34.

Noch vor dem Schluß der Badesaison kehrte der Fürst Schtscherbazkiy von seiner Reise von Karlsbad nach Baden und Kissingen zu russischen Bekannten, bei denen er, wie er sagte »russische Luft schnappen« wollte, wieder zurück zu den Seinigen.

Die Anschauungen des Fürsten und der Fürstin über das Leben im Auslande waren vollständig entgegengesetzte.

Die Fürstin fand alles schön und bemühte sich, trotz ihrer unanfechtbaren Stellung in der russischen Gesellschaft, im Auslande die europäische Dame nachzuahmen – was sie nicht war als russische Standesperson. – Sie verstellte sich infolge dessen und das nahm sich bisweilen ungeschickt aus.

Der Fürst hingegen fand im Ausland alles schlecht, beschwerte sich über die europäische Lebensweise, hielt an seinen russischen Gewohnheiten fest und bestrebte sich absichtlich, im Auslande weniger als der Europäer zu erscheinen, der er wirklich war.

Der Fürst kam magerer geworden und mit Hängefalten in den Backen, aber in heiterster Laune zurück. Seine heitere Stimmung erhöhte sich noch, als er Kity vollständig genesen wiedersah.

Die Mitteilung über das Freundschaftsverhältnis Kitys mit Madame Stahl und Warenka, sowie die ihm von der Fürstin mitgeteilten Beobachtungen der Veränderung, die mit Kity vorgegangen war, verstimmten den Fürsten und erweckten in ihm das gewöhnliche Gefühl von Eifersucht gegen alles, was außer ihm seine Tochter an sich zog, die Befürchtung, die Tochter könnte sich seinem Einfluß entziehen und in Machtsphären geraten, die ihm unzugänglich waren.

Aber diese unangenehmen Nachrichten wurden in das Übermaß an Gutmütigkeit und Frohsinn versenkt, das stets in ihm vorhanden war und durch die Karlsbader Kur eine besondere Verstärkung erfahren hatte.

Am Tage nach seiner Ankunft begab sich der Fürst in seinem langen Paletot, mit seinen echt russisch, runzligen und gedunsenen Wangen, dem gesteiften Kragen und in heiterster Stimmung mit seiner Tochter nach dem Brunnen.

Der Morgen war schön; die sauberen freundlichen Häuser mit den kleinen Gärtchen, der Anblick der deutschen Mägde mit den blühenden Gesichtern, und roten Händen die lustig hantierten und der helle Sonnenschein ergötzte das Herz.

Je näher sie indessen zu dem Brunnen kamen, um so häufiger trafen sie auf Kranke und ihr Anblick war um so trauriger angesichts des Vorhandenseins der gewöhnlichen Bedingungen für ein gemütliches Leben nach deutschen Begriffen. Kity aber setzte dieser Widerspruch nicht mehr in Erstaunen.

Die glänzende Sonne, das heitere schimmernde Grün, die Klänge der Musik, bildeten für sie nur den natürlichen Rahmen aller dieser ihr bekannten Gesichter, dieses Wechsels zur Verschlechterung oder zur Besserung, die sie beobachtete, dem Fürsten jedoch erschien das Licht und der Glanz des Junimorgens, die Klänge des Orchesters, welches einen lustigen modernen Walzer spielte, und namentlich der Anblick der gesundheitstrotzenden Mädchen, fast unpassend und ungeheuerlich, im Bunde mit diesen von allen Enden Europas hier zusammengekommenen Todkranken, die niedergeschlagen einhergingen.

Trotz eines Gefühles von Stolz, gleichsam wiedererwachter Jugendlichkeit, welches er empfand, als die Lieblingstochter mit ihm Arm in Arm dahinschritt, wurde ihm jetzt sein festes Auftreten mit seinen vollen wohlbeleibten Gliedern gleichwohl förmlich peinlich. Er hatte fast das Gefühl eines Menschen, der unbekleidet in einer Gesellschaft erscheint.

»Stelle mich doch deinen neuen Freunden vor,« sagte er zu seiner Tochter, mit dem Ellbogen ihren Arm drückend; »ich liebe dein häßliches Soden nur um deswillen, weil es dich so hübsch gesund gemacht hat; es ist traurig, traurig hier bei Euch. Wer ist denn das dort?«

Kity nannte ihm die und jene bekannte oder unbekannte Person, die ihnen begegnete. Gerade am Eingang zum Kurpark begegnete sie der blinden Madame Berthe mit ihrer Führerin und der Fürst freute sich über den milden Ausdruck im Gesicht der alten Französin, als diese die Stimme Kitys vernahm.

Mit der ganzen Höflichkeit der Franzosen sprach sie den Fürsten sogleich an, lobte denselben, daß er eine so reizende Tochter besitze, und hob Kity fast in den Himmel, indem sie dieselbe einen Schatz, eine Perle und einen Engel des Trostes nannte.

»Also sie ist ein zweiter Engel,« lächelte der Fürst, »denn sie nannte schon als Engel Nummer eins Mademoiselle Warenka!«

»O! Mademoiselle Warenka ist allerdings der reine Engel, allez!« versetzte Madame Berthe.

In der Veranda begegneten sie Warenka selbst. Dieselbe schritt den beiden eiligst entgegen, eine kleine elegante rote Tasche in der Hand tragend.

»Papa hier ist angekommen!« begrüßte Kity sie.

Warenka machte, einfach und natürlich wie alles war was sie that, eine Bewegung, die zwischen Verbeugung und Gruß die Mitte hielt, und wandte sich dann sofort im Gespräch an den Fürsten, unbefangen und natürlich, wie sie mit jedermann sprach.

»Gewiß kenne ich Euch, sehr wohl« – sagte der Fürst zu ihr mit einem Lächeln, in welchem Kity mit Freude erkannte, daß ihre Freundin dem Vater gefiel. »Wohin eilt Ihr denn so schnell?«

» Maman ist hier,« sagte sie, sich an Kity wendend, »sie hat die ganze Nacht nicht schlafen können und der Doktor hat ihr eine Ausfahrt angeraten. Ich bringe ihr eine Arbeit.«

»Das ist also Engel Numero eins,« sagte der Fürst, nachdem Warenka gegangen war.

Kity sah, daß er Lust hatte sich über Warenka lustig zu machen, dies aber nicht über sich gewann, weil sie ihm gefallen hatte.

»Nun so werden wir wohl noch alle deine Freunde sehen; auch Madame Stahl, wenn sie geruht, mich zu erkennen,« fügte er dann hinzu.

»Hast du sie denn schon gekannt, Papa?« frug Kity mit einem Schreck, indem sie bemerkte, wie in den Augen des Fürsten der Funke des Spottes bei der Erinnerung der Madame Stahl aufleuchtete.

»Ihren Mann habe ich gekannt, und auch sie ein wenig, schon bevor sie unter die Pietisten gegangen ist.«

»Was ist das, Papa, eine Pietistin?« frug Kity, schon erschreckt davon, daß das, was sie so hoch an Madame Stahl schätzte, einen Namen hatte.

»Ich weiß es selbst nicht recht, und weiß nur, daß sie für alles Gott dankt, für jedes Unglück – auch dafür, daß ihr Mann gestorben ist. Die Sache ist natürlich lächerlich, da beide in Unfrieden miteinander gelebt haben. – Aber wer ist denn das, jene mitleiderregende Person dort?« frug der Fürst, welcher einen Kranken von kleiner Figur auf einer Bank sitzen sah, in einem zimmetfarbenen Überzieher und weißen Beinkleidern, welche seltsame Falten um die fleischlosen Knochen der Beine warfen. Der Herr hatte seinen Strohhut über dem spärlichen lockigen Haarwuchs gelüftet, und die hohe krankhaft von dem Hute rotgefärbte Stirn entblößt.

»Das ist Petroff, ein Maler,« antwortete Kity errötend. »Und das ist seine Gattin,« fügte sie dann hinzu, auf Anna Pawlowna zeigend, welche gleichsam mit Absicht gerade, als sie herankamen, hinter dem Kinde hereilte, welches auf dem Wege davonlief.

»Wie traurig und wie gut sieht dieses Gesicht aus,« sagte der Fürst. »Weshalb bist du denn nicht zu ihm getreten? Er wollte dir doch etwas sagen?«

»Gehen wir hin!« antwortete Kity, sich entschlossen nach ihm umwendend.

»Wie steht es mit Eurer Gesundheit heute?« frug sie Petroff.

Dieser erhob sich, auf seinen Stock gestützt und blickte schüchtern auf den Fürsten.

»Meine Tochter,« nahm dieser das Wort, »Ihr seid mir bereits bekannt.«

Der Maler verbeugte sich und lächelte, ein selten weißes Gebiß dabei zeigend.

»Wir hatten Euch gestern erwartet, Fürstin,« sagte er zu Kity.

»Er wankte, als er dies sagte, und bemühte sich, indem er diese Bewegung wiederholte, zu zeigen, daß er dies mit Absicht gethan hatte.

»Ich wollte kommen, aber Warenka sagte mir, Anna Pawlowna habe geschickt mit der Nachricht, Ihr würdet nicht ausfahren.«

»Weshalb sollte ich nicht ausfahren?« antwortete Petroff errötend und sogleich zu husten beginnend, während er mit den Augen sein Weib suchte. »Annetta, Annetta!« sprach er laut; auf seinem weißen Hals, der dünn wie ein Strick war, erschienen starke Adern. Anna Pawlowna kam herbei. »Wie konntest du der jungen Fürstin sagen lassen, wir würden nicht ausfahren?« raunte er zornig, da er die Stimme verloren hatte.

»Guten Tag, Fürstin,« grüßte diese mit einem gekünstelten Lächeln, das ihrem früheren Verkehr unähnlich war. »Es freut mich sehr, Eure Bekanntschaft zu machen,« wandte sie sich an den Fürsten, »man hat Euch lange erwartet, Fürst!«

»Wie konntest du der Fürstin sagen lassen, daß wir nicht ausfahren?« raunte nochmals der Maler heiser, noch heftiger, und sich augenscheinlich besonders darüber erregend, daß ihm die Stimme versagte, und er seiner Rede nicht denjenigen Ausdruck zu geben vermochte, den er ihr zu geben wünschte.

»Mein Gott! Ich dachte, wir würden nicht ausfahren,« versetzte die Frau mürrisch.

»Gewiß, wenn« – er hustete und winkte mit der Hand.

Der Fürst lüftete den Hut und ging mit seiner Tochter fort.

»O, o,« seufzte er tief auf, »o diese Unglücklichen!«

»Ja, Papa,« erwiderte Kity. »Und dabei, mußt du wissen, haben sie drei Kinder, keinen Dienstboten und fast gar keine Unterhaltsmittel. Er empfängt bloß etwas von der Akademie,« erzählte sie lebhaft und sich bemühend, die Erregung zu unterdrücken, die in ihr infolge der seltsamen Veränderung im Verhalten Anna Pawlownas gegen sie aufgestiegen war. »Und dort ist auch Madame Stahl,« fuhr sie fort, auf einen Fahrstuhl zeigend, in welchem, von Kissen umgeben ein Etwas in Grau und Blau unter einem Sonnenschirm lag.

Das war Madame Stahl. Hinter ihr stand ein griesgrämiger stämmiger deutscher Arbeiter, der sie rollte; daneben stand ein blonder schwedischer Graf, den Kity dem Namen nach kannte. Einige Kranke blieben um den Wagen herum stehen und schauten nach der Dame, als sei diese ein außergewöhnliches Wesen.

Der Fürst trat zu ihr hin und sogleich bemerkte Kity in seinen Augen, den Funken des Spottes, der sie in Verwirrung setzte. Er trat zu Madame Stahl und begann mit ihr in jenem vorzüglichen Französisch, welches jetzt nur noch Wenige sprechen, außerordentlich höflich und liebenswürdig ein Gespräch.

»Ich weiß nicht, ob Ihr Euch meiner noch entsinnt. Ich selbst muß dies aber schon thun, um Euch für Eure Güte meiner Tochter gegenüber, danken zu können,« sagte er zu ihr, seinen Hut abnehmend und ohne sich wieder zu bedecken.

»Fürst Alexander Schtscherbazkiy,« sagte Madame Stahl, ihre himmelnden Augen zu ihm erhebend, in denen indessen Kity ein Mißvergnügen bemerkte. »Sehr erfreut. Ich habe Eure Tochter so lieb gewonnen.«

»Eure Gesundheit ist noch immer nicht gebessert?«

»Ich bin völlig daran gewöhnt,« versetzte Madame Stahl und machte den Fürsten mit dem schwedischen Grafen bekannt.

»Ihr habt Euch indessen nur sehr wenig verändert,« fuhr der Fürst fort. »Ich habe wohl seit zehn oder elf Jahren nicht die Ehre gehabt, Euch zu sehen.«

»Ja; Gott schickt uns ein Kreuz und verleiht auch die Kraft es zu tragen. Man staunt oft darüber, in was man sich in diesem Leben schicken kann. – Von der andern Seite!« – wandte sie sich plötzlich launisch zu Warenka, die ihr das Plaid nicht gut genug um die Füße gewickelt hatte.

»Wohl, damit man Gutes thue,« sagte der Fürst und seine Augen lachten.

»Darüber dürfen wir nicht richten,« antwortete Madame Stahl, den Schimmer eines gewissen Ausdrucks auf dem Gesicht des Fürsten bemerkend. »Ihr werdet mir also jenes Buch senden, liebster Graf?« wandte sie sich an den jungen Schweden.

»Ah,« rief der Fürst, den Moskauer Obersten erblickend, welcher in der Nähe stand, verabschiedete sich von Madame Stahl, und schritt mit seiner Tochter und dem Moskauischen Obersten, der sich an ihn angeschlossen hatte, von dannen.

»Das ist unsere Aristokratie, Fürst!« sagte der Moskauische Oberst, im Wunsche, ironisch zu sein. Er hatte ein Vorurteil gegen Madame Stahl, weil diese nicht mit ihm bekannt war.

»Immer dieselbe,« versetzte der Fürst.

»Ihr habt sie aber doch schon vor ihrer Erkrankung gekannt, Fürst, das heißt, bevor sie sich gelegt hat?«

»Ja wohl. Sie wurde zu meiner Zeit krank.«

»Man sagt, sie wäre seit zehn Jahren nicht ein einziges Mal aufgestanden.«

»Sie steht nicht auf, weil sie kurzbeinig ist; sie ist sehr schlecht gebaut.«

»Papa, unmöglich!« rief Kity.

»Die bösen Zungen reden so, Herzchen. Aber deine Warenka wird’s schon wissen. O, über diese leidenden Damen!«

»Nein, Papa!« entgegnete Kity eifrig, »Warenka vergöttert sie, und dann thut sie doch soviel Gutes! Frage, wen du willst! Sie und Aline Stahl kennt jedermann!«

»Mag sein,« antwortete er, wiederum mit dem Ellbogen ihren Arm drückend, »aber am besten ist es, freilich, wenn niemand etwas weiß, soviel man auch fragt.«

Kity verstummte, nicht, weil sie nichts mehr hätte erwidern können, sondern, weil sie dem Vater ihre geheimsten Gedanken nicht entdecken wollte.

Seltsam aber war es dennoch, daß sie, obwohl sie entschlossen war, sich der Ansicht des Vaters nicht unterzuordnen, und ihm keinen Einblick in ihr Allerheiligstes zu gewähren, doch empfand, wie das Heiligenbild der Madame Stahl das sie einen ganzen Monat hindurch in der Seele getragen hatte, unwiederbringlich verschwunden war; gleichwie eine Figur, die aus einer übergeworfenen Robe gebildet wird, verschwindet, sobald das weggenommen wird, worauf die Robe ruhte.

