Meine Reise um die Welt – Erste Abteilung

Fünftes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Der Lärm tut nichts zur Sache: Oft gackert eine Henne, die nur ein Ei gelegt hat so laut, als hätte sie einen Planeten gelegt.

Querkopf Wilsons Kalender.

Mittwoch 11. September. Wir fahren jetzt stetig nach Süden und immer weiter hinunter auf dem runden Bauch der Erdkugel. Gestern abend sahen wir den Großen Bären und den Nordstern am Horizont untergehen und aus unserer Welt verschwinden. Das heißt, irgend jemand hat es gesehen und mir davon erzählt. Aber das macht keinen Unterschied, mir ist es so wie so einerlei, da ich die beiden herzlich satt habe. Sie sind ja in ihrer Art gar nicht übel, aber man will sie doch auch einmal los werden. Ich hatte jetzt nur noch Interesse für das ›Kreuz des Südens‹, von dem ich mein Lebenlang gehört hatte, ohne es zu sehen; natürlich brannte ich vor Verlangen danach. Kein anderes Sternbild verursacht so viel Gerede. Im allgemeinen habe ich, wie gesagt, gegen den Großen Bären nichts einzuwenden – wie sollte ich auch? Er ist ja ein Bürger unseres Himmelsgewölbes und gehört zum Besitzstand der Vereinigten Staaten. Aber doch war ich froh, daß er aus dem Wege ging, um diesem Fremdling Platz zu machen. Nach meinem Dafürhalten brauchte ein Sternbild, von dem man so viel Wesens macht wie von dem Kreuz des Südens, den ganzen Himmel für sich allein.

Aber das war ein Irrtum. Heute abend haben wir das Kreuz gesehen; es ist weder groß noch ungewöhnlich hell. Freilich stand es tief am Horizont; es wird vielleicht noch schöner, wenn es hoch am Himmel steht. Sein Name ist sehr sinnreich gewählt, denn es sieht gerade so aus, wie ein Kreuz aussehen würde, das man ebensogut für etwas ganz Anderes halten könnte. Aber diese Bemerkung ist viel zu allgemein und unbestimmt, ich will mich deutlicher ausdrücken: ein Kreuz mag es wohl sein, doch ist es entweder aus den Fugen gegangen oder verzeichnet, denn es hat zwar einen langen und einen kurzen Balken, aber letzterer ist ganz schief geraten.

Vier große Sterne und ein kleiner bilden das Kreuz. Der kleine Stern liegt außer dem Strich und verdirbt die Form vollends; er sollte an der Stelle stehen, wo die Balken zusammengefügt sind. Wenn man nicht eine gedachte Linie zwischen den Sternen zieht, würde man gar nicht auf die Idee kommen, daß sie ein Kreuz vorstellen – oder überhaupt irgend etwas.

Um den kleinen Stern darf man sich nicht kümmern; er muß ganz beiseite bleiben, weil er alles verwirrt. Läßt man ihn weg, so kann man aus den vier Sternen wohl eine Art schiefes Kreuz machen, aber ebenso gut einen schiefen Drachen oder einen schiefen Sarg.

Mit den Namen, die man den Sternbildern gegeben hat, ist es von jeher eine heikle Sache gewesen; sie wollen sich diesen Namen durchaus nicht anpassen und bestehen meist hartnäckig darauf, den Dingen, nach denen sie benannt sind, in keiner Weise zu gleichen. Zur Beruhigung der Gemüter sieht man sich zuletzt häufig genötigt, den phantastischen Namen in einen solchen umzuwandeln, der dem gemeinen Menschenverstand besser einleuchtet. Wenn es auf mich ankäme, würde ich das ›Kreuz des Südens‹ nicht den ›Sarg des Südens‹, sondern den ›Drachen des Südens‹ nennen. Kreuze und Särge haben dort oben in dem großen leeren Raum nichts zu schaffen, aber für einen Drachen ist es gerade der rechte Platz. In einiger Zeit – ob über kurz oder lang weiß ich nicht – wird der ganze Erdball im Besitz der englisch redenden Rasse sein und natürlich auch das Himmelsgewölbe. Dann müssen alle Sternbilder neugeordnet, blank geputzt und umgetauft werden; die meisten wird man vermutlich ›Victoria‹ nennen, schon jetzt tragen viele Städte und Geräte den Namen ihrer britischen Majestät. Aber ein Sternbild wird auch als ›Drache des Südens‹ droben wandeln oder überhaupt von der Bildfläche verschwinden.

In den letzten paar Tagen sind wir durch eine förmliche Milchstraße von Inseln gefahren. Auf der Karte liegen sie so dicht beisammen, daß man denken sollte, es wäre dazwischen kaum Platz für ein Kanoe – und doch bekommen wir selten eine Insel zu Gesicht. Neulich sahen wir einmal zwei in weiter Ferne gespenstisch und schattenhaft auftauchen, Alofi und Futuna oder Horne. Auf der größeren herrschen zwei eingeborene Könige, die einander grimmig befehden. Sie sowohl wie ihre Untertanen gehören zur katholischen Kirche; französische Missionare haben sie bekehrt.

Von den unzähligen Inseln in diesen Meeren bezog man früher die ›Rekruten‹ für die Plantagenarbeit in Queensland, und ich glaube, man holt sie noch jetzt dort her. Fahrzeuge, die in ihrer Ausrüstung den alten Sklavenschiffen glichen, schafften die Eingeborenen nach jener großen Provinz Australiens, wo sie als Arbeiter Verwendung fanden. Anfangs raubte man die Leute ohne alle Umstände, wie die Missionare bezeugen; von anderer Seite wird das zwar geleugnet, aber es läßt sich nicht widerlegen. Später verbot das Gesetz, die Eingeborenen gegen ihren Willen anzuwerben, und die Regierungsbeamten hatten Befehl, auf allen Werbeschiffen für Aufrechterhaltung des Gesetzes zu sorgen, was sie nach Aussage der Werber wirklich taten, aber auch oft unterließen, wie die Missionare behaupten. Ein Arbeiter konnte auf drei Jahre regelrecht angeworben werden und dann freiwillig noch ebenso lange im Dienst bleiben, wenn es ihm gefiel. War seine Zeit um, so durfte er auf seine Insel zurückkehren und erhielt auch die Mittel dazu. Die Regierung ließ sich dies Geld von dem Arbeitgeber auszahlen, ehe der ›Rekrut‹ ihm überlassen wurde.

*

Kapitän Wawn, der viele Jahre ein Werbeschiff befehligte, hat ein Buch über seine Erlebnisse geschrieben, aus dem hervorgeht, daß das Werbegeschäft im allgemeinen bei den Insulanern sehr beliebt war. Doch scheint es dabei weder langweilig noch einförmig gewesen zu sein, denn es bot allerlei kleine Abwechslungen, von denen der Kapitän berichtet, zum Beispiel die folgende: »Am Nachmittag, nachdem wir die Leprainsel erreicht hatten, lag der Schoner, bei fast vollständiger Windstille, im Schutz des gebirgigen Teils der Insel, etwa dreiviertel Meilen vom Ufer. Wir hatten die Boote ausgesetzt, konnten sie jedoch in Sicht behalten. Das Werbeboot war in eine kleine Bucht der felsigen Küste eingelaufen, wo auf steilem Uferrand eine einsame Hütte lag, hinter der sich dichter Wald erhob. Das zweite Boot, in dem sich der Regierungsbeamte und der Maat befanden, lag etwa 400 Meter westwärts.

»Plötzlich hörten wir Schüsse und das laute Geheul der Eingeborenen am Ufer und sahen das Werbeboot mit anscheinend verminderter Bemannung das Weite suchen. Das andere Boot fuhr ihm rasch entgegen, nahm es ins Schlepptau und brachte es zum Schoner zurück. Von der Mannschaft war kein einziger ohne leichte oder schwere Verwundung davongekommen. Die Insulaner hatten unsere Leute unter dem Schein der Freundschaft in die Bucht gelockt; sie umschwärmten den Stern des Bootes, und einige der farbigen Burschen stiegen sogar an Bord. Urplötzlich schwangen sie aber ihre Keulen und Tomahawks und gingen zum Angriff über. Der Werber schützte sich mit den Fäusten gegen die ersten grimmigen Schläge, bis er Zeit fand, sich des Revolvers zu bedienen. Einer der Matrosen, Tom Sayers, erhielt einen Hieb mit der Streitaxt, der ihm die Kopfhaut durchschnitt, aber zum Glück den Schädel nicht spaltete; einem andern, Babby Towns, wurden beide Daumen zerschmettert, als er die Schläge abwehren wollte; den linken Daumen, der nur noch an Haut und Knochen hing, mußte der Wundarzt ganz von der Hand ablösen. Lihu, ein Knabe aus Lifu, der Diener des Werbers, hatte verschiedene leichte Hieb- und Stichwunden. Dem unglücklichen Jack, einem ›Rekruten‹ von der Insel Tanna, der als Bootsmann angeworben war, wurde der Vorderarm von einem Pfeil durchschossen, der noch auf beiden Seiten herausstak, als das Boot zurückkam. Der Werber selbst wäre frei ausgegangen, hätte nicht, gerade im Augenblick der Abfahrt, ein Pfeil ihm die Hand an den Griff des Steuerruders festgenagelt. Der Kampf war zwar kurz, doch heftig gewesen; auf feindlicher Seite waren zwei Mann erschossen worden.«

Kapitän Wawns Buch enthält eine große Menge von Beispielen solcher gefährlichen Zusammenstöße zwischen den Eingeborenen und den englischen und französischen Werbeschiffen; denn auch die Franzosen betreiben das Geschäft für die Plantagen von Neu-Caledonien. Die Werber scheinen daher doch nicht allzu beliebt bei den Insulanern zu sein, wie ließen sich sonst diese wilden Angriffe und blutigen Kämpfe erklären? Der Kapitän schiebt freilich die ganze Schuld auf die unverständigen Philanthropen. Wenn diese sich nur nicht einmischen wollten, meint er, würden die eingeborenen Väter und Mütter nicht mehr weinen und klagen, daß man ihre Kinder in die Verbannung schleppt, wo sie nicht selten ein frühes Grab finden, sondern ohne Frage ganz damit einverstanden sein und keinen Versuch machen, die freundlichen Werber totzuschlagen.

Sechstes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Die Geschichte ist eine Prophetin. Sie lehrt, daß wenn ein starkes, aufgeklärtes Volk einem schwachen, unwissenden Volke etwas nehmen will, was es besitzt, letzteres sich friedlich darein ergeben muß.

Querkopf Wilsons Kalender.

Eins ist sonnenklar: Kapitän Wawn kann die Missionare nicht ausstehen, weil sie ihm das Geschäft verderben. Seine Werbefahrten, die er wie eine Lustpartie betreiben möchte, nennen sie schlechtweg ›Sklavenfang‹ und machen sie ihm zur Last. Die Missionare haben nämlich ihre ganz eigene, nicht sehr schmeichelhafte Ansicht über den Handel mit Eingeborenen und die Art, wie die Werber die Gesetze zu umgehen wissen. Kapitän Wawns Buch ist erst kürzlich erschienen, aber mir liegt noch eine Broschüre neueren Datums über dasselbe Thema vor, welche soeben aus der Presse kommt und den Missionar W. Gray zum Verfasser hat. Ich habe es sehr interessant gefunden, das Buch und die Broschüre zusammen zu lesen.

Es war mir auch alles leicht verständlich, nur ein Umstand nicht, auf den ich sogleich zurückkommen will. Warum der Besitzer der Zuckerpflanzung in Queensland den Kanaka haben will, liegt auf der Hand: einen so billigen Arbeiter bekommt er schwerlich wieder. Was der Pflanzer bezahlt ist folgendes: 20 £ an den Weiber, der den Kanaka gedungen – oder ›gefangen‹ hat, wie die Missionare sagen; 3 £ Einfuhrgebühren an die Regierung in Queensland und 5 £ für Rückbeförderung des Kanaka, falls er nach Ablauf seiner drei vertragsmäßigen Jahre noch am Leben ist; an den Kanaka selbst für Lohn und Kleidung während der drei Jahre 25 £ Summa summarum 53 £ und mit Verköstigung 60 £. –

Daß dem Werber sein Geschäft gefällt, begreift man ebenfalls. Der ›Rekrut‹ kostet ihn nichts als ein paar billige Geschenke – die nicht er erhält, sondern seine Verwandten – und bringt ihm bei der Ablieferung in Queensland 20 £ ein. Pflanzer und Werber ziehen also Gewinn aus dem Handel; aber weshalb der ›Rekrut‹ darauf eingeht, kann ich durchaus nicht verstehen. Er ist jung und kräftig; daheim auf seiner Insel führt er ein wonniges Leben, das einem langen, köstlichen Feiertag gleicht. Will er arbeiten, so braucht er nur jede Woche ein paar Säcke Kopra zu sammeln, die er für vier bis fünf Schillinge den Sack verkaufen kann. In Queensland muß er dagegen aufstehen, ehe der Morgen graut und täglich acht bis zwölf Stunden bei einem viel heißeren Klima als er gewohnt ist und für einen Wochenlohn, der nicht einmal vier Schillinge beträgt, in den Zuckerrohrfeldern arbeiten. Was ihn dazu bewegen kann, bleibt mir ein ungelöstes Rätsel. Der Pflanzer erklärt es sich auf seine Weise wie ich aus der Broschüre des Missionars ersehe:

»Wenn der Kanaka seine Heimat verläßt, ist er nur ein gewöhnlicher Wilder. Er schämt sich nicht, daß er nackt geht und jeden Schmuckes entbehrt. Wenn er zurückkehrt ist er gut gekleidet, trägt eine Waterbury-Uhr mit Sekundenzeiger, Kragen, Manschetten, Stiefel und Schmuck. Er bringt auch ein paar Koffer mit, welche Kleidungsstücke, Musikinstrumente, Wohlgerüche und andere Luxusartikel enthalten, an deren Gebrauch er sich gewöhnt hat.« –

Sollte das die Lösung sein? – Einen Augenblick scheint uns wirklich ein Licht darüber aufzugehen, was den Kanaka in Verbannung treibt: Er möchte sich zivilisieren. Erst war er nackt und schämte sich nicht, jetzt tragt er Kleider und hat gelernt sich zu schämen; er war unwissend, jetzt besitzt er eine Waterbury-Uhr; es fehlte ihm an seiner Sitte, jetzt trägt er Schmuck und duftet nach Wohlgerüchen; er genoß daheim kein besonderes Ansehen, jetzt ist er in fernen Ländern gewesen und hat ein erhöhtes Selbstgefühl.

Das läßt sich hören und klingt gar nicht unwahrscheinlich. Aber der Missionar will von dieser Erklärung nichts wissen; er zerpflückt sie schonungslos, bis nichts mehr davon übrig bleibt, indem er fortfährt:

»Mag auch die vorhergehende Beschreibung im allgemeinen richtig sein, so ist das Nachspiel gewöhnlich folgendes: Die Manschetten und Kragen werden von den jungen Burschen entweder gar nicht benutzt oder zum Staat unterhalb des Knies am Bein getragen. Die Uhr wandert zerbrochen und schmutzig für eine Kleinigkeit zum Trödler, oder das Werk wird herausgenommen, die Räder auf eine Schnur gezogen und um den Hals gehängt. Die Messer, Beile, Taschentücher und der Kleiderstoff werden unter die Freunde verteilt; mehr als ein Stück für jeden gibt es nicht. Oft geht der Kofferschlüssel auf dem Heimweg verloren, die Koffer selbst werden für drittehalb Schillinge verkauft, man kann sie in den Uferdörfern der Insel Tanna verfault umherliegen sehen, (ich sage das aus eigener Wahrnehmung). Ein heimgekehrter Kanaka geriet einmal gegen mich in heftigen Zorn, weil ich ihm nicht seine Beinkleider abkaufen wollte, die gerade für mich paßten, wie er behauptete. Später verkaufte er sie an einen meiner Lehrer aus Aniwa für ein Paket Tabak im Wert von dreiviertel Schilling, wahrend er in Queensland gewiß acht bis zehn Schillinge für das Kleidungsstück bezahlt hatte. Einen Rock oder ein Hemd zu haben ist nützlich bei kalter Witterung. Auch die weißen Taschentücher, den › senet‹ (Wohlgeruch), den Regenschirm und vielleicht den Hut behält der Insulaner; die Stiefel nur, wenn sie zufällig dem Koprahändler nicht passen. › Senet‹ im Haar, das Gesicht mit Farbe bemalt, ein schmutziges weißes Taschentuch um den Hals, ein Stück Schildkrötenschale im Ohr, am Gürtel ein Messer mit der Scheide und einen Regenschirm in der Hand, so sieht man den heimgekehrten Kanaka am Tage nach seiner Landung umherstolzieren.«

Bis auf den Hut, den Regenschirm und das Taschentuch ist er splinternackend. In einem einzigen Tage schmilzt die sauer erworbene Zivilisation so weit zusammen. Auch diese letzten vergänglichen Dinge bleiben nicht lange in seinem Besitz. Nur ein Stück seiner Zivilisation wird er sicherlich nicht wieder los – nach des Missionars Bericht hat er nämlich fluchen gelernt. Das ist auch eine Kunst – und die Kunst ist lang, wie der Dichter sagt.

