Dschafar

Dschafar

Wohl die meisten meiner Leser kennen Winnetou, den Häuptling der Apatschen, den edelsten Indianer, den besten und treusten Freund, den ich gehabt habe; sie wissen jedenfalls auch, daß und wie er gestorben ist. Er erhielt im tiefen Krater des Hancock-Berges im Kampfe gegen die Sioux eine Kugel in die Brust und verschied kurze Zeit darauf in meinen Armen. Wir schafften seine Leiche nach den Gros Ventre-Bergen und begruben sie dort im Thale des Metsur-Flusses. Mir blieb die traurige Pflicht, nach dem Süden zu reiten, um den Apatschen zu melden, daß ihr geachtetster und bewundertster Anführer nicht mehr am Leben sei.

Das war ein Ritt, an den ich noch heute am liebsten gar nicht denken mag. Winnetous Tod hatte mich so tief ins Leben getroffen, daß ich ein ganz anderer geworden war. Sonst immer heiter und voller Vertrauen auf mich selbst, brachte ich es jetzt nicht zum leisesten Lächeln, und aller Lebensmut schien mir abhanden gekommen zu sein. Ich wollte allein mit mir sein und mied die Menschen, und mußte ich auf meinem einsamen, weiten Ritte ja einmal in einem Fort oder einer Ansiedelung vorsprechen, so that ich dies in kürzester Weise und machte mich so schnell wie möglich wieder davon.

Ich kann freilich nicht sagen, daß die Leute, mit denen ich da zusammentraf, sich so gegen mich verhalten hätten, daß mir der Gedanke gekommen wäre, länger, als ich beabsichtigt hatte, bei ihnen zu bleiben. O nein, sie schenkten mir ganz im Gegenteile so wenig Beachtung, als ob ich für sie gar nicht vorhanden sei, und ich bekam, wenn ich weiterritt, kaum einen Gruß zu hören. Der Grund davon lag in meiner äußeren Erscheinung.

Es muß nämlich erwähnt werden, daß ich mit Winnetou nach dem Hancock-Berge gegangen war, um eine Anzahl Settlers, welche wir kannten, aus der Gefangenschaft der Sioux-Ogellalah zu befreien. Dies gelang uns, wurde aber mit dem Tode Winnetous bezahlt. Als wir ihn begraben hatten, entschloß sich ein Teil der Weißen, im Thale des Metsur-Flusses zu bleiben und da eine Ansiedelung zu gründen. Ich half ihnen dabei, und so kam es, daß ich den Ritt zu den Apatschen erst längere Zeit später antrat.

Im Laufe dieser Zeit war mein Jagdanzug so defekt geworden, daß ich gezwungen war, ihn durch einen andern zu ersetzen; da es aber im wilden Westen kein Kleidermagazin gab, so war ich froh, als mir einer der Settler einen selbstgefertigten Anzug anbot, eine Kleidung von der Art, wie die Hinterwäldler sie zu tragen pflegen, von blauer Leinwand, selbst erbaut, selbst gesponnen und gewebt und auch selbst zugeschnitten und zusammengenäht. So ein Anzug hat natürlich keine Spur von Schnitt; die Hose gleicht einer zusammengehängten Doppelröhre; die Weste ist ein kleiner Sack ohne und der Rock ein großer, langer Sack mit Aermel. Und da der meinige eigentlich für eine ganz andere Figur bestimmt gewesen war, so läßt es sich denken, daß ich in diesem Habite keine allzu bewundernswerte Rolle spielte. Ich sah wohl allem andern aber nur keinem Westmanne ähnlich, und da mein jetziges wortkarges, menschenscheues Wesen dazu kam, so war es ganz natürlich, daß ich nirgendwo die Beachtung fand, welche Old Shatterhand sonst überall zu erregen pflegte.

So war ich im Verlaufe von zwei Wochen in die Nähe des Nord-Kanadian gekommen. Ich ritt über eine weite, ebene Prairie, auf welcher inselartige Gruppen von Bäumen und Sträuchern standen, ein Umstand, welcher zur Vorsicht mahnte, weil dadurch die Aussicht gehemmt wurde und man immer auf eine plötzliche Begegnung gefaßt sein mußte, die leicht eine feindliche sein konnte, denn es ging das Gerücht, daß unter den Comantschen, deren Streifgebiet sich bis hieher erstreckte, bedenkliche Unruhen ausgebrochen seien.

Es war um die Mittagszeit, als ich einen Bach erreichte, dessen frisches, helles Wasser zur Rast einlud. Ich suchte mir eine Stelle aus, von welcher aus ich einen weiten Umblick hatte und jeden, welcher sich etwa näherte, kommen sehen konnte, stieg ab, ließ mein Pferd zum Grasen frei, trank mich satt und legte mich dann im Schatten eines Baumes nieder, doch so, daß ich die ganze Umgegend im Auge hatte.

Ich mochte eine Viertelstunde gelegen haben, als ich zwei Reiter bemerkte, welche es gerade auf die Stelle, wo ich lag, abgesehen zu haben schienen. Es waren Weiße; ich blieb also unbesorgt liegen. Sie kamen aus derselben Richtung, aus welcher ich gekommen war; ja, sie ritten auf meiner Fährte, der sie, wie ich bemerkte, große Aufmerksamkeit schenkten. Sie waren auf meine Spur gestoßen und ihr gefolgt, um zu wissen, wen sie vor sich hatten.

Sie ritten Maultiere und waren der eine ganz genau so wie der andere gekleidet. Als sie näher kamen, bemerkte ich, daß sich diese Aehnlichkeit nicht nur auf die Kleidung, sondern auch auf ihre Gestalten und Gesichtszüge erstreckte. Wer sie erblickte, mußte sie sofort für Brüder, vielleicht gar für Zwillingsbrüder halten.

Sie waren lange, außerordentlich schmächtige und so hagere Gestalten, daß man versucht war, anzunehmen, sie hätten längere Zeit Not gelitten. Daß dem aber nicht so sei, zeigten ihre gesunde Hautfarbe und die kräftige Haltung, welche sie im Sattel behaupteten. Die Aehnlichkeit zwischen beiden war, zumal sie nicht nur ganz gleich gekleidet, sondern auch ebenso gleich bewaffnet waren, so bedeutend, daß man sie fast nur mit Hilfe einer Schmarre zu unterscheiden vermochte, welche dem einen von ihnen quer über die linke Wange lief.

Eine allzu große männliche Schönheit war ihnen nicht zuzusprechen, weil leider der hervorragendste Teil ihrer Gesichter auf eine ganz ungewöhnliche Weise ausgebildet war. Sie hatten Nasen, und zwar was für welche! Man konnte mit aller Sicherheit, jede Wette zu gewinnen, behaupten, daß solche Nasen in den ganzen Vereinigten Staaten nicht mehr zu finden seien. Und nicht die Größe allein, sondern ebenso die Form war außerordentlich und auch die Farbe. Um sich solche Nasen vorstellen zu können, muß man sie gesehen haben; beschreiben kann man sie nicht. Und erstaunlicherweise waren auch sie einander so ähnlich, daß, wenn man sie hätte wegnehmen, vertauschen und wieder ansetzen können, die beiden Gesichter genau dieselben geblieben wären. Trotz dieser Nasen waren die Männer ja nicht etwa häßlich zu nennen; im Gegenteile lag in ihren ausgeprägten Zügen ein Ausdruck von Wohlwollen, welcher gewinnend wirkte; in ihren Mundwinkeln hatte sich ein heiteres, sorgloses Lächeln eingenistet, und ihre hellen, scharfen Augen blickten so gut und freundlich in die Welt, daß selbst ein Uebelwollender zum Mißtrauen keinen Grund zu finden vermochte.

Ihre Anzüge bestanden aus sehr bequemen, dunkelgrauen, wollenen Ueberhemden und Hosen von demselben Stoffe; an den Füßen trugen sie starke Schnürschuhe, auf den Köpfen breitrandige Biberhüte, und von den Schultern hingen breite Lagerdecken wie Regenmäntel herab. In ihren ledernen Gürteln steckten Messer und Revolver, und außerdem waren sie mit langen, weittragenden Rifles bewaffnet.

Das alles war geradezu zum Verwechseln. Wenn diese beiden Männer miteinander in ein Gebüsch gingen und einer von ihnen kam allein wieder heraus, so wußte man, wenn man die erwähnte Schmarre nicht beachtete, gewiß nicht, welcher es war. Und um diese Aehnlichkeit noch frappanter zu machen, ritten sie Maultiere, welche einander in Beziehung auf Farbe, Größe, Bau und Gang auch vollständig gleich waren.

Ich hatte diese beiden Männer bis jetzt noch nie gesehen, aber von ihnen gehört und wußte also, wen ich vor mir hatte, denn eine Täuschung, ein Irrtum war da gar nicht möglich. Sie waren unzertrennlich; kein Mensch hatte jemals einen von ihnen allein gesehen; ihren eigentlichen Namen kannte man nicht; sie wurden nur »Die beiden Snuffles« genannt, natürlich ihrer Nasen wegen. Jim Snuffle war der mit der Schmarre; Tim Snuffle hieß der andere. Man hört also, daß sogar auch die Vornamen einander ähnlich waren. Und damit nicht genug, hatten auch die Namen ihrer Maultiere fast denselben Klang; Jim nannte das seinige Polly, Tim das seinige Molly.

Wenn ich in der letzten Zeit nicht in der Stimmung gewesen war, eine Kameradschaft herbeizuwünschen, so hatte ich jetzt doch nichts dagegen, mit diesen Männern zusammenzutreffen. Sie waren grundehrliche Menschen und dabei so interessante Charaktere, daß es sich schon verlohnte, eine Strecke mit ihnen zusammenzureiten, falls ihr Weg mit dem meinigen zusammenfallen sollte.

Sie sahen weder mein Pferd, weil dieses sich hinter dem Gebüsch befand, noch mich, denn das Gras, in welchem ich lag, war hier am Bache so hoch, daß es mich verdeckte. Die Augen immer auf meine Fährte gerichtet, kamen sie näher und näher, bis sie kaum noch zwanzig Schritte von mir entfernt waren. Da mußten sie denn doch bemerken, daß die Spur, welcher sie folgten, plötzlich ein Ende nahm. Sie hielten ihre Maultiere an und derjenige mit der Schmarre rief erstaunt aus.

»Wetter! Da ist die Fährte alle! Siehst du das nicht auch, alter Tim?«

»Yes,« nickte der andere. »Aber wo ist der Kerl?«

»Wie weggeblasen!«

»Da müßte jemand da sein, der ihn fortgeblasen hat, alter Jim. Man sieht aber auch so einen nicht. Ist mir noch nie passiert!«

»Mir auch nicht. Aber schau, dort führen Hufstapfen hinter das Gebüsch. Der Kerl wird sich dort versteckt haben.«

»Nein. Richte deine gesegneten Augen hier herunter! Da ist er abgestiegen und nach dem Wasser gegangen, wo er – –«

Er hielt inne, folgte meinen Fußeindrücken mit den Augen, bis sie an der Stelle, wo ich lag, haften blieben, und fuhr dann fort:

»Alle Teufel! Dort liegt er im Grase und rührt sich nicht! Meint er etwa, daß es hier im wilden Westen kein Pulver und kein Messer giebt? Hält da Mittagsruhe, als ob er daheim auf dem Kanapee läge und nicht jenseits des Mississippi, wo die Comantschen herumstreifen wie Wölfe, die nach Beute heulen. Komm, wollen ihn aufwecken!«

Sie lenkten ihre Tiere zu mir heran. Ich sah ihnen mit offenen Augen entgegen, woraus sie erkennen mußten, daß ich nicht geschlafen hatte. Darum sagte der mit der Schmarre:

»Good day, Mann! Seid Ihr ein unvorsichtiger Mensch! Macht eine Fährte, die man drei Meilen weit erkennen kann, und legt Euch am Ende derselben ruhig in das Gras, sodaß es jedem Roten kinderleicht werden müßte, Euch aufzufinden und auszulöschen. Ein Westmann scheint Ihr also keinesfalls zu sein!«

Infolge seiner sonderbaren Riesennase hatte seine Stimme jenen eigenartigen Klang, weicher der Grund zu dem Namen Snuffle war. Er musterte mich mit einem forschenden, aber keineswegs übelwollenden Blick, den ich ruhig aushielt, und fuhr dann fort:

»Nun, habt Ihr keine Antwort für mich?«

»O doch; aber ich wollte Euch nicht widersprechen,« antwortete ich.

»Widersprechen? Möchte wissen, woher Ihr das Zeug zum Widerspruch nehmen wolltet!«

»Aus Euern Worten, Sir.«

»Ah! Wirklich? Wieso?«

»Ihr nanntet mich unvorsichtig, ohne den geringsten Grund dazu zu haben. Wenn jemand diesen Vorwurf verdient, so seid Ihr es.«

»Wir? Wetter! Möchte wirklich wissen, wie Ihr das beweisen wollt!«

»Sehr einfach. Meint Ihr denn wirklich, daß ein Roter, der auf meiner Spur käme, mich so leicht auslöschen könnte?«

»Natürlich!«

»Oho! Ich würde ihn kommen sehen, und er bekäme meine Kugel, ehe er nur wüßte, an welcher Stelle ich liege.«

»Meint Ihr wirklich?«

»Jawohl. Ihr selbst waret ja nur ein paar Schritte von mir entfernt, als Ihr mich endlich sahet. Ich hätte Euch also zehnmal so wegblasen können, wie Ihr glaubtet, daß ich weggeblasen sei.«

Da richtete er einen erstaunten Blick auf seinen Bruder und sagte zu ihm:

»Dieser Mann hat nicht unrecht; meinst du nicht, alter Tim? Er spricht fast wie ein Buch, obgleich er gar nicht so klug aussieht. Hätte uns wirklich ganz leicht wegputzen können, wenn es Feindschaft zwischen uns und ihm gäbe und« – fügte er mit Betonung hinzu – »wenn er ein Westmann wäre.«

»Yes. Ein Westmann aber ist er nicht,« antwortete Tim in sehr bestimmtem Tone, indem er mich mit einem wohlwollend bedauernden Blicke betrachtete. »Wird irgend ein verirrter Settler sein.«

»Jawohl; das sieht man ja mit dem ersten Blicke. Wollen uns seiner annehmen und ihn auf den richtigen Weg bringen. Sich hier im fernen Westen zu verirren und von den Comantschen ergriffen zu werden, ist keineswegs das höchste der Gefühle. Inzwischen können wir hier auch ein wenig ruhen; der Platz ist nicht übel dazu.«

Er stieg ab, setzte sich zu mir nieder, was auch sein Bruder that, und fragte mich in jenem selbstbewußten, dabei aber freundlichen Tone, dessen sich ein Höherer einem hilfsbedürftigen Niederern gegenüber bedient:

»Ihr habt doch nichts dagegen, daß wir Euch Gesellschaft leisten, he?«

»Die Prairie ist für einen jeden offen, Sir.«

»Oho! Das klingt ja genau so, als ob es Euch ganz schnuppe wäre, daß wir Euch Rat und Hilfe bringen wollen.«

»Sehr lieb von Euch; brauche aber weder Rat noch Hilfe.«

»Nicht?« fragte er, indem er die Brauen emporzog und mich bedenklich ansah. »Ihr habt Euch also nicht verirrt?«

»Nein.«

»Kennt Euch also aus in dieser Gegend?«

»Ja.«

»Hm! Sonderbar! Ich wette mein Maultier gegen eine junge Ziege, daß Ihr kein Westmann seid. Woher seid Ihr denn eigentlich?«

»Aus Deutschland.«

»Ein Deutscher? Hm, das will ich glauben; das ist allerdings sehr wahrscheinlich. Euer Gesicht, Euer Anzug, ja, ja, es ist alles deutsch an Euch. Man darf wohl erfahren, was Ihr hier treibt und wie Ihr heißt?«

»Warum nicht? Aber ich war zuerst hier und habe also das Recht, diese Frage zunächst an Euch zu stellen.«

»Wetter, sieht dieser Mann auf Ambition! Na, da wir wirklich später gekommen sind, wollen wir gemütlich sein und Euch sagen, daß wir Westmänner sind, echte, wirkliche Westmänner und keine Aasjäger, wie sie jetzt zu Hunderten die alte Prairie unsicher machen. Und wie wir heißen? Unser eigentlicher Name wird Euch wohl gleichgültig sein, denn wir werden von aller Welt nur »Die beiden Snuffles« genannt, nämlich wegen unserer Nasen, müßt Ihr wissen. Es ist das vielleicht ein wenig ärgerlich; aber wir sind es nun so gewöhnt, daß wir uns nichts daraus machen. So, jetzt wißt Ihr, was wir sind und wie wir heißen, und ich denke, daß Ihr meine Frage nun auch beantworten werdet.«

»Sehr gern,« erwiderte ich, indem ich mich nun fast genau seiner eigenen Worte bediente. »Ich will auch gemütlich sein und Euch sagen, daß ich ein Westmann bin, ein echter, wirklicher Westmann und kein Aasjäger, wie sie jetzt zu Hunderten die alte Prairie unsicher machen. Und wie ich heiße? Mein eigentlicher Name wird Euch wohl gleichgültig sein, denn ich werde von aller Welt nur Old Shatterhand genannt.«

Bei diesen meinen Worten sprang Jim Snuffle in die Höhe und rief aus:

»Old Shatterhand? Alle Wetter! Da haben wir ja die große Ehre, den berühmtesten – –«

Er konnte nicht weiter sprechen, denn sein Bruder Tim fiel ihm in die Rede:

»Unsinn! Laß dir doch nichts weismachen, alter Jim! Sieh dir diesen Mann doch richtig an! Er und Old Shatterhand! Ich weiß doch genau, daß du auch Augen im Kopfe hast!«

Jim folgte dieser Aufforderung, indem er seinen Blick über mich gleiten ließ, und stimmte dann in enttäuschtem Tone bei:

»Well, hast recht, alter Tim; dieser Mann ist kein Old Shatterhand. Was habe ich nur gedacht! Wenn er Old Shatterhand wäre, so dürfte man einen Waschbär für einen Grizzly halten.«

Während er dies sagte, setzte er sich wieder nieder; ich bemerkte ihm.

»Ob Ihr meinen Worten Glauben schenkt oder nicht, kann an der Wahrheit derselben gar nichts ändern.«

»Pshaw!« lachte er. »Ihr heißet nicht Old Shatterhand. Ich weiß besser, wer und was Ihr seid.«

»Nun, wer?«

»Ein Joker seid Ihr, ein Spaßvogel, der uns an unsern langen Nasen spazierenführen will. Aber das wird Euch nicht gelingen. Ich habe vorhin vor Ueberraschung, so unerwartet den Namen Old Shatterhand zu hören, gar nicht daran gedacht, daß ich diesen berühmten Jäger kenne.«

»Ah! Ihr kennt ihn, Mr. Snuffle?«

»Ja.«

»Vielleicht sogar genau?«

»Sehr genau freilich nicht. Wir haben ihn einmal in Fort Clark am Missouri gesehen.«

»In Fort Clark? Sollte er wirklich einmal dort gewesen sein? Davon weiß ich nichts.«

»Das glaube ich gern, denn ich bin überzeugt, daß Ihr von Old Shatterhand überhaupt weiter nichts als nur den Namen wißt. Ich sage Euch, dieser Jäger ist ein baumlanger, ungemein breitschulteriger Mann mit einem rabenschwarzen Vollbarte, der ihm bis auf die Brust herabreicht. Er hat von Winnetou, natürlich ehe sie befreundet wurden, einen Beilhieb über die Stirn bekommen, dessen Spur man noch heute sieht.«

»Einen Beilhieb über die Stirn? Eine sehr lange, doppelbreite Gestalt mit langem, schwarzem Vollbarte? Hm! Da habt Ihr Euch wirklich an Eurer langen Nase spazierenführen lassen, Mr. Snuffle. Old Shatterhand ist nie in Fort Clark gewesen. Der, welchen Ihr soeben beschrieben habt, ist ein aus Iowa gebürtiger Fallensteller Namens Stoke, welcher sich allerdings verschiedenemal und an verschiedenen Orten für Old Shatterhand ausgegeben hat, bis ihm dieses Handwerk gelegt wurde.«

»Von wem?«

»Von dem wirklichen Old Shatterhand.«

»Also von Euch?«

»Ja.«

»Ah! Wie ist das denn zugegangen, Sir? Bin wirklich neugierig, es zu hören.«

»Das ging sehr glatt und klar zu. Es war auch in einem Fort, aber nicht Fort Clark, sondern Fort Randall, auch am Missouri. Ich kam dorthin, um meine Munition zu ergänzen, und fand im Store eine Gesellschaft von Männern, welche um ihn saßen und mit Begierde seinen Flunkereien lauschten. Ich fragte ihn, ob er wirklich Old Shatterhand sei, und als er diese Frage bejahte, erklärte ich, daß ich der einzige Mann sei, der das Recht besitzt, diesen Namen zu führen. Da er mich hierauf einen Lügner nannte, führte ich den Beweis, daß ich die Wahrheit gesagt hatte.«

»Den Beweis? Wie denn?«

»Ich gab ihm die Faust an den Kopf, daß er augenblicklich zusammenbrach.«

»Well! Wollt Ihr die Güte haben, uns jetzt einmal diese Faust zu zeigen?«

»Hier ist sie.«

Ich hielt ihm meine Hand hin. Er nahm sie in die seinige, betrachtete sie, befühlte sie, drückte sie und erklärte dann lachend:

»Ihr seid wirklich ein ganz außerordentlicher Spaßvogel. Das ist ja eine Frauenhand. So weiche Finger hatte unsere Tante selig. Ich weiß das sehr genau, denn ich habe manche tüchtige Backpfeife von ihr bekommen, bin aber nicht davon umgefallen oder gar ohnmächtig geworden. Und mit diesen Fingern schlagt Ihr einen Menschen nieder?«

»Ja.«

»Daß er die Besinnung verliert?«

»Sogar daß er gar nicht wieder aufwacht, wenn ich will.«

»Well! Seid doch so freundlich, und gebt mir jetzt einen solchen Hieb! Ich bitte Euch sehr darum, denn ich möchte gar zu gern einmal wissen, wie es ist, wenn man ohne Besinnung ist.«

Er hielt mir lachend seinen Kopf hin. Es juckte mich förmlich in der Hand, zuzuschlagen, aber ich bezwang mich und antwortete,

»Das dürft Ihr nicht von mir verlangen, Mr. Snuffle, denn bei Euch wären ganz sicher zwei Hiebe nötig.«

»Warum?«

»Für die Nase extra einen.«

»Ah so! Habt Euch nicht übel herausgewunden, doch wissen wir, woran wir mit Euch sind. Wäret Ihr wirklich Old Shatterhand, so würdet Ihr jetzt zugeschlagen haben, denn dieser Mann läßt sich nicht ungestraft einen Spaßvogel nennen.«

»Zumal dieses Wort hier eigentlich Lügner bedeutet,« fügte ich ruhig hinzu. »Ihr seid so gütig, Euch eines weniger ärgerlichen Ausdruckes zu bedienen. Aber eben diese Eure Freundlichkeit verbietet mir, Euern Wunsch zu erfüllen.«

»Wieder eine sehr gute Ausrede! Wißt Ihr vielleicht, was für Gewehre Old Shatterhand besitzt?«

»Natürlich!«

»Nun?«

»Einen Bärentöter und einen Henrystutzen.«

Ich muß bemerken, daß ich wegen des Regens, der in der letzten Nacht gefallen war, meinen Stutzen, um ihn nicht feucht werden zu lassen, in den Ueberzug geknöpft hatte. Jim Snuffle deutete auf die Büchse, welche neben mir lag, und fragte:

»Wollt Ihr etwa behaupten, daß diese alte, ungefüge Kanone der Bärentöter Old Shatterhands sei?«

»Gewiß.«

»Dann kann man eine Haubitze aus Washingtons Zeiten als Salonrevolver taufen! Und das Sonntagsgewehr, welches Ihr hier so zart eingebunden habt, ist wohl der Henrystutzen?«

»Ja.«

»So zeigt ihn einmal her! Möchte ihn gar so gern betrachten!«

»Hat Euch der andere Old Shatterhand auf Fort Clark seine Gewehre gezeigt?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Wer wagt es, einen solchen Mann zu inkommodieren!«

»Mich aber inkommodiert Ihr ganz getrost! Hatte er denn einen Bärentöter und einen Stutzen bei sich?«

»Weiß es nicht. Ist auch gar nicht nötig, es zu wissen. Ich sage Euch, er war der Richtige: breitkrämpiger Hut, Jagdrock aus Elenhaut, Jagdhemd aus Hirschleder, hirschlederne Leggins und lange Wasserstiefel; so geht Old Shatterhand; anders kann und darf man ihn sich gar nicht vorstellen. Nun aber seht Euch dagegen an! Euer Hut ist das einzige an Euch, was zu dem Worte Jäger oder Westmann paßt; alles andere gehört hinter den Ackerpflug oder in den Kaninchenstall. Und was die Hauptsache ist: Old Shatterhand ist gar nicht hier in dieser Gegend, kann überhaupt jetzt nicht hier sein.«

»Warum?«

»Weil er sich droben in den Gros Ventre-Bergen befindet.«

»Das könnt Ihr so fest behaupten?«

»Ja. Ihr wißt natürlich gar nicht, was da droben geschehen ist. Habt Ihr einmal von Winnetou gehört?«

»Dem Häuptling der Apatschen? Was wißt Ihr von ihm?«

»Daß er tot ist. Ja, denkt Euch, dieser herrliche Mann ist tot! Die Sioux-Ogellalah haben ihn im Hancockberge erschossen, und Old Shatterhand ist natürlich hinter ihnen her, um den Tod seines berühmten Freundes und Bruders blutig zu rächen. Ich sage Euch, daß kein einziger von ihnen mit dem Leben davonkommen wird! Old Shatterhand vergießt nie unnütz Blut; in diesem Falle aber wird er nicht ruhen und rasten, bis diese Kerls bis zum letzten Manne ausgelöscht sind. Wollt Ihr nun noch immer behaupten, Old Shatterhand zu sein?«

»Ja.«

»So erzählt uns doch einmal, was dort am und im Hancockberge geschehen ist!«

»Habe genug daran, es erlebt zu haben; mag nicht auch noch Worte darüber machen.«

»Well! Immer eine Ausrede, die nicht übel klingt! Mann, Ihr gefallt mir sehr. Entweder seid Ihr übergeschnappt und haltet Euch für einen, der Ihr gar nicht seid; da müssen wir uns Euer annehmen, damit Ihr Euch nicht zuletzt gar noch für den Sultan der Türken oder für den Kaiser von China haltet. Oder Ihr treibt nur so Euern Scherz, und da seid Ihr ein Gesellschafter, der sehr gut zu uns paßt, da wir Leute sind, die sich auch gern einen Spaß machen. Wenn Ihr gleichen Weg mit uns hättet, würden wir Euch mitnehmen.«

»Wirklich? Wolltet Ihr mir diese Ehre erweisen?«

»Ehre oder nicht; wir lachen gern. Woher kommt Ihr?«

Von den Gros Ventre-Bergen herunter.«

»Well! Ihr bleibt in Eurer Rolle. Und wo wollt Ihr hin?«

»Zu den Apatschen.«

»Wetter! Was wollt Ihr bei ihnen?«

»Ihnen den Tod Winnetous melden.«

»Mann, Ihr fallt wirklich nicht aus Eurer Rolle! Aber wenn Ihr diese Absicht wirklich hättet, so würdet Ihr diesen gefährlichen Weg umsonst machen, denn die Apatschen wissen jedenfalls schon, daß Winnetou tot ist.«

»Sehr richtig! Ich konnte nicht gleich fort, sondern wurde durch die Umstände zurückgehalten, und so ist mir die Fama weit vorausgeflogen; man weiß ja, wie schnell sich hier im Westen ein Gerücht oder eine Nachricht verbreitet. Aber trotzdem muß ich hin. Die Apatschen müssen einen Augenzeugen hören.«

»Augenzeugen! Ihr seid wirklich ein kostbarer Kerl! Wenn Ihr bei uns bleiben wolltet, das wäre für uns das Höchste der Gefühle. Wir wollen nämlich über den Canadian hinüber und dann nach Santa Fé hinauf. Das ist für einige Zeit auch Eure Richtung. Wollt Ihr Euch zu uns gesellen?«

»Ja, denn Ihr gefallt mir auch.«

»Well! So ist die Sache abgemacht. Aber vorher müssen wir Eins wissen: Wie sollen wir Euch nennen?«

»Bei meinem Namen.«

»Etwa Old Shatterhand?«

»Ja.«

»Mann, das dürft Ihr nicht von uns verlangen! Diesen Namen werden wir nicht zum Scherz im Munde führen.«

»Bei mir ist es Ernst.«

»Aber bei uns nicht, Sagt uns also gefälligst einen anderen Namen!«

»Ich bleibe bei diesem.«

»So zwingt Ihr uns, einen zu suchen. Ihr seid ein Deutscher; wir werden Euch also, bis es Euch beliebt, uns Euern richtigen Namen zu sagen, Mr. German nennen. Ist’s Euch so recht?«

»Hab‘ nichts dagegen.«

»Du bist doch auch einverstanden, alter Tim?«

»Nenne ihn, wie du willst, kurz oder lang, ich bin dabei. jetzt ist er Old Shatterhand; will doch sehen, was noch alles aus ihm wird!«

»Ein Westmann jedenfalls nicht. Also, Mr. German, Ihr reitet mit uns. Wißt Ihr denn aber auch, was das zu bedeuten hat?«

»Etwas Außerordentliches jedenfalls nicht.«

»Oho! Wir müssen durch das Gebiet der Comantschen, welche sich gerade jetzt wieder einmal gegen die Weißen zusammenrotten. Sie behaupten nämlich, wieder einmal um gewisse Lieferungen betrogen worden zu sein. Haben vielleicht auch recht. Wenn sie uns erwischen, sind wir verloren.«

»Das ist wahr, aber falsch ausgedrückt.«

»So drückt es richtiger aus!«

»Wenn sie uns erwischen, sind wir dumm.«

»Well, nicht übel! Hoffentlich seid Ihr in Wahrheit so gescheit, wie Eure Worte klug klingen, und laßt Euch nicht erwischen. Jetzt haben wir ausgeruht und wollen aufbrechen. Holt Euer Pferd, Sir!«

»Ist nicht nötig; es kommt von selbst.«

Ich pfiff; da kam es um das Gebüsch herbeigetrabt. Als die beiden Snuffles den prächtigen Schwarzschimmel sahen, staunten sie ihn eine ganze Weile wortlos an, und dann rief Jim aus.

»Alle Wetter, ist das ein Pferd! Wie kommt Ihr zu einem solchen Tiere?«

»Es ist ein Geschenk.«

»Von wem?«

»Von Winnetou.«

»Haltet einmal den Schnabel! Winnetou wird Euch ein solches Pferd schenken! So weit werdet Ihr doch nicht in Eurer Rolle gehen! Ich will Euch offen sagen, daß Ihr mir jetzt verdächtig vorkommt! Ein Mann wie Ihr, und dieses kostbare Tier! Hoffentlich begegnet uns keiner, dem es gehört und der eine Jury zusammenruft, um uns aufhängen zu lassen!«

»Keine Sorge, Mr. Snuffle! Ich bin kein Pferdedieb. Daß es mir gehört, erseht Ihr daraus, daß es mir so schnell und willig gehorcht. Es gehörte früher einem Sioux-Häuptling, von dem es Winnetou erbeutet hat.«

»Wenn dies so ist, so werde ich wirklich irre. Wer ein solches Pferd reitet, kann kein ordinärer Landläufer sein; aber ein richtiger Westmann steckt seinen Körper doch nicht in Leinwanddüten, wie Ihr an Euern Gliedern hängen habt! Ihr seid mir ein Rätsel.«

»Mag sein; aber zerbrecht Euch nicht den Kopf; die Lösung kommt von selbst.«

»Aber möglichst bald, wenn ich bitten darf, Mr. German! Ich habe Euch für einen Spaßvogel gehalten; aber dieses Pferd macht mir Gedanken. Glücklicherweise habt Ihr ein offenes, ehrliches Gesicht, und so wollen wir’s mit Euch versuchen. Steigt also auf und macht, daß wir weiter kommen!«

Diese Begegnung war mir, wie bereits gesagt, erst nicht ganz unerwünscht gekommen; jetzt begann sie mir interessant zu werden; ja, ich freute mich über sie. Die beiden braven Snuffles wollten partout nicht glauben, daß ich Old Shatterhand sei; sie waren durch jenen Stoke irre gemacht worden, und mein gegenwärtiger Anzug trug dazu bei, sie in ihrem Zweifel zu bestärken. Sie hielten mich entweder für einen Spaßvogel oder für einen Menschen, in dessen Kopfe etwas nicht in Ordnung war, und nun stand ich gar in dem leisen Verdachte, ein Pferdedieb zu sein! Das amüsierte mich im stillen, und als ich jetzt auf das Pferd gestiegen war und wir fortritten, nahm ich die Haltung eines Mannes an, welcher nicht gar zu oft im Sattel gesessen hat. Dies bestärkte sie noch mehr in der Ueberzeugung, daß ich eine fragwürdige Persönlichkeit sei; sie tauschten oft und heimlich ihre Meinungen über mich aus, und ich bemerkte, daß sie mich scharf im Auge behielten.

Ich hätte ihnen nur den Henrystutzen zu zeigen gebraucht, um ihnen eine andere Ansicht beizubringen, aber es gefiel mir nun einmal, sie in ihrer Besorgnis stecken zu lassen, und so kam es, daß sie schließlich zu bereuen schienen, mich mitgenommen zu haben.

Am Abende machten wir am Rande eines Waldes Lager. Es verstand sich wegen der Comantschen ganz von selbst, daß gewacht werden mußte, und ich forderte sie auf, die Reihenfolge, in welcher dies zu geschehen hatte, festzustellen; da aber erklärten sie, daß ich die ganze Nacht hindurch ruhig schlafen könne, da sie abwechselnd wachen würden. Ihr Mißtrauen war also gewachsen. Unter andern Umständen hätte ich ihnen, um sie nicht zu überlasten, den Beweis gegeben, daß ich wirklich der war, für den ich mich ausgab; aber ich hatte während der letzten Nächte keinen eigentlichen Schlaf gehabt, weil ich allein gewesen war und also mit niemandem im Wachen hatte abwechseln können, und so war es mir lieb, heute Ruhe zu finden. Ich legte mich also nieder und schlief fest, bis ich gegen Morgen aufgeweckt wurde. Den Stutzen hielt ich während des Schlafes im Arme, damit sie ihn nicht in Augenschein nehmen konnten.

Als wir früh aufbrachen, hatten wir ungefähr noch vier Stunden zu reiten, um an den Beaver-Creek des Nord-Canadian zu kommen. Während dieses Rittes zeigte ich mich ebenso einsilbig und in mich versunken, wie ich gestern gewesen war. Sie gaben sich auch keine Mühe, eine Unterhaltung in Fluß zu bringen; am liebsten wären sie mich wohl wieder los geworden.

Es mochte die Hälfte der angegebenen Zeit vergangen sein, und wir befanden uns auf einer kleinen, offenen Savanne, als vor uns ein einzelner Reiter auftauchte, dessen Richtung ihn, wie ich sah, gerade auf uns zuführen mußte. Als er uns bemerkte, hielt er einen Augenblick an und trieb sein Pferd rechtsab, um weit an uns vorüber zu kommen. Das war Verdacht erweckend. Auch den Snuffles fiel es auf, und Jim sagte:

»Er will uns nicht begegnen. Er ist ein Weißer; wir sehen es, und so muß auch er sehen, daß er keine Roten vor sich hat. Warum will er nichts von uns wissen, alter Tim?«

»Wohl weil man in dieser Gegend keinem Menschen trauen soll, auch wenn er ein Weißer ist,« antwortete der Gefragte.

»Wollen ihm aber doch beweisen, daß man uns trauen darf. Es ist vielleicht für uns vorteilhaft, zu erfahren, woher er kommt und ob er wohl Spuren von Comantschen gesehen hat. Lenken wir also zu ihm hinüber!«

Wenn sie dies nicht gethan hätten, wären sie von mir dazu aufgefordert worden; so aber folgte ich ihnen still und ohne etwas zu sagen. Der Reiter sah, daß wir zu ihm wollten; wäre er jetzt noch weiter ausgewichen, so wäre dies noch verdächtiger gewesen als sein bisheriges Verhalten, und wir hätten ihn, da wir zu dreien waren, doch zwischen uns gebracht. Darum war er so klug, sich in das Unvermeidliche zu fügen und uns entgegenzukommen.

Als er nahe genug herangekommen war, sah ich, daß er ein sehr gutes Pferd ritt, und bemerkte zu meinem Erstaunen, daß dasselbe in einer Weise aufgeschirrt war, welche für Amerika eine vollständig fremde ist. Das Sattel- und Riemenzeug war nämlich fast genau der kostbaren Schirrung nachgeahmt, welche man in Persien Reschma nennt. Diese Nachahmung war billig hergestellt und von einer Hand gefertigt, welche das Original nicht kannte; aber es war darum nicht weniger auffällig, hier im Wilden, amerikanischen Westen ein persisches Reschma zu sehen. Ich wußte wirklich nicht, wie ich mir das erklären und was ich davon denken sollte. Ich hatte bisher viel Ungewöhnliches erfahren und erlebt, aber so sonderbar wie dies war mir noch selten etwas vorgekommen.

Der Reiter war ein Vollblutamerikaner; er hatte dieses Geschirr jedenfalls nicht beim Sattler fertigen lassen. Er trug die Kleidung eines Westläufers, hatte eine Flinte auf dem Rücken hängen und in dem Gürtel einen Revolver, ein Bowiemesser und – – – was noch mehr stecken? Ich traute meinen Augen kaum, als ich einen langen, persischen Chandschar erblickte, dessen Griff sehr kunstvoll mit Silber ausgelegt war. Wie kam dieser Westmann zu der orientalischen Waffe? Das konnte unmöglich mit rechten Dingen zugehen!

Er grüßte mürrisch und hielt notgedrungen sein Pferd an, als wir seinen Gruß erwidert hatten. Jim Snuffle fragte ihn:

»Werdet Ihr es übel nehmen, Sir, wenn wir Euch eine Minute lang aufhalten? Die Comantschen sind aus ihren Löchern gekrochen, und unter solchen Umständen ist es immer gut, zu wissen, ob die Gegend, welche man vor sich hat, sicher ist oder nicht. Kommt Ihr vielleicht vom Beaver-Creek herüber?«

»Ja,« antwortete der Gefragte, indem er seine lange Gestalt aufrichtete und die breiten Schultern ungeduldig bewegte. »Wenn Ihr etwas wissen wollt, so macht es kurz; ich habe Eile.«

»Werde nichts Unnötiges sagen. Welchen Weg habt Ihr jenseits des Creek gehabt?«

»Von den Antelope-Buttes her.«

»Allein?«

»Yes.«

»Da seid Ihr ein außerordentlich verwegener Kerl. Seid Ihr auf Spuren von Comantschen getroffen?«

»Nein.«

»Aber es hat drüben schon Feindseligkeiten gegeben.«

»Habe von nichts gehört. Seid Ihr nun fertig? Ich muß fort!«

»Ja, bei einer so befriedigenden Antwort bin ich fertig. Danke Euch höflich, Sir, und wünsche fernern guten Ritt!«

»Danke Euch; lebt wohl!«

Die Snuffles waren zufrieden gestellt, ich aber nicht. War mir erst das fremdartige Geschirr und der Chandschar verwunderlich vorgekommen, so fiel mir jetzt seine große, ja übergroße Eile doppelt auf; er kam mir ängstlich vor. Daß er von den Antelope-Buttes allein hierher gekommen sein wollte, war unbedingt eine Lüge. Darum trieb ich, als er sein Pferd wieder in Bewegung setzen wollte, das meinige hart an das seinige hinan und sagte:

»Noch einen Augenblick, Sir! Was ist das wohl für ein seltsames Geschirr, womit Ihr Euer Pferd so schön herausgeputzt habt? Habe hier noch nie so etwas gesehen.«

»Das geht Euch nichts an!« antwortete er grob und versuchte voller Ungeduld, an mir vorbeizukommen; ich blieb ihm aber im Wege und fuhr fort:

»Richtig! Es geht mich nichts an, aber ich bin nun einmal neugierig und möchte es gern wissen.«

»Gebt den Weg frei!« schnaubte er mich an. »Es ist ein mexikanisches Geschirr; jetzt wißt Ihr es, und nun fahrt mit Eurer Neugierde zum Teufel!«

Er nahm sein Pferd vorn hoch, um es in einer Lancade an mir vorüberzutreiben; ich aber spornte das meinige zu einem noch weitern Satze an, blieb ihm also zur Seite und entgegnete:

»Ihr irrt Euch, Sir; das ist kein mexikanisches, sondern ein persisches Geschirr. Darf ich wohl fragen, von wem Ihr diesen fremdartigen Dolch hier in Euerm Gürtel habt?«

»Nein, das dürft Ihr nicht fragen. Mit welchem Rechte –-«

Er wurde von Jim unterbrochen, welcher mir in verweisendem Tone zurief:

»Was fällt Euch ein! Laßt diesen Gentleman in Ruhe; das rate ich Euch! Ich dulde nicht, daß Ihr ohne allen Grund hier eine Balgerei anfangt!«

Ich hörte gar nicht auf ihn, sondern erklärte dem Fremden:

»Dieser Dolch ist ein persischer Chandschar, und ich verlange, daß Ihr Euch über seinen Besitz ausweiset. Das Pferd, welches Ihr reitet, gehört nicht Euch.«

»Was wagt Ihr, zu behaupten?« brüllte er mich an. »Soll ich Euch eine Kugel durch den Kopf jagen?«

Der Widerspruch des Snuffle gegen mich hatte seinen Mut erhöht; er griff nach seinem Revolver.

»Das werdet Ihr bleiben lassen,« antwortete ich ruhig. »Seht Eure Stiefel und Eure Sporen an! Passen sie in diese orientalischen Steigbügelschuhe? Das Pferd gehört nicht Euch. Wem habt Ihr es gestohlen?«

»Das werde ich dir sofort mit einer Kugel sagen, neugieriger Schuft!«

Er riß den Revolver aus dem Gürtel, um ihn auf mich zu richten; aber ich ließ ihm nicht den kurzen Augenblick Zeit, den er brauchte, die Sicherung zu heben, sondern ich holte aus und gab ihm einen Fausthieb an die Schläfe, daß er, die Zügel fallen lassend, auf der andern Seite vom Pferde stürzte und da am Boden liegen blieb. Ich stieg ab, um sogleich seine Taschen zu untersuchen. Da sprang Jim Snuffle auch aus dem Sattel, eilte herbei, faßte mich am Arme und rief:

»Alle Wetter, Mensch, das hat ja ganz den Anschein, als ob wir einen Straßenräuber bei uns hätten! Wenn Ihr nicht sofort von diesem Manne laßt, schlage ich Euch mit dem Gewehrkolben zu Boden!«

Er wollte mich aufzerren, brachte dies aber trotz aller Kraft, die er anwendete, nicht fertig. Ich schüttelte ihn von mir ab, richtete mich selbst auf und antwortete in ruhigem, aber sehr entschiedenen Tone:

»Meine Faust ist schneller als Euer Kolben, Mr. Snuffle. Old Shatterhand ist weder ein Straßenräuber noch so ein leichtgläubiger Knabe wie Ihr; das merkt Euch wohl! Laßt mich machen, was ich will, sonst trifft Euch meine Hand grad so, wie sie diesen Lügner; vom Pferde geworfen hat!«

»Aber – aber – aber,« stotterte er eingeschüchtert, »er hat Euch ja nichts gethan!«

»Mir nicht, aber andern Leuten; das werde ich Euch beweisen.«

Ich bückte mich wieder nieder und leerte die Taschen des Bewußtlosen, ohne nun dabei gestört zu werden. Ich fand nur Gegenstände, welche jeder Westmann bei sich trägt, aber nichts, was meinen Verdacht bestätigt hätte. Dies veranlaßte den guten Jim, mir vorzuwerfen:

»Da habt Ihr Euern Irrtum; ihr findet nichts. Man fällt doch nicht wie ein wildes Tier über einen Menschen her, nur um – –«

»Bitte, ereifert Euch nicht!« fiel ich ihm in die Rede. »Dieser Inhalt seiner Taschen beweist nur, daß er ein Westmann ist, nicht aber auch, daß dieses Pferd ihm gehört. Wollen nun auch erfahren, was sich in den Satteltaschen befindet.«

Ich öffnete die eine, griff hinein und zog etwas heraus, was ein Westmann schwerlich bei sich führt, nämlich ein kleines Buch, welches in Maroquin gebunden war. Als ich es öffnete, sah ich persische, nicht gedruckte, sondern geschriebene Schriftzüge; ich las auf der Seite, welche ich ohne Wahl getroffen hatte:

»Du yar zirak u az bada in kuhun du mani,
Faragat-i va kitab-i va gusa i caman-i!
Man in huzur bi dunya va achirat na diham;
Agarci dar pay-am uftand chalki, anjuman-i!«

Das war ja ein im Mujtaß-Metrum gedichtetes Ghasel aus dem Diwan des Hafis, des größten Lyrikers, den Persien geboren hat! Konnte dieses Buch das Eigentum eines einfachen, gewöhnlichen, ungebildeten Savannenläufers sein? Entschieden nicht! So ein Mann pflegt nicht persisch studiert zu haben und sich gar während eines Rittes durch das Gebiet der feindlichen Comantschen mit Hafis zu beschäftigen.

Ich suchte weiter und fand außer einer persischen Hukah noch verschiedene andere Gegenstände, welche mit Sicherheit darauf schließen ließen, daß der rechtmäßige Besitzer des Pferdes entweder ein Orientale sei oder wenigstens orientalische Gewohnheiten habe. Und das hier im fernen amerikanischen Westen! Ein Umstand, welcher mich gewiß zur Verwunderung berechtigte! Sollte der Besitzer ein reicher Yankee sein, welcher die Prairie durchquerte und vorher in Persien oder überhaupt im Oriente gewesen war? Man hatte ihn beraubt, vielleicht gar ermordet; das mußte untersucht, unbedingt untersucht werden!

Die beiden Snuffles standen dabei, denn Tim war auch abgestiegen, und sahen mit gespannter Erwartung und jedenfalls sehr unklaren Empfindungen meinem Beginnen zu. Als ich die Hukah zum Vorscheine brachte, fragte Jim neugierig:

»Was ist denn das für ein Ding? Ein Schlauch, der einen Kopf und eine gläserne Flasche hat! Wohl gar ein Apothekerinstrument, zum Destillieren des Spiritus und des Likörs?«

»Das weniger. Es ist eine persische Tabakspfeife, bei welcher der Rauch durch Wasser geführt wird.«

»Der Rauch durch Wasser! Das muß das höchste der Gefühle sein! Also raucht der Mann, der hier am Boden liegt, durch diese Wasserflasche?«

»Der jedenfalls nicht, sondern ein anderer, den wir ausfindig machen werden.«

»Und was ist das für ein Buch?«

»Ein persisches Gedichtbuch; persisch sind überhaupt fast alle diese Gegenstände.«

»Wie könnt Ihr denn wissen, daß dieses Buch ein persisches ist?«

»Weil ich es lese.«

»Weil – – Ihr – – es – – lest?“ stieß er die Worte einzeln hervor. »Ihr – – Ihr – – versteht also – – also persisch?«

»Ja.«

»Liegt dieses Persien etwa in dem Lande, welches man den Orient nennt?«

»Ja.«

»Wohl gar in der großen Wüste Sahara, wo die Menschen auf Kamelen sitzen?«

»Nicht in ihr, aber auch nicht allzuweit davon.«

»Alle Wetter! Hast du es gehört, alter Tim?«

»Yes,« antwortete sein wortkargerer Bruder.

»Schau mich einmal an!«

»Yes!«

Sie sahen einander an, und ich kann nicht behaupten, daß ihre Gesichter dabei den Ausdruck übermäßiger Klugheit zeigten.

»Tim, du hast doch gehört, was letzthin in Fernandino von Old Shatterhand erzählt wurde?«

»Muß es gehört haben; war ja dabei und habe gute Ohren.«

»Wie oft soll er in den Vereinigten Staaten gewesen sein?«

»Bis jetzt vierzehnmal.«

»Und in den Zwischenzeiten?«

»Bei den Türken, Chinesen und Niggern und auch da, wo man auf Kamelen sitzt und vor lauter Hitze die Haut und das Fell verliert.«

»Well. Nun denke dir, dieser Mr. German hat diesen Fremden mit der Faust vom Pferde geschlagen, so daß ihm der Verstand vergangen ist!«

»Yes!«

»Er kann persisch lesen, was grad neben der Sahara liegt!«

»Yes!«

»Old Shatterhand soll überhaupt die Sprachen aller dortigen Chinesen und anderer Muselmänner verstehen?«

»Das soll er allerdings. Man sagt, daß er mit den Muselleuten in allen Indianerdialekten redet.«

»Well! Nun laßt Euch einmal fragen, ob Ihr in diesen Ländern gewesen seid und mit den dortigen Gentlemen in ihren Sprachen gesprochen habt, Mr. German?«

»Allerdings bin und habe ich das,« antwortete ich, da er sich mit diesen Worten wieder an mich gewendet hatte.

»Waret Ihr wohl vierzehnmal in Amerika?«

»Ja.«

»So sind wir Snuffles wahrscheinlich zwei sehr große Esel gewesen. Sagt, ist das wahr, was Ihr gestern von dem Fallensteller Stoke in Fort Randall erzähltet?«

»Wort für Wort.«

»Dann ist Eure alte Kanone da vielleicht doch der richtige Bärentöter. Wenn Ihr doch so gut sein wolltet, uns das andere Gewehr auch einmal sehen zu lassen!«

»Welches Ihr gestern ein Sonntagsgewehr nanntet? Wißt Ihr denn, wie ein Henrystutzen aussieht?«

»Yes. Habe ihn mir sehr genau beschreiben lassen. Würde sofort wissen, woran ich bin.«

»So seht ihn an; ich habe nichts dagegen.«

Ich nahm das Gewehr aus dem Ueberzuge und gab es ihnen hin. Sie betrachteten es, und die verlegenen Gesichter, die sie dabei zogen, waren wirklich köstlich. Sie erkannten, welchen Fehler sie begangen hatten, und wagten nicht, mich anzusehen.

»Was sagst du, alter Tim, he, was sagst du zu diesem Gewehr?« fragte Jim.

»Ein Henrystutzen!«

»Ohne allen Zweifel. Und da ist eine Silberplatte mit einem Namen eingeschraubt. Kannst du ihn lesen?«

»Yes. Old – – Old – – Shat – – Old Shatterhand,« buchstabierte er.

»Richtig! So lauten die Buchstaben, wenn man sie richtig zusammennimmt; ich sehe es auch. Und wir haben es nicht geglaubt! Wir haben diesen berühmten Gentleman sogar für einen – – – hm, für einen Pferdedieb gehalten! Ist dir schon einmal so ein dummer Streich passiert?«

»No.«

»Mir auch nicht. Der muß gut gemacht, der muß ausgebessert werden. Aber – – hm – – – hm!«

Es wurde ihm außerordentlich schwer, seine Verlegenheit einzugestehen; er stand noch eine Weile von mir abgewendet; dann drehte er sich mit einem gewaltsamen Rucke herum, trat auf mich zu und sagte: »Sir, wir sind die größten Dummköpfe gewesen, die es auf dieser alten Prairie geben kann, nämlich ich und mein Bruder Tim; aber nach allem, was ich von Euch gehört habe, werdet Ihr es uns wohl nicht sehr lange nachtragen. Lacht uns aus, soviel Ihr wollt; aber wenn Ihr Euch satt gelacht habt, so denkt nicht mehr daran!«

»Ihr glaubt also nun, daß ich Old Shatterhand bin?«

»Yes,« nickte Tim, und sein Bruder erklärte weniger wortgeizig:

»Natürlich glauben wir es; wir beschwören es sogar, und wenn jetzt Einer käme, der es bezweifeln wollte, so erhielte er von uns so viele Kugeln in den Leib, daß er durchsichtig würde wie ein Erbsensieb. Ist’s Euch denn noch recht, daß wir beisammen bleiben?«

»Solange unser Weg derselbe ist, ja. Jetzt aber zu dem Fremden hier! Ich sehe, daß er sich wieder bewegt. Wollen zunächst dafür sorgen, daß er uns sicher ist.«

Wir hatten Riemen und banden ihn so, daß er nicht auf konnte. Waren die Snuffles vorher gegen mich gewesen, so zeigten sie jetzt einen um so größern Eifer, mir zu Diensten zu sein. Wenn es auf sie angekommen wäre, hätten sie ihn so gefesselt, daß die Riemen zerreißen mußten.

Bald kam er zu sich, zunächst nicht ganz. Er wollte auf und fühlte, daß er nicht konnte; das brachte ihn vollständig zur Besinnung. Er sah uns vor sich stehen, starrte uns einige Sekunden an und machte, als er sich des Geschehenen bewußt wurde, eine kräftige Anstrengung, die Riemen zu zerreißen. Dies war ohne Erfolg, und so fuhr er mich an:

»Was ist Euch eingefallen! Erst schlagt Ihr mich an den Kopf, und dann bindet Ihr mir gar die Hände und die Füße! Was habe ich Euch gethan? Ich muß fort, schnell fort und verlange, daß Ihr mich augenblicklich losbindet!«

»Glaub’s gern, daß Ihr so schnell fort wollt,« antwortete ich. »Es steht ja zu erwarten, daß Eure Verfolger sehr bald hier sein werden.«

»Wißt Ihr das? Gut, sehr gut, daß Ihr es wißt!« erwiderte er ganz gegen meine Erwartung. »Gebt mich also rasch frei, und macht Euch auch mit aus dem Staube!«

»Wir uns? Wüßte nicht, welche Veranlassung wir dazu hätten!«

»Die dringendste, die es geben kann!«

»Ah! Welche?«

»Die Comantschen.«

»Wollt Ihr uns weismachen, daß diese kommen?«

»Weismachen nicht; es ist wahr.«

»Pshaw! Ihr redet auf einmal ganz anders. Vorhin habt Ihr doch behauptet, von ihnen nichts gesehen und gehört zu haben.«

»Weil ich mich nicht um Euch zu kümmern brauchte. Jetzt aber ist es anders. Wenn Ihr mich nicht fort laßt, seid Ihr mit mir verloren. Sie kommen ganz gewiß, wohl an die fünfzig Krieger stark!«

»Schön! Da werden wir sie kennen lernen und sie uns auch. Vorher aber möchte ich einiges von Euch erfahren.«

»Bindet mich los! Eher stehe ich Euch nicht Rede.«

»Es ist grad umgekehrt: Ihr kommt nicht eher los, als bis ich das erfahren habe, was ich wissen will.«

»Aber diese Zeitversäumnis führt mich und Euch in den sicheren Tod!«

»Bin anderer Meinung und rate Euch, mir auf meine Fragen nichts als die Wahrheit zu sagen.«

Er schimpfte auf mich los und erging sich in allen möglichen Schmähungen. Als er sah, daß dies keinen Eindruck auf mich machte, wandte er sich an Jim, der ja vorhin auf seiner Seite gestanden hatte. Da auch dies nichts half, zischte er mich grimmig an:

»So sagt, was Ihr wissen wollt! Ich versichere Euch aber, daß Ihr Eure Gewaltthätigkeit bereuen und schwer büßen werdet!«

»Das warte ich mit Vergnügen ab. Wem gehört dieses Pferd?«

»Alberne Frage! Natürlich mir!«

»Dieser Dolch?«

»Auch mir.«

»Und die Sachen, welche ich aus den Satteltaschen genommen habe? Ihr seht sie hier liegen.«

»Mir, mir und immer mir!«

»Auch dieses Buch?«

»Auch.«

»Was ist’s für eins?«

»Das sind Notizen, die ich aufgeschrieben habe.«

»Es ist aber doch nicht englisch!«

»Nein, sondern Stenographie.«

»Gebt Euch keine Mühe, mich anzulügen! Es ist persische Schrift und persische Sprache. Ihr habt das Pferd gestohlen. Wenn Ihr Euch entschließt, aufrichtig zu sein, so werde ich nachsichtig mit Euch verfahren; bleibt Ihr aber bei Euern Lügen, so lasse ich Euch von dem Besitzer des Pferdes genau nach dem Gesetze der Savanne bestrafen. Ihr wißt doch wohl, daß auf Pferderaub der Tod steht?«

»Lächerlich! Man kann doch unmöglich der Räuber seines eigenen Pferdes sein! Versucht es doch nicht, Komödie mit mir zu treiben! Ich durchschaue Euch, Ihr selbst seid Diebe, die mir mein Pferd unter dem Vorwande, daß ich es gestohlen habe, abnehmen wollen.«

Diese Frechheit ließ mich ruhig; den wackern Jim Snuffle aber empörte sie derart, daß er mit geballten Fäusten auf ihn zutrat und ihm drohte:

»Schuft! Wir sollen Diebe sein? Sag dies noch einmal, so gerbe ich dir das Fell, daß es in Stücken herunterfliegt! Wir und Diebe! Weißt du, wer wir sind?«

»Seid, wer ihr wollt, ehrliche Leute seid ihr nicht, sonst würdet ihr mich augenblicklich freigeben.«

»Eben weil wir ehrlich sind, kommst du nicht frei. Wisse, daß man uns die beiden Snuffles nennt!«

»Ah, die seid ihr? Dann ist es um so mehr zu verwundern, daß ihr an mir in dieser Weise handelt. Ihr klagt mich an, ohne zu wissen, wer ich bin, ohne auch nur die Spur eines Beweises zu haben. Ihr habt mich noch nicht einmal nach meinem Namen gefragt!«

»Weil du uns doch einen falschen sagen würdest.«

»Fällt mir nicht ein; habe gar keinen Grund dazu. Ich bin ein Ehrenmann, der seinen Namen offen nennen darf. Ich bin unschuldig. Bindet mich los, daß ich die Hände frei bekomme; dann werde ich euch aus diesem stenographierten Notizbuche beweisen, daß ich der rechtmäßige Eigentümer dieses Pferdes und all dieser Sachen bin!«

»Ja, wenn du es mit uns allein zu thun hättest, da brächtest du dies vielleicht fertig. Uns ein persisches Gedichtbuch als eine Stenographie hermalen, das wäre so das höchste der Gefühle! Zum Glück ist aber dieser dritte Gentleman da, welcher persisch versteht und das Buch lesen kann.«

»Lüge, nichts als Lüge! Dieser blaue Leinwandmann und persisch lesen!«

»Blauer Leinwandmann? Schuft, sprich höflicher von ihm! Wenn ich dir seinen Namen nenne, wird dir der Mut in allen Fugen krachen!«

»Da bin ich doch begierig, ihn zu hören. Wahrscheinlich aber hat er nicht den Mut, ihn mir zu nennen.«

»Was? Old Shatterhand sollte sich scheuen, seinen Namen auszusprechen?«

»Old Shatterhand? Dieser Mensch, diese Gestalt soll Old Shatterhand sein? Hahahahaha!«

Er lachte aus vollem Halse. Darüber ergrimmte Jim dermaßen, daß er den Fuß erhob, um ihm einen Tritt zu versetzen; ich schob ihn aber zurück und sagte:

»Regt Euch doch eines solchen Menschen wegen nicht auf, Mr. Snuffle. Er wird bald merken, wer ich bin. Es wird kein weiteres Wort an ihm verschwendet. Hätte er ein offenes Geständnis abgelegt, so wären wir möglichst glimpflich mit ihm verfahren; nun aber wollen wir ihm zeigen, daß wir sein Geständnis gar nicht brauchen.«

»Recht so, Sir! Nicht zu glauben, daß Ihr Old Shatterhand seid! Habt ihn mit der Faust vom Pferde geschlagen; schon dies allein ist ein Beweis; hier aber liegt der Bärentöter mit dem Henrystutzen; wer da noch zweifelt, der ist verrückt, vollständig verrückt! Was bestimmt Ihr jetzt, daß geschehen soll?«

Die Augen des Gefangenen suchten die beiden Gewehre und richteten sich dann auf mich; er war bleich geworden, außerordentlich bleich; er begann, die Vergeblichkeit seines Leugnens einzusehen. Ich that, als ob ich dies nicht bemerkte, und antwortete dem Snuffle:

»Wir binden ihn auf das Pferd und reiten mit ihm auf seiner Spur zurück; da wird es sich schnell zeigen, wie er zu seinem Raube gekommen ist, und ebenso schnell wird er das Vergnügen haben, mich mit dem Eigentümer des Pferdes persisch sprechen zu hören.«

Ich sagte dies nicht etwa, um mich zu brüsten, sondern um die Wirkung meiner Worte auf ihn zu beobachten. Eine Blutwelle stieg ihm in das Gesicht, so daß er bis unter die Augen rot wurde; um so mehr stach davon die Blässe ab, als es sich hierauf wieder entfärbte. Es hatte mit einem wirklichen Perser oder wenigstens mit einem, welcher persisch verstand, seine Richtigkeit.

Was ich gesagt hatte, wurde ausgeführt. Wir thaten die Gegenstände alle in die Satteltaschen zurück und hoben den Gefangenen in den Sattel, wo er festgebunden wurde; die Snuffles erhielten seine Waffen außer dem Chandschar, den ich in meinen Gürtel steckte. Dann stiegen wir auf und ritten weiter, dem Beaver-Creek entgegen, ich voran und Jim und Tim mit dem Fremden in der Mitte hinter mir her. Er sprach kein Wort, und da ich es nicht für der Mühe wert hielt, mich nach ihm umzusehen, konnte ich auch die Gedanken nicht beobachten, welche vielleicht in seinen Mienen zum Ausdrucke kamen.

Was ich vorhatte, war nicht ganz ungefährlich. Als er vorhin von den Comantschen sprach, hatte es doch nicht so geklungen, als ob seine Worte aus der Luft gegriffen seien. Es konnte wenigstens etwas Wahres daran sein, und darum war jetzt unterwegs die größte Vorsicht geboten. Auf der offenen Savanne kündete sich jede Begegnung schon von weitem an; dann aber, als es Busch und Wald gab, ritt ich zur größern Sicherheit der andern eine genügende Strecke voran, um sie nötigenfalls warnen zu können. Da galt es, doppelt aufmerksam zu sein. Ich hatte auf die Spur zu achten, die wir nicht verlieren durften, und zugleich Gesicht und Gehör scharf vorwärts zu richten, um nicht etwa von einem Feinde überrascht zu werden. Das minderte natürlich unsere Schnelligkeit, und doch war Eile geboten, denn wenn der, welchem das Pferd gestohlen worden war, sich in Gefahr befand, so konnte jedes Zögern ihm leicht verhängnisvoll werden.

Glücklicherweise passierte nichts, und wir gelangten an den Beaver-Creek, noch ehe die vorhin erwähnten zwei Stunden vergangen waren.

Der Fluß hatte nicht viel und nur seichtes Wasser; die Spur führte hüben hinein, aber drüben nicht wieder hinaus, wie wir sahen, als wir an das jenseitige Ufer kamen.

»Das ist fatal! Was thun wir nun?« meinte Jim. »Der Kerl muß uns sagen, wie er geritten ist; wir zwingen ihn dazu!«

Ein rascher, verstohlener Blick, den ich in das Gesicht des Gefangenen warf, zeigte mir ein befriedigtes Aufleuchten seiner Augen. Er nahm an, daß seine Spur nun für uns verloren sei, und schöpfte daraus Hoffnung; aber er täuschte sich, denn nichts war leichter, als sie wiederzufinden. Er war jedenfalls drüben in den Fluß geritten; es fragte sich nur, ob ab- oder aufwärts von der Stelle, an welcher wir hielten. Jedenfalls hatte er das Wasser schräg durchquert; vielleicht war er gar eine ganze Strecke im Wasser fortgeritten, ehe er es verlassen hatte. Um dies zu erfahren, brauchte ich nur nach der Stelle zurückzukehren, wo er an das diesseitige Ufer gekommen war. Ich that es, stieg vom Pferde und ging in das Wasser, langsam und vorsichtig, um es nicht zu trüben, Es war klar und seicht, kaum drei Fuß tief, so daß ich auf den Grund sehen konnte. Aufwärts war nichts zu erkennen; aber als ich mich hierauf abwärts wendete, bemerkte ich die Hufstapfen des Pferdes mit genügender Deutlichkeit. Er war von unten heraufgekommen und, natürlich um seine Fährte unauffindbar zu machen, eine bedeutende Strecke weit im Wasser geritten. Der Ort, an welchem er hineingeritten war, lag wohl zweihundert Schritte von der Stelle entfernt, wo er es verlassen hatte und jetzt als Gefangener am andern Ufer bei den Snuffles hielt. Sie sahen mich, und ich winkte ihnen, herbeizukommen und mein Pferd mitzubringen. Als sie mich erreichten und ich ihnen die Fährte wieder zeigte, sagte Jim:

»Ja, das ist Old Shatterhand! Wir hätten sie wahrscheinlich nicht wieder gefunden. Meinst du nicht, alter Tim?«

»Yes,« nickte sein Bruder, indem ich wieder aufstieg, um die Suche nun jenseits, am rechten Ufer abwärts, fortzusetzen. Das Gesicht des Gefangenen hatte sich wieder verdüstert; die kurze Hoffnung war ihm jetzt wieder abhanden gekommen. Er blickte sehr ernst und nachdenklich vor sich hin; ich merkte ihm an, daß er mit sich zu Rate ging. Welchen Erwägungen er sich hingab, konnte ich natürlich nicht wissen, war aber überzeugt, daß wir es bald erfahren würden.

Die Spur führte zunächst am Flusse hinunter und dann in beinahe rechtem Winkel von ihm ab, durch ziemlich dichten Busch und Wald; dann wendete sie sich nach links, bis wir an einen Bach kamen, an dessen Ufer sie aufhörte. Jenseits dieses Baches gab es eine freie Stelle, deren Gras niedergetreten war. Ich stieg vom Pferde und untersuchte den Grund des Wassers; es waren da die Eindrücke von Pferdehufen zu sehen.

»Es scheint, daß da drüben Reiter gelagert haben; meinst du nicht, alter Tim?« fragte Jim Snuffle seinen Bruder.

»Yes,« antwortete dieser.

»Wer mag es gewesen sein? Denkt Ihr, daß wir es erfahren werden, Mr. Shatterhand?«

»Ich hoffe es. Es ist für uns sehr wichtig, zu wissen, wer sich vor zwei Stunden hier befunden hat,« erklärte ich.

»Vor zwei Stunden? Nehmt es mir nicht übel, wenn ich meine, daß es länger her ist! Seht Euch nur das Gras an!«

»Ich sehe es.«

»Well! Da Ihr es seht, so müßt Ihr doch bemerken, wie fest es niedergetreten gewesen ist. Ich nehme an, daß man hier die ganze Nacht gelagert hat.«

»Das denke ich auch.«

»Schön! Unter solchen Verhältnissen aber richtet sich das Gras nicht so rasch wieder auf, als wenn es nur kurze Zeit niedergedrückt wurde. Darum meine ich, daß dieser Platz seit länger als zwei Stunden verlassen worden ist.«

»Sehr richtig; aber Ihr scheint nicht alles gesehen zu haben.«

»Was nicht?«

»Als die Leute, welche seit gestern abend hier lagerten, den Platz verlassen hatten, kamen andere nach, und diese sind erst seit zwei Stunden wieder fort.«

»Andere? So denkt Ihr, daß wir es mit zwei verschiedenen Trupps zu thun haben?«

»Allerdings.«

»Dann sind Eure Augen schärfer als die meinigen, worüber man sich freilich nicht groß wundern kann, wenn man bedenkt, daß Ihr Old Shatterhand seid. Wollt Ihr so gut sein, meinen schwächeren Sehwerkzeugen ein wenig zu Hilfe zu kommen?«

»Gern. Vorher aber will ich erst über den Bach hinüber. Ihr bleibt einstweilen hüben, damit Ihr mir die Spuren nicht verlöscht, die ich zu lesen habe.«

Ich sprang über das nicht breite Wasser und untersuchte das verlassene Lager so genau wie möglich. Als dies geschehen war, rief ich mein Pferd herüber, und die andern drei Reiter folgten nach.

»Darf ich mit meinem alten Tim auch einmal nachforschen?« fragte Jim. »Möchte doch gar zu gern wissen, ob wir es fertig bringen, ganz dasselbe herauszulesen wie Ihr.«

»Habe nichts dagegen,« antwortete ich. »Zwei Männer wie Jim und Tim Snuffle brauchen sich wohl keine große Mühe zu geben, hier zu erfahren, woran sie sind.«

Die beiden stiegen ab und betrachteten die vorhandenen Spuren auf das schärfste; sie teilten sich dabei leise ihre Gedanken mit und schienen einerlei Meinung zu sein; dann sagte Jim:

»Es giebt hier ein Rätsel, welches wir uns nicht erklären können. Wenn Old Shatterhand sagt, daß wir es mit zwei verschiedenen Trupps zu thun haben, so muß es wahr sein; wir bringen aber nur einen Trupp heraus. Wo ist der andere?«

»Hinter dem ersten her.«

»Aber seine Spur, Sir, seine Spur! Wir sehen sie nicht.«

»Wirklich nicht? Und sie liegt doch so deutlich vor Euch. Woher sind die Leute gekommen, welche hier gelagert haben?«

»Da grad aus Süden. Die Fährte ist allerdings deutlich genug, und eine zweite giebt es nicht.«

»Das ist eben ein Irrtum, ein großer Irrtum, den man den beiden Snuffles eigentlich nicht zutrauen sollte.«

»Wieso ein Irrtum?«

»Aus zwei verschiedenen Gründen.«

»Der erste Grund?«

»Die Spur kommt grad aus Süden. Wo geht sie von hier aus hin?«

»Nach Westen.«

»Sie bildet also einen großen Winkel. Wenn Eure Meinung die richtige wäre, so hätten die betreffenden Leute einen bedeutenden Umweg gemacht. Man reitet, wenn man nach Westen will, doch nicht grad nach Norden. Entweder also müßten diese Leute sehr unerfahrene Menschen sein, oder Ihr befindet Euch im Irrtume.«

»Da wird wohl das erstere der Fall sein: unerfahrene Menschen.«

»Nein, denn dagegen spricht der zweite Grund. Seht Euch die Spuren doch recht genau an, Mr. Snuffle! Wie alt ist wohl die von Süden herkommende Fährte?«

»So wie Ihr gesagt habt: ungefähr zwei Stunden.«

»Und die von hier nach Westen führende?«

»Auch so alt.«

»Schön! Wenn dies so wäre – und es ist allerdings so – dann können sich diese Leute doch höchstens einige Minuten hier aufgehalten haben; sie müssen kurz nach ihrer Ankunft wieder fortgeritten sein. Die Spuren aber hier am Platze sind so alt, daß sie auf gestern abend zurückweisen. Wie reimt Ihr das zusammen?«

Er machte ein ziemlich verblüfftes Gesicht, sah seinen Bruder ratlos an und fragte ihn:

»Ja, wie reimst du das zusammen, alter Tim? Kannst du das?«

»No.«

»Ich auch nicht. Die Fährten, welche her- und wieder fortführen, sind zwei Stunden alt; gelagert aber ist hier seit gestern abend worden. Das ist eine so krumme Sache, daß sie wohl nicht gerade zu machen ist.«

»O doch,« erklärte ich.

»Glaubt Ihr, dies fertig zu bringen?«

»Ja.«

»Dann bitte, thut es doch! Hier Klarheit zu erlangen, das wäre doch das höchste der Gefühle.«

»Denkt nur ein klein wenig nach! Denkt doch an den Winkel, den die beiden Fährten bilden und daran, wie unwahrscheinlich es ist, daß Westmänner einen solchen Umweg machen! Sie sind von hier nach Westen geritten, und da steht es doch zu vermuten, daß sie aus Osten gekommen sind.«

»Well. Aber Ihr seht doch mit Euern eigenen scharfen Augen, daß sie aus Süden kamen!«

»Das ist ja ihre Fährte gar nicht!«

»Ah! Also eine andere?«

»Ja. Schaut doch von hier nach Osten! Bemerkt Ihr da nichts?«

Er folgte meiner Aufforderung, schüttelte den Kopf, sagte dann aber schnell:

»Halt, vielleicht habe ich es! Das Gras scheint einen Streifen zu haben. Man sieht ihn freilich kaum, aber zu erkennen ist er doch noch.«

»Richtig! Diesen Streifen habe ich sofort bemerkt. Es ist die gestrige Fährte der Leute, welche hier übernachtet haben. Ihr gebt doch zu, daß sich das Gras während so langer Zeit wieder aufrichten muß?«

»Ja, Ihr habt recht, Sir.«

»Das gestern gegen Abend niedergetretene Gras steht wieder gerade und ist nur durch einen abweichenden Farbenschein zu unterscheiden. Also die Leute, um welche es sich hier handelt, sind aus dem Osten gekommen und heut westlich weitergeritten; das haben wir heraus.«

»Und die südliche Fährte?«

»Stammt von einem sehr starken Reitertrupp, welcher aus Süden gekommen ist und jedenfalls in nördlicher Richtung weiterreiten wollte; als er aber den Lagerplatz hier entdeckte, ist er links abgeschwenkt, um dem ersten Trupp nachzureiten.«

»Ja, so ist es, genau so, wie Ihr sagt, Sir. Meinst du nicht auch, alter Tim?«

»Yes. Es ist so.«

»Aber wer war der erste, und wer war der zweite Trupp?«

»Der erste bestand aus Weißen, der zweite aus Indianern.«

»Das behauptet Ihr mit solcher Sicherheit? Möchte wissen, welche Gründe Ihr zu dieser Meinung habt.«

»Wieder zwei. Erstens ist der zweite Trupp wenigstens sechzig Reiter stark, und da es höchst unwahrscheinlich ist, daß in dieser Gegend so viele Weiße beisammen sind, darf man wohl vermuten, daß es Rote waren. Und zweitens hatten ihre Pferde keine Eisen, wie Ihr bemerken werdet, wenn Ihr die Fährte genauer betrachtet. Eine solche Anzahl von barfußen Pferden aber kann nur von Indianern geritten werden.«

»Das gebe ich zu, doch aus welchem Grunde soll der erste Trupp aus Weißen bestehen?«

»Weil die Spuren der Pferde Hufeisen nachweisen und, um andere Gründe gar nicht zu erwähnen, weil unser Gefangener hier, der doch ein Weißer ist, zu dieser Truppe gehört hat.«

»Alle Wetter! Er hat dazu gehört? Wie wollt Ihr das beweisen? Ich glaube, daß er das Gegenteil behaupten wird.«

»Das mag er; es wird ihm aber nicht gelingen, mich zu täuschen.«

»Und wenn er es doch versucht?«

»So wird er nicht erreichen, seine Lage dadurch zu verbessern, sondern sie vielmehr verschlimmern; denn ich müßte annehmen, daß er zu den Roten gehöre, welche feindliche Absichten gegen diese Weißen hegen.«

»Habt Ihr denn Gründe, auch dies anzunehmen?«

»Natürlich. Diese Indianer sind jedenfalls Comantschen, also Krieger, welche sich jetzt empört haben, und daß sie der Bleichgesichter wegen, die hier lagerten, so weit von ihrer ursprünglichen Richtung abgewichen sind, das ist genug Beweis dafür, daß sie etwas gegen sie vorhaben. Er behauptete, von Roten nichts gesehen und nichts gehört zu haben; seine Spur führt aber hier mit der ihrigen zusammen; er hat uns also belogen, und so fühle ich große Lust, mit ihm sehr kurzen Prozeß zu machen. Einem solchen Burschen gegenüber sitzen meine Kugeln gar nicht fest im Laufe.«

Er hörte natürlich alles, was ich sagte, und bekam Angst. Meine Drohung war gar nicht etwa wörtlich gemeint, doch erreichte sie ihren Zweck, denn er brach sein bisheriges Schweigen und sagte:

»Ich gehöre nicht zu ihnen, Sir; das kann ich beschwören.«

»Pshaw! Leuten Euers Gelichters darf man selbst auf den schwersten Eid kein Wort glauben. Ihr habt uns belogen; das ist genug. Da die Roten die Kriegsbeile ausgegraben haben, muß man sich vorsehen. ihr habt geleugnet, Indianer gesehen zu haben, und waret doch hier bei ihnen. Dann seid Ihr nördlich geritten, also dahin, wohin sie ursprünglich wollten, also wahrscheinlich in ihrem Auftrage, als ihr Verbündeter, ihr Spion. Ich sage Euch, daß Euch meine Kugel oder mein Messer sehr bald im Herzen sitzen kann!«

Ich war überzeugt, daß er zu den Weißen gehört und sich aus irgend einem Grunde, in irgend einer verwerflichen Absicht von ihnen getrennt hatte, brachte ihn aber, um seine Angst zu erhöhen, mit den Indianern in Verbindung. Die Wirkung stellte sich sofort ein, denn er beteuerte schnell:

»Ihr irrt Euch vollständig, Sir. Gerade diesen Roten habe ich entgehen wollen.«

»Das glaube Euch ein anderer, ich aber nicht.«

»Ihr könnt es glauben; es ist genau so, wie ich sage.«

»Gebt Euch keine Mühe! Wir werden natürlich den Indianern folgen, und da wird es sich herausstellen, was wir mit Euch machen, ob wir Euch an sie ausliefern oder, noch kürzer, Euch einfach erschießen. An Lügner und Diebe verschwende ich keine lange Zeit.«

»So hört doch nur! Laßt mich reden, Mr. Shatterhand!«

»Ich mag nichts hören. Was ich wissen will, das werde ich erfahren, ohne daß ich mir von Euch etwas weismachen zu lassen brauche.«

»Ich mache Euch nichts weis. Ich habe es mir überlegt und bin zu der Einsicht gekommen, daß es für mich besser ist, Euch die Wahrheit zu sagen.«

»Das wäre klug von Euch, denn ich bin nicht der Mann, der sehr leicht zu täuschen ist. Wir werden die Roten sehr bald einholen und dann auch mit den Weißen reden, zu denen der gehört, den Ihr bestohlen habt. ihr werdet ihm gegenübergestellt werden.«

»Das könnt Ihr thun. Ich habe ihn nicht bestehlen wollen.«

»Oho! Ist dieses Pferd etwa nicht sein Eigentum?«

»Ja, es gehört ihm.«

»Der Dolch auch?«

»Ja.«

»Und die Sachen in den Satteltaschen?«

»Auch.«

»Wollt Ihr etwa behaupten, daß er Euch das alles geschenkt habe?«

»Nein; das fällt mir nicht ein.«

»So bleibt nur übrig, anzunehmen, daß Ihr es ihm gestohlen habt.«

»Nein; es sind noch andere Fälle möglich.«

»Möchte wissen, welche! Soll er Euch das Pferd etwa geliehen haben?«

»Ja, das ist es. Er hat es mir geborgt.«

»Ausrede!«

»Es ist keine Ausrede, sondern die Wahrheit. Es ist wirklich besser, wenn ich aufrichtig mit Euch bin, und wenn Ihr mich anhört, so thut Ihr nicht nur mir, sondern auch Euch einen Gefallen damit, weil Ihr den Roten nachreiten wollt.«

»Gut, wollen einmal sehen oder vielmehr hören. Also flunkert nicht wieder! Wie ist Euer richtiger Name?«

»Ich heiße Perkins.«

»Jetzt vielleicht!«

»Nein, stets. Perkins ist mein Name. Ich und noch zwei Westmänner wurden von einem Weißen engagiert, ihn über das Gebirge zu bringen; er ist es, dem das Pferd gehört.«

»Wer und was ist er?«

»Das wissen wir nicht genau. Er spricht nicht viel. Wir müssen ihn Mr. Dschafar nennen.«

»Dschafar? Ah! Spricht er englisch?«

»So leidlich, daß wir ihn verstehen können.«

»Ist noch jemand bei ihm?«

»Er hat zwei englische Diener, die von ihm, glaube ich, in London engagiert worden sind.«

»Wißt Ihr denn nicht, woher er ist?«

»Nein. Er ist, wie gesagt, nicht mitteilsam und hat eine solche Art und Weise, daß wir ihn nicht gut nach seinen Verhältnissen fragen können.«

»Aber gewiß wohlhabend?«

»Ja, das muß er sein. Er hat zwei Packpferde und bezahlt uns gut. Ein Christ ist er wohl nicht, wenn ich mich nicht irre.«

»Woraus schließt Ihr das?«

»Daraus, daß er täglich fünf- oder sechsmal in einer sehr eigentümlichen Weise betet und in einer Sprache, welche wir nicht verstehen.«

»Bedient er sich dabei eines Teppiches, auf dem er betet?«

»Ja, er hat eine Decke, auf welcher er während des Gebetes abwechselnd steht, kniet und liegt. Er wirft dabei ganz sonderbar mit den Armen um sich, breitet sie aus, kreuzt sie auf der Brust oder faltet die Hände. Es ist zuweilen fast zum Lachen.«

»Wie kleidet er sich?«

»Ganz so wie wir, außer daß er auf dem Kopfe eine Lammfellmütze trägt. Sein Haar ist dunkel, und er hat einen so starken, lang herabhängenden Schnurrbart, wie ich noch nie gesehen habe.«

»Wie alt ungefähr?«

»Vielleicht vierzig Jahre.«

»Er ist ein Orientale, höchst wahrscheinlich ein Perser. Freilich kann ich mir nicht erklären, wie ein solcher nach Amerika und gar in den wilden Westen kommt. Wo will er hin?«

»Nach San Francisco. Wir sollen ihn nach Santa Fé bringen, wo er andere Führer nehmen will. Glaubt Ihr mir nun, Mr. Shatterhand?«

»Eure jetzigen Angaben scheinen die Wahrheit zu enthalten. Nun sagt ebenso aufrichtig, warum Ihr von ihm entwichen seid!«

»Ihr denkt, daß es sich um eine Entweichung handelt? Ich kann doch in seinem Auftrage von ihm fortgegangen sein.«

»Hört, fangt ja nicht wieder an, Euch zu sperren! Ihr habt uns Veranlassung zum größten Mißtrauen gegeben und Euch so grob und widersetzlich betragen, daß es wirklich großer Mühe von Eurer Seite bedarf, uns eine andere Meinung beizubringen. Sagt noch eine einzige Unwahrheit, so handeln wir ganz einfach nach dem Gesetze der Prairie und geben Euch eine Kugel. Pferdediebstahl wird mit dem Tode bestraft, und wir haben weder Zeit noch Lust, uns lange mit Euch herumzuschleppen.«

»Ich habe das Pferd doch gar nicht gestohlen!«

»Pshaw! Ihr seid mit einem Pferde betroffen worden, welches Euch nicht gehört, und mit andern Gegenständen, welche auch nicht Euer Eigentum sind. Ihr habt uns belogen, uns über die Indianer und über Euch täuschen wollen, was uns bei den hiesigen und gegenwärtigen Verhältnissen leicht verderblich werden kann. Das ist mehr als genug, Euch kurz den Prozeß zu machen. Wenn wir davon absehen und nachsichtig mit Euch verfahren sollen, müßt Ihr wahr und offen sein. Gebt Ihr zu, daß Ihr ohne die Erlaubnis dieses Fremden von ihm entwichen seid?«

Es fiel ihm sichtlich schwer, es einzugestehen; aber er sah doch ein, daß er durch Leugnen nichts gewinnen könne, und antwortete daher:

»Beabsichtigt war es nicht; das könnt Ihr mir glauben. Es ist nur das plötzliche Erscheinen der Roten schuld daran; sie waren mir so nahe, daß ich den Kopf verlor und nur daran dachte, mich in Sicherheit zu bringen.«

»Wo war es, wo Ihr sie sahet? Hier?«

»Ja.«

»Aber Ihr waret doch schon fort von hier!«

»Allerdings, doch ich mußte wieder zurück. Ihr habt vorhin ganz richtig erraten, daß wir gestern von Osten her nach dieser Stelle gekommen sind; Euern Augen ist die Fährte nicht entgangen, obgleich sich das Gras wieder aufgerichtet hat. Wir lagerten hier und ritten heut morgen weiter. Nach vielleicht einer Stunde bemerkte Mr. Dschafar, daß ihm der Dolch hier fehlte, den Ihr mir abgenommen habt und einen Chandschar nennt; die Waffe mußte hier liegen geblieben sein. Er wollte selbst zurück, um darnach zu suchen; aber weil er fremd im Westen ist und sich leicht verirren oder irgend einen andern Unfall erleiden konnte, schlugen wir ihm vor, daß einer von uns zurückkehren solle, um die Waffe zu holen. Er ging darauf ein und schickte mich.«

»Aber auf seinem Pferde!«

»Ja, weil es das beste und schnellste war. Er borgte es mir, um nicht lange auf mich warten zu müssen.«

»Er hätte trotzdem ewig auf Euch warten können, wenn wir nicht auf Euch getroffen wären. Doch, auch angenommen, daß er Euch das Pferd wirklich geliehen hat, so ist es immerhin befremdlich, daß er seine Sachen in den Satteltaschen ließ.«

»Er traute mir, und die Sache ging überhaupt so schnell, daß er gar nicht an diese Gegenstände gedacht hat.«

»Hm! Einem Fremden ist eine solche Unvorsichtigkeit allerdings zuzutrauen. Weiter! Ihr kamt hierher zurück und fandet den Dolch?«

»Ja. Er lag hier unter diesem niedrigen Strauche, von den Zweigen so verborgen, daß wir ihn beim Fortreiten nicht gesehen hatten. Ich stieg ab und bückte mich nieder, um ihn aufzuheben. Als ich mich wieder aufrichtete, fiel mein Auge zwischen die Büsche hinaus nach Süden, und ich sah zu meinem Schrecken eine Schar von sechzig bis siebzig Indianer kommen.«

»Comantschen?«

»Ja. Sie waren mit den Kriegsfarben bemalt, und ich hatte also, wenn sie mich bemerkten, den Tod zu erwarten. Das Gebüsch verbarg mich ihnen; ich durfte nicht aus demselben heraus und zog mein Pferd also schleunigst über den Bach hinüber, in dessen Bette die Stapfen nicht leicht zu sehen waren.«

»Dann machtet Ihr Euch nordwärts davon, anstatt Euern Gefährten nach Westen nachzureiten und sie zu warnen!«

»Ja, und das ist allerdings der Fehler, den ich begangen habe; aber mein Schreck über die Roten war so groß, daß er mich entschuldigen kann.«

»Ich denke nicht, daß er als eine Entschuldigung betrachtet werden kann. Ein Westmann, den der Anblick von einigen Indianern so entsetzt, ist eben kein Westmann.«

Von einigen? Ich habe Euch doch gesagt, daß es sechzig bis siebzig waren!«

»Das sind einige. Ich bin von mehreren hundert Roten überrascht worden, ohne zu erschrecken und auszureißen. Euch, als dem Führer des Fremden, war sein Leben anvertraut; Ihr mußtet in höchster Eile zu ihm, um ihn zu warnen!«

»Das ging doch nicht; die Comantschen hätten mich gesehen!«

»Unsinn! Ihr hattet zunächst ganz gute Deckung hier im Walde und brauchtet erst nach einiger Zeit auf Eure Spur zurückzukehren.«

»Aber es war ja vorauszusehen, daß sie dieser Spur folgen würden!«

»Was schadete das? Sie mußten hier anhalten und den Lagerplatz genau untersuchen; dadurch hättet Ihr einen solchen Vorsprung erhalten, daß es ihnen wohl sehr schwer oder gar unmöglich gewesen wäre, Euch einzuholen. Ihr müßt von einer Panik ergriffen worden sein, welche mir vollständig unbegreiflich ist.«

»Sie ist aber sehr erklärlich, wenn ich Euch sage, daß die Indsmen, als ich sie erblickte, mir schon bis auf höchstens zweihundert Schritte nahe waren. Eine einzige Minute noch, und es wäre um mich geschehen gewesen.«

»Abermals Unsinn! Der Sprung über den Bach hinüber mußte Euch in Sicherheit bringen. Der Schreck hat Euch aber um die Ueberlegung gebracht, und indem Ihr Eure eigene, sehr wertvolle Person salviertet, habt Ihr diejenigen, die Euch anvertraut waren, in die höchste Gefahr, vielleicht gar in den Tod gebracht.«

»Ja, so ist es,« stimmte mir Jim Snuffle bei. »Vielleicht sind diese armen Teufels inzwischen überfallen und ausgelöscht worden. Meinst du nicht auch, alter Tim?«

»Yes.« nickte sein Bruder.

Perkins blickte sehr verlegen vor sich hin. Er sah ein, daß wir recht hatten, und versuchte eine letzte Entschuldigung:

»So schlimm ist es jedenfalls nicht, denn ich denke, daß meine Gefährten die Roten rechtzeitig bemerkt und sich vor ihnen versteckt haben.«

»Diese Annahme hat nicht die geringste Berechtigung,« entgegnete ich. »Selbst wenn es so wäre, wie Ihr sagt, so sind die Comantschen doch nicht blind. Sie haben die Fährte vor Augen und würden das Versteck leicht und schnell entdecken; es ist ja heller Tag. Ihr habt so kopflos, so leichtsinnig und unverantwortlich gehandelt, daß es gar keine Entschuldigung für Euch geben kann. Wehe dem armen Menschen, der sich einem solchen Führer, wie Ihr seid, anvertraut! Wißt Ihr denn nicht, daß ein Scout sein Leben ohne alles Zögern daran zu setzen hat, wenn es die Sicherheit derjenigen gilt, die sich in seinen Schutz begeben haben! Ihr habt Euch rechtfertigen wollen, aber grad das Gegenteil erreicht. Ein Pferdedieb ist eben ein Dieb, doch kann man immerhin einen gewissen Respekt vor seinem Mute, seiner Kühnheit haben; aber einen Scout, der so feig handelt wie Ihr, den muß man verachten. Wir sollen sehen, ob Rettung vielleicht noch möglich ist, und den Roten schnell folgen. Ihr seid doch mit dabei, Mr. Jim?«

»Wie könnt Ihr nur so fragen! Die beiden Snuffles sind stets und gern dabei, wenn es gilt, einen Menschen, welcher in der Patsche steckt, herauszuholen. Meinst du nicht auch, alter Tim?«

»Yes,« nickte dieser. »Müssen uns beeilen!«

»Allerdings. Fünf Weiße, von denen drei keine Westmänner sind, gegen siebzig Rote, welche sich auf dem Kriegspfade befinden, das ist keineswegs das höchste der Gefühle. Aber, Mr. Shatterhand, sagt mir einmal, ob Ihr das für wahr haltet, was dieser Perkins und sogenannte Scout jetzt vorgebracht hat!«

»Ich denke, daß wir es glauben können, denn hätte er abermals gelogen, so wäre es um ihn geschehen. Wir haben es nach seiner Angabe mit einem Fremden, seinen zwei Dienern und zwei Westmännern zu thun. Wenn man nur wüßte, was diese beiden letzteren für Kerle sind.«

»Es sind tüchtige Leute, Sir, sehr tüchtige Leute,« versicherte Perkins.

»Wenn sie gerade so tüchtig sind, wie Ihr seid, so mag Gott ihnen und den drei Fremden gnädig sein! Also vorwärts! Wir haben hier schon zu viel Zeit versäumt.«

Wir stiegen auf und folgten der nach Westen, also flußaufwärts führenden Fährte. Man sagt, es pflege bei jedem Unglück auch ein Glück zu sein, und dieses Wort konnten wir hier auch in Anwendung bringen. Daß der Fremde, wie ich die Ueberzeugung hegte, von den Roten eingeholt und überfallen werden würde, das war ein Unglück für ihn; ein Glück war es dagegen zu nennen, daß die Indianer den feigen Scout nicht gesehen hatten, denn sie glaubten infolgedessen hinter sich alles in Sicherheit und ahnten nicht, daß Leute ihnen folgten, welche sich der Bedrohten annehmen wollten.

Ich glaubte, daß Perkins zuletzt die Wahrheit gesagt hatte; Beweise hatte ich freilich nicht dafür, denn die Spuren der Weißen waren am Lagerplatze so von den Indsmen zertreten worden, daß sie gar nicht mehr unterschieden werden konnten; ich hoffte aber, unterwegs auf deutlichere Zeichen zu treffen. Diese Erwartung ging schon nach einiger Zeit in Erfüllung, als wir eine Stelle erreichten, an welcher die Roten halten geblieben waren. Wir zügelten unsere Pferde auch, und Jim Snuffle sagte:

»Hier scheint ihnen etwas ein- oder aufgefallen zu sein, denn sie haben sich beraten. Wenn man nur wüßte, worüber!«

»Ich weiß es,« erklärte ich.

»Nun?«

»Ueber die Zahl der Weißen, denen sie folgten.«

»Meint Ihr? Warum?«

»Sie sind bisher in der Spur der Weißen geritten; hier aber haben sie dieselbe verlassen, und zwei von ihnen sind abgestiegen, um sie zu untersuchen. Es scheint, daß sie unterwegs verschiedener Meinung geworden sind und hier haben sehen wollen, wer die richtige hat. Da sie sich an dieser Stelle in acht genommen haben, die Fährte der Bleichgesichter zu verderben, so ist dieselbe auch für uns noch deutlich zu erkennen, und ich will schauen, was wir von Perkins‘ Aussagen zu halten haben.«

»Ja, schaut nach, Sir!« forderte mich der gefangene Scout auf. »Ihr werdet finden, daß alles genau so ist, wie ich gesagt habe.«

Ich sprang ab und betrachtete die Eindrücke auf das sorgfältigste. Es war schwer, sehr schwer, zur Gewißheit zu kommen, denn die Stelle, an welcher die Roten die Fährte geschont hatten, war gar nicht lang, und es kam mir sehr darauf an, die verkehrte Spur eines Pferdehufes zu entdecken; aber nach längerem Messen und Vergleichen gelangte ich doch zu dem gewünschten Resultate. Um noch sicherer zu sein, trat ich zu dem Pferde, welches der Scout jetzt ritt, und untersuchte einen Hufstapfen desselben. Jim Snuffle schüttelte darüber verwundert den Kopf und fragte:

»Warum denn das, Sir! Wir haben es doch nicht mit diesem Pferde zu thun?«

»Sogar sehr,« antwortete ich. »Ich will doch wissen, ob Perkins die Wahrheit gesagt hat.«

»Könnt Ihr das denn am Hufe seines Pferdes ablesen?«

»Ja.«

»Alle Wetter! Das brächte der Sohn meines Vaters nicht fertig. Wie fangt Ihr es nur an?«

»Sehr einfach. Es sind wirklich sechs Weiße hier geritten, und einer von ihnen ist zurückgekehrt.«

»Sagt Euch das die Fährte?«

»Ja.«

»Das ist gefährlich, Sir!«

»Warum?«

»Weil die Indsmen die Eindrücke hier auch untersucht haben; sie mußten da ebenso wie Ihr sehen, daß jemand zurückgeritten ist; also wissen sie, daß er sich hinter ihnen befindet und werden ihm einen Hinterhalt legen, in den wir leicht fallen können.«

»Habt keine Sorge! Sie haben nichts bemerkt. Es ist nur der Eindruck eines einzigen Hufes da, und der ist so leicht und undeutlich, daß nur ich ihn entdecken konnte, weil ich wußte, daß Perkins behauptet, umgekehrt zu sein. Er hat die Wahrheit gesagt. Ich sah einen umgekehrten Stapfen, welcher vom linken Hinterfuße seines Pferdes stammt.«

»Well! Aber wenn die Indsmen gerade diesen einzigen Stapfen auch bemerkt hätten?«

»Dann würden sie nicht weit von hier eine Falle gestellt haben, die mir sicher nicht entgehen würde. Ich werde scharf achtgeben. Reiten wir weiter!«

Wir setzten den unterbrochenen Ritt fort, und als ich selbst nach einer halben Stunde nichts davon entdeckt hatte, daß ein Hinterhalt gelegt worden sei, waren die Snuffles überzeugt, daß ich recht gehabt hatte.

Nach einiger Zeit kamen wir an die Stelle, wo Perkins umgekehrt war; seine Gefährten hatten nicht auf ihn warten, sondern langsam weiterreiten wollen; die Entscheidung lag also nicht hier, sondern weiter vorn. Darauf sahen wir, daß zwei Indianer die Spur verlassen hatten, der eine nach der rechten und der andere nach der linken Seite.

»Ob die etwa als Späher fortgeritten sind?« fragte Jim Snuffle.

»Jedenfalls. Der Anführer hat aus der Spur ersehen, daß er den Weißen nahe war, und diese Kundschafter vorangeschickt, um Gewißheit zu erhalten. Es wird sich bald zeigen, wo sie wieder zu dem Trupp gestoßen sind.«

Ungefähr eine Viertelstunde später kehrte erst die Spur des einen und dann auch diejenige des andern zu der Hauptfährte zurück, und wir konnten nun erwarten, in nicht langer Zeit den Ort des Ueberfalles zu erreichen. Da die Roten sich sehr leicht noch dort befinden konnten, war die äußerste Vorsicht nötig, wenn wir nicht riskieren wollten, ganz unerwartet auf sie zu stoßen. Darum ritt ich eine Strecke voran, jeden Augenblick bereit, von ihnen bemerkt oder gar angegriffen zu werden.

Glücklicherweise ging diese Befürchtung nicht in Erfüllung, obgleich das Terrain für mich gefährlich war. Es gab nämlich zerstreutes Strauchwerk, und ich konnte hinter jedem Busche einen oder auch mehrere Feinde erwarten. Da hatte das Gesträuch plötzlich ein Ende, und ich sah auf dem vor mir liegenden Plane, höchstens drei Minuten von mir entfernt, die Indsmen lagern. Hätte mein Pferd nur vier oder fünf Schritte weiter gethan, so wäre ich sehr wahrscheinlich von ihnen bemerkt worden.

Ihre Tiere, welche freigegeben worden waren, tummelten sich nach Belieben herum; sie selbst bildeten einen Kreis, in dessen Innern eine wichtige Verhandlung geführt zu werden schien. Er war aber so dicht, daß der Blick nicht zwischen den einzelnen Personen hindurchdringen konnte. Ich ritt eine kleine Strecke zurück, stieg ab, band mein Pferd an und forderte die Snuffles, welche jetzt anlangten, auf, dasselbe zu thun.

»Absteigen?« fragte Jim. »Warum? Dürfen wir nicht weiter?«

»Nein. Die Indianer halten da draußen.«

»Alle Wetter! Haben wir sie endlich eingeholt! Haben sie die Weißen fest?«

»Ja.«

»Doch nicht ermordet?«

»Das glaube ich nicht.«

»Gut, laßt einmal sehen!«

Wir hoben den treulosen Scout vom Pferde, banden ihn an einem Busche fest und gingen dann so weit nach vorn, wie es möglich war, ohne gesehen zu werden.

»Wahrhaftig, es sind Comantschen,« sagte Jim. »Meinst du nicht auch, alter Tim?«

»Yes,« antwortete dieser in seiner einsilbigen Weise.

»Sie stehen eng beisammen. Die Weißen sieht man nicht. Wie könnt Ihr da wissen, daß sie sich dort befinden, Mr. Shatterhand?«

»Ich vermute es.«

»Vermuten? Das ist keine Gewißheit!«

»Hier doch beinahe. Seht Ihr nicht dort rechts zwei Pack Pferde stehen?«

»Allerdings. Alle Wetter! Die gehören ja dem Fremden. Sie haben ihn also!«

»Natürlich! Welchen Grund hätten die Indianer, hier in der Verfolgung eine Pause zu machen, um sich über irgend etwas zu beraten? Es ist gewiß, daß sie die Weißen fest haben.«

»Was werden sie mit ihnen thun?«

»Das werden wir bald erfahren. Es kommt dabei viel darauf an, ob bei dem Ueberfalle Blut geflossen ist. Wurde ein Roter verwundet oder gar getötet, so wird man den Weißen keine lange Frist geben.«

»Sondern sie gleich hier abschlachten. Ja, das ist auch meine Meinung.«

»Die meinige aber nicht.«

»Meint Ihr, daß sie sie weiter fortschleppen werden?«

»Ja, wenn auch nicht allzuweit. Die Verurteilung und Hinrichtung von Gefangenen geschieht bei den Indianern, wenn es möglich ist, stets mit der gebräuchlichen Feierlichkeit, zu welcher ein geeigneter Lagerplatz erforderlich ist; aber die Stelle, an welcher sie sich jetzt befinden, paßt nicht dazu. Erstens giebt es da kein Wasser für einen vielstündigen oder gar noch längern Aufenthalt, und zweitens ist sie nicht sicher genug. Sie liegt zu frei; wer sich dort befindet, kann leicht gesehen werden. Darum denke ich, daß die Comantschen bald aufbrechen werden, um sich einen bessern Platz zu suchen.«

»Wenn man wüßte, wo er liegt, könnte man ihn vorher aufsuchen, um sie zu beschleichen.«

»Jedenfalls wenden sie sich dem Flusse zu; aber ihnen vorankommen, das würde ein höchst gefährliches Beginnen sein.«

»Warum?«

»Weil man, um sicher zu sein, nicht nur die Gegend überhaupt, sondern die spezielle Stelle kennen müßte, wo sie lagern wollen. Kennt man diese nicht, so riskiert man, entdeckt zu werden. Es ist gar nicht zu vermeiden, daß man Spuren hinterläßt, welche am Tage bemerkt werden müssen. Wartet man zufälligerweise gar an dem Punkte auf sie, wo sie bleiben wollen, so ist man unbedingt verraten.«

»Well, so gehen wir ihnen nicht voran, sondern folgen hinter ihnen her! Die Hauptfrage ist, ob es uns gelingen wird, ihre Gefangenen zu befreien.«

»Darüber läßt sich jetzt noch gar nichts sagen.«

»Wenigstens nichts weiter, als daß die Ausführung unsers Vorhabens eine ganz verteufelte, gefährliche Sache ist. Wir sind nur drei gegen siebenzig Personen; das will etwas beißen.«

»Mit Ziffern darf man in solchen Fällen nicht rechnen; dies wäre nur dann nötig, wenn wir einen offenen Angriff beabsichtigten; da wir aber nur durch List zum Ziele kommen können, haben wir es mit geistigen Faktoren zu thun.«

»Geistige Faktoren, sehr gut, wirklich sehr gut, Sir! Meint Ihr, daß Jim Snuffle und Tim Snuffle solche geistige Faktoren sind?«

»Ich hoffe es, da es uns nur in diesem Falle gelingen kann, die Roten zu überlisten.«

»Ueberlisten? Hm, was das betrifft, so denke ich, daß wir uns nicht allzu dumm anstellen werden. Meinst du nicht, alter Tim?«

»Yes!«

»Mesch’schurs, darf ich eine Bitte aussprechen?« ließ sich da der Gefangene hören.

»Welche?« fragte ich.

»Ich bin mit daran schuld, daß meine Gefährten in diese Lage geraten sind; also ist es meine Pflicht, mich auch daran zu beteiligen, daß sie befreit werden. Bindet mich los; gebt mir die Freiheit, und Ihr sollt sehen, daß ich alles thue, was Ihr von mir verlangen könnt!«

»Ja, wenn wir Euch trauen könnten,« antwortete Jim.

»Ihr könnt es. Ich gebe Euch die Versicherung –«

»Schweigt!« fiel ich ihm in die Rede. »Wer seine Kameraden in der Gefahr so feig und treulos verläßt, dem ist nie zu trauen.«

»Es war ja nur der Schreck, Sir!«

»Selbst wenn wir dies zugeben wollten, stände zu erwarten, daß Ihr wieder erschreckt.«

»Auf keinen Fall. Ich weiß ja nun, wen wir vor uns haben, und kann nicht mehr überrascht werden.«

»Und Eure Feigheit? Wir haben vor, unser Leben zu wagen; dazu aber seid Ihr nicht der passende Mann.«

»Ich wage es!«

»Fällt Euch nicht ein! Und die List, die Geistesgegenwart, auf die es hier vor allen Dingen ankommt! Ihr habt bewiesen, daß von beiden bei Euch keine Spur vorhanden ist.«

Er wollte seine Bitten und Versicherungen fortsetzen; ich verbot es ihm und wendete meine Aufmerksamkeit wieder den Indianern zu, deren Beratung jetzt zu Ende war. Sie kamen in Bewegung; der Kreis löste sich auf, und nun sahen wir, daß innerhalb desselben mehrere Menschen gelegen hatten, welche nicht aufstehen konnten, also wohl gefesselt oder gar tot waren. Sie wurden aufgehoben und auf Pferde gebunden; dann ordneten sich die Roten zu einem Zuge, welcher sich in nördlicher Richtung in Bewegung setzte, also so, wie ich vermutete hatte, denn dort lag der Fluß. An der Spitze ritt ein alter Häuptling. Er war zwar zu weit von uns entfernt, als daß ich sein Gesicht erkennen konnte, aber ein Häuptling war er, weil er die Federn trug, und alt mußte er sein, weil sein hinten lang abfallendes Haar von grauer Farbe war.

In der angegebenen Richtung gab es wieder Wald, unter dessen Bäumen sie verschwanden. Der Vorsicht halber warteten wir noch einige Zeit; dann begaben wir uns nach dem Orte, an welchem sie die Beratung gehalten hatten.

Es war dort von einem eigentlichen Spurenlesen keine Rede, denn der Boden war so zertreten und zerstampft, daß man Einzelheiten gar nicht unterscheiden konnte. Hier mußten die Weißen überfallen worden sein. Sie hatten sich gewehrt, denn wir entdeckten Blutspuren. Das war schlimm, sehr schlimm für sie und auch uns höchst unlieb, weil es uns zum schnellen Handeln zwang und wir also nicht erwarten konnten, bis sich uns eine günstigere Gelegenheit als hier und heute bieten würde.

Es galt vor allen Dingen, den Indianern zu folgen. Wir thaten dies, aber nicht direkt, sondern wir machten einen Bogen nach dem Walde und suchten erst dann, als wir ihn erreicht hatten, die Stelle auf, an welcher sie in ihn eingedrungen waren. Von hier aus durften wir uns ohne allzu große Gefahr auf ihrer Fährte halten; der Sicherheit wegen aber stieg ich aus dem Sattel und ging, den andern vielleicht fünfzig Schritte voran, mitten auf der sehr gut ausgetretenen Spur weiter. Meine Schritte verursachten kein Geräusch, während meinem Auge und Ohre auf eine mich sicherstellende Entfernung hin nichts entgehen konnte. Es läßt sich denken, daß unser Vordringen ein langsames war, doch konnten wir dies nicht ändern. Möglich, daß für die Weißen große Gefahr im Verzuge war, aber wir konnten sie doch auch nicht dadurch retten, daß wir uns selbst preisgaben.

So verging Stunde um Stunde; es wurde Nachmittag, und wenn ich bisher für die Gefangenen sehr gefürchtet hatte, so begann ich jetzt, wieder Hoffnung zu schöpfen. Wenn die Indianer so spät an ihren Lagerplatz gelangten, fanden sie heute keine Zeit mehr, die Bleichgesichter unter Einhaltung der gewohnten Gebräuche hinzurichten; sie mußten dies bis morgen hinausschieben, und am Abende und während der Nacht gab es dann Zeit und wohl auch Gelegenheit, den Mord zu verhindern. Am meisten hoffte ich von dem Umstande, daß die Comantschen von unserer Anwesenheit keine Ahnung hatten. Sie befanden sich auf ihrem Gebiete; sie wußten, daß dies jetzt von jedermann, der nicht zu ihnen gehörte, gemieden wurde, und so stand zu erwarten, daß sie strenge Sicherheitsmaßregeln für überflüssig halten würden.

Wir hätten den Fluß eigentlich schon längst erreicht haben müssen, aber er bildete gerade hier einen weiten Bogen, auf dessen innerer Seite wir uns befanden, und erst gegen Abend mehrten sich die Anzeichen, daß wir uns dem Wasser näherten. Nun bewegten wir uns noch langsamer vorwärts als bisher, und das war gut, denn bald hörte ich eine rufende Stimme, welcher eine andere antwortete. Wir waren in der Nähe der Comantschen angekommen, und ich huschte zu meinen Gefährten zurück, um sie anhalten zu lassen und für uns ein Versteck zu suchen.

Es war bald ein passender Ort gefunden, wo wir die Pferde und auch Perkins anbanden. Dieser Mann war uns, wie wohl eigentlich gar nicht erwähnt zu werden braucht, außerordentlich hinderlich; er erschwerte uns alles; wie aber hätten wir uns seiner erledigen können, ohne härter zu sein, als unumgänglich nötig war, oder ohne uns durch ihn in Gefahr zu bringen? Er hatte uns zwar seine Hilfe angeboten, und es war auch ganz möglich, daß er es ehrlich meinte; aber das dazu nötige Vertrauen konnten wir ihm doch unmöglich schenken. Als wir ihn und die Pferde gut untergebracht hatten, erkundigte sich Jim Snuffle:

»Was thun wir nun, Sir? Wir haben jetzt unter den Bäumen grad noch den rechten Tagesschein, bei dem es sich vortrefflich spionieren läßt, ohne daß man von weitem gesehen werden kann. Wißt Ihr sicher, daß die Roten in der Nähe sind?«

»Ja. Ich hörte zwei von ihnen, welche einander zuriefen.«

»Sollte mich sehr wundern. Habt Ihr nicht vielleicht falsch gehört?«

»Nein. Es waren menschliche Stimmen.«

»Wahrscheinlich von Weißen!«

»Nein. Gäbe es ja Weiße hier, so würden sie sich bei den gegenwärtigen Verhältnissen sehr hüten, so laut zu sein.«

»Aber die Indianer pflegen doch auch nicht so zu brüllen, daß man es meilenweit hört!«

»Von Brüllen und meilenweit ist auch gar keine Rede. Wenn die zwei einander zuriefen, so ist mir das ein sehr willkommenes Zeichen davon, daß sie sich sicher fühlen und keinen andern Menschen in der Nähe vermuten. Unser Werk wird uns dadurch wahrscheinlich sehr erleichtert.«

»Well, gehen wir also an dieses Werk! Wollen wir sie beschleichen?«

»Das müssen wir allerdings. Das Notwendigste ist ja, zu wissen, wo sie sich befinden; erst dann läßt sich sagen, ob man etwas wagen darf oder nicht.«

»Schön! Machen wir uns also auf den Weg!«

»Wir? Wen meint Ihr mit diesem Worte?«

»Euch und mich natürlich. Mein alter Tim muß hier bei dem Gefangenen bleiben.«

»Hm! Ich würde vorziehen, allein gehen zu können.«

»Allein? Ich nicht mit? Traut Ihr mir vielleicht nichts zu?«

»Davon ist keine Rede; aber es ist meine Angewohnheit, mit dem, was ich selbst und allein thun kann, keinen andern zu belästigen.«

»Belästigen! Was für ein Wort! Glaubt getrost, daß ich im Beschleichen etwas leiste! So von hinten an einen Roten zu kommen, ohne daß er es ahnt, das ist für mich das höchste der Gefühle. Es würde mich ungeheuer kränken, von Euch zurückgewiesen zu werden. Ich gehe mit; mein Bruder bleibt da.«

»No,« antwortete Tim, ganz wider Jims Erwarten.

»Nicht? Was fällt dir ein! Es muß doch einer bei dem Gefangenen bleiben?

»Yes.«

»Das bist du.«

»No.«

»Wer denn?«

»Du.«

»Ich? Bist du toll? Jim Snuffle soll sitzen bleiben, wenn es gilt, diesen roten Halunken einen Streich zu spielen!«

»Tim Snuffle bleibt auch nicht sitzen!«

»Du mußt! Ich habe das Vorrecht, denn ich bin der Aeltere.«

»Bist nur fünf Minuten älter als ich, und so eine kurze Zeit gilt nichts. Zwillinge sind stets gleich alt; ich laß mich nicht hofmeistern und gehe auch mit. Will auch einmal der Aeltere sein!«

Das war für den guten Tim eine lange, sehr lange Rede. So viel hatte er wohl seit Jahren nicht zusammenhängend gesprochen; darum holte er nach dem letzten Worte tief und kräftig Atem. Jim war für kurze Zeit still. Die Verwunderung über die plötzliche Redseligkeit seines Bruders raubte ihm die Sprache; dann aber stieß er um so energischer hervor:

»Ich glaube gar, du willst dich gegen mich empören, der ich in aller Wahrheit und Wirklichkeit der Erstgeborene bin! Das fehlte noch! Dieser kleine Nesthocker will mir Vorschriften machen! Ich gehe, und du bleibst!«

»No.«

»Yes, sage ich. Auf dein No wird nicht gehört!«

Die sonderbaren Zwillinge begannen in ihrer Erregung laut zu werden. Ich machte sie darauf aufmerksam und schlug ihnen vor, mich allein gehen zu lassen, dann sei der Streit entschieden, ohne daß einer übervorteilt werde. Aber Jim ging nicht darauf ein; er wollte, das wußte ich wohl, mir seine Geschicklichkeit beweisen; das war mir gar nicht lieb, aber ich durfte ihn nicht beleidigen und gab darum schließlich meine Zustimmung. Tim sagte gar nichts mehr dazu; aber diese Stille kam mir nicht recht geheuer vor; darum fragte ich ihn:

»Ihr habt doch nicht etwa eine Heimlichkeit vor, Mr. Snuffle?«

»No,« antwortete er mürrisch.

»Ihr seid einverstanden, daß Euer Bruder geht?«

»Yes.«

»So bin ich beruhigt. Es wäre höchst fatal und gefährlich, wenn einer etwas unternähme, wovon die andern nichts wissen dürfen. Das könnte nicht nur alles verderben, sondern uns sogar Freiheit und Leben kosten.«

»Macht Euch keine solche Gedanken!« beruhigte mich Jim. »Habt gar keinen Grund dazu. Dieser Tim getraut sich nichts ohne mich; ist auch viel zu jung dazu; volle fünf Minuten jünger; denkt Euch nur! Der bleibt gern ruhig sitzen, bis wir wiederkommen. Nun aber wollen wir ja nicht länger warten, weil es sonst zu dunkel wird.«

»Gut! Also Mr. Snuffle, haltet gut Wache, und verlaßt diesen Ort ja nicht eher, als bis wir zurückgekehrt sind. Ich übergebe Euch hier meine beiden Gewehre, weil sie mich behindern würden.«

Er nahm, ohne ein Wort zu sagen, den Bärentöter und den Stutzen in Empfang, und ich ging mit Jim fort.

Es war während des Wortgefechtes so düster geworden, daß man nicht mehr ganz deutlich sehen konnte. Wir hatten also jetzt noch nicht nötig, uns auf die Erde zu legen und uns kriechend fortzubewegen, sondern wir blieben aufrecht und huschten von Baum zu Baum der Gegend zu, in welcher ich die Stimmen gehört hatte. Wie viel, viel lieber wäre ich allein gewesen! Ich hatte von den beiden Snuffles zwar als von ganz guten Westmännern gehört, doch zwischen Westmann und Westmann ist ein Unterschied. Mochten sie sich in gewöhnlichen und meinetwegen zuweilen auch in ungewöhnlichen Verhältnissen bewährt haben, hier galt es mehr als Ungewöhnliches; jeder Augenblick, die geringste Unvorsichtigkeit konnte über das Leben der gefangenen Bleichgesichter und auch über das unserige entscheiden; darum mahnte ich Jim jetzt nochmals zur äußersten Vorsicht.

»Habt keine Angst um mich,« antwortete er flüsternd. »Habe noch andere Sachen durchgemacht, als solche Leichtigkeit, wie jetzt.«

Das sollte mich beruhigen, aber dadurch, daß er es so leicht nahm, erreichte er das Gegenteil, und ich nahm mir vor, ihn ja nicht etwas vornehmen zu lassen, was wahrscheinlich über seine Kräfte ging.

Zunächst schien seine Ansicht, daß unser Unternehmen ein leichtes sei, sich bewahrheiten zu wollen. Wir kamen weiter und weiter, ohne durch irgend eine Fährlichkeit aufgehalten zu werden; wir erreichten sogar »das hohe Ufer«, des Flusses, ohne eine Spur von den Roten bemerkt zu haben. Ich sage mit Absicht »das hohe Ufer«, denn was wir jetzt nicht sahen, entdeckten wir bald darauf, nämlich daß das jetzt fast ausgetrocknete Flußbette ziemlich tief unter uns lag.

Es war fast ganz dunkel geworden, dennoch erkannte ich, daß das Ufer da, wo wir standen, einen steilen, kahlen Abrutsch hatte, auf welchem man sich ja nicht weit vorwagen durfte, sonst konnte leicht der Boden unter den Füßen weichen und einen mit hinunternehmen. Wir gingen also so lange am Rande hin, bis der Boden sicherer wurde und wieder Bäume trug; die Uferböschung unter uns war mit Büschen bestanden.

»Ihr müßt Euch geirrt haben, Sir,« flüsterte Jim mir zu. »Die Roten sind nicht in dieser Gegend.«

»O doch. Ich habe ihre Stimmen deutlich gehört.«

»So waren sie vorhin da, sind aber nun fort.«

»Nein; sie sind noch hier; ich weiß es ganz genau.«

»Man kann sie aber doch weder sehen noch hören!«

»Das ist wahr; aber ich rieche sie.«

»Riechen? Alle Wetter! Was müßt Ihr da für eine Nase haben!«

»Eine ganz gewöhnliche, die aber gerade für Pferdeduft sehr empfindlich ist. Ich rieche die Pferde der Comantschen.«

»Wo?«

»Sie sind tief unter uns am Wasser.«

»Bis da hinunter reicht Eure Nase?«

»Pshaw! Ihr wißt wohl gar nicht, welche Eigenschaft der Pferdeduft besitzt. Notabene, ich rieche ihn sehr gern. Kommt Ihr in einer großen Stadt an einen Droschkenhalteplatz, so braucht kein Pferd da zu sein, aber der Pferdeduft ist da. Ich wette, um was Ihr wollt, daß – – halt, seht Ihr’s, daß ich recht habe? Schaut hinab!«

Es war unten am Flusse ein kleiner, glühender Funke zu sehen, welcher sich rasch vergrößerte. Da es dunkel geworden war, brannten die Roten ein Feuer an. Daß sie nicht hier oben auf dem hohen Ufer geblieben waren, konnte man leicht begreifen. Unten gab es ja Wasser für sie und ihre Pferde. Aus dem einen Feuer wurden fünf.

»Das ist gut,« sagte Jim Snuffle. »Da können wir alles sehen, wenn wir uns an sie schleichen.«

»Sie uns aber auch, wenn wir uns nicht sehr in acht nehmen. Ich habe diese Feuer darum gern, weil auch sie uns sagen, daß sich die Comantschen sicher und unbeobachtet fühlen.«

»Wir gehen doch hinab, Mr. Shatterhand?«

»Ja.«

»Dann schlage ich vor, daß wir uns trennen. Ihr steigt da links und ich dort rechts hinunter oder auch umgekehrt. Da beschleichen wir sie von zwei Seiten, und es entgeht uns nichts. Unten treffen wir wieder zusammen.«

Weil ich ihm nicht die nötige Geschicklichkeit und Vorsicht zutraute, antwortete ich:

»Es ist besser, wenn wir beisammen bleiben. Wir steigen hier links hinunter, schleichen uns unten um das Lager und kommen dort rechts wieder herauf. Da sehen wir auch alles und können einander schnell beispringen, wenn einem von uns etwas passieren sollte.«

»Das ist auch richtig, Sir. Also hinab!«

Es war gar nicht leicht, da hinunter zu klettern. Das uns vollständig unbekannte Terrain war sehr steil. An den Büschen, die es da gab, durften wir uns nicht anhalten, weil dies Geräusch verursacht hätte, und jeder Stein, den wir von seinem Platze stießen, konnte, hinabrollend, uns verraten. Darum mußten wir uns außerordentlich in acht nehmen, und der Abstieg ging nur sehr langsam von statten. Es verging mehr als eine halbe Stunde, ehe wir hinunterkamen. Gut war es, daß Jim Snuffle sich bewährte; er hatte gelernt, sich unhörbar zu bewegen. ich kletterte voran, und er hielt sich nahe hinter oder über mir; dennoch mußte ich scharf horchen, wenn ich das leise Geräusch, welches er doch verursachte, hören wollte. Er war aber auch stolz darauf und fragte Mich, als wir auf der Sohle des Flußthales angekommen waren:

»Nun, wie habe ich meine Sache gemacht, Sir?«

»Ich bin zufrieden,« erklärte ich.

»Ihr meint also, daß ich das Anschleichen verstehe?«

»Vom Anschleichen habt Ihr mir doch noch keine Probe gegeben.«

»Nicht?« fragte er langgedehnt und verwundert.

»Nein. Das soll doch jetzt erst losgehen.«

»Jetzt erst? Wie nennt Ihr denn das, was wir bisher gethan haben? War das nicht geschlichen?«

»Gestiegen war es, vielleicht auch geschlichen, aber nicht angeschlichen. Das Anschleichen beginnt mit dem jetzigen Augenblicke. Ich hoffe aber, daß es Euch ebenso gelingt, wie das Herabsteigen. Haltet Euch stets hinter mir, und geht nicht von mir fort!«

»Das ist eigentlich gar nicht notwendig, denn ich bin gewohnt und verstehe es, selbständig zu handeln.«

»Wenn Ihr allein seid oder nur Euern Bruder bei Euch habt, mögt Ihr das thun; jetzt aber bin ich da und wünsche sehr, daß Ihr Euch nach mir richtet.«

»Well, soll geschehen. Ich sage Euch, daß es für mich das höchste der Gefühle ist, mich nach Old Shatterhand zu richten.«

Diese Versicherung beruhigte mich zwar nicht ganz, aber sie war doch geeignet, meine Befürchtungen so ziemlich zu heben.

Wir befanden uns oberhalb der Stelle, an welcher die Indianer lagerten, und mußten uns also abwärts wenden. Das Flußthal war muldenförmig vertieft, senkte sich also nach der Mitte zu und hatte nur soweit Gesträuch, als es vom Hochwasser nicht erreicht werden konnte. Da der Fluß jetzt sehr wasserarm war, gab es zwischen dem Gebüsch und dem Wasser einen freien Streifen, auf den wir uns nicht hinauswagen durften; das Umschleichen der Roten durfte also nicht nach der Wasserseite zu, sondern es mußte in der Weise geschehen, daß wir den Bogen, welcher um das Lager zu schlagen war, an die gefährliche Ufersteilung legten, gewiß eine Aufgabe, welche sehr schwer auszuführen war.

Zunächst legten wir uns nieder und krochen zwischen den Büschen auf das Lager zu. Wir kamen glücklich so nahe an dasselbe, daß wir es überblicken konnten. Die Comantschen hatten sich eine sehr passende Oertlichkeit ausgewählt. Sie lag nämlich tiefer als die Umgebung, und infolgedessen trat das Hochwasser hier bis ganz an die Thalwand heran. Darum gab es hier kein Gesträuch, sondern einen freien Platz, auf welchem auch ein größerer Trupp sich bequem hätte bewegen können. Uns freilich war dieser Umstand höchst unwillkommen, weil er die Schwierigkeiten erhöhte, welche wir zu überwinden hatten.

Die Indsmen waren beim Essen; sie unterhielten sich dabei in einer Weise, daß sie sich vollständig sicher fühlen mußten. In ziemlich gleichgroßen Abteilungen um die fünf Feuer gelagert, konnten sie von uns leicht gezählt werden. Es waren einundsiebenzig. Von ihnen allen fiel der Häuptling wegen seines weißen Haares am meisten auf. Er saß am zweiten Feuer, ungefähr dreißig Schritte von uns entfernt, und da er uns das Gesicht zukehrte, konnte ich dieses ganz deutlich sehen.

»Uff!« stieß ich überrascht, aber natürlich nur leise hervor. »Wenn wir dem in die Hände gerieten, wären wir verloren, selbst wenn er sich nicht auf dem Kriegspfade befände.«

»Kennt Ihr ihn, Sir?« fragte Jim ebenso leise.

»Nur zu gut. Es ist To-kei-chun, einer der gefürchtetsten Häuptlinge der Comantschen.«

»Ein Feind von Euch?«

»Ja. Ich geriet einst mit Winnetou und einigen andern Männern in seine Gefangenschaft, aus welcher wir nur durch meine edle Dreistigkeit entkamen1. Es wurde zwischen ihm und mir vereinbart, daß wir zwar fortreiten durften, er uns aber nach einer kurzen Frist mit seinen Kriegern folgen werde. Natürlich ließen wir uns nicht einholen.«

»Höchst interessant, Sir! Das müßt Ihr mir erzählen.«

»Aber nicht jetzt, Mr. Snuffle!«

»Versteht sich ganz von selbst. Jetzt giebt es anderes zu thun, als von Abenteuern schwatzen.«

»Allerdings. Wir können leicht eines erleben.«

»Das wollen wir ja auch. Oder ist es etwa kein Abenteuer, wenn man fünf Gefangene mitten unter siebzig Comantschen herausholt? Seht Ihr sie liegen, dort beim Feuer, an dem der Häuptling sitzt?«

Natürlich sah ich sie. Sie lagen nebeneinander und waren so gefesselt, daß sie sich nicht zu rühren vermochten. Derjenige, welcher uns am nächsten lag, hatte einen starken, schwarzen, herabhängenden Schnurrbart, war also wohl derjenige, der sich Mr. Dschafar nennen ließ.

Zwischen diesem Feuer und uns gab es noch einige Büsche, und ich hielt es nicht für zu gewagt, weiter vorzukriechen. Die Roten hatten keine Wachen ausgestellt, und da sie ruhig an den Feuern saßen und nicht hin und her gingen, stand nicht zu befürchten, daß man mich bemerken werde. Der Häuptling sprach mit denen, welche bei ihm saßen, und ich hätte gar zu gern gehört, wovon sie redeten. Darum forderte ich Jim auf, einstweilen liegen zu bleiben, und schob mich vorsichtig weiter fort.