Es blieb nur noch das kurzbeinige Weib, welches deshalb lag, weil es eine schlechte Figur besaß und die sanfte Warenka unausgesetzt quälte, weil diese ihr das Plaid nicht in der gewünschten Weise umwarf. Durch keinerlei Anstrengungen ihrer Einbildungskraft wollte es ihr mehr gelingen, sich die frühere Madame Stahl wieder zurückzurufen.

26.

Die äußeren, Beziehungen Aleksey Aleksandrowitschs zu seiner Gattin blieben die nämlichen wie früher. Der einzige Unterschied bestand nur darin, daß er jetzt noch mehr beschäftigt war, als vorher.

Wie in früheren Jahren, so fuhr er mit Beginn des Frühlings in das Bad nach dem Ausland, um seine durch die aufreibende Winterarbeit alljährlich angegriffene Gesundheit wieder zu kräftigen; wie gewöhnlich, kehrte er im Juli zurück und widmete sich dann sogleich wieder mit erhöhter Energie der gewohnten Thätigkeit. Wie immer, ging alsdann sein Weib auf den Landsitz während er in Petersburg blieb.

Seit der Zeit jenes Gespräches nach der Soiree bei der Fürstin Twerskaja, hatte er nie wieder mit Anna über seinen Argwohn und seine Eifersucht gesprochen und jener ihm eigene Ton des Nachahmens anderer konnte nicht passender für seine jetzigen Beziehungen zu seiner Frau sein.

Er war jetzt etwas kühler ihr gegenüber geworden; aber er schien auch gleichsam noch ein leises Mißvergnügen über jenes erste nächtliche Gespräch zu empfinden, welchem sie auszuweichen gesucht hatte. In seinen Beziehungen zu ihr ruhte ein Schatten von Verdruß, aber nichts weiter.

»Du wolltest dich mit mir nicht aussprechen, schien er zu sagen, sich in Gedanken zu ihr wendend, »um so schlimmer für dich. Du wirst mich nun bitten, aber jetzt werde ich nicht bereit sein zu einer Aussprache,« sagte er in Gedanken zu sich; wie ein Mensch, der es vergeblich versucht hat, eine Feuersbrunst zu dämpfen und nun, erzürnt über seine vergeblichen Anstrengungen, sagt, »möge es nun über dich kommen, mögest du nun verbrennen dafür!« –

Er, dieser verständige, in Amtsgeschäften so feinfühlige Mann, begriff noch nicht die ganze Unmöglichkeit eines solchen Verhältnisses zu seinem Weibe. Er begriff es nicht, weil es ihm allzu furchtbar erschien, seine Lage wie sie wirklich war, erkennen zu sollen, und verbarg und verschloß und versiegelte daher auf dem Grund seiner Seele jenes Behältnis, in welchem seine Empfindungen zur Familie, zu Weib und Kind, ruhten.

Er, ein aufmerksamer Vater, war seit dem Ende dieses Winters auffallend kühl gegen sein Kind geworden, er beobachtete ihm gegenüber die nämliche ironisierende Haltung, wie er sie seinem Weibe gegenüber beobachtete. »Nun, junger Mann!« wandte er sich an ihn.

Aleksey Aleksandrowitsch dachte und sprach es auch aus, daß er in keinem Jahre so viele Geschäfte gehabt habe, als in dem laufenden, aber er gestand nicht zu, daß er sich selbst in diesem Jahre die Geschäfte auferlegt hatte, und daß dies nur eines der Mittel sein sollte, durch welche er die Öffnung jenes Behältnisses vermeiden wollte, in welchem die Empfindungen für sein Weib und seine Familie ruhten, sowie seine Gedanken über beides, die um so furchtbarer wurden, je länger sie in demselben schlummerten.

Hätte jemand das Recht gehabt, Aleksey Aleksandrowitsch zu befragen, was er über diese Führung seines Weibes denke, so würde dieser sanfte, friedsame Mensch nicht geantwortet haben, und nur über denjenigen sehr in Zorn geraten sein, der ihn darnach gefragt.

Infolge dessen lag auch im Gesichtsausdruck Aleksey Aleksandrowitschs etwas Stolzes und Herbes, wenn man ihn nach dem Befinden seines Weibes frug. Aleksey Aleksandrowitsch wollte nicht über das Befinden seines Weibes oder die Gefühle desselben nachdenken und tatsächlich dachte er auch gar nicht daran.

Die Villa Aleksey Aleksandrowitschs war in Peterhof, und gewöhnlich hielt sich auch die Gräfin Lydia Iwanowna den Sommer hindurch dort auf, in der Nachbarschaft und in stehenden Beziehungen zu Anna.

Im laufenden Jahre hatte nun die Gräfin Lydia Iwanowna darauf verzichtet, ihren Aufenhalt in Peterhof zu nehmen, und sich nicht ein einziges Mal bei Anna eingefunden, vielmehr Aleksey Aleksandrowitsch auf das Unpassende in der Annäherung Annas an Bezzy und Wronskiy aufmerksam gemacht.

Aleksey Aleksandrowitsch hatte sie daraufhin ernst verwiesen, dem Gedanken Ausdruck verleihend, daß seine Frau über jeden Verdacht erhaben sei, und seitdem die Gräfin Lydia Iwanowna zu meiden begonnen.

Er wollte nicht sehen, und sah auch nicht, daß in der hohen Gesellschaft viele schon sein Weib von der Seite ansahen; er wollte nicht begreifen und begriff auch nicht, weshalb sein Weib, gerade darauf bestand, nach Zarskoje überzusiedeln, wo Bezzy wohnte, und von wo es nicht weit bis zum Lager des Regiments in welchem Wronskiy diente, war. Er gestattete sich nicht, hierüber Betrachtungen anzustellen und er stellte auch keine an.

Und nichtsdestoweniger wußte er doch auf dem Grunde seiner Seele, ohne sich dies je selbst zuzugestehen, ohne sogar auch nur den geringsten Beweis, oder den geringsten Verdachtgrund dafür zu haben, unzweifelhaft sicher, daß er ein betrogener Gatte war, und er war infolge dessen tief unglücklich.

Wie oft hatte er sich während der Zeit seiner achtjährigen glücklichen Ehe mit seinem Weibe im Hinblick auf andere ungetreue Frauen und betrogene Ehemänner gefragt, wie man dies dulden könne, weshalb man ein solches Mißverhältnis nicht auflöse. Jetzt aber, da das Unglück auf sein eigenes Haupt herniedergebrochen war, dachte er nicht nur nicht überhaupt daran, wie er dieses Verhältnis lösen solle, sondern er wollte dieses überhaupt gar nicht kennen, und zwar deshalb nicht, weil es zu furchtbar, zu unnatürlich war.

Seit der Zeit seiner Rückkehr vom Auslande war Aleksey Aleksandrowitsch zweimal auf seinem Landsitz gewesen. Das eine Mal hatte er daselbst zu Mittag gespeist, das andere Mal den Abend mit Besuch dort verbracht, aber noch nicht ein einziges Mal war er über Nacht dageblieben, wie er dies sonst in früheren Jahren zu thun gewohnt war.

Der Tag der Rennen war ein Tag voller Beschäftigung für Aleksey Aleksandrowitsch, aber, nachdem er schon morgens sich die Einteilung des Tages gemacht hatte, beschloß er, sogleich nach dem ersten Frühstück auf den Landsitz zu seinem Weibe zu fahren und von dort nach den Rennen, zu denen der gesamte Hof anwesend war und bei denen er daher gegenwärtig sein mußte.

Zu seinem Weibe wollte er sich deshalb begeben, weil er den Entschluß gefaßt hatte, der Etikette halber einmal wenigstens in der Woche zu verweilen. Außerdem aber mußte er ihr an diesem Tage, zum fünfzehnten des Monats, nach der eingeführten Regel, Gelder zur Führung des Haushaltes übergeben.

Mit der gewohnten Herrschaft über seine Gedanken gestattete er sich, nachdem er das alles überlegt hatte, nicht, noch weiter abzuschweifen in dem, was sie anging.

Der Vormittag war sehr reich an Arbeit für Aleksey Aleksandrowitsch gewesen. Am Abend vorher hatte ihm die Gräfin Lydia Iwanowna die Broschüre eines in Petersburg anwesenden bekannten Chinareisenden mit einem Briefe übersandt, in welchem sie ihn ersuchte, den Reisenden selbst wohl aufnehmen zu wollen, da er in verschiedenen Beziehungen ein sehr interessanter und nützlicher Mann sei.

Aleksey Aleksandrowitsch hatte sofort die Broschüre am Abend nicht ganz durchlesen können und erledigte die Lektüre am folgenden Morgen. Hierauf erschienen bei ihm die Bittsteller, Vorträge begannen, Empfänge, Bestimmungen, Absetzungen, Korrespondenzen, Verfügungen über Auszeichnungen, Pensionen, Gehälter, kurz alle die Werkeltagsobliegenheiten warteten seiner, wie sie Aleksey Aleksandrowitsch nannte und die soviel Zeit in Anspruch nahmen.

Dann folgte eine persönliche Angelegenheit in dem Besuche des Arztes, und dem seines Geschäftsführers, welcher indessen nicht soviel Zeit für sich in Anspruch nahm, und nur die Aleksey Aleksandrowitsch erforderlichen Gelder überbrachte, dabei einen kurzen Bericht über den Stand des Vermögens gebend, welches nicht völlig befriedigend stand, da sich zeigte, daß im gegenwärtigen Jahre infolge häufiger Ausschreitungen mehr verbraucht worden und hierdurch ein Deficit entstanden war.

Der Arzt aber, ein berühmter Mediziner Petersburgs, der zu Aleksey Aleksandrowitsch in freundschaftlichen Beziehungen stand, hatte viel Zeit in Anspruch genommen.

Aleksey Aleksandrowitsch hatte ihn an diesem Tage gar nicht erwartet, und war verwundert gewesen über sein Kommen, noch mehr aber darüber, daß der Arzt ihn sehr aufmerksam nach seinem Befinden frug, seine Brust behorchte und seine Leber befühlte.

Aleksey Aleksandrowitsch wußte nicht, daß seine Freundin Lydia Iwanowna, bemerkend, seine Gesundheit sei heuer gar nicht gut, den Doktor gebeten hatte, doch zu ihm zu fahren und den Leidenden zu untersuchen.

»Thut es um meinetwillen,« hatte die Gräfin Lydia Iwanowna zu demselben gesagt.

»Ich thue es für Rußland, Gräfin,« hatte der Arzt erwidert.

»Ein unschätzbarer Mensch!« sagte die Gräfin Lydia Iwanowna.

Der Arzt war sehr unzufrieden mit Aleksey Aleksandrowitsch. Er fand eine bedeutende Lebervergrößerung, die Ernährung beeinträchtigt und die Wirkung des Bades war gleich null.

Er schrieb ihm soviel als möglich körperliche Bewegung, und so wenig als möglich geistige Arbeit vor, hauptsächlich aber möchten aller Ärger streng vermieden werden; also gerade das, was Aleksey Aleksandrowitsch ebenso unmöglich zu gewähren war, als wie er das Atmen hätte unterlassen können. Hierauf fuhr der Arzt von dannen, in Aleksey Aleksandrowitsch eine unangenehme Empfindung zurücklassend, daß etwas in ihm nicht in Ordnung sei, was sich jedoch auch nicht bessern lasse.

Bei seinem Fortgang von Aleksey Aleksandrowitsch stieß der Doktor auf der Treppe mit dem ihm gut bekannten Sljudin, Alekseys Geschäftsführer zusammen.

Beide waren Kameraden auf der Universität gewesen und achteten sich, obwohl sie selten zusammenkamen, als gute Freunde, weshalb denn auch der Arzt niemandem seine aufrichtige Meinung über den Kranken gesagt hätte, als Sljudin.

»Wie freue ich mich, daß Ihr bei ihm waret,« sagte Sljudin. »Er befindet sich nicht wohl und mir scheint – wie steht es denn?« –

»So steht es,« sagte der Arzt, über den Kopf Sljudins hinweg dem Kutscher zuwinkend, daß er vorfahre, »so steht es,« sagte er, einen Finger seines Glacehandschuhs in die weißen Hände nehmend und ihn langziehend. »Spannt man die Saiten nicht und probiert man sie zu zerreißen, so ist dies sehr schwer; spannt man sie aber bis zur äußersten Möglichkeit und legt man sich nur mit eines Fingers Schwere auf die gespannte Saite, so springt sie. Er aber mit seiner Unermüdlichkeit, seiner Gewissenhaftigkeit bei der Arbeit – er freilich ist bis zum äußersten Grad angespannt, und eine Beseitigung des Leidens ist nicht direkt lebensgefährlich aber schwer,« fügte der Arzt hinzu, bedeutungsvoll die Brauen hochziehend. »Werdet Ihr zu den Rennen gehen?« frug er dann, sich in seinem vorgefahrenen Wagen niedersetzend.

– »Ja, versteht sich, es nimmt mir freilich viel Zeit weg,« versetzte dann noch der Arzt auf eine Frage Shudins, die er gar nicht gehört hatte. –

Nach dem Arzte, der Aleksey Aleksandrowitsch soviel Zeit geraubt hatte, erschien der berühmte Chinareisende, und Aleksey setzte nun, die Früchte seiner soeben beendeten Lektüre und seine Kenntnisse über den Gegenstand, die er schon früher besessen hatte, benutzend, den Reisenden in Erstaunen mit der Tiefe seines Wissens und seinem weitreichenden, klaren Blick.

Zugleich mit dem Chinareisenden wurde auch die Ankunft des Gouvernementsdirektors gemeldet, welcher in Petersburg angekommen und mit dem eine Konferenz abzuhalten war. Nach seiner Abreise mußten wieder tägliche Geschäfte mit dem Geschäftsführer erledigt werden und dann mußte er noch in einer ernsten und wichtigen Angelegenheit zu einer hervorragenden Persönlichkeit Petersburgs fahren.

Aleksey Aleksandrowitsch war um fünf Uhr, zur Zeit wo er Mittag speiste, kaum wieder zurückgekehrt so lud er seinen Geschäftsführer, nachdem er mit ihm gespeist hatte ein, zusammen mit ihm nach seinem Landsitz und zu den Rennen zu fahren.

Ohne daß er sich davon Rechenschaft zu geben vermochte, suchte er jetzt nach Gelegenheiten dritte Personen bei seinen Begegnungen mit der Gattin hinzuzuziehen.

27.

Anna stand oben vor dem Spiegel, mit Hilfe ihrer Zofe Annuschka ein letztes Band auf ihrem Kleide feststeckend, als sie vor der Einfahrt das Geräusch des von Rädern gepreßten Kieses vernahm.

»Für Bezzy wäre es noch zu früh,« dachte sie und schaute aus dem Fenster. Sie erblickte einen Wagen, einen schwarzen Herrenhut der daraus hervorkam und die ihr so wohlbekannten Ohren Aleksey Aleksandrowitschs. »Das kommt ungelegen. Er wird doch nicht über Nacht hier bleiben?« dachte sie und ihr erschien alles das, was hieraus entstehen konnte, so entsetzlich und furchtbar, daß sie ihm, ohne sich eine Minute zu besinnen, mit heiterem und freudestrahlendem Gesicht entgegeneilte. Nur die Gegenwart des ihr schon bekannten Geistes der Lüge und Truges fühlend, ergab sie sich diesem sogleich, indem sie, ohne zu wissen was sie sagen sollte, zu sprechen begann.