Die Gesetze eines Landes werfen stets ein Licht auf seine Vergangenheit. In Queensland lassen sie tief blicken. Sie zeigen uns, daß die Mißbräuche, über welche die Missionare klagen, von alters her bestanden und auch unter dem Schutzgesetz fortbestehen, da die Werber – nach Behauptung der Missionare – das Gesetz zu umgehen wissen, und der Regierungsbeamte ihnen dabei behilflich ist. Es kommt häufig vor, daß ein törichter junger ›Rekrut‹ wieder zu Verstande kommt, nachdem er seine Freiheit auf drei Jahre verkauft hat und für sein Leben gern die Verpflichtung wieder loswerden und daheim bei seinen Angehörigen bleiben möchte; dann schüchtert man ihn jedoch durch Drohungen ein, hält ihn mit Gewalt auf dem Werbeschiff zurück und zwingt ihn, seinen Kontrakt zu erfüllen. Solche Gewaltmaßregeln verbietet das Gesetz aufs strengste; der Paragraph 31 befiehlt dem Werber, den Kanaka in diesem Fall nicht nur freizulassen, sondern ihn wieder ans Ufer zu befördern und zwar im Boot, weil die Meere von Haifischen wimmeln.

Das Gesetz und die Missonare haben Mitgefühl für den Kanaka, dem sein Vertrag wieder leid wird, und das ist sehr natürlich, weil er noch jung und unerfahren ist und sich leicht überreden läßt, zu tun was ihn reut; der Werber aber kennt kein Erbarmen. »Ein Kapitän, der den Handel viele Jahre hindurch betrieben hat,« erzählt Gray, »hat mir mitgeteilt, wie man mit dem kontraktbrüchigen Kanaka verfährt:

»Wenn ein Bursche über Bord springt,« sagte er, »setzen wir ein Boot aus, das ihm vorausrudert und sich zwischen ihn und das Ufer legt. Schwimmt er an dem Boote vorbei, so fährt es immer wieder voraus, bis der Schwimmer erschöpft ist, freiwillig hineinsteigt und sich ruhig wieder an Bord zurückbringen läßt. Der Kunstgriff schlägt selten fehl.«

Wäre der Schwimmer ein Sohn jenes Kapitäns und seine Verfolger Eingeborene, so würde er wohl anders darüber denken. Allein die Fähigkeit, sich in die Lage anderer Leute zu versetzen, ist nicht jedem gegeben.

Auch der freie Geist des Kapitäns Wawn empört sich gegen das Schutzgesetz; es bereitet ihm viel Aergernis und vergiftet sein Leben, gerade so, wie es die Missionare tun. Wie sehr er sich nach der guten alten Zeit sehnt, die auf immer dahin ist, kann man in seinem Buche lesen; man meint ordentlich ihn zwischen den Zeilen weinen und fluchen zu hören, wenn er schreibt: »Lange Zeit durften wir alle Ausreißer, die den Vertrag an Bord unterzeichnet hatten, einfangen und festnehmen. Aber die ›eisernen Verordnungen‹ des Gesetzes von 1884 machten dem ein Ende. Sie gestatten dem Kanaka den dreijährigen Vertrag zu unterzeichnen, in dem Schiff spazieren zu fahren, sich füttern zu lassen und sich gütlich zu tun und dann auf und davon zu gehen, sobald es ihm beliebt. Nur darf er seine Vergnügungsfahrt nicht bis nach Queensland ausdehnen.«

Missionar Gray dagegen, nennt jene ›eiserne Verordnung‹ ein Possenspiel. »Unter dem Schutz des Gesetzes,« sagt er, »wird gegen die Eingeborenen weit mehr Grausamkeit und Ungerechtigkeit verübt, als durch gesetzwidrige Taten. Die bestehenden Verordnungen sind ungerecht und in hohem Grade mangelhaft und werden es ewig bleiben.« Er belegt diese Behauptung auch durch Gründe, die ich jedoch des Raumes wegen hier nicht anführen kann.

Wenn indessen der Kanaka von seinem dreijährigen Studium der Zivilisation in Queensland keinen andern Vorteil davonträgt als ein Halsband, einen Regenschirm und eine höchst unvollkommene Ausbildung des Fluchens, dann muß wohl der ganze Profit des Handels dem weißen Manne zugute kommen. Es laßt sich schon hieraus mit einiger Bestimmtheit die Schlußfolgerung ziehen, daß der Handel von Rechts wegen abgeschafft werden sollte.

Man hat übrigens allen Grund anzunehmen, daß dies bald von selbst geschehen wird. Innerhalb der nächsten zwanzig oder dreißig Jahre müssen die Bezugsquellen des Handels versiegen, weil dann die Inseln gänzlich entvölkert sein werden. Für weiße Leute ist Queensland sehr gesund, die Ziffer der Sterbefälle beträgt nur 12 auf das Tausend; bei den Kanaken ist sie aber weit höher, im Jahre 1893 belief sie sich nach statistischen Angaben auf 52 und 1894 (im Mackay-Bezirk) auf 68. In den ersten sechs Monaten ist das Klima für den Kanaka ganz besonders gefährlich, von 1000 der neuen Ankömmlinge sterben oft 180, während die Sterbeziffer auf seiner heimischen Insel sich in Friedenszeiten auf 12 und in Kriegszeiten auf 15 vom Tausend beläuft. Der Aufenthalt in Queensland, der ihm Gelegenheit gibt, Zivilisation, einen Regenschirm und ungenügende Uebung im Fluchen zu erwerben, ist also zwölfmal so tödlich für ihn als ein Krieg.

Demnach verlangt die christliche Nächstenliebe, ja schon die bloße Menschlichkeit, daß man die Leute sämtlich nach ihrer Heimat zurückschickt. Wenn, statt der Werber, Krieg, Pestilenz und Hungersnot bei ihnen einkehrten, würden sie nicht aussterben.

Zum Besten der Inseln des Stillen Ozeans und ihrer Bevölkerung hat schon vor Zeiten – das heißt vor fünfundfünfzig Jahren – ein redegewaltiger Prophet den Mund aufgetan. Er sprach sogar etwas allzufrüh. Das Prophetentum ist zwar kein schlechtes Geschäft, aber es bringt mancherlei Gefahr. Der Prophet, den ich meine, war Seine Ehrwürden, der Doktor beider Rechte M. Russel aus Edinburgh.

»Soll sich die Flut der Zivilisation nur bis zum Fuß des Felsengebirges wälzen?« fragt er. »Soll das Licht der Wissenschaft in den Wellen des Stillen Ozeans untergehen? Nein, der große Schöpfungstag, der vor vier Jahrtausenden begann, nähert sich endlich seinem Ende, die Sonne der Menschheit hat den ihr bestimmten Lauf vollbracht. Aber lange bevor ihre letzten Strahlen im Westen verlöschen, ist ihr Licht schon von neuem über den Inseln der östlichen Meere aufgegangen… Wir sehen, wie sich das Geschlecht Japhets aufmacht, um die Inseln zu bevölkern Und den Grund zu einem neuen Europa und einem zweiten England in den Regionen des Südens zu legen. Aber vernehmt das Wort der Weissagung: ›Er soll in den Zelten Sems wohnen und Canaan wird sein Diener sein‹ .Sein Diener – nicht sein Sklave. Der anglosächsischen Rasse ist das Szepter des Erdballs verliehen, aber weder die Peitsche des Sklavenvogts noch die Marterwerkzeuge des Henkers. Der Osten soll sich nicht mit denselben Greueln beflecken wie der Westen; der furchtbare Krebsschaden einer geknechteten Rasse soll nicht an dem Mark der Söhne Japhets im Lande der Sonne zehren. Wenn der Brite die Völker, unter denen er wohnt, nicht zu vernichten, sondern immer mehr zu humanisieren trachtet, je weiter er vorwärts dringt, wenn er mit ihnen in Eintracht steht, statt sie zu Sklaven zu machen, dann u. s. w. u. s. w.«

Und er schließt seine Vision mit einem Aufruf aus Thomson:

»Komm, holder Fortschritt, wandle deine Bahn!
Mach dir die Welt als Herrscher Untertan!« –

Jawohl, der holde Fortschritt ist gekommen, wie wir gesehen haben. Er hat die Zivilisation, die Waterbury-Uhr, den Regenschirm und die Kunst des Fluchens mitgebracht, auch einen Mechanismus, um die Völker zu humanisieren und nicht auszurotten, samt der Sterbeziffer von 180 auf das Tausend; kurz, er hat alles aufs beste in Gang gebracht.

Aber, der Prophet, der zuletzt das Wort ergreift, ist immer im Vorteil gegenüber dem Pionier, der das Amt zuerst übernimmt. Hören wir, was der Missionar Gray sagt:

»Es liegt mir schwer auf dem Herzen, daß eine christliche Nation wie wir, diese Rassen vertilgt, um sich selbst zu bereichern.« Und er schließt seine Broschüre mit einer harten Anklage, deren ungeschminkte, offenherzige Sprache ebenso beredt ist, wie der blumige Wortschwall seines Vorgängers im Prophetenamt.

»Was ich gegen den Kanaka-Handel mit Queensland einzuwenden habe,« sagte er, »ist folgendes:

»1. Er wirkt im allgemeinen demoralisierend auf die Kanaken, stürzt sie in Armut, beraubt sie ihres Bürgerrechts und entvölkert die Inseln, welche sie bewohnen.

»2. Der Handel schadet dem Ansehen des weißen Arbeiters im landwirtschaftlichen Betrieb von Queensland und verkürzt jedenfalls seinen Lohn.

»3. Das ganze System bringt in gesundheitlicher Beziehung große Gefahren mit sich, sowohl für das Festland von Australien als auch für die Inseln.

»4. In sozialer und politischer Hinsicht macht die Fortdauer des Kanaka=Handels jede feste Vereinigung der Kolonien in Australien unmöglich.

»5. Die gesetzlichen Vorschriften, welche für diesen Handel in Queensland bestehen, sind ungeeignet zur Verhinderung von Mißbräuchen; auch werden sie stets mangelhaft bleiben, das liegt schon in der Natur der Sache.

»6. Das ganze System steht in völligem Widerspruch zu dem Geist und den Lehren des Evangeliums Jesu Christi, welches uns befiehlt, dem Schwachen Hilfe zu leisten, während der Kanaka geschunden und mit Füßen getreten wird.

»7. Der Handel gründet seine Berechtigung auf die Annahme, daß Leben und Freiheit für einen Farbigen weniger Wert haben als für einen Weißen. Er hat sich aus der Sklavenjagd entwickelt und wird sich niemals weit von seinem Ursprung entfernen.«

Siebentes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Ehrlich währt am längsten, sagt das Sprichwort; aber mit dem Schein der Ehrlichkeit kommt man oft sechsmal so weit.

Querkopf Wilsons Kalender.

Aus dem Tagebuch.

Seit einigen Tagen durchschiffen wir eine unsichtbare Wildnis von Inseln und bekommen manchmal die eine oder andere in schattenhaftem Umriß zu Gesicht. Auf der Karte erscheint das Insel-Gewirr undurchdringlich und ihre Zahl ohne Ende. Jetzt sind wir mitten in der Gruppe der Fidschis, die aus 224 Inseln und Inselchen bestehen. Das Gewirr erstreckt sich westwärts vor uns bis nach Australien, geht im Bogen hinauf nach Neuguinea und immer weiter bis Japan; hinter uns dehnt es sich nach Osten durch sechzig Längengrade über den ganzen Stillen Ozean aus; nach Süden zu liegt Neuseeland. Unter diesen Myriaden soll auch irgendwo Samoa sein; auf der Karte kann ich es nicht finden. Wer aber dorthin gehen möchte, braucht nur der Anweisung zu folgen, die Robert Louis Stevenson dem Dr. Conan Doyle und Mr. I. M. Barrie gegeben hat:

»Fahrt nach Amerika,« sagt er, »und quer durch den Kontinent bis San Francisco, dann noch zweimal links um die Ecke, und ihr seid am Ziel.« – Eine nette Beschreibung!

Mittwoch, 11. September. Wenn man sich einer der Fidschi-Inseln nähert, sieht man zuerst rings herum einen breiten Gürtel von blendend weißem Korallensand, dahinter hohe schlanke Palmen, unter denen die Hütten der Eingeborenen zwischen dem Buschwerk zum Vorschein kommen; weiter zurück eine Strecke ebenes Land von tropischem Pflanzenwuchs bedeckt und ganz im Hintergrund die malerischen Formen der wilden Gebirgszüge. Liegt nun noch im Vordergrund ein altes Wrack hoch oben auf der Uferklippe – wie wir es sahen – so läßt das ganze Bild vom künstlerischen Standpunkt aus nichts zu wünschen übrig.

Am Nachmittag erblickten wir Suva, die Hauptstadt der Gruppe, und fuhren in den kleinen geschlossenen Hafen ein, der mit seinen glänzend blauen und grünen Gewässern im Schutz der umgebenden Hügel still und friedlich daliegt. Ruderboote schwammen vom Ufer herbei, sie waren mit Eingeborenen bemannt, den ersten, welche wir zu sehen bekamen. Daß sie bei der Hitze keine überflüssige Kleidung trugen, konnte man ihnen nicht verargen. Es waren große, muskelstarke Männer mit dunkler Haut, ebenmäßigem Gliederbau und klugen, charaktervollen Gesichtern. Ich glaube kaum, daß man irgendwo unter den farbigen Rassen schöneren Gestalten begegnen wird.

Wir gingen alle ans Ufer, um die Insel in Augenschein zu nehmen und eine Mahlzeit am Lande zu halten, was der größte Hochgenuß für einen Seereisenden ist. Dort sahen wir noch mehr Eingeborene: runzlige alte Weiber mit flachen Brüsten, junge dralle Dirnen, deren freundlich lachender Ausdruck und anmutige Bewegungen den wohlgefälligsten Anblick boten; hübsche junge Frauen von edlem Wuchs, die den Kopf hoch trugen und in ihrer unbewußten Würde stattlich einhergeschritten kamen; majestätische junge Männer, wahre Athletengestalten, in lose, weiße Gewandung gekleidet, welche die bronzefarbene Brust und die Beine nackt ließ. Auf dem Kopf hatten sie eine förmliche Bürste von dichtem Haar, das vom Schädel abstand und brennend ziegelrot gefärbt war. Vor kaum sechzig Jahren steckten sie noch in tiefer, geistiger Finsternis; jetzt ist das Fahrrad auch bis zu ihnen gedrungen.

Wir schlenderten in den Straßen der kleinen Stadt der Weißen umher und über die Berge auf Pfaden und Wegen, die zu europäischen Wohnhäusern, Gärten und Pflanzungen führten. Die großen Blüten der Hibiskussträucher mit ihrem feurigen Rot blendeten uns förmlich die Augen. Bei einem alten englischen Kolonisten blieben wir endlich stehen, um ein paar Fragen an ihn zu richten und uns teilnehmend über die furchtbare Hitze zu äußern. Darüber verwunderte er sich jedoch höchlich.

»Das nennen Sie heiß?« fragte er. »Da sollten Sie einmal im Sommer hier sein.«

»Ist denn nicht Sommer? Es sieht doch täuschend so aus. In keinem Lande der Erde würde man es für etwas Anderes halten. Was fehlt denn daran?«

»Ein halbes Jahr. Wir sind jetzt mitten im Winter.«

Ich litt schon seit mehreren Monaten an Husten und Schnupfen, und ein so plötzlicher Wechsel der Jahreszeiten mußte mir schädlich sein. Natürlich erkältete ich mich gleich von neuem.

Vor vierzehn Tagen haben wir Amerika im Sommer verlassen, jetzt ist es Winter und in einer Woche, bei unserer Ankunft in Australien werden wir mitten im Frühling sein. Diese plötzlichen Sprünge von einer Jahreszeit in die andere sind höchst verwunderlich.