Aber kaum hatte ich hinter dem letzten Busche Posto gefaßt, so hörte ich hinter mir ein leises Geräusch, und als ich mich umblickte, sah ich, daß der Snuffle mir gefolgt war.

»Was fällt Euch ein!« raunte ich ihm mißmutig zu. »Ihr solltet doch bleiben!«

»Will auch gern hören, wovon sie reden.«

»Versteht Ihr denn ihre Sprache?«

»Nicht viel, aber doch etwas.«

»Aber dieser Busch deckt zwei Personen nicht so gut wie eine!«

»Werden schon Platz nebeneinander haben, Sir. Ihr habt ja gesagt, daß ich bei Euch bleiben und mich ja nicht von Euch entfernen soll. Das thue ich nun, wie Ihr seht.«

Er kroch eng zu mir heran, und so lagen wir allerdings beide im Schatten des Strauches, aber lieber wäre es mir doch gewesen, wenn er zurückgeblieben wäre.

Der Zweck, welchen ich verfolgt hatte, wurde erreicht: Wir hörten, was gesprochen wurde. Der Gegenstand des Gespräches war der Kriegszug, auf dem sie sich jetzt befanden. Sie wollten einige Ansiedelungen, welche sie auch nannten, überfallen und die dortigen Weißen ermorden, vorher aber nach dem Makik-Natun, reiten und dort den Kriegstanz aufführen, um die »Medizin« zu befragen, ob der Ueberfall gelingen werde. Diese Feierlichkeit sollte dadurch erhöht werden, daß die fünf Bleichgesichter, welche heute in ihre Hände geraten waren, am Marterpfahle sterben sollten.

Jetzt kannte ich ihre Absichten und konnte den gefährlichen Lauscherposten aufgeben. Wenn es uns heute nicht gelang, die Gefangenen zu befreien, konnten wir den Indianern nach dem Makik-Natun folgen, um dort oder auch schon unterwegs eine bessere Gelegenheit dazu zu finden. Wir krochen also wieder zurück. Als wir unser voriges Versteck erreicht hatten, erkundigte sich Jim Snuffle:

»Habe einiges verstanden, aber nicht alles. Was war das für ein Wort, Makik-Natun?«

»Ein Comantscheausdruck, welcher aus dem Tonkawa-Dialekte stammt; er heißt soviel wie gelber Berg.«

»Gelber Berg? Nicht wahr, dorthin wollen sie?«

»Ja.«

»Und dort sollen die Gefangenen abgeschlachtet werden, wenn ich richtig verstanden habe?«

»Ja.« »Wo mag dieser Berg liegen? Wenn man das doch wüßte!« »Ich weiß es. Bin einigemal dort gewesen.« »Wirklich? Das ist gut, sehr gut. Liegt er weit von hier?« »Nur einen Tagesritt.« »Kennt Ihr von hier aus den Weg?«

»Natürlich. Bin zwar noch nicht von hier aus dort gewesen, aber was wäre das für ein Westmann, der einen ihm bekannten Ort nicht von allen Seiten her zu finden wüßte. Der Makik-Natun ist eigentlich mehr ein Hügel als ein Berg, denn hier giebt es keine wirklichen Berge, ein kurzer, niedriger Höhenzug, welcher seinen Namen der hellen Farbe des dortigen Bodens verdankt.«

»Warum aber mögen die Roten gerade dorthin wollen, um ihren Medizintanz auszuführen?«

»Weil dort mehrere ihrer Häuptlinge begraben sind. Aber jetzt nicht länger schwatzen, Mr. Snuffle; folgt mir weiter! Wir müssen erfahren, wo die Pferde sind. Es gilt nicht nur, die Gefangenen zu befreien, sondern auch die Pferde für sie zu schaffen, weil uns sonst die Comantschen einholen würden.«

Wir krochen von Busch zu Busch, um zunächst an die Thalwand zu kommen. Eben als uns dies gelungen war, glaubte ich, über uns ein Geräusch zu hören.

»Still!« flüsterte ich Jim zu. »Habt Ihr nichts gehört?«

»Nein,« antwortete er. »Ihr wohl?«

»Ja.«

»Wo?«

»Da oben. Es war wie ein leises Niederrieseln von Sand. Es wird doch nicht etwa –—!«

»Was?«

»Euer Bruder. Das wäre die größte Dummheit, die er begehen könnte!«

»Mein Bruder? Was soll mit ihm sein?«

»Daß er seinen Vorsatz ausführen will, die Indsmen auch zu beschleichen.«

»Fällt ihm nicht ein! Sollte mir nur kommen! Ich würde ihm – –«

Er vollendete den Satz nicht und wäre vor Schreck aufgesprungen, wenn ich ihn nicht schnell festgepackt und niedergehalten hätte. »Sollte mir nur kommen,« hatte er gesagt. Ja, er kam, und zwar wie – nämlich sein Bruder! Erst gab es ein Rascheln von herabrollender und an die Büsche schlagender Erde, hierauf erscholl über uns der laute Ruf »Thunderstorm!« und dann kam es von der Höhe herabgesaust und mitten zwischen die Indianer hinein, daß diese erst auseinander sprangen und sich dann mit lautem Geschrei auf den Menschen warfen. Denn ein Mensch war es, und zwar Tim Snuffle, welcher seinen Vorsatz doch ausgeführt hatte. Er war unglücklicherweise gerade wie wir an die vorhin erwähnte Stelle gekommen, wo es einen Erdrutsch gegeben hatte, aber weniger vorsichtig gewesen, als wir. Sich zu weit vorwagend, hatte er die lockere Höhenkante unter sich in Bewegung gebracht und war auf dem niedergehenden Erdreiche wie auf einem Schlitten herabgefahren. Nun waren die Roten massenhaft über ihn her. Der unvermutete und vehemente Abrutsch schien ihm nichts geschadet zu haben, denn er schrie so kräftig, daß seine Stimme sogar das Gebrüll der Indianer übertönte. Und dem nicht genug, begann sein Bruder Jim auch zu schreien, der doch die größte Veranlassung zum Schweigen hatte.

»Mein Bruder, mein Tim, mein alter Tim!« zeterte er, indem er versuchte, sich von mir loszureißen.

»Wollt ihr still sein!« befahl ich ihm zornig, doch mit unterdrückter Stimme. »Ihr bringt ja auch Euch und mich in – –«

»Sie machen ihn kalt; sie machen ihn kalt!« unterbrach er mich.

Da ich am Boden lag und er sich aufgerichtet hatte, konnte ich nicht meine ganze Kraft in Anwendung bringen; ihm aber verlieh die Angst um seinen »alten Tim« doppelte Stärke; er riß sich von mir los und sprang fort, mitten unter die Indianer hinein. Ich sah ihn in ihrem Haufen verschwinden. Natürlich wurde er ebenso wie sein Bruder von ihnen sofort niedergerungen.

Was sollte ich thun? Etwa ihm nach? Das fiel mir gar nicht ein! Ich blieb liegen, obwohl zu erwarten stand, daß die Indsmen die Umgebung schnell absuchen würden. Welch eine Unvorsichtigkeit, welch ein Unsinn erst von dem Einen und dann auch von dem Andern! Und das wollten gute Westmänner sein! Anstatt daß wir die fünf Gefangenen befreiten, waren es nun zwei mehr geworden. Und die weiteren Folgen!

Die zeigten sich sofort, denn jetzt erklang die gebieterische Stimme des Häuptlings:

»Tretet die Feuer aus, schnell! Vielleicht sind noch andere Bleichgesichter in der Nähe.«

Diesem Befehle wurde augenblicklich Folge geleistet. Dabei entstand für kurze Zeit ein Wirrwarr, welcher einen Gedanken in mir aufkommen ließ, den ich ebenso schnell ausführte, wie er in mir entstanden war. Die Flammen verlöschten, doch da ich an der Erde lag, sah ich bei dem noch Weiterglimmen der Holzstücke, daß die Roten sich aufgeregt durcheinander bewegten und für den Augenblick nur an die beiden Snuffles dachten, für ihre vorherigen Gefangenen aber wohl keine Aufmerksamkeit hatten. Ich schnellte mich, nur halb aufgerichtet, vorwärts, nach dem Lager hin, kam glücklich zu den Gefesselten, faßte den von ihnen, den ich für Dschafar hielt, beim Kragen und zog ihn mit mir wieder zurück, dorthin, wo ich gelegen hatte.

Die Indsmen hätten es sehen sollen, ja sehen müssen, aber in ihrer Aufregung sah es keiner von ihnen. Es war wie ein Wunder, daß mir dieser Streich gelang! Nun hatte ich wieder Büsche zwischen ihnen und mir und konnte mich aufrichten, Zunächst fort, nur fort! Ich nahm den steifgefesselten Mann, der keinen Laut von sich gab, auf die Schulter und eilte fort, soweit, bis ich mich sicher fühlte. Da legte ich ihn auf den Boden nieder, zog das Messer, zerschnitt die Riemen, mit denen er gebunden war, und sagte:

»Ihr seid frei. Steht auf, und versucht einmal, ob Ihr gehen könnt.«

»Frei?« antwortete er in fremd klingendem Englisch. »O Allah! Ihr seid kein Indianer?«

»Nein; ich bin ein Weißer. Ich kam, Euch zu befreien, ahnte aber nicht, daß dies in der Weise geschehen könne, wie es jetzt gelungen ist.«

Nun erst richtete er sich langsam auf, nahm meine beiden Hände und sagte:

»Frei, frei, frei soll ich sein! Ist das wahr, ist das möglich?«

»Ihr seht es ja! Ihr seid nicht mehr gebunden!«

»Allah, Allah, Allah! Frei bin ich, frei, erlöst, errettet von diesen Teufeln! Sagt mir, wer Ihr seid! Ich muß wissen, wem ich das zu danken habe!«

»Das später. Jetzt vor allen Dingen fort, schnell weiter fort! Hört Ihr die Roten heulen? Sie haben bemerkt, daß Ihr fehlt, und werden nach Euch suchen. Wir dürfen keinen Augenblick verlieren. Also versucht, ob Ihr gehen könnt!«

Er that einige Schritte, wankte aber und erklärte dann:

»Es geht nicht, Sir. Ich bin so scharf gefesselt gewesen und fühle meine Füße nicht. Wenn ich gehen will, falle ich um.«

»Ich kenne das. Es ist, als hätte man kein Füße, und wer keine Füße hat, der kann eben nicht laufen.«

»Aber wie komme ich fort von hier? Soll ich mich wieder fangen lassen!«

»Nein. Ich trage Euch.«

»Tragen? Einen so schweren Mann, wie ich bin!«

»Pshaw, das ist das Wenigste! Hauptsache ist, daß ich die Hände frei haben muß, denn es gilt, diese steile Höhe zu erklettern. Ich nehme Euch also auf den Rücken, und Ihr haltet Euch fest, indem Ihr Eure Arme um meinen Hals legt. Kommt!«

Ich steckte die zerschnittenen Riemen ein, welche nicht von den Indianern gefunden werden sollten. Er wollte sich trotz der Gefahr, welche das Zaudern für uns hatte, aus Höflichkeit noch sträuben, von mir getragen zu werden; ich machte aber kurzen Prozeß, nahm ihn hinten auf, und dann ging es so schnell wie möglich die Höhe empor, wobei ich mir die Mühe gab, so wenig wie möglich tiefe Fußeindrücke zu hinterlassen. Oben angekommen, ließ ich ihn los, und er meinte, daß er nun vielleicht, wenn auch nur langsam, gehen könne; er fühle seine Füße wieder. Die Blutzirkulation hatte sich also wieder eingestellt.

Zunächst blieben wir noch halten, und ich horchte in das Thal hinab. Es herrschte tiefe Stille unten; die Roten hatten ja mit der Vermutung zu rechnen, daß noch mehr Weiße in der Nähe seien; sie durften also ihre Nachforschungen nur im Finstern vornehmen und konnten darum die Spur, welche ich zurückgelassen hatte, nicht entdecken. Diese war morgen früh wohl nicht mehr zu sehen, und so mußte ihnen das Entkommen des Gefangenen ein unlösbares Rätsel sein, wenn sie nicht etwa durch eine Unvorsichtigkeit der Snuffles etwas über meine Anwesenheit erfuhren.

Daß ich alles daran setzen würde, diese Letzteren, und mit ihnen natürlich auch die andern Weißen, zu retten, das versteht sich ganz von selbst. Wie dies anzufangen sei, darüber war ich schon jetzt im klaren. Heute war selbstverständlich nichts mehr anzufangen.

Es zeigte sich, daß der Fremde gehen konnte, allerdings langsam, wie er gesagt hatte; aber wir brauchten uns ja nicht zu beeilen, weil wir nicht verfolgt wurden. Als er mich jetzt wieder bat, ihm meinen Namen zu nennen, antwortete ich:

»Man heißt mich hier im Westen gewöhnlich Old Shatterhand; nennt mich auch so, Sir. Und Ihr? Seid Ihr vielleicht Mr. Dschafar?«

»Ja – aber Ihr kennt meinen Namen? Wie kommt denn das?«

»Ich habe ihn von Perkins, Eurem Führer, gehört.«

»Wann?«

»Heute.«

»So habt Ihr ihn heute gesehen? Er ist nicht verunglückt? Ich glaubte ihn verloren.«

»Sagt mir zunächst, was Ihr von ihm haltet! Was ist er für ein Mensch?«

»Ich habe bisher keine Ursache gehabt, über ihn zu klagen.«

»So ist er also wohl nicht so schlimm, wie ich dachte. Kommt, wir müssen weiter! Während wir gehen, werde ich Euch erzählen, wie ich ihn kennen gelernt habe.«

Ich nahm ihn bei der Hand, um ihn zu führen, denn wir mußten durch den Wald. Während wir vorsichtig unter und zwischen den Bäumen hinschritten, erzählte ich. Als ich zu Ende war, sagte er:

»Sir, er ist kein Held; das habe ich wiederholt bemerkt. Der Schreck und die Angst haben ihn zu dem getrieben, was Ihr eine Treulosigkeit nennt. Lassen wir es bei der bisherigen Strafe. Er ist feig, aber kein Bösewicht.«

»Mir soll es recht sein. Ihr meint also, daß ich ihn losbinden kann?«

»Ja.«

»Ohne befürchten zu müssen, daß uns dies Schaden bringt?«

»Ihr dürft ihm trauen. Er wird Euch nur dann täuschen, wenn Ihr Heldenthaten von ihm erwartet. Aber, Sir, wie bedaure ich meine anderen Begleiter! Sie sind unbedingt verloren!«

»Noch nicht. Sprechen wir später von ihnen. Jetzt werden wir gleich an Ort und Stelle sein.«

»Bei Perkins?«

»Ja.«

»Was müßt Ihr für Augen haben! Sich des Nachts im finstern Walde ebenso zurecht zu finden, wie am hellen Tage!«

»Das ist Uebung, weiter nichts.«

Wir hatten keine Veranlassung, ganz leise zu sprechen; darum hörte uns Perkins. Er erkannte uns beide an unsern Stimmen und rief, noch ehe wir ihn erreicht hatten, uns entgegen:

»Ihr kommt, Mr. Shatterhand? Gott sei Dank, es ist gelungen! Ich höre Euch mit Mr. Dschafar sprechen; Ihr habt ihn also befreit. Hoffentlich gebt Ihr mir nun auch meine Freiheit wieder!«

»Wollen sehen,« antwortete ich, indem ich zu ihm trat.

»Zunächst muß ich etwas wissen, was höchst wichtig für mich ist. Ich gab Mr. Snuffle meine Gewehre. Wo sind sie?«

»Sie liegen hier neben mir; das seinige und das seines Bruders auch.«

»So war meine Sorge unnötig. Dieser Mann hat heut den dümmsten Streich seines ganzen Lebens begangen, indem er von hier fortging.«

»Ich habe ihm zugeredet, hier zu bleiben; er ließ sich aber nicht halten.«

»Obgleich er einen Gefangenen zu bewachen hatte! Vollständig unverzeihlich! Wenn nur ein einziger Riemen bei Euch locker war, konntet Ihr Euch losmachen und mit unsern Gewehren und Pferden auf und davon gehen. Die Strafe hat ihn schnell genug ereilt!«

»Strafe? Was ist ihm widerfahren?«

»In die Gefangenschaft ist er geraten, oder vielmehr förmlich gefahren und gestürzt.«

Ich erzählte ihm, was geschehen war, und fügte hinzu:

»Ihr seht, was es für Folgen hat, wenn man so ohne Sinn und Ueberlegung handelt; Ihr habt es sogar an Euch selbst erfahren. Ihr tragt selbst die Schuld, daß ich so streng gegen Euch gewesen bin.«

»Das sehe ich ein, Sir. Nun aber denke ich, daß Ihr in dieser Strenge einmal nachlassen könnt.«

»Gut! Mr. Dschafar hat für Euch gebeten, und so will ich Euch freigeben, hoffe aber, daß Ihr Euch von jetzt an bewähren werdet!«

»Das werde ich, Sir, das werde ich! Sagt mir nur, was ich thun soll.«

Ich band ihn frei und gab ihm alles wieder, was ich ihm aus den Taschen genommen hatte. Dann warnte ich ihn:

»Glaubt aber ja nicht etwa, daß ich Euch nun gleich mein vollständiges Vertrauen entgegenbringe! Ich würde Euch noch sehr scharf beaufsichtigen, wenn ich nicht in der Lage wäre, dies lieber den Comantschen zu überlassen.«

»Die Comantschen? – Mich beaufsichtigen? – Wie meint Ihr das?«

»Sehr einfach: Ihr seid verloren, wenn Ihr Euch nicht treu zu mir haltet und nur das thut, was ich will. Wenn Ihr abermals feig oder treulos handelt, so werdet Ihr ihnen in die Hände fallen. Sie werden, sobald der Tag anbricht, nachforschen, und nur ich bin es, der sie irre zu leiten vermag. Ihr könntet sie nicht täuschen; Euch würden sie einholen und erwischen. Eure Sicherheit liegt also in Eurer Treue zu uns, und so bin ich überzeugt, daß ich mich aus diesem Grunde auf Euch verlassen kann.«

»Das könnt Ihr, Mr. Shatterhand. Wie dumm von Tim Snuffle, daß er Euch nicht auch gehorcht hat! Nun ist er gefangen. Könnt Ihr nicht vielleicht etwas für ihn thun?«

»Ich hoffe, daß ich sie alle noch befreien werde. Ihr könnt mir dabei helfen.«

»Herzlich gern! Aber – wird das nicht sehr gefährlich sein?«

»Für Euch nicht. Habt keine Sorge um Eure Person und Euer Leben! Ihr sollt mir nur dadurch behilflich sein, daß Ihr mich nicht stört und mir vielleicht eine kleine Handreichung leistet, die vollständig ungefährlich ist.«

»Werden die Roten lange hier bleiben?«

»Nein, ich bin überzeugt, daß sie morgen fortreiten werden.«

»Reiten wir ihnen etwa nach?«

»Nein, sondern voran.«

»So wißt Ihr also, wohin sie wollen?«

»Ja.«

»Da ist es gut, daß wir die Maultiere der beiden Snuffles haben; da kann ich reiten, während ich sonst laufen müßte.«

»Die Maultiere nehmen wir nicht mit.«

»Nicht? – Aber warum denn nicht?«

»Um die Indianer zu täuschen. Sie sollen denken, daß die Snuffles allein hier gewesen sind.«

»Werden sich hüten!«

»O doch! Die Snuffles wissen, daß sie verloren sind, wenn ich sie nicht rette; es wird ihnen also nicht einfallen, zu verraten, daß noch jemand bei ihnen gewesen ist. Die Roten werden freilich nachforschen und dabei die Maultiere und die Flinten der Snuffles finden. Hierauf werden sie überzeugt sein, daß die Brüder wirklich allein waren, denn wenn noch jemand bei ihnen gewesen wäre, der hätte die Tiere und Gewehre gewiß fortgeschafft.«

»Ah, das ist freilich pfiffig! Aber die Indianer werden unsere Spuren sehen!«

»Nein, denn die sind bis morgen früh undeutlich geworden. Und selbst wenn sie noch zu sehen wären, würden die Roten nicht weiter forschen, nachdem sie die Maultiere gefunden haben.«

»Ob sie aber wirklich hierher kommen und sie finden?«

»Hierher? Es fällt mir ganz und gar nicht ein, sie grad hierher zu locken, denn da würden sie allerdings erfahren, daß mehr als nur zwei Menschen hier gewesen sind. Das Gras und Moos ist hier so fest niedergedrückt, daß es sich bis morgen früh unmöglich ganz wieder erheben kann. Nein. Wir schaffen die Tiere fort, an einen Ort, wo sie leicht zu finden sind. Und dabei sollt Ihr mir helfen, wenn Ihr wollt.«

»Natürlich will ich. Welcher Ort wird das wohl sein?«

»Tim Snuffle ist von der Höhe gerutscht. Die Roten werden also zunächst da oben suchen. Dort binden wir die Tiere an.«

»Wann? – Früh?«

»O nein, denn da würden die Spuren bemerkt, welche wir dabei machen.«

»So müssen wir sie jetzt hinschaffen; da vergehen die Spuren bis morgen früh.«

»Richtig! Das werden wir thun. Aber Ihr seid gefesselt gewesen. Wird das Gehen Euch nicht Schmerzen machen?«

»O nein, denn Ihr habt mich nicht in der Weise gebunden gehabt, wie die Indianer dies zu thun pflegen.«

»So wollen wir nicht säumen, sondern gleich an das Werk gehen. Mr. Dschafar ist nicht gewöhnt, des Nachts durch den Wald zu gehen; er wird also hier bleiben und auf uns warten.«

Wir banden jedem der beiden Maultiere eines der Gewehre an das Sattelzeug und führten sie dann fort. Ich ging natürlich voran und Perkins folgte mir. In der Nähe der Stelle angelangt, wo Tim abgerutscht war, banden wir die Tiere an und kehrten dann zu Dschafar zurück, welcher nicht nur über seine Befreiung entzückt war, sondern sich auch darüber freute, daß er sein Pferd wieder hatte.

»Ich wollte, es wäre das meinige,« sagte Perkins, »denn nun muß ich laufen.«

»Seid Ihr denn ein guter Läufer?« erkundigte ich mich.

»Leider nicht.«

»So gebe ich Euch mein Pferd, und ich gehe.«

»Das wolltet Ihr wirklich?«

»Ja.«

»Ich bin Euch sehr dankbar dafür; aber ist es nicht unvorsichtig von Euch, Mr. Shatterhand?«

»Warum unvorsichtig?«

»Weil Ihr vorhin sagtet, daß Ihr mir Euer Vertrauen nicht gleich schenken könntet.«

»Was hat das mit der Unvorsichtigkeit zu thun?«

»Wie leicht kann ich Euch durchgehen, wenn ich reite, während Ihr lauft!«

»Pshaw! Ich brauchte nur zu pfeifen, so würde mein Pferd trotz aller Reitkünste mit Euch zu mir zurückkehren. Es hat indianische Dressur. Und wenn dies auch nicht der Fall wäre, so würde Euch meine Kugel sofort vom Pferde holen. Old Shatterhand weiß stets, was er wagen darf oder nicht. jetzt wollen wir aufbrechen.«

Wir führten unsere Pferde in der vom Flusse abgewendeten Richtung aus dem Walde hinaus. Als wir in das Freie gelangt waren, stiegen Dschafar und Perkins auf, um mir, der ich den Führer machte, zu folgen.

Hier war es heller als im Walde. Die Sterne schienen, und es gab also keinen Zweifel darüber, wohin ich die Schritte zu lenken hatte.

Längere Zeit hatte jeder mit seinen Gedanken zu thun; dann sagte Perkins, indem er das Schweigen unterbrach:

»Ihr wißt also genau, wohin es geht, Sir. Dürfen wir es auch erfahren?«

»Natürlich! Nach einer Anhöhe, welche von den Comantschen Makik-Natun genannt wird. Dort wollen sie bei den Gräbern ihrer Häuptlinge die Gefangenen töten. Heut war nichts mehr zu machen; ich hoffe aber, morgen ihnen die Gefangenen zu entreißen.«

»Auf welche Weise?«

»Das weiß ich jetzt noch nicht; der Augenblick muß es ergeben.«

»Wenn aber kein solcher Augenblick kommt?«

»So führe ich ihn herbei. Ich glaube, für zwei passende Gelegenheiten sorgen zu können; eine von ihnen muß ergriffen und benutzt werden.«

»Welche sind das?«

»Eine halbe Tagreise zwischen hier und dem Makik-Natun liegt ein Regenbett, welches im Frühjahr so viel Wasser führt und während der übrigen Zeit so viel Feuchtigkeit besitzt, daß dort ein Wald entstanden ist. Ich nehme mit Sicherheit an, daß die Indianer ihren Ritt dorthin richten, um ihre Pferde dort ausruhen, trinken und grasen zu lassen. Anderswo fänden sie keinen solchen Platz. Vielleicht finden wir dort Gelegenheit, die Gefangenen zu befreien.«

»Wenn aber nicht?«

»So bleibt uns freilich nichts übrig, als den Roten bis zum Makik-Natun zu folgen, wo die Gelegenheit sich dann unbedingt finden muß, und wenn ich sie bei allen Haaren herbeiziehen sollte.«

»Ihr seid ein couragierter Mann, Mr. Shatterhand. Wagt ja nicht gar zu viel!«

»Was ich wage, das wage ich für mich. Euch werde ich nicht zumuten, Euer Leben auf das Spiel zu setzen.«

»Ist Euch denn das Regenbette bekannt, von dem Ihr spracht?«

»Ja; ich war schon dort, wenn auch nicht von hier aus.«

»Nicht von hier? So können wir es ja sehr leicht verfehlen!«

»Das sagt Ihr und wollt ein Scout, ein Führer sein? Old Shatterhand hat sich noch nie verirrt; er ist stets dahin gekommen, wohin er kommen wollte.«

Dies war eine Bemerkung, welche ihn veranlaßte, die Unterhaltung nicht weiter fortzusetzen. Dafür begann Dschafar mir zu erzählen, wie er von den Roten überfallen ward. Er hatte sich verteidigt und mit seinen Kugeln zwei Indianer getroffen. Daher das Blut, welches wir gesehen hatten. Dafür war er viel fester gefesselt worden als die andern, und für einen qualvolleren Tod bestimmt. Hieran schloß er eine Beschreibung der Behandlung, welche ihm zu teil geworden war und eine Schilderung des Glückes, welches er nun empfand, wieder frei zu sein. Er sprach englisch, aber in einer so blumenreichen Weise, daß ich ihn für einen Orientalen gehalten hätte, auch wenn mir noch nichts über ihn gesagt worden wäre.

Wir unterhielten uns längere Zeit miteinander. Ich hätte gern Näheres erfahren, da er aber seine Verhältnisse nicht von selbst berührte, so hielt ich es nicht für angezeigt, ihn nach denselben zu fragen. Ein gebildeter Mann war er jedenfalls, gebildet nicht nur nach orientalischem, sondern sogar nach europäischem Begriffe. Er mußte sich wohl längere Zeit im Abendlande aufgehalten haben.

Später hielten sich beide zusammen, und während ich voranschritt, sprachen sie, wie es schien, von mir, denn sie dämpften zuweilen ihre Stimmen zum Flüstertone und blieben auch weiter hinter mir, als sie wohl gethan hätten, wenn ich nicht der Gegenstand ihres Gespräches gewesen wäre.

Perkins bot mir einigemal mein Pferd an; da ich aber nicht müde war, konnte er es behalten. So verging die Nacht, und der Morgen brach an. Als es so hell geworden war, daß wir uns sehen konnten, sagte er:

»Jetzt werden die Comantschen nach uns suchen und die Maultiere finden, Sir.«

»Gewiß. Und da es feucht im Walde ist, sind unsere Fußstapfen nicht mehr zu sehen. Je feuchter das Gras oder Moos ist, desto eher richtet es sich wieder auf. Sehen die Roten keine Spur, so nehmen sie an, daß die Snuffles keine Begleiter gehabt haben, und forschen nicht weiter nach.«

»Aber nach Mr. Dschafar werden sie suchen!«

»Auch nicht allzulange. Sie könnten ihn doch nur in dem Falle wieder ergreifen, wenn sie seine Fährte fänden. Da dies aber, wie ich voraussetze, nicht der Fall ist, so werden sie nicht viele Zeit auf eine Mühe verwenden, von der sie sich sagen müssen, daß sie fruchtlos ist.«

»Ich möchte bemerken, daß sie sein Verschwinden nicht begreifen können und darum ganz begierig darauf sein werden, eine Erklärung zu finden.«

»Unter gewöhnlichen Verhältnissen würden sie allerdings wohl die ganze dortige Gegend nach ihm absuchen; aber wir wissen ja, was sie vorhaben und daß sie eilen müssen. Sie dürfen nicht warten, bis die Ansiedler, die sie überfallen wollen, dies ahnen oder gar davon Wind bekommen. Darum werden sie den ihnen auf eine so rätselhafte Weise entwischten Mann lieber laufen lassen, als daß sie eine lange, nutzlose Suche nach ihm veranstalten. Wie ich diese Roten und ihre Gewohnheiten kenne, werden sie höchstens die ersten zwei Tagesstunden darauf verwenden und dann den Ritt nach dem Makik-Natun fortsetzen.«

»Wann werden sie im Walde am Regenbette ankommen?«

»Da sie schneller reiten werden, als wir jetzt bei Nacht reiten konnten, werden sie wohl grad zu Mittag dort sein.«

»Und wir?«

»In vielleicht einer Stunde, wenn mich meine Vermutung nicht täuscht.«

»So haben wir ja fast fünf Stunden Zeit, dort auf sie zu warten. Wenn wir ein Wild dort fänden! Wir haben nichts zu essen.«

»Jagen dürfen wir leider dort nicht, denn wir müssen uns sehr hüten, sie ein Zeichen unserer Anwesenheit finden zu lassen. Aber – – – schau, da ist uns ja gleich geholfen!«

Kaum hatte Perkins den Wunsch nach einem Wilde ausgesprochen, so sprangen zwei Prairiehasen vor uns auf. Ich nahm schnell den Henrystutzen vom Rücken und schoß sie nieder.

»Allah!« rief Dschafar aus. »Was für ein Schütze seid Ihr! Ich sehe, daß Perkins mir vorhin doch die Wahrheit gesagt hat, als er mir von Old Shatterhand erzählte.«

Diese kindliche Bewunderung nötigte mir ein fröhliches Lachen ab. Ich nahm die Hasen auf, hing sie mir an den Gürtel, und dann ging es weiter.

Die zwei Schüsse schienen die Aufmerksamkeit Dschafars auf meine beiden Gewehre gelenkt zu haben. Er betrachtete sie wiederholt in einer Weise, welche auf ein ungewöhnliches Interesse schließen ließ, und endlich gab er diesem Interesse Ausdruck, indem er mich fragte:

»Sir, hat dieses schwere Gewehr hier einen besonderen Namen?«

»Ja.«

»Welchen?«

»Man nennt es einen Bärentöter.«

»Allah! Sonderbar! Diesen Namen habe ich schon gehört, aber in arabischer Sprache. Giebt es mehr solche Gewehre?«

»Ja, wenn auch nicht so alt und so schwer wie gerade dieses.«

»Wievielmal könnt Ihr wohl mit dem kleineren schießen?« »Fünfundzwanzigmal.«

»Allah! Auch das stimmt. Wie heißt es?«

»Es ist ein Henrystutzen.«

»Auch diesen Namen habe ich arabisch gehört. Ist es nicht ein außerordentlicher Zufall, daß Ihr grad zwei Gewehre der Arten besitzet, wie die waren, von denen man mir erzählte?«

»Wo habt Ihr von ihnen gehört?«

»Am Tigris.«

»Am Tigris? Allerdings höchst sonderbar!«

»Kennt Ihr diesen Fluß?«

»Jawohl. Jedes Schulkind kennt ihn vom geographischen Unterrichte her. So seid Ihr also wohl dort gewesen, Mr. Dschafar?«

»Ja.«

»Wann?«

»Vor zwei Jahren. Ich bin nämlich ein Perser, müßt Ihr wissen, und werde in der Heimat Mirza Dschafar genannt. Ihr werdet wohl nicht darüber unterrichtet sein, was das bedeutet?«

»Doch.«

»Nun, was?«

»Mirza ist, dem Namen vorangesetzt, der Titel eines Gelehrten; steht das Wort aber dem Namen nach, so bedeutet es einen Prinzen von Geblüt.«

»Wahrhaftig, Ihr wißt es! Also ich werde Mirza Dschafar genannt und reiste über Bagdad nach Konstantinopel. Diese Reise ging am Ufer des Tigris nach Mossul, und unterwegs war ich Gast beim Stamme der Hadeddihn, bei denen ich von den Gewehren hörte.«

»Sollte es dort auch Henrystutzen und Bärentöter geben?« fragte ich, außerordentlich gespannt, ohne dies aber merken zu lassen.

»Nein. Sie gehörten einem Fremden.«

»Wer mag der gewesen sein?«

»Er hieß Emir Kara Ben Nemsi Effendi.«

»Das ist doch ein arabischer Name; also war dieser Mann doch wohl kein Fremder!«

»Doch! Wenn Ihr arabisch verständet, so würdet Ihr wissen, daß Nemsi ein Deutscher ist. Der Scheik der Hadeddihn erzählte mir von ihm und von seinen Gewehren.«

»Wie hieß dieser Scheik?«

»Er war ein kleines, aber höchst tapferes und kluges Männchen und hieß Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah.«

»Welch ein Name! Fast länger als eine Riesenschlange!«

»Ja, in Euern Ohren klingt das wohl lächerlich, aber im Orient ist es Sitte, daß man dem eigenen Namen diejenigen der Ahnen nachfolgen läßt. Dadurch ehrt der Mann sich und seine Vorfahren zugleich. Uebrigens durfte dieser Hadschi Halef Omar gar wohl einen so langen Namen tragen, denn er war ein sehr berühmter Mann, der von vielen Heldenthaten erzählen konnte. Er hatte den Löwen und den schwarzen Panther gejagt und mit vielen Feinden gekämpft, die er alle besiegte.«

Es versteht sich ganz von selbst, daß ich mich ganz außerordentlich freute, hier, was übrigens kaum glaublich war, etwas von meinem kleinen Hadschi Halef zu hören. Der kleine Kerl hatte, wie das so seine Weise war, hier wieder einmal von seinen Erlebnissen in orientalischer Uebertreibung erzählt und sich als den Vollbringer von Thaten aufgespielt, die eigentlich auf meine Rechnung kamen. Ich machte mir den Spaß, zu verschweigen, daß ich jener Emir Kara Ben Nemsi Effendi gewesen war, und fragte:

»War jener deutsche Emir bei diesen Thaten zugegen gewesen?«

»Ja. Er hatte sogar an ihnen teilgenommen und niemals einem Feinde den Rücken gezeigt. Die Hadeddihn verdanken es ihm, daß sie heut noch bestehen, denn er hat sie vor einer Niederlage bewahrt, welche ihren Untergang nach sich gezogen hätte. Auch ich halte ihn in besonderem Angedenken, weil ich ihm sehr zu Dank verpflichtet bin.«

Das war mir neu. Ich wußte mit vollster Sicherheit, daß ich diesem Dschafar nie begegnet war, ihn nie gesehen und nie etwas von ihm gehört hatte, und er sollte mir Dank schulden? Ich mochte ihn wohl fragend anblicken, denn er fuhr fort:

»Er hat nämlich einen Verwandten von mir vom Tode errettet, indem er ihm im Kampfe half. Dann begleitete er ihn nach Bagdad und stand ihm in allen Fährlichkeiten bei, was aber leider nicht verhinderte, daß dieser Verwandte doch später überfallen und ermordet wurde.«

Wenn man im wilden Westen von Amerika einen persischen Mirza aus der Gefangenschaft der Indianer befreit, so ist das ein Ereignis, welches man gewiß ungewöhnlich nennen darf; wenn man aber von diesem Mirza hört, daß man vorher drüben am Tigris einen Verwandten von ihm vom Tode errettet hat, dann sagt das Wort »ungewöhnlich« jedenfalls noch zu wenig. Darum entriß mir, obwohl ich hatte schweigen wollen, die Ueberraschung die schnelle Frage:

»Einen Verwandten von Euch? – – – im Kampfe beigestanden? – – – nach Bagdad begleitet? – – – doch noch ermordet worden? Meint Ihr etwa Hassan Ardschir-Mirza?«

Jetzt war die Reihe, zu erstaunen, an ihm. Er hielt sein Pferd an, so daß auch ich stehen blieb, warf die Arme vor Verwunderung empor und rief aus:

»Hassan Ardschir-Mirza, der entflohene Prinz! Ihr kennt diesen Namen! Allah thut noch heut die größten Wunder! Wo habt Ihr denn von ihm gehört?«

»Gehört? Ich habe ihn gesehen!«

»Gesehen?!«

»Mit ihm gesprochen!«

»Gesprochen – – –!«

»Und an seiner Leiche gekniet, als mich schon die Pest in ihren grausigen Armen hatte!«

»Leiche – – –! Pest – – –!«

»Neben ihm lag Dschanah, sein Weib, sein Stolz, zu gleicher Zeit mit ihm ermordet!«

Es war eine sonderbare Scene. Wir standen oder vielmehr hielten voreinander und schrieen uns diese Ausrufe zu, daß Perkins hätte denken mögen, wir seien beide verrückt geworden. Dschafars Augen starrten kugelrund auf mich herab; er hatte den Mund offen und rang nach Worten, die ihm nun versagt zu sein schienen. Da machte er eine große, würgende Anstrengung und brüllte förmlich mich an:

»Dschanah, seine Seele, seine Perle! Die war es ja, durch welche ich verwandt mit ihm bin! O, Mr. Shatterhand, ich muß Euch fragen, ob ich träume oder mich im Fieber befinde. Ihr waret bei den Haddedihn?«

»Ja.«

»Als Hadschi Halef Omar noch nicht zu ihnen gehörte?«

»Ja.«

»Ihr waret dabei, als Mohammed Emin, ihr berühmter Scheik, starb?«

»Ich habe ihn mit begraben, ihn der mir einst Rih, meinen herrlichen Rappen schenkte. Er starb ja, als wir Hassan Ardschir-Mirza im Kampfe gegen die Kurden beistanden.«

»Das stimmt, das stimmt! Aber dann seid Ihr ja – – – seid Ihr – –«

Er griff sich mit der Hand an die Stirne und fuhr dann fort:

»Da müßt Ihr doch jener Emir Kara Ben Nemsi Effendi sein!«

»Der bin ich allerdings. Mein Vorname Karl wurde in Kara verwandelt; Ben Nemsi bezeichnete meine Nationalität, und die andern Titel Emir und Effendi gab man mir ohne Examen und Verdienst.«

Nun folgte eine ganze Menge von Fragen, die ich beantworten mußte, bis ich die Reihe derselben mit der Bemerkung abschnitt:

»Das ist ein Zusammentreffen, welches man kaum für möglich halten sollte; aber wir wollen uns von unserm Erstaunen nicht länger hier halten lassen. Denken wir erst an die naheliegende Pflicht und dann, wenn diese erfüllt ist, an die Vergangenheit! Wollen uns beeilen, nach dem Regenbette zu kommen.«

»Wie Ihr wollt, Sir; aber Ihr könnt es mir glauben, daß mir die Aufregung in alle Glieder gefahren ist. Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi Effendi sind Eins, sind dieselbe Person! Was werdet Ihr mir alles erzählen müssen!«

»Und Ihr mir auch. Ich muß natürlich bis ins kleinste wissen, wo und wie Ihr meinen kleinen, treuen Hadschi Halef gefunden habt. Jetzt aber weiter! Kommt!«

Wir setzten den aus einem so seltenen Grunde unterbrochenen Marsch fort; es wurde uns beiden schwer, zu schweigen; aber es war wirklich besser, wenn wir unsere Gedanken jetzt nur auf die Gegenwart und ihre Forderungen richteten. Was Perkins betrifft, so schien er von unserm Erstaunen angesteckt worden zu sein, denn er machte ein Gesicht, als ob in seiner Gegenwart der Sultan von Stambul über den Kaiser von China hinweggestolpert sei.

Meine Vorhersagung bewahrheitete sich: ich verfehlte das Regenbette nicht; nach ungefähr einer Stunde sahen wir im Osten vor uns einen dunkeln Strich erscheinen, welcher Wald bedeutete. Notabene, das Regenbette lag nördlich von dem Beaver-Creek; wir hatten aber einen Umweg nach Westen gemacht und kamen also aus dieser Himmelsrichtung nach dem Regenbette. Der Grund dazu war der, daß die Comantschen, welche sehr wahrscheinlich die gerade, direkte Linie ritten, nicht auf Spuren von uns treffen sollten.

Es muß gesagt werden, daß der Wald am Regenbette ein längliches Viereck bildete, welches keine bedeutende Fläche bedeckte. Siebzig Indianer konnten ihn recht gut in einer Stunde so genau durchsuchen, daß sie einen darin versteckten Menschen unbedingt finden mußten. Dazu kam der Umstand, daß wir die Stelle, an welcher die Comantschen lagern würden, nicht vorher wissen konnten. Wir mochten für uns wählen, welche Stelle wir wollten, so mußten wir gewärtig sein, daß sie grad auch zu derselben kommen würden. Und selbst wenn dies nicht der Fall war, so konnten wir durch irgend einen Umstand aufgefunden, vielleicht durch das Schnauben von Dschafars Pferd verraten werden. Denn dieses Tier hatte noch keinem Westmanne gehört, und jedes ungeschulte Pferd pflegt laut zu werden, wenn andere Pferde in seine Nähe kommen. Darum antwortete ich, als Perkins mich nach unserm Verstecke fragte:

»Wir verstecken uns nicht, sondern bleiben auf dem freien, offenen Camp, wenigstens ihr beide.«

»Aber da werden wir ja gesehen!«

»Nein. Diese offene Lage ist das beste Versteck, welches es unter den heutigen Verhältnissen geben kann.«

Er, der sich am liebsten ganz verkrochen hätte, wollte Einwände erheben; da ermahnte ihn Dschafar:

»Widersprecht ihm nicht! Seit ich weiß, daß er Kara Ben Nemsi ist, bin ich überzeugt, daß er stets das Richtige trifft.«

»Wenn auch nicht stets, sondern möglichst oft,« berichtigte ich sein Lob. »Wir halten gleich da an, wo wir uns jetzt befinden; das ist der geeignetste Punkt für uns.«

»Warum der geeignetste?« fragte Perkins doch. »Ich bin auch Westmann und als Scout engagiert. Ich denke, daß ich ein Wort mit dreinzureden habe.«

»Wenn ich es Euch erlaube! Ihr wißt ja, auf welche Weise wir uns kennen gelernt haben, und ich bitte, dies nicht zu vergessen. Dennoch will ich Euch meine Gründe sagen.«

Während sie abstiegen und die Pferde anhobbelten, fuhr ich fort: »Der Wald ist klein, und die Comantschen zählen siebzig Krieger. Sie brauchen sich gar nicht sehr zu zerstreuen, um uns zu entdecken, zumal wir nicht wissen, an welcher Stelle sie lagern werden. Unsere Pferde machen Spuren, welche nicht verschwinden, bis die Roten kommen, und ein einziges Schnauben oder gar Wiehern kann uns sehr leicht das Leben kosten.«

»Hm, das ist wahr,« gab er ängstlich zu.

»Nehmt dagegen diese Stelle hier an! Die Comantschen kommen von Süden nach dem Walde und verlassen ihn in nördlicher Richtung; wir aber befinden uns westlich von ihm; sie werden also nicht hierher kommen, uns gar nicht sehen. Und käme ja einer von ihnen in Sicht, so kann man, wenn man gut aufpaßt, sich schnell entfernen, ehe er einen bemerkt hat. Ist es da nicht vorteilhafter, hier zu liegen, als drin im Walde, wo die Entdeckung fast sicher und das unbemerkte Entfernen ganz unmöglich ist?«

»Ja,« gestand er ein. »Aber wie sollen die Gefangenen befreit werden, wenn wir hier bleiben, während die Indianer sich im Walde befinden?«

»Das laßt meine Sache sein! Ich habe Euch ja gesagt, daß ich Euch keiner Gefahr aussetzen werde, und Mr. Dschafar kennt den wilden Westen und seine Bewohner zu wenig, als daß ich ihm zumuten dürfte, sich zu beteiligen. Ich gehe also allein nach dem Walde, und Ihr bleibt hier, bis ich zurückkehre.«

»Und wenn die Roten indessen doch hierher kommen?«

»So reitet Ihr schnell westlich fort und kehrt, wenn sie verschwunden sind, wieder nach hier zurück. Ihr müßt sie ja auf alle Fälle eher sehen als sie Euch.«

»Ihr nehmt Euer Pferd mit?«

»Welch eine Frage! Das wäre ein Fehler, wie er größer kaum zu denken ist. Ich vertraue es Euch an.«

»Aber wenn wir fliehen müssen und nicht zu Euch zurückkönnen?«

»Sorgt Euch nicht um mich! Ich komme auf jeden Fall wieder zu Euch und zu meinem Pferde. Ich habe das gute Vertrauen zu Euch, daß Ihr mir gar nicht mit ihm durchgehen könnt. Ich bleibe hier bei Euch, bis ich denke, daß die Indsmen bald kommen; dann gehe ich nach dem Walde und – – –

»Und laßt Euch grad so entdecken, wie sie uns entdecken würden,« fiel er mir in die Rede.

»Ihr werdet spaßhaft, Mr. Perkins. Aber vielleicht wird aus dem Scherze Ernst, und ich komme auf den Gedanken, mich entdecken zu lassen. Es versteht sich ganz von selbst, daß ich die sechs Gefangenen weder durch offenen Kampf noch nur durch List zu befreien vermag. Ich allein kann weder die siebzig Indianer niederhauen noch mich und die Gefangenen unsichtbar machen und mit ihnen verschwinden. Es handelt sich hier vielmehr um ein Wagestück, zu dessen Ausführung allerdings beides, Gewalt und List, gehört und welches mir schon einigemal gelungen ist. Ich habe es sogar bei diesem To-kei-chun schon einmal mit gutem Erfolge angewendet und bin infolgedessen auf den Gedanken gekommen, es heut nochmals zu versuchen. Nämlich wenn es mir gelingt, mich des Häuptlings zu bemächtigen, haben wir gewonnenes Spiel; er bekommt die Freiheit nur gegen Entlassung der Gefangenen wieder.«

»Das ist verwegen, außerordentlich verwegen!«

»Nicht so sehr, wie es den Anschein hat, wenigstens für den, welcher eine gewisse Uebung in solchen Dingen besitzt. Das scheinbar Schwere ist oft viel leichter als das, was leicht erscheint und auch leicht ist.«

»Aber wie wollt Ihr es anfangen, ihn in Eure Hand zu bekommen?«

»Das überlasse ich den Umständen, und sind diese mir nicht günstig, so erzwinge ich es. In diesem Falle kommt es mir gar nicht darauf an, mitten unter die Roten hineinzuspringen und dem Alten das Messer an die Kehle zu setzen mit der Drohung, sofort zuzustechen, wenn jemand die Hand gegen mich erhebt und die Bleichgesichter nicht freigegeben werden.«

»Sir, das würde der pure Wahnsinn sein!«

»Hab’s dennoch schon gethan. Der Schreck, die Angst, das Entsetzen sind dann die besten Verbündeten; wer sich aber schon vorher selbst fürchtet, der mag die Hand von solchen Streichen lassen. Jetzt wollen wir den Hasen die Felle über die Ohren ziehen; Holz zu einem Feuer giebt es ja.«

Der Wald sandte einzelne Büsche wie Vorposten in die Ebene hinaus; sie standen bis zu uns heran, und mehrere waren aus Mangel an Feuchtigkeit verdorrt. Perkins mußte dieses Material sammeln, und bald brannte ein Feuer, über welchem die Hasen brieten. Während dieses angenehmen Geschäftes und des darauffolgenden Essens hatte ich Dschafar über frühere Ereignisse Rede und Antwort zu stehen, und das Wagnis, welches ich heute unternehmen wollte, wurde nicht erwähnt. Auch später wurde nicht davon gesprochen, bis ich aufstand und, die Gewehre überhängend, mich zum Gehen anschickte. Da fragte Perkins:

»Wollt Ihr jetzt fort, Sir, nach dem Walde?«

»Ja.«

»Mit den Gewehren? Sie werden Euch hinderlich sein, wenn Ihr Euch anschleichen müßt. Wollt Ihr sie uns nicht lieber hier lassen?«

»Nein. Das Pferd kann ich Euch anvertrauen, diese Waffen aber nicht, denn wenn mir der Gaul ja abhanden käme, könnte ich ihn nur durch sie mir wieder holen.«

»Aber wenn die Roten Euch ergreifen sollten, so sind diese kostbaren Gewehre für Euch für immer verloren.«

»Nur in dem Falle, daß ich selbst verloren sein würde.«

»Nein, sondern auch dann, falls es Euch gelingen sollte, ihnen wieder zu entkommen. Wenn sie Euch fangen, nehmen sie Euch doch alles ab, und wenn Euch auch die Flucht glückt, zu den Waffen kommt Ihr dann nicht wieder.«

»Ihr irrt Euch. Ich würde nicht ohne meine Gewehre fortgehen.«

»Die hätten sie aber doch an sich genommen, und Ihr müßtet Euch ihnen zeigen, wenn Ihr sie ihnen wieder abnehmen wolltet!«

»Allerdings; aber es wäre nicht das erste Mal, daß dies geschähe. Bin schon wiederholt gefangen gewesen, wobei mir meine Waffen abgenommen wurden, und doch stets entkommen, ohne sie zurückzulassen. Seid also ja nicht bange um mich; wir sehen uns auf alle Fälle wieder.«

Mit diesen Worten ging ich fort. – – –

  1. Siehe Karl May »Winnetou« Bd. III, Kapitel 3.

Am Makik-Natun

Am Makik-Natun

Zunächst und vor allen Dingen mußte ich darauf bedacht sein, keine sichtbaren Fußeindrücke zu hinterlassen. Bis zum Walde hin brauchte ich mir in dieser Beziehung keine große Mühe zu geben, denn ich suchte die kahlen, graslosen Stellen auf, welche es da gab; sie waren von der Sonne hartgebrannt, so fest wie Stein, und nahmen keine Spur auf. Uebrigens stand fast mit Sicherheit zu erwarten, daß die Indianer nicht nach dieser Seite kommen würden.

Aber dann im Walde wurde die Sache schwieriger. Der Boden war weich, und ich sah mich gezwungen, auf allen Vieren zu gehen, das heißt aber nicht auf den Händen und Füßen, sondern auf den Finger- und Zehenspitzen. Was das heißt und wie außerordentlich anstrengend das ist, das weiß freilich bloß Der, der es ausgeführt hat. Ich kenne keine körperliche Anstrengung, welche soviel Kraft und Ausdauer erfordert, wie dieses Gehen auf den Zehen und Fingern. Dazu kam, daß ich diese Bewegung rückwärts machen mußte, weil es nötig war, die Eindrücke, welche ich doch nicht vermeiden konnte, sogleich wieder auszulöschen. Ich ging also mit den Fußspitzen voran und mit den Fingern hinterdrein, trat mit den letzteren stets genau in die Spur der ersteren und wischte nach jedem Schritte diese Spur mit der Hand wieder aus. Es ist selbstverständlich, daß diese Fortbewegung darum eine höchst langsame war.

Wohin ich mich zu wenden hatte, darüber war ich nicht im Zweifel. Ich wußte die Richtung, aus welcher die Comantschen kamen, und kannte also die Stelle, an welcher sie den Wald erreichen mußten. Von dieser aus suchten sie höchst wahrscheinlich geraden Weges das Regenbette auf, um Wasser zu haben, und dort war es, wo ich mich zu verstecken hatte.

Diese Stelle hätte ich nach höchstens fünf Minuten erreichen können, wenn es mir erlaubt gewesen wäre, in gewöhnlicher Weise zu gehen, so aber brachte ich über eine Stunde zu, ehe ich an das Wasser kam. Dort sah ich mich um; ich mußte mich verstecken, aber wo? Ich brauchte nicht lange zu suchen. Ich sah eine Baumleiche liegen, welche ganz von wildem Epheu übersponnen war. Der Epheu bedeckte nicht nur den Baum, sondern er wucherte weiter und hatte auch das benachbarte Gesträuch so um- und überrankt, daß es abzusterben begann und er eine dichte, grüne Decke bildete, unter welcher ich mich sehr gut verstecken konnte.

Freilich war anzunehmen, daß ich nicht das erste Wesen sein würde, welches da eine Zuflucht suchte. Ich kroch hin und stocherte mit dem Bärentöter hinein; wirklich stöberte ich da allerlei Viehzeug auf; ich sah sogar zwei Klapperschlangen, welche die Flucht ergriffen. Das wäre eine sehr schlimme Gesellschaft für mich gewesen, und es war nur gut, daß sie nicht angriffsweise gegen den Ruhestörer vorgingen. Sie hatten wohl vor kurzem gefressen gehabt, und wenn diese Tiere gesättigt sind, hat man sie nicht so sehr zu fürchten, wie wenn sie Hunger haben.

Nun schob ich mich soweit wie möglich unter den Epheu hinein, hütete mich dabei aber sehr, irgend eine Ranke abzureißen, was mich den Roten sehr leicht hätte verraten können. Da vorauszusehen war, daß mein Aufenthalt an dieser Stelle kein kurzer sein werde, machte ich es mir möglichst bequem und wartete dann der Dinge, welche kommen würden. Ganz selbstverständlich sorgte ich dafür, daß ich durch den Epheu sehen und alles beobachten konnte.

Ein anderer wäre im Zweifel darüber gewesen, ob die Roten überhaupt kommen würden; ich aber war überzeugt, daß meine Vermutung richtig sei. Leider lag ich im Walde und nicht am Rande desselben, wo ich sie schon von weitem hätte sehen können.

Die Zeit vergeht einem unter solchen Umständen sehr langsam; die Minuten werden zu Stunden. Es war auch möglich, daß die Indsmen nicht die gerade Richtung einhielten und also den Wald an einer andern Stelle betraten. Wenn das der Fall sein sollte, so wurde mir die Ausführung meines Vorhabens erschwert.

Darum war ich herzlich froh, als ich endlich ein Geräusch hörte, welches sich mir näherte. Sie kamen, Erst sah ich zwei Rote, welche vorausgeritten waren, um nach einem geeigneten Platze zu suchen. Sie sahen sich um, und der eine sagte zum andern:

»Hier ist eine gute Stelle. Mein Bruder kann absteigen; ich werde die andern holen.«

Er ritt zurück, während sein Kamerad aus dem Sattel stieg und sein Pferd nach dem Wasser führte, um es trinken zu lassen. Nach kurzer Zeit kam der ganze Trupp, doch ohne den Häuptling. Ich sah die zwei Diener und die zwei Führer des Persers, welche gebunden waren, und ich sah zu meiner Freude auch die beiden Snuffles. Sie waren unverletzt und ritten ihre Maultiere. Meine List war also gelungen; man hatte diese beiden Tiere gefunden. Nur fragte es sich, ob die Snuffles so klug gewesen waren, nicht zu verraten, daß sie sich in Gesellschaft befunden hatten.

Die Gefangenen wurden aus den Sätteln gehoben und auf die Erde gelegt. Auch die Roten setzten sich und ließen ihre Pferde im Buschwerke nach Laub und Gras suchen. Erst jetzt durfte ich sicher sein, daß meine Spur unentdeckt bleiben werde.

Daß der Häuptling nicht gleich mitgekommen war, bekümmerte mich nicht im geringsten; es war mir im Gegenteile sehr lieb. To-kei-chun fühlte seine Würde und hielt es für derselben angemessen, nicht unter den gewöhnlichen Kriegern zu reiten, sondern ein Stück zurückzubleiben. Wenn er dies später ebenso that, stand zu erwarten, daß er nicht zu gleicher Zeit mit den andern aufbrechen, sondern noch einige Minuten warten werde. In diesem Falle bekam ich dadurch Gelegenheit, ihn in meine Gewalt zu bringen, wenn sich nicht schon vorher eine andere dazu fand.

Endlich kam er, wohl eine volle Viertelstunde später als die andern. Er stieg ab und setzte sich ganz nahe an den umgestürzten Baum, unter dessen Epheudecke ich lag. Er stopfte sich seine Friedenspfeife und rauchte sie in langsamen Zügen aus, ohne ein Wort zu sprechen. Seine Leute Waren ebenso schweigsam. Als er den letzten Zug gethan hatte, hing er sich die Pfeife wieder um den Hals und sagte zu den beiden Roten, welche zuerst gekommen waren:

»Mein Brüder mögen mir die beiden Bleichgesichter herbringen, welche Snuffles genannt werden.«

Jim und Tim wurden wie Säcke herbeigeschleppt und vor To-kei-chun niedergelegt. Dieser fixierte eine Zeitlang ihre Gesichter und sagte dann:

»Die beiden Snuffles mögen hören, was ich ihnen zu sagen habe, und mir endlich eine wahre Antwort geben. Sie sollen am Makik-Natun den Tod des Marterpfahles erleiden; aber wenn sie offen und ehrlich sprechen, werden wir ihnen die Freiheit geben. Haben sie den weißen Mann gekannt, der unser Gefangener war und gestern abend auf so unbegreifliche Weise verschwunden ist?«

Jim antwortete:

»Du legst uns diese Frage nun zum fünftenmal vor, und ich antworte zum fünftenmal ganz dasselbe: Wir haben ihn nicht gekannt.«

»Aber ihr wißt, wohin er ist?«

»Nein.«

»Er war gebunden, so fest gebunden, daß er sich nicht selbst losmachen konnte!«

»Du wirst dich irren; er wird eben nicht fest gebunden gewesen sein und hat sich selbst befreit.«

»Ich habe kurz vorher selbst seine Fesseln untersucht; sie waren gut.«

»So ist er wahrscheinlich ein Zauberer. Die Bleichgesichter haben ja auch ihre Medizinmänner und Tausendkünstler. So einem ist es sehr leicht, sich aus den festesten Banden zu befreien.«

»Nein. Es muß jemand dagewesen sein, der ihm die Riemen geöffnet hat.«

»Ganz unmöglich! Er lag ja mitten unter euch und wurde von euch allen bewacht.«

»Als wir dich und deinen Bruder fingen, gaben wir nicht auf ihn acht; in diesem Augenblicke ist er fort.«

»Trotzdem ihm die Hände und Füße gefesselt waren?«

»Ja. Es ist ein Bleichgesicht in der Nähe gewesen, welches den Augenblick benutzt und ihn fortgeschafft hat.«

»Einen Gefangenen aus siebzig Indianern herausgeholt? Das müßte ein verwegener, ja ein tollkühner Mann sein. Es gibt keinen vernünftigen Menschen, der dies wagen würde.«

»Es gibt einen, aber auch nur einen einzigen.«

»Wer wäre das?«

»Old Shatterhand. Ich kenne diesen weißen, räudigen Hund; ich weiß alles, was er gethan und gewagt hat. Er war einst mein Gefangener und hat uns gezwungen, ihn loszulassen. Das, was gestern abend geschah, ist ganz genau so, als ob er es gethan hätte. Wenn ich nicht wüßte, daß er weit von hier im Norden ist, um den Tod Winnetous, seines ebenso räudigen Bruders, zu rächen, so glaubte ich, er sei hier. Du hast mit deinem Bruder unser Lager beschlichen, als uns der Gefangene abhanden kam; ihr müßt den kennen, der ihn befreit hat.«

»Wir wissen nichts.«

»Das ist eine Lüge, welche euch das Leben kosten wird. Wenn ihr uns die Wahrheit sagtet, würden wir euch die Freiheit schenken.«

»Das ist auch eine Lüge!«

»Es ist keine!«

»Ich weiß, daß es nicht wahr ist und daß du uns durch dieses Versprechen zum Reden bringen willst.«

»Was To-kei-chun verspricht, das hält er!«

»Pshaw! Wenn du mit uns das Kalumet darauf rauchst, wollen wir es glauben.«

»To-kei-chun raucht mit keinem Gefangenen die Pfeife des Friedens.«

»Da hast du es; du willst uns täuschen! Ihr habt das Beil des Krieges ausgegraben; folglich ist jeder Weiße verloren, der in eure Hände fällt. Selbst wenn das wahr wäre, was du denkst, und wir es dir geständen, würdest du dein Wort nicht halten und uns hinrichten lassen.«

»So wollt ihr also nicht reden?«

»Nein.«

Der Häuptling hatte bis jetzt in ruhigem Tone gesprochen; er war der Meinung gewesen, daß er Jim zum Reden bringen werde. Nun sah er sich getäuscht und fuhr zornig auf:

»Was sagt der andere Snuffle dazu? Will auch er nichts gestehen?«

»No,« antwortete Tim in seiner kurzen, wortkargen Weise.

»So will ich euch sagen, daß ihr allerdings richtig gedacht habt: Ich hätte euch nicht freigegeben; ihr hättet dennoch sterben müssen; aber wir hätten euch eine Kugel gegeben, so daß euer Tod ein schneller gewesen wäre. Doch da eure Mäuler das Sprechen verlernt haben, werden wir sie euch zum Heulen und jammern, zum Klagen und Stöhnen öffnen. Ihr werdet alle Qualen erleiden, welche wir uns aussinnen können!«

»Pshaw, das werden wir nicht!«

»Ihr werdet es! Ich sage es euch, und in solchen Dingen halte ich Wort!«

»Ja, wenn du kannst; diesmal aber kannst du nicht!«

»Wer will mir verwehren, zu thun, was ich will?«

Jim sah ihm mit einem schlau forschenden Blicke in das Gesicht und antwortete dann:

»Nicht wahr, das möchtest du gern wissen? Das glaube ich! Die beiden Snuffles so am Marterpfahl schinden, das wäre für euch so das höchste der Gefühle; aber so wohl wird es euch nicht werden; dafür ist schon gesorgt!«

»Das sagst du nur aus Furcht vor uns!«

»Ich mich fürchten? Jim Snuffle und Furcht? Hahahaha! Ich sage dir, wenn ihr uns nur ein Haar krümmt, so seid ihr alle verloren!«

»Uff, uff! Kann so ein stinkender Hund, wie du bist, uns drohen?«

»Das kann ich, obgleich ich kein Hund bin. Es ist einer hinter euch her, der unsern Tod blutig rächen würde.«

»Wer?«

»Der, den du vorhin genannt hast.«

»Wen meinest du? Wen habe ich genannt?«

»Du erwähntest seinen Namen und daß er allein fähig sei, den verschwundenen Gefangenen befreit zu haben.«

»Meinst du etwa Old Shatterhand?«

»Ja.«

»Der soll hier sein?«

»Ganz in der Nähe!«

»Uff, uff! Glaubst du wirklich, mich betrügen zu können?«

»Ich will dich nicht täuschen, sondern was ich sage, das ist wahr.«

»To-kei-chun blickt in dein Herz und errät deine Gedanken. Was du sagst, hast du dir soeben erst ausgesonnen. Ich erwähnte vorhin Old Shatterhand; nur dadurch bist du auf den Gedanken gekommen, zu sagen, daß er sich in der Nähe befinde.«

»Nein, er ist wirklich da!«

»Wer hat es dir erzählt?«

»Niemand brauchte es mir zu sagen. Ich habe ihn gesehen.«

»Pshaw!« antwortete der Häuptling in verächtlichem Tone.

»Und mit ihm gesprochen!«

»Pshaw!«

»Ist es nicht wahr, alter Tim?«

»Yes,« nickte der Gefragte.

»Ihr lügt beide!«

»Nein!« beharrte Jim auf seiner Aussage. »Wir haben ihn nicht nur gesehen und mit ihm gesprochen, sondern wir sind sogar mit ihm geritten.«

»Früher, aber nicht jetzt!«

»Jetzt! Er war auch gestern abend bei uns und stieg mit mir zu euch hinab, um euch zu belauschen. Da stürzte mein Bruder von oben herunter und ich sprang vor, um ihn zu befreien. Das war eine große Dummheit von mir. Old Shatterhand war klüger; er blieb im Dunkeln. Da sah er eure Verwirrung und war so kühn, dieselbe zur Befreiung des Gefangenen zu benutzen.«

Dies war wahr und klang so wahr, daß der Häuptling doch stutzte. Ich stutzte nicht nur auch, sondern ich wußte gar nicht, was ich von diesem Jim Snuffle denken sollte. Er konnte alles, alles verderben. Wenn ihm der Häuptling Glauben schenkte und schnell seine Maßregeln darnach einrichtete, war nicht nur die Ausführung meines Vorhabens unmöglich, sondern es konnte sogar um mich geschehen sein. Es konnte für Jim nur einen Grund geben, meine Anwesenheit zu verraten, nämlich den Roten Furcht vor mir einzuflößen und sie dadurch abzuhalten, die Gefangenen zu töten.

To-kei-chun sah ihm eine ganze Weile still und forschend in das Gesicht; dann machte er eine wegwerfende Handbewegung und fragte:

»Old Shatterhand ist also wirklich bei euch gewesen?«

»Ja.«

»Und mit dir von der Höhe zu uns herabgestiegen?«

»Ja.«

»Kröte, die du bist! Glaubst du denn wirklich, To-kei-chun den ältesten und erfahrensten Häuptling der Comantschen, betrügen zu können? Wäre das wahr, was du sagest, so hätte Old Shatterhand nicht diesen Mann, der ihm fremd war, sondern dich oder deinen Bruder oder euch beide herausgeholt!«

»Das war nicht möglich!«

»Das andere war ebenso unmöglich! Und weißt du nicht, daß zwanzig meiner Krieger nach Spuren gesucht haben, als der Tag anbrach?«

»Sie waren blind!«

»Sie waren sehr sehend, denn sie haben eure Maultiere gefunden, aber keine Spur von Old Shatterhand und dem Gefangenen.«

»Grad das sollte dir beweisen, daß Old Shatterhand dagewesen ist. Die Spur eines jeden andern Mannes hättet ihr entdeckt; er aber versteht es, wie kein zweiter, die seinige zu verwischen.«

»Des Nachts? Soll ich über dich lachen? Wer eine Spur auswischt, muß dieselbe sehen können; aber selbst diesem weißen Hund ist es in der Finsternis nicht möglich, seine eigene Fährte zu erkennen. Aus dir spricht die Angst vor dem Martertode. Um dich zu retten, willst du uns auch in Angst versetzen. Old Shatterhand ist weit, sehr weit von hier. Ja, wie würde ich mich freuen, wenn das wahr wäre, was du dir ausgesonnen hast! Ich würde dieses Stinktier ergreifen und ihm das Fell bei lebendigem Leibe vom Körper ziehen. Leider aber ist es Lüge und Erfindung, durch die du dich retten willst.«

»Es ist die Wahrheit; ich kann es beschwören.«

»Schweig, Feigling! Ich bin mit dir fertig. Der Gefangene ist fort, wir können sein Verschwinden nicht begreifen; mag es sein! Wir haben an seiner Stelle euch beide erwischt und also nichts eingebüßt. Heute abend kommen wir nach dem Makik-Natun, und morgen früh werdet ihr dort an den Marterpfahl gebunden.«

»Wenn dies wirklich geschähe, würdet ihr alle es mit dem Leben bezahlen!«

»Pshaw! Diese Drohung ist das Angstgeschrei eines Vogels, der sich in den Krallen des Adlers befindet. Ich lache darüber und mag nichts mehr hören.«

Er stand auf, um sich stolz zu entfernen, befahl aber, bevor er dies that, mit lauter Stimme:

»Meine roten Brüder können aufbrechen, denn ihre Pferde haben getrunken. Ich werde bald nachfolgen.«

Als Jim Snuffle mich erwähnte, hatte ich mein Messer gezogen. Hätte der Häuptling ihm geglaubt und in Beziehung auf mich irgend eine Vorkehrung getroffen, so wäre ich aus meinem Verstecke hervorgesprungen, hätte ihn gepackt und ihm das Messer an die Gurgel gelegt. Seine Leute hätten aus Rücksicht auf ihn und sein Leben es sehr wahrscheinlich nicht gewagt, sich an mir zu vergreifen, und dann wäre ich daran gewesen, meine Bedingungen zu stellen. Verwegen wäre dies allerdings gewesen, und so fühlte ich mich sehr erleichtert, als ich hörte, daß der Rote dem Snuffle keinen Glauben schenkte. Diese Erleichterung verwandelte sich sogar in Freude, als der Häuptling den Befehl zum Aufbruche gab. Er wollte nachkommen, blieb also noch hier, und ich hatte allen Grund, anzunehmen, daß mein Unternehmen einen guten Ausgang nehmen werde.

Die Gefangenen wurden wieder auf die Pferde gebunden; die Comantschen stiegen auf und ritten fort. Der Häuptling war nicht zu sehen; sein Pferd stand hinter meinem Verstecke und fraß das Laub von den Zweigen. Falls er aus der Richtung zurückkehrte, in welcher er sich entfernt hatte, und zu ihm hinwollte, mußte er bei mir vorüber.

Ich wartete in großer Spannung fünf Minuten, zehn Minuten, fast eine Viertelstunde; da kam er, ganz so, wie ich es wünschte, von da her, wohin er gegangen war. Er hatte sein Gewehr in der rechten Hand und hielt mit der linken die Decke vorn zusammen, die er um die Schultern geworfen hatte. Ich ließ ihn vorbei; er griff nach seinem Pferde; diesem schmeckte das saftige Laub; es verweigerte den Gehorsam; das Geräusch der stampfenden Hufe übertönte dasjenige, welches dadurch entstand, daß ich unter dem Epheu hervorkroch. Einige Schritte brachten mich hinter ihn. Er riß das Pferd am Zügel an sich und hob den linken Fuß, um in den Bügel zu steigen, da legte ich ihm die linke Hand, während ich ihm mit der rechten den Revolver entgegenstreckte, auf die Schulter und sagte:

»To-kei-chun mag noch warten; ich habe mit ihm zu sprechen.«

Er fuhr herum. Wegen meines sonderbaren Anzuges erkannte er mich im ersten Augenblicke nicht, dann aber flog der Ausdruck des Schreckes über sein Gesicht und er rief:

»Old Shatterhand! Old – – Old – – –!«

»Ja, Old Shatterhand ist’s,« nickte ich; »der räudige Hund, den du im fernen Norden glaubtest. Bewege dich nicht, sonst schieße ich!«

Aber er war kein Mann, der sich länger als nur einen Augenblick vom Schreck beherrschen ließ; sein Gesicht nahm schnell den Ausdruck des Gleichmutes an, und er sagte im Tone der größten Ruhe:

»Uff! Du bist es wirklich. Ich höre, daß du uns belauscht hast. Was wünschest du, mit mir zu reden?«

Mit mir zu kämpfen wagte er nicht, denn erstens war ich ihm da weit überlegen; das wußte er gar wohl, und zweitens sah er die Mündung des Revolvers und mußte annehmen, daß ich bei der geringsten Bewegung, die auf einen Angriff deutete, schießen würde. Ich blickte ihm fest in das Gesicht, denn sein Auge mußte mir seine Gedanken verraten. Es glitt von mir ab; er drehte den Kopf ein wenig um und sah nach hinten. Ah, er wollte entwischen, mit einem schnellen Sprunge ins Gebüsch hinein! Sollte ich mir den Spaß machen und ihn fortlassen? Ja! Er war mir ja auf alle Fälle sicher. Darum that ich keinen Griff, um ihn festzuhalten, und antwortete:

»Ich will mit dir über deine Gefangenen sprechen, die du freigeben sollst.«

»Freigeben? Welch ein Verlangen! Was gehen sie dich an?«

»Sie sind meine Freunde.«

»Aber meine Feinde. Wir haben den Tomahawk des Krieges gegen die Bleichgesichter ausgegraben, und jeder Weiße, den wir einfangen, wird von uns an den – – –«

Weiter sprach er nicht; vielmehr drehte er sich bei dem letzten Worte blitzschnell um und sprang in das Gebüsch. Ich ging ihm nach, nicht schnell, sondern langsam, schlug dabei, um Geräusch zu machen, mit den Händen in das Gesträuch und rief, als ob ich in höchster Eile sei:

»Halt, halt! Bleib stehen, sonst schieße ich dich nieder!«

Meine Schläge in die Büsche, die er hören mußte, sollten in ihm den Glauben erwecken, daß ich hinter ihm herlaufe; dann aber ging ich zu seinem Pferde zurück und zog einen von den Riemen aus der Tasche, die ich gestern abend nach der Befreiung Dschafars eingesteckt hatte. Mit diesem Riemen band ich den einen Hinterfuß des Pferdes an der nächsten Buschwurzel fest und kroch hierauf schnell in mein Versteck zurück. Das Pferd stand ruhig und knupperte an dem Laube weiter.

Ich hätte To-kei-chun sehr leicht am Entweichen hindern können, aber es machte mir nun einmal Spaß, ihn nochmals zu überlisten. Ich nahm an, daß er eine Strecke fliehen und dann vorsichtig zurückkehren werde, um sein Pferd zu holen, denn dieses war ihm unentbehrlich und trug seine Medizin am Halse, für die ein Indianer hundertmal sein Leben wagt. Und selbst wenn diese Annahme eine irrige gewesen wäre und er auf das Pferd verzichtet hätte, so mußte er seinen Leuten zu Fuß nach und ich konnte auf seinem eigenen Tiere hinter ihm her und ihn einholen.

Ich lag also wieder unter dem Epheu und hatte zwischen den Blättern eine Oeffnung, welche mir erlaubte, nach allen Seiten zu blicken. Natürlich kam er nicht von derjenigen, in welcher er geflohen war und mich hinter sich glaubte; diese ließ ich also unbeachtet. Desto schärfer spannte ich nach den andern drei Seiten.

Da, nach ungefähr fünf Minuten, sah ich, daß sich gerade vor mir ein Busch bewegte, leise, sehr leise. Die Zweige teilten sich, und sein Gesicht erschien zwischen ihnen. Er blickte nach dem Pferde, sah mich nicht am Platz, glaubte also, daß ich noch nach ihm suche, und sprang nun eiligst herbei, um sich aus dem Staube zu machen.

Er gewahrte den Riemen nicht, stieg auf und wollte fort; das Pferd konnte nicht gehorchen; er forschte nach dem Grunde, bemerkte, daß es mit dem Beine festhing, und stieg wieder ab, um das Hindernis genauer zu betrachten. Als er sich dabei bückte, stand ich schon hinter ihm und sagte:

»Ich wußte es doch, daß To-kei-chun nur spazierengehen wolle; drum ließ ich ihn fort und folgte ihm nicht, sondern wartete auf seine Rückkehr.«

Jetzt war sein Schreck noch größer, als das erste Mal. Er fuhr empor und starrte mich ganz fassungslos an. Ich sah ihm lächelnd in das verzerrte Gesicht und fuhr fort:

»Damit er aber nicht wieder spazieren gehe, will ich ihm zeigen, daß er sich bei Old Shatterhand befindet.«

Er hatte sein Gewehr aus der Hand gleiten lassen, griff aber jetzt nach dem Gürtel, um das Messer zu ziehen; da traf ihn meine Faust an den Kopf; er stürzte nieder. Ein zweiter Hieb raubte ihm vollends das Bewußtsein; ich hatte ihn.

Nun band ich zunächst sein Pferd los und stieg auf, um zu sehen, ob es mir gehorchen werde. Mit den drei Gewehren und dem Indianer in den Armen konnte ich mich auf keine Reiterkünste einlassen. Es weigerte sich nur kurze Zeit; dann sah es ein, daß Widerstreben nutzlos sei. Ich stieg also wieder ab, hing mir meine Gewehre und das seinige auf den Rücken, hob ihn selbst hoch und legte ihn dann, als ich wieder aufsaß, quer vor mir auf das Pferd, um in dieser Weise zu Dschafar und Perkins zurückzukehren.

Erst ging es schwierig durch die Büsche; als ich dann den Wald hinter mir hatte, ritt ich Galopp. Die beiden sahen mich kommen. Sie saßen auf der Erde, sprangen aber auf und kamen mir entgegen.

»Gott sei Dank! Da seid Ihr wieder,« rief mir Perkins schon von weitem zu. »Ah, Ihr habt einen Roten auf dem Pferde! Wohl gar ein Gefangener? Wer ist’s?«

»Seht ihn an,« antwortete ich, bei ihnen angekommen.

»Allah, Allah!« stieß Dschafar hervor. »Das ist ja der Häuptling mit dem weißen Haar, der uns ermorden wollte!«

»Natürlich der! Den wollte ich doch haben. Ein anderer könnte uns nichts nützen. Nehmt ihn mir ab, damit ich aus dem Sattel kann! Wir müssen ihn binden.«

Sie hoben ihn herunter und legten ihn auf die Erde nieder. Dabei sagte Perkins:

»Wahrhaftig, er hat ihn gefangen! Und sogar sein Pferd bringt er! Das ist ein Streich, den Euch nicht gleich ein anderer nachmacht, Mr. Shatterhand! Wie habt Ihr denn das angestellt?«

»Sehr einfach. Es ist ganz leicht gewesen.«

»Einfach! Leicht! Siebzig Indianer! Und er holt ihren Häuptling aus ihrer Mitte! Wer nicht dabei war, glaubt es nicht!«

Während wir den Comantschen fesselten, erzählte ich, wie mir seine Gefangennahme gelungen war. Sie ergingen sich in allen möglichen Ausrufungen, denen ich ein Ende machen mußte, weil ich sah, daß To-kei-chun wieder zu sich kam. Er öffnete die Augen, sah uns einen nach dem andern an und schloß sie dann wieder; er mußte sich besinnen; bald aber riß er sie plötzlich wieder auf, bohrte einen Blick des unversöhnlichsten Hasses in mein Gesicht und stieß zwischen den knirschenden Zähnen hervor:

»Der Hund hat mich ergriffen, doch meine Krieger werden mich befreien, indem sie zurückkehren und ihn mit Knütteln totschlagen!«

Auf diese Beleidigung antwortete ich in ruhiger Weise:

»Es wäre sehr klug von dem alten Häuptling der Comantschen, wenn er sich einer höflicheren Rede bediente. Sein Leben liegt in meinen Händen.«

»Du nimmst es mir nicht, denn meine Leute werden kommen und dich zwingen, mich freizugeben!«

»Deine paar Comantschen? Pshaw!«

»Es sind ihrer zehnmal sieben!« donnerte er mich wütend an.

»Das weiß ich.«

»Sie werden euch zermalmen!«

»Pshaw! Was sind siebzig Comantschen gegen Old Shatterhand!« entgegnete ich, mich der selbstbewußten Ausdrucksweise bedienend, welche gegenüber diesen Leuten ganz am Platze ist, weil sie dieselbe selbst so oft in Anwendung bringen.

»Siebzig starke Büffel gegen einen kranken Hund!« fuhr er fort.

»Soll ich über dich lachen, der auf dem Kopfe den Schnee des Alters trägt? Die Wut der Ohnmacht spricht aus dir. Ich habe mitten unter diesen siebzig Comantschen gelegen, ohne mich zu fürchten, ohne daß mein Herz einen einzigen Schlag mehr gethan hat, drei Schritte nur von dir; der kranke Hund unter siebzig Büffeln! Sie haben ihm nichts anhaben können; er aber hat den größten und stärksten Büffel in seinen Zähnen davongetragen. Wie muß es unter deinen grauen Haaren aussehen! Da sollte der Verstand der reifen Jahre wohnen, doch giebt es da nichts als den Unverstand der Knabenzeit. Warum hast du nicht geglaubt, was dir Jim Snuffle sagte? Es ist wahr.«

»Ich glaubte dich nicht hier,« zischte er mich an.

»Und doch sagtest du, daß der Verschwundene nur von Old Shatterhand befreit worden sein könne! Du widersprichst dir also selbst. Du wünschtest, daß meine Anwesenheit Wahrheit sei; dann würdest du das Stinktier, nämlich mich, ergreifen und ihm bei lebendigem Leibe das Fell vom Körper ziehen, Jetzt zieh‘ einmal; du hast mich ja.«

Er antwortete nicht; er war beschämt und sah finster vor sich hin. Ich benützte diese Pause, die Taschen zu untersuchen, welche zu beiden Seiten seines Pferdes hingen. Die eine enthielt getrocknetes Fleisch und andern Proviant, auch Munition und verschiedene Gegenstände, welche dem Indianer auf Kriegszügen unentbehrlich sind. In der zweiten steckten ganz andere Sachen. Zuerst zog ich eine Brieftasche hervor.

»Die gehört mir,« rief Dschafar. »Die Indianer haben mir alle Taschen ausgeleert. Diese Brieftasche enthält wichtige Notizen, Papiergeld und Anweisungen.«

»So seht einmal nach, ob alles noch vorhanden ist!«

Ich gab sie ihm; er untersuchte den Inhalt und fand zu seiner Freude, daß nichts fehlte. Hierauf brachte ich seine Börse und seine Uhr zum Vorscheine. Dann kamen allerlei Dinge, welche seinen Dienern, den Führern und zuletzt den beiden Snuffles abgenommen worden waren. Der Häuptling hatte diesen ganzen Raub für sich behalten, ob für stets oder nur einstweilen, um ihn später zu verteilen, das fragten wir ihn natürlich nicht. Die Blicke, mit denen er uns zusah, verrieten den Grimm, der in ihm kochte. Er konnte sich schließlich nicht länger beherrschen und schrie mich an:

»Nehmt es immer! Sobald meine Krieger kommen, müßt Ihr es doch wieder hergeben!«

»Deine Krieger werden nicht zu uns kommen,« antwortete ich ihm.

»Sie kommen! Wenn sie merken, daß ich ihnen nicht folge, kehren sie um.«

»Pshaw! Sie kommen nicht, sondern ich reite zu ihnen.«

»Reite hin, so zerreißen sie dich, wie wachsame Hunde einen Coyoten zerfleischen!«

»Sie werden mir ebensowenig thun wie damals, als ich dein Gefangener war und ihr, so viele hundert Krieger, es doch nicht wagtet, euch an mir zu vergreifen.«

»Damals hattest du meinem Sohne das Leben geschenkt, und er bat für dich; dadurch wurde das deinige gerettet.«

»Das ist unwahr. Ja, dein Sohn war mir dankbar; aber das Leben habe ich mir und uns dadurch gerettet, daß ich dich gefangen nahm. Wären wir nicht freigegeben worden, so hätte ich dich getötet, und viele deiner Krieger hätten ihr Leben lassen müssen. Du kennst ja die Gewehre, mit denen ich schieße. So ähnlich wie damals ist es heute. Du bist mein Gefangener, und ich werde dir sagen, was du zu thun hast.«

»Ich gehorche nicht! Ich bin To-kei-chun, der Häuptling der Comantschen, und gehorche keinem Bleichgesichte.«

»Dann bist du verloren!«

»Pshaw! Du wirst es doch nicht wagen, mir das Leben zu nehmen!«

»Rede nicht von einem Wagnisse! Wer kann und will mich hindern, es zu thun?«

»Du selbst.«

»Ich?«

»Ja, du,« nickte er mir mit höhnischem Grinsen zu. »Ich sehe, daß du das nicht glauben willst?«

»Ich glaube es allerdings nicht.«

»Dann ist Old Shatterhand, welcher glaubt, wunder welche Berühmtheit er besitze, kurzsichtig oder gar blind, wenn es seine eigene Person gilt. Bist du denn nicht stolz auf den Ruhm, daß du niemals ohne Not einen Menschen tötest?«

»Stolz zwar nicht, aber ich freue mich, daß man dies von mir sagt.«

»So bin ich also sicher vor dir, denn du wirst nicht den Vorwurf auf dich laden, daß du To-kei-chun, den Häuptling der Comantschen, ermordet habest.«

»Du irrst, denn von einer Ermordung kann hier nicht die Rede sein.«

»Doch!«

»Nein! Wenn ich dir eine Kugel gebe, so habe ich dich bestraft, aber nicht ermordet.«

»Bestraft? Wofür?«

»Daß du Bleichgesichter fängst und töten willst.«

»Das ist nicht wahr!«

»Willst du es etwa leugnen?«

»Ja.«

»So lache ich darüber.«

»Nicht du hast, sondern ich habe zu lachen. Du kannst mich nach den Gesetzen der Prairie nur dann töten, wenn ich Blut vergossen habe. Habe ich das?«

»Du willst es thun.«

»Ich will es thun, hahahaha!« Er stieß ein höhnisches Gelächter aus, dem man es anhörte, wie sicher er darauf rechnete, sich bei mir nicht in Lebensgefahr zu befinden. Dann fuhr er fort: »Was ich will, das gilt hier nichts. Gieb Beweise, daß ich es gethan habe!«

»Du hast den Gefangenen mit dem Martertode gedroht. Ich selbst habe es gehört.«

»Das war eben eine Drohung, und du hast zu warten, bis sie ausgeführt worden ist.«

»Nun gut, wenn du die Gefangenen wirklich nicht töten lassen willst, so gieb sie frei!«

»Das thue ich nicht; sie bleiben meine Gefangenen.«

»So kommst auch du nicht frei!«

»Habe ich dich denn schon gebeten, mir die Freiheit zu geben? Behalte mich immerhin!«

Das vorige höhnische Grinsen trat wieder auf sein Gesicht. Ich sagte im ruhigsten Tone, obwohl er glaubte, mich geärgert zu haben:

»Du hältst dich jedenfalls für einen außerordentlich pfiffigen Patron und glaubst, mich überlistet zu haben. Ihr behaltet eure weißen Gefangenen, die Euch keine Last sind, und ich soll dich behalten, was mir gar nicht möglich ist, da ich dich doch nicht mit mir schleppen kann. Also gebe entweder ich dich frei oder deine Leute finden bald Gelegenheit, dich loszumachen. Das ist dein Gedanke, deine Berechnung – – –«

Ich wollte weitersprechen; aber er hatte die Frechheit, mich mit dem mehr als offenen Bekenntnisse zu unterbrechen:

»Ja, das denke und das hoffe ich! Old Shatterhand ist kein Mörder. Selbst wenn er strafen will, thut er dies nur dann, wenn vollständige Beweise vorhanden sind. Und diese fehlen dir.«

Es war ein außerordentlich überlegener Ton, in welchem er sprach. Er pochte auf meinen guten Ruf, denn er war überzeugt, daß ich alles unterlassen würde, was geeignet sei, denselben zu schädigen. Er warf mir einen triumphierenden Blick zu wie einer, der dem andern eine sehr schwere Partie Schach abgewonnen hat. Ich aber blieb trotzdem bei meiner bisherigen Ruhe, als ich ihm entgegnete:

»Du irrst dich allerdings nicht und irrst dich doch. Du irrst dich nämlich nicht in mir, aber du irrst dich in der Lage, in welcher du dich befindest. Ich kann freilich nicht behaupten, daß du einen Weißen getötet habest; aber du hast mehrere gefangen genommen.«

»Darauf steht aber nicht der Tod!«

»Was denn?«

»Das Gesetz der Prairie erwähnt dazu gar nichts.«

»O doch, wenn auch nicht direkt. Wie wird der Diebstahl, der Raub eines Pferdes bestraft?«

»Mit dem Tode.«

»Und der Raub eines Menschen? Soll der etwa gelinder oder vielleicht gar nicht bestraft werden?«

»To-kei-chun treibt keinen Menschenraub.«

»Was denn?«

»Ich habe die Bleichgesichter gefangen genommen, aber nicht geraubt!«

»Pshaw! Ueber den Sinn von Worten streite ich mich nicht mit dir. Wenn ich ein Pferd, welches nicht mir gehört, fange und fortschaffe, so ist dies Pferderaub; du hast die Bleichgesichter gefangen und fortgeschafft, das ist Menschenraub. Du hast ihnen sogar alle Taschen geleert und damit bewiesen, daß du sie und ihre Habe als dein Eigentum betrachtest. Auf Menschenraub aber steht bei mir der Tod. Wenn ich dich dafür mit einer Kugel bestrafe, kann mich nicht der leiseste Vorwurf treffen. Du hast dich also sehr verrechnet, als du auf meine Gerechtigkeit pochtest. Du hast den Tod verdient.«

»Und du wirst mich doch nicht töten!« behauptete er beharrlich.

»Irre dich ja nicht länger! Meine Kugel wird dich unbedingt treffen, wenn du nicht auf den Vorschlag eingehst, den ich dir jetzt machen werde.«

»Ich kenne ihn. Du brauchst ihn mir gar nicht zu sagen.«

Auch aus diesen Worten klang dieselbe Unverfrorenheit wie vorher; ich freute mich darüber, anstatt mich über sie zu ärgern, denn die Festigkeit, mit welcher er meinem guten Rufe vertraute, war ja eigentlich eine Ehre für mich.

»Welcher Vorschlag wird es sein?« fragte ich.

»Du willst die gefangenen Bleichgesichter zurückhaben und dafür mich freigeben.«

»Das ist allerdings richtig. Was sagst du dazu?«

»Was ich schon gesagt habe: Du behältst mich, und wir behalten sie.«

»Ist das dein letztes Wort?«

»Ja.«

»So bist du verloren!«

»Nein!«

»Pshaw! Du verrechnest dich eben. Auf Menschenraub steht der Tod; sie aber haben nichts gethan, was euch berechtigt, ihnen das Leben zu nehmen. Wenn ich dich nicht begnadige, so töte ich dich. Rechne ja nicht darauf, daß ich dich mit mir herumschleppen werde! Die Comantschen aber dürfen sich nicht an dem Leben der Bleichgesichter vergreifen.«

»Sie würden es aber doch thun, denn sie hätten meinen Tod zu rächen.«

»Das wäre ein Verbrechen, denn du hast ihn verdient. Und noch eins: Glaubst du denn, daß ich sie in den Händen deiner Krieger lassen würde? Ich hätte im Gegenteile nichts Eiligeres zu thun, als sie zu befreien.«

»Pshaw!« antwortete er in wegwerfendem Tone.

»Pshaw? Verstelle dich nicht! Du täuschest mich nicht. Du bist innerlich überzeugt, daß mir ihre Befreiung gelingen würde. Ich hätte eigentlich gar nicht so viele Worte mit dir machen sollen; aber ich bin – – –«

»Du bist Old Shatterhand,« unterbrach er mich, »der kein Blut vergießen wird. Und eben diese deine vielen Worte beweisen, in welcher Verlegenheit du dich befindest. Du magst und wirst mir nicht das Leben nehmen und weißt also nicht, wie du es anzufangen hast, uns die Bleichgesichter aus den Händen zu locken. Sie bleiben in unserer Gewalt.«

Er glaubte, mir überlegen zu sein, doch war ich meiner Sache zu gewiß. Perkins aber fühlte sich empört über diese freche Beharrlichkeit und konnte nicht länger schweigen. Er sagte in zornigem Tone:

»Es ist ganz richtig, Sir. Die vielen Worte, welche Ihr mit ihm macht, bestärken ihn in seiner Unverschämtheit. Faßt Euch also kürzer! Er bekommt die wohlverdiente Kugel, und dann eilen wir seinen Leuten nach, um die Weißen zu befreien. Ist es Euch eine Leichtigkeit gewesen, ihn aus ihrer Mitte herauszuholen, so wird es uns nicht viel schwerer fallen, ihnen die Freiheit zu verschaffen. Geschehen kann ihnen nun auf keinen Fall etwas; ihres Lebens sind sie vollständig sicher. Wir brauchen die Roten nur zu benachrichtigen, daß wir ihren Häuptling ergriffen haben; dann sind sie gezwungen, die Gefangenen um seinetwillen zu schonen. Daß wir ihm inzwischen eine Kugel durch den harten Schädel gejagt haben, brauchen sie natürlich nicht zu wissen. Also, ich bitte Euch, Sir, macht kurzen Prozeß mit dem Kerl!«

Ich nickte zustimmend und wendete mich zu dem Häuptlinge:

»Du hast gehört, was dieser Weiße sagte. Er hat vollständig recht, und ich werde thun, was er begehrte. Ich frage dich also zum letztenmal: Gehst du auf die Auswechslung der Gefangenen ein?«

»Nein,« antwortete er spöttisch. »Schießt mich immer tot!«

»Das werden wir thun, obgleich du es nicht glaubst. Wir werden dich überhaupt noch viel toter machen, als du denkst.«

»Thue es! Schieß, und rede nicht! Old Shatterhand ist ein altes, schwatzhaftes Weib geworden!«

»Warte mit deinem Urteile nur noch einen Augenblick! Ich kenne deine Gedanken. Du glaubst, daß ich zwar drohen und die Waffe auf dich richten, aber doch nicht schießen werde; aber – – –«

»Ja, ja,« fiel er mir triumphierend in die Rede, »so wird es geschehen, genau so, wie du jetzt gesagt hast.«

»Das dachte ich mir! Du kennst Old Shatterhand genau, aber doch noch nicht ganz. Du meinst, daß ich dich nicht erschießen werde, und hast sehr recht damit; aber das ist gar kein Grund für dich, so höhnisch dreinzublicken, wie du es thust. Ich habe ja gesagt, daß ich dich viel toter machen werde, als du denkst. Du kennst meine Menschlichkeit, aber Old Shatterhands List scheint dir noch unbekannt zu sein. Du glaubst, mich jetzt besiegt zu haben, und bist doch selbst besiegt. Ich werde dich töten, aber nicht deinen Leib, sondern deine Seele.«

»Meine Seele?« fragte er erstaunt. »Wie kann man der Seele eines Menschen eine Kugel geben!«

»Das weißt du nicht? Ich werde es dir zeigen. Man kann die Seele eines roten Mannes so zerschießen und zerfetzen, daß sie für die ewigen Jagdgründe vollständig tot und verloren ist. Mr. Perkins, ich möchte mir den Spaß machen, ein wenig mit dem Revolver zu knallen. Wollt Ihr wohl so gut sein, das Ding zu halten, nach welchem ich schießen werde?«

»Well,« antwortete er. »Wenn Ihr wollt, werde ich es thun, Sir. Möchte Euch aber fragen, ob wir jetzt Zeit zu solcher Spielerei haben.«

»Ihr werdet gleich erfahren, ob es Spielerei ist oder nicht. Stellt Euch hierher, und streckt den Arm hübsch aus, damit ich Euch nicht in den Leib treffe.«

»Pshaw! Von Old Shatterhand hat man keinen Fehlschuß zu befürchten,« sagte er, indem ich ihn ungefähr dreißig Schritte seitwärts von dem Häuptling postierte und seinen Arm in wagrechte Haltung brachte. Dann ging ich zum Pferde des Häuptlings, nahm den Medizinbeutel weg, trug ihn zu Perkins, dem ich ihn in die Hand gab, und sagte:

»So, Mr. Perkins. In dieser Medizin steckt die Seele, der Geist To-kei-chuns, des Häuptlings der Comantschen. Ich werde sie erst mit meinen Kugeln durchbohren und dann den Beutel gar verbrennen, um ganz sicher zu sein, daß der Häuptling die ewigen Jagdgründe nie betreten wird. Dann lassen wir ihn laufen. Seinem Körper ist dann nichts geschehen; er kann nicht sagen, daß Old Shatterhand ihn ermordet habe; aber er darf nicht zu den Seinen zurückkehren, denn sein Name ist in den Fluten der Schande erloschen, und er kann ihn nicht dadurch wiedererlangen, daß er sich eine neue Medizin verschafft; er hat die alte ja nicht im Kampfe verloren, sondern sie ist ihm durch List abgenommen und so beschimpft worden, daß die Ehre ihres Besitzers niemals wiederhergestellt werden kann.«

Ich that, als ob ich bei diesen Worten den Häuptling gar nicht ansähe, warf aber einen verstohlenen Blick auf ihn und bemerkte zu meiner großen Genugthuung, daß meine Berechnung richtiger gewesen war, als die seinige. Seine Augen nahmen vor Entsetzen einen starren, gläsernen Ausdruck an; er wollte reden, brachte aber zunächst nichts hervor; dann entquoll seinem Munde ein heiserer, gurgelnder Schrei; er versuchte, sich in den Fesseln aufzubäumen, und rief dann endlich, als ich den Revolver hob und auf den Medizinbeutel zielte, in furchtbarer Angst und mit schriller Stimme:

»Halt, halt ein! Weg mit der Waffe! Ich bitte dich um des guten Manitou willen, schieß nicht – schieß nicht – schieß ja nicht!«

Ich ließ die Hand nicht sinken, sondern behielt den Revolver im Anschlage, wendete dem Häuptlinge aber das Gesicht zu und fragte:

»Du giebst also zu, daß deine Ehre und deine Seele für immer und ewig verloren wäre, wenn ich jetzt schösse?«

»Ja, ja, ja!«

»Und bittest mich, dies nicht zu thun?«

»Ja.«

»Du giebst ganz ausdrücklich zu, daß du mich darum bittest?«

»Ja doch, ja! Aber nimm doch die Waffe weg!«

Da ließ ich die Hand mit dem Revolver sinken und erklärte:

»Du siehst wohl ein, daß du Old Shatterhand doch noch nicht vollständig kanntest; aber in meiner Güte hast du dich nicht getäuscht. Ich bin bereit, Gnade walten zu lassen, wenn du das thust, was ich verlange.«

»Ich thue es; ich thue es. Die Bleichgesichter sollen freigegeben und gegen mich ausgewechselt werden!«

»Pshaw! Das war es, was ich vorhin forderte; jetzt aber verlange ich mehr.«

»Was denn, was?« erkundigte er sich, aufs neue erschrocken.

»Du glaubtest, klüger zu sein, als ich, und hast meinen gerechten und billigen Vorschlag zurückgewiesen und Worte des Hohnes und Spottes zu mir gesprochen; ich bin ruhig dazu geblieben, denn ich wußte, daß du unterliegen würdest. Nun dies geschehen ist, verzichte ich zwar darauf, den Spott meinerseits zu erwidern, verlange aber, daß er gesühnt werde. Old Shatterhand ist nicht der Mann, den man übertölpeln kann und auslachen darf. Meine Forderung geht jetzt weiter als vorhin.«

»Was willst du von mir? Doch nichts weiter, als die Gefangenen?«

»Ja, weiter nichts; aber die Bedingung ist eine andere geworden, zur Strafe und zur Warnung für dich. Auch müssen die Beleidigungen gutgemacht werden, welche du gegen mich ausgesprochen hast. Also, gieb schnell die Antworten, welche ich von dir verlange, sonst schieße ich dennoch!«

Ich legte den Revolver wieder auf den Medizinbeutel an, den Perkins noch hochhielt, und fuhr fort:

»Du giebst also zu, jetzt ein Bittender zu sein?«

Man muß die Heiligkeit kennen, in welcher die Medizin bei den Indianern steht, um die große Angst zu begreifen, mit welcher To-kei-chun schnell antwortete:

»Ja, ich bitte!«

»Du hast mich einen stinkenden Hund und auch noch anders genannt; jetzt aber sag, wer und was ich bin!«

»Du bist Old Shatterhand, der tapferste unter den weißen Männern!«

»Ferner hast du das Andenken meines toten Bruders Winnetou geschändet, indem du sagtest, auch er sei ein Hund. Wer war Winnetou? Sag es rasch, sonst drücke ich los!«

»Warte doch, warte! Winnetou war der größte und berühmteste Häuptling der Apatschen.«

»Füg hinzu, daß er ein edler Mensch gewesen sei und im Kampfe nie einem Comantschen den Rücken gezeigt habe!«

»Ich sage es; ich gebe es zu!«

»Du bist einverstanden, daß die gefangenen Bleichgesichter sofort freigegeben werden und ihr Eigentum bis auf den kleinsten Gegenstand zurückerhalten?«

»Ja,«

»Du fertigst mir jetzt und hier ein Totem aus, welches ich nur vorzuzeigen brauche, um sie ohne alle Gefahr für mich ausgeliefert zu erhalten und mich mit ihnen entfernen kann, wobei jede Verfolgung von eurer Seite ausgeschlossen ist?«

»Ich werde es thun.«

»Du wirst gegen keinen dieser Männer und auch gegen mich nie wieder etwas Feindseliges unternehmen?«

»Uff! Du verlangst zuviel!«

»Sag ja! Ich warte nicht. Eins – zwei – dr – –!«

»Halt, nicht schießen! Ich verspreche auch das.«

»Das bloße Versprechen genügt mir nicht. Was wir jetzt bestimmen, werden wir mit der Pfeife des Friedens besiegeln.«

»Der große Geist hat seine Hand gewendet und mich in deine Gewalt gegeben; ich muß thun, was du von mir verlangst. Wann giebst du mich frei?«

»Frei? Davon haben wir jetzt nicht zu sprechen.«

»Nicht? Du bekommst die Bleichgesichter; also muß doch ich wissen, wann ich meiner Bande ledig werde.«

»Davon ist eben keine Rede. Ich machte dir den Vorschlag, dich gegen sie auszuwechseln; du gingst in deiner Verblendung nicht auf denselben ein, sondern gabst mir die Antworten des Hohnes und des Spottes; darum sage ich dir dann, daß meine Forderung nun anders geworden sei. Du giebst die Gefangenen dafür frei, daß ich deine Medizin nicht beschimpfe und vernichte, bleibst aber mein Gefangener. Was ich mit dir thue und ob ich dich später freilasse, das kommt ganz auf meine Güte und Gnade an.«

»Uff, uff, uff!« rief er erschrocken. »Darauf kann ich nicht eingehen. Ihre Freiheit gegen die meinige; das ist nicht richtig; sie sind sechs Männer, und ich bin einer; ich gebe also so schon mehr als du.«

»Das sagst du, der da glaubt, daß er der größte Häuptling der Comantschen sei? Ich würde nicht zögern, meine Freiheit gegen diejenige von einigen hundert roten Kriegern einzutauschen. Und du hältst dich für weniger wert als sechs! Ich erfahre da zu meinem Erstaunen, wie tief ein Comantschenhäuptling im Preise steht.«

Diese Worte mußten ihn tief beschämen; darum versuchte er, den begangenen Fehler dadurch zu verbessern, daß er sagte:

»Du weißt ebensogut, wie ich, daß es nicht gewöhnliche Bleichgesichter sind, die wir ergriffen haben; es sind sehr hervorragende Krieger unter ihnen.«

»Grad darum mußt du dich dadurch geehrt fühlen, daß mir dein Besitz höher steht, als meiner Ansicht nach euch der ihrige stehen kann. Ich gehe auf keinen Fall von dieser meiner letzten Forderung ab.«

»Und ich kann nicht auf sie eingehen, sondern fordere Freiheit gegen Freiheit.«

»Das hätte ich vorhin gelten lassen; dein Verhalten aber hat meine Ansprüche erhöht. Du selbst bist schuld daran. Old Shatterhand läßt sich nicht ungestraft verhöhnen. Also, bist du einverstanden oder nicht?«

»Nein.«

»So sieh zu, was geschieht. Mr. Perkins, haltet hoch!«

Er that es, und ich drückte ab. Der Medizinbeutel bekam einen Stoß; meine Kugel hatte ihn durchbohrt. Da schrie der Häuptling nicht, sondern er brüllte förmlich:

»Halt, schieß nicht! Ich bitte dich um des großen Manitou willen, schieß nicht weiter!«

»Ergiebst du dich in meine Wünsche?«

»Ja, ja!«

»Well! Hättest du das eher gethan, so hätte meine Kugel dein Heiligtum nicht berührt. Du willst also das Totem ausstellen?«

»Ja.«

»Und alles niederschreiben, was ich verlangt habe, so daß es deine Krieger lesen können?«

»Ja. Aber ich habe nichts da, worauf ich die Schrift malen kann. Hast du etwas?«

»Ja. Ihr pflegt eure Zeichen in Leder einzuschneiden und mit roter Farbe einzureiben. Leder ist da, nämlich die beiden Hasenfelle, welche hier liegen; aber es fehlt die Farbe, ohne welche die Schrift nicht zu erkennen ist. Darum werde ich dir Papier und Bleistift geben.«

»Ich habe nicht gelernt, nach der Art der Weißen zu schreiben; ich kann kein »sprechendes Papier« machen.«

»Das ist auch nicht nötig, denn nicht Weiße, sondern deine Krieger sollen es lesen. Ich gebe dir ein Blatt oder einige Blätter aus meinem Notizbuche; auf sie kannst du mit dem Bleistifte deine Figuren noch viel leichter malen, als sie sich in Leder schneiden lassen.«

Er sah mich nachdenklich an; es ging ein Zug von Befriedigung über sein Gesicht, für welchen mir leider erst später das Verständnis kam; dann bemerkte er:

»Ganz wie du willst; ich werde es versuchen; aber jetzt kann ich es nicht thun, weil ich gefesselt bin.«

»Ich werde dich losbinden und dir nicht nur die Hände, sondern auch die Füße freigeben, denn du wirst stehend schreiben müssen.«

»Warum stehend? Man muß doch sitzen, wenn man Figuren macht.«

»Auf Leder, ja. Aber du weißt nicht mit Papier umzugehen und mußt eine Unterlage haben, und weil es hier keine andere oder bequemere, als den Sattel eines Pferdes giebt, so wirst du bei deinem Pferde stehen und das Papier auf den Sattel legen.«

Wieder ging ein Zucken über sein Gesicht, welches ich aber dieses Mal gleich verstand. Er sollte die Arme und Beine frei bekommen und bei seinem Pferde stehen; wie leicht war es da, einen schnellen Sprung in den Sattel zu thun und zu fliehen! Er sagte sich, daß er dabei wenigstens nicht sein Leben wage, weil mir sein Tod nichts nützen werde, denn nur wenn er lebte, konnte ich die gefangenen Weißen gegen ihn auswechseln. Es stand also zu erwarten, daß ich nicht auf ihn schießen, sondern besorgt sein werde, ihn unverletzt wieder zu ergreifen, und da erschien es ihm als sehr wahrscheinlich, daß er uns entkommen werde. Er hatte ein gutes Pferd; seine plötzliche Flucht mußte uns überraschen, und ehe wir uns besannen und uns an seine Verfolgung machten, mußte er einen Vorsprung gewinnen, den wir wohl schwerlich einholen würden.

Diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf; wenigstens vermutete ich das und traf meine Vorkehrungen darnach. Ich band ihn los, gab ihm mehrere Papierblätter, die ich aus meinem Notizbuche riß, und einen Bleistift in die Hand und zeigte ihm, wie beides zu gebrauchen sei. Dann trat er zu seinem Pferde, nahm den Sattel als Unterlage und begann zu zeichnen. Ich brauchte mich nur mit hinzustellen und die Zügel in die Hand zu nehmen, so konnte er nicht fort; aber ich hatte gar nichts dagegen, daß er den Fluchtversuch unternahm; ich wollte ihn nämlich gern abermals beschämen.

Darum beaufsichtigte ich ihn gar nicht, und als Perkins zu ihm treten wollte, um ihn im Auge zu behalten, winkte ich ihm, dies nicht zu thun. Ich entfernte mich vielmehr von ihm, schlenderte scheinbar sorglos zu meinem Schwarzschimmel hin und legte mich in das Gras. Dort that ich, als ob ich nicht die geringste Besorgnis hegte, beobachtete ihn aber sehr scharf und war bereit, in jedem Augenblicke empor- und auf mein Pferd zu springen.

Er mochte wohl zwei oder drei Minuten gezeichnet haben, da warf er einen forschenden Blick zu mir herüber; ich that, als ob meine Aufmerksamkeit gar nicht auf ihn gerichtet sei. Da ließ er Papier und Stift fallen, ergriff den Zügel, schwang sich auf und stieß seinem Pferde mit einem schrillen Jubelschrei die Fersen in die Weichen. Es schoß mit ihm fort.

»Alle Teufel, da jagt er hin!« rief Perkins. »Welche Dummheit, es ihm so leicht zu machen, Sir! Schnell ihm nach!«

Er wollte aufs Pferd steigen, Dschafar ebenso; ich saß bereits im Sattel, trieb meinen Schwarzschimmel fort und befahl den beiden:

»Bleibt getrost hier! Ich bringe ihn.«

Das war so schnell gegangen, daß der Häuptling beim ersten Sprunge meines Pferdes nicht mehr als höchstens zwanzig Meter Vorsprung besaß. Ich nahm den Lasso vor, hakte das eine Ende an den Sattelknopf, legte die Schlingen zum Werfen locker und rief dem Roten zu:

»To-kei-chun mag schneller reiten, sonst hole ich ihn!«

Er blickte sich um; schon war ich nur fünfzehn Meter hinter ihm, denn mein Pferd war doch ein besserer Renner, als das seinige. Daß die Verfolgung eine so schnelle sein werde, das hatte er nicht gedacht; dennoch stieß er ein höhnisches Lachen aus und trieb sein Tier zu größerer Eile an; ich kam ihm aber bei jedem Sprunge näher. Als er sich zum zweitenmal umdrehte, hatte ich ihn nur noch zehn Meter vor mir und schwang den Lasso zum Wurfe. Da warf er sich nach Indianerart halb aus dem Sattel, so daß er nur noch mit der Kniekehle des einen Beines in diesem hing und sich mit einer Hand an dem Halsriemen seines Gaules festhielt. Er lag also am Leibe seines Pferdes lang hin, und ich konnte ihm infolgedessen den Lasso nicht überwerfen.

Sobald ein Indianer sich in dieser Weise eng an die Seite seines Pferdes hängt, weiß dieses, daß Gefahr vorhanden ist und entwickelt ganz von selbst die möglichste Schnelligkeit.

Dies that auch sein Tier, und da er es außerdem durch Schläge und Geschrei antrieb, so wurde sein Vorsprung für den Augenblick ein größerer. Da aber ließ ich meinem Schimmel die Sporen fühlen, und sofort schoß er in solchen Sätzen weiter, daß ich den Raumverlust rasch einholte.

Der Häuptling war vor meiner Schlinge sicher, aber nicht sein Pferd. Ich hielt mich darum nicht gerade, sondern seitwärts hinter ihm, wirbelte die Schlingen über dem Kopfe, ersah den geeigneten Augenblick und ließ den Lasso fliegen. Ich hatte gut gezielt. Der Gaul schoß förmlich mit dem Kopfe in die Schleife hinein, die sich ihm um den Hals legte. Mein Schimmel war auf das Lassowerfen ausgezeichnet dressiert; er wußte, was geschehen mußte, und verminderte seine Schnelligkeit; ein leiser Schenkeldruck von mir genügte; da warf er sich herum und stemmte sich fest ein. Dadurch wurde der Lasso straff angezogen; wir bekamen einen starken Ruck, welchen der Schimmel aushielt; das Pferd des Roten aber stürzte nieder, und To-kei-chun wurde weit fortgeschleudert.

Ich schnellte mich von meinem Sitze herunter, sprang zu ihm hin und erreichte ihn grad in dem Augenblicke, als er sich aufrichten wollte. Mit der rechten Hand mein Messer ziehend, drückte ich ihn mit der linken nieder und gebot ihm:

»Rühre dich nicht, sonst steche ich!«

Er nahm, wie schon gesagt, an, daß sein Tod mir nichts nützen könne, und beachtete darum diese Drohung nicht, sondern antwortete:

»Hund, mich sollst du doch nicht halten; ich erwürge dich!«

Bei diesen Worten krallte er mir die beiden Hände um den Hals. Da ließ ich allerdings das Messer fallen, legte ihm das Knie auf die Brust, riß mich mit einem kräftigen Rucke los, ergriff seine beiden Hände, hielt sie mit der Linken fest und legte ihm die Rechte an die Kehle. Er wollte sich aufbäumen, es gelang ihm aber nicht; er schlug und stieß mit den Beinen um sich, doch ohne mich zu treffen; sein Widerstand erlahmte um so mehr, je fester ich ihm die Kehle zusammendrückte – – zuletzt ein gurgelndes Röcheln, dann lag er still und bewegungslos.

Nun stand ich auf und sah zurück. Dschafar und Perkins waren doch nicht am Platze geblieben, sondern uns nachgeritten; da sie meine Gewehre mitbrachten, konnte ich ihnen keine Vorwürfe darüber machen. Als sie herankamen, rief der erstere aus:

»Allah sei Dank, daß wir ihn wieder haben! Welch ein Schaden für uns, wenn er uns entkommen wäre!«

»Daran war gar nicht zu denken,« antwortete ich.

»Oho!« fiel Perkins ein. »Es konnte irgend ein Zufall eintreten, welcher – – –«

»Pshaw!« unterbrach ich ihn. »Was für einen Zufall hätte es hier geben können? Ich wußte, daß er fliehen wollte.«

»Und habt ihn nicht gehindert? Ihr ließet mich ja gar nicht hin zu ihm! Ich hätte ihn festgehalten.«

»Das habe ich nun hier gethan. Ihr habt die Riemen mitgebracht, wie ich sehe?«

»Ja. Wir binden ihn natürlich wieder!«

»Nein, jetzt noch nicht; er muß doch erst das Totem schreiben.«

»Und wieder ausreißen!«

»Wird ihm nicht einfallen. Holt sein Pferd und das meinige her!«

Das Comantschenpferd hatte, da der Lasso nicht mehr angespannt war, Luft bekommen und war aufgesprungen, hing aber noch mit dem Schwarzschimmel zusammen. Perkins nahm ihm die Schlinge vom Halse, rollte den Lasso auf und brachte dann beide her. Unterdessen kam der Häuptling wieder zu sich. Er holte laut rasselnd Atem, öffnete die Augen, stierte uns an, bewegte wie probierend die Glieder und stand dann langsam auf, woran ich ihn nicht hinderte.

»To-kei-chun ist ein sonderbarer Krieger,« sagte ich zu ihm. »Da drüben an dem Regenbette ging er spazieren, um mir wieder in die Hände zu laufen, und jetzt ist er spazieren geritten, um meinen Lasso kennen zu lernen. Vielleicht kommt es ihm gar noch in den Sinn, einmal spazieren zu fliegen! Wenn er das thut, wird er sicher freikommen, denn ich habe das Fliegen nicht gelernt.«

Er stand unbeweglich und sah zur Erde nieder; die Scham verbot ihm, ein Wort zu sagen.

»Der Häuptling der Comantschen wird da fortfahren, wo er aufgehört hat,« fügte ich hinzu. »Er mag an seinem Totem weitermalen, nun aber keinen Scherz mehr treiben, denn von jetzt an ist’s mir Ernst!«

Dschafar hatte die weggeworfenen Blätter und den Bleistift aufgehoben und mitgebracht; er hielt sie dem Häuptlinge hin; dieser nahm sie stumm und ohne sich zu weigern, trat zu seinem Pferde und setzte die unterbrochene Arbeit fort, wobei ihm Perkins mit gezücktem Messer zur Seite stand. Es dauerte ziemlich lange, bis er fertig war; dann gab er mir die Papiere, ohne ein Wort dazu zu sagen.

Es galt natürlich, das Totem genau zu studieren, denn wenn ich ein einziges hinterlistiges Zeichen nicht verstand, brachte ich uns in Gefahr; aber ich fand nichts, was Argwohn erregen konnte; das Totem war ehrlich. Es bestand aus kleinen Figurengruppen, ähnlich denen, welche kleine Kinder mit ihren ungeübten Händen zeichnen. Die erste Gruppe zeigte einen am Boden liegenden Mann mit einer Feder am Kopfe, einen Indianerhäuptling also. Er war gebunden; darüber sah man das Zeichen To-kei-chuns. Neben ihm stand eine Figur, welche in jeder Hand ein Gewehr hatte; ihre Hände waren im Verhältnisse ungeheuer groß gezeichnet, und über ihrem Kopfe gab es noch eine, auch sehr große Hand. Damit war ich, Old Shatterhand, gemeint. Zu meiner Seite saßen zwei Figuren; die eine hatte eine hohe, runde Mütze auf; das sollte Dschafar sein; die andere war einfach durch hohe Stiefel als Weißer bezeichnet. Diese Gruppe sollte sagen: Old Shatterhand, Dschafar und noch ein Bleichgesicht haben To-kei-chun gefangen genommen.

In ähnlicher Weise waren auch die übrigen Gruppen gehalten, mit denen der Häuptling sagen wollte und auch wirklich sagte, was nach unserer Vereinbarung zu geschehen hatte. Freilich gehörte, da die Figuren unendlich kindlich gezeichnet waren, mehr als gewöhnlicher Scharfsinn dazu, zu enträtseln, was jede einzelne vorstellen sollte; hatte man aber das entziffert, so ergab sich die Bedeutung ganz von selbst. Die Hauptsache dabei war, daß ich nichts fand, was auf die Absicht, uns zu betrügen, hätte schließen lassen.

To-kei-chun hatte sich niedergesetzt und wartete auf die Beurteilung seines Kunstwerkes; ich gab ihm dieselbe mit den Worten:

»Ich bin mit diesem Totem zufrieden; es enthält alles, was ich wünsche. Wir werden den Häuptling der Comantschen auf sein Pferd binden und dann weiterreiten.«

»Wohin?« fragte er.

»Wir folgen seinen Kriegern.«

»Weiß Old Shatterhand, wohin sie reiten?«

»Nach dem Makik-Natun. Vielleicht holen wir sie ein, ehe sie dort ankommen.«

»Du wirst sie nicht einholen, denn sie reiten sehr schnell.«

»Ich denke, daß sie sich zunächst nicht zu sehr beeilen werden, damit du sie einholen kannst.«

»Sie warten nicht auf mich; sie wissen, daß ich gern zurückbleibe und gern allein reite. Du wirst nicht eher als am Makik-Natun mit ihnen sprechen können.«

Die Offenheit, mit welcher er mir dies sagte, war zwar ungewöhnlich, aber ich hatte keinen Grund, sie für unwahr zu halten. Schaden konnte es uns nichts, wenn wir uns nach dieser Mitteilung richteten; darum sagte ich:

»So müssen wir uns beeilen. Ich will die gefangenen Bleichgesichter wo möglich noch heut frei haben und wünsche darum, daß ich noch vor der Dunkelheit des Abends mit den Kriegern der Comantschen reden kann.«

Er ließ sich ohne allen Widerstand auf sein Pferd binden; dann suchten wir die Fährte seiner Leute auf, um ihr möglichst schnell zu folgen. Als wir sie erreichten, untersuchte ich sie und fand, daß die Indsmen allerdings ziemlich rasch geritten waren. Ihr Häuptling hatte also die Wahrheit gesagt.

Er ritt mit Perkins voran und ich mit Dschafar hinterdrein, weil ich ihn stets im Auge haben wollte.

Der Perser sprach über unser heutiges Erlebnis und über unsere Hoffnung, die Gefangenen zu erlösen. Dabei meinte er:

»Der Häuptling versteht das Englische; er hört, was wir hinter ihm sprechen; er braucht aber nicht zu wissen, was wir reden. Wollen wir uns nicht lieber einer andern Sprache bedienen“?«

»Mir recht; aber welcher?«

»Da Ihr der Emir Kara Ben Nemsi Effendi seid, ist Euch das Arabische geläufig. Nehmen wir also dieses.«

»Warum nicht das Persische?«

»Versteht Ihr auch dieses?«

»Leidlich. Wenigstens denke ich, daß ich mich Euch verständlich machen kann.«

Wie erfreut war er, sich seiner Muttersprache bedienen zu können! Er wurde außerordentlich lebhaft, wie er sonst gar nicht zu sein schien, und sprach natürlich vorzugsweise von seinem Vaterlande und den Verhältnissen desselben. Ich wartete darauf, daß er auch die seinigen in Erwähnung bringen werde; er that es indessen nicht, schien aber doch eine Ahnung von dieser meiner Neu- oder Wißbegierde zu haben, denn er sagte im Laufe des Gespräches.

»Du wirst erwarten, daß ich auch von mir spreche; aber was soll ich von mir hier in diesem Lande sagen, wo ich fremd und gar nichts bin?«

Man hört, daß er mich mit dem vertraulichen orientalischen Du anredete; das war mir ganz recht; ich freute mich darüber, obgleich ich in der Heimat kein Freund desselben bin; ich habe nie mit irgend jemandem Brüderschaft gemacht. Als ich auf diese seine Worte nichts bemerkte, hielt er es für angezeigt, fortzufahren:

»Ich will dir aber mitteilen, daß ich unter dem Schutze unsers Herrschers stehe. Er ist ein Freund abendländischer Bildung und sendet zuweilen einige seiner jungen Unterthanen nach dem Occidente, um sich dort Kenntnisse zu erwerben.«

»Natürlich sucht er sich da nur begabte Personen aus.«

»Kann Old Shatterhand auch Komplimente machen? Ich fand die Gnade, die Augen des Beherrschers auf mich gerichtet zu sehen, und wurde nach Stambul, Paris und London gesandt. Dort, in England, war ich längere Zeit. Vielleicht hast du gehört, daß der Schah vor kurzer Zeit in London war?«

»Ich habe in Zeitungen darüber gelesen.«

»Bei dieser seiner Anwesenheit in der Hauptstadt Englands erinnerte er sich meiner, und ich bekam den Befehl, vor seinem Angesichte zu erscheinen. Die Folge dieser Audienz war, daß ich die Weisung erhielt, auch die Vereinigten Staaten kennen zu lernen. Als ich herüberkam, ahnte ich nicht, daß ich das Glück haben würde, hier den mutigen Kara Ben Nemsi kennen zu lernen, von dem mir Hadschi Halef Omar so viel berichtet hat. Und noch weniger hätte ich geträumt, daß ich dir meine Freiheit und mein Leben zu verdanken haben würde. Ich sehe, daß es sehr gefährlich ist, hier zu reisen; ich wollte es erst nicht glauben. Wird die Gefahr aufhören, wenn wir den Bereich der Prairie hinter uns haben?«

»Nein; sie wird sich im Gegenteile in den Felsenbergen jenseits derselben eher steigern als verringern.«

Da er nun dieses Thema festhielt, erfuhr ich über ihn nichts weiter als das Wenige, was er mir jetzt gesagt hatte. Ich mußte ihm Auskunft über den Westen geben; sich selbst erwähnte er nicht mehr.

Warum diese Verschwiegenheit? Sie war mir gegenüber auffällig, denn er kannte mich schon längst, wenn auch nur vom Hörensagen, und war mir, wie er ja soeben auch zugegeben hatte, zu Dank verbunden. Hatte er irgend eine Mission zu erfüllen, von welcher er nichts sagen durfte? Das war nicht wahrscheinlich, denn welche Mission konnte einen Perser quer durch Amerika führen? Oder befand er sich nur auf einer Art von Studienreise? Sollte er vielleicht hier sein Wissen bereichern, um es dann in seinem Vaterlande in irgend einer Anstellung zu verwerten? Dann hatte er es nicht nötig, so heimlich zu thun. Oder war er so zurückhaltend, um sich ein Relief zu geben, sich wichtig zu machen? Das wäre mir gegenüber wenn nicht lächerlich, doch auch nicht verständig gewesen. Wenn ein Orientale fünfundzwanzighundert geographische Meilen von seiner Heimat entfernt einen Mann trifft, mit dem er sich in seiner Muttersprache unterhalten kann, so ist es wohl thöricht von ihm, sich gegen diesen Mann zuzuknöpfen. Ich nahm mir vor, ihn ja nicht wieder zur Sprache auf sich selbst zu bringen.

Unser Ritt nahm einen raschen Verlauf. Die Fährte der Comantschen war stets deutlich und hielt uns also gar nicht auf. Die Indsmen waren wenigstens ebenso rasch geritten, wie wir ihnen folgten, und schienen, da sie nicht auf ihren Häuptling gewartet hatten, für die Sicherheit desselben gar keine Besorgnis zu hegen. Wir hatten noch zwei Stunden bis zum Abende, als ich den beiden Gefährten mitteilte, daß wir in der Nähe des »gelben Berges« angekommen seien. Da fragte mich Perkins:

»Werden wir direkt hinreiten?«

»Nein. Das hieße ja unser Spiel verloren geben!«

»Wieso?«

»Weil der Häuptling bei uns ist. Den dürfen die Roten nicht eher zu sehen bekommen, als bis sie ihre Gefangenen freigegeben haben, vielleicht auch dann noch nicht einmal, denn ich habe ihm die Freiheit nicht versprochen.«

»Sie müssen aber doch erfahren, daß er unser Gefangener ist!«

»Natürlich!«

»Wer soll es ihnen sagen?«

»Ihr, Mr. Perkins,« antwortete ich in ernstem Tone, obgleich ich es scherzhaft meinte.