»O, wie ist das reizend von dir!« sagte sie, dem Gatten die Hand reichend, und mit freundlichem Lächeln Sljudin, den Hausfreund, begrüßend. »Du bleibst doch über Nacht, hoffe ich?« war das erste Wort, welches der Geist der Lüge ihr eingab, »jetzt fahren wir doch zusammen. Es ist nur schade, daß ich Bezzy versprochen habe – sie will kommen, mich abzuholen.«

Aleksey Aleksandrowitsch verfinsterte sich bei dem Namen

»O, ich will Unzertrennliche nicht trennen,« antwortete er mit seinem gewöhnlichen launigen Tone. »Wir werden dann mit Michailow Wasiljewitsch zusammen hingehen; die Ärzte haben mir ohnehin das Gehen empfohlen, und ich werde daher zu Fuß laufen und mir dabei denken, ich wäre im Bad.«

»Wir haben indessen nicht die geringste Eile,« sagte Anna, »wollt Ihr Thee trinken?« Sie schellte. »Bringt Thee und sagt meinem Sergey, daß sein Vater angekommen sei. Was macht denn deine Gesundheit? – Michailow Wasiljewitsch, Ihr wäret noch nicht bei mir; seht Euch einmal an, wie hübsch es auf meinem Balkon draußen ist,« fuhr sie fort, sich bald an ihren Gatten, bald an dessen Begleiter wendend.

Sie sprach sehr ungekünstelt und natürlich, nur zu viel und zu schnell. Anna fühlte dies selbst umsomehr, als sie an dem neugierigen Blicke, mit welchem sie Michail Wasiljewitsch anschaute, inne wurde, daß er sie zu beobachten schien.

Michail Wasiljewitsch begab sich sofort nach der Terrasse hinaus. Sie ließ sich neben ihrem Manne nieder.

»Du siehst nicht ganz wohl aus,« begann sie.

»Ja,« antwortete er, »der Arzt war heute bei mir und hat mir eine Stunde Zeit geraubt. Ich merke wohl, daß ihn irgend einer von meinen Bekannten hergeschickt hatte; so kostbar ist meine Gesundheit.«

»Nun, was sagte der Arzt?«

Sie erkundigte sich nun über seine Gesundheit und seine Arbeiten, und redete ihm zu, sich Schonung zu gönnen und doch ganz zu ihr überzusiedeln.

Alles das hatte sie heiter, schnell und mit einem auffallenden Glanz in den Augen gesprochen, aber Aleksey Aleksandrowitsch schrieb diesem Tone bei ihr heute keinerlei Bedeutung zu.

Er vernahm nur ihre Worte und legte ihnen nur genau den nämlichen Sinn bei, den sie tatsächlich hatten. Er antwortete ihr gerad, wenn auch in seiner launigen Weise, und in dem gesamten Gespräch lag nichts Eigenartiges, doch konnte sich Anna nachmals der Empfindung eines peinigenden Schmerzes und der Scham nicht verschließen, wenn sie sich diese ganze kurze Scene wiederum vergegenwärtigte.

Sergey trat jetzt herein, begleitet von seiner Gouvernante. Hätte Aleksey Aleksandrowitsch sich selbst dazu verstanden, zu beobachten, so würde er den zaghaften, irrenden Blick wahrgenommen haben, mit welchem der kleine Sergey erst seinen Vater anschaute und dann seine Mutter, Aber er wollte nichts sehen,und sah auch nichts.

»Nun, junger Mann! Wie er groß geworden ist, recht so, das wird ein ganzer Mann! Wie geht es, junger Mann?«

Er gab dem erschreckten kleinen Sergey die Hand.

Sergey, schon vordem stets schüchtern gewesen in seinem Verhalten gegenüber dem Vater, fühlte sich jetzt, nachdem ihn Aleksey Aleksandrowitsch einen jungen Mann geheißen hatte, und ihm jenes Rätsel wieder in den Kopf kam, ob Wronskiy ein Freund oder ein Feind sei, seinem Vater entfremdet. Wie Schutz suchend, blickte er nach seiner Mutter; bei seiner Mutter allein war ihm wohl.

Aleksey Aleksandrowitsch hielt indessen sein Söhnchen an der Schulter, während er mit der Gouvernante zu sprechen begonnen hatte, und Sergey wurde es dabei so qualvoll peinlich zu Mute, daß Anna bemerkte, wie er sich zum Weinen anschickte.

Anna, welche in dem Augenblick als ihr Söhnchen eintrat errötet war, sprang jetzt, nachdem sie wahrgenommen, daß Sergey sich nicht wohl fühlte, schnell herbei, nahm die Hand ihres Mannes von der Schulter des Knaben, küßte diesen und führte ihn auf die Terrasse, worauf sie sogleich zurückkehrte.

»Indessen; es ist Zeit jetzt,« sagte sie, auf ihre Uhr blickend. »Weshalb nur Bezzy nicht kommt.«

»Ja,« versetzte Aleksey Aleksandrowitsch, stand auf, legte seine Finger ineinander und ließ sie knacken. »Ich bin auch noch gekommen, dir Geld zu bringen, da man die Nachtigallen ja doch nicht nur mit Liedern nährt, sagte er. Ich glaube, du brauchst welches.« –

»Nein, ich brauche keines – oder doch, ja, doch,« – antwortete sie, ohne ihn anzusehen, und errötete bis in die Haarwurzeln. »Ich denke doch, daß du von den Rennen wieder hierher zurückkommst.«

»Gewiß werde ich,« versetzte Aleksey Aleksandrowitsch. »Doch da kommt ja auch die Löwin von Peterhof, die Fürstin Twerskaja,« fügte er hinzu, indem er durch das Fenster eine englische einspännige Equipage anfahren sah, die sich durch einen außerordentlich hoch angebrachten kleinen Kutschbock auszeichnete. »Welch eine Koketterie. Es ist reizend. Doch, wir wollen nun auch gehen!«

Die Fürstin Twerskaja verließ ihre Equipage nicht; nur ihr Lakai in halblangen Stulpstiefeln, Pelerine und schwarzem Hut, sprang vor der Einfahrt herab.

»Ich gehe also, lebt wohl!« sagte Anna, küßte ihr Söhnchen, trat zu Aleksey Aleksandrowitsch und reichte diesem die Hand. »Es war recht hübsch von dir, daß du gekommen bist.« Aleksey Aleksandrowitsch küßte ihr die Hand. »Also auf Wiedersehen! Du kommst doch zum Thee; schön so!« sagte sie und ging, strahlend und heiter.

Sie war ihm indessen kaum aus dem Auge, als sie die Stelle auf ihrer Hand empfand, die seine Lippen berührt hatten, und voll Widerwillen erschauerte.

6.

Als Oblonskiy Lewin gefragt hatte, aus welchem Grunde derselbe eigentlich angekommen sei, war Lewin rot geworden; er war in Zorn geraten über sich, daß er rot geworden, und nicht in der Lage gewesen war, eine Antwort auf diese Frage zu geben, welche lauten sollte: »Ich bin gekommen, um deiner Schwägerin einen Antrag zu machen,« da er ja doch nur zu diesem Zwecke gekommen war.

Die Familien der Lewin und Schtscherbazkiy waren von altem moskauer Adel und standen stets miteinander in nahen und freundschaftlichen Beziehungen. Dieses Freundschaftsband wurde noch mehr befestigt zur Zeit der Universitätsstudien Lewins. Er bereitete sich zu gleicher Zeit wie der junge Fürst Schtscherbazkiy, der Bruder Dollys und Kitys, zum Studium vor, und bezog zugleich mit diesem die Hochschule.

In jener Zeit war Lewin oft im Hause der Schtscherbazkiy gewesen, er hatte sich in die Familie derselben verliebt. So seltsam dies wohl erscheinen mag, aber Konstantin Lewin war tatsächlich in das Haus, in die Familie verliebt, und zwar besonders in die weibliche Hälfte der Familie Schtscherbazkiy.

Lewin selbst hatte seine Mutter nie gekannt, seine einzige Schwester war älter als er, so daß er im Hause der Schtscherbazkiy zum erstenmal jenen Kreis des alten, feingebildeten und ritterlichen familiären Adelslebens kennen lernte, dessen er durch den Tod der Eltern verlustig gegangen war.

Alle Glieder dieser Familie, insbesondere die weiblichen, erschienen ihm wie von einem geheimnisvollen, poetischen Schleier verhüllt und er erkannte in ihnen nicht nur keinerlei Mängel, sondern vermutete vielmehr unter jenem poetischen Schleier, der sie deckte, die erhabensten Gefühle und alle nur erdenkbaren Vollkommenheiten.

Wozu die drei Damen abwechselnd den Tag hindurch französisch und englisch sprachen, weshalb sie zu bestimmter Stunde, sich abwechselnd, das Klavier spielten, dessen Klänge bei dem Bruder oben gehört wurden, bei dem sie als Studenten arbeiteten, weshalb Lehrer für die französische Litteratur, Musik, Zeichnen, Tanzen ins Haus kamen, weshalb zu bestimmten Stunden alle drei jungen Damen mit Mademoiselle Linon in der Equipage den Twerskiyboulevard hinabfuhren, in ihren Atlaspelzen – Dolly in einem langen, Nataly in einem halblangen und Kity in einem ganz kurzen, so daß die üppigen Füßchen in den drallsitzenden, roten Strümpfchen vollständig gesehen werden konnten, weshalb sie in Begleitung eines Lakaien mit goldener Kokarde an der Mütze den Twerskiyboulevard abspazieren mußten – alles dies und noch vieles andere, was sich in ihrem reizumwobenen Dasein abspielte, verstand er nicht; aber er wußte, daß alles, was hier vor sich ging, schön war, und er war vernarrt besonders in das Geheimnisvolle der Vorgänge.

Zur Zeit seiner Universitätsstudien hätte er sich beinahe in die älteste, in Dolly, verliebt, aber man verheiratete sie sehr bald schon an Oblonskiy. Er verliebte sich hierauf in die Zweitälteste.

Er empfand, daß er eine der Schwestern lieben müsse, nur konnte er nicht zu der Erkenntnis gelangen, welche die Erkorene eigentlich sei. Indessen auch Nataly folgte – sobald sie nur in der Gesellschaft erschienen war – einem Diplomaten Lwoff an den Altar.

Kity War noch ein Kind, als Lewin die Universität verließ. Der junge Schtscherbazkiy, welcher in die Marine eintrat, ertrank im baltischen Meere, und die Beziehungen Lewins zu den Schtscherbazkiy wurden ungeachtet seines freundschaftlichen Verhältnisses zu Oblonskiy immer entferntere.

Als aber nun Lewin im laufenden Jahre zu Beginn des Winters nach Moskau kam nach einem einjährigen Aufenthalt auf dem Lande, und die Schtscherbazkiys wiedersah, da erkannte er, in welche von den drei Mädchen ihm endgültig vom Schicksal beschieden worden war, sich zu verlieben.

Es hätte wohl scheinen können, als ob nichts einfacher sei als dies, daß er, ein Mann von guter Familie, eher reich als arm und im Alter von zweiunddreißig Jahren, der jungen Fürstin Schtscherbazkiy einen Heiratsantrag machte; allem Anschein nach mußte man ihn doch als eine gute Partie anerkennen.

Aber Lewin war verliebt und demzufolge schien ihm, daß Kitty ein in allen Beziehungen so vollkommenes Wesen sei, ein so über allem Irdischen erhabenes Geschöpf, er aber hingegen ein so gewöhnlicher Mensch, ein so niederes Wesen, daß sich nicht einmal daran denken lasse, es würde ihn irgend jemand anderes, oder gar sie selbst, als ihrer würdig ansehen.

Nachdem er zwei Monate in Moskau wie im Rausche zugebracht hatte, fast jeden Tag Kity in der großen Gesellschaft sehend, wohin er sich begab, um ihr begegnen zu können, beschloß er plötzlich bei sich selbst, daß es nicht sein könne und reiste ab aufs Land.

Die Überzeugung Lewins, daß es nicht in Erfüllung gehen könne, beruhte darauf, daß er in den Augen der Verwandten Kitys als eine nicht vorteilhafte, nicht angemessene Partie in Erwägung der persönlichen Vorzüge des Mädchens galt und daß dieses selbst ihn nicht lieben könne.

In den Augen der Verwandten hatte er keine berufsmäßige, bestimmtgeregelte Thätigkeit, keine Stellung in der Welt, während seine Freunde jetzt, da er schon zweiunddreißig Jahre zählte, der eine Oberst und Flügeladjutant, der andere Professor, der dritte Bank- und Eisenbahndirektor, oder Gerichtspräsident geworden war wie Oblonskiy. Er aber – der recht wohl wußte, als was er für die übrigen erscheinen mußte – war ein Gutsbesitzer der sich mit Viehzucht, mit der Jagd auf Birkhühner und mit Bauten beschäftigte, das heißt ein talentloser Mensch, von dem nichts geleistet wurde und welcher nach den Begriffen der Gesellschaft nur das that, was taugliche Menschen eben niemals thun.

Selbst die reizumwobene, schöne Kity konnte einen Mann der so unschön war, wie er selbst von sich sagte, und ganz besonders einen so einfachen, durch nichts sich auszeichnenden Menschen unmöglich lieben.

Außerdem erschienen ihm seine früheren Beziehungen zu Kity – Beziehungen eines Erwachsenen zu einem Kinde infolge seiner Freundschaft zu ihrem Bruder als eine neue Scheidewand vor der Liebe.

Den unschönen, gutmütigen Mann für den er sich selbst hielt, konnte man Wohl seiner Meinung nach als einen Freund lieben, aber um mit einer solchen Liebe geliebt zu werden, mit welcher er Kity liebte, dazu mußte man ein schöner Mensch sein, und – was immer noch die Hauptsache dabei blieb – man mußte ein absonderlicher Mensch sein. –

Er hatte wohl vernommen, daß die Weiber öfters auch häßliche Menschen lieben, einfache Menschen, aber er glaubte nicht daran, indem er nur nach sich selbst urteilte.

Er selbst aber konnte nur schöne Weiber lieben, nur solche, die mit einem Reiz des Geheimnisvollen und Besonderen begabt waren.

Nachdem Lewin so zwei Monate hindurch auf dem Lande gewesen war, überzeugte er sich, daß es sich für ihn nicht um eine jener Verliebtheiten handele, wie er sie in der Zeit seiner Jugend an sich erfahren hatte, sondern daß seine Empfindungen ihm keine Minute mehr Ruhe ließen, daß er nicht leben könne, ohne daß die Frage eine Entscheidung gefunden hätte, ob sie seine Gattin werden würde oder nicht, und daß seine ganze Verzweiflung nur aus der Vorstellung entstand, daß er nicht die geringsten Beweismittel dafür besaß, daß ihm ein Korb erteilt werden würde.

So fuhr er denn jetzt nach Moskau mit dem festen Vorsatz, einen Antrag zu stellen und zu heiraten, wenn man ihn erhörte.

Sonst – – er vermochte sich nicht zu denken, was mit ihm geschehen würde, sollte er eine Zurückweisung erfahren.

28.