Nach Tische traf ich im Billardzimmer einen Bewohner der Insel, dem ich schon früher in einem anderen Weltteil begegnet war, auch machte ich ein paar neue Bekanntschaften und wir fuhren zusammen aus, um den Gouverneur auf seinem Landsitz zu besuchen, der hoch und luftig gelegen, ein viel behaglicheres Klima hat, als die niederen Regionen, wo der Winter ein strenges Regiment führt und einem fast das Haar versengt, wenn man den Hut abnimmt, um zu grüßen. Von dem Hause seiner Excellenz hat man einen herrlichen Blick über das Meer, die Inseln und die zackigen Bergspitzen, während ringsum alles wie traumversunken in jener heiteren, ungestörten Ruhe zu schlummern scheint, welche dem Leben auf den Inseln des Stillen Ozeans seinen Hauptreiz verleiht.

Einer meiner neuen Bekannten war mir durch seine ungewöhnliche Größe aufgefallen; ich sah noch bewundernd zu ihm empor, als er neben dem Gouverneur auf der Veranda stand. Da trat der Diener, ein Fidschi-Insulaner heraus, um uns zum Tee zu rufen – und jener große Mann wurde zum Zwerge. Oder, wenn auch das nicht, so schien doch der Abstand gewaltig. Der farbige Riese war gewiß ein abgesetzter Inselkönig. Ich glaube, bei unserem Gespräch dort auf der Veranda wurde auch erwähnt, daß die eingeborenen Könige und Häuptlinge, sowohl auf den Fidschi- wie auf den Sandwichinseln viel mächtiger von Gestalt sind als der gemeine Mann. Die weißen, faltigen Gewänder, in die der Diener gekleidet war, schienen wie für ihn geschaffen; ein europäischer Anzug hätte ihm seine Würde und Eigentümlichkeit genommen. Das weiß ich ganz gewiß, denn es ist bei jedem Menschen der Fall, der unsere moderne Kleidung trägt. Man sagt, daß sich die Anhänglichkeit und Verehrung, welche die Eingeborenen der Person ihres Häuptlings zollten, noch unverändert erhalten hat. Das Oberhaupt eines Stammes der Fidschianer in der Hauptstadt ist ein gebildeter junger Herr, der ganz wie ein vornehmer Europäer gekleidet geht; aber seine Tracht vermag ihm nicht die Ehrfurcht des Volks zu rauben. Der Stolz auf des Häuptlings hohen Rang und alte Abkunft besteht fort, trotz seiner verlorenen Herrschermacht und der Hexenkunst seines Schneiders. Er braucht sich weder durch Arbeit zu entwürdigen, noch sein Herz mit niederen Erdensorgen zu belasten; der Stamm schützt ihn vor jedem Mangel und gibt ihm die Mittel, ein Herrenleben zu führen, um sein Ansehen zu bewahren. Ich sah ihn unten in der Stadt einen Augenblick im Vorbeigehen. Vielleicht ist er ein Abkömmling des letzten Königs – dessen Name so schwer zu behalten ist und dem man mitten in der Stadt ein großes, steinernes Denkmal gesetzt hat. Ja so – Thakombau heißt er, eben fällt es mir wieder ein. Der Name kommt einem so leicht aus dem Kopf, es ist gut, daß er auf dem Granitblock steht.

Im Jahre 1874 trat dieser König die Fidschi-Inseln an England ab. Man sagt, der englische Bevollmächtigte habe den armen Thakombau trösten wollen, indem er versicherte, die Uebergabe seiner Herrschaft an England sei nur eine Art Wohnungswechsel, wie ihn der Einsiedlerkrebs vornimmt, worauf Thakombau die rührende Antwort gab: »Nur mit dem Unterschied, daß der Einsiedlerkrebs in eine unbewohnte Muschel kriecht, aber mein Gehäuse ist nicht leer.«

Dem Könige scheint damals übrigens, wie ich gelesen habe, nur die Wahl zwischen zwei Uebeln freigestanden zu sein. Er schuldete den Vereinigten Staaten eine große Summe, die er ohne Aufschub bezahlen mußte, sonst drohte man sein Land mit Krieg zu überziehen. Um die Fidschianer vor diesem Schicksal zu bewahren, trat er das Land an Großbritannien ab, und eine Klausel des englischen Vertrags verbürgte die schließliche Tilgung seiner Schuld an Amerika.

Vor Zeiten war das Volk sehr kriegerisch gesinnt und seinem Götzendienst mit großem Eifer ergeben. Die Häuptlinge waren stolze Gebieter und lebten in mancher Hinsicht auf sehr großem Fuße; alle hatten mehrere Weiber, die vornehmsten oft fünfzig Stück. Starb ein Häuptling und sollte begraben werden, so erdrosselte man vier oder fünf seiner Weiber und legte sie zu ihm ins Grab.

Im Jahre 1804 gelang es siebenundzwanzig britischen Sträflingen, von Australien nach den Fidschi-Inseln zu entkommen; sie brachten auch Flinten und Schießbedarf mit. Man stelle sich nun vor, welche Macht diese Waffen ihnen verliehen! Hatten sie verstanden die Gelegenheit zu benutzen, wären sie tatkräftige nüchterne Menschen gewesen, so war ihre Herrschaft gesichert – sie konnten siebenundzwanzig Könige werden, von denen jeder acht oder neun Inseln unter seinem Szepter hatte. Allein sie verscherzten ihr Glück und vergeudeten ihr Leben in üppiger Schwelgerei. Die meisten starben eines gewaltsamen ehrlosen Todes. Nur einer, ein Irländer Namens Connor, scheint eine Ausnahme gemacht zu haben. Er hatte den Ehrgeiz, fünfzig Kinder groß zu ziehen, brachte es aber nur auf achtundvierzig und konnte sich über diesen Mißerfolg sein Lebenlang nicht zugute geben. Das war eine Habgier seltsamer Art; mancher Vater wäre sich schon mit 40 Kindern reich genug vorgekommen.

Ja, die Fidschianer sind eine schöne Rasse; auch fehlt es ihnen nicht an Klugheit und Wißbegierde. Ihre wilden Vorfahren hatten eine Art Unsterblichkeitslehre – das heißt, in beschränktem Sinne. Sie glaubten nämlich, daß ihre toten Freunde nur in ein glückliches Jenseits hinübergingen, wenn man imstande war, ihre Körperteile zu sammeln. Das machten sie zur Bedingung. Um dem Missionar zu beweisen, daß seine Lehre viel zu allgemein und unbegrenzt sei, lenkten sie seine Aufmerksamkeit auf gewisse, nicht zu bestreitende Tatsachen: Viele ihrer Freunde, sagten sie, seien zum Beispiel von Haifischen gefressen worden; die Haifische wären dann ihrerseits von andern Leuten getötet und verzehrt worden; später wurden diese zu Kriegsgefangenen gemacht und die Feinde verspeisten sie.

Dadurch seien die ursprünglichen Personen zu Fleisch und Blut der Haifische und diese zu Bestandteilen der Kannibalen geworden. Wie sollte man nun die Glieder jener Personen wieder ausfindig machen und zusammensetzen können? Diese Schwierigkeit verursachte den Fidschianern tausend Zweifel, und sie waren nicht davon abzubringen, daß die Missionare die Sache gar nicht mit dem gehörigen Ernst und der ihr gebührenden Aufmerksamkeit erwogen hätten.

Die Missionare brachten diesen schwer zu befriedigenden Wilden viele schätzenswerte Dinge bei und lernten auch ihre Vorstellungen kennen, von denen eine besonders zart und poetisch war. Die armen, einfachen Naturkinder glaubten nämlich, daß die Blumen, nachdem sie verwelkt sind, vom Winde emporgetragen werden und droben, auf den himmlischen Gefilden, ewiglich in unvergänglicher Schönheit blühen!

Achtes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Er war so bescheiden wie eine Zeitung, wenn sie von ihren eigenen Vorzügen spricht.

Querkopf Wilsons Kalender.

Ja, das Inselgewirr im Stillen Ozean, wie wir es auf der Karte sehen, ist eine Täuschung. Weite Meereswüsten liegen zwischen den einzelnen Gruppen; auch ist noch vieles über die Inseln, deren Bewohner und Sprachen, bisher unerforscht geblieben. Zum Beweis hierfür erwähne ich nur die Tatsache, daß vor zwanzig Jahren zwei fremde, einsame Wesen auf die Fidschis gebracht wurden, die aus einem unbekannten Lande kamen und eine unbekannte Sprache redeten. Viele hundert Meilen entfernt von jeder bisher entdeckten Insel, hatte ein vorüberfahrendes Schiff sie in einem kleinen Kanoe auf dem Meer treiben sehen und an Bord genommen. Als man sie fand waren sie nichts als Haut und Knochen; niemand konnte verstehen, was die Leute sagten, und sie haben das Land ihrer Herkunft nie genannt, wenigstens keinen Namen, der auf irgend einer Karte steht. Jetzt sind sie dick und wohlgenährt und freuen sich ihres Lebens. Im Logbuch des Schiffes ist die Länge und Breite eingetragen, unter der sie gefunden wurden; Aufschluß über ihre verlorene Heimat wird man vielleicht nie erhalten.

Klingt das nicht höchst seltsam und romantisch? – Ueberhaupt ist ja diese Inselwelt der richtige Schauplatz für alle phantastischen, geheimnisvollen Traumgebilde – und noch manches andere: Wer in der großen Welt Schiffbruch gelitten hat beim Kampf ums Dasein, der findet hier in der erhabenen Einsamkeit, in der Schönheit und tiefen Ruhe der Natur, was er für sein wundes Herz bedarf; Menschen, welche die Welt eines Verbrechens wegen ausstößt, Leute, die ein träges, sorgloses Leben führen möchten, und andere, die gern frei umherschweifen, weil sie Abenteuer und Abwechslung lieben, sie alle finden hier was sie brauchen. Auch können Glücksritter, die auf bequeme Weise Geld zu erwerben und Handel zu treiben wünschen, daneben noch manches Eheband knüpfen, das nicht allzu fest hält, auch nicht erst vor Gericht mit vielen Kosten gelöst werden muß. Jeder, der sich in seinem Spaß und Zeitvertreib nicht beschränken lassen will, gelangt hier mühelos zu vollem Lebensgenuß.

Neu gestärkt und erfrischt segelten wir weiter.

Die gebildetste Persönlichkeit bei uns an Bord war ein junger Engländer aus Neuseeland. Von Beruf Naturforscher, besaß er tiefe, gründliche Kenntnisse in seinem Fach und betrieb es mit wahrer Leidenschaft. Er hatte auch eine ziemliche Rednergabe, und wenn er vom Tierreich sprach, hörte man ihm mit Vergnügen zu. Was er sagte war sehr belehrend, nur manchmal schwer aufzufassen, weil er allerlei technische Ausdrücke brauchte, die über unser Verständnis gingen. Wenigstens lagen sie ganz außerhalb meines Horizonts, aber, da er uns gern erklärte, was wir nicht begriffen hatten, machte ich mir eine Pflicht daraus, diese Gelegenheit zur Bereicherung meines Wissens nicht unbenützt vorbeigehen zu lassen. Ich war zwar in Naturgeschichte für einen Laien ziemlich bewandert, aber erst durch seinen Unterricht erhielt was ich wußte, eine klare, wissenschaftliche Form und bekam wirklichen Wert.

Hauptsächlich interessierte er sich für die Fauna Ozeaniens, über die er ebenso genaue wie erschöpfende Studien gemacht hatte. Von den dort eingeführten Kaninchen und ihrer wunderbaren Fruchtbarkeit war mir schon viel zu Ohren gekommen; im Gespräch mit ihm erfuhr ich jedoch, daß die Kaninchenplage über alle meine Begriffe ging und im Handel und Verkehr die lästigste Störung verursacht. Er erzählte mir, das erste Kaninchenpaar, welches man nach Ozeanien brachte, habe sich so wunderbar vermehrt, daß die Tiere schon nach einem halben Jahr das ganze Land bedeckten, und man die dichte Masse mit Laufgräben durchziehen mußte, um von Stadt zu Stadt zu kommen.

Der gelehrte Herr sagte mir auch allerlei von Würmern, vom Känguruh und andern Colcoptera, und versicherte, er kenne die Geschichte und Lebensweise aller dieser Pachydermata. Das Känguruh habe Taschen, in die es seine Jungen hineinstecke, wenn es keine Aepfel fände. Der Emu wäre so groß wie ein Strauß und sähe diesem ähnlich, er fräße alles durcheinander, selbst Ziegelsteine. Zwischen einem Dingo und einem Dodo sei nur der Unterschied, daß sie beide nicht bellten, sonst glichen sie einander aufs Haar. Aber ein Dingo wäre gar kein Dingo, sondern einfach ein wilder Hund.

Unter den einheimischen Vögeln, sagte er, sei der schönste der Paradiesvogel, dann käme der Leierschwanz. Aber, der ›Sonnenvogel‹ sei gar kein Vogel, sondern ein Mensch. ›Sonnenvogel‹ ist nur die australische Bezeichnung für einen Herumtreiber, Trinker und Schmarotzer, der zur Zeit der Schafschur unter dem Vorwand Arbeit zu suchen, das Land durchstreift. Er weiß es dabei so einzurichten, daß er immer erst nach Sonnenuntergang bei einer Schafweide anlangt, wenn das Tagewerk zu Ende ist. Was er sucht, ist nur Whisky, Abendbrot, Nachtlager und Frühstück; das läßt er sich geben und dann verschwindet er wieder. Der Naturforscher sprach auch vom Glockenvogel, der den ganzen Tag mit kurzen Unterbrechungen aus der Tiefe des Waldes sein weiches, wundervolles Geläute ertönen läßt. Der ›Sonnenvogel‹ liebt ihn sehr und betrachtet ihn als seinen besten Freund; denn, da er weiß, daß es überall, wo der Glockenvogel sich aufhält, nur Wasser zu trinken gibt, geht er stets nach einer andern Richtung. Der sonderbarste Vogel von allen, sagte der Gelehrte, sei der ›lachende Hans‹ und der größte, die jetzt ausgestorbene Moa. Dieser Riesenvogel war dreizehn Fuß hoch; er konnte über einen gewöhnlichen Menschen hinwegschreiten und ihm dabei den Hut samt dem Kopf abreißen. Flügel hatte er nicht, war aber ein Schnelläufer; die Eingeborenen benützten ihn als Reitpferd, er konnte hintereinander vierhundert Meilen ohne Ermüdung zurücklegen, vierzig Meilen die Stunde. Als die Eisenbahn nach Neuseeland kam, lebte er noch und war als Postbote angestellt. Gleich anfangs führte die Bahnverwaltung einen Fahrplan ein, wie er noch heutigen Tages besteht, nämlich wöchentlich zwei Schnellzüge, mit zwanzig Meilen die Stunde. Um den Postbetrieb zu bekommen, mußte die Eisenbahngesellschaft erst die Moas vertilgen.

Die seltsamen Abweichungen von den bestehenden Gesetzen, welche sich die Natur in Australien erlaubt, ließen sich, meinte der Gelehrte, am besten beim Schnabeltier beobachten, das eine wunderliche Verbindung von Vogel, Fisch, Amphibium, Grabetier, Reptil, Christ und Vierfüßler sei. An Vielseitigkeit des Charakters und der Beschaffenheit stehe das Schnabeltier, auch Ornithorhynchus genannt, weit über allen anderen Geschöpfen der Welt.

»Man kann es zu jeder Tierart zählen und wird nicht irre gehen,« sagte er. »Es ist ein Fisch und verbringt sein halbes Leben im Wasser, die übrige Zeit aber als Landtier auf dem Ufer, und da es nicht weiß, wo es ihm besser gefällt, ist es ein Amphibium. Es hält Winterschlaf sobald in der Welt nicht viel los ist und es Langeweile hat, vergräbt sich auf dem Grunde einer Pfütze im Schlamm und haust dort zur Abwechslung ein paar Wochen. Zu den Enten gehört es auch, denn es hat einen Entenschnabel und Schwimmhäute an den Füßen, Fisch und Vierfüßler zugleich, rudert es mit den Schwimmfüßen im Wasser oder stampft damit auf dem Lande umher; auch für einen Seehund kann es gelten, weil es einen Pelz hat wie er. Das Schnabeltier ist Fleischfresser, Pflanzenfresser, Insektenfresser und Würmerfresser, denn es nährt sich von Fischen, Gras, Schmetterlingen und allerlei Gewürm, das es im Schlamm findet. Offenbar ist es ein Vogel, da es Eier legt und sie ausbrütet, aber auch ein Säugetier, denn es säugt seine Jungen. Daß es eine Art Christ ist, wird niemand bestreiten, da es Sonntagsruhe hält, wenn es sich beobachtet weiß, diese Pflicht jedoch unterläßt, wenn keiner es sehen kann. Es hat Geschmack für alles, nur keinen geläuterten und nimmt alle Sitten und Gewohnheiten an, die es gibt, mit Ausnahme der guten.

