nächstens auch noch eine Schiffsladung von Adligen herüberbringen würde.

Anfänglich vermochte die Kolonie sich noch nicht selbst zu erhalten. Nahrung, Kleidung und alle andern Lebensbedürfnisse wurden aus England geschickt und in großen Warenhäusern der Regierung aufgestapelt. An die Sträflinge verteilte man was sie brauchten, und den Ansiedlern verkaufte man es mit einem kleinen Profit über den Selbstkostenpreis. Diesen Umstand machte sich das Korps zu nutze. Sämtliche Offiziere begannen Handel zu treiben und zwar auf völlig gesetzlose Weise. Allen Warnungen und Verboten der Regierung zum Trotz führten sie Spirituosen ein und errichteten eigene Branntweinbrennereien im Lande. Sie schlossen einen Bund, der den Markt beherrschte und die Regierung samt allen andern Händlern boykottierte; auch verstanden sie es, ihr Monopol streng aufrecht zu erhalten. Kam ein mit Rum befrachtetes Schiff an, so wurde außer ihnen kein Käufer zugelassen, und sie zwangen den Eigentümer, seine Ladung zu dem niedrigen Preise herzugeben, welchen sie bestimmten. Durchschnittlich kauften sie den Rum zu zwei Dollars die Gallone und verkauften ihn zu zehn Dollars; ja, sie machten den Rum zur Hauptwährung im Lande, denn Geld gab es damals so gut wie gar nicht. Achtzehn oder zwanzig Jahre lang beherrschten sie die Kolonie ausschließlich und setzten ihren verderblichen Einfluß fort, bis es endlich der Regierung gelang, sie zu besiegen und zu vernichten.

Es kann kaum Wunder nehmen, daß sich bei diesen Verhältnissen die Trunksucht unter der gesamten Einwohnerschaft verbreitete; mancher Ansiedler hatte seine Farm nach und nach gegen Rum verschachert, und die Offiziere des Korps waren steinreich geworden. Wenn ein Farmer sich vor Durst nicht mehr zu lassen wußte, nahmen sie ihren Vorteil wahr, um ihn bis aufs Blut zu schinden. Einmal verkauften sie einem Mann eine Gallone Rum, die zwei Dollars wert war, für ein Grundstück, dessen Preis später bis auf 100 000 Dollars stieg.

Als die Kolonie etwa zwanzig Jahre lang bestanden hatte, entdeckte man, daß sich das Land vorzüglich zur Schafzucht eigne. Damit war sein Wohlstand begründet, es trat mit seiner Wolle in den Welthandel ein; bald fand man auch reiche Schätze an Edelmetallen, Einwanderer strömten herbei, auch Kapitalien blieben nicht aus.

So hat sich im Laufe der Zeit das große, begüterte und aufgeklärte Staatswesen von Neusüdwales gebildet. Bergbau, Schafzucht, Straßen- und Eisenbahnen, Dampferlinien, Zeitungen, Schulen, Universitäten, botanische Gärten, Bildergalerien, Bibliotheken, Museen, Hospitäler – alles ist dort in Fülle vorhanden. Jede Art von Kultur, jedes praktische Unternehmen findet Anklang und bereitwillige Förderung; Kirchen gibt es wie Sand am Meere, und Rennbahnen im Ueberfluß.