Als Aleksey Aleksandrowitsch bei den Rennen erschien, saß Anna bereits auf der Tribüne neben der Fürstin Bezzy, auf derselben Tribüne, auf welcher sich die gesamte höchste Gesellschaft versammelt hatte. Sie sah ihren Gatten erst von ferne.

Zwei Menschen, ihr Mann und ihr Geliebter, waren die beiden Mittelpunkte für ihr Dasein, und ohne daß ihr die äußeren Sinne dazu verholfen hätten, empfand sie deren Nähe.

Schon von fern fühlte sie die Annäherung ihres Gatten und unwillkürlich folgte sie ihm in dem Menschengewoge, inmitten dessen er sich bewegte.

Sie sah, wie er zu der Tribüne kam, bald herablassend auf die Begrüßungen antwortend die ihn suchten, bald freundlich, aber zerstreut Gleichgestellten begegnend, bald streberisch die Blicke der Mächtigen der Erde erwartend, und seinen großen runden Hut abnehmend, der die Spitzen seiner Ohren drückte.

Sie kannte alle diese Manieren und sie alle waren ihr zuwider.

»Allein der Ehrgeiz, allein der Wunsch. Erfolg zu haben, das ist alles, was in seiner Seele wohnt,« dachte sie, »und seine hochfliegenden Pläne, die Liebe zur Volksaufklärung, seine Religiosität, alles das sind nur die Mittel dazu, diesen Erfolg zu erreichen.«

An seinen Blicken nach der Damentribüne – er schaute gerade auf sie, erkannte aber seine Frau nicht in dem Meere von Zöpfen, Bändern, Federn, Sonnenschirmen und Blumen – nahm sie wahr, daß er sie suche; doch sie wollte ihn mit Absicht nicht bemerken.

»Aleksey Aleksandrowitsch!« rief ihm die Fürstin Bezzy zu, »Ihr seht wohl Eure Gattin gar nicht; hier ist sie ja!« –

Er lächelte in seiner kühlen Weise.

»Es ist hier so viel Glanz, daß die Augen davon geblendet werden,« sagte er und trat in die Tribüne ein.

Seinem Weibe zulächelnd, wie ein Mann lächeln muß, der seiner Frau begegnet, die er vor kurzem eben erst gesehen hat, begrüßte er auch die Fürstin und die übrigen Bekannten, jedem das Seine zuteilend; das heißt mit den Damen scherzend und mit den Herren Bewillkommnungen tauschend.

Unten, neben der Tribüne stand ein von Aleksey Aleksandrowitsch höchst geachteter Mann, bekannt durch seinen Geist und seine Bildung; ein Generaladjutant.

Aleksey Aleksandrowitsch geriet ins Gespräch mit ihm; es fand gerade eine Pause zwischen den Rennen statt und nichts störte daher die Unterhaltung.

Der Generaladjutant sprach sich abfällig über Rennen aus; Aleksej Aleksandrowitsch widersprach, indem er dieselben vertrat.

Anna hörte seine dünne, gleichmäßige Stimme, die kein Wort von dem was sie sprach, verschluckte. Aber jedes seiner Worte erschien ihr unrichtig und schnitt ihr schmerzhaft ins Ohr.

Als das Vierwerstrennen mit den Hindernissen begann, beugte sie sich nach vornüber, und blickte unverwandt nach Wronskiy, wie er zu seinem Pferde trat und aufsaß. Zur nämlichen Zeit mußte sie die widerliche, nicht verstummende Stimme ihres Mannes hören.

Sie empfand Qualen in der Angst um Wronskiy, aber noch mehr wurde sie gequält von dem unaufhörlich schallenden Klange seiner dünnen Stimme mit den ihr so bekannten Accenten.

»Ich bin ein schlechtes, ein verworfenes Weib,« dachte sie, »aber ich liebe es nicht, zu lügen; ich werde die Lüge nicht ertragen – seine Stimme aber – das ist eine Lüge! – Er weiß alles und sieht alles; was jedoch kann er fühlen, wenn er so ruhig zu sprechen vermag? Wenn er mich tötet oder Wronskiy, ich würde ihn achten. Aber nein, er bedient sich lediglich der Lüge und der Etikette,« sprach Anna zu sich selbst, ohne darüber nachzudenken, was sie eigentlich von ihrem Manne wollte und wie sie ihn zu sehen wünschte.

Sie begriff auch nicht, daß diese eigentümliche Sprechseligkeit heute bei Aleksey Aleksandrowitsch, von der sie so in Gereiztheit versetzt wurde, nur der Ausdruck seiner inneren Verwirrung und Unruhe war.

Wie ein Kind, welches gefallen ist, emporspringt und seine Muskeln in Bewegung bringt, um den Schmerz zu betäuben, so war diese geistige Gymnastik für Aleksey Aleksandrowitsch unentbehrlich, damit er jene Gedanken über seine Frau betäuben konnte, welche in ihrer Gegenwart wie in der Wronskiys, sowie angesichts der beständigen Wiederholung von dessen Namen, seine Aufmerksamkeit so in Anspruch nahmen. Und wie es bei dem Kinde natürlich ist zu springen, so mußte auch er gut und verständig reden.

»Die Gefahr ist bei den Offiziersrennen, den Kavalleristenrennen,« sagte er, »eine unerläßliche Voraussetzung. Wenn England in seiner Militärgeschichte auf die glänzendsten Leistungen von Reitern blicken kann, so ist dies nur dem zu danken, daß es in sich selbst historisch diese Kraft, sowohl der Menschen wie der Tiere zu entwickeln verstand. Der Sport hat nach meiner Meinung eine hohe Bedeutung, wir aber sehen – wie immer, – nur die oberflächlichste Seite der Sache.«

»Nicht die oberflächliche,« sagte die Fürstin Twerskaja, »denn ein Offizier soll zwei Rippen gebrochen haben.«

Aleksey Aleksandrowitsch lächelte mit dem ihm eigenen Lächeln, indem er nur die Zähne zeigte, ohne damit etwas zu sagen.

»Setzen wir also den Fall, Fürstin, daß es sich hierbei nicht um eine Oberflächlichkeit handelte,« fuhr er dann fort, »so liegt doch dann etwas Innerliches vor. Doch darum handelt es sich ja nicht,« und er wandte sich von neuem an den General, mit welchem er ernst weiter sprach, »vergeßt doch nicht, daß hier Leute vom Militärstand reiten, die sich diese Thätigkeit auserkoren haben, und gebt mir zu, daß jeder Beruf seine Kehrseite der Medaille hat. Dieser Sport gehört zu den Obliegenheiten des Militärstandes. Jener ungestalte Sport des Boxens hingegen oder der der spanischen Stiergefechte ist nur ein Zeichen von Barbarei. Der specialisierte Sport hingegen das der Fortentwicklung.«

»O nein. Ich komme nicht wieder ein zweites Mal hierher, denn dies regt mich zu sehr auf,« rief die Fürstin Twerskaja. »Habe ich nicht recht, Anna?«

»Es regt allerdings auf, aber man kann sich nicht abschließen,« sagte eine andere Dame. »Wäre ich eine Römerin gewesen, ich würde keine Cirkusvorstellung versäumt haben.«

Anna sagte nichts; sie blickte, das Glas nicht von dem Auge nehmend, auf einen bestimmten Punkt.

In diesem Augenblick schritt ein hochgewachsener General durch die Tribüne. Aleksey Aleksandrowitsch brach sein Gespräch ab, stand hastig, aber würdevoll auf und verbeugte sich tief vor dem vorbeischreitenden Offizier.

»Reitet Ihr nicht mit?« scherzte dieser mit ihm.

»Mein Reiten ist schwieriger« versetzte Aleksey Aleksandrowitsch ehrfurchtsvoll.

Obwohl diese Antwort nichts weiter in sich schloß, machte der General doch ein Gesicht, als habe er ein geistreiches Wort von einem geistreichen Menschen vernommen, und vollkommen die pointe de la sauce verstanden.

»Jede Sache hat zwei Seiten,« fuhr Aleksey Aleksandrowitsch hierauf fort, »es giebt Schauspieler und Zuschauer. Die Liebe, für diese Schauspiele ist das echteste Kennzeichen niederer Entwickelung seitens der Zuschauer. Ich gebe ja das zu, allein« –

»Fürstin, pari!« rief plötzlich von oben die Stimme Stefan Arkadjewitschs, der sich zu Bezzy gewandt hatte.

»Auf wen haltet Ihr?«

»Anna und ich auf den Fürsten Kuzowljeff,« antwortete Bezzy.

»Ich auf Wronskiy. Ein Paar Handschuhe!«

»Gilt!« –

»Wie hübsch; nicht wahr?«

Aleksey Aleksandrowitsch war verstummt, während man um ihn herum sprach, doch hub er sogleich wieder an.

»Ich bin ja einverstanden, es giebt keine Männerspiele, die« –

In der nämlichen Sekunde begann das Rennen und alle Gespräche wurden abgebrochen.

Aleksey Aleksandrowitsch war gleichfalls verstummt. Alles erhob sich von den Sitzen und eilte nach dem Flusse.

Aleksey Aleksandrowitsch interessierte sich nicht für die Rennen und blickte deshalb gar nicht nach den Reitenden hinüber, sondern begann zerstreut mit abgespannten Blicken die Zuschauer zu mustern. Sein Blick blieb auf Anna ruhen.

Ihr Gesicht war bleich und herb. Sie sah und hörte offenbar nichts, ausgenommen einen Einzigen. Ihre Hand preßte krampfhaft den Fächer, sie atmete nicht.

Er blickte sie an und wandte sich dann hastig ab, auf andere Gesichter schauend.

»Auch jene Dame dort – und andere nicht minder – sehen höchst erregt aus, das ist ja sehr natürlich,« sagte Aleksey Aleksandrowitsch zu sich selbst.

Er wollte nicht auf sie blicken, aber sein Auge blieb unwillkürlich auf ihr haften. Er schaute wiederum in ihr Antlitz, sich bemühend, das nicht zu lesen, was so klar auf ihm geschrieben stand, und gegen seinen Willen, mit Entsetzen, las er auf demselben, was er nicht erkennen wollte.

Der erste Sturz Kuzowljeffs bei dem Flusse brachte alles in Aufregung, aber Aleksey Aleksandrowitsch sah klar auf dem bleichen, triumphierenden Gesicht Annas, daß der, dem sie mit den Augen folgte, nicht gestürzt war.

Als hierauf, nachdem Machotin und Wronskiy die große Barriere genommen hatten, der folgende Offizier ebendaselbst auf den Kopf stürzte und wie tot auf dem Platze blieb, als ein Schrei des Entsetzens durch die Zuschauermassen ging, da sah Aleksey Aleksandrowitsch, daß Anna dies gar nicht einmal bemerkt hatte und nur mit Mühe faßte, wovon man ringsum sprach. Immer tiefer und tiefer, mit größter Beharrlichkeit bohrte sich sein Blick in sie hinein.

Anna, förmlich verschlungen von dem Anblick des dahinjagenden Wronskiy, empfand den von seitwärts auf sich gerichteten Blick der kalten Augen ihres Gatten.

Sie schaute für einen Augenblick empor, blickte ihn fragend an, verfinsterte sich leicht und wandte sich dann wieder weg, als wollte sie ihm sagen, das alles ihr gleichgültig sei, und nun schaute sie nicht ein einziges Mal mehr nach ihm.

Das Rennen verlief sehr unglücklich. Von den siebzehn Teilnehmern an demselben waren mehr als die Hälfte gestürzt und bei seiner Beendigung befand sich alles in einer Aufregung, die sich noch mehr erhöhte, weil der Zar mißvergnügt darüber geworden war.

29.

Alle äußerten laut ihre Mißbilligung, alle wiederholten die von irgend jemand geäußerte Phrase, »das reichte nur an einen Cirkus mit Löwenkämpfen« heran, und ein Entsetzen teilte sich jedermann mit, so daß, als Wronskiy stürzte und Anna laut aufschrie, hierin nichts Außergewöhnliches lag.

In dem Gesicht Annas aber ging nun eine Veränderung vor sich, welche vollständig gegen alle Etikette verstieß.

Sie war gänzlich außer Fassung geraten und sank in sich zusammen wie ein gefangener Vogel, bald wollte sie sich erheben und forteilen; bald wandte sie sich an Bezzy.

»Fahren wir ab, gehen wir!« rief sie der Fürstin zu.

Aber Bezzy hörte sie gar nicht; sie sprach soeben nach vorn hinabgebeugt, mit einem an sie herangetretenen General.

Aleksey Aleksandrowitsch trat zu Anna und reichte ihr höflich die Hand.

»Gehen wir, wenn es Euch gefällig ist,« sagte er in französischer Sprache, aber Anna hörte nur auf das, was der General berichtete und bemerkte ihren Mann gar nicht.

»Auch den Fuß hat er gebrochen, sagt man,« erzählte der General, »so etwas ist noch nicht dagewesen!«

Anna erhob, ohne ihrem Manne zu antworten, das Augenglas und blickte nach dem Platze, auf welchem Wronskiy gestürzt war; derselbe lag aber soweit entfernt, und es drängte sich soviel Volks dort, daß nichts zu unterscheiden war.

Sie ließ das Augenglas sinken und wollte gehen, aber im nämlichen Augenblick kam ein Offizier herangesprengt, welcher dem Zaren einen Rapport brachte. Anna beugte sich lauschend nach vorn.

»Stefan, Stefan!« rief sie ihrem Bruder zu.

Aber auch ihr Bruder hörte sie nicht, und sie wollte abermals von ihrem Platze forteilen.

»Ich biete Euch noch einmal meinen Arm, falls Ihr zu gehen wünscht,« wiederholte Aleksey Aleksandrowitsch, ihren Arm berührend. Mit Widerwillen wandte sie sich von ihm ab und antwortete, ohne ihm ins Gesicht zu blicken:

»Nein, nein, laßt mich, ich will bleiben!«

Sie sah jetzt, daß von dem Platze aus, auf welchem Wronskiy gestürzt war, ein Offizier durch den Kreis hindurch nach den Tribünen lief. Bezzy winkte ihm mit dem Taschentuch; der Offizier brachte die Nachricht, daß der Reiter nicht tot sei, sein Pferd aber das Kreuz gebrochen habe.

Als Anna dies vernommen hatte, setzte sie sich schnell wieder nieder und bedeckte das Gesicht mit ihrem Fächer.

Aleksey Aleksandrowitsch gewahrte, daß sie weinte und weder ihre Thränen zurückzuhalten vermochte, noch selbst das Schluchzen, welches ihre Brust hob.

Aleksey Aleksandrowitsch deckte sie mit seiner Person, ihr Zeit gewährend, sich zu fassen.

»Zum drittenmal biete ich Euch meinen Arm,« sprach er nach einiger Zeit, sich nochmals zu ihr wendend. Anna blickte ihn an, ohne zu wissen, was sie antworten sollte. Die Fürstin Bezzy kam ihr indessen zu Hilfe.

»Nein; Aleksey Aleksandrowitsch, ich habe Anna mit mir hergeführt, und habe gelobt sie wieder mitzunehmen,« mischte sie sich ein.

»Entschuldigt mich, Fürstin,« sagte er ihr mit höflichem Lächeln, aber fest ins Auge schauend, »ich bemerke doch, daß Anna nicht recht wohl ist und wünsche daher, daß sie mit mir fährt.«

Anna blickte erschreckt empor, stand gehorsam auf und legte ihren Arm in den ihres Gatten.