»Charles Darwin hat die Theorie über die Entstehung der Arten aufgestellt, nach welcher der Kampf ums Dasein mit dem ›Ueberleben des Passendsten‹ endet. Das Schnabeltier aber hat das unbestrittene Verdienst, dies Experiment selbst ausgeführt und damit zuerst den Beweis geliefert zu haben, daß sich Darwins Theorie auch in der Praxis bewährt. Beiden gebührt daher der gleiche Ruhm.

»Als die Sündflut kam, flüchtete es sich nicht in die Arche Noah, dort würde man seinen Namen vergebens suchen. Nein – es besaß Selbstlosigkeit genug, um draußen zu bleiben und an der praktischen Entwicklung der Theorie zu arbeiten, auch war ja kein Geschöpf der Welt für dies Werk so gut ausgerüstet wie das Schnabeltier. Die Arche schwamm dreizehn Monate auf den Wassern, welche die Erde überfluteten, so daß nirgends Land zu erblicken war. Es gab weder Speise noch Trank mehr für ein Säugetier; kein Pflanzenwuchs, kein Nahrungsmittel war übrig geblieben, und das Salzwasser der Meere hatte sich mit den reinen Fluten des Himmels gemischt, so daß kein gewöhnliches lebendes Wesen es hätte trinken können. Aber dieser Zustand der Dinge war dem Ornithorhynchus gerade recht. Das Wasser seiner Flußheimat hatte immer den Salzgeschmack der Meeresfluten gehabt, und die Wogen, welche über die Berggipfel dahinrollten, führten zahllose Stämme von Waldbäumen mit sich. Auf diesen schiffte der Ornithorhynchus friedlich weiter und schwamm von einer Zone zur andern, von einer Halbkugel zur andern, in aller Behaglichkeit und Gemütsruhe. Voll Interesse für den stets wechselnden Schauplatz seiner Fahrt und dankbar für die ihm verliehenen Vorrechte, verfolgte er in stets wachsender Begeisterung die Entwicklung der großen wissenschaftlichen Theorie, für deren Wahrheit er – wenn ich mich so ausdrücken darf – bereit war, sein Leben, sein Glück und seine Ehre einzusetzen.

»So lebte das Schnabeltier in ruhigem Wohlbehagen, wie jemand der sein genügendes Auskommen hat. Von allem, was es zu einem glücklichen Dasein bedurfte, mangelte ihm nichts. Wollte es einen Spaziergang machen, so kroch es auf dem Baumstamm entlang; bei Tage träumte es unter dem Blätterdach und schlief nachts in dessen Schutz. So oft das Tier wollte, konnte es ein Schwimmbad nehmen; hatte es Verlangen nach Pflanzenkost, so fraß es Baumblätter, unter der Rinde grub es nach Würmern und Larven oder fing es sich einen Fisch; wollte es Eier haben, so brauchte es sie nur zu legen. Wenn alles Gewürm in einem Baume verzehrt war, so schwamm es nach einem andern hin, und Fische gab es stets in solchem Ueberfluß, daß es nur die Qual der Wahl hatte. Bekam es aber Durst, so schlürfte es mit Wonne die salzige Mischung, an der ein Krokodil umgekommen wäre.

»Als das Schnabeltier endlich nach seiner dreizehnmonatlichen Forschungsreise in allen Zonen auf einem Berggipfel gelandet war, stieg es ans Ufer und dachte stolzen Mutes: ›Mögen die, welche nach mir kommen, Theorien erfinden, und sich in ihrer Phantasie mit dem ›Ueberleben des Passendsten‹ beschäftigen; aber ich habe die Möglichkeit zuerst durch die Tat bewiesen‹

»Dies wunderbare Geschöpf,« fuhr der Gelehrte fort, »stammt gleich dem Känguruh und vielen andern merkwürdigen Tierarten Australiens aus einer Erdperiode, in der vom Menschen noch keine Spur vorhanden war. Damals führte ein viele hundert Meilen breiter und Tausende von Meilen langer Riesendamm von Australien nach Afrika hinüber; die Tierwelt beider Erdteile war die nämliche und gehörte jener geologischen Epoche der Urzeit an, welche die Wissenschaft unter dem Namen ›alte rote totliegende Post-Pleosaurius-Formation‹ kennt. Später versank der Riesendamm im Meere und gewaltige Erderschütterungen hoben das afrikanische Festland um tausend Fuß höher als vormals, während Australien seinen alten Standpunkt behauptete. In dem neuen afrikanischen Klima entwickelte sich notwendigerweise auch die Tierwelt ganz anders und begann die Formen abzustreifen, wodurch neue Familien und Arten entstanden. Die Tiere in Australien dagegen blieben wie sie waren, bis auf den heutigen Tag. Auch der afrikanische Ornithorhynchus hat sich im Lauf einiger Millionen Jahre immer weiter entwickelt und eine Eigenheit nach der andern abgelegt, bis das ganze Geschöpf in seine Teile zerfiel und sich zersplitterte. Wenn man jetzt in Afrika einen Vogel oder Vierfüßler sieht, eine Otter oder einen Seehund, so kann man darauf wetten, daß es irgend ein Ueberbleibsel des wunderbaren Urgeschöpfs ist, von welchem ich rede – das der Inbegriff aller Arten war und doch keiner einzelnen angehörte – dem überreich begabten E Pluribus Unum der Tierwelt.

»Dies ist die Lebensgeschichte des ältesten und ehrwürdigsten Geschöpfs, das heutzutage auf Erden lebt, des Ornithorhynchus Platypus Extraordinariensis, das Gott noch lange erhalten möge!«

Zu so hohem Schwung erhob sich der Naturforscher bisweilen in seiner Schilderung, wenn er von dem Gegenstand mächtig ergriffen war, und zwar nicht nur in Prosa, nein, auch in gebundener Rede. Er hatte viele Verse gemacht und lieh den Passagieren sein Manuskript; ja, er erlaubte ihnen sogar eine Abschrift davon zu machen. Ein Gedicht, welches mir am erhabensten von allen erschien, und in dem auch die wenigsten technischen Ausdrücke vorkommen, will ich hierhersetzen: Aufforderung.

Aus deinem Schlammbett komm.
Du liebes Schnabeltier,
Und willig gib und fromm.
Jetzt Red‘ und Antwort mir.

Noch ist mir unbekannt
Dein Stamm und deine Art,
Weshalb dein Körperbau
So ganz und gar apart.

Du trägst den Biberschwanz,
Die Schwimmhaut statt der Klaun,
In deiner Schnauze ist
Manch scharfer Zahn zu schaun.

Auch dir, mein Känguruh,
Mit kurzem Vorderfuß
Und spitzem Rattenkopf
Entbiet‘ ich meinen Gruß!

Wer lehrt‘ dich kühnen Sprung?
Wer gab den Beutel dir?
Geschöpf aus frührer Zeit,
Warum weilst du noch hier?

Versteint im Erdenschoß,
All‘ deine Freunde ruhn.
Was willst in fremder Welt
Du hier allein noch tun?

  1. Forbes, Zwei Jahre auf den Fidschi-Inseln.

Neuntes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Bemitleidet die Lebenden, beneidet die Toten.

Querkopf Wilsons Kalender.

15. September abends. – Jetzt sind wir dicht an Australien. Sydney ist nur noch fünfzig Meilen entfernt.

Das hatte ich eben geschrieben, als die Passagiere auf Deck gerufen wurden, wo es etwas Schönes zu sehen gab. Es war sehr dunkel; das Auge konnte kaum fünfzig Meter in der Runde über die Meeresfläche schweifen, weiterhin verdüsterte sich alles und entschwand dem Blick. Wer aber eine Weile geduldig in die Finsternis hineinschaute, wurde reich belohnt. Nicht lange da erschien eine Viertelmeile entfernt ein blendend heller Schein oder Strahl auf dem Wasser, so plötzlich und mit so wundervollem Glanz, daß man unwillkürlich den Atem anhielt. Die Lichtmasse dehnte sich rasch im Zickzack bis zur ungeheuern Länge der fabelhaften Seeschlange aus; man glaubte jeder Bewegung ihres Körpers folgen zu können. Sowohl das Kielwasser hinter dem Schweif, als auch die Wellen, die vor dem Kopf dahinschossen, waren wie in Feuersglut getaucht. Und mit welcher blitzartigen Geschwindigkeit das Ungetüm daherkam! Ehe man sich’s versah, war der fünfzig Fuß lange, feurige Drache vorbeigestürmt und im Nu verschwunden. Aber auf demselben Fleck, von wo er gekommen war, leuchtete es wieder auf; es folgte ein zweiter Strahl, ein dritter, ein vierter, die sich mit rasender Eile in Seeschlangen verwandelten. Einmal sahen wir sechzehn zu gleicher Zeit aufblitzen und auf uns zuschießen. Die sich in zahllosen Windungen schlängelnden Feuerströme boten einen Anblick von zauberhafter Schönheit, ein Schauspiel so voller Glut und Glanz, wie es die meisten jener Zuschauer wohl erst nach ihrem Tode wieder zu sehen bekommen werden.

Und was war es? – Nichts anderes als zahlreiche Scharen von Delphinen, die sich im phosphoreszierenden Meere tummelten. Sie vereinigten sich gleich darauf zu einem prächtigen, wilden, verworrenen Knäuel unter dem Bug des Schiffes, wo sie wohl eine Stunde lang ihr munteres Spiel trieben. Bald schnellten sie in die Höhe, hüpften und vergnügten sich auf allerlei Weise, bald schossen sie Purzelbäume vor dem Schiffsschnabel und darüber hinweg ohne sich je zu stoßen oder den Vordersteven zu berühren, obgleich sie sich ihm stets auf Zollweite näherten. Es waren Delphine von gewöhnlicher Größe, 8–10 Fuß lang, aber bei jeder Bewegung ihres Körpers schlängelten sich feurige Schneckenwindungen weithin nach rückwärts über das Wasser. Dies glänzende Gewirre bot einen geradezu entzückenden Anblick, auch rührten wir uns nicht von der Stelle, bis das Schauspiel zu Ende war; dergleichen bekommt man im Leben schwerlich ein zweitesmal zu sehen. Die Delphine sind zwar stets voller Lust und Beweglichkeit und haben nichts als Possen im Kopf wie die Spielkätzchen, aber so ausgelassen wie an jenem Abend hatte ich sie noch nie gesehen, sie waren förmlich wie betrunken.

Als wir uns Sydney bis auf dreißig Meilen genähert hatten, kam das große elektrische Licht zum Vorschein, das auf einem der hohen Wälle angebracht ist. Aus dem winzigen Lichtfunken wurde allmählich eine Riesensonne, die das dunkle Firmament wie mit einem fernhin leuchtenden Schwert zerteilte.

Der Hafen von Sydney ist durch eine steile Felswand abgeschlossen, an welcher der neue Ankömmling auch nicht die kleinste Oeffnung bemerken kann. Der richtige Eingang liegt in der Mitte, ist aber so leicht zu übersehen, daß selbst Kapitän Cook vorübersegelte, ohne ihn zu finden; dicht daneben ist ein falscher, der jenem gleicht und ehemals bei Nacht dem Schiffer oft gefährlich geworden ist, als die Einfahrt noch keine Beleuchtung hatte. Auch eins der schrecklichsten Trauerspiele auf dem wilden, ruchlosen Meer, der denkwürdige Schiffbruch des ›Duncan Dunbar‹ entsprang aus dieser Ursache. Es war ein prächtiges und sehr beliebtes Segelschiff, welches von einem Kapitän befehligt wurde, der bei den Passagieren in hoher Gunst stand und sich des besten Rufes erfreute. In Sydney erwartete man die Rückkunft des Schiffes von England und zählte die Stunden bis zu seinem Eintreffen, denn es hatte eine große Menge Mütter und Töchter an Bord, die wegen der Erziehung der letzteren lange von den Ihrigen getrennt gewesen waren, und nun Freude und Leben in die verwaisten Heimstätten Sydneys zurückbringen sollten. In Australien und Indien, wo die Beziehungen zu dem Mutterlande so zahlreich sind, weiß man mehr als sonstwo was es heißt, wenn der Mensch Schiffe mit dem Liebsten, das er auf Erden hat, befrachtet und sie von den tückischen Winden – nicht vom Dampf – befördern lassen muß. Nur dort erfahren die Menschen, wie angstvoll das Warten ist und wie groß das Entzücken, wenn das Fahrzeug mit ihren Kleinodien in den sicheren Hafen einläuft und Furcht und Qual vorüber ist.

An Bord des ›Duncan Dunbar‹ waren die Heimkehrenden eifrig mit Vorbereitungen beschäftigt, als es zu dämmern begann, denn sie sollten ja, noch ehe der Tag zu Ende ging, mit ihren Lieben vereint sein. Frauen und Mädchen legten die Kleider ab, die sie unterwegs getragen hatten, und schmückten sich aufs beste – die armen Bräute des Todes! Aber, sei es nun, daß der Wind sich gelegt hatte oder die Entfernung falsch berechnet war – noch kam die Landzunge nicht in Sicht, als schon das Dunkel hereinbrach. Unter gewöhnlichen Verhältnissen würde der Kapitän wohl auf offener See geblieben sein, um erst den Morgen zu erwarten; aber da er die vielen flehenden Blicke sah und auf allen Gesichtern sich die bitterste Enttäuschung malte, mag ihn sein Mitgefühl bewogen haben, die schwierige Einfahrt trotz der Finsternis zu wagen. Schon siebzehnmahl war er in den Hafen von Sydney eingelaufen und glaubte seiner Sache ganz sicher zu sein. So steuerte er denn in gerader Linie auf die falsche Oeffnung los, die er für die richtige hielt. Als er seinen Irrtum erkannte, war es bereits zu spät. Das Schiff war rettungslos verloren, die hochgehende See riß es mit sich fort und schleuderte es auf die spitzen Klippen am Fuß der Felswand, daß es mit Krachen zerbarst und zersplitterte. Von der ganzen holden Schar liebreizender Frauen und Mädchen blieb auch nicht eine am Leben.

Jeder Fremde, welcher an der Unglücksstätte vorbeifährt, bekommt diese traurige Geschichte zu hören. Sie wird niemals veralten, wie vielen künftigen Geschlechtern man sie auch noch erzählen mag. Der namenlose Jammer, welchen sie in sich schließt, muß jedes Herz erschüttern.

Zweihundert Personen befanden sich an Bord, aber nur ein Matrose entging dem Tode. Eine ungeheure Woge warf ihn an die Felswand, wo er in halber Höhe auf einem schmalen Klippenvorsprung die Nacht über liegen blieb. Unter andern Umständen wäre er dort elend verschmachtet, da seine Auffindung undenkbar schien. Allein, als sich am andern Morgen die entsetzliche Nachricht verbreitete, daß der ›Duncan Dunbar‹ angesichts der Heimat gescheitert sei, strömten die Bewohner der Stadt scharenweise hinaus und spähten von der Felswand ins Meer. Da sah einer, der sich weit vorbeugte, den Mann, welcher durch ein Wunder dem Tode entronnen war. Man brachte Stricke herbei und das schier unmögliche Rettungswerk gelang. Der Matrose war ein Mensch mit praktischen Anlagen; er mietete einen Saal in Sydney und stellte sich dort für ein kleines Eintrittsgeld so lange dem Publikum aus, bis seine Einnahme den Ertrag der Goldfelder in jenem Jahre überstiegen hatte.

Wir fuhren ein, gingen vor Anker und schifften am andern Morgen unter manchem Ach und Oh der Bewunderung durch die Buchten und Krümmungen des schönen, geräumigen Hafens, der ein Wunder der Welt und das Herzblatt von Sydney ist. Daß die Bewohner stolz auf ihren Hafen sind und kaum Worte finden können, um ihrer Begeisterung Luft zu machen, ist sehr begreiflich. Ein heimgekehrter Bürger wollte wissen, was ich dazu sagte, und ich sprach ihm meine Gefühle nach besten Kräften aus, in der Hoffnung es würde ihm genügen. Herrlich, rief ich, wunderschön! Dann aber gab ich unwillkürlich Gott die Ehre. Der Bürger schien jedoch nicht zufrieden.

»Natürlich ist der Hafen schön,« sagte er, »allein damit ist noch nicht alles gesagt; Sydney gehört auch dazu, um die Schönheit vollkommen zu machen, beide zusammen vollenden erst das Ganze. Den Hafen hat Gott geschaffen, dagegen läßt sich nichts einwenden, aber Sydney ist ein Werk des Teufels.«

Ich hatte diesem, seinem Freunde, nicht zu nahe treten wollen und stammelte eine Entschuldigung. Daß Sydney dazu gehörte war ganz richtig; der Hafen an sich wäre nur halb so schön ohne die Stadt. Er hat etwa die Form eines Eichenblatts – in der Mitte eine breite Fläche des herrlichsten blauen Wassers und rechts und links schmale, tiefeinschneidende Buchten zwischen hohen, bewaldeten Landzungen, welche nach beiden Seiten abfallen wie Grabhügel. Auf dem Rücken ihrer Berge stehen hier und da prächtige Villen, halb im Laubwerk versteckt, die man mit Entzücken betrachtet, während das Schiff sich der Stadt nähert. Sydney erhebt sich auf einer Hügelgruppe und deren Ausläufern in wellenförmigen Linien, welche überall durch Türme, Kirchen und Prachtgebäude unterbrochen werden, die aus der Häusermasse hervorragen. Dadurch erhält erst der Gesamteindruck seinen großen malerischen Reiz.