»Ich?« rief er erschrocken aus. »Ich soll etwa das Totem hinschaffen?«

»Ja.«

»Warum ich? Kann das nicht Mr. Dschafar thun?«

»Nein, denn er kennt den Westen und die Indianer nicht, während Ihr nicht leugnen könnt, in dieser Beziehung Erfahrung zu besitzen.«

»Was das betrifft, so giebt es einen, der viel mehr Erfahrung hat als ich!«

»So?«

»Ja. Wißt Ihr, wen ich meine, Mr. Shatterhand?«

»Nun?«

»Euch selbst. Wenn es darauf ankommt, so seid Ihr der richtige Mann, die Comantschen aufzusuchen.«

»Nein, der bin ich nicht.«

»Möchte wissen, warum!«

»Weil ich bei dem Häuptling bleiben muß. Der ist mir so wichtig, daß ich ihn keinem andern anvertrauen darf.«

»Da muß ich Euch widersprechen. Ihn gut zu bewachen ist zehnmal leichter als seine Krieger aufzusuchen, um mit ihnen zu verhandeln. Ich fürchte sehr, daß ich da Dummheiten machen würde, durch die ich Euch in Gefahr brächte.«

»Hm, das befürchte ich freilich auch!«

»Nicht wahr? Ich halte es also für das Beste, daß Ihr es selbst übernehmt, die Roten zu benachrichtigen. Wir werden inzwischen irgendwo auf Eure Rückkehr warten.«

»Well! Wollte nur sehen, wieviel Mut Ihr habt.«

»O, Mut habe ich! Hierzu aber gehört außer dem Mute auch eine Klugheit, eine Verschlagenheit, welche – – welche – – welche – – –«

»Welche Ihr nicht besitzt? So! Das ist einmal so ehrlich aufrichtig gesprochen, wie ich es gern habe. Aber wenn Ihr so wenig klug seid, wie kann ich Euch da den Häuptling anvertrauen? Ich muß gewärtig sein, daß er nicht mehr bei Euch ist, wenn ich zurückkehre.«

»Nein, das habt Ihr doch nicht zu befürchten, Sir! Wir werden doch nicht so dumm sein, ihn loszubinden und laufen zu lassen!«

»Das wäre freilich nicht nur unklug, sondern geradezu verrückt. Aber es kann noch anderes passieren. Ich denke zwar, daß die Roten, wenn sie einmal bei den Gräbern ihrer Häuptlinge angekommen sind, sich heut nicht mehr von dort entfernen werden; aber es können doch einige von ihnen aus irgend einem Grunde die Gegend durchschwärmen und Euch entdecken.«

»Die schießen wir nieder!«

»Und wenn sie Euch überraschen?«

»Wir lassen uns nicht überraschen. Wir passen auf! Wir werden uns doch wohl eine Stelle aussuchen, wo es unmöglich ist, uns zu beschleichen.«

»Well! Aber wenn so viele kommen, daß sie Euch überlegen sind?«

»So brauchen wir uns dennoch nicht zu fürchten, denn wir thun das, was wir von Euch gelernt haben.«

»Was?«

»Wir drohen ihnen, den Häuptling sofort zu erschießen, wenn sie uns angreifen.«

»Das würde allerdings das Richtige sein. Ich weiß freilich recht gut, daß ich keinen von Euch beiden zu den Comantschen schicken kann; ich muß selbst zu ihnen und will hoffen, daß ich mich unterdes auf Euch verlassen kann.«

»Das könnt Ihr, Sir!« beteuerte er erleichtert. »Wir werden Euch den Häuptling bei Eurer Rückkehr genau so übergeben, wie Ihr ihn bei uns gelassen habt.«

»Ja, das werden wir,« bestätigte Dschafar. »Ich bin kein Feigling und auch nicht das, was man hier einen Dummkopf nennt. Sollten da einige Rote kommen, so stehe ich dafür, daß sie uns ihren Häuptling weder durch List noch durch Gewalt entreißen.«

Ja, er war wohl weder dumm noch feig; zu ihm hatte ich mehr Vertrauen als zu Perkins. Und was hätte ich auch machen wollen? Einer von uns mußte zu den Indianern, und das war keine Kleinigkeit, sondern ein Wagnis, zu dem ein ganzer Mann gehörte. Dazu paßte weder der Perser, dem es vollständig an Kenntnis der Verhältnisse mangelte, noch Perkins, welcher keinen Mut besaß. Ich war also gezwungen, ihnen den Häuptling anzuvertrauen.

Ich kannte die Stelle, an welcher sich die Häuptlingsgräber befanden. Der Makik-Natun hat an seiner Südseite eine Einbuchtung, deren Wände ziemlich steil ansteigen. Die Gräber, vier an der Zahl, lagen nebeneinander an der Westseite der Bucht, in welcher es keine Bäume, sondern nur Büsche gab. Im Hintergrunde der Bucht rieselte ein Quell aus dem gelben Gestein; dort hatten sich die Indsmen wahrscheinlich gelagert. Der Platz war in der Nähe der Gräber frei; die einst dortstehenden Sträucher waren infolge der öfters da stattfindenden Totenfeierlichkeiten verschwunden. Dagegen lief das Gebüsch noch außerhalb der Bucht nach rechts und links, also nach Osten und nach Westen am Fuße des Berges weiter, ein Umstand, welcher, wie man sehen wird, mir großen Vorteil bot. Diese Eintiefung oder Einbuchtung des Makik-Natun also war es, wo das Schicksal der Gefangenen heut entschieden werden sollte. Natürlich hing dabei mein Leben auch nur an einem einzigen Haare, denn selbst wenn der Indianer an jedem anderen Orte zum Frieden geneigt wäre, an den Gräbern seiner im Kampfe gefallenen Anführer regiert ihn nur der Haß, erfüllt ihn nur das Gefühl der Rache, und darum war dieser Ort eigentlich für unser Vorhaben schlecht gewählt. Freilich gab es keine andere Wahl, denn wir konnten nicht bis später warten, weil vorauszusehen war, daß die Gefangenen morgen hingerichtet würden.

Wir folgten der Fährte der Comantschen soweit, bis wir den »gelben Berg« genau nördlich vor uns liegen und vielleicht noch eine halbe Stunde zu reiten hatten, um ihn zu erreichen. Da wichen wir von ihr westlich ab, ritten zunächst parallel mit dem Berge und lenkten dann auf ihn zu, hielten aber an, ehe wir ihn erreichten.

»Sollen wir etwa hier schon absteigen?« fragte Perkins.

»Ja,« antwortete ich.

»Und hier auf Euch warten?«

»Ja.«

»Aber, Sir, nehmt es mir nicht übel, das ist ja der größte Fehler, den wir machen können!«

»Warum?«

»Wir sind in der Nähe der Feinde, und da so auf offenem Felde kampieren, ist doch wohl eine Unvorsichtigkeit?«

»Es ist im Gegenteile eine Klugheit, welche mir als sehr geboten erscheint. Wenn wir bis hinüber zum Berge reiten, wo es Büsche und Bäume giebt, könnt Ihr während meiner Abwesenheit beschlichen und ganz unversehens überfallen werden. Es genügt da ein einziger Roter, um Euch beide aus dem Hinterhalte zu erschießen und den Häuptling zu befreien.«

»Hm, das ist vielleicht richtig!«

»Nicht nur vielleicht! Wir haben uns ja schon vorgenommen, jeden Ort zu vermeiden, an dem Ihr überrumpelt werden könnt. Hier ist die Gegend frei, und Ihr könnt jeden Menschen, der sich Euch nähert, schon von weitem sehen; von einem plötzlichen Ueberfalle kann also keine Rede sein. Und sollten mehrere Rote kommen, was gar nicht zu erwarten steht, so könnt ihr Eure Gewehre nach allen Seiten richten und sie in Schach halten. Selbst den schlimmsten Fall gesetzt, daß Ihr Euch ihrer großen Ueberzahl wegen ihrer nicht erwehren könntet, so genügt die Drohung, ihren Häuptling zu töten, sie von Euch abzuhalten. Ihr selbst habt das vorhin zugegeben.«

»Well! Ich sehe ein, daß Ihr recht habt, Sir. Bleiben wir also hier an diesem Orte! Wann sucht Ihr die Roten auf?«

»Sobald ich den Häuptling sicher weiß.«

»Werdet Ihr gehen oder reiten?«

»Reiten.«

»Euch also nicht anschleichen?«

»Nein. Es ist am hellen Tage, und die Oertlichkeit eignet sich nicht dazu. Uebrigens komme ich als Parlamentär, als Abgesandter ihres Häuptlings und mit dem Totem desselben zu ihnen; das kann Old Shatterhand nur zu Pferde thun.«

»Und Eure Gewehre nehmt Ihr mit?«

»Ja.«

»Das ist viel gewagt. Es ist möglich, daß sie sie Euch abnehmen.«

»Pshaw! Ohne die Gewehre würde ich wahrscheinlich nichts, gar nichts ausrichten; jedenfalls sind sie in meinen Händen sicherer als anderswo. Jetzt herunter von den Pferden!«

Wir stiegen ab und nahmen To-kei-chun aus dem Sattel. Dann fesselte ich selbst ihn so, daß ich mich unbesorgt um ihn entfernen konnte. Als Dschafar und Perkins ihre Pferde angepflockt und sich zu dem Comantschen gesetzt hatten, ermahnte ich sie, eigentlich wohl ganz überflüssigerweise:

»Also haltet gut Wache! Hört auf keine Reden, Bitten und Versprechungen des Gefangenen, und laßt keinen Menschen zu Euch heran.«

»Macht Euch keine unnützen Gedanken, Sir!« antwortete Perkins. »Ich wollte, wir brauchten um Euch so wenig Sorge zu haben, wie Ihr um uns!«

»Umgekehrt, Mr. Perkins! Mir sollen die Roten nichts anhaben. Also Ihr wißt, wie Ihr Euch in jedem Falle zu verhalten habt?«

»In einem noch nicht.«

»Welchen meint Ihr?«

»Den, daß sie Euch festnehmen und Ihr nicht wiederkommt.«

»Dieser Fall tritt nicht ein, denn ich werde sagen, daß der Häuptling getötet wird, wenn ich nicht in einer bestimmten Zeit zurück bin. Ich wiederhole noch einmal: Laßt keinen Menschen zu Euch heran, ganz gleich, ob er es mit Gewalt oder mit List versucht! Der Häuptling darf nur durch mich selbst losgebunden und freigegeben werden!«

»Schon gut! Wir wissen nun alles. Wir wünschen Euch für Euer Vorhaben genau so großes Glück, wie groß hier unsere Wachsamkeit sein wird.«

Solche Reden hätten mich zwar beruhigen sollen, aber als ich mich nun wieder auf das Pferd setzte und weiterritt, geschah es doch nicht ohne alle Sorge.

Die Frist bis zum Anbruche der Dunkelheit betrug nun nur noch anderthalbe Stunde. In dieser Zeit mußte ich die Weißen frei haben; da ich aber wußte, wie langsam und bedächtig die Indianer bei solchen Verhandlungen zu sein pflegen, mußte ich mich jetzt sputen. Ich hielt also im Trabe auf die Häuptlingsgräber zu und untersuchte dabei vorsichtigerweise meine Gewehre und Revolver; ich mußte mich auf sie verlassen können, falls es zu Feindseligkeiten kommen sollte, was ich aber keineswegs erwartete.

Ich erwähnte vorhin, daß sich das Gebüsch auch westwärts an dem Berge hinzog. Um so spät wie möglich bemerkt zu werden, hielt ich mich zwischen den Ausläufern desselben, wo jeder einzelne Strauch mir Deckung bieten mußte. So kam ich an die Einbuchtung und bog um die Ecke derselben. Den Platz rasch überblickend, sah ich die Roten im Hintergrunde am Wasser lagern, also so, wie ich es vermutet hatte. Nur einige von ihnen befanden sich links bei den vier Gräbern; sie waren beschäftigt, diese für die morgende Feier dadurch zu schmücken, daß sie an da eingesteckten Lanzen ihre Medizinen aufhingen. Ihre Pferde weideten im Vordergrunde.

Natürlich wurde ich gesehen, sobald ich um die Ecke gebogen war. Ein Weißer hier an dieser ihnen so heiligen Stelle! Jetzt, wo sie das Kriegsbeil ausgegraben hatten! Das war geradezu unerhört, so unerhört, daß zunächst ein tiefe, tiefe Stille eintrat; dann aber brach die Rotte in ein um so wilderes, wahrhaft markerschütterndes Gebrüll aus. Die Kerle sprangen auf, ergriffen ihre Waffen und kamen auf mich zugesprungen. Sie zückten ihre Messer, schwangen ihre Flinten und Lanzen und umringten mich in allen möglichen drohenden Stellungen.

»Still, seid still!« überschrie ich ihr Geheul. »Hört, was ich euch zu sagen habe!«

Dabei wirbelte ich den schweren Bärentöter nach rechts und links, nach hinten und vorn, um einige Bursche, welche sich zu nahe an mich machten, von mir abzuhalten. Dadurch kam der eine und der andere mit dem Kolben in unangenehme Berührung; sie verstärkten ihr Geschrei und machten Miene, im Ernst auf mich einzudringen; da überbrüllte ein alter Kerl alle die andern:

»Uff, uff, uff! Schweigt, ihr Krieger der Comantschen! Der gute Manitou hat uns einen großen Fang gesandt. Dieser Mann ist das berühmteste unter allen Bleichgesichtern; er wird morgen mit denen, die dort hinten liegen, am Marterpfahle sterben.«

Ich sah über die Roten hinweg nach dem Hintergrunde; dort lagen die sechs weißen Gefangenen.

Als die Roten dem Alten gehorchten und schwiegen, fuhr er in triumphierendem Tone fort:

»Ich habe diesen weißen Mann nicht sogleich erkannt, weil er nicht den Anzug eines Jägers trägt. Hört seinen Namen, ihr Krieger der Comantschen! Es ist Old Shatterhand!«

»Old Shatterhand – – Old Shatterhand!« ertönte es rundum in erstauntem, aber auch drohendem Tone, aber die mir zunächst standen, wichen unwillkürlich zurück.

»Ja, ich bin Old Shatterhand, der Freund und Bruder aller roten Männer, welche das Gute lieben und das Böse hassen,« ließ ich mich nun wieder hören. »Hier bei euch am Marterpfahle sterben, das werde ich nicht, denn To-kei-chun, euer Häuptling, hat mich zu euch gesandt. Ich komme als sein Bote, und wer es wagen sollte, sich an mir zu vergreifen, den brauche ich nicht zu töten, denn To-kei-chun wird ihn bestrafen.«

Das klang so wahr und so zuversichtlich, daß es den beabsichtigten Eindruck nicht verfehlte. Sie wichen noch weiter zurück und flüsterten sich leise Bemerkungen zu. Die Augen waren zwar feindselig auf mich gerichtet, aber wie auf einen Feind, den man nicht anzugreifen wagt. Nur der Alte trat einen Schritt näher und rief mir zu:

»To-kei-chun hat dich gesendet? Das ist eine Lüge!«

»Wer kann sagen, daß Old Shatterhand jemals gelogen habe?« fragte ich.

»Ich!« antwortete er.

»Wann und wo?«

»Damals als du unser Gefangener warst und uns doch entkamst.«

»Das lügest du selbst! Sprich, welche Lüge soll ich damals gesagt haben?«

»Nicht mit Worten, sondern durch die That hast du damals gelogen. Du gebärdetest dich als unser Freund und handeltest doch als unser Feind!«

»Dein Mund ist voller Unwahrheit. Hatte ich nicht den Sohn To-kei-chuns in meiner Gewalt? Sollte er nicht sterben? Habe ich ihm nicht das Leben geschenkt und ihn sicher zu euch geführt? Aber welchen Lohn bekam ich dafür? Ihr behandeltet mich als Gefangenen! Wessen Thun war da verwerflich? Das meinige oder das eurige?«

»Du durftest fort und befreitest auch die andern Gefangenen!« antwortete er, schon weniger zuversichtlich.

»Sie waren meine Gefährten, und die Versammlung eurer weisen Männer gab sie frei.«

»Weil du sie durch deine Faust und mit deinen Gewehren dazu zwangst. Du bist nicht unser Freund und Bruder, und To-kei-chun hat dich nicht zu uns gesandt!«

»Es ist genau so, wie ich sage: er schickt mich her!«

»Kannst du es beweisen?«

»Ja.«

»Uff! Wie will die Klapperschlange beweisen, daß sie nicht giftig ist! Oeffne deinen Mund, und erfahre dann, ob wir dir Glauben schenken!«

»Ihr werdet mir glauben, denn ich habe euch ein Totem zu übergeben.«

»Ein Totem? Von To-kei-chun? Er ist zurückgeblieben. Warum sendet er einen Boten? Warum kommt er nicht selbst?«

»Weil er nicht kann.«

»Warum kann er nicht? Gieb das Totem her!«

»Wer ist in seiner Abwesenheit der Anführer? Der soll es erhalten.«

»Ich bin es.«

»Kannst du ein Totem lesen?«

»Ja. Mehrere von uns können das.«

»Da hast du es.«

Ich zog die Blätter aus der Tasche und gab sie ihm. Er nahm sie und gebot seinen Leuten:

»Umringt dieses Bleichgesicht, und laßt es nicht von der Stelle! Es will uns betrügen. Ein Totem wird auf Leder gemacht, aber nicht auf so ein Ding, was die Weißen Papier nennen. So ein Papier kann nie als Totem gelten.«

Ah! Nie als Totem gelten! Also darum der befriedigte Blick des Häuptlings, als ich ihm sagte, er solle auf Papier schreiben! Diese Zeichnung galt nicht als Totem; sie schützte mich nicht! Nun, ich hatte trotzdem des Schutzes genug. Infolge der Aufforderung drängten sich seine Leute wieder näher an mich. Da nahm ich den Stutzen zur Hand und rief:

»Zurück von mir! Habt ihr nicht von diesem Zaubergewehre gehört, mit welchem ich ohne Aufhören schießen kann, ohne zu laden? Wer seine Hand nach einer Waffe oder gar nach mir selbst ausstreckt, der bekommt eine Kugel! Macht Platz! Ich will nicht fort, aber ich gehe dahin, wohin es mir gefällt!«

Ich spannte den Hahn des Stutzens, nahm das Repetiergewehr par pistolet in die rechte Hand, ließ meinen Schwarzschimmel, um mir Raum zu machen, mit ausschlagenden Hufen im Kreise springen und lenkte ihn dann nach dem Hintergrunde, wo die Gefangenen lagen.

Ich wußte wohl, was ich that, was ich riskieren durfte. Es gab wohl keinen unter den Comantschen, der nicht von diesem meinem »Zaubergewehre« gehört hatte. Ihr Aberglaube ließ ihnen den Stutzen als eine Waffe erscheinen, welcher gegenüber es keinen Widerstand gab. Sie sahen ihn schußfertig in meiner Hand und wichen zurück. Erst als ich durch ihren Haufen war, kamen sie hinter mir her, doch in für mich genügender Entfernung. Nur der Alte wagte sich näher und rief mir zu:

»Wo willst du hin? Zu den gefangenen Bleichgesichtern?«

»Ja.«

»Das darfst du nicht!«

»Wer will es mir untersagen?«

»Ich.«

»Pshaw!«

Ich antwortete nur dieses eine Wort und ritt weiter. Da kam er noch näher, streckte die Hand nach meinem Zügel aus und schrie:

»Nicht weiter, sonst nehme ich dich gefangen!«

»Versuche es! Wer wagt es noch von euch, Old Shatterhand etwas zu verbieten, was ihm zu thun gefällt?«

Ich hielt mein Pferd an und richtete den Lauf des Stutzens auf den Alten.

»Uff, uff!« erscholl da sein Angstruf, mit welchem er im Haufen der Seinen verschwand. Ein anderer an meiner Stelle wäre von den Comantschen vom Pferde gerissen und sofort getötet oder wenigstens gefesselt worden; mir geschah dies nicht. Warum? Das hatte mehrere Gründe. Erstens wußten sie nun doch, daß ich von ihrem Häuptling gesandt worden war. Zweitens wirkte die Furcht vor meinem Gewehre. Drittens stand ich überhaupt bei ihnen in einem Rufe, der mir ein solches Wagnis ermöglichte. Was bei einem andern Tollkühnkeit hätte genannt werden müssen, war bei mir nur einfache Berechnung und Ausnützung dieser Umstände. Und endlich viertens wußte ich, daß mein Auftreten geradezu verblüffend wirken mußte. Ich zeigte, um den richtigen Ausdruck zu gebrauchen, eine Frechheit, die ihnen aber als etwas ganz anderes erschien. Das, was ich that, war in ihren Augen nicht das Verhalten eines verwegenen Menschen, sondern die Handlung einer mit einer »höhern Medizin« ausgestatteten und vom »großen Manitou« bevorzugten Persönlichkeit.

Ich lenkte mein Pferd wieder nach dem Hintergrunde, von woher mir der laute Ruf entgegenscholl:

»Old Shatterhand! Gott sei Dank! Euch hier zu sehen, ist das höchste der Gefühle!«

Ich hatte für diese Worte Jim Snuffles keine Erwiderung, weil ich die Roten nicht noch mehr aufregen wollte, hielt in der Nähe der Weißen an der Felswand an, stieg vom Pferde und setzte mich so nieder, daß ich an der Wand lehnte und den Rücken also frei hatte. Die Indianer bildeten einen Halbkreis um mich, doch in respektvoller Entfernung, weil ich den Stutzen noch immer schußfertig hielt. Ich befand mich, wenigstens einstweilen, in vollständiger Sicherheit.

Der vorhin eingeschüchterte Alte ließ sich jetzt wieder sehen; ich winkte ihm zu und forderte ihn auf:

»Mein roter Bruder mag nun das Totem lesen! Er wird aus demselben ersehen, daß ich gekommen bin, To-kei-chun, den Häuptling der Comantschen, vom Tode zu erretten.«

»Vorn Tode?« fragte er schnell und erschrocken. »Befindet er sich in Gefahr?«

»In einer sehr großen. Wenn ich nicht von jetzt an in der Zeit, welche wir Weißen eine halbe Stunde nennen, zu ihm zurückgekehrt bin, muß er sterben.«

»Uff – uff – uff – – uff!« ertönte es erschrocken im Halbkreise.

Der Alte setzte sich mir grad gegenüber nieder und nahm die Blätter vor, um sie zu entziffern. Ich betrachtete dabei sein Gesicht aufmerksamer, als ich es bisher gethan hatte; er wohl ein kluger, vielleicht gar ein pfiffiger Kerl. Schon nach kurzer Zeit hob er schnell den Kopf empor und warf einen langen, stechenden Blick auf mich. Er hatte die erste Figurengruppe enträtselt und wußte nun, daß sein Häuptling sich in meiner Gefangenschaft befand. Dann setzte er das mühsame Studium des Totems fort.

Von jetzt an verzog er keine Miene mehr; er verstand es, den Eindruck, den das, was er erfuhr, auf ihn machte, vollständig zu verbergen. Als er das letzte Blatt weglegte, blickte er lange und nachdenklich zur Erde nieder; er überlegte; ich hielt es nicht für gut, ihn dabei zu stören. Dann sah er mich wieder an, und zwar in einer Weise, welche, wenn ich meiner Sache nicht so sicher gewesen wäre, mich wohl um mich besorgt gemacht hätte.

Hierauf winkte er einen Roten herbei, einen starken, gewandt aussehenden Kerl, der sich zu ihm setzen mußte. Sie sprachen leise, sehr leise miteinander, wobei weder der eine noch der andere zu mir herübersah. Das dauerte eine ziemliche Weile, bis der zweite aufstand und wieder in den Halbkreis zurücktrat.

Diese sonderbare Wirkung des Totems wollte mir gar nicht gefallen. Ich hatte große Aufregung mit wütender Bedrohung meiner Person erwartet, und nun diese Ruhe! Sie wurde mir nachgerade unheimlich, zumal sie solange anhielt; denn der Alte sagte noch immer nichts, sondern blickte wieder wortlos und still vor sich nieder, und die Roten standen um uns her und hingen mit verlangenden Blicken an ihm, ohne daß er ihrer gespannten Wißbegierde ein Ende machte. Da mußte ich ihn denn doch nun fragen:

»Hat mein roter Bruder das Totem des Häuptlings verstanden?«

»Ja,« antwortete er.

Und nun stand er langsam auf und richtete an die Seinen die mir wieder sonderbare Aufforderung:

»Es ist etwas geschehen, was man für unmöglich halten sollte. Meine Brüder werden es sogleich hören; sie mögen aber nichts sagen, sondern sich ganz ruhig dabei verhalten; dies ist mein Befehl und geschieht um unsers Häuptlings willen!«

Hierauf wendete er sich mir wieder zu und fragte:

»Old Shatterhand hat To-kei-chun gefangen genommen?«

»Ja,« antwortete ich.

»Ist der Häuptling dabei verletzt worden?«

»Nein.«

»Es ist kein Blut geflossen?«

»Nein.«

»Es waren zwei Weiße dabei, darunter derjenige, der uns gestern am Flusse so heimlich entkommen ist?«

»Ja.«

»Was wird mit To-kei-chun geschehen?«

»Er muß sterben, wenn ich nicht in einer Viertelstunde bei ihm bin. Also bedenke wohl die Befehle, welche er dir auf seinem Totem giebt.«

»Er sagt mir, daß du ihn freilassen willst. Wofür?«

»Für die sechs Gefangenen hier. Doch ist es eigentlich anders. Um seine Medizin zu retten, will er mir diese sechs Weißen geben. Wann auch er die Freiheit erhält, das soll auf meine Güte ankommen.«

»So ist es; es steht auf dem Totem. Aber wir brauchen diesem Totem nicht zu gehorchen, weil es nicht von Leder ist; das weiß er gar wohl.«

»Dann verliert er das Leben!«

»Er wird nicht sterben. Old Shatterhand ist sonst ein kluges Bleichgesicht; diesmal aber hat er sich verrechnet.«

»Meine Rechnung ist richtig; darauf kannst du dich verlassen!«

Ich sagte das, um ihn zu einer unvorsichtigen Aeußerung zu verleiten. Sein Verhalten ließ auf irgend eine Hinterlist schließen, die ich entdecken wollte. Es glückte mir, meine Absicht zu erreichen, denn er antwortete:

»Sie ist falsch; das wirst du in kurzer Zeit einsehen. Warte nur, bis ich mich mit den ältesten dieser Krieger beraten habe!«

»So beeilt euch, denn wenn die angegebene Frist verstrichen ist, kann der Häuptling nicht mehr gerettet werden.«

Er suchte trotz dieser Aufforderung zur Schnelligkeit nur sehr langsam einige Rote aus, mit denen er sich niedersetzte, um leise mit ihnen zu verhandeln. Die übrigen verhielten sich nach seinem Befehle ruhig, aber die funkelnden Blicke, die sie einander zu- und auf mich warfen, zeugten von der Erregung, in der sie sich befanden.

»Sie ist falsch; das wirst du in kurzer Zeit einsehen,« lautete also seine Antwort, die mir von großer Wichtigkeit war. Er hatte etwas vor, was ich nicht wissen sollte. Vielleicht war es schon im Gange! Aber was? Es konnte nur die Befreiung des Häuptlings sein. Wenn diese gelang, gerieten Dschafar und Perkins in Gefangenschaft, und ich wurde hier überwältigt.

Wenn er diesen Plan wirklich hegte, so war derselbe gar nicht schwer auszuführen. Aus dem Totem wußte er, daß nur zwei Wachen bei dem Häuptling sein konnten. Die Frist, welche ich ihm gestellt hatte, sagte ihm die ungefähre Entfernung des Ortes, an welchem To-kei-chun zurückgehalten wurde. Und dieser Ort war leicht zu finden; man brauchte ja nur meine Spur von hier aus rückwärts zu verfolgen. Wenn meine Vermutung richtig war, so kam es nur darauf an, wie Dschafar und Perkins sich verhielten, ob sie so handelten, wie ich ihnen befohlen hatte.

Er sprach leise auf die andern Berater ein, die sich nicht enthalten konnten, mir triumphierende Blicke zuzuwerfen. Dies und sein pfiffiges Gesicht bestärkten mich in der Ueberzeugung, daß ich richtig dachte. Dabei spielte er mit den Papierblättern, nahm sie auseinander und legte sie wieder zusammen. Gewohnt, auf alles zu achten, bemerkte ich, daß jetzt ein Blatt fehlte.

Ah, sollte er es dem Roten gegeben haben, mit dem er zuerst gesprochen hatte? Es war das leicht möglich gewesen, ohne daß ich es sehen konnte. Durch dieses Papier konnten meine beiden Gefährten leicht zu einer Unvorsichtigkeit verleitet werden. Es brauchte nur ein Roter sich ihnen zu nähern, das Blatt emporzuhalten und dabei zu sagen, daß es von mir komme und eine Weisung enthalte. Mir wurde bange. Ich mußte wissen, woran ich war. Ich wußte, wieviel Rote sich hier befanden; ich mußte sie zählen. Weil ich an der Erde saß, konnte ich sie nicht überblicken; ich stand also auf. Um diese Bewegung möglichst harmlos erscheinen zu lassen, griff ich in die Satteltasche und nahm ein Stück Hasenfleisch heraus, welches ich mir aufgehoben und da hineingethan hatte. Ich aß es, indem ich stehen blieb und mein Auge über die Indianer gleiten ließ.

Diese waren durch mein Aufstehen aufmerksam geworden; als sie mich aber essen sahen, legten sie dieser Veränderung meiner Stellung keine Bedeutung bei. Ein Weißer, welcher ruhig ißt, obwohl er sich in einem feindlichen Indianerlager befindet, hat sicherlich nichts Besorgniserweckendes vor. Also ich zählte; es fehlten fünf Mann, darunter der Rote, mit welchem der Alte zuerst gesprochen hatte. Waren sie fortgegangen oder fortgeritten? Wahrscheinlich das letztere, um keine Zeit zu verlieren. Daß sie zu den Pferden gegangen waren, hatte ich nicht sehen können, weil ich umringt war. Durfte ich ruhig abwarten, was geschehen würde? Nein! War der Häuptling frei, und fand er Zeit, das Lager zu erreichen, so hatten wir das Spiel verloren. Gelang es mir aber, ihm unterwegs zu begegnen, konnte ich den Fehler vielleicht noch ausgleichen. Da mußte ich mich aber beeilen!

Ich hatte, obgleich ich vorhin saß, den Bärentöter quer auf dem Rücken und den Stutzen in der Hand behalten; ich war also nicht durch das Ergreifen der Gewehre gezwungen, die Aufmerksamkeit vorzeitig auf mich zu ziehen. Daß der Alte nur fünf Krieger fortgeschickt hatte, war jedenfalls in der Erwägung begründet, daß ich das Fehlen einer größeren Anzahl hätte bemerken müssen. Fünf nur, das beruhigte mich einigermaßen; aber desto mehr standen hier, deren Kugeln sehr wahrscheinlich hinter mir herpfeifen würden!

Da winkte der Alte noch einigen Roten, die sich auch zu ihm setzen sollten; das lenkte die Blicke nach der betreffenden Stelle hin, während auf mich niemand sah. Diesen günstigen Augenblick benutzte ich sofort, schwang mich in den Sattel, gab dem Pferde die Sporen und flog davon, mitten unter die Indianer hinein. Ich lenkte den Schimmel absichtlich nach dem Punkte, wo sie am dichtesten standen, denn je größer die Verwirrung war, welche ich anrichtete, desto später besannen sie sich darauf, mir zu folgen.

Ich überritt fünf oder sechs, riß ebensoviele um und lenkte dann nach der Ecke, um welche ich gekommen war. Im ersten Augenblicke vor Ueberraschung still, erhoben sie dann ein Geheul, welches wie von wilden Tieren klang. Wahrscheinlich sprangen sie hierauf zu ihren Pferden; aber schon flog ich um die Ecke und auf meiner Fährte weiter; ein einziger Blick auf sie sagte mir, daß die fünf Comantschen ihr wirklich gefolgt waren.

Säumen gab es da nicht. Ich trieb meinen Schimmel zur höchsten Eile an; wir flogen wie ein Wetter durch das lichte Gebüsch. Nach einiger Zeit lenkte ich aus demselben hinaus, um einen Blick auf die freie Ebene werfen zu können. Ah, da draußen kam ein Reitertrupp im Galopp auf den Berg und das Buschwerk zu! Den fünf Comantschen war ihr Streich also gelungen. Sie hatten ihren Häuptling befreit und Dschafar und Perkins gefangen genommen. Nun hatte ich also sechs Rote vor mir und eine Rotte von über sechzig hinter mir, doch gab es kein Bedenken.

Es galt, den Häuptling wieder zu ergreifen und die beiden Gefährten zu befreien. Das wäre gar nicht schwer gewesen, wenn ich die fünf Roten hätte erschießen wollen; aber dies widerstrebte mir selbst in dieser mehr als peinlichen und bedrängten Lage. Nur kein Menschenblut vergießen! Die Pferde freilich konnte ich nicht schonen; sie mußten fallen, wenn ich meinen Zweck erreichen wollte.

Die Gefahr, welcher ich mich auszusetzen hatte, war nicht gering. Auch abgesehen von den vielen Verfolgern hinter mir, hatte ich vor mir Feinde, welche ich nicht unterschätzen durfte. Man schickt nicht schlecht ausgerüstete Leute aus, um Feinde zu fangen; die fünf Comantschen waren also jedenfalls gut bewaffnet, und der Häuptling hatte sein Messer und sein Gewehr zweifelsohne wieder in den Händen; dazu kamen die Waffen, welche Dschafar und Perkins abgenommen worden waren. Ich hatte mich sehr in acht zu nehmen!

Alle diese Erwägungen flogen mir durch den Kopf, während ich wieder durch das Gebüsch galoppierte, denn ich war, nachdem ich die Nahenden gesehen hatte, natürlich nicht draußen im Freien geblieben, weil sie mich nicht sehen durften. Ich jagte weiter bis zu der Stelle, an welcher die Spur aus den Sträuchern auf das offene Feld hinausführte. Dort hielt ich mein Pferd an und streichelte ihm den Hals, um es zum ruhigen Stehen zu veranlassen, denn ich durfte keinen Fehlschuß thun, und ebensowenig durfte ich absteigen, weil ich vielleicht gezwungen war, einen oder einige Rote niederzureiten. Ich selbst war nicht im geringsten aufgeregt und konnte mich auf meine sichere Hand verlassen.

Ich nahm den Stutzen vor. Hinter dem äußersten Gesträuch haltend, lugte ich hinaus. Würden die Erwarteten nach der Stelle kommen, an welcher ich mich befand? Ja, sie kamen im Trabe gerade auf dieselbe zu. Schon konnte ich ihre Gesichter erkennen.

Voran ritt der Häuptling mit dem auf das Knie gestemmten Gewehre in der Hand. Hinter ihm folgten drei Rote nebeneinander, und dann kamen zwei, welche die Pferde an den Zügeln führten, auf denen Perkins und Dschafar saßen. Als sie bis auf etwa vierzig Schritt herangekommen waren, legte ich den Stutzen an. Mein Pferd stand still wie eine Mauer. Der erste Schuß traf das Tier des Häuptlings; es that noch einige Sätze und überschlug sich dann; in welche Lage To-kei-chun dabei kam, das durfte ich nicht beobachten, denn ich hatte meine Augen auf die Pferde seiner Leute zu richten; fünf weitere Schüsse, und sie stürzten eins schnell nach dem andern. Jetzt erst sah ich wieder nach dem Häuptling. Er lag unter seinem Tiere und bemühte sich, hervor und aus dem Bügel zu kommen, in dem er hängen geblieben war; sein Gewehr war ihm aus der Hand und weit fortgeschleudert worden. Zwei Indianer wälzten sich noch auf der Erde; die andern drei hatten sich aufgerafft und starrten erschrocken nach der Stelle, von welcher die Schüsse gekommen waren. Ich stieß den Kriegsruf der Indianer aus und galoppierte hinaus und auf sie zu. Als sie mich sahen, dachten sie an keinen Widerstand und rannten davon. Die beiden andern waren nun auch aufgekommen und liefen laut schreiend hinter ihnen her. Ich war sie los und schickte ihnen noch zwei Schreckschüsse nach.

Nun zu dem Häuptling! Eben war er losgekommen und richtete sich auf. Ich trieb mein Pferd an ihm vorbei und gab ihm dabei einen Kolbenschlag, der ihn wieder niederwarf; er blieb bewußtlos liegen. Jetzt konnte ich an die Gefährten denken. Sie hielten nebeneinander auf ihren Pferden, die sie nicht lenken konnten, weil ihnen die Hände nach hinten gefesselt waren; die Füße hatte man ihnen an die Bügel gebunden. Ich sprang schnell ab, durchschnitt ihnen die Riemen und sagte:

»Sprechen wir später; jetzt müssen wir fort! Ich habe wahrscheinlich über sechzig Rote hinter mir, die mich verfolgen. Gebt mir nur rasch den Häuptling herauf!«

Ich schwang mich wieder in den Sattel; sie aber stiegen ab und hoben To-kei-chun zu mir empor. Ich legte ihn wie schon einmal quer vor mich herüber, und dann ging es fort, im Galopp auf die Ebene hinaus. Keine halbe Minute später hörten wir hinter uns ein vielstimmiges Geheul. Mich umblickend, sah ich die Verfolger, welche soeben das Gebüsch verlassen hatten, bei den erschossenen Pferden angekommen waren und ihre fünf Kameraden bemerkten, welche in ihrer Flucht innegehalten und mein Beginnen von weitem beobachtet hatten. Sie sahen natürlich nicht nur uns, sondern auch den Häuptling in meinen Armen, verdoppelten ihr Wutgeschrei und kamen hinter uns hergestoben.

»Alle Teufel, sie werden uns einholen!« rief Perkins voller Angst.

»Das werde ich mir verbitten,« antwortete ich. »Eure Furcht ist ohne allen Grund, denn wir haben nun gewonnen.«

»Das mag der Himmel geben, wenn ich auch nicht weiß, auf welche Weise!«

»Beeilen wir uns nicht zu sehr! Es ist vielmehr meine Absicht, sie näherkommen zu lassen.«

Die Verfolger waren so weit hinter uns, daß ich sie mit dem Bärentöter aber nicht mit dem Stutzen erreichen konnte. Da begann der Häuptling sich zu regen. Wir mußten anhalten, um ihn zu binden, und stiegen darum ab. Wir befestigten ihm die Hände auf dem Rücken, wobei er vollends zu sich kam. Er sah seine Leute kommen und wollte sich sträuben, um uns um die kostbare Zeit zu bringen; da richtete ich den Stutzen auf ihn und drohte:

»Noch eine einzige Bewegung, und ich erschieße dich! Es ist mein Ernst! Setzt ihn aufrecht auf das Pferd, und bindet ihn da fest!«

»Warum aufs Pferd?« fragte Perkins.

»Weil da seine Halunken deutlich sehen, was für ein schönes Ziel er meinem Gewehre bietet. Wir spielen unsern Trumpf jetzt aus.«

Er mußte einsehen, daß es mir jetzt mit meiner Drohung Ernst war, und fügte sich. Sein Widerstand hatte uns doch so aufgehalten, daß uns die Comantschen beträchtlich näher gekommen waren.

»Sie kommen, sie kommen; sie werden sogleich da sein!« klagte Perkins.

»Sie werden im Gegenteile sogleich halten bleiben,« antwortete ich. »Ich werde sie sogleich darum ersuchen.«

Ich legte den Bärentöter an und schoß die beiden Läufe desselben ab; zwei Pferde stürzten und ihre Reiter mit; natürlich hatte ich nur die ersteren getroffen. Die Roten ritten dennoch weiter. Da richtete ich den Stutzen auf sie und warf mit sechs schnell aufeinander folgenden Schüssen ebensoviele Pferde nieder. Da hielten sie freilich an und sandten uns ein Wutgeheul zu. Ich benützte dies, um wieder zu laden, und sagte dabei in drohendstem Tone zu To-kei-chun:

»Schau nach der Sonne, wie tief sie bereits steht! Sobald sie den Horizont berührt, erschieße ich dich, wenn die gefangenen Bleichgesichter mir nicht bis dahin ausgeliefert worden sind. Old Shatterhand schwört nie; dieses Wort aber ist wie ein Schwur. Rechne ja nicht länger auf meine Nachsicht; sie ist zu Ende!«

Er lächelte mit überlegenem Grinsen zu mir vom Pferde herunter und antwortete:

»Old Shatterhand wird mich nicht erschießen!«

»Meinst du? Welche Gründe könnte ich wohl haben, dies nicht zu thun?«

»Zwei Gründe.«

»Nenne sie!«

»Old Shatterhand vergießt nie Blut, außer im Kampfe, und auch da nur dann, wenn es sein Leben gilt und er gar nicht anders kann.«

»In diesem Falle befinde ich mich doch jetzt!«

»Nein!«

»Doch! Stehe ich nicht deinen Leuten gegenüber? Wollen sie mich nicht angreifen? Ist das nicht Kampf? Sie wollen auf mich schießen. Gilt es da nicht mein Leben?«

»Sie wollen dich nur fangen.«

»Das ist Ausrede. Wenn es ihnen gelänge, mich festzunehmen, müßte ich am Marterpfahle sterben. Es handelt sich also sehr um mein Leben. Und der andere Grund?«

»Die Klugheit verbietet dir, mich zu erschießen. Ich bin ein Geisel in deinen Händen, den du nicht vernichten darfst. Du willst die Bleichgesichter retten; das kannst du nur dadurch, daß ich mich in deiner Gewalt befinde. Ich lache also über deine Drohung.«

Bei diesen Worten grinste er mich wieder triumphierend an. Jetzt lachte ich ihm auch in das Gesicht und entgegnete:

»To-kei-chun hält sich für sehr klug und ist überzeugt, jetzt durch seine Pfiffigkeit Old Shatterhand überwunden zu haben; aber was du für List hältst, ist nicht List, sondern Kurzsichtigkeit. Ja, ich betrachte dich als einen Geisel, den ich gegen die Bleichgesichter austauschen will. Ich habe dich darum aufgefordert, jetzt die Auswechslung zu bewerkstelligen; du weigerst dich, weil du glaubst, daß ich meine Drohung, dich im Weigerungsfalle zu töten, nicht ausführen werde. Dadurch wirfst du deine beiden eigenen Gründe über den Haufen. Freiheit gegen Freiheit, Leben um Leben! Giebst du mir die Gefangenen, so lasse ich dich los. Giebst du mir sie nicht, so willst du ihren Tod; dann habe ich keine Ursache mehr, dich zu schonen, und werde dich erschießen.«

»Dann müssen auch die Bleichgesichter sterben!«

»Sie werden ohnedies getötet, weil du sie nicht herausgeben lassen willst.«

»Sie würden augenblicklich erschossen!«

»Du noch eher als sie! Und es ist besser, sie werden gleich jetzt erschossen, als daß sie langsam am Marterpfahle sterben.«

»Und meine Leute würden auch euch hier überfallen und umbringen!«

»Pshaw! Dort halten sie. Wagen sie sich zu uns heran?«

»Sie werden es, wenn mich deine Kugel getroffen hat!«

»Das glaube nicht! Sie werden, wie gewöhnlich, ein ohnmächtiges Wutgeheul erheben, aber sich vor dem Zaubergewehre Old Shatterhands fürchten. Ich halte mein Wort: Du stirbst, wenn die Sonne herunter ist, falls die Bleichgesichter noch nicht freigegeben worden sind. Verhandle also nicht, sondern benutze die Zeit, die sonst verstreicht. Die Sonne hat nur noch zwei Hand breit niederzugehen, dann geht auch die deinige unter!«

Da fiel Dschafar mit kräftiger Betonung ein:

»Gebt Euch doch keine solche Mühe mit diesem roten Kerl, Sir! Wir fürchten uns vor seinen Halunken nicht. Wenn die Frist verstrichen ist, die Ihr ihm gegeben habt, so bekommt er eine Kugel, und wir wollen sehen, ob diese Kerls es wagen, uns anzugreifen. Ich sage Euch, ich warte nur darauf, daß die Sonne den Horizont berührt. Wenn Ihr dann nicht schießt, so schieße ich; das schwöre ich Euch zu! Der Halunke hat es nicht um mich verdient, daß ich ihn schone! Solches Ungeziefer muß man von der Erde vertilgen, daß es fernerhin weiter keinen Schaden machen kann!«

»Hast du es gehört?« warnte ich den Häuptling. »Es ist uns ernst; also besinne dich schnell!«

Er wäre ganz und gar ohne Verstand und Ueberlegung gewesen, wenn er jetzt nicht eingesehen hätte, daß die beiden Trümpfe, die er gegen mich ausgespielt hatte, bei uns keine Geltung besaßen. Dennoch ließ er es bis zum Aeußersten kommen, denn er wartete, finster vor sich niederblickend und ohne ein Wort zu sagen, bis die Sonne in höchstens einer Minute den Horizont berühren mußte. Da nahm Dschafar sein Gewehr auf und sagte:

»Jetzt wird es Zeit, Mr. Shatterhand. Wer soll schießen? Ihr oder ich?«

»Alle beide,« antwortete ich.

»Nein, alle drei,« fiel Perkins ein. »Ihr sollt nicht allein den Vorzug haben, die Menschheit von diesem Schufte befreit zu haben. Gebt nur das Zeichen, Sir!«

Diese Aufforderung war, indem er sein Gewehr auf den Häuptling anlegte, an mich gerichtet. Ich hob meinen Stutzen, richtete das Auge auf die Sonne und antwortete:

»Gut, ich bin einverstanden; mag er also drei Kugeln bekommen anstatt nur eine. Zielt nicht auf sein Herz, sondern auf seinen Kopf! Der Tod mag ihn in sein schwaches Gehirn treffen. Dann nehmen wir ihm die Skalplocke die Medizin und werfen beides den Prairiewölfen vor, damit seine Seele nicht in den ewigen Jagdgründen erscheinen darf.«

Als er die Mündung der drei Gewehre auf seine Stirn gerichtet sah, gab er den Widerstand auf und rief aus:

»Schießt nicht! Ich bin bereit, zu thun, was ihr wollt!«

»Ohne allen Hintersinn?« fragte ich.

»Ja. Der große Geist ist diesmal gegen mich; er will, daß ich nachgebe, und ich gehorche ihm.«

»Ob du ihm oder aus Angst vor uns gehorchest, ist ganz dasselbe. Ruf deinen Kriegern zu, die Gefangenen loszubinden und sie uns herzuschicken! Vorher aber müssen sie ihnen alles zurückgeben, was sie ihnen abgenommen haben. Wenn nur der geringste Gegenstand fehlt, bekommst du die drei Kugeln, welche dir zugedacht waren.«

»Sie sollen alles wiederhaben; aber dann giebst du mich auch frei?«

»Dazu bin ich nicht verpflichtet.«

»Du hast aber doch gesagt: Freiheit gegen Freiheit!«

»Allerdings; aber vergiß nicht, was geschehen ist und was wir ausgemacht haben! Du hast uns die Gefangenen nur dafür auszuliefern, daß wir deine Medizin schonen, bleibst jedoch unser Gefangener. Einen Mord wollen wir nicht begehen, und ich halte es für einen Mord, wenn wir dir nachträglich das Leben nähmen. Du sollst also die Freiheit erhalten, aber wann, das ist meiner Güte anheimgestellt.«

»So wollt ihr mich mit euch schleppen?«

»Nein. Ich werde vielmehr so gnädig sein, dich heut schon freizugeben, und nicht nur heut, sondern sofort dann, wenn die Bleichgesichter mit allem, was ihnen gehört, hier bei uns eingetroffen sind. Wir werden dies mit der Pfeife des Friedens bekräftigen.«

»So will ich einen meiner Krieger herbeirufen und ihm befehlen, was geschehen soll.«

»Thue es! Das ist besser, als wenn du deine Befehle aus der Ferne giebst.«

Er rief seinen Leuten einen Namen zu, befahl dem Träger desselben, zu uns zu kommen, und gab ihm die Versicherung, daß ihm nichts geschehen werde. Der Betreffende gehorchte der Aufforderung und kam, freilich langsam und mißtrauisch, herbeigeritten. Als er in einiger Entfernung zögernd anhielt, forderte ich ihn auf:

»Komm vollends heran! Wir werden dich nicht als Feind behandeln.«

»Ist das keine List von dir?« fragte er vorsichtig.

»Nein. Ich gebe dir mein Wort, und Old Shatterhand hat noch nie sein Wort gebrochen.«

Da kam er vollständig heran, und To-kei-chun sagte ihm, was zu geschehen hatte. Er war sichtlich nicht entzückt darüber, ließ aber kein Wort des Widerspruches, nicht einmal eine Bemerkung hören, und ritt dann wieder fort. Wir sahen ihm nach, sehr gespannt darauf, welchen Eindruck seine Botschaft auf die Indsmen hervorbringen werde.

Sie scharten sich im Kreise um ihn; bald entstand eine unruhige Bewegung unter ihnen, aber zu hören gab es nichts; sie sahen ein, daß sie gehorchen mußten, und ergaben sich schweigend in das Unvermeidliche. Nach einer Weile öffnete sich ihr Kreis, und wir sahen die Gefangenen auf ihren Pferden erscheinen. Sie hatten ihre Gewehre und kamen schnell auf uns zugeritten; kein Roter folgte ihnen.

Die beiden Snuffles waren auf ihren Maultieren voran. Noch ehe sie uns erreicht hatten, rief mir Jim zu:

»Endlich mußten die Kerls Verstand annehmen! Es war aber auch Zeit dazu, denn morgen früh sollten wir ausgelöscht werden!«

»Hättet es eigentlich auch nicht anders verdient,« antwortete ich kurz. »Kommt her; steigt ab, und seid Zeugen des Abkommens, welches ich mit To-kei-chun treffen werde!«

»Abkommen? Was für ein Abkommen soll da noch zu treffen sein? Wir sind frei; er aber ist noch gefangen und wird ausgelöscht! Das ist doch ganz selbstverständlich!«

»Nicht so sehr, wie Ihr denkt. Habt Ihr Euer Eigentum zurückerhalten?«

»Ja.«

»Alles? Wem etwas fehlt, der mag sich melden.«

Es ergab sich, daß die Roten nur einige Kleinigkeiten behalten hatten. Das waren Gegenstände, auf welche leicht verzichtet werden konnte; ich sah also von Reklamationen, welche ja doch nur Weitläufigkeiten und Zeitversäumnis ergeben hätten, ab, denn es begann schon zu dunkeln, und ließ dem Häuptlinge die Fesseln abnehmen, sodaß er frei vom Pferde steigen konnte. Jim Snuffle wollte dagegen Einspruch erheben, ich bemerkte ihm aber in einem keineswegs freundlichen Tone:

»Ihr habt hier gar nichts zu befehlen, Mr. Snuffle, sondern Euch ruhig in das zu fügen, was ich bestimme!«

»Aber bedenkt doch, Sir, was Ihr da für einen Fehler begeht!« entgegnete er. »Dieser Schurke hat den Tod verdient und soll doch, wie es scheint, freigelassen werden. Das muß für ihn doch das allerhöchste der Gefühle sein!«

»Bekümmert Euch einstweilen nicht um seine Gefühle, sondern um die Eurigen! Ihr werft mir einen Fehler vor. Was habt denn Ihr gemacht?«

»Ich? Wann denn?«

»Als Euer Bruder so schön mitten in das Lager der Roten hinein Schlitten fuhr!«

»Ich wollte ihn heraushauen. War das etwa ein Fehler?«

»Was denn sonst?«

»Meine Pflicht war es, aber kein Fehler. Ich werde doch meinen Bruder nicht stecken lassen sollen!«

»Das solltet Ihr auch nicht; ich wenigstens hätte es Euch nicht zugemutet. Aber war es da grad notwendig, ihm so kopflos und kopfüber nachzustürzen und Euch den Roten auch gefangen zu geben?«

»Hm! Wurde so hineingetrieben; konnte mich nicht halten; mußte hin zu meinem alten Tim. Da fielen die Kerls über mich her und nahmen mich bei allen meinen Gliedern. Ich wehrte mich zwar so gut, wie ich konnte, kam aber nicht los. Habe tüchtige Püffe erhalten, ganz gewaltige Püffe, und wurde dann gebunden; thun mir noch jetzt alle Glieder weh!«

»Seid froh, daß Ihr mit nur den Püffen davongekommen seid! Sie sind Euch zu gönnen, denn Ihr habt sie verdient. Redet also ja nicht zu mir von einem Fehler, den ich mache! Ich gebe den Häuptling frei, weil Ihr Eure Freiheit zurückerhalten habt. Oder mutet Ihr mir zu, ihn abzuschlachten?«

»Abschlachten? Fällt mir nicht ein! Bin nie ein Menschenschlächter gewesen. Aber eine Kugel hat er verdient; das ist gewiß. Doch thut meinetwegen, was Ihr wollt. Und wenn Ihr ihn in einer Staatskarosse nach Hause fahren laßt, ich habe nichts dagegen.«

Sein Bruder war so klug, gar nichts zu sagen. Die andern Befreiten wollten sich gegen Dschafar und Perkins in Mitteilungen ergehen; ich machte sie darauf aufmerksam, daß dies für später aufzuheben sei, und forderte den Häuptling auf, sich niederzusetzen. Er that es; ich setzte mich zu ihm und stopfte meine Friedenspfeife. Die Bedingungen, welche ich ihm gestellt hatte, wurden wiederholt, und ich betonte ganz besonders die, daß er sich gegen einen jeden von uns in Zukunft aller Feindseligkeiten zu enthalten hätte. Dann that ich die bekannten sechs Züge aus der Pfeife, blies den Rauch nach den vier Windrichtungen, gegen den Himmel und die Erde und forderte ihn auf, es nachzumachen. Er kam diesem Verlangen nach, gab mir die Pfeife zurück, stand auf und fragte mich:

»Das Calumet ist zwischen uns ausgetauscht worden. Bin ich nun frei?«

»Ja,« antwortete ich. »Du kannst zu deinen Kriegern zurückkehren.«

Er stieg auf sein Pferd und ritt einige Schritte weit; da hielt er an, drehte sich zu mir um und sagte:

»Old Shatterhand ist das listigste unter allen Bleichgesichtern; er kennt die Gebräuche der roten Männer fast so gut wie sie selbst; aber etwas weiß er doch noch nicht.«

»Was?«

»Er mag darüber nachdenken und nicht verlangen, daß ich ihn belehre!«

Nach diesen Worten galoppierte er davon.

»Habt ihr es gehört, Sir?« sagte Jim. »Das klang genau wie eine Drohung. Schickt ihm schnell eine Kugel nach!«

»Fällt mir nicht ein! Ich habe ihm das Leben und die Freiheit geschenkt und halte mein Wort.«

»Aber ob er das seinige halten wird!«

»Das ist seine Sache. Mich kümmert es jetzt nicht. Wir haben vor allen Dingen zu machen, daß wir fortkommen. Steigt also auf!«

»Wohin soll’s gehen?«

»Zunächst den Roten aus den Augen.«

Diese empfingen ihren Häuptling mit demselben Schweigen, mit welchem sie vorhin seinen Befehl entgegengenommen hatten, und keiner von ihnen machte, als sie uns den Platz verlassen sahen, Miene, uns zu folgen. In kurzer Zeit waren wir ihnen aus den Augen.

Ich hatte, weil das Terrain es so gebot, die Richtung nach Westen eingeschlagen und behielt dieselbe bei, bis es vollständig dunkel geworden war und wir, falls die Comantschen doch hinter uns her kommen sollten, nicht von ihnen gesehen werden konnten. Da hielt ich an und sagte:

»Jetzt müssen wir uns zunächst darüber verständigen, wohin wir uns zu wenden haben. Mr. Dschafar, Ihr wollt hinauf nach Neu-Mexiko. Hattet Ihr einen bestimmten Weg im Auge?«

»Ja,« antwortete Perkins an Stelle des Gefragten.

»Welchen?«

»Wir wollten vom Beaver-Creek nach den Hazelstraits, wenn Ihr diese kennt, Sir.«

»Ich kenne sie; bin schon einigemal dort gewesen.«

»Meint Ihr, daß dies richtig gewesen wäre?«

Aa.«

»Well. Aber wir befinden uns nicht mehr am Beaver-Creek, sondern am Makik-Natun, und es ist also, zumal jetzt des Nachts, nicht leicht, uns zurecht zu finden.«

»Was das betrifft, so braucht Ihr keine Sorge zu haben; ich werde Euch führen, bis Ihr Euch von selbst dann weiterfindet.«

Da lenkte Dschafar sein Pferd zu mir heran und fragte:

»Bis wir uns von selbst weiterfinden, Sir? Nicht weiter?«

»Nein.«

»So wollt Ihr uns dann verlassen?«

»Ja. Ich muß nach Süden, und wenn Ihr den Weg kennt, braucht Ihr mich nicht mehr.«

»Möglich, daß wir auf Eure Ortskenntnis verzichten können, aber doch nicht auf Euch selbst. Denkt, welchen Gefahren wir eben erst entgangen sind, und welche uns noch erwarten!«

»Daß es hier Gefahren giebt, war Euch wohl bekannt, Mr. Dschafar, und Ihr habt Euch ja auch ganz gut vorbereitet. Es sind drei Führer und zwei Diener bei Euch; rechnet dazu die Snuffles, so seid Ihr acht Männer, die sich nicht so leicht zu fürchten brauchen. Acht Männer! Ich komme ganz allein von den Gros Ventre Bergen herunter, fast stets durch das Gebiet feindlicher Indianer, und habe mich nicht gefürchtet.«

»Ja, das seid auch Ihr! Könntet Ihr denn nicht wenigstens so lange bei uns bleiben, bis wir vor den Comantschen sicher sind?«

»Hm! Habe eigentlich keine Zeit dazu.«

»Ich bitte Euch dennoch darum. Ich bin für Euch ein Fremder und meinetwegen werdet Ihr kein solches Opfer bringen; aber thut es um Eures Hadschi Halef Omar willen, dessen Gast ich gewesen bin!«

»Yes, thut das, Sir!« fiel da Tim Snuffle ein, der sonst so wenig sprach. »Kann es Euch beweisen, daß wir Euch sehr notwendig brauchen.«

»So? Na, dann beweist es einmal, alter Tim!«

»Ist sehr leicht zu machen. Nehmt diese fünf Gentlemen an, diesen Fremden, seine zwei Diener und die drei Scouts! Sind sie nicht den Roten in die Hände geraten?«

»Allerdings.«

»So gebt Ihr also zu, daß ihnen eine Hilfe willkommen sein muß?«

»Sie haben doch Euch!«

»Uns? Pshaw! Die beiden Snuffles! Habe freilich bisher immer wunder gedacht, was für außerordentlich tüchtige Kerls wir sind, möchte es aber jetzt nicht mehr behaupten. Bin wie ein Schuljunge den Roten in die Hände gerutscht, und mein Jim hat auch nicht klüger gehandelt. Sind wir zwei alte Narren da die rechten Helfer für diese fünf Gentlemen? Ohne Euch würden wir alle morgen totgepeinigt werden; das ist der Beweis, daß wir Euch noch länger brauchen. Habe ich recht oder nicht?«

»Aber alter Tim, was fällt dir ein!« rief da Jim ganz erstaunt. »Ich kenne dich nicht mehr. In deinem ganzen Leben hast du noch nie so viele Worte hintereinander gesprochen!«

»Well! Ist mir auch nicht leicht geworden. Will lieber mit einem Grizzlibären in seinem Lager schlafen, als eine Rede halten; habe aber geglaubt, daß es hier nötig ist. Oder meint Ihr nicht, Mr. Shatterhand?«

Dschafar wiederholte seine Bitte, welcher sich die andern alle anschlossen, und so erklärte ich endlich:

»Nun gut, Ihr sollt Euern Willen haben; ich will Euch bis an die Grenze von Neu-Mexiko begleiten, thue das aber nur unter einer Bedingung.«

»Welche ist das?« fragte Jim.

»Daß Ihr Euch möglichst nach mir richtet und nichts unternehmt, ohne mich vorher zu fragen.«

Jim zögerte, auf diese Forderung einzugehen. Er hielt sich für einen tüchtigen Westmann und glaubte, daß es gegen seine Ehre sei, sich so aller Selbständigkeit zu begeben. Dafür ließ sich aber sein Bruder sofort hören:

»Das versteht sich doch ganz von selbst! Wenn Old Shatterhand bei uns ist, haben wir unsern Willen dem seinigen zu unterordnen.«

Dschafar war gern einverstanden; die beiden Diener hatten nichts zu sagen; Perkins wußte, wie er gefehlt hatte, und widersprach nicht; die andern beiden Scouts waren überhaupt bescheidene Leute, die sich freuten, aller Verantwortlichkeit enthoben zu sein; sie stimmten sehr gern ein, und so sah Jim sich schließlich zu der Bemerkung gezwungen:

»Habe auch nichts dagegen, hoffe aber, daß wir, wenn es sich um etwas Wichtiges handelt, auch mit zu Rate gezogen werden!«

»Dieses Verlangen brauchtet Ihr gar nicht zu stellen. Ich habe keineswegs die Absicht, wie ein absoluter Fürst oder gar wie ein Tyrann über Euch zu herrschen; wir stehen einander gleich; keiner soll mehr gelten als die andern, doch glaubte ich, daß es besser sei, wenn wir im Augenblicke einer Gefahr nicht vielköpfig handeln, und da muß es also Einen geben, nach dem sich die andern richten. Als diesen habe ich mich vorgeschlagen, gebe aber zu, daß auch ein jeder von Euch das Recht hat, sich in Vorschlag zu bringen. Wollt Ihr der Anführer sein, Jim?«

»Nein, danke, Sir! Mag nichts zu verantworten haben; dachte nur, daß ich auch einen Mund besitze, zuweilen ein Wort mitzusprechen. Also Ihr seid überzeugt, trotz der Nacht den rechten Weg zu finden?«

»Ja.«

»Und wie lange reiten wir? Etwa in einer Tour fort bis zum frühen Morgen?«

»Nein. So eine Anstrengung darf ich Euch nicht zumuten. Ihr seid gefesselt gewesen und habt jedenfalls nicht viel geschlafen.«

»Das ist richtig; wenigstens ich habe das Auge keinen Augenblick geschlossen und muß gestehen, daß ich heut unbedingt eine Stunde oder zwei schlafen muß.«

»Ihr sollt noch länger schlafen. Wir reiten nur so weit, bis wir annehmen können, daß wir morgen vor den Comantschen sicher sind.«

»Ah! ihr traut ihnen also nicht?«

»Nein.«

»Trotz der Friedenspfeife, welche geraucht worden ist?«

»Trotz derselben. Die Worte des Häuptlings, die er mir zuletzt zurief, sollten wirklich eine Drohung sein.«

»Dachte es mir! Er behauptete, daß Ihr etwas doch noch nicht wüßtet. Wenn man nur erraten könnte, was er gemeint hat!«

»Ich brauche es nicht zu erraten, denn ich weiß es schon.«

»Wirklich? Was ist es denn?«

»Wir haben mein Calumet geraucht, aber nicht das seinige.«

»Macht dies denn einen Unterschied?«

»Eigentlich nicht. Zwischen ehrlichen Leuten ist es ganz gleich, ob die eine oder die andere Partei das Calumet liefert, welches geraucht wird. Hat aber der Rote eine Heimtücke im Nacken, so giebt er nicht seine Friedenspfeife zu der Ceremonie her, sondern es wird diejenige seines Gegners geraucht. Dann gebraucht er gegebenen Falles die Ausrede, daß ein Uebereinkommen nur dann Geltung besitze, wenn er es mit seinem eigenen Calumet besiegelt habe. Der Treubruch, den er gleich von vorn herein beabsichtigte, ist seiner Ansicht nach dann vollständig gerechtfertigt oder wenigstens entschuldigt.«

»Das also ist’s? Das hat er gemeint? Daran hättet Ihr freilich denken sollen!«

»Ich habe daran gedacht.«

»Aber doch Eure Pfeife genommen und nicht die seinige! Warum?«

»Weil ich mit Recht annahm, daß er sie nicht gleich hergeben, sondern allerlei Ausflüchte machen werde. Dabei wäre die Zeit vergangen, und er hätte seine Absicht erreicht.«

»Welche Absicht?«

»Daß es finster werden solle. Es wäre uns nicht mehr möglich gewesen, seine Leute zu beobachten, und sie hätten sich nähern und uns angreifen können. Er wollte Zeit gewinnen. Dies zu verhüten, habe ich ihm seine Pfeife lieber gar nicht abgefordert.«

»Aber nun wird er nicht Wort halten, sondern uns folgen!«

»Sehr wahrscheinlich. Doch wird er uns nicht finden, denn wir reiten jetzt so weit, daß unsere Fährte morgen früh nicht mehr gesehen werden kann.«

»Hm! Ich verstehe und begreife Euch nicht. Wenn die Spur zu sehen ist, kann man sie doch sehen, wir mögen so weit reiten, wie wir wollen!«

»Mr. Snuffle, Ihr wollt wirklich ein Westmann sein?«

»Yes, ich bin einer. Möchte den kennen lernen, der dies nicht glauben will!«

»Ich möchte es beinahe nicht glauben, weil Ihr meine Worte nicht begreift.«

»Na, wie Ihr so weit reiten wollt, daß Eure Fährte nicht zu sehen ist, das ist mir freilich ein Rätsel. Wenn man den ersten Teil derselben sieht, sieht man doch auch den übrigen Teil, Ihr mögt noch so weit fortreiten!«

»Das ist eben nicht der Fall. Jetzt ist es dunkel; die Comantschen können uns also erst folgen, wenn es früh hell wird. Das ist ungefähr sechs Uhr. Jetzt haben wir sieben Uhr abends. Wenn wir nur drei Stunden reiten und also schon um zehn Uhr lagern, sind die Roten morgen früh um neun Uhr an unserm Lagerplatze, den sie wahrscheinlich noch ziemlich deutlich erkennen können. Reiten wir aber fünf Stunden lang, so lagern wir um zwölf Uhr, und die Indianer kommen erst um elf Uhr an die betreffende Stelle, oder vielmehr sie würden hinkommen, wenn unsere Fährte noch zu erkennen wäre. Das wird sie aber nicht sein, denn eine Spur, welche sich möglicherweise von jetzt bis morgen früh neun Uhr hält, wird gewiß zwei Stunden später nicht mehr zu sehen sein. Je weiter und länger wir also heut noch reiten, desto sicherer können wir sein, daß die Verfolger uns nicht entdecken werden. Seht Ihr das nicht ein?«

»Hm, jetzt ist mir’s allerdings deutlicher, als vorher. Meinst du nicht auch, alter Tim?«

»Yes,« antwortete sein nun wieder einsilbig gewordener Bruder.

»Und weiter!« fuhr ich fort. »Da der Anfang unserer Fährte morgen früh wahrscheinlich noch zu sehen ist, weil wir hier weichen Boden haben, so führen wir die Roten dadurch irre, daß wir sie in eine falsche Richtung locken. Die Hazelstraits, welche unser nächstes Ziel sind, liegen westlich von hier; wir werden aber nach Süden reiten, und zwar so weit, bis wir harten Boden finden, an welchem wir nach Westen umbiegen.«

»Well! Das ist pfiffig, Sir! Die Comantschen werden uns nach Süden folgen. Hört dann unsere Spur auf, so denken sie natürlich, daß wir nach Süden weitergeritten sind, und werden diese Richtung beibehalten. Dann sind wir sie los. Es ist wahr, Ihr seid der richtige Mann für uns, Mr. Shatterhand. Stellt Euch also an die Spitze und führt uns, wohin Ihr denkt! Es ist nicht gut, uns hier noch länger aufzuhalten.«

»Nein, wir müssen fort. Die Indsmen haben gesehen, daß wir uns westlich entfernten, und es ist immerhin möglich, daß sie auf den Gedanken gekommen sind, wenigstens eine Strecke weit in dieser Richtung nachzufolgen.«

»Ja, und das müssen wir berücksichtigen, obgleich sie uns nichts anhaben könnten, weil wir sie schon von weitem hören würden.«

»Wenn sie zu Pferde kämen, ja. Aber wenn sie den guten Gedanken hätten, uns zu Fuße nachzuschleichen?«

»Wetter! Da könnten sie uns unbemerkt umzingeln und niedermachen. Wir müssen fort!«

Ich trat jetzt also mein Amt als Führer an. Wir ritten bis Mitternacht, also sehr weit, nach Süden und bogen dann im rechten Winkel nach Westen ab. Ich war überzeugt, daß, wenn die Roten morgen vormittags elf Uhr an diese Stelle kommen sollten, sie unsere Spur nicht mehr sehen und also auch nicht bemerken könnten, daß wir wie der fliehende Fuchs einen Haken geschlagen hatten. Dann ging es noch über eine Stunde weiter fort, bis die Reiter so ermüdet waren, daß wir anhalten mußten. Wir lagerten uns.

Die Männer hatte sich schon unterwegs, ohne daß ich mich daran beteiligte, über ihr letztes Abenteuer ausgesprochen, und es stand zu erwarten, daß sie schnell einschlafen würden. Ich bestimmte nur zum Scheine die Reihenfolge der Wache und übernahm die ersten zwei Stunden. Als diese vergangen waren, weckte ich den Nächstfolgenden nicht, sondern blieb auf meinem Posten, bis der Tag anbrach. Dann weckte ich die Schläfer, welche mir für dieses kleine Opfer sehr dankbar waren.

Dschafar hatte sich sehr reichlich mit Proviant versehen gehabt, der von einem Packtiere getragen worden war. Natürlich war auch dies mit in die Hände der Comantschen gefallen. Sie hatten einen guten Teil des Proviantes verzehrt, aber doch davon übrig gelassen und wieder hergeben müssen. Wir hatten also zu essen und brauchten keine Zeit auf die Jagd zu verwenden, konnten vielmehr nach einem kurzen Frühstücke sogleich aufbrechen.

Gestern abend war ich allein vorangeritten, ohne mich an dem Gespräch der andern zu beteiligen; ich konnte auch nicht sehr auf dasselbe achten, weil ich der Dunkelheit wegen meine ganze Aufmerksamkeit der Gegend, durch welche wir kamen, und den wenigen Sternen, welche am Himmel standen und mir als Wegweiser dienen mußten, zuzuwenden hatte. Ich brauchte eigentlich auch gar nicht zu hören, was sie sprachen und sich erzählten, denn ich wußte doch, wie alles gekommen war. Was ich nicht selbst gesehen und gehört hatte, das konnte ich leicht erraten. Heute früh aber, als Perkins einmal neben mir ritt, benutzte ich die Gelegenheit, ihn zu fragen:

»Ihr hattet gestern wohl ganz vergessen, um was ich Euch so dringend gebeten hatte?«

»Wann?«

»Als ich allein zu den Comantschen ritt.«

»Daß wir ihren Häuptling gut bewachen sollten?«

»Ja. Das war aber noch nicht alles. Ihr solltet ihn nicht nur bewachen.«

»Sondern ihn auch verteidigen; ich weiß es gar wohl!«

»Und Euch weder durch Gewalt noch List bewegen lassen, ihn freizugeben!«

»Dachte es, daß die Vorwürfe noch kommen würden, Mr. Shatterhand!«

»Habt Ihr sie etwa nicht verdient?«

»Nein.«

»Dann begreife ich es nicht!«

»Well! Und wenn sie verdient wären, warum macht Ihr sie mir und nicht auch Mr. Dschafar?«

»Weil er ein Fremder ist und den Westen nicht kennt; Ihr aber seid sein Scout und solltet wissen, was man zu thun und zu lassen hat!«

»Das weiß ich auch; gewiß weiß ich es; aber wenn Euch einmal ein so außerordentlicher Fall vorkäme, würdet Ihr auch nicht wissen, was Ihr thun solltet.«

»Ich wüßte es sicherlich!«

»So? Nun, was würdet Ihr thun?«

»Das, was Old Shatterhand mir gesagt hätte.«

»Hm! Ihr könnt heut gut reden. Nun, da Ihr seht, wie der Stock geschwommen ist, wißt Ihr natürlich ganz genau, wie er in das Wasser geworfen worden ist. Wir aber konnten das nicht sehen.«

»Pshaw! Ihr befandet Euch auf freiem Felde und konntet jeden Menschen sehen und mit einer Kugel abwehren. Der Gefangene war sehr gut gefesselt und Euch also sicher. Nun könnt Ihr Euch denken, was ich für Augen machte, als ich auf meinem Rückweg so plötzlich die Bescherung sah! Er war frei, und Euch hatte man gefangen genommen und gebunden. Und wer hatte das fertig gebracht? Ein paar armselige Comantschen, die Ihr mit den Gewehren so leicht wegblasen konntet. Und selbst dies war nicht notwendig. Ihr brauchtet ihnen nur die Flinten zu zeigen, so hätten sie sich gar nicht auf Schußweite herangewagt!«

»Wir haben sie ihnen doch auch gezeigt!«

»Und seid dennoch überrumpelt worden! Wie habt Ihr dieses Meisterstück denn eigentlich fertig gebracht?«

»Das dumme Papier ist schuld daran.«

»Ah, dachte es mir!«

»Die Roten machten uns damit irre und kirre. Als wir ihnen zuriefen, halten zu bleiben, wenn sie keine Kugeln haben wollten, stiegen sie in Schußweite von den Pferden, und einer von ihnen zeigte ein Papier, welches er mit der Hand hochhielt. Er rief uns zu, ihr hättet dieses >sprechende Papier< für uns geschrieben, und er solle es uns bringen.«

»Das glaubtet Ihr?«

»Warum nicht? Er sagte, es sei alles in Ordnung gebracht, Ihr befändet Euch bei den Gefangenen, welche sogleich freigegeben würden, sobald wir den Häuptling brächten: das alles hättet Ihr für uns auf das Papier geschrieben. Wir mußten also das Papier lesen und erlaubten den Kerlen, zu uns zu kommen.«

»Welche Unvorsichtigkeit! Es genügte doch, wenn einer es Euch brachte. Den anderen mußtet Ihr unbedingt verbieten, sich Euch zu nähern.«

»Ganz richtig; aber wer denkt so etwas, wenn die Schufte eine schwarz auf weiß geschriebene Legitimation vorzeigen! Ich nahm sie in Empfang, und eben als ich sie lesen wollte und meine Augen also auf das Papier und nicht auf die Roten gerichtet hielt, fielen sie über uns her. Sie waren dabei so schnell, daß wir gar keine Zeit zur Gegenwehr fanden und in den Fesseln steckten, ehe wir nur recht wußten, wie wir hineingekommen waren. Daß sie dann den Häuptling losmachten, könnt Ihr Euch wohl denken.«

»Das kann ich mir freilich denken; undenkbar aber ist mir, daß so etwas überhaupt geschehen kann! Doch es ist vorbei und der Fehler wieder gut gemacht; es wiederzukäuen, hat also keinen Zweck. Ich werde mich aber, so lange wir beisammen sind, hüten, mein Vertrauen wieder in dieser Weise wegzuwerfen.«

Er brummte eine mißmutige Bemerkung in den Bart und machte, daß er von mir fortkam. Die andern besaßen kein besseres Gewissen als er; sie alle hatten Fehler gemacht, und weil sie dachten, daß ich darüber sprechen würde, hielten sie sich möglichst fern von mir, und ich blieb allein voran. Nur Dschafar kam einigemal an meine Seite, um mir eine besonders schöne Stelle aus seinem Hafis mitzuteilen oder mich um meine Meinung über sie zu befragen. Er hatte das Buch oft in der Hand und blieb darum häufig zurück, was ihm zuweilen einen warnenden Zuruf von mir einbrachte.

Am Mittag gönnten wir den Pferden zwei Stunden Ruhe, und am Abende lagerten wir an einem stehenden Wasser, welches das einzige in dieser Gegend war. Wenn wir es auch nicht genießen konnten, so erlaubten wir doch den Pferden, davon zu trinken.

Heut verteilte ich die Wachen so, daß ich übergangen wurde und die ganze Nacht hindurch schlafen konnte, was mir ein unbedingtes Bedürfnis war. Ich war gestern ebenso angegriffen und ermüdet gewesen wie die andern und konnte diese Rücksicht heut nun fordern, besonders auch weil sie heut während des ganzen Tages die Sorge für den Weg und seine Sicherheit mir allein überlassen hatten.

Eigentlich hätten wir uns schon heut abend bei den Hazelstraits befinden können; aber der Umstand, daß wir erst fünf Stunden weit südwärts geritten waren, hatte einen solchen Zeitverlust für uns zur Folge gehabt, daß wir die genannte Gegend erst morgen um Mittag erreichen konnten.

Als wir unser heutiges Lager erreicht hatten, war es schon ziemlich dunkel gewesen, sodaß es mir nicht möglich war, die Umgegend desselben zu untersuchen. Sogar im Boden befindliche Spuren hätte ich nicht erkennen können. Aber das Gesträuch, welches an dem Wasser stand, hatte ich umstrichen und mich überzeugt, daß wir uns allein in dieser Gegend befanden.

Nach dem Erwachen am nächsten Morgen wurde gegessen. Unsere Pferde hatten während der Nacht in der Umgebung gegrast und sich an den Büschen gütlich gethan. Mein Schwarzschimmel war jetzt noch damit beschäftigt, die Blätter und jungen Triebe abzuraufen. Ich ging zu ihm hin, um das gestern gelockerte Riemenzeug wieder fest anzuziehen. Bei dieser Beschäftigung fiel mein Blick auf den Strauch, von dem das Pferd gefressen hatte, und sofort bemerkte ich, daß kurz vor uns schon Leute und Pferde hier gewesen sein mußten. Ich ging von Strauch zu Strauch und fand meine Vermutung bestätigt. Dann suchte ich an der Erde nach Spuren. Meine Gefährten bemerkten das, und Jim Snuffle fragte mich:

»Ihr habt etwas verloren, Sir? Wir wollen Euch suchen helfen.«

»Verloren habe ich nichts,« antwortete ich; »aber dennoch suche ich.«

»Was?«

»Spuren.«

»Von wem?«

»Von Reitern, welche gestern vor uns hier gewesen sind.«

»Reiter? Hier? Wie kommt Ihr auf diesen Gedanken?«

»Betrachtet die abgebissenen Zweige an den Büschen!«

»Die haben unsere Pferde gefressen.«

»Nicht alle. Seht Euch nur die Stellen an, wo die Zweige abgebissen oder abgerissen worden sind; Ihr werdet da einen Unterschied bemerken.«

Er folgte dieser Aufforderung und erklärte dann:

»Ihr habt recht, Mr. Shatterhand; es giebt einen Unterschied. Die Bruchstellen sind teils neu, teils älter; aber das läßt sich doch sehr leicht erklären.«

»Womit?«

»Die alten sind die Stellen, wo unsere Pferde gestern abend, und die neuen die, wo sie heut früh davon gefressen haben. Es ist also falsch, anzunehmen, daß vor uns Leute dagewesen sind.«

»Es ist nicht falsch, sondern richtig; ich sehe es jetzt sehr genau. Schaut diesen Zweig! Der Kenner schwört darauf, daß er nicht gestern abend, sondern schon vorher abgerissen worden ist, denn der Bruch ist schon dunkel gefärbt.«

»Da müßte der Boden doch Fuß- und Hufspuren zeigen!«

»Die hat es jedenfalls gegeben, aber sie sind vor den Eindrücken, welche wir und unsere Pferde gemacht haben, nicht mehr zu erkennen. Und wenn dies auch nicht wäre, so kann man überhaupt heut Spuren von gestern mittag nicht mehr sehen, außer sie befänden sich am weichen Rande des Wassers. Laßt uns einmal dort suchen!«

Kaum waren wir von verschiedenen Seiten, da, wo wir eben gestanden hatten, an das Wasser getreten, so ließ dieser und jener von uns einen Ruf der Ueberraschung hören. Wir fanden Menschen- und Pferdespuren. Die Menschen hatten Mokassins angehabt, und die Pferde waren barfuß, also unbeschlagen gewesen.

»Indianer, das sind Indianer gewesen!« rief Jim Snuffle. »Meinst du nicht auch, alter Tim?«

»Yes,« nickte der Gefragte, indem er sich niederbückte, um einen der Eindrücke mit andächtiger Genauigkeit zu betrachten.

»Und zwar scheinen es viele gewesen zu sein, sehr viele! Was sagt Ihr dazu, Mr. Shatterhand?«

»Ja, es sind nicht wenige gewesen,« antwortete ich. »Schade, daß wir gestern hier ankamen, als es schon zu dunkel war, diese Spuren zu bemerken! Wir hätten zählen können.«

»Können wir das nicht jetzt noch?«

»Schwerlich!«

»Wir nicht, aber Ihr?«

»Auch ich nicht. Ich schätze aber, daß es weit mehr als dreißig gewesen sind. Genauer läßt es sich unmöglich bestimmen.«

»Wer mag es gewesen sein?«

»Comantschen natürlich, denn andere befinden sich hier in dieser Gegend nicht, wenigstens jetzt.«

»Doch nicht etwa die unserigen? Ich meine To-kei-chun mit seinen Leuten.«

»Hm! Es wäre die Möglichkeit. Aber das könnte nur dann der Fall sein, wenn er uns nicht verfolgt hätte, sondern gleich, als wir von ihm fort waren, ohne Säumen und die Nacht hindurch direkt nach den Hazelstraits geritten wäre.«

»Was hätte er dort zu suchen gehabt?«

»Ja, so frage auch ich. Er wollte doch bei den Häuptlingsgräbern den Kriegstanz tanzen und die Medizin befragen, und von den Hazelstraits ist gar keine Rede gewesen!«

»Also müssen es andere Comantschen sein!«

»Wahrscheinlich. Aber, da kommt mir ein Gedanke!«

»Welcher?«

»Er kann erfahren haben, wohin wir wollen.«

»Das müßte ihm einer von uns gesagt haben!«

»Allerdings.«

»Aber wer? Es wird doch niemand so dumm gewesen sein, es ihm zu verraten!«

»O, was Dummheiten anbelangt, so sind deren so viele und so unglaubliche vorgekommen, daß auch diese nicht undenkbar ist. Haben die Gefangenen vielleicht in Gegenwart ihrer roten Wächter miteinander von den Hazelstraits gesprochen?«

»Nicht ein Wort!« antwortete einer der beiden gefangen gewesenen Führer; der andere bestätigte es, und die beiden Diener schlossen sich dieser Aussage an.

»Ihr auch nicht, Jim und Tim?«

»Nein,« erklärte Jim. »Wir haben gar nicht davon sprechen können, weil wir das von den Hazelstraits erst erfuhren, als wir gestern frei und nicht mehr bei den Comantschen waren.«

»So wäre noch eins möglich, nämlich daß Mr. Dschafar und Mr. Perkins davon geredet haben, als ich sie gestern, während ich zu den Roten ritt, allein bei dem Häuptling zurückließ.«

Da rief Perkins eifrig:

»Was denkt Ihr von mir, Sir! Ich werde doch nicht so wahnsinnig sein, diesem roten Teufel unsern Weg zu verraten!«

»Also auch nicht. So haben wir es denn mit einer andern Comantschenabteilung zu thun.«

»Das ist gewiß,« stimmte Jim mir bei; »ich kann es beweisen.«

»Beweisen! Womit?« fragte ich.

»Nicht wahr, jetzt fragt Ihr mich!« lachte er vergnügt. »O, Jim Snuffle hat auch gelernt, scharf nachzudenken! Wenn es To-kei-chun mit seiner Schar wäre, so müßten wir unterwegs schon früher auf seine Fährte getroffen sein, denn er käme doch grad daher, woher wir auch gekommen sind.«

»So, das nennt Ihr scharf nachdenken?«

»Ja.«

»Das ist überhaupt nicht nachgedacht und noch viel weniger scharf.«

»Oho!«

»Ja, ja, Mr. Snuffle! Ihr vergeßt, daß wir erst fünf Stunden lang südwärts geritten sind und er also, wenn er direkt und in gerader Linie geritten wäre, gar nicht auf unsere Spur treffen konnte.«

»Ah, das ist freilich wahr!«

»Und sodann müßt Ihr Euch in die Gedanken so eines roten Häuptlings versetzen. Angenommen, er hätte erfahren, daß wir nach den Hazelstraits wollen, so hätte er es unbedingt unterlassen, uns zu folgen, sondern wäre uns vorangeritten, um uns zu erwarten und vollständig zu Ueberraschen, zu überrumpeln. Da durfte er aber nicht die gerade Linie einschlagen, von der er annehmen mußte, daß wir sie würden benutzen, denn da hätten wir doch gleich am frühen Morgen seine Fährte entdeckt und sein Vorhaben erraten. Er mußte vielmehr einen Umweg machen, was er sehr wohl konnte, weil er eine ganze Nacht vor uns voraus hatte. Verstanden?«

»Well!«

»Ihr seht also, wie es um Euer >scharfes Nachdenken< steht. Woher die Roten, welche hier waren, gekommen sind, das können wir nicht entdecken, weil die Spuren nicht mehr gelesen werden können. Es bleibt uns also nur übrig, zu erfahren, wohin sie geritten sind, und auch dies wird schwer oder gar unmöglich sein.«

Ich umschritt in einem weiten Kreise den ganzen Platz, doch vergeblich; der Boden zeigte nicht den geringsten Eindruck mehr. Wir hatten trotzdem keinen Grund, größere Besorgnisse zu hegen, als die, zu denen uns der Umstand berechtigte, daß überhaupt Indianer hier gewesen waren. Sie waren aus irgend einer beliebigen Richtung gekommen, und sie hatten sich nach irgend einer ebenso beliebigen Richtung wieder entfernt. Aber anzunehmen, daß sie grad nach den Hazelstraits geritten seien, dazu hatten wir keine Ursache. Es galt, unterwegs gut aufzupassen; das war alles, was wir thun konnten und auch so schon gethan hätten, wenn wir hier auf keine Spuren getroffen wären.

Wir verließen also den Lagerplatz und gelangten auf eine Ebene, welche wie eine weite, sich von Norden nach Süden dehnende Platte westwärts allmählich aufwärts stieg. Ich kannte sie und hatte sie schon öfters durchquert; sie führte nach den Hazelstraits, so genannt nach den Haselnußsträuchern, welche dort in Masse vorkamen und so hoch waren, daß selbst ein bedeutender Reitertrupp zwischen und unter ihnen verschwinden konnte.

Unterwegs hatte ich Dschafar wieder einigemal zur Eile zu mahnen. Dieser persische Schöngeist hatte ganz besonders heut mehr Auge für seinen Dichter als für die Gegend, durch welche wir kamen.

Wir ritten bis gegen Mittag, ohne eine Spur von der heutigen oder gestrigen Anwesenheit eines Menschen zu bemerken; das machte meine Gefährten sicher, mich aber nicht. Ich hegte nämlich einen Verdacht.

Perkins hatte auf meine Frage, ob vielleicht er von den Hazelstraits gesprochen hätte, gar zu eifrig geantwortet, während Dschafar still geblieben war. Das fiel mir auf. Hatten sie geplaudert, so war To-kei-chun uns vorausgeeilt, um uns ganz unerwartet in Empfang zu nehmen. Ich kannte die Stelle gar wohl, welche dazu am besten geeignet war, und beschloß, allein vorauszuschleichen, um sie zu untersuchen. Als wir das erste Haselgrün vor uns auftauchen sahen, konnte ich damit noch warten, denn wir hatten wohl noch eine Stunde zu reiten, ehe wir hingelangten.

Die Haseln traten erst vereinzelt auf und vereinigten sich dann zu kleineren, später größeren Gruppen, um schließlich ein ununterbrochenes Ganzes zu bilden, welches die beiden Seiten einer hoch ansteigenden Thalenge bildete. Auf dem Grunde derselben floß ein Bach. Noch von der glorreichen Büffelzeit her gab es hier ausgetretene Bisonpfade, welche es dem Reiter ermöglichten, durch den Haselwald zu kommen. Diese Enge war es, wo To-kei-chun uns jedenfalls auflauerte, wenn er sich überhaupt hier befand. Wir konnten da, ohne es zu ahnen, mitten unter die hinter den Büschen versteckten Indianer geraten und in einem einzigen Augenblicke von ihnen niedergerissen und überwältigt werden, wenn sie es nicht vorzogen, uns lieber von den Pferden zu schießen, was noch viel leichter war.

Also nach meiner Ansicht hatten wir nicht eher etwas zu befürchten, als bis wir in diese Enge oder wenigstens in ihre Nähe gekommen waren, dennoch verdoppelte ich meine Vorsicht und Aufmerksamkeit schon vorher, sobald wir an die ersten Büsche gelangten. Aus diesem Grunde konnte ich mich nicht um das bekümmern, was hinter mir geschah. Ich hatte die Gefährten auf die Gefahr aufmerksam gemacht und mußte es nun ihnen überlassen, auf sich selbst achtzugeben.

Wir ritten still. Der weiche Boden ließ die Schritte unserer Pferde kaum hören, und nur zuweilen rauschte und raschelte ein Strauch, den einer von uns streifte. Nicht nur meine Augen, sondern meine Ohren waren in angestrengter Thätigkeit; darum geschah es, daß ich plötzlich etwas hörte, was mir sonst gewiß entgangen wäre. Es konnte irgend ein Naturlaut sein, aber es kam mir vor wie eine menschliche Stimme, welche, durch die Entfernung und das Gesträuch gedämpft, einen Ruf ausstößt.

»Pst, still, ich hörte etwas!« gebot ich, indem ich mein Pferd anhielt.

Ja, da erklang es wieder, deutlich, hinter uns:

»Faryahd – – faryahd – – –!«

Dieses Wort ist der Hilferuf in persischer Sprache. Man weiß, daß der Mensch, selbst im fremden Lande und wenn er sich der dortigen, fremden Sprache vollständig bedienen kann, im Augenblicke der Ueberraschung, des Schreckens, der Gefahr den Schrei, den Ausruf, welchen er ausstößt, meist seiner Muttersprache entnimmt.

»Himmel! Wo ist Mr. Dschafar?« fragt ich, denn ich sah ihn nicht.

»Fort – – wieder zurückgeblieben,« antworteten die andern, und Perkins, welcher als der letzte ritt, fügte hinzu: »Ich glaubte, er sei eng hinter mir.«

»Der Unvorsichtige! Er befindet sich in Gefahr; er hat um Hilfe gerufen! Ich muß zurück, um ihm zu helfen.«

Ich wendete mein Pferd, um umzukehren.

»Und wir?« fragte Jim Snuffle. »Was sollen wir thun? Etwa hier bleiben und warten?«

»Nein. Ich darf euch nicht hier lassen, denn ihr seid unvorsichtige Leute.«

»Oho!«

»Ja; ihr habt es bewiesen. Wir wissen nicht, wo die Roten stecken; sie können sich ganz in der Nähe, grad hier vor uns befinden. Kommt also mit.«

Wir ritten im schnellsten Tempo, welches die Büsche uns erlaubten, zurück, kamen aber doch zu spät. Als wir da anlangten, wo die Sträucher noch weit auseinander standen, sah ich an einer Stelle unserer Fährte den Boden zertreten, ja sogar von Pferdehufen aufgewühlt.

»Bis hierher ist Mr. Dschafar gekommen, und da hat ein Kampf stattgefunden,« sagte ich.

»Wetter!« rief Jim Snuffle aus. »Sollte er überfallen worden sein?«

»Ja, denn er hat um Hilfe gerufen.«

»Von Roten?«

»Natürlich! Sonderbare Frage! Wer anders soll es gewesen sein!«

»Aber wie viele?«

»Es müssen mehrere gewesen sein.«

»Gewiß; denn einen hätte er von sich abwehren können. Suchen wir nach Spuren!«

»Das thue ich ja schon, wie ihr seht. Schaut, da geht eine Fährte rechts ab in die Büsche. Das sind die Spuren eines Pferdes und dreier Männer, welche Mokassins anhatten.«

»Also von dreien ist er angegriffen worden. Die haben ihn allerdings überwältigt.«

»Sie haben als Posten hier gestanden, um unsere Annäherung zu beobachten. Uns durften sie nichts thun, weil wir mehr Personen waren als sie; aber sie sahen, daß er weit hinter uns war, und beschlossen, ihn festzunehmen.«

»Diese Schurken, die pfiffigen!«

»Unsinn! Es war nichts weniger als pfiffig von ihnen, denn sie haben sich dadurch verraten. Es war ihnen jedenfalls befohlen worden, wenn sie uns kommen sähen, dies sofort dem Häuptlinge zu melden. Anstatt dies zu thun, sind sie stecken geblieben, um den unvorsichtigen Nachzügler zu ergreifen.«

»Was thun nun wir, Sir?«

»Wir müssen ihn befreien.«

»Wie? Indem wir diese Kerls offen angreifen?«

»Ja, falls es nicht anders geht. Vielleicht helfen wir uns auch mit List. In beiden Fällen müssen wir wissen, wo die Comantschen stecken.«

»So müssen sich einige von uns auf die Suche machen. Ich und mein Bruder wollen gehen. Meinst du nicht auch, alter Tim?«

»Yes,« nickte dieser.

»Nein, nicht ihr!« erklärte ich. »Ihr habt wiederholt gezeigt, wie man sich auf euch verlassen kann. Ich werde selbst gehen,«

»Well, wie Ihr wollt. Aber es ist ja gar nicht gesagt, daß wir immer solches Pech haben müssen wie bisher.«

»Von Pech ist keine Rede. Ihr seid nicht Unglücklich, sondern unvorsichtig und voreilig gewesen; das ist es, Mr. Snuffle. Ihr bleibt hier und geht nicht von der Stelle, bis ich wiederkomme.«

»Und wenn Ihr nicht wiederkommt?«

»Ich komme gewiß.«

»Sie können Euch ergreifen!«

»Pshaw! Wer mich festnehmen will, der muß mich überrumpeln, und das ist hier nicht möglich, weil ich ja weiß, daß wir die Feinde vor uns haben. Paßt aber gut auf, daß sie euch nicht überfallen! To-kei-chun wird, wenn er erfährt, welche Dummheit seine Späher begangen haben, annehmen, daß wir das Fehlen von Mr. Dschafar bemerken und umkehren; er weiß, daß wir die Spur des Ueberfalles finden und also gewarnt sind und uns infolgedessen zurückziehen. Er wird höchst wahrscheinlich einige Leute vorschicken, um zu erfahren, wo wir uns befinden. Wenn diese Kundschafter hierher kommen, so haltet sie fest; macht aber keinen Lärm dabei! Meine Gewehre sind mir jetzt im Wege; ich lasse sie bei euch. Ihr wißt wohl, was ich euch da anvertraue!«

Dieser Gedankenaustausch hatte in höchster Eile stattgefunden, denn ich durfte keine Zeit versäumen. Es war ja möglich, daß ich die drei Roten mit Dschafar einholen konnte, noch ehe sie das versteckte Lager der Comantschen erreicht hatten. Wenn mir dies gelang, zweifelte ich nicht daran, daß es mir nicht schwer fallen würde, ihnen ihren Gefangenen wieder abzunehmen. Ich gab also den Gefährten meine Gewehre und machte mich an die Verfolgung der Spur, welche seitwärts in die Büsche führte.

Die drei Indianer wußten uns sicher voraus; sie konnten also nicht auf dem geraden Wege zu den Ihrigen gelangen, weil sie da auf uns gestoßen wären, sondern sie waren zu einem Umwege gezwungen, welcher jedenfalls einen Bogen bildete. Wenn ich ihnen auf ihrer Fährte folgte, mußte ich diesen Umweg auch machen und holte sie also nicht ein. Darum entschloß ich mich, dies nicht zu thun, sondern den Bogen auf seiner Sehne abzuschneiden.

Zunächst freilich blieb ich auf ihrer Spur, um die wahrscheinliche Größe und Ausbiegung dieses Bogens kennen zu lernen; dann aber, als ich mir hierüber klar war, wich ich von ihren Fußeindrücken ab und drang in gerader Richtung in das Gebüsch ein. Dabei mußte ich so rasch wie möglich sein und durfte mich doch nicht hören lassen. Das war nicht leicht.

Als ich eine Strecke, welche ungefähr fünfhundert Schritte betragen konnte, zurückgelegt hatte, traf ich wieder auf die Spur, welche also von der Seite zurückkehrte; ich hatte den Bogen abgeschnitten und befand mich höchst wahrscheinlich in der Nähe der Comantschen. In dem Augenblicke, als ich die Fährte wieder sah, hörte ich vor mir ein Geräusch und horchte auf. Es entfernte sich. Sollten die drei Roten mit Dschafar soeben erst hier gewesen sein? Ich folgte so schnell und so leise wie möglich hinterdrein. Schon nach kurzer Zeit war ich gezwungen, anzuhalten, denn ich hörte Stimmen.

»Uff, uff!« rief jemand. »Ihr kommt von dieser Seite und – – –«

Er hielt inne, wahrscheinlich vor Erstaunen darüber, daß sie einen Weißen mitbrachten. Dieser Sprecher war der Häuptling To-kei-chun; das hörte ich.

»Ja, wir kommen von links,« antwortete einer von den drei, »und bringen dieses Bleichgesicht.«

»Uff! Das ist ja der Weiße, der so plötzlich und unbegreiflich von uns verschwand! Nehmt ihn vom Pferde, und bindet ihn! Wo habt ihr ihn ergriffen?«

»Hinter Old Shatterhand.«

»Hinter ihm? Wie soll ich das verstehen?«

»Wir sahen Old Shatterhand kommen; die andern Weißen waren bei ihm; dieser aber war zurückgeblieben und allein. Da warteten wir, bis er kam, und nahmen ihn gefangen!«

»Uff! Da meint ihr nun wohl, daß ich euch dafür loben werde?«

»Wir glauben, recht gehandelt zu haben!«

»Falsch habt ihr gehandelt, ganz falsch! Wo habt ihr euer Gehirn und eure Gedanken gehabt! Nun ist unser ganzer schöner Plan zu nichte! Wir werden Old Shatterhand nicht fangen!«

»Wir glaubten, ihn schon als Gefangenen hier zu finden, denn er muß längst hier sein.«

»Ihr habt gehandelt wie kleine Knaben, die noch nicht gelernt haben, nachzudenken! Er wird nun gar nicht kommen!«

»Er wird kommen, denn er ritt an uns vorüber und in gerader Richtung nach hier. Er wird aus irgend einer Ursache angehalten haben und dann bald erscheinen. To-kei-chun mag befehlen, daß niemand sprechen darf, sonst hören uns die Bleichgesichter, wenn sie sich nähern.«

»Uff! Ihr seht also selbst jetzt noch nicht ein, daß ihr alles verdorben habt!« rief der Häuptling, anstatt zu schweigen, zornig. »Was ging euch dieses Bleichgesicht an! Als ihr die Weißen von weitem erblicktet, mußtet ihr sofort hierher kommen, um es mir zu melden; das hatte ich euch befohlen. Sie mußten hier vorüber, und wir hätten sie alle ergriffen, denn sie ahnten nicht, daß wir uns hier befinden. Nun aber wissen sie es!«

»Woher sollen sie es erfahren haben?« verteidigte sich der Gescholtene.

»Durch euch! Sie haben gemerkt, daß dieser Weiße fehlte, und auf ihn gewartet. Als er nicht kam, kehrten sie um, denn sie mußten den Grund seines Ausbleibens wissen. Da kamen sie an die Stelle, wo ihr ihn ergriffen habt. Hat er sich gewehrt?«

»Ja, doch nur mit den Händen; es hat ihm aber nichts gefruchtet.«

»Durch diese Gegenwehr sind aber Spuren entstanden, welche seine Gefährten finden werden.«

»Wir gaben uns Mühe, keine deutlichen Eindrücke zu machen!«

»Pshaw! Und wenn niemand sie bemerkte, Old Shatterhand würde sie doch sehen! Nun sind sie gewarnt, und es wird uns wohl nicht möglich sein, sie zu fangen. Der böse Geist hat euch den schlechtesten Gedanken eingegeben, den es geben kann. Am liebsten möchte ich euch zur Strafe eure Medizinen nehmen! Was sollen wir nun thun?«

Es war kurze Zeit nichts zu hören; wahrscheinlich dachte er nach. Ich befand mich jedenfalls ganz nahe bei dem Verstecke der Roten; es konnten nur einige Sträucher zwischen mir und ihnen stehen. Wäre ich nur eine einzige Minute gekommen, so hätte ich die drei noch unterwegs getroffen und Dschafar befreien können!

Da hörte ich die Stimme des Häuptlings wieder:

»Ihr sehr, daß niemand kommt. Old Shatterhand ist gewarnt. Wahrscheinlich wird er uns mit seinen Leuten entgehen, denn unter allen Füchsen, welche auf der Savanne umherstreichen, ist er der listigste. Dafür aber halten wir diesen Weißen hier um so fester; wenigstens er soll am Makik-Natun bei den Häuptlingsgräbern sterben! Jetzt müssen wir vor allen Dingen erfahren, wo die Bleichgesichter stecken.«

»Soll ich gehen, sie zu suchen?« fragte einer. »To-kei-chun mag es mir erlauben.«

»Nein; ich gehe selbst. Meine roten Brüder mögen sehr vorsichtig sein und sehr aufpassen, während ich fort bin! Old Shatterhand wird auch Späher senden, um uns aufzusuchen; ja, er wird das wohl selbst thun. Wenn wir vorsichtig sind, läuft er uns dabei in die Hände. Also ich gehe jetzt und – – –«

Mehr hörte ich nicht, denn ich durfte keinen Augenblick länger bleiben; ich mußte schleunigst fort, obgleich ich gern noch näher gekrochen wäre, weil ich bis jetzt zwar gehört, aber nichts gesehen hatte.

Ich kalkulierte in folgender Weise: Der Häuptling wollte nach uns spähen; es fragte sich, welche Richtung er dabei einschlagen würde. Er hatte angenommen, daß auch ich mich auf die Suche machen würde, und mußte sich dieselbe Frage nach der Richtung vorlegen. Es war ganz selbstverständlich, daß ich nicht auf das Geratewohl suchen, sondern der Spur folgen würde, welche die drei Comantschen mit Dschafar gemacht hatten. Das mußte er sich sagen, und wenn er mich erwischen oder überhaupt uns entdecken wollte, so mußte auch er sich nach dieser Fährte richten. Es stand also mit voller Sicherheit zu erwarten, daß er grad da, wo ich lag, erscheinen werde. Ich wollte ihn festnehmen; aber da, wo ich jetzt lag, konnt dies nicht geschehen; es war zu nahe bei den Roten, die auf seinen Ruf ihm schnell zu Hilfe gekommen wären. Darum kehrte ich jetzt schnell so weit zurück, daß sie, wenn ich mit ihm zusammentraf, seinen Ruf nicht so leicht hören konnten.

Nun lag ich still und wartete. Es vergingen fünf Minuten, zehn Minuten – er kam nicht. Sollte er doch eine andere Richtung eingeschlagen haben? Das war kaum zu denken. So ein alter, erfahrener Krieger mußte doch genau so kalkulieren, wie ich berechnet hatte. Vielleicht stand er noch bei seinen Leuten, um ihnen über ihr Verhalten Befehle zu erteilen. Ich wartete also noch weitere fünf Minuten, und als er sich da noch immer nicht sehen ließ, wurde ich besorgt. Er hatte doch gesagt: »Ich gehe jetzt – –« und ich durfte nicht annehmen, daß er noch eine volle Viertelstunde stehen geblieben sei. Darum blieb ich nicht länger nutzlos auf der Lauer, sondern beeilte mich, zu meinen Gefährten zu kommen, die leider nicht mein volles Vertrauen besaßen. Wie leicht konnten sie sich, oder wenigstens einer von ihnen, zu irgend einer neuen Dummheit verleiten lassen!

Ja, richtig! Wie gedacht, so geschehen! Als ich sie erreichte, sah ich, daß Jim fehlte.

»Was ist denn das, Mr. Snuffle? Euer Bruder ist nicht da! Wo ist er hin?« fragte ich Tim.

»Fort,« antwortete er in seiner einsilbigen Weise.

»Das sehe ich! Aber wohin denn?«

»Zu den Roten. Will sehen, wo sie stecken.«

»Wer hat ihm das befohlen?«

»Niemand.«

»Ja, niemand! Was seid ihr doch für Menschen! Es giebt eine Dummheit nach der andern! Es durfte sich keiner entfernen; er hatte unbedingt hierzubleiben!«

»Wird wiederkommen!«

»Das wäre ein Glück, auf welches ich fast nicht hoffe. Ich war doch Mann genug, zu erfahren, was ich wissen wollte! Der Häuptling der Comantschen ist unterwegs, uns zu suchen. Wenn er auf Euern Bruder trifft, geschieht etwas, was dieser nicht verantworten kann.«

»Er kann es verantworten!«

»Was?«

»Daß er den Kerl gefangen nimmt.«

»Oder dieser ihn, was viel wahrscheinlicher ist. Wäre er hier geblieben, so brauchten wir nur ganz ruhig zu warten, bis der Häuptling kam; da nahmen wir ihn fest. Ich muß fort, muß Euerm Bruder nach. Vielleicht ist es noch möglich, die Sache – – –«

Ich hielt inne, denn wir hörten in der Richtung nach den Indianern die Sträucher knacken, knicken und rauschen; laut schnaufend kam jemand näher, und dann erschien – – – eben Jim Snuffle. Er war sehr aufgeregt und blutete an der rechten Hand. Als er mich sah, rief er aus:

»Da seid Ihr, Sir! Ah, wenn Ihr dabeigewesen wäret, so hätten wir ihn jetzt!«

»Wen?«

»Den Häuptling. Ihn zu bekommen, das wäre das höchste der Gefühle gewesen!«

»Hört, das höchste der Gefühle wäre für mich jetzt, Euch einmal meine Hand hinter das Ohr legen zu können, aber wie! Ihr wißt wohl, was ich meine?«

»Hm! Eine Ohrfeige doch nicht etwa?«

»Habt’s erraten, Sir!«

»Wetter! Macht keinen solchen Spaß! Jim Snuffle ist nicht der Mann, der sich in dieser Weise etwas hinter die Ohren schreiben läßt!«

»Hättet es aber sehr verdient!«

»Oho! Womit?«

»Damit, daß Ihr ohne meine Erlaubnis von hier fortgelaufen seid!«

»Brauche keine Erlaubnis, Mr. Shatterhand; bin mein eigener Herr!«

»Wenn Ihr das denkt, so habt doch auch die Güte, für Euch zu bleiben. Wir brauchen keinen Gefährten, der so oft und gern wie Ihr auf eigene Faust handelt und uns dadurch immer nur Verlegenheiten bereitet!«

»Verlegenheiten? Wieso? Welche Verlegenheit habe ich Euch denn jetzt bereitet? Ihr seht gar nicht verlegen aus!«

»Das fehlte auch noch, daß ich Euch gegenüber verlegen wäre! Wie kamt Ihr denn auf den Gedanken, von hier fortzugehen?«

»Wollte sehen, wo die Roten stecken.«

»Das war doch meine Sache!«

»Sollte auch die meinige sein!«

»So! Habt Ihr denn Euern Zweck erreicht?«

»Und wie!«

»Ihr habt also ihr Versteck ausgekundschaftet?«

»Das nicht.«

»Also unnütze Mühe!«

»Das nicht. Habe vielmehr großes Glück gehabt.«

»Welches?«

»Bin mit dem Häuptling zusammengetroffen.«

»Also doch! Fatal, höchst fatal!«

»Nein, sondern vortrefflich, ganz vortrefflich! War nur das Fatale dabei, daß ich Euch nicht mithatte. Wäre unbedingt in unsere Hände gefallen; hätten ihn festgenommen, den roten Halunken!«

»Wir hätten ihn viel leichter und sicherer bekommen, wenn Ihr hier geblieben wäret! Wo traft Ihr denn auf ihn?«

»Dreihundert Schritte von hier, nicht weiter.«

»Und wie?«

»Ich kroch leise durch die Büsche hinzu; er kroch leise durch die Büsche herzu; wir hörten uns also nicht und bekamen uns also so plötzlich zu sehen, daß wir beinahe mit den Köpfen zusammengestoßen wären.«

»Weiter! was thatet Ihr?«

»Ich packte ihn.«

»Und er?«

»Packte mich auch.«

»Warum rieft Ihr nicht?«

»Fiel mir nicht ein! Werde doch nicht die Roten herbeischreien!«

»Er rief aber wohl?«

»Nein. Wollte wahrscheinlich die Weißen nicht herbeischreien. Wir rangen still, ganz still miteinander. Er wollte mich, und ich wollte ihn haben.«

»Wie es aber scheint, hat keiner von euch den andern bekommen!«

»Well, ist allerdings so. Aber besser ist es, ich habe ihn nicht, als daß er mich hätte. Der Kerl war glatt wie Schweinefett; schlüpfte mir immer wieder aus der Hand. Er hatte sein Messer; ich aber hatte keine Zeit gefunden, meine Klinge zu ziehen; mußte also sehr aufpassen, von ihm keinen Stich zu erhalten.«

»Ihr blutet aber doch!«

»Ist nicht gefährlich. Wollte ihm das Messer entreißen und bekam dabei die scharfe Klinge in die Hand anstatt das Heft. Ist nur ein kleiner Schnitt, der schnell heilen wird.«

»Wie kamt ihr denn auseinander?«

»Mit gegenseitiger Genehmigung. Er sah ein, daß er mirnichts anhaben konnte, und ich bemerkte ebenso, daß es besser sei, ihn laufen zu lassen; da rissen wir uns voneinander los; er sprang da ins Gebüsch hinein, und ich sprang dort ins Gebüsch hinein, und so waren wir einander los, ohne Farewell gesagt zu haben. Wie gesagt, wäret Ihr dabeigewesen, so hätten wir ihn wahrscheinlich gefangen genommen. Schade, jammerschade, daß dies nicht geschehen konnte!«

»Es konnte gar wohl geschehen, wenn Ihr es unterlassen hättet, nach Eurem eigenen Kopf zu handeln!«

»Muß doch nach ihm handeln, weil ich keinen andern habe. Meinst du nicht auch, alter Tim?«

»No,« antwortete der Gefragte ganz wider das Erwarten Jims.

»Nicht? Wieso?« fragte dieser.

»Mr. Shatterhand ist unser Kopf. Konntest dableiben!«

»Ah! Willst dich also auch gegen mich auflehnen?«

»Yes,«

»Sei lieber still, und sieh, wie ich blute! Nimm Leinwand aus der Satteltasche, und binde mir die Schramme zu! Das Geschehene ist nun nicht ungeschehen zu machen; warum also räsonnieren? Was meint Ihr wohl, Mr. Shatterhand? Werden die Roten bei der Absicht bleiben, uns zu überfallen?«

»Ich glaube kaum.«

»So drehen wir den Spieß um und überfallen sie!«

»Wir paar Männer? Und sie sind siebzig!«

»Was schadet das? Es ist ja sehr erwiesen, daß sie sich vor uns fürchten.«

»Ob Furcht oder nicht, darum handelt es sich ja gar nicht.«

»Um was sonst?«

»Darum, daß ich kein Blut vergießen möchte.«

»Wir können aber doch Mr. Dschafar nicht in ihrer Gewalt lassen!«

»Fällt mir auch gar nicht ein! Aber das erfordert doch nicht, daß wir uns in einen Kampf einlassen. Ich bezweifle gar nicht, daß wir siegen würden; aber es würden dabei nicht nur viele Rote, sondern höchst wahrscheinlich auch einige von uns ihr Leben oder wenigstens ihr Blut lassen müssen. Und was eben so wichtig ist: ein Kampf könnte grad für den, den wir befreien wollen, verhängnisvoll werden.«

»Wieso?«

»Weil zu befürchten steht, daß die Roten ihn einfach niederstoßen würden, sobald einige von ihnen gefallen wären.«

»Also lieber wieder List? Eure Lieblingsart und –Weise!«

»Das ist noch nicht bestimmt. Ich befürchte, daß die List nachgerade ihre Wirkung verliert, denn ich habe sie zu oft anwenden müssen. Kaum hat man einen befreit, so ist der andere so dumm, ihnen in die Hände zu laufen. Wenn das so fortgeht, so hört bis zum jüngsten Tag die Befreiung der Gefangenen nicht auf!«

»Well. Aber was mich betrifft, so werdet Ihr nicht wieder in die Lage kommen, mich zu befreien; mich bekommen sie nicht wieder.«

»Pshaw! Eben jetzt fehlte nicht viel, so nahm Euch der Häuptling fest!«

»Das wollte ich mir verbitten! Bei so einem Ringen Mann gegen Mann weiß ich, was ich leiste. Er ist nicht stärker und gewandter als ich.«

»Aber wenn er nicht allein war, sondern nur einen einzigen Roten bei sich hatte, war es um Euch geschehen. Es ist noch gut abgelaufen; ich aber habe neue Sorge und neue Arbeit davon.«

»Ihr?«

»Ja doch! Neue Sorge, denn ich hätte den Häuptling hier ergriffen und ihn gegen Mr. Dschafar umgewechselt; nun aber zermartre ich mir das Hirn, auf welche Weise ich den letzteren befreien kann. Und neue Arbeit, das brauch‘ ich Euch doch wohl nicht erst zu erklären. Ich muß nun wieder nach dem Verstecke der Roten schleichen, um zu erfahren, wie es dort steht. Je nach dem, wie ich es dort finde, haben wir zu handeln. Ich gehe also jetzt abermals fort, gebe euch aber mein Wort darauf. Wenn ich zurückkehre und es fehlt wieder einer von euch, so reite ich meine Wege und lasse euch machen, was ihr wollt. Richtet euch hiernach!«

Ich hatte also das Versteck der Comantschen abermals aufzusuchen, doch durfte ich das nicht auf demselben Wege, wie vorhin, thun, denn To-kei-chun konnte auf den Gedanken kommen, mir diesen Weg zu verlegen. Da ich jetzt ganz genau wußte, wo die Indsmen steckten, so konnte ich mich von jeder mir beliebigen Seite an sie schleichen. Ich zog es vor, von hinten, also von der entgegengesetzten Seite, an sie zu kommen, ein Umweg, welcher zwar Zeit kostete, aber größere Sicherheit für mich bot.

Es dauerte wohl fast eine halbe Stunde, ehe ich der betreffenden Stelle so nahe kam, daß ich die Indianer, falls sie miteinander sprachen, hören mußte; es herrschte aber die tiefste Stille ringsum. Das war ein Grund, doppelt vorsichtig zu sein. Ich bewegte mich nicht Schritt um Schritt, sondern Zoll um Zoll weiter, bis ich, den Kopf langsam aus den Zweigen vorschiebend, den Platz vor mir liegen sah. Er war – – – leer.

War das etwa eine Finte? Ich schlug einen Kreis um die Stelle und sah da, daß sie allerdings fortgeritten waren. Ich mußte ihnen wenigstens so weit folgen, bis ich überzeugt sein konnte, daß sie die Hazelstraits wirklich und ganz verlassen hatten. Es konnte sich ja auch um eine Kriegslist handeln, nämlich daß sie uns nur glauben machen wollten, sie seien fort, und uns wieder einen Hinterhalt legten. Ich nahm allerdings als sicher an, daß sie sofort den Rückweg nach dem Makik-Natun angetreten hatten; aber es war für alle Fälle besser, mir vollständige Gewißheit zu holen.

Eben war ich, ihrer neuen Fährte folgend, hinaus an das Wasser gekommen, als ich den zweimaligen Ruf Jims »Mr. Shatterhand, Mr. Shatterhand!« hörte. Da er so laut rief, mußte er überzeugt sein, von den Indianern nicht gehört zu werden; darum antwortete ich ebenso laut:

»Was giebt es? Warum ruft Ihr mich?«

»Ihr sucht vergeblich. Kommt schnell her, wenn Ihr etwas sehen wollt!«

Ich folgte dieser Aufforderung, indem ich am Wasser hinuntereilte. Als Jim mich kommen sah, deutete er hinaus nach der offenen Ebene und sagte:

»Sir, da draußen jagen sie. Sie haben die Flucht ergriffen. Ist das nicht jämmerlich feig von ihnen?«

Ja, da draußen ritten sie so schnell, wie ihre Pferde sie tragen konnten, in genau nördlicher Richtung davon.

»Feig ist es allerdings,« antwortete ich; »doch bezieht sich ihre Angst nur auf mein Repetiergewehr. Besäße ich dieses nicht, so würden sie sich ganz gewiß über uns hergemacht haben.«

»Pshaw! Sie fürchten sich nicht bloß vor Eurem Stutzen, sondern vor uns überhaupt. Mit den beiden Snuffles bindet nicht gern ein Roter an, wenn er nicht grad dazu gezwungen ist. Ob sie wohl Mr. Dschafar mithaben?«

»Natürlich!«

»Das ist nicht so ganz natürlich, wie Ihr zu denken scheint. Sie können ihn auch umgebracht haben, um ihn nicht mit sich herumschleppen zu müssen.«

»Sie haben ihn mit; ich weiß es gewiß.«

»Well. Wenn Ihr es behauptet, wird es wohl so sein. Was aber thun wir? Wir müssen ihn doch retten?«

»Allerdings.«

»Also wollen wir ihnen nach?«

»Ja.«

»Wann? Gleich?«

»Sogleich, nachdem unsere Pferde getrunken haben werden. Es wird wahrscheinlich bis morgen abend für sie kein Wasser geben.«

»Das glaube ich nicht. Die Roten reiten grad nach Norden, und wenn ich mich nicht irre, stoßen sie dort auf den Cimaronefluß, an den wir ja auch kommen werden, wenn wir ihnen folgen. Dort giebt es Wasser.«

»Wie Ihr das nur so wißt!« lächelte ich.

»Dazu gehört keine sehr große Klugheit, Sir. Die Pfiffigkeit wird erst morgen früh von uns verlangt.«

»Warum?«

»Weil die Roten es sich wieder einmal ausgerechnet haben, daß wir morgen ihre Spur nicht mehr sehen können. Sie werden es so machen, wie wir es gestern gemacht haben: sie reiten von jetzt an die Nacht hindurch, während wir beim Anbruche der Dunkelheit zu halten gezwungen sind. Dadurch bekommen sie Vorsprung, und wenn es morgen früh Tag wird, ist ihre Fährte für uns verschwunden. Mir ist um Mr. Dschafar bange.«

»Mir nicht.«

»So? Wie können wir ihn befreien, wenn wir nicht wissen, wohin sie mit ihm sind?«

»Ich weiß, wohin sie wollen.«

»Ah, wirklich? Wohin denn?«

»Nach dem Makik-Natun zurück.«

»Unmöglich.«

»Warum unmöglich?«

»Weil sie nordwärts reiten, während der >gelbe Berg< von hier aus genau im Osten liegt.«

»Das ist doch grad ein Grund, mir recht zu geben!«

»So? Erklärt mir das, Mr. Shatterhand! Wer nach rechts will, dem kann es doch nicht einfallen, nach links zu laufen!«

»Unter Umständen, ja. Meint Ihr nicht, daß die Comantschen annehmen, daß wir ihnen folgen werden?«

»Das thun sie sicher.«

»Werden sie da so dumm sein, zu zeigen, wohin sie wollen?«

»Ah, richtig! Sie haben die Absicht, uns irre zu führen.«

»Gewiß. Ihr habt ganz richtig gesagt, daß ihre Fährte morgen nicht mehr zu finden sein wird; wenn wir uns täuschen ließen, würden wir dann immer weiter nordwärts reiten und Mr. Dschafar wäre verloren und würde bei den Häuptlingsgräbern totgemartert.«

»Beabsichtigen sie das also doch mit ihm?«

»Ja.«

»Ihr vermutet es?«

»Nein, ich weiß es. Als Ihr den außerordentlich klugen Gedanken ausführtet, nach den Indsmen zu suchen, lag ich ganz in ihrer Nähe und belauschte sie. Da sagte der Häuptling, daß, wenn wir nicht auch ergriffen würden, doch wenigstens Mr. Dschafar nach dem >gelben Berge< geschafft und dort totgemartert werden solle.«

»Wetter! Da müssen wir hin, sofort hin, um womöglich noch eher dort zu sein als sie. Denkt Ihr nicht, daß dies besser ist, als wenn wir nach ihnen dort ankommen?«

»Natürlich ist es besser.«

»Und dann holen wir Mr. Dschafar heraus! Wenigstens was an mir und meinem Bruder liegt, den Gefangenen zu befreien, das wird unbedingt geschehen. Meinst du nicht auch, alter Tim?«

»Yes,« antwortete Tim in seiner bekannten kurzen Weise.

»Was an Euch liegt?« fragte ich. »Ich wünsche sehr, daß an Euch gar nichts liegen möge, denn sonst muß ich gewärtig sein, daß wir alle noch in die Hände der Comantschen geraten, anstatt daß wir Mr. Dschafar befreien.«

»Macht es doch nicht schlimmer, als es ist, Sir!« entgegnete Jim. »Es läuft in der Welt nicht alles so glatt ab, wie es gehobelt ist. Wenn einem einmal etwas nicht so recht gelingt, so wird immer davon gesprochen; aber von dem, was gut gelungen ist, wird nichts erwähnt. Es wird bei Euch auch nicht alles so gelaufen sein, wie Ihr wünschtet, daß es laufen möge.«

So war er. Er sah seinen Fehler wohl ein, gab aber nicht gern zu, ihn gemacht zu haben. Wir tränkten unsere Pferde tüchtig und traten dann den Rückweg an. Dies ergab eine Zeitversäumnis, über welche ich mich im stillen ärgerte. Wenn man sich nur nach mir gerichtet hätte, wir wären schon längst mit den Comantschen zu Ende gewesen. Was konnten aber nun die nachträglichen Vorwürfe helfen? Ich nahm mir im stillen vor, an dem »gelben Berge« meine Anordnungen so zu treffen, daß mir niemand wieder einen solchen Strich durch die Rechnung machen konnte. Freilich mußte ich dann auf jede Beihilfe von seiten meiner Gefährten von vornherein verzichten.

Wir kamen, als es dunkel geworden war, wieder bei dem Wasser an, an welchem wir gestern übernachtet hatten, und machten da eine kurze Rast, um die Pferde verschnaufen zu lassen. Dann ging es wieder weiter, die ganze Nacht hindurch, bis es Tag wurde und wir wieder eine Stunde ruhten. Wir waren diesmal gezwungen, von unsern Pferden viel zu verlangen. Auf meinen Schwarzschimmel schien die Anstrengung gar keinen Eindruck zu machen; die andern aber ermüdeten mehr und mehr, und als wir nach einem wirklichen Parforceritte am Spätnachmittage den Makik-Natun wieder vor uns sahen, war es mit ihren Kräften ganz zu Ende.

»Da sind wir wieder,« seufzte Perkins, indem er auf den Berg deutete. »Ich bin so müde wie ein gehetzter Hund. Mit nur drei kurzen Unterbrechungen zwei Tage lang und auch während der Nacht im Sattel zu hängen, das ist selbst für einen Westmann eine Leistung. Reiten wir direkt nach den Gräbern hinüber, Sir?«

»Ja,« antwortete ich.

»Das dürfte wohl ein Fehler sein!«

»Sprecht doch nicht von Fehlern, Mr. Perkins! Seht, da links liegt die Stelle, an welcher Ihr mit dem Häuptlinge lagt. Da ließet Ihr Euch übertölpeln. Das war ein Fehler. Wenn ich aber jetzt sogleich den Gräberplatz aufsuche, so weiß ich, was ich thue. Unsere Pferde müssen unbedingt Wasser haben, und dort ist der einzige Platz, an welchem es hier welches giebt. Wir müssen also auf alle Fälle hin.«

»Ich gebe Euch ja vollständig recht, Mr. Shatterhand; aber wir können uns dadurch sehr leicht verraten.«

»Nein.«

»Doch! Wir werden dort Spuren machen, die von den Roten bemerkt werden, wenn sie dann kommen.«

»Dann? Was versteht Ihr unter diesem dann?«

»Die Zeit ihrer Ankunft natürlich.«

»Wann wird das sein?«

»Jeder Augenblick kann’s sein. So gut wie wir da sind, können die Roten auch bald kommen.«

»Nein. Erstens haben sie keine Veranlassung, einen solchen Hetz- und Dauerritt zu machen wie wir, denn sie sind gewiß der Ansicht, daß sie uns irregeführt haben und wir nach Norden geritten sind. Und zweitens müßt Ihr bedenken, daß sie, eben um uns irre zu leiten, einen weiten Umweg nach dieser Richtung gemacht haben. Sie könnten, selbst wenn sie so schnell wie wir geritten wären, noch nicht hier sein.«

»So nehmt Ihr wohl an, daß sie erst morgen kommen?«

»Entweder heut in der Nacht oder gar erst morgen. Wenn sie heut noch Lager machen, können sie natürlich erst morgen kommen; aber da sie kein Wasser für sich und ihre Pferde finden, ist anzunehmen, daß sie nicht erst noch lagern, sondern gleich hierher reiten. Darum möchte ich lieber annehmen, daß wir sie noch während der Nacht zu erwarten haben.«

»Wenn sie überhaupt kommen!« bemerkte Jim Snuffle.

»Sie kommen ganz gewiß!«

»Wollen es also hoffen, Sir! Es wäre eine sehr verteufelte Angelegenheit, wenn wir uns da verrechnet hätten und sie gar nicht die Absicht gehabt hätten, hierher zurückzukehren. Da wäre Mr. Dschafar unbedingt verloren. Habt Ihr denn auch recht verstanden, als Ihr glaubtet, gehört zu haben, daß sie hierher wollten?«

»Ja. Und selbst dann, wenn ich das nicht gehört und der Häuptling nicht davon gesprochen hätte, würde ich nach dem >gelben Berge< zurückgekehrt sein. Es ist ja ganz und gar selbstverständlich, daß sie ihren Gefangenen hierher schaffen werden!«

»Hm! Selbstverständlich?«

»Ja.«

»Zu vermuten wäre es vielleicht; aber selbstverständlich, das ist ein anderes Ding! Wenn es sich, wie hier, um ein Menschenleben handelt, darf man sich ja nicht auf bloße Vermutungen verlassen.«

»Danke für die gute Lehre, die Ihr mir da erteilt, Mr. Snuffle! Auf diesen weisen Gedanken wäre ich von selbst wohl kaum gekommen!«

»Wollt Ihr Euch etwa über mich lustig machen, Mr. Shatterhand?«

»Fast möchte ich es. Nach allem, was bisher geschehen ist, habe ich Euch wohl keine Veranlassung gegeben, mir Rat und Unterricht zu erteilen. Ich weiß wenigstens ebenso genau wie Ihr, daß es sich um ein Menschenleben handelt, und grad weil ich das weiß, bin ich hierher geritten, um den Roten zuvorzukommen. Es unterliegt für mich nicht dem geringsten Zweifel, daß sie sich nach dem Makik-Natun gewendet haben. Ich kann es Euch sogar beweisen, wenn Ihr es verlangt.«

»Beweisen? Das wäre viel, sehr viel, selbst von Euch!«

»Pshaw! Es ist sehr leicht. Die Comantschen wollten hierher, um ihre toten Häuptlinge zu verehren und den Tanz des Krieges zu tanzen, wobei die heilige Medizin nach dem Ausgange des jetzigen Krieges gefragt werden sollte. Wenn Ihr die Sitten und Gebräuche der Roten kennt, so werdet Ihr wissen, daß sie ein solches Vorhaben, wenn sie es einmal gefaßt haben, unbedingt auch ausführen.«

»Weiß es gar wohl.«

»Sie wollen mehrere Ansiedelungen von Weißen überfallen und werden das ganz gewiß nicht eher thun, als bis sie diese Ceremonien vorgenommen haben. Oder ist das vielleicht schon geschehen?«

»Nein.«

»So wird es noch geschehen; ja, es muß geschehen; sie kommen auf alle Fälle hierher. Sie wollten alle ihre Gefangenen hier opfern; da Ihr ihnen aber entkommen seid, werden sie wenigstens diesen einen, den sie wieder erwischt haben, hierher schleppen, um ihn am Marterpfahle sterben zu lassen.«

»Well! Jetzt habt Ihr mich überzeugt, Sir. Auf welche Weise meint Ihr wohl, daß wir ihn losbekommen werden?«

»Das kann ich jetzt noch nicht wissen.«

»Jedenfalls nur durch einen plötzlichen Ueberfall?«

»Den möchte ich, wenn es halbwegs möglich ist, doch lieber vermeiden. Es soll womöglich kein Blut vergossen werden.«

»Also List und wieder List? Ihr sagtet doch gestern selbst, daß da wohl kaum wieder auf einen Erfolg zu rechnen sei! Die Roten werden sich wahrscheinlich hüten, sich noch einmal übers Ohr hauen zu lassen.«

»Ja, List allein wird’s freilich nicht thun; es wird auch ein gut Teil Wagemut dazu gehören; aber jetzt schon zu sagen, was geschehen wird, das ist unmöglich. Wir müssen warten, bis sie da sind; dann erst können wir sehen, wie der Kahn gesteuert werden muß.«

»Da scheint es aber doch, als wenn Ihr gar nicht die Absicht hättet, hier bei den Gräbern zu lagern und sie zu empfangen?«

»Kann mir gar nicht einfallen! Wir tränken unsere Pferde und machen uns dann, wenn das geschehen ist, wieder fort.«

»Wohin?«

»Werde es mir überlegen. Jedenfalls nach einem Orte, von welchem aus wir ihr Kommen bemerken können, ohne daß sie uns entdecken.«

Wir waren jetzt bei den vier Häuptlingsgräbern angelangt und stiegen von den Pferden. Während diese tranken und die Reiter hin und her gingen, um ihre von dem langen Ritte steif gewordenen Glieder in Bewegung zu bringen, unterwarf ich die Oertlichkeit einer genauen Prüfung mit den Augen.