»Ich werde zu ihm senden, mich erkundigen und Nachricht senden,« flüsterte ihr Bezzy zu.

Beim Verlassen der Tribüne unterhielt sich Aleksey Aleksandrowitsch ganz so, wie gewöhnlich, mit den ihm Begegnenden, und Anna mußte, ganz so wie gewöhnlich, mit antworten und mit sprechen; aber sie war sich selbst nicht mehr ähnlich, und schritt wie im Traume am Arm ihres Mannes dahin.

»Ist er tot oder nicht? Ist es überhaupt wahr? Wird er heute kommen oder nicht? Werde ich ihn heute wiedersehen?« dachte sie.

Wortlos setzte sie sich in den Wagen Aleksey Aleksandrowitschs, wortlos fuhr sie aus dem Haufen der Equipagen weg.

Ungeachtet alles dessen, was er wahrgenommen hatte, erlaubte sich Aleksey Aleksandrowitsch noch immer nicht, über den tatsächlichen Zustand seiner Frau Betrachtungen anzustellen.

Er sah nur äußerliche Kennzeichen. Er sah, daß sie gegen den Ton verstoßen hatte und erachtete es für seine Pflicht, ihr das zu sagen. Aber es wurde ihm sehr schwer, nicht auch noch mehr zu sagen, sondern nur dies allein.

Er öffnete den Mund, um ihr zu sagen, wie sie sich taktlos benommen hätte, aber unwillkürlich brachte er etwas ganz anderes heraus.

»Wie sehr sind wir doch alle diesen grausamen Schauspielen zugethan,« sagte er, »ich bemerke« –

»Was? Ich verstehe nicht,« versetzte Anna verächtlich.

Er fühlte sich verletzt, und begann sofort, zu sagen, was er sagen wollte.

»Ich muß Euch sagen,« – begann er.

»Jetzt kommt die Erklärung,« dachte sie und es wurde ihr bang zu Mute.

»Ich muß Euch sagen, daß Ihr Euch heute taktlos benommen habt,« sprach er auf französisch.

»Inwiefern habe ich mich taktlos benommen?« frug sie laut zurück und wandte den Kopf schnell nach ihm um, ihm gerade ins Auge blickend, aber durchaus nicht mehr mit dem früheren, eine gewisse Heiterkeit verbergenden Ausdruck, sondern mit entschlossener Miene, unter der sie nur mit Mühe die Furcht, die sie empfand, verbarg.

»Vergeßt nicht,« sagte er zu ihr, ans das geöffnete Fenster des Wagens hinter dem Kutscher hinweisend.

Er erhob sich und zog das Fenster auf.

»Was habt Ihr für unangemessen befunden?« wiederholte sie.

»Jenen Verzweiflungsausbruch, den Ihr nicht imstande waret zu verbergen, bei dem Sturze eines der Reitenden.« Er wartete, daß sie etwas entgegnen solle, aber sie schwieg, vor sich hinschauend. »Ich bat Euch schon einmal, Euch so zu benehmen in der Welt, daß auch die bösen Zungen nichts gegen Euch sagen könnten. Es gab eine Zeit, in welcher ich Euch nur von inneren Beziehungen reden konnte; jetzt rede ich nicht mehr von ihnen. Jetzt rede ich von den äußeren. Ihr habt Euch tadelhaft geführt, und ich wünschte, daß sich dies nicht wiederholte.«

Sie hörte kaum die Hälfte seiner Worte, sie empfand Schrecken vor ihm und dachte nur daran, ob es denn wahr sei, daß Wronskiy nicht tot geblieben wäre. Sagte man nicht, daß er unversehrt geblieben sei und nur sein Pferd das Rückgrat gebrochen habe?

Sie lächelte nur verstellt ironisch, als er geendigt hatte, und antwortete nichts, weil sie gar nicht gehört hatte, was er sagte.

Aleksey Aleksandrowitsch begann rücksichtsloser zu sprechen, aber als er klar erkannte, worüber er eigentlich redete, teilte sich die nämliche Bangnis, die Anna empfunden hatte, auch ihm mit. Er sah dieses Lächeln und ein seltsamer Irrtum überkam ihn.

»Sie lächelt über meinen Verdacht und wird wohl sogleich das Nämliche wieder sagen, was sie mir damals gesagt hat: daß es keinen Grund zu Verdacht für mich gebe, und all das lächerlich sei.«

Jetzt, da über ihm die Entdeckung schwebte, erwartete er nichts so sehr, als daß sie ihm so ironisch wie früher antworten möchte, sein Verdacht sei lächerlich und entbehrte der Begründung. So furchtbar war es, was er jetzt wußte, daß er in diesem Augenblick bereit war an alles zu glauben.

Aber der Ausdruck ihres Gesichts, welches erschreckt und finster aussah, verhieß ihm jetzt nicht einmal eine Täuschung mehr.

»Möglich ja, daß ich mich irre,« sagte er, »in diesem Falle bitte ich um Entschuldigung.«

»Nein; Ihr habt nicht geirrt,« sagte sie langsam, ihm verzweiflungsvoll in sein kaltes Antlitz blickend. »Ihr habt nicht geirrt. Ich war in Verzweiflung und mußte es sein. Ich höre Euch wohl, aber ich denke an ihn. Ich liebe ihn und bin seine Geliebte. Ich kann Euch nicht mehr ertragen, ich fürchte, – ich hasse Euch! Macht mit mir, was Ihr wollt.« –

Sie warf sich in die Ecke des Wagens und begann zu schluchzen, das Gesicht mit den Händen bedeckend.

Aleksey Aleksandrowitsch regte sich nicht; er wechselte auch die gerade Richtung seines Blickes nicht, seine Züge aber nahmen urplötzlich die feierliche Unbeweglichkeit eines Toten an, und dieser Ausdruck änderte sich nicht während der ganzen Dauer der Fahrt bis zu dem Landsitz.

Als man am Hause angekommen war, wandte er sein Haupt mit noch ganz dem nämlichen Ausdruck nach ihr hin.

»Gut. Aber nichtsdestoweniger fordere ich die Beobachtung der äußerlichen Bedingungen des Anstandes bis dahin« – seine Stimme erbebte – »wo ich Maßnahmen getroffen haben werde, welche meine Ehre wahren sollen, und die werde ich Euch mitteilen.«

Er stieg vor ihr aus und hob sie aus dem Wagen. Vor dem Diener drückte er ihr die Hand, setzte sich dann wieder in den Wagen und fuhr nach Petersburg davon.

Bald nach seiner Abfahrt kam ein Diener von der Fürstin Bezzy und brachte Anna ein Billet:

»Ich habe zu Aleksey gesandt um mich nach seinem Befinden zu erkundigen. Er schreibt mir, daß er gesund und unverletzt, aber in Verzweiflung sei.« –

»Wenn er nur ist!« dachte sie, »wie gut habe ich daran gethan, ihm alles zu gestehen.« – Sie blickte nach der Uhr. Es waren noch drei Stunden übrig und die Erinnerung an die Einzelheiten ihres letzten Zusammenseins brachten ihr das Blut zum Sieden. »Mein Gott, wie hell es ist. Es ist entsetzlich, aber ich liebe es, sein Antlitz zu sehen und liebe dieses phantastische Licht. Und mein Gatte? O! Aber Gott sei gedankt, daß mit ihm alles vorüber ist.«

21.

Der interimistische Marstall, aus Brettern errichtet, befand sich dicht neben dem Rennplan und hierher mußte gestern sein Pferd übergeführt worden sein. Er hatte dasselbe noch nicht gesehen.

Innerhalb der letzten Tage hatte er überhaupt nicht geritten, sondern nur seinem Traineur das Tier überlassen und er wußte jetzt nicht das Geringste über das Befinden desselben.

Kaum war er aus dem Wagen gestiegen, als sein Groom wie der Pferdejunge heißt, den Wagen schon aus der Ferne erkennend, den Traineur herbeirief.

Ein hagerer Engländer in hohen Stulpstiefeln und kurzem Jackett mit einem Büschel Haaren, welches allein unter dem Kinn stehen gelassen war, erschien mit dem ungelenken Gang der Jockeys, die Arme spreizend und öfters ausglitschend.

»Nun, was macht Frou-Frou?« frug Wronskiy auf Englisch.

» All right Sir – alles in Ordnung. Herr,« gurgelte der Engländer irgendwo an einer Stelle in seiner Kehle. »Aber es ist besser, Ihr geht jetzt nicht zu ihm,« fügte er hinzu, die Mütze lüftend. »Ich habe den Maulkorb angelegt, das Pferd ist aufgeregt. Es ist besser, Ihr geht nicht zu ihm, das wird es nur beunruhigen.«

»Nein, ich muß zu ihm. Ich muß ihn sehen.«

»So kommt,« antwortete der Engländer, noch immer kaum den Mund voneinanderbringend mit mürrischem Gesicht, und setzte sich mit den Armen stoßend in seinem geschraubten Gang wieder in Bewegung.

Sie traten in den Hof vor der Baracke. Ein Knabe in einer sauberen Kurtka, lebhaft und gutgehalten aussehend, hatte du jour, mit einem Besen in der Hand. Er trat den Ankommenden entgegen und schritt alsdann hinter ihnen drein.

In der Baracke standen fünf Pferde in gesonderten Ständen, und Wronskiy wußte nun, daß hierher heute sein Hauptrival, der Fuchs Gladiator Machotins, gebracht worden war.

Mehr als sein eigenes Pferd zu sehen, verlangte es Wronskiy nach Machotins Gladiator, welchen er noch nicht kannte.

Allein Wronskiy wußte, daß es nach den Regeln der Sportfreunde nicht gestattet war, das Pferd zu betrachten, ja, auch nur Fragen über dasselbe zu stellen.

Während er im Gang dahinschritt, öffnete der Groom die Thür eines zweiten Standes links und Wronskiy erblickte einen schönen Fuchs mit weißen Füßen. Er wußte, daß dies der Gladiator war, aber mit der Empfindung eines Menschen, der sich abwendet von einem offenen fremden Briefe, drehte er sich um und schritt nach dem Stande seines Frou-Frou.

»Hier steht das Pferd Mac – Mac – ich kann niemals diesen Namen aussprechen,« sagte der Engländer über die Schulter blickend, und wies mit seinem großen Daumen mit schmutzigem Nagel nach dem Stande des »Gladiator«.

»Machotins? Ja, ja, der wird mir ein ernster Gegner werden.«

»Wenn Ihr ihn rittet,« sagte der Engländer, »würde ich auf Euch setzen.«

»Frou-Frou ist nervöser und stärker,« sagte Wronskiy, lächelnd über das Lob seiner Reitkunst.

»Bei den Hindernissen liegt alles im Reiten, und im pluck,« meinte der Engländer.

Den »pluck«, das heißt die Energie und Kühnheit im Reiten fühlte Wronskiy nicht nur genugsam vorhanden in sich, er war – was bei weitem mehr sagen wollte – sogar fest überzeugt, daß überhaupt kein Mensch auf Erden mehr pluck besitzen könne, als er besaß.

»Ihr wißt wohl, daß große Aufmunterung hier nicht nötig sein wird.«

»Nicht nötig,« antwortete der Engländer, »aber sprecht gefälligst nicht so laut; das Pferd kommt leicht in Aufregung,« fügte er dann hinzu, mit dem Kopfe nach dem verschlossenen Stande nickend, vor welchem sie standen, und aus dem man das Stampfen der Hufe auf dem Stroh vernahm.

Er öffnete die Thür und Wronskiy trat in den schwach, nur durch ein einziges Fensterchen beleuchteten Stall, in welchem, mit den Füßen in dem frischen Heu scharrend, ein geschecktes Pferd mit Beißkorb stand.

Sich im Stalle umschauend, maß Wronskiy noch einmal unwillkürlich mit einem umfassenden Blick alle Vorzüge seines Lieblingsrosses.

Frou-Frou war ein Pferd von mittlerer Größe und in seinen Proportionen nicht eben tadellos. Es war schmal im Knochenbau und obwohl sein Bug sich stark nach vorn gab, war er doch schmal. Das Hinterteil hing etwas und auf den Vorderbeinen, besonders aber den Hinterbeinen war es ziemlich krummbeinig.

Die Muskeln der Hinter- und Vorderfüße waren nicht allzu stark, dafür aber war es in der Partie des Bauchgurtes ungewöhnlich dick, was jetzt namentlich in Verwunderung setzte, angesichts der Kraft und des Mutes des Tieres.

Die Knochen seiner Füße unterhalb der Kniee schienen nicht stärker als ein Daumen wenn man von der vorderen Seite blickte, dafür waren sie aber um so breiter, wenn man sie von seitwärts betrachtete.

Das ganze Pferd schien, abgesehen von der Rippenpartie, wie von seitwärts zusammengedrückt und in die Länge gezogen.

Aber eine Eigenschaft besaß dieses Pferd, welches alle Mängel vergessen machte, diese Eigenschaft war seine Abstammung, jene Abstammung, die ostentativ ist, wie der englische Ausdruck besagt. Die Muskeln stark zwischen dem Netze der Adern hervortretend, welches auf der seinen, zuckenden und glatten, atlasartigen Haut sich erstreckte, erschienen so fest, als wären sie Knochen. Der hagere Kopf mit den hervorstehenden, glänzenden Augen die sich bei dem Schnauben der Nüstern zu erweitern schienen, deren zarte Haut immer wie mit Blut übergossen aussah.

In der ganzen Gestalt des Tieres, und insbesondere an seinem Kopfe prägte sich ein bestimmter, energischer und zugleich zarter Ausdruck aus; dieses Pferd war eines jener Tiere, welche, wie es schien, nur deshalb nicht sprechen, weil die organische Einrichtung ihres Maules dies nicht gestattet.

Wronskiy wenigstens kam es vor, als empfinde das Tier alles, was er empfand, als er den Blick auf dasselbe richtete.

Kaum war er in die Nähe des Pferdes getreten, als dasselbe tief Luft einzog und sein hervorstehendes Auge derart drehte, daß das Weiße wie mit Blut unterlaufen erschien. Hierauf blickte es von der entgegengesetzten Seite nach den Eingetretenen, schüttelte den Beißkorb und trat fortwährend von einem Fuße auf den anderen.

»Seht, wie es sich erregt hat!« rief der Engländer.

»Mein schönes Pferd!« rief Wronskiy zu dem Tiere tretend und ihm zuredend. Indessen je näher er dessen Kopfe kam, um so ruhiger wurde es plötzlich, während seine Muskeln unter dem dünnen, zarten Haar spielten.

Wronskiy klopfte ihm den festen Hals, ordnete einen Büschel Mähnenhaare, der auf die falsche Seite gefallen war, auf dem schmalen Nacken und näherte sich mit dem Gesicht den offenstehenden zarten Nüstern, die denen einer Fledermaus ähnlich waren. Das Pferd zoß schnaubend die Luft ein und stieß sie dann aus den geblähten Nüstern wieder hinaus, bebend, das spitze Ohr dicht anlegend, und die harte, schwarze Lippe gegen Wronskiy lefzend, als wünsche es, ihn am Ärmel anzupacken. Doch seines Beißkorbes inne werdend, schüttelte es diesen und begann dann wiederum, von einem auf den anderen Fuß zu stampfen.

»Sei ruhig, mein Guter, sei ruhig!« sagte er, ihm mit der Hand nochmals den Rücken hinunterstreichend in dem frohen Bewußtsein, daß sich sein Pferd in dem besten Zustande befinde, der sich denken lasse. Hierauf verließ er den Stall.