Die schmalen Buchten, die sich, wie gesagt, sehr tief ins Land hineinerstrecken, winden sich hierhin und dorthin, bis in die verborgensten Winkel und wimmeln fortwährend von Vergnügungsbooten mit Gesellschaften, die auf Entdeckungsreisen aus sind, oder irgendwo Picknicks halten wollen. Zuverlässige Leute sagen, daß, wer diese Buchten alle durchschiffen will, eine Wasserfahrt von mindestens siebenhundert Meilen machen muß. Aber, es gibt hier zu Lande auch viele Lügner, die, wenn sie einmal im Zuge sind zu übertreiben, sich nicht scheuen, die Behauptung aufzustellen, daß die Meilenzahl doppelt so groß ist.

Einunddreißigstes Kapitel.

Einunddreißigstes Kapitel.

Laßt uns Adam, unserm Wohltäter, dankbar sein, daß er den ›Segen‹ des Müßiggangs von uns genommen und den ›Fluch‹ der Arbeit über uns gebracht hat.

Querkopf Wilsons Kalender.

Am 20. November erreichten wir Auckland und hielten uns einige Tage in dieser schönen, sehr hoch gelegenen Stadt auf; man hat dort einen Ausblick über das Meer, an dem man sich gar nicht satt sehen kann. Wir machten wundervolle Spazierfahrten mit Bekannten in der Umgegend. Von dem grasbewachsenen Kratergipfel des Mount Eden schweift das Auge über eine weite und wechselvolle Landschaft: dicht belaubte Wälder, grüne Hügel, blumige Wiesen und dahinter lange ebene Strecken, auf denen sich hier und da hohe, ausgebrannte Krater erheben. Weiterhin glänzen und funkeln blaue Buchten, und in traumhafter Ferne schimmern die Berge gespenstisch durch ihre Nebelschleier.

Gewöhnlich fährt man von Auckland aus nach Rotorua zu den berühmten heißen Seen und Springquellen, welche als große Merkwürdigkeit Neuseelands gelten; aber ich war nicht wohl genug, um den Ausflug zu unternehmen. Die Regierung hat dort ein Sanatorium errichtet, wo für den Touristen sowohl wie den Kranken aufs angenehmste gesorgt wird. Der daselbst angestellte Arzt drückt sich stets sehr mäßig aus, wenn er von dem Heilerfolg der Bäder bei Rheumatismus, Gicht, Lähmung und ähnlichen Uebeln spricht; dagegen preist er die Wirkung des Wassers als unvergleichlich in Fällen von Trunksucht. Der Trinker wird unfehlbar geheilt, selbst wenn die Krankheit bei ihm noch so chronisch geworden ist, ja, er verliert sogar die Begierde nach berauschenden Getränken für alle Zeiten. Sobald es nur erst allgemein bekannt sein wird, daß für die Opfer des Alkoholismus hier sichere Rettung zu finden ist, werden die Leute scharenweise aus Europa und Amerika herbeiströmen.

Diese ganze, wegen ihrer Thermalquellen berühmte Gegend Neuseelands umfaßt eine Landstrecke von über 600 000 Morgen oder etwa 1000 Quadratmeilen. Rotorua ist am besuchtesten; es bildet den Mittelpunkt des schönen, gebirgigen Seedistrikts und dient den Reisenden zum Standquartier bei ihren Ausflügen. Die Zahl der Kranken ist groß und wächst beständig. Rotorua ist das Karlsbad Australiens.

In Auckland wird auch der Kauri-Kopal verschifft, hauptsächlich nach Amerika. Man bringt durchschnittlich 8000 Tonnen des Jahrs zur Stadt. Unassortiert hat er einen Wert von 309 Dollars die Tonne; die feinsten Sorten erzielen aber oft einen Preis von 1000 Dollars. Das Harz kommt in Stücken vor, ist hart und glatt und gleicht dem Bernstein; auch ist es, wie dieser, hellgelb bis dunkelbraun. Unter den hellfarbigen Stücken hätte man einige für ziemlich gute Nachahmungen roher südafrikanischer Diamanten halten können, sie waren so wundervoll glänzend, glatt und durchsichtig. Der Kauri-Kopal dient zur Bereitung von Lack und Firnis, er stammt von der Kaurifichte und wird meist aus dem Boden gegraben, wo das Harz seit Jahrhunderten liegt, da viele von den Bäumen, aus denen es geflossen ist, der heutigen Vegetation nicht mehr angehören. Dr. Campbell in Auckland erzählte mir, er habe schon vor fünfzig Jahren eine Ladung nach England geschickt, aber ohne Erfolg. Niemand wußte etwas damit anzufangen und man verkaufte es für fünf Pfund Sterling die Tonne zum Feueranzünden.

*

26. November. 3 Uhr nachmittags abgesegelt. Der Hafen ist schön und ungeheuer groß; noch stundenweit hat man Land ringsumher. Der Tangariwa ragt empor – das ist der Berg, der, wie in Auckland allgemein behauptet wird, überall gleich aussieht, man mag ihn betrachten von welcher Seite man will. Ganz richtig – von welcher Seite man will – mit dreizehn Ausnahmen….

Herrliches Sommerwetter. In der Ferne tummelt sich eine große Schar Walfische. Der Staubregen, den sie emporspritzen, sieht zart und luftig aus in dem rosigen Schein der untergehenden Sonne oder wenn er sich abhebt gegen den dunkeln Hintergrund einer Insel, die im tiefblauen Schatten von Sturmwolken ruht… Zur Linken erhebt sich ein großer Felsblock mitten im Meer. Vor einiger Zeit stieß ein Schiff, das im Nebel zwanzig Meilen aus seinem Kurs gekommen war, bei voller Fahrt dagegen; 140 Menschen ertranken in den Wellen. Der Kapitän nahm sich auf der Stelle selbst das Leben, ohne sich erst zu besinnen. Mochte er schuld an dem Unfall sein oder nicht, er wußte, daß die Gesellschaft, der das Schiff gehörte, ihn jedenfalls sofort entlassen würde, um mit ihrer Sorge für die Sicherheit der Passagiere Reklame zu machen. Dadurch wurde es ihm aber fast unmöglich gemacht, seinen ferneren Lebensunterhalt zu verdienen.

*

27. November. Heute kamen wir bis Gisborne und ankerten in einer großen Bucht, eine Meile weit vom Ufer. Die See ging hoch und wir blieben an Bord. Ein kleiner Schleppdampfer, der vom Lande auf uns zufuhr, war ein Gegenstand atemlosen Interesses. Er klomm bis zum Gipfel einer Welle, schwankte dort einen Augenblick als ein grauer Schatten wie betrunken hin und her, in dem vom Sturm zerstäubten Wasser, tauchte plötzlich in die Tiefe und blieb so lange unsichtbar bis man ihn für verloren hielt; dann schoß er auf einmal wieder in ganz schräger Richtung empor, während das Wasser in Strömen vom Vorderdeck herabstürzte. So trieb es der Dampfer die ganze Zeit über, bis er unser Schiff erreicht hatte. In seinem Bauche befanden sich fünfundzwanzig Passagiere, die zu uns an Bord wollten – Männer und Frauen, meistens Mitglieder einer reisenden Schauspielertruppe. Die Mannschaft war auf Deck in Südwestern, wasserdichten Anzügen von gelbem Segeltuch und hohen Stiefeln. Das Deck stand so schräg wie eine Leiter und schwankte auf und ab; große Wellen sprangen fortwährend an Bord und rollten darüber hin. Wir befestigten ein langes Seil an der Raanocke, hingen einen höchst kunstlosen Korbstuhl daran und ließen ihn im weiten Himmelsraum wie einen Pendel auf gut Glück hin und her schaukeln. Im geeigneten Moment wurde er von geschickten Händen hinabgelassen und drüben fingen zwei Männer am Vorderdeck die gut gezielte Leine auf. Ein junger Bursche von unserer Mannschaft saß im Korbstuhl, um den weiblichen Passagieren herüber zu helfen. Sofort erschienen einige Damen aus der Kajüte, setzten sich ihm auf den Schoß, und wir zogen sie über uns in den Himmel hinauf. Einige Augenblicke warteten wir noch, bis das Schlingern des Schiffes sie herüberbrachte, dann ließen wir das Seil herab und erfaßten den Korb, als er eben das Deck erreichte. So brachten wir alle fünfundzwanzig an Bord und schafften fünfundzwanzig unserer eigenen Passagiere in den Schleppdampfer – darunter mehrere alte Damen und eine Blinde – noch dazu ohne den geringsten Unfall. Es war ein schönes Stück Arbeit.

Wir sind mit unserm Schiff sehr zufrieden, es ist hübsch und geräumig, auch alles darin bequem und gut in Ordnung. In einem Hotel kommt es wohl vor, daß man auf eine Ratte tritt, aber an Bord haben wir lange nichts von Ratten gespürt, außer vielleicht auf der ›Flora‹; aber da waren wir mit wichtigeren Dingen beschäftigt. Es ist mir aufgefallen, daß man nur noch auf Schiffen und in Hotels Ratten findet, wo die abscheulichen chinesischen Gongs gebraucht werden. Der Grund kann nur sein, daß die Ratten nicht nach der Uhr zu sehen verstehen, um zu erfahren, in welcher Tageszeit sie leben, und einen Ort fliehen, an dem sie nie wissen, wann das Essen fertig ist.

2. Dezember. Montag. Von Napier nach Hastings benutzten wir den Schnellzug, der in Neuseeland zweimal die Woche fährt. In Waitukurau war zwanzig Minuten Aufenthalt und wir nahmen einen Imbiß. Ich saß oben am Tisch, so daß ich die rechte Wand sehen konnte, während meine Frau, meine Tochter und Mr. Carlyle Smythe, mein Geschäftsführer, der Wand den Rücken zukehrten. Auf dieser Wand hingen einige Bilder ziemlich weit von mir, so daß ich sie nicht deutlich erkennen konnte, aber nach der ganzen Gruppierung der Gestalten nahm ich an, daß eins derselben die Ermordung von Napoleons des Dritten Sohn durch die Zulus in Südafrika darstellte. Ich unterbrach das Gespräch, welches sich eben um Poesie, Kohlköpfe und bildende Kunst drehte und wandte mich an meine Frau mit der Frage:

»Weißt du noch, wie die Nachricht in Paris ankam –«

»Daß der Prinz ermordet wäre?«

(Ich hatte genau diese Worte im Sinn gehabt.) »Welcher Prinz denn?«

»Napoleon – Lulu.«

»Wie kommst du eben jetzt darauf?«

»Ich weiß nicht.«

Höchst sonderbar! – Wir hatten uns auf keine Weise miteinander verständigt. Die Bilder waren nicht erwähnt worden und meine Frau konnte sie nicht sehen. Vor sieben Monaten waren wir nach einem mehrjährigen Aufenthalt von Paris abgefahren, um diese Reise zu unternehmen und meine Frau hätte an irgend eine Nachricht denken müssen, die in jüngst vergangener Zeit nach Paris gekommen war. Statt dessen dachte sie an ein Erlebnis bei unserm kurzen Besuch in Paris vor sechzehn Jahren.

Es war ein deutliches Beispiel von Gedankentelegraphie, von geistiger Wechselwirkung. Ich hatte die Idee aus meinem Hirn an sie telegraphiert. – Woher ich das so bestimmt weiß? – Nun einfach deshalb, weil es ein Irrtum war. Es ergab sich nämlich, daß jenes Bild weder die Ermordung Lulus darstellte, noch überhaupt etwas, das sich irgendwie auf Lulu bezog. Ich mußte ihr den Irrtum telegraphiert haben, denn außer in meinem Kopfe war er nirgends vorhanden.

Zweiunddreißigstes Kapitel

Zweiunddreißigstes Kapitel

Der Selbstherrscher von Rußland hat mehr Macht als irgend ein Mensch auf Erden; aber das Niesen kann er doch nicht zurückhalten.

Querkopf Wilsons Kalender.

Wanganui 3. Dezember. Unsere gestrige Fahrt war sehr angenehm und dauerte vier Stunden. Meinetwegen hätte der Zug sie auf acht Stunden ausdehnen können. Wenn man sich behaglich fühlt und kein Grund zur Eile vorhanden ist, liegt mir gar nichts an übergroßer Schnelligkeit. Nun kenne ich aber kein bequemeres Beförderungsmittel als einen Neuseeländer Zug. Nirgends findet man außerhalb Amerika so vernünftig eingerichtete Eisenbahnwagen. Rechnet man dazu noch den unausgesetzten Anblick des reizendsten Landschaftsbildes und den fast gänzlichen Mangel an Staub, so kann man nur jedem raten, der damit noch nicht zufrieden ist, er soll aussteigen und zu Fuße gehen. – Würde er dadurch aber anderer Meinung werden? Ganz gewiß. Nach Ablauf einer Stunde träfe man ihn sicherlich bescheiden wartend neben dem Schienenstrang, und er wäre froh mit dem Zug weiter fahren zu dürfen.

In der Stadt und Umgegend sieht man viele Leute zu Pferde und hübsche junge Mädchen in luftigen Sommerkleidern, auch die Heilsarmee und eine Menge Maori; Gesicht und Körper der älteren sind meist sehr geschmackvoll bemalt. Jenseits des Flusses liegt das Rathaus der Maori, ein großes, festes Gebäude, das von einem Ende zum andern mit Matten ausgelegt und mit reichen, kunstvoll verfertigten Holzschnitzereien geschmückt ist. Die Maori sind auch sehr höfliche Leute.

Einer der Volksvertreter gab mir die Versicherung, daß die eingeborene Rasse nicht abnimmt, sondern sich im Gegenteil langsam vermehrt. Dies ist ein neuer Beweis, daß die Maori, als Wilde, auf einer hohen Stufe stehen. Ich weiß mich an keine anderen Eingeborenen irgend welcher Rasse zu erinnern, die so gute Häuser oder so starke, zweckentsprechende Festungswerke errichtet hätten, die den Ackerbau so eifrig betrieben oder bei denen die Kriegswissenschaft und Verteidigungskunst fast bis zu einer Vollkommenheit gediehen wäre, wie man sie sonst nur bei den Weißen findet. Zählt man hierzu noch ihre große Geschicklichkeit in der Anfertigung von Booten und ihre Begabung für die dekorativen Künste, so kann man sie höchstens noch als Halb- oder Dreiviertel-Barbaren betrachten und ihnen eine gewisse Zivilisation nicht absprechen.

Es ist schmeichelhaft für die Maori, daß die britische Regierung, statt sie auszurotten wie die Australneger und die Tasmanier, sich mit ihrer Unterwerfung begnügt hat. Auch nahmen die Engländer ihnen nicht alles gute Land fort, sondern ließen ein großes Stück in ihrem Besitz und schützten sie sogar vor den Landwucherern, wie es die Regierung von Neuseeland noch heutigen Tages tut. Am schmeichelhaftesten für die Maori ist jedoch, daß sie ihre eingeborenen Vertreter sowohl im Ministerium wie im gesetzgebenden Körper haben, und daß auch das weibliche Geschlecht wahlberechtigt ist. Die Regierung ehrt sich selbst durch diese Einrichtungen, denn bisher war es in der Welt nicht Sitte, daß ein Eroberer mit den Besiegten auf so weitherzige Art verfuhr.