Ich hatte nämlich die Absicht, mich in das Lager der Roten zu schleichen und Dschafar herauszuholen. Ob da List und Gewandtheit allein ausreichend waren, das konnte ich nicht wissen; ich war aber fest entschlossen, nötigenfalls auch Gewalt zu brauchen und mich meiner Waffen zu bedienen. Die Mithilfe meiner Gefährten war gleich von vorn herein vollständig ausgeschlossen; ich wollte mir das Spiel nicht abermals verderben lassen.

Daß es mir gelingen werde, mich an- und zu dem Gefangenen zu schleichen, bezweifelte ich nicht; die Roten vermuteten uns gar nicht hier in der Nähe, und wenn sie ja Wachen aufstellten, so war die Aufmerksamkeit derselben sehr wahrscheinlich nur nach außen, das heißt hinaus auf die Savanne gerichtet, weil sie annehmen mußten, daß eine etwaige Störung nur von dorther kommen könne. Denn auf der andern Seite war, wie bereits früher erwähnt, der Platz von einem Halbkreise steil aufragender Felsen eingefaßt, welche wenigstens für die Nachtzeit unzugänglich zu sein schienen. Ich zog dabei mit in Betracht, daß die Indianer als Prairievolk keine guten Kletterer sind und also diese Felswände für unpassierbar halten konnten, während ich vielleicht eine Stelle fand, an welcher es möglich war, von oben herunterzukommen. Diesen Weg mußte ich einschlagen; von der Savanne her durfte ich mich nicht nähern.

Bald fand ich auch, was ich suchte. Grad da, wo bei meinem letzten Hiersein im Hintergrunde die Gefangenen gelegen hatten, war der Fels höchstens zwanzig Fuß hoch und trat dann soweit zurück, daß eine breite Stufe, oder nenne ich es Altan, gebildet wurde, auf welcher einige ziemlich starke Bäume standen. Ueber diesem Altane bestand an dieser Stelle die Bergwand nicht aus Felsen, sondern aus fruchtbarer Erde, welche Bäume und Sträucher trug. Sie ging zwar auch ziemlich steil in die Höhe, doch sah ich, daß es selbst in der Nacht keine allzu schwierige Aufgabe war, da hinauf- oder herunterzuklettern. Der Holzwuchs bot für die Hände Anhalt mehr als genug. Befand man sich einmal auf dem Altane, so konnte man dort an einen der Bäume einen Lasso befestigen und sich an demselben vollends herunterlassen.

Als die Pferde getränkt waren, stiegen wir wieder auf und ritten fort, am Fuße der Höhen hin, bis wir eine Stelle fanden, welche sich ganz ausgezeichnet zu einem Versteck eignete.

»Ich lasse Euch hier, Mesch’schurs,« sagte ich, »und vertraue Euch mein Pferd und meine Waffen an. Geht ja nicht fort von diesem Orte! Ich erwarte ganz bestimmt, daß Ihr wenigstens diesesmal das, was ich sage, achtet! Wenn Ihr das nicht thut, so ist’s um Mr. Dschafar gewiß geschehen.«

»Ihr wollt fort?« fragte Jim besorgt.

»Ja.«

»Wohin?«

»Ich will mir eine Stelle suchen, wo ich die Roten, wenn sie kommen, beobachten kann.«

Ich verschwieg ihm mein Vorhaben, weil ich sonst gewärtig sein mußte, wieder einen dummen Streich gespielt zu bekommen. Er bemerkte auch sofort:

»Da können wir doch auch mitgehen!«

»So! Kaum habe ich meine Warnung ausgesprochen, so wollt Ihr mir schon wieder quer über den Weg! Wird es Euch denn gar so sehr schwer, einmal zu thun, um was ich Euch bitte?«

Da holte Tim Snuffle tief Atem, als ob er eine große und lange Redeanstrengung beabsichtige, und sagte:

»Habt keine Angst, Sir! Jim wird diesmal dableiben müssen!«

»Wollt Ihr mir das versprechen?«

»Yes.«

»Und ihn zurückhalten, wenn er fort will?«

»Yes.«

»Auch kein anderer darf fort!«

»Well! Wer ausreißen will, bekommt mein Messer zwischen die Rippen. Ich heiße Tim Snuffle und halte Wort!«

Er holte nach dieser großen Leistung wieder sehr tief Atem und schlug, um seiner Drohung Nachdruck zu geben, mit der Hand an die Stelle, wo sein Messer im Gürtel steckte.

»Habt Dank, alter Tim! Das war einmal vernünftig gesprochen. Ich hoffe, daß dieser Euer guter Vorsatz bis zu meiner Rückkehr nicht ins Wanken kommt!«

»Wann wird das sein?«

»Vielleicht schon in der Nacht, spätestens aber kurz nach Tagesanbruch.«

»Ist verteufelt lange!«

»Kann nicht dafür. Also Ihr verlaßt diese Stelle nicht, es mag geschehen, was da will! Ich bitte Euch, Euer Gewissen nicht durch eine Nachlässigkeit zu beschweren, welche die schlimmsten Folgen haben kann. Es handelt sich nicht nur um Mr. Dschafar, sondern jedenfalls auch um mein Leben!«

Da versprachen auch die andern, mir zu gehorchen, und ich ging in der Ueberzeugung fort, daß heut von ihrer Seite keine Störung zu erwarten sei. Den Lasso nahm ich natürlich mit und steckte auch mehrere feste Riemen ein.

Es war für mein Vorhaben gar nicht zu früh, denn die Sonne verschwand soeben und ich hatte mich zu sputen, wenn ich noch vor dem Einbruch der völligen Dunkelheit auf den Felsenaltan kommen wollte.

Ich wendete mich wieder den Häuptlingsgräbern zu, ging aber nicht ganz bis zu ihnen, sondern nur bis in ihre Nähe, wo das Terrain mir erlaubte, emporzusteigen. Auf halber Höhe angekommen, nahm ich die Richtung nach dem über den Gräbern liegenden Hange und kletterte an demselben wieder nieder. Von unten aus hatte das viel schwieriger ausgesehen, als es in Wirklichkeit war. Wenn ich mich in acht nahm, konnte ich den Rückweg auch in der Nacht vornehmen, ohne einen Unfall zu befürchten. Als ich den Felsenaltan erreichte, gab es grad noch so viel Helligkeit, daß ich den unter mir liegenden Thalboden noch erkennen konnte. Ich untersuchte die Bäume. Sie waren für mein Vorhaben fest genug eingewurzelt, und ich band das eine Ende meines Lasso an den stärksten von ihnen. Dann legte ich mich nieder.

Trotz der Ueberzeugung, welche ich hegte, lag es doch im Bereiche der Möglichkeit, daß meine Berechnung sich als falsch erwies. Was konnte nicht alles geschehen sein, was die Comantschen hinderte, hierher zu kommen, oder mir es unmöglich machte, mein Vorhaben auszuführen! Aber ich befand mich in jenem Gefühle der Sicherheit, welches mich noch niemals getäuscht hatte.

Stunde um Stunde verging, und mit ihnen wurden die Sterne heller. Nach dem Stande derselben war es ziemlich Mitternacht, als endlich von weitem her ein Geräusch an mein Ohr schlug. Ich lauschte. Waren sie es? Das Geräusch kam näher; es war Hufschlag, Hufschlag vieler Pferde im weichen Savannenboden. Ja, sie waren es!

Bald hörte ich auch schon ihre Stimmen, und dann waren sie da, stiegen von den Pferden und brannten mehrere Feuer an. Bei dem Scheine derselben konnte ich meine Beobachtungen machen.

Diese Leute fühlten sich so sicher, daß es ihnen gar nicht einfiel, die Oertlichkeit erst abzusuchen. Die Pferde wurden erst getränkt und dann ein Stück fortgetrieben, wo sie sich zerstreuen und weiden und zugleich als Wachen dienen konnten, um die Annäherung eines fremden Wesens durch Unruhe und Schnauben zu verraten. Dann gruppierten sich die Indsmen um die Feuer, von denen bald ein kräftiger Bratengeruch zu mir heraufstieg. Sie waren also unterwegs auf Wild getroffen.

Den Gefangenen sah ich auch; er war gefesselt und befand sich zu meinem Leidwesen nicht in meiner Nähe, sondern war nach dem Feuer geschafft worden, welches am entferntesten von mir brannte. Desto näher war mir der Häuptling, denn er hockte an dem Feuer, welches als das erste seitwärts unter mir brannte.

Die Indsmen waren ermüdet, denn ihr Ritt war weiter als der unserige und fast ebenso anstrengend gewesen. Sie verhielten sich darum still, und es war anzunehmen, daß sie sich nach dem Essen sogleich schlafen legen würden. Dies geschah auch wirklich. Der Häuptling gab seine Befehle, verteilte die Wachen und zog sich von dem Feuer nach dem Fuße des Felsens zurück, wo er sich ganz abgesondert von seinen Leuten niederlegte und in seine Decke hüllte.

Meine Aufmerksamkeit war natürlich am gespanntesten auf den Gefangenen gerichtet, und da mußte ich leider einsehen, daß mein Vorhaben sehr schwierig auszuführen war. Alle Feuer verlöschten; das seinige aber wurde weiter unterhalten, und es saßen zwei Wächter bei ihm, welche sich nicht niederlegten. Die Wachen hatten sich entfernt; es waren ihrer drei; sie sollten jedenfalls zugleich die Pferde beaufsichtigen und postierten sich wohl so, daß sie den Lagerplatz nach der Savanne hin absperrten.

Ich hatte Dschafar heimlich herausholen wollen. Unter mir war es dunkel; es war also möglich, an dem Lasso unbemerkt hinabzukommen, aber dann! Die beiden Wächter mußten mich unbedingt kommen sehen, wenn ich mich dem Feuer näherte. Und wenn mich da ein rascher Sprung zu ihnen brachte und ich sie niederschlagen konnte, Zeit zum Schreien fanden sie doch. Blieb mir aber so viel Zeit, Dschafars Fesseln zu lösen? Und wie wollte ich mit ihm fort? Hinaus auf die Savanne? Da standen ja die Posten! Oder am Lasso hinauf? Selbst wenn Dschafar gut klettern konnte, was ich aber bezweifelte, kamen die Roten gewiß alle über uns, ehe es nur dem ersten von uns beiden möglich war, die Felsenplatte zu erreichen. Ich war also gezwungen, meinen Plan aufzugeben, wenn ich nicht mich und ihn der größten Gefahr aussetzen wollte.

Aber was sonst thun? Dschafar mußte befreit werden! Sehr einfach! Da seitwärts unter mir lag ja der Häuptling. Ich wagte zwar auch mein Leben, wenn ich versuchte, mich seiner zu bemächtigen, aber er war doch leichter zu bekommen, als der Perser, und wenn mir der Streich gelang, so war der Gefangene so gut wie gerettet, beide konnten gegen einander ausgelöst werden. Lächerlich! Wieder Auslösung! Ich hatte nur immer die Fehler anderer gut zu machen.

Ich zauderte nicht lange. Nachdem ich mich noch einmal überzeugt hatte, daß es hier unter mir dunkel genug war und niemand seine Aufmerksamkeit nach dieser Stelle richtete, ließ ich das freie Ende meines Lasso, welcher mehr als lang genug war, hinab und turnte mich an demselben hinunter. Unten angekommen, lauschte ich eine Weile; es regte sich nichts; der Häuptling lag nur wenige Schritte von mir entfernt. Er mußte schlafen, denn wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, so hätte er das von mir verursachte Geräusch hören müssen. Ich hatte es nicht vermeiden können, im Hinabklettern an den Felsen zu streifen, zwar nicht sehr laut, aber doch so, daß es für ein wachsames Ohr in dieser geringen Entfernung vernehmlich war.

Nun legte ich mich auf die Erde nieder und kroch zu ihm hin. Er lag mit dem Kopfe an dem Felsen. Als ich mein Ohr nahe an sein Gesicht gebracht hatte, hörte ich seine leisen, regelmäßigen Atemzüge. Jetzt richtete ich mich halb auf, legte ihm die linke Hand fest um den Hals und gab ihm zu gleicher Zeit zwei Faustschläge gegen die rechte Seite seines Kopfes. Es ging ein krampfhaftes Zucken durch seinen Körper; dann lag er still. Auch als ich meine Hand von seinem Halse nahm, regte er sich nicht.

Die erste Hälfte meines beabsichtigten Streiches war gelungen; nun galt es, ihn unbemerkt nach oben zu schaffen. Ich richtete mich also ganz auf, hob ihn empor und trug ihn nach der Stelle, an welcher der Lasso hing. Dort legte ich ihn wieder nieder und sah nach dem Wachtfeuer hin. Man hatte dort jedenfalls nichts bemerkt, aber ich sah, daß grad in diesem Augenblicke ein Roter vom Feuer aufstand und sich langsamen Schrittes so ziemlich in der Richtung, in welcher ich mich befand, von demselben entfernte. Das war gewiß nur Zufall, konnte mir aber verderblich werden.

Ich hatte den Häuptling vor allen Dingen fesseln und knebeln wollen; dazu gab es aber jetzt keine Zeit, denn ehe ich damit fertig wurde, konnte der Wächter bei mir sein. Zwar wäre es mir wohl möglich gewesen, ihn unschädlich zu machen, aber ob dies ohne alles Geräusch geschehen würde, das war zweifelhaft; ich mußte also schnell fort.

Darum zog ich dem Häuptling das Lassoende unter den Armen hindurch, machte einen Knoten und kletterte dann an dem festen, fünffach geflochtenen Riemen in die Höhe. Oben angekommen, sah ich mich zunächst nach dem Wächter um. Er befand sich schon in der Nähe. Wenn er so wie jetzt weiterging, kam er nicht ganz nahe an den Felsen heran, sondern in einer Entfernung von vielleicht fünfzehn Schritten an demselben vorbei. Ich dachte zunächst, ihn vorüber zu lassen, gab aber diesen Gedanken schnell wieder auf, denn sein scharfes Auge konnte den Häuptling doch vielleicht bemerken. In diesem Falle mußte er sich sagen, daß To-kei-chun sich jetzt an einer andern Stelle befand, was doch einen Grund haben mußte; es war also anzunehmen, daß er herbeikommen werde. Darum beeilte ich mich, den betäubten Häuptling zu mir heraufzuziehen.

Er war nicht leicht, und leider bestand die Felskante, über welche der Lasso streifte, nicht aus hartem Gestein; sie war verwittert; es löste sich ein Stück ab und fiel hinunter. Das gab ein Geräusch, welches der Rote hörte. Er kam sofort mit raschen Schritten näher. Der Häuptling hing vielleicht noch zwei Ellen unter mir; ich beeilte mich, ihn vollends heraufzubringen, was nicht ohne Geräusch geschehen konnte. Der Rote hörte es und sprang schnell bis zum Felsen hervor. An demselben emporblickend, mußte er trotz der Dunkelheit den am Lasso über ihn hängenden Körper sehen.

»Uff!« stieß er überrascht hervor und eilte nach der Stelle hin, wo der Häuptling gelegen hatte. Als er sah, daß dieser fort war, kam er wieder herbei.

»Was thut To-kei-chun da oben?« fragte er, grad als ich den Genannten über die Kante auf den Felsen zog. »Kann der Häuptling der Comantschen fliegen?«

Es erfolgte natürlich keine Antwort. Das mußte sein Mißtrauen erregen, denn wenn der Mensch, welcher soeben da oben in der Höhe verschwand, wirklich der Häuptling gewesen wäre, so hätte er auf die Frage doch gewiß ein Wort gesagt. Der Indianer wußte augenscheinlich zuerst gar nicht, wie er sich verhalten solle; es war unmöglich, den senkrechten Felsen zu erklettern, und doch hatte er gesehen, daß jemand hinaufgekommen war. Dies mußte der Häuptling sein, der aber nicht geantwortet hatte. Wie war dies zu erklären? Was war da zu thun? Lärm machen? Der Häuptling hatte keinen Laut von sich gegeben und wünschte also wahrscheinlich, daß seine unerklärliche Besteigung des Felsens geheim bleiben solle. Der Wächter wußte also nicht, ob er zu schweigen oder das Lager zu alarmieren habe.

Während er sich in diesem Zweifel befand, band ich To-kei-chun vom Lasso los und schnürte ihm die Füße zusammen und die beiden Arme an den Leib. Dabei kam er leider zu sich. Beim Stillliegen wäre er wahrscheinlich länger bewußtlos geblieben, aber indem ich ihn emporzog, war er mit dem Gestein in eine Berührung gekommen, welche die Betäubung, in der er sich befand, abkürzte. Noch hatte ich seine Arme nicht ganz festgebunden, da bewegte er sich. Daß ihm seine Gliedmaßen nicht gehorchten, brachte ihn noch schneller zur Besinnung, und er öffnete die Augen. Ich war über ihn gebeugt und hatte mein Gesicht so nahe an dem seinigen, daß er mich trotz der Dunkelheit grad in dem Augenblicke erkannte, als der unten stehende Wächter, noch immer mit sich im unklaren, abermals, doch mit unterdrückter Stimme, herauffragte:

»Warum antwortet To-kei-chun nicht? Wie ist er da hinaufgekommen, und was will er oben? Soll vielleicht niemand wissen, daß er sich entfernt?«

Da schrie der Häuptling mit weithin schallender Stimme:

»Old Shatterhand ist da, Old Shatterhand! Er hat mich entführt und gefesselt; helft, helft! Lauft schnell um die Ecke des – – –«

Ich drückte ihm die linke Hand fest auf den Mund, setzte ihm mit der rechten das Messer auf die Brust und raunte ihm drohend zu:

»Schweig! Sag noch ein Wort, so ersteche ich dich!«

Er wußte, daß ich das nicht thun würde, denn erstens kannte er mich als einen Feind des unnützen Blutvergießens, und zweitens durfte ich ihn nicht töten, wenn ich mich seiner als Geisel bedienen wollte. Es kam ihm darauf an, seinen Leuten zu sagen, wie sie sich zu verhalten hatten, und das war für ihn nicht unmöglich, weil er den Kopf bewegen konnte. Indem er ihn schnell auf einander von einer Seite nach der andern drehte, bekam er den Mund frei; ich verschloß ihm denselben zwar schnell wieder mit der Hand, doch kam er immer wieder von derselben los, und so gab es eine Reihe von Momenten, in denen sein Mund bedeckt und unbedeckt war, und er benutzte jeden der letzteren Augenblicke, um in wiederholten Unterbrechungen hinunterzuschreien:

»Lauft um die Ecke – – – bis wo man – – – herauf kann – – ich liege – – – hier auf – – – ich liege – – – hier auf – – – dem Felsen – – – und – – –«

Weiter ließ ich ihn nicht kommen. Ihm jetzt einen Knebel in den Mund zu stecken wäre unmöglich gewesen, weil er die Zähne fest zusammengebissen hätte; ich mußte ihn wieder betäuben, was durch einen tüchtigen Fausthieb geschah.

Die Comantschen waren natürlich alle wach geworden. Es wäre mir sehr lieb gewesen, wenn sie, wie ich von ihnen als Indianern eigentlich erwartete, geschrieen hätten; aber sie verhielten sich klugerweise zunächst so ruhig, daß sie jedes Wort ihres Häuptlings verstanden. Da ich ihm immer den Mund wieder bedeckte, so klangen seine Rufe außerordentlich gefährlich; das versetzte sie in Aufregung, und darum ließen sie, als er nun schwieg, ein Wutgeheul hören, wie man es von menschlichen Lippen für unmöglich halten sollte. Ich hörte, daß sie nach der Richtung liefen, welche er ihnen angegeben hatte. Es lag mir selbstverständlich daran, daß sie seinen Befehl nicht ausführten; darum rief ich, ihr Geschrei übertönend, hinunter:

»Halt! Bleibt stehen, und hört, was ich euch sage!«

Ich horchte; es war nichts zu hören; sie standen also still, und ich fuhr fort:

»Ich bin Old Shatterhand und habe To-kei-chun gefangen genommen. Bleibt ihr ruhig hier im Lager, so wird ihm nichts geschehen; kommt ihr aber herauf, so ersteche ich ihn. Ich will das gefangene Bleichgesicht frei haben. Wenn es Tag geworden ist, werdet ihr hören, was ich von euch und euerm Häuptling verlange!«

Für kurze Zeit herrschte die tiefste Stille unten; sie überlegten. Dann hörte ich eine Stimme:

»Uff! Old Shatterhand tötet keinen wehrlosen Gefangenen. Meine Brüder mögen thun, was To-kei-chun befohlen hat!«

»Uff, uff, uff, hiiiiiiiiiih!« antworteten ihm die andern, indem sie das Kriegsgeheul erschallen ließen, und ich hörte, daß sie fortrannten.

Die Lage, in der ich mich nun befand, war nicht beneidenswert. Es war richtig: ich hatte nicht die Absicht, mich an dem Leben des Häuptlings zu vergreifen; meine Drohung, ihn zu töten, hatte keinen Erfolg; sie kamen herauf. Aber den Häuptling tragen und mit dieser Last in dunkler Nacht und bei dem außerordentlich schwierigen Terrain den Verfolgern entgehen, das war keine Kleinigkeit. Ja, wenn es mir gelungen wäre, ihn unentdeckt zu entführen, so hätte ich mir Zeit nehmen können; nun aber mußte ich mich beeilen, und das machte die Sache gefährlich.

Ja, wenn sie alle fortgelaufen wären, so hätte das Entkommen für mich gar keine Schwierigkeiten gehabt. In diesem Falle wäre ich mit meinem Gefangenen wieder von dem Felsen hinunter, um die Flucht über den verlassenen Lagerplatz hinaus auf die Ebene zu nehmen und in einem Bogen die Stelle zu erreichen, wo meine Gefährten sich befanden. So kühn dies klingen mag, so ungefährlich wäre es gewesen. Leider aber war eine Anzahl von ihnen zurückgeblieben; fünf oder sechs befanden sich am Feuer bei dem Gefangenen, um diesen nun um so strenger zu bewachen, und die andern, wohl mehr als zehn, standen unten, dem Felsen gegenüber, und richteten ihre Aufmerksamkeit herauf zu mir. Da konnte ich freilich nicht hinab.

Es blieb mir also nichts übrig, als die gefährliche Kletterpartie zu unternehmen. Dabei mußte ich die Arme frei haben, um mich meiner Hände bedienen zu können; ich war gezwungen, den Häuptling auf dem Rücken zu tragen, ihn mir dort festzubinden. Als dies mit Hilfe des Lassos und nach Ueberwindung der dabei erklärlichen Schwierigkeiten geschehen war, trat ich den Rückzug an, und zwar auf demselben Wege, der mich heraufgeführt hatte und den ich kannte.

Das Geheul der Indianer war verstummt, und ich hörte nichts als das Geräusch, welches ich selbst verursachte und welches zu vermeiden eine Unmöglichkeit war. Wie oft mußte ich mich an Felsenzacken und Bäumen anhalten, um nicht zu stürzen! Da krachten dürre Aeste, da rollten Steine, die ich lostrat, in die Tiefe. Das mußten die Roten hören, die sich jetzt so ruhig verhielten. Sie kamen lautlos heraufgestiegen, und der von mir verursachte Lärm zeigte ihnen den Weg zu mir. Die einzige Hoffnung, welche ich hatte, beruhte auf der Beschaffenheit der Oertlichkeit. Ich kannte meinen Weg, und ihnen mußte es viel schwerer werden, die Hindernisse, welche ihnen das unbekannte Terrain entgegenstellte, zu überwinden.

So kam ich weiter und weiter, bald aufrecht gehend, bald unter und zwischen den Bäumen kriechend, bald Felsen erkletternd und bald steile Senkungen hinabrutschend, und das alles mit dem Häuptlinge auf dem Rücken. Unglücklicherweise hatte dieser noch immer keinen Knebel im Munde. Vorhin, als ich ihn zum zweitenmal betäubte, hatte ich versucht, ihm den Mund zu öffnen; dieser war aber so fest zu, daß ich ihn nur mit dem Messer hätte aufbrechen können, und das wollte ich nicht. Nun kam ihm das Bewußtsein zurück; das merkte ich aus den Bewegungen, welche er machte. Die Arme vom Körper zu nehmen und die Füße auseinander zu bringen, das vermochte er nicht; aber er konnte die Beine, trotzdem sie zusammengebunden waren, auf und nieder bewegen, indem er die Kniee bog, und das that er so kräftig wie möglich, um mir seine Füße von hinten in die Kniekehlen zu stoßen. Dies erschwerte mir die Kletterei bedeutend, aber ich kam doch vorwärts. Da fiel es ihm ein, daß es besser sei, mit dem Munde zu arbeiten, als mit den Beinen, und er schrie:

»Hierher, hierher, ihr Krieger der Comantschen! Hier bin ich; hier schleppt er mich!«

»Schweig!« herrschte ich ihm zu. »Es ist mir Ernst; wenn du nicht ruhig bist, so ersteche ich dich!«

»Stich doch zu!« antwortete er in höhnischem Tone. »Wie willst du den Gefangenen frei bekommen, wenn du mich ermordet hast?«

Er schrie also weiter, nur zuweilen eine Pause machend, um Atem zu holen und dann um so lauter zu brüllen. Da mußte ich freilich seinen Leuten in die Hände laufen. Darum zog ich das Messer, setzte ihm die Schneide desselben an die Kehle und drohte:

»Hörst du nicht sofort auf, so schneide ich dir die Gurgel durch!«

Wie sehr der Kerl sich auf meine Menschlichkeit verließ, bewies er dadurch, daß er, obgleich er die scharfe Klinge an seinem Halse fühlte, doch antwortete:

»Schneiden? Du wolltest doch stechen! Du wirst weder das eine noch das andere thun! Hier bin ich, ihr Comantschen, hier! Kommt hierher; hierher müßt ihr kommen!«

Das mußte anders werden; so durfte es nicht weiter gehen, denn dieses Gebrüll zeigte nicht nur seinen Leuten an, wo ich mich befand, sondern machte es mir auch unmöglich, ihre Schritte zu hören, wenn sie in meine Nähe gelangten. Sollte ich ihn zum drittenmal betäuben? Das war eine ungewisse Sache; es gelingt nicht jedesmal, und ich konnte ihn auch erschlagen; außerdem hätte ich ihn losbinden müssen, weil ich ihn auf dem Rücken trug, und dabei wäre eine kostbare Zeit vergangen. Ich langte also mit dem Messer über meine Schulter hinunter, setzte ihm die Spitze auf den oberen Teil der Brust und sagte:

»Ich steche wirklich, wenn du nicht gleich schweigst!«

»Stich zu, stich zu!« war seine Erwiderung.

»Gut, du willst es so!«

Ich stach, doch nicht tief.

»Hund!« brüllte er.

»Noch ein Wort, so fährt dir die Klinge bis ans Heft in den Leib!«

Da war er still, und ich blieb einige Augenblicke stehen, um zu lauschen. Es regte sich nichts. Aber jetzt – – ja, da klangen unterdrückte Stimmen zu mir herauf, nicht von der Lehne des Berges, sondern vom Fuße desselben her. Das verriet mir die Absicht, welche die Roten verfolgten. Der Aufstieg war ihnen zu beschwerlich, vielleicht gar unmöglich gewesen, und die Stimme ihres Häuptlings hatte ihnen verraten, daß ich nicht oben blieb, sondern mit ihm abwärts stieg. Da brauchten sie ja nur unten zuwarten, bis ich hinunterkam, um mich dann zu empfangen. Aber sie wußten die Stelle nicht, an welcher das zu geschehen hatte, und so mußten sie sich verteilen und eine Linie bilden, welche bei meinem Erscheinen schnell zusammengezogen werden konnte. Daher die Stimmen, welche einander jetzt zuriefen.

Jetzt kam es darauf an, ob sie die Linie bis dahin ausdehnten, wo meine Gefährten versteckt lagen. Wenn dies der Fall war, so konnten die letzteren leicht etwas thun, was nicht gutzuheißen war, und darum hatte ich von jetzt an weit mehr Sorge um sie als um mich.

Ich hatte allerdings nun den schwierigsten Teil des Weges zurückgelegt, und der Abstieg ging viel schneller und besser von statten als bisher. In zehn Minuten konnte ich unten sein; da krachte plötzlich ein Schuß, und eine Stimme rief:

»Da hast du etwas für deine Neugierde, roter Schuft! Nun weißt du, wer wir sind.«

Das war Jim Snuffles Stimme. Die Indianer hatten also unser Versteck entdeckt. Sollte ich diesen Schuß und Jims Schreien gutheißen oder nicht? Das wußte ich jetzt noch nicht; jedenfalls folgte die Wirkung sofort, denn zunächst erhoben einige Rote ihr Geheul, und dann fielen die andern in dasselbe ein; man hörte daraus die Länge der Linie, welche sie bildeten.

Nach kurzer Zeit hörte ich einen zweiten Schuß, und zwar ein großes Stück von der Stelle entfernt, wo der erste gefallen war, und gleich darauf erklang die Stimme Jims:

»Dieses Krachen kenne ich. Nicht wahr, du hast geschossen, alter Tim?«

»Yes!« lautete die allbekannte kurze Antwort.

»Recht so! Gieb es ihnen! Wollen doch sehen, ob sie uns an den Leib können! Das wäre für sie das höchste der Gefühle!«

Es fielen noch einige Schüsse, auf welche die Roten mit Geschrei antworteten, und ich hörte aus demselben, daß sie sich entfernten. Sie hatten eine Lehre erhalten, welche sie beherzigten. Dann kam ich glücklich unten an. Ich fand nur die Pferde vor und einen der beiden Diener Dschafars.

»Ihr seid allein hier? Wo sind die andern?« fragte ich.

»Fort,« antwortete er. »Die Roten kamen uns zu nahe, und Jim Snuffle war der Ansicht, daß sie vertrieben werden müßten.«

Da hörte ich das Rauschen von Zweigen; es nahten Schritte, und der soeben Genannte kam.

»Sie sind fort,« sagte er, mich nicht sogleich sehend, »und werden wohl nicht gleich wiederkommen. Wenn nur auch Mr. Shatterhand bald käme! Man weiß ja gar nicht, wie es steht. Man konnte aus dem Geschrei da oben nicht so recht klug werden. Es klang beinahe, als ob – – –«

Da fiel sein Auge dahin, wo ich stand; er hielt inne, trat zwei Schritte näher und fuhr dann fort:

»Wetter! Wer ist denn das? So einen dicken Kerl, wie dieser ist, hat man – – –«

»Er scheint nur so dick,« unterbrach ich ihn; »es sind aber zwei Kerls, Mr. Snuffle.«

»Ah, Ihr seid es, Ihr?« rief er erfreut aus. »Gott sei Dank, daß Ihr – – –«

»Still, still!« warnte ich ihn. »Ihr schreit ja so, als ob man Euch unten in Texas hören solle. Wißt Ihr denn nicht, wie nahe uns die Roten sind?«

»Nahe?« lachte er. »Fällt ihnen nicht ein! Ja, sie waren nahe, sind es aber nicht mehr.«

»Wißt Ihr das genau?«

»Yes! Habe sie mit diesen meinen eigenen Augen ausreißen sehen. Kamen so am Fuße des Berges entlang, immer einer hinter dem andern. Wollten wahrscheinlich eine Kette bilden, um Euch aufzufangen; wir aber rollten sie auf.«

»Und das ist gelungen?«

»Yes, vorzüglich gelungen. Mein alter Tim ist mit den andern hinter ihnen her; ich aber kam hierher, um Euch zu erwarten. Wer ist denn der Kerl, den Ihr auf dem Rücken habt?«

»Sollt es gleich sehen. Habe ihn Euch noch nicht gezeigt, weil ich vor allen Dingen wissen mußte, ob wir hier sicher sind.«

»So sicher wie die Sardine im Olivenöl. Ihr könnt Euch darauf verlassen.«

»So nehmt ihn mir vom Rücken herunter! Habt Ihr ihn denn nicht an seiner Stimme erkannt, als er vorhin schrie? Er hat doch laut genug gebrüllt.«

»Weiß ich denn, ob es derselbe ist! Vorhin schien es der Häuptling zu sein.«

Er faßte den Gefangenen an und ließ ihn, als ich den Lasso aufgeknüpft hatte, langsam auf den Boden nieder; dann blickte er ihm in das Gesicht und rief erstaunt aus:

»Wetter! Das ist ja To-kei-chun, der alte Teufel! Wie seid Ihr denn zu dem gekommen?«

»Werde es Euch erzählen, wenn wir Zeit dazu haben.«

»Durch Zufall wohl?«

»Nein.«

»Also mit Absicht?«

»Ja.«

»Unmöglich! Ihr wollt doch nicht etwa sagen, daß Ihr in der bestimmten Absicht von uns fortgegangen seid, den Roten ihren geliebten Häuptling zu stehlen?«

»Das nicht. Ich ging, um Mr. Dschafar herauszuholen; dies war aber unmöglich, weil er zu scharf bewacht wurde. Da habe ich mir den Häuptling ausgebeten, was ganz dasselbe ist, denn wenn wir ihn haben, so ist es grad so gut, als ob wir Mr. Dschafar hätten.«

»Das ist wieder so ein Meisterstück, ja, ganz gewiß ein Meisterstück von Euch, Mr. Shatterhand!«

»Bin leider dazu gezwungen.«

»Gezwungen? Wieso?«

»Weil andere Leute nur Gesellen- oder gar bloß Lehrlingsstücke liefern.«

»Wem gilt das, Sir? Doch nicht etwa mir?«

»Auch mit.«

»Oho! Ist es etwa ein Lehrbubenstreich, daß ich die ganze Linie der Roten mit so wenig Mann aufgerollt habe?«

»Wenn es wirklich so ist, wie Ihr sagt, so will ich es loben.«

»Es ist so, Mr. Shatterhand. Ihr seid also mit mir zufrieden?«

»Ja und nein.«

»Warum nein?«

»Die Indsmen kamen vorhin doch wohl nicht ganz bis hierher?«

»Nein.«

»Wie nahe waren sie?«

»Wohl an die fünfhundert Schritte weit von hier; da wollten sie sich häuslich niederlassen, bis Ihr kommen würdet.«

»Warum seid Ihr denn eigentlich hin, um sie von dort zu vertreiben?«

»Natürlich Euertwegen!«

»Meinetwegen? Das kann ich leider nicht begreifen.«

»Nicht? Ihr seid doch sonst nicht so schwer von Begriffen! Wir haben sie fortgejagt, weil sie es auf Euch abgesehen hatten.«

»Ihr glaubtet also, daß sie mich erwischen würden?«

»Yes.«

»Sonderbarer Knabe, der Ihr seid, Mr. Snuffle! Von wo aus habe ich denn eigentlich meinen Weg angetreten?«

Von hier aus.«

»Und nach welchem Orte wollte ich denn zurückkehren?«

»Nach hier.«

»Well! Was gingen Euch da die Roten an?«

Er starrte mich, ganz verwundert über diese Frage, eine Weile an und antwortete dann:

»Was sie uns angingen? Sir, ich weiß da wirklich nicht, was Ihr wollt!«

»Hm! Die Indianer bildeten eine lange Linie. Derjenige von ihnen, welcher Euch am nächsten war, befand sich an die fünfhundert Schritte weit von hier. Konnten sie mich da fassen?«

»Ob sie – – fassen? – – hm! – – Wetter! – – – eigentlich nicht, Mr. Shatterhand,« erklärte er verlegen.

»Hattet Ihr also Grund, sie zu vertreiben?«

»So wichtigen Grund wohl nicht. Aber es kommt Euch doch wohl nicht bei, das, was ich gethan habe, einen Fehler zu nennen?«

»Ja, grad das kommt mir bei!«

»Hört, das möchte ich mir verbitten! Das, was andre Leute, als Ihr seid, thun, braucht nicht deswegen immer und stets fehlerhaft zu sein!«

»Fällt mir gar nicht ein, so etwas zu behaupten; aber höchst wahrscheinlich seid Ihr vernünftig genug, einzusehen, daß ihr durch Euer Vorgehen unser Versteck verraten habt?«

»Verraten? Unser Versteck? Hm, hm, hm! Meint Ihr das wirklich?«

»Gewiß! Wenn Ihr Euch hier ruhig verhalten hättet, wüßten die Indianer gar nicht, wo wir uns befinden.«

»Mag wohl so sein!«

»Ja, noch mehr: sie wüßten gar nicht, ob ich allein hier bin oder Euch auch mitgebracht habe. Das gebt Ihr hoffentlich zu?«

»Gern nicht, Sir.«

»Nicht gern, aber doch. Ihr seid ja dazu gezwungen.«

»Ich meine aber doch, es ist ganz egal, ob sie wissen oder nicht, wo wir stecken.«

»Da irrt Ihr Euch. Es ist ganz und gar nicht egal, ob sie das wissen oder nicht. Wenn sie es nicht erfahren hätten, so wüßten sie nicht, wohin sie ihre Aufmerksamkeit zu richten haben; nun aber haben sie es erfahren, und wie ich sie kennen gelernt habe, werden sie sich das zu nutze machen.«

»Möchte wissen, wie?«

»Denkt nach, so werdet Ihr darauf kommen!«

»Ich meine, daß ich es auch ohne Nachdenken von Euch erfahren kann.«

»Ja, es würde mir aber lieber sein, wenn Ihr es durch Euern eigenen Genius fändet.«

»Geht mir mit dem Genius! Ein Stück gute Büffellende ist mir lieber.«

»Das glaube ich Euch, ohne daß Ihr es mit einem Eid bekräftiget. Die Roten haben Mr. Dschafar in ihren Händen, und ich habe ihren Häuptling gefangen genommen. Was werden sie denken, daß nun geschieht?«

»Daß beide gegeneinander ausgewechselt werden sollen.«

»Richtig!«

»Dabei kommen sie noch sehr gut weg, denn ihr Gefangener ist ein gewöhnlicher Mann, wenigstens nach ihren Begriffen, während der unserige ein Häuptling ist. Sie werden also gern auf unser Verlangen eingehen.«

»Sobald es Tag geworden ist, ja, eher aber nicht.«

»Meint Ihr? Warum nicht eher?«

»Am Tage können sie nichts mehr gegen uns thun; die Nacht aber können sie zu einem Streiche gegen uns ausnützen.«

»Uns etwa überfallen?«

»Gewiß. Wenn es ihnen gelingt, ihren Häuptling zu befreien, brauchen sie Mr. Dschafar nicht herzugeben.«

»Das sollen sie nur einmal versuchen!«

»Warum nicht?«

»Wir würden sie mit zerschossenen Köpfen fortschicken. Ich wollte sehr, sie thäten es; das wäre mir das höchste der Gefühle.«

»O, ich bin überzeugt, daß sich in diesem Falle noch ganz andere Gefühle einstellen würden, die nicht zu den höchsten gehören. Bei Tage können sie uns nicht überfallen, sich nicht an uns wagen; da fürchten sie sich vor uns; das ist ja längst erwiesen. Aber des Nachts kann ihnen ein solcher Streich gelingen.«

»Nein!«

»Doch!«

»Wir werden aufpassen!«

»Das nützt uns nichts. Was hilft uns alle Aufmerksamkeit, wenn sie uns einschließen?«

»Einschließen? Hm! Und wenn sie das thäten, würden wir uns wehren!«

»Am Tage, ja; aber wie wollt Ihr Euch des Nachts gegen einen Feind wehren, den Ihr nicht sehen könnt?«

»Aber Sir, wir sind ja geschützt, wir sind rückenfrei!«

»Ja, wir haben hier hinter uns den steilen, bewaldeten Berg, von welchem aus sie uns des Nachts nicht angreifen können.«

»Und der uns auf alle Fälle eine Zuflucht bietet.«

»Ihr seid wirklich ein großer Stratege, Mr. Snuffle, und ein noch viel größerer Taktiker!«

»Pshaw! Wenn Ihr Euch über mich lustig machen wollt, so thut es immerhin; es ist ein sehr billiges Vergnügen!«

»Ich treibe keinen Scherz, sondern ich spreche sehr im Ernste. Die Roten wissen, wo wir stecken. Wir liegen hier am Rande der Ebene, am Fuße des Berges. Sie brauchen nur eine Linie zu bilden, welche links von uns einen Halbkreis hinaus in die Ebene zeichnet, der rechts von uns wieder an den Berg stößt, so sind wir eingeschlossen.«

»Und Ihr meint, sie greifen uns dann an?«

»Ja.«

»Das sollen sie nur wagen!«

»Sie wagen gar nicht viel. Sie ziehen den Halbkreis enger und enger zusammen, bis er keine Lücke mehr aufweist, und fallen dann plötzlich über uns her.«

»Da wehren wir uns!«

»Pshaw! Womit?«

»Mit den Gewehren.«

»Schießt doch einmal des Nachts auf jemanden, den Ihr nicht seht!«

»So lassen wir sie so nahe herankommen, daß wir sie sehen.«

»Dann ist es für die Gewehre zu spät; sie nützen uns nichts mehr.«

»So nehmen wir die Messer!«

»Also Nahekampf? Da sind sie uns überlegen, siebzig Krieger gegen unsere wenigen Leute! Euern Mut und Eure Tapferkeit in allen Ehren; ich stelle auch meinen Mann; aber wenn in der Nacht in einem einzigen Augenblicke siebzig Indianer auf uns eindringen, so sind wir verloren; wir werden zwar einige von ihnen erstechen oder erschießen, werden aber gewiß binnen wenigen Minuten niedergemacht.«

»So fliehen wir in den Wald, da den Berg hinauf; da können sie uns nicht folgen!«

»Und die Pferde lassen wir zurück?«

»Die könnten wir freilich nicht mitnehmen.«

»Ich wiederhole es: Ihr seid ein sonderbarer Heiliger, Mr. Snuffle! Das günstigste, was von uns hier geschehen kann, ist, daß wir fliehen. Seht Ihr ein, daß wir nicht hier bleiben können?«

»Vielleicht doch. Es fragt sich sehr, ob sie auf den Gedanken kommen werden, uns einzuschließen und zu überfallen.«

»Sie kommen darauf; das mögt Ihr nur immer glauben. Wir müssen fort, weil Ihr durch Euern Angriff unser Versteck verraten habt.«

»Es ist doch zum Teufel, daß ich immer unrecht haben muß!« knurrte er.

»O, das würde noch gehen; aber unrecht thun, das ist schlimmer. Fehlerhaft denken, das kann vorkommen, aber fehlerhaft handeln, das soll nicht vorkommen. Ich sage – – –«

Meine Rede wurde dadurch unterbrochen, daß Tim Snuffle kam.

»Höre, alter Jim,« sagte er, »es scheint, als ob die Roten – – – ah, da seid Ihr ja selbst, Mr. Shatterhand! Wer liegt hier?«

»To-kei-chun,« antwortete ich.

»Wetter! Habt ihn gefangen?«

»Ja.«

»Well, großartig, unvergleichlich! Wißt wohl schon alles?«

»Ja. Ihr kommt, um etwas zu melden?«

»Yes.«

»Was?«

»Es scheint, die Indsmen haben was vor.«

»Woraus schließt Ihr das?«

»Kriechen langsam in die Ebene hinaus.«

»Ah, dachte es! Hört Ihr es, Jim, daß ich recht hatte. Sie beginnen, den Plan auszuführen, von dem ich sprach. Macht schnell, daß Ihr die andern holt. Sie sollen leise hierherkommen und sich zum Aufbruche fertig machen. Ich will den Indsmen indessen einen Zaum anlegen.«

Ich nahm den Henrystutzen und ging fort, zwischen den Sträuchern hinaus auf die offene Prairie. Dort legte ich mich nieder und kroch weiter, gerade fort, auf dem Radius des Halbkreises, den nach meinem Vermuten die Indianer zu bilden im Begriffe standen. Als ich weit genug gekommen zu sein glaubte, hielt ich an und wartete. Ja, richtig, da kamen sie von links herüber in gebückter, hockender Körperhaltung, langsam, einer hinter dem andern. Als der vorderste von ihnen noch vier Schritte entfernt war, gab ich, doch ohne auf ihn oder einen andern zu zielen, drei oder vier Schüsse ab und rief:

»Zurück! Hier ist Old Shatterhand! Wer wagt sich weiter?« Ein mehrstimmiger Schreckensruf erscholl, und die Kerls verschwanden. Ich gab noch einige Schüsse hinter ihnen her, stand dann auf und eilte nach unserm Verstecke zurück.

Dort waren die Gefährten jetzt alle beisammen. Sie hatten natürlich meine Schüsse gehört, und Tim Snuffle fragte:

»Ihr habt geschossen, Sir. Auf wen?«

»Auf die Roten natürlich! Oder meint Ihr etwa, daß ich mir das Vergnügen gemacht habe, einige Fixsterne vom Firmament herunterzuschießen?«

»War freilich eine überflüssige Frage! Die Comantschen kamen also wirklich?«

»Ja.«

»Und dann?«

»Sie rissen aus.«

»So können wir also nun hier bleiben?«

»Nein, denn ich bin überzeugt, daß sie den Versuch wiederholen werden, nur in weiterer Entfernung von hier. Machen wir also, daß wir fortkommen!«

Der Häuptling hatte alles gehört, was gesprochen worden war; ich glaubte, keinen Grund zu haben, es vor ihm geheim zu halten. Er hatte weder ein Wort gesagt, noch sonst ein Lebenszeichen von sich gegeben. Ich ließ ihn mir, nachdem ich meine Gewehre übergehängt und mein Pferd bestiegen hatte, heraufgeben und nahm ihn quer vor mir auf das Tier; dann ritten wir fort, hinaus auf die Ebene, bis wir die Stelle erreichten, wo wir bei unserer vorigen Anwesenheit den jetzt wieder gefangenen Häuptling schon einmal ausgetauscht hatten. Dort stiegen wir ab, hobbelten unsere Pferde an und setzten uns nieder. Den Comantschen nahmen wir in unsere Mitte. Jetzt erst fand ich Zeit, zu erzählen, auf welche Weise ich den Häuptling in meine Gewalt bekommen hatte. Die Gefährten hörten mir staunend zu, denn keiner von ihnen hätte das gewagt, was mir so leicht geworden war. Das Schwierigste dabei war ja der Rückweg gewesen. Es wurde mir allgemeines Lob zu teil; To-kei-chun aber, der jedes Wort auch gehört hatte, knirschte mit den Zähnen.

»Horch, alter Tim!« forderte Jim Snuffle seinen Bruder auf. »Hat dein Ohr es auch vernommen?«

»Was?«

»Wie die Kauwerkzeuge dieses alten, roten Sünders soeben aufeinander gerieten?«

»Yes.«

»Er ärgert sich gewaltig. Es ist aber auch ganz und gar keine Ehre, wenn so ein berühmter Kriegshäuptling eines noch berühmteren Stammes sich immer und immer wieder fangen und mit Riemen umwickeln läßt! Pfui Teufel! Eine dumme Maus, welche einmal in eine Falle geraten und wieder aus derselben entkommen ist, die geht gewiß nie wieder hinein. Sie ist pfiffiger als dieser große Kriegsanführer des Comantschenvolkes.«

»Schweig, Hund!« brauste da, sein bisheriges Schweigen aufgebend, To-kei-chun auf. »Deine Worte sind wie die Losung eines Coyoten auf der Savanne: kein Mensch achtet auf sie! Du wirst sie aber dennoch zu bereuen haben!«

»Wann denn wohl?«

»Wenn du dich in meiner Hand befindest.«

»Wetter! Du glaubst also, mich noch einmal fangen zu können?«

»Ich glaube es nicht, sondern ich weiß es.«

»So? Höchst sonderbar! Weißt du es auch, alter Tim?«

»No.«

»Schön! So wird er sich also wohl irren. Er und mich einmal fangen! Der Kerl ist verrückt! Es liegt in unserer Hand, ihn auszulöschen wie ein Licht, das nicht mehr brennen darf, und da hat er die Frechheit, mir zu drohen! Man sollte – – – – horch!«

Vom Berge scholl ein vielstimmiges Geheul herüber.

»Das sind die Roten,« fuhr Jim fort. »Was mag wohl dieser ihr schöner Gesang zu bedeuten haben, Mr. Shatterhand?«

»Das wißt Ihr nicht?«

»Nein. Es ist mir keine Veranlassung für sie bekannt, jetzt ein solches Lied anzustimmen.«

»Die Antwort ist aber sehr einfach. Wie ich Euch schon sagte, haben sie, obgleich sie durch mich vertrieben wurden, ihre Absicht, uns zu überfallen, nicht aufgegeben, sondern sie doch noch ausgeführt. Sie haben unser Versteck umzingelt und sind auf ein gegebenes Zeichen alle auf einmal in dasselbe eingebrochen.«

»Die Vögel waren aber ausgeflogen!«

»Ein Glück für uns, daß es so ist. Sie aber sind so wütend darüber, daß sie heulen.«

Das konnte der Häuptling nicht ruhig anhören, er zischte mich an:

»Du sagst, sie heulen vor Wut; ich aber sage dir, daß sie noch vor Freude heulen werden!«

»Pshaw!« antwortete ich. »Ihr Geheul ist eine Dummheit und deine jetzigen Worte sind noch viel dümmer.«

»Schweig! Was To-kei-chun sagt, ist niemals dumm; er weiß, was er spricht!«

»Und ich weiß, was du denkst! Ist dir die Mahnung unbekannt, daß man nicht immer sagen soll, was man weiß? Wären deine Krieger jetzt still gewesen, so wüßten wir nicht, daß sie den vergeblichen Ueberfall unternommen haben. Und hättest auch du geschwiegen, so wüßten wir nicht, auf was du wartest.«

»Glaubt Old Shatterhand vielleicht, allwissend zu sein?«

»Nein; aber wenn ein dummer Mensch seine Zunge nicht halten kann, so pflege ich zu sehen, was auf derselben liegt. Soll ich dir deine Gedanken sagen?«

»Du kennst sie nicht!«

»So höre! Du hast uns soeben gedroht. Du glaubst also, freizukommen, ohne zum Frieden verpflichtet zu sein. Das kann aber nur dadurch geschehen, daß deine Krieger dich befreien. Und weil ihnen dies am Tage unmöglich ist, so meinst du, daß sie dich noch in dieser Nacht holen werden.«

»Uff!« höhnte er. »Old Shatterhand scheint in die Haut des großen Geistes gefahren zu sein, der alles weiß!«

»Spotte immerzu! Grad dieser Spott sagt mir, daß ich das Richtige getroffen habe.«

»Wie kann ich denken, daß meine Krieger mich befreien! Sie wissen ja gar nicht, wo ich mich jetzt befinde.«

»Sie wissen es!«

»Nein, denn sie sind nicht so allwissend, wie Old Shatterhand, welcher einem sagen kann, was jeder Wurm und jeder Käfer für vortreffliche Gedanken hat!«

»Dein Hohn nützt dir nichts. Die Krieger der Comantschen wissen, daß ich das gefangene Bleichgesicht austauschen will und also am Morgen mit ihnen sprechen muß; ich werde mich also nicht weit von ihrem Lager entfernen. Sie fragen sich jetzt, wo ich bleiben und mit ihnen verhandeln werde, und die Antwort wird ganz natürlich lauten: da, wo er schon einmal mit uns verhandelt hat. Wenn deine Krieger sich das nicht sagten, so hätten sie kein Gehirn. Sie werden also die Nacht benutzen, noch einmal einen Ueberfall zu versuchen.«

»Uff!«

Jetzt klang dieser Ausruf nicht mehr höhnisch, sondern wie zornige Enttäuschung.

»Er wird ihnen aber nicht gelingen,« fuhr ich fort, »obgleich du deine ganze Hoffnung auf ihn setzest. Wenn du diese Hoffnung nicht hegtest, würdest du es unterlassen haben, uns zu drohen. Du siehst also ein, daß deine Rede eine ebenso große Albernheit wie vorhin ihr Geheul da drüben war.«

Ich bediente mich mit voller Absicht der beiden sonst verpönten Worte dumm und albern. Er hatte sein Wort gebrochen und mußte nun so tief beschämt werden, wie es mit meiner sonstigen Gesinnung zu vereinbaren war. Er antwortete nur mit einem zornigen Schnaufen, und ich sprach weiter.

»Du bist es eigentlich gar nicht wert, daß ein Krieger mit dir redet, denn du hast das Calumet entweiht und den Frieden nicht gehalten, den du uns versprachst. Du solltest eigentlich die Strafe – – –«

»Mir ist nur mein Calumet heilig, das deinige aber nicht,« fiel er mir in die Rede. »Warum hast du nicht das meinige geraucht? Old Shatterhand ist noch viel dümmer, als er andere Leute schimpft!«

»Ich habe nicht dumm und vertrauensselig gehandelt. Hätte ich aus deiner Friedenspfeife geraucht, so wäre mir das dabei gegebene Versprechen ebenso heilig gewesen, als wenn es aus meinem Calumet gekommen wäre. Ich habe deine Verschlagenheit gar wohl gekannt und sogar meinen Gefährten gesagt, was du im Schilde führtest, und dich dennoch nicht gezwungen, dich deiner Pfeife anstatt der meinigen zu bedienen. Ich unterließ das nicht etwa aus Dummheit, sondern weil ich weiß, daß ich dich nicht zu fürchten brauche; du bist ein kleiner Wurm gegen mich, den ich in jedem Augenblicke zertreten kann.«

»So zertritt mich doch! Kannst du es wirklich?«

»Ja.«

»Was wird dann aus dem Bleichgesichte, welches sich bei uns befindet?«

»Pshaw! Poche ja nicht zu sehr darauf! Ich würde diesen Weißen befreien, auch wenn du dich nicht in unserer Gewalt befändest. Ich will jetzt da weitersprechen, wo du mich vorhin unterbrochen hast. Mit deiner Treulosigkeit hast du eigentlich die Strafe der Lügner verdient, nämlich einen Schlag in das Gesicht, der dich für alle Zeit entehrt, so daß keiner deiner Krieger mehr etwas von dir wissen mag; aber Old Shatterhand weiß, daß Liebe besser ist, als Haß, und so will ich auf eine solche Rache verzichten und noch einmal freundlich mit dir sprechen.«

»Ich mag nichts hören!«

»Ich will dir einen Vorschlag machen, von dem ich erwarte, daß du auf ihn – – –«

»Ich mag von dir nichts hören!« wiederholte er, mich unterbrechend.

»Das ist natürlich nicht dein letztes Wort. Du weißt ja noch gar nicht, was – – –«

»Schweig!« fiel er mir wieder in die Rede. »Ich weiß alles!«

»Gut, so werde ich schweigen; es wird die Zeit kommen, in welcher du gern mit mir sprechen wirst. Ob und wie ich dann reden werde, das wirst du erfahren.«

»Sir, soll ich dem Halunken für seine Frechheit eine Ohrfeige geben?« fragte mich Jim.

»Nein,« antwortete ich. »Einen Wehrlosen schlägt man nicht, und ich habe ihm gesagt, daß er keinen Schlag bekommen soll.«

»Darauf fußt er eben! Ah, ihm so einen tüchtigen Box ins Gesicht oder auf den Magen zu geben, das wäre für mich das höchste der Gefühle! Denkst du nicht auch, alter Tim?«

»Yes!« erklang es im tiefsten Brusttone der Ueberzeugung; mehr als dieses Wort aber sagte er nicht.

Ich war überzeugt, daß wir bald abermals beschlichen würden. Was wir dagegen thaten, das sollte der Häuptling nicht sehen; darum ließ ich ihm eine abgewendete Lage geben und besprach mich leise mit den Gefährten. Die beiden Snuffles, Perkins, die andern beiden Führer und ich wollten uns gegen die etwaigen Späher wenden, während die zwei Diener bei dem Häuptlinge sitzen blieben. Wir sechs krochen, auf der Erde liegend, eine Strecke vor; dann postierte ich sie so, daß sie ungefähr vierzig Schritte auseinander lagen und eine gegen den Berg gerichtete gerade Linie bildeten, deren Mitte in noch weiter vorgerückter Lage ich selbst einnahm. Auf diese Linie mußte der oder mußten die Kundschafter treffen, welchen oder welche man aussandte, um zu erfahren, wo wir lagerten.

Wie so oft, hatte ich mich auch diesesmal nicht getäuscht. Wir lagen noch keine halbe Stunde, so hörte ich Jim Snuffle rufen:

»Da will jemand zwischen uns hindurch. Halte ihn fest, alter Tim!«

»Yes.«

Die beiden Brüder lagen zu meiner rechten Hand hinter mir, erst Tim und dann Jim. Ich blickte mich um und sah Tim auf eine Gestalt zurennen, welche sich soeben vom Boden erhob und schnell zu entkommen trachtete. Sie sprang in weiten Sätzen fast genau auf die Stelle zu, an welcher ich lag, ein Stück vor den anderen, wie bereits gesagt. Es war natürlich ein Roter. Ich ließ ihn bis auf zehn Schritte herankommen und sprang dann plötzlich auf. Er blieb erschrocken stehen, nur einige Augenblicke lang; aber das war Zeit genug für mich, mit zwei Sprüngen bei ihm zu sein und ihn niederzureißen und festzuhalten, bis die Snuffles kamen und mir halfen, ihn zu binden. Er ließ dies lautlos und ohne Widerstand geschehen, so sehr war er erschrocken.

»Den haben wir!« freute sich Jim. »Ob wohl noch andere bei ihm waren?«

»Wie ich die Indsmen kenne, nein, denn sie wären zu gleicher Zeit mit ihm bemerkt worden; er ist allein,« antwortete ich. »Schaffen wir ihn zu seinem Häuptlinge, und machen wir uns dann fort.«

»Fort? Wohin?«

»Nicht sehr weit, an einen andern Ort, wo man uns nicht sucht.«

»Warum?«

»Mir ist soeben ein Plan gekommen. Ich sagte vorhin dem Häuptlinge, daß ich das gefangene Bleichgesicht auch ohne Auswechslung befreien würde; das will ich jetzt thun.«

»Wetter! Begebt Euch ja nicht wieder so in Gefahr!«

»Es ist gar keine Gefahr dabei. Ich will bloß nach den Häuptlingsgräbern, wo der Gefangene liegt.«

»Allein?«

»Ja, allein.«

»Da lauft Ihr aber doch den Indsmen in die Hände, denn sie sind dort!«

»Sie sind nicht dort.«

»Wer hat Euch das gesagt?«

»Der Kundschafter hier.«

»Habe kein Wort davon gehört!«

»Ich auch nicht; aber gesehen habe ich es.«

»Gesehen? Wieso?«

»Er floh vor Euch. Es war natürlich seine Absicht, zu seinen Gefährten zu entrinnen, und diese müssen sich da befinden, wohin er seine Richtung nahm. Er kam von Euch auf mich zu, von rechts herüber; sie müssen also links da drüben sein, nicht in ihrem Lager, sondern bei unserm Verstecke, wo sie geblieben sind, seit sie uns nicht dort fanden.«

»Das scheint freilich richtig zu sein.«

»Es ist richtig. Ferner ziehe ich folgenden Schluß: Als ich mich oben auf dem Felsen befand, stellten sich mehr als zehn Rote unten gegen mich auf, und sechs standen bei Mr. Dschafar. Sobald ich mich entfernt hatte, war das nicht mehr nötig. Es werden höchstens nur zwei Wächter bei dem Gefangenen sein, und mit denen werde ich leicht fertig; die übrigen haben sich den andern angeschlossen, die uns überfallen wollen. Ich gehe also nach den Häuptlingsgräbern, und vorher nehmen wir eine andere Stellung ein, damit wir vorkommenden Falles nicht gefunden werden.«

Die Snuffles fuhren fort, mich zu warnen; ich blieb aber bei meinem Vorsatze und zog die andern Posten ein. Als wir bei To-kei-chun ankamen und er den neuen Gefangenen sah, stieß er einen Ruf des Zornes aus, ohne aber weiter etwas zu sagen.

»Nun, wie steht es jetzt mit deiner Zuversicht?« fragte ich ihn. »Werden dich deine Krieger befreien? Ihren Späher haben wir aufgefangen.«

Das war ihm doch zu viel. Er vergaß sich vor Aerger und antwortete: »Sie werden dennoch kommen!«

»Hierher vielleicht, aber nicht dorthin, wo wir sein werden. Du wirst sehen, daß deine Hoffnung dich betrügt, so wie du uns hast betrügen wollen.«

Ihm und dem Späher wurden die Füße freigegeben, daß sie laufen konnten; dann suchten wir einen Ort auf, welcher fast eine englische Meile entfernt lag. Das that ich auch aus dem Grunde, daß ein etwaiger Hilferuf des Häuptlings nicht von den Comantschen gehört werden konnte. Nachdem ich meinen Gefährten sehr ernst gesagt hatte, wie sie sich zu verhalten hatten, verließ ich sie, um meinen neuen Plan in Ausführung zu bringen. Ich nahm die beiden Gewehre mit, von denen ich gegebenen Falles entweder das eine oder das andere gebrauchen konnte. Unsere neue Haltestelle lag etwas weiter als die vorige von den Häuptlingsgräbern entfernt. Ehe ich dort anlangte, mußte also seit der Gefangennahme des Kundschafters ungefähr eine Stunde vergangen sein; dennoch war ich nicht darüber im Zweifel, daß die Roten ihre von mir vermutete Stellung noch immer inne hatten. Daß ihr Späher eine Stunde lang fortblieb, war noch kein Grund, sie mit Besorgnis oder gar Mißtrauen zu erfüllen. Es war also anzunehmen, daß sie noch immer oben bei unserm früheren Verstecke hielten und ich unten bei den Gräbern keinen großen Widerstand finden würde.

Diese Voraussetzung erwies sich als richtig, denn als ich an dem letztgenannten Orte ankam und mich durch die licht stehenden Sträucher gewunden hatte, so daß ich das noch immer brennende Feuer vor mir sah, gewahrte ich nur zwei Wächter, welche bei dem Gefangenen saßen; es kam mir sogar der für mich sehr günstige Umstand zu statten, daß sie Dschafar ihre Gesichter, mir aber die Rücken zukehrten; sie konnten mich also nicht kommen sehen. Wenn ich nun dafür sorgte, daß sie mich auch nicht hörten, so mußte mir mein Vorhaben gelingen.

Ich legte mich nieder und kroch vorsichtig weiter, immer gerade auf sie zu. Das war nicht leicht, denn es gab nun keine Büsche mehr, und das Gras war so niedrig, daß es mir keine Deckung gewährte, Ich mußte mich in dem Schatten halten, welchen die beiden Indianer nach meiner Richtung warfen. Auch in der Person dessen, den ich befreien wollte, lag eine Gefahr für mich. Er war mit dem Leben des wilden Westens unbekannt; ich wußte, daß ihm die Gabe fehlte, sich im Augenblicke der Ueberraschung zu beherrschen. Wenn er mich kommen sah und durch eine Bewegung oder gar einen Ausruf dies verriet, so konnte ich eine Kugel bekommen, ehe ich den Platz ganz erreicht hatte. Ich mußte also meinen Weg so nehmen, daß er mich nicht zu früh bemerkte, was nur dadurch erreicht werden konnte, daß ich stets einen der Indianer in gerader Linie zwischen ihm und mir hatte.

Das war schwierig, aber es ging; ich kam näher und näher und befand mich endlich nur wenige Schritte von ihnen, so daß ich hörte, was sie sprachen. Sie redeten nämlich miteinander. Dschafar verstand englisch genug, und einer der Roten war dieser Sprache so weit mächtig, daß er das, was er sagen wollte, wenigstens einigermaßen zum Ausdrucke bringen konnte.

Der Perser schien guten Mutes zu sein, denn sein Gesicht zeigte keine Spur von Besorgnis, und eben als ich in Hörweite herangekommen war, hörte ich ihn sagen:

»Nein, ihr bekommt ihn nicht wieder!«

»Der Häuptling wird befreit,« behauptete dagegen der Indianer.

»Old Shatterhand giebt ihn nicht wieder her!«

»Hat er ihn nicht schon gefangen gehabt und doch wieder hergeben müssen?«

»Müssen? Kein Mensch hat ihn gezwungen; er hat es freiwillig gethan.«

»Er war dazu gezwungen, denn er wollte die weißen Gefangenen freihaben.«

»Dabei ist er ehrlich mit euch verfahren; ihr aber habt hinterlistig gehandelt.«

»Die roten Krieger sind klüger als die weißen.«

»Was du meinst, das war keine Klugheit, sondern Unehrlichkeit. Ihr werdet das entgelten müssen, denn Old Shatterhand wird euern Häuptling ganz gewiß dafür bestrafen.«

»Das kann er nicht, denn wir werden To-kei-chun befreien.«

»Wann?«

»Jetzt.«

»Glaube das ja nicht! Ihr werdet ihn nicht wieder losmachen können.«

»Alle unsere Krieger sind fort, dies zu thun!«

»Wenn es ihnen überhaupt gelingen könnte, wären sie jetzt schon damit fertig. Sie müßten längst wieder hier sein.«

»Sie warten, um Old Shatterhand sicher zu machen; dann fallen sie über die Bleichgesichter her.«

»Pshaw! Old Shatterhand ist nicht der Mann, der so leicht überfallen werden kann. Zumal nach dem, was in der letzten Zeit geschehen ist, wird er doppelt vorsichtig sein.«

»Und wenn er vorsichtig wäre, was würde er dadurch erreichen? Er müßte unsern Häuptling doch wieder freilassen!«

»Wer soll ihn zwingen?«

»Wir. Wenn er ihn nicht freigibt, wirst du getötet.«

»Gut! Also wieder eine Auswechslung! Du giebst also zu, daß ich mich in keiner Gefahr befinde. Ihr könnt mir nichts thun.«

Der Indianer wollte sich nicht als geschlagen bekennen und behauptete:

»Wir werden den Häuptling holen und dich doch nicht losgeben!«

Dschafar antwortete nun seinerseits auch mehr, als er eigentlich behaupten konnte:

»Und Old Shatterhand wird mich holen und den Häuptling nicht loslassen.«

»Uff! Wir bewachen dich!«

»Das kann einen Mann, wie Old Shatterhand ist, nicht abhalten!«

»Er mag es nur wagen, zu kommen!«

»Er ist schon da,« antwortete ich, indem ich hinter ihm aufsprang und die beiden Revolver zog.

Er und sein Kamerad drehten sich nach mir um; sie brachten vor Ueberraschung kein Wort hervor, hatten aber die Geistesgegenwart, nach ihren Messern zu greifen und auch aufstehen zu wollen.

»Bleibt sitzen, und rührt euch nicht, sonst erschieße ich euch!« gebot ich ihnen.

»Uff, uff!« stieß da der eine von ihnen, der bisher gesprochen hatte, hervor.

»Ja, uff, uff!« antwortete ich. »Dieses Bleichgesicht hier hat sehr recht gehabt: Old Shatterhand ist nicht der Mann, der sich vor euch fürchtet. Wenn ihr mir nicht Wort für Wort gehorcht, seid ihr des Todes und auch Euer Häuptling ist verloren. Legt die Messer weg!«

Sie thaten es.

Ich ging zu Dschafar und durchschnitt seine Fesseln, während ich mit der andern Hand die Wächter durch die Revolver in Schach hielt. Als dies geschehen war, forderte ich Dschafar auf:

»Nehmt diese Riemen und bindet damit den beiden roten Gentlemen die Hände und die Füße zusammen!«

Er stand auf, um diese Weisung auszuführen; da aber erklärte der eine Rote:

»Wir lassen uns nicht binden!«

»Was wollt ihr dagegen thun?« fragte ich. »Ihr befindet euch in meiner Gewalt!«

»Lieber sterben wir! Eine solche Schande kann kein Krieger ertragen.«

»Es ist keine Schande. Ich selbst bin auch oft gefesselt gewesen.«

»Aber wir hatten dieses Bleichgesicht zu bewachen und haben uns überraschen lassen. Das ist eine Schande.«

»Pshaw! Wißt ihr, was für einen roten Krieger die größte Schande ist?«

»Was meint Old Shatterhand?«

»Wenn er seine Medizin oder seine Skalplocke verliert. Ihr habt eure Medizinen am Gürtel hängen, und auf euern Häuptern sehe ich die Büschel eurer Haare. Wenn ihr nicht gehorcht, so erschieße ich euch nicht nur, sondern nehme euch die Medizinen und die Skalplocken, und werfe sie in das Feuer hier. Dann seht zu, ob ihr nach dem Tode in die ewigen Jagdgründe eingelassen werdet!«

»Uff!«, rief er erschrocken.

»Also gehorcht! Gebt eure Hände und Füße her, haltet still!«

Jetzt weigerten sie sich nicht mehr. Meine Drohung hatte ihren Widerstand vollständig gebrochen. Während ich sie mit den Revolvern bedrohte, wurden sie von Dschafar gebunden.

»Man hat Euch ausgeraubt, Sir?« fragte ich diesen dann.

»Ja,« antwortete er.

»Wer hat die Sachen?«

»Der Häuptling.«

»Alles?«

»Alles. Aber es sind nur die Kleinigkeiten. Was Wert hatte, habe ich in den Packsattel gethan.«

»Den haben wir; der Häuptling wird aber dennoch alles herausgeben müssen.«

Und mich wieder zu den beiden Wächtern wendend, sagte ich:

»Ihr seht, was eure Hinterlist und Wortbrüchigkeit euch für Früchte bringt. Euer Gefangener ist wieder frei, und dafür habe ich To-kei-chun abermals in meine Gewalt gebracht; er wird nicht so leicht wieder loskommen. Wir verlassen jetzt diesen Ort. Einer von euch wird uns begleiten, um Zeuge dessen zu sein, was ich mit dein Häuptlinge verabrede, und dann als sein Bote nach hier zurückzukehren. To-kei-chun wird mit uns reiten, bis wir uns in Sicherheit befinden. Darum nehme ich sein Pferd jetzt mit. Ob wir ihn später töten oder nicht, das wird ganz auf sein Verhalten ankommen.«

Dschafar holte sein Pferd und auch dasjenige des Häuptlings herbei, dazu die Waffen und sonstigen Gegenstände, welche an der Stelle lagen, wo To-kei-chun gelegen hatte. Ich gab einem der Wächter die Füße frei und band ihn mit den Händen an den Steigbügel fest; seinen Gefährten knebelte ich, daß er nicht rufen konnte; dann trat ich das Feuer aus. Als das geschehen war, ritten wir fort.

Sobald der Lagerplatz und das hindernde Gebüsch hinter uns lagen und wir uns draußen auf der freien Ebene befanden, machte der Perser seinem Herzen Luft.

»Sir, was habe ich Euch nicht alles zu danken! Meine Schuld gegen Euch ist von Tag zu Tag größer geworden. Jetzt habt Ihr mich wieder befreit.«

»Aber zum letztenmal!« sagte ich ernst.

»Gewiß! Ich denke doch, daß ich nicht wieder in die Hände dieser Teufel fallen werde!«

»Wenn Ihr so unvorsichtig bleibt, wie Ihr bisher gewesen seid, so wird das sicher geschehen. Dann laß ich Euch aber stecken; darauf könnt Ihr Euch heilig verlassen!«

»Ihr scheint zornig zu sein, Mr. Shatterhand?«

»Ist auch kein Wunder! Ich scheine nur zu dem Zwecke mit Euch zusammengetroffen zu sein, die fortgesetzten Fehler anderer Leute immer wieder gutmachen zu müssen. Das geschah vom ersten Augenblicke bis jetzt und scheint gar nicht anders werden zu wollen.«

»Was mich betrifft, so soll so etwas gewiß nicht wieder vorkommen.«

»Das hoffe ich. Horcht!«

Es ertönte hinter uns ein lautes Geheul.

»Warum brüllen sie so?« fragte der Perser. »Sie haben doch nicht etwa unsere Gefährten gefangen?«

»Nein. Diese befinden sich nicht hinter, sondern da vor uns. Es ist das Wutgeheul der Comantschen, welche eingesehen haben, daß sie ihren Häuptling nicht befreien können. Sie sind nach dein Lager zurückgekehrt und haben da zu ihrem Schreck bemerkt, daß Ihr noch obendrein gerettet worden seid und dazu auch noch ein Krieger von ihnen mit fortgeführt worden ist. Da ist es kein Wunder, wenn sie so schreien.«

»Sie werden uns nachkommen!«

»Mögen es versuchen! Ihr könnt übrigens froh sein, daß mir mein Streich gelungen ist; denn wenn dies nicht gelungen wäre, so hättet Ihr heut Euern letzten Tag erlebt.«

»Glaubt Ihr denn wirklich, daß sie mich getötet hätten?«

»Ohne alle Gnade und Barmherzigkeit.«

»Sind das schreckliche Menschen! Bei uns wohnen doch auch halbwilde Völker, vor denen man sich in acht zu nehmen hat; aber so blutgierig wie die Indianer sind sie doch nicht!«

»Da irrt Ihr Euch!«

»Irren? Schwerlich!«

»Ich kann Euch mit meinen eigenen Erfahrungen das Gegentheil beweisen. Wir oft ist mir im Oriente nur deshalb nach dem Leben getrachtet worden, weil ich kein Moslem war, Ich hatte diesen Leuten nicht das mindeste gethan, sie mit keinem Worte beleidigt. Der Indianer aber kennt gar keinen Religionshaß und ist nur deshalb der Feind der Weißen, weil diese mit unversöhnlicher Feindschaft an seinem Untergange arbeiten. Er wehrt sich seines Lebens; das ist alles.«

»So sagt, was habe denn grad ich diesen Comantschen gethan?«

»Wohl nichts?«

»Nein!«

»Das denkt Ihr nur. Erstens seid Ihr ein Weißer, also ein Feind von ihnen. Wie Ihr persönlich zu ihnen steht, darnach fragen sie nicht. Sodann reist Ihr jetzt durch ihr Gebiet, ohne zu fragen, ob es ihnen recht ist oder nicht.«

»Was können sie dagegen haben?«

»Etwa nichts? Darf ich zum Beispiel in Persien so reisen, wie Ihr es hier thut?«

»Natürlich!«

»Wirklich? Lagern und schlafen, wo ich will? Mich ernähren, wie ich will? Rinder, Hirsche und dergleichen schießen, wie es mir beliebt? Den rechtmäßigen Besitzern des Landes die Nahrung wegnehmen, ohne daß sie etwas dagegen thun oder sagen dürfen?«

»Hm!«

»Ja, hm! Hat nicht schon an Eurer Grenze jeder Scheik das Recht, von jedem Fremden, der durch sein Gebiet will, eine Abgabe, einen Tribut zu verlangen?«

»Das ist richtig.«

»Wenn hier ein Häuptling so etwas forderte, bekäme er anstatt der Zahlung eine Kugel. Die Roten zählten einst nach vielen, vielen Millionen, und das ganze weite Land, der ganze Kontinent war ihr Eigentum. Aus diesen Millionen ist ein armseliges Häuflein geworden, welches nur nach Tausenden zählt und ohne alles Erbarmen von Stelle zu Stelle gejagt und verjagt wird. Wer ist da der Grausame, der Blutdürstige – der Rote oder der Weiße?«

Der Perser schwieg, aber der an meinem Steigbügel hängende Comantsche, welcher meine Rede leidlich verstanden haben mochte, rief aus:

»Uff, uff! Das sagt Old Shatterhand, obgleich er ein Bleichgesicht ist!«

»Ich habe es stets gesagt.«

»So bist du ein wahrer Freund aller roten Männer!«

»Ja, das bin ich, und ihr thätet besser, mich und diejenigen, die bei mir sind, mit eurer Verfolgung und euern Wortbrüchen zu verschonen.«

»Ich möchte das meinen Kriegern sagen; aber ich weiß nicht, ob ich zu ihnen zurückkehren darf. Wird Old Shatterhand mich töten?«

»Nein.«

»Mich freilassen?«

»Ja. Du sollst dabei sein, wenn ich nachher mit euerm Häuptling rede. Ist das geschehen, so gebe ich dich frei, damit du den Kriegern der Comantschen sagen kannst, was ich zu To-kei-chun gesprochen habe.«

Wir waren indessen in der Nähe der Stelle angekommen, an welcher ich die Gefährten zurückgelassen hatte. Da es hier bei Nacht und auf der offenen Prairie keinen Punkt gab, nach dem ich mich richten konnte, so pfiff ich laut; es wurde mir geantwortet; ich hatte die Richtung genau eingehalten. Die Stimme Jims schallte mir entgegen:

»Halloo, Sir! Pfeift ihr, oder pfeift etwa ein anderer?«

»Ich bin es. Wer sollte sonst hier pfeifen?«

»Die Patti nicht; das ist wohl wahr. Habt Ihr – – – ah, das sind ja drei Personen anstatt einer! Ist – ist – ist die Sache – – –«

»Ich bin frei!« unterbrach ihn Dschafar, indem er vom Pferde sprang. »Mr. Shatterhand hat mich herausgeholt!«

»Alle Wetter! Das ist nun wieder so ein Streich! Und wer ist der dritte Gentleman? Ein Roter? Ein Comantsche? Das ist ja weit mehr, als man erwarten konnte! Meinst du nicht auch, alter Tim?«

»Yes,« antwortete sein Bruder. Aber ganz entgegen seiner sonstigen lakonischen Weise fügte er dieses Mal hinzu: »So ein Streich ist großartig zu nennen, rein großartig. Ich gestehe, daß mir der Verstand darüber still stehen will!«

»Stillstehen? Well, das ist gut; das ist viel besser, als wenn er dir davonlaufen wollte. Das müßte ich mir verbitten, denn einen Bruder Snuffle ohne Verstand, das wäre für mich keineswegs das höchste der Gefühle.«

Ich war indessen auch abgestiegen. Als To-kei-chun nun sah, daß ich wirklich seinen Gefangenen und einen Comantschen mitgebracht hatte, ließ er ein grimmiges »Uff!« hören, sagte aber sonst weiter nichts. Die Gefährten wollten wissen, auf welche Weise ich Dschafar losbekommen hatte; ich erklärte ihnen:

»Wartet bis später! Wenn wir mehr Zeit haben, werdet ihr es erfahren. Jetzt habe ich vor allen Dingen mit To-kei-chun zu reden. Ich muß mich gegen einen wiederholten Wortbruch sicher stellen.«

»Sicher stellen?« fragte Perkins. »Ja, das werden wir thun, Das ist das Notwendigste, was geschehen muß. Ich werde da gleich meinen Antrag stellen.«

Er sagte das in einem Tone, als ob alles auf seine Meinung ankäme und wir uns nur so nach seinem Willen zu richten hätten; darum antwortete ich ihm:

»Habe ich einen Antrag von Euch verlangt?«

»Verlangt? Nein.«

»So wartet, bis ich das thue!«

»Aber, Sir, es versteht sich doch ganz von selbst, daß wir uns darüber verständigen müssen, wie wir diesen roten Häuptling endlich unschädlich machen!«

»Was wollt Ihr mit dem Worte >verständigen< sagen? Es hat nie einer Verständigung bedurft, denn To-kei-chun ist Euch nur durch Eure Dummheiten schädlich geworden. Hättet Ihr von vornherein mit mehr Klugheit gehandelt, so hätten die Comantschen Euch gar nichts anhaben können.«

»Hm!« brummte er mißvergnügt. »Jeder Mensch begeht einmal einen Fehler.«

»Mag sein; hier aber ist Fehler auf Fehler vorgekommen.«

»Wenn das wahr ist, so können wir uns am besten gegen weitere Fehler dadurch schützen, daß wir den Häuptling einfach niederschießen. Wenn wir das nicht thun, wird er uns wieder nachreiten.«

»Unendlich klug gesprochen, Mr. Perkins! Ihr wollt keine Fehler mehr begehen und schlagt in demselben Atem etwas vor, was ein noch größerer Fehler sein würde als alles, was bisher vorgekommen ist. Der Häuptling bleibt leben!«

»Das ist wieder Eure Humanität, mit der Ihr Euch und uns nur stets – – –«

»Schweigt!« unterbrach ich ihn. »Hier wird überhaupt nicht geschossen! Und ich werde dafür sorgen, daß kein Mord begangen wird, solange ich mich bei euch befinde. Es hat niemand notwendig, Anträge zu stellen, denn ich werde jetzt sagen, was zu geschehen hat, und dann sind wir fertig.«

»All devils! Giebt es hier etwa einen Kaiser, dessen Unterthanen wir sind?«

»Nein. Aber es giebt hier einen Westmann, der nicht noch monatelang mit euch herumreiten will, um bald den einen, bald den andern von euch aus den Händen der Indianer zu holen. Das müßte ich nämlich thun, wenn ich mich nach euch richten wollte.«

»Well! Ich bin hier nicht allein maßgebend. Es giebt noch mehr Personen, welche sich darüber auszusprechen haben, ob wir nach gemeinsamer Vereinbarung handeln oder die gehorsamen Diener eines einzelnen von uns sein wollen.«

»Mir gleich! Ich aber sage euch, daß ich augenblicklich von hier fortreiten werde, wenn ihr etwas anderes thut, als was ich beabsichtige.«

»Das klingt wirklich außerordentlich befehlshaberisch, Sir! Ich möchte wissen, was die beiden Snuffles dazu sagen?«

Jim antwortete verständiger Weise:

»Was wir dazu sagen? Die beiden Snuffles haben eigentlich gar nichts mit Euch zu thun, haben gar keine Verpflichtung gegen Euch. Wir haben Euch getroffen und sind mit Euch geritten, um Euch gegen die Roten beizustehen. Dabei haben wir freilich dieses und das gethan, was Mr. Shatterhand Dummheiten nennt. Ich kann nicht sagen, daß er da unrecht hat. Sollen wir denn hier immer hin und her reiten, um bald diesen und bald jenen aus der Patsche zu befreien, in die er selbst hineinreitet? Nein! Mr. Shatterhand hat uns allen immer wieder herausgeholfen, und so denke ich, er kann verlangen, daß wir uns jetzt nach ihm richten. Was meinst du wohl, alter Tim, habe ich recht oder nicht?«

»Yes.«

»Wir halten zu Mr. Shatterhand?«

»Yes.«

»Well! So mag er uns also sagen, was nun geschehen soll.«

Da niemand widersprach, wendete ich mich an den gefangenen Häuptling:

»To-kei-chun mag meine Worte hören! Er ist wortbrüchig gewesen, und ich sollte ihn dafür töten. Ich habe sein Leben in meiner Hand, will es ihm jedoch schenken. Aber freilassen werde ich ihn jetzt noch nicht, denn da würde er uns wieder folgen.«

»Ich folge euch nicht!« warf er ein.

»Das sagst du wohl; aber ich glaube keinem deiner Worte. Wer Old Shatterhand belügt, dem schenkt er niemals wieder sein Vertrauen. Du wirst mit uns reiten, natürlich auf das Pferd gefesselt. Deine Krieger werden uns nicht folgen, sondern deine Rückkehr hier erwarten. Sobald ich bemerke, daß sie uns nachkommen, wirst du erschossen.«

»Uff! Sie werden nicht bleiben wollen!«

»Sie werden bleiben müssen, denn du wirst es ihnen befehlen.«

»Sie werden nicht gehorchen!«

»Hat To-kei-chun, der oberste Häuptling der Comantschen, kein Ansehen bei seinem Volke und keine Macht über seine Krieger?«

»Sie werden gegen meinen Willen handeln, weil sie glauben, ich befinde mich in Gefahr.«

»Du und ich, wir beide werden ihnen sagen lassen, daß dies nicht der Fall ist.«

»Wer soll es ihnen sagen?«

»Hier dieser Krieger, den ich deshalb mitgebracht habe.«

»Uff! Du wirst ihn freigeben?«

»Ja. Ich habe ihn aus keinem andern Grunde, als nur zu diesem Zwecke mitgebracht. Wir werden jetzt, sofort aufbrechen; vorher aber nehme ich deine Medizin zu mir.«

»Uff! Was willst du mit ihr thun?«

»Sie gut aufbewahren, weiter nichts. Wenn ich mit dir zufrieden bin, bekommst du sie wieder und darfst zu den Deinen hierher zurückkehren. Handelt ihr aber nicht nach meinem Willen, so wirst du erschossen und deine Medizin vernichtet; ich verbrenne sie.«

Er schwieg; darum fragte ich ihn:

»Hast du meine Worte gehört?«

»Ja.«

»Was sagst du darauf?«

»Was thust du, wenn ich nicht auf deinen Willen eingehe?«

»Sonderbare Frage! Kannst du überhaupt nicht darauf eingehen? Bist du nicht mein Gefangener, den ich zwingen kann? Old Shatterhand giebt dir jetzt sein Wort, daß du nach drei Tagen mit deiner Medizin hierher zurückziehen darfst. Glaubst du, daß ich mein Versprechen erfülle?«

»Ja. Old Shatterhand lügt nicht.«

»Gut! Dafür befiehlst du deinen Kriegern durch diesen Boten hier, daß sie uns nicht folgen, sondern hier bleiben, um auf dich zu warten. Wenn du darauf eingehst, wird dir nichts geschehen. Weigerst du dich, diesen Befehl zu erteilen, so warte ich gar nicht, was meine Gefährten mit dir thun werden, sondern ich gebe dir selbst die tötende Kugel aus meinem eigenen Gewehre. Nun sprich! Ich habe keine Zeit, zu warten.«

Er zögerte. Da hielt ich ihm die Mündung des Stutzens an den Kopf und befahl ihm:

»Antworte, sonst schieße ich! Ich sage es nicht noch einmal. Eins – – zwei – – –«

»Uff! Nimm das Gewehr weg! Du wirst dein Wort wirklich halten und mich mit meiner Medizin zurückkehren lassen?«

»Ja.«

»Was werden die andern Bleichgesichter thun? Dir glaube ich; aber werden sie sich nach deinem Willen richten?«

»Ich verspreche dir, daß ich demjenigen von ihnen, der gegen mein Versprechen handelt, eine Kugel durch den Kopf jagen werde.«

»Ich glaube dir! Laß es uns mit der Pfeife des Friedens bekräftigen!«

»Das ist eigentlich gar nicht nötig, denn Old Shatterhand hält sein Wort auch ohne Calumet; aber du sollst deinen Willen haben; wir werden die Pfeife des Friedens rauchen, doch nicht die meinige, sondern die deinige; du wirst wohl wissen, warum!«

Eigentlich hätte ich es nicht thun sollen, denn beim Anzünden konnte das kleine Flämmchen den Comantschen, falls sie in der Nähe nach uns forschten, unsern Aufenthaltsort verraten. Ich that es aber doch. Nach Beendigung der Zeremonie erteilte er seinem Krieger den von mir geforderten Befehl; ich band den Mann los, und er huschte fort, in das nächtliche Dunkel hinein. Der schon vorher gefangene Späher begleitete ihn. Dann steckte ich die Medizin des Häuptlings zu mir; er wurde auf sein Pferd gebunden, und wir ritten fort, die ganze Nacht hindurch, bis am Vormittage unsere Pferde so ermüdet waren, daß wir ihnen Ruhe gönnen mußten.

Während dieser Pause machte Jim Snuffle den Vorschlag, daß einer von uns zurückkehren solle, um zu erforschen, ob die Comantschen uns nachkämen oder nicht; ich hielt dies aber nicht für nötig, denn ich war vollständig überzeugt, daß sie dem Befehle ihres Häuptlings dieses Mal Gehorsam leisten würden. Es handelte sich nicht nur um sein Leben, sondern, was weit wichtiger war, auch um seine Medizin.

Drei Tage später erreichten wir die Grenze von Neu-Mexiko, und es wurde für mich die höchste Zeit, mich von der Truppe zu trennen, um meine ursprüngliche Richtung aufzusuchen. Ich löste die Fesseln To-kei-chuns, gab ihm seine Medizin wieder und sagte ihm, daß er frei sei. Er ritt fort, ohne ein Wort, weder des Dankes noch des Undankes, zu sagen. Ich hatte ihm das Leben wiederholt geschenkt, war aber überzeugt, daß er mich bei einer etwaigen Begegnung als Feind behandeln würde.

Der Abschied von Perkins und den beiden andern Führern, die gar nichts geleistet hatten, war kurz; es wäre schade um jedes Wort gewesen. Jim Snuffle streckte mir beide Hände entgegen und sagte:

»Sir, wir sind unterwegs zuweilen verschiedener Meinung gewesen; aber ein verständiger Mensch muß Verstand haben, wenn er als vernünftiger Mann vernünftig sein will; darum haben wir eingesehen, daß Ihr stets im Rechte gewesen seid. Wollt Ihr uns verzeihen?«

»Gern, lieber Jim.«

»Danke Euch! Wie sagt Ihr da? Lieber Jim? Dafür danke ich Euch noch ganz besonders, denn von Old Shatterhand >lieber Jim< genannt zu werden, das ist das höchste der Gefühle. Meinst du das nicht auch, alter Tim?«

»Yes!«

»Well! So scheiden wir also in Freundschaft voneinander, und es soll uns eine große Freude und Ehre sein, wenn wir Euch einmal wiedersehen, Sir. Wir reiten noch eine Strecke mit Mr. Dschafar, vielleicht bis Santa Fé, wo er gute Führer nach San Francisco findet. Also, lebt wohl, Mr. Shatterhand, und vergeßt die beiden alten Snuffles nicht!«

Ich drückte ihm die Hand, reichte die meinige auch seinem Bruder hin und versprach:

»Werde gern an euch denken. Oder soll ich euch vergessen, lieber Tim?«

»No!« antwortete er kurz, aber in bewegtem Tone, wendete sein Pferd und ritt davon, den andern nach.

Jetzt hielt nur noch Dschafar bei mir.

»Sir,« sagte er, »ich will jetzt nicht wieder alles aufzählen, was ich Euch zu verdanken habe; aber ich wünsche sehr, es Euch einmal vergelten zu können. Darf ich das für möglich halten?«

»Man sagt, daß alles möglich sei.«

»Kommt Ihr vielleicht wieder einmal zu den Schammar-Arabern?«

»Ich will es nicht verreden.«

»Wohl gar nach Persien?«

»Das ist gar nicht unwahrscheinlich.«

»Könnt Ihr mir wohl die Zeit angeben?«

»Nein. Ich bin wie ein Vogel ohne Nest: er fliegt bald hier und bald dort.«

»So ist nicht zu bestimmen, wo und wann wir uns treffen können. Was ich jetzt bin, das ist Nebensache; was ich dann sein werde, das weiß ich nicht. Aber ich bin überzeugt, daß Ihr von Mirza Dschafar hören werdet, der ein Sohn von Mirza Masuk ist. Merkt Euch diesen Namen! Und damit Ihr zuweilen an mich denken möget, erlaubt mir, Euch diese Waffe als Andenken anzubieten. Sie ist eigentlich die Veranlassung, daß ich Euch kennen gelernt habe und von Euch gerettet worden bin. Wollt Ihr mir den Gefallen thun, sie anzunehmen?«

Er hielt mir den Chandschar hin, den ich ihm nach seiner Befreiung natürlich wiedergegeben hatte,

»Ich sollte den Dolch eigentlich zurückweisen, weil er zu kostbar ist; aber ich will – – –«

»Für meinen Lebensretter zu kostbar?« fiel er mir in die Rede. »Ich wollte, ich könnte Euch noch reicher beschenken! Vielleicht kann dies später geschehen. Auf alle Fälle aber verspreche ich Euch: derjenige, der mir, früher oder später, sei es, wo es sei, diesen Chandschar zeigt, kann darauf rechnen, daß ich alles für ihn thue, was er nur wünscht, wenn es im Bereiche der Möglichkeit liegt. Lebt wohl, mein Freund! Die andern sind schon soweit fort, daß ich sie kaum noch sehe.«

»Lebt wohl! Dank für den Dolch! Doch will ich nicht wünschen, daß er mir einst als eine Anweisung an Euch zu dienen hat.«

Wir reichten uns die Hände und ritten dann nach verschiedenen Richtungen fort, er nach Westen und ich nach Süden. Ich steckte den Dolch in den Gürtel und ahnte damals nicht, von welcher großen Wichtigkeit er später für mich sein würde.

Die letzte Rede Dschafars hatte etwas selbstbewußt geklungen, grad so, als ob er ganz genau wisse, daß er einst ein Mann von Macht und Einfluß sein werde. Was war er jetzt? Ich wußte es nicht; ein Rätsel war er mir. Er hatte von sich, seinen Verhältnissen, seinen Aufgaben nicht gesprochen, und ich war nicht so zudringlich gewesen, ihn zu fragen. Eigentlich hätte er ein wenig offener gegen mich sein können, denn er verdankte mir sein Leben; aber es war so auch recht und gut, denn – – – ob wir uns wiedersehen würden? – Ma scha Allah kan wama lam jascha lam jekun – was Gott will, geschieht; was er nicht will, geschieht nicht! – – –

Der »Löwe der Blutrache«

Der »Löwe der Blutrache«

Wie ich schon oft im Verlaufe meiner Erzählungen gethan habe, betone ich auch jetzt wieder, daß ich kein Anhänger der Lehre der Zufälle bin. Ich hege vielmehr die vollständige und unerschüttliche Ueberzeugung, daß wir Menschen von der Hand des Allmächtigen, Allweisen und Allliebenden geführt werden, ohne dessen Willen – nach dem Worte der heiligen Schrift – kein Haar von unserem Haupte fällt. Diejenigen, welche sich von dieser Hand losgerissen haben, ihre eigenen Wege wandeln und nun eine höhere Führung leugnen, können mich in meiner Ueberzeugung nicht irre machen. Meine Erfahrungen stehen mir höher als die Behauptungen meinetwegen sehr gelehrter Personen, welche nur deshalb von dem Einflusse der himmlischen Vorsehung nichts bemerken, weil sie auf denselben verzichtet haben. Es ist mir sehr, sehr oft vorgekommen, daß ein um viele Jahre zurückliegendes, an sich ganz unbedeutend scheinendes Ereignis, an welches ich längst nicht mehr dachte, mir ganz unerwartet seine Folgen zeigte und so bestimmend in mein Thun und Handeln eingriff, daß ich nur als geistig Blinder hätte behaupten können, daß mir meine damaligen Gedanken und Entschlüsse nur von einem Zufalle eingegeben worden seien.

So war es auch in Beziehung auf mein Zusammentreffen mit Dschafar, welches in meinem viel bewegten Leben den Raum einer kurzen Episode einnahm, an die ich nur höchst selten einmal dachte. Offen gestanden, hatte sogar der Chandschar nach und nach seine Eigenschaft als »Andenken« für mich verloren. Ich nahm ihn in die Hand, ohne mir den frühern Besitzer zu vergegenwärtigen, und ich trug ihn von Zeit zu Zeit auf meinen Reisen, ohne an die Möglichkeit zu denken, daß er mir jemals von größerer Bedeutung als derjenigen einer Waffe werden könne, welche eben gar nichts weiter als nur eine Waffe ist. Und doch sollte diese halb vergessene Episode mir noch nach einer Reihe von Jahren ihre Konsequenzen zeigen; die Ereignisse, von denen ich jetzt erzähle, werden das beweisen. – –

Die Leser meiner »Gesammelten Werke« wissen aus dem dritten Band derselben (»Von Bagdad nach Stambul«), daß ich damals auf dem Wege der Todeskarawane von Bagdad nach Kerbela mit meinem treuen Hadschi Halef Omar von der Pest ergriffen und niedergeworfen wurde; es war ein wahres Wunder, daß wir dem Tode entgingen, zumal der schweren Erkrankung Ereignisse vorangegangen waren, welche unsere Körper- und auch geistigen Kräfte bis fast zur Erschöpfung in Anspruch genommen hatten. Diese Leidenstage, während welcher wir beiden gänzlich hilflosen Menschen nur auf uns selbst angewiesen waren, nehmen in unserer Erinnerung eine hervorragende Stelle ein, und ebenso tief hat die Gegend, in welcher wir wochenlang zwischen Tod und Leben schwebten, sich unserem Gedächtnisse eingeprägt. Es ist daher leicht begreiflich, daß wir bei einer spätern Anwesenheit in Bagdad beschlossen, die Orte, welche uns so verhängnisvoll geworden waren, bei dieser Gelegenheit wieder zu besuchen.

Ich muß vorausschicken, daß mein wackerer Halef inzwischen oberster Scheik der Haddedihn-Araber geworden war, und daß die Achtung, welche er sich erworben hatte, im umgekehrten Verhältnisse zu seiner Körpergröße stand. Er war bekanntlich von sehr kleiner und schmächtiger Gestalt und außerordentlich stolz auf seinen Schnurrbart, von dem er in aufrichtigen Augenblicken allerdings der Wahrheit gemäß zugab, daß diese »Zierde seines Angesichtes« aus dreizehn Haaren bestehe, nämlich sechs rechts und sieben links. Aber sein Mut und seine Tapferkeit waren über jedem Zweifel erhaben, und in Beziehung auf seine Anhänglichkeit zu mir hätte ich sehr oft nicht sagen können, wen er mehr liebe, mich oder sein Weib Hanneh, welche er »die lieblichste Blume unter allen Rosen der Frauen und Töchter« zu nennen pflegte.

Hatte er schon mündlich eine ganz eigene, mehr als orientalisch blumenreiche Art, sich auszudrücken, so waren die Briefe, welche ich während der Trennungspausen von ihm erhielt, noch viel interessanter. Wir schrieben uns nämlich zuweilen, doch auf ziemlich erschwertem Wege. Ich schickte meine Briefe nach Mossul, wohin er dann und wann einen seiner Beduinen sandte, um anzufragen, ob ein Schreiben von mir angekommen sei; nach Monats- oder gar Jahresfrist schickte er dann seine Antwort ebendorthin; er mußte ja warten, bis sein Stamm sich einmal in der Nähe dieser Stadt befand, und so kam es, daß unsere Korrespondenz keineswegs an dem Fehler großer Uebereilung litt. Um so origineller aber war dann, wenn er einmal schrieb, der Inhalt seiner Briefe, und ich darf wohl sagen, daß der letzte, den ich damals von ihm bekam, der köstlichste von allen war. Ich hatte ihm drei Vierteljahre vorher mitgeteilt, daß ich nach Persien wolle und auf dem Wege dorthin die Weideplätze seines Stammes aufsuchen werde. Hierauf antwortete er mir, indem er sich des ihm eigentümlichen Gemenges von Arabisch und Türkisch bediente, welches ich natürlich ins Deutsche übertrage:

»Hadschi Halef Omar, der Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar, an Emir Hadschi Kara Ben Nemsi Effendi, seinen Freund.

Gruß! Ich liebe Dich! Nochmals Gruß!

Dein Brief, oh Effendi, kam grad während des Gebetes des Asr bei mir an. Dank! Gnade! Anhänglichkeit! Mir scheint die Sonne, denn Du hattest genug Tinte, mir zu schreiben. Freude überall; Hamdulillah! Sei unverzagt; ich schreibe sofort wieder! Oh Feder! oh Tinte! Sie ist vertrocknet. Ich schicke nach Wasser und schütte es hinein! Sie wird wieder weich und dünn! Maschallah! Die Schrift ist sehr blaß, aber Du kannst sie dennoch lesen, denn Du bist der Gelehrteste aller Gelehrten des Morgen- und des Abendlandes. Ich beschwöre es! Hanneh, mein Weib, die schönste der Blumen unter allen Frauen, duftet grad noch so wie vor mehr als zehn Jahren. Du hast keine. Allah erbarme sich Deiner! Kara Ben Halef, mein Sohn, der Deinen Namen trägt, ist schon beinahe klüger als sein Vater; er wird mich wohl noch überholen. Des freut sich meine Seele; dennoch rufe ich: oh wehe, wehe! Meine Herden wachsen, und mein Zelt vergrößert sich. Oh Geld, oh Reichtum, oh Kamele, Pferde, Schafe, Ziegen und Lämmer! Ist s bei Dir ebenso? Ist Deine Milch fett und dick? Oder sind die Früchte Deiner Datteln wurmstichig? Dann taugen sie nur als Futter für das Vieh. Oh Armut, oh Sorge und Verderben! Wie wächst das Gras in Dschermanistan? Sind Deine Zelte dicht? Wo nicht, so flicke sie! Ein kleines Loch wird sehr schnell ein großes Loch. Oh Wind, oh Regen, ihr sollt ja nicht hinein! Wir haben Vollmond; was hast Du? Fliehe die Laster, denn sie vermehren sich wie die Ameisen in der Steppe! Gieb Deinen Kamelen nicht zu viel Futter, und erziehe sie zur Geduld. Deine Pferde laß im Freien schlafen; Deine Lieblingsstute aber nimm in das Zelt hinein! Oh Nacht, oh Tau, ihr schadet ihr! Hüte Dich vor der Erkältung und vor der Sünde! Beide töten, die eine den Leib und die andere die Seele, und in beiden Fällen wäre es jammerschade um Dich. Glaube es mir, denn ich bin Dein Freund und Beschützer! Deine Gedanken sind in Persien, die meinen auch, denn ich reite mit. Wie könnte ich Dich allein reiten lassen, oh Effendi! Ich will wieder mit Dir leben und wieder mit Dir sterben. Komm! Ben Rih, das herrlichste der Pferde, soll Dich tragen. Sein Vater war Dein Eigentum; Du hast ihn mir geschenkt; so nimm nun jetzt den Sohn dafür, und gieb ihn mir dann wieder! Sieh, wie ich Dich liebe und verehre: Ich begann diesen Brief am dritten Tage des Monates Tischrihn el Auwal und vollende ihn heut am neunten Tage des Monates Kanun el Tani; das sind mehr als drei Monate; so große Stücke meines Herzens sind Dein Eigentum! Wenn Du gekommen bist, schreibe ich nicht, sondern sage Dir mehr. Habe Geduld mit Deinem Stamme, doch sei streng mit dem Munde alter Weiber; dann wirst Du weise regieren und Ruhm und Ehre ernten! Verliebe Dich nicht in Deine Fehler, sonst wachsen sie heran zu Löwen, welche Dich zerreißen werden! Trinkst Du noch immer Wein? Oh Muhammed! Er hat ihn ja verboten! Du aber bist ein Christ, und ich soll dem Kuran gehorchen; aber wenn Du welchen bringst, so trinke ich ihn mit! Oh Hochgenuß, oh Wonne! Wir erwarten Dich schon von morgen an. Das Schaf mit dem fettesten Schwanze ist bereit, für Dich geschlachtet zu werden, sobald Du bei uns erscheinst. Es freut sich dieser Ehre. Schnalle nie den Sattel locker; er rutscht mit Dir hinab! Oh Bruch der Arme, Beine und der Rippen! Hanneh, die herrlichste der Frauen unter den Weibern, hat nichts dagegen, daß ich mit Dir reite. Sie wird immer schöner. Oh Glück, oh Segen, oh Ehestand! Werde ja nicht krank! Ich beteuere Dir, daß dies der Gesundheit schadet, denn ich bin Dein wahrer Freund! Gehe nicht unter die Ungläubigen und Lästerer, sondern nimm Dir ein Beispiel an denen, welche durch dich auf den richtigen Weg geführt worden sind. Nun ist heut der vierte Tag des Monates Nisahn; der Brief ist also noch drei Monate länger geworden. Oh Länge der Zeit, oh Zahl der vielen Tage! Wasche Dich täglich fünfmal, bei jedem Gebete einmal, und hast Du kein Wasser, so nimm einstweilen Sand! Oh Sauberkeit des Körpers, oh Reinlichkeit der Seele! Wir lagern in der Nähe von Qalat Scherkaht und ziehen bald nach Westen; darum sende ich den Boten nach Mossul. Sei frühzeitig munter, denn das Morgengebet ist besser als der Schlaf! Bring Deine berühmten Gewehre mit, und komm sobald wie möglich! Gruß, Achtung, Liebe, Verehrung und Ermahnung von Deinem Freunde und Beschützer

Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas
Ibn Hadschi Dawud al Gossarah.«

Mein Schreiben, auf welches diese Antwort erfolgte, hatte monatelang in Mossul gelegen, ehe es abgeholt worden war, und während Halef dann sechs volle Monate gebraucht hatte, um im Schweiße seines Angesichtes den obigen Brief zu Ende zu bringen, war ich schon am Tigris angekommen. Nachdem ich mich lange vergeblich erkundigt hatte, erfuhr ich endlich, daß die Haddedihn jetzt in der Nähe des Dschebel Chonuka zu suchen seien, und machte mich dorthin auf den Weg. Das war kein ganz ungefährliches Unternehmen, weil ich grad in dieser Richtung den Feinden des genannten Stammes begegnen konnte und, wenn sie mich erkannten, darauf gefaßt sein durfte, mein Leben gegen sie verteidigen zu müssen. Ich war ganz allein, und das Pferd, welches ich ritt, taugte nicht viel; ich hatte kein teures gekauft, weil ich wußte, daß Halef eine Ehre darin suchen werde, mich gut beritten zu machen.

Das Glück war mir günstig; es begegnete mir kein einziger Mensch, bis ich die Höhen des Chonuka im Süden vor mir liegen hatte. Da sah ich einen Reiter kommen, welcher, als er mich erblickte, sein Pferd anhielt und mißtrauisch nach der Flinte griff. Ich zeigte mehr Vertrauen als er, ritt auf ihn zu und grüßte, als ich ihn erreichte, mit einem freundlichen Sallam aaleïkum. Er zögerte, zu antworten, musterte mich mit finstrem Blicke und fragte dann, ohne meinen Gruß zu erwidern:

»Du bist ein Türke, ein Bote des Pascha von Mossul?«

»Nein,« antwortete ich.

»Leugne es nicht! Ich sehe es dir an. Dein Gesicht hat die helle Farbe der Städtebewohner!«

Ich war allerdings zu kurze Zeit unterwegs, um von der Sonne gebräunt zu sein, und wußte gar wohl, wie unbeliebt die Beamten des Pascha bei den Beduinen sind, welche die Berechtigung der Regierung, Steuern zu fordern, nie anerkennen wollen. Darum sagte ich:

»Was geht mich der Pascha an! Ich bin ein freier Mann und nicht sein Unterthan.«

»Wie kann ein Türke sich einen freien Mann nennen!« meinte er verächtlich. »Nur der Bedawi ist frei.«

»Ich bin kein Türke.«

»Was denn? Ein Kurde bist du auch nicht; das sehe ich. Welchem Volke könntest du also angehören?«

»Ich bin ein Franke.«

»Ein Franke?« lachte er höhnisch. »Welch eine Lüge! Kein Franke wird sich so allein wie du in diese Gegend wagen.«

»Glaubst du, daß nur die Beduinen Mut besitzen?«

»Ja.«

»Und dennoch hieltest du an, als du mich erblicktest? Ich aber ritt getrost auf dich zu! Wer war es also, welcher Mut besaß?«

»Schweig! Einem einzelnen Menschen zu begegnen, dazu ist kein Mut erforderlich. Ich will wissen, welchem Volke oder Stamm du angehörst!«

Das klang beinahe drohend, und er spielte dabei mit dem Hahne seiner Flinte. Sein Gesicht war mir unbekannt; er konnte also kein Haddedihn sein; darum hütete ich mich, ihm zu sagen, wer ich war, sondern entgegnete in ganz demselben Tone:

»Wer von uns beiden hat das Recht, den andern auszufragen? Wer ist der Höhere, ich oder du?«

»Ich!«

»Warum?«

»Die Herden meines Stammes weiden hier.«

»Welches Stammes?«

»Der Haddedihn.«

»Du bist kein Haddedihn!«

»Wie kannst du das behaupten!« fuhr er mich an.

»Wärst du ein Haddedihn, so müßte ich dich kennen.«

»Kennst du alle Personen dieses Stammes?« fragte er erstaunt.

»Wenigstens die von deinem Alter.«

»Allah! Bist du ein Freund oder Feind von ihnen?«

»Ein Freund.«

»Beweise es!«

Da lachte ich ihm ins Gesicht und sagte:

»Höre, wenn es hier etwas zu beweisen giebt, so ist es nur das, daß du ein Haddedihn bist.«

Da zog er den Hahn auf und rief zornig:

»Willst du mich beleidigen, so gebe ich dir eine Kugel! Ich bin jetzt ein Haddedihn und gehörte vorher zu dem berühmten Stamme der Ateïbeh!«

»Das ist etwas anderes, aber ich habe dennoch recht gehabt. Kanntest du den Scheik Malek der Ateïbeh?«

»Ja. Er ist tot.«

»Das stimmt. Er war der Großvater von Hanneh, welche das Weib meines Freundes Hadschi Halef ist.«

»Deines – – Freundes – –?« fragte er zweifelnd.

»Ja, denn ich bin Kara Ben Nemsi Effendi, und du wirst von mir gehört haben.«

Ich sah auf seinem Gesichte erst den Ausdruck des Erstaunens, dann wieder des Zweifels und schließlich der Verachtung.

»Mensch, lüge nicht!« antwortete er. »Wenn du denkst, daß ich dir das glauben werde, hast du keine Spur von Hirn im Kopfe. Du hättest das Geschick, dieser Kara Ben Nemsi zu sein!«

»Ich bin es!«

»Wenn du es bist, so ist es auch möglich, el Aßsur, für en Nisr, zu halten!«

»Kennst du Kara Ben Nemsi?«

»Nein, denn ich bin erst seit einem Jahre bei den Haddedihn; aber ich habe so viel von ihm gehört, daß ich ihn gar nicht gesehen zu haben brauche, um zu wissen, daß du ein Lügner bist. Dieser kühne Sohn der Almani ist der einzige Franke, welcher sich ganz allein in diese Gegend wagen würde; darum kannst du kein Franke, sondern mußt ein Diener des Pascha sein!«

»Maschallah! Deine Gedanken sind wirklich wunderbar! Grad weil ich allein hier bin, muß ich Kara Ben Nemsi sein; das ist die einzige richtige Folge der Behauptung, welche du ausgesprochen hast.«

»Du scheinst zu wünschen, daß ich dich verlache. Ich kann beweisen, daß du nicht der bist, für den du dich ausgiebst.«

»Wirklich?«

»Zweifelst du etwa?«

»Ja.«

»So höre, und schäme dich dann! Ich habe einen Brief nach Mossul zu bringen, welcher nach dem Bilad el Alman, zu Kara Ben Nemsi gehen soll. Kann er hier sein, wenn er einen Brief in seinem Vaterlande zu empfangen hat?«

»Warum nicht? Du zweifeltest vorhin an meinem Gehirn; jetzt möchte ich behaupten, daß du es bist, der keines besitzt. Ich habe vor neun Monaten an Hadschi Halef Omar, den Scheik der Haddedihn, geschrieben, daß ich nach Persien gehe und ihn dabei besuchen will. Muß ich da mit dieser Reise etwa warten, bis er mir vielleicht erst nach Jahren eine Antwort schickt? Ich bin eher da, als er erwartet hat; das ist die Sache. Uebrigens habe ich ihm Umschläge für die Briefe gegeben, welche er mir schreibt. Wenn du einen bei dir hast, so muß er folgendermaßen aussehen.«

Ich zog mein Notizbuch aus der Tasche, schrieb meine Adresse genau so, wie ich sie Halef gegeben hatte, auf ein Blatt und zeigte ihm dieses hin. Er griff in den Gürtelshawl, brachte den Brief hervor, verglich beides lange und sorgfältig miteinander und rief dann aus:

»Allah akbar! Ich kenne diese Schrift und diese Worte nicht, aber die Zeichen sind genau dieselben. Solltest du wirklich der Emir Kara Ben Nemsi Effendi sein? Dann hast du zwei Gewehre, ein großes und ein kleines, von denen jedermann weiß, daß sie – – –«

Er hielt mitten in seiner Rede inne, denn ich hatte die Gewehre vom Rücken, wo sie hingen, genommen und zeigte sie ihm hin. Jetzt war es höchst interessant, das Gesicht zu sehen, welches er machte. Leider hatte ich diesen Genuß nur einige kurze Augenblicke, denn er schob mir seinen Brief und mein Notizbuch eiligst in die Hand und schrie:

»Ia Suruhr, ia Suruhr; Hamdulillah – oh Freude, oh Freude; Allah sei gepriesen! Kara Ben Nemsi ist da; Kara Ben Nemsi ist da! Ich muß augenblicklich zurück, es zu verkünden!«

Er wendete sein Pferd, schlug ihm die Fersen in die Weichen und jagte fort, in der Richtung zurück, aus welcher er gekommen war. Die beiden Gewehre, den Brief und das Notizbuch in den Händen, lachte ich hinter ihm her. Dieser Mann hatte eine ganz eigentümliche Art, mich auf dem Weidegrunde des Stammes, dem er jetzt angehörte, zu empfangen! Wie weit ich zu den Haddedihn von hier aus hatte, das wußte ich natürlich nicht; er hätte wenigstens das mir sagen können; doch war mir seine Fährte ein sicherer Wegweiser nach dem Ziele, und so stieg ich vom Pferde und setzte mich in das jetzt im Vorfrühjahre hohe Gras, um den Brief meines guten Hadschi Halef mit der ihm gebührenden Andacht zu genießen.

Ich kannte den Stil des seltsamen kleinen Kerls und wußte, schon ehe ich das Schreiben öffnete, daß es eine Menge Ermahnungen enthalten werde, zu denen gar kein Grund vorhanden war. Und richtig, ich hatte mich nicht getäuscht! Ich soll meine Zelte flicken, die Laster fliehen, die Kamele nicht überfüttern, mich vor Sünde und Erkältung hüten, den Sattel nicht locker schnallen u. s. w.! Das war so seine mir bekannte Art und Weise, mir seine Liebe zu erkennen zu geben; das konnte mich nicht im geringsten beleidigen, sondern mir nur Spaß bereiten. Vor drei Monaten hatte er geschrieben: »Wir erwarten dich schon morgen,« und trotz dieser langen Zeit war ich viel eher da, als er ahnen konnte. Welche Wirkung die Nachricht von meinem Kommen im Lager hervorbringen werde, das wußte ich. Es blieb gewiß kein Kind, welches laufen gelernt hatte, im Zelte sitzen, und jeder, der ein Pferd zu besteigen vermochte, kam mir sicher und gewiß entgegengeritten.

Als ich den Brief wiederholt mit wahrem Genusse durchgelesen hatte, schwang ich mich wieder in den Sattel und folgte der Spur des so schnell zum Glauben gebrachten ungläubigen Ateïbeh. Sie führte grad südwärts, den Höhen des Dschebel Chonuka entgegen.

Ich sagte mir, daß ich nicht sehr weit entfernt vom Lager der Haddedihn sein könne. Die ganze, weite Steppe bildete ein einziges, ununterbrochenes Meer der ersten Frühlingsblüten; mein Pferd war bis herauf zu mir vom Blütenstaub gefärbt, was bei dem Gaule des Boten nicht der Fall gewesen war. Hieraus durfte ich mit Sicherheit schließen, daß dieser Mann, als er mich traf, keinen weiten Weg zurückgelegt hatte; er war so glücklich gewesen, gleich im Anfange seines Rittes nach Mossul dem Adressaten des ihm anvertrauten Briefes zu begegnen.

Es war kaum eine Viertelstunde vergangen, so sah ich, daß ich mit dieser Voraussetzung das Richtige getroffen hatte: Es erschienen zunächst zwei Reiter, welche mir im fliegenden Galoppe entgegenkamen. Der eine ritt einen Rappen und der andere einen Schimmel. Noch ehe ich ihre Gesichter erkennen konnte, wußte ich, wer sie waren, nämlich Hadschi Halef Omar auf der weißen, unvergleichlichen Stute, welche einst Mohammed Emin und dann seinem Sohne Amad el Ghandur gehört hatte, und Kara Ben Halef auf dem Rapphengste Assil Ben Rih, dem Nachkommen meines unvergeßlichen Rih. Eine Strecke hinter diesen beiden ritt jemand eine Schecke. Das war Omar Ben Sadek auf dem einst von mir erbeuteten Aladschypferde. Und noch weiter zurück kam eine ganze, große und breite Wolke von Reitern, von denen jeder bemüht war, die andern auszustechen.

Halef und sein Sohn hatten die besten Pferde; sie erreichten mich zuerst. Ich war abgestiegen, um sie stehend zu empfangen. Fast noch im jagen, sprangen sie ab. Halef stürzte mit ausgebreiteten Armen auf mich zu.

»Sihdi, Sihdi, mein guter, lieber Sihdi,« rief er; »meine Wonne findet keine Stimme und mein Entzücken keine Worte! Erlaß mir die Rede; ich kann vor Freude nicht sprechen!«

Er schlang die Arme um mich, legte den Kopf an meine Brust und weinte laut. Ich küßte ihn auf die Stirn, die Wangen und den Mund und sagte:

»Und in mir schweigt die Stimme der Sehnsucht, welche mich zu dir getrieben hat; sie hat Erhörung gefunden, und ich preise Allah, der mir dieses frohe Wiedersehen spendet.«

Da drückte er die Arme noch fester um mich, ließ mich dann rasch los, wendete sich zu seinem Knaben um und sagte:

»Hast du es gesehen, mein Sohn? Mein Sihdi, mein Effendi hat mich geküßt! Kara Ben Nemsi, den wir verehren und den ich anbete, hat mich viermal geküßt! Das ist mehr, tausendmal mehr, als meine Freundschaft und Liebe zu ihm sich jemals hätte erbitten dürfen. Vergiß es nie in deinem Leben, daß seine Lippen das Angesicht deines Vaters berührten! Es ist dies auch für dich ein Ruhm, den keine andere Ehrung erreichen kann!«

Er zog den Sohn zu mir heran, daß er mir die Hand reichen solle; ich bückte mich aber zu dem Knaben nieder, küßte ihn auch auf die Stirn und sagte:

»Du bist der Sohn meines Freundes Halef, nach seinem und meinem Namen Kara Ben Halef genannt; denke, daß auch ich dich wie ein Vater liebe. Ich wünsche, daß du einst als Mann ihm gleichen mögest!«

Da reckte sich mein kleiner Hadschi Halef stolz in die Höhe und rief, die Freudenthränen noch immer in den Augen:

»Hast du die Worte des größten Helden, den ich kenne, wohl vernommen? Ein Mann sollst du werden, wie ich, dein Vater, einer bin! Wir haben den Löwen getötet und den schwarzen Panther bezwungen; wir sind stets siegreich gewesen und haben niemals einem Feinde den Rücken gezeigt. In deinen Adern rinnt mein Blut, und hinter deiner Stirn wohnen die Vorzüge meines Geistes. Allah gebe, daß du durch deine Thaten einst die Berühmtheit deines tapfern Vaters erreichst!«

Richtig! So war er! Gleich im ersten Augenblicke des Wiedersehens war es ihm nicht möglich, seiner Gewohnheit, dicke Farben aufzutragen, zu widerstehen. Das war ihm, ohne verwerfliche Prahlsucht zu sein, zur zweiten Natur geworden. Er brachte, ohne eigentlich zu wollen, es fertig, selbst in einer Scene tiefster Rührung und Ergriffenheit durch seine unbefangene und harmlose Ruhmredigkeit dem Ernste einen heitern Beigeschmack zu geben. Wer ihn kennen gelernt hatte, dem fiel dieses gar nicht mehr auf.

Inzwischen war Omar Ben Sadek auch herangekommen und von seinem Aladschy gestiegen. Er reichte mir beide Hände und sagte:

»Sihdi, ich bin nicht so mit Ruhm und Ehre beladen wie Hadschi Halef Omar, unser Scheik; aber ich habe dich wohl ebenso lieb wie er, und für das, was ich dir schulde, wird die Dankbarkeit niemals in meinem Herzen sterben. Sei uns willkommen! Mit dir kehren alle guten Geister bei uns ein.«

Und nun kam sie herangebraust, die große, dichte, vielköpfige Reiterwolke! Die Zügel in der Linken und die Flinten in der Rechten, trieben sie unter jauchzendem Geschrei, als ob sie uns in Grund und Boden reiten wollten, ihre Pferde in sausendem Galoppe bis auf drei Schritte zu uns heran, rissen sie empor, stoben zurück, kehrten, allerlei Figuren bildend, wieder, jagten, immer schießend und wieder ladend, scheinbar wirr durcheinander und schossen dabei stets so hart und nahe an uns vorüber, daß man, um sich nicht durch ängstliches Zurückweichen eine Blöße zu geben, mit diesem Brauche und ihrer Reitertüchtigkeit bekannt sein mußte. Hinter ihnen hielten Knaben im Alter bis zu vier, fünf Jahren herunter auch auf Pferden, um dieser »Fantasia«, an welcher sie natürlich nicht teilnehmen durften, zuzusehen. Dann stiegen wir auf, wurden in die Mitte genommen, und es ging in Carriere dem Lager zu, vor welchem die Greise, Frauen und Mädchen standen, um uns in allen Stimmlagen mit Alan wasah’lan! Marhaba! und Habakek! zu empfangen.