Die Aufregung des Pferdes hatte sich auch Wronskiy mitgeteilt. Dieser empfand, daß ihm das Blut zum Herzen trat und es ihm ebenso zu Mute sei, wie seinem Pferde, daß es ihn verlangte, sich Bewegung zu machen, zu beißen. Es war ein ängstlich beklommenes, und doch freudiges Gefühl.

»So hoffe ich also auf Euch,« sagte er zu dem Engländer, »um sechs und ein halb Uhr heißt es auf dem Platze sein.«

»Ganz wohl,« versetzte dieser. »Aber wohin fahrt Ihr, Mylord?« frug er plötzlich, die Benennung Mylord, die er früher fast nie gebraucht hatte, anwendend.

Wronskiy hob erstaunt den Kopf und blickte, wie er dies recht wohl zu thun verstand, nicht in die Augen, sondern auf die Stirne des Engländers, erstaunt über die Kühnheit der Frage desselben.

Als er indessen inne wurde, daß der Engländer diese Frage an ihn richtete, indem er ihn nicht als seinen Herrn sondern als den Jockey betrachtete, antwortete er:

»Ich muß zu Brjanskiy, doch werde ich in einer Stunde wieder hier sein. Zum wievieltenmale hat man heute wohl diese Frage an mich gestellt,« sagte er zu sich selbst und errötete, was ihm sonst selten zu passieren pflegte.

Der Engländer blickte ihn aufmerksam an, und fuhr, gleich als ob er wüßte, wohin jener gehe, fort:

»Die Hauptsache ist, der Ruhe zu pflegen vor dem Reiten,« sagte er, »keine seelische Mißstimmung sich schaffen und sich in keiner Beziehung zerstreuen.«

» All right,« lächelte Wronskiy, sprang in den Wagen und ließ sich nach Peterhof fahren.

Er war kaum einige Schritte gefahren, da bewegte sich eine Wolke, die schon am Morgen mit Regen gedroht hatte herauf und es goß nun in Strömen von oben herab.

»Das ist dumm,« dachte Wronskiy, das Schutzdach des Wagens aufrichtend. »Es war schon so morastig genug, nun aber wird ein vollendeter Sumpf entstehen. In der Stille seines geschlossenen Wagens sitzend, zog er wiederum den Brief der Mutter hervor und den des Bruders und las beide durch.

»Ja, ja, es ist stets ein und dasselbe. Alle, seine Mutter, sein Bruder, jedermann schien es für nötig zu finden, sich in seine Herzensangelegenheiten zu mischen. Diese Einmischung aber erweckte in ihm den Zorn, ein Gefühl, das er sonst selten empfand. Was geht das sie an? Weshalb halt es ein jeder für seine Pflicht, sich um mich zu kümmern? Warum dringen sie so in mich? Wohl deshalb, weil sie sehen, daß es sich hier um etwas handele, was sie einfach nicht verstehen. Wäre dies noch eine einfache, fashionable Liaison, so würden sie mich in Ruhe lassen, aber sie fühlen, daß es sich hier um etwas anderes handelt, nicht um eine Spielerei, und daß jenes Weib mir teurer ist, als das Leben. Dies ist ihnen unbegreiflich und deshalb verdrießt es sie. Mag unser Schicksal sich gestalten wie es wolle, wir selbst haben es uns geschaffen und wir dürfen uns nicht über dasselbe beklagen,« so sprach er zu sich selbst, im Geiste sich bei dem Worte »wir« mit Anna vereinend. »Nein, sie müssen uns erst beibringen, wie man leben solle? Sie haben gar nicht das Verständnis dafür, was Glück ist; sie wissen gar nicht, daß ohne diese Liebe für uns kein Glück vorhanden ist, aber auch kein Unglück – kein Leben,« dachte er bei sich.

Er geriet über alle diese Einmischungen namentlich deshalb in Zorn, weil er in seinem Innern fühlte, daß sie alle nur zu sehr Recht hätten. Er empfand wohl, daß die Liebe, die ihn mit Anna vereint hielt, nicht eine zeitweilige Neigung war, die vorübergehen werde, wie alles in der großen Welt veränderlich ist, und keine anderen Spuren im Leben des Einen oder des Anderen zurückläßt, als angenehme oder unangenehme Erinnerungen.

Er fühlte all das Peinliche sowohl seiner als ihrer Lage, all die Schwierigkeit angesichts der Kompromittierung vor den Blicken der Welt, in der sie verkehrten, ihre Liebe zu verheimlichen, zu lügen und zu täuschen; zu lügen und zu betrügen und unaufhörlich auf die Umgebung Rücksicht nehmen zu müssen, obwohl doch die Leidenschaft die sie beide band, so mächtig war in ihnen, daß sie alles andere vergaßen, außer dieser Leidenschaft.

Er gedachte lebhaft aller der so häufig sich wiederholenden Fälle der Notwendigkeit zu lügen und zu betrügen, die seiner Natur doch sonst so fremd waren; er dachte besonders lebhaft daran, was er schon öfter bei sich bemerkt hatte, daß das Gefühl der Beschämung über diese Zwangslage zu Lug und Trug in ihm aufgekeimt war.

Seit der Zeit seines Verhältnisses zu Anna hatte er eine ihn bisweilen nur überkommende seltsame Empfindung. Es war das Gefühl des Ekels über etwas Unbestimmtes – ob vor Aleksey Aleksandrowitsch, vor sich selbst, oder vor der ganzen Welt – er wußte es nicht genau.

Daher suchte er dies seltsame Gefühl stets von sich zu weisen – aber gleichwohl setzte er den Gang seiner Gedanken jetzt fort.

»Ja, sie war vordem unglücklich, aber stolz und still; jetzt aber kann sie nicht mehr ruhig und würdevoll sein, wenngleich sie auch dem nicht Ausdruck verleiht. Es muß entschieden ein Ende nehmen,« beschloß er endlich bei sich selbst.

Zum erstenmal kam ihm klar der Gedanke in den Kopf, daß er zweifelsohne dieses Lügenleben abbrechen müsse und zwar je schneller um so besser; »wir müssen alles verlassen; sie und ich, und müssen uns beide an einem fremden Orte allein mit unserer Liebe verbergen,« so sprach er zu sich selbst.

22.

Der Regenguß währte nicht lange Zeit, und als Wronskiy im vollen Trab des Rassepferdes, welches die beiden ohne Zügel beigespannten, im Morast nebenher laufenden Beipferde nach sich zog, ankam, schaute bereits die Sonne wieder hervor und die Dächer der Villen, die alten Linden in den Gärten zu beiden Seiten der Hauptstraße schimmerten in feuchtem Glanze; Von den Zweigen tropfte das Wasser lustig hernieder, von den Dächern rann es herab.

Er dachte schon nicht mehr daran, daß dieser Regen die Rennbahn verderben werde, sondern er freute sich darüber, daß er dank diesem Regen sie daheim und allein antreffen würde. Wußte er doch, daß Aleksey Aleksandrowitsch, erst unlängst aus dem Bade zurückgekehrt, noch nicht von Petersburg herübergekommen war.

In der Hoffnung, Anna allein zu finden, stieg Wronskiy wie er dies stets zu thun pflegte, um weniger Aufsehen zu erregen, aus, ohne über das Brückchen vor dem Hause zu fahren, und ging zu Fuß hinein. Er schritt auch nicht von der Straße zur Freitreppe empor, sondern begab sich in den Hof.

»Ist der Herr schon angekommen?« frug er den Gärtner.

»Nein, aber die Herrin ist daheim. Wollt Ihr nicht die Freitreppe hinaufgehen, es sind dort Leute, die Euch öffnen werden,« versetzte der Gärtner.

»Nein, ich will vom Garten ans hineingehen.«

Nachdem er sich so überzeugt hatte, daß sie allein sei, schritt er, im Wunsche sie zu überraschen, da er ihr nicht versprochen hatte, heute zu ihr zu kommen, und sie infolgedessen nicht daran denken konnte, daß er noch vor den Rennen sie besuchen werde, vorsichtig den Säbel aufnehmend über den Sand des Weges der mit Blumen eingesäumt war, zur Terrasse, welche nach dem Parke hinausging.

Wronskiy hatte jetzt alles vergessen, was er unterwegs über die Schwierigkeit und Beengtheit seiner Lage gedacht hatte, er dachte jetzt nur das Eine, daß er sie im nächsten Augenblick schon sehen sollte, und zwar nicht nur im Geiste, sondern in der Wirklichkeit, so wie sie lebte, wie sie war.

Er hatte schon, so leise als möglich, um jedes Geräusch zu vermeiden, die Terrasse betreten, als ihm plötzlich etwas einfiel, was er stets vergessen hatte, das, was den peinlichsten Punkt in seinen Beziehungen zu ihr bildete – ihr Söhnchen mit seinem fragenden, ihm feindselig erscheinenden Blick.

Dieser Knabe war häufiger als alle anderen ein Hindernis in ihrem beiderseitigen Verhältnis gewesen. Wenn er anwesend war, wagte es weder Wronskiy noch Anna, irgend etwas selbst andeutungsweise zu berühren, was sie in Anwesenheit aller nicht hätten berühren können, ja sie gestatteten sich selbst nicht einmal, in Andeutungen zu sprechen, welche der Knabe noch nicht verstehen konnte.

Sie sprachen kein Wort hierüber, und alles wurde, gleichsam als wäre dies selbstverständlich, einfach unterdrückt. Hätten sie es doch für eine Beleidigung der eigenen Person angesehen, wenn sie dieses Kind täuschten und so sprachen sie in seiner Gegenwart nur, wie alte Bekannte eben zu reden pflegen.

Aber ungeachtet dieser Vorsicht, sah Wronskiy dennoch häufig den Blick des Knaben starr, aufmerksam und zweifelnd auf sich gerichtet und fühlte eine seltsame Scheu und Unsicherheit, bald Freundlichkeit, bald Kühle und Beklommenheit in den Beziehungen desselben zu sich.

Es war als ob das Kind es fühlte, daß zwischen diesem Manne und seiner Mutter eine ernste Verbindung bestehe, deren Bedeutung er nur noch nicht zu erkennen vermochte.

In der That fühlte der Knabe, daß er diese geheimen Beziehungen nicht begreifen könnte; er strengte sich an, vermochte aber nicht, sich das Gefühl klar zu machen, welches er diesem Manne gegenüber empfinden mußte.

Mit diesen Ahnungen in der Erklärung jenes Gefühles, erkannte der Knabe recht wohl, wie sein Vater, die Gouvernante, die Amme, alle um ihn herum, Wronskiy nicht nur nicht liebten, sondern vielmehr mit Abscheu und Schrecken nach ihm blickten, obwohl niemand von ihm sprach, sowie, daß seine Mutter ihn wie ihren besten Freund betrachtete.

Was bedeutet das? Wer ist dieser Mann? Wie soll ich ihn lieben? Da ich dies nicht verstehen kann, so bin ich thöricht oder schlecht, dachte das Kind, und hiervon rührte sein forschendes, fragendes, teils feindseliges Benehmen, seine Schüchternheit und Ungleichheit her, die Wronskiy so verlegen machte.

Die Gegenwart dieses Kindes rief stets wieder in Wronskiy jenes seltsame Gefühl unerklärlichen Widerwillens hervor, welches er in der letzten Zeit in sich empfunden hatte. Sie rief in ihm und in Anna ein Gefühl hervor, welches dem eines Seefahrers ähnlich war, der nach dem Kompaß schaut und sieht, daß die Richtung in der er sich schnell vorwärts bewegt, weit von der richtigen abliegt, und daß es doch nicht in seinem Vermögen steht, diese Bewegung zu hemmen, daß ihn dabei jede Minute weiter und weiter mit fortführe und er sich gestehen müsse in dieser Entfernung von der vorgeschriebenen Richtung – das alles gleichgültig sei und man sich in das Verderben fügen müsse.

Dieses Kind mit seinem naiven Blick auf das Leben war der Kompaß, der beiden den Grad ihrer Verirrung von dem zeigte, was sie genau kannten, aber nicht kennen wollten.

Heute war der kleine Sergey nicht zu Haus und Anna war vollständig allein. Sie saß auf der Terrasse, die Rückkehr ihres Kindes erwartend, welches gegangen war, um sich im Freien zu tummeln und Regentropfen zu haschen. Sie hatte einen Diener und eine Zofe es zu suchen geschickt und saß nun wartend allein.

Anna war in eine weiße Robe gekleidet und saß in einer Ecke der Terrasse hinter Blumen, ohne ihn kommen zu hören.

Das schwarzgelockte Haupt neigend, drückte sie die Stirn an die kalte Vase, welche auf dem Geländer stand und hielt sich an derselben mit ihren beiden schönen Händen, an welchen die Ringe staken, die ihm so wohlbekannt waren. Die Schönheit ihrer ganzen Erscheinung, des Hauptes, des Halses, der Hände, überraschte Wronskiy stets von neuem und berührte ihn gleichsam von neuem wie etwas Unerwartetes.

Er stand, voll Entzücken auf sie blickend. Kaum aber wollte er einen Schritt vorwärts thun, um sich ihr zu nähern, da empfand sie seine Nähe, sie ließ die Vase los und wandte ihm ihr glühendes Gesicht zu.

»Was ist Euch, fühlt Ihr Euch nicht wohl?« frug er sie auf französisch, ihr näher tretend. Er wollte auf sie zueilen, warf aber zuvor, indem er sich ins Gedächtnis rief, daß Fremde da sein könnten, einen Blick nach der Balkonthür und errötete, wie er stets errötete, wenn er fühlte, daß er in Furcht und Vorsicht handeln müsse.

»Nein; ich bin gesund,« versetzte sie, sich erhebend und seine dargereichte Hand fest drückend. »Ich erwartete dich nicht« –

»Mein Gott, wie kalt diese Hände sind!« rief er aus.

»Du hast mich erschreckt,« antwortete sie; »ich bin allein und erwarte meinen Sergey; er ist spielend fortgelaufen, sie müssen von hierher kommen.«

Obwohl sie sich bemühte, ruhig zu bleiben, bebten ihre Lippen.

»Verzeiht mir, daß ich gekommen bin, aber ich vermochte den Tag nicht zu verbringen, ohne Euch nur einmal wiederzusehen,« fuhr er französisch fort, wie er stets that, wenn er das unmöglich klingende, kalte russische »Ihr« ebenso wie das gefahrbringende russische »du« umgehen wollte.

»Weshalb verzeihen? Ich freue mich ja!«

»Aber Ihr seid doch unwohl oder verstimmt,« fuhr er fort ohne ihre Hände freizulassen und sich zu ihr herniederbeugend. »Woran dachtet Ihr?«

»Nur immer an Eins,« antwortete sie lächelnd.

Sie sagte damit die Wahrheit. Wenn es auch sein mochte, zu jeder Minute zu der man sie Härte fragen mögen, woran sie denke, konnte sie ohne einen Irrtum befürchten zu müssen, antworten, daß sie nur an das Eine, an ihr Glück und an ihr Unglück, gedacht habe.

Auch jetzt hatte sie daran gedacht, als er zu ihr kam; sie dachte daran, weshalb für die anderen, für Bezzy zum Beispiel – sie kannte deren vor der Welt geheim gehaltenes Verhältnis zu Tuschkewitsch – alles dies so leicht war, für sie selbst aber so qualvoll.