Die gebildetsten Weißen, die zuerst unter den Maori lebten, hatten wirkliche Zuneigung für sie und eine hohe Meinung von ihrer Gesittung. Ich will nur den Verfasser des ›Alten Neuseeland‹ anführen, sowie Dr. Campbell von Auckland. Letzterer hatte mit mehreren Häuptlingen große Freundschaft geschlossen und wußte viel Gutes von ihrer Treue, Hochherzigkeit und Großmut zu berichten. Er erzählte auch, was sie sich für wunderliche Begriffe von der Zivilisation der Weißen machten und wie komisch sie dieselben beurteilten. Einer von ihnen meinte unter anderm, der Missionar greife alles am unrechten Ende an und kehre das Unterste zu oberst. »Hat er doch sogar gesagt, wir sollten aufhören, die bösen Götter anzubeten und um ihren Schutz zu flehen; wir brauchten uns mit Verehrung und Bitten nur noch an den guten Gott zu wenden. Das hat ja weder Sinn noch Verstand! Ein guter Gott wird uns doch keinen Schaden tun!«

Unter den Maori herrschte das ›Tabu‹ in so großartigem Umfang, wie es für Polynesien paßte. Von einigen Verboten hätte man glauben können, sie stammten aus Indien oder Judäa. Weder bei den Maori noch bei den Indern durfte der gemeine Mann an einem Feuer kochen, das von einem Mitglied der höheren Kasten benutzt worden war. Ebensowenig gestattete man dem vornehmen Maori oder dem vornehmen Inder sich des Feuers zu bedienen, an dem der gemeine Mann seine Speise bereitet hatte. Trank ein Maori oder ein Inder niederen Ranges aus dem Gefäß, das einem Höhergestellten gehörte, so war das Gefäß verunreinigt und mußte zerschlagen werden. Auch noch in mancher Beziehung erinnert das Maori-Tabu an den Kastengeist der Inder.

*

8. Dezember. Hier in Wanganui stehen ein paar sonderbare Kriegerdenkmäler. Das eine ist zum Andenken an die Weißen errichtet, die bei »der Verteidigung von Ordnung und Gesetz gegen Barbarei und Fanatismus« gefallen sind. – Fanatismus – das Wort sollte unverweilt entfernt werden, denn es ist sich er nur aus Irrtum und Mangel an Ueberlegung auf das Denkmal gesetzt worden; wenigstens möchte ich das zur Ehre der uns stammverwandten englischen Nation annehmen. Man verpflanze einmal die Inschrift: »welche zur Verteidigung von Gesetz und Ordnung gegen den Fanatismus gefallen sind,« an den Ort, wo Winkelried starb, an die Thermopylen oder auf das Bunker-Hill-Monument – da wird man einsehen, was das Wort bedeutet und wie verkehrt es in jenem Fall angewendet ist. Patriotismus bleibt Patriotismus. Nichts kann ihn herabwürdigen, mag man ihn auch Fanatismus nennen, so viel man will. Selbst wenn er vom politischen Standpunkt aus tausendmal im Irrtum ist, so ändert das nichts an der Sache. Der Patriot ist und bleibt ehrenhaft, edel und groß, er darf getrost das Haupt erheben! Mit Recht preist man die tapfern Weißen, die im Maorikrieg gefallen sind – sie verdienen alles Lob. Wer das Wort ›Fanatismus‹ stellt die Sache so dar, als hätten sie ihr Blut in keinem würdigen Kampfe vergossen, in einem Kampfe gegen unedle Feinde, die des Opfers nicht wert waren. Und doch standen sie wackern Männern gegenüber, mit denen zu fechten keine Schande war, Männern, die für ihre Heimstätten und ihr Vaterland als tapfere Feinde stritten und einen ehrenvollen Tod fanden. Es würde dem Ruhm der braven Engländer, die unter dem Denkmal liegen, keinen Abbruch tun, sondern ihn nur erhöhen, wenn die Inschrift besagte, daß sie in Verteidigung des englischen Gesetzes und ihrer englischen Heimat gefallen sind, im Kampf mit Gegnern, die aller Achtung wert waren – mit den für ihr Vaterland sterbenden Maori.

An dem zweiten Denkmal läßt sich nichts verbessern – außer mit Dynamit. Es ist ein Irrtum durch und durch und ein Beweis von großer Gedankenlosigkeit. Die Engländer haben es zur Erinnerung an die Maori aufgestellt, die auf Seiten der Weißen gegen ihre eigenen Landsleute kämpften. »Dem Andenken der wackeren Männer gewidmet, die am 14. Mai 1864 gefallen sind etc.,« lautet die Inschrift. Auf der Rückseite stehen die Namen von ungefähr zwanzig Maori.

Es ist kein Phantasiegebilde von mir; das Denkmal steht wirklich da und ich habe es gesehen. Welche Lehre für die kommenden Geschlechter! Es fordert mit dürren Worten zu Verrat, Untreue und Verleugnung des Patriotismus auf: »Verlasse deine Fahne,« ruft es, »erschlage deine Landsleute, verbrenne ihre Häuser, sei eine Schande für dein Volk – solchen Leuten erweisen wir Ehre!«

*

12. Dezember. Nach zehnstündiger Eisenbahnfahrt von Wanganui aus, erreichten wir Wellington … Eine schöne Stadt, in stolzer Lage; reger Handel, viel Leben und Bewegung. Ich habe hier drei Tage teils mit Spazierengehen und angenehmem geselligem Verkehr zugebracht, teils bin ich in dem herrlichen Garten von Hutt umhergeschlendert, der eine Strecke weiter am Ufer liegt. Dergleichen sehen wir gewiß sobald nicht wieder!

Wir packen heute abend unsere Koffer zur Rückreise nach Australien. Der Aufenthalt in Neuseeland ist zu kurz gewesen, doch sind wir froh, daß wir es wenigstens flüchtig sehen durften.

Die tapfern Maori haben es den Weißen ziemlich schwer gemacht, sich im Lande anzusiedeln. Anfangs jedoch empfingen sie die Engländer freundlich und machten gern Geschäfte mit ihnen. Besonders kauften sie Flinten, denn sie führten oft zum Zeitvertreib Krieg unter einander, und die Waffen der Weißen gefielen ihnen weit besser als ihre eigenen. Ich brauche den Ausdruck ›Zeitvertreib‹ mit gutem Bedacht; sie kamen wirklich häufig zusammen, ohne daß irgend ein Streit vorlag und erschlugen einander bloß zum Vergnügen. Der Verfasser des ›Alten Neuseeland‹ erwähnt einen Fall, wo das siegreiche Heer nur seinen Vorteil auszunutzen brauchte, um den Feind zu vernichten und es gleichwohl unterließ. »Denn,« lautete die naive Erklärung, »täten wir das, so gäbe es keinen Kampf mehr.« Ein andermal ließ die eine Armee dem Heer, das ihr feindlich gegenüberstand, sagen, ihr sei das Pulver ausgegangen und sie müsse das Schießen einstellen, falls sie nicht neuen Vorrat erhalte. Man schickte ihr, was sie brauchte, und die Schlacht nahm ihren Fortgang.

Wie gesagt, als die Engländer sich zuerst in Neuseeland niederlassen wollten, ging alles gut. Die Eingeborenen verkauften ihnen Strecken Landes, ohne die Bedingungen des Vertrages zu verstehen, und die Weißen kauften von ihnen und kümmerten sich nicht darum, daß die Maori nicht wußten, was sie taten. Als dann letztere allmählich einsahen, daß ihnen unrecht geschah, begannen die Zwistigkeiten. Kein Maori hätte ein Unrecht, das ihm widerfuhr, ruhig erduldet oder sich mit Klagen begnügt. Das Volk besaß dieselbe Ausdauer wie die Tasmanier und daneben noch allerlei militärische Kenntnisse; es stand gegen seine Bedrücker auf und die tapfern ›Fanatiker‹ entfachten einen Krieg, dessen schließliche Entscheidung erst erfolgte, nachdem mehrere Generationen zu Grabe gegangen waren.

Dreiunddreißigstes Kapitel.

Dreiunddreißigstes Kapitel.

Es gibt mancherlei Schutzwehr gegen die Versuchung, aber die wirksamste ist Feigheit.

Querkopf Wilsons Kalender.

Freitag 13. Dezember. Um drei Uhr nachmittags in der ›Mararoa‹ abgesegelt. Eine Sommersee und ein gutes Schiff – was kann es Besseres auf Erden geben? –

Montag. Drei Tage im Paradies. Die See war sonnig, glatt und glänzend blau wie das Mittelmeer … Man liegt den ganzen Tag lang auf Deck im Klappstuhl unter dem Sonnenzelt und liest und raucht im wohligsten Behagen.

17. Dezember. Wir sind in Sydney.

19. Dezember. Auf der Eisenbahn. Ein Mensch von dreißig Jahren stieg mit vier Reisetaschen ein. Der Mund des schmächtigen Kerlchens sah aus wie ein verfallener Kirchhof, so vernachlässigt waren die Zähne; sein Haar bestand aus einer festen Schicht, die mit Pomade zusammengeklebt war. Er rauchte die wunderbarsten Zigaretten, die wohl aus einer Art Dung bestehen mußten, denn sie strömten zusammen mit dem Haar einen ganz ›eingeborenen‹ Geruch aus. Unter seiner tiefausgeschnittenen Weste kam ein großes Stück des verknitterten, zerrissenen und beschmutzten Hemdeinsatzes zum Vorschein, mit Knöpfen von Talmigold, welche schwarze Ringel auf der Leinwand gemacht hatten. Dazu trug er große unechte Manschettenknöpfe, bei denen man das Kupfer durchsah und eine schwere Talmi-Uhrkette, die ihm vermutlich nicht verriet, was die Glocke geschlagen hatte, denn er fragte Smythe, wieviel Uhr es sei. Einstmals mochte sein Rock wohl auch jung und hübsch gewesen sein, jetzt war er aber außerordentlich schmutzig, und die hellen Sonntagnachmittags-Beinkleider, die er anhatte, desgleichen; sein gelber Schnurrbart war an den Enden kühn in die Höhe gewirbelt, seine Schuhe von unechtem Glanzleder sahen fuchsig aus. Er war für mich eine völlig neue Erscheinung – ein nachgemachter Gigerl; hätten es ihm seine Mittel erlaubt, so wäre er ein echter gewesen. Jedenfalls war er mit sich selbst zufrieden, das konnte man an seinem Gesichtsausdruck sehen, an jeder Bewegung, die er machte, an jeder Stellung, die er einnahm. Er lebte in einem Gigerl-Traumland, wo all sein schmutziges Scheinwesen echt und er selbst keine Lüge war. Wenn man sah, wie er seine kleinen nachgeäfften Künste und Gebärden, seinen falschen Schmuck und jede seiner gezierten Bewegungen mit Wonne genoß, so verlor die Kritik ihren Stachel und der Zorn besänftigte sich. Mir schien es klar, daß er sich einbildete, er wäre der Prinz von Wales und sich ganz so benahm, wie er glaubte, daß sich der Prinz benehmen würde. Dem Dienstmann, der ihm seine vier Reisetaschen nachtrug und ins Netz legte, gab er vier Cents für die Bemühung und entschuldigte sich wegen der geringfügigen Summe, mit einem leisen Anflug der königlichsten Herablassung. Dann rekelte er sich auf dem Vordersitz, legte den Arm unter seinen pomadisierten Kopf, steckte die Füße zum Fenster hinaus und begann die Rolle des Prinzen zu spielen, wie sie ihm vorschwebte. Mit erkünstelter Abgespanntheit sah er den blauen Qualm sich von seiner Zigarette emporkräuseln, sog den Gestank ein und machte ein beglücktes Gesicht; dann streifte er mit einem zierlichen Schwung die Asche fort und lieh dabei ganz unabsichtlich seinen Messingring am Zeigefinger mit der größten Auffälligkeit funkeln. Kurz, er machte alles so täuschend nach, daß man sich wirklich nach Marlborough House versetzt glaubte.

Auf der Fahrt war auch sonst viel zu sehen: Die wunderschöne Gegend im Nationalpark am Hawksbury-Fluß, wo die Waldberge einen stolzen Rahmen um die von See und Strom bewässerte Landschaft bilden und dem Beschauer in immer neuer Gruppierung die entzückendste Szenerie vorführen. Weiterhin grüne Ebenen, spärlich mit Gummiwäldern bedeckt; hie und da eine vereinzelte Hütte, wo die Farmer sich fleißig der Kinderzucht widmeten; dann dürre, trübselige Strecken ohne Leben. Endlich Newcastle mit reger Geschäftstätigkeit, die Hauptstadt des reichen Kohlenbezirks. In der Nähe von Scone viel Landwirtschaft und Weideland, dazwischen häufig ein sehr lästiges Gewächs, eine kleine stachlichte Birnensorte, welche der Farmer täglich zu allen Teufeln wünscht. Sie soll von einer gefühlvollen Dame eingeführt und der Kolonie zum Geschenk gemacht worden sein … Den ganzen Tag über eine wahre Siedehitze.

*

20. Dezember. Wieder nach Sydney zurück. Noch eben solche Glut. Ich habe mir in der Zeitung und auf der Landkarte eine Menge absonderlicher Namen von Städten Australiens zusammengesucht, um ein Gedicht daraus zu machen. Hier ist die Liste:

Tumut Wagga-Wagga Bendigo
Takee Wyalong Coonamble
Murwillumba Murrumbidgee Cootamundra
Bowral Wollongong Woolgoolga
Ballarat Woolloomoolloo Mittagong
Mullengudgery Bombola Jamberoo
Murrurundi Coolgardie Goomaroo
Wolloway Kuitpo Paramatta
Wangary Tungkillo Toowoomba
Wanilla Onkaparinga Taroom
Worrow Talunga Goondiwirdi
Koppio Yatala Narrandera
Yaranyacka Parawirra Jerrilderie
Yankalilla Moorooroo Deniliquin
Waitpinga Munno Parah Oohipara
Goolwa Kapunda Whangarei
Penola Muloowurtie Kaiwaka
Nangwarry Walaroo Hauraki
Kongorong Yackamoorundi Rangiriri
Comaum Mundoora Tauranga
Killanoola Woolundunga Teawamut
Naracorte Coomooroo Taranaki
Binnum Boolero Tongariro
Wirrega Pernatty Kaikoura
Kondoparinga Geelong Wakatipu

Vielleicht tue ich am besten, gleich mit dem Aufbau des Gedichts zu beginnen; das Wetter soll nur dabei behilflich sein:

Gluthitze in Australien.
(In leisem Flüsterton zu lesen, wenn die Lichter gelöscht sind.)

Die Bombola schmachtet im Bowral Baum,
Wo Mullengudgerys Feuerbrand
Vom Hauch Coolgardies berührt wie im Traum
Gespenstisch noch glüht‘, als der Tag verschwand

Und Murriwillumbas Klagelied
Tönt in den Lauben von Woolloomooloo
Wollongong sehnt sich im öden Gebiet
Nach den wonnigen Gärten von Jamberoo.

Das Wallaby seufzt nach dem Murrumbidgee,
Nach dem samtweichen Rasen von Munno Parah,
Wo die heilenden Wasser von Muloowurtie
Vorüberfluten bei Yaranyackah.

Um Wolloway trauert des Koppios Herz,
Er sehnt sich heimlich nach Murrurundi.
Der Whangeron Wombat in bitterm Schmerz
Sieht sich verbannt aus Jerrilderie.

Der Teawamut Tumut vom Wirrega-Tal
Die Nangkita Schwalbe, der Wallaroo Schwan,
Sie hoffen auf Timarus Schatten zumal,
Auf Mittagongs Duft und der Ruhe Nahn.

Der Kooringa Büffel verschmachtet schier,
Der Hauraki keucht in der Sonnenglut,
Der Kongorong floh ins Schattenrevier,
Doch im Todesschlaf der Goomaroo ruht.

Auf Moorooroos Flur in dem Höllenbrand
Stirbt, ach! der Yataly Wangary hin;
Und den Worrow Wanilla zum Waldesland
Von Woolgoolga sieht man verzweifelnd fliehn.

Nangwarry irrt einsam, Coonamble vergeht
Tungkillo Kuitpo legt Trauerkleid an.
Kein rettender Windhauch aus Whangarei weht,
Kein West zieht aus Booleroo kühlend heran.

Myponga, Kapunda, o schlummert nicht mehr!
Yankalilla, Parawirra, erwacht!
Vernimm’s Killanoola – der Tod schleicht umher
Auf Penolas Warnung gib acht!

Schon sind Tongariro und Wakatipu
Cootamundra, Kaikoura, verbrannt.
Von Onkaparinga bis Oamarou
Steht in Flammen Toowoombas Land.

Paramatta und Binnum, sie gingen zur Ruh‘,
Mundoora Taroom ward ihr Grab.
Kawakama, Takee – der Rasen deckt zu.
Was es Schönstes auf Erden einst gab.

Narrandera trauert; dem liebenden Laut,
Gibt Camaroo Antwort nicht mehr;
Wo einst man Goolwa, Woolundunga erschaut,
Ist alles öde und leer.

Die Wörter sind für die Poesie wie geschaffen; bessere habe ich mein Lebtag nicht gehört. Die Liste umfaßt einundachtzig Stück, aber ich habe nicht alle gebraucht und mir nur vierundsechzig herausgegriffen. Mir scheint, das ist ein gehöriges Bündel für jemand, der nicht Dichter von Beruf ist. Vielleicht wäre es einem Hofpoeten besser gelungen, aber ein Hofpoet bezieht auch Gehalt. Wenn ich Verse mache, bekomme ich nichts dafür, im Gegenteil, es kostet mich oft noch Geld. Das beste Wort im ganzen Verzeichnis, das auch am melodischsten girrt und gluckst ist Woolloomooloo. So heißt ein Ort in der Nähe von Sydney, ein Lieblingsziel für Vergnügungsausflüge. Es sind nicht weniger als acht o in dem Namen.