Vor einem noch ganz neuen, schönen Zelte, in welchem ich wohnen sollte, wurde abgestiegen. Daß die Haddedihn ein besonderes Zelt für Ehrengäste besaßen, war ein Zeichen, daß der Stamm sich eines außergewöhnlichen Wohlstandes erfreute. Später, als Halef mich mit sichtlichem Stolze um das Duar, führte, um mir die Herden zu zeigen, erkannte ich zu meiner Freude bald, daß diese mir so befreundeten Menschen jetzt bedeutend wohlhabender waren als zu der Zeit, in welcher ich sie kennen lernte. Ich konnte nicht umhin, dem Hadschi diese Bemerkung mitzuteilen, und er ergriff sofort die günstige Gelegenheit, sich unter die geliebte Beleuchtung zu bringen, indem er fragte:

»Weißt du, Sihdi, wem der Stamm dies alles zu verdanken hat?«

»Nun, wem?«

»Errätst du es denn nicht?«

»Dir jedenfalls! Oder nicht?«

Da legte er sich beide Hände auf das Herz, machte den Nacken steif, zog die Brauen wichtig in die Höhe und sagte:

»Ja, mir! Ich bin der Scheik, und du wirst wissen, was eine gute Regierung zu bedeuten hat! Ich bin es, ich allein, dem alle diese Unterthanen mit ihren Körpern und den Seelen, welche in den Körpern wohnen, anvertraut sind. Ich bin der Vater und die Mutter, der Großvater und die Großmutter, ja sogar der Ahne, Urahne und Urvorahne dieses meines Volkes. Ich ernähre und kleide meine Unterthanen; ich wasche und ich kämme sie; ich belehre und ermahne sie; ich tadle und ich richte sie; ich bewahre und ich schütze sie. Ich habe sie reich und glücklich gemacht. Kannst du erraten, wodurch? Es ist ein einziges, kleines Wort.«

»Du wirst das Wort Friede meinen, denke ich.«

»Ja, es ist der Friede. Mohammed Emin und Amad el Ghandur waren kriegerisch gesinnt, hatten aber kein Glück. Wären nicht wir beide, du und ich, damals zu den Haddedihn gekommen, so hätten sie in allen Kämpfen unterliegen müssen. Mohammed Emin fiel im Streite, und Amad el Ghandur mußte der Fehler wegen, welche er gemacht hatte, die Würde des Scheikes niederlegen. Dann wurde Malek gewählt, der Großvater meines Weibes Hanneh, welche die lieblichste unter den schönen Frauen aller Länder und aller Völker ist. Er war zwar alt, liebte aber als Ateïbeh auch den Krieg, hatte jedoch auch kein Glück. Als er starb, wurde ich gewählt. Das war wohl das Klügste, was die Haddedihn thun konnten! Du weißt, daß ich ein tapferer Krieger bin und niemals einen Feind gefürchtet habe. Auch ich liebte das Schwert und wollte es nicht in der Scheide rosten lassen; da aber kamst du mir dazwischen, Sihdi.«

»Ich?«

»Ja. du!«

»Wieso?«

»Deine Stimme klang aus dem Munde meines Weibes Hanneh, der schönsten Rose unter allen Blumen der Frauenzelte. Du hattest so oft von Gottes Liebe, Gnade, Barmherzigkeit und Güte gesprochen; du hattest so oft gesagt, daß der Mensch ein Ebenbild Gottes sein solle. Du hattest gelehrt, daß die Liebe die größte Macht des Himmels und der Erde sei, der nichts widerstehen könne. Das waren deine Worte gewesen. Aber deine Thaten wirkten noch mächtiger als deine Worte. Du hast selbst deine ärgsten Feinde so oft und so lange geschont, wie es nur möglich war. Du hast lieber durch Milde oder List zu erreichen gesucht, was du durch Strenge oder Kampf viel leichter und schneller hättest erreichen können. Du hast dein Leben zehnmal gewagt, um dasjenige eines Feindes zu schonen. Diese deine Thaten haben noch lauter als deine Worte zum Herzen meiner Hanneh gesprochen, welcher der Preis unter allen Töchtern und Müttern der Erde gebührt. Als du längst, längst von uns gegangen warst, hat sie still in ihrem Zelte gesessen und durch die Wand desselben andächtig zugehört, wenn von dir erzählt wurde. Sie hat dich zu ihrem Chajali, erwählt und nicht geduldet, daß mein Säbel aus der Scheide fahre. Du weißt, daß wir beide, du und ich, damals die Feinde der Haddedihn besiegten und für lange Zeit unfähig machten, sich wieder zu erheben. Als ich Scheik wurde, vereinigten sie sich zu einer Erhebung gegen uns. Ich wollte sie mit der Schärfe des Schwertes niederschlagen; aber Hanneh, welcher unter den Frauen der Vorrang zukommt, den der Diamant unter den Edelsteinen besitzt, sagte, du würdest an meiner Stelle anstatt der Gewalt die Klugheit wählen. Sie gab mir den Rat, die Feinde untereinander zu entzweien; sie sagte mir auch, in welcher Weise mir dies sehr leicht gelingen werde, und so habe ich den Kampf vermieden und dennoch unsere Macht verdoppelt.«

»Hm!« summte ich lächelnd vor mich hin. »Meinst du, lieber Halef, daß Hanneh mit diesem Rate das Richtige getroffen hat?«

»Hm!« summte auch er, aber nicht lächelnd, sondern nachdenklich. »Darf ich dir etwas anvertrauen?«

»Alles, was du willst!«

»Aber du darfst es keinem Menschen sagen!«

»Du weißt, daß ich nicht plauderhaft bin!«

»Das weiß ich sehr genau; also höre mein Geheimnis an, und behalte es tief in deinem Herzen verborgen!«

Er näherte seinen Mund meinem Ohre und fuhr flüsternd fort:

»Hanneh ist nämlich nicht nur die lieblichste unter den Haremsblumen, sondern auch außerordentlich klug. Sihdi, ich sage dir: sie hat immer recht!«

Fast hätte ich über die stolze Ueberzeugung, mit welcher er dies sagte, laut aufgelacht. Also mein tapfrer Halef stand unter dem Pantoffel! Nicht er, sondern seine »lieblichste der Blumen« war Scheik der Haddedihn! Aber das konnte mich nur freuen, und es fiel mir gar nicht ein, ihn darum weniger zu achten. Es ist jeder heiß- oder schnellblütig angelegte Mann nur glücklich zu preisen, wenn er eine bedachtsame Frau besitzt, welche es versteht, ihn in freundlicher, aber ja nicht herrischer Weise vor Unbedachtsamkeiten zu bewahren. Und doppelt glücklich zu preisen ist er, wenn er trotz seines Temperamentes so einsichtig ist, sich von ihr raten, mahnen und lenken zu lassen! Es geht ihm dadurch kein einziges Atom von seiner Manneswürde verloren. Ich habe nicht wenige Ehen kennen gelernt, deren Glück nur dieser liebevollen, vorsichtigen Führung der Frau zu verdanken war, Das sind Perlen, deren Wert gar nicht hoch genug geschätzt werden kann!

Halef war mir stets ein unendlich treuer, aufopfernder und in gewöhnlichen Lagen höchst zuverlässiger Diener und Begleiter gewesen; sein Mut und seine Tapferkeit hatten nie versagt, und er hätte, um mich zu retten, gewiß jederzeit sein Leben auf das Spiel gesetzt; aber grad in Gefahren war seiner Zuverlässigkeit nicht immer ganz zu trauen gewesen; da ging seine Furchtlosigkeit zuweilen mit ihm durch, und er hatte mich dadurch, daß er über seine Instruktionen hinaus handelte, oft in sehr unangenehme Lagen gebracht. Darum freute ich mich jetzt herzlich, als ich von ihm hörte, daß seine Hanneh eine der vorsichtigen Frauen war, von denen es im Liede von Sanguinikus heißt:

»Und will er in die Lüfte allzu munter,

So zieht sie ihn am Frackschoß wieder runter.«

Ich nickte ihm freundlich zu und fragte.

»Wenn sie immer recht hat, so hast du wohl immer unrecht?«

»Oh nein! Wie kannst du dieses von mir denken, Effendi! Wie kann dein Halef einmal unrecht haben! Ich bin ja immer mit ihr einverstanden! Also habe ich stets ebenso recht wie sie!«

»Das ist sehr klug von dir, mein lieber Halef! Ein Mann, welcher gern den vernünftigen Ratschlägen seines Weibes folgt, gleicht einem Moslem, der stets nach dem Kuran handelt.«

»Wie freut es mich, daß du dieser Meinung bist! Zuweilen will es mir nämlich scheinen, als ob man auch einmal widersprechen müsse; aber wenn ich dann der lieblichsten der Frauen in das Antlitz blicke, so hat sie sicher recht. Wie könnte ich solche Freundlichkeit betrüben und so ein Lächeln in Wehmut verwandeln! Ich muß dir sagen, daß ihr Lächeln sich sehr schnell auf meinem Angesichte widerspiegelt und dann – – dann – – dann, dann geht – – geht – – geht – –«

Er stockte und so fuhr ich, auch lächelnd, fort:

»Dann geht es wohl auch auf deine Haddedihn Ueber, und schließlich lächelt der ganze Stamm?«

»Ja, Effendi, fast ist es so. Es geht von Hanneh, der Krone aller Frauen, eine Milde aus, welche sich erst mir und dann auch allen, mit denen ich verkehre, mitteilt. Meine Haddedihn sind jetzt nicht mehr die rauhen, rücksichtslosen Krieger, die sie früher waren. Ja, denke dir nur, es kommt sogar vor, daß sie höflich mit mir, ihrem höchsten Vorgesetzten, sind! Das stammt von dir und deinen Lehren, deinen Thaten her, und da mich niemand hört, will ich aufrichtig sein und es dir sagen: Im heiligen Buche der Christen ist, bei Allah und dem Propheten, viel, viel größere Weisheit enthalten als im Kuran, den ich früher für den Inbegriff alles himmlischen und irdischen Wissens gehalten habe! Ich wollte dich damals zum Islam bekehren und ärgerte mich über deine Hartnäckigkeit; jetzt aber sehe ich ein, daß in einem einzigen freundlichen Lächeln meiner Hanneh, die unvergleichlich ist, mehr Religion und Weisheit liegt als in allen hundertvierzehn Suwar des heiligen Buches Mohammeds. Und sodann – – – höre, Effendi, noch ein Geheimnis!«

Er brachte seinen Mund wieder in die Nähe meines Ohres und flüsterte:

»Auch Hanneh, die einzige Rose unter den Blumen und Blüten der Frauenwelt, mag nichts vom Kuran wissen.«

»Wirklich? Ist das wahr?«

»Nichts, gar nichts!« nickte er sehr ernst und bestimmt.

»Warum?«

»Weil die Ausleger des Kuran behaupten, daß die Frauen keine Seele haben.«

»Und das will sie sich nicht gefallen lassen?«

»Nein, auf keinen Fall! Laß dir, lieber Sihdi, im Vertrauen mitteilen: Sie behauptet, sie habe eine – – – und zwar was für eine!«

»Hm! Sollte man das denken!«

»Denken? Sie erlaubt mir gar nicht, ihr zu sagen, was ich darüber denke, und als ich ihr nur so ganz leise und liebevoll andeutete, daß Mohammed doch gewußt haben müsse, was er lehrte, bestand sie darauf, daß ihre Seele, den Körper gar nicht gerechnet, allein zehnmal mehr wert sei als der ganze Prophet, Leib und Seele zusammengenommen.«

»Giebst du ihr da recht?«

»Natürlich! Sie hat ja immer recht, und wenn man sich nach seinem Weibe richtet, so ist das ebenso gut, wie wenn man sich nach dem Kuran richtet; das hast du ja vorhin selbst gesagt; ich handle also ganz genau nach dem Kuran, wenn ich glaube, was Hanneh, die beste aller Frauen, glaubt.«

Welch eine Logik! Der kleine, wackere Hadschi glaubte, sich nach dem Kuran zu richten, indem er ihn verwarf! Es fiel mir natürlich gar nicht ein, ihm diese Ansicht widerlegen zu wollen, und wir kehrten nach unserm Rundgange nach dem Duar zurück, um den Hammel zu verzehren, für den es nach Halefs Worten eine »Freude und Ehre gewesen war, sich für mich schlachten zu lassen«.

Ich blieb eine volle Woche der Gast der Haddedihn. Während dieser Zeit gab es keinen andern Gesprächsgegenstand als die Begebenheiten während meiner früheren Anwesenheit bei dem Stamme, auf welche man noch heut mit stolzer Genugthuung zurückblickte. Halef war natürlich der Hauptsprecher; er hielt eine Menge Reden und Vorträge, in denen er mich als den größten Helden unter der Sonne beschrieb und dabei aber sich als meinen Freund, Beschützer, Bewahrer und Erhalter hinstellte. Ich pflegte mich zu entfernen, sobald er sich in Positur stellte, um eine solche Lobpreisung meiner Person und seiner selbst loszulassen; ich brachte es nicht fertig, seine übertriebenen Orientalismen durch meine Gegenwart zu sanktionieren, und war mir dabei der vollständigen Unmöglichkeit bewußt, sie auf irgend eine Weise zu verhindern. Als ich einmal eine hierauf bezügliche Bemerkung machte und mich dabei des Wortes öjünmek bediente, fuhr er wie vor einer Natter vor mir zurück und rief zornig aus:

»Was? Wie, Effendi? Ich soll ein Oejünüdschi sein? Wie kannst du mich in dieser Weise beleidigen und die Wange eines Mannes schamrot machen, welcher dir sein ganzes Herz geschenkt hat und jederzeit bereit ist, sein Leben fünfzigmal hintereinander für dich hinzugeben! Weshalb führt man solche Heldenthaten, wie wir sie verrichtet haben, aus! Doch nur, damit man von ihnen sprechen und erzählen kann!«

»Nein! Was wir gethan haben, ist aus ganz anderen und besseren Gründen geschehen. Ich habe – – –«

»Gründe?« unterbrach er mich. »Von den Gründen ist jetzt gar nicht die Rede, denn Gründe gehen voraus, das Sprechen aber folgt hinterher. Wenn ich von dem, was ich gethan und erlebt habe, nicht sprechen soll, so will ich lieber gar nichts thun und erleben!«

»Wer hat die das Sprechen verboten? Du sollst dich nur vor Uebertreibungen hüten.«

»Uebertreibungen? O, Sihdi, wie ist es mit deiner Erfahrenheit und Menschenkenntnis doch so schlecht bestellt! Der Mensch ist das einzige ungläubige Geschöpf, welches auf der Welt wohnt, denn Tiere, Pflanzen und Steine können nie ungläubig sein, was du aber gar nicht zu wissen scheinst. Und weil der Mensch den Unglauben ganz allein besitzt, so hat er davon eine so große Menge, daß sie gar nicht gezählt, gemessen und berechnet werden kann. Sagst du das Wort hundert, so wird man dir nur das Wort zwanzig glauben; hast du fünf Kinder, so traut man dir nur zwei zu, und behauptest du, alle zweiunddreißig Zähne zu besitzen, so läßt man dir nur zehn oder elf, zwischen denen sich einundzwanzig Chilahl befinden. Darum wird ein kluger Mensch stets mehr sagen, als eigentlich richtig ist. Ich, der Besitzer eines einzigen Kindes, sage, daß ich zehn Knaben und zwanzig Mädchen habe; ich behaupte, sechsundneunzig Zähne zu besitzen, und das ist keine Lüge, denn ich weiß ja, daß man mir wenigstens drei Viertel davon abziehen wird. Ich sage keine Unwahrheit; ich übertreibe nicht, denn wenn ich sage, daß ich zwei Beine besitze, so glaubt man nur an eines, und ich muß also, wenn die Wahrheit getroffen werden soll, wenigstens von vieren sprechen. Allah mag deinen Geist erleuchten, daß du das, was ich dir jetzt gesagt habe, nach und nach verstehen lernst und mir ja nicht immer dreinredest, wenn ich von unsern Heldenthaten erzähle. Wenn du einen Wüstenfuchs geschossen hast, mußt du unbedingt einen Löwen daraus machen, weil man sonst annimmt, daß es nur eine Maus gewesen sei, und wenn ein Mensch im Flusse umgekommen ist, so muß ich erzählen, daß zehn Personen ertrunken seien, denn sonst behauptet man, daß überhaupt gar kein Wasser zum Ertrinken dagewesen sei. Nimm dir diese meine Worte zu Herzen, Sihdi! Laß dich mahnen, warnen und belehren! Ich kenne die Welt und die Menschen besser als du. Wenn du heiler Haut nach Persien und wieder zurückkommen willst, so sag stets Mehr, viel mehr, als du eigentlich zu sagen hast. Allah jesellimak – Gott erhalte dich!«

Er drehte sich nach dieser Ermahnung um und ging in der stolzen, selbstbewußten Haltung eines Mannes fort, welcher einen andern durch die Ueberlassung seines ganzen Vermögens vom Bankerott errettet hat. Er war in Beziehung auf das Prahlen eben unverbesserlich, doch muß ich zu seiner Entschuldigung hinzusetzen, daß dies ihm als Orientalen nicht so hoch angerechnet werden durfte. Hätte er sich nach europäischem Muster benommen, so wäre er nicht der liebe, wackere und originelle Kauz gewesen, als der er mir stets so sehr gefallen hatte.

Im Verlaufe der vorhin angegebenen Zeit von einer Woche kam das Gespräch natürlich oft auf meine beabsichtigte Reise nach Persien, und da erfuhr ich, daß Halef plante, vorher erst einen andern Ritt zu unternehmen, welcher allerdings notwendiger als meine Reise war. Die Kabila der Haddedihn gehört, wie man weiß, zum Scha’b der Schammar, und darum hatte es der kleine Hadschi schon längst, ja schon seit seiner Erwählung zum Scheik der Haddedihn, für angezeigt gehalten, den Dschebel Schammar und Hâil, den Hauptort dieser Landschaft, aufzusuchen, um die lange Zeit unterbrochenen Beziehungen zu den Stammesgenossen wieder anzuknüpfen. Der Hadschi war nicht nur ein mutiger Krieger, sondern auch ein kluger Diplomat, und seine Hanneh stand ihm in letzterer Beziehung mit den besten Ratschlägen zur Seite. Beide hegten die Meinung, daß eine Erneuerung dieser Verbindung ihren Haddedihn großen Nutzen bringen und ein bedeutendes Uebergewicht über die umwohnenden Stämme, denen trotz der mit ihnen abgeschlossenen Friedensverträge nie recht zu trauen war, geben werde. Nach den Gepflogenheiten der Beduinen und aus noch andern Gründen hätte er diese Reise, um am Dschebel Schammar zu imponieren, eigentlich mit einer großen, glänzenden Reiterschar unternehmen sollen; aber das wäre ein ganz gefahr- und wagnisloses Unternehmen gewesen, bei dem kein Ruhm zu ernten war. Er wollte Abenteuer erleben, von denen er dann später in seiner tief in den »Topf des Lobpreises« greifenden Weise erzählen konnte, und so war er sehr ernstlich mit sich zu Rate gegangen, ob er nicht lieber allein reiten solle. Da aber war ihm Hanneh, wie er sich gegen mich ausdrückte, »mit seiner Waghalsigkeit an den Kopf gesprungen« und hatte ihm im Tone »strenger Liebe und zorniger Hingebung« gesagt, daß sie das nicht gestatten werde. Glücklicherweise war da die Ansage meines Besuches gekommen, welche der Sache eine ganz unerwartet andere Wendung gegeben hatte.

Welch eine Wonne, mit Kara Ben Nemsi nach dem Dschebel Schammar reiten und sich den dortigen Schammar als »Freund und Beschützer« dieses »größten Helden des Erdreiches« zeigen zu können! Da war freilich keine Begleitung nötig, und da standen Erlebnisse zu erwarten, über welche »noch die späteste Nachwelt staunen würde«. Zugleich konnte da ein Wunsch in Erfüllung gehen, welchen nicht nur der wagmutige Hadschi, sondern auch seine vorsichtige Hanneh längst gehegt hatten: Kara Ben Halef, ihr Sohn, fand da vielleicht Gelegenheit, den Haddedihn zu zeigen, daß er der würdige Sohn eines tapfern, mutigen Vaters sei. Das war einer der größten Herzenswünsche seiner Eltern. Halef war zwar überzeugt, daß es keinen bessern Behüter seines Sohnes als ihn selbst geben könne, doch war Hanneh nicht ganz derselben Meinung; sie vertraute mir ihr Kind viel lieber an als ihm allein, und als sie gelesen hatten, daß ich kommen werde, hatten sie sich darüber geeinigt, daß Kara Ben Halef uns begleiten solle. Vorher abzuwarten, ob ich auch Lust haben werde, die Tour mitzumachen, das war ihnen gar nicht eingefallen; sie nahmen das als ganz selbstverständlich an. Natürlich aber fragten sie mich, und da ein solcher Ausflug ganz nach meinem Herzen war, gab ich sofort meine Zustimmung – – ganz wie sie erwartet hatten. In Beziehung der Mitnahme eines Trupps der Haddedihn fragte mich Halef:

»Lieber Sihdi, du bist stets der Ansicht gewesen, daß viele Begleiter nur hinderlich seien. Ist dies deine Meinung auch noch jetzt?«

»Ja. Warum willst du das wissen?«

»Weil ich mir vorgenommen hatte, diese Reise mit vielleicht hundert Kriegern zu unternehmen, da dies mehr Eindruck macht, als wenn ich mit nur wenigen Leuten komme. Nun du aber hier eingetroffen bist, denke ich mit Stolz an unsere gefährlichen Wanderungen und an die vielen Thaten, welche wir ohne alle fremde Hilfe ausgeführt haben. Dem Ruhme, welchen wir davontrugen, habe ich es zu verdanken, daß ich Scheik der Haddedihn geworden bin. Leider habe ich diesem Ruhme nichts hinzuzufügen vermocht, weil die letzten Jahre fast vollständig thatenlos vergangen sind. Sollen meine Glieder einrosten und mein Mut einer alten Klinge gleichen, die man nicht mehr aus der Scheide bringt? Du kennst doch deinen treuen Halef und weißt, daß die Gefahr mir so notwendig ist wie dem Fische die Flut des Wassers. Meine Seele erstickt in dieser Unthätigkeit, und mein Geist gleicht einem Adler, den Allah in eine Schnecke verwandelt hat. Und was soll aus meinem Sohne Kara Ben Halef werden, wenn er keine Gelegenheit bekommt, seine Gewandtheit zu bethätigen und seine Kühnheit zu beweisen? Er wird ein unnützer Mensch, der nichts vermag, als Lagmi zu trinken und dann dereinst an einem Raschah el Buruhda zu sterben. Ist das nicht traurig? Kann er sich auszeichnen, wenn ich ihn unter dem Schutze von hundert Reitern mit mir nehme? Nein! Darum begrüße ich deine Ankunft mit tausend Freuden. Ich habe Sehnsucht, wieder einmal etwas zu erleben, was in den Büchern der Helden verzeichnet wird, und das kann ich nur, wenn wir es so machen, wie wir es früher gemacht haben: wir reiten allein. Was sagst du dazu?«

»Frage vorher, was die Krieger dazu sagen, die dich begleiten sollten und welche nun dableiben müßten.«

»Die frage ich nicht. Ich bin der Scheik, und sie haben zu gehorchen. Ich werde sie später durch einen großen Jagdzug entschädigen. Also, lieber Sihdi, laß mich hören, welchen Rat du mir giebst!«

»Wenn es auf mich ankommt, so reiten wir allein, und dies ist auch aus anderen Gründen das Bessere.«

»Welche Gründe meinest du?«

»Nimm zunächst die Entfernung an! Von hier bis zum Dschebel Schammar sind es wenigstens vierzehn Tagesreise mit dem schnellen Reitkamele, denn Pferde können wir des fehlenden Wassers wegen nicht nehmen. Demnach brauchtest du bei hundert Reitern auch hundert Lastkamele, um die Wasserschläuche zu transportieren; da kämen wir erst nach vier oder fünf Wochen dort an. Woher das Wasser für die überschüssigen drei Wochen nehmen? Und bedenke die feindlichen Stämme, durch deren Gebiet wir müssen! Eine Schar von hundert Reitern muß von ihnen unbedingt entdeckt werden, während drei Personen wahrscheinlich unbemerkt bleiben. Und da du nach Ruhm trachtest, so frage ich dich: Welche Ehre ist größer, wenn hundert oder wenn nur drei Männer die Gefahren, denen wir entgegengehen, glücklich überwinden?«

»Das letztere, Sihdi, das letztere natürlich! Du kommst meinen Wünschen entgegen, und deine Ansicht ist auch die meinige. Wir reiten allein, Sihdi, du, ich und mein Sohn Kara Ben Halef, dem es die größte aller Ehren sein wird, an deiner Seite diese Reise machen zu dürfen. Ich werde mit Hanneh, meinem Weibe, sprechen. Sie ist die beste, die herrlichste der Frauen, die lieblichste der Blumen unter allen Blumen und Rosen der Welt, und wird uns das feinste Mehl und eine Fülle der saftigsten Datteln einpacken, so daß wir unterwegs weder Mangel, noch gar Hunger leiden.« Dann schlug er die Hände froh zusammen und fügte mit glückstrahlendem Gesichte hinzu: »Hamdulillah, Preis, Lob und Dank sei Allah, denn nun wird uns wieder einmal die Luft der Wüste umwehen, und ich kann zeigen, daß ich, der Scheik und Hadschi Halef Omar, noch kein altes Weib geworden bin, sondern daß in mir noch immer der alte Held und Sieger lebt, den niemand überwinden kann, und der in jeder Not und Gefahr dein treuer Freund und tapferer Beschützer gewesen ist, lieber Sihdi, und dich auch jetzt wieder zu einem berühmten Mann und Krieger machen wird. Verlaß dich auf mich! Meine Kraft und Stärke wird dich vor jedem Feinde bewahren.«

Ich ließ diese Rede still über mich ergehen. Er sprach nun einmal gern in diesem Tone, und wenn er dabei die Rollen umkehrte, so konnte mich das nur heimlich belustigen, niemals aber ärgern.

Ich brauche wohl nicht erst zu sagen, daß Hanneh uns in Beziehung auf die Sicherheit ihres Sohnes eine Menge Ermahnungen und Verhaltungsmaßregeln erteilte, welche vollständig überflüssig waren, obgleich sie aus ihrem Mutterherzen flossen. Kara Ben Halef war unendlich stolz darauf, von uns auf eine so weite und nicht ungefährliche Reise mitgenommen zu werden. Nachdem wir Abschied genommen hatten, ritt er, im Sattel hoch aufgerichtet, voran, als wir das Lager verließen, begleitet von einer Anzahl Haddedihn, welche die Ziegenfelle transportierten, aus denen das Kellek zur Ueberfahrt über den Euphrat hergestellt werden sollte. Sie brachten uns an das rechte Ufer dieses Flusses, worauf sie zurückkehrten, während wir unsere Richtung südwestwärts nach der Badijeh einschlugen.

Halef hatte für unsere Reise die drei schnellsten und ausdauerndsten Reitkamele des Stammes ausgesucht, welche eine Reihe von Tagen kein Wasser brauchten. Da man diese Hedschan aber nicht zu sehr belasten darf, so hatten wir nur drei kleine Schläuche mitgenommen, welche am sechsten Tage fast leer waren, so daß wir trachten mußten, sie wieder zu füllen. Das war aber eine nicht ganz ungefährliche Angelegenheit, weil wir uns in einer Zeit befanden, in welcher die wenigen Brunnen der arabischen Wüste meist besetzt sind, und die Stämme dieser Gegenden waren den Haddedihn alle mehr oder weniger feindlich gesinnt. Am meisten hatten wir uns vor den Scherarat-Beduinen zu hüten, welche damals in der Blutrache mit den Haddedihn standen und unbedingt unser Leben gefordert hätten, wenn wir in ihre Hände gefallen wären. Ihr Scheik hatte den Beinamen Abu ‚Dem, Vater des Blutes, eine für ihn sehr treffende Bezeichnung, und im Stamme gab es einen Mann, der noch mehr zu fürchten war als dieser blutdürstige Scheik, nämlich Gadub es Sahhar, der Magier und Wunderdoktor der Scherarat.

Dieser »Zauberer« war weit und breit berühmt bei den Freunden und berüchtigt bei den Gegnern des Stammes. Man wußte, daß er bei jeder Abstimmung über das Schicksal eines Gefangenen den Tod desselben verlangte und meist auch durchsetzte. Handelte es sich um einen Andersgläubigen, einen Schiiten, einen Juden oder gar Christen, so war von Schonung schon gar keine Rede, und selbst die Scherarat, die seine Künste bewunderten, fürchteten ihn im stillen und nahmen sich vor ihm in acht als vor einem Manne, dessen Zorn selbst seinen nächsten Angehörigen gefährlich werden konnte. Eigentlich war er im Stamme mächtiger als selbst der Scheik, und man erzählte im stillen, daß dieser es darum gar nicht ungern sehen würde, wenn dem Zauberer einmal etwas Menschliches geschehen sollte; aber ein solches Ereignis mit eigener Hand herbeizuführen, das wagte er freilich nicht.

Also von diesem Stamme drohte uns die größte Gefahr, zumal wir nicht wußten, wo er jetzt zu suchen war. Wir befanden uns ungefähr in gleicher Höhe mit der Landschaft Tschohf, vielleicht anderthalbe Tagereise östlich von ihr, und hatten den kleinen Bir Nufah so vor uns, daß wir ihn um Mittag erreichen konnten; nur galt es, zu erfahren, ob er besetzt sei oder nicht. Ich wollte voranreiten, um zu rekognoszieren; aber das gab Halef nicht zu.

»Sihdi, willst du mich beleidigen?« rief er aus. »Du bist ein Franke, und ich bin ein Ibn el Arab; ist es da nicht meine Sache, die Gegend zu erkunden, ob wir sicher sind oder nicht? Oder traust du mir die dazu gehörige Geschicklichkeit nicht zu?«

»Ich traue sie dir zu, aber du weißt, daß ich in Beziehung auf diese Geschicklichkeit dein Lehrer gewesen bin.«

»Danach gehe ich nicht, denn der Schüler kann den Lehrer nicht nur erreichen, sondern sogar übertreffen.«

»Meinst du, daß dies bei dir der Fall sei?«

»Ich meine nichts, gar nichts; aber es wird sich zeigen, und Kara Ben Halef, mein Sohn, soll seinen Vater schätzen und bewundern lernen. Darum fordere ich als dein und sein Beschützer von dir, daß du mir erlaubst, voranzureiten!«

Was sollte ich thun? Um ein zuverlässiger, vorsichtiger Kundschafter zu sein, dazu war der kleine Hadschi zu unbedenklich und verwegen. Aber durfte ich ihn vor seinem Sohne blamieren? Nein. Ich ließ ihn also fort. Bald sahen wir ihn auf seinem windschnellen Hedschihn am Horizonte verschwinden, und wir ritten ihm in der bisherigen, ungesteigerten Gangart nach. Wir hatten noch zwei Stunden bis Mittag, also bis zu dem Brunnen zu reiten, dessen Lage ich zwar ungefähr wußte, dessen Umgebung mir aber vollständig unbekannt war.

Bei der Schnelligkeit, mit welcher Halef sich entfernt hatte, mußte er in nicht viel über einer Stunde dort sein; ich war also nach Verlauf von ein und einhalb Stunden so vorsichtig, anzuhalten, um auf seine Rückkehr zu warten. Es verging wieder eine Stunde, ohne daß er kam; das machte mich besorgt, ohne daß ich dies seinem Sohne merken ließ. Als aber wieder eine halbe Stunde vorüber war, fragte dieser mich in bedenklichem Tone:

»Emir, sag, könnte mein Vater nicht längst schon hier sein?«

»Er wird Leute am Brunnen bemerkt haben und warten wollen, bis sie fort sind,« versuchte ich, ihn zu beruhigen.

»Das würde nicht klug von ihm sein, denn in diesem Falle müßte er umkehren, um uns zu warnen.«

»Sorge dich nicht, sondern verlaß dich auf ihn; du hast ja vorhin von ihm gehört, daß er ein guter Kundschafter ist!«

Er schwieg; als aber wieder eine halbe Stunde verfloß, ohne daß Halef sich sehen ließ, gestand er mir:

»Emir, ich beginne, Sorge zu tragen. Allah möge meinen Vater beschützen! Es ist ihm ein Unglück widerfahren. Laß uns eilen, ihm Hilfe zu bringen!«

»Nicht eilen, sondern langsam und vorsichtig reiten, und zwar du ganz genau hinter mir.«

»Warum hinter dir?«

»Aus Vorsicht. Die Luft ist nicht rein am Brunnen, das ist gewiß. Es sind Leute dort.«

»Allah, Allah! Haben sie meinen Vater ergriffen?«

»Das weiß ich nicht, aber ich vermute es, wie ich dir jetzt aufrichtig gestehen will.«

»So müssen wir eben rasch machen, um ihm zu helfen!«

»Im Gegenteile, wir müssen zögern. Durch die Eile würden wir alles verderben. Wenn dein Vater diesen Männern in die Hände gefallen ist, so werden sie die Gegend, aus welcher er kam, beobachten; denn sie können sich denken, daß er sich nicht allein in der weiten Wüste befunden hat. Reiten wir schnell auf den Brunnen zu, so werden sie uns eher sehen, als wir sie bemerken, und ihre Vorkehrungen danach treffen. Sie sind abgestiegen, also von weitem klein, während wir auf unsern Kamelen große, weithin sichtbare Figuren bilden. Hältst du dich hinter mir, so scheinen wir nur ein Reiter zu sein, und indem ich mein Fernrohr herausnehme, habe ich Hoffnung, sie eher zu sehen als sie uns, und dann werden wir uns nach den Umständen richten.«

Wir ritten also in der von mir angegebenen Weise langsam vorwärts. Die Gegend war bisher vollständig eben gewesen; nun aber schien sich der Horizont vor uns in mehreren unregelmäßigen Linien zu erheben. Mein Fernrohr zeigte mir, daß es dort einige nackte Felsenzüge gab, welche von Osten nach Westen, also quer über unsere Richtung strichen. Zwischen oder hinter ihnen mußte der Brunnen liegen, und das brachte mich zu der Ueberzeugung, daß Halef gefangen war, denn sonst hätten wir ihn jetzt sehen müssen. Er war in seinem gewöhnlichen Uebereifer auf die Felsen zugeritten, von dort aus bemerkt und dann aus dem Hinterhalte überfallen worden.

Mein gutes Fernrohr trug sehr weit. Ich suchte jede, auch die kleinste Linie der Felsen auf das genaueste, aber vergeblich ab, was mich zu noch größerer Vorsicht veranlaßte. Hätte ein Mensch vor ihnen gestanden, er wäre sicher von mir entdeckt worden; wenn aber einer hinter ihnen lag, so mußte er mir verborgen bleiben, bis ich mich bei ihm befand, und dann war es zu spät. Ich durfte mich also dem Höhenzuge nicht so weit nähern, daß wir von dort aus mit bloßem Auge gesehen werden konnten, und bog daher grad nach Osten ab, indem ich zugleich mein Kamel zur Eile trieb.

»Maschallah!« rief Kara Ben Halef aus. »Willst du dem Brunnen ausweichen? Dann bleibt mein Vater ja ohne Hilfe!«

»Komm nur, und vertraue mir!« antwortete ich. »Wenn die Lage am Bir Nufah so ist, wie ich sie mir denke, so richtet sich die Aufmerksamkeit der dortigen Späher nur nach Norden, woher sie uns erwarten. Wir reiten einen Bogen, bis wir den östlichen Punkt der Höhenzüge erreicht haben, und biegen dann in ihrem Schutze wieder nach dem Brunnen ein. Man erwartet nicht, daß wir von dorther kommen, und so vermute ich, daß wir uns unbemerkt anschleichen können. Was dann zu geschehen hat, kann ich noch nicht sagen; du kannst dir aber denken, daß ich deinen Vater auf keinen Fall im Stiche lassen werde.«

»Hinter die Felsen reiten und von der andern Seite kommen? O, Emir, das ist klug, sehr klug von dir. Mein Vater ist auch klug; er ist der klügste von allen Beni Arab, die ich kenne, du aber bist doch noch viel, viel klüger als er. Wäre er doch auch so pfiffig gewesen!«

Nach einer Viertelstunde hatten wir den Höhenzug erreicht. Hinter ihm strich ein zweiter parallel, so daß zwischen beiden ein Thal lag, welches zahlreiche Krümmungen zu beschreiben schien. Wir folgten dieser Senkung höchst vorsichtig aufwärts und vermieden jedes Geräusch, indem wir unsere Kamele so lenkten, daß ihre Füße an keine Steine stießen. Nach und nach wurden die Felsen höher, und indem sie enger zusammentraten, verminderten sie die Breite des Thales, was mir sehr lieb war, weil dadurch zwar unser Gesichtskreis, aber auch derjenige etwaiger Späher bedeutend verkleinert wurde. Vor jeder Krümmung des Wadi hielten wir an, um vorsichtig um die Ecke zu spähen, ob dort ein feindliches Wesen zu entdecken sei. Auf diese Weise gewannen wir nur sehr, sehr langsam an Terrain, und es dauerte wohl volle zwei Stunden, ehe wir den Weg einer Gehstunde zurückgelegt hatten. Es war kein Wunder, daß Kara Ben Halef während dieser Zeit immer besorgter und unruhiger wurde.

Endlich, endlich bemerkten wir sichere Zeichen, daß wir uns in der Nähe des Brunnens befanden: wir sahen seitwärts einige dürre Sträucher stehen, und in der Mitte der Thalsohle gab es Gras, wenn auch außerordentlich spärlich. Nun galt es, unsere bisher doppelte Vorsicht zu verzehnfachen.

Wieder gelangten wir an eine Krümmung. Während wir bis jetzt an solchen Punkten auf unsern Kamelen sitzen geblieben waren, ließ ich dieses Mal das meinige halten und stieg ab. Mich eng an die Felsenecke drückend und nur die Hälfte meines Gesichtes vorstreckend, erblickte ich vor mir eine beträchtliche Erweiterung des Thales, in welcher wohl an die zweihundert gut bewaffnete Kamelreiter lagerten, in denen ich zu meiner nicht eben freudigen Ueberraschung Scherarat erkannte. Seitwärts vom großen Haufen saßen einige, welche die Befehlenden zu sein schienen; sie hatten den kleinen Hadschi zwischen sich; er war, wie ich geahnt hatte, ihr Gefangener.

Wie war es möglich, ihn zu befreien? Durch List, jetzt am hellen Tage? Unmöglich! Oder mit Gewalt? Auch nicht! Mein Henrystutzen hatte fünfundzwanzig Schüsse, mein Bärentöter zwei und jeder meiner beiden Revolver sechs. Das waren in Summa neununddreißig Kugeln. Und wenn eine jede ihren Mann zu Tode traf, was aber dann? Ein vergebliches Blutbad, weiter nichts als nachher mein sicherer Tod! Nein, auch das ging nicht!

Da stand einer von den Abgesonderten auf, hob das Gesicht nach der Felsenhöhe empor, rief einen Namen und fragte dann:

»Siehst du noch nichts?«

Indem ich auch hinaufblickte, sah ich einen Beduinen, welcher hinter einem großen Steine auf der Lauer gelegen hatte. Er antwortete herab.

»Keinen Menschen.«

»So haben wir uns geirrt, und der Gefangene ist allein gewesen. Komm herunter, wir haben keine Zeit, länger zu warten; wir müssen fort, sonst kommen wir nicht bis zum Abend nach dem Bir Nadahfa.«

»Was ist’s? Was siehst du, Emir?« fragte mein junger Begleiter leise. »Ich höre rufen.«

»Steig ab, und kriech zu mir her; dann wirst du deinen Vater sehen,« antwortete ich ebenso mit unterdrückter Stimme.

Er folgte meinem Geheiße. Als er Halef erblickte, wäre er am liebsten vorgesprungen, um zu ihm hinzueilen. Ich faßte ihn am Arme und raunte ihm warnend zu:

»Still! Keine Uebereilung! Du gehst nur selbst in das Verderben, ohne deinen Vater dadurch retten zu können!«

»Aber du siehst ja, daß sie aufbrechen, daß sie fort wollen!«

»Laß sie! Jetzt ist nichts zu thun. Wir müssen bis heut abend warten.«

»Bis heut abend? Ist es da nicht zu spät?«

»Nein. Mit Gewalt läßt sich gegen so viele Menschen nichts erreichen; nur List kann zum Ziele führen, und dazu ist die Nacht die einzige Zeit.«

»Aber wenn sie meinen Vater bis dahin umbringen!«

»Das fällt ihnen nicht ein. Ueber das Schicksal des Gefangenen kann nur die Dschemma bestimmen, und die dazu gehörigen alten Leute sind nicht mit hier. Du siehst, daß es lauter junge Krieger sind.«

»Was mögen sie vorhaben? Ein Wanderzug ist es nicht, weil sie keine Frauen, Greise und Kinder mit haben. Sollte es ein Kriegsritt sein?«

»Nein. Du wirst dort links die Kamele bemerken, welche mit Stricken und Palmenfasermatten hoch bepackt sind.

Diese Stricke und Matten sollen zum Transport der Tiere und zur Verpackung der andern Beute dienen; es handelt sich also um einen Raubzug.«

»Gegen wen?«

»Das weiß ich nicht, hoffe es aber heut abend zu erfahren.«

»Von wem?«

»Von den Scherarat selbst. Wir werden sie belauschen.«

»Ihnen also bis zu ihrem Nachtlager folgen? O, Emir, ich erfahre da, daß mein Vater recht gehabt hat, da er stets sagte, wenn man sonst nichts erlebe, so brauche man nur mit dir zu gehen, da seien ganz gewiß alle möglichen Thaten und Abenteuer zu erwarten. Doch schau, wir müssen fort, schleunigst fort! Sie stehen im Begriffe, ihre Tiere zu besteigen. Wenn sie hierher kommen, entdecken sie uns.«

»Sie werden nicht hierher kommen, sondern das Wadi dort links durch die Seitenöffnung verlassen, weil sie nach dem Bir Nadahfa wollen.«

»Woher weißt du das?«

»Der Anführer sagte es vorhin, als er den Späher herunterrief. Dieser Brunnen liegt genau südwärts von hier, und die Oeffnung zeigt nach dieser Richtung. Glücklicherweise kenne ich ihn genau.«

»Warst du schon einmal dort?«

»Nein; aber ich habe eine sehr eingehende Beschreibung von ihm und seiner Umgebung gelesen. Hamdani, ein alter arabischer Schriftsteller war dort und hat über ihn berichtet. Das ist zwar schon lange, lange her, aber in diesem Lande verändern sich dergleichen Oertlichkeiten selbst im Verlaufe von Jahrhunderten so wenig, daß seine Schilderung höchst wahrscheinlich noch heut zutreffen wird. Sieh, daß ich recht hatte! Sie ziehen fort, dort links hinein. Dein Vater ist auf sein Kamel gebunden worden. Er blickt hinter sich, denn er ahnt, daß wir uns hier versteckt befinden und die Scherarat beobachten. Wenn es ohne Gefahr geschehen kann, werde ich mich ihm zeigen, um ihn zu beruhigen.«

Die Beduinen verließen das Wadi in der Reihenfolge, daß die Anführer, welche Halef zwischen sich hatten, die letzten waren. Noch kurz vor seinem Verschwinden hinter dem Felsen wandte er das Gesicht noch einmal zurück. Als ich sah, daß seine Begleiter dies nicht beachteten, sprang ich drei Schritte vor und hob die Arme; sein Auge fiel auf mich, und ich wich schnell wieder zurück. Er wußte nun, daß ich seine Lage kannte und alles, selbst das Leben daransetzen würde, ihn aus derselben zu befreien.

Hierauf kletterte ich an der südlichen Thalseite empor, um mich von dem Abzuge der Scherarat und daß keiner von ihnen zurückkehrte, zu überzeugen. Als ich sie nicht mehr sehen konnte und wieder herabgestiegen war, führten wir unsere Kamele *nach dem Brunnen, welchen die Feinde leider so ausgeleert hatten, daß wir zwei Stunden warten mußten, um unsern Durst stillen, die zwei Schläuche füllen und dann auch die Tiere wenigstens für einen oder zwei Tage befriedigen zu können. Hierauf beeilten wir uns, der Fährte der Scherarat zu folgen.

Ich hatte gesagt, daß ich die Feinde belauschen wolle. Auf ebener Sandwüste wäre das mit großer Gefahr verbunden gewesen. Glücklicherweise liegen die Brunnen der Badijeh, auch der Bir Nadahfa, in felsigen Gegenden, ein Umstand, der wohl keiner Erklärung bedarf, und besonders ist der genannte von einem wahren Warr umgeben, welches uns für das beabsichtigte Anschleichen ausgezeichnete Deckung bot.

Wir ließen unsere beiden Hedschan tüchtig ausgreifen, bis mir die Beschaffenheit der Fährte verriet, daß wir unsere Eile mäßigen müßten, wenn wir den Scherarat nicht zu nahe kommen wollten. Der Nachmittag verging ohne ein erwähnenswertes Ereignis, und eben als die Sonne »in das Sandmeer« tauchte, wie der Wüstenbewohner sich auszudrücken pflegt, zeigte mir das Fernrohr südwärts von uns das ziemlich weit sich ausdehnende Durcheinander von Steinblöcken, in dessen Mitte der Brunnen lag. Die Scherarat waren dort angekommen, und wir mußten da, wo wir uns befanden, halten bleiben. Erst als die kurze Dämmerung vorüber und es vollständig dunkel geworden war, ritten wir noch eine Strecke weiter, bis wir uns ungefähr noch einen Kilometer von dem Warr befanden. Da mußten unsere Kamele sich niederlegen, und wir banden ihnen die Vorderbeine so zusammen, daß sie nicht aufstehen und sich entfernen konnten.

Nun war die Zeit zum Anschleichen an die Feinde da. Kara Ben Halef brannte darauf, sich daran zu beteiligen; er mußte aber bei den Kamelen bleiben. Ich übergab ihm meine beiden Gewehre, die mich gehindert hätten, und näherte mich dem Warr. Als ich es erreichte, fand ich beim Sternenschein bald eine Stelle, wo die Felsenbrocken so weit auseinander traten, daß es einen ziemlich breiten Durchgang nach dem Brunnen gab. Jedenfalls hatten die Scherarat ihn auch benutzt. Kaum war ich in denselben eingedrungen, so hörte ich vor mir laute Stimmen rufen, und mich weiter vorwärts schleichend, verstand ich auch die Worte:

»Allahu akbar! Aschahdu anna, la ilaha ill‘ Allah, wa Mohammedu rasuhl Allah. Haygah alas salah!«

Die Scherarat sprachen das Escheh, das Abendgebet, vorgeschrieben für die Zeit nach Sonnenuntergang, wenn es Nacht geworden ist. Dieser Stimmenchor erlaubte mir, ganz ungehört so weit an sie heranzukommen, daß ich mich nur wenige Schritte von ihrem Lagerkreise hinter einen Stein verstecken konnte. Die Sterne leuchteten nicht sehr hell, dennoch konnte ich den freien Brunnenplatz fast ganz überblicken. Die Beduinen knieten, ihre Gesichter gen Mekka gerichtet, auf ihren Gebetsteppichen und wiederholten unter den anbefohlenen Bewegungen die Worte des Ausrufers, welcher sich ganz in meiner Nähe befand. Ich erkannte in ihm denjenigen Scherari, welcher am Bir Nufah heut mittag den Späher von der Höhe herunterbefohlen hatte und also wohl der oberste Anführer der Truppe war. Mir kam das höchst erwünscht! Er trug einen Haik wie ich und hatte so ziemlich meine Gestalt. Die drei oder vier Personen, welche schon am Brunnen Nufah bei ihm gesessen hatten, knieten, auch jetzt abgesondert von den andern, nicht hinter, sondern vor ihm, wie ich ausdrücklich bemerke; sie kehrten ihm also ihre Rücken zu. Und hinter ihm lag, an Händen und Füßen gebunden, Halef im Sande, nur drei Meter von mir entfernt. Seine Befreiung war also für mich eine Leichtigkeit, zumal er sich so gelegt hatte, daß er mir das Gesicht zukehrte. Das hatte er gethan, weil er wußte, daß ihm aus dieser Richtung unsere Hilfe kommen werde. Aber es galt nicht bloß, ihn zu retten, sondern wir mußten auch sein Kamel wieder haben, und dies konnte unter den gegenwärtigen Verhältnissen nur durch Eintausch erreicht werden; der Tauschartikel sollte, das fuhr mir sogleich durch den Kopf, der – – – Anführer sein.

Während alle ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Gebet richteten und dabei keinen Blick von Südwest verwenden durften, während ich im Nordost von ihnen lag, zog ich mein Messer und schob mich zu Halef hin. Er sah mich kommen und hielt mir die gefesselten Arme hin; ein Schnitt, und sie waren frei; die Fußfessel zertrennte ich mit einem zweiten raschen Schnitte; hierauf raunte ich ihm in das Ohr:

»Kriech nach dem Wege hin, und dann schnell gerade aus, wo du Kara finden wirst, wenn du ihn rufst!«

»Und du, Sihdi?« fragte er, um mich besorgt.

»Ich komme nach. Nehmt den Kamelen die Stricke von den Beinen! Rasch, rasch!«

Er kroch fort, und ich blieb an der Stelle liegen, wo er gelegen hatte, um mein Vorhaben in dem Augenblicke auszuführen, an welchem die Feinde mit dem Zusammenlegen ihrer Gebetsteppiche zu thun haben würden.

Das war alles freilich viel schneller geschehen, als ich es erzählen kann, und eben hatte ich Halef im Wege verschwinden sehen, als der Schluß kam:

»Allah ist sehr groß! Allah ist sehr groß in Größe, und Preis sei Allah in Fülle!«

Grad als der Vorbeter das Wort Fülle ausgesprochen hatte und die andern begannen, ihm den Satz nachzusprechen, richtete ich mich hinter dem Anführer halb auf, bog mich vor, faßte ihn mit der Linken an der Schulter, riß ihn zurück und schlug ihm die rechte Faust an die Schläfe, daß er zusammensank. Er bekam zu meiner Sicherheit sofort noch einen zweiten Hieb; dann sprang ich auf, raffte ihn zu mir empor, schwang ihn mir auf die Schulter und eilte Halef nach. Die zweihundert Menschen hinter mir waren mir in diesem Augenblicke gleichgültig; ich hatte ihren Anführer und brauchte sie infolgedessen nicht zu fürchten.

Mit weiten Schritten, die schon mehr Sprünge waren, legte ich den Gang zurück und hastete dann weiter. Da erklangen hinter mir laute Stimmen, und vor mir hörte ich Halef nach seinem Sohne rufen; ich vermehrte meine Eile, denn die Verfolger hinter mir konnten schneller laufen als ich, der ich eine solche Last zu tragen hatte. Es gelang mir, ohne von ihnen eingeholt zu werden, unsere Kamele zu erreichen, welche zum bequemen, sofortigen Aufsteigen noch am Boden lagen. Halef war auch da.

»Schnell in den Sattel, Halef!« gebot ich ihm. »Und nimm hier diesen Gefangenen mit hinauf. Macht euch rasch davon, gerade ostwärts, und haltet nach ungefähr zweitausend Schritten an!«

»Und du, Sihdi?« fragte er.

»Ich muß noch einen Scherari fangen, den wir später als Boten brauchen werden.«

»Aber das ist zu gefährlich! Du hast schon genug gethan und mußt – – –«

»Fort, fort!« unterbrach ich ihn. »Es wird sonst zu spät. Sorgt dafür, daß dieser Mensch nicht schreit, wenn er erwacht. Und nun fort mit euch!«

Vater und Sohn gehorchten, und ich legte mich platt in den Sand, um von den Verfolgern nicht zu zeitig gesehen zu werden. Dann hörte ich eilige Schritte und sah einen einzelnen Scherari gerannt kommen, welcher seinen Kameraden weit voran war. Nichts konnte mir lieber sein als das. Er blieb sechs oder acht Schritte vor mir stehen und lauschte.

Als er nichts hörte, ging er zögernd weiter, immer näher zu mir heran. Hinter ihm ertönten die Rufe seiner Gefährten. Er drehte sich um und antwortete ihnen, indem er mir den Rücken zukehrte. Ich sprang auf, faßte ihn beim Halse und versetzte ihm den schon oft erwähnten Jagdhieb an den Kopf. Er sank mir mit einem schnell verhauchenden Gurgeln in die Arme; ich nahm ihn auf und trug ihn fort, ohne mich dabei übermäßig zu beeilen, weil ich von den andern Scherarat noch nicht gesehen wurde und mich nach einer Richtung entfernte, in welcher sie mich gewiß nicht suchten. Ich erreichte Halef und Kara, als mein zweiter Gefangener eben aus seiner Betäubung erwachte. Sie waren wieder abgestiegen und hatten den ersten Gefangenen mit zusammengebundenen Händen zwischen sich sitzen, indem sie ihn mit ihren gezückten Messern bedrohten, ja keinen Laut von sich zu geben.

»Da kommt er,« sagte Halef zu ihm. »Das ist er, von dem ich dir gesagt habe, der starke und unüberwindliche Emir Hadschi Kara Ben Nemsi Effendi. Er ist der berühmte Besitzer dieser beiden Gewehre, von denen das eine zehntausendmal schießt, ohne daß man es zu laden braucht, und wird dich sofort in die Dschehenna senden, wenn du einen Laut von dir giebst oder eine unerlaubte Bewegung machst.«

»Das werde ich allerdings thun,« bestätigte ich seine Drohung. »Es soll diesen beiden Scherarat nichts, gar nichts geschehen, und sie werden noch in dieser Nacht zu den Ihrigen zurückkehren dürfen, wenn sie sich jetzt schweigsam verhalten und uns gehorchen; thun sie das aber nicht, so werden unsere Messer ihre Herzen finden. Jetzt entfernen wir uns noch ein Stück von hier; dann sollen sie erfahren, was ich von ihnen wünsche.«

Wir banden sie an den Armen zusammen, worauf ich sie vor mir herschreiten ließ, während Halef und Kara uns mit den Kamelen folgten; der letztere gab mir natürlich meine Gewehre zurück. Diese abermalige Ortsveränderung nahm ich vor, um den Verfolgern zu entgehen; sie suchten uns nördlich vom Warr, und wir umgingen es jetzt in der Absicht, südlich von demselben anzuhalten.

Als ich glaubte, annehmen zu dürfen, daß wir weit genug gekommen seien, mußten sich die Kamele niederlegen, und ich befahl den Scherarat, sich niederzusetzen. Dann nahm ich Halef bei Seite, um mir die notwendigen Fragen von ihm beantworten zu lassen. Ich enthielt mich dabei aller Vorwürfe, was ihm das Herz außerordentlich zu erleichtern schien. Er war in seinem gewöhnlichen Selbstvertrauen ganz unbesorgt in das Thal des Bir Nufah hinabgeritten und da von den Scherarat umzingelt und entwaffnet worden; sie hatten ihn kommen sehen und sich versteckt. Zu stolz, um sich zu verleugnen, hatte er seinen Namen genannt und damit große Freude angerichtet, denn der Scheik der Haddedihn, mit denen sie in Blutfehde standen, war für sie ein kostbarer Fang. Ueber den Zweck ihres gegenwärtigen Raubzuges hatten sie natürlich geschwiegen, doch war Halef klug genug, aus einigen unbedachten Aeußerungen zu erraten, daß er den Lazafah-Schammar gelte. Auf ihre Fragen hatte er angegeben, ganz allein und ohne Begleitung zu sein, was ihm aber nicht geglaubt worden war; als jedoch Stunden vergingen, ohne daß ihm jemand folgte, hatten sie angenommen, daß er die Wahrheit gesagt habe, und waren mit ihm fortgeritten. Als ich hinter dem Felsen vorsprang, sah er mich und war von diesem Augenblicke an überzeugt, daß wir ihn befreien würden, hatte aber vorsichtigerweise gegen die Scherarat mit keinem Worte merken lassen, daß er diese Hoffnung hege. Erst dann, als ihm mit meiner Hilfe die Flucht geglückt war und er am letzten Haltepunkte mit Kara und dem Scherari auf mich wartete, hatte er, als dem Gefangenen die Besinnung zurückgekehrt war, diesem mit seiner gewohnten orientalischen Uebertreibung von mir und meinen Thaten erzählt und dabei erfahren, daß der Gefesselte schon öfters von uns gehört hatte und viele von unseren früheren Erlebnissen kannte. Als er mir dies alles jetzt erzählt hatte, fuhr er fort:

»Und weißt du, Sihdi, wer dieser Scherari ist?«

»Nein,« antwortete ich.

»So höre und staune! Er ist der Sohn von Gadub es Sahhar, dem alten Zauberer der Scherarat, unserm ärgsten und blutdürstigen Feinde, den Allah verbrennen möge. Die Blutrache gebietet mir eigentlich, ihn ohne Gnade niederzuschießen, zumal er den Beinamen Abu el Ghadab führt, womit er doch sagen will, daß er keinen seiner Feinde schonen würde.«

»Das geht mich nichts an. Er ist nicht dein, sondern mein Gefangener, und meine Religion und die Klugheit verbieten mir, sein Blut zu vergießen.«

»So thue, was du willst; ich weiß, es wird das Richtige sein, denn ich kenne dich!«

Halef widersprach mir nicht, weil er noch immer die wohlverdienten Vorwürfe fürchtete. ich wendete mich von ihm zu den andern zurück, band den zweiten Gefangenen los und unterrichtete ihn folgendermaßen:

»Höre, was ich dir jetzt sagen werde! Ich bin Hadschi Kara Ben Nemsi, ein Christ und Freund der Haddedihn. Ich kann mit meinem Zaubergewehre alle eure Krieger niederschießen, ehe uns eine von euern Kugeln erreicht. Ihr habt meinen Freund und Bruder Hadschi Halef Omar gefangen genommen, um ihn zu töten; ich aber habe ihn wieder befreit, ich ganz allein, und dadurch bewiesen, daß ich mich vor euch nicht fürchte. Ich habe außerdem euch beide ergriffen und sollte euch eigentlich töten; aber weil ich ein Christ bin, will ich das nicht thun, sondern euch freigeben, doch unter der Bedingung, welche du jetzt vernehmen wirst. Ich verlange das Kamel meines Freundes zurück und dazu alle Sachen, die ihr diesem Scheik der Haddedihn abgenommen habt. Du wirst jetzt nach dem Lager gehen, um das Tier, die Waffen und alle diese Gegenstände zu holen. Wenn du das ehrlich thust, geben wir Abu el Ghadab sofort frei und reiten weiter. Planst du aber eine Hinterlist dabei, so wird er augenblicklich erschossen. Ich gebe dir von jetzt an bis zu deiner Rückkehr eine halbe Stunde Zeit. Bist du dann noch nicht da, so muß er auch sterben. Jetzt geh!«

Er wollte zögern; da gebot ihm Abu el Ghadab:

»Beeile dich und thue, wie dir gesagt worden ist! Mein Leben ist mehr wert als der Besitz eines armseligen Kamels der Haddedihn.«

Der Mann entfernte sich. Um einer etwaigen Falle, die man uns vielleicht stellen könnte, zu entgehen, verlegte ich unsern Lagerplatz um eine bedeutende Strecke seitwärts und schlich mich dann mit Halef, der einstweilen das Gewehr seines Sohnes nahm, dem Wart entgegen, und zwar bis zu einer Stelle, an welcher der Bote vorüber mußte. Kara Ben Halef hatte den Befehl, den Gefangenen scharf zu bewachen und ihn im Falle eines Fluchtversuches zu erstechen.

Die halbe Stunde war noch nicht vergangen, so hörten wir Schritte vor uns. Ein Stück auf die Seite kriechend, sahen wir den Boten kommen. Er führte das Kamel und ging an uns vorüber, ohne uns zu bemerken; es war kein zweiter Scherari bei ihm, und meine Drohung hatte also den beabsichtigten Erfolg gehabt. Wir standen auf und holten ihn ein.

»Ein Glück für dich, daß du ehrlich bist!« sagte ich zu ihm. »Du wärst natürlich auch mit erschossen worden. Gieb her, was du hast!«

Halef erhielt alles wieder, was man ihm abgenommen hatte; dann schickte ich den Scherari mit der Versicherung fort, daß sein Anführer in einigen Minuten auch frei sein werde.

»Wirst du aber auch Wort halten, Effendi?« fragte er mich.

»Mach dich schleunigst von dannen!« fuhr ich ihn an. »Kara Ben Nemsi hat noch nie eine Lüge gesagt. Oder soll ich deinen Beinen mit einem Schrotschusse Bewegung machen?«

Er verschwand so schnell wie möglich. Als wir bei unserm Gefangenen und seinem jungen Wächter ankamen, band ich dem ersteren die Hände los und sagte:

»Wir haben bekommen, was ich verlangte. Du kannst gehen.«

Er blieb dennoch stehen, musterte mich von oben bis unten und fragte dann:

»Du giebst mich wirklich frei?«

»Ja. Und weil ich so ehrlich an dir handle, so erwarte ich, daß ihr uns unbelästigt weiterziehen laßt. Wir werden uns nach dem Bir el Halawijat wenden und wünschen nicht, daß ihr uns folgt.«

»Wir reiten nach dem Bir esch Schukr, der weit im Osten liegt, denn wir wollen nach Akabet. Du brauchst dich also nicht zu fürchten!«

»Fürchten? Ich habe niemals Furcht gekannt.«

Da stieß er ein lautes Gelächter aus und antwortete in höhnischem Tone:

»Die Furcht nicht gekannt? Was ist es denn anders als Furcht und Angst, daß ihr mich freilaßt? Ein Christenhund hat immer Angst vor jedem rechtgläubigen Krieger. Ich habe viel von dir gehört; aber was man sich von dir erzählt, ist alles Lüge und Unwahrheit. All deine Tapferkeit würde nur ein Gestank sein gegen die Tapferkeit der Scherarat. Du bist uns heute entgangen; aber ich schwöre dir zu, daß dich der Scheba et Thar in kurzer Zeit verschlingen wird; dafür werde ich sorgen! Du bist ein Anhänger des falschen Gottes und ein Bekenner seines Sohnes, der als Lügner und Empörer den ehrlosen Tod am Kreuze starb; er war ein Giaur, wie du einer bist und –«

»Halt!« fiel ihm da der kleine Halef zornig in die Rede. »Sage dieses Wort ja nicht noch einmal, denn ich habe nicht so viel Geduld mit dir, wie –«

»Du? Zwerg, der du bist!« unterbrach ihn der Scherari lachend. »Nun ich nicht mehr gefesselt bin, lache ich über euch und wiederhole es, daß euch der Scheba et Thar alle verschlingen wird. Das Fleisch und Blut eines Giaurs wird ihm –«

Er kam nicht weiter; ein lauter, klatschender Schlag unterbrach seine Rede, denn der kleine, jähzornige Hadschi hatte ihm die scharfe, lederne Kamelpeitsche mit aller Kraft quer über das Gesicht gezogen und rief dabei:

»Das ist für den Giaur, du Hund! Wirst du es nun noch einmal sagen?«

Der Getroffene schrie vor Schmerz laut auf, fuhr sich mit beiden Händen nach dem Gesicht und stand eine Zeit lang ganz starr und unbeweglich. Dann aber that er einen Sprung vorwärts, um Halef zu packen, wobei er vor Wut wie ein Stier brüllte. Es war aber nur ein einziger Schritt, den er thun konnte, denn ein zweiter gewaltiger Hieb des Kleinen warf ihn förmlich wieder zurück. Und da stand auch ich bei ihm, faßte ihn bei den Oberarmen, drückte ihm dieselben gegen die Brust, daß er nur pfeifend Atem holen konnte, und drohte:

»Keinen Schritt weiter vorwärts, sonst zerdrücke ich dir die Rippen, Kerl! Deinen Scheba et Thar fürchten wir nicht. Und nun mach, daß du fortkommst von hier, sonst laß ich nicht mehr den Mund, sondern das Messer zu dir reden!«

Ich gab ihm einen Stoß, daß er zur Erde fiel und sich überschlug. Er raffte sich zwar gleich wieder auf, wagte es aber nicht, wieder angreifend vorzugehen, doch überschüttete er uns, während wir die Kamele bestiegen, mit einer Flut von Schimpfworten, und als wir dann fortritten, hörten wir ihn noch immer hinter uns her brüllen und drohen:

»Der Scheba et Thar wird euch verschlingen – – – der Scheba – – et – – Thar – – Scheba – – et – – Thar – – –!«

Sein Geschrei war im Wart gehört worden. Die Scherarat glaubten ihn in Gefahr und eilten ihm zu Hilfe, wie uns ihre Stimmen verrieten, welche wir hinter uns hörten. Wir hatten sie nicht zu fürchten, trieben aber dennoch unsere Kamele an, weil wir von jetzt ab Eile hatten.

Ich ritt voran; die beiden andern folgten mir. Nach einer Weile rief mir Halef zu:

»Aber, Sihdi, du schlägst doch eine ganz falsche Richtung ein; wir müssen geradeaus, nicht so weit nach rechts!«

»Wir müssen nach rechts,« antwortete ich.

»Warum?«

»Weil dorthin der Bir el Halawijat liegt.«

»Zu ihm wollen wir ja gar nicht!«

»Allerdings nicht. Wir müssen zu den Lazafah-Schammar, um sie vor den Scherarat zu warnen, was diese aber nicht ahnen dürfen. Darum habe ich zu dem Sohne des Zauberers gesagt, daß wir uns nach dem Bir el Halawijat wenden wollen, und um nicht als Lügner zu gelten und um die Scherarat zu täuschen, thue ich dies jetzt, denn sie werden, sobald der Morgen angebrochen ist, unserer Fährte folgen.«

»Willst du etwa ganz bis dorthin? Das würde für uns ein großer Umweg sein.«

»Du kennst doch den Weg?«

»Ja, genau.«

»So weißt du, daß wir nach einem halben Tagesritte auf den großen, weiten Hadschar el mahlis kommen, wo die Kamele keine Spur hinterlassen und wir also links abweichen können, ohne daß die Scherarat es bemerken werden.«

»Das ist richtig, Sihdi. Da beweisest du wieder einmal, daß du wahrscheinlich klüger bist als ich.«

»Wahrscheinlich nur?« lachte ich. »Ja, ich wäre wahrscheinlich nicht so pfiffig, wie blind mitten unter zweihundert Scherarat hineinzureiten und mich von ihnen gefangen nehmen zu lassen, lieber Halef!«

Das war der erste und letzte, der einzige Vorwurf, den Halef für seine Unvorsichtigkeit zu hören bekam, und da zeigte er sich allerdings so schlau, nicht darauf zu antworten. Doch darf ich für diese meine Nachsicht ihm gegenüber kein großes Lob beanspruchen, denn ich hätte ihn jedenfalls viel strenger vorgenommen, wenn mich nicht die Rücksicht auf die Gegenwart seines Sohnes davon abgehalten hätte.

Wir ritten die ganze Nacht hindurch, worauf wir unsere Hedschan eine Stunde ausruhen ließen, dann ging es wieder weiter, bis wir den Hadschar el mahlis erreichten und auf einer recht harten und glatten Stelle desselben die bisherige Richtung änderten. Es gab heute eine tüchtige Tagesarbeit für die Kamele, denn wir ritten bis tief in den Abend hinein, wo wir am Bir Bahrid eine vorgeschobene Abteilung der Lazafah-Schammar erreichten.

Wir wurden als Haddedihn sehr freundlich von ihnen aufgenommen, und als wir ihnen sagten, daß wir nicht nur als Freunde, sondern zugleich als Warner gekommen seien und ihnen den Sachverhalt mitteilten, wurde der Empfang sogar ein jubelnder. Ein verratener Ueberfall der Todfeinde, denen nun eine Schlappe sehr leicht beizubringen war, das versetzte diese Leute in die freudigste Aufregung, und es wurden sofort Boten nach den andern Abteilungen geschickt, um diese schleunigst zu benachrichtigen und herbeizurufen; denn wie die Verhältnisse lagen, mußten die Scherarat hierher nach dem Bir Bahrid kommen, auf den sie es jedenfalls und zunächst abgesehen hatten.

Schon am Morgen wurden Späher gegen sie ausgesandt, obgleich ihre Annäherung an diesem Tage nicht erwartet werden konnte, und gegen Abend, sowie auch während der Nacht trafen die herbeibeschiedenen Lazafah ein, so daß gegen fünfhundert Krieger versammelt waren.

Wir wurden selbstverständlich mit zu dem Kriegsrate gezogen, der nun zusammentrat. Wie bei solchen Gelegenheiten stets, so suchte ich auch jetzt dahin zu wirken, daß man ein größeres Blutvergießen womöglich verhüten möge, aber alles, was ich da vorbrachte, war vergeblich gesprochen. Wir hatten es mit Beduinen zu thun, welche jede Schonung für Schwachheit hielten, die ihnen sogar für Feigheit ausgelegt werden könnte, und ich war ihnen ein Fremder, auf den sie nicht, wie ihre Verwandten, die Haddedihn, aus Dankbarkeitsrücksichten zu hören hatten. Zwar gab sich auch der brave Halef alle Mühe, in diesen ihren Ansichten in meinem Sinne eine Aenderung hervorzubringen, doch hatte er ebensowenig Erfolg wie ich. Es wurde beschlossen, die Scherarat zu umzingeln und alle niederzumachen, die sich nicht ergeben würden; über die Gefangenen sollte dann die Versammlung der Aeltesten entscheiden. Wie diese Entscheidung ausfallen würde, darüber konnte es bei der unerbittlichen Gesinnung der Lazafah keinen Zweifel geben.

Als dieser Kriegsrat beendet war und ich mich mit Halef allein befand, sagte er zu mir:

»Sihdi, ich weiß, wie wenig einverstanden du mit dem bist, was diese Krieger beschlossen haben, und ich wünsche, du wärest mit deiner Ansicht durchgedrungen, denn ich bin im Herzen auch ein Christ, obgleich ich es nicht öffentlich sein darf; denn ich würde als Scheik abgesetzt werden und allen Einfluß auf die Haddedihn verlieren, den ich jetzt im christlichen Sinne üben kann. Wir dürfen uns an diesem Blutbade nicht beteiligen, und darum schlage ich vor, daß wir noch heute von hier aufbrechen und nach dem Dschebel Schammar reiten.«

»Das dürfen wir nicht.«

»Warum nicht?«

»Erstens weil wir als Gäste der Lazafah verpflichtet sind, ihnen beizustehen; zweitens weil wir keinen genügenden Grund für eine so schnelle Entfernung angeben können; drittens weil wir dadurch die Achtung unserer Gastfreunde verlieren würden, die uns Mangel an Mut vorwerfen müßten, und viertens weil es uns, wenn wir hier bleiben und uns am Kampfe beteiligen, doch vielleicht möglich ist, Härten zu mildern und wenigstens dahin zu wirken, daß möglichst wenig Feinde getötet und dafür möglichst viel Gefangene gemacht werden.«

»Du hast recht, Sihdi. Wir werden also bleiben, und obgleich mein Vaterherz eigentlich davor zittert, freue ich mich doch darauf, meinen Sohn Kara Ben Halef im Kampfe zu sehen. Er wird gewiß keinem Feinde den Rücken zeigen.«

»Ich bin überzeugt davon, doch ist er noch nicht erfahren genug und wird sich zu leicht von seinem Mute hinreißen lassen; darum ist es deine und meine Pflicht, ein wachsames Auge auf ihn zu haben, damit er sich nicht unnötigerweise in Gefahr begiebt.«

Auch dieser Tag verging und die darauffolgende Nacht ebenso. Bei Anbruch des Morgens kehrten einige Späher zurück, um zu melden, daß die Scherarat wahrscheinlich im Anzuge seien, weil sie nur fünf Reitstunden von hier mitten in der Wüste für die Nacht gelagert hätten. Es waren drei Kundschafter zurückgeblieben, um sie zu beobachten. Diese kamen nach einiger Zeit und benachrichtigten uns, daß die Feinde vom Lagerplatze aufgebrochen seien und Spione vorausgesandt hätten, deren Erscheinen wir bald erwarten könnten. Hierauf wurde die besprochene Aufstellung zum Empfange der Scherarat getroffen.

Der Brunnen lag in einer muldenähnlichen Bodensenkung, welche nach Nord und West, woher die Feinde kamen, keinen natürlichen Schutz besaß, nach Süd und Ost aber von einer halbkreisförmigen Felsenlinie eingefaßt wurde. Hinter diese Linie versteckten sich so viele Lazafah, daß nur vierzig Mann am Brunnen zurückblieben. Die Weidetiere, welche sich hier befanden, wurden in die Umgebung zerstreut, so daß der Bir Bahrid einen ganz friedlichen Anblick bot. Halef, Kara und ich, wir befanden uns mit in dem Hinterhalte, weil unsere Anwesenheit am Brunnen leicht hätte Verdacht erregen können.

Gegen Mittag sahen wir zwei Reiter kommen, welche langsam auf den Brunnen zuritten. Sie riefen die dort befindlichen Lazafah an, ob sie Wasser bekommen könnten. Es wurde ihnen gestattet. Sie gaben sich, wie wir später erfuhren, für freundliche Aneïzeh aus, die nach en Nfud wollten, ließen ihre Tiere trinken und ritten dann wieder fort. Als sie mit bloßem Auge nicht mehr gesehen werden konnten, schlugen sie, wie mir mein Fernrohr zeigte, einen Bogen nach West und Nord, um die Scherarat, zu denen sie natürlich gehörten, zu benachrichtigen, daß sie es nur mit vierzig Lazafah zu thun hätten und also mit leichter Mühe mehrere Hundert Pferde und Kamele erbeuten könnten.

Eine Stunde später erschienen die Feinde im Nordwest vom Brunnen. Sie kamen, um uns zu überrumpeln, geritten, was ihre Tiere nur laufen konnten. Am Rande der Thalmulde angekommen, sprangen sie von ihren Kamelen, erhoben ein durchdringendes Kriegsgeschrei und stürmten in die Bodensenkung herab. Zu gleicher Zeit aber brachen rechts und links die Lazafah hinter dem Felsen hervor; die Scherarat stockten erschrocken, und diese kurze Zeit der Unthätigkeit genügte, sie vollständig zu umringen. Welch ein Geheul und Getümmel gab das nun! Messer blitzten, Lanzen und Speere splitterten, Schüsse krachten. Kara Ben Halef flog jauchzend mitten in das Gewühl hinein, ich mit seinem Vater hinter ihm her, um ihn zu beschützen. Dies eine gelang uns gut, aber einen Einfluß auf den Ausgang des Kampfes konnten wir leider nicht gewinnen; das Blut floß in Strömen, und als der Sieg erfochten war, lagen weit über hundert Scherarat tot auf dem Plane; die Verwundeten waren schonungslos erstochen oder erschossen worden; kaum zwanzig hatten das Glück gehabt, zu ihren Tieren kommen und entfliehen zu können, und die übrigen waren gefangen. Unter den letzteren befand sich Abu el Ghadab, der Sohn des Zauberers. Anstatt die Lazafah zu berauben, hatten sie ihnen sich selbst und eine reiche Beute zugeführt.

Es gab nun Scenen zwischen den Siegern und den Besiegten, die ich lieber nicht beschreiben will. Ich entfernte mich mit Halef und Kara, um nichts davon zu sehen, da wir doch keinen Einfluß hatten. Bald aber wurden wir geholt, weil man diesen Sieg uns zu verdanken hatte; wir sollten den uns gebührenden Dank empfangen und uns einen Teil der Beute auslesen. Wir nahmen natürlich nichts.

Dabei war es gar nicht zu umgehen, daß wir von den Gefangenen gesehen wurden. Als Abu el Ghadab uns erblickte, richtete er sich trotz seiner Fesseln halb empor, starrte uns mit hervorquellenden Augen an und schrie, vor Wut bebend.

»Kara Ben Nemsi, der Christenhund! Er hat uns verraten, und Scheba et Thar, der Löwe der Blutrache, wird ihn dafür fressen! Allah verdamme ihn und die beiden Haddedihn, die bei ihm sind!«

Ueber sein Gesicht zogen sich zwei breite, blau unterlaufene Peitschenschwielen; es sah schrecklich aus. Ich nahm seine Worte ruhig hin; mein kleiner Halef aber brachte es nicht über sich, zu schweigen; sich vor den Sohn des Zauberers hinstellend, antwortete er:

»Dich selbst wird er verschlingen, der Löwe der Rache; wir aber lachen über ihn; du sagtest, wir müßten uns vor euch fürchten; du aber bist kein Krieger mehr, sondern gebrandmarkt für alle Zeit und noch hundert Jahre darüber hinaus, denn dein Gesicht trägt die Spuren meiner Peitsche, die du bekommen hast wie ein Hund, den die Hand eines tapferen Mannes nicht berühren mag. Schande über dich, und Hohn über deinen Scheba et Thar, dem es nur ekeln wird, ehe er dich selbst verschlingt!«

Ich zog den zornigen Kleinen fort, sonst hätte er seinem Herzen noch mehr Luft gemacht.

Der Kampf war vorüber, und wir konnten nun gehen, ohne den Vorwurf der Feigheit auf uns zu laden, und ich ging – – gern! Ich wollte nicht länger an einem Orte bleiben, wo so viel Blut zum Himmel dampfte, während es uns nicht schwer geworden wäre, die Feinde alle ohne ein solches Gemetzel in unsere Hände zu bekommen. Wir verabschiedeten uns und ritten fort, auf eine weite Strecke von einem Ehrengefolge begleitet.

Als wir nach sechs Tagen glücklich unser Ziel erreichten, war, ich weiß nicht auf welchem so schnellen Wege, die Kunde von unserem Erlebnisse schon angekommen, und wir wurden dementsprechend auf das ehrenvollste in Empfang genommen.

Es ist nicht die Absicht dieser Erzählung, über den Dschebel Schammar viel zu sagen. Diese Landschaft wird von einem Scheik regiert, der sich auch Fürst nennen läßt. Der Hauptort Hâil liegt zwischen dem Adscha- und dem Selmaberge in bedeutender Höhe und bot uns eine Woche lang einen sehr angenehmen und gastlichen Aufenthalt. Der Scheik war kurz vor unserer Ankunft zur großen Hadsch nach Mekka aufgebrochen; seine Stelle vertrat Hamed Ibn Telal, ein Verwandter des früheren und sehr berühmten Scheikes Telal, dem die Landschaft sehr viel zu verdanken hat. Halef konferierte viel mit diesem Manne, und es gelang ihm, ein Bündnis mit ihm abzuschließen, welches seinen Haddedihn große Vorteile bot. Damit, daß wir nur zu dreien gekommen waren, hatten wir mehr imponiert, als wenn wir hundert Krieger mitgebracht hätten. Ich ritt oder wanderte während dieser Zeit im Lande umher und belehrte und unterhielt mich dabei ausgezeichnet; dennoch war es mir lieb, als die Verhandlungen endlich abgeschlossen waren und wir wieder heimkehren konnten. Wir wären wahrscheinlich noch einige Zeit geblieben, wollten aber das Eintreffen der persischen Pilgerkarawane, welche alljährlich den Dschebel Schammar durchzieht und bald eintreffen mußte, nicht abwarten. Ich hatte diese Karawane früher mehr als zur Genüge kennen gelernt, um nicht zu wünschen, ihr lieber ausweichen zu können. Wir wurden beim Abschiede von Hamed Ibn Telal freundschaftlich beschenkt und bekamen zwanzig Reiter mit, welche uns zwei Tagereisen weit zu begleiten hatten. Sie thaten dies mit großem Vergnügen und wären wohl auch noch weiter mitgeritten, wenn wir uns nicht geweigert hätten, sie länger von den Ihrigen fernzuhalten.

Da wir uns wohl hüten mußten, wieder mit den Scherarat zusammenzutreffen, hatte uns Hamed Ibn Telal geraten, unsere Richtung über Lyneh zu nehmen; wir folgten dieser Weisung und ahnten nicht, daß wir, indem wir dies thaten, dem Löwen geradezu und sogar ganz wörtlich genommen in die Höhle liefen. Niemand kann seinem Schicksale entgehen, sagt der Moslem, und dieses unser Schicksal war esch Scheba et Thar, der Löwe der Blutrache, mit welchem uns Abu el Ghadab gedroht hatte.

Unsere Wasserschläuche waren fast leer geworden, und so freuten wir uns auf Wadi Achdar, denn es gab Wasser in den zwei dortigen Brunnen hinter den steilen Felsenklüften, welche die hohen Thalwände bilden und oben im Hintergrunde von den Ruinen eines uralten Kasr gekrönt werden. Solche Ruinen, welche meist aus der vorislamitischen Zeit stammen, sind in Arabien gar nicht selten, und daß im Wadi Achdar einst eine Burg gestanden hatte, konnte mich nicht wundern, denn ich kannte die Sage, nach weicher dieses Thal mit einem westlichen Nebenflusse des Euphrat in Verbindung gestanden haben soll. Auch wußte ich, daß zur Regenzeit das Wasser so hoch im Thale zu stehen pflegt, daß man darin baden und sogar schwimmen kann. Darum versiegen die zwei Brunnen nie, und darum giebt es selbst in der heißen Jahreszeit dort einen Pflanzenwuchs, welcher geeignet ist, ein sonst seltenes Tierleben und infolgedessen leider auch Raubtiere herbeizuziehen. Halef hatte sogar einmal gehört, daß dort Löwen gesehen worden seien, ob auch im Winter und Frühjahr, das wußten wir nicht.

Wir ritten die ganze Nacht hindurch und auch einen Teil des Morgens, und es war einige Stunden vor Mittag, als wir die Höhen, zwischen denen das Wadi liegt, vor uns emporsteigen sahen. Wo Brunnen in der Wüste sind, kann man auf Menschen rechnen, und vor diesen Menschen hat man sich gewöhnlich in acht zu nehmen. Wir mußten rekognoscieren. Halef bot sich dazu an; aber ich durfte ihn nicht in die Versuchung bringen, wieder einen solchen Fehler wie am Bir Nufah zu machen; darum ritt ich selbst voran. Ich kam zum ersten Brunnen und fand ihn unbesetzt; ich ritt noch weiter in das Wadi hinein und konnte keine Spur eines Menschen entdecken. Eigentlich wunderte ich mich darüber, doch gab es so viele Erklärungen dieser Einsamkeit, daß ich mich beruhigte und zurückkehrte, um Halef und Kara zu holen. Wäre ich noch weiter geritten, bis zum zweiten Brunnen, der zwar tief, aber gerade unter der Ruine lag, so hätte ich in den deutlichen Tatzenspuren den sehr triftigen Grund gefunden, weshalb das Wadi jetzt gemieden wurde.

Wir lagerten uns am ersten Brunnen, wo es Gebüsch gab, sattelten unsere Kamele ab, tranken uns satt und schöpften dann auch für sie so viel Wasser, bis sie nicht mehr trinken wollten. Dann machte sich die Müdigkeit geltend. Ich ordnete an, daß immer zwei schlafen sollten, während einer wachte und nach zwei Stunden von dem nächsten abzulösen war. Die erste Wache übernahm ich, die zweite fiel auf Halef und die dritte auf Kara, seinen Sohn. Meine Wache verlief ohne Störung; als sie zu Ende war, legte ich mich nieder, nachdem ich Halef geweckt hatte. Ich war sehr müde, schlief ein und fiel in Träume. Der arabische Morpheus machte mir allerhand dummes Zeug weis; zuletzt gaukelte er mir gar einen Ueberfall durch Beduinen vor, ein leises, leises Rauschen von Gewändern, gedämpfte Schritte, unterdrückte Stimmen, dann ein Schuß war das wirklich Traum?

Ich fuhr empor, und zu gleicher Zeit sprangen Halef und Kara neben mir auch auf. Der Schuß war Wirklichkeit; ich sah uns von weit über hundert Arabern umringt, in denen ich zu meinem Schrecken Scherarat erkannte. Kara war während seiner Wache wieder eingeschlafen; nur darum hatte es diesen Leuten gelingen können, sich heranzuschleichen und uns in ihre Mitte zu nehmen. Ihre Kamele oder Pferde hatten sie außer Hörweite zurückgelassen. Ich sah unsere Gewehre, die sie uns leise weggenommen hatten, in ihren Händen. Widerstand war unmöglich, unser Leben keinen Heller wert, weil wir mit ihnen in Blutrache standen. Es gab nur eine Rettung für uns, nämlich die, uns in den Himaji eines Hervorragenden von ihnen zu begeben.

Das waren nicht etwa langdauernde Erwägungen von mir, sondern die Augen aufschlagen, aufspringen, die Feinde erblicken und diese Gedankenreihe hegen, war das Werk einer Sekunde. Wir durften nicht warten, bis einer von ihnen uns sagte, daß wir Gefangene seien, denn dann wäre es zu spät gewesen; wir mußten zuerst sprechen. Zwei Schritte vor mir stand ein alter Beduine von ehrwürdigem Aussehen; er schien kein gewöhnlicher Krieger zu sein. Ich schob schnell Halef und Kara zu ihm hin, faßte seinen Haik und rief:

»Dakilah ia Scheik!«

Das heißt: Ich bin der Beschützte, o Herr! Kein Araber, und wenn er der größte Räuber und Mörder ist, wird einem Feinde seinen Schutz versagen, der ihm diese Worte zuruft und ihn oder sein Gewand dabei berührt, welch letzteres die Hauptsache ist. Er wird ihn vielmehr mit seinem Leben verteidigen. Halef und sein Sohn kannten diesen Brauch oder vielmehr dieses Wüstengesetz ebensogut wie ich; so groß ihre Ueberraschung war, sie hatten doch die Geistesgegenwart, meinem Beispiele sofort zu folgen. Zwei rasche Griffe nach seinem Haik und zwei zugleich erklingende Rufe »Dakilah ia Scheik!« sie standen nun auch unter seinem Schutze.

Ringsum ertönten laute Rufe des Aergers, daß wir ihnen zuvorgekommen waren. Der Alte wollte unwillig zurücktreten; als wir aber seinen Burnus festhielten, sagte er:

»Eure Mäuler sind schneller gewesen als mein Mund, und so bin ich gezwungen, euch in meinen Schutz zu nehmen. Ich bin Abu ‚Dem, der Scheik der Scherarat, und wehe dem, der euch, meinen Beschützten, ein Haar des Hauptes krümmt! Man gebe ihnen die Gewehre wieder!«

Welch ein glücklicher Zufall, daß er der Scheik war! Und als ich meine beiden Gewehre wieder in die Hände bekam, schien mir die Rettung sicher zu sein. Es fragte sich nur, ob es in dieser Schar einen gab, der uns kannte. Eben als ich mir dies sagte, rief jemand, der sich eifrig durch die anderen herbeidrängte.

»Nimm sie nicht unter deinen Schutz, o Scheik, ja nicht! Sie sind Blutfeinde von uns!«

»Blutfeinde?« fragte der Alte.

»Ja. Der Mann mit den zwei Gewehren ist der Emir Kara Ben Nemsi Effendi, ein Christ.«

»Maschallah!« fuhr der Scheik von uns zurück.

»Der Kleine ist Hadschi Halef Omar, der Scheik der Haddedihn; er war am Bir Nufah unser Gefangener und wurde von dem Giaur gerettet. Der dritte scheint sein Sohn zu sein. Alle drei haben uns an die Lazafah verraten, so daß wir am Bir Bahrid von ihnen besiegt wurden. Du weißt ja, wie viele tot und gefangen waren und wie wenige nur entkommen sind.«

»Sind sie es wirklich? Irrst du dich nicht?«

»Ich beschwöre es beim Propheten und bei allen Khalifen, daß sie es sicher sind!«

Jetzt war der schlimme, der entscheidende Augenblick gekommen!

»Ia thar, ia thar, ia thar – o Blutrache, o Blutrache, o Blutrache!« riefen rundum alle Stimmen, während die Hände nach den Waffen griffen.

»Ia himaji, ia himaji, ia himaji – o Schutz, o Schutz, o Schutz!« rief ich dagegen, und Halef und sein Sohn stimmten ein.

Der Scheik winkte mit der Hand, und es trat sofortige Stille ein. Sich zu mir wendend, fragte er:

»Bist du wirklich der Emir Kara Ben Nemsi Effendi, ein Christ?«

»Ja.«

»Dieser ist der Hadschi Halef Omar, Scheik der Haddedihn, und der andere sein Sohn?«

»Ja.«

»Und das wagst du, mir zu gestehen?«

»Ich lüge nie, und es ist kein Wagnis. Es wäre ein Wagnis, es zu leugnen.«

»Wieso?«

»Weißt du nicht, daß der Beschützte den Schutz verliert, wenn er dem Beschützer eine Lüge sagt?«

»Das ist die Wahrheit, ja. Ich habe gehört, daß du drüben in der Dschesireh und bei den Kurden viele große Thaten verrichtet hast. Wie kann Allah einem Giaur solche Kraft, Geschicklichkeit und Tapferkeit verleihen?«

»Er ist der Herr und Vater aller Menschen, der eurige und auch der unserige. Warum unterscheidest du mich nach dem Glauben von dir? Heute und hier gilt nur eines: Du bist der Schützer, und wir sind die Beschützten. Oder sollte sich der berühmte Scheik der Scherarat vor seinen Untergebenen so fürchten, daß er den gewährten Schutz zurückzuziehen vermöchte?«

Das war eine kühne Frage. Er zog die Brauen finster zusammen und antwortete:

»Und wenn ich dies thäte?«

»So würde dein Name geschändet sein in alle Ewigkeit.«

»Aber ihr wäret verloren!«

»Nein, noch lange nicht!«

»Maschallah, Gottes Wunder! Du würdest noch an Rettung glauben?«

»Nicht glauben, sondern von ihr überzeugt sein würde ich.«

»Du redest wie ein Wahnsinniger!«

»Ich spreche wie ein Mann, der ganz genau weiß, was er will. Wenn man dir von mir erzählt hat, so wirst du wahrscheinlich auch von meinem Zaubergewehre gehört haben?«

»Man sagt, du könnest immerfort schießen, ohne zu laden, und niemals gehe eine deiner Kugeln fehl. Das glaube ich nicht.«

»Du wirst es glauben. Zählt hundert Schritte ab, und steckt dort zehn Lanzen nebeneinander in die Erde! Ich treffe alle, ohne zu laden, bis auf ein Haar gleichweit entfernt von ihrer Spitze.«

Ein allgemeines Gemurmel folgte dieser selbstbewußten Rede. Der Scheik drehte sich um und sprach leise mit den Nächststehenden. Halef flüsterte mir zu:

»Wenn sie es thun, haben wir gewonnen, Sihdi!«

Nach einer kleinen Weile kehrte sich der Scheik wieder zu mir und sagte:

»Du sollst deinen Willen haben, doch nur unter einer Bedingung.«

»Sag sie mir!«

»Wenn du nicht so triffst, wie du gesagt hast, steht ihr nicht mehr unter meinem Schutze.«

»Ich bin einverstanden,« antwortete ich ruhig, obgleich ich wußte, was ich dabei auf das Spiel setzte.

Ging nur eine einzige Kugel fehl, so waren wir mitten unter so vielen Feinden auf uns selbst angewiesen. Aber ich kannte mein Gewehr, auf das ich mich zu verlassen hoffte, selbst wenn der Scheik mich im Stiche ließ. Unsere Lage war vorhin nur deshalb eine so schlimme gewesen, weil uns im Schlafe die Gewehre genommen worden waren.

Die Schritte wurden abgezählt und die Lanzen in die Erde gesteckt. Dann richteten sich aller Augen erwartungsvoll auf mich. Ich legte, ohne ein Wort zu sagen, den Henrystutzen an und gab, scheinbar ohne genau zu zielen, schnell hintereinander die zehn Schüsse ab, so schnell, daß sie nicht gezählt werden konnten oder wenigstens nicht gezählt wurden.

Als ich das Gewehr absetzte, fragte der Scheik:

»Fertig schon?«

»Ja.«

»Zehn Schüsse? So schnell?«

»Wenn ich auf Menschen, auf Feinde schieße, geht es noch schneller! Seht die Lanzen an!«

Alles eilte hin. Jeder wollte der erste sein, der sie sah. Da sagte Halef:

»Sihdi, alle laufen dorthin, und wir stehen allein hier. Jetzt könnten wir fort!«

»Und wenige Augenblicke später wären sie hinter uns her. Nein, wir bleiben. Bedenke doch die Zeit, ehe wir die Kamele zum Aufstehen brächten!«

»Du hast recht; es geht nicht.«

Die Lanzen wurden wieder aus dem Boden gezogen; sie gingen von Hand zu Hand und laute Rufe der Bewunderung waren zu hören. Inzwischen drehte ich mich um, die abgeschossenen zehn Patronen unbemerkt zu ergänzen. Dann sah ich die Augen der Scherarat zwar feindlich, aber achtungsvoll auf mich gerichtet. Der Scheik kam wieder zu mir, betrachtete mich vom Kopfe bis zu den Füßen und sagte:

»Dein Zaubergewehr ist keine Lüge; es sitzen alle zehn Kugeln, eine ganz genau so wie die andere. Welcher Djinn hat dieses Gewehr gemacht?«

»Es war ein Djinn in Amirica und hat Henry geheißen.«

»So müssen dort in Amirica mächtigere Djinns sein als bei uns. Ihr steht unter meinem Schutze, und solange ihr euch bei mir befindet, wird euch nichts geschehen; da aber die Blutrache zwischen uns und euch ist, hat die Versammlung der Aeltesten zu entscheiden, was mit euch geschehen soll.«

»Was könnte sie zu entscheiden haben? Ich denke, wir sind bei dir sicher!«

»Diese Sicherheit erstreckt sich, wie du wissen wirst, nur auf zweimal sieben Tage höchstens. Dann muß ich euch entlassen. Wenn die Versammlung mild entscheidet, so nimmt sie euch die Waffen, giebt euch einen Vorsprung und läßt euch dann verfolgen. Werdet ihr ergriffen, so kostet es euch das Leben. Denkt ja nicht daran, daß wir uns herbeilassen werden, euch das Leben zu schenken und dafür die Dijeh anzunehmen! Mein Name ist Abu ‚Dem, Vater des Blutes, und wenn auch ein gewöhnlicher Krieger das vergossene Blut bezahlen kann, solche Leute, wie ihr seid, müssen ihr Leben dafür geben.«

»Wann wird die Versammlung der Aeltesten zusammentreten?«

»Sobald der Haupttrupp meiner Leute gekommen ist; wir hier bilden nur die Vorhut. Wir müssen vorsichtig sein, um unsere Tiere hier zu tränken, denn es giebt – –«

Er hielt mitten in der Rede inne, musterte uns mit einem fragenden Blicke und fuhr dann fort:

»Ihr schlieft, als wir hier ankamen. Wie lange wolltet ihr an diesem Brunnen bleiben?«

»Bis morgen früh,« antwortete ich.

»Allah akbar – Gott ist groß! Bis morgen früh! Kanntet ihr denn nicht die Gefahr, in welcher ihr hier geschwebt hättet?«

»Wir kannten sie. Es gab nur eine einzige.«

»Welche?«

»Eine Ueberraschung durch euch, unsere Todfeinde.«

»Weiter keine?«

»Nein.«

»Allah kerihm – Gott ist barmherzig. Er hat euch vor dem sicheren Tode bewahrt. Ist euch denn wirklich nicht bekannt, daß – –«

Er hielt wieder inne, als ob er etwas hätte sagen wollen, was er uns lieber verschweigen müsse, und er hätte auch so nicht weiter sprechen können, denn es erhob sich jetzt am Eingange des Wadi ein lärmendes Getrappel von vielen Tieren, mit den Rufen von zahlreichen Menschenstimmen vermischt. Wir sahen eine große Schar von Reitern auf Pferden und Kamelen kommen. Voran ritt ein alter Mann von höchst abstoßendem Aeußern. Sein zurückgeschlagener Haik ließ sehen, daß sein ganzer Leib mit Amuletten behangen war; am Halse seines Kameles und an dem Sattel baumelten allerlei ausgestopfte Tiere und fremdartige Gegenstände; seine kleinen, tückischen Augen lagen tief in ihren Höhlen; weit wie ein Geierschnabel stand seine Nase vor, während sein zahnloser Mund desto mehr zurückwich; seine Gestalt, außerordentlich lang und dürr, wankte auf dem Kamele wie eine Pagode hin und her, und die grüne Farbe seines Turbans zeigte, daß er sich zu den Abkömmlingen des Propheten zählte. Sofort, als ich ihn erblickte, sagte ich mir, daß dies kein anderer als Gadub es Sahhar, der Zauberer, sei, und ich hatte mich nicht geirrt. Wie angesehen er bei den Scherarat sei, konnte ich daraus ersehen, daß sie alle ihm entgegenliefen, um ihm mitzuteilen, welch einen kostbaren Fang sie gemacht hätten.

Als er es hörte, stieß er einen Jubelruf aus, glitt elastisch wie ein Jüngling von dem hohen Kamele herab, ohne es niederknieen zu lassen, kam herbeigerannt, betrachtete uns mit wild rollenden Augen und schrie mich dann an:

»Du, du also, du bist der verdammte Christenhund, dem ich die Gefangenschaft und den sichern Tod meines Sohnes zu verdanken habe? Das sollst du büßen, büßen, büßen! Deine Seele soll in dir stecken wie ein glühender Eisenbolzen, und dein Leib um dich brennen wie der verzehrende Feuerbrand, der um die Sonne läuft! Deine Eingeweide sollen dir einzeln herausgenommen werden, und die – –«

»Schweig!« donnerte ich ihn an, indem ich ihn unterbrach. »Ich bin der Beschützte. Wie darfst du mich beleidigen!«

»Der Beschützte?« fuhr er auf. »Wessen?«

»Der meinige,« antwortete der Scheik.

»Wie? Wie? Wie? Der deinige? Wie kannst du es wagen, Leute, die unsere tausendfachen Todfeinde sind, in deinen Schutz zu nehmen!«

»Wagen?« fragte der Scheik stolz. »Was kann Abu ‚Dem, der Scheik der Scherarat, wagen? Hast du mir etwa zu befehlen, was ich thun darf oder nicht? Diese Männer haben mein Gewand ergriffen und mir dabei zugerufen: ›Dakilah ia Scheik!‹ Nun will ich wissen, wer es wagt, mir zu sagen, daß ich sie nicht beschützen darf!«

»Wer? Wer? Wer? Ich sage es, ich, ich, ich! Und ich will hören, wer es wagt, mir zu widersprechen. Ich schicke ihm alle bösen Geister der Erde und der Hölle in den Leib!«

Da wendete sich der Scheik zu seinen Leuten um und rief:

»Ihr Männer und Krieger der Scherarat, entscheidet, wer recht hat, er oder ich! Muß ich die Gefangenen beschützen oder darf ich es nicht?«

Er erhielt keine Antwort. Sie mußten ihm im stillen recht geben, aber keiner wagte es, gegen den Zauberer zu sprechen, dessen Kunst sie fürchteten, weil sie mehr als zu sehr abergläubisch waren. Er stieß ein höhnisches Lachen aus und kicherte den Scheik mit überschnappender Stimme an:

»Hörst du etwas, o Scheik, hihihihi; hörst du ein einziges Wort? Diese Hunde haben meinen Sohn am Bir Nadahfa mit der Peitsche in das Gesicht geschlagen, und er hat ihnen dafür mit dem Scheba et Thar gedroht, mit dem Löwen der Blutrache, ja, mit dem Löwen –«

Er unterbrach sich plötzlich mit einer Bewegung, als ob ihm ein außerordentlich guter Gedanke komme, ließ seine Blicke mit giftigem Triumphe über uns gleiten und wendete sich dann mit plötzlich ganz freundlicher Miene und Stimme an den Scheik:

»Doch, du sollst das Recht haben, o Scheik, nämlich wenn die Versammlung der Aeltesten es dir zuspricht. Laß die Ichtjarije rufen; es soll sofort die Beratung abgehalten werden, sofort, sofort! Wir wollen die Stimmen der Männer hören, welche über diese Hunde zu entscheiden haben. Wir dürfen keine Zeit verlieren, denn schon morgen früh müssen wir zu den Lazafah aufbrechen, um unsere Söhne und Krieger zu befreien oder zu rächen!«

Er eilte fort, um die Alten selbst mit zusammenzuholen. Da trat der Scheik zu uns und sagte halblaut:

»Ich ahne, was der Sahhar will. Ich habe euch mein Wort gegeben und möchte es ganz halten; gegen den Scheba et Thar, den er meint, kann ich aber nichts thun. Doch denke ich, daß ihr Männer seid, die sich nicht fürchten, und eure Waffen sind ja besser als die unserigen. Allah thut, was ihm gefällt!«

Unsere Lage schien sich seit der Ankunft des Zauberers bedeutend verschlimmert zu haben. Die Scherarat mußten uns zwar auch vorher schon feindlich gesinnt sein, doch hatte das ritterliche Verhalten ihres Scheikes den Eindruck auf sie nicht verfehlt. Nun aber waren ihrer viel mehr geworden, und der alte Gadub es Sahhar hatte, weil sie ihn mehr fürchteten, mehr Einfluß auf sie als der Scheik. Wir sahen jetzt mehr drohende Blicke auf uns gerichtet als früher, brauchten aber zunächst nichts zu fürchten, denn vor dem Richterspruche der Dschemma durfte sich niemand an uns vergreifen.

Es waren zwölf Greise, welche sich in einiger Entfernung von uns zur Beratung niedersetzten. Diese wurde in ernster Würde geführt, wie wir sahen. Nur einer ließ sich von seiner Erregtheit hinreißen, lebhafter zu sein, als es der Gebrauch erforderte; das war der Zauberer, welcher fast unablässig auf die andern einsprach. Wir Saßen, rund von Kriegern umgeben, nebeneinander; darum dämpfte Halef seine Stimme zum Flüstern, als er mich fragte:

»Was meinst du, Sihdi, was sie über uns beschließen werden?«

»Ahnst du es nicht?«

»Nein. Du?«

»Ja.«

»Nun, was?«

»Es scheinen Löwen im Wadi zu sein.«

»Allah! Löwen? Ein Löwe!«

»Nicht einer, sondern mehrere, denn es ist jetzt die Zeit, in welcher diese Tiere vielleicht schon Junge haben.«

»Daß es hier schon Löwen gegeben hat, habe ich dir gesagt; es ist also sehr leicht möglich, daß sich wieder welche hier befinden, droben in der alten Ruine, wo es genug Schlupfwinkel für sie giebt. Was aber hat dies mit uns zu thun?«

»Wahrscheinlich sehr viel. Hast du das triumphierende Gesicht des Zauberers gesehen, als er von dem ›Löwen der Blutrache‹ sprach?«

»Ja; es sah aus, als ob er eine sehr große Freude empfände.«

»Die Freude über unsern sichern Untergang.«

»Durch die Löwen?«

»Ja.«

»Meinst du etwa, daß wir ihnen vorgeworfen werden sollen?«

»Vorgeworfen grad nicht, denn dazu müßten sie uns vorher fesseln, und das würde ich mir mit meinem Stutzen sehr verbitten. Solange ich überhaupt diesen habe, werde ich jeden Beschluß der Versammlung, der uns keine Hoffnung bietet, zurückweisen. Ich vermute, daß wir mit den Löwen um unsere Freiheit und unser Leben kämpfen sollen.«

»Wirst du das annehmen, Sihdi?«

»Erst möchte ich hören, was du dazu sagst.«

»Das kannst du dir doch denken. Wie stolz würde Hanneh, das beste und herrlichste Weib unter den schönsten aller Frauen, auf ihren Halef sein, wenn er ein Fell mit nach Hause brächte, in welchem ein von ihm selbst erlegter Löwe die Tage seines Daseins beschlossen hätte!«

»Du würdest dich also an den ›Herrn mit dem dicken Kopfe‹ wagen?«

»Mit Entzücken; das sage ich dir aufrichtig.«

»Und dein Sohn?«

Kara hatte bis jetzt kein Wort gesprochen; als er diese Frage hörte, antwortete er:

»O Emir, mein Herz ist von tiefer Traurigkeit erfüllt. Was habe ich gethan! Ich bin schuld daran, daß wir gefangen sind, denn ich habe geschlafen, als ich wachen sollte. Ich würde gern mit zehn Löwen kämpfen, wenn ich diesen Fehler dadurch gutmachen und dein Vertrauen wiedergewinnen könnte!«

»Nimm es dir nicht allzusehr zu Herzen, lieber Kara,« tröstete ich ihn. »Du warst zu sehr ermüdet. Mein Vertrauen hast du noch, und was unsere Gefangenschaft betrifft, so denke ich, daß sie ein baldiges Ende haben wird. Wenn meine Vermutung, daß wir mit den Löwen kämpfen sollen, sich bewahrheitet, so werde ich darauf eingehen, wenn man uns nicht bloß das Leben, sondern auch die Freiheit dafür verspricht. Ich werde das weniger aus Angst vor den Scherarat als vielmehr aus Jagdlust thun, denn beides, die Freiheit sowohl als auch das Leben, getraue ich mir auch ohne Löwenkampf mit meinem Stutzen zu verteidigen. Doch seht, die Beratung ist zu Ende, und man scheint uns holen zu wollen.«

Es war eine Bewegung unter den Mitgliedern der Dschemma entstanden; der Scheik stand auf, kam zu uns und sagte:

»Die Versammlung der Aeltesten hat über euch beschlossen. Befänden wir uns in unserm Duar, so würde mein Schutz über euch vierzehn Tage lang währen; jetzt aber sind wir unterwegs und können euch nicht mitnehmen; ich kann euch also nur so lange beschützen, als wir uns hier in diesem Wadi befinden, und das ist nur für den heutigen Tag. Eigentlich sollte ich euch weiter nichts mitteilen, denn der Zauberer hat sich das vorbehalten; da ich aber weiß, daß es seine Absicht ist, euch durch seine Darstellung und Ausdrucksweise zu verwirren und einzuschüchtern, so halte ich als euer Beschützer es für meine Pflicht, euch eine Andeutung zu geben, aus welcher ihr das Richtige entnehmen könnt.«

Da er jetzt eine Pause machte, schob ich schnell die Bemerkung ein:

»Wir sind dir für deine Güte dankbar, o Scheik, doch muß ich dir sagen, daß wir nicht zu der Art von Leuten gehören, bei denen der Zauberer diese seine Absicht erreichen könnte. Es ist noch keinem Menschen gelungen, meinen Geist zu verwirren, und uns nun gar einschüchtern, das rechne ich zu den Unmöglichkeiten; wenigstens würde der alte Sahhar der allerletzte sein, der das fertig brächte. Ihr mögt von ihm halten und denken, was Ihr wollt; ich aber kenne sein Fach besser, als Ihr es kennt, und weiß, daß er in allem, was er Euch vormacht, nichts anderes als ein Cha’in2 ist.«

Als der Scheik diese Worte hörte, hellte sich sein tiefernstes Gesicht ein wenig auf, und er sagte:

»Ich vernehme, daß Allah dir ein sehr gesundes Gehirn verliehen hat; leider besitzen meine Scherarat nicht dieselbe Gabe, und wenn ich euch dafür hassen muß, daß ihr unsere Krieger an die Lazafah verraten habt, so möchte ich euch doch dafür danken, daß es unter ihnen einen giebt, den ich nicht nennen will, dessen Rückkehr von den Lazafah ich nicht wünsche.«

»Du brauchst ihn nicht zu nennen; es ist Abu el Ghadab, der Sohn des Zauberers.«

»Maschallah! Woher weißt du das?«

»Ich kenne dein Verhältnis zu Gadub es Sahhar besser, als du denkst.«

»Wenn du es wirklich kennst, so sprich zu ihm ja nicht davon. Ich habe gehört, daß du ›den Herrn mit dem dicken Kopfe‹ geschossen hast, du ganz allein und mitten in der Nacht. Wir haben das nicht für möglich gehalten, denn wenn wir den ›Würger der Herden‹ erlegen wollen, so ziehen wir, viele, viele Krieger stark, am hellen Tage aus. Wenn wir das des Nachts thäten, würde er uns alle fressen.«

»Das ist der Unterschied zwischen euch und uns. Ein wirklich tapferer Mann muß den Mut besitzen, dem Löwen ganz allein und auch des Nachts Auge in Auge entgegenzutreten.«

»Das hast du wirklich gethan?«

»Ja, wiederholt!«

»Besitzest du diesen Mut auch heute noch?«

»Ja.«

»Das beruhigt die Vorwürfe meines Gewissens. Ich will euch verraten, daß ihr in nächster Nacht mit zwei Löwen kämpfen Sollt, welche wahrscheinlich junge haben. Ihr solltet das nicht wissen. Es ist das fürchterlich, drei Personen gegen zwei riesige Löwen, welche zehnfach und hundertfach schrecklich sind, weil sie Kinder zu beschützen haben.«

»Mach dir keine Sorge um uns! Wir fürchten uns nicht. Uebrigens hast du uns gar nichts verraten, denn wir haben es geahnt, was für einen Plan der alte Zauberer hat. Es ist das sehr pfiffig von ihm. Unterliegen wir, so hat er sich an uns gerächt; siegen wir, was er aber freilich für vollständig ausgeschlossen hält, so haben wir dieses schöne Wadi und euch alle von den Feinden befreit, deren Erlegung ihr mit dem Leben vieler eurer Krieger bezahlen müßtet. Wie lange wohnt der Löwe mit seiner Frau schon hier im Thale?«

»Seit drei Wochen. Er holt sich fast in jeder Nacht ein Pferd oder Kamel; Allah verdamme ihn!«

»Wo hat er seine Wohnung aufgeschlagen?«

»Droben im großen Hohsch el Harab. Er kommt täglich des Abends mit seiner Frau in das Wadi herab, um am hintern Brunnen zu trinken. Aber jetzt darf ich euch weiter nichts verraten. Kommt, ich soll euch zur Dschemma bringen!«

Er führte uns zu der Versammlung der Aeltesten, deren Urteil wir stehend anhören sollten; ich machte aber kurzen Prozeß und setzte mich; Halef und Kara folgten meinem Beispiele. Da fuhr uns der Zauberer zornig an:

»Wie könnt ihr es wagen, euch im Rate der weisen und erfahrenen Männer niederzusetzen! Ihr seid – –«

»Schweig!« unterbrach ich ihn, um ihm gleich im Anbeginn zu zeigen, wie wenig ich mir aus ihm machte. »Ich würde diesen ehrwürdigen Männern gern die Achtung zollen, welche ich für sie hege; aber weil du mit hier bist, so setzen wir uns. Weißt du, was ich in meinem Lande und bei meinem Volke bin? Und wer oder was bist denn du? Du bist gegen mich wie eine dreiste Fliege, welche glaubt, mit ihrem Summen und Brummen den Löwen erschrecken zu können.«

Da fuhr seine Hand nach dem Messer, und er donnerte mich an:

»Hund, Giaur! Kennst du die Macht, welche ich gegen und über alle Geister und Mächte der Erde und der Unterwelt besitze? Ich brauche nur die Hand zu erheben, so fällst du tot zur Erde!«

»Thue es doch!« lachte ich. »Mir machst du nicht bange, denn ich kenne dich. Du bist ein Feschschahr, der gar nichts kann, ein Gaschschahsch, mit dem ich gar nicht sprechen würde, wenn dich nicht diese achtunggebietenden Greise beauftragt hätten, mir ihren Entschluß mitzuteilen.«

Da sprang er wütend auf und schrie:

»Ihr Krieger der Scherarat, schießt ihn nieder, den stinkenden Schakal, sofort, sofort!«

Ich sprang, obgleich niemand sein Gewehr gegen mich erhob, augenblicklich nach einem nahen Felsstücke, nahm Deckung hinter demselben, legte den Stutzen an und rief:

»Wer wagt es, die Hand gegen uns zu erheben? Ihr seht, daß mich hier keine Kugel treffen kann; hier aber ist mein Zaubergewehr, welches sofort jeden tötet, der seine Hand gegen einen von uns erhebt!“,

Es war interessant zu sehen, mit welcher Angst und Eile die Beduinen zu beiden Seiten meiner Schußlinie zurückwichen. Der Zauberer schien auf einmal seine Sprache verloren zu haben; die Alten sprachen leise miteinander; dann rief mir der Scheik zu:

»Sei ruhig, Emir! Noch steht ihr unter meinem Schutze, und es wird euch bis morgen früh kein Leid geschehen.«

»Unsinn! Nicht wir haben uns vor euch, sondern ihr habt euch vor uns zu fürchten! Ich bleibe hier stehen, das Zaubergewehr in der Hand. Wer uns nur mit einem Worte beleidigt, dem jage ich eine Kugel durch den Kopf. Nun sagt mir kurz, was die Dschemma beschlossen hat; Prahlereien aber mag ich nicht hören!«

Daß mein Verhalten den von mir beabsichtigten Eindruck machte, erkannte ich an dem Ausdrucke der Blicke, welche von rundum auf mir hafteten. In der Dschemma wurde wieder leise beraten; dann wendete sich der Zauberer an mich, und zwar in einem ganz andern Tone als vorher:

»Es ist folgendes beschlossen worden, was ich dir erst erklären wollte, nun aber nur kurz sagen werde: Droben im Hofe der Ruine wohnen Geister, welche sich nicht aus dem Wadi entfernen wollen; ihr sollt in nächster Nacht mit ihnen kämpfen. Wenn ihr uns euer Wort gebt, nicht zu fliehen, sollt ihr bis zur Dämmerung bei uns sein, nicht als ob ihr Gefangene wäret; dann geht ihr hinauf in den Hof. Ihr habt euch ein Feuer anzubrennen und bis morgen früh zu unterhalten. Kommt ihr dann herab, ohne daß die Geister euch erwürgt haben, so seid ihr frei.«

»Ist das alles?« fragte ich.

»Ja.«

»Wie gehen auf eure Forderungen ein. Wir werden, wenn der Tag sich neigt, hinaufsteigen, um im Hofe der Ruine bis morgen früh ein Feuer zu brennen und mit den Geistern zu kämpfen. Aber daß wir frei sind und ungehindert fortreiten können, wenn wir früh wohlbehalten herunterkommen, darauf mag die Dschemma mir ihren Schwur geben!«

Als dieser Eid, den ich vorsprach, mit volltönenden Stimmen geleistet worden war, fühlte ich mich sicher, legte das Gewehr wieder ab und ging zu meinen Gefährten hin. Dabei mußte ich an dem Zauberer vorüber; er konnte sich doch nicht enthalten, mich mit sichtbarer Schadenfreude im Gesichte anzuzischen:

»Ihr seid verloren, denn schon höre ich im Geiste den Scheba et Thar brüllen, der euch verschlingen wird!«

»Nimm dich in acht, daß er dich nicht selbst verschlingt!« antwortete ich.

»Er verschlingt bloß Christen, deren Gott ohnmächtig ist, sie zu schützen; ich aber brauchte nur die Hand zu erheben, so würde er vor mir fliehen.«

»Lästere nicht! Dich für mächtiger als den Gott der Christen zu halten, ist eine Sünde, welche dir nicht vergeben werden kann.«

»Er mag mich dafür strafen!« lachte er höhnisch. »Jeder Sahhar kann mehr als er!«

Da legte ich ihm erschrocken die Hand auf den Arm und sagte:

»Möge Gott, der allmächtig und gerecht ist, diese Verhöhnung nicht wie einen zermalmenden Felsen auf dich zurückschmettern! Mir graut vor dir. Du sagtest, daß du Macht habest über alle Geister der Erde und der Unterwelt; warum wollen die Geister droben in der Ruine nicht vor dir weichen? Warum sollen wir sie vertreiben? Weil du lügst, weil du nichts, gar nichts kannst und dich fürchtest, selbst nach der Ruine zu gehen, um die Geister zu vertreiben. Ich als Christ habe keinen Djinn und keinen Geist zu fürchten. Wir werden morgen früh gesund und wohlgemut vom Kasr herunterkommen und euch dann die Geister zeigen, die von uns besiegt worden sind.«

»Nichts werdet ihr, gar nichts!« fauchte er mich grimmig an. »Du bist ein Giaur, der in die Hölle gehört; deine Gefährten sind nicht besser als du, und darum wird sie ganz dieselbe Vernichtung treffen. Mein Sohn hat euch prophezeit, daß euch der Scheba et Thar verschlingen werde, und diese Weissagung wird heute abend an euch in Erfüllung gehen; wir werden morgen die Reste eurer Knochen finden und nicht denken, daß sie Menschen angehörten, sondern räudigen Hunden, welche wegen ihrer Unreinlichkeit aus den Zelten vertrieben worden sind!«

Es zuckte in meinen Fäusten, doch bezwang ich mich und schwieg; Halef aber hatte nicht dieselbe Selbstbeherrschung; er griff nach der Peitsche in seinem Gürtel, trat hart an den Sahhar heran und rief:

»Womit vergleichst du uns? Mit räudigen Hunden? Soll ich dir dafür die Peitsche geben, wie ich sie schon auch deinem Sohne für eine ähnliche Beleidigung in das Gesicht gezeichnet habe? Wenn deine ganze, große Macht nur darin besteht, Gefangene zu verhöhnen und Gott zu lästern, so wird, wenn die Scham dich nicht schon vorher umbringt, nicht unser Gebein, sondern das deinige gefunden werden. Gott wird dich richten. Und wie ich deinem Sohne vorhergesagt habe, daß nicht uns, sondern ihn der Scheba et Thar fressen werde, so sage ich jetzt auch dir, daß er nicht uns, sondern dich in seinem Rachen verschwinden lassen wird. Denke an meine Worte; ich weiß, was ich sage, denn ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah, der Scheik der Haddedihn vom Stamme esch Schammar, und du wirst nicht der erste Gottesverhöhner sein, den ich an seiner eigenen Lästerung in die Hölle gehen sehe!«

Schon griff der Zauberer drohend an sein Messer, da wurde er von den Verständigen unter den Scherarat umringt, und der Scheik bedeutete ihm allen Ernstes, daß er nun keine weitere Beleidigung der von ihm Beschützten dulden werde. Ich zog Halef fort, und so nahm diese Scene nicht das schlimme Ende, welches zu befürchten gewesen war.

Der kleine, brave Hadschi hatte in zorniger Begeisterung gesprochen und wie ein Prophet vor dem Sahhar gestanden; aber niemand ahnte, daß seine geharnischte Rede wirklich eine Prophetie enthalten hatte; wir mußten das erst später mit heiligem Schreck erfahren.

Der Plan für heute abend war von dem Zauberer sehr pfiffig ausgedacht. Der Löwe ist, wenn er Junge zu ernähren hat, doppelt gefährlich, doch hätten wir im Dunkel der Nacht uns verstecken und ihm wohl entgehen können, wenn dies unsere Absicht gewesen wäre; aber man hatte uns die Bedingung auferlegt, während der ganzen Nacht Feuer zu brennen, und da wir den Hof nicht verlassen durften, so mußten wir unbedingt von ihm bemerkt und angegriffen werden. Hierbei sei gesagt, daß die säugende Löwin das Lager nur selten verläßt; der männliche Löwe hat sie und die jungen zu versorgen und bringt seine Beute oft von weither nach dem Lager geschleppt, von welchem sie sich meist nur entfernt, um zur Tränke zu gehen. Freilich, wer ihr da begegnet, dem ist sie noch gefährlicher als ihr »Herr mit dem dicken Kopfe«.

Die Scherarat hüteten sich zwar, mit uns zu verkehren, doch war ihr Verhalten nicht feindselig zu nennen. Sie betrachteten uns schon jetzt als tote Menschen und hegten ein aus Stammeshaß, Mitleid und Bewunderung gemischtes Gefühl für uns. Nur der Scheik suchte uns zuweilen auf, um ein freundliches Wort zu sprechen, doch auch nur für kurze Zeit. Ich benutzte die uns gebotene Muße, Halef und seinem Sohne ihr Verhalten für die nächste Nacht einzuprägen, wobei wir bemerkten, daß die Scherarat dürres Holz sammelten und in Bündeln vereinigten. Da Wasser vorhanden war, gab es auch Sträucher im ganzen Wadi.

Ungefähr eine Stunde vor der Dämmerung mahnte uns der Scheik zum Aufbruche. Er wollte mit seinen Leuten bei einem großen Feuer am Brunnen bleiben, denn er hielt sich für sicher, weil die Löwen ja uns zu fressen bekamen, was er uns freilich nicht sagte. Er wollte uns selbst mit mehreren Holzbündel tragenden Scherarat nach der Ruine führen, was kein Wagnis war, weil der Löwe nur des Nachts sein Lager verläßt und am Tage nur durch Steinwürfe und großen Lärm gezwungen werden kann, herauszutreten.

Wir gingen das ziemlich lange Wadi hinauf bis zum obern Brunnen, wo wir an den deutlichen Spuren erkannten, daß dieser jetzt allerdings eine Löwentränke sei, doch ließen wir uns das nicht merken. Dann ging es steil zwischen den Felsen aufwärts, wobei die Scherarat ihre Angst nicht verbergen konnten. Endlich kamen wir an eine hohe, vielfach zerrissene Mauer, durch welche ein jetzt eingefallenes Thor führte. Hier legten sie ihre Bündel nieder, und der Scheik sagte:

»Hinter dieser Mauer liegt der Hof, den ihr bis früh nicht verlassen dürft, und hier ist Holz zum Feuer. Allah beschütze euch!«

Sie gingen; einer aber blieb noch einen Augenblick stehen und sprach:

»Der Sahhar läßt euch eine gute Nacht wünschen und hierauf einen guten Morgen im Bauche des Scheba et Thar.«

»Er mag sich selbst vor diesem Bauche hüten; wir kommen nicht hinein!« antwortete Halef; dann trollte sich der Mann auf das schnellste fort.

Ich trat vorsichtig unter das Thor und sah in den Hof. Er war rundum an den Mauern mit Gestrüpp bewachsen und bildete ein großes Rechteck, durch dessen Hinterwand ein auch zusammengebrochenes Thor in das Innere der Ruine führte. Da drinnen, aber nicht im Hofe war das Lager der Löwen; das sagte mir gleich der erste Blick, der auf die unverkennbaren Spuren fiel. Die rechte Seitenmauer hatte bei ihrem halben Einsturze einen hohen Schutthaufen gebildet, der uns eine ausgezeichnete Warte bot. Wenn unten an demselben das Feuer brannte und wir oben saßen, wagte sich gewiß kein Löwe durch die Flammen hinauf zu uns. Wir hatten lange gebraucht, um heraufzukommen; darum gingen wir zu dem Schutthaufen, legten unten ein Häuflein Reiser zum Anzünden zurecht, schafften den ganzen Holzvorrat hinauf und machten es uns dann oben so bequem wie möglich. Dann dämmerte es, und bald darauf wurde es dunkel. Da der Löwe erst später ausgeht, warteten wir mit dem Feuer noch; doch als es ungefähr neun Uhr geworden war, stieg ich hinab, brannte das Holz an und schwang mich dann wieder hinauf. Da lagen wir, die Gewehre schußfertig in den Händen, nebeneinander, warfen von Zeit zu Zeit Holz in das Feuer hinab und warteten auf das Erscheinen des Königs der Tiere.

Mein Puls ging wie gewöhnlich; Halef war zwar unruhig, aber keineswegs ängstlich; Kara, das brave junge Männchen, zeigte nicht die geringste Spur von Aufregung. Beide wußten, daß sie nur auf mein ausdrückliches Geheiß schießen und dabei nur nach dem Auge zielen durften.

Wenn ich sage, daß ich keine Spur von Angst vor den Löwen in mir hatte, so ist das keineswegs eine Prahlerei. Auch bin ich überzeugt, daß weder Halef noch sein Sohn sich fürchteten; wenn sie etwas fühlten, so war es wohl nur das, was man Jagdfieber zu nennen pflegt. Daß Halef mit seinem Gewehre umzugehen verstand, weiß jeder, der ihn kennt, und er hatte durch unausgesetzte Uebung dafür gesorgt, daß auch Kara Ben Halef trotz seiner Jugend schon ein guter Schütze zu nennen war. Wenn ich eine Besorgnis gehabt hätte, so wäre das nur eine Folge der heutigen niedrigen Temperatur gewesen; es war nämlich sehr kalt.

Man stellt sich Innerarabien fälschlicherweise als ein Land vor, welches unter einem immerwährenden Sonnenbrande liegt; dies ist aber nicht der Fall. Selbst im Sommer sind die Wärmeunterschiede zwischen Tag und Nacht so bedeutend, daß dieser schnelle Wechsel dem Ungewohnten schwere Erkältung bringt, und im Winter, auch noch im Frühjahre, sinkt die Temperatur oft so tief unter Null herab, daß man, wenn man sich im Freien befindet, bei der dortigen leichten Kleidung während der Nacht vom Froste geschüttelt wird. Es fällt sogar zuweilen Schnee. Wir hatten uns darum für unsern gegenwärtigen Ausflug mit warmen Decken versehen, diese aber heut abend nicht mit heraufgenommen, weil wir beim Kampfe mit Löwen freie Bewegung haben mußten und uns also doch nicht einwickeln durften. Es war so empfindlich kalt, daß ein Zittern beim Zielen sehr im Bereiche der Möglichkeit lag, und wie gefährlich ein sich daraus ergebender Fehlschuß für uns werden konnte, das läßt sich wohl leicht denken. Ich bat darum meine Gefährten, sich ja recht zusammenzunehmen, und erhielt darauf die Versicherung, daß sie im betreffenden Augenblicke gewiß nicht zittern würden.

Es ging kein Lüftchen im Hofe, und nur das leise Prasseln der Flammen unterbrach die tiefe Stille. Eine Stunde verfloß und fast noch eine. Als geübter Jäger verließ ich mich nicht allein auf Auge und Ohr, sondern fast noch mehr auf die Nase, und da – da spürte ich endlich jene strenge, stechende Penetranz, welche der Ausdünstung der größeren Raubtiere eigentümlich ist.

»Er kommt; paßt auf; er kommt; ich rieche es!« flüsterte ich den beiden zu, indem ich den Bärentöter an die Wange legte und das Auge scharf nach dem zweiten Thor richtete. Eine Gestalt, oder war es nur ein Schatten, kam da heraus, blieb eine Minute lang unbeweglich stehen, ohne uns aber ein Ziel zu bieten, und verschwand dann nach der uns gegenüberliegenden Seitenmauer hin. Gleich darauf hörten wir Steine fallen.

»War er das?« fragte Halef leise.

»Er oder sie; ich konnte es nicht unterscheiden,« antwortete ich. »Wir haben kein Glück gehabt. Das Tier fürchtete sich vor dem Feuer und ist dort über die Mauer zum Brunnen hinab. Daß wir dieses dumme Feuer brennen müssen! Wäre es dunkel gewesen, läge die Bestie jetzt tot da, mit meiner Kugel im Kopfe.«

»Er kommt ja wieder!«

»Das ist meine Hoffnung. Nehmen wir ja alle unsere Sinne zusammen, daß wir ihn dann nicht verpassen!«

Es verging eine kleine Weile; da ertönte auf halber Höhe des Felsens jenes rollende Gebrüll, welches der Araber Rra’d, zu deutsch Donner, nennt. Es schien, als ob der Boden wie bei einem Erdbeben unter uns bebte.

»Das ist nicht sie, sondern er,« flüsterte ich; »ich höre es an der Stimme. Er steigt zur Tränke hinab. Doch, horcht!«

Es war ein Ruf, ein angstvoller, schriller Ruf zu hören, welcher aus dem Wadi heraufklang, wieder einer – – und wieder! Es klang wie Ghadab, Ghadab. Oder irrte ich mich? So hieß ja der Sohn des Zauberers. Es folgte ein zweites, ein drittes Brüllen des Löwen, dann war es still, doch nur unten, denn hier oben bei uns hörten wir plötzlich jemand laut fragen:

»Maschallah! Was ist das für ein Feuer? Wer hat es angebrannt? Gebt Antwort, denn ich bin Abu el Ghadab, der – – –«

Hierauf ein gräßlicher Schrei, mit welchem ein ebenso entsetzlicher im Wadi unten fast zusammenschmolz; dann ein Krachen und Knacken von Knochen und jenes Knirschen und schmatzende Lefzenschnalzen, welches ich nur zu wohl kannte. Die Löwin war auch da; sie hatte ein Opfer gefunden, dessen Knochen zwischen ihren Zähnen prasselten. War das ein Mensch? gar Abu el Ghadab? Doch der befand sich ja als Gefangener bei den Lazafah! Mochte dem sein, wie ihm wolle, ich mußte schnell zum Schusse kommen. Das Knacken erscholl aus der Nähe des äußeren Thores; ich bog mich zur Seite und sah die mächtige Gestalt des Tieres. Zwei, drei scharfe Schreie ausstoßend, richtete ich den Lauf; meine Stimme veranlaßte die Löwin, sich nach unserer Seite zu wenden; ihre Augen glühten – – mein Schuß krachte – – ein sausender Atemstoß – – ein kurzes Stöhnen – – ein ersterbendes Röcheln, dann war es still.

»O, Sihdi, du hast sie erlegt; sie ist tot!« rief Halef laut.