Heute quälte sie dieser Gedanke unter dem Drucke verschiedenartiger Erwägungen ganz besonders. Sie erkundigte sich nach den Rennen, er antwortete ihr, da er wahrnahm, daß sie sich in Aufregung befinde, im Bemühen sie zu zerstreuen und begann ihr in möglichst unbefangenem Tone Einzelheiten über die Anstalten zu den bevorstehenden Rennen zu erzählen.

»Soll ich es sagen oder nicht?« dachte sie hierbei, in seine ruhigen, freundlichen Augen blickend. »Er ist so glücklich, so beschäftigt mit seinen Rennen, daß er nichts verstehen wird, wie es nötig ist, daß er nie die ganze Bedeutung, die dieses Verhältnis für uns hat, erkennen wird.«

»Aber Ihr habt mir noch nicht gesagt, woran Ihr dachtet, als ich eintrat,« fuhr er fort, sein Gespräch abbrechend, »sagt mir es doch, bitte!«

Sie antwortete nicht, sondern blickte nur, den Kopf ein wenig neigend, verstohlen und fragend mit ihren schimmernden Augen unter den langen Wimpern nach ihm empor. Ihre Hand, mit einem abgepflückten Blatte spielend, zitterte. Er gewahrte dies und sein Gesicht drückte wieder jene Ergebenheit, jene knechtische Hingebung aus, die sie dereinst so sehr gewonnen hatte.

»Ich sehe, daß etwas vorgefallen ist. Kann ich aber eine Minute ruhig sein, wenn ich weiß, daß Ihr ein Leid tragt, welches ich nicht teilen soll? Sprecht zu mir, um Gottes willen,« sprach er in beschwörendem Tone.

»Ich würde es ihm nie verzeihen, wenn er nicht die ganze Bedeutung der Sache erfassen könnte. Es ist daher besser, ich spreche gar nicht; weshalb eine solche Probe machen,« dachte sie bei sich selbst, ihn beständig anblickend und fühlend, wie ihre Hand mit dem Blatte mehr und mehr zu zittern begann.

»Bei Gott beschwöre ich Euch,« wiederholte er, ihre Hand ergreifend.

»Soll ich sprechen?«

»Ja, ja!«

»Ich bin gesegnet,« sprach sie leise und langsam.

Das Blatt in ihrer Hand bebte noch stärker, sie aber ließ ihn nicht aus den Augen, um zu ergründen, wie er die Nachricht aufnehme.

Er war bleich geworden, wollte etwas antworten, hielt aber inne. Dann ließ er ihre Hand frei und senkte den Kopf.

»Ja, er hat sie erfaßt, die Bedeutung dieses Ereignisses,« dachte sie und drückte ihm dankbar die Hand.

Aber sie irrte in der Annahme, daß er die Tragweite dieser Nachricht so begriffen hätte wie sie, das Weib, sie erfaßte.

Mit verzehnfachter Macht empfand er bei derselben die Wirkung jenes seltsamen, ihn öfter überkommenden Gefühls des Ekels vor etwas ihm Unbekannten, zugleich aber erkannte er auch, daß jene Krise, die er ersehnt hatte, jetzt herbeikam, daß jetzt vor dem Gatten nichts mehr verheimlicht werden könne und daß es notwendig werde, so oder so, möglichst schnell dieser unnatürlichen Situation ein Ende zu machen.

Nichtsdestoweniger aber teilte sich auch ihm ihre physische Erregung mit. Er schaute mit mildem ergebenen Blick auf sie, küßte ihre Hand, erhob sich und begann langsam auf der Terrasse umherzugehen.

»Ja wohl;« sagte er, entschlossen zu ihr hintretend. »Weder ich noch Ihr haben auf unser Verhältnis so geblickt, daß wir es etwa als Spielerei aufgefaßt hätten. Heute aber hat sich unser Geschick entschieden. Wir müssen unfehlbar ein Ende machen,« sagte er, sich umblickend, »mit dieser Lüge, in der wir leben.«

»Ein Ende machen? Inwiefern denn, Aleksey?« frug sie leise.

Sie hatte sich jetzt beruhigt und ihr Gesicht strahlte in zärtlichem Lächeln.

»Den Mann verlassen und unser Leben vereinigen.«

»Es ist ja ohnehin schon vereinigt,« bemerkte sie kaum vernehmbar.

»Ja, indessen ganz, vollständig muß dies geschehen.«

»Aber wie denn, Aleksey, wie denn, belehre mich doch!« frug sie, mit traurigem Lächeln über die hoffnungslose Verwickelung ihrer Lage. »Giebt es denn einen Ausweg aus solcher Lage? Bin ich nicht das Weib meines Gatten?« –

»Es giebt Auswege aus jeder Lage. Man muß nur einen Entschluß fassen,« sagte er. »Alles wird besser sein, als diese Situation, in welcher du dich befindest. Ich sehe ja, wie du dich mit allem selbst peinigst, mit der Welt, deinem Sohne und deinem Manne.«

»O, nur nicht mit dem Manne,« versetzte sie mit treuherzigem Lächeln. »Ich weiß nichts von ihm und denke seiner nicht. Er ist für mich nicht da.«

»Du sprichst nicht aufrichtig. Ich kenne dich. Du machst dir ein Gewissen über ihn.«

,.Aber er weiß es doch nicht,« sagte sie und eine helle Röte stieg ihr plötzlich in das Gesicht; Wangen, Stirn und Hals erröteten und Thränen der Scham traten ihr in die Augen. »Wir wollen nicht mehr von ihm sprechen«

23.

Wronskiy hatte schon mehrfach, wenn auch nicht so entschieden, versucht, wie jetzt, Anna zu einer Beurteilung ihrer Lage zu veranlassen. Er war stets auf jene Oberflächlichkeit, jenen Leichtsinn im Urteilen gestoßen, mit dem sie ihm auch jetzt geantwortet hatte auf seine Aufforderung.

Es lag etwas darin, was sie sich gleichsam nicht klar machen konnte oder wollte, gleich als ob, sobald sie nur hierüber zu sprechen begann, sie selbst in sich selbst hineingehen müßte, und als eine ganz andere wieder aus sich herauskäme, als eine seltsame, ihm fremde Frau, die er nicht liebe und nur fürchte, und welche ihm Widerstand leiste.

Heute aber hatte er den Entschluß gefaßt, ihr eine volle Erklärung zu geben.

»Weiß er nun etwas oder nicht,« frug Wronskiy in seinem gewohnten, festen, ruhigen Ton, »weiß er nun etwas oder nicht, uns geht das nichts an. Wir können nicht – Ihr könnt unter obwaltenden Verhältnissen nicht so bleiben, besonders jetzt.«

»Aber was ist zu thun, nach Eurer Meinung?« frug sie mit dem alten leichtsinnigen Spott.

Sie, die so sehr gefürchtet hatte, er möchte ihre Hiobspost zu leicht auffassen, sie fühlte sich jetzt davon gekränkt, daß er infolge derselben ausführte, es müsse gehandelt werden.

»Man muß ihm alles erklären und ihn verlassen.«

»Nicht übel, wenn ich dies thäte,« antwortete sie.

»Ihr wißt wohl, was aus alledem folgen müßte?«

»Ich kann Euch alles im voraus erzählen« – ein böser Glanz entzündete sich in diesen noch vor einer Minute so weichgewesenen Blicken: »Aha, Ihr liebt einen anderen und seid mit diesem in ein verbrecherisches Verhältnis getreten« – bei der Nachahmung ihres Gatten that sie, was Aleksey Aleksandrowitsch gethan hatte; sie legte einen Nachdruck auf das Wort verbrecherisch. »Ich habe Euch vorher auf die Folgen eines solchen in religiöser, in bürgerlicher und familiärer Beziehung aufmerksam gemacht. Aber Ihr habt mich nicht gehört. Jetzt kann ich meinen Namen nicht der Schande überliefern – ebensowenig wie meinen Sohn,« wollte sie hinzufügen, aber über den Sohn vermochte sie nicht zu scherzen, »der Schande nicht überliefern,« ergänzte sie und sprach noch weiter in dieser Weise. »Im allgemeinen wird er mit seiner aristokratischen Manier, seiner Klarheit und Präzision sagen, er könne mich nicht von sich lassen, sondern werde Maßregeln, die von ihm abhingen, ergreifen, um den Skandal zu vermeiden. Und er wird ruhig und gewissenhaft thun, was er sagt. So wird es kommen. Er ist kein Mensch, sondern eine Maschine, aber eine gefährliche Maschine, wenn sie erzürnt ist,« fügte sie noch hinzu, in der Erinnerung an Aleksey Aleksandrowitsch und an alle Einzelheiten seiner Erscheinung, seiner Sprechweise, und ihm alles zum Fehler anrechnend, was sie nur Übles an ihm zu entdecken vermochte, und ohne ihn um Verzeihung zu bitten für die furchtbare Sünde, deren sie sich vor ihm schuldig gemacht hatte.

»Aber Anna,« fuhr Wronskiy mit überzeugender weicher Stimme fort, sich bemühend, sie zu beruhigen, »es ist doch notwendig, ihm alles zu sagen und sich dann dem zu fügen, was er unternehmen wird.«

»Und wie stände es mit einer Flucht?«

»Weshalb nicht fliehen? Ich sehe überhaupt keine Möglichkeit, dieses Verhältnis fortzusetzen, und spreche nicht in meinem Interesse, sondern ich sehe, daß Ihr leidet!«

»Ja, fliehen; und ich muß alsdann Eure Geliebte werden,« sagte sie bitter.

»Anna,« antwortete er vorwurfsvoll zärtlich.

»Ja, ja,« fuhr sie fort, »ich werde Eure Geliebte werden und alles ins Unglück stürzen.«

Sie wollte wiederum hinzufügen »auch mein Kind«; aber sie vermochte nicht, dieses Wort auszusprechen.

Wronskiy konnte nicht begreifen, wie sie mit ihrer starken, ehrenhaften Natur imstande war, diese Situation voller Lug und Trug noch zu ertragen, daß sie nicht wünschte, sich derselben zu entziehen, doch er ahnte ja nicht, daß der hauptsächlichste Grund hierfür das Wort »Sohn« bildete, das sie nicht über die Lippen zu bringen vermochte.

Wenn sie ihres Sohnes dachte und seiner künftigen Beziehungen zu der Mutter, die seinen Vater verließ, wurde es ihr so entsetzlich zu Mute, über das, was sie gethan, daß sie nicht mehr überlegte, sondern, als echtes Weib, sich bemühte, nur noch Beruhigung zu erlangen, mit Trugschlüssen und Worten, in dem Wunsche, es möchte alles beim alten geblieben sein und die furchtbare Frage in Vergessenheit kommen, was mit dem Sohne werden solle.

»Ich bitte, ich beschwöre dich,« sagte sie mit plötzlich völlig verändertem, aufrichtigen und zärtlichem Tone, ihn bei der Hand nehmend, »sprich nie mit mir hierüber!«

»Aber, Anna« –

»Nie! – Überlaß mir alles. All die Niedrigkeit, all das Entsetzliche meiner Lage kenne ich, aber es ist bei alledem doch die Entscheidung nicht so leicht, als du meinst. Überlaß alles mir und gehorche mir; sprich auch nicht mehr hierüber mit mir. Willst du mir das versprechen? Nein, nein, versprich« –

»Ich verspreche alles, kann aber nicht ruhig sein namentlich angesichts dessen, was du da gesagt hast. Ich kann nicht ruhig sein, wenn du nicht Ruhe finden kannst.«

»Ich?« fuhr sie fort. »Ja, bisweilen empfinde ich ja Schmerz, aber dies geht schon vorüber, wenn du niemals mit mir davon sprechen willst. Thust du es dennoch, dann erst werde ich Qualen empfinden.«

»Ich verstehe dich nicht,« sagte er.

»Ich weiß wohl,« unterbrach sie ihn, »wie schwer es deiner ehrenhaften Natur fällt, zu lügen, und ich bemitleide dich. Gar oft denke ich daran, wie du für mich dein Leben untergraben hast.«

»Ganz ähnlich habe auch ich soeben gedacht,« sagte er, »wie konntest du meinetwegen dich ganz und gar zum Opfer bringen? Ich kann es mir nicht vergeben, daß du so unglücklich geworden bist.«

»Ich unglücklich?« sagte sie, sich ihm nähernd, und ihn mit verzücktem Lächeln der Liebe anblickend, »ich erscheine mir wie ein hungriger Mensch, den man Speise gereicht hat. Mag sein, daß er dabei friert und sein Kleid zerrissen ist, daß er sich schämt darob – er ist aber doch nicht unglücklich. Ich unglücklich? Nein, hier ist mein Glück!«

Sie vernahm die Stimme ihres heraneilenden Söhnchens und erhob sich jäh. die Terrasse mit schnellem Blick überfliegend.

Ihr Blick erglühte in jenem Feuer, das er kannte, mit schneller Bewegung erhob sie ihre mit Ringen bedeckten schönen Hände, nahm ihn beim Kopfe und blickte ihn mit langem Blicke an, dann näherte sie ihr Antlitz mit halbgeöffneten lächelnden Lippen, küßte ihn schnell auf den Mund und beide Augen und stieß ihn dann von sich. Sie wollte forteilen, doch er hielt sie.

»Wann?« frug er flüsternd, sie mit entzückten Blicken messend.

»Heute, um ein Uhr,« flüsterte sie und ging dann, unter einem schweren Seufzer, mit ihren leichten und schnellen Schritten dem Sohne entgegen.

Sergey hatte den Regen im großen Parke abgewartet, mit seiner Amme in einer Laube sitzend.

»Also auf Wiedersehen,« sagte sie zu Wronskiy. »Nun muß ich bald zu den Rennen. Bezzy hat versprochen, mich abzuholen.«

Wronskiy blickte nach seiner Uhr und ging eiligst von dannen.

24.

Als Wronskiy nach der Uhr an dem Balkon des Hauses der Karenin blickte, war er so in Verwirrung, so mit seinen Gedanken beschäftigt, daß er wohl die Zeiger auf dem Zifferblatt sah, aber nicht zu erkennen vermochte, welche Zeit es war. Er schritt nach der Chaussee hinaus und begab sich, vorsichtig durch den Morast watend, zu seinem Wagen.

Wronskiy war derart von seiner Empfindung für Anna erfüllt, daß er gar nicht mehr daran gedacht hatte, welche Zeit es sei, und ob es noch Zeit sei, zu Brjanskiy zu fahren.

Er besaß nur noch, wie dies so häufig vorkommt, die äußere Fähigkeit des Gedächtnisses, welche ihm zeigte, wie die Dinge hintereinander zu erledigen waren. Er trat zu seinem Kutscher, welcher auf dem Bocke in dem schon schrägfallenden Schatten einer dichten Linde träumte, scheuchte die in Säulen schwärmenden Stechfliegen, die auf den nassen Pferden tanzten, und weckte dann den Kutscher, sprang in den Wagen und befahl, zu Brjanskiy zu fahren.

Als er ungefähr sieben Werst gefahren war, war er soweit zu sich gekommen, daß er nach der Uhr sah und erkannte, es sei halb sechs und er werde sich verspäten.

Am heutigen Tage fanden mehrere Rennen statt; ein Eröffnungsrennen, ein Offiziersrennen von zwei Werst Distance, eines von vier Werst und das Rennen, an welchem er selbst teilnahm.

Zu seinem eignen Rennen konnte er noch kommen, aber wenn er zu Brjanskiy fahren wollte, so konnte er eben noch ankommen, und er kam dann erst an, wenn der ganze Hof schon anwesend sein würde.