*

Schluß der 1. Abteilung.

Viertes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Es ist leichter, sich ein dutzendmal ins Gesicht tadeln zu lassen, als eine einzige unwahre Schmeichelei anzuhören.

Querkopf Wilsons Kalender.

Von Honolulu abgesegelt. Aus meinem Tagebuch:

2. September. – Scharen fliegender Fische – schlank, wohlgestaltet, leicht beweglich und glänzend weiß. Im Sonnenschein sehen sie wie ein Schwarm silberner Obstmesser aus. Sie können über hundert Meter weit fliegen.

3. September. – Frühstück unter 9° 50′ nördlicher Breite. Wir segeln schräg auf den Aequator zu. Alle, welche die Linie noch nie passiert haben, sind ungemein aufgeregt; auch ich möchte nichts in der Welt lieber sehen als den Aequator. Gestern abend erreichten wir die Gegend der Kalmen, wo vollkommene Windstillen mit täglichen Stürmen und Regengüssen wechseln, bei denen der Wind fortwährend umspringt, die See kurze Wellen schlägt und das Schiff wie betrunken hin- und herschwankt. Derartige Zustände findet man bisweilen auch in andern Regionen, aber in der Gegend der Kalmen hören sie nie auf; ihr Gürtel um den Erdball hat eine Breite von zwanzig Grad, und die Schnur, welche man den Aequator nennt, läuft in der Mitte herum.

*

4. September. – Gestern abend hatten wir eine totale Mondfinsternis, die etwa bis 7.30 dauerte. Zuerst sah man eine schöne rosige Wolke mit zerklüfteter Oberfläche, die aus einem kreisförmigen Rahmen hervortrat – es erinnerte an eine Portion Erdbeereis. Als der Mond zur Hälfte wieder sichtbar war, glich er einer goldenen Eichel in ihrem Näpfchen.

*

5. September. – Um Mittag kamen wir dicht an den Aequator heran. Ein Matrose erklärte einem jungen Mädchen, das Schiff mache so wenig Fahrt, weil der Erdball in der Mitte eine Ausbuchtung habe, zu der wir emporklimmen müßten; hätten wir erst beim Aequator die höchste Stelle erreicht, dann ginge es bergunter mit Windeseile. Der Mann ist voller Gelehrsamkeit, da kann das Mädchen noch viel profitieren.

*

Nachmittags. – Wir haben die Linie passiert. Von weitem sah es aus, als breite sich ein blaues Band quer über den Ozean. Mehrere Passagiere machten photographische Aufnahmen. Wir hatten keinen Mummenschanz, keine Narrenspossen und groben Späße, das ist jetzt alles abgeschafft. In früheren Zeiten kam ein als Neptun verkleideter Matrose mit seinem Gefolge über den Schiffsbug gegangen, und jeder, der zum erstenmale die Linie passierte, mußte sich von ihm einseifen und barbieren lassen. Zum Schluß pflegte man die armen Opferlämmer abzuspülen, indem man sie von der Raanocke hinunterließ und dreimal ins Meer tauchte. Dies galt für sehr belustigend – warum, weiß niemand. Das heißt, ja – wir wissen es doch! Auf dem Lande hätten so närrische Veranstaltungen, wie sie ehemals beim Passieren der Linie Sitte waren, nicht die geringste komische Wirkung; man würde sie einfach für albern und sinnlos erklären. Aber die Landratten sollen nur erst einmal zu Schiffe gehen und eine lange Seereise machen, vielleicht wären sie dann anderer Ansicht. Auf solcher Fahrt nehmen die Verstandeskräfte gewaltig ab, und die klügsten Leute geraten bald in eine Gemütsstimmung, bei der sie eine kindische Unterhaltung jeder vernünftigen Beschäftigung vorziehen. Man staunt wirklich oft über die Kindereien, mit denen sich erwachsene Menschen an Bord abgeben und begreift nicht, wie sie dergleichen mit solchem Eifer betreiben und sich so königlich dabei amüsieren können. Ich spreche natürlich nur von langen Seereisen, bei denen der Geist sich allmählich abstumpft und träge und schwerfällig wird. Da verliert man sein gewöhnliches Interesse an höheren Dingen; nur derbe Späße sind noch imstande uns aufzurütteln, und ausgelassene Narretei gewährt uns das größte Vergnügen.

Bei kürzeren Seereisen ist das anders; da hat der Geist nicht Zeit, auf so traurige Art zu versimpeln, und man schafft sich die nötige Körperbewegung durch das Beilkespiel. Auch wir vertrieben uns unterwegs die Zeit damit aufs angenehmste. Vor dem Beginn des Spiels zeichnet der Quartiermeister die nachstehende Kreidefigur auf das Deck, und jeder Spieler erhält vier hölzerne Scheiben von der Größe einer Untertasse, die er mit einer Art Besenstiel, an dem eine hölzerne Mondsichel befestigt ist, durch einen kräftigen Stoß fünfzehn bis zwanzig Fuß weit über das Deck befördern muß, so daß sie in einem der Quadrate landen. Bleibt die geworfene Scheibe dort, bis der erste Gang vorüber ist, so gilt sie so viel wie die Zahl in dem betreffenden Quadrat.

10
8 1 6
3 5 7
4 9 2
10 minus

Der Gegner muß sich bemühen, die feindliche Scheibe hinauszustoßen, besonders wenn sie auf eine hohe Nummer getroffen hat, und seine eigene an die Stelle zu setzen. Liegt sie aber auf 10 minus so wird er im Gegenteil danach trachten, seine Scheibe so zu schieben, daß der andere Spieler die seinige nicht wieder aus diesem verderblichen Platz herausbringen kann, weil ihm der Zugang versperrt ist. Nach jedem Gang werden die Points gezählt; oft können alle Scheiben mitgerechnet werden, aber die, welche den Kreidestrich berühren, gelten nicht; auch findet manchmal ein großes Scharmützel statt, so daß keine einzige Scheibe mehr in den Quadraten liegt. Wenn eine Partei hundert Points hat, ist das Spiel zu Ende; es dauert meist zwischen zwanzig und dreißig Minuten, was vom Glück und der Bewegung des Schiffes abhängt. Geht die See hoch, so ist man genötigt, die Kraft und Richtung des Stoßes genau abzuwägen. Hebt sich das Schiff, muß man stark stoßen, senkt es sich, so kommt es darauf an Maß zu halten, da sich die Wirkung nicht leicht berechnen läßt. Schwankt das Schiff nach rechts, und man zielt nach der linken oberen Seite der Kreidefigur, so gleitet die Scheibe im Bogen gerade in ein Quadrat hinein, falls man nämlich genau die richtige Stärke getroffen hat. Das Spiel ist aufregend, und die meist sehr zahlreichen Zuschauer lassen es nicht an Beifall oder Hohngelächter fehlen, je nachdem eins oder das andere am Platze ist. Es erfordert auch viel Geschicklichkeit, aber da man sich auf die Bewegung des Schiffes nie verlassen kann, ist es noch mehr Glückssache.

Um zu entscheiden, wer ›Meister des Beilkespiels auf dem Stillen Ozean‹ sein sollte, fochten wir großartige Turniere aus, an denen sich fast alle unsere Mitreisenden männlichen und weiblichen Geschlechts, sowie sämtliche Offiziere beteiligten. Der Kampf wurde viele Tage lang mit großer Hartnäckigkeit fortgesetzt, er war sehr lebhaft und machte uns todmüde, wegen der starken Bewegung, die man bei dem Spiele hat. Schließlich behauptete Herr Thomas, einer der Passagiere, seine unbestrittene Meisterschaft.

Bei einem der kleineren Wettkämpfe hatte ich jedoch den Sieg davongetragen und den ausgesetzten Preis, eine Waterbury-Taschenuhr gewonnen, die ich im Koffer verwahrte. Neun Monate später, in der Stadt Prätoria in Südafrika, nahm ich sie wieder heraus, weil meine eigene Uhr stehen geblieben war, zog sie auf und stellte sie nach der Turmuhr am Parlamentsgebäude auf 8 Uhr 5 Minuten; dann begab ich mich in mein Schlafzimmer und ging früh zu Bette, da ich nach einer langen Eisenbahnfahrt der Ruhe bedurfte. Jene Parlamentsuhr hatte eine ganz verrückte Eigenschaft, die sonst nirgends in der Welt vorkommt, aber das wüßte ich damals nicht; sie schlägt nämlich, wenn es halb ist, die nächste volle Stunde und schlägt sie dann abermals zur richtigen Zeit. Eine Weile rauchte und las ich noch im Bett; als ich aber die Augen nicht länger offen halten konnte und eben im Begriff war, das Licht zu löschen, dröhnte es gewaltig vom Turme. Ich zähle zehn Schläge und lange nach meiner Preisuhr, um sie zu vergleichen. Sie stand auf 9.30, war also schon eine halbe Stunde zurückgeblieben. Für eine Dreidollaruhr hatte sie jedenfalls zu geringe Geschwindigkeit, doch glaubte ich, das veränderte Klima sei schuld. Ich stellte sie eine halbe Stunde vor, nahm wieder mein Buch zur Hand und wartete. Es schlug noch einmal zehn; meine Uhr aber zeigte 10.30. Diese übergroße Eile überraschte mich – es war zuviel für das Geld. Nachdem ich die Zeiger um eine halbe Stunde zurückgeschoben hatte, horchte und wartete ich wieder; ich konnte jetzt nicht anders, denn ich war unruhig und ärgerlich und fühlte keine Schläfrigkeit mehr. Nicht lange, so schlug es 11 vom Turme und auf meiner Uhr war es 10.30. Wieder stellte ich sie eine halbe Stunde vor und fing schon an die Geduld zu verlieren. Da schlug es noch einmal 11; als ich aber sah, daß die Waterbury-Uhr auf 11.30 zeigte, schleuderte ich sie gegen den Bettpfosten, daß sie in Stücke ging. Tags darauf, als ich hinter die Geschichte kam, tat mir das freilich leid.

Doch ich kehre zum Schiff zurück. – Der gewöhnliche Durchschnittsmensch ist ein boshaftes Geschöpf, und wenn er das nicht ist, hat er Freude an handgreiflichen Späßen. Für die Person, die ihm als Zielscheibe dient, kommt das auf eins heraus, sie wird jedenfalls zum Opferlamm.

Auf allen Schiffen wird das Abspülen des Deckes in sehr früher Stunde vorgenommen, aber nur selten trifft man dabei Maßregeln zum Schutz der Passagiere; es wird ihnen weder vorher angekündigt, noch schickt man einen Aufwärter hinunter, um die Kajütenfenster zu schließen. So haben denn die Matrosen beim Deckspülen freie Hand, was sie sich nach Kräften zu nutze machen. Platsch! schütten sie einen Eimer Wasser längs der Schiffseite hin, daß es durch die Kajütenfenster fließt und nicht nur die Kleider der Passagiere, sondern auch diese selbst durchnäßt. Auf unserm Schiff herrschte diese gute alte Sitte ebenfalls und zwar unter sehr günstigen Bedingungen, denn in den glühenden tropischen Regionen wird außen am Fenster ein abnehmbarer Zinkvorsetzer in Form einer Zuckerschaufel befestigt, um den Wind zu fangen, so daß Luft ins Innere dringt. Aber auch das Wasser sammelt sich dort und fließt hindurch – oft in ganzen Strömen. – Frau J., eine kranke Dame, mußte nach ärztlicher Verordnung auf dem Sofa schlafen, der unter ihrem Kajütenfenster stand. Jedesmal, daß sie nicht auf ihrer Hut war und zu lange schlief, überschwemmten sie die Deckspüler mit einem Wasserguß.

Und erst die Anstreicher – was hatten die für ein lustiges Leben! Zwar sollte das Schiff in Sydney einen Monat lang in dem Dock ausgebessert werden, aber trotzdem wurde es die ganze Fahrt über bald hier bald da neu angestrichen. Die Kleider der Damen litten fortwährend Schaden, doch weder Bitte noch Einspruch fand Gehör. Es kam nicht selten vor, daß eine Dame in der Nähe eines Ventilators oder irgend eines andern Dinges, das gar nicht angestrichen zu werden brauchte, ihr Mittagsschläfchen hielt und beim Erwachen entdeckte, daß ein Spaßvogel sich mit seinen Farbentöpfen über besagten Gegenstand hergemacht hatte, und ihr weißes Kleid von oben bis unten mit kleinen gelben Ölflecken bespritzt war.

Die Schiffsoffiziere sind nicht schuld an dieser Farbenkleckserei zu ungelegener Zeit, sondern der alte Brauch. Seit Noahs Tagen gilt das Gesetz, daß an einem Schiff während der Fahrt unausgesetzt herumgeputzt und angestrichen werden muß. Dies Gesetz ist zur Gewohnheit geworden, und auf der See haben Gewohnheit und Sitte ein ewiges Leben. Der alte Brauch wird nicht aufhören bis das Meer ausgetrocknet ist.

8. September, Sonntag. Wir segeln in fast gerader Linie nach Süden, sodaß wir täglich nicht mehr als zwei Längengrade kreuzen. Heute früh waren wir beim 178. Grad westlicher Länge von Greenwich; morgen kommen wir dicht an die Mitte der Erdkugel beim 180. Grad westlicher Länge und dem 180. Grad östlicher Länge.

Und dann müssen wir einen Tag aus unserm Leben streichen, der auf immer unwiederbringlich verloren ist. Wir werden alle einen Tag früher sterben, als es uns seit Anbeginn vom Geschick bestimmt war. Die ganze Ewigkeit hindurch bleiben wir um diesen einen Tag zurück. Wenn wir droben zu den Engeln sagen: »Heute ist schönes Wetter!« werden sie stets erwidern: »Es ist gar nicht heute, sondern morgen!« Wir kommen nie wieder aus der Verwirrung heraus; unsere Seelenruhe ist auf immer dahin!

Am nächsten Tage. Jetzt ist es wirklich zur Wahrheit geworden. Gestern war Sonntag, der 8. September – und heute steht auf dem Anschlagbrett am Eingang zur Kajütentreppe: Dienstag, 10. September. Man hat ein unbehagliches Gefühl dabei, als wäre Zauberei im Spiele. Es ist ja auch wirklich unbegreiflich, wenn man es recht bedenkt, und man kann sich keine Vorstellung davon machen. Als wir den 180. Meridian kreuzten, war es am Stern des Schiffes, wo die Meinigen sich aufhielten Sonntag, und am Bug, wo ich war, Dienstag. Sie verzehrten einen halben Apfel am 8. September, und ich aß gleichzeitig die andere Hälfte am 10. In den fünf Minuten, seit ich sie verlassen hatte, war ich um einen Tag älter geworden, sie dagegen nicht. Der Tag, den sie verlebten, erstreckte sich hinter ihnen um die halbe Erdkugel durch den Stillen Ozean, Amerika und Europa; der Tag, den ich verlebte, dehnte sich vor mir um die andere Hälfte der Erde aus, bis beide zusammentrafen. Tage von solchem Umfang waren uns noch niemals vorgekommen, alle früheren schrumpften im Vergleich dazu in ein Nichts zusammen. Auch der Temperaturunterschied der beiden Tage war bemerkenswert; der ihrige war heißer als meiner, wegen der größeren Nähe des Aequators.

Gerade zur Zeit, als wir den Großen Meridian kreuzten, wurde im Zwischendeck ein Kind geboren, und nun läßt sich auf keine Weise feststellen, welches sein Geburtstag ist. Wie Wärterin sagt Sonntag, der Arzt Dienstag. Das Kind selbst wird nie darüber ins klare kommen und immer zwischen den beiden Tagen schwanken. Dadurch müssen alle seine Ansichten über Religion, Politik, Liebe, Berufswahl und dergleichen in Unsicherheit geraten, seine Grundsätze werden erschüttert, seine Charakterentwicklung gehemmt, und dem armen Ding von vornherein jede Möglichkeit eines erfolgreichen Wirkens abgeschnitten.

Das sagten alle Leute an Bord. Aber, damit war das Unheil noch nicht einmal erschöpft. Ein ungeheuer reicher Bierbrauer auf dem Schiff hatte nämlich schon zehn Tage vorher gesagt, falls das Kind an seinem Geburtstag zur Welt käme, würde er ihm zehntausend Dollars zum Geschenk machen. Sein Geburtstag war aber Montag den 9. September.