»Still, still!« warnte ich. »Der Löwe wird auch gleich kommen; er scheint da unten auch eine Beute gefunden zu haben, denn ihr habt doch wohl auch die Rufe und dann den zweiten Schrei gehört?«

»Ja.«

»Es scheint ein zweifaches Unglück geschehen zu sein. Jetzt zum Schießen fertig, und keinen einzigen Laut mehr!«

Wir lauschten in einer Spannung, die nicht zu beschreiben ist, und brauchten nicht lange zu warten. Wir hörten sehr bald draußen vor dem Thore ein Zerren und Reißen, ein Kratzen von schweren Tatzen.

»Achtung!« flüsterte ich. »Er kommt mit der Beute im Rachen.«

Ja, da kam er herein, einen schweren Gegenstand schleppend. Ich wollte Kara den Ruhm gönnen, einen Schuß auf den Löwen abgefeuert zu haben, und gab ihm das verabredete Zeichen. Der Löwe brachte Beute für die jungen; da sah er die Löwin liegen, tot in ihrem Blute; er ließ den Raub fallen, hob den Kopf empor und brüllte, daß ich glaubte, unsern Schutthügel zittern zu fühlen. Dann starrte er, den Thäter suchend, mit weit geöffneten Lichtern nach unserm Feuer herüber.

»Jetzt, Kara, ins Auge, jetzt, jetzt!« sagte ich.

Ich hatte diese Aufforderung noch nicht ganz ausgesprochen, so fiel sein Schuß. Ein kurzes Brüllen folgte, wie wenn Blitz und Donner zusammenfällt; dann flog der Löwe im Sprunge nach dem Feuer hoch durch die Luft. Die Mündung meines Bärentöters folgte ihm, und meine Kugel traf ihn in das Herz, so daß er kurz vor dem Feuer zu Boden fiel; er warf sich nur einmal von einer Seite auf die andere; ein Zucken durchlief seine Gestalt; dann streckte er die Glieder; er war tot.

Halef jubelte laut auf, obgleich er nicht zum Schusse gekommen war, und Kara stimmte ein. Auf meinen vorsichtigen Rat stiegen wir erst nach einstündigem Warten von unserm Schutthaufen herab, um die Tierleichen zu untersuchen. Kara hatte den Löwen in das Auge getroffen, also tödlich, und das Tier gehörte also ihm, obgleich meine Kugel dann in das Herz gedrungen war. Wie jubelten die beiden, und mit welchem Stolze umarmte der Vater seinen Sohn! Die Löwin war auch tot, ebenso in das Auge getroffen; sie gehörte mir. Dann leuchteten wir mit Feuerbränden weiter. Was waren das für Körper, welche die beiden Tiere erbeutet hatten? Menschliche, wie wir mit Grausen sahen! Aber man denke sich unsere Gefühle, als wir bei näherer Untersuchung die Reste vom Zauberer und seinem Sohne erkannten! Wir standen starr, und nur zitternd kam es über Halefs Lippen:

»O, Sihdi, meine Prophezeiung, meine Prophezeiung! Der Scheba et Thar hat sie gefressen!«

Wie gern wären wir in das Wadi hinabgestiegen; aber wir mußten unsere Vereinbarung wörtlich erfüllen und bis zum Morgen warten. Wie uns die Nacht vergangen ist, darüber will ich schweigen. Als der Tag graute, suchten wir zunächst das Lager der Löwen; wir fanden ein junges, männlichen Geschlechtes, welches wir töteten, da es kaum zwei Wochen alt und also nicht zu transportieren war. Dann stiegen wir, nachdem wir den Raubtieren die Felle abgezogen hatten, zu Thale.

Die Scherarat hatten vor Aufregung nicht geschlafen; wie staunten sie, als sie uns unverletzt mit den Häuten kommen sahen! Und mit welcher Spannung erkundigten sie sich nach dem Zauberer und seinem Sohne! Wir erzählten ihnen, was geschehen war, und bekamen von ihnen den Zusammenhang erklärt. Es war Abu el Ghadab mit noch vier andern Scherarat gelungen, aus der Gefangenschaft zu entkommen; sie hatten gestern abend das Wadi Achdar erreicht, nicht am Eingange, sondern an der Südseite desselben, und nicht daran gedacht, daß es jetzt da Löwen gab. Ghadab hatte für diese Nacht nach der Ruine und nicht nach dem Brunnen gewollt, weil da feindliche Beduinen sein könnten; die andern aber waren durstig und widersprachen ihm. Da trennte er sich zornig von ihnen, um den Außenweg nach dem Kasr emporzusteigen, und sie wandten sich nach dem untern Brunnen, wo sie auf ihre Stammesgenossen trafen, Als der Zauberer hörte, daß sein Sohn entkommen sei, war seine Freude groß; aber als er vernahm, daß er den Weg nach der Ruine eingeschlagen habe, faßte ihn der Schreck so, daß er sogleich fortrannte nach dem obern Brunnen, um seinen Sohn durch Zurufe zu warnen. Dort hatte ihn der Löwe fast in demselben Augenblick überfallen, an welchem Ghadab von der Löwin zerrissen worden war.

»Scheba et Thar!« rief Halef aus. »Sie haben Gott gelästert und darum das Ende gefunden, welches ich ihnen vorhersagte. Es war das eine Eingebung vom Himmel, der ich gehorchte!«

Ich kann nicht sagen, daß die Scherarat großes Leid über den Verlust der beiden Toten verrieten; größer jedenfalls als diese Trauer war ihre Freude über die Erlegung der Löwen, die ihren Herden so großen Schaden zugefügt hatten. Sie konnten nicht begreifen, daß wir gewußt hätten, um welche Art von Geistern es sich handele, und doch so ruhig nach der Ruine gestiegen seien. Wir waren die Helden des Tages, wurden trotz aller Blutfeindschaft für jetzt als Gäste behandelt und dann, als wir am nächsten Tage fortritten, von dem Scheik mit den Worten entlassen:

»Ihr seid die tapfersten Krieger, die ich kenne, und wir haben euch ehrlich Wort gehalten; aber bei der nächsten Begegnung sind wir gezwungen, in euch nur die Anführer der feindlichen Haddedihn zu sehen. Vergeßt das nicht! Und dir, o Emir Kara Ben Nemsi Effendi, will ich gestehen, daß du meine Ansicht über die Christen geändert hast; sie sind tapfere, wahrheitsliebende und zuverlässige Menschen; darum muß auch ihr Glaube ein guter sein. Allah begleite euch und mache euern Heimweg kurz!« –

Als wir daheim bei den Haddedihn ankamen, war der Jubel groß. Halef galoppierte vor sein Zelt, rief seine Hanneh heraus, deutete auf das Fell des Löwen und auf seinen Sohn und sagte:

»Hanneh, mein Weib, du Perle aller Frauen, sieh diese Haut und diesen jungen Krieger, den du mir zu meinem Entzücken geboren hast! Er hat den ›Herrn des Donners‹ erschossen und den König aller Tiere erlegt; darum sollst du ihn eher begrüßen als mich. Drücke ihn an dein Herz und gieb ihm deinen Segen, denn er wird dereinst ein würdiger Nachfolger seines Vaters sein!«

Der ganze Stamm war natürlich höchst stolz darauf, einen Krieger zu besitzen, welcher trotz seiner Jugend einen Löwen erlegt hatte, Das Fell der Löwin schenkte ich Hanneh; beide Häute bilden den Schmuck des gemeinschaftlichen Zeltes, und wenn seitdem ein Gast Halef zu ihrem Besitze gratuliert, so antwortete er mit ungemeinem Selbstbewußtsein:

»In diesen Häuten haben einst der berühmteste ›Herr des Donners‹ und die berühmteste ›Herrin mit dem dicken Kopfe‹ gesteckt, denn sie wurden ›esch Schaba et Thar‹, der Löwe der Blutrache, und seine Frau genannt.« – – –

  1. Cha’in, das ch so ausgesprochen wie im deutschen Worte Rache = Schwindler, Betrüger.

Auf dem Tigris

Auf dem Tigris

Der im vorigen Kapitel erzählte Ausflug nach den Schammarbergen wurde wegen seiner episodischen Eigenschaft von mir nur kurz behandelt, weil ich über die Wüsten Arabiens in einem spätern Bande ausführlicher schreiben werde und hier eigentlich nur von unsern Erlebnissen während unsers Rittes nach Persien berichten will. Ich überließ es Halef, seiner Hanneh und den Haddedihn eine sehr oft wiederholte Beschreibung anderer großer und, wie er sich ausdrückte, vor- und nachweltlicher Heldenthaten zu geben, und war dabei überzeugt, diese Aufgabe in die richtigen Hände gelegt zu haben. Als dann nach zwei oder drei Tagen dieses Thema erschöpft war, fand er Zeit, nun auch von Persien zu sprechen. Der liebe, kleine Kerl hätte mich diese Reise auf keinen Fall ohne seine Begleitung unternehmen lassen; ja, er wollte sogar Kara Ben Halef, seinen Sohn, gern mitnehmen und wurde von diesem Gedanken nur durch meine wiederholte Darlegung abgebracht, daß dieser noch zu jung für eine so lang andauernde Anstrengung sei und mir eher Schaden als Nutzen bringen würde. Auch Omar Ben Sadek wollte mit, und verschiedene Haddedihn boten sich an. Ich hatte Mühe, ihnen zu beweisen, daß sich zwei einzelne Männer auf einer solchen Reise viel leichter, freier und auch sicherer bewegen können als ein zahlreicher Reitertrupp, welcher überall Aufsehen erregt und dessen Erhaltung mehr kostet, als meine Mittel mir gestatteten.

Es war also bestimmt, daß ich mit Halef allein ritt. Ich sollte Assil Ben Rih bekommen, welcher jetzt ganz dasselbe Geheimnis wie mein Rih, sein Vater, hatte, und Halef wollte die Stute Mohammed Emins nehmen. Ich redete ihm dies aus, weil ein Schimmel durch seine auffallende Farbe leicht gefährlich werden kann. Ein weißes Pferd ist aus sehr großer Entfernung zu erkennen, und ich wußte aus Erfahrung, wie vorteilhaft es ist, wenn man einen Feind eher entdeckt, als man von ihm gesehen wird. Als ich auch das Alter dieses Pferdes in Erwähnung brachte, sagte Halef:

»Oh, die Stute ist noch ganz dieselbe, die sie war, als wir sie zum erstenmal sahen; aber du hast recht, Sihdi, wir können kein helles Pferd brauchen. Ich weiß von früher her, wie gut es oft für uns war, wenn wir verborgen blieben. Ich muß auch einen Rappen haben, und – – – ich habe einen!«

Er legte auf die letzten drei Worte eine so schwere Betonung, daß ich fragte:

»Und wohl was für einen, lieber Halef?«

»Ja. Du hast ihn noch gar nicht gesehen; ich wollte dich überraschen. Es ist ein echter Nedjedhengst, dessen Stammbaum ich aber leider nicht besitze.«

»Unmöglich! Ein so kostbares Pferd – – – ohne den Stammbaum – – –?!«

»Es ist so! Als die Abu Hammed sich zum letztenmal gegen uns erhoben, mußten sie den Frieden mit Pferden und Kamelen bezahlen, unter denen ich selbst die Auswahl traf. Das beste ihrer Pferde war der Rapphengst, den ich meine; ich nahm ihn für mich; das war die schwerste Strafe, weiche sie treffen konnte, und ich weiß, daß sie diesen Verlust selbst heut noch nicht verwunden haben. Der Hengst ist nicht bei ihnen geboren; sie haben ihn von einem Raubzuge mitgebracht, und es war von keinem von ihnen zu erfahren, wer der frühere Besitzer des Tieres gewesen ist. So kommt es, daß ich einen echten Nedjedhengst, aber nicht auch seinen Stammbaum habe.«

»Aber einen Namen hat er doch?«

»Natürlich. Wie er früher geheißen hat, das weiß man nicht. Bei den Abu Hammed wurde er El Atim genannt, seiner Farbe wegen. Das war mir nicht genug, denn er verdient einen bessern, edlern Namen. Da fiel mir der Rapphengst ein, welchen, wie du mir erzähltest, dir dein Freund und Bruder Winnetou, der rote Krieger, geschenkt hat. Sag, wie war der Name dieses Pferdes?«

»Hatahtitlah.«

»Bedeutet das nicht so viel wie Barkh in meiner Sprache?«

»Ja.«

»Das wußte ich noch; du hast es mir gesagt, und darum habe ich das Nedjedpferd El Barkh genannt, weil dir der Hengst deines roten Freundes stets so teuer gewesen ist. Komm, und sieh dir seinen Namensbruder an!«

Er führte mich ein ziemlich großes Stück in die Steppe hinein, bis dahin, wo die Kamelhirten ihre Tiere beaufsichtigten. Es befand sich nur ein einziges Pferd dort, der Nedjedi, den ich sehen sollte. Als er uns bemerkte, kam er auf uns zu und ließ sich von Halef liebkosen.

»Nun, Sihdi, wie gefällt er dir?« fragte dieser.

Der Rappe hatte eine kleine, schmale Blässe unter der Stirn, welche sehr breit war. Der schön gebogene, feine Hals trug einen kleinen Kopf mit spitzen, gradstehenden Ohren. Die Nase war sanft zugespitzt, das Auge hervorstehend und feurig, die Brust breit, der Widerrist scharf, der Rumpf kurz, das Bein sehnig und der Huf klein, rund und hart. Lobenswert war der schöne Schweifansatz, weniger aber das sehr lange und sehr dichte Mähnenhaar.

Ohne die Frage des Hadschi gleich zu beantworten, unterwarf ich das Pferd einer genauen Prüfung, mit der Besichtigung und Palpation der Augen beginnend und mit der Untersuchung der Hufe aufhörend. Dann mußte Halef es mir in allen Gangarten vorreiten. Als dies geschehen war und er abstieg, wiederholte er seine Frage:

»Nun, wie gefällt er dir? Hast du Fehler gefunden?«

»Sag vorher, ob auch du ihn schon auf Fehler untersucht hast!«

»Ja.«

»Und gefunden?«

»Keine. Er ist fehlerfrei.«

»Lieber Halef, glaubst du, daß es überhaupt ein fehlerfreies Pferd geben kann?«

»Das verstehst du besser als ich.«

»Eigentlich solltest du als Bedawi es besser verstehen als ich, dessen Beruf es ist, möglichst viel Federn und Tinte zu verbrauchen.«

»Inaj’Allah! Sag aufrichtig- Hat dieser Hengst Fehler?«

»Ja.«

»Wenn das wahr ist, muß ich blind gewesen sein!«

»O nein! Es handelt sich nur um Kleinigkeiten, welche den Wert des Pferdes nicht vermindern, wenigstens in meinen Augen nicht. Zunächst sind die Hinterhufe ungleich groß; aber der Unterschied ist so unbedeutend, daß du ihn noch gar nicht bemerkt hast; sodann sollte das Vorderteil etwas tiefer sein, und endlich ist die Stirn zwar breit, aber zwischen den Augen zu flach; sie sollte da gewölbter sein.«

»Allah kerihm!« seufzte er. »Eine solche Menge Fehler sind vorhanden? Aber du giebst doch sicher zu, daß es dennoch ›hörr‹ zu nennen ist?«

Hörr bedeutet hochedel und wird bei solchen Pferden gebraucht, deren Eltern beide fehlerfrei waren.

»Nein, es ist nicht ›hörr‹, sondern nur ›mekueref‹, lieber Halef.«

Mekueref bezeichnet ein Pferd, dessen Mutter edel, der Vater aber unedel war.

»Beweise es!« forderte mich der Hadschi auf.

»Die Ohren stehen zu gerade; bei einem hochedlen Pferde müßten sich die Spitzen derselben fast berühren. Und sodann ist eine so dichte Mähne stets ein Zeichen gemischten Blutes. Ich kann dir dieses Urteil nicht ersparen, doch hast du gar keinen Grund, dich darüber zu betrüben. Assil Ben Rih ist edler als dieser Nedjedi; der Gebrauchswert beider aber ist jedenfalls ganz derselbe. Hat Barkh auch ein Geheimnis?«

»Ob sein erster Besitzer ihm eins gegeben hat, das kann ich natürlich nicht wissen; kein Mensch wird dem Diebe seines Pferdes das Geheimnis desselben nachsenden; aber ich habe dem Rappen ein heimliches Zeichen eingeübt. Ich bin selbstverständlich der einzige, der es kennt; selbst mein Sohn Kara Ben Halef und mein Weib Hanneh, der ich das Glück meines Daseins und das Dasein meines Glückes verdanke, wissen nichts davon; dir aber, Sihdi, will ich es sagen, denn ich bin überzeugt, daß du es nie verraten wirst. Wenn wir miteinander reiten, kann leicht der Fall eintreten, daß du zu unserer Rettung das Geheimnis wissen mußt. Es besteht nämlich darin, daß ich mich in den Bügel hebe und dreimal hintereinander sehr stark niese. Kannst du dir das merken, Sihdi?«

»Das ist doch leicht zu merken.« lachte ich. »Lieber Halef, du bleibst doch stets derselbe!«

»Warum? Wiefern? Wie meinst du das? Worüber lachst du so?«

»Darüber, daß du selbst dem ernstesten Dinge eine lustige Seite abzugewinnen weißt.«

»Ernst? Lustig?«

»Ja. Das Geheimnis eines Pferdes ist doch eine sehr ernste Sache, denn man wendet es nur dann an, wenn man sich in großer Gefahr oder gar in Todesnot befindet; dann strengt das Tier alle seine Kräfte an und fliegt in größter Schnelligkeit dahin, bis es zusammenbricht. Nun sehe ich dich jetzt im Geiste von Feinden umgeben oder von ihnen verfolgt; die Kugeln pfeifen; die Speere sausen; die Messer blinken und alle Hände strecken sich nach dir aus. Da fängst du an, zu niesen, und – – –«

»Schweig, Effendi!« unterbrach er mich. »Es ist ganz gleich, was man in einer solchen Gefahr zu seiner Rettung thut, wenn es nur Hilfe bringt. Wenn ich durch dreimaliges Niesen dem Tode entgehe, so ist das wohl besser für mich, als wenn ich durch zehnmaliges Husten das Leben verliere! Wie du darüber lachen kannst, das ist mir unbegreiflich!«

»So will ich mich jetzt des Ernstes befleißigen und dich fragen: Hast du dem Nedjedi eine Sure angewöhnt, die du ihm abends in das Ohr flüsterst?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Oh, Sihdi, verlange nicht zu viel von mir! Wer einen ganzen Beduinenstamm zu regieren hat, der findet keine Zeit, sich Wort für Wort eine ganze Sure des Kuran einzuprägen. Und als aufrichtiger Mann will ich dir sagen, daß in Beziehung auf das Auswendiglernen mein Kopf einem Topfe gleicht, der keinen Boden hat: Schütte noch so viel Wasser hinein, es läuft doch unten alles wieder hinaus. Das sind doch nur die Folgen davon, daß ich einen offenen Kopf besitze!«

»Wie schade! Mein Rih war gewöhnt, daß ich bei ihm schlief. Sein Hals war mein Kopfkissen, und ehe ich einschlief, sagte ich ihm seine Sure leise in das Ohr. Er war gewohnt, nur dem, der dieses that, zu gehorchen. Nun hat wohl auch Assil Ben Rih keine Sure?«

»Sihdi, wie kannst du fragen! Der Nachkomme deines herrlichen Rih mußte unbedingt eine haben. Kennst du die Sure Abu Laheb?«

»Ja. Es ist die Hundertundelfte.«

»Sage sie!«

»Sie lautet: Untergehen sollen die Hände des Abu Laheb; untergehen soll er selbst. Sein Vermögen und alles, was er sich erworben hat, soll ihm nichts helfen. Zum Verbrennen wird er in das flammende Feuer kommen und mit ihm sein Weib, welche Holz herbeischleppen muß, und an ihrem Halse soll ein Seil hängen, welches aus den Fasern eines Palmbaumes geflochten ist!«

»Ja, das ist die Sure Abu Laheb, welche du deinem Pferde des Abends in das Ohr zu flüstern hast.«

»Warum grad diese?«

»Weil sie so kurz ist. Ich habe sie auswendig lernen müssen, um sie dem Rappen vorzusagen. Eine längere wäre wieder unten aus dem Topfe herausgelaufen. Dein Kopf ist nicht so fein und offen wie der meinige; darum bleibt bei dir alles stecken. Doch tröste dich, Sihdi; es kann nicht jedermann die Vorzüge besitzen, mit denen Allah mich ausgerüstet hat! Du wirst von heut an bei Assil Ben Rih schlafen, wie du bei seinem Vater geschlafen hast. Soll ich dir auch noch sein Geheimnis des Herunterwerfens sagen?«

»Hat er eins? Das wäre mir sehr willkommen!«

»Assil und Barkh, beide haben eins. Ich habe es ihnen so heimlich andressiert, daß außer mir kein Mensch davon etwas weiß.«

»So teil‘ es mir mit!«

»Es ist für beide Pferde gleich, weil die Dressur dadurch vereinfacht wurde. Wenn du zweimal das Wort ›Litaht‹ rufst und dazwischen einen scharfen Pfiff hören lässest, wird sofort jeder Reiter abgeworfen, dem du nicht erlauben willst, im Sattel sitzen zu bleiben. Merke dir das, Sihdi, denn es ist leicht möglich, daß du dadurch einmal Vorteile über einen Feind gewinnst!«

Es verstand sich ganz von selbst, daß ich diese Vorteile für sehr wahrscheinlich hielt, denn nicht bloß Rih, sondern auch die beiden Hengste Winnetous waren dressiert gewesen, jeden fremden Reiter auf ein bestimmtes Zeichen abzuwerfen, und ich hatte den Nutzen dieser Abrichtung wiederholt erlebt. Während der Tage bis zu unserer Abreise ritt ich Assil so fleißig, daß er sich an mich gewöhnte und mich lieb gewann. Ich war überzeugt, mich auf ihn ebenso wie früher auf Rih verlassen zu dürfen.

Unser Weg sollte über Bagdad gehen, und wir beschlossen, ihn, um die Pferde nicht gleich im Anfange anzustrengen, bis zu dieser Stadt nicht auf dem Lande, sondern auf dem Wasser, nämlich dem Tigris, zurückzulegen. Es mußte, um uns und die Pferde tragen zu können, ein ziemlich großes Kellek zusammengesetzt werden, eines jener Flöße aus aufgeblasenen Ziegenfellen, welche auf dem erwähnten Flusse gebräuchlich sind. Man wollte uns einreden, daß wir zum Lenken des Kellek und zum Schutze gegen die etwa am Flusse sich aufhaltenden feindlichen Beduinen eine Anzahl Haddedihn mitzunehmen hätten, ich ließ mich aber nicht dazu bereden. Die betreffende Strecke des Tigris war uns von früherher bekannt; je mehr Leute wir mitnahmen, um so größer mußte das Floß sein, und da ein kleines Fahrzeug weniger Aufmerksamkeit erregt als ein großes, waren wir beide jedenfalls allein sicherer als unter dem fraglichen Schutze von Leuten, deren Anwesenheit nur den Erfolg haben konnte, die Gefahren, denen wir entgehen wollten, erst recht herbeizuführen.

Daß wir nach unserer Ankunft in Bagdad die Ruinen von Babylon besuchen wollten, habe ich bereits erwähnt. Es sollte das eine ernste Gedenkfeier sein, eine Wallfahrt nach dem Orte, an welchem wir schon mit beiden Füßen im Grabe gestanden hatten und nur wie durch ein Wunder dem Tode entgangen waren.

Am Abende vor unserm Aufbruche hatten wir sehr lange in der Dschemma, dem Rate der Alten, beisammengesessen, um für die Dauer von Halefs Abwesenheit eine Vertretung für ihn zu wählen. Es war weit nach Mitternacht, als ich nach meinem Zelte ging, um mich niederzulegen. Ich stand dann eben im Begriff, die Sesamöllampe auszulöschen, als der Thürvorhang zurückgeschlagen wurde, und der Hadschi seinen Kopf hereinsteckte, um mich zu fragen:

»Sihdi, schläfst du schon?«

»Nein, wie du siehst, lieber Halef.«

»Darf ich herein?«

»Natürlich, ja!«

Da trat er vollends in das Zelt, kam ganz nahe zu mir heran, machte ein höchst geheimnisvolles Gesicht und sagte mit leiser Stimme:

»Oh Sihdi, ich habe dir etwas zu sagen, worüber du vor Erstaunen den Kopf bis übermorgen schütteln wirst!«

»Ich werde dieses Schütteln wahrscheinlich in viel kürzerer Zeit besorgen. Was ist es, was du mir zu sagen hast?«

»Ich bringe es kaum über meine Lippen, denn es ist etwas so außerordentlich Ungewöhnliches, daß du mich höchst wahrscheinlich, sobald du es vernommen hast, sofort hinauswerfen wirst!«

»Das denke nicht! Meinen Halef werfe ich nicht hinaus!«

»Aber es geht gegen den Kuran, gegen alle Auslegungen des Kuran, oh – – oh, es geht überhaupt gegen alle Gewohnheiten und Sitten, gegen alle Regeln und Gesetze! Ich war erschrocken, als ich es hörte; ich war ganz starr! Aber sag selbst, durfte ich es meiner Hanneh abschlagen, welche die Seele meines Lebens und das Leben meiner Seele ist!«

»Nein, du durftest es ihr nicht abschlagen,« antwortete ich, höchst gespannt auf den Grund seiner ungewöhnlichen Verlegenheit.

»Ich danke dir, Sihdi! Deine Worte geben mir den Mut, dir zu sagen, daß sie den Wunsch hat, jetzt noch mit dir zu sprechen.«

»Wer? Hanneh?«

»Ja, Hanneh, der Abglanz aller Lieblichkeit von tausend Frauenangesichtern.«

»Und das bringt dich so in Verwirrung? Ich habe während dieser Woche so oft mit ihr gesprochen, ohne daß deine Seele dabei das Gleichgewicht verlor. Bei den Beduinen ist die Frau nicht eine solche Sklavin wie in den Harems der Städtebewohner.«

»Das ist richtig; aber du kennst noch gar nicht die ganze Fülle ihres Wunsches, welche den Umfang und den Inhalt deines Geistes tief erschüttern wird. Du hast nämlich bisher nur am Tage und in Gegenwart anderer mit ihr gesprochen; jetzt aber will sie dich allein haben – – ohne mich – – fast zwei Stunden nach Mitternacht – – –!!!«

Er brachte, als ob es sich um mein oder sein Todesurteil handle, die Worte nur stoßweise und in einem Tone heraus, der gar nicht trübseliger klingen konnte.

»Maschallah!« wunderte ich mich nun allerdings. »Sie will mich allein sprechen? Du sollst nicht dabei sein?«

»Ach – – ja – – allein, Sihdi!«

»Und du hast es ihr erlaubt?«

»Gewiß! Warum sollte ich es ihr nicht erlauben? Mir ist es nicht um sie, sondern nur um dich!«

»Warum um mich?«

»Du wirst dich schwer beleidigt fühlen, daß ein Weib es wagt, eine solche Unterredung mit dir zu verlangen. Aber ich bitte dich, Sihdi, nimm einmal mir zuliebe alle deine Milde und Güte zusammen, und sei überzeugt, daß es meiner Hanneh nicht einfällt, eines deiner Gefühle oder einen deiner Gedanken zu erobern, welche du für deinen einstigen Harem aufzubewahren hast. ich schwöre es dir beim Propheten und seinem Barte zu, daß du getrost und furchtlos zu ihr gehen kannst. Du bist ein Held, ein kühner Mann, und hast dein Leben oft gewagt; willst du jetzt weniger mutig sein?«

Ich mußte mir die größte Mühe geben, ernst zu bleiben. Der liebe Hadschi stellte die allerdings sehr ungewöhnliche Angelegenheit geradezu auf den Kopf, indem er mir Mut machen wollte zu einer Unterredung unter vier Augen mit Hanneh, der heimlichen Beherrscherin der Haddedihn.

»Gieb dir keine unnötige Mühe,« antwortete ich. »Ich bin auch ohne sie bereit, deinen und Hannehs Wunsch zu erfüllen.«

»Wirklich? Hamdulillah! Du wirfst mich nicht hinaus?«

»Nein. Wo ist Hanneh? In ihrem Zelte?«

»Nein. Man könnte dich auf dem Wege nach demselben bemerken oder gar dort eintreten sehen, und das darf nicht sein. Hanneh, die Morgenröte am täglichen Osten meiner Behaglichkeit, hat das Duar nach rechts hin verlassen, und du sollst nach links gehen. Ihr wendet euch draußen vor dem Lager einander zu und werdet bald zusammentreffen, ohne daß einer der Wächter euch bemerkt. ich werde dafür sorgen, daß sie nicht dorthin kommen, wo ihr euch befindet.«

War das nicht mehr als seltsam? Hier, im tiefsten Oriente, bat mich ein Moslem um eine heimliche Unterredung mit seiner Frau und versprach sogar, uns vor Störungen zu bewahren!

Ich blies, ohne weiter ein Wort zu sagen, die Lampe aus, verließ mit Halef das Zelt und ging dann allein weiter, nach links, zwischen den Zelten hinab, bis ich das Lager hinter mir hatte. Dann wendete ich mich nach rechts. Es war zur Zeit des Neumondes, doch leuchteten die Sterne fast so hell wie Mondenschein. Es dauerte nicht lange, so sah ich Hanneh auf mich zukommen. Es befand sich kein Mensch hier, der uns beobachtete. Als wir zusammentrafen und bei einander stehen blieben, blickte sie mich aus der Umhüllung heraus mit großen, ernsten Augen an, reichte mir ihre Hand und sagte:

»Ich wußte, daß du kommen würdest, Effendi, und ich danke dir!«

Ich berührte ihre Hand mit leisem Drucke und antwortete:

»Dein Wunsch macht mich dir unterthan; ich bin ihm gern gefolgt.«

»Du bist ein Christ und achtest auch das Weib. Ich würde lieber tot als jetzt und hier mit einem Moslem sein, welcher nicht Hadschi Halef heißt. Unter deinem Schutze bin ich sicherer als an dem Mimbar einer Moschee. Ahnst du, worüber ich mit dir zu sprechen wünsche?«

»Ich vermute es.«

»Und warum Halef nicht dabei sein soll?«

»Auch das errate ich.«

»Das wußte ich, und darum wagte ich, zu thun, was sonst kein Weib je unternehmen darf. Ich stehe hier vor Allah und vor dir. Allah sieht und hört mich, doch es fehlt mir seine Stimme; antworte du an seiner Stelle! Es wogt ein weites, tiefes Meer in meiner Seele; seine Wellen sind Gedanken, welche bald mich töten, bald mich an das feste Ufer tragen wollen. Es giebt in meinem Herzen einen Himmel, von welchem tausend Sterne strahlen und den bald wieder finstre Wolken decken; die Sterne wollen mir zu Allah leuchten; die Wolken sind die Zweifel, welche mich den rechten Weg nicht finden lassen. In meinem Innern lebt eine Stimme heißer Angst, die nie zur Ruhe kommt; ich höre sie bei Tag und Nacht, im Wachen und im Traume. Sie schreit nach der Erlösung von dem fürchterlichen Gedanken, daß das Weib nur Fleisch vom Fleische, Staub vom Staube, eine wandelnde Gestalt ohne Geist und ohne Seele sei.«

Sie holte tief Atem, faltete die Hände und fuhr fort:

»O Allah, sei mir gnädig; laß mich wissen, daß in dieser wandelnden Figur auch etwas lebt, was ein Recht auf deine Liebe und auf deine Gnade hat! Warum darf der Mann allein durch Ewigkeiten leben? Was hat das Weib gethan, daß sie der Tod so ganz vernichten darf? Das hab ich oft, so oft gefragt und doch kein tröstend Wort darauf gehört. Antworte du, Effendi, sag die Wahrheit! Nicht ich allein frag dich; im Namen aller Frauen, deren Geist der Islam stiehlt, will ich wissen, ob wir wirklich keine, keine Seelen haben!«

Ich war mehr als überrascht, denn ich hatte zwar Fragen dieser Art, aber keine solche seelische Eruption erwartet. Ich glich einem Menschen, vor welchem plötzlich und ganz unerwartet in ebener Gegend von unterirdischen Gewalten ein Geiser emporgetrieben wird. Was mußte diese Frau im tiefsten Innern durchgefühlt und durchgebangt, durchgehofft und durchgefürchtet haben, daß die Schreie, von denen sie sprach, aus dieser Tiefe nun auch zu meinen Ohren drangen! Ich wollte anders, ganz anders antworten, aber es floß mir die Frage über die Zunge:

»Warum wendest du dich an mich, an keinen andern?«

»Weil du ein Christ und nicht ein Moslem bist.«

»So brauche ich eigentlich gar nichts zu sagen, denn du hast dir die Antwort selbst gegeben. Du fragst den Christ, weil du meinst, daß nicht der Islam, sondern das Christentum die Wahrheit lehre. Damit hast du euern Muhammed verworfen und dich zu Isa Ben Marryam gewendet.«

»Hab ich das? Hab ich das wirklich, Sihdi?«

»Ja.«

»So sage mir: Hat die Christin eine Seele?«

»Nicht nur die Christin, sondern auch die Muhammedanerin, die Jüdin, die Heidin, jedes Weib hat eine Seele.«

»Also ich auch?«

»Ja, natürlich, ja!«

»Hamdulillah! Sprich weiter!«

»Unser heiliges Buch sagt: Gott schuf den Menschen zu seinem Ebenbilde, und er schuf sie, einen Mann und ein Weib. Gott ist allmächtig, allwissend, allweise; er ist auch gnädig, barmherzig und von ewiger Güte. Der Mann soll ein Bild der göttlichen Allmacht, das Weib ein Bild der göttlichen Güte und Liebe sein. Sind beide das, dann sind sie Mensch im wahren Sinne, sonst nicht! Kann ein Wesen, welches ein Ebenbild der göttlichen Liebe ist, ohne Seele sein?«

»Nein, denn grad die Liebe erfordert mehr Seele als alles andere auf der Erde.«

»Hat also das Weib eine Seele oder nicht?«

Sie blickte mir eine Zeit lang stumm in das Gesicht, dann sank sie langsam auf die Kniee nieder, schlug die Hände zusammen, holte lange, tief und laut Atem und sagte dann im innigsten Tone:

»Sie hat eine! Oh Allah, ich habe eine Seele, eine Seele! Und davon hat dieser Effendi mich durch so wenige Worte überzeugt. Ich habe gezweifelt und gekämpft so viele Jahre hindurch, und nun kommt dieses Glück so plötzlich und so strahlend über mich! Ich bin kein hohles Gefäß, welches keinen Inhalt hat. Ich wurde nicht bloß für den Mann geboren, um dann wieder nichts zu sein. Ich habe eine Seele, welche lebt, solange es einen Gott und einen Himmel giebt! Nicht wahr, so ist es, Sihdi?«

Sie weinte vor Wonne, indem sie diese Frage an mich richtete.

»Ja, so ist es,« antwortete ich. »Wie Maria, die seligste der Frauen, im Himmel thront, so steht auch dir und allen Frauen, welche ihr nachfolgen, das Thor zu allen Seligkeiten offen. So lehrt das Christentum. Es lehrt auch, daß Christus auf die Welt gekommen ist, damit alle, die an ihn glauben, alle, Mann und Weib, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben. Also sollst auch du nicht verloren sein, sondern du bist für das ewige Leben bestimmt.«

Da stand sie wieder auf, hob wie zum Schwure die Hand empor und sagte:

»Effendi, ich glaubte, daß auch ich eine Seele habe; heut hab‘ ich sie endlich und wirklich gefunden und werde sie mir nicht wieder nehmen lassen. Wenn der Islam sie mir rauben will, so werfe ich ihn von mir und gehe zu Isa Ben Marryam, bei dem sie sicher vor Gefahren ist. Glaubst du, daß ich das thun werde?«

»Ich glaube es, denn du befindest dich bereits bei ihm.«

»Ja, ich verehre ihn, denn er hat, wie du oft schon sagtest, den Menschen die Liebe vom Himmel gebracht. Die Wogen in mir sind ruhig geworden, und es giebt keine Wolken mehr. Es ist klar und hell in meinem Innern. Wie danke ich Allah, daß er mir den Gedanken eingegeben hat, noch heut mit dir zu sprechen! Ich mußte mit dir allein sein, denn in Gegenwart anderer konnte ich nicht sagen, was ich sagen wollte. Nun habe ich nur noch einen Wunsch an dich.«

»Welchen? Sag es mir!«

Sie zögerte ein wenig; dann aber folgte sie doch meiner Aufforderung:

»Halef, der Mann meines Herzens, wollte auch nicht glauben, daß wir Frauen Seelen haben. Kannst du wohl erraten, warum?«

»Ja.«

»Nun, warum?«

»Es scheint mir, daß er sich zuweilen ein wenig vor der deinigen gefürchtet hat.«

»Maschallah! Du hast es getroffen! Er ist der beste Mann, soweit die Erde reicht; er ist sehr klug und auch sehr tapfer, aber er bedarf zuweilen eines guten Rates und eines Kopfes, der ihn zwingt, diesen Rat zu befolgen. Gerade dadurch, daß ich seine Beraterin und Helferin wurde, begann ich zu ahnen, daß wir Frauen auch nicht ohne Geist und Seele sind, denn wenn die Frau den Geist des Mannes zu lenken und zu beherrschen vermag, so kann sie doch nicht bloß ein Körper ohne Inhalt sein. Nun bitte ich dich, ihm mit Vorsicht und Sanftmut beizubringen, daß ich meine Seele gefunden habe und daß er sich aber ja nicht vor ihr fürchten soll. So oft er versuchte, sie mir abzusprechen, mußte ich sie gegen ihn verteidigen, und da hat er sie wohl nicht in ihrer großen Freundlichkeit und Güte kennen gelernt. Er liebte mich, aber meine Seele nicht. Jetzt nun, da ich sie in Wirklichkeit und mit voller Ueberzeugung besitze, kann sie nicht mehr Gegenstand des Zweifels und des Streites sein; sie wird ihm also stets ihr lieblichstes Angesicht zeigen, denn ich wünsche, daß er sie recht lieb gewinnt. Willst du ihm das sagen?«

»Oh, sehr gern, Hanneh, du liebe Tochter der Ateïbeh!«

»Und sprich nicht viel von Muhammed mit ihm! Denn nur dieser falsche Prophet ist schuld an dem Glauben meines Halef, daß nur die Männer Seelen haben. Sprich lieber mit ihm von Isa Ben Marryam und vom heiligen Buche der Christen! Das wird sein Gedächtnis und seine Liebe stärken und ihn nicht in Gedanken fallen lassen, welche das Weib seines Herzens nur betrüben können. Willst du auch das thun?«

»Ich verspreche es dir, du allerklügste und überlegenste aller Frauen.«

»Und ferner weißt du doch, daß er zuweilen verwegener ist, als ihm die Vorsicht, es zu sein, erlaubt. Dulde das nicht; dulde es ja nicht! Beweise es ihm! Zanke ihn aus! Ich bitte dich darum. Das Weib eines furchtlosen Mannes ist stolz auf ihn; aber wenn der Mut sich in Tollkühnheit verwandelt, kann dem Stolze leicht die Trauer folgen. Ich will sein Weib, aber ja nicht seine Witwe sein! Du bist doch überzeugt, Sihdi, daß du ihn mir wiederbringst?«

»So viel an mir liegt, soll er keine Ursache finden, sein Leben unnötig auf das Spiel zu setzen.«

»Ich danke dir! Mein Dank gehört dir auch dafür, daß du ihm seine Bitte, Kara Ben Halef, meinen Sohn, mitzunehmen, abgeschlagen hast. Mein Herz wäre vor Sehnsucht nach dem Liebling krank geworden. Halef meinte, weil euch der Knabe damals gegen die Bebbeh-Kurden begleiten durfte und jetzt gar einen Löwen geschossen hat, würdest du ihm auch jetzt erlauben, mitzureiten.«

»Jener Ritt war ein ganz anderer, ein viel kürzerer, als derjenige, den wir jetzt vorhaben. Es giebt da höchst wahrscheinlich Anstrengungen und Entbehrungen, denen der jugendliche Körper deines Sohnes nicht gewachsen ist. Seine Begleitung würde uns wohl mehr hinderlich als förderlich sein. Meine Weigerung hatte also nur einen Klugheitsgrund; du bist mir keinen Dank schuldig.«

»Oh, Effendi, du willst überhaupt nie, daß man dir danke. Was seid ihr Christen doch für ganz andere Menschen als die Moslemin! Sag, sind auch die Frauen bei euch besser als bei uns?«

»Hm! Es giebt überall gute und nicht gute Menschen.«

»Auch Frauen?«

»Ja.«

»So werde ich darnach trachten, von dir zu den Guten gezählt zu werden. Jetzt muß ich fort, denn Halef, der Gebieter meines Herzens, könnte ungeduldig werden. Ich sage dir nochmals Dank. Du hast mir ein ganz neues, schöneres Leben gegeben; das werde ich niemals vergessen. Leïltak sa’ide – Gute Nacht!«

»Allah behüte und bewahre dich! – Leïltak mubarake –Gute Nacht!«

Sie ging. Ich sah ihr nach, bis sie hinter den Zelten verschwand, und kann sagen, daß es mir jetzt leid that, daß ich gekommen war, ihr ihren Halef für so lange Zeit zu entführen. Welche Tiefe des Gefühles und zugleich welch kindliches Empfinden! Wie schwer hatte das verneinende Urteil des Islam auf ihr gelegen, und wie hatte sie gerungen, diese Last abzuwerfen! Wie fern lag ihr die Indolenz jener unzähligen Orientalinnen, welche den ganzen Zweck und Inhalt ihres Lebens nur darin suchen, in der geistigen Oede des Harems körperlich möglichst rund und schwer zu werden! Und was für ein kluges und energisches Frauchen war diese kleine Hanneh geworden! Ich glaube, es könnte manchem sehr intelligenten Europäer nichts schaden, wenn die Herrin seines Salons eine solche Hanneh wäre.

So oder ähnlich waren meine Betrachtungen, als ich langsamen Schrittes in das Duar zurückkehrte. Was ich erwartete, das traf ein: Halef stand bei meinem Zelte. Er zog mich beim Arme an sich und sagte leise und wichtig:

»Sihdi, die liebliche Stütze meiner Lebenstage ist zurückgekehrt. Ihre Augen leuchteten und ihre Stimme klang wie der Gesang des Bulbul, als sie mich »ihren guten, lieben« Halef nannte. Dieser süße Ton hat mein Herz mit Wonne erfüllt, denn ich will dir aufrichtig sagen, daß es hier im Duar auch noch andere Töne giebt; in welchem Zelt, das brauchst du nicht zu wissen. Ich glaube, du hast mit ihr von mir gesprochen. Habe ich recht?«

»Ja, du wurdest auch einmal erwähnt.«

»Nur ein einziges Mal?«

»Lieber Halef, sei damit zufrieden, daß du überhaupt genannt worden bist!«

»Aber, Effendi, wenn ihr nicht von mir gesprochen habt, von wem denn sonst?«

»Bist du der einzige Mensch, von dem man reden kann?«

»Nein, doch möchte ich nicht, daß meine Hanneh, welche die Summe von allen weiblichen Vorzügen ist, von andern Männern spricht! Ich möchte wirklich sehr gern wissen, wovon ihr euch unterhalten habt.«

»Frage sie!«

»Das habe ich gethan.«

»Was antwortete sie?«

»Ich würde es später von dir erfahren.«

»Später? Gut! Ich werde dir es später sagen.«

»Warum nicht jetzt?«

»Du selbst hast mich versichert, daß Hanneh immer recht habe; also müssen wir uns auch dieses Mal nach ihrem Willen richten. Ich will dir nur mitteilen, daß du stolz, sehr stolz auf die liebliche Herrin deines Frauenzeltes sein kannst. Jetzt wollen wir schlafen, denn das Morgenrot soll uns schon wieder wecken.«

»Oh, Effendi, warum bist du so schweigsam! Du weißt gar nicht, was für ein Ungeheuer die Neugierde ist! Ihre größte Freude und Wonne besteht darin, alle ihre Freunde und Bekannten so zu peinigen, daß sie des Tages keinen Appetit zum Essen und des Nachts dann weder Schlaf noch Ruhe finden. Muß ich wirklich warten, bis es dir beliebt?«

»Ja.«

»So schließ du deine Augen, und schlafe wohl; ich aber werde die Wohlthat des Schlummers nicht genießen und mich auf dem Lager krümmen wie ein Regenwurm, den der Schnabel eines Vogels ergriffen hat. Gute Nacht, lieber Sihdi!«

»Gute Nacht, lieber Halef!«

Er entfernte sich, und ich ging in das Zelt, um mich niederzulegen.

Der Tag war erst vor kurzem angebrochen, als ich durch den im Lager herrschenden Lärm aufgeweckt wurde. Man wollte uns bis an den Fluß begleiten, wozu die Vorbereitungen schon jetzt getroffen wurden. Da diese Begleitung eine möglichst festliche sein sollte, so befanden sich alle Bewohner des Lagers in einer so lauten Aufregung, daß ich unmöglich wieder einschlafen konnte. Ich stand also auf, obgleich bis zu unserem Aufbruche noch volle drei Stunden zu vergehen hatten.

Daß unsere Abreise schon am Vormittage vor sich gehen sollte, war eine Seltenheit, eine Ausnahme, in welche die Haddedihn nur meinetwegen willigten. Bei den Muhammedanern des Orientes ist die Zeit des Aufbruches stets kurz nach dem Gebete des Asr, also ungefähr drei Uhr nachmittags. Es fällt da niemandem ein, in Betracht zu ziehen, daß diese Gewohnheit so unpraktisch wie nur möglich ist. Es vergeht nach dem Asr stets noch eine längere Zeit, ehe die Reise wirklich angetreten wird. Man hat noch Abschied zu nehmen, noch hunderterlei zu sagen und zu thun; man wird eine Strecke weit begleitet, hat sich dann abermals zu verabschieden und ist, wenn es hierauf dunkel wird, nur soweit fortgekommen, daß es besser gewesen wäre, wenn man noch bis früh gewartet hätte. Wenn man dann Lager macht, liegen Aufbruchs- und Lagerort so nahe bei einander, daß zwischen beiden noch bis spät in die Nacht hinein hin und her verkehrt wird; man erwacht infolgedessen am nächsten Morgen spät und ist am Mittag nicht soweit gekommen, wie man sein würde, wenn man die Reise nicht schon gestern, sondern erst heute früh angetreten hätte. Ich habe mich diesem durch die Tradition und die Kuranauslegung geheiligten Gebrauche nie gefügt und bin darum sehr oft mit meinen Reisegefährten in Konflikt geraten. Auch Halef war in dieser Beziehung früher niemals mit mir einverstanden gewesen; jetzt aber hatte er nichts mehr dagegen einzuwenden. Und was seine Haddedihn betrifft, so stand ich bei ihnen in einem solchen Ansehen, daß mir keiner von ihnen zu widersprechen wagte. Sie beruhigten ihr muhammedanisches Gewissen jedenfalls mit dem Gedanken, daß ich als Christ an ihre Gewohnheiten nicht gebunden sei und also auch ihrem Scheik, als meinem Begleiter, der Fehler von Allah wohl nicht angerechnet werde.

Da die Frauen und Kinder im Lager bleiben mußten, war Hanneh die erste, von welcher ich Abschied nahm. Sie hatte Thränen in den Augen und sagte:

»Sihdi, ich weiß, daß du dich vor keiner Gefahr und vor keinem Menschen fürchtest; aber ebenso weiß ich auch, daß du der vorsichtigste aller tapfern Krieger bist. Halef dagegen, der beste Gatte, den die Erde trägt, besitzt eine oft unbesonnene Verwegenheit, und darum ist es möglich, daß doch einmal eine Gefahr über euch zusammenschlägt und euch dem Tode in die Arme wirft. Versprich mir also, doppelt vorsichtig zu sein, wenn Halef sich von seiner Kühnheit einmal fortreißen lassen will!«

»Ich verspreche es dir,« antwortete ich. »Soweit ich voraussehen kann, brauchst du dich nicht um ihn zu ängstigen. Wir werden gesund und munter wiederkehren. Allah jihfadak –Gott bewahre dich.«

»Zahranah en Nebi – deine Rückkehr wird uns wie ein Besuch des Propheten sein. Allah jeftah ‚alehk – Gott öffne dir die Herzen der Menschen!«

Nun sagte ich Kara Ben Halef und Omar Ben Sadek Ade; dann verabschiedete ich mich von den Kranken und ganz Alten, die uns das Geleite nicht geben konnten, worauf ich von einer Menge von Frauen und Kindern überfallen wurde, welche alle ihre Hände ausstreckten, um mir die meinigen zu drücken. Halef erging es ebenso. Jede dieser Personen wollte ein freundliches Wort von uns haben; wir wurden nach orientalischer Art mit Wünschen, Ermahnungen und Warnungen, welche gar nicht am Platze waren, förmlich überschüttet, und bei der überlebhaften Weise dieser Leute gab das einen Lärm, daß ein ruhiger, deutscher Bürger, wenn er ihn von weitem gehört hätte, jedenfalls auf den Gedanken gekommen wäre, daß hier eine Revolution mit Mord und Totschlag ausgebrochen sei.

Dabei verging die Zeit wie im Fluge, und die drei Stunden schienen so schnell wie eine einzige vergangen zu sein, als endlich alle streit- und reitbaren Männer und Jünglinge sich zu Pferde draußen vor dem Duar versammelt hatten. Wir stiegen auch auf, setzten uns an ihre Spitze, und dann ging es wie ein Wirbelwind dem Flusse zu.

»Wie ein Wirbelwind«; das ist der richtige Ausdruck; denn man denke ja nicht, daß es bei diesem Ritte eine gerade Richtung, bei diesem Zuge eine Ordnung gegeben habe! Die Menge der Reiter glich vielmehr einem großen Mückenschwarme, welcher vom Winde bald dahin und bald dorthin getrieben wird. Jeder einzelne wollte seine Reitkunst zeigen und den andern übertreffen. Das gab Verwickelungen und Zusammenstöße, welche sich von Nachbar zu Nachbar übertrugen und einen scheinbaren Wirrwarr hervorbrachten, der aber grad beabsichtigt war und von Zeit zu Zeit eine so schöne und überraschende Auflösung fand, daß selbst ein Nichtkenner darüber in Entzücken geraten wäre. Dabei wurde geschossen und geschrieen, so laut das Pulver knallen und die Stimme schallen wollte. Der Schwarm stob bald auseinander, flog wieder zusammen, ging bald nach rechts oder links, bald gerade aus, dann wieder nach der Seite, bildete jetzt eine Linie, nun einen Kreis, nachher ein Vier- oder ein Vieleck und hierauf abermals ein wirres Durcheinander. Die Fantasia glich einer Komposition mit einer Menge verschiedener Terzquintsextakkorde, von denen jeder einzelne acht verschiedene Auflösungsarten, vier nach Dur und vier nach Moll besitzt, und so schreiend und disharmonierend jetzt, in diesem Augenblicke, die Klänge waren, im nächsten fanden sie sich zu einer Harmonie zusammen, von deren Möglichkeit man einen Moment vorher keine Ahnung gehabt hatte. Daß die Pferde dabei so häufig in die Häksen gerissen wurden, daß sie unbedingt darunter leiden mußten, versteht sich ganz von selbst, und das ist es, was ich gegen diese Fantasias und gegen diese Al’ab el Barud habe: Die besten Pferde gehen dabei zu Grunde, indem nicht nur die Sprunggelenke, sondern auch andere Teile zu sehr angegriffen werden.

Die Folge dieser Reiterkünste war, daß wir dreimal mehr Zeit, als nötig war, brauchten, um den Fluß zu erreichen; dem Beduinen ist aber, wie überhaupt dem Orientalen, das amerikanische »time is money« vollständig unbekannt. Am Ufer erwarteten uns einige Haddedihn, welche mit unserm Proviante und den Ziegenhäuten vorausgeritten waren und das Floß zusammengesetzt hatten. Ich untersuchte dasselbe und fand es fehlerlos, so daß wir uns ihm mit unsern Pferden getrost anvertrauen konnten. Nun ging das Abschiednehmen von neuem los. ich mußte mich in das Unvermeidliche fügen und mich ziehen, schieben, drücken und schütteln lassen, daß mir um meine gesunden Gliedmaßen hätte angst und bange werden mögen, doch wie auf dieser Erde nichts ewig währt, so nahmen auch diese Liebeserweisungen ein Ende; wir hatten nur Kara Ben Halef noch einmal Ade zu sagen. Ich that dies in ruhiger, wenn auch herzlicher Weise. Auch sein Vater, mein kleiner Hadschi, gab sich alle Mühe, nicht sehen zu lassen, wie tief dieser Abschied ihn bewegte; aber seine Stimme zitterte, und seine Augen waren naß. Er strömte von Ermahnungen über, trug ihm tausend Grüße an Hanneh, die »sanfteste Mutter unter allen Müttern der Beduinensöhne«, auf, und dann konnten wir endlich das Floß besteigen und zu den Rudern greifen. Unsere Pferde waren natürlich schon vorher daselbst fest angebunden worden.

Als wir vom Ufer gestoßen waren und erst langsam, dann schneller der Strömung folgten, sprangen die Haddedihn wieder auf ihre Pferde und folgten uns unter Schüssen und weithin schallendem Geschrei noch eine ganze Strecke weit, bis eine hart an das Wasser tretende Hügelreihe uns ihren oder sie unsern Blicken entzog.

»Leb wohl, Hanneh, du hellstes Licht unter allen Leuchten des Männerglückes!« rief Halef, indem er die Hände nach rückwärts ausbreitete. »Leb wohl, Kara Ben Halef, du bester Sohn aller Väter zwischen den beiden Flüssen! Lebt wohl, ihr Haddedihn, ihr tapfersten Streiter unter allen Kriegern von der Wüste El Arab bis zu den Bergen des Kurdenlandes! Oh, Effendi, ich gehe gern, so gern mit dir, aber das Abschiednehmen gleicht zwei Brettern, zwischen denen man mir die Brust zusammenschraubt; es ist schwer auszuhalten!«

»Der Schmerz wird bald verschwinden, lieber Halef, denn du bist ein Mann!« tröstete ich ihn.

»Das ist sehr richtig, Sihdi; ich bin ein Mann, aber grad weil ich ein Mann bin, habe ich eine Frau und einen Sohn, und diese beiden sind ja eben die Bretter, welche mich drücken und mir Schmerzen machen. Ich wollte, unser Floß würde gleich jetzt von feindlichen Kriegern überfallen! Da hätten wir uns zu verteidigen, und meine Gedanken würden schnell zu mir zurückkehren müssen von denen, die ich verlassen habe. Oh, Effendi, hättest du dabei sein können, als heut früh nach dem Morgengebete Hanneh, welche dem köstlichsten aller Wohlgerüche des Morgen- und des Abendlandes gleicht, zu mir kam, um Abschied zu nehmen! Sie wollte das nicht vor den Augen anderer, sondern mit mir allein thun, was ich auch für ganz richtig hielt. Sie hat mir da alles gesagt, was sie mir zu sagen hatte!«

»Und du?«

»Und ich habe zu allem ja gesagt, denn du weißt, daß sie stets recht hat. Effendi, glaube mir, wenn du dabei gewesen wärest, so hättest du von mir gelernt, wie du dich später verhalten mußt, wenn du ein Weib besitzest, von dem du dich für längere Zeit zu trennen hast. Dein Herz aber ist in alle Länder der Erde verteilt und wird sich nie nach einer Mitbewohnerin deines Zeltes sehnen!«

Er hielt mich nämlich für einen eingefleischten Hagestolz. Ich sagte auch jetzt nichts gegen diese seine irrige Meinung, zumal der Fluß gerade jetzt einen scharfen Bogen machte, wobei die reißende Strömung unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

Während des weiteren Verlaufes der heutigen Fahrt bemerkte ich, daß Halef Heimweh hatte. Er war gegen seine sonstige Art sehr schweigsam und in sich gekehrt. Einmal, als er den Pferden Futter gab, übermannte ihn die Wehmut. Er schlang die Arme um Assils Hals und sagte:

»O Schwarzer, o Schwarzer! Du warst der Liebling meines Sohnes und hast ihn gern auf deinem Rücken getragen. Wäre er doch hier bei uns!«

Um ihn zu zerstreuen, machte ich ihn auf unsere früheren Erlebnisse aufmerksam, denn wir kamen durch Gegenden, welche damals für uns sehr wichtig geworden waren. Er ging zwar auf dieses Thema ein, aber nicht mit der Lebhaftigkeit, welche ihm sonst eigen war. Ich hätte es gern gesehen, wenn er durch irgend ein, wenn auch kleines Ereignis auf andere Gedanken gebracht worden wäre, aber es geschah nichts, gar nichts; wir bekamen während des ganzen Tages, außer in und bei Tekrit, keinen einzigen Menschen zu sehen und legten, als es dunkelte, das Floß nicht weit südwärts von Imam Dor an das Ufer fest. Es gab da eine Stelle, deren Beschaffenheit uns Sicherheit gegen Ueberfälle gewährte. Die Pferde hatten da Gras und Laub zum Fressen, und wir machten uns über die Raritäten her, welche Hanneh für uns eingepackt hatte. Wenn ich sage »wir«, so meine ich, daß Halef diese Speisen vorlegte und ich von ihnen aß; er hatte keinen Appetit. Als er bei dem Scheine des Feuers, welches wir angebrannt hatten, sah, wie gut es mir schmeckte, sagte er:

»Ein Mann, der eine Frau hat, ist doch ein ganz anderer Mann als einer, der kein Weib besitzt! Ich könnte keinen Bissen essen, selbst wenn ich den größten Hunger hätte!«

»Meinst du? Hättest du Hunger, so würdest du wohl essen!«

»Glaube das nicht, Sihdi! Wenn man sich nach denen sehnt, die man verlassen hat, macht einem selbst der Hunger keinen Appetit; das weiß ich ganz genau, denn ich fühle es. Und wenn dann – – –«

Er unterbrach sich mitten im Satze, machte ein Gesicht, als ob ihm etwas sehr Wichtiges eingefallen sei, und fuhr dann lebhaft fort:

»Sihdi, die Zeit ist gekommen; sie ist nun endlich da!«

»Welche Zeit?«

»Daß du mir sagst, was du mit Hanneh, der beispiellosen Blume aller Blumen, gesprochen hast.«

»Hm! Ich wollte eigentlich noch länger warten.«

»Noch länger? Welch ein Gedanke! Willst du meine Seele so in die Länge ziehen, daß sie einem abgewickelten Bindfaden gleicht, welcher von Mossul bis nach Basra und noch weiter reicht? Kannst du so grausam sein, meine Sehnsucht, die jetzt noch einer lieblich trillernden Gumbara gleicht, in ein Karkadahn zu verwandeln, welches mich mit seinen Füßen zermalmt? Ich bitte dich, nimm dein doch sonst so gutes Herz auf die Spitze deiner Zunge, und laß es sprechen die Worte, welche ich hören will!«

»Eigentlich ist es noch nicht Zeit zu dieser Mitteilung, aber da ich kein Unmensch bin, so hat dein Bindfaden mich gerührt und dein Nashorn meine Seele weich getreten. Also höre! Zunächst hat Hanneh mir gesagt, daß du der beste Mann seist, soweit die Erde reicht.«

Er sprang wie ein Gummiball in die Höhe und rief:

»Hat sie das gesagt? Wirklich, wirklich?«

»Ja.«

»Hamdulillah! Das labt meine Seele so, wie junges Gras den Leib eines Kameles erquickt! Soweit die Erde reicht, bin ich der beste Mann! Welch ein Wort! Welch eine Tiefe der Einsicht in alle meine vorzüglichen Beschaffenheiten! Ein so wahres und zutreffendes Urteil kann nur aus einem Munde kommen, welcher die oberste Oeffnung der tiefsten Einsicht ist! Sihdi, wer ein solches Wort ausspricht, der muß eine Seele haben!«

»Allerdings!«

»Du bist überzeugt, daß die Frauen Seelen haben?«

»Ja.«

»Also Hanneh auch?«

»Natürlich! Und das ist es, was ich dir weiter sagen soll. Sie läßt dich durch mich bitten, nicht länger an dem Vorhandensein ihrer Seele zu zweifeln.«

»O Effendi, wenn sie mich für den besten Mann der Erde hält, so habe ich ganz und gar nichts dagegen, daß sie sich in dem Besitze einer Seele befindet. Es ist zwar – – – hm, Effendi, nicht wahr, die Seele ist etwas Innerliches? Sie steckt im Körper?«

»Nach der bisherigen, irrigen Ansicht, ja.«

»So mag sie drin stecken bleiben! Es soll aber Seelen geben, die sich auch äußerlich sehen und hören lassen; das liebe ich nicht.«

»So? Giebt es wirklich solche?«

»Leider ja; ich weiß es ganz genau.«

»Hanneh scheint ganz dasselbe auch zu wissen, denn sie hat mir noch einen Auftrag gegeben.«

»Welchen?«

»Wenn du glaubst, daß sie eine Seele habe, so soll dieselbe stets im Innern stecken bleiben.«

»Das – – das – – das hat sie gesagt?«

»Ja.«

»Maschallah! Gott thut Wunder! Wie freue ich mich darüber, daß sie mir den Vorschlag machte, sie mit dir sprechen zu lassen! Weißt du, Sihdi – – aber das kannst du ja gar nicht wissen, weil du noch nicht der Besitzer eines Frauenzeltes bist, doch sage ich dir, wenn die Seele eines Weibes das Innere verläßt, so nimmt das Gesicht sehr ernste Züge an, und die Stimme wird gebieterisch. Und dann, eben dann hat sie allemal recht! Aber nun du mir diese liebe Botschaft bringst, bin ich überzeugt, daß ich nach meiner Rückkehr auch einmal allein recht haben werde und nicht immer sie und ich zusammen. Hat sie dir noch etwas aufgetragen?«

»Ja.«

»Sage es mir! Deine Worte sind für mich wie Sonnenstrahlen, welche selbst den Rücken eines Krokodils erwärmen. Ich bin bereit, alles zu hören.«

»Und auch alles zu befolgen?«

»Ja, wenigstens jetzt, in diesem Augenblicke.«

»Das genügt mir nicht. Das, was ich dir noch zu sagen habe, ist so vortrefflich für dich, daß du mir getrost dein Wort, es stets befolgen zu wollen, geben kannst.«

»Höre, Effendi, die Stimmung meines Herzens ist in diesem Augenblicke voller Wohlthaten für dich; ich will dir also hiermit das Versprechen geben, welches du von mir verlangst.«

»Gut; ich halte dich beim Worte. Hanneh will nämlich haben, daß du stets recht bedachtsam und vorsichtig handeln sollst.«

»Das thue ich doch immer! Nicht?«

»Nein.«

»Nein? Was ist das für ein Wort, welches ich da hören muß! War es nicht sehr klug und vorsichtig von mir, daß ich mich von dir zum Freund und Beschützer wählen ließ? Kann ich einen besseren Effendi haben als dich? Und war es nicht sehr weise und bedachtsam von mir, daß ich grad dasjenige Weib für mich aussuchte, welches die herrlichste Knospe am blühenden Baume der Frauen ist? Kann ich eine bessere Gattin haben als diese vorzüglichste aller Mütter, welche einen Sohn besitzen?«

»Nein. Und da du in diesen beiden Wahlen eine so große Bedachtsamkeit bewiesen hast, so hoffe ich, daß du auch bei andern Gelegenheiten dieselbe Vorsicht in Anwendung bringen wirst. Wenn nicht, so werde ich dich an das Wort erinnern, welches du mir heute gegeben hast. Du bist zuweilen etwas hitziger und schneller, als du sollst.«

»Ich? Sihdi, da kennst du mich schlecht! Ich komme mir im Gegenteile sehr oft viel zu kalt und langsam vor.«

»So denke an die zahlreichen Fälle, in denen ich dich zurechtweisen mußte!«

»Dazu hattest du gar keine Ursache. Soll ich einer Gefahr feig den Rücken kehren? Soll ich bei Beleidigungen etwa nicht in den Gürtel greifen und – – – o, da fällt mir ein: ich habe sie mit!«

»Sie? Wen oder was?«

»Die ich bei unsern früheren Reisen stets am Gürtel hängen hatte. Ich will sie dir zeigen.«

Ich wußte gar wohl, was er meinte, nämlich die Peitsche aus Nilpferdhaut, mit welcher er stets so schnell bei der Hand gewesen war, zuweilen zu meiner Freude, oft aber auch zu unserm Nachteile. Er wickelte seinen zusammengerollten Haik auf, zog die Peitsche heraus, schwang sie durch die Luft und fuhr fort.

»Ja, das ist sie, die Bringerin der Achtung, die Mutter des Gehorsams, die segensreiche Spenderin der Hiebe! Die konnte ich unmöglich liegen lassen; die mußte ich unbedingt mitnehmen. Es ist dieselbe, welche ich schon damals in und vor Aegypten hatte. Wenn weder Worte noch Winke helfen, so ist sie die Vermittlerin zwischen meinem Wohlwollen und dem Rücken der Uebelwollenden. Was keine Bitte und kein Befehl zu stande bringt, das wird von dem süßen Bewußtsein fertig gebracht, eine Haut zu besitzen, welche unter den Liebkosungen dieser Kurbadsch auseinanderplatzt.«

»Wickle sie wieder ein, Halef! Du wirst sie nur dann in Anwendung bringen, wenn ich dir den Befehl dazu erteile!«

»Sihdi, darüber sprechen wir wohl noch!«

»Nein! Hanneh ist auch ganz dieser meiner Meinung.«

»Ist sie? Hat sie, als du mit ihr sprachst, auch Meinungen gehabt? Schau, Sihdi, als die Frauen noch keine Seelen hatten, da – – –«

»Still! Sie haben stets welche gehabt!«

»Höre, das kannst du doch nicht wissen. Erst dann, wenn du auch eine liebliche Herrin deines Herzens haben wirst, erlaube ich dir – –«

»Lieber Halef, ich habe eine!« versicherte ich, ihm in die Rede fallend.

Er trat zwei Schritte zurück, bückte sich halb nieder, sah mir, der ich am Feuer saß, erstaunt in das Gesicht und fragte:

»Was – – was – – hast – – du?«

»Auch eine.«

»Eine Besitzerin deines Herzens?«

»Ja.«

»Welch ein Scherz!«

»Es ist kein Scherz.«

Da ließ er vor Verwunderung die Peitsche aus der Hand fallen und fragte:

»Kein Scherz? Hättest – – hättest du denn das Geschick, eine Lenkerin deines Lebens zu besitzen?«

»Warum denn nicht?«

»Sihdi, erlaube, daß ich mich wieder niedersetze! Dein so ganz unerwartetes Weib ist mir in die Kniee gefahren; ich fühle, daß sie zittern!«

Er setzte sich, betrachtete mich kopfschüttelnd vom Kopfe bis zu den Füßen, zog das allerernsteste seiner Gesichter, lachte dann aber hell auf, schlug die Hände zusammen und rief:

»Allah bewahre mich! Es ist doch nur Spaß!«

»Lieber Hadschi, es ist wirklich Ernst!« entgegnete ich ihm in versicherndem Tone, obgleich ich unter dieser »Besitzerin meines Herzens« und »Lenkerin meines Lebens« etwas ganz Anderes verstand als er.

»Du hast also wirklich, wirklich eine?« fragte er in höchst gespanntem Tone.

»Ja.«

»Die bei dir in deinem Zelte ist?«

»Ja.«

»Sihdi, laß mich Atem holen! Sag mir, ob ich vielleicht schlafe – – ob ich träume! Ich möchte weinen, bitterlich weinen!«

»Warum? Ich denke vielmehr, daß du dich freuen solltest!«

»Freuen?! Sag, hast du sie lieb?«

»Mein ganzes Herz ist ihr zugethan.«

»Aber, wie kannst du, wenn dein ganzes Herz diesem plötzlichen, unvermuteten Weibe gehört, dann noch mich lieb haben, deinen Halef, den besten und treuesten deiner Diener und Genossen!«

»Ich habe dich noch genau so lieb wie vorher.«

»Das ist unmöglich; das ist nicht wahr! Dein Herz ist weg, ist nicht mehr vorhanden. Du hast ja selbst gesagt, daß es dieser unerwünschten und ganz unwillkommenen Frau gehört! Ich mag sie nicht sehen! Ich will nichts mit ihr reden! Ich mag nichts von ihr hören! Sie hat mich um dein Herz gebracht, um deine ganze Freundschaft, um dich selbst. Also höre es: Ich will auch von dir nichts mehr wissen!«

Er stand wieder auf und entfernte sich. Am Flusse blieb er stehen und starrte halb zornig, halb traurig in das Wasser. Der gute Hadschi war eifersüchtig. Ich sagte kein Wort, denn ich kannte ihn. Und richtig: Er kam nach einer Weile langsamen Schrittes zurück, setzte sich mir gegenüber, seufzte tief und klagte:

»So, in dieser traurigen Weise bin ich von dir verlassen worden, von dir, für den ich mein Leben unbedenklich hingegeben hätte! Du hast der treusten Freundschaft mit dieser Frau den Todesstoß versetzt. Ich wollte sogar mit dir nach Persien reiten; nun aber kehre ich wieder um, unbedingt wieder um!«

Ich mußte lächeln und war doch tief gerührt.

»Lieber Halef,« sagte ich, »warst du mein Freund, als du damals deine Hanneh zum Weibe nahmst?«

»Ja,« antwortete er.

»Hast du mich darum verlassen?«

»Nein.«

»Du bist mein Freund geblieben?«

»Ja.«

»So ist es auch bei mir!«

»Nein; das ist jetzt ganz, ganz anders, Sihdi. Du kanntest Hanneh, den Abglanz aller Morgen- und Abendröten, die mein Weib geworden ist. Was aber weiß ich von der Regentin deiner Seligkeit? Habe ich sie gesehen? Hat sie ihre Herden an mir vorübergetrieben? Bin ich ihr Gast gewesen, um Kuskussu aus ihrer Hand zu essen? Hat sie mein Pferd getränkt oder mir den Steigbügel in den richtigen Stich geschnallt? Wo habe ich ihre Gestalt gesehen, ihren Schritt gehört oder das Kamel, auf dem sie saß, am Zügel führen dürfen? Ich bin so vollständig ahnungslos gewesen, daß mich jetzt ein solcher Schreck ergriffen hat, als ob sie nicht deine, sondern meine Frau geworden wäre!«

»Hältst du sie für so bös oder so häßlich?«

»Kann sie besser oder schöner als Hanneh sein?«

»Nein. Aber ihr ähnlich!«

»Das will ich dir wünschen!«

»Oder meinst du, daß ich dich nach Dschermanistan kommen lassen müsse, damit du unter den Töchtern des Landes für mich suchen gehest?«

»Nein. Das kann ich nicht verlangen. Laß mich essen und dabei nachdenken! Mein Heimweh, welches mir den Hunger raubte, ist vollständig alle geworden. Ich will Kebab essen, Kebab, von Hanneh zubereitet, welche auch erschrecken wird, wenn sie hört, daß du auf eine so unvorhergesehene Weise die ganze, ganze Herrschaft über dich verloren hast!«

Er aß, und zwar in der hastigen Art eines Menschen, dessen Gedanken ganz anderweit beschäftigt sind. Nach einer Weile sagte er:

»Gestehe, daß du wegen dieser Frau ein böses Gewissen gehabt hast!«

»Ich weiß nichts davon.«

»Doch! Warum hast du im Duar von ihr geschwiegen? Warum sprichst du erst jetzt davon? Das ist doch das heimlich verheiratete böse Gewissen!«

»Ist alles heimlich, was zufällig deine Haddedihn nicht erfahren? Der Mann darf weder von seinem noch von einem andern Harem öffentlich sprechen. Das weißt du doch, lieber Halef.«

»Ich weiß es. Verzeih, Sihdi; du hast recht!«

Er aß weiter und erkundigte sich nach kurzer Zeit:

»Bist du mit ihr zufrieden?«

»Sehr!« nickte ich.

Auch die nächsten Fragen sprach er nur in Zwischenräumen aus.

»Ist sie jung?«

»Ja. Und sie wird es ewig bleiben.«

»Hamdulillah! Das beruhigt mich. Ich gönne vielleicht jedermann eine häßliche, alte Frau, aber nur mir und dir nicht. Ist ihr Vater reich?«

»Der Reichste, den es giebt.«

»Vornehm?«

»Niemand steht höher als er.«

»Allah kehrim! Das gefällt mir außerordentlich. Ist sie klein von Gestalt?«

»Nein.«

»Hat sie große Füße und starke Fäuste?«

»Halef! Welchen Geschmack mutest du mir zu!«

»Wenn ich bloß nur frage, braucht sie es nicht wirklich zu haben! Und ihre Augen?«

»Sind schöner als die Augen aller Chawadit

»Hat sie dich lieb, Sihdi?«

»Nicht weniger als ich sie.«

»Das wollte ich ihr auch geraten haben! Ich würde ihr sonst meinen Duar verbieten! Und sag, Effendi, sie hat doch auch eine Seele?«

»Sie hat nicht nur eine, sondern sie ist selbst Seele, nichts als Seele.«

»O wehe! Du armer Sihdi! Denn da hat sie wohl gewiß auch – – – Meinungen?«

»Natürlich! Die soll sie sogar haben.«

»Und dann – – dann – – dann hast du wohl auch immer recht, wenn sie recht hat?«

»Nein. Ich habe meist Unrecht.«

»Imschi uchallik ba‘ id ‚anni – damit bleibe mir fern! Erlaubst du ihr das denn?«

»Sehr, sehr gern, denn sie ist viel, viel klüger und vernünftiger als ich.«

»Das ist unmöglich, Sihdi. Zwar, seitdem die Frauen auch Seelen haben, wollen sie – – –«

»Laß das, Halef,« unterbrach ich ihn. »Selbst wenn es eine Frau geben könnte, die keine Seele hat, so wäre es für ihren Mann besser, er hätte sie niemals kennen gelernt. Glaube es mir!«

»Aber wenn nun die Seele des Weibes so unruhig ist, daß sie – – –«

»Dann muß der Mann um so ruhiger sein. Das erzeugt Achtung und Ehrfurcht bei der Frau.«

Da fiel er schnell ein:

»Das ist richtig, sehr richtig, Effendi! Ich bin auch stets ruhig, ganz ruhig; ich sage nichts. Darum wirst du die Achtung und Ehrfurcht bemerkt haben, welche Hanneh, die beste der Frauen, ihrem Gebieter widmet. Wie wird die Quelle deiner irdischen Seligkeit genannt?«

»Dschanneh.«

»Da heißt sie ja fast genau so wie die meinige: Hanneh und Dschanneh!«

»Dem Klange nach, allerdings.«

»Ja, in deiner Dschanneh liegt wohl ein Sinn, weil dieses Wort doch ›Seele‹ heißt.«

»Die Gebieterin meines Herzens heißt nicht nur so, sondern sie ist es auch!«

»Das freut mich ungemein, Effendi, ungemein! Da wird der Wohlstand deines Zeltes sich vermehren, auch wenn du abwesend von deinem Stamme bist. Deine Dschanneh wird von der Milch der Kamele Butter machen und aus den Palmenfasern Stricke drehen und Decken flechten. Sie wird Datteln entkernen und Hosenträger anfertigen. Sie wird Marahim für die kranken Füllen streichen und Durra beda auf den Steinen reiben. Ich möchte auch noch wissen, ob sie bloß arabisch spricht oder auch das Türkische versteht.«

»Sie versteht alle Sprachen der Welt.«

»Allah’l Allah! Sämtliche?«

»Ja.«

»Giebt es keine, die sie nicht versteht?«

»Nein.«

»So ist diese deine Dschanneh ein Wunder, wie es fast kein größeres geben kann! So weit hat es nicht einmal meine Hanneh gebracht, welche, wenn sie einmal in das Sprechen kommt, auch ganz Erstaunliches leistet. Aber dir, Effendi, dir gönne ich einen solchen Besitz der Unvergleichlichkeit. Glaubst du mir das?«

»Ja.«

»Aber bitte, sage das von den vielen Sprachen nicht etwa auch noch andern Leuten!«

»Warum nicht?«

»Man würde sagen, daß du übertreibst.«

»Wer nicht nur den Namen sondern auch das Wesen meiner Dschanneh kennt, der weiß, daß ich nicht lüge. Ich behaupte sogar, daß es keine einzige Sprache ohne Dschanneh geben kann.«

»So erlaube mir rasch nur noch eins: Kann sie Felle gerben und Messer schleifen?«

»Sie kann alles, was Menschenhand vermag.«

»Maschallah! Kann sie zornig sein?«

»Nie!«

»Zanken?«

»Nie!«

»Da muß ich nicht nur einmal sondern zehnmal Maschallah rufen! Hast du sie um ihre Einwilligung gebeten, als du zu mir wolltest?«

»Sie war es sogar, die mir diese Reise befahl, und ich gehorche ihr.«

»Nicht wahr, da stellte sich bei ihr die Achtung und die Ehrfurcht ein, von welcher wir vorhin gesprochen haben und die mir auch meine Hanneh, die verständigste unter allen verständigen Frauen, widmet? Sihdi, daß deine Dschanneh dir die Erlaubnis gegeben hat, zu mir zu reiten, das söhnt mich mit deinem Harem aus. Ich erteile dir hiermit meine Genehmigung und bin sogar erbötig, wenn die Zeit meines Sohnes gekommen ist und du dann eine Tochter hast, sie ihm zur Frau zu geben; sie wird dadurch eine echte Haddedihn vom großen Stamme der Schammar und kann glücklicher und freier leben als unter euern Zelten, welche aus Steinen errichtet werden. Du siehst also, daß ich dir nicht mehr zürne. Gieb mir die Hand; wir wollen wieder Freunde sein, wie wir es vorher waren!«

Der liebe Kleine war wirklich und im Ernste überzeugt, mir durch sein Eheprojekt einen glänzenden Beweis seiner Zuneigung gegeben zu haben. Es fiel mir nicht ein, seinen Vorschlag auch von meinem Standpunkte aus zu beleuchten, denn er gehörte zu denjenigen Charakteren, die man ihres allzu regen Ehrgefühles wegen sehr vorsichtig anzufassen hat. Er hatte mir nun sogar die ausdrückliche Einwilligung zu meiner Ehe gegeben; mehr konnte ich, der bescheidene Reiseschriftsteller, von ihm, dem obersten Scheik der Haddedihn, doch wohl nicht verlangen! Richtig war, daß ich ihn jetzt nicht mehr wie früher als meinen Diener betrachten durfte. Er hielt sich jedenfalls, natürlich ohne es mir zu sagen, für mir wenigstens gleichgestellt, und so hatte ich jetzt manches ruhig hinzunehmen, was sonst wohl nicht ohne Rüge geblieben wäre.

Am andern Morgen machten wir frühzeitig das Floß wieder flott, um die Fahrt fortzusetzen. Sie verlief ohne alle Fährlichkeit. Die den Haddedihn feindlichen Stämme hatten sich jetzt im Frühjahre in das Innere der Dschesireh zurückgezogen. Das war der Grund, daß wir ganz ohne ein erwähnenswertes Ereignis bis in die Gegend kamen, wo der von Kerkuk herbeifließende Adhem in den Tigris mündet.

Der Hauptstrom hatte der Mündung seines Nebenflusses gegenüber eine lange, immer schmaler werdende Bucht in das Ufer gegraben, deren Ränder dicht mit Gebüsch eingesäumt waren, ein Umstand, welcher uns, obgleich es noch nicht dunkel war, veranlaßte, das Floß in diesen Einschnitt zu treiben, um dort zu übernachten. Wir ruderten und stakten das Kellek bis ganz hinter, befestigten es an dem Ufer und schafften zunächst die Pferde an das Land, dann auch alles andere, was sich auf dem Floße befunden hatte. Da wir sahen, daß sich kein menschliches Wesen in der Nähe befand, setzten wir uns auf und galoppierten eine tüchtige Strecke in das Land hinein, denn eine solche Bewegung that den Tieren not. Wieder zum Flusse zurückgekehrt, ließen wir sie grasen und sammelten dürres Holz zu einem Feuer für die Nacht; es war davon mehr als genug vorhanden. Dann hielten wir unsere Abendmahlzeit.

Wir hatten vielleicht nur noch eine Viertelstunde bis zum Abend, denn die Sonne war schon untergegangen, und die Dämmerung ist in jenen Gegenden von sehr kurzer Dauer, da sahen wir jenseits des Tigris ein Floß erscheinen, welches von den Fluten des Adhem in den Hauptstrom getragen wurde. Es befanden sich drei Männer auf diesem Kellek, welches kleiner als das unsrige, doch aus denselben Bestandteilen zusammengesetzt war. Zwei dieser Männer bewegten die Ruder. Der dritte saß ohne Beschäftigung in der Mitte des Flosses. Die Lammfellmützen, welche ihre Köpfe bedeckten, ließen vermuten, daß diese Leute Perser seien.

»Schau, Sihdi,« sagte Halef, »das sind iranische Schiiten, welche über das Gebirge gekommen sind und sich in Ta’uk oder Tuß Khurmaly ein Floß gebaut haben. Wohin mögen sie wollen?«

»Jedenfalls flußabwärts, sonst würden sie anstatt des Kellek Pferde haben.«

»Ja, sie wollen flußab, aber heute nicht mehr. Allah! Siehst du, daß sie zu uns herüberlenken?«

»Leider! Sie sind derselben Ansicht wie wir, nämlich daß sich diese Bucht vortrefflich zum Nachtlager eignet.«

»Wollen wir dulden, daß diese Vögel sich hier bei uns einnisten?«

»Wir können nichts dagegen haben.«

»Ich denke, doch!«

»Nein. Ist dieser Ort unser Eigentum?«

»Nein; aber wir sind vor ihnen hier angekommen, und wer zuerst das Zelt betritt, der bekommt zuerst zu essen, sagt das Sprichwort.«

»Dieses Sprichwort gilt hier nichts. Wir befinden uns unter freiem Himmel und haben, wenn sie zu uns kommen, sogar die Verpflichtung, gastlich gegen sie zu sein.«

»Das ist mir gar nicht lieb, denn ich traue ihnen nicht!«

»Warum?«

»Weil sie einen so ungewöhnlichen Weg vom Bilad el Adscham herüber eingeschlagen haben. Warum haben sie nicht den offenen Karawanenweg verfolgt? Warum haben sie eine Tour gewählt, auf welcher sie erst Pferde, hierauf ein Floß und dann wieder Pferde brauchen? Wo sind die Pferde, auf denen sie über die Berge kamen? Sie haben sie oben am Flusse lassen müssen und müssen sich später andere dafür kaufen. Das kostet Geld; das sind Verluste, zu denen man sich nur dann entschließt, wenn man durch Gründe, welche meinen Verdacht erregen, dazu veranlaßt wird. Wenn ein Perser den Adhem wählt, um nach der Dschesireh zu kommen, so führt er sicher etwas im Schilde, was nicht alle Leute wissen dürfen, oder er hat drüben in seinem Lande etwas begangen, was ihn zwingt, den Weg der Flucht und der Verborgenheit zu wählen. Habe ich nicht recht?«

»Ich stimme dir bei; aber das ist für uns noch keine Veranlassung, sie feindlich fortzuweisen, wenn sie sich zu uns gesellen wollen. Uebrigens wird es sehr schnell dunkel, und selbst wenn sie hier in der Bucht anlegen, fragt es sich, ob sie uns bemerken werden.«

Die Perser befanden sich jetzt auf der Mitte des Stromes, und die Anstrengung, mit welcher sie gegen das Gefälle desselben arbeiteten, machte es für uns gewiß, daß sie hier hüben landen wollten. Unser Lagerplatz war ihnen durch das Buschwerk verdeckt; sie konnten uns nicht sehen. Die Bucht war wohl zweihundert Schritte lang, und da sich die Schatten des Abends schon auf uns niederlegten, so hielt ich es für wahrscheinlich, daß die neuen Ankömmlinge am vordern Teile unseres Schlupfhafens anlegen würden und nicht am hintern, wo wir uns befanden. Das Hereinkommen wurde ihnen schwerer, als es uns geworden war, weil sie quer über den Strom mußten, und als sie endlich das stille Wasser erreichten, war es schon so dunkel geworden, daß wir sie nicht mehr erkennen konnten.

Wir horchten, hörten aber nichts. Als eine Viertelstunde vergangen war, konnten wir überzeugt sein, daß sich meine Vermutung bewahrheitet hatte: die Perser waren weiter draußen als wir an das Ufer gegangen; sie ahnten nicht, daß sich schon jemand hier befand.

Nun fragte es sich, wie weit sie von uns lagerten; das mußten wir wissen.

»Sihdi,« sagte Halef, »wer hätte gedacht, daß schon heute das Leben der Wildnis für uns beginnt. Ich werde dir zeigen, daß ich das, was ich von dir lernte, noch nicht vergessen habe.«

»Was?«

»Das Anschleichen. Ich werde mich ganz leise, leise zu ihnen begeben, um zu sehen, wo sie sich befinden und was sie machen.«

»Das wirst nicht du, sondern ich werde es thun; ich bin darin geübter als du.«

»Effendi, willst du mich beschämen?«

»Still! Denke an das, was Hanneh dir geraten hat: du sollst nicht vorschnell sein! Ehe du so etwas unternehmen kannst, mußt du dich erst wieder üben. Du kommst nicht ohne Geräusch durch diese Büsche. Ich glaube, du würdest so unklug sein, schon jetzt nach ihnen zu suchen!«

»Natürlich gleich jetzt! Aus welchem Grunde könnte man dies unklug nennen?«

»Du kennst die Länge dieser Bucht. Wie lange brächte man zu, sie bei der Dichtheit des Gebüsches vorsichtig abzusuchen? Bis morgen früh! Ehe man damit beginnt, muß man wenigstens ungefähr wissen, wo sich die Perser befinden.«

»Wie kann man das schon vorher wissen?«

»Sie werden es uns sagen.«

»Uns sagen? Sie selbst? Effendi, das werden sie auf keinen Fall!«

»Lieber Halef, da siehst du, wie sehr du dich im ›Leben der Wildnis‹ auf deinen Scharfsinn verlassen kannst! Diese Perser sind doch Mohammedaner?«

»Ja, obgleich nur Schiiten, denen Alis Söhne beinahe höher stehen als Mohammed, der Prophet.«

»Sie haben also jetzt zwei Gebete zu sprechen, nämlich das Moghreb, das Gebet der Dämmerung, und dann das Aschija, wenn es vollständig dunkel geworden ist. Sie nehmen an, hier allein zu sein, und werden also nicht leise, sondern laut beten, wie es vorgeschrieben ist, und das werden wir hören.«

»Sihdi, das ist richtig; daran habe ich nicht gedacht!«

»So merke dir, daß man grad im ›Leben der Wildnis‹, wie du es nennst, an alles denken muß und nichts, gar nichts vergessen darf! Das Nichtbeachten des geringfügigsten Umstandes kann großen Schaden bringen; das muß dir doch noch von früheren Reisen in Erinnerung sein. Du bist damals mein Schüler gewesen, aber nicht bis heut in Uebung geblieben, wirst also wohl von vorn anfangen müssen.«

»Oh, Sihdi, du verleumdest mich!«

»Nein; ich meine es gut mit dir. Horch!«

»Sie beten; sie haben das Moghreb begonnen.«

»Und ehe sie es beenden, werde ich hinter ihnen sein. Du bleibst hier und hast auf die Pferde acht. Entferne dich auf keinen Fall!«

Ich ging. Die Büsche bildeten einen nicht sehr breiten Saum, welcher sich am Ufer hinzog. Indem ich mich an der Außenseite desselben hinbewegte, kam ich natürlich viel schneller von der Stelle, als wenn ich durch das Gesträuch gekrochen wäre. Ich näherte mich den Stimmen sehr rasch und befand mich grad im Rücken der Betenden, als die letzten Ausrufe ertönten:

»Preis sei Allah! Gepriesen sei seine Würde! Es ist kein Gott außer ihm! Gott ist sehr groß! Gott ist sehr groß in Größe, und Preis sei Gott in Fülle!«

Hierauf hörte ich eine einzelne Stimme sagen:

»Nun wir gebetet haben, macht das Feuer an; Holz haben wir genug. Dann werden wir gleich das Aschija beten, um hierauf zu essen!«

Das Moghreb ist eigentlich zu sprechen gleich wenn die Sonne verschwunden ist; die Perser hatten sich damit verspätet, weil der letzte Tagesschein von ihnen zum Holzsammeln benutzt worden war. Das ist erlaubt. Während man kein Gebet eher als zur vorgeschriebenen Zeit beginnen darf, ist es nicht verboten, die Andacht auf kurze Zeit aufzuverschieben, falls triftige Gründe dazu vorhanden sind.

Ich sah vor den Büschen, hinter denen ich stand, am Rande des Wassers ein Feuer aufflammen und hörte dann, als einige Minuten vergangen waren, das Nachtgebet. Dies gab mir die Gelegenheit, mich niederzulegen und zwischen den Büschen vorzuschieben. Das Geräusch, welches ich ja dabei verursachte, wurde von den drei lauten Stimmen übertönt. Da, wo der letzte Schatten auf den Boden fiel, blieb ich halten; weiter vorwärts durfte ich nicht, weil man mich sonst gesehen hätte.

Ich sah das Floß am Ufer liegen; es befand sich nichts, gar nichts darauf; die Perser waren ohne jedes Gepäck; sie hatten sich an das Feuer gesetzt. Zwei von ihnen waren jedenfalls gewöhnliche Leute, über die mein Auge schnell hinweggehen konnte; der dritte aber fesselte meine Aufmerksamkeit. Nicht daß er sich von den andern durch bessere Kleidung unterschieden hätte, nein, denn der einzige Vorzug, den er in dieser Beziehung vor ihnen hatte, bestand darin, daß sie gewöhnliche Kerman-Gürtel trugen, während er einen Kaschmirshawl um die Hüften gewunden hatte; aber seine Person unterschied sich von den ihrigen sofort beim ersten Blicke.

Dieses viel durchfurchte, tief gebräunte Gesicht mit der niedrigen Stirn, der langen, scharfen, dünnen Nase, deren Flügel sich in fortwährendem Zittern befanden, den aufgeworfenen, breitgezogenen Lippen, dem mächtig entwickelten Kinn, den kleinen, scharfen, rotgeäderten und unruhigen Augen machte auf mich den Eindruck einer alle Milde verachtenden und mit großer List gepaarten Rücksichtslosigkeit. Dieser Eindruck wurde durch den dichten, dunklen Schnurrbart nur erhöht, dessen Spitzen wie schwarz gefärbte Eiszapfen steif herunterstachen. Seine Züge sprachen nur von tierischen Instinkten, und wenn es wahr ist, daß nur der offene Blick des Mannes Mut verrät, so konnte dieser Perser, im Falle, daß es galt, nur das Gegenteil davon, ein Feigling sein. Ein gefährlicher Mensch, rücksichtslos und feig, so dachte ich, und als mir auch noch seine langen, knochigen, krallenhaften Hände in die Augen fielen, deren Zeigefinger fast über den Mittelfinger hinausragten, da war ich fest überzeugt, daß ich mit diesem Urteile das Richtige getroffen hatte. Das Gesicht, die Stimme, der Gang, die Haltung, das Benehmen eines Menschen kann und können täuschen, die Hand aber kann es nie. Ich habe mir da, gestützt auf lange Erfahrung und tausend sorgfältige Vergleiche, eine eigene Theorie gebildet, die mich niemals im Stiche läßt, auf die ich mich in jedem einzelnen Fall verlassen kann. Die Hand eines Menschen ist das genaueste Abbild seines Innern; es ist ihr unmöglich, auch nur das geringste von seinem Denken und Fühlen zu verheimlichen. Sie ist das Werkzeug des Geistes und der Seele, und jedes Werkzeug läßt ohne Irrtum auf den Meister schließen.

Die drei Männer waren mit langen, orientalischen Gewehren und mit Messern und Pistolen bewaffnet; nach den mehr als reichlich gefüllten Patronentaschen zu schließen, waren sie sehr entweder auf Angriff oder auf Verteidigung bedacht. Das letztere schien mir eher als das erstere der Fall zu sein.

Sie aßen jetzt. Ihr frugales Mahl bestand aus gepreßtem Dugh mit dem bekannten Klebebrot, welches davon seinen Namen hat, daß der kuchenförmige Teig desselben an die Seitenwände des kleinen, sonderbar gestalteten Backofens festgeklebt und dann zugedeckt wird; sobald er von der Wand fällt, wird er für ausgebacken gehalten und herausgenommen.

Während des Essens wurde kein Wort gesprochen. Nach demselben zog der Zapfenbärtige ein Stück Pergament aus der Tasche, hielt es dem Feuer nahe, um es zu lesen, steckte es wieder ein und sagte dann:

»Wenn wir zur rechten Zeit ankommen, wird euer Anteil hundert Tuman für jeden betragen; ich habe es vorhin während der Fahrt berechnet. Ist euch das genug?«

Seine kleinen Augen richteten sich mit einem eigentümlichen, stechend lauernden Blicke auf die beiden. Sie schwiegen eine Weile; dann antwortete der eine, indem er einen ähnlichen Blick zurückgab:

»Bei Hussein, welcher von den sunnitischen Hunden bei Kufa hingeschlachtet wurde, wir würden wohl zufrieden sein, wenn es nicht doch zu wenig wäre. Seit du Pädäri-Baharat geworden bist, verdienen wir zehnmal mehr als früher; du hast uns aber gesagt, daß ein anderer tausendmal mehr verdient.«

»Gesagt? Habe ich es bloß gesagt?«

»Nein, sondern sogar vorgerechnet.«

»Ja, vorgerechnet. Und was ich einmal ausgerechnet habe, das pflegt stets auch zu stimmen. Du sagst, oh Aftab, ich sei Pädär-i-Baharat geworden; ja, den Titel habe ich bekommen, bin es aber nicht; ihr dürft mich jetzt eigentlich nur Sill-i-Safaran nennen. Und obwohl ich in Wahrheit nur dieses bin, könnt ihr bei mir Reichtümer sammeln, während ihr früher kaum das verdientet, womit man den Hunger stillt. Ich bin es, welcher den Gedanken ersann, neben dem Safaran auch Oßfur zu verwenden. Das hat uns schon bis heute viele Tausende von Tumans eingebracht und wird uns viele Tausende noch bringen. Warum bin ich für alle Baharat bestimmt und habe doch nur den Safaran bekommen? Muß ich das dulden? Und müßt ihr euch das gefallen lassen, die ihr meine Untergebenen seid und auch wenig oder mehr erhaltet, wenn ich weniger oder mehr verdiene? Wißt ihr, für wen wir arbeiten und unser Leben wagen? Wer nichts thut, gar nichts thut und doch so köstlich wohnt und lebt wie Giblä-i-Aläm

»Wir wissen es,« antwortete der, den er Aftab genannt hatte.

»Hast du ihn je einmal gesehen?«

»Nein.«

»Warum setzt ihr da täglich euer Leben für ihn auf das Spiel? Stammt er aus dem Fäläk ul äflahk, daß er zu stolz ist, sich euch einmal zu zeigen? Bin ich nicht stets bei euch? Teile ich nicht alle Gefahren mit meinen Untergebenen? Wen müßt ihr da mehr lieben und achten, mich oder ihn? Wem müßt ihr mehr Vertrauen schenken? Ich sage euch, ihr würdet jedes Jahr mehr tausende Tumans einstecken als jetzt hunderte, wenn ich an seiner Stelle euer Aemir-i-Sillan wäre!«

»Das hast du uns schon oft gesagt, und wir glauben es.«

»Ich habe es auch schon vielen andern gesagt, und sie alle glauben es. Ich will euch sagen, daß seine Zeit gekommen ist; es schwebt der Schämschihr schon über seinem Haupte. Ich habe schon mit einigen andern Pädärahn gesprochen und bin sicher, daß sie im geeigneten Augenblicke nicht zurücktreten werden. Wir wissen, daß er stets unter seinem Gewande einen Sirä trägt, doch meine Guluhlä3 geht ganz gewiß hindurch!«

Es trat eine Pause ein. Der Pädär-i-Baharat brütete finster vor sich hin, und auch die beiden andern hielten ihre Blicke ernst und nachdenklich zur Erde gerichtet. ich hatte schon oft, sehr oft Menschen beschlichen, aber wohl noch selten ein so geheimnisvolles und sonderbares Gespräch belauscht.

Pädär-i-Baharat, Vater der Gewürze – Sill-i-Safarans, Schatten des Safrans – Aemir-i-Sillan, Fürst der Schatten! Das waren jedenfalls Namen, welche eine ganz bestimmte Bedeutung hatten. Aber was für eine? Fürst der Schatten! Wer waren die Schatten? Jedenfalls Menschen; das schloß ich aus der Pluralendung »an«, welche fast nur bei Personen gebraucht wird, während sonst die Endung ha in Anwendung kommt. Aber was für Menschen waren das, und warum wurden sie Sillan, Schatten genannt? Bedeutete der Ausdruck »Fürst der Schatten« einen Rang? Wenn ja, dann mußten »Schatten des Safrans« und »Vater der Gewürze« auch wohl Chargen sein. Es schien sich um Vorgesetzte und Untergebene zu handeln, und wie mir dies alles ein Geheimnis war, so handelte es sich hier wahrscheinlich überhaupt um eine geheime Verbindung oder Körperschaft, welche das Licht des Tages und der Oeffentlichkeit zu scheuen hatte.

Derselbe Fluß, an welchem ich mich jetzt befand, wurde einst von den alten Babyloniern und Assyrern beherrscht, bis die Meder und Perser der Herrlichkeit ein Ende machten. Wenn der alte, thatkräftige Hammurabi, der tapfre Tukulti-Adar I., der medische Kyaxares und der Achämenide Cyrus aus ihren Gräbern gestiegen wären und, jetzt da vor mir sitzend, einander ihre diplomatischen und sonstigen Geheimnisse mitgeteilt hätten, wäre mir ihre Unterhaltung wahrscheinlich verständlicher gewesen als das, was ich von diesen drei Neupersern gehört hatte. Es sollte aber noch verwickelter kommen, denn der Anführer begann nach der erwähnten Pause wieder:

»Worüber denkt ihr nach? Wohl über das, was ich euch gesagt habe?«

»Ja,« antwortete Aftab. »Wir sind bereit, zu dir zu stehen. Der Särbahs kann keine Schlacht gewinnen, wenn er den Sahibmänsäb nicht sieht und nicht kennt, dem er gehorchen soll. So soll auch uns der Gebieter, welcher uns regiert, kein unsichtbares Wesen sein, welchem unser Leben gehört, obgleich es sich uns niemals zeigt. Wir haben auch schon mit andern Sillan darüber gesprochen, und sie sind ganz derselben Meinung gewesen. Sag uns nur, was wir thun sollen! Wir werden dir gehorchen.«

»So kann ich mich also auf euch verlassen?«

»Ja. Du sprachst davon, daß dem Aemir-i-Sillan der Säbel schon über dem Haupte schwebe. Kennst du die Zeit?«

»Ja.«

»Den Ort?«

»Ja.«

»Dürfen wir es wissen?«

»Ich sage es euch, denn ich kenne euch als verschwiegene Männer, denen ich mein Vertrauen schenken kann. Ihr wißt doch, daß an jedem Duschämbä-i-Mäwahjib die Päderan sich alle in der Ruine der Mäjmä-i-Yähud versammeln, um seine Befehle entgegenzunehmen und ihm Rechenschaft abzulegen. In dieser Nacht wird, wenn es mir gelingt, die andern – – –«

Er hielt inne, denn es fiel ein Schuß, und zwar in der Gegend, in welcher ich Halef wußte. Ich erschrak natürlich, denn er mußte sich in Gefahr befunden haben oder noch befinden, sonst hätte er nicht geschossen. Ich mußte ihm zu Hilfe eilen und dachte doch daran, daß ich mich nicht so schnell entfernen könne, ohne Geräusch zu verursachen. Da kam mir aber der Schreck der Perser zu Hilfe. Sie waren, als sie den Schuß hörten, aufgesprungen, ergriffen ihre Flinten und eilten in das Gebüsch, um von einem etwa auf sie schießenden Feinde nicht gesehen zu werden. Das dabei unvermeidliche Rauschen und Knacken der Sträucher gab mir Gelegenheit, mein Versteck unbemerkt zu verlassen. Ich rannte hinter den Büschen unserm Lagerplatze zu. Dort angekommen, sah ich Halef mit erhobenem Gewehre stehen, welches er auf mich richtete, als er mich bemerkte.

»Schieß nicht, Halef!« warnte ich halblaut. »Ich bin es, Warst du es, der geschossen hat?«

»Ja.«

»Warum? Auf wen?«

»Es war ein Löwe, Sihdi. Er schlich sich heran, um deinen Assil Ben Rih zu fressen.«

»Unsinn!«

»Es ist kein Unsinn. Ich habe ihn ganz deutlich gesehen.«

»Wirklich, Halef, wirklich?«

»Ja; es war ein Löwe, ein richtiger, wirklicher Löwe, ein Vater mit dem dicken Kopfe, vor dem ich aber nicht ausgerissen bin!«

Es war immerhin möglich, daß er sich nicht getäuscht hatte. Der Perserlöwe verirrt sich zuweilen auch in die Dschesireh, wie ich aus Erfahrung wußte, und so zog ich die Hölzer aus der Tasche, um schnell das Feuer anzubrennen, wozu wir einen Reiserhaufen mit trockenem Gras schon bereit gehalten hatten. Das Feuer sollte dem Löwen, falls es wirklich einer gewesen war, die Lust zur Wiederkehr verleiden; daß wir dadurch die Aufmerksamkeit der Perser auf uns lenkten, konnte und mußte mir sehr gleichgültig sein.

Als die hoch emporlodernde Flamme den Platz erleuchtete, ließ ich mir sagen, wo Halef den »Vater mit dem dicken Kopfe« gesehen hatte. Er deutete mir die Richtung mit der ausgestreckten Hand an und sagte:

»Dort kam er geschlichen; als er mich erblickte, blieb er stehen. Es war ein großer, gewaltiger Abu er Rad. Ich gab ihm die Kugel, und dann war er nicht mehr zu sehen. Ich habe ihn getroffen; das weiß ich ganz genau. Er ist vor Schreck und Angst dahingefahren, denn wo Hadschi Halef Omar steht, der Scheik der Haddedihn, da kann es selbst der stärkste Löwe nicht aushalten!«

Ich nahm meinen schweren Bärentöter schußfertig in die Hand und entfernte mich langsam und vorsichtig in der angedeuteten Richtung. Nach ungefähr vierzig Schritten konnte ich mich überzeugen, daß Halef sich nicht geirrt hatte; er hatte wirklich getroffen – – aber was!

Ich rief ihn zu mir. Er kam herbei und fragte schon von weitem:

»Was soll ich, Effendi? Siehst du etwas?«

»Ja. Hier liegt das Vieh.«

»Also habe ich getroffen?«

»Ja.«

»Tot?«

»Mausetot!«

»Hamdulillah! Ich habe den Gedd el Isman, den schrecklichen Würger der Herden, erlegt. In allen Zelten wird mein Ruhm erschallen, und an allen Lagerplätzen wird man meine Ehre singen!«

»Juble nicht zu früh! Es ist nämlich kein Er, sondern eine Sie.«

»Kein Löwe, sondern eine Löwin?«

»Nein; es ist kein Abu er Rad, sondern eine Omm es Ssanne, die du erschossen hast. Sie hat Hunger gehabt und ist betteln gekommen; du aber bist so unbarmherzig gewesen, ihr anstatt Fleisch eine Kugel zu geben.«

Er hatte mich erreicht und sah das Tier liegen.

»Eine Hyäne!« rief er beschämt aus. »Allah vergesse diesen Tag! Wie konnte dieses Tier sich für einen Löwen ausgeben? Wie konnte es sich den Schein geben, als ob es ein Vater des Donners sei? Mohammed, der Prophet der Propheten, mag die Seele dieser Hyäne ergreifen und die Lügnerin dahin verdammen, wo der Gestank der Hölle am widerwärtigsten ist!«

»Nicht sie, sondern dein Auge hat dich getäuscht. In der Nacht erscheint alles größer; daran hättest du denken sollen, bevor du schossest!«

»Hasreta – jammerschade! Nun werden die Stimmen, auf welche ich mich freute, in allen Zelten und auf allen Lagerplätzen schweigen!«

»Nein; sie werden nicht schweigen, sondern das Lob des großen Helden verkünden, welcher nicht davonlief, als er die Hyäne für einen Löwen hielt.«

»Du willst meiner noch spotten, Sihdi? Das vergrößert die Tiefe meiner Wehmut und verzehnfacht die Verdopplung meines Schmerzes! Ich wollte ein Held sein und bin dadurch zum Sattel geworden, auf welchem dein Hohn spazieren reitet. Meine Söhne werden mich bejammern und meine Töchter mich beklagen; meine Enkel schütteln die Köpfe, und die Nachkommen meiner Urenkel verhüllen vor mir ihre Angesichter! Ich möchte vor Gram sterben, wenn ich nicht am Leben bliebe, und mich vor Scham erschießen, wenn dies nicht ein Selbstmord wäre! Du aber laß deine Stichelreden schweigen, und denke daran, daß es auch für dich möglich ist, einen Löwen zu schießen, der sich, nur um dich zu ärgern, in eine Mutter des Gestankes verwandelt!«

»Nein, daran denke ich nicht, lieber Halef, denn ich weiß, was du nicht zu wissen scheinst, daß die Dunkelheit der Nacht alle Gegenstände vergrößert. Wenn du auch fernerhin vergissest, dies in Betracht zu ziehen, werden deine Augen sich schließlich daran gewöhnen, eine Fingereidechse für ein Krokodil zu halten!«

»Ist dein Zorn denn gar so groß, daß du dich nicht anders vor ihm zu retten vermagst als dadurch, daß du mir Krokodile an den Kopf wirfst? Hat dich der Irrtum meines Auges so schwer beleidigt, daß du mir nicht zu verzeihen vermagst?«

»Von Beleidigung kann keine Rede sein, aber von Verzeihung doch. Du hast einen Fehler begangen, der mich zu dir zurücktrieb, grad als das Gespräch der Perser den höchsten Grad von Interesse für mich gewonnen hatte.«

»W’allah! Das bedaure ich! Es ist dir also gelungen, unbemerkt an sie zu kommen?«

»Ja.«

»Und sie zu belauschen?«

»Auch das.«

»Wer waren sie; was waren sie; woher kommen sie; was wollen sie; wovon haben sie gesprochen?«

»Um das von mir zu hören, hättest du ihr Gespräch nicht durch deinen unglücklichen Schuß unterbrechen sollen. Ich will den Umstand, daß sie nun auf uns aufmerksam gemacht worden sind, gar nicht in Betracht ziehen; aber du hast mich durch deine Unvorsichtigkeit und Schnellfertigkeit, welche dir von deiner Hanneh verboten worden ist, um die Erforschung eines Geheimnisses gebracht, dessen Kenntnis uns für unsere Reise durch Persien wahrscheinlich von Wichtigkeit geworden wäre. Ich kann das nicht bestimmt behaupten, aber ich habe das Gefühl, daß es so ist.«

»Sag, Sihdi, welches Geheimnis war es?«

»Eben das kann ich dir nun nicht sagen, weil ich es nicht erfahren habe. Aber komm zum Feuer zurück; wir müssen nachlegen, sonst geht es aus!«

»Wollen wir es nicht der Perser wegen lieber auslöschen, damit sie uns nicht finden?«

»Nein. Nun sie einmal wissen, daß jemand hier ist, mögen sie auch erfahren, daß es Leute sind, von denen sie nichts zu befürchten haben. Wir wollen uns ihnen zeigen.«

»Werden aber auch sie sich freundlich gegen uns verhalten?«

»Ich wollte ihnen das Gegenteil nicht raten!«

»Und denkst du, daß sie zu uns kommen?«

»Auf jeden Fall. Sie werden dabei zwar die größte Vorsicht anwenden und uns erst heimlich beobachten, dann aber, wenn sie bemerken, daß wir nur zwei Personen sind, sich unbesorgt uns zeigen. Nach ihrem Verhalten werden wir dann das unsrige richten. Jetzt wollen wir nicht mehr von ihnen, sondern von etwas Gleichgültigem sprechen, denn es ist möglich, daß sie schon in unserer Nähe sind. Wenn ich sie bemerke, werde ich dir ein Zeichen dadurch geben, daß ich meine Hände zusammenlege.«

»Wenn wir sprechen, kannst du doch nichts hören!«

»Ja, du würdest sicherlich nichts hören, denn du mußt erst wieder in Uebung kommen; mir aber kann trotz unseres Gespräches kein von ihnen verursachtes Geräusch entgehen; das werde ich dir beweisen.«

Wir setzten uns beim Feuer nieder, ich mit dem Rücken gegen das Gebüsch, Halef mir gegenüber.

Es war so, wie ich sagte: es dauerte nicht lange, so konnte ich ihm das Zeichen geben; ich wußte, daß sich hinter mir jemand im Gebüsch befand. Ich hatte weder etwas gesehen noch gehört; es war jenes eigenartige Gefühl, jener undefinierbare sechste Sinn, der sich beim Westmanne nach und nach zu einer Schärfe entwickelt, welche derjenigen des Auges und des Ohres vollständig gleichkommt. Es ist mehr ein Ahnen als ein Empfinden, und doch wieder ist es eine Art von Gefühl, denn es war, als ob von dem hinter mir stehenden Perser ein Fluidum auf mich überginge, ähnlich dem Atomenstrome, welcher einen riechenden Gegenstand mit den Geruchsorganen des Menschen verbindet.

Wir sprachen so unbefangen miteinander, als ob wir keine Ahnung von dem Vorhandensein eines Lauschers hätten, doch hatte ich einen Gesprächsstoff gewählt, welcher nichts über unsere Personen und Absichten erraten ließ. Infolgedessen hörte der Mann uns eine ganze Weile zu, ohne zu erfahren, was er jedenfalls gern wissen wollte. Das machte ihn ungeduldig und trieb ihn aus seinem Verstecke hervor. Er trat aus dem Gebüsch heraus, stellte sich vor uns hin und fragte in einer Weise, als ob er der Gebieter dieses Platzes sei:

»Wer seid ihr, und was wollt ihr hier?«

In der Erwartung, daß wir vor Ueberraschung oder gar vor Schreck sehr bestürzt sein würden, strich er sich wohlgefällig die steifgewichsten Bartzapfen und sah mit erwartungsvollen Augen auf uns nieder. Als wir aber weder uns rührten noch etwas sagten, fuhr er uns an:

»Warum antwortet ihr nicht? Seid ihr blind und taub, daß ihr mich weder zu hören noch zu sehen scheint?«

Da antwortete ich:

»Ja, wir sind allerdings blind und taub, aber nur für solche Leute, welche uns Veranlassung geben, nicht auf sie zu achten.«

»Bin damit etwa auch ich gemeint?«

»Ja.«

»Warum?«

»Weil dein Verhalten nicht dasjenige eines Menschen ist, den man zu beachten hat.«

Da rief er höhnisch aus:

»Aefsuhsa – ach, wie schade! Ich scheine also ein Mann zu sein, der für euch gar nicht vorhanden ist?«

»Nicht vorhanden sein sollte,« verbesserte ich ihn; »denn indem ich mich trotzdem herbeilasse, mit dir zu sprechen, gebe ich dir doch den Beweis, daß ich deine Gegenwart bemerkt habe.«

»Meine Gegenwart bemerkt! Welche Freundlichkeit und Güte! Wie dankbar bin ich dir dafür, daß du so gnädig bist, meine Gegenwart überhaupt zu bemerken! Also eigentlich sollte ich, wie du sagst, für euch gar nicht vorhanden sein! Und ich habe mich doch bisher stets für einen Mann gehalten, welcher nicht nur sehr vorhanden ist, sondern der auch gewohnt ist, überall und von jedem Menschen, so hoch dieser auch stehe, nicht nur bemerkt, sondern auch mit Höflichkeit behandelt zu werden!«

»Da scheinst du dich in einem großen Irrtum befunden zu haben, denn wer Höflichkeit verlangt, muß selbst auch höflich sein.«

»Allah! Soll das ein Vorwurf sein?«

»Nein. Es ist mir ganz und gar gleichgültig, wer, was und wie du bist; aber da du von Höflichkeit sprichst, so hast du mich dadurch darauf aufmerksam gemacht, daß du diese Eigenschaft nicht zu besitzen scheinst.«

Er lachte belustigt auf und fragte:

»Du meinst wohl, daß ich euch hätte grüßen sollen?«

Ich machte eine wegwerfende Handbewegung und antwortete.

»Was man durch Fragen zu erfahren sucht, das weiß und kennt man nicht. Indem du nach dem Gruße fragst, beweisest du, daß dir die einfachste Regel der Höflichkeit vollständig unbekannt ist.«

Da kreuzte er die Hände über der Brust, machte mir eine tiefe, orientalische Verbeugung und sagte im Tone des Spottes:

»Weil du so ein hoher Herr zu sein scheinst, will ich schleunigst nachholen, was ich versäumt habe; also: Aessälam ‚aleïkum!«

Ich sagte nichts, sondern nickte nur, und zwar mit einer Miene, als ob ich seine Ironie gar nicht bemerkt hätte. Da fuhr er fort:

»Das scheint dir noch nicht genug zu sein. Ich bitte dich also um die gnädige Erlaubnis, hinzusetzen zu dürfen: Aehwal-i-schärif – wie ist Ihr erlauchtes Befinden?«

Da nahm ich den Ton eines Schulmeisters an, welcher einem Schüler ein Lob erteilt, und sagte:

»So war es wenigstens einigermaßen richtig! Wenn du so glücklich sein wirst, öfters als bisher mit höflichen Leuten in Berührung zu kommen, halte ich es für nicht ganz unmöglich, daß du dich wenigstens gegen gewöhnliche Leute noch zu benehmen lernst. Die Art und Weise freilich, wie man sich gegen höher gestellte Personen zu verhalten hat, wirst du nie begreifen.«

»Bi jahnäm – bei meiner Seele, das hat mir noch kein Mensch gesagt!« brauste er auf.

»So sei froh, daß ich es dir sage! Der Mensch, welcher seine Fehler erkennt, hat damit schon den ersten Schritt zur Besserung gethan, und du scheinst ein Mann zu sein, welcher in Beziehung auf den Umgang mit andern noch sehr viel zu lernen hat.«

»Hältst du dich etwa für denjenigen, von dem ich das lernen kann, was mir nach deiner Meinung jetzt noch fehlt?«

»Ja.«

»Maschallah! So hat also ein gütiges Wunder mich aus Persien hierher und mit dir zusammengeführt, damit ich Gelegenheit finde, hier im fremden Lande die Lücken meiner ungenügenden Erziehung durch deine Hilfe auszufüllen! Ich ergreife natürlich mit großer Freude diese Gelegenheit und werde mich also zu dir setzen.«

Er beugte schon die Kniee, um auf orientalische Weise bei uns Platz zu nehmen; da aber wehrte ich schnell ab:

»Halt! Das würde abermals ein Verstoß gegen die Höflichkeit sein. Habe ich dich eingeladen, uns Gesellschaft zu leisten?«

»Nein. Ich hoffe aber, daß du nichts dagegen hast, denn sonst würdest du es sein, welchem die Höflichkeit mangelt, die ich von dir lernen will.«

»Ganz richtig; aber man pflegt nicht Menschen einzuladen, welche man nicht kennt. Wir waren eher hier, als du, und darum bist du, wenn du bei uns bleiben willst, verpflichtet, uns zu sagen, wer und was du bist. Dann wird es sich entscheiden, ob ich deine Anwesenheit begehrenswert für uns finde.«

»Bäda – wie schlimm! Es ist also ganz von dir abhängig, ob ich bleiben darf oder nicht?«

»Natürlich!«

»So mußt du ein sehr hochstehender Herr sein, welcher gewohnt ist, nur in der Form des Befehles zu sprechen. Ich lege dir also mein Leben zu Füßen und bitte dich um die große Barmherzigkeit, mir zu erlauben, mich von dem Atem deines Mundes umwehen zu lassen. Hast du einmal den Namen Kaßim Mirza gehört?«

»Nein.«

»So sind dir die Verhältnisse meines Vaterlandes vollständig unbekannt. Ich bin dieser berühmte Kaßim Mirza und befinde mich unterwegs, um als Mu tämäd äl Mulk nach Bagdad zu reisen.«

»So bist du wohl ein Schahzahdä?«

»Ja.«

Das Wort Schahzahdä bedeutet Sohn oder Nachkomme, zuweilen auch Verwandter des Schah von Persien. Der Mann log natürlich; er war weder mit dem Schah verwandt, noch dessen Abgesandter. Ich behielt diese meine Meinung aber für mich und machte nur die Bemerkung:

»Da mußt du eine zahlreiche Begleitung bei dir haben. Wo befinden sich die Krieger und die Diener, welche dich zu beschützen haben?«

»Ich bin selbst ein Krieger und ein Mann und bedarf keines Beschützers. Meine Reise hat unter dem Baldachin der Heimlichkeit zu geschehen, denn es sind mir wichtige Angelegenheiten anvertraut, von denen kein Mensch etwas ahnen darf. Darum habe ich nur zwei Begleiter mitgenommen und einen Weg gewählt, auf welchem ich der Gefahr entgehe, als Schahzahdä erkannt zu werden.«

»Allah akbar! Da hätte sich meine Seele ja in ehrfurchtsvollster Dankbarkeit vor dir zu verbeugen!«

»Siehst du das ein? Aber ich liebe es, gütig zu sein. Du brauchst dich von der Hoheit meiner Abkommenschaft nicht erdrücken zu lassen!«

»Das fällt mir auch gar nicht ein. Ob du der Sohn eines Königs oder eines Bettlers bist, das ist mir vollständig gleichgültig. Wenn ich von Dankbarkeit sprach, so geschah dies nicht aus Ehrfurcht vor deiner Geburt, sondern aus Rücksicht auf die Offenheit, mit welcher du mich erfreust.«

»Offenheit?«

»Ja. Du bist ein Prinz und zugleich ein Abgesandter des Beherrschers von Persien. Das darf niemand wissen, denn deine Reise soll ein ebenso tiefes wie wichtiges Geheimnis sein. Du hast mir dieses Geheimnis dennoch geöffnet. Dies konnte nur geschehen, entweder weil du ein unvorsichtiger Vater der Plauderhaftigkeit bist, oder weil du ein so großes Wohlgefallen an mir gefunden hast, daß du gar nicht anders konntest, als mir dein verschwiegenes Herz zu öffnen. Da nun der Träger so wichtiger Geheimnisse sicher ein sehr verschwiegener Mann ist, so nehme ich an, daß nicht deine Unvorsichtigkeit, sondern dein Wohlwollen mich erleuchtet hat, und nur darum habe ich von Dank gesprochen.«

Er merkte, obgleich ich mich so harmlos wie möglich gab, doch, daß er einen großen Fehler begangen hatte, denn ich sah ihm an, daß er sich Mühe gab, seine Verlegenheit zu verbergen. Er that dies, indem er mir in herablassendem Tone bestätigte:

»Ja, du hast mir gleich gefallen, als ich dich erblickte, und nur aus diesem Grunde bekamst du das zu hören, was eigentlich niemand wissen darf. Aber nun hoffe ich auch, daß du in Anerkennung meiner Freundlichkeit die große Ehre anerkennst, mit welcher meine Gegenwart die Tiefe deines Innern erfüllen muß. Ich werde mich also nun zu euch setzen.«

»Ich habe nichts dagegen; aber darf ich wissen, wo du deine Begleiter gelassen hast?«

»Sie stehen nicht weit von hier und werden gleich erscheinen. Wir hörten euern Schuß und eilten herbei, um euch beizustehen, denn wir sagten uns, daß jemand, welcher schießt, sich in Gefahr befinden müsse.«

Er klatschte in die Hände, worauf seine beiden Kameraden erschienen, die er mit den Worten zum Niedersetzen veranlaßte:

»Diese fremden Männer haben mich, Kaßim Mirza, den Schahzahdä, gebeten, ihren Abend durch unsere Gesellschaft zu verschönern, und Namen und den Titel sagte, war wieder eine Unvorsichtigkeit ich will sie nicht durch die Zurückweisung ihrer Bitte betrüben; laßt euch zu meinen beiden Seiten nieder!«

Sie gehorchten dieser Aufforderung. Daß er ihnen den von ihm, denn dieser Umstand mußte, falls ich nicht schon vorher gewußt hätte, woran ich war, mein Mißtrauen erwecken. Er ließ sie wissen, für wen er sich ausgegeben hatte, damit sie ihn nicht etwa bei seinem richtigen Namen nannten. Mein kleiner Halef hatte bis jetzt noch kein Wort gesagt. Ich sah ihm an, daß er sich ärgerte, und war überzeugt, daß er die nächste beste Gelegenheit ergreifen werde, dieser Mißstimmung Luft zu machen. Er hatte gar nicht lange zu warten; der angebliche Kaßim Mirza kam ihm mit der Bemerkung entgegen.

»Ihr habt erfahren, wer wir sind, und könnt euch denken, daß wir nun auch eure Namen hören möchten.«

Da antwortete, ehe ich die Lippen öffnen konnte, der Hadschi schnell:

»Da du der Sohn des berühmtesten Beherrschers bist, nehme ich an, daß du alle Königreiche und Länder der Erde kennst?«

»Ich kenne sie,« nickte der Gefragte.

»Auch Ustrali?«

»Ja.«

»Und Yängi dunya?«

»Auch das.«

»So wisse, daß ich der Schah von Ustrali bin, und dieser erlauchte Herrscher, welcher hier neben mir sitzt, ist der große Sultan von Yängi dunya.«

Der Kleine machte dabei ein außerordentlich ernstes, wichtiges Gesicht. Der Perser riß die Augen auf und sah ihn erstaunt an, ohne zunächst ein Wort zu sagen. Er wußte offenbar nicht, was er von dem Hadschi denken sollte. Dieser fuhr in demselben überzeugungsvollen Tone fort:

»Auch wir haben Geheimnisse für Bagdad, Geheimnisse von so großartiger Wichtigkeit, daß wir sie keinem Boten oder Gesandten, nicht einmal einem Schahzahdä anvertrauen könnten. Darum sind wir für kurze Zeit von unsern goldenen Thronen gestiegen und mit der Rah-i-ahän über die großen Meere gefahren, um unsere Briefe selbst zu überbringen.«

»Rah-i-ahän?« fragte der Perser, der noch immer nicht wußte, woran er mit Halef war: »Die giebt’s ja gar nicht auf dem Meere!«

»Warum nicht? Unsere Herrschermacht ist so groß, daß wir uns gar nicht darum zu bekümmern brauchen, ob es etwas giebt oder nicht. Die Gahrha, welche wir von Zeit zu Zeit brauchten, haben wir auf den Kahläskä-i-Bukhahr geladen und gleich mitgenommen. So oft wir anhalten und aussteigen wollten, wurde schnell einer aufgestellt.«

»Auf dem Wasser des Meeres – – –?«

»Ja!«

Da wendete sich der Perser an mich und sagte in mitleidigem Tone:

»Erlaube mir, daß ich dich nicht begreife!«

»Warum?« fragte ich.

»Man macht doch keine Reise in der Gesellschaft eines Mannes, in dessen Kopf der Irrsinn wohnt!«

»Irrsinn? Wie kommst du zu diesem Worte?«

»Wer behauptet, mit der Eisenbahn über das Meer gefahren zu sein und die Bahnhöfe mitgenommen zu haben, dessen Gehirn ist krank!«

»Du irrst. Das Gehirn dieses meines Freundes ist vielleicht gesünder, als das deinige.«

»So willst du behaupten, daß er die Wahrheit gesagt habe?«

»Ich behaupte, daß er stets ganz genau weiß, was er sagt.«

»Allah erbarme sich! Er ist nicht allein krank, sondern ihr seid beide verrückt!«

Sein Auge ging forschend zwischen mir und Halef hin und her, doch nur für kurze Zeit, denn seine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt. Unsere Pferde waren, sich nahe zusammenhaltend und von Busch zu Busch die jungen Zweige fressend, in den Bereich des Feuerscheines gekommen. Der Perser sah sie; er war jedenfalls ein Kenner, denn kaum war sein Blick auf sie gefallen, so sprang er auf und ging hin, die Tiere zu betrachten.

»Was sehe ich!« rief er aus. »Zwei wahnsinnige Menschen haben solche Pferde! Diese Hengste sind unverkäuflich; sie können nicht bezahlt werden! Kommt her! Schaut sie an! Selbst im Stall des Schah-in-schah kann es nichts Edleres geben!«

Diese Aufforderung galt seinen Begleitern. Sie folgten derselben. Die Pferde wurden von allen Seiten betrachtet. Dabei sprachen die drei Männer leise und immer leiser miteinander. Wir thaten, als ob wir das und die sonderbaren Blicke, welche sie auf uns warfen, gar nicht beachteten. Dann kehrten sie zu uns zurück und setzten sich wieder nieder.

»Diese Pferde sind euer Eigentum?« fragte der mit dem Zapfenbarte.