Dies war unangenehm; doch er hatte Brjanskiy sein Wort gegeben, zu ihm kommen zu wollen und entschied sich deshalb dafür, weiter zu fahren, indem er dem Kutscher befahl, die Troika nicht zu schonen.

Er kam zu Brjanskiy, hielt sich bei demselben fünf Minuten auf und eilte dann zurück. Diese schnelle Fahrt beruhigte ihn.

All das Bedrückende, das in seinen Beziehungen zu Anna lag, all das Unbestimmte, was noch nach der stattgehabten Unterredung zwischen ihnen obwaltete, verschwand jetzt ganz aus seinem Kopfe, und mit Wonne und Lebhaftigkeit dachte er jetzt an das Rennen, daran, daß er dennoch eilen müsse, und nur bisweilen flammte dazwischen die Erwartung der Glückseligkeit des Wiedersehens, welches ihm für die heutige Nacht zugesagt war, in hellem Lichte in seiner Vorstellungskraft auf.

Die Spannung auf das bevorstehende Rennen ergriff ihn mehr und mehr, im Maße, als er weiter und weiter in die Atmosphäre der Rennbahn gelangte, und die Equipagen überholte, die von den Landgütern und von Petersburg her zu den Rennen fuhren.

In seinem Quartier war niemand mehr anwesend; alle waren schon zu den Rennen gegangen und sein Lakai erwartete ihn an der Thür. Während er sich umkleidete, teilte ihm dieser mit, daß das zweite Rennen schon begonnen habe und viele Herren bereits nach ihm gefragt hätten. Auch von dem Marstall sei schon zweimal der Groom gekommen.

Ohne Hast kleidete er sich um – er hastete niemals und verlor nie die Selbstbeherrschung – und befahl alsdann, nach den Baracken zu fahren. Von diesen aus konnte er schon das Gewoge der Equipagen, der Fußgänger und Soldaten sehen, welche die Rennbahn umgaben und die von Menschen wimmelnden Tribünen.

Es fand wahrscheinlich soeben das zweite Rennen statt, da er gerade zur Zeit seines Eintritts in die Baracken die Glocke vernahm.

Als er sich dem Stalle näherte, begegnete ihm Machotins weißfüßiger Fuchs »Gladiator« den man in einer orangefarbenen und blauen Decke, an welcher sich ungeheuer große blaue Ohrklappen befanden, nach der Bahn führte.

»Wo ist Kord?« frug er den Knecht.

»Im Stalle: er sattelt.«

In dem geöffneten Stallraum war Frou-Frou schon gesattelt. Man war im Begriff, ihn herauszuführen.

»Bin ich also doch nicht zu spät gekommen?«

»All right, all right! Alles in Ordnung,« antwortete der Engländer. »Seid nur nicht aufgeregt.«

Wronskiy überflog nochmals mit einem Blicke die herrlichen, ihm so teuren Formen des Pferdes, welches am ganzen Körper bebte, und ging dann, sich nur mit Überwindung von diesem Anblick losreißend, aus der Baracke.

Er kam zu den Tribünen gerade zur günstigsten Zeit, um keinerlei Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Soeben ging das Zwei-Werste-Rennen zu Ende und aller Augen richteten sich auf den Reiter von der Kavaliergarde der die Tete desselben führte und den Leibhusaren der ihm folgte und auf die Rosse, welche mit Aufgebot der letzten Kräfte daherjagend, sich dem Pfosten näherten.

Aus der Mitte und von außerhalb des Kreises drängte sich alles nach dem Pfosten hin und eine Gruppe von Soldaten und Offizieren des Kavaliergarderegiments gab mit lauten Rufen ihrer Freude über den zu erwartenden Triumph ihres Offiziers und Kameraden Ausdruck.

Wronskiy trat unbemerkt in die Mitte dieses Kreises, fast zur nämlichen Zeit, als die Glocke ertönte, welche das Ende des Rennens anzeigte und der hochgewachsene Kavaliergardist, welcher Sieger geblieben war, über und über mit Kot bespritzt, sich auf dem Sattel zurückbeugte und seinem grauen Hengst, der von Schweiß dunkel geworden war, die Zügel ließ.

Der Hengst, der nur mit Mühe die Füße noch heben konnte, mäßigte die rasende Schnelligkeit seines großen Körpers und der Kavaliergardist schaute sich, gleich einem Menschen der aus einem schweren Traume erwacht, im Kreise um, zu lächeln versuchend. Ein Haufe von Freunden und Fremden umringte ihn.

Wronskiy mied mit Absicht jenen gewählten Trupp aus der hohen Welt, der sich gemessen und doch frei bewegte und vor den Tribünen im Gespräch umherging.

Er wußte, daß dort auch Anna Karenina war, sowie Bezzy, und das Weib seines Bruders und begab sich daher mit Absicht, um sich nicht zu zerstreuen, nicht dahin.

Es trafen ihn indessen unaufhörlich Bekannte die ihn anhielten, ihm Einzelheiten über die schon beendeten Rennen erzählten und ihn frugen, weshalb er sich verspätet habe.

Zur selben Zeit, als die Teilnehmer am Rennen in die Rennkasse berufen wurden, um ihre Preise entgegenzunehmen und als alles sich nach dorthin wandte, trat Alexander, der ältere Bruder Wronskiys, ein Oberst in Epauletten, von kleiner Gestalt, und ebenso stämmig gebaut wie Aleksey, aber frischer und röter im Gesicht, mit roter Nase und offenem, trunksüchtigen Gesicht zu ihm.

»Hast du meinen Brief empfangen?« begann derselbe. »Man kann dich ja niemals antreffen!«

Aleksander Wronskiy war ungeachtet seines ausschweifenden, namentlich dem Trunke huldigenden Lebens, wegen dessen er bekannt war, ein vollendeter Hofmann.

Als er jetzt mit seinem Bruder über eine für ihn so sehr unerquickliche Angelegenheit sprach, nahm er doch in dem Bewußtsein, daß jetzt vieler Augen auf sie gerichtet sein konnten, eine lächelnde Miene an, als scherze er gleichsam über eine Kleinigkeit mit seinem Bruder.

»Ich habe ihn empfangen, verstehe aber wahrhaftig nicht, um was du dich hierbei zu sorgen hättest,« antwortete Aleksey.

»Ich muß mich um das kümmern, was von mir soeben hervorgehoben wurde, daß man dich nämlich nirgends findet, und man dir am Montag in Peterhof begegnet ist.«

»Es giebt Angelegenheiten, die nur der Beurteilung derjenigen unterstehen, die davon direkt interessiert werden, und die Angelegenheit, um die du dich so sehr kümmerst, ist eine solche« –

»Ja, ja, aber dann dient man eben nicht, nicht« –

»Ich bitte dich, dich nicht einzumischen; und damit genug« –

Das finstere Gesicht Aleksey Wronskiys wurde bleich und sein hervorstehendes Unterkinn zitterte, was bei ihm nur selten vorkam.

Als Mensch von sehr gutem Herzen erregte er sich nur selten, geschah dies aber einmal, und bebte erst das Kinn bei ihm, dann war er – und dies wußte auch Aleksander Wronskiy – gefährlich. – Aleksander Wronskiy lächelte heiter.

»Ich hatte dir nur einen Brief der Mutter geben wollen. Antworte ihr und zerstreue dich nicht vor deinem Rennen.«

»Bonne chance,« fügte er hinzu, lächelte und ging. Gleich nach ihm aber hielt Wronskiy wiederum eine freundschaftliche Begrüßung auf.

»Man will wohl seine Freunde gar nicht kennen! Guten Tag mon cher!« redete ihn jetzt Stefan Arkadjewitsch an, dessen Gesicht auch hier, inmitten des Glanzes von Petersburg, nicht minder in den gewundenen frisierten Backenbärten vor Röte schimmerte, als in Moskau. »Ich bin erst gestern angekommen und freue mich sehr, deinen Sieg mit ansehen zu können; wann werden wir uns heute sehen?«

»Komm morgen ins Kasino,« antwortete Wronskiy, und drückte ihm sich empfehlend den Ärmel seines Paletots, worauf er nach dem Mittelpunkt des Rennplatzes schritt, woselbst schon die Pferde zu dem großen Rennen mit Hindernissen hereingeführt wurden.

Die schweißtriefenden, abgematteten Pferde des vorigen Rennens wurden, von den Grooms geführt, nach Hause gebracht, und eins nach dem anderen erschienen zum bevorstehenden Rennen neue, meist englische Pferde, in Hauben, mit ihren hängenden Leibern, seltsamen, ungeheuren Vögeln ähnlich.

Rechts brachte man das feurige Vollblut Frou-Frou, welches wie auf Sprungfedern auf seinen elastischen und ziemlich langen Beinen dahinschritt. Unfern davon nahm man dem spitzohrigen Gladiator die Decke ab. Die runden, reizend schönen, vollkommen ebenmäßigen Formen des Hengstes mit dem prächtigen Hinterteil, den ungewöhnlich kurzen, steif auf den Hufen aufstehenden Beinen, zogen unwillkürlich die Aufmerksamkeit Wronskiys auf sich.

Dieser wollte nun zu seinem Pferde gehen, aber wieder hielt ihn ein Bekannter zurück.

»Dort ist ja Karenin!« sagte derselbe zu ihm, mit dem er ins Gespräch kam. »Er sucht seine Frau, die sich mitten auf der Tribüne befindet. Habt Ihr sie noch nicht gesehen?«

»Nein, ich habe sie nicht gesehen,« versetzte Wronskiy, nicht einmal einen Blick nach der Tribüne werfend, auf der man ihm die Karenina zeigte. Hierauf begab er sich zu seinem Pferd.

Wronskiy hatte kaum die Sattelung gemustert, über welche noch einige Anordnungen zu geben waren, als man die Teilnehmer am Rennen zu der Rennkasse berief, um die Nummern zu ziehen und den Start zu erläutern.

Mit ernsten, strengen Gesichtern, viele bleich, gingen siebzehn Herren zur Bude und nahmen ihre Nummern.

Wronskiy hatte Nummer sieben. Man vernahm den Ruf »Aufsitzen«. In der Empfindung, daß er zusammen mit den übrigen Teilnehmern am Rennen den Mittelpunkt bildete, auf den sich aller Augen gerichtet hielten, begab er sich in einem Zustand von Spannung, bei welchem er gewöhnlich gemessen und ruhig in seinen Bewegungen wurde, zu seinem Pferd.

Kord hatte sich für die Feier der Rennen mit seinem Paradeanzug, einem schwarzen hochzugeknöpften Überzieher, steif gestärkten Kragen, der ihm die Backen aufstemmte und einem runden schwarzen Hut und Kanonenstiefeln geschmückt. Er war, wie stets, ruhig und gemessen, und hielt eigenhändig das Pferd an beiden Zügeln, vor demselben stehend.

Frou-Frou fuhr fort zu beben wie im Fieber. Das üppige Feuer seiner Augen traf schräg auf den herzutretenden Wronskiy, welcher jetzt den Finger zwischen den Bauchgurt steckte. Das Pferd schielte stärker, zeigte die Zähne und legte das Ohr zurück.

Der Engländer kräuselte die Lippen, als wolle er ein Lächeln darüber zeigen, daß man seine Sattelung noch prüfe.

»Sitzt auf, Ihr werdet dann weniger erregt sein.«

Wronskiy warf noch einen letzten Blick auf seine Genossen. Er wußte, daß er sie beim Ritte selbst nicht mehr sehen werde.

Zwei derselben waren bereits auf den Platz nach vorn geritten, von welchem gestartet werden mußte.

Galzin, einer der gefährlichsten Rivalen, ein Freund Wronskiys, ging rund im Kreise um seinen Fuchshengst, der ihn nicht aufsitzen lassen wollte.

Ein kleiner Leibhusar in seinen engen Reithosen ritt eben Galopp, wie eine Katze über der Croupe zusammengeduckt dahin, im Wunsche, es den Engländern nachzumachen.

Der Fürst Kuzowljeff saß blaß auf seiner Vollblutstute aus dem Grabowskiyschen Gestüt, die sein Engländer an der Kandare führte.

Wronskiy und alle seine Kameraden kannten Kuzowljeff und seine »Nervenschwäche«, sowie auch seine entsetzliche Eitelkeit. Sie wußten, daß er sich vor allem fürchte, daß er sich selbst fürchtete, ein Militärpferd zu reiten; jetzt aber hatte er sich, obwohl es so entsetzlich war, daß sich die Leute den Hals brachen, daß bei jedem Hindernis ein Arzt und ein Lazarettwagen stand mit dem Samariterkreuz und der barmherzigen Schwester, dennoch entschlossen, mit zu reiten.

Beide begegneten sich mit den Blicken und Wronskiy zwinkerte ihm freundlich und aufmunternd zu. Er sah nur Einen nicht, seinen bedeutendsten Rivalen, Machotin auf dem Gladiator.

»Also keine Überstürzung,« sagte Kord zu Wronskiy, »und denket nur an das Eine: faßt nicht in die Zügel bei den Hindernissen und treibt nicht; überlaßt ihn sich selbst wie er will!«

»Gut, gut,« sagte Wronskiy, sich mit den Zügeln beschäftigend.

»Wenn möglich, so führt das Rennen, doch verzweifelt nicht bis zur letzten Minute, wenn Ihr auch hinten bleiben solltet!«

Das Pferd wollte sich soeben bewegen, als Wronskiy mit gewandter und kräftiger Bewegung in den stählernen, gezahnten Steigbügel trat und leicht und sicher seinen schlanken Körper in den knarrenden Ledersattel brachte.

Nachdem er mit dem rechten Fuße den andern Bügel gefaßt hatte, ordnete er mit der üblichen Bewegung die Doppelzügel zwischen den Fingern und Kord ließ die Hände los.

Gleichsam als wisse er nicht, mit welchem Fuße er zuerst anzutreten habe, so zog Frou-Frou mit gestrecktem Halse die Zügel vor, bewegte sich, wie auf Sprungfedern und schüttelte seinen Reiter auf dem geschmeidigen Rücken.

Kord, seinen Schritt beschleunigend, folgte ihm nach.

Das aufgeregte Pferd zerrte bald auf dieser, bald auf jener Seite an den Zügeln im Versuch, seinen Reiter zu überlisten, Wronskiy aber bemühte sich sorglich – mit Stimme und Hand, es zu besänftigen. –

Man war bereits zu dem abgedämmten Flusse gekommen, in der Richtung nach dem Platze, von dem aus gestartet werden mußte. Viele der Reiter waren vorn, viele noch dahinten, als plötzlich Wronskiy hinter sich im Kot des Weges das Geräusch eines galoppierenden Pferdes vernahm. Machotin überholte ihn auf seinem weißfüßigen Gladiator. Machotin lächelte, seine langen Zähne zeigend, Wronskiy aber blickte nur ingrimmig auf ihn. Er liebte jenen überhaupt nicht und jetzt erachtete er ihn als seinen gefährlichsten Rivalen. Er empfand Verdruß über Machotin, weil derselbe an ihm vorübersprengte, und sein Pferd zum Scheuen brachte.

Frou-Frou fiel in der That mit dem linken Fuße in Galopp, machte zwei Volten und ging dann, gereizt über die straffen Zügel in einen stoßenden Trab über, den Reiter dabei hochwerfend.

Auch Kord machte ein ärgerliches Gesicht und lief jetzt fast Trab hinter Wronskiy.