Wenn alle Schiffe in derselben Richtung – nämlich nach Westen – führen, so würde der Welt eine ungeheure Menge wertvoller Zeit verloren gehen, weil Passagiere und Mannschaften eine solche Unzahl von Tagen auf dem Großen Meridian über Bord werfen. Aber glücklicherweise segelt die Hälfte der Schiffe nach Osten, und so entsteht kein wirklicher Verlust. Diese fischen nämlich die weggeworfenen Tage auf, um sie dem Zeitvorrat der Welt wieder hinzuzufügen und zwar fast unversehrt, denn durch das Salzwasser werden sie frisch erhalten und bleiben so gut wie neu.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Wie gut, daß es Narren in der Welt gibt, die den klugen Leuten zu ihrem Fortkommen helfen!

Querkopf Wilsons Kalender.

Im rechten Augenblick kommt auch der rechte Mann,« ist ein wahres Sprichwort. Man muß nur Geduld haben, sein Kommen abzuwarten. In Robinsons Fall dauerte das ein Vierteljahrhundert, aber als der Augenblick da war, legte der ›Versöhner‹ seine Maurerkelle hin und schritt zur Tat. Mir fällt dabei eine Geschichte ein, die mir ein Kentuckier einmal im Eisenbahnzug erzählt hat; ich will sie hier wiedergeben, so gut ich sie noch in der Erinnerung habe:

Schon einige Jahre vor Ausbruch des Bürgerkrieges erkannten einsichtige Leute an deutlichen Zeichen, daß die Stadt Memphis in Tennessee bald ein großer Stapelplatz für den Tabakhandel werden würde. Memphis hatte ein Werftboot zum Löschen der Güter, an welches die einlaufenden Dampfer anlegten. Aller Warenverkehr zwischen den Schiffen und dem Ufer ging über das breite Deck des Werftbootes hinüber und herüber. Zur Aufsicht war dabei eine Anzahl junger Beamter angestellt, die natürlich während einiger Stunden sehr viel zu tun hatten, aber den Rest des Tages müßig gingen und sich sterblich langweilten. In ihrem Jugendübermut griffen sie mit Wonne nach dem ersten besten Zeitvertreib und fanden ihr Hauptvergnügen darin, einander irgend welchen Schabernack zu spielen. Zur Zielscheibe solcher Späße wählten sie meist ihren Kameraden Eduard Jackson, der selbst nie jemand etwas zu leide tat und sich leicht anführen ließ, weil er alles aufs Wort glaubte.

Eines Tages teilte er den Gefährten seinen Plan für die Ferien mit. Er wollte in diesem Jahre weder auf die Jagd noch auf den Fischfang gehen, sondern mit dem Sümmchen, das er von seinen vierzig Dollars Monatsgehalt erspart hatte, eine Reise nach New York machen.

Das war ein großartiges Unternehmen; etwa so merkwürdig wie heutzutage eine Reise um die Welt. Zuerst glaubten die jungen Leute, Ed sei ein wenig übergeschnappt; als sie aber sahen, daß es sein Ernst war, kamen sie sofort überein, daß man die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen dürfe, ohne ihm einen Streich zu spielen. Es fand eine geheime Beratung statt und bald war der Plan fertig. Man beschloß, daß einer der Verschwörer einen Empfehlungsbrief für Ed an Kommodore Vanderbilt, den berühmten New Yorker Millionär, verfassen solle. Das ließ sich ohne Schwierigkeit ausführen, auch konnte man Ed leicht überreden den Brief abzugeben. Aber, was er bei seiner Rückkehr nach Memphis tun würde, war eine ernstere Frage. Bisher hatte er zwar in seiner Gutherzigkeit alle Späße geduldig ertragen, diese waren jedoch harmlos gewesen und nicht dazu angetan ihn öffentlich zu beschämen. Das grausame Spiel aber, welches die Kameraden jetzt vorhatten, konnte ihnen gefährlich werden. Er war ein Südländer und er würde sicherlich die Verschwörer vor Wut umbringen wollen, sobald sie ihm in die Hände fielen! Den Plan aufzugeben war aber unmöglich. Der herrliche Spaß mußte ausgeführt werden, mochte daraus werden was wollte.

So wurde denn der Empfehlungsbrief mit aller Sorgfalt und Ausführlichkeit in durchaus freundschaftlichem Tone entworfen und ›Alfred Fairchild‹ unterschrieben. Der Ueberbringer – hieß es darin – sei der beste Freund vom Sohne des Briefstellers, ein wackerer junger Mann und trefflicher Charakter, den der Kommodore mit Wohlwollen aufnehmen möge. »Vielleicht,« – so fuhr der Schreiber fort – »hast du mich, deinen alten Schulkameraden, in den langen Jahren ganz vergessen, doch wird mein Andenken sofort wieder bei dir lebendig werden, wenn ich dich daran erinnere, wie wir an jenem Abend den Obstgarten des alten Stevenson zusammen geplündert haben. Weißt du noch, wie er auf der Straße hinter uns dreinlief und wir querfeldein rannten, durch das Hintergäßchen zurückkamen und uns bei seiner eigenen Köchin die gestohlenen Aepfel für einen Hut voll Dampfnudeln eintauschten? Und dann damals, als wir – –« So ging es in dem Briefe immer weiter; alle möglichen erfundenen Namen früherer Schulgefährten und ihre gemeinsamen lustigen Streiche und Abenteuer wurden auf die anschaulichste und geschickteste Weise hineingeflochten.

Als nun der junge Fairchild seinen Kameraden mit großer Ernsthaftigkeit fragte, ob er einen Brief an Kommodore Vanderbilt zu haben wünsche, war Eduard Jackson sehr erstaunt, wie sich nicht anders erwarten ließ.

»Was,« rief er, »du kennst den großen Vanderbilt?!«

»Ich nicht, aber mein Vater. Sie waren zusammen auf der Schule. Wenn du willst, könnte ich meinen Vater schon bitten, dir einen Empfehlungsbrief zu schreiben. Ich weiß, er tut es mir zuliebe; in drei Tagen hast du ihn in Händen.«

Ed fand kaum Worte um seine Freude und Erkenntlichkeit auszudrücken. Als die drei Tage um waren, erhielt er das Empfehlungsschreiben und reiste ab, nachdem er noch allen ein herzliches Lebewohl gesagt und Fairchild dankbar die Hand gedrückt hatte. Als er fort war, wollten sich die Kameraden im Jubel über den gelungenen Spaß zuerst vor Lachen ausschütten, dann aber stiegen allerlei Zweifel in ihnen auf, ob die Täuschung nicht schlimme Folgen haben könne, und sie gerieten in eine recht kleinlaute Stimmung.

Bald nach seiner Ankunft in New York begab sich der junge Jackson nach dem Geschäftshaus von Kommodore Vanderbilt und ward in ein großes Vorzimmer geführt, wo ein paar Dutzend Leute geduldig harrten, bis die Reihe an sie käme, auf zwei Minuten bei dem Millionär vorgelassen zu werden. Ein Diener verlangte Jacksons Visitenkarte und erhielt statt dessen den Brief.

Gleich darauf ward Ed in das Privatbureau geführt. Herr Vanderbilt war allein und hielt den offenen Brief in der Hand.

»Bitte, nehmen Sie Platz, Herr – hm –«

»Jackson.«

»Richtig – also, bitte Herr Jackson, setzen Sie sich. Nach der Einleitung zu urteilen kommt dieser Brief von einem Jugendfreunde. Sie entschuldigen wohl – ich will nur rasch sehen, was er enthält. Da steht, wir hätten – ja aber, wer schreibt denn das?« Er wandte das Blatt und sah nach der Unterschrift. »Alfred Fairchild – hm – Fairchild – der Name ist mir nicht erinnerlich. Kein Wunder – wie viele tausend Namen habe ich mit der Zeit vergessen. Und er weiß das alles noch – hm – hm – aber das ist wirklich gut – ein köstlicher Spaß! Ganz deutlich erinnere ich mich nicht daran – nur eine leise Ahnung habe ich noch, aber es wird mir wohl alles wieder einfallen. Ja wahrhaftig, mir ist als sähe ich es vor mir – nur undeutlich – aber doch – es ist ja auch schon so lange her – auf einige von den Namen besinne ich mich nicht genau – aber es wird mir ganz warm ums Herz dabei, als hätte ich meine verlorene Jugend wieder! – Doch zu Gefühlen ist jetzt keine Zeit, das Alltagsleben verlangt sein Recht – das Geschäft eilt und die Leute draußen warten – ich will mir den Schluß für heute nacht versparen, wenn ich zu Bett gehe – und von meinen Jugendtagen träumen. – Wenn Sie Fairchild wiedersehen – habe ich ihn nicht damals Alf genannt? – so danken Sie ihm herzlich in meinem Namen und sagen Sie ihm, daß sein Brief mich mitten in meiner Arbeitslast ordentlich erfrischt und verjüngt hat. Er soll mich stets bereit finden, für ihn oder einen seiner Freunde alles zu tun, was in meinen Kräften steht. Sie aber, lieber Jackson, sind mein Gast. Bleiben Sie nur noch ein Weilchen hier sitzen, bis ich die Leute, die mich sprechen wollen, abgefertigt habe, dann gehen wir zusammen nach Hause. Verlassen Sie sich auf mich, mein Sohn, ich werde schon für Sie sorgen.«

Ed blieb eine Woche da und war glückselig. Er hatte keine Ahnung davon, daß Vanderbilts scharfes Auge ihn täglich beobachtete, um seine Gaben und Kräfte genau zu prüfen. In seinem Hochgenuß schrieb er gar nicht nach Hause, sondern sparte alles auf, um es den Gefährten bei der Heimkehr brühwarm zu erzählen.

Zweimal erinnerte er in größter Bescheidenheit daran, daß sein Besuch wohl jetzt lange genug gewährt habe; doch der Kommodore erwiderte nur: »Nein, gehen Sie noch nicht – ich will Ihnen schon sagen, wann es Zeit ist.«

Damals war Vanderbilt gerade mit seinen gewaltigsten Kombinationen beschäftigt, welche darauf ausgingen, die verschiedenen kleinen, zerstreuten Eisenbahnen in ein einheitliches System zu bringen und dem ungewiß schwankenden Handel und Verkehr einen festen Mittelpunkt zu geben. Unter anderm hatte sein weitschauender Blick auch die bereits erwähnten, wunderbar günstigen Konjunkturen für die Entwicklung eines großartigen Tabakhandels in Memphis erspäht, die er für seine Zwecke auszubeuten gedachte.

Als eine Woche um war, rief der Kommodore den jungen Jackson zu sich. »Sie können nun abreisen,« sagte er. »Aber zuvor möchte ich noch einmal mit Ihnen von geschäftlichen Dingen reden: In betreff jener Tabakangelegenheit sind Sie vollkommen unterrichtet; Sie wissen, daß ich das Geschäft machen will, weil ich es für vorteilhaft halte; auch in meine darauf bezüglichen Pläne habe ich Sie eingeweiht. Ihren Charakter und Ihre Fähigkeiten kenne ich jetzt so genau wie Sie sich selber kennen – vielleicht besser. Ich brauche einen zuverlässigen Mann, der imstande ist, die Verwaltung einer so wichtigen Sache zu übernehmen und mich in Memphis zu vertreten. Diese Stelle habe ich für Sie bestimmt.« »Für mich!«

»Ja. Sie werden natürlich als mein Vertreter ein hohes Gehalt beziehen, das sich mit der Zeit steigern kann. Auch müssen Sie eine Anzahl Gehilfen haben; gehen Sie bei der Wahl sorgfältig zu Werke, stellen Sie nur brauchbare Leute an; wenn Sie tüchtige Freunde haben, geben Sie diesen den Vorzug. Nun leben Sie wohl, mein Sohn, und danken Sie Alf, daß er Sie mir geschickt hat.«

Sobald Ed in Memphis angekommen war, eilte er nach der Werft, denn er brannte vor Verlangen, den Gefährten die große Nachricht zu verkünden und ihnen nochmals für den Brief an Herrn Vanderbilt zu danken. Es war Mittagszeit, die Sonne glühend heiß und die Werft wie ausgestorben. Als Ed sich jedoch zwischen den Warenballen durchdrängte, sah er unter einem Schattendach eine Gestalt in weißem Leinwandanzug auf den Kornsäcken ausgestreckt im Schlummer liegen.

»Das ist ja Charley Fairchild,« rief er erfreut, trat hinzu und legte die Rechte zärtlich auf des Schläfers Schulter. Dieser rieb sich die Augen, blickte auf, ward totenblaß, glitt von den Säcken herunter und lief davon wie der Wind.

Ed sah ihm verwundert nach. Hatte Fairchild plötzlich den Verstand verloren? Was bedeutete diese schnelle Flucht? Langsam und nachdenklich schritt er nach dem Werftboot hin; als er an einem Haufen Frachtgüter vorbeikam, sah er zwei der Kameraden in heiterm Gespräch beisammen stehen. Kaum hatten sie ihn erkannt, so verstummte ihr Lachen, sie stoben auseinander und sprangen wie gehetzt über Ballen und Fässer davon. Ed wußte nicht, ob er wache oder träume und fand keine Erklärung für dies wunderliche Benehmen. Auf dem Werftboot angekommen, lehnte er sich gedankenvoll an das Geländer. Da stürzte plötzlich eine weiße Gestalt an ihm vorbei und sprang über Bord; prustend und keuchend tauchte sie wieder auf und eine Stimme rief:

»Geh‘ fort! Tu mir nichts! Ich bin’s nicht gewesen. Wahrhaftig, ich hab’s nicht getan!«

»Was soll denn das heißen? So komm doch herauf! Warum lauft ihr alle vor mir davon, ich habe doch nichts verbrochen!«

»Ja, bist du denn gar nicht böse auf uns?«

»Bewahre – weshalb? Ich denke nicht daran.«

»Der Tausend,« brummte der junge Mann im Wasser, »der Mensch hat Lunte gerochen und den Brief gar nicht abgegeben! Na, meinetwegen, ich werde mich hüten die Geschichte zur Sprache zu bringen.« Mit triefenden Kleidern kam er wieder an Bord gestiegen und schüttelte Ed die Hand. Nun schlichen auch die übrigen Verschwörer – bis an die Zähne bewaffnet – einer nach dem andern herbei. Als sie die friedliche Lage der Dinge erkannten, feierten sie gleichfalls ein Wiedersehen.

Auf alle Fragen Eds, was ihr sonderbares Benehmen ihm gegenüber zu bedeuten habe, antworteten sie ausweichend, es sei nur ein Spaß gewesen, und jeder dachte bei sich: »Er hat den Brief nicht abgegeben, und diesmal sind wir die Angeführten. Aber zum Glück weiß er es nicht, und keiner von uns wird dumm genug sein, es ihm zu sagen.«

Nun sollte aber Ed von der Reise erzählen. Er ließ ein paar Flaschen Wein auf Deck bringen und als sie alle gemütlich beisammen saßen und die Zigarren brannten, begann er seinen Bericht:

»Als ich Herrn Vanderbilt den Brief übergab–«

»Donnerwetter!«

»Was ist denn los – was erschreckt ihr mich so?«

»Ach nichts – es fuhr uns nur eben heraus.«

»Nun, wie gesagt, als ich den Brief übergab –«

»Hast du ihn wirklich abgegeben?«

Sie sahen einander ganz verblüfft an und hörten dann Eds Mitteilungen mit offenem Munde zu. Die wunderbare Geschichte benahm ihnen schier den Atem, sie waren stumm vor Staunen und zwei Stunden lang saßen sie wie versteinert da, ohne einen Laut von sich zu geben. Endlich war Ed Jackson bis zum Schluß seines Romans gekommen.

»Und euch, Jungens,« sagte er, »verdanke ich das alles; dafür will ich mich auch erkenntlich zeigen. Welcher Mensch hat wohl je so gute Freunde gehabt! Jeder von euch bekommt eine Stelle, denn ihr seid tüchtige Kerls, wenn ihr auch dann und wann einen schlechten Spaß macht. Dich aber, Charley Fairchild, ernenne ich zu meinem ersten Gehilfen, weil ich weiß, was du für ein kluger Geschäftsmann bist und weil du mir den Brief verschafft hast. Auch möchte ich damit deinem Vater eine Freude machen, der den Brief geschrieben hat und Herrn Vanderbilt, an den er gerichtet war. Und nun stoßt alle mit mir an, auf das Wohl des großen Mannes! Hoch soll er leben, dreimal hoch!«

Die Tabakspekulation hatte einen glänzenden Erfolg und so war auch hier der rechte Mann zur rechten Zeit erschienen, trotzdem er erst hatte von weither kommen müssen und nur mit Hilfe eines Schabernacks entdeckt worden war.