»Ja,« antwortete Halef. »Glaubst du, daß Könige auf fremden Pferden reiten?«

»Von wem habt ihr sie?«

»Selbst gezüchtet. Unsere Marställe wimmeln von solchen edlen Tieren.«

»Ich sehe hier ein Floß am Ufer liegen. Gehört es euch?«

»Ja.«

»Ihr seid also nicht zu Pferde hierher gekommen?«

»O doch!«

»Aber wenn man ein Floß benutzt, reitet man doch nicht!«

»Das denkst du bloß; aber die Beherrscher von Ustrali und Yängi dunya machen das anders. Wir haben die Pferde an das Floß gespannt, uns in den Sattel gesetzt und sind dann so den Tigris herabgeritten.«

»Du bist verrückt, wirklich verrückt!«

»Lächerlich! Wie könnte ich ganz Ustrali regieren, wenn ich wahnsinnig wäre!«

»Grad das ist ja deine Verrücktheit, daß du dir einbildest, der Schah von Ustrali zu sein!«

»Dann bist du ganz ebenso verrückt wie ich!«

»Wieso?«

»Weil du dir einbildest, ein Schahzahdä zu sein und Kaßim Mirza zu heißen.«

»Das ist keine Einbildung, sondern Wahrheit!«

Da wendete sich Halef mir zu und sagte, indem er den Kopf schüttelte:

»Effendi, hast du so etwas für möglich gehalten? Dieser Mann hält uns für wahnsinnig und muß doch selbst im höchsten Grade verrückt sein, sonst hätte er schon längst begriffen, warum ich uns für Könige ausgebe. Wenn er ein Schahzahdä ist, müssen wir beide wenigstens Beherrscher ganzer Weltteile sein!«

Jetzt erst begann der Perser zu ahnen, daß er eine Ironie für Ernst genommen hatte. Er blitzte den Kleinen mit zornigen Augen an und fragte:

»So hast du also die Absicht gehabt, mich zu verspotten?«

»Ja,« lautete die furchtlose Antwort.

Die Hand des »Vaters der Gewürze« zuckte nach dem Gürtel; er zog sie aber wieder zurück und sagte in ruhigerem Tone:

»Eigentlich sollte ich dich züchtigen; aber da fällt mir ein, daß du vielleicht gar nicht weißt, mit wem du redest. Kennst du den Unterschied zwischen Kaßim Mirza und Mirza Kaßim?«

Es muß bemerkt werden, daß das Wort Mirza, wenn es hinter dem Namen steht, so viel wie »Prinz« bedeutet; steht es vor dem Namen – z. B. Mirza Schaffy – so ist es ein Titel, welcher jedem gebildeten Manne zukommt.

»Ich kenne ihn,« antwortete Halef.

»Ich heiße nicht Mirza Kaßim, sondern Kaßim Mirza; du hast also einen Prinzen vor dir!«

»Du heißest weder Mirza Kaßim noch Kaßim Mirza, und ich habe also weder einen Prinzen noch einen Mann vor mir, welcher das Wort Mirza vor seinen Namen setzen darf!«

»Allah! Welch eine Beleidigung! Soll ich dir mit der scharf geschliffenen Klinge antworten?«

Jetzt zog er das Messer wirklich aus dem Gürtel. Halef antwortete in ruhigem Tone:

»Laß sie nur stecken, denn ehe du mich mit ihr berühren könntest, würdest du eine Leiche sein!«

»Allah! Glaubst du das in Wirklichkeit?«

»Ja. Siehst du denn nicht, was mein Gefährte da in seiner Hand hält? Du hättest das Messer noch nicht erhoben, so säße seine Kugel dir schon im Kopfe!«

Ich hatte allerdings, als der Perser sein Messer zog, sofort den Revolver in die Hand genommen. Er schob es wieder in die Scheide und sagte in selbstbewußtem Tone:

»Wir würden ja sehen, wer schneller wäre, er oder ich! Ich bin aber bereit, dir zu verzeihen, wenn du mir Abbitte leistest.«

»Abbitte?« lachte Halef. »Hast du es gehört, Effendi, ich soll Abbitte leisten, ich, Hadschi Halef Omar! Hat es jemals einen Menschen gegeben, welcher es unbestraft wagen durfte, eine solche Forderung an mich zu richten?«

»Unbestraft?« lachte der Perser. »Wer bist du denn, daß du in dieser Weise von dir sprichst?«

»Wer ich bin? Du wirst es hören und darüber erstaunen! Ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah!«

»Dieser Name ist lang wie eine Schlange, die man mit dem Fuß zertritt. Bist du weiter nichts?«

»Du willst ein vornehmer Perser sein und weißt nicht einmal, daß der, welcher Hadschi Halef Omar heißt, der oberste Scheik der berühmten Haddedihn ist?«

»So! Du bist also ein Haddedihn, meinetwegen auch der Scheik dieses Stammes; ich habe nichts dagegen! Und wer ist dein Kamerad?«

»Der ist noch tausendmal berühmter als ich. Er ist der tapfere, unbesiegbare Emir Hadschi Kara Ben Nemsi Effendi, den alle seine Feinde fürchten.«

»Fürchten?« fragte der Pädär-i-Baharat, indem er seinen Blick mißtrauisch forschend über mich gleiten ließ. »Du nennst ihn Ben Nemsi?«

»Ja.«

»So stammt er wohl aus dem Lande, welches Aelman genannt wird?«

»Ja.«

»So ist er in Isäwi?«

»Ja.«

Da sprang der Schiit rasch vom Boden auf, spie vor mir aus und rief:

»Bi Khatir-i Khuda – um Gottes willen! Was haben wir gethan! Wir haben neben einem stinkenden Aase gesessen, neben einem Ungläubigen, welcher das Weib Miryäm anbetet und Isa, den Lügner, für einen Gott hält! Allah verfluche euch! Wir haben uns an euch verunreinigt und müssen – – –«

Er kam nicht weiter. Ich war ruhig sitzen geblieben, denn ich wußte, daß Halef an meiner Stelle handeln werde, und gönnte ihm diese Freude; dieser aber war aufgesprungen, legte die Hand an den Gürtel, um die Peitsche loszumachen und donnerte den Beleidiger so an, daß dieser mitten in der Rede inne hielt:

»Schweig, Unverschämter! Was fällt dir ein? Du kannst die Frechheit deiner Worte sehr leicht mit dem Leben zu bezahlen haben! Dieser mein Effendi braucht dich nur ein wenig mit der Hand zu berühren, so kannst du dich als Leiche am Boden liegen sehen! Aber das ist gar nicht nötig; er braucht keinen Finger zu rühren, denn wenn du nur noch ein einziges unrechtes Wort sagst, so hast du es mit mir zu thun!«

Da trat der »Vater der Gewürze« einen Schritt zurück, ließ sein Auge verächtlich über die Gestalt seines Gegners gleiten, lachte laut auf und antwortete:

»Was sagst du? Du, du willst mich zum Schweigen bringen? Dieser dein Effendi wird mich zu Boden schlagen? Ich würde mich vor zwanzig solcher Kerle, wie ihr seid, nicht fürchten! Ein solcher Zwerg und Knirps, wie du, kann mich mit einer solchen Drohung nur zum Lachen bringen, denn – – –«

Er konnte auch dieses Mal nicht weitersprechen, und zwar aus einem viel »schlagenderen« Grunde als vorhin. Halef, welcher überhaupt niemals eine Beleidigung auf sich sitzen ließ, konnte durch nichts in so großen Zorn gebracht werden, als wenn man ihn wegen seiner kleinen Gestalt verspottete. In solchen Fällen pflegte die Strafe schnell wie ein Blitz der That zu folgen; so auch jetzt. Kaum waren die Worte Zwerg und Knirps ausgesprochen, so holte er aus und strich dem Perser die Nilhautpeitsche in einer solchen Weise quer über das Gesicht, daß der Getroffene mit einem überlauten Schrei zurücktaumelte und Mühe hatte, nicht zu Fall zu kommen. Das Gesicht mit den Händen bedeckend, wankte er halb bewußtlos hin und her. Seine beiden Gefährten schnellten von ihren Sitzen auf und zogen die Messer. Halef stand flammenden Auges mit hoch erhobener Peitsche da, und auch ich war natürlich nun aufgestanden, um dem wackern Kleinen beizustehen.

So standen wir uns eine Weile wortlos und doch in sehr beredter Weise gegenüber, bis der Anführer der Gegner die Hände sinken ließ. Ueber dem Peitschenstrich, welcher das ganze Gesicht durchquerte, waren zwei in blöder Wut stierende Augen zu sehen, welche sich auf den Hadschi richteten; die beiden Arme wurden erhoben; die Hände ballten sich zu Fäusten, und dann that der vor Grimm nicht mehr zurechnungsfähige Mann einen Sprung, um Halef zu packen; dieser aber wich gewandt zur Seite aus, versetzte ihm einen zweiten Hieb, welcher quer über die Oberlippe strich und schlug ihm dann den schweren Knopf der Peitsche so in den Nacken, daß er niederstürzte. Halef warf sich sofort auf ihn und nahm ihn mit beiden Händen am Halse fest.

Das war viel schneller geschehen, als man es erzählen kann, so schnell, daß die beiden Untergebenen des Persers keine Zeit gefunden hatten, ihrem Herrn zu Hilfe zu kommen. Jetzt wollten sie es thun und Halef von hinten fassen; aber ich streckte den einen mit meinem bekannten Jagdhieb an die Schläfe besinnungslos nieder und nahm den andern bei der Gurgel, daß er zwar schreien wollte, aber nur ein stöhnendes Röcheln hervorbrachte. Ich zog ihm das Messer und die Pistole aus dem Gürtel, schleuderte beides in das Wasser und warf ihn dann zu Boden, daß er liegen blieb. Da rief mir Halef zu:

»Sihdi, komm her! Du bist mit den Kerlen fertig; dieser aber macht mir zu schaffen; er will in die Höhe.«

»Hol Riemen vom Floß; wir binden sie!« antwortete ich.

Während ich den Schiiten hielt, folgte er dieser Weisung, und dann dauerte es nicht lange, so waren alle drei an Händen und Füßen gefesselt.

»Was thun wir jetzt?« fragte Halef. »War es notwendig, sie zu binden?«

»Ja.«

»Hätten wir nicht lieber einen andern Lagerplatz aufsuchen sollen?«

»Wir als Sieger? Fällt mir nicht ein! Auch brauchen wir den Schlaf, und ich habe keine Lust, diesen Menschen auch nur fünf Minuten davon zu opfern. Wollen einmal sehen, was sie einstecken haben!«

»Willst du Beute machen? Das sieht dir doch gar nicht ähnlich, Sihdi!«

»Nein; aber wir erfahren auf diese Weise vielleicht, was dieser angebliche Schahzahdä eigentlich ist.«

Ich hatte noch einen andern Grund dazu, den ich aber dem Hadschi jetzt nicht sagte, weil der »Vater der Gewürze«, welcher nicht, wie seine Gefährten, besinnungslos war, dies gehört hätte. Wir untersuchten erst ihn. Ich hatte die heimliche Hoffnung, irgend etwas zu finden, was mir Aufschluß über seine Geheimnisse geben könne. Wir fanden zunächst nichts als sein Geld und die schon erwähnte Berechnung, aus der aber nichts zu ersehen war. Er hatte mehrere Ringe anstecken, dabei einen goldenen mit einer achteckigen Platte mit arabischen Buchstaben; auch dieser fiel mir jetzt noch nicht auf. Auch bei seinen Gefährten war nichts zu finden, bis ich schließlich nach ihren Fingern sah. Sie hatten ganz dieselben Ringe, nur daß diese bei ihnen von Silber waren. ich zog sie ihnen ab und hielt sie an das Feuer, um die Schrift zu lesen. Ich sah ein sâ mit einem lâm verbunden, über welchem das Verdoppelungszeichen zu sehen war; das ergab das Wort Sill = Schatten.

Jetzt war ich überzeugt, das Gesuchte gefunden zu haben. Diese Ringe waren ohne allen Zweifel Erkennungszeichen, Beweise der Mitgliedschaft irgend einer geheimen Verbrüderung. Ich mußte alle drei haben, aber ohne daß die Perser wußten, daß ich sie behielt. Ich hob also, ohne daß der »Vater der Gewürze« es sah, drei Steinchen vom Boden auf, nahm sie in die hohle Hand und sagte hierauf laut zu Halef:

»Das sind zwei sehr sonderbare Ringe. Ich will doch sehen, ob der dritte ähnlich ist.«

Hierauf bemächtigte ich mich auch des goldenen, indem ich ihn mit Gewalt von der Hand des vergeblich sich dagegen sträubenden Pädär-i-Baharat zog, betrachtete ihn oberflächlich, als ob es meine Absicht gar nicht sei, das Wort, welches ganz dasselbe war, zu lesen, und erklärte dann dem Hadschi:

»Lieber Halef, das sind Zauberringe, welche jedenfalls noch aus der Zeit Harun al Raschids stammen. Bei uns Christen ist die Zauberei verboten, und so werde ich mir ein Verdienst erwerben, wenn ich diese Chawahtim el Chatija in das Wasser werfe.«

Da rief der Perser zornig aus:

»Diese Ringe gehören uns, nicht dir! Seid ihr Diebe und Räuber? Her damit!«

»Das forderst du vergeblich,« antwortete ich. »Es ist meine Pflicht, euch von der Zauberei abzuhalten, die euch in das Verderben führt. Die Ringe gehören in das Wasser, wo sie nie wieder zu finden sind. Paß auf! Eins – – zwei – – drei – –!«

Ich warf bei jedem dieser drei Worte ein Steinchen in die Flut. Der Perser hörte sie fallen und war überzeugt, daß es die Ringe seien, denn er sagte nach dem letzten Würfe in höhnischem Tone:

»Glaube ja nicht, daß du dir mit diesem Diebstahl ein Verdienst erworben hast! Es giebt mehr solche Ringe, als du denkst, und wir werden schon in kurzer Zeit wieder welche haben. Mit euch aber rechnen wir ab: das schwöre ich dir bei Ali, dem größten der Kalifen, zu!«

Während ich unbemerkt von ihm die Ringe einsteckte, antwortete ihm Halef, welcher als früherer Anhänger der Sunna nicht hoch von Ali dachte:

»O, schweig von diesem größten der Kalifen! Er hatte einen kahlen Kopf; sein Bart sah aus wie ein weißer Baumwollenwisch, und sein Bauch hing ihm bis auf das Knie herab, denn er war ein Fresser, wie es keinen zweiten gegeben hat, soweit die Erde reicht. Und wenn ihr Schiiten sagt, daß sein heiliger Herrscherberuf aus seiner Liebe und Treue zu Fatimeh, der Tochter des Propheten, erwachsen sei, so sind wir Sunniten besser unterrichtet und wissen, daß diese seine Fatimeh Khanum viel länger am Leben geblieben wäre, wenn sie sich nicht über noch acht andere Frauen und zwanzig Sklavinnen zu Tode geärgert hätte!«

»Allah verdamme deine böse Zunge! Wenn du in meine Hände fällst, werde ich sie dir aus dem Munde schneiden!«

Inzwischen war seinen beiden Untergebenen das Bewußtsein zurückgekehrt; sie verhielten sich ganz ruhig. Um unbesorgt schlafen zu können, mußten wir der Gefangenen vollständig sicher sein; wir banden sie also einzeln, voneinander entfernt, an drei Büsche so fest, daß sie unmöglich loskommen konnten, und zogen uns dann mit unsern Pferden so weit vom Wasser zurück, daß wir, falls die Perser durch irgend einen Zufall losgekommen wären, von ihnen erst nach langem Suchen hätten gefunden werden können. Ihre Waffen, außer denen, die ich in das Wasser geworfen hatte, nahmen wir natürlich mit. Wir legten uns mit unsern Pferden nieder. Als ich dem meinigen die betreffende Sure in das Ohr gesagt hatte, fragte mich Halef:

»Sihdi, du hast ein Geheimnis vor mir. Darf ich es erfahren?«

»Welches Geheimnis meinst du?«

»Als du die Ringe in das Wasser geworfen hattest, stecktest du etwas heimlich ein. Was war das?«

»Das waren die drei Ringe.«

»Die kannst du doch nicht einstecken, wenn sie im Wasser liegen!«

»Ich habe sie eben nicht weggeworfen.«

»Nicht? Ich hörte sie doch hineinfallen!«

»Das waren Steine.«

»Allah! Warum diese Täuschung?«

»Sie galt nicht dir, sondern dem Perser. Er gehört mit seinen Begleitern einer heimlichen Verbindung an; die Ringe sind sehr wahrscheinlich die Zeichen der Mitgliedschaft. Wer weiß, wie weit diese Verbindung verbreitet ist, vielleicht über ganz Persien. Wir aber gehen nach Persien. Verstehst du mich vielleicht?«

»Ich ahne, was du meinst. Du denkst an alles und wendest jede Sache und jedes Ereignis zu deinem Nutzen an. Wir kennen das Zeichen dieses Bundes; das kann uns unter Umständen in Persien von großem Vorteil sein.«

»Daß wir dieses Zeichen kennen, ist nicht so wichtig, wie daß wir es auch besitzen. Es kann die Möglichkeit eintreten, daß wir uns mit Hilfe dieser Ringe für Sillan ausgeben.«

»Sillan? Was ist das?«

»So nennen sich die Mitglieder. Jedes, einzelne wird Sill genannt. Dieses Wort, Schatten, deutet auf eine geheime Thätigkeit hin, welche jedenfalls keine gesetzliche ist, weil sie das Licht des Tages scheut. Die gewöhnlichen Mitglieder haben silberne, die Vorgesetzten aber goldene Ringe. Wenn ich mich nicht irre, wird der Oberste dieses Geheimbundes Aemir-i-Sillan genannt.«

»Sihdi, ich habe einen Gedanken! Sollte es sich um die Sekte der Babi handeln?«

»Das ist möglich. Zwar möchte ich die Babi und die Sillan nicht als gleichbedeutend nehmen, aber es ist nicht unwahrscheinlich, daß die letzteren zu den ersteren gehören. Du weißt genau, was die Babi sind und was sie wollen?«

»Nicht genau. Ich habe nur gehört, daß sie Feinde des Schah sind und von diesem unerbittlich verfolgt werden; warum aber, das ist mir unbekannt. Kannst du es mir sagen, Effendi?«

»Ja. Der Gründer dieser Sekte war der junge Ali Mohammed aus Schiras, welcher sich Bab nannte, weil er lehrte, daß man durch ihn zu Gott gelange. Seine Anhänger glauben, daß der Bab höher als Muhammed stehe, daß es in der Welt nichts Böses, also auch keine Sünde gebe und daß das Gebet nicht unbedingt nötig sei. Sie verbieten den Frauen, sich mit dem Schleier zu verhüllen, und wollen dem Manne nur eine Frau erlauben. Dies alles verstößt gegen die Lehren der Sunna und der Schia. Die weltliche Regierung haben sie sich dadurch zur Feindin gemacht, daß sie neunzehn Oberpriester haben wollen, welche über dem Herrscher stehen sollen.«

»Das wird der Schah nie zugeben!«

»Richtig! Nassr-ed-din hat sehr strenge Maßregeln gegen sie ergriffen, welche sich in grausame Verfolgungen verwandelten, als einige Babi ein Attentat gegen das Leben des Schah ausführten. Alle, welche als Anhänger der Sekte erkannt und ergriffen wurden, starben einen qualvollen Martertod; die andern waren gezwungen, scheinbar ihrem Glauben zu entsagen oder sich außerhalb des Landes zu flüchten. Aber im stillen zählt diese Sekte viele, viele tausend Anhänger, welche fest zusammenhalten, sich gegenseitig schützen und helfen, kein Opfer scheuen und, wenn es ihren Glauben gilt, auch vor keinem Verbrechen, und wenn es das schwerste sei, zurückschrecken. Menschen, welche behaupten, daß es keine Sünde gebe, kennen auch den Begriff und das Wort Verbrechen nicht.«

»Grad und genau wie so einer kommt mir der Perser vor, dem ich die Peitsche gegeben habe!«

»Mir auch. ich bin überzeugt, daß die Babi der Regierung von Persien noch viel zu schaffen machen werden, wie auch dieser von dir Gezüchtigte uns sehr zu schaffen machen wird, falls unser Weg sich mit dem seinigen wieder einmal kreuzen sollte.«

»Meinst du, daß es besser wäre, wenn ich ihn nicht geschlagen hätte?«

»Darüber wollen wir uns jetzt keine Gedanken machen. Es ist geschehen und also nicht zu ändern. Ich ersuche dich aber, mich ein andresmal erst um Erlaubnis zu fragen, ehe du zur Peitsche greifst!«

»Sihdi, das ist nicht möglich! Was sollen die, denen ich die Kurbatsch geben will, von mir denken, wenn ich dich erst bitte, es thun zu dürfen? Ich würde die Hochachtung beleidigen, welche ich und alle Menschen mir, dem berühmten Hadschi Halef Omar, zu zollen haben.«

»Du brauchst nicht so zu fragen, daß man es hört. Es genügt ein Blick auf mich, den ich dir auch durch einen Blick beantworte.«

»Wirst du diesen Blick aber auch verstehen? Ich weiß nicht, ob der Blick des Prügelns von den andern Arten der Blicke leicht zu unterscheiden ist.«

»Ich unterscheide ihn; darauf kannst du dich verlassen.«

»Und nun sag- Wirst du die Ringe alle drei behalten?«

»Nein. Einen gebe ich dir; aber du darfst ihn erst dann anstecken, wenn wir uns von den Persern getrennt haben, denn sie sollen nicht wissen, daß wir ihre Ringe noch besitzen.«

»Ich bin zufriedengestellt. Allah sei Dank, daß du gekommen bist, mich abzuholen! Mein Leben verfloß in der letzten Zeit wie ein Nest voll Hühnereier.«

»Sonderbarer Vergleich!«

»Er ist gar nicht sonderbar. Wie in diesem Neste ein Ei dem andern gleicht, so war in meinem Leben ein Tag dem andern auch vollständig gleich. Ich sehnte mich nach Thaten, fand aber keine Gelegenheit; und wenn es ja einmal eine Gelegenheit gab, so bekam ich keine Erlaubnis dazu.«

»Wallah! Hast du um Erlaubnis zu fragen?«

»Ich habe es nicht nötig, aber ich thue es dennoch, denn der Friede im einzelnen Zelte ist ebenso nützlich wie der Friede zwischen den Völkern. Oder fragst du etwa deine Dschanneh nicht, wenn ein Abenteuer dich von ihrer lieblichen Seite fortlocken will?«

An meinem Vaterlande giebt es nicht das, was du Abenteuer nennst.«

»Dann sind die Bewohner eurer Oasen zu beklagen! Nun begreife ich, warum du so gern in fremde Länder gehst, und das ist auch gut für mich, denn kaum haben wir unsere Reise erst angetreten, so haben wir schon drei Schiiten gefangen, drei Ringe des Geheimnisses erobert und zwei Hiebe mit der Peitsche ausgeteilt. Die Kraft der Männlichkeit ist wieder in mir munter geworden; die Tapferkeit erwacht in meinem Herzen, und meine Träume führen mir die Siege vor, welche wir miteinander erringen werden.«

»Das gönne ich dir, lieber Halef! Und weil man nur im Schlafe träumen kann und dir diese im voraus genommenen Siege so große Freude machen, so kannst du jetzt nichts besseres thun als schlafen. Gute Nacht also!«

»Schon?! O Sihdi, ich hätte mich so gern noch länger mit dir unterhalten. Meine Hanneh …«

»… ist die beste der Frauen und wünscht, daß du von ihr träumst; also schlaf!« fiel ich ihm in die Rede.

»Und Kara Ben Halef …«

»… ist der beste aller Söhne, und der Traum wird dir ihn vielleicht zeigen; schlaf also!«

»Gut, ich gehorche! Du bist ein Tyrann geworden gegen mich und dich. Deine Dschanneh …«

»… will, daß ich alle Tage richtig ausschlafe; also: Gute Nacht!«

»Sihdi, ich bin gar nicht mit dir einverstanden, werde dir aber trotzdem gehorchen. Ich hätte dir noch viel, sehr viel zu sagen, doch weil du es nicht anders willst, so sage ich nur noch: Gute Nacht!«

Er drehte sich um und gab sich nicht vergeblich Mühe, einzuschlafen, denn es dauerte nicht lange, so hörte ich an seinen regelmäßigen Atemzügen, daß er in den Armen jenes wohlthätigen Gottes lag, welcher von den Beduinen nicht Morpheus, sondern Nohm genannt wird.

Ich fiel gar bald in dieselben Arme, und als ich mich am Morgen ihnen entwand, war es bereits vollständig hell. Halef schlief noch, und ich weckte ihn. Wir führten unsere Pferde nach dem Wasser und sahen nach unseren Gefangenen. Sie hatten sich alle Mühe gegeben, loszukommen, doch vergeblich. Welch einen Anblick bot der »Vater der Gewürze«! Die beiden Schwielen waren dick angeschwollen und dann aufgesprungen. Er hatte jedenfalls nicht geringe Schmerzen auszustehen, und ich will gestehen, daß ich ihn jetzt bedauerte. Später freilich, als ich ihn besser kennen lernte, sah ich ein, daß dieses Mitgefühl sehr überflüssig gewesen war.

Seine Augen waren tief gerötet, und seine Stimme klang heiser zischend, als er mich anfuhr:

»Hund, binde mich los! Wir müssen fort!«

Da ich auf diese Beleidigung schwieg, antwortete Halef an meiner Stelle:

»Wenn du in dieser Weise mit meinem Effendi sprichst, lassen wir euch die Fesseln und ihr werdet hier liegen bleiben, bis ihr verschmachtet!«

»Wir haben euch nichts gethan!«

»Allah scheint dir nicht wohlgesinnt zu sein, da er dir ein so schlechtes Gedächtnis gegeben hat.«

»Was ich sagte, geschah nur, weil ihr mich reiztet. Hättet ihr euch nicht für die Beherrscher von Ustrali und Yängi dunya ausgegeben!«

»Das thaten wir als wohlverdiente Antwort darauf, daß du dich Kaßim Mirza nanntest.«

»Ich heiße wirklich so!«

»Nein!«

»Beweise es, daß mein Name ein anderer ist!«

»Mach dich nicht lächerlich!«

»Wenn ich euch wieder treffe, wirst du mich wohl nicht lächerlich finden!«

»Du drohst uns also? Gut! Wir binden euch also nicht los!«

Er setzte sich zu mir und nahm sein Frühstück zur Hand. Da schlug der Perser einen andern Ton an. Er erklärte, daß er das Geschehene als ungeschehen betrachten wolle, nur möchten wir ihn losbinden, denn er müsse unbedingt fort. Seine Wut war jedenfalls so groß, daß sie gar nicht größer werden konnte. Wenn es ihm trotzdem gelang, sie zu beherrschen, so mußten es sehr zwingende Gründe sein, welche ihn den Fluß abwärts riefen. Ich überließ es Halef, weiter mit ihm zu sprechen. Dieser gab seinen Entschluß dahin kund:

»Du hast uns belogen, beleidigt und beschimpft; darum haben wir dir gezeigt, daß wir Männer sind, welche sich das nicht unbestraft gefallen lassen. Wir haben euch gebunden und nehmen die Riemen nur dann von euch, wenn du die Beleidigungen zurücknimmst, welche du ausgesprochen hast.«

»Ich nehme sie zurück.«

»Und uns um Verzeihung bittest!«

»Ich bitte darum.«

»Und uns versprichst, es nie wieder zu thun!«

»Allah verbrenne dich! Du darfst nicht allzuviel von mir verlangen!«

»Ganz wie du willst. Ihr bleibt also liegen!«

»Beim Barte meiner Ahnen, du bist der grausamste Mensch, den ich gesehen habe!«

»Mein Herz ist so weich und mild wie fließende Butter, wenn man thut, was ich verlange.«

»So stärke mich Allah! Ich werde also thun, was du gesagt hast.«

»Was?«

»Ich verspreche, euch nicht wieder zu beleidigen.«

»Schön! Wir werden dich also losbinden.«

»Aber gleich!«

»Wann und wie wir es thun werden, das kommt auf den berühmten Emir Hadschi Kara Ben Nemsi hier an.«

»Du hast gesagt, du seiest ein Scheik; also hast du wohl zu bestimmen!«

»Der Effendi ist ein noch viel größerer Scheik als ich. Er zählt seine Pferde nach Hunderten, seine Kamele nach Tausenden, und sein Harem wimmelt von schönen Frauen, welche ihm den Pillav und den gebratenen Hammel bereiten. Wende dich also an ihn!«

Das war dem Perser denn doch zu viel. Er schwieg. Ich beeilte mich mit dem Frühstücke und machte mich dann über die Feuerwaffen der Gefangenen her: Ich schoß ihre Pistolen und Flinten ab – die letzteren mußte Halef von dem Lagerplatze der Perser holen – und warf dann ihre Pulverbeutel in das Wasser.

»O wehe, wehe!« schrie der Pädär-i-Baharat da auf. »Warum vernichtest du das einzige Pulver, welches wir noch haben?«

Ich antwortete noch immer nicht. Er konnte es sich doch denken, daß ich es aus Vorsicht that; es mußte diesen Leuten die Möglichkeit, auf uns zu schießen, genommen werden, sonst wären wir schon gleich nach ihrer Entlassung nicht vor ihnen sicher gewesen. Als ich in dieser Weise für uns gesorgt hatte, schafften wir die Pferde auf das Floß, auf welchem ich blieb, während ich Halef aufforderte, den Gefangenen, welcher Aftab genannt worden war, loszulassen. Es war das derselbe, dessen Messer und Pistole ich in das Wasser geworfen hatte. Der kleine Hadschi ging zu ihm hin und sagte:

»Du hast gehört, daß ich dich losbinden soll; eigentlich bist du das gar nicht wert; aber ich will Gnade walten lassen und dir die Freiheit wiedergeben. Du kannst dann deine prachtvollen Kameraden befreien, aber ja nicht eher, als bis wir fort sind, sonst bekommst du eine Kugel in den Kopf, hast du das gehört?«

»Ja,« nickte der Gefragte.

»Und wenn dein Herr, oder was er ist, darüber klagen sollte, daß die wohlthuende Empfindlichkeit seines Gesichtes ihm das Herz mehr als gewöhnlich erquicke, so reibe ihm die beiden Karawanenwege, welche ich quer über sein edles Antlitz gelegt habe, mit Salz und Pfeffer ein; das wird seine Wonne verdoppeln und die holdseligen Gefühle seines Daseins stärken!«

Der Pädär-i-Baharat, weicher diese Worte gehört hatte, wartete, bis Halef sich wieder bei mir auf dem Floß befand, und rief uns dann in grimmigem Tone zu:

»Fahrt in die Hölle, ihr räudigen Anhänger der Zauberei, ihr Räuber und Diebe der Ringe, welche ihr uns abgenommen habt! Hütet euch, uns wieder zu begegnen! Der Tag, an welchem mein Auge euch zum zweitenmal erblickt, wird der letzte eures Lebens sein, denn meine Kugel wird euch die Pforte öffnen, hinter welcher es nur einen Weg giebt, und der führt zur Hölle hinab, wo ihr die Peitschenhiebe mit ewiger Verdammnis bezahlen werdet!«

Es fiel mir nicht ein, ihm eine Antwort zu geben; aber Halef, der stets sprachfertige und redelustige, erwiderte ihm:

»Du warnst uns vor dem Wiedersehen, ich aber freue mich darauf, denn ich habe die sehnsuchtsvolle Steppe deines Gesichtes ausgemessen und dabei gefunden, daß es da Platz für noch mehr solche Kamelpfade giebt. Sobald Allah deinen Weg wieder vor unsere Augen führt, werde ich nicht unterlassen, dir die Seligkeit dieser letzten Nacht durch einige neue Hiebe in das Gedächtnis zurückzurufen. Bis dahin aber denke zuweilen an uns, die wir deine besten und treuesten Freunde sind und sich immer gern an Kaßim Mirza, den erleuchteten Schahzahdä, erinnern werden!«

Während dieser Rede hatte ich das Floß losgebunden; wir stießen vom Ufer und ruderten es hinaus in den Tigris, in dessen Strömung es dann abwärts schwamm. Wir hatten die hinter uns erschallenden Verwünschungen der Perser bis zum Ausgange der Bucht vernommen. Für heut war ihre Wut eine ohnmächtige; später aber hatten wir uns bei einer etwaigen Wiederbegegnung sehr in acht zu nehmen. Als ich Halef eine darauf bezügliche Bemerkung machte, fragte er:

»Du hältst es also für möglich, daß wir sie wiedersehen?«

»Nicht nur für möglich, sondern sogar für sehr wahrscheinlich.«

»Warum?«

»Weil sie auch nach Bagdad wollen.«

»Sie kommen dort später an als wir!«

»O nein. Ihr Floß ist kleiner als das unserige, und sie haben sechs Hände zum Rudern, also zwei mehr als wir. Es steht zu erwarten, daß sie uns schon heut überholen.«

»Das ist freilich nicht vorteilhaft für uns, denn wenn sie uns überholen, können sie in Bagdad auf uns warten und unsere Ankunft sehen, ohne daß wir es bemerken. Wenn sie uns dann folgen, sind wir in ihre Hände gegeben.«

»Du siehst, wie vorsichtig wir sein müssen, aber nicht nur in Bagdad, sondern schon vorher, denn ich bin überzeugt, daß sie uns schon heut beobachten werden. Es handelt sich dabei nicht nur um uns, sondern auch um unsere Pferde.«

»Du meinst, daß sie es auch auf diese abgesehen haben?«

»Ist das nicht leicht denkbar? Du hast doch gesehen und gehört, wie entzückt dieser sogenannte Kaßim Mirza von ihnen war. Wenn ihre Rachsucht sie antreibt, sich mit uns zu beschäftigen, so wird sich ihre Habsucht zu gleicher Zeit auf die Pferde richten. Wenn sie sich an uns rächen und dabei in den Besitz so wertvoller Tiere kommen können, haben sie ein doppeltes anstatt ein einfaches Spiel gewonnen. Es versteht sich ganz von selbst, daß sie unterwegs einen solchen Plan viel leichter als in Bagdad ausführen können, und so haben wir heut mehr Veranlassung, als morgen, vorsichtig zu sein.«

»Du denkst, daß wir morgen in Bagdad ankommen werden?«

»Morgen mittag, wenn wir nicht durch ein unvorhergesehenes Hindernis aufgehalten werden. Wir werden heut an mehr bewohnten Orten vorüberkommen als bisher; das ist ein Zeichem von der Nähe der Kalifenstadt.«

Was ich vermutet hatte, das geschah: Wir hatten kurz nach Mittag das Dorf Syndijeh beinahe erreicht, als wir die Perser hinter uns kommen sahen. Ihr Floß machte eine schnellere Fahrt als das unserige. Der »Vater der Gewürze« saß am Rande desselben und tauchte sehr fleißig die Hände in die Wellen, um sich das brennende Gesicht mit Wasser zu kühlen. Eine Viertelstunde später kamen sie an uns vorüber.

Da stand er auf, streckte beide Fäuste gegen uns aus und rief:

»Hättet ihr uns das Pulver nicht genommen, so wäre es jetzt um euch geschehen; aber wenn ihr uns heut auch entgeht, ich schwöre bei Hassan und bei Hussein, daß der Abgrund des Verderbens für euch offen bleibt!«

Halef brachte es nicht über das Herz, zu dieser Drohung still zu sein; er antwortete hinüber:

»Deine Rede macht uns lachen. Und wenn ihr tausend Zentner Pulver hättet, würden wir uns doch nicht vor euch fürchten. Oder bildest du dir ein, daß nur ihr allein schießen könntet? Wir haben auch Gewehre!«

»Hat es jemals einen Giaur oder einen verfluchten Sohn der Sunna gegeben, welcher schießen und auch treffen kann?« höhnte er herüber. »In kurzer Zeit werden eure Söhne und Töchter Waisen und eure Weiber Witwen sein. Allah verdamme euch und sie!«

Hanneh eine Witwe, Kara Ben Halef ein Waisenknabe und beide von Allah verdammt, das erboste den kleinen Hadschi so gewaltig, daß er seine Stimme zur größten Stärke erhob, um die Drohung des Feindes zu übertrumpfen:

»Schweig! Du sprichst mit dem Maule der Dummheit und mit der Zunge des Unverstandes. Wenn unsere Gewehre knallen, so werden alle eure Väter, Ahnen, Großväter und Urahnen zu Waisen und alle eure Kinder, Enkel und Nachkommensenkel zu Witwen werden; eure Freunde werden sterben, eure Verwandten und Bekannten werden untergehen, eure Städte und Dörfer aussterben, und das ganze Fars wird ein Schlachtfeld bilden, auf welchem nur noch Witwen und Waisen umherirren, um die von uns Besiegten zu beweinen und die von uns Erschlagenen zu bejammern. Zwischen den Ufern der Ströme wird euer Blut dem Meere entgegenfließen, und die Winde werden die von uns aus ihren Körpern getriebenen Seelen wie Staub durch die Lüfte jagen. Ihr seid ohnmächtige …«

Hier brach er plötzlich ab, wendete sich zu mir und fügte mit gewöhnlicher Stimme und in bedauerndem Tone hinzu:

»Wie schade, Effendi! Es ist wirklich jammerschade!«

»Was?«

»Daß sie mich nicht mehr hören können; sie sind leider schon zu weit fort!«

»So mach den Mund zu, und sei still!«

»Still? Hätte ich etwa nichts sagen sollen? Bedenke, daß sie mich zum hinterlassenen Gatten meiner Witwe und zum abgeschiedenen Vater meines Waisensohnes machen wollten! Das konnte, das durfte ich mir nicht gefallen lassen! Du weißt, daß ich den Tod nicht fürchte und niemals Angst vor ihm gehabt habe; aber den Vorwurf, daß ich durch meine Sterbestunde Hanneh, die unvergleichlichste der Frauen aller Länder, deine Dschanneh ausgenommen, in eine traurige Witwe verwandle, den kann ich nicht auf mir sitzen lassen; das mußt du einsehen, ohne daß ich es dir zu sagen brauche!«

Der heißblütige, kleine Kerl ahnte gar nicht, zu welchen Uebertreibungen und Unmöglichkeiten er sich durch seinen Zorn hatte hinreißen lassen; er konnte sich in solchen Augenblicken zu ganz ungeheuerlichen Gedanken und Kombinationen versteigen. Als er das Ruder wieder in die Hand genommen hatte, brummte er noch lange vor sich hin; der Witwen- und Waisen-Sturm wollte sich nur langsam in ihm legen.

Dann kamen wir an Sindijeh vorüber und sahen, daß die Perser hier nicht angelegt hatten, ebenso in Saadijeh. Als wir dann am Nachmittage Mansurijeh erreichten, stand ein Mann mit seinem Weibe am Ufer, welche uns schon von weitem zuwinkten, anzuhalten.

»Sihdi, die wünschen, mitzufahren,« sagte Halef. »Kann man verlangen, daß wir uns eine solche Last aufbürden?«

»Verstelle dich nicht,« antwortete ich; »dein gutes Herz war doch sogleich entschlossen, die beiden mitzunehmen. Ich kenne dich!«

»Ja, Effendi, du kennst deinen Halef sehr genau. Leuten, welche so arm sind, daß sie nicht einmal einige Ziegenhäute zu einem Kellek besitzen, darf man eine solche Bitte nicht abschlagen. Sie wollen sicher nach Bagdad; ein Mann bringt das wohl fertig; aber von den zarten Füßen eines Weibes darf man keine solche Anstrengung verlangen. Wollen wir hinüberlenken?«

»Ja,« antwortete ich, obgleich ich in Beziehung auf die Zartheit der hiesigen Frauenfüße ganz anderer Ansicht war als er.

Als wir uns dem Ufer näherten und da in langsame Bewegung kamen, hörten wir, daß wir richtig vermutet hatten. Der Mann bat uns, ihn und seine Frau mitzunehmen; er könne uns zwar nichts dafür geben, werde aber aus Dankbarkeit für uns beten.

»Es kam vor einer Stunde ein Floß mit drei Personen vorüber,« fügte er hinzu. »Wir riefen ihnen unsere Bitte zu; sie nannten uns aber verdammte Sunniten und fuhren weiter. Allah vernichte diese abgefallenen Anhänger der Irrlehre!«

Als unser Kellek das Ufer berührte, stieg das Paar zu uns herüber, dann kehrten wir nach der Mitte des Stromes zurück. Die »zarten« Füße der Frau waren größer als diejenigen des Mannes, ein Umstand, den man bei den Beduinen, selbst den seßhaft gewordenen, sehr oft beobachten kann, weil die Männer fast jeden Weg nur zu Pferde machen.

Die beiden Leute hatten nichts bei sich als ein wenig Proviant, welcher in einen alten Lappen gewickelt war. Der Mann trug keine Waffen. Sie machten zunächst gar keinen üblen Eindruck und waren so bescheiden, sich ganz hinten an dem Rande des Floßes niederzusetzen. Da ich dort ganz in ihrer Nähe das Ruder regierte, konnte ich sie beobachten, ohne daß es auffällig wurde. Da sah ich denn zu meiner Ueberraschung an dem Finger des Mannes genau so einen silbernen Ring, wie ich deren zwei neben dem goldenen in der Tasche hatte; natürlich wußte ich sofort, woran ich war.

Sobald der Lauf des Flusses es erlaubte, das Hintersteuer zu verlassen, ging ich zu Halef nach dem Vorderteile und fragte ihn:

»Wie gefallen dir diese Leute?«

Ich bediente mich, um ja nicht verstanden zu werden, falls eins unserer Worte hinten gehört werden sollte, des Moghreb-Arabisch, welches Halef als von dorther stammend, ganz vorzüglich sprach. Er antwortete in demselben Dialekte:

»Das sind arme Menschen, die uns, außer daß wir sie mitnehmen, jedenfalls ganz gleichgültig sein können. Aber warum fragst du mich in der Sprache meiner Heimat, Sihdi?«

»Um nicht verstanden zu werden. Diese zwei Personen dürfen uns nicht so gleichgiltig sein, wie du denkst; sie haben Böses gegen uns vor.«

»Allah! – Wirklich? Wieso Böses?«

»Schau dich nicht um, und sieh sie nicht an; beherrsche dein Gesicht; sie dürfen nicht merken, daß wir von ihnen sprechen. Sie haben nämlich vor, uns an die Perser auszuliefern.«

»Maschallah! Hast du einen Grund, ihnen dieses zuzutrauen?«

»Ich traue es ihnen nicht nur zu, sondern ich bin überzeugt, daß sie diese Absicht haben. Der Mann hat nämlich den Ring der Sillan am Finger stecken.«

»Ist es kein anderer Ring?«

»Nein. Wie gut, daß ich unsere noch in der Tasche und dir keinen von ihnen gegeben habe! Du hättest ihn wahrscheinlich angesteckt.«

»Ja, das hätte ich gethan, Sihdi.«

»Dann hätten diese Leute ihn jedenfalls gesehen, und dadurch wäre verraten worden, daß ich sie nicht in das Wasser geworfen habe. Wir werden überhaupt jetzt keinen am Finger tragen.«

»Bist du der Ansicht, daß sie mit den Persern gesprochen haben?«

»Ja.«

»Da müßten sie diesen bekannt sein!«

»Allerdings. Der ›Vater der Gewürze‹ bekleidet einen höhern Grad; er kennt also wahrscheinlich alle Mitglieder derjenigen Gegenden, die ihm zugewiesen sind oder in denen er zu thun hat.«

»Ich dachte, daß es Sillan nur in Persien gebe!«

»Ich nicht. Ich erinnere dich an unsere gestrige Vermutung, daß die Sillan vielleicht mit den Babi in irgend einem Zusammenhange stehen. Als diese infolge des Attentates gegen den Schah so unnachsichtlich verfolgt wurden, flohen Tausende von ihnen unter Mirza Jahja nach Iraq Arabi herüber, wo sie ihren Hauptsitz nach Bagdad verlegten. Von jener Zeit her sind jedenfalls noch viele von ihnen hier vorhanden, wenn sie sich auch nicht öffentlich als Anhänger bekennen, und wenn es wahr ist, daß es eine Beziehung zwischen ihnen und den Sillan giebt, so brauchen wir uns nicht darüber zu wundern, daß wir heut einen hiesigen Sill getroffen haben. Der Perser kennt ihn, ist in Mansurijeh ans Land gegangen und hat ihm eine auf uns bezügliche Instruktion erteilt.«

»Welche mag das sein?«

»Wir werden es erfahren. Es ist höchst wichtig für uns, daß der Pädär-i-Baharat eine Unterlassung begangen hat, ohne welche wir höchst wahrscheinlich in die uns gestellte Falle geraten wären. Er hätte dem Manne sagen sollen, daß er uns seinen Ring nicht sehen lassen dürfe, weil ich diese Art von Ringen für Zauberringe halte.«

»Das ist richtig, Sihdi, sehr richtig! Dadurch, daß er dies vergessen hat, sind wir gewarnt worden und werden uns hüten, auf die gegen uns gerichteten Absichten einzugehen.«

»Da bin ich anderer Meinung als du; ich halte es für geraten, auf sie einzugehen.«

»Wirklich? Effendi, ich habe bisher stets geglaubt, daß du niemals eine Unvorsichtigkeit begehst!«

»Das freut mich, lieber Halef, und ich sage dir, daß ich dieser deiner Ueberzeugung Ehre machen werde. Grad die Vorsicht gebietet mir, den Schein anzunehmen, als ob ich mich täuschen lasse. Wenn man weiß, wo sich der Feind befindet und wo man von ihm angegriffen werden soll, hat man schon halb gesiegt. Wenn wir ihm ausweichen und nach Bagdad gehen, wissen wir nicht, wann und wo uns die Gefahr befällt; sie kann uns dort also ganz unvorbereitet treffen; hier aber werden wir sehr genau wissen, woran wir sind.«

»Wie willst du das erfahren?«

»Dieser Sill oder sein Weib wird es mir, ganz ohne es zu beabsichtigen, sagen, und zwar schon heut, denn ich bin überzeugt, daß der Anschlag, welcher jedenfalls gegen uns geplant wird, ausgeführt werden soll, noch ehe wir Bagdad erreichen. Ich vermute sehr, daß wir von den Leuten, welche wir aus Barmherzigkeit mitgenommen haben, in Beziehung auf unser heutiges Nachtlager einen Rat bekommen, dem die Absicht zu Grunde liegt, uns in die Hände der Perser zu liefern.«

»Und diesen Rat willst du befolgen?«

»Ja.«

»Höre, Sihdi, ich bin bereit, jede Gefahr mit dir zu bestehen; aber merke wohl auf! Ich sage, jede Gefahr bestehen, aber ich meine nicht, daß ich darin umkommen will. Du hast ja gehört, was ich vorhin über meine Witwe und meinen Waisenknaben gesagt habe. Ich darf noch nicht sterben, sondern muß mich für diese beiden noch lange, lange aufbewahren, denn was könnten Hanneh und Kara an einem verstorbenen Mann und toten Vater für Freude erleben? Keine, gar keine! Ich hoffe, du siehst ein, daß ich mich den abgeschiedenen Geistern jetzt noch nicht zugesellen darf!«

»Mach dir keine unnötige Sorge! Grad dadurch, daß wir uns in die Gefahr begeben, hört sie für uns auf, eine Gefahr zu sein. Du wirst dich doch nicht vor Menschen fürchten, die deine Peitsche schon gekostet haben!«

»Fürchten? Fällt mir nicht ein! Dieses Wort ist mir vollständig unbekannt. Ein Mensch, welcher sich fürchtet, gleicht einer Flinte, die nicht losgeht, wenn man schießen will, einer Tarabukka, deren Fell zerrissen ist, oder einem Löwen, welcher weder Krallen noch Zähne mehr besitzt; ich aber gehe sofort los, wenn ich gereizt werde; ich bin noch nicht zerrissen worden und habe auch alle meine Zähne noch. Die Perser mögen nur kommen; meine Peitsche ist abermals bereit für sie!«

»Gut! Wir werden also ruhig abwarten, welchen Plan sie gegen uns geschmiedet haben. Wir werden ihn jedenfalls erfahren, sobald wir gegen Abend an das Ufer legen. Laß dir aber nichts gegen diesen Mann und sein Weib merken! Wir müssen ganz freundlich und scheinbar unbefangen sein, damit sie nicht ahnen, daß wir Mißtrauen gegen sie hegen.«

Ich begab mich jetzt nach dem Hinterteile zurück und begann mit den beiden ein Gespräch, bei welchem ich mich so harmlos wie möglich zeigte. Es gelang mir, sie zu täuschen und zuweilen einen unbewachten Blick aufzufangen, durch welchen sie einander sagten, daß ihrer Ansicht nach ihr Vorhaben sehr gut von statten gehe.

Wir passierten noch Dokhala und einige Dörfer, bis wir die Krümmung hinter Jehultijeh erreichten. Da rief ich Halef zu:

»Paß jetzt nun auf, ob es einen Ort giebt, welcher sich zum Uebernachten eignet! In einer halben Stunde wird die Sonne untergehen.«

Was ich nun erwartete, das geschah: Kaum hatte ich diese Aufforderung ausgesprochen, so sagte der Mann aus Mansurijeh:

»Ich höre, daß ihr einen Ort finden wollt, welcher sich zum Schlafen eignet. Effendi, ich kenne einen, denn ich fahre oft nach Bagdad und bleibe stets da, wo ich meine, über Nacht.«

»Wo ist das?« fragte ich.

»Am rechten Ufer, gar nicht weit von hier.«

»Was ist es für ein Ort?«

»Es ist eine Chuss el Khaßab, in welcher es Platz für wenigstens zehn Personen giebt. Die Wände sind fest gegen den Regen und alle bösen Nebel; es giebt kein Ungeziefer in ihrem Innern; man wohnt unter dem Dache wie in Allahs Schutz, und süße Träume winken jedem, der durch die immer gastlich offene Thüre schreitet.«

Wie verlockend das klang! Der Mann wurde ja fast poetisch, um uns diese Falle möglichst als begehrenswert erscheinen zu lassen! Ich that nicht, als ob mir das auffallen müsse, und antwortete:

»Ist Gesträuch in der Nähe?«

»Soviel du willst! Wir brauchen das Feuer bis zum Morgen nicht ausgehen zu lassen, denn es herrscht der Brauch, daß jeder, der da übernachtet, dann früh, ehe er sich entfernt, einige Bündel Holz und Schilf für diejenigen sammelt, welche nach ihm kommen. Wasser zum Trinken giebt der Fluß. Es ist also für alles gesorgt, was nötig ist, den Aufenthalt euch angenehm zu machen.«

»Schön! Wir werden also in dieser Hütte übernachten. Sage es uns, wenn wir hinüberlenken sollen!«

Er warf seiner Frau einen Blick der Befriedigung zu. Also sogar Feuermaterial sollten wir vorfinden! Es fiel mir natürlich nicht ein, daran zu glauben, daß jeder Fortgehende in der angegebenen Weise für den Nachfolgenden sorge. Die Perser waren schon längst bei der Hütte angekommen; um uns sehen und beobachten zu können, wünschten sie, daß von uns Feuer gemacht werde, und so hatten sie sich der Mühe unterzogen, das dazu nötige Material für uns zu sammeln. Es war ja möglich, daß wir die Hütte erst nach eingetretener Dunkelheit erreichten; dann war es für uns zu spät, nach Holz zu suchen, und so hatten lieber sie dafür gesorgt, daß unsere Personen ihnen durch ein Feuer sichtbar gemacht wurden.

Der Sill forderte uns schon nach kurzer Zeit auf, nach dem Ufer zu halten. Wir sahen bald darauf die Hütte liegen, und er deutete uns die Stelle an, wo wir landen sollten. Ich folgte dieser Aufforderung nicht, sondern dirigierte das Floß nach einer andern Stelle, wo das Ufer frei von Büschen und also zu übersehen war. Wenn die vor uns hier angekommenen Perser im Gesträuch steckten, konnten sie uns einfach niederschießen. Ich hatte ihnen zwar ihr Pulver genommen, aber es verstand sich ganz von selbst, daß sie in Mansurijeh darauf bedacht gewesen waren, diesen Verlust zu ersetzen.

»Warum landest du hier und nicht weiter unten bei der Hütte?« fragte mich der Sill. »Ich habe dir ja die Stelle gezeigt, welche viel passender als diese ist!«

»Der Pferde wegen,« antwortete ich. »Sie haben von früh bis jetzt stehen müssen und brauchen Bewegung. Wir werden jetzt ein Stück reiten. Geh du mit deinem Weibe einstweilen nach der Hütte. Wir kommen nach, ehe es ganz dunkel wird.«

Wir zogen die Pferde an das Ufer und setzten uns auf. Es ging im Galoppe hinter dem Schilf- und Buschsaume, welcher den Fluß begleitete, auf die Hütte zu, welche vielleicht fünfzig Schritte vom Wasser entfernt stand.

»Warum willst du zu Pferde und nicht mit dem Floß hierher, Sihdi?« fragte mich Halef.

»Um vor dem Manne und seiner Frau hier zu sein,« antwortete ich. »Ich suche nach den Spuren der Perser.«

Es genügte, einmal um die Hütte zu reiten, so sah ich die gesuchten Stapfen. Die drei haßerfüllten Menschen waren hier gelandet, hatten sechs große Bündel Brennholz und Schilf gesammelt und sich dann auf ihrem Floße wieder entfernt. Dies hatte nur flußabwärts geschehen können, und so wußte ich, in welcher Richtung sie sich versteckt hielten. Höchst wahrscheinlich waren sie nicht weit fort von hier, und als ebenso sicher war anzunehmen, daß sie eine Uferstelle gewählt hatten, von welcher aus sie unsere Ankunft beobachten konnten. Diese Stelle mußte eine in das Wasser hineinragende sein, und wenn ich dabei die Sehweite des menschlichen Auges in Betracht zog, so war es gar nicht schwer, wenigstens ungefähr zu bestimmen, wo der betreffende Ort zu suchen sei. ihre Aufmerksamkeit war flußaufwärts gerichtet, also mußte ich, wenn ich sie sehen wollte, ohne von ihnen bemerkt zu werden, mich nach einem abwärts von ihnen liegenden Uferpunkt begeben.

Als ich dies meinem Hadschi erklärt hatte, ritten wir nach der angegebenen Richtung einen Halbkreis, welcher uns an den Fluß führte. Dort stiegen wir ab, ließen die Pferde stehen und drangen durch die Büsche bis zum Wasser vor. Da sahen wir aufwärts von uns eine von dem Ufer gebildete Landzunge, an welcher, von der Hütte ab-, uns jetzt aber zugewendet, das Floß der Perser angebunden war; diese drei selbst aber lagen nicht weit davon am Rande des Schilfes und schienen, wie aus ihren Gestikulationen zu sehen war, eine sehr lebhafte Unterhaltung zu führen.

»Sihdi, dein Scharfsinn hat, wie so oft, auch hier ganz genau das Richtige getroffen,« sagte Halef. »Die Kerle befinden sich grad da, wo du es vermutet hast. Ich möchte am liebsten hingehen und in der Sprache der Peitsche mit ihnen reden.«

»Dazu giebt es jetzt keinen Grund,« antwortete ich. »Wenn du in dieser Weise mit ihnen reden willst, müssen wir ihnen beweisen können, daß sie Feindseliges gegen uns vorhaben, und diese Beweise fehlen uns noch.«

»Sie fehlen uns nicht. Wir wissen ja, daß sie den Mann und das Weib gewonnen haben, uns ihnen in die Hände zu liefern. Ist das nicht genug?«

»Nein, denn sie würden es ableugnen.«

»Das Leugnen ist kein Gegenbeweis!«

»Was wir wissen oder denken, ist bis jetzt nur erst Vermutung. Wir brauchen also Gewißheit, und die werde ich mir holen.«

»Wo?«

»Dort, bei ihnen.«

»Du willst also hin?«

»Ja.«

»Gleich jetzt etwa?«

»Nein, sondern erst dann, wenn es vollständig dunkel geworden ist.«

»So willst du sie wie gestern belauschen?«

»Ja.«

»Wird es nicht dem Sill und seinem Weibe auffallen, wenn du dich entfernst, ohne daß er einen triftigen Grund dazu ersieht?«

»Er könnte allerdings Mißtrauen schöpfen; darum müssen wir auf eine Ausrede bedacht sein. Der Mann wird erst das Moghreb und dann das Aschia beten. Beim Aschia gehe ich fort. Wenn er dich dann am Schlusse des Gebetes fragt, warum ich mich entfernt habe, sagst du, ich könne als Christ nicht in Gemeinschaft mit Leuten beten, welche Mohammed anrufen. Das ist ein Grund, gegen den er nichts wird einwenden können.«

»Davon bin ich überzeugt. Aber es giebt einen Einwand, den ich aussprechen muß, Sihdi.«

»Welchen?«

»Wie nun, wenn die Perser nach der Hütte kommen, während du sie suchst und also abwesend bist? Was soll ich da thun?«

»Dieser Fall tritt nicht ein. Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich annehme, daß sie ihr Versteck nicht eher verlassen werden, als bis ihr Verbündeter sie aufgesucht hat, um ihnen Bericht zu erstatten. Wir sind also, solange er nicht bei ihnen gewesen ist, vollständig sicher vor ihnen. Jetzt aber müssen wir zurück, sonst wird es Nacht, ehe wir die Hütte erreichen.«

Wir gingen zu den Pferden und schlugen denselben Bogen ein, den wir vorhin geritten waren. Da wir infolgedessen von einer ganz andern Seite anlangten, kam es dem Sill nicht in den Sinn, daß wir am Flusse gewesen waren.

Die Wände der Hütte bestanden aus Schilf und Lehm; sie waren wohl anderthalb Fuß dick und hatten, wie ich bemerkte, eine schadhafte Stelle, durch welche man von außen in das Innere sehen konnte. Der Eingang war mit einer alten Schilfmatte verhängt. Im Dache gab es ein Loch, durch welches der Rauch abziehen konnte. Das Innere war so groß, wie der Sill gesagt hatte, aber im höchsten Grade schmutzig. Auf die »süßen Träume«, welche nach seinem Ausdrucke uns hier erwarteten, verzichtete ich, denn es verstand sich ganz von selbst, daß wir nicht in diesem Unratstalle, sondern im Freien schlafen würden. Freilich durfte ich das jetzt noch nicht sagen, sondern mußte mich in alle Vorschläge des Mannes fügen, der sich sehr besorgt um unsere Bequemlichkeit zeigte.

Er schichtete in einer Ecke Holz auf, welches später angebrannt werden sollte. Den dicksten Schmutz räumte er zur Seite, um uns eine wenigstens einigermaßen annehmbare Lagerstätte zu ermöglichen; kurz, er that alles, was unter den gegebenen Verhältnissen möglich war, um unser Vertrauen und unsere Anerkennung zu erlangen. Dann, als die Sonne untergegangen war, kniete er mit nach Mekka gerichtetem Gesichte vor der Hütte nieder, um das Moghreb zu beten.

Wir waren freundlich gegen ihn und seine Frau und teilten die Reste unsers Proviantes mit ihnen. Als wir gegessen hatten, war die Zeit des Aschia gekommen, und er machte sich wieder zum Gebete fertig. Da ging ich an ihm vorüber und vom Flusse fort, scheinbar ins Land hinein; aber als er mich nicht mehr hören konnte, verließ ich diese Richtung und wendete mich nach dem Wasser zurück, doch nicht bis ganz an dasselbe, denn es war immerhin möglich, daß die Perser ungeduldig geworden und näher herangekommen waren. Ich hatte mir die Entfernung und die Ufergestaltung genau eingeprägt, dennoch war es nicht leicht, mich so zurechtzufinden, daß ich den Fluß grad da, wo die Landzunge lag, erreichte. Ich fand, daß ich eine Strecke zu kurz oder zu weit gegangen war, und es dauerte dann noch eine ganze Weile, bis ich erkannte, daß ich mein Ziel grad vor mir hatte. Zunächst über diese Irrung und Versäumnis ärgerlich, sah ich sehr bald ein, daß dieser Umweg mir nicht Schaden, sondern Vorteil brachte.

Ich bückte mich nämlich eben nieder, um durch die Büsche zu kriechen, als ich eilige Schritte hinter mir hörte. Schnell schob ich mich in das Gesträuch, und kaum war dies geschehen, so kam der Sill, blieb in kurzer Entfernung von mir stehen und klatschte in die Hände. Als er dieses Zeichen einigemal wiederholt hatte, erklang vom Wasser her die laute Frage:

»Min haida – wer ist da?«

»Safi, der Sill,« antwortete der Mann.

»Komm her, gerade aus!«

Er schob sich mit solchem Geräusch durch die Büsche, daß ich ihm folgen konnte, ohne gehört zu werden. Die Perser waren aufgesprungen; er stand bei ihnen, und ich lag ganz nahe bei ihnen an der Erde.

»Wir haben dich erst später erwartet,« sagte der Pädär-i-Baharat. »Steht etwas falsch, daß du so zeitig kommst?«

»Nein,« antwortete der Mann. »Ich komme schon jetzt, weil die Gelegenheit dazu so günstig ist. Der Giaur, den Allah zermalmen möge, ist nämlich in die Nacht hineingegangen, um sein Gebet zu sprechen. Er scheut sich, das in Gegenwart eines wahren Gläubigen zu thun.«

»In die Nacht hinein? Wohin? Doch nicht etwa zufälligerweise hierher?«

»O nein! Er hat sich grad nach der entgegengesetzten Seite gewendet. Dieser Christenhund ist der dümmste Mensch, den ich in meinem Leben gesehen habe. Sein Vertrauen zu mir ist so groß, daß es sich gar nicht vergrößern könnte.«

»War er denn gleich erbötig, euch mitzunehmen?«

»Ja, sogleich.«

»Das haben wir nur der Klugheit zu verdanken, mit welcher ich dir befahl, dein Weib mitzunehmen. Er ist nicht so dumm, wie du denkst; die Gegenwart der Frau aber hat sein Vertrauen erweckt, denn bei Anschlägen, wie der unserige ist, pflegt man das Weib daheim zu lassen. Hat es dir Mühe gemacht, ihn nach der Hütte zu bringen?«

»Gar nicht; er nahm meinen Vorschlag augenblicklich an. Einen besseren Ort konntest du gar nicht wählen, und ich bewundere den Scharfsinn, mit welchem du berechnet hast, daß wir diese Stelle grad gegen Abend erreichen würden.«

»Darüber brauchst du dich nicht zu wundern, denn ein Anführer der Sillan muß natürlich Geschick besitzen. Wo sind die Pferde?«

»Sie grasen jetzt in der Nähe der Hütte. Werdet ihr euch zunächst ihrer versichern?«

»Nein. Haben wir die Männer, so werden die Pferde ganz von selbst unser Eigentum. Ich würde mit diesen beiden Hunden ein schnelles Ende machen, sie einfach erschießen, aber das wäre keine Strafe für die Schmerzen, welche mir der Knirps zugefügt hat; sie sollen mit ihrer eigenen Peitsche geschlagen werden, bis ihre Körper keine Stelle mehr haben, die nicht aufgesprungen ist wie diese beiden Schwielen, welche wie das Feuer der Hölle brennen. Darum muß ich sie lebendig er greifen, und erst dann, wenn sie halb totgeprügelt sind, werden zwei Kugeln mit ihnen ein Ende machen. Wie aber wird es am leichtesten sein, sie zu überwältigen?«

»Jedenfalls dann, wenn sie schlafen.«

»Das weiß ich auch; aber wie erfahren wir es, ob sie schlafen oder nicht?«

»Ich hole euch.«

»Nein, das darfst du nicht. Deine Entfernung könnte sie aufwecken und mißtrauisch machen.«

»So sende ich euch mein Weib.«

»Auch das geht nicht, denn schläft sie mit in der Hütte, so muß sie bleiben, und schläft sie im Freien, so weiß sie ja nicht, ob die Fremden noch wach sind oder nicht. Wir müssen ein Zeichen verabreden, welches zuverlässig ist.«

»Es giebt kein zuverlässigeres, als das Feuer. Solange es brennt, wachen sie noch; ist es verlöscht, so sind sie eingeschlafen.«

»Da hast du recht. Wählen wir also dieses Zeichen. Wir haben sie demnach im Finstern zu überrumpeln. Da müssen wir aber ganz genau wissen, wo sie liegen werden.«

»Das weiß ich schon jetzt. Hinten rechts brennt das Feuer; in der Nähe desselben habe ich ihnen das Lager bereitet. Dem Eingange gegenüber werde ich auf euch warten. Ich wache, bis ihr kommt. Ihr dürft nicht aufrecht eintreten, sondern müßt hereinkriechen, einer nach dem andern. Da fasse ich euch bei den Händen und leite euch dahin, wo sie liegen. Was ihr dann thut, geht mich nichts an.«

»Und dein Weib?«

»Wird im Freien schlafen. Sie braucht nicht dabei zu sein, und wie dürfte eine Frau in einem Raume schlafen, wo sich fremde Männer befinden!«

»Das ist nur bei den Anhängern der Sunna und Schia, aber nicht bei uns verboten. Deine Vorschläge gefallen mir; ich nehme sie an. Wenn du jetzt fortgegangen bist, werden wir zwei Stunden warten und uns dann in die Nähe der Hütte begeben. Sobald es in derselben dunkel geworden ist, kommen wir hineingekrochen. Hast du uns noch etwas zu sagen?«

»Nein.«

»So kehre jetzt zurück, denn eine längere Abwesenheit müßte auffallen. Die Belohnung, welche ich dir versprochen habe, wirst du – – –«

Mehr hörte ich nicht, denn ich hielt es für geraten, mich jetzt zurückzuziehen, und wurde dabei durch das Geräusch unterstützt, mit welchem der Sill sich durch das Gesträuch drängte. Jenseits desselben blieb er stehen, um noch einige Fragen auszusprechen, auf welche er Antworten bekam. Dadurch gewann ich Zeit, mich erst leise fortzuschleichen und dann, als er mich nicht hören konnte, so schnell wie möglich nach der Hütte zu laufen, natürlich in einem Bogen, so daß ich von der andern Seite dort ankam. Und das war gut, denn die Frau stand wartend dort; sie hatte jedenfalls aufzupassen und dem Manne zu sagen, aus welcher Richtung ich zurückgekehrt war.

Drin brannte das Feuer, an welchem Halef saß. Ich trat ein, und sie folgte mir. Indem ich die Abwesenheit ihres Mannes vollständig ignorierte, setzte ich mich zu dem Hadschi und begann ein Gespräch mit ihm. Nun kam der Sill und setzte sich in einiger Entfernung von uns zu seiner Frau. Nach ungefähr einer halben Stunde standen die beiden auf, und er sagte:

»Effendi, wirst du mir erlauben, hier in der Hütte bei euch zu schlafen? Meine Glieder werden zuweilen vom Dah ilmafahßil befallen, wobei die Nebel des Flusses mir schädlich sind.«

»Ihr könnt beide bleiben,« antwortete ich.

»O nein! Du wirst wissen, daß ein Weib nicht da bleiben darf, wo schlafende Männer sich befinden. Ich werde ihr draußen im Gesträuch einen Harem herrichten, wo sie bis morgen ruhen soll.«

»Ja, thue das! Ich werde euch eine Stelle zeigen, welche sich am besten zu einem Harem für sie eignet. Kommt! Auch Hadschi Halef mag mitgehen.«

Der Mann sah mich verwundert an, folgte uns aber, ohne ein Wort zu sagen. Auch der Hadschi war still, aber ein schnelles, listiges Blinzeln seiner Augen sagte mir, daß er meinem Verhalten gute Gründe beimesse.

Als wir an den Pferden vorbeikamen, nahm ich meinem Assil den Lasso vom Halse. Halef erriet sofort, welchen Zweck ich dabei verfolgte, und ging nun hinter den beiden, denen ich voranschritt; er beaufsichtigte sie. Als ich mich weiter und immer weiter von der Hütte entfernte, ohne anzuhalten, fragte der Mann:

»Wohin führst du uns, Effendi? Soll der Harem sich nicht in unserer Nähe befinden?«

»Er wird dir viel näher liegen, als du denkst,« antwortete ich. »Wir gehen nach unserm Flosse.«

»Das ist zu weit, viel zu weit, Effendi!«

»Laß mich nur machen! Ihr werdet mit mir sehr zufrieden sein! Was ich thue, geschieht zu eurem Wohle.«

»Inwiefern?«

»Ihr befindet euch in einer großen, sehr großen Gefahr, vor welcher ich euch bewahren will.«

»Allah akbar! Welche Gefahr könntest du meinen? Ich habe keine Ahnung, daß uns hier in dieser sichern Gegend ein Unfall treffen könne!«

»Das ist es eben, was die Gefahr für euch verdoppelt, daß ihr nicht die geringste Ahnung von ihr habt!«

»So sag es mir, was es für eine ist! Wir kehren doch wieder nach der Hütte zurück?«

»Natürlich! Wenn auch nicht so schnell, wie du denkst. Komm nur, und folge mir!«

Er machte zwar einigemal Miene, stehen zu bleiben, aber Halef ging ihm so auf die Fersen, daß er weiter mußte. So erreichten wir das Floß. Ich sprang hinüber und forderte sie auf, mir zu folgen. Sie hätten sich gar zu gern geweigert, wagten aber nicht, es zu thun. Als sie dann mit Halef bei mir standen, sagte ich:

»Setzt euch nieder! Ich habe euch etwas Wichtiges mitzuteilen.« Sie folgten dieser Aufforderung, und ich fuhr fort: »Ich habe euch hierher geführt, um euch das Leben zu retten. Wenn ihr in der Hütte oder in der Nähe derselben bliebet, würdet ihr gezwungen sein, die Brücke des Todes zu besteigen.«

»Maschallah! Wie kannst du solche Worte sprechen! Wer könnte uns mit dem Tod bedrohen?«

»Drei persische Halunken, welche gar nicht weit von der Hütte im Gebüsch stecken und uns in nicht viel über einer Stunde überfallen wollen.«

»All – – – all – – – all – – – lah – –!«

Er brachte nichts als diesen auseinandergezogenen Ausruf hervor, so erschrocken war er. Ich sprach weiter:

»Ja, denke dir, wir sollen überfallen und erst halb totgeschlagen und sodann erschossen werden. Hättest du so etwas für möglich gehalten?«

»Nein – – nein – – – nein – –!« beteuerte er stockend. »Ich halte- – – es auch – – – jetzt noch für – – – unmöglich, für ganz – – – ganz unmöglich!«

»Das thust du, weil du keine Ahnung hast, was für böse und gewissenlose Menschen es giebt. Was ich sage, ist die vollständige Wahrheit. Diese drei Perser wollen, wenn unser Feuer ausgegangen ist, in unsere Hütte kriechen, um uns zu ermorden.«

»Das – – – das – – – kann ich mir – – – ganz, ganz unmöglich denken, Effendi!«

»Das ist auch nicht nötig, denn wenn du nicht denkst, so denke ich an deiner Stelle. Ich denke da zum Beispiel, daß diese Mörder einen Wegweiser haben, der sie zu unserm Lager führen will.«

Jetzt brachte er kein Wort hervor. Ich fuhr fort:

»Dieser niederträchtige Verräter hält mich für einen Christenhund, welcher der dümmste Mensch ist, den er in seinem Leben gesehen hat. Hältst du mich vielleicht auch für so dumm?«

»Ich – – –? O Effendi, welche Frage! Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll! Wer dich für dumm hält, der- – – der – – – der – – – –«

»Der ist selber ganz gewaltig und ganz unheilbar dumm, nicht wahr? Und doch hat dieser Mensch sich eingebildet, daß ich mich von ihm täuschen lasse! Er ist mit seinem Weibe auf unser Floß gekommen, um uns hier nach der Hütte zu locken. Obgleich ich ihn sofort durchschaute, glaubte er, mein ganzes Vertrauen zu besitzen. Er bat mich, bei der Hütte anzulegen; ich that es nicht, sondern ich steuerte das Floß hierher nach dieser Stelle. Da hätte er sich doch sagen sollen, daß er sich in Beziehung auf mein Vertrauen geirrt habe. Nicht?«

»Ja, Effendi – – – ja!«

»Er sagte sich das aber nicht; er war dazu zu dumm. In dieser Dummheit suchte er nach dem Aschia die Perser auf, um mit ihnen zu besprechen, wann und wie wir überfallen werden sollen. Wunderst du dich nicht darüber, daß ich das alles so genau weiß?«

»Effendi, ich – – – ich – – – ich bin noch immer so erschrocken, daß mir fast die Sprache mangelt.«

»Worüber bist du denn erschrocken? Ueber die Absicht der Mörder?«

»Ja.«

»Oder darüber, daß ich alles weiß?«

»Ja, darüber auch, oder – – – nein, nein, darüber nicht, gar nicht.«

»Kannst du dir vielleicht denken, weshalb ich mit dem Floß so weit von der Hütte gelandet bin?«

»Nein.«

»So will ich es dir sagen. Das Floß hier ist bestimmt, diesen Verräter und sein Weib so lange festzuhalten, bis ich mit den Mördern fertig geworden bin. Ich werde beide hier festbinden, und zwar so, daß sie bei dem geringsten Versuche, loszukommen, in das Wasser fallen und ertrinken müssen.«

»O Allah, Allah, Allah! Du sprichst von Mördern und einem Verräter. Wenn ich nur wüßte, was – – – wer – – – wer – – –«

»Wer dieser Verräter ist? Glaubst du denn wirklich, daß ich dir es sage? Das ist denn doch wohl nicht notwendig. Willst du mir nicht vielleicht gestehen, wer es ist?«

»Wer – – wer – – o Effendi, ich weiß von nichts, von gar nichts! Ich schwöre dir beim – –«

»Sei still! Dein Schwur gilt bei mir gar nicht mehr, als eine Lüge gelten kann. Du weißt ganz genau, daß ich keinen andern Menschen als nur dich meine. Und nun höre, was ich dir jetzt sage! Schau dieses Messer in meiner Hand, und sieh, daß Hadschi Halef das seinige auch gezogen hat. Leben gegen Leben, Blut für Blut! Das ist das Gesetz der Wüste; ich will aber barmherzig gegen euch sein. Ich sehe, daß du ein Feigling bist, und mit einem Weibe rechne ich nicht. Wenn ihr mir gehorcht, wird euch nichts geschehen, und ihr seid morgen wieder frei; weigert ihr euch aber, so bekommt ihr unsre Klingen augenblicklich zu fühlen. Steht jetzt beide auf!«

Der Ton, in welchem ich diesen Befehl aussprach, war ein solcher, daß der Mann sich schnell erhob; die Frau folgte diesem Beispiele. Sie hatte bis jetzt kein Wort gesagt und ließ auch fernerhin nicht eine Silbe hören.

»Stellt euch mit den Rücken aneinander, und laßt die Arme herunterhängen!«

Sie gehorchten auch jetzt, doch nicht so schnell, wie Halef es wünschte. Er schob sie kräftig zusammen und sagte:

»Macht nicht so langsam, denn wir haben keine Zeit! Bleibt so stehen und rührt euch nicht, sonst stoße ich euch das Messer augenblicklich in die Herzen! Ich bin Hadschi Halef Omar, der oberste Scheik der Haddedihn, und habe keine Lust, euch lange zu bitten, uns schnell zu gehorchen.«

Er setzte dem Manne das Messer auf die Brust; da jammerte dieser:

»Nicht stechen, ja nicht stechen! Wir gehorchen gern!«

»Feiger Kerl! Die Niederträchtigkeit und der Verrat sind aber immer feig! Hier, das gehört dir, weiter nichts!«

Er spie ihn an. Ich entrollte den Lasso, den wir von oben bis unten so fest um die beiden wanden, daß sie kein Glied bewegen konnten und ein Bündel bildeten, welches wir erst auf das Floß niederlegten und dann am Rande desselben in der Weise anbanden, daß ihnen nur eine Umdrehung nach der Wasserseite möglich war. Wenn sie nicht still lagen, fielen sie in den Fluß und mußten ertrinken.

»So, jetzt seid ihr uns sicher,« sagte ich. »Bleibt ihr ruhig liegen, und verhaltet ihr euch still, so binden wir euch wieder los und lassen euch laufen. Ruft ihr aber etwa um Hilfe oder werdet irgendwie so laut, daß euch die Perser hören, so werfen wir euch in das Wasser!«

»Ja, das thun wir unbedingt!« bekräftigte der kleine Hadschi. »So widerliche Geschöpfe, wie ihr seid, müssen unbedingt ersäuft und von den Saratin gefressen werden, damit ihre Seelen, wenn man sie kocht, in den Schalen vor Schande erröten! Also gebt ja keinen Laut von euch, sonst ist’s um euch geschehen!«

»Wir werden still sein, ganz still!« versicherte der Mann.

»Das rate ich euch, denn wenn ihr nicht gehorcht, so kenne ich kein Erbarmen. Danke Allah, daß du jetzt mit der Gefährtin deiner Tage und deiner Schlechtigkeiten im schönsten Harem liegst, welches sich für euch denken läßt! Seid klug und weise, und genießt in tiefster Schweigsamkeit die Behaglichkeiten eurer gegenwärtigen Wohnung, bis wir wiederkommen. Haltet treu zusammen, und zankt euch nicht, denn der Streit zwischen Mann und Weib ermüdet die Zungen und beschleunigt die Vermehrung der Magenkrankheiten! Ich verlasse euch mit Wehmut und hoffe, euch fröhlich wiederzusehen!«

Wir sprangen wieder an das Ufer und kehrten nach der Hütte zurück, wo wir grad noch zur rechten Zeit ankamen, um das fast verlöschte Feuer wieder anzufachen. Wir verhängten zunächst die schadhafte Stelle in der Wand mit Halefs Haïk, damit niemand uns von draußen sehen könne, und dann erzählte ich dem Hadschi, was ich bei den Persern gehört hatte.

»Also hereinkommen werden sie?« fragte er. »Um uns im Schlafe zu überfallen? Meinst du, daß wir uns schlafend stellen, Effendi?«

»Nein; das könnte gefährlich für uns werden. Sie kommen nicht zugleich, sondern einer nach dem andern. Sowie sie kommen, werden sie von uns empfangen.«

»Aber mit dem bekannten, freundlichen Ahlan wasahlan, welches in deinen Fäusten wohnt. Nicht wahr, Sihdi?«

»Ja.«

»Du giebst ihnen die Hiebe, und ich binde sie. Ich habe wegen einer etwaigen Reparatur des Floßes Riemen mitgenommen; wir haben also, was wir brauchen, um die Glieder unserer persischen Freunde mit Innigkeit und Liebe zu umschlingen. O Effendi, du hattest recht, als du sagtest, daß es besser sei, der Gefahr entgegen als ihr aus dem Weg zu gehen. Ich freue mich von ganzem Herzen auf den Augenblick, an welchem die Köpfe der Mörder erscheinen, um von dir geklopft zu werden! Wie lange wird das wohl noch dauern?«

»In einer halben Stunde lassen wir das Feuer ausgehen; dann können wir sie für jeden Augenblick erwarten.«

»So spät? Ich werde mir die Riemen schon jetzt zurechtlegen.«

»Das hat noch Zeit. Du stellst dich dort an die Wand; ich empfange an Stelle des Sill die Perser, gebe ihnen die Hand, wie es ausgemacht worden ist, führe sie dir zu und sorge dafür, daß sie, wenigstens die beiden ersten, nicht laut werden können. Mit dem dritten und letzten brauche ich nicht so vorsichtig zu sein. Sobald ich ihn festhabe, sorgst du dafür, daß das Feuer schnell wieder zum Brennen kommt. Jetzt wollen wir still sein, denn es ist nicht ausgeschlossen, daß sie Langeweile empfinden und darum ihr Versteck eher verlassen, als sie sich vorgenommen haben. In diesem Falle müssen wir mit dem Umstande rechnen, daß sie draußen horchen.«

»Oh, sie werden noch viel mehr horchen, wenn dann später meine Peitsche das Zwiegespräch mit ihnen beginnt!«

»Willst du wieder hauen?«

»Was sonst, Sihdi? Ich kenne dich. Sie wollen uns töten und vorher halb totschlagen. Eigentlich müßten wir sie erschießen, und das würde auch ganz richtig sein, denn Menschen, welche wie Raubtiere nach Blut lechzen, müssen als Raubtiere behandelt werden. Du wirst dich aber nicht nach dem Gesetze der Wüste rächen, sondern sie begnadigen. Aber ohne alle Strafe dürfen Mörder nicht entkommen. Sie wollen uns erst schlagen und dann ermorden. Nun wohl, ich werde sie auch begnadigen, nämlich zur Peitsche; das Leben schenke ich ihnen. Bist du damit einverstanden?«

»Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Was ich thun werde, hängt von ihrem Verhalten ab. Du sprichst überhaupt so sicher, als ob wir sie schon festgenommen hätten. Es kann uns das auch mißlingen.«

»Mißlingen? Uns? Ganz unmöglich! Wir sitzen hier wie zwei Löwen in der Höhle; wer sich hereinwagt, wird gefressen; das ist so sicher und gewiß, daß etwas anderes gar nicht eintreten kann!«

Ich hörte es gar nicht ungern, daß der kleine Kerl so zuversichtlich war. Wer an sich selbst zweifelt, der kann auch nicht an das Gelingen seiner Absichten glauben, und besonders in Lagen, wie die unsrige eine war, ist eine gute Portion Selbstvertrauen mehr als sonstwo wert.

Wir saßen jetzt still und lauschten. Es war nichts als zuweilen das Gluchzen des Wassers zu hören, wenn sich eine einzelne Welle am Ufer verfing. So verfloß die halbe Stunde, und wir löschten das Feuer aus, nachdem wir ganz trockenes Schilf und Streichhölzer zurechtgelegt hatten, um schnell wieder anzünden zu können.

Ich setzte mich in die Nähe der Thür, und Halef nahm die Stelle ein, welche ich ihm angegeben hatte. Um uns beide war mir gar nicht bange; wenn ich eine Sorge hegte, so war es die, ob der Sill mit seiner Frau sich ruhig verhalten würde. Ein Ruf von ihm oder ihr konnte unsern Plan zu Schanden machen.

Unsere Gehörnerven waren in der Weise angespannt, daß ich ein Geräusch von leisen, leisen Schritten ganz deutlich vernahm, obgleich die betreffenden Personen sich noch ziemlich weit von der Hütte befanden.

»Halef, sie kommen,« flüsterte ich.

»Ganz recht; ich habe die Riemen schon längst bereit,« antwortete er.

Die Schritte näherten sich und hielten draußen an. Die Perser waren jedenfalls überzeugt, ganz unhörbar aufzutreten. Nun richtete ich mich halb auf und beobachtete die Thürmatte, welche sich nach kurzer Zeit bewegte; es entstand eine Oeffnung, welche ich gegen den Himmel ganz deutlich sehen konnte. Es kam jemand hereingekrochen und richtete sich im Innern auf. Jetzt erhob ich mich vollends und nahm den Betreffenden bei der Hand.

»Sill?« fragte er fast unhörbar leise.

»Sill,« antwortete ich und zog ihn einige Schritte von der Thür fort, zu Halef hin.

Dann preßte ich ihm die linke Hand um die Kehle und gab ihm mit der rechten zwei Hiebe an die Schläfe. Es war nichts als ein seufzender Hauch zu hören; dann sank die Gestalt in meinen Händen zur Erde nieder.

»Halef, hier der erste – binden!« flüsterte ich; dann huschte ich wieder an die Thür.

Der zweite kam; er fragte nicht, wurde von dem Eingange weggeführt und bekam zwei Hiebe mit demselben Erfolge. Beim dritten brauchte ich nicht so vorsichtig zu sein. Als er hereingekommen war und sich aufgerichtet hatte, riß ich ihn von hinten nieder, kniete auf ihn und hielt ihm die Arme fest. Er war so erschrocken, daß er sich gar nicht wehrte.

»Halef, Feuer!«

»Gleich, Sihdi!« antwortete der Kleine jetzt laut. »Hast du ihn fest?«

»Ja.«

»Warte nur einen Augenblick, dann komme ich hin.«

Das Hölzchen flammte auf und setzte das Schilf in Brand; die Ueberreste von vorhin fingen schnell Feuer; der Raum war hell erleuchtet. Der »Vater der Gewürze« lag ganz, der andre erst halb gebunden am Boden; der, welchen ich festhielt, war Aftab. Als er sah, wer ich war, stieß er einen Fluch aus und versuchte, sich loszumachen. Halef bemerkte das, sprang herbei und sagte:

»Wollen erst diesen binden, weil er lebendig ist; die andern beiden sind besinnungslos, wenn du sie nicht gar erschlagen hast. Sihdi, lieber Sihdi, das ist so leicht, so prächtig gegangen, daß ich gleich wieder von vorn beginnen möchte. Wären doch Zeugen unseres Sieges hier, meine Hanneh, der Ausbund aller Lieblichkeit, und deine Dschanneh, welche nur mit der Lieblingsfrau des Sultans zu vergleichen ist! Sie würden die Preisgesänge des Sieges anstimmen und die Loblieder unserer unvergleichlichen Tapferkeit!«

»Laß sie zu Hause singen; hier brauchen wir keine Lieder! Wirf die Kerle dort in die Ecke; dann wechseln wir zweistündlich im Schlafen und im Wachen miteinander ab!«

»Und die Prügel, welche sie bekommen sollen?«

»Davon sprechen wir morgen früh.«

»Und der Sill mit seiner Frau?«

»Die bleiben während der ganzen Nacht auf dem Floße liegen; das soll ihre Strafe sein; dann mögen sie laufen. Wir müssen schlafen, und weil dies nur abwechselnd geschehen kann, wollen wir keine Zeit verlieren. Uns mit den Gefangenen zu beschäftigen, ist noch Zeit, wenn es Tag geworden ist. Wer soll die erste Wache haben?«

»Ich, Sihdi, ich! Ich muß unbedingt sehen, was die zwei Bewußtlosen für Augen machen, wenn sie beim Erwachen bemerken, daß sie uns weder geprügelt noch totgeschossen haben. Sie werden vor Scham erglühen und vor Schande wieder erbleichen. Der Zorn wird ihr Herz zerfressen und der Aerger ihre Lebern und Lungen zerstören. Ihre Nieren werden vor Grimm zerplatzen und in allen ihren Eingeweiden wird – – halt, wo willst du hin?«

»Hinaus. Ich schlafe draußen. Halte du hier deine Reden weiter!«

»O Sihdi, was bist du doch für ein sonderbarer Mensch! Wer nach einem solchen Siege gleich zu schlafen vermag, der sollte überhaupt nie einen Kampf gewinnen. Der Schlaf ist der Mörder des Ruhmes und das Ende jedes Ehrbegriffes. Im Schlafe ist der tapferste Mensch ein fauler – – –«

Weiter hörte ich ihn nicht, denn ich ließ die Thürmatte hinter mir niederfallen und ging zu meinem Pferde, welches in der Nähe der Hütte lag und auf mich gewartet hatte. Es begrüßte mich mit einem leisen, glücklichen Schnauben und bekam die gewohnte Sure in das Ohr gesagt. Dann dauerte es nicht lange, so war ich eingeschlafen und wachte nicht auf, bis mich Halef nach zwei Stunden weckte.

»Erhebe dich, Effendi!« sagte er. »Meine Zeit ist um, und ich will versuchen, ob die Gestalten meines Traumes den Ruhm kennen, den wir heut im Wachen errungen haben.«

»Wie steht es mit den Persern?« fragte ich, indem ich aufstand.

»Ihr Verstand ist ihnen wiedergekehrt, aber dennoch haben sie sich sehr unverständig benommen.«

»Wieso?«

»Sie geben nicht zu, daß wir über alle Helden der Erde erhaben sind und daß unsere Klugheit und Tapferkeit von keinem andern Menschen erreicht werden kann.«

»Ah! Du scheinst ihnen einige große Reden gehalten zu haben?«

»Ja, das habe ich gethan. Bist du etwa nicht damit einverstanden?«

»Nein, gar nicht. Du hättest schweigen sollen.«

»Schweigen? O Effendi, du hast keinen Begriff von der Gabe der Rede, welche mir verliehen worden ist! Darf ich schweigen, wenn diese Gabe mir die Lippen öffnet? Kann ich die Worte, welche mir wie junge Löwen von der Zunge springen, hinunterschlucken und mir damit die gesunde Verdauung meines Magens verderben? Wenn diese drei Männer sich für kühner und weiser halten, als wir beide sind, so kann es mir doch unmöglich einfallen, im dicken Brei der Sprachlosigkeit zu ersticken, sondern ich bin gezwungen, ihnen zu beweisen, daß der Glaube an ihre Vortrefflichkeit einem Läufer gleicht, welcher Sand in den Schuhen hat, oder einer Großmutter, welche ohne Enkelkinder durch das Leben gegangen ist! Glaube mir, lieber Sihdi, ich verstehe mich auf die Notwendigkeit der Sprachorgane viel, viel besser als du, und ich hoffe, daß du das anerkennst, indem du mich nicht zum Schweigen verurteilst, wenn ich das Sprechen für notwendig halte!«

Wenn der kleine Hadschi jetzt, zu mir, in dieser Weise sprach, welche Reden mußte er da erst den Persern gehalten haben! Ich kühlte seine Hitze durch die kurze Bemerkung ab:

»Schweigen ist Gold; Reden ist Silber, oft auch bloß nur Eisenblech. Leg dich nieder, und schlaf! Ich werde dich nach zwei Stunden wecken.«

Er ging zu seinem Pferde, und während ich mich nach der Hütte wendete, hörte ich ihn noch klagen:

»So haben zuweilen sonst ganz vernünftige Menschen Ansichten, welche selbst der hellste Verstand ganz unmöglich begreifen kann! Allah allein weiß, warum dies so und nicht anders ist!«

Als ich zu den Persern kam, sah ich bei dem Scheine des Feuers ihre Augen mit haßerfüllten Blicken auf mich gerichtet. Der »Vater der Gewürze« war so frech, mich anzudonnern:

»Endlich lässest du dich sehen! Wo hast du gesteckt? Ich erwarte, daß du uns augenblicklich wieder losbindest!«

Ich antwortete ihm kein Wort, warf neues Holz in das Feuer und ging hinaus, um mich an der Stelle der Wand niederzusetzen, wo sie innen lagen und ich ihre Bewegungen und Worte hören konnte.

»Dieser Hund ist taub für meine Reden,« knirschte er. »Sie haben gewußt, daß wir kommen wollten. Safi hat uns nicht verraten; das weiß ich ganz genau. Wo mag er mit seinem Weibe stecken? Wahrscheinlich liegen sie irgendwo, grad so gebunden wie wir. Ich möchte wissen, auf welche Weise dieser Giaur unsern Plan erraten konnte!«

Hierauf sprachen sie leiser miteinander, so daß ich nichts verstehen konnte. So oft ich hineinging, um dem Feuer Nahrung zu geben, bekam ich Grobheiten zu hören, ohne daß ich ein Wort darauf erwiderte. Als meine Zeit vorüber war, schlief Halef so schön, daß ich es nicht über mich brachte, ihn zu wecken. Ich hielt Wache bis zum frühen Morgen; da wachte er von selbst auf und machte mir Vorwürfe, daß ich ihn hatte schlafen lassen.

»Du hast gewiß gedacht,« sagte er, »daß ich diese Männer wieder von der Gewandtheit meiner Rede überzeugen würde. Das hätte ich aber nicht gethan, denn dein ›Eisenblech‹ hat mir alle Lust benommen, die Mörder mit den Vorzügen meines Geistes zu beleuchten. Dafür aber hoffe ich, ihnen nicht durch Worte, sondern durch die That beweisen zu dürfen, daß die Pfiffigkeit meiner Peitsche himmelhoch über ihrer berühmten Klugheit steht. Du wirst damit wohl einverstanden sein, Effendi. Nicht?«

»In diesem Falle allerdings. Du weißt, daß ich, selbst wenn es sich um einen gefährlichen, rücksichtslosen Feind handelt, gegen alle Quälereien bin; hier aber gehört uns nach den Gesetzen der Wüste das Leben dieser Menschen, und wenn ich es ihnen schenke, so sollen und dürfen sie doch nicht ganz straflos ausgehen.«

»Allah sei Dank, daß er dich mit dieser prachtvollen Einsicht hell erleuchtet hat! Strafe muß sein, und ich bin ganz glücklich darüber, daß du meiner treuen Kurbadsch gestattest, mit wonnevoller Liebe zu untersuchen, welchen Grad von Dickheit ein Schiitenfell besitzt.«

Der liebe Kleine schwang seine Peitsche gar zu gern. Mir widerstrebten derartige Exekutionen, und es ließ sich auch nicht mit meiner Ansicht über die Würde eines Scheikes der Haddedihn vereinigen, ihm die Ausführung derselben zu übergeben; darum antwortete ich:

»Sie sollen allerdings die Peitsche bekommen, doch hoffe ich, daß du nicht die Absicht hast, das Amt des Henkers selbst zu übernehmen.«

»Warum nicht, Sihdi?«

»Weil es keine Ehre ist, einen Menschen, der sich nicht verteidigen kann, zu schlagen, selbst wenn er die Strafe verdient hat.«

»Hm!« meinte er nachdenklich; »zu rühmen braucht man sich dessen allerdings nicht; das ist wahr; aber eine Schande ist es auch nicht.«

»Was das betrifft, so giebt es Völker, bei denen die Henker so verachtet waren, daß kein ehrlicher Mann mit ihnen verkehrte, und wo dies im Laufe der Zeiten anders geworden ist, hält man doch wenigstens an der Meinung fest, daß es sich für den Richter nicht schickt, sein Urteil mit eigenen Händen auszuführen.«

»Das geht mich gar nichts an, gar nichts! Der Richter bist ja du, Sihdi, und ich, nun, du weißt ja, welche Wonne es für mich ist, die Länge meines Armes und die Innigkeit meines Glückes durch die Peitsche zu vergrößern. Ja, wenn ich der Richter wäre, würde ich es allerdings nicht thun.«

»Du bist ja mehr, viel mehr als ein Richter; du stehst hoch erhaben über ihm!«

»Ich? Wieso« fragte er verwundert. »Ich ahne, daß du mich durch irgend eine deiner Pfiffigkeiten um den herzerquickenden Genuß bringen willst, auf den sich meine ganze Seele freut.«

»Es ist keine Pfiffigkeit, sondern ein sehr ernstes Bedenken, von der Achtung und Freundschaft eingegeben, die ich für dich empfinde, lieber Halef.«

Sein Gesicht hatte sich verfinstert, und es klang nicht sehr freundlich, als er sagte:

»Diese Freundschaft und Achtung kannst du mir grad jetzt nur dadurch beweisen, daß du mir erlaubst, die Haut des Nilpferdes in Bewegung zu setzen.«

»Höre mich nur noch einen Augenblick an! Wenn du dann noch bei deinem Wunsche bleibst, werde ich ihn dir erfüllen. Der Richter fällt seine Urteile nach den Gesetzen, welche der Herrscher gegeben hat. Wenn es gegen die Ehre des Richters ist, eine von ihm bestimmte Prügelstrafe selbst auszuführen, so kann es dem Herrscher, der doch viel höher steht, noch viel weniger einfallen, Henkersdienste zu verrichten. Das giebst du doch wohl zu?«

»Das ist nun freilich ganz richtig, Sihdi,« nickte Halef, ohne zu ahnen, daß er mit dieser Zustimmung in die ihm gestellte Falle ging.

»Und dennoch willst du selbst, mit deiner eigenen Hand, die Perser prügeln?«

»Natürlich! Du, Sihdi, würdest es nicht dürfen, weil du der Richter bist, der ihnen die Zahl der Hiebe, welche sie bekommen sollen, verordnen wird.«

»Ja, ich bin allerdings der Richter, nur der Richter; du aber stehst erhaben über mir.«

»Ich? Erhaben? Ich – – – noch über dir?« fragte er, indem sein Gesicht den Ausdruck großer Spannung zeigte.

»Natürlich, denn du bist ja der Herrscher!«

»Ich – – der – – Herrscher – –?«

»Ja. Oder gebietest und herrschest du nicht über alle berühmten und tapferen Haddedihn vom großen Stamme der Schammar?«

Mein Argument kam ihm zu überraschend; darum stimmte er mir nicht sofort zu, sondern wiederholte nur die Worte:

»Gebieten – – – herrschen – – – Haddedihn – – – Schammar – – –!«

»So meine ich es, und so ist es richtig. Die Kaiser und Könige des Abendlandes beherrschen ihre Unterthanen; Abd ul Hamid thront über allen Völkern der Türkei; Nasr ed Din giebt Persien Gesetze, und du gebietest über alle Krieger und Angehörigen der Haddedihn. Ob man so einen Herrscher als Kaiser, König, Sultan, Schah oder Scheik bezeichnet, das kommt gar nicht in Betracht, denn alle diese Titel bedeuten ganz dasselbe und sind von gleichem Werte.«

Jetzt war es höchst interessant, die Veränderung zu bemerken, welche in den Zügen des kleinen Hadschi vor sich ging. Der finstere Ausdruck verschwand, indem er sich nach und nach in alle steigenden Grade der Helligkeit verwandelte, bis das liebe Gesicht geradezu vor Wonne strahlte.

»König – – Kaiser – – Sultan – – Schah – – Scheik – –« rief er aus. »Sind diese Worte wirklich gleich, ganz gleich? Du mußt das wissen, Sihdi, denn du kennst alle Dinge, die vorhanden sind. Ja, du hast recht, ganz recht! Ich bewahre und beglücke meine Haddedihn grad so, wie der Schah sein Persien, der Sultan die Türkei; wie der Kaiser von Leh memleketi oder der König von Tuna Gehorsam von ihren Unterthanen fordern, so gehorchen mir alle Körper, Seelen und Herzen der freien Beduinen, die ich um meinen Thron versammelt habe. Sihdi, es freut mich außerordentlich, zu sehen, daß du die Größe der Ausdehnung meiner Würde erkennst und den ganzen Umfang der Bedeutung meiner Erhabenheit begriffen hast!«

»Das habe ich; ja, das habe ich, lieber Halef. Und bei all dieser Würde und Erhabenheit willst du dich selbst zum Henker herabwürdigen und Prügel austeilen mit der erleuchteten Hand, auf deren Wink die tapfersten deiner Krieger lauschen?«

»Maschallah! Nein, das thue ich nicht, denn das würde die Ehrfurcht besudeln, mit welcher alle meine früheren und gegenwärtigen Ahnen, Urahnen und Vorfahren auf mich niederblicken müssen. Einem freien Feinde, der sich wehren kann, darf ich wohl, falls er mich beleidigt, die Peitsche über das Gesicht weg geben; aber einen Gefangenen zu schlagen, dem du nach meinen eigenen Gesetzen das Urteil gesprochen hast, das kommt mir nie und nimmer in den Sinn, denn ich bin es dem Glanze meines Daseins schuldig, zur Hoheit meines Herrschertums immer neue Strahlen zu gesellen. Ich bitte dich, wenn wir von unserer Reise zurückkehren, so vergiß ja nicht, zu wiederholen, was du soeben über die Kaiser, Könige, Sultane und mich gesagt hast, damit Hanneh, der Inbegriff aller Lieblichkeit des weiblichen Geschlechtes, in Erfahrung bringt, was der Gebieter ihres Zeltes für sie und alle, die ihn kennen, zu bedeuten hat!«

»Ich werde es thun. Also, du verzichtest darauf, die Perser eigenhändig zu bestrafen?«

»Ja; aber da sie die Prügel unbedingt bekommen müssen, weil ich sonst nie wieder ruhig schlafen könnte, so frage ich dich, wer eigentlich dieses trotzdem beneidenswerten Amtes walten soll.«

»Safi, ihr Verbündeter.«

»Der – – –? Oh, Sihdi, das erfüllt die Tiefe meiner Seele mit Wehmut und Trübseligkeit! Grad weil er ihr Verbündeter ist, wird er die Streiche mit einer so zarten Sanftmut niederfallen lassen, daß jeder Hieb als labende Erquickung auf die ihm angewiesene Stelle kommen wird. Und das widerstreitet der Fülle der Gerechtigkeit, welche in dem ganzen Umkreis meines Herzens wohnt.«

»Dieser Umstand braucht dich nicht im mindesten besorgt zu machen; es giebt ein Mittel, die Kräfte seines Armes in der Weise anzuspornen, daß du mit seinen Leistungen zufrieden sein wirst. Komm! Wir wollen ihn und sein Weib holen.«

»Ja, das wollen wir. Hoffentlich besitzt er Einsicht genug, zu begreifen, daß Hiebe vorhanden sind, um durch die Haut zu gehen und bis an den hintersten Punkt der menschlichen Innigkeit gefühlt zu werden. Sollte er das noch nicht wissen, so müssen wir uns bemühen, die Mangelhaftigkeit seiner Erkenntnis in vollkommene Erleuchtung zu verwandeln.«

Wir begaben uns nach dem Kellek und fanden den Sill und sein Weib noch in der Lage, in welcher wir sie zurückgelassen hatten. Es hatte ihnen jedenfalls Pein bereitet, die ganze Nacht in derselben zu verharren, und nicht geringer war wohl auch die seelische Qual gewesen, welche ihnen durch die Ungewißheit über den Ausgang des Abenteuers verursacht worden war.

Als wir sie losgebunden und von dem Lasso befreit hatten, waren sie kaum im stande, aufrecht zu stehen. Die Frau verhielt sich ebenso still wie gestern abend; der Mann aber wartete gar nicht ab, was wir ihm sagen würden, sondern warf uns, kaum daß er sich von den Fesseln erlöst fühlte, die Frage zu:

»Ihr wolltet uns freigeben, falls wir uns ruhig verhielten; das haben wir gethan. Können wir nun gehen?«

»Jetzt noch nicht,« antwortete ich.

»Warum nicht? Ihr habt uns euer Versprechen gegeben, und wer sein Wort nicht hält, der fällt der Verachtung anheim und wird – –«

412

»Schweig!.« fiel ich ihm in die Rede. »Niemand ist so verächtlich wie ein Lügner und Verräter deines Schlages, und wenn du etwa meinst, in diesem Tone mit uns sprechen zu können, so irrst du dich! Wir haben euch befohlen, ruhig und still zu sein, und wenn du jetzt mit Beleidigungen um dich wirfst, so nehme ich mein Wort zurück und laß dir zukommen, was du durch deinen Verrat verdienst!«

Da meinte er viel kleinlauter als vorher:

»Ich wollte euch nicht beleidigen, sondern nur wissen, ob und wann wir gehen dürfen.«

»Ob wir euch freilassen, oder eure Leichen hier in den Fluß werfen werden, das soll ganz auf dich ankommen.«

»Unsere Leichen!« rief er erschrocken aus, während sein Weib mich entsetzt anstarrte. »Soll das heißen, daß ihr uns ermorden wollt?«

»Nicht ermorden, sondern mit dem Tode bestrafen, dem uns zuzuführen eure Absicht war. Ich bin ein Christ und gönne selbst dem verächtlichsten Menschen das Leben, denn ich weiß, daß Gott der allein gerechte Richter ist. Außerdem bist du eine so armselige Kreatur, daß es mich ekelt, mich mit einer Strafe für dich zu befassen. Aus diesen beiden Gründen werde ich dich laufen lassen, falls du dem Befehl, den ich dir jetzt geben werde, vollständig Gehorsam leistest.«

»Sag, was ich thun soll! Ist es schwer?«

»Nein. Die drei Perser, denen du uns ausliefern wolltest, haben den Tod ebenso verdient wie du, und wie ich bereit bin, gnädig gegen dich zu sein, so will ich auch ihnen das Leben schenken; aber ganz ohne Strafe dürfen sie nicht bleiben.«

»Nein, das dürfen sie nicht!« fiel Halef schnell ein, weil es sich um sein Lieblingsthema handelte. »Sie werden Prügel bekommen, herzerquickende Prügel. Sieh die Kurbadsch, welche da an meinem Gürtel hängt! Sie ist aus der erfrischenden Haut des Nilpferdes gefertigt und besitzt darum eine ergötzliche Vorliebe für Menschenhaut. Diese Peitsche werde ich dir leihen, damit du deinen Verbündeten beweisest, daß die Freundschaft, welche du für sie empfindest, diejenige Kraft und Eindringlichkeit besitzt, die wir von deinem Arm verlangen.«

»Verstehe ich dich richtig?« fragte der Sill erschrocken. Du willst mir diese Peitsche geben?«

»Ja,« nickte Halef, freundlich lächelnd.

»Ich soll schlagen?«

»Ja,« erklang es noch freundlicher.

»Die Perser – – alle drei?«

»Jawohl, alle drei, und zwar so sehr, wie du nur zuhauen kannst. Wir werden dabei stehen und aufpassen. Falls nur ein einziger Schlag nicht so kräftig ist, wie wir wünschen, bekommst du allein soviel Hiebe, wie wir für die drei Halunken zusammen bestimmt haben.«

»Allah, Allah! Das kann ich nicht; das darf ich nicht!«

»Warum nicht?«

»Weil sie mich später, wenn ihr fort seid, dafür töten würden. Ihr wollt, ich soll mir das Leben dadurch retten, daß ich sie schlage, treibt mich aber grad dadurch in den sichern Tod!«

Er sagte das im Tone solcher Ueberzeugung, daß Halef nicht zu antworten wußte und einen fragenden Blick zu mir herüber warf. Die Verhältnisse lagen allerdings so, daß ich dem Sill Glauben schenkte, und darum hielt ich es für angezeigt, ihn durch die Worte zu beruhigen:

»Sie werden es nicht wissen, wer sie schlägt, denn wir werden ihnen vorher die Augen verbinden. Du hast dem Anführer fünfzig, dem, welcher Aftab heißt, vierzig und dem dritten dreißig Hiebe zu geben, und zwar so kräftig, wie mein Begleiter es von dir verlangt, denn ich selbst werde nicht dabei sein. Schonst du die Kerle, so bekommst du die für sie bestimmten hundertzwanzig Schläge. Wir haben keine Zeit; entscheide dich! Gehorsam oder Tod; einen Ausweg giebt es nicht für dich.«

Er fürchtete sich trotz der ihm verheißenen Vorsichtsmaßregel vor der Rache der Perser, und versuchte allerlei Ausflüchte; aber als Halef den ihm von mir geschenkten Revolver zog, ihm den Lauf desselben vor den Kopf hielt und dabei drohte, ihn und seine Frau sofort zu erschießen, sah er ein, daß er nicht entrinnen könne, und erklärte sich bereit, gehorsam zu sein. Wir gingen also nach der Hütte, wo Mann und Weib zunächst angebunden wurden. Dann betrat ich mit Halef das Innere derselben.

Der Pädär-i-Baharat verhielt sich nicht anders als während der Nacht; kaum sah er uns, so schrie er mich an:

»Wirst du nun endlich meinem Befehle gehorchen und uns freigeben? Wenn du es nicht sofort thust, werdet ihr beide noch heute in die Hölle fahren!«

Ich antwortete gar nicht; dem schnell zornigen Hadschi aber fuhr diese Frechheit so in die Hand, daß er ausholte und, sowohl die »Größe der Ausdehnung seiner Würde« als auch »den ganzen Umfang der Bedeutung seiner Erhabenheit« vergessend, dem Perser eine schallende Ohrfeige gab.

»Hund!« bedrohte er ihn. »Jetzt fühlst du bloß meine Hand; sagst du aber nur noch ein einziges unhöfliches Wort, so bekommst du mein Messer! Nicht für uns, sondern für dich ist die Hölle bestimmt, wobei du fahren, reiten oder laufen kannst, ganz wie es dir beliebt! Einen Vorgeschmack der Freuden, die euch dort erwarten, werden wir euch schon jetzt zu kosten geben.«

Der Geschlagene wagte keine Erwiderung; um so deutlicher aber sprachen seine Augen, welche Blitze tödlichen Hasses auf uns sprühten. Halef machte sich ebensowenig daraus wie ich; er zog ihm den Kaschmirshawl von der Hüfte, zerriß ihn in drei Teile und verband den Gefangenen damit die Augen. Dann gingen wir wieder hinaus. Dort angekommen, zog er mich zur Seite, um von dem Sill und seiner Frau nicht gehört zu werden, und fragte:

»Sihdi, willst du wirklich nicht dabei sein, wenn diese Sillan jetzt die Wohlthat unserer Dankbarkeit erhalten?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Das weißt du doch schon von früher her. Es giebt leider Fälle, und der jetzige ist ein solcher, in denen es notwendig ist, Menschen wie widersetzliche Hunde mit Schlägen zu traktieren, aber es ist mir so fürchterlich, sehen zu müssen, daß ein Ebenbild Gottes dieser wenn auch wohlverdienten, aber dennoch schrecklichen Erniedrigung verfällt, daß ich es zu ermöglichen suche, fern zu bleiben. Die Kerls sind gefesselt und müssen ohne Widerstand nehmen, was sie bekommen; auch den Mann aus Mansurijeh hast du vollständig in deiner Gewalt, und so denke ich, daß meine Gegenwart bei der widerlichen Scene nicht notwendig ist.«

»Widerwärtig? Sihdi, du bist in jeder Beziehung ein starker Mann; nur in dieser einen bist du schwach. Nicht widerwärtig, sondern im Gegenteile erfreulich ist es, zu sehen, daß die Gerechtigkeit keinen Para hoch um das, was ihr gehört, betrogen wird. Du hast mich einen Herrscher genannt. Es ist die Pflicht eines jeden regierenden Gebieters, sich zu überzeugen, daß jede Missethat den verdienten Lohn empfängt. Nun wohl, ich will mich überzeugen, zumal die Strafe hier viel, viel niedriger ist, als sie eigentlich sein sollte. Wer den Tod verdient hat und nur Schläge erhält, der muß sie aber so bekommen, daß er sie nicht mit süßen Datteln verwechselt. Ich gehe jetzt, und wenn der Sill nicht aus Leibeskräften haut, so vergesse ich die Hoheit meines Herrschertums, indem ich die Kraft seines Armes mit meiner Kurbadsch stärke.«

»Nur nicht unmenschlich, Halef! Verstanden?«

Er nickte nur, band den Sill wieder los und ging mit ihm in die Hütte, vor welcher die Frau angebunden stehen blieb. Ich entfernte mich so weit, als ich es für zulänglich hielt, das Geschrei der Geschlagenen nicht zu hören. Es verging wohl eine halbe Stunde, bis Halef kam; meine Spur hatte ihm gesagt, wohin ich gegangen war. Sein Gesicht zeigte keineswegs einen so befriedigten Ausdruck, wie ich erwartet hatte; deshalb erkundigte ich mich:

»Ist’s glatt vorübergegangen?«

»Ja,« antwortete er; »nur die Gegenden, welche von der Kurbadsch besucht wurden, sind nicht mehr glatt.«

»Und doch bist du nicht befriedigt?«

»Es ist anders abgelaufen, als ich erwartete. Der Sill schlug aus Leibeskräften zu; das Blut floß herab, aber keiner der drei Hunde hat einen Laut von sich gegeben. Sie haben die Zähne zusammengeknirscht, daß ich es hörte. Als der letzte Hieb gefallen war, dachte ich, daß sie nun wenigstens drohen und fluchen würden; sie blieben aber stumm.«

»Das ist für uns drohender, als wenn sie noch so sehr getobt hätten. Wehe uns, wenn wir in ihre Hände fallen sollten!«

»Willst du sie sehen?«

»Nein.«

»Das dachte ich; darum habe ich ihre Taschen untersucht und dir gebracht, was ich fand.«

»Was?«

»In den Taschen des Pädär-i-Baharat steckte dieses Geld und dieses Pergament; die beiden andern hatten nichts als einige kleine Münzen, die ich ihnen gelassen habe.«

Der Beutel, den er mir reichte, enthielt gegen fünfhundert Tumans; ich gab ihn dem Hadschi wieder. Das mehrfach zusammengebrochene Pergament war auf der einen Seite mit Ziffern beschrieben; auf der andern sah ich eine kleine Planzeichnung, aus welcher ich nicht klug werden konnte, und eine Reihe von Namen, die für mich wahrscheinlich keinen Wert hatten. Dennoch kopierte ich, meiner alten Gewohnheit folgend, Plan und Namen in mein Taschenbuch. Einige kleine Gruppen von kommaähnlichen Strichen hielt ich für bedeutungslos, weil sie aussahen, als ob sie nur gemacht worden seien, um die Feder zu probieren oder ein Haar aus ihr zu entfernen, doch blieben sie, wie sich später zeigen wird, meinem Gedächtnisse scharf und deutlich eingeprägt. Dann gab ich auch das Pergament zurück und sagte:

»Trage alles wieder hin! Wir brauchen es nicht.«

»Auch das Geld?«

»Natürlich. Wir sind doch keine Diebe.«

»Das ist richtig! Ich brachte es auch nur, um es dir zu zeigen. Was thun wir nun? Ich hab den Sill, nachdem er seine Schuldigkeit gethan hat, wieder dort neben seiner Frau angebunden.«

»Wir setzen unsere Fahrt fort, machen aber beide nicht gleich ganz, sondern nur soweit von ihren Banden frei, daß sie noch eine Zeit lang sich bemühen müssen, vollends loszukommen. Dadurch gewinnen wir soviel Vorsprung, daß wir Bagdad eher als die drei Perser erreichen, obgleich ihr Floß schneller als das unsere schwimmt.«

»Das ist klug von dir gehandelt, obgleich wir gar keinen Grund haben, uns vor ihnen zu fürchten. Du erteilst mir doch die Erlaubnis, mich, ehe wir gehen, wenigstens von dem Manne aus Mansurijeh und seinem Weibe zu verabschieden?«

»Wozu das? Es ist nicht nötig.«

»Nicht nötig? O Sihdi, wie wenig bist du doch in die Erfordernisse der menschlichen Begrüßungsnotwendigkeiten eingeweiht! Man kommt doch weder zu einander noch geht man wieder auseinander, ohne die vorgeschriebenen Hochachtungsverbeugungen gemacht und die Versicherungen inniger Liebe und Treue ausgetauscht zu haben. Wenn man im Lande deiner einstigen Geburt ohne diese Höflichkeiten leben kann, so ist damit noch lange nicht bewiesen, daß auch die hochgebildeten Völker des Orientes so wortlos auseinandergehen müssen wie zwei Dafahdi, welche, nachdem sie sich begegnet sind und einander angestarrt haben, stumm auseinanderhüpfen, der eine nach dem Aufgang und der andere nach dem Untergang der Sonne. Willst du dich als Frosch betrachten, so entferne dich; ich aber werde mich des Ruhmes würdig machen, in Beziehung auf die Gewandtheit meines Abschiednehmens ohne Beispiel dazustehen!«

Leider konnte ich, wenn ich nicht einen Umweg machen wollte, mich nicht in meiner ganzen froschigen Glorie zeigen, denn der Weg nach unserm Floße führte an der Hütte vorüber, zu welcher Halef in der stolzen Haltung eines Fürsten schritt. Dort angekommen, band ich den Mann und die Frau halb los, und zwar so, daß sie sich noch stundenlang bemühen mußten, sich ihrer Fesseln vollends zu entledigen. Während ich dies that, sagte der kleine Hadschi zu dem Sill:

»Wenn edle Freunde voneinander scheiden müssen, so rinnen die Thränen der Trennung von ihren Wimpern, und die Sonne der Wehmut geht unter hinter den Bergen der Trauer, die ihr Herz beschweren. Als ich dich zum erstenmal erblickte, du Abglanz meines Lebens, eilte dir meine Seele jubelnd entgegen, und nun ich mich von dir wenden muß, sehe ich das Grab meines Glückes vor mir offen und steige in die Grube hinunter mit der Hoffnung, daß du mir baldigst folgen und statt meiner dort begraben wirst. Unser Beisammensein ist nur ein kurzes gewesen, aber dennoch haben dich die innigsten Bande hier gefesselt und unser Floß ist eine ganze Nacht hindurch die liebliche Wohnstätte eurer Seelenruhe gewesen. Hoffentlich bedeutet unsere jetzige, bittere Trennung nicht ein Scheiden für die Ewigkeit, denn ich wünsche, daß sich unsere Augen und unsere Herzen wiederfinden. Dann wird mein Puls dir alle seine Schläge widmen, indem er sich in diese Haut des Nilpferdes hier verwandelt, und die Liebkosungen meiner Kurbadsch werden dir mit tiefer Eindringlichkeit beweisen, daß mir das Andenken an dich und deine Verdienste teuer ist. Ich wünsche dir für deinen Harem tausend so schöne Frauen wie diese hier an deiner Seite, und für dein ferneres Wohlergehen die Füße eines Storches, den Leib einer Schildkröte und, um deine Herrlichkeit ganz zu vollenden, die Stacheln eines Igels im Gesicht! Dann werden alle Völker dich bewundern und alle Länder dein Lob verkünden, soweit die Erde reicht. Ich bin Hadschi Halef Omar, der oberste Scheik der Haddedihn; vergiß das nicht, du Vater des Verrates, du Großvater der Lüge und du Oheim der Verstellung und Verächtlichkeit!«

Nachdem er in dieser Weise seinem Herzen Luft gemacht hatte, spuckte er dreimal aus, warf als Zeichen der Verachtung die leere Hand in die Luft und wendete sich dann ab, um mir zu folgen. Wir führten unsere Pferde zum Floß, lösten dieses vom Gestade und ließen es abwärts treiben, wobei wir uns in der Nähe des Ufers hielten, um da, wo das Kellek der Perser lag, wieder anzulegen. Ich wollte es diesen drei Männern ganz unmöglich machen, uns noch vor Bagdad einzuholen und infolgedessen zu erfahren, wo wir dort zu finden seien. Darum durchschnitt ich den Strick, an welchem das Floß hing, worauf wir es mit hinüber auf die Mitte des Stromes nahmen, um es da weiterschwimmen zu lassen.

Obgleich nun zu erwarten war, daß der Pädär-i-Baharat uns erst am nächsten Tage folgen könne, griffen wir doch zu den Rudern, um die Schnelligkeit unserer Fahrt zu vergrößern, und kamen sehr bald an Reschidijeh vorüber. Hierauf folgten die Orte Suadschen, Dscherjat el Maman, Habib el Murallad und Imam Musa, von wo aus wir noch vielleicht eine Stunde lang zwischen rechts und links liegenden Palmenhainen abwärts glitten, bis wir die Brücke von Bagdad erreichten, wo wir am Kumruk anlegen mußten, aber nicht belästigt wurden, weil ich mich in Mossul in den Besitz eines Reftijat gesetzt hatte. Wir waren an unserm ersten Wanderziele glücklich angekommen. – – –

  1. Kugel. In allen diesen persischen Wörtern wird das ä, wenn es nicht durch ein h gedehnt ist, halb wie a, halb wie e und zwar ganz kurz ausgesprochen.

In Bagdad

In Bagdad

Bagdad!

Welche Fülle glänzender Vorstellungen erweckt dieser Name in der Seele jedes Menschen, der, ohne dort gewesen zu sein oder die Verhältnisse zu kennen, die berühmte Stadt nur nach dem Inhalte von »Tausend und eine Nacht« beurteilt! Während der Orientale Kairo als »Bauwahbe esch Schark«, bezeichnet, wird Bagdad von ihm »Nefs esch Schark« genannt. War diese Bezeichnung vielleicht vor Jahrhunderten richtig, so ist sie es jetzt längst nicht mehr. Es geht dieser Stadt auch nicht anders als vielen ihrer Schwestern, deren Ruhm und Schönheit der Vergangenheit angehören. Selbst das, was sie aus ihrer Jugend in das Alter herübergerettet haben, darf man nur aus der Ferne betrachten, weil es in der Nähe häßlich erscheint.

Bagdad soll zur Zeit seines Glanzes zwei Millionen Einwohner, hunderttausend Moscheen und über fünfzigtausend Bazare gehabt haben; jetzt wird die Stadt kaum achtzigtausend Seelen zählen. Gegenwärtig besitzt sie vielleicht dreißig Moscheen und ebensoviele Karawanserais, während von den letzteren damals zwölftausend vorhanden gewesen sein sollen; das ist genug Stoff zum Vergleich.

Die stolze Kalifenstadt, welche einst der Mittelpunkt des Muhammedanismus war, hat, wie ein neuerer persischer Dichter sich ausdrückt, »die Schönheit ihres Angesichtes, die Röte ihrer Wangen, den Glanz ihrer Augen, die Fülle ihres Wuchses und die Grazie ihres Ganges« verloren. Früher inmitten eines wahren Paradieses, liegt sie jetzt in einer Ebene, welche sich mit allem Möglichen, nur nicht mit einem Garten Gottes vergleichen läßt, denn das wenige Grün, welches noch vorhanden ist, zieht sich ganz nahe an sie heran, während schon in kurzer Entfernung das öde, ausgestorbene Land beginnt. Sie wird von dem Tigris durchflossen, über den eine etwas über zweihundert Meter lange Schiffbrücke führt. Die Ruinen der alten Stadt liegen mit der Citadelle auf der Westseite des Flusses; der neuere und größere Teil zieht sich am östlichen Ufer hin. Man kann zwar nicht leugnen, daß die Stadt vom Flusse aus noch heut einen wenigstens interessanten Anblick bietet, aber sobald man die Straßen betritt, ist die Illusion verflogen. Die Umfassungsmauern sind eingefallen, und von den herrlichen Bauwerken der Kalifen kann man kaum noch einzelne Ueberreste sehen. Die Häuser bestehen aus Backsteinmauern, deren Fenster sich nur nach den Innenhöfen öffnen, so daß man auf den krummen, engen, ungepflasterten Straßen fast nur den Anblick kahler Wände und schmaler, verschlossener Thüren hat. Am sehenswertesten sind die Bazars, welche lange, gewölbte Gänge bilden, in denen alle möglichen Waren des Orientes feilgehalten werden.

Im Sommer ist die Hitze sehr groß, so daß die Bewohner sich in die kühlen Sardaubs zurückziehen und des Nachts auf den flachen Dächern der Häuser schlafen. Um so kälter ist verhältnismäßig der Winter, welcher die Mitglieder der Familie um die Mangals zusammentreibt. Oefen giebt es nicht.

Gegründet wurde Bagdad von Al Mansur, dem zweiten Kalifen der Abbassiden. Harun al Raschid vergrößerte die Stadt bedeutend und legte die erste Schiffbrücke an. Al Mostansir schenkte ihr die Akademie für Chemie und Heilkunde, welche allen mohammedanischen Hochschulen als Muster diente, nun aber schon längst in ein Karawanserai verwandelt worden ist. Noch schlimmere Wandlungen erfuhr die Stadt an sich. Sie wurde von dem Mongolenfürsten Hulagu zerstört, dessen Nachkommen von Timur vertrieben wurde, der sie abermals erstürmte und der Erde gleich machte. Dieser Eroberer errichtete als Andenken an seinen Sieg mehrere Türme aus fast hunderttausend Schädeln der gefallenen Einwohner. Später wurde Bagdad von den Osmanen erobert, diesen aber von den Persern unter Schah Ismael genommen, denen es dann Sultan Murad IV. wieder entriß, seit welcher Zeit es unter der türkischen Herrschaft verblieb.

Aus der glanzvollen Zeit Harun al Raschids ist fast nichts mehr übrig als das Grabmal seiner Gemahlin Zobeïde, welches einsam und verödet oberhalb der Stadt auf dem rechten Ufer des Flusses steht. Al Raschid heißt »der Gerechte«, doch führte dieser Kalif seinen Namen mit Unrecht. Er stellte sich aus Klugheit gut zu den Theologen und Gelehrten und pilgerte neunmal nach Mekka, sogar zu Fuß, doch machte er sich diese Wanderung so leicht wie möglich, indem er den ganzen Weg mit weichen Teppichen belegen und auf jeder Station ein Kal’a errichten ließ. Er kaufte Dichter, welche sein Lob besangen, war den Unterthanen aber verhaßt, besonders seit er seine eigene Schwester Abbasah mit ihren zwei Kindern lebendig hatte einmauern lassen. Er kannte diesen Haß, den er so fürchtete, daß er später seine Residenz nach Rakka am obern Euphrat und dann gar nach der nordpersischen Hochebene verlegte und am äußersten Ende von Chorasan begraben wurde. Auch sein Sohn Mamun wußte seinen Reichtum zu zeigen. Als er sich mit Buran, der Tochter des Wessirs Hassan Ibn Sahl, verheiratete, brannten in den Sälen tausend riesige Ambrakerzen, und es wurden Moschus- und Ambrakugeln, welche Anweisungen auf Edelsteine, Häuser und Ländereien enthielten, unter Hunderten von Gästen verteilt. Von all diesen Erzählungen sind nur noch die Erinnerungen übrig, welche im Munde des Hakawati leben. Hieran ist nicht zum wenigsten die tiefe Spaltung schuld, welche eine Folge der Parteinahme für Ali und seine Nachkommen war und die mohammedanische Welt in zwei Teile zerriß, die Sunniten und die Schiiten, die sich noch heut mit größter Erbitterung bekämpfen. –

Also wir waren in Bagdad angekommen und hatten uns am Zollhause legitimiert. Ehe wir unsere Reise per Schiff fortsetzten, wollten wir die für uns wichtige Gegend besuchen, in welcher wir bei unserer frühern Anwesenheit in Irak Arabi so hilflos und verlassen an der Pest darniedergelegen hatten4. Das Nächste aber war die Frage nach einer Wohnung in der Stadt. In einem Karawanserai wollte ich des dort herrschenden Ungeziefers wegen nicht bleiben, und auch mein Halef war der Ansicht, daß, wie er sich auszudrücken beliebte, wir die »liebevolle Treue und Anhänglichkeit dieser Bevölkerung« noch bald genug erfahren würden. Der Europäer pflegt die Gastlichkeit der dortigen abendländischen Beamten oder Privatpersonen aufzusuchen; aber dies ist nie meine Art und Weise gewesen. Wer ein Land, ein Volk nicht nur oberflächlich kennen lernen, sondern wirklich studieren will, der muß trachten, ganz in diesem Volke aufzugehen und auf jedes Band, welches ihn davon abhält, verzichten können. Darum habe ich auf meinen Wanderungen stets die großen, ausgetretenen Straßen vermieden, allen hinderlichen europäischen Ballast von mir geworfen und mich auf mich selbst verlassen. Um dies zu können, muß man zwar viel Mühe auf die betreffenden Sprachen gewendet, sich überhaupt in jeder Beziehung tüchtig vorbereitet haben, auf manche Vorteile und Genüsse verzichten und weder Entbehrungen noch Widerwärtigkeiten oder gar Gefahren scheuen, aber wenn man diese Bedingungen erfüllt, dann kommt man auch mit ganz anderen Erfolgen heim, als wenn man auf dem breiten, bequemen Wege derer reist, denen ihre reichen Mittel oder fürstliche Protektionen alle Pfade ebnen und alle Hindernisse beseitigen. Es hätte nur eines Besuches beim Pascha oder der Vorstellung bei einem der hiesigen Konsulate bedurft, so wäre die Wohnungsfrage sofort erledigt gewesen, zumal der Name Kara Ben Nemsi in den hiesigen Militär- und Beamtenkreisen kein unbekannter war, aber ich wollte ja auf eigenen Füßen stehen und mich keinen lästigen Dankesverbindlichkeiten unterwerfen; darum hielt ich es für das Richtige, ganz wie damals einen gegen Bezahlung für uns und unsere Pferde passenden Aufenthalt zu suchen. Es war da sehr naheliegend, daß ich an den interessanten Polen dachte, bei dem wir zu jener Zeit gewohnt hatten und der mir so sympathisch gewesen war. Freilich, ob er noch lebte, und ob er, wenn dies der Fall war, sich noch in Bagdad und in demselben Hause befand, das schien mir sehr fraglich zu sein.

Ich war indes nicht der einzige, der sich dieses liebenswürdigen Wirtes erinnerte, denn als wir die Pferde vom Kellek an das Ufer gebracht hatten, sagte Halef:

»Das Floß ist nun für uns wertlos; kein Mensch kauft es uns ab; wir lassen es einfach hier liegen. Mag es nehmen, wer es haben will. Wohin aber werden wir uns nun wenden, Sihdi?«

»Das frage ich dich auch,« antwortete ich.

»Mir kommt da ein Gedanke, und ich hoffe, daß er dir gefallen wird.«

»Welcher?«

»Weißt du noch, bei wem wir damals gewohnt haben?«

»Natürlich!«

»Wollen wir wieder hin?«

»Ich habe ganz denselben Gedanken gehabt. Es sollte mir lieb sein, den Mann wieder anzutreffen.«

»Und seinen Diener, dem er unterthänig war!« lachte Halef.

Wer meinen Band »Von Bagdad nach Stambul« gelesen hat, wird sich dieses wohlbeleibten Dieners entsinnen und der Eigenartigkeit, in welcher er seine Pflichten auffaßte. Ich war sehr geneigt, anzunehmen, daß wenigstens er gestorben sei, weil er schon damals bei der Fülle seines Leibes zum Schlagflusse geneigt hatte. Wir hatten Zeit, und so war es auf keinen Fall ein Fehler, wenn wir das Haus aufsuchten, um zu erfahren, wer die jetzigen Bewohner desselben seien. Wir bestiegen also unsere Pferde und wendeten uns der Richtung zu, welche uns in die betreffende Gegend führen mußte.

Man wird sich errinnern, daß die betreffende Wohnung in den Palmengärten im Süden der Stadt lag. Wir fanden sie trotz der Zeit, welche inzwischen vergangen war, sehr leicht, hielten dieses Mal aber nicht an der schmalen Pforte, sondern vor dem Thore an, welches an der andern Seite des Gartens lag. Dort stiegen wir ab, und ich klopfte. Ich mußte das mehreremal thun, und es dauerte lange Zeit, ehe ich einen sehr langsamen, schlürfenden Schritt hörte, der sich von innen dem Thore näherte. Es befand sich eine kleine Lücke in demselben, welche geöffnet wurde. Wir sahen zunächst eine lange, spitze Nase erscheinen, noch viel spitziger, als sie früher gewesen war, und hierauf ein altes, fahles, sehr runzeliges Gesicht. Die blöd gewordenen Augen musterten uns durch die großen, runden Brillengläser, und mit dünner, zitternder Stimme wurden wir gefragt:

»Was wollt ihr hier?«

Ich erkannte ihn; es war unser damaliger Wirt, der einstige türkische Offizier polnischer Nationalität; er hatte damals noch keine Brille getragen und war inzwischen sehr gealtert. Wahrscheinlich kannte er mich nicht mehr. Da er sich des Arabischen bediente, antwortete ich ihm in derselben Sprache:

»Wohnst du allein in diesem Hause?«

»Warum willst du das wissen?« erkundigte er sich mißtrauisch.

»Weil wir dich bitten möchten, hier bei dir einkehren zu dürfen.«

»Ich habe keinen Platz für fremde Leute.«

»Wir wünschen die Wohnung nicht umsonst, sondern werden gern bezahlen.«

»Ich vermiete nicht. Auch sehe ich, daß ihr Pferde habt, für welche bei mir kein Raum vorhanden ist.«

»Du hast einen großen Hof. Ein Teil desselben ist überdacht; da haben viel mehr als nur zwei Pferde Platz.«

»Trzaskawica! Du kennst den Hof? Mensch, dir ist nun erst recht nicht zu trauen! Packt euch fort!«

Er wollte die Oeffnung schließen; ich verhinderte dies mit der Hand und beruhigte ihn:

»Du brauchst kein Mißtrauen zu hegen. Wir sind ehrliche Leute und haben dir Grüße zu bringen.«

»Grüße? Von wem?«

»Erinnerst du dich, daß einmal ein persischer Prinz mit zwei Frauen und Dienerschaft bei dir gewohnt hat?«

»Ja, ja,« antwortete er schnell. »Es war ein Effendi aus Deutschland mit seinem arabischen Begleiter dabei.«

»Dieser Deutsche wurde Kara Ben Nemsi genannt?«

»Ja. Kennst du ihn?«

»Ich kenne ihn und habe dir Grüße von ihm zu überbringen.«

»So lebt er noch? Er war nur kurze Zeit bei mir, aber ich habe ihn sehr liebgewonnen. Sag schnell, wo er sich befindet und wie es ihm ergeht!«

»Ist es nicht besser, daß ich dir dies in deiner Wohnung sage?«

»Allerdings, allerdings! Kommt also herein! Ich werde euch öffnen.«

Das Pförtchen auf der andern Seite schien mehr als dieses Thor in Gebrauch zu sein. Er mußte alle Kraft seiner schwachen zitternden Hände anstrengen, um den Schlüssel im Schloß umzudrehen, und dann wollte sich der Flügel des Thores nicht in Bewegung setzen, sodaß wir von außen helfen mußten. Als er dann offen war, sahen wir den Alten grad wie damals in den riesigen Pantoffeln und dem langen, unten ausgefransten, ganz und gar abgetragenen Kaftan vor uns stehen. Ich schob, nachdem wir die Pferde hereingezogen hatten, das Thor wieder zu, verschloß es und gab ihm den Schlüssel.

»Kommt zunächst in den Hof!« forderte er uns auf und schlurfte dann mit seinen dürren Beinen durch die Gartenanlagen vor uns her, bis wir den Hof erreichten. Dort banden wir die Pferde an; dann führte er uns in den Hausflur, in dessen Hintergrund die uns bekannte Treppe aufwärts führte. Hier öffnete er die Thüre rechts, und wir traten in die Bibliothek, welche genau das frühere Aussehen und dieselbe Einrichtung hatte. Nachdem er uns aufforderte, mit ihm auf dem Diwan Platz zu nehmen, klatschte er nach orientalischer Sitte in die Hände. Ich war gespannt, welcher dienstbare Geist auf dieses Zeichen erscheinen werde. Ich konnte mir den ganz entsetzlich dicken Ganymed jener Zeit, der den Wein seines Herrn ausgetrunken und ihm dafür Wasser in die Flasche gegossen hatte, so deutlich vorstellen, als ob ich ihn erst gestern zum letztenmal gesehen hätte.

Der Wirt mußte noch verschiedenemal klatschen, und endlich, nachdem auch ich meine Hände sehr kräftig in Bewegung gesetzt hatte, öffnete sich die Thür, und es erschien – – – ja, das war er, er selber, aber viel, viel dicker noch, als er vordem gewesen war und in meinem Gedächtnisse gelebt hatte. Die Wangen hingen wie Säcke herab; unter den Augen bildete die Haut je einen blutrot schimmernden Beutel; es gehörte keine hervorragende Phantasie dazu, die dicken Lippen für Salamiwürste zu halten; die Aeuglein waren fast gar nicht mehr zu sehen. Nach unten wurde das Gesicht durch eine Unterkehle abgeschlossen, welche ganz gewiß das Gewicht eines fetten Bologneserschweinchens hatte, und nach oben durch einen Fes, aus dessen Fettflecken, wenn er ausgekocht wurde, sehr wahrscheinlich ein Kilo Hammeltalg gewonnen werden konnte. Die einzige Kleidung dieses menschlichen Thranfasses schien in dem von oben bis unten zugeknöpften, aber sehr zerrissenen Kaftan zu bestehen, der keine Farbe mehr hatte, aber doch in allen möglichen Farben glänzte. Dieses dünne, an vielen Stellen offene Gewand ließ die erstaunlichen Umrisse der elefantenartigen Arme und Beine deutlich erkennen. Und nun gar der Leib, der Leib! Diese Taille, diese Taille! Indem ich daran dachte, ihn später einmal beschreiben zu müssen, wollte es mir angst und bange werden. Das ausgewachsenste Walroß war ein hungriger Waisenknabe im Verhältnisse zu dem Umfange dieses Kascheloten in Gestalt eines türkischen Lakaien. Und die Füße! Die Pantoffel, in denen sie steckten! Das waren die schönsten Donaukähne mit Halbverdeck! Wäre ich Millionär gewesen, so hätte ich getrost mein ganzes Vermögen auf die Behauptung setzen dürfen, daß es diesem armen Manne unmöglich sei, sich nur zehn Zoll weit niederzubücken. Und dabei sollte er den Obliegenheiten eines Dieners nachkommen! Von einem richtigen, wirklichen Gehen konnte bei ihm keine Rede sein; die Fortbewegung war ihm nur durch ein steifes Vorwärtsschieben der Beine möglich. Stand ihm doch schon jetzt, wo er jedenfalls nichts weiter gethan als nur eine oder zwei Thüren göffnet hatte, der helle Schweiß auf der Stirn. Da war es freilich kein Wunder, daß der Herr in eigener Person hatte zu uns an die Pforte kommen müssen. Aber ein lieber, guter Kerl war er doch, dieser Dicke, denn sein Gesicht strahlte geradezu von Dienstwilligkeit, als er in vertraulich-devotem Tone fragte:

»Was willst du, Effendi? Du hast geklatscht. Schon wieder, schon wieder! Wann werde ich doch einmal in Ruhe gelassen werden! Aber befiehl nur getrost; ich werde gern thun, was du gebietest.«

»Kaffee und Tabak!« lautete die Antwort seines Herrn. »Du siehst, daß ich Gäste habe!«

»Kaffee? Allah, oh Allah!« seufzte der Dicke, indem er die Aeuglein verdrehte.

»Was wimmerst du denn? Mach schnell! Man setzt doch den Gästen Kaffee vor!«

»Ja, man setzt, man setzt, Effendi; das weiß ich wohl. Man setzt – – – nämlich, wenn man welchen hat.«

»Wie? Du hättest keinen?«

»Nein.«

»Aber du hast doch vorgestern sechs Piaster von mir verlangt, um welchen zu holen!«

»Das habe ich; ja, das habe ich, Effendi.«

»Und du hast Kaffee geholt?«

»Ja. Ich schwöre dir bei allen Propheten und Kalifen, daß ich welchen geholt habe.«

»Wo ist er denn hingekommen?«

»Er ist alle.«

»Alle? Ich habe doch gar keinen getrunken, meiner Augen wegen.«

»Oh, Effendi, zürne nicht; ich bin ganz unschuldig, denn grad meiner Augen wegen muß ich Kaffee trinken, um sie für deinen Dienst zu schärfen.«

»Aber für sechs Piaster in zwei Tagen!«

»Meinst du etwa, daß es umgekehrt sein soll, daß der treueste aller Diener in sechs Tagen für zwei Piaster Kaffee trinken soll? Und wieviel bekommt man für sechs Piaster? Wenn ich gehe, um Kaffee zu kaufen, muß ich auf dem Hinwege zweimal beim Kahwedschi einkehren, um mich zu stärken, und auf dem Heimwege wieder zweimal. Das kostet vier Piaster, bleiben also für den Einkauf nur zwei Piaster übrig. Wieviel bekommt man dafür? Du siehst ein, O Effendi, daß ich unschuldig, ganz unschuldig bin!«

»Aber ich muß meinen Gästen doch Kaffee vorsetzen lassen!«

»Ja, das mußt du, das mußt du ganz bestimmt. Gieb mir also wieder sechs Piaster, damit ich gehe, welchen zu holen!«

»Oh jazik – wehe! Wenn ich dich schicke, kehrst du wieder viermal ein und kommst erst heut abend wieder, um für zwei Piaster Binn zu bringen. Ich bin außer mir; ich weiß nicht, was ich machen soll!«

Da dieses halb zum Diener und halb zu mir gesprochen worden war, sagte ich begütigend:

»Mach dir keine Sorgen, Effendi! Wir hatten uns für unterwegs mit Kaffee versehen und haben welchen übrig, der in der Satteltasche steckt. Mein Begleiter wird in den Hof gehen, ihn zu holen.«

»Ich danke dir, Herr; du machst mir das Herz leicht und errettest mich von der Schande, meinen Gästen nicht den braunen, duftenden Trank der Gastlichkeit vorsetzen zu können. Dafür wirst du nun den besten Tabak, der hier in Bagdad zu haben ist, mit mir rauchen. Hol schnell die Tschibuks!«

Der Dicke, an den dieser Befehl gerichtet war, verdrehte die Aeuglein abermals nach innen, so daß sie ganz verschwanden, und rief in kläglichem Tone:

»Die Tschibuks? Allah’l Allah! Tabak, oh Tabak!«

»Klag nicht, sondern lauf! Beeile dich!«

»Effendi, ich bitte dich, nimm doch deinen Verstand, deinen ganzen Verstand zusammen! Warum soll ich mich beeilen, wenn es durch die Eile doch nicht anders wird?«

»Wieso nicht anders?«

»Es ist kein Tabak da.«

»Kein Tabak – –! Unmöglich! Der kann doch nicht auch schon alle geworden sein! Ich habe ja seit einer ganzen Woche keinen geraucht!«

»Ich auch nicht, Effendi. Du siehst also, daß ich unschuldig bin!«

»Aber du solltest doch vorgestern, als du Kaffee holtest, auch Tabak mitbringen! Ich habe dir zehn Piaster dazu gegeben.«

»Ja, das ist wahr; die hast du mir dazu gegeben.«

»Nun also, wo ist der Tabak?«

»Oh Tabak! Allahi, Wallahi, Tallahi!«

»Heraus mit der Sprache! Ich muß doch meinen Gästen Tschibuks geben lassen!«

»Ja, das mußt du allerdings, Effendi. Ich bitte also um zehn Piaster, um welchen zu holen.«

»So hast du also noch keinen geholt?«

»Nein.«

»Aber wo ist das Geld dafür?«

»Effendi, wenn du mich anhörst, so wirst du sofort erfahren, daß ich ganz unschuldig bin. Du weißt, daß ich nur selten rauche, denn eine Prise Naschuk ist weit bekömmlicher als eine Pfeife voll Duchan . Nun war ich dem Dachachni grad zehn Piaster für Schnupftabak schuldig geblieben, und er mahnte mich. Er drohte sogar, mir nie wieder zu borgen, und so habe ich ihm das Geld gegeben.«

»Für Schnupftabak?«

»Nein, Effendi. ich habe die Schuld bezahlt und mir dann wieder für zehn Piaster geborgt.«

»Das ist ganz dasselbe, als ob du dir Schnupftabak dafür gekauft hättest. Du hast das Geld also für deine Nase anstatt für meine Tschibuks verwendet!«

»Effendi, zürne nicht, sondern denke nach, so wirst du erkennen, daß ich unschuldig bin! Soll der Tabakshändler etwa im Kaffeehause erzählen, daß der Diener eines so vornehmen Mannes, wie du bist, seine Schulden nicht bezahlen könne? Soll er dadurch dein Angesicht vor allen Leuten schamrot machen? Wenn du alle guten Kräfte deines Verstandes und deiner Weisheit zusammenrufst, so werden sie dir sagen, daß ich nicht auf das Glück meiner Nase gesehen habe, sondern für den guten Leumund deines berühmten Namens bedacht gewesen bin. Ich bin überzeugt, daß du nun nicht mehr an meiner vollständigen Unschuld zweifelst!«

Der stets unschuldige Dicke blickte seinen Herrn vorwurfsvoll an, und dieser sah mir dann so ratlos ins Gesicht, daß ich ihm erklärte:

»Sorge dich nicht um den Tabak, Effendi! Ich habe welchen einstecken. Dein Diener – – wie wird er eigentlich genannt?«

»Kepek ist sein Name.«

»Also dein Kepek mag die Tschibuks bringen; unterdessen wird mein Begleiter den Kaffee und den Tabak holen.«

»Wie gütig bist du, o Herr! Nur durch deine Freundlichkeit ist es mir möglich, die Pflichten zu erfüllen, welche ich euch schuldig bin.«

Halef entfernte sich; Kepek aber ging noch nicht. Er drehte seine dicken Arme verlegen hin und her und ließ die Unterlippe hängen, so daß man den letzten Zahn, der ihm von allen zweiunddreißig übrig geblieben war, in seiner ganzen Größe erblickte.

»Was willst du noch?« fragte ihn sein Herr.

»Du sprichst von Tschibuks, Effendi,« antwortete er, »und wir haben doch nur einen, aus welchem wir beide rauchen.«

»Wir hatten aber doch zwei!«

»Das ist schon lange her. Ich habe den einen stets dazu gebraucht, das Feuer des Herdes anzublasen, und da ist er mir nach und nach von unten herauf verbrannt.«

»Aber ist denn der Tschibuk da, als Körük zu dienen?«

»Nein; aber um zu beweisen, daß ich unschuldig bin, brauch ich dir nur zu sagen, daß ich mich nicht gut bücken kann; der Tschibuk aber fühlt keine Schmerzen, wenn ich ihn ins Feuer halte. Das wirst du einsehen, o Effendi!«

»So geh, und hole die Pfeife!«

Es versteht sich ganz von selbst, daß mich dieses Verhältnis zwischen Herr und Diener außerordentlich belustigte. Daß der erstere gegen den letzteren so große Nachsicht zeigte, mußte seine Gründe haben. Ich erinnerte mich, daß der Pole mir damals gesagt hatte: »Er war schon mein Diener, als ich noch Offizier war. Vielleicht erzähle ich noch, warum ich mit ihm so nachsichtig bin. Er hat mir große Dienste geleistet.«

Also Kepek hieß der Dicke. Das ist ein türkisches Wort, welches zu deutsch »Kleie« bedeutet. Gar nicht so übel! Es giebt gewisse Geschöpfe, welche man mit Kepek füttert, um sie fett zu machen. Vielleicht war der sonderbare Lakai von diesem seinem Namen so rund und schwabbelig geworden. Da aber fielen mir die damaligen Worte seines Effendi ein: »Er ißt und trinkt das meiste selbst, und erst was er übrig läßt, das bekomme ich.« Da war es freilich kein Wunder, daß der eine zu wenig von der Fülle besaß, in welcher der andere fast ersticken mußte.

Jetzt kam Halef mit dem Kaffee und dem Tabak; er brachte auch unsere Pfeifen mit, wodurch der Pole aus der letzten Verlegenheit gerissen wurde, denn wenn wir nicht mit Tschibuks versehen gewesen wären, hätten wir zu dreien aus dem seinigen rundum rauchen müssen. Und da trat auch »Kleie« wieder herein und pustete außer Atem auf seinen Herrn zu, um ihm die Pfeife zu bringen. Als er dies schwere Werk vollbracht hatte, lustwandelte er wieder hinaus, machte aber die Thüre nicht zu, sondern lehnte sie bloß an. Ich war überzeugt, daß er draußen vor derselben stehen blieb, um seine Kräfte zu schonen und keinen Weg zurücklegen zu müssen, falls sein Herr wieder klatschen sollte. Was sollte da aus dem Kaffee werden? Den schien er ganz vergessen zu haben, obwohl er den Beutel mit unseren Bohnen sehr liebevoll hinter den Kaftan in seinen Busen geschoben hatte.

Als wir die Tschibuks gestopft und in Brand gesteckt hatten, begann der einstige Offizier:

»Also Grüße habt ihr von dem persischen Prinzen zu bringen, welcher Hassan Ardschir-Mirza hieß? Er war ein sehr vornehmer Herr und gehörte vielleicht gar zur Familie des Schah-in-Schah!«

Da schob Kepek der Dicke den Kopf zur Thür herein und sagte:

»Ja, er war ganz gewiß von hoher Abkunft, denn er hat mir, ehe er fortging, drei goldene Tumahns als Bakschisch gegeben.«

Er zog den Kopf zurück, und sein Herr fuhr, ohne ihm einen Verweis gegeben zu haben, fort:

»Ich habe Gründe, gegen keinen Perser gastfrei zu sein; diesem aber öffnete ich mein Haus, weil er mir von dem Deutschen Kara Ben Nemsi gebracht wurde, den ich gleich, sobald ich ihn sah, lieb gewann.«

Da steckte Kepek den Kopf wieder herein und rief.

»Auch mir gefiel er sehr, denn er hat mir zwei goldene Tumahn Bakschisch gegeben.«

Ich hatte damals die Gastfreundschaft unseres Wirtes allerdings durch dieses Trinkgeld von sechzehn Mark an seinen Diener vergelten können, weil Hassan Ardschir-Mirza sehr freigebig gegen mich gewesen war. Das fettglänzende Gesicht verschwand wieder hinter der Thür, und der Wirt sprach weiter:

»Ein sonderbarer Mann war der Inglisi, der immer nur von Ausgrabungen sprach; aber reich mußte er sein, sehr reich, denn ich habe dann gehört, daß er die ganze kostbare Habe des Prinzen gekauft hatte.«

Da erschien das Gesicht Kepeks abermals, und wir hörten die freudige Bestätigung:

»Ja, er war sehr reich, denn er hat mir als Bakschisch einen goldenen Lira inglisi gegeben, für welchen ich hundertundzwanzig Piaster erhalten habe.«

»Das sind zusammen dreihundertsechzig Piaster, die du als Bakschisch erhalten hast. Hast du sie noch?« fragte sein Herr.

»Nein.«

»Wo hast du sie?«

»Sie sind alle geworden, fort, weg, für Schnupftabak.«

»Niegrzecznosc! Soviel Geld für Schnupftabak!«

»Zürne ja nicht, Effendi, und rege dich nicht unnütz auf! Wenn du nachrechnest, welche lange Zeit seitdem vergangen ist, wirst du gewiß einsehen, daß ich unschuldig bin.«

Nach diesen Worten zog er seinen Kopf wieder zurück. Halef, der heißblütige, hatte keine Geduld, zuwarten, bis ich den Augenblick für gekommen halten würde, mich zu erkennen zu geben; er fragte:

»Hast du niemals wieder etwas von denen gehört, welche damals bei dir wohnten?«

»Von den Persern und dem Inglisi nicht, wohl aber von den beiden andern. Ich lebe sehr einsam und verlasse dieses Haus nur selten; aber Kepek pflegt, wenn er geht, um Einkäufe zu machen, in den vier Kaffeehäusern einzukehren, von denen er vorhin gesprochen hat. Dort sitzen die Männer und erzählen von den Wundern und Thaten vergangener Zeiten, von großen Feldherren und von anderen Helden. Auch von den Ereignissen der Gegenwart wird gesprochen, wenn sie wichtig sind, zumal wenn sie sich in der hiesigen Landschaft abgespielt haben. Da hat er auch einigemal von dem Emir aus Almanja und seinem arabischen Begleiter gehört, welche meine Gäste gewesen sind. Diese beiden Männer sind unvergleichliche Jäger und die berühmtesten Krieger der ganzen Dschesireh. Wenn sie ihn angreifen, muß der stärkste Löwe sein Leben lassen, und vor ihrer Tapferkeit, ihrem Mute, ihrer List und ihren Gewehren fürchten sich alle Stämme, welche zwischen dem Grenzgebirge und der Wüste wohnen. Dieser Kara Ben Nemsi soll sogar verzauberte Gewehre besitzen, deren Kugeln gar nicht geladen zu werden brauchen und doch niemals ihr Ziel verfehlen. Ich halte das natürlich für Aberglauben; aber wenn sich so eine Legende hat bilden können, müssen er und sein Halef, ohne welchen er noch nie gesehen worden ist, doch ganz außerordentliche Männer sein.«

Bei diesen Worten glänzte das Gesicht meines kleinen Hadschi vor Entzücken; seine Augen strahlten, und seine Stimme klang jubelnd, als er fragte:

»Halef? Heißt er nur so? Kennst du denn nicht seinen ganzen Namen?«

»Ich kenne ihn; er lautet, soviel ich mich erinnere, Hadschi Halef Omar.«

»Oh, nein; das ist nur der Anfang desselben. Dieser größte und berühmteste Krieger unter allen Stämmen der Beduinen heißt Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah. Und das ist noch lange nicht sein vollständiger Name, denn er könnte ihn infolge seiner unzähligen und glanzvollen Ahnen, Urahnen und Großvätersururahnen so ausdehnen, daß er von der Erde bis hinauf zum Himmel und dann von diesem wieder sechsmal bis herunter zur Erde reichte.«

Der Alte kannte jedenfalls die beduinische Ansicht, daß ein Mann um so mehr zu ehren sei, je länger sein Name ist, und daß daher ein jeder, der etwas aus sich machen will, an seinen eigenen Namen so viele Namen seiner Vorfahren, als er kennt oder auch nicht kennt, anzuhängen pflegt. Daher fiel ihm die lange Reihe, welche Halef genannt hatte, gar nicht auf; auch ging er über die vielfache Entfernung zwischen Himmel und Erde, nur einmal hinauf aber sechsmal herunter, hinweg und meinte:

»Ich möchte wissen, ob es wahr ist; man sagt nämlich, daß dieser Halef ursprünglich ein ganz armer, unbekannter Mann gewesen sei und es aber durch seine Tapferkeit bis zum obersten Scheik der Haddedihn gebracht habe.«

»Was man da gesagt hat, ist wahr; ich kann es bezeugen,« bestätigte Halef.

»Oder liegt vielleicht nur eine zufällige Gleichheit der Namen vor?«

»Nein. Hadschi Halef Omar, der größte Held in Asien und Afrika, und Hadschi Halef Omar, der oberste Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar, sind eine und dieselbe Person. Würdest du diesen Besieger aller bisherigen Helden erkennen, wenn er wieder einmal zu dir käme?«

»Das bezweifle ich, denn meine alten Augen sind sehr matt und schwach geworden.«

»Auch nicht an der Stimme?«

»Ich weiß es nicht. Um sich die Stimme eines Menschen zu merken, muß man lange mit ihm beisammen gewesen sein; dieser Hadschi Halef Omar aber war nur sehr kurze Zeit bei mir. Auch ist er mir damals gar nicht so aufgefallen, daß sein Gesicht und seine Stimme sich meinem Gedächtnisse eingeprägt hätten.«

»Nicht aufgefallen? Was höre ich! Erlaube, daß ich im höchsten Grade erstaunt bin! Ein siegreicher Held, wie dieser unvergleichliche Scheik der Haddedihn ist, besitzt doch eine so unerforschliche Tiefe der Einprägung, daß seine Stimme durch die festesten und härtesten Felsen des Erdbodens klingt und sein Gesicht auch mit dem schärfsten Messer nicht aus dem Ruhmesreichtum seiner Vergangenheit und dem verehrungsvollen Gedächtnisse seiner Bewunderer herausgeschnitten werden kann. Alle Krieger der feindlichen Stämme und alle wilden und reißenden Tiere des Gebirges haben sich sein Gesicht gemerkt und nehmen sofort Reißaus, sobald sie ihn sehen oder seine gewaltige Stimme hören. Und du, welcher die große Ehre hatte, ihn hier in diesem Hause kennen zu lernen und die Herrlichkeit seiner Vorzüge einzuatmen, hast ihn vergessen können? Ich bin erstaunt darüber, so erstaunt, daß es keine Sprache giebt, welche Worte genug besitzt, die Wortlosigkeit meiner Verwunderung in Worte zu kleiden! Sieh hier diesen berühmten Emir Kara Ben Nemsi Effendi an! Auch er wird dir sagen, daß die Schwäche deines Gedächtnisses zwar niemals die glänzenden Strahlen meiner Erleuchtung – – –«

Er wurde unterbrochen. Der kleine, mit dem Lobe seiner selbst so gern freigebige Kerl hatte unbedachtsamerweise meinen Namen genannt; da horchte der Wirt zunächst verwundert auf und fiel ihm dann hastig in die Rede:

»Dieser Emir Kara Ben Nemsi Effendi hier, sagst du? Habe ich richtig verstanden?«

»Allah Wallah!« lachte Halef halb verlegen. »Da ist mir freilich mein Sihdi ganz plötzlich aus dem Munde gefahren, obwohl ich glaubte, daß er fest und sicher darin stecken bleiben würde. Schau dir ihn an! Auch ihn hast du nicht wiedererkannt!«

»Maschallah – Gott thut Wunder! So seid ihr es also beide! Du bist Hadschi Halef Omar, und er ist Hadschi Kara Ben Nemsi Effendi aus Dschermanistan?«

»Ja, das sind wir; er ist wirklich er, und ich bin wirklich ich; wir sind nicht zu verwechseln und mit keinem Menschen zu vertauschen.«

»So heiße ich euch hochwillkommen und sage euch, daß alle Räume meines Hauses und mein ganzes Eigentum euch so lange, wie es euch beliebt, zur Verfügung stehen!«

Er war aufgesprungen, drückte uns die Hände und zeigte eine Freude, welche um so rührender war, als die Kürze unseres damaligen Aufenthaltes bei ihm uns gar nicht zu der Annahme berechtigte, daß er uns eine solche Zuneigung aufbewahrt habe. Ich glaubte, annehmen zu müssen, daß hier noch ein besonderer, mir unbekannter Grund vorliege, sich über dieses unerwartete Wiedersehen zu freuen. Und er war es nicht allein, der diese Freude hegte, denn die Thüre wurde jetzt kräftig und sperrangelweit aufgestoßen, und Kepek, die »Kleie«, kam auf uns zugeeilt, so schnell es ihm seine ungeheure Fettpolsterung erlaubte. Er streckte mir beide Hände hin und rief mit seiner hohen, leberthranigen Stimme:

»Hamdulillah für die große Freude, die mir heut von euch bereitet wird! Emir, ich habe, wie du wohl gehört haben wirst, die zwei goldenen Tumahns nicht vergessen, die du mir gegeben hast. Sie sind zwar in Gestalt von Schnupftabak in meine Nase eingegangen, aber dennoch nicht verschwunden, denn sie stiegen mir von da aus in das Herz hinunter, wo sie noch heute liegen als Andenken an die Freundlichkeit, mit welcher ihr an meinen leeren Beutel dachtet. Mein Effendi hat euch schon willkommen geheißen, nun gebe auch ich euch die Versicherung, daß uns keine größere Freude bereitet werden konnte, als durch eure Ankunft hier, denn wir haben seit jener Zeit stets gewünscht, euch wiederzusehen, um euch in eine Sache einzuweihen, über welche wir unsere Köpfe ganz vergeblich fast zerbrochen haben.«

Ah, also doch ein besonderer Extragrund für die Freude, welche uns entgegengebracht wurde. Das Verhältnis zwischen Herr und Diener war sichtlich ein so intimes, daß ich mich gar nicht bedachte, dem Dicken die Hände zu drücken, was freilich nicht mit einem einmaligen Griffe, sondern nur nach und nach geschehen konnte, denn diese Pranken hatten infolge ihrer Fettwattierung einen solchen Umfang angenommen, daß ein halbes Dutzend Bären während des Winterschlafes von ihnen hätten zehren können.

»Ja, so ist es,« stimmte der Pole bei. »Ich habe dich, Effendi, um einen guten Rat zu bitten, denn es giebt keinen Menschen außer dir, dem ich mich anvertrauen könnte und möchte.«

»Wenn es mir möglich ist, ihn zu geben, sollst du ihn haben; aber warum bin grad ich dieser Mensch?«

»Weil ich dich für den einzig Richtigen halte, an den ich mich zu wenden habe. Alles, was über dich erzählt wird, und ich dann durch Kepek erfahren habe, giebt mir die Ueberzeugung, daß ich mich nicht vergeblich an dich wenden werde. Wie dein Mut unüberwindlich, deine Hand stark und deine Tapferkeit unbesiegbar ist, so besitzest du auch eine nie erlahmende Willenskraft und eine List, die über alle Klugheiten anderer triumphiert. Und daß grad du es bist, der zu mir kommt, das vollendet die Festigkeit meiner Zuversicht, daß du dich mit Erfolg der betreffenden Angelegenheit annehmen wirst. Euer Kommen macht mich glücklich, denn es wird mir die Ruhe meines Herzens wiedergeben, die ich verloren habe.«

»Und mir die Kraft der gesunden Verdauung, welche mir abhanden gekommen ist,« fügte Kepek mit trübseliger Miene hinzu. »Mein Magen nahm früher alles an, was ihm geboten wurde; aber nun schon seit Jahren versagt er mir den Dienst, und ich darf ihm kaum soviel aufzwingen, wie unbedingt erforderlich ist, mich am Leben und zur Not aufrecht zu erhalten. Ich fühle, daß ich eines langsamen und darum qualvollen Hungertodes sterbe, und bin überzeugt, daß Allah dich, o Emir, zu meiner Rettung nach Bagdad gesandt hat.«

Ich hätte laut auflachen mögen, denn diese seine bittere Klage war wirklich ernst gemeint, hütete mich aber, ihm meine heimliche Heiterkeit merken zu lassen. Auch sein Herr verzog keine Miene über diese Jammerlaute und gab ihm den Befehl:

»Wir müssen zeigen, daß uns diese beiden Gäste hochwillkommen sind. Laufe, eile, springe, Kepek, um ihnen und uns ein gutes Mahl zu bereiten! Die Zeit des Mittagessens ist schon längst vorüber.«

Laufe, eile, springe! Welch eine Aufforderung an diesen Koloß, dessen Gestalt und Gewicht nur vorhanden zu sein schienen, die Lehre von der Schwere und Beharrlichkeit bis zur höchsten Evidenz zu beweisen. Er machte auch wirklich keine Miene, auch nur einen Schritt zu thun, sondern schüttelte nur langsam und höchst verwundert den Kopf und hielt den Blick dabei mit sichtbarem Vorwurfe auf seinen Gebieter, der aber doch nicht sein Gebieter war, gerichtet.

»Nun, was stehst du noch da?« fragte dieser. »Weißt du nicht, was man thut, wenn man für so liebe und willkommene Gäste zu sorgen hat?«

»Ja, das weiß ich wohl ganz gut!«

»So beeile dich also, und bereite das Essen!«

»O Allah, o Mohammed! Ich soll mich beeilen, wo die Eile doch gar nichts ändern kann!«

»Woran denn nicht?«

»An dem gänzlichen Mangel der Vorräte. Wenn nichts vorhanden ist, kann man nichts kochen und nichts braten.«

»Nichts vorhanden?« fragte der Alte erstaunt.

»Nichts, gar nichts!«

»Aber du hast doch vorgestern, als du Kaffee und Tabak holtest, einen halben Hammel mitgebracht?«

»Ja, das hab ich.«

»Und ein Huhn?«

»Das war nicht nur ein Huhn, sondern sogar ein junger Hahn, der zarteste und leckerste unter dem vorhandenen Geflügel.«

»Und Reis, Butter, Tomaten und Gewürz?«

»Auch alles das,« nickte er.

»Und Mehl zum Brote?«

»Davon habe ich eine ganze Okka gebracht.«

»So hast du ja alles, um ein gutes Mahl herzustellen!«

»O Effendi, du beliebst zu scherzen! Alles das, was du jetzt aufgezählt hast, ist verzehrt worden, ist rund und rein alle geworden.«

»Do wierzenia niepodobny! Wer soll es denn gegessen haben?«

»Ich!«

»Du? Da müßtest du ja den Magen eines Kelb el Bahr haben!«

Da zog der Dicke seine wehmütigste Miene und sagte:

»Effendi, Allah verzeihe es dir, daß du mich mit so einem Ungeheuer des Meeres vergleichst! Hast du denn nicht vorhin gehört, was ich gesagt habe? Dieser berühmte Emir Kara Ben Nemsi Effendi und dieser tapfere Scheik Hadschi Halef Omar haben beide es vernommen; sie werden mir als Zeugen dienen, daß ich fast gar nichts mehr genießen kann, weil mein armer Magen schwach und dünn wie eine Seifenblase ist, die in jedem Augenblicke zu platzen droht.«

»Und bei dieser Magenschwäche hast du einen halben Hammel, einen jungen Hahn und eine Okka Mehl ganz allein aufgegessen? Denn was ich davon bekommen habe, das ist gar nicht zu rechnen!«

»Allah! Du versenkst mein Herz in Kummer und meine Seele in Trübseligkeit! Was ich gethan habe, das habe ich aus Liebe und Aufopferung für dich gethan. Der Hammel hatte vor schon so vielen Tagen den Tod erlitten, daß sein Duft sich nach der Beerdigung zu sehnen begann. Konnte ich da dir ihn zu essen geben?«

»Warum hast du ihn stinkend gekauft?«

»Weil. ich nicht beim Kassab war, als er noch nicht stank.«

»So hättest du einen frischen nehmen sollen!«

»Es war keiner da. Es stank das ganze Fleisch, welches bei ihm hing.«

»Warum bist du da nicht zu einem andern Kassab gegangen?«

Da verdrehte der Dicke in mitleidiger Verwunderung die Aeuglein, schlug die Hände zusammen, daß es einen Klatsch wie von einem zerreißenden Groß-Bramsegel gab, und rief aus:

»Allah beschütze mich! Zu einem andern Kassab gehen! Sieh mich an, Effendi! Bin ich ein Windhund, daß du mir zumutest, von einem Fleischer zum andern zu hetzen? Bedenke doch, daß ich sofort tot bin, wenn ich den Atem verliere, ohne daß er wiederkommt! Auch weißt du genau, daß ich nicht nur zum Fleischer, sondern noch in andere Dekahkin zu gehen hatte. Wo soll da die Zeit zum Herumlaufen herkommen, zumal ich doch meine gewohnten vier Tassen Kaffee unterwegs trinken mußte.«

»Das konntest du einmal lassen!«

»Lassen? Unmöglich, ganz unmöglich, Effendi! Du hast ja heut erfahren, wie hochwichtig es ist, daß ich täglich diese vier Kaffeestuben besuche, um dir alle Neuigkeiten zu bringen, welche ich erfahre. Wenn ich das nicht thäte, hättest du nie etwas über diese beiden erleuchteten Männer erfahren, welche hier vor uns stehen. Ich muß das thun, unbedingt thun, und du wirst also erkennen, daß dein Vorwurf mich ganz ungerecht trifft, weil ich unschuldig, vollständig unschuldig bin.«

»Nun gut, so will ich gegen diesen Punkt nichts mehr sagen, aber daß wir heut nichts mehr zu essen haben, das wenigstens brauchte nicht zu sein. Ich war überzeugt, daß das Fleisch für diese ganze Woche ausreichen werde.«

»Für diese ganze Woche! Allah, Allah, dein Rat ist unerforschlich! Was hast du doch für sonderbare Gedanken zugelassen. Wenn ein halber Hammel für eine ganze Woche langen soll, was kommt da auf den Tag? Und wenn das Fleisch schon beim Einkaufe den Duft der Leichen hat, wie soll es dann wohl erst nach einer Woche riechen! Es war schon jetzt nicht mehr zum essen. Ich aber habe es dennoch mit Besiegung alles Widerwillens und mit Zusammenfassung meiner ganzen Selbstbeherrschung gebraten und verspeist, damit nicht du gezwungen seist, die traurige Wirkung einer solchen Speise an deiner Gesundheit zu verspüren. Ich habe also in reiner Aufopferung für dich gehandelt und die größte Anerkennung von dir verdient. Ich bin auch in diesem Punkte so unschuldig, wie ich immer bin, wenn mich ungerechte Vorwürfe von dir treffen; aber anstatt daß ich dein Lob dafür ernte, muß ich Worte des Tadels und des Zornes hören. Es ist wirklich nicht leicht, sowohl der Diener als auch der Koch eines Mannes zu sein, der einen halben Hammel auf eine ganze Woche auseinanderzerren will und dem Verdienste seines treuen Untergebenen die mit großen Schmerzen erwartete Anerkennung versagt!«

Der Alte schien von diesem Vorwurfe gerührt zu sein, denn er sprach in mildem Tone:

»Lassen wir den Hammel sein; aber wenigstens brauchte der junge Hahn doch nicht so schnell zu verschwinden!«

»Sprich nicht von ihm; ich bitte dich! Es war ihm so im Buche des Lebens vorgezeichnet. Er war an demselben Tage wie der Hammel geschlachtet worden; ich hatte beide zu derselben Stunde gekauft; sie waren miteinander nach Hause geschafft und auf demselben Herde nebeneinander gebraten worden; daraus folgt doch, daß sie auch miteinander verspeist werden mußten. Dagegen war nichts zu wollen, nichts zu sagen und nichts zu thun. Außerdem hat der Hahn mich ganz gewiß vom Tode errettet. Nämlich als der Hammel den Weg seiner Bestimmung gegangen war, verfiel mein armer Magen in einen solchen Zustand der Erbärmlichkeit, daß ich von dieser Erde abzuscheiden gedachte und deutlich fühlte, daß es mir bestimmt sei, infolge des Genusses dieses verdorbenen Fleisches zu den Vorvätern meiner Urahnen versammelt zu werden. Ich sterbe gern und habe keine Angst vor dem Tode, weil nach demselben die ewigen Freuden des Paradieses folgen; aber ich dachte an dich und was mit dir werden solle, wenn ich, der Gefährte deines Alters und die einzige Stütze deiner Lebenstage, dich verlassen müsse. Ich gedachte meiner unvergleichlichen Anhänglichkeit und Liebe zu dir, meiner Pflicht, dir den Abend deines Daseins zu verschönern, und ging in mein Inneres hinein, um den festen Entschluß zu fassen, mich dir noch zu erhalten und bei dir auszuharren trotz der immerwährenden Betrübnis, daß du mir stets unrecht giebst. Ich mußte also das Elend meiner Verdauung überwinden, was nur dadurch geschehen konnte, daß ich meinen schon halb abgeschiedenen Magen wieder zurückrief, indem ich ihn durch den jungen Hahn verlockte, es noch einmal mit der Erfüllung seiner irdischen Verpflichtungen zu versuchen. Dies ist mir gelungen, und aus Freude darüber habe ich ihn dann durch die wohlverdiente Gabe des neubackenen Brotes belohnt, welches du ihm leider nicht zu gönnen scheinst. Wenn du mir nun Vorwürfe darüber machst, daß ich mich und dich errettet habe, so sind sie unverdient, denn ich bin an dem Verschwinden der Speisen so unschuldig wie ein harmloser Ziegenbock, den man beschuldigt, ein Kamel gefressen zu haben, während es doch der Löwe gewesen ist. Weiter habe ich dir nichts zu sagen, Effendi; nun thue, was du willst.«

Diese lange und energische Auseinandersetzung erreichte ihren Zweck. Der Alte schien von dem »Gefährten seines Alters, der einzigen Stütze seiner Lebenstage und der abendlichen Verschönerung seines Daseins« gerührt worden zu sein, denn er nickte ihm gütig zu und sagte:

»Ich will dich nicht betrüben und meine Vorwürfe also zurücknehmen; aber das ändert unsere Lage nicht. Wir müssen essen und haben aber nichts.«

»O Allah, Allah! Welche Kürze der Gedanken und welcher Mangel der erforderlichen Geistesgegenwart! Wenn du den guten Rat befolgst, welcher mir auf den Lippen schwebt, so wird alle Not sofort ein Ende haben.«

»Was rätst du mir?«

»Gieb mir wieder Geld, so gehe ich, um zu holen, was wir brauchen!«

»Und kommst vor heut abend nicht zurück.«

»Meinst du denn, daß der Hunger dieser beiden Männer, welche unsere Gäste sind, so groß ist, daß sie nicht bis zum Abend warten können?«

»Welche Frage! Gäste darf man niemals warten lassen, gleichviel, ob sie Hunger haben oder nicht.«

»Das kann ich allerdings auch nicht ganz in Abrede stellen; aber ich muß doch meine vier Kaffeehäuser besuchen, um zu erzählen, daß der unvergleichliche Emir Kara Ben Nemsi Effendi und der tapfere Hadschi Halef Omar zu uns gekommen sind und bei uns wohnen. Da werde ich Hunderte von Fragen zu beantworten haben und kann unmöglich eher wiederkommen, als bis es dunkel geworden ist.«

Wenn ein europäischer Diener diese Worte hervorgebracht hätte, so wäre er einfach für verrückt gehalten worden; dieser wunderbare Kepek aber hielt sich für wirklich und vollständig berechtigt, uns hungern zu lassen und seinen Bummel auszuführen. Sein Herr schien in seiner grenzenlosen Güte und Nachsicht nicht zu wissen, was er sagen solle, und so hielt ich es für an der Zeit, nun auch einmal das Wort zu ergreifen, doch kam mir Halef zuvor, was mir gar nicht unlieb war, weil es mir widerstebte, dem sonderbaren Dicken Dinge zu sagen, die ihm nicht angenehm sein konnten. Mein kleiner Hadschi hatte schon längst die Geduld verloren; darum befürchtete ich, daß er sich, obgleich er Gast war, in seiner gewohnten, kräftigen Weise ausdrücken werde, doch sah ich bald zu meiner Beruhigung, daß er sich zu beherrschen wußte. Er stand auf, klopfte dem stets unschuldigen Schuldigen vertraulich auf die Schulter und fragte ihn:

»Verzeihe mir, o Freund der halben Hammel und der ganzen jungen Hähne! Kannst du mir sagen, wer der Herr dieses Hauses ist?«

»Dieser Effendi, dem ich diene,« lautete die Antwort.

»Ah, du bist also sein Diener?«

»Ja.«

»Wer hat zu gehorchen, der Diener oder der Herr?«

»Der Diener natürlich.«

»Schön, du hungrigster unter allen Köchen der Erdenländer! Du hast also nicht zu thun, was dir beliebt, sondern was die Gastfreundschaft deines Herrn erfordert, und diese heischt von ihm, daß seine Gäste sobald wie möglich zu essen bekommen. Willst du dann später in die Kaffeehäuser gehen, so thue es; ich habe dir nichts zu befehlen; aber wenn du dort von uns sprichst – – – paß wohl auf, was ich dir jetzt sage! – – – wenn du dort von uns sprichst, wenn du nur ein einziges Wort davon sagst, daß wir in Bagdad sind und wo wir uns befinden, so bist du morgen früh eine Leiche, eine die ganze Nacht hindurch langsam und allmählich totgemordete Leiche!«

Der Dicke fuhr vor Schreck einige Schritte so schnell, wie ich es ihm gar nicht zugetraut hätte, zurück. Bis herab zur Unterkehle erblassend, wiederholte er stammelnd die letzten Worte:

»Eine – – die ganze Nacht hindurch – – – langsam und allmählich – – – totgemordete – – – Leiche – – –!«

»Ja,« nickte Halef sehr ernst.

»Aber – – – aber – – – warum tot – – –? warum ermordet – – –? warum Leiche – – –?«

»Das will ich dir erklären. Wir haben Feinde, welche uns verfolgen, welche uns in Bagdad suchen. Wenn sie uns finden, giebt es einen Kampf; wir beide werden zwar siegen, aber das Haus, in welchem wir wohnen, wird die Folgen zu tragen haben; man wird die Bewohner sehr wahrscheinlich langsam zu Tode martern.«

»Zu – – Tode – – martern – –! Allah behüte mich vor dem Teufel, vor dem Tode und vor allen Menschen, welche mich um das Leben bringen wollen! Es fällt mir gar nicht ein, die Kaffeehäuser zu besuchen, solange ihr euch hier befindet! Ich werde den Mund halten und keinem einzigen Geschöpfe verraten, wo ihr seid! Am liebsten blieb ich im Hause und ginge gar nicht über die Grenzen unsers Gartens hinaus!«

»Das ist recht gedacht von dir. Ich bin bereit, dir diese mutige Zurückgezogenheit zu erleichtern, indem ich selbst gehen werde, um einzukaufen, was wir nötig haben. Du magst dich inzwischen vorbereiten, sofort Feuer machen zu können, wenn ich wiederkehre. Komm mit mir in die Küche!«

Sie gingen. Als sie fort waren, erkundigte sich der Wirt im besorgten Tone:

»Hadschi Halef Omar hat auf alle Fälle übertrieben; aber sag, habt ihr wirklich Feinde, welche euch verfolgen?«

»Wir sind allerdings mit Männern zusammengetroffen, welche uns so feindselig behandelten, daß wir ihnen die Peitsche schmecken ließen. Es waren Perser,« antwortete ich.

»Ah, also auch Perser!«

»Ja. Sie glühen vor Rache, und da sie wissen, daß wir in Bagdad sind, werden sie nach uns forschen, um eine Gelegenheit zu finden, uns die Schläge zu vergelten, welche sie bekommen haben. Wir fürchten uns natürlich nicht im mindesten. Halef hat die Sache übertrieben, um deinem Diener aus naheliegenden Gründen Angst zu machen. Dieser Kepek scheint ziemlich furchtsam zu sein.«

»Da irrst du dich, Effendi. Er ist Onbaschi gewesen und war einer der brauchbarsten und furchtlosesten Unteroffiziere. Bei dieser Gelegenheit magst du erfahren, daß ich Dozorca heiße und als Bimbaschi entlassen worden bin. Kepek ist jetzt alt und bequem geworden; früher gewandt, beweglich und stets zum Raufen bereit, hat er durch seine geradezu ungeheuere Körperdicke den Anschein des Gegenteiles erhalten, und es mag sein, daß die Liebe, mit welcher er an mir hängt, und die Sorge, welche er stets um mich hat, auch mit dahin gewirkt haben, daß er bedächtiger erscheint, als er früher war, und also erschrickt, wenn er meint, daß wir Gefahren ausgesetzt sind. Er hat mich schon mehreremal mitten aus den Feinden herausgehauen und mir auch sonstige Dienste geleistet, welche mich über seine Schwächen wegsehen lassen, und ich bin überzeugt, daß er, wenn es nötig wäre, sein Leben auch jetzt noch für mich wagen würde, wenn er nur erst einmal wieder aus sich herausgegangen ist. Er ist mir treu wie Gold und auch am Herd erfahren, sodaß ich keinen Koch zu halten brauche. Er ißt zwar außerordentlich stark und giebt mir bloß die Reste, mit denen ich aber ganz gut ausreiche, und was seinen Kaffee betrifft, so kocht er allerdings zweierlei, nämlich den guten, starken für sich und den dünnen für mich, weil er behauptet, daß der starke mir zu sehr ins Blut gehen würde und meine Nerven das nicht – –Blyskawica! Da spreche ich vom Kaffee und erinnere mich erst hierbei, daß wir noch keinen haben! Welche Nachlässigkeit gegen dich, Effendi! Er soll sogleich welchen bringen!«

Er klatschte zwei-, drei-, fünf- und zehnmal in die Hände, aber der Dicke kam nicht; erst als ich bei geöffneter Thür so kräftig in die meinigen schlug, daß sie schmerzten, hörte ich seine Stimme hinter einer angelehnten Thür erschallen. Dann kam er zwar sehr langsam geschlürft, aber sein Gesicht war doch so rot, als ob er einen anstrengenden Dauerlauf hinter sich habe, und er sagte in unwilligem Tone:

»Schon wieder! Kaum habe ich diesem Hadschi Halef, der nichts begreifen kann, meine Instruktionen erteilt, über welche er nur lacht, anstatt sie mit Würde entgegenzunehmen, so muß ich schon wieder hierher rennen! Was wollt ihr denn?«

»Kaffee,« antwortete sein Herr.

»Kaffee? Es ist noch keiner da; der Hadschi wird welchen mitbringen. Da er nun doch einmal alles selbst bezahlt, was er holt, so habe ich ihm gesagt, er solle auch den Kaffee nicht vergessen.«

»Aber du hast doch welchen!«

»Wo?«

»Ich weiß nicht, wo du ihn hingethan hast; der Hadschi hatte ihn in seiner Satteltasche stecken.«

Weil auch ich glaubte, daß der Dicke den Kaffee wirklich vergessen habe, erinnerte ich ihn daran, daß er ihn an seiner Brust verborgen hatte; er schüttelte aber den Kopf und erklärte mir in wirklich überraschender Unbedenklichkeit:

»Ja, hineingesteckt habe ich ihn, Emir, aber auch wieder herausgenommen.«

»Wo ist er jetzt?«

»Versteckt und aufgehoben.«

»Warum versteckt?«

»Damit ihn niemand finden soll.«

»So willst du ihn wohl für dich allein haben?«

»Ja. Du wirst einsehen, o Emir, daß ich dazu berechtigt bin. Wisse, daß mein Id el Milad in einigen Tagen ist, an welchem ich einige Bekannte zu mir laden werde. Diese sind vorzügliche Kaffeekenner, und weil ich gesehen habe, daß du besseren hast, als mein Effendi zu kaufen pflegt, so hebe ich den deinigen für das Fest auf und werde euch den kochen, den der Hadschi mitbringt. Habt also nur Geduld! Es wird nicht lange dauern, bis er wiederkommt.«

»Aber warum soll grad dein Besuch diesen meinen guten Kaffee erhalten?«

»O Emir, wie kannst du nur so fragen! Es ist doch eine der wichtigsten Vorschriften des Kuran, daß man seine Gäste dadurch ehren Soll, daß man ihnen das beste giebt, was man hat.«

Jetzt wußte ich wirklich nicht, ob ich zornig werden oder lachen sollte. Der Bimbaschi hatte den Dicken durch seine übertriebene Dankbarkeit und Selbstlosigkeit in der Weise verdorben, daß dessen Verhalten in andern Verhältnissen als Frechheit zu bezeichnen gewesen wäre. Das ging nur sie beide an, solange es ihnen gefiel und solange kein anderer darunter zu leiden hatte; ich aber hatte keine Lust, auch mich von dem frühern Onbaschi in die gleiche Behandlung nehmen zu lassen; darum zeigte ich ihm jetzt ein strengeres Gesicht und sagte:

»Grad weil ich diese Vorschriften kenne und dazu auch alles andere, was sich auf die Ausübung der Gastfreundschaft bezieht, muß ich mich sehr wundern, daß du es wagst, mir den Kaffee, welcher doch der meinige ist, zu entziehen und schlechtern dafür anzubieten. Du bekommst Gäste; das sind die Gäste eines Dieners, welcher früher Onbaschi war, und wir sind heut die Gäste deines Herrn, welcher den Rang eines Bimbaschi bekleidete. Wer ist der Vornehmere, er oder du? Hadschi Halef Omar ist der oberste Scheik der Haddedihn, und was ich bin, dir zu sagen, ist gar nicht nötig; wer werden aber deine Gäste sein, welche bessern Kaffee als wir trinken sollen? Du hast sofort den meinigen zu kochen, hörst du wohl, sofort, und zwar stark und gut, wie vornehme Herren ihn verlangen können! Uebrigens warne ich dich da vor meinem Hadschi Halef, von welchem du ja genug gehört hast, um zu wissen, wie er ist. Er ist die schnellste und aufmerksamste Bedienung gewöhnt und duldet keine Zurücksetzung. Ferner ißt und trinkt er gern so gut wie möglich, und wer das nicht beachtet, dem pflegt er sehr schnell den fehlenden Respekt beizubringen. Es hat schon mancher Mensch, der ihn mit der Nachlässigkeit behandelte, welche auch du zu besitzen scheinst, nicht nur seine Hand oder seine Peitsche, sondern sogar sein Messer fühlen müssen. Hüte dich vor seinem Zorne! Er ist ein freier Ben Arab und bei der geringsten Vernachlässigung der ihm gebührenden Ehre sehr rasch mit Hieben und auch mit Messerstichen bereit. Wer ihm zumutet, schlechten Kaffee zu trinken, der mag sich vor den Folgen hüten, die keine angenehmen sind!«

Eine solche Standrede hatte der Dicke wohl seit langer Zeit nicht mehr zu hören bekommen; er duckte sich förmlich zusammen und antwortete in devotem Tone:

»Ich danke dir, o Emir, daß du mich auf diese gefährlichen Eigenheiten des Scheikes aufmerksam machst. Das ist ja ein wahrer Wüterich! Ich werde euch schnell, sehr schnell deinen eigenen Kaffee bringen, denn das Wasser kocht bereits, und ich habe ihn auch schon im Hon el Bonn zerstoßen.«

»Schon? Ah, der war also für dich; wir aber sollten keinen bekommen?«

»Halte ein mit den Vorwürfen, Emir! Weil ich ihn meinen Gästen vorsetzen wollte, mußte ich ihn doch kosten, um mich von seiner Güte zu überzeugen; jetzt aber hast du mich belehrt, und ich weiß, wie ich mich zu verhalten habe. Es wird nicht ganz eine einzige Minute dauern, so wird sein Duft deinen Zorn besänftigen und die Empfänglichkeit deines Geruches erquicken. Ich gehe schnell, ich eile schon!«

Er arbeitete und stampfte mit den Beinen wie ein Radfahrer, um schnell hinauszukommen, was meinen Zorn, wenn ich wirklich zornig gewesen wäre, sogleich in das Gegenteil verwandelt hätte; ich lachte, doch so, daß er es nicht hörte, hinter ihm her. Sein Herr lachte auch und sagte:

»Ich habe ihn verwöhnt; das weiß ich nur zu gut. Ich halte ihn mir, wie man in Europa sich ein Schoßhündchen, einen Papagei, ein Aeffchen oder einen Kanarienvogel hält, und lasse meine Schwäche für ihn mit seiner Anmaßung wachsen. Du hast ihm jetzt die nötige Achtung eingeflößt und kannst versichert sein, daß die Wirkung davon nicht lange auf sich warten lassen wird.«

Er hatte recht; der Dicke kam schneller wieder, als ich es ihm zugetraut hatte, und setzte den Kaffee zwischen uns auf den Serir. Man sah es ihm förmlich an, daß ihm das Wasser im Munde zusammenlief, und es war ein Ton aufrichtiger Betrübnis, in welchem er die Bemerkung machte:

»Hier habt ihr ihn! Ich sage euch, daß ich nicht einen Schluck davon gekostet habe. Ich werde ihn auch ferner nicht für mich, sondern ganz allein für euch bereiten, selbst wenn der Appetit mich um die Ruhe meiner Seele und die Annehmlichkeiten meines sonstigen Wohlbefindens bringen sollte. Aber ich bitte dich, o Emir, falls Allah so gnädig ist, dich mit dem Gedanken zu erleuchten, daß auch ich eine Tasse dieses Trankes genießen dürfe, so zögere ja nicht, mir dies sofort mitzuteilen!«

Als er sich entfernt hatte, bedienten wir uns selbst. Es ist nämlich im Orient bei vornehmen Verhältnissen gebräuchlich, daß beim Kaffeetrinken der Kaffee in Tassen und nicht in größeren Gefäßen serviert wird; Kepek aber hatte eine ganze Rakwa voll gebracht. Das war mir lieb, da es nicht angenehm ist, fortwährend durch das Kommen und Gehen der Dienerschaft gestört zu werden. Auch nahm ich an, daß der Bimbaschi unser Alleinsein zu den Mitteilungen benützen werde, auf welche er mich vorbereitet hatte.

Wir saßen längere Zeit beieinander. Er ließ sich meinen Tabak und meinen Kaffee schmecken und blickte, ohne ein Wort zu sagen, nachdenklich vor sich hin. Endlich ließ er mich eine Frage hören.

»Du warst schon in Persien?«

»Ja,« antwortete ich.

»Sprichst und verstehst du die Sprache dieses Landes?«

»Ja.«

»So sag, ob du vielleicht einmal von einer Gul-i-Schiraz gehört hast! Denke nach! Diese Frage ist eine sehr wichtige für mich.«

»Gul-i-Schiraz? Natürlich. Die Rosen von Schiras sind berühmt, doch gestehe ich, daß ich die Rosenzucht in Rumili kennen gelernt habe, welche ich der persischen vorziehe.«

»Das ist es nicht, was ich meine. Ich spreche nicht von Rosenzucht, nicht von den Rosen im allgemeinen, auch nicht von den Rosen von Schiras in der Mehrzahl, sondern von einer Rose in der Einzahl, von einer ganz bestimmten Rose, welche aus einer mir unbekannten Ursache als Gul-i-Schiraz bezeichnet wird.«

»Von einer solchen Rose habe ich noch nichts gehört; sie ist mir unbekannt.«

»Das ist bedauerlich, sehr bedauerlich!«

»Wie kommt es, daß du, der seit langen Jahren hier zu wohnen und ein vollständiger Orientale geworden zu sein scheinst, mir, der ich mich nur ganz vorübergehend im Oriente aufgehalten habe, die Kenntnis eines Gegenstandes zutraust, welche du nicht besitzest?«

»Diese Frage sagt mir, daß du nicht weißt, was man von dir erzählt und in welcher Weise man über dich spricht und dich beschreibt. Nach den Schilderungen, welche über dich, den Hadschi Emir Kara Ben Nemsi Effendi im Umlaufe sind, kannst du alles und weißt alles.«

»Das ist echt orientalische Uebertreibung. Der Europäer hat natürlich mehr gelernt, als der unwissende Beduine.«

»Das weiß auch ich; du aber stehst in einem so ungewöhnlichen Rufe, daß auch ich geneigt bin, dir mehr als jedem andern zuzutrauen. Ist Hadschi Halef Omar dein Freund oder dein Diener?«

»Mein Freund.«

»So ist er Mitwissender von allem, was sich auf eure jetzige Reise bezieht?«

»Ja. Ich will und kann keine Geheimnisse vor ihm haben.«

»So werde ich nicht jetzt sprechen, sondern dann, wenn er von seinem Gange zurückgekehrt und wieder bei uns ist. Inzwischen können wir uns in deiner Muttersprache unterhalten. Du weißt von deinem damaligen Besuche her, daß ich sie verstehe.«

Ich ging natürlich sehr gern darauf ein; aber der Genuß, welcher sich mir dadurch bot, war nicht von langer Dauer, denn Halef kam herein, und zwar in einer Weise, welche auf eine gewisse Aufregung schließen ließ, und meldete uns:

»Ich habe gebracht, was ich in der Nähe bekommen konnte; es ist genug, um mehrere Tage davon zu leben, wenn nicht dieser dicke Vater der Gefräßigkeit über Nacht wieder alles verschlingt, um sich aus Liebe zu seinem Herrn vom Tode zu erretten. Nun aber muß ich fragen, wer kochen und braten soll?«

»Kepek, natürlich,« antwortete der Bimbaschi.

»Allah’l Allah! Kennst du deine Küche? Wann bist du zum letztenmal drin gewesen?«

»Seit Jahren nicht. Sie ist das unbestrittene Reich Kepeks, der mich keinen Augenblick drin duldet.«

»Das dachte ich! Und darum geriet er so in Wut, als ich von der Reinlichkeit des Lebens und der Appetitlichkeit der Speisen sprach! Ich habe ihm aber geantwortet, wie sich’s gebührt; da setzte er sich vor Schreck auf die Erde nieder, was einen solchen Plumps that, daß ich glaube, entweder hat er einen Riß bekommen oder der Boden ist geplatzt.«

»Und dann?« fragte der Alte besorgt. »Was thut er jetzt?«

»Habe keine Sorge um ihn! Er sitzt noch fest und kann wegen der unmenschlichen Schwere seiner Gewichtigkeit nicht eher wieder aufstehen, als bis ich ihm helfe. Laß ihn sitzen, bis ich zu ihm zurückkehre! Ich muß dich vor allen Dingen fragen, ob ich aufrichtig sprechen darf?«

»Du darfst es.«

»Und du wirst mir nichts übelnehmen?«

»Gar nichts.«

»So muß ich dir sagen, daß du gar keine Ahnung hast, was alles und in welcher Weise bisher für dich gekocht, gebraten und gebacken worden ist. Wenn ich gezwungen würde, nur einen einzigen Bissen aus der fetten Hand dieses Dschedd el Wasach zu essen, so würde sich mein Leib wie ein Geldbeutel umwenden, sodaß meine Eingeweide nach außen kämen und die ganze Schönheit meiner äußeren Gestalt nach innen.«

Ich befürchtete eine Beleidigung unsers Wirtes und gab also dem Hadschi einen verstohlenen Wink, sich zu mäßigen; er fuhr aber unbeirrt fort:

»Mein Sihdi winkt mir freilich zu, zu schweigen; aber wenn wir bei dir etwas genießen sollen, so muß ich sprechen und dich darauf aufmerksam machen, daß, solange wir uns hier befinden, ich allein die Chukuhme el Matbach sein werde. Ich will diese Küche gar nicht beschreiben, weil ich keine Worte dazu finden würde, aber das Geschirr – – dieses Geschirr! In der Ecke steht ein Blechgefäß mit dem Wasser, mit welchem er sein Gesicht und seine Hände wäscht und aus welchem er auch zum Kochen schöpft; auf dem Boden des Wassers liegt der Schlamm mehrere Finger hoch. Ich habe es ihm, als er sich vor Schreck niedergesetzt hatte, über den Kopf gegossen – – –«

»Das hättest du nicht thun sollen!« fiel der Bimbaschi ein. »Wenn er nun davon krank und – – –«

»Aengstige dich nicht um ihn!« unterbrach ihn Halef. »Dieses Bad hat ihn wieder zu sich gebracht und ihm nur gutgethan. Er wollte noch mehr haben, denn er sperrte vor Entsetzen den Mund so weit auf, wie er nur konnte; es war aber leider keines mehr da. Dann sah ich eine Tangara. Es war ein schwarzes, dickes Fett mit Fingerspuren drin, und als ich ihn fragte, wozu das sei, erfuhr ich, daß er es zum Einschmieren seiner Schuhe und Pantoffel nehme. In derselben Tangara kocht er dann das Fleisch und Gemüse. Ich habe das Fett sogleich heraus- und ihm in das Gesicht gewischt.«

»Boze daj ci zdrowi! Wenn du das gethan hast, so wird er – – –«

»Keine Sorge, Effendi!« fiel Halef ein. »Es hat ihm nichts geschadet. Er leckte es ab, und es schien ihm gut zu schmecken. Während er dies that, sah ich mich weiter um und entdeckte ein Miklaja von Kupfer, in welchem er das Fleisch zu braten pflegt. Jetzt hatte er ein Marham zur Vertreibung der in seinem Bette wohnenden Bakk darin bereitet. Ich habe ihm diese Salbe auf das erste Fett gestrichen. Sodann – – –«

»Halt ein!« unterbrach ich ihn. »Ich will nichts weiter hören. Du wirst jetzt noch einmal fortgehen und die Gefäße kaufen, welche du für heut nötig hast, und sie dann dem Dicken als Geschenk verehren, was, wie ich hoffe, dir seine Zuneigung wiederbringen wird.«

»Ich darf mich also als den Gebieter der Küche betrachten?«

Er erhielt durch ein Kopfnicken die Einwilligung des Wirtes und entfernte sich. Der letztere befand sich in größter Verlegenheit und bemühte sich, den Eindruck, welchen der Bericht des Hadschi auf mich hatte hervorbringen müssen, durch Entschuldigungen abzuschwächen. Ich half ihm schnell darüber hinweg, zumal der Hauptgrund dieser Mißwirtschaft in seiner Armut zu bestehen schien. Wir unterhielten uns in deutscher Sprache über mein und sein Vaterland, welch letzteres, nämlich Polen, er noch jetzt glühend zu lieben schien. Er fragte mich auch, ob ich die Absicht habe, heut noch auszugehen oder auszureiten. Ich verneinte dies, und so machten wir einen Spaziergang in den Garten, wobei ich Gelegenheit nahm, mich zu überzeugen, daß es unsern Pferden an nichts gebrach. Der Bimbaschi war ein leidlicher Kenner und sprach sich begeistert über die edlen Tiere aus.

Als wir dann in das Haus zurückkehrten und an der Küchenthür vorübergingen, blieben wir einen Augenblick stehen, um zu lauschen. Wir hörten das Feuer prasseln, dann Topfgeklirr und dabei die Stimme des Dicken:

»Laß die Salsa ja nicht überlaufen, denn ich sage dir, verehrter Scheik der Haddedihn, daß es schade um jeden Tropfen ist, welcher verloren geht! Ich sehe, daß du ein wahrer Aschschi el Aschschiji bist und freue mich wie ein Sultan auf dieses Essen.«

Der Bimbaschi schmunzelte, und auch ich war befriedigt über das gute Einvernehmen, welches sich, nach diesen Worten zu schließen, zwischen den beiden eingestellt hatte. Wir saßen noch nicht lange wieder in dem Zimmer, so kam Kepek hereingestampft und fragte seinen Herrn:

»Effendi, das Mahl wird bald beginnen, und der Hadschi behauptet, daß ich ihm in der Küche nur im Wege sei. Darf ich mich hier niedersetzen, wie ich es immer darf, wenn wir nichts zu thun haben?«

Der Alte sah mich fragend an. Ich konnte mir denken, daß die beiden einsamen Menschen so oft wie möglich beisammen saßen, weil einer auf den andern angewiesen war, und wollte sie nicht zu einer Ausnahme wegen uns veranlassen; darum antwortete ich dem Onbaschi, der jetzt viel sauberer aussah als vorher:

»Setz dich nieder; wir haben nichts dagegen!«

Er nahm uns gegenüber Platz, aber wie! Zunächst drehte er sich nach der Wand um, an welche er die Hände stemmte; dann ließ er diese langsam niedergleiten, wobei er sich nicht bückte, sondern den Körper in steifer Haltung folgen ließ, so daß die Füße von dem an der Mauer liegenden Kissen wegrutschten. In dem Augenblicke, wo er sich wegen seiner Schwere nicht mehr halten konnte und also stürzen mußte, warf er sich schnell und mit einer gewaltsamen Bewegung herum und kam infolgedessen mit einem kräftigen – – Plumps, wie Halef sich vorhin ausgedrückt hatte, auf das Kissen zu sitzen. Bei dem Anblicke, den er dort bot, kostete es mich Mühe, das Lachen zu verbeißen. Der Bauch lag ihm wie ein den Kaftan auftreibender Luftballon auf den Oberschenkeln, und er pustete mit vor Anstrengung hochrot gewordenem Gesichte wie eine Sekundärbahnlokomotive, wobei er sich vergeblich bemühte, die Unterschenkel mit den unzureichenden Flügeln des Gewandes zu bedecken. Als er wieder zu Luft gekommen war, stieß er einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus und sagte:

»So! Jetzt stehe ich nicht eher wieder auf, als bis ich vollständig satt geworden bin!«

»Hast du Hunger?« fragte sein Herr.

»Hunger bloß? Allah w‘ Allah! Es ist noch mehr, viel mehr als Hunger, Effendi. Wenn man diesen Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar so eifrig und appetitlich in der Küche herumhantieren sieht, so laufen einem alle möglichen Wasser des Himmels und der Erde im Munde zusammen. Der versteht’s, oh, der versteht’s! Ich möchte ihn ohne Unterlaß kochen sehen und immer und immer, ohne Aufhören von ihm essen!«

Er schnalzte mit der Zunge, machte das allerseligste seiner Gesichter und fuhr fort:

»Uebrigens ist er ganz und gar nicht so schlimm, wie ich dachte. Erst räsonnierte er so schrecklich, daß ich das Gleichgewicht meines Daseins verlor und mich dann, auf dem Boden sitzend, wiederfand. Dann untersuchte er die Gefäße, mit deren Bestimmung er leider selbst jetzt noch nicht einverstanden ist. In diesem Mangel an Kenntnis der Notwendigkeiten verwechselte er den Gegenstand mit der Person und strich mir erst die wohlzubereitete Erquickung der Schuhe und Pantoffel und dann die ganze Vertreibung des beißenden Ungeziefers in das Gesicht. Hierauf ging er erst zu euch und dann fort, um Pfannen und Töpfe zu holen. Den Schlüssel zur Pforte hatte er mir schon vorher abverlangt.«

Er holte Atem, schob den überhängenden Bauch soviel wie möglich zurück und fuhr dann fort:

»Ich konnte mich nicht erheben und blieb also sitzen, bis er wiederkam. Da zeigte er mir die Herrlichkeiten des Töpfers und sagte, daß er mir dies alles schenken werde, wodurch der Zorn meines Herzens in eine wohlthuende Rührung der Empfänglichkeit meiner Seelenstimmung verwandelt wurde. Nun holte er Wasser, machte Feuer und setzte das Fleisch und Gemüse an Ort und Stelle. Ich erkannte dabei, daß er kein Unkundiger sei, doch wurde diese gute Meinung später nicht nur bestätigt, sondern übertroffen. Als er mit dieser Besorgung des Herdes fertig war, holte er abermals Wasser, nahm die Seife, welche er auch mitgebracht hatte, und widmete mir eine reinigende Säuberung der Persönlichkeit, welche mich mit seltener Wohlthuung erfüllte und mir zwar erst als überflüssig erschien, ihm aber nachher mein ganzes Wohlwollen gewann. Dann war er mir behilflich, aufzustehen, und beehrte mich mit dem Auftrage, das Feuer nicht ausgehen zu lassen und durch die fortgesetzte Rührung des Löffels den Reis vor dem Anbrennen zu bewahren. Während dieser Beschäftigung näherten sich unsere Seelen einander immer mehr; ich bemerkte in der Tiefe meines Innern, daß ich ihn lieb gewann, und als er mich das erste, wohlgeratene Stück Maschwi hatte kosten lassen, konnte ich nicht anders, ich mußte ihn umarmen, worauf er mich dann höflich ersuchte, hierher zu euch zu gehen und den er warteten Genüssen mit der Ruhe innigster Zufriedenheit entgegenzusehen, was ich ihm zu Ehren hiermit thue.«

Als er dies sagte, war ihm diese innige Zufriedenheit sehr deutlich anzusehen, und als der Bimbaschi sich erkundigte, ob er wirklich so einverstanden mit Halef sei, antwortete er:

»Das versteht sich ganz von selbst. Man kann nicht anders als ihm Liebe und Verehrung zollen. Er ist eine Perle, ein schön geschliffener Edelstein, ein glänzendes Juwel. Wem es vergönnt ist, zuzusehen, wie er das Mafruhm oder gar die abgezogenen Katahkit zu behandeln versteht, der kann sich selbst über die Vortrefflichkeit nicht wundern, mit welcher sich die Leber des Hammels unter seinen Händen in alle Wohlgeschmäcke und Wohlgerüche des Paradieses verwandelt. Als ich ihn fragte, wem er diese große, unvergleichliche Kunst abgelauscht habe, teilte er mir mit, daß er erst ein Vorbild und dann eine Lehrerin gehabt habe; das Vorbild sei sein Emir Hadschi Kara Ben Nemsi gewesen, und die Lehrerin heiße Hanneh, die lieblichste Blume unter allen freundlichen Blüten des Frühlings und der anderen Jahreszeiten, nur allein den Winter abgerechnet. O Emir Kara Ben Nemsi, wenn dieser Halef diese Fertigkeit der Zubereitung und diese feine Sicherheit der schmeckenden Zunge auch dir zu verdanken hat, wie mußt da du erst kochen und braten können! Wirst du vielleicht die Gnade haben, uns morgen ein Beispiel davon zu liefern?«

Ich wurde glücklicherweise verhindert, ihm auf diese Frage eine Antwort zu geben, denn Halef stieß grad jetzt die Thür mit dem Fuße auf und trat mit reich beladenen Händen in das Zimmer. Nachdem er abgelegt hatte und noch einigemal zwischen hier und der Küche hin und her gegangen war, hatte er das ganze Serir und den Boden vor demselben mit den Erzeugnissen seiner Thätigkeit bedeckt, und auch drüben auf der andern Seite ragte vor dem Dicken ein so großer Berg von Reis und Fleisch auf, daß ich meinte, er könne wenigstens heut und morgen nicht alle werden. Ich brauchte aber gar nicht lange zu warten, so war dieser Berg vollständig verschwunden, und »Kleie« schaute sehnsüchtig zu uns herüber, ob nicht vielleicht von da noch etwas zu erlangen sei. Dieser Wunsch wurde ihm mit solcher Ausgiebigkeit erfüllt, daß mir schließlich bange um ihn wurde und auch er selbst einsah, daß selbst das größte Loch endlich einmal ausgefüllt werden kann. Er strich sich mit den Händen liebkosend über denjenigen Teil seines Körpers, welchen ich vorhin mit einem Luftballon verglich, und sagte seufzend:

»Jetzt hört es auf; mit aller Macht hört’s auf; ich kann nicht mehr; o Unglück dieser Sättigung, o Unzulänglichkeit der Magenwände! Warum schmeckt es noch, wenn man nicht mehr essen kann? Es giebt keine einzige Vollkommenheit der Welt, welche nicht doch unvollkommen ist. Ich hoffe aber dennoch, daß dieser unser vorzügliche Scheik der Haddedihn heut noch einmal in die Stadt gehen wird, um den Fleischer zu besuchen, da es leicht geschehen könnte, daß morgen nichts Gutes mehr dort zu finden ist!«

Noch weit zufriedener als dieser Unersättliche war Halef darüber, daß seine Kunst und Fertigkeit von uns allen in der Weise durch die That anerkannt wurde, daß wir am Ende des Mahles vollständig aufgegessen hatten. Da machte er uns die besonders für Kepek tröstliche Mitteilung, daß er nicht zum Fleischer zu gehen brauche, weil er dort eine Bestellung aufgegeben habe, welcher in der Dämmerung durch einen Boten nachgekommen werde.

Dies erwies sich auch als richtig, denn zur angegebenen Zeit wurde das Fleisch geschickt. Ob ich werde davon genießen können, wußte ich nicht. Für heut war ich übersatt, und morgen – – wir wollten ja morgen schon fort, und es kam nur darauf an, ob die von dem Bimbaschi zu erwartenden Mitteilungen vielleicht derartige seien, daß sie uns Ursache gaben, noch länger zu bleiben.

Der Abend brach nach kurzer Dämmerung herein, und die am Tage herrschende trockene Hitze verwandelte sich in eine so drückende Schwüle, daß wir den Tabak und die Pfeifen nahmen, um auf das Dach zu steigen. Wir drei hatten noch nicht lange oben gesessen, so kam der Onbaschi nachgeächzt und setzte sich mit Halefs Hilfe auf eine besonders für ihn hergerichtete Unterlage nieder. Der einzige Tschibuk des Hauses ging zwischen seinem Herrn und ihm in kurzen Pausen hin und her.

Das Firmament strahlte so kurz nach dem Neumonde in seinem vollsten Glanze; die Abendluft bewegte die Palmenwedel, deren zeitweiliges Geflüster die einzige Unterbrechung der in dieser abgelegenen Gegend herrschenden tiefen Stille war. Das gab die richtige Märchen- oder überhaupt Erzählerstimmung.

Hierher nach Bagdad verlegt das Volk den Schauplatz jener Erzählungen, welche unter dem Titel Alif laila wa leila viele, viele Millionen Zuhörer und Leser gefunden haben. Sehr wahrscheinlich ist die Quelle dieser Märchen im Hezar efzane, einer Sammlung des Persers Rasti, zu suchen. Sie haben für das Studium des Orientes einen hohen Wert, obwohl man sich sehr hüten muß, das Buch jedermann in die Hand zu geben. Diese Märchen sind unübertroffen, wenn es sich darum handelt, das Leben, die Sitten, die Anschauungen, das ganze Denken und Fühlen des Ostens kennen zu lernen. Nirgends wird die ungestüme Tapferkeit und edle Ritterlichkeit des Orientalen, sein abenteuerlicher Sinn, die Glut seines Hasses und seiner Liebe, die Geldsucht seiner Beamten, die Verschlagenheit des sogenannten schwachen Geschlechtes, die Pracht des Reichtums und die nackte Unverfrorenheit der Armut so treu geschildert wie in diesen Erzählungen, mit denen die ebenso schöne wie kühne und phantasiereiche Schehersad gegen den König Scheherban um ihr Leben kämpfte. Waren es Erinnerungen aus einer dieser von ihr durchwachten Nächte, welche jetzt flüsternd durch die sanftgebogenen Fiederblätter gingen?

Wenn es so war, ihr Zauber ging an mir verloren, denn meine Gedanken gehörten dem Manne neben mir, dessen Leben jedenfalls ein nicht gewöhnliches gewesen war und von dem ich ahnte, daß ihm Lasten auferlegt worden seien, an denen er noch jetzt in seinem Alter tragen müsse. Was hatte ihn aus dem Vaterlande getrieben, und was hielt ihn bis heute von demselben fern? Ich konnte es mir denken – – das Wort Revolution ist eines der schlimmsten Wörter. Warum aber vergrub er sich auch hier in tiefe Einsamkeit?

»Effendi, glaubst du an Gott?«

Ich erschrak fast, als diese seine Frage so plötzlich und unvorbereitet durch die tiefe Stille klang.

»Ja,« antwortete ich nur mit diesem einen Worte.

»Ich nicht!«

Welch schweren Druck dieses »Ich nicht« hatte! Es war mir allerdings aufgefallen, daß er und sein Diener weder vor noch nach der Mahlzeit gebetet hatten. Im Orient betet man mehr als im Abendlande.

»Warum nicht?« fragte ich ihn nach einer kleinen Weile.

»Weil ich nicht an einen Gott glauben kann, welcher mir nichts als Ungerechtigkeiten erwiesen hat.«

»Bist du der Mann dazu, eine solche Anklage gegen den, welcher die Allgerechtigkeit selbst ist, zu erheben?«

»Wäre er die Allgerechtigkeit, so säße ich nicht hier, sondern daheim im Schlosse meiner Väter!«

»Vielleicht wäre es richtiger, wenn du sagtest: Hätte ich seine Gerechtigkeit verstanden, oder ihr doch wenigstens vertraut, so wäre mir nicht genommen worden, was ich verloren habe. Das Auge des Menschen reicht nicht weit; es vermag nicht, den Ratschluß des Allwissenden zu durchdringen, welcher vor Ewigkeiten sieht, was nach Ewigkeiten geschehen wird.«

»Hätte er mein Leben gesehen, so konnte er ihm, als der Allmächtige, einen anderen Verlauf, einen anderen Inhalt geben!«

»Sind wir Kinder Gottes oder seine Sklaven? Wenn er jeden Augenblick deines Lebens, jeden einzelnen deiner Gedanken und Entschlüsse zu bestimmen hätte, wer und was wärest du dann? Ein totes, willenloses Spielzeug seiner Hand. Aber wahrlich, Gott spielt nicht! Das Leben ist kein Spiel und der Mensch kein hölzerner Kegel, den jede Kugel zufällig umwerfen oder ebenso zufällig stehen lassen kann.«

»Aber was will Gott, wenn es einen giebt, mit uns? Warum fallen wir, ohne zu wissen, warum, ohne schuld zu sein? Warum bleiben tausend andere stehen, ohne es zu verdienen? Warum nimmt er dem Braven alles, alles, selbst das allerletzte, was ihm geblieben ist, und dem Verdienstlosen giebt er fort und immerfort, mehr und immer mehr zu dem, was er schon vorher besessen hat?«

»Mit dem ›Braven‹ meinst du natürlich dich?«

»Ja.«

»Und unter den Verdienstlosen verstehst du diejenigen, welche deinen Weg, deine Absichten und Hoffnungen durchkreuzten?«

»Ja, sie und auch noch andere.«

»Welch ein Hochmut! Du setzest dich also zu alleroberst, schaust selbstgerecht und selbstgefällig von dieser stolzen Höhe herab, richtest deine Mitmenschen mit einem einzigen kalten, vernichtenden Worte und duldest den, als dessen Spielzeug du dich soeben noch bekanntest, weder neben und noch viel weniger über dir! Weiß der Mensch, wenn er gefallen ist, wirklich nicht, warum? Bist du an deinem Schicksale wirklich ohne Schuld? Warst du in Wirklichkeit der immerwährend Brave, und haben die, welche du verdienstlos nennst, das, was ihnen gegeben wurde, wirklich nur der Ungerechtigkeit Gottes zu verdanken? Was verstehst du unter Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit? Was dir gefällt und was dir nicht gefällt! Denke dir, du seist ein Kind und sähest in die Hand deines Vaters eine für dich noch unverdauliche oder gar giftige Frucht! Du bittest ihn, sie dir zu geben. Bekommst du sie, so hältst du ihn für gerecht; verweigert er sie dir, so nennst du ihn ungerecht. Er aber hat, wie du später einsehen wirst, als liebevoller, weiser Vater gehandelt.«

»Ich bin kein Kind, sondern so alt geworden, daß ich um die Einsicht, von welcher du redest, nun endlich einmal bitten möchte!«

»Grad weil sie dir fehlt, bist du trotz deiner Behauptung noch ein Kind, ein zornig schmollendes, vertrauensloses und undankbares Kind! Wenn du das jetzt in deinem Alter noch bist, so bist du es in deiner Jugend noch viel mehr gewesen. Du warst zu sehr Kind, als daß du eingesehen hättest, was zu deinem Wohle diente. Du hast falsch gewählt, vielleicht gar die giftige Frucht aus der sie dir verweigernden Hand des Vaters gerissen, und nun du dir durch ihren Genuß das ganze Leben vergiftet hast, klagst du über seine Ungerechtigkeit oder magst überhaupt nichts von ihm wissen. Es ist freilich nicht schwer, Gott zu leugnen, wenn man ihm nie Gehorsam geleistet, sondern sich nur nach dem eigenen Willen gerichtet hat. Da kommen unausbleiblich Stunden stiller, heimlicher Selbstanklage; es naht von Zeit zu Zeit der peinigende Gedanke, daß man doch vielleicht unrecht gehandelt und damit Gottes Gericht, den Wahrspruch des Allgerechten, auf sich herabgerufen habe. Was thut der Kurzsichtige dann, um die anklagende Stimme des Innern, des Gewissens, zum Schweigen zu bringen? Er greift zum kürzesten, aber auch trügerischesten Mittel: er leugnet einfach Gott. Wenn es keinen Gott giebt, giebt es kein Gesetz und kein Gericht, kein Unrecht und kein Gewissen, keine Anklage und keine Strafe, und wer mit dem Leben unzufrieden sein zu müssen glaubt, der wirft die Schuld nicht auf sich, sondern eben wieder und allein auf Gott, den er doch soeben erst geleugnet hat. Du hörst und siehst, daß du nicht um Gott hinumkommst, ihn nicht aus deiner Welt schaffen kannst, sondern in menschlich unlogischer aber göttlich logischer Weise sein Dasein über allen Zweifel erhebst, indem du ihn wegen seiner angeblichen Ungerechtigkeit leugnest.«

Es trat eine Pause ein; dann sagte er halblaut und nachdenklich:

»Wie drücktest du dich aus, Effendi? Ich habe – – – die giftige Frucht aus der sie verweigernden Hand des Vaters gerissen – – – gerissen! – – – also mit Gewalt meinen Willen durchgesetzt – – –! Das hat mir noch niemand gesagt, auch ich selbst nicht. – – – – Dann kommen Stunden der Selbstanklage – – – peinigende Gedanken – – – das Gewissen! – – – Man wirft aus Furcht vor sich selbst alle Vorwürfe auf Gott – – – leugnet ihn aus Angst – – – beweist aber grad dadurch sein Dasein – – –. Warte, Effendi, warte nur!«

Er ließ den Kopf sinken, und ich hütete mich, ihn zu stören. Nach einer Weile fuhr er mit der Frage fort-

»Woher kennst du mich so genau? Wie kommst du dazu, mir mein Inneres, meine heimlichsten Gedanken, Gefühle und Ahnungen zu enthüllen?!«

»Ich habe nur im allgemeinen gesprochen.«

»Das ist unmöglich, denn es stimmt, es trifft zu! Und doch auch wieder nicht – – wieder nicht! Ich kann mir keinen Gott denken, der die ewige Weisheit und Liebe ist und doch den Menschen, sein Geschöpf, sein Kind, in das Elend sinken läßt.«

»Wie nun, wenn das Geschöpf dem Schöpfer nicht gehorcht und, weil es sich klüger dünkt als er, den Weg zum Elend wählt?«

»So dürfte Gott dies nicht zulassen! Er müßte den Menschen zwingen!«

»Dann hätte dieser Mensch keinen Willen, keine Freiheit, keine Selbstbestimmung, keinen Wert; er brauchte keine Seele, keinen Geist; er wäre ein totes Spielzeug; ja, noch mehr: er wäre nichts. Du siehst, daß du dich im Kreise bewegst; wir sind wieder beim Spielzeug, beim Nichts angekommen. Aber sag mir einmal aufrichtig: Bist du wirklich – – – nichts?«

»Vielleicht!«

»Dann wären alle deine Gedanken, Schlüsse und Vorwürfe überflüssig. Ein Nichts ist nichts, thut nichts, denkt nichts, fühlt nichts, braucht nichts, will nichts; also schweig!!!«

Da schlug er die Arme übereinander, wendete sich mir voll zu, sah mich starr an und sagte:

»Ich weiß nicht, entgleitest du mit deiner Logik meiner Hand oder ich der deinigen. Ich beginne, Angst vor dir zu bekommen.«

»So fühlst du dich schon halb besiegt!«

»Noch nicht! Deine Logik scheint zwar siegreich zu sein, aber ich kann dich schlagen, indem ich durch Thatsachen den Sieg auf meine Seite bringe.«

»Das glaube ich nicht. Gott ist das absolute Ich; wer ihn leugnet, vernichtet sich selbst; eine Lächerlichkeit, denn wer leugnet, muß doch existieren. Deine Thatsachen machen mich nicht bange. Ich kenne sie nicht, bin aber überzeugt, daß ich, wären sie mir bekannt, deinen Unglauben grad durch sie besiegen würde.«

»Du sollst sie kennen lernen, wenigstens einige von ihnen. Ich werde dir erzählen – – – keine lange Geschichte, keinen ermüdenden Lebenslauf; ich bin selbst schon müde genug; du sollst es nicht auch noch durch mich werden.«

Wieviel ganz ungläubige, wieviel zweifelnde, wieviel suchende Seelen hatte ich schon kennen gelernt, daheim und auch draußen in der Ferne! Welche Freude, wenn es mir gelungen war, eine derselben auf die ewig suchende Liebe aufmerksam zu machen, welche neunundneunzig Schafe in der Hürde läßt, um das verlorene hundertste in der Wüste zu finden! Würde mir das auch jetzt bei diesem Manne gelingen, der sich bereits vor meiner Logik zu fürchten begann? Und doch, was ist die Logik des scharfen aber kalten, berechnenden Verstandes gegen die alles bewältigende, Himmel und Erde beherrschende Logik der Liebe! Der Verstand des Bimbaschi war unfähig, Gott vom Throne zu stoßen; aber sein Herz war tot und leer; es mußte Leben und Inhalt hinein. Das war es, wornach er sich gesehnt hatte; aber woher sollte ihm dieses Leben kommen? Womit war die Leere auszufüllen? Es war hohe Zeit für ihn. Seine halt- und energielose Nachsicht gegen den Diener bewies, daß er bereits kindisch zu werden begann, was jedenfalls nicht Folge seines Alters sein konnte, welches ich auf sechzig Jahre schätzte. Er mußte aufgerüttelt werden. Wenn man den Glauben an Gott verloren hat, gehört Energie dazu, ihn wieder zu finden und fürs ganze Leben festzuhalten; einem kindischen Menschen aber bleibt er verloren.

»Sprichst du polnisch?« fragte er mich jetzt.

»Nein.«

»Aber du kennst die unglückliche Geschichte Polens?«

»Ja.«

»Die Geschichte des unglücklichen Landes und seiner unglücklichen Bewohner! ich gehörte und gehöre noch jetzt zu diesen Bemitleidenswerten.«

»Bitte, sprich nicht so! In diesem Sinne soll und darf ein Mensch niemals bemitleidenswert sein. Das Mitleid ist nur für gewisse Fälle löblich; in andern Fällen beleidigt es den, auf den es fällt. Es giebt eine Art von Unglück, welches man mit edlem Selbstbewußtsein zu tragen hat; Mitleid ist da Demütigung. Ueberhaupt ist meine Ansicht über den landläufigen Begriff ›Unglück‹ eine ganz andere als die deinige. Für mich, der ich mich von Gott geleitet weiß, kann es kein Unglück geben.«

»So bist du eben glücklich. Oder giebt es für dich auch kein Glück?«

»Nein, was man nämlich gewöhnlich Glück zu nennen pflegt und mit einem ›günstigen Zufalle‹ identisch ist. In höherem Sinne giebt es freilich ein Glück, aber auch nur eines, welches ich aber die irdische Seligkeit nenne. Dieses Glück ist nichts Momentanes; es ist nicht zu messen und zu berechnen; es hat keine Grenzen; es besteht in der beseligenden Ueberzeugung, daß man in der Vaterhand Gottes ruhe.«

»Diese Hand kenne ich nicht. Mir ist weder die Ruhe in Gott noch irgend eine andere geboten worden, Wer und was ich war, brauchst du nicht zu wissen; ich weiß es selbst kaum mehr; wenigstens mag ich nicht gern daran denken. Es war ein altes, adeliges, reich begütertes Geschlecht, dem ich entstamme. Ich habe den Namen desselben abgelegt, um vor Nachstellungen sicher zu sein, und mich Dozorca genannt, weil ich mein Vaterland zu sehr liebe, als daß ich einen nichtpolnischen Namen führen möchte. Unsere Verhältnisse, meine Erziehung und noch vieles andere gehört nicht hierher; ich will nur erwähnen, daß ich zum Offizier ausgebildet wurde, keinen einzigen gläubigen Verwandten oder Lehrer hatte und meinen einzigen Lebenszweck in der Befreiung des Vaterlandes aus dem Joche der Unterdrückung erkannte. Ich war in Paris, um mit Gleichgesinnten die Erhebung unsers Volkes vorzubereiten; Mieroslawski nannte mich seinen Freund. Ich wurde nach Deutschland geschickt und ging dann nach Rußland, hatte an der verunglückten Ueberrumpelung von Posen teilgenommen, war bei dem Versuch von Siedlce zugegen und stand in Krakau dem Diktator Tyssowski nahe. In Galizien rotteten sich unsere eigenen Leute unter Jakob Szela zusammen; sie trugen Brand, Plünderung und Mord in die Höfe der mit uns verbündeten Edelleute; wir wateten im Blute. Ueberall geschlagen, gaben wir alle Hoffnung auf. Wo sollte ich hin? Ich war überall geächtet. In Preußen, in Oesterreich, in Rußland drohte mir der Henker; mein Todesurteil war gefällt; Steckbriefe verfolgten mich allerorts. Meine Besitzungen waren konfisziert; ich nahm den Bettelsack und schlug mich durch nach der Türkei, wo ich unter meinem jetzigen Namen im Heere Aufnahme fand. Es galt, mir eine Stellung, eine Zukunft zu schaffen, und da mir unter damaligen und meinen Verhältnissen dies als Christ nicht möglich war, trat ich zum Islam über.«

»Zum Islam?« fragte ich erschrocken. »Ah, so bist du – – ein Re – – –«

»Ein Renegat. Sprich das Wort nur immer aus! Was willst du? Ich war nie ein frommer, überzeugter Christ gewesen, und mein Uebertritt wurde mit‘ einer höheren Charge belohnt; das war es, was ich wollte.«

»Und heut wunderst du dich darüber, daß dein Leben ein verfehltes ist? Sag aufrichtig- Wolltest du nur die Freiheit deines Volkes, oder gedachtest du, nach dem etwaigen Gelingen des Aufstandes mit einer hervorragenden Stellung oder Rolle bedacht zu werden?«

»Beides.«

»So ist das die vorhin erwähnte giftige Frucht, welche du dir damals mit Gewalt angeeignet hast; du bist an ihr zu Grunde gegangen. Und dann der Uebertritt zum Islam! Es ist mir unbegreiflich, wie – – –«

»Bitte, laß mich erzählen!« unterbrach er mich. »Wenn es dir zur Beruhigung dienen kann, will ich dir sagen, daß ich zwar ein sehr lauer Christ war, aber auch kein eifriger Moslem geworden bin. Dieser Wechsel war nichts als Mittel zum Zweck. Ob ich Gott oder Allah sage, Christus oder Muhammed, das bleibt sich gleich, so dachte ich und so habe ich bisher gedacht. Wenn es wirklich einen Gott giebt, so sind alle Menschen seine Kinder. Diese Ansicht gab mir die innere Ruhe, welcher ich bedurfte, um vorwärts zu streben. Ich hatte Glück und Erfolg, nicht nur als Offizier, sondern auch als Mensch. Ich stand in Beirut, dessen Besatzung zur Arabistan Ordüssi gehörte. Dort lernte ich einen persischen Handelsmann kennen, welcher Wohlgefallen an mir fand. Ich verkehrte täglich in seinem Hause, wo nach iranischer Sitte die Haremsgesetze nicht so streng wie bei den Sunniten gehalten wurden. Er hatte ein einziges Kind, eine Tochter; sie war nach orientalischer Ausdrucksweise schön wie die Morgenröte und sorgfältiger erzogen wie sunnîtische Haremstöchter. Wir liebten uns, und der Vater gab sie mir zum Weibe, obgleich ich nicht Schiît war.«

»Daß ihr Vater einer war, hat dein Gewissen nicht beschwert?« fragte ich.

»Nicht im geringsten. Der Sprung vom Christen zum Muhammedaner war ja viel größer als der kleine Griff des Sunniten nach einer schiîtischen Frau. Warum sollte ich mir Vorwürfe darüber machen? Ich hatte meine Wahl nicht zu bereuen. Die Vergangenheit mit allen ihren Wünschen war für mich eine abgethane Sache, und ich lebte nur für meine Familie und meine militärische Zukunft. Mein Harem, wenn ich die Ehe mit nur einer Frau so nennen darf, bot mir ein täglich sich erneuerndes Glück, welches sich vergrößerte, als mir erst ein Sohn und später eine Tochter geboren wurde. Ein Jahr nach der Geburt der letzteren wurde ich nach Damaskus versetzt, wohin mir nach wenigen Wochen der Vater meines Weibes folgte, da er und seine Frau glaubten, nicht ohne ihr Kind leben zu können. Das war anfangs 1860, dem für Damaskus so verhängnisvollen Jahre. Ist dir die traurige Geschichte desselben bekannt?«

»Ja.«

»So habe ich keine ausführliche Erzählung nötig. Wie glücklich ich war, können dir die Namen sagen, welche ich meinen Kindern gegeben hatte. Mein Sohn heißt Ikbal und meine Tochter Sefa. Auch mein Weib hatte einen bedeutungsvollen Namen, nämlich Aelmas, und sie war für mich ein Edelstein.«

»Und wie hieß ihr Vater?«

»Er nannte sich Mirza Sibil oder auch Agha Sibil.«

»War dieser Name ererbt, oder hatte er ihn sich in Bezug auf seinen Bart beigelegt? Sibil bedeutet in der persischen Sprache Schnurrbart.«

»Das weiß ich nicht; aber er hatte wirklich einen so starken Schnurrbart, wie ich keinen zweiten gesehen habe. Nur auf dem Bilde des Königs von Italien, Viktor Emanuel, habe ich einen ähnlichen gefunden. Warum erkundigst du dich nach seinem Namen? Ein Mann wie du pflegt nichts ohne bestimmte Absicht zu thun.«

»Ich habe keinen eigentlichen Grund gehabt; die Frage kam mir ganz unbeabsichtigt auf die Zunge, vielleicht nur, weil du die andern Namen alle nanntest und dieser eine fehlte.«

»Ich nenne keinen einzigen gern, denn sie erinnern mich an das verlorene Glück, welches niemals wiederkehren wird.«

»Gott ist allgütig, und kein Mensch braucht, solange er lebt, auf das, was du Glück nennst, zu verzichten.«

»Das verstehst du wohl kaum. Man muß Vater sein, um mit mir empfinden zu können. Vater- und Mutterliebe sind etwas ganz, ganz anderes als die von uns geforderte allgemeine Menschenliebe. Hast du Kinder, Effendi?«

»Nein.«

»So kannst du mich nur halb begreifen. Könntest du dich jemals wieder im Leben glücklich fühlen, wenn dir dein Weib ermordet würde? Und mir hat man nicht nur das Weib, sondern auch die Kinder samt deren Großeltern umgebracht!«

Als Halef das hörte, rief er aus.

»Allah verdamme die Mörder! Wenn mir meine Hanneh, welche die herrlichste aller Jungfrauen, Frauen, Mütter, Muhmen und Tanten ist, und mein Sohn, Kara Ben Halef, dem der Stolz und die Tapferkeit aus den mutigen Augen blitzen, ermordet würden, so wäre das Glück meines Lebens für immer dahin, und ich fände keine Ruhe, bis ich die Scheusale, welche die That begingen, zu den verruchtesten Teufeln der tiefsten Hölle gesandt hätte!«

»Ja, du verstehst mich wohl besser als dein Freund Kara Ben Nemsi, denn du hast einen Sohn. Auch ich glühte vor Rache; aber ich kannte die Mörder nicht, und alle Mühe, sie zu entdecken, war vergeblich.«

»Erzähle, wie sich das Unglück zugetragen hat!« forderte ich ihn auf. »Das wird dein Herz erleichtern.«

»Es wird nicht leichter, sondern schwerer davon,« antwortete er. »Es verursacht immer Schmerzen, wenn man in Wunden wühlt, welche nicht zuheilen wollen. Ich hatte schon in Beirut die tödliche Feindschaft kennen gelernt, welche zwischen den muhammedanischen Drusen und den christlichen Maroniten des Libanon stets geherrscht hat und wohl auch nie verlöschen wird. Da du die Verhältnisse kennst, so brauche ich keine Erklärung vorauszuschicken. Die erwähnte Feindschaft entspringt nicht einem Unterschiede in Beziehung auf den Wohnsitz oder die Sprache, sondern der Verschiedenheit des Glaubens. Drusen und Maroniten bewohnen die Höhen und Thäler des Libanon, und beide sprechen ganz dasselbe Arabisch; aber die Maroniten sind eigentlich katholische Christen, obgleich sie hinsichtlich ihrer Liturgie und der Priesterehe von dem Ritus der römischen Kirche abweichen, und die Drusen bekennen sich zum Islam, haben aber ihre geheimen Lehren und sollen, wie man sagt, sogar noch dem alten syrischen Naturdienste ergeben sein. In früherer Zeit hielten Drusen und Maroniten gegen die Türken zusammen; Bergvölker sträubten sich stets am meisten und am längsten gegen ihre Besieger. Um diese Eintracht zu zerstören, wurde Feindschaft zwischen sie gesäet; die Frucht ging auf, und die Folge waren die blutigen und schonungslosen Metzeleien, welche in den Jahren 1842 und 1845 stattfanden. Als dann die Muhammedaner im Krimkriege von seiten der mit ihnen verbündeten Engländer und Franzosen wiederholte Demütigungen erlitten, setzte sich bei ihnen ein Haß gegen die Christen fest, der sich am leichtesten im Libanon und in Syrien Luft machen konnte, wo englische und französische Interessen unvereinbar mit türkischen zusammenstießen. Man begann zu schüren. Als die Westmächt den Sultan zwangen, in dem berühmten Hatt-i-Humajun auch allen andersgläubigen Unterthanen dieselben Rechte wie den Muhammedanern zuzusprechen, ging eine tiefe Erbitterung durch das Land, deren erstes Zeichen die Ermordung des englischen und französischen Konsuls in Dschidda, der Hafenstadt des heiligen Mekka, war, wo man bekanntlich muhammedanischer als Muhammed selber ist. Die hierauf erfolgende Maßregelung durch die beiden Mächte vergrößerte den heimlich fressenden Groll. Hierzu kam, daß die Befugnisse der Pforte hinsichtlich ihrer Vasallenstaaten immer mehr beschnitten und endlich fast völlig aufgehoben wurden. In Serbien setzte man Kara Georgiewitsch, welcher dem Sultan ergeben war, ab und holte die Obrenowitsch zurück; in der Moldau und der Walachei wurde Cusa zum Fürsten gewählt. Durch diese Ereignisse wurde die Erbitterung der Moslemim gegen die Christen so gesteigert, daß der Ausbruch gar nicht zu vermeiden war; er geschah zunächst im Libanon. In Damaskus fand eine heimliche Beratung zwischen dem dortigen Pascha Ahmed, dem Scheik ul Islam Abdallah el Halebi und Kurschid Pascha von Beirut statt, deren Resultat der Scheik ul Islam in die Worte zusammenfaßte: »Der Hatt-i-Humajun, welcher gegen Geist und Buchstaben des Kuran verstößt, kann nur mit der Aufreizung des Volkes zum Christenmorde beantwortet werden.« Kurschid Pascha brachte diesen Beschluß als erster zur Ausführung; er gab bei seinem Ausmarsche aus Beirut durch Kanonenschüsse das Zeichen zum Gemetzel. Die Drusen erhoben sich zum Vernichtungskampf gegen die Christen.«

Als der Erzähler bis hierher gekommen war, unterbrach ich ihn:

»Ehe du weitersprichst, bitte ich dich, mir zu sagen, ob du in der Beurteilung dieser Kämpfe auf seiten der Christen oder Muhammedaner stehst.«

»Ich nehme keinerlei Partei,« antwortete er; »es wurde auf beiden Seiten mehr oder weniger gesündigt. Wenn du gerecht bist, mußt du zugeben, daß die Maroniten in sittlicher Beziehung tief unter den Drusen gestanden und ihnen Grund zur Verachtung und oftmals auch Veranlassung zur Rache gegeben haben. Auch wirst du nicht leugnen können, daß es Christen waren, welche Saida, das alte Sidon, damals stürmen wollten. Die blutigsten Kämpfe aber gab es zu Hasbeya, am südlichen Fuße des Antilibanon, und in der Stadt Rascheya, welche nördlich davon an den Quellflüssen des Jordan liegt. Dort wurden die Maroniten zu Tausenden niedergemacht. Noch weiter nördlich liegt am Fuße des Libanon das Städtchen Sachleh, dessen Bewohner sich stets als die tapfersten Krieger der Maroniten ausgegeben hatten. Sie lebten in Feindschaft mit den Drusen und waren auf diejenigen ihrer Satzungen stolz, durch welche sie sich von den römischen Katholiken unterschieden. Als sie von dem Ausbruch des Kampfes hörten, feuerten sie ihre Flintenkugeln gegen den Himmel und beteuerten: »Und wenn Gott selbst gegen uns zöge, er könnte Sachleh nicht erobern!« Die Strafe folgte dieser Vermessenheit auf dem Fuße. Die maronitischen Hilfsvölker, welche ihnen beistehen sollten, kehrten unterwegs aus Feigheit um, während die arabischen Beduinen der Ebene, die Drusen des Libanon und Hauran, die Arnauten und Kurden von Damaskus und die Metualis von Baalbek mit Macht gegen die Stadt vordrangen, aus deren brennenden Häusern sich die Verteidiger nur zum Teil durch die Flucht retten konnten. Ganz entgegen andern Behauptungen, kann ich versichern, daß die Drusen sich hier zwar schonungslos tapfer, sonst aber brav benommen haben, denn als sie sahen, daß ihre Verbündeten sich über die Wehrlosen herwarfen, machten sie diesem Greuel durch die Drohung: »Schont die Frauen und Kinder; wer ein Weib anrührt, wird erschossen!« ein schnelles Ende. Hierauf folgte die Erstürmung der mitten im drusischen Gebirge gelegenen Christenstadt Deïr el Kamr, welchen Namen sie von einem früheren Kloster der heiligen Jungfrau hat, die in Syrien gewöhnlich mit der Mondsichel zu den Füßen abgebildet wird. Leider hatten sich auch die Bewohner dieses Ortes oft gegen die Muhammedaner herausfordernd verhalten und die in die Stadt kommenden Drusen beleidigt oder gar mißhandelt. Als ein Scheik derselben sich in nicht einmal großer Nähe des Ortes an einer von ihm rechtlich erworbenen Stelle ein Haus bauen wollte, wurde er von ihnen verjagt, infolgedessen er ihnen in seinem berechtigten Zorne drohte: »Ich baue es dennoch, und zwar werde ich es auf eure Schädel gründen!« Die Rache kam bald; fast die ganze Stadt wurde der Erde gleichgemacht. Es versteht sich ganz von selbst, daß es nun den Christen in Damaskus angst und bange wurde. Weißt du, Effendi, wieviel ihrer damals dort wohnten?«

»Ueber zwanzigtausend. Weil Dimeschk esch Scham die Haupstadt des Vilajets Syrien und des Sandschaks Schami-Scherif ist, war leider mit Bestimmtheit vorauszusehen, daß die Wirren sich auch dorthin ziehen und vielleicht gar einen noch blutigern Ausgang als im Gebirge nehmen würden.«

»Das ist es, was ich auch sagen wollte und was jedermann dort wußte. Die Christen der Hauptstadt schienen zwar in tiefem Frieden mit den Muhammedanern zu leben, forderten aber deren Haß und Neid unvorsichtigerweise durch ihr selbstbewußtes Auftreten und durch die Prunkhaftigkeit heraus, mit weicher sie ihre Wohnungen ausstatteten und ihre Frauen und Töchter geschmückt und unverschleiert durch die Straßen gehen ließen. Sie hatten vergessen, daß der Moslem sich noch immer als den Eroberer, als den Herrn des Landes betrachtete und daß sie nur die Rechte der Ra’aja besaßen, welche sich die Erlaubnis, im Lande wohnen zu dürfen, durch die Kopfsteuer erkaufen mußten. Sie waren als Ra’aja vom Grundbesitze ausgeschlossen gewesen, hatten sich also auf den Handel legen müssen und durch denselben Reichtümer erworben, welche sie nun unklugerweise zur Schau zu tragen wagten. Dieser Besitz war zwar ihr Eigentum, und jeder Mensch soll zeigen dürfen, was er sich erworben hat, aber es ist nicht klug, dies in einer Weise zu thun, welche die Augen anderer Leute mit Gewalt darauf lenkt. Du wirst das Auftreten reicher, christlicher Griechen und Armenier genugsam kennen gelernt haben, und solltest du dennoch nicht meiner Meinung sein, so verweise ich dich auf die reichen Jehuhd des Abendlandes, die dort auch nur Schutzbefohlene waren und von den dortigen Nichtjuden mit Neid betrachtet werden. Giebst du dies zu?«

»Ich kann es nicht leugnen. Sprich weiter!«

»Als die Sorge in Damaskus mehr und mehr zu steigen begann, fragten die christlichen Konsule bei dem Pascha an, ob Gefahr für die Christen vorhanden sei. Er antwortete beruhigend, zog aber aus der meist von Turkmanen und Kurden bewohnten Vorstadt Salehijeh tausend Mann zusammen, welche scheinbar zum Schutze der Christen, eigentlich aber dazu bestimmt waren, mit der Ermordung derselben den Anfang zu machen. Auch der Scheik ul Islam, welcher die Seele der Verschwörung war, that das Seinige, die Befürchtungen einzuschläfern. Hingegen gab es auch viele hochgestellte Muhammedaner, welche den Christen wohlgesinnt waren und sie warnten. Durch die Mitteilung dieser Leute erfuhr man, daß das Militär bereit zum großen Morde sei und daß auch eine heimliche Waffenverteilung unter die Civilbevölkerung stattgefunden habe. Schließlich sah man gar eine Menge von Hunden, denen das christliche Kreuz am Halse hing, auf den Straßen herumlaufen, aber weder diese allerstärkste der Verhöhnung, noch andere Anzeichen waren imstande, die geradezu mit Blindheit geschlagenen Bedrohten aus ihrem unglückseligen Abervertrauen aufzurütteln. Kennst du den Tag, an welchem das Unglück hereinbrach wie ein Blitzstrahl, der vom wolkenlosen Himmel niederfällt?«

»Es war der neunte Juli.«

»Richtig! Die Mueddins riefen eben zum Gebete; die Häuser und Bazars entleerten Sich, und die Straßen waren voller Menschen. Da erscholl plötzlich überall der Ruf. »Mordet, raubt und brennt! Heut ist der Tag des Todes für die Christen!« Im Nu waren die Christenquartiere besetzt, und das fürchterliche Werk begann, um erst nach vollen sieben Tagen ein Ende zu nehmen. Schon am dritten Tage waren gegen vierzehnhundert Häuser eingeäschert. Ueber fünftausend Menschenleben gingen zu Grunde; mehr als tausend Frauen und Mädchen waren ermordet worden oder verschwunden.«

»Aber dieser Christenmord,« schaltete ich ein, »hätte noch viel, viel weiter um sich gefressen, wenn Abd el Kader, der ebenso berühmte wie edle algerische Beduinen-Emir, nicht gewesen wäre.«

»Ja, dieser furchtbare Gegner der Franzosen hatte sein Vaterland verlassen müssen und war nach Damaskus gekommen, um seine letzten Jahre hier friedlich zu verleben. Schon seit der Besitznahme Algiers durch die Franzosen waren viele Araber von dort nach Damaskus gekommen und viele seiner tapfern Krieger ihnen nachgefolgt. Seine Hände hatten die Fahne des Propheten siegreich über viele Schlachtfelder getragen, die Franzosen ihn gelehrt, alles, was christlich heißt, zu hassen, und so durften, obgleich man in Damaskus gewöhnt war, mit seinem bedeutenden Einflusse zu rechnen, die dortigen muhammedanischen Behörden wohl des Glaubens sein, daß er sie in ihrem blutigen Beginnen nicht stören werde. Man war überhaupt der Meinung, daß der ›Uwe von Algier‹, wie er genannt wurde, alt und bequem geworden sei und zur Führung seines zum Kampfe einst so schnell bereiten Schwertes keine Lust mehr habe. Aber dieses Urteil sollte sich als ein sehr falsches erweisen. Als man ihn in Folge des Ansehens, welches er genoß, und seiner militärischen Erfahrungen wegen zu dem heimlichen, gegen die Christen gerichteten Kriegsrate zog, erklärte er dem Pascha in furchtloser Aufrichtigkeit: »Das, was ihr wollt, ist gegen unser Gesetz. Ich bin ein besserer Moslem als ihr und werde die Christen verteidigen; ja, um die Ehre des Islam zu retten, bin ich bereit, dabei unterzugehen!« Und als das Blutbad dennoch begann, hielt er Wort. Er öffnete den Bedrängten die weiten Räume seines Hauses, entsetzte die in ihren Wohnungen belagerten Christen und reichte jedem Flüchtling seine rettende Hand, um ihn in Sicherheit zu bringen. Er kämpfte inmitten seiner unerschrockenen Afrikaner gegen die türkischen Soldaten und den Pöbel und brachte nach und nach fast elftausend Christen in das Kastell, darunter die Lazaristen und auch die barmherzigen Schwestern mit zweihundert jungen Zöglinginnen. Dazu gehörten sieben Razzias, bei denen mehrere seiner Krieger getötet wurden. Auch in seinem eigenen Hause befanden sich viele Hunderte. Es sollte auf Befehl des Scheik ul Islam von mehreren Tausend Soldaten und Plünderern angegriffen werden; da aber verteilte Abd el Kader seine Afrikaner, auf welche er sich verlassen konnte, mit Fackeln in die muhammedanischen Stadtteile, sprengte in Helm und Panzer den Angreifern entgegen und drohte: »Ihr Elenden, glaubt ihr den Propheten durch Blut und Mord zu ehren? Wenn ihr nicht umkehrt, lasse ich den Pascha und seine Offiziere niederhauen und Feuer in alle eure Häuser und Straßen werfen!« Das wirkte, wenn auch nur für kurze Zeit; aber während derselben langte die Nachricht an, daß ein mit Abd el Kader verbündeter Hauran-Scheik, zu dem er um Hilfe geschickt habe, mit einer großen Kriegerschar komme, um dem ›Löwen von Algier‹ beizustehen. Da ließ man von seinem Hause ab und begnügte sich damit, das Kastell mit den darin befindlichen, von ihm geretteten Christen einzuschließen. Dieser in der Nordwestecke der Altstadt liegende Bau ist von einem tiefen Graben umgeben und hat hohe, dicke Mauern, welche von Türmen verstärkt werden. Er bot den Christen einstweilen die nötige Sicherheit, aber sie hatten bei ihrer großen Zahl noch viele Tage lang durch Hunger und Durst, Hitze, Angst und Fieber fürchterlich zu leiden, bis infolge der Einmischung der abendländischen Regierungen Ahmed Pascha abberufen wurde und sein Nachfolger mit neuen Truppen erschien, um die Ruhe wieder herzustellen. Später wanderten sie in Scharen aus, weil sie überzeugt waren, daß der gegen sie gerichtete fanatische Haß nicht ganz gebrochen sei, sondern heimlich weiterglimme.«

»Das kann ich ihnen nicht verdenken, zumal die Bestrafung der eigentlichen Urheber des Blutbades eine höchst lässige war.«

»O, Effendi, darüber weiß ich mehr zu sagen als du! Die Strafe traf nur wenig Schuldige, aber um so mehr Unschuldige, zu denen auch ich gehörte.«

»Auch du?«

»Auch ich!« nickte er. »Ahmed Pascha durfte mit großem Pomp die Stadt verlassen und wurde in Smyrna mit Kanonenschüssen und allen Ehren empfangen; erst später ließ Fuad Pascha, vorn Abendlande gedrängt, ihn nach Damaskus zurückbringen und erschießen. Auch die Kommandanten von Rascheya und Hasbeya wurden erschossen. Von einer Bestrafung Abdallah el Halebi’s, des Scheik ul Islam, habe ich nichts gehört; die Rächerhand konnte ihn, den Obersten der Geistlichkeit, wohl nicht erreichen. Und doch war er es, der die ersten Mörder in das Haus eines reichen Christen schickte, weil er diesem eine große Summe schuldete. Dafür aber wurden gegen sechzig Einwohner gehenkt, welche schuldig sein sollten, und weit über hundert Soldaten und Offiziere erschossen, unter denen auch ich mich befand.«

»Unter den Erschossenen?« fragte ich.

»Ja.«

»Und doch lebst du noch?!«

»Oczywiscie! Es ist beides richtig, obgleich ein Widerspruch vorhanden zu sein scheint. Ich wurde erschossen und lebe noch. Daß ich noch lebe, habe ich hier meinem Onbaschi zu verdanken, dem ich diese Rettung meines Lebens, obgleich es keinen Wert mehr für mich hat, niemals vergessen werde.«

»Du machst mich wißbegierig, o Bimbaschi! Was du bisher erzähltest, war mir längst bekannt; jetzt nun erwarte ich, eine Episode zu hören, welche unser ganzes Interesse in Anspruch nehmen wird.«

»Ich bitte dich, mir meine bisherige Ausführlichkeit zu verzeihen! Ich verschuldete sie, weil ich glaubte, diese Darlegungen deinem Hadschi Halef geben zu müssen. Von jetzt an wirst du dich aber nicht mehr gelangweilt fühlen. Du kannst dir wohl denken, daß es mir entsetzlich gewesen wäre, wenn man mich gezwungen hätte, auf unschuldige Christen zu schießen; aber ich war Offizier und hätte gehorchen müssen. Glücklicherweise wurde meine Kompagnie zu den Truppen kommandiert, die das Kastell zu bewachen hatten, was mich von dem Zwange befreite, grausam gegen Menschen zu sein, deren Glaube früher der meinige war. Ich mußte drei Tage und drei Nächte lang vor dem Kastell liegen, ohne meine Kinder, mein Weib und deren Eltern zu sehen, und als ich dann für einen halben Tag abgelöst wurde, fand ich das Haus mit der ganzen Gasse eingeäschert und erfuhr, daß der Grimm des Pöbels sich nicht nur gegen die Christen, sondern gelegentlich auch gegen schiîtisch gesinnte Muhammedaner gerichtet habe. Der Vater meiner Frau war Perser, also Schiît; das wußte das ganze Stadtviertel, in welchem wir wohnten; ebenso wußte man, daß er reich sei, und das war genug, die Plünderungslust sunnitischer Halunken nach unserem Hause zu lenken. Du kannst dir denken, was ich fühlte! Ich begann wie ein Wahnsinniger in den Trümmern des Hauses zu wühlen; Kepek half mir dabei; aber sie rauchten noch, und wir mußten der Hitze weichen. Nun rannten wir in der Nachbarschaft herum, Erkundigungen einzuziehen, und diese verwandelten meine Trauer in Wut: Nicht sunnitisch Gläubige hatten mir mein Glück gemordet, sondern eine Schar herabgekommener Perser, angeführt von einem ihm feindlich gesinnten Landsmanne meines Schwiegervaters, war es gewesen, welche ihn und die Seinigen ermordet, beraubt und dann das Haus in Brand gesteckt hatten. Seitdem hasse ich alles, was Perser oder persisch heißt, und spätere Ereignisse haben diesen tiefen Haß nicht vermindern, sondern nur vergrößern können. Ich war unsinnig vor Grimm und beschloß, nach den Missethätern zu forschen; es war bei der großen, überall herrschenden Verwirrung unmöglich, sie anders als durch Zufall zu finden; aber alle Vorstellungen Kepeks vermochten nicht, mich von meinem Vorhaben abzubringen. Unser Urlaub lief ab; wir mußten bei dem Buluk eintreffen, und Kepek machte mich auf die Folgen der Ueberschreitung aufmerksam. Seine Warnungen waren für mich Luft; es fiel mir nicht ein, meine Nachforschungen zu unterbrechen, aber ich schickte wenigstens ihn zurück und trug ihm auf, mich bei dem Oberst zu entschuldigen und ihn um Verlängerung meines Urlaubes zu bitten. Ich dachte in meiner Aufregung nicht daran, daß mir dieser Offizier nicht wohlwollte, weil ich früher Christ gewesen war und infolge meines Uebertrittes und meines jetzigen Fleißes eine Charge bekleidete, die er in meinem Alter noch nicht erreicht gehabt hatte. Ich hatte Hoffnungen auf ein rasches Avancement, um welche er mich beneidete. Als ich mich nach fast zweitägigem, vergeblichem Suchen todesmüd und auch geistig marode bei ihm einstellte, ließ er mich festnehmen und einsperren. Als ich dann vor das Kriegsgericht geführt wurde, erfuhr ich, daß ich nur angeblich nach meinen Verwandten und deren Mörder gesucht habe, sondern dies nur als Vorwand vorbringe, um meine Abwesenheit zu beschönigen; die Wahrheit sei, daß ich mich in hervorragender Weise an der Ermordung der Christen beteiligt habe. Es wurden mir sogar Menschen gegenübergestellt, welche dies bezeugten, und diese Menschen waren – – – Perser, persische Diener, welche der Vater meines Weibes aus seinem Geschäfte verjagt hatte, weil er von ihnen betrogen worden war.«

»Ich kann mir alles erklären. Fuad Pascha suchte Schuldige, und da die eigentlichen Urheber des Blutbades aus gewissen Gründen zu schonen waren, so wurden mißliebige Personen mit der Schuld beladen und mußten büßen, was sie nicht verbrochen hatten.«

»Diese deine Ansicht ist richtig. Man machte sehr kurzen Prozeß mit mir und verurteilte mich zum Tode. Ich erleichterte dem Gerichte allerdings diesen Spruch durch mein Verhalten. Anstatt mich ruhig zu verteidigen, beleidigte ich in meinem halb wahnsinnigen Zustande die Richter, die überhaupt schon gegen mich waren, in einer Weise, daß an eine Schonung ihrerseits nicht zu denken war. Schon in der Dämmerung desselben Tages wurde ich mit anderen Verurteilten an Ort und Stelle geführt, um erschossen zu werden. Es waren Soldaten meiner eigenen Kompagnie, welche die Vollstreckung auszuführen hatten, unter ihnen mein Kepek, der Onbaschi. Als den armen Sündern die Augen verbunden wurden, war er es, der zu mir trat. Indem er mir das Tuch anlegte, hörte ich ihn leise sagen: ›Fall um, wenn wir schießen, und bleib unbeweglich liegen! Wir sind übereingekommen, daß keiner auf dich zielen wird, und auch der Asker Hekimi ist einverstanden.‹ Ich muß da bemerken, daß meine Untergebenen mir alle wohlwollten, weil ich gegen sie stets so nachsichtig gewesen war, wie es sich mit meiner Pflicht vertrug. Der Arzt war ein auch übergetretener Inselgrieche, mit dem ich unserer Gesinnungsgemeinschaft wegen näheren Umgang gepflegt hatte. Als die Schüsse fielen, warf ich mich nach hinten nieder und vermied, auch nur einen Finger zu bewegen. Es fielen noch mehrere Salven; dann bemerkte ich, daß der Hekim die Gefallenen untersuchte, ob sie auch wirklich tot seien. Als er zu mir kam, fühlte ich seine tastenden Hände auf meiner Brust; er sagte nichts und ging weiter. Nach einiger Zeit hörte ich das Geräusch von Spaten, Hacken und Schaufeln; es mußte inzwischen Nacht geworden sein. Dann wurde ich eine Strecke weit fortgeschleift, und man nahm mir die Binde ab. Es war dunkel um mich her, doch erkannte ich den über mich gebeugten Onbaschi und auch seine Stimme, als er sagte:

»Komm, Herr, wir müssen schleunigst fort, aus Damaskus hinaus.«

Ich sprang auf und fragte, während ich ihm folgte:

»Du willst desertieren?«

»Ja.«

»Meinetwegen?«

»Gern, denn ich habe dich lieb.«

»Nach dem Verlust der Meinigen wäre mir der Tod gleichgültig gewesen; aber der Gedanke an ihren Mörder gab mir Grund, leben zu bleiben; ich wollte mich an ihm rächen; ich muß dir aber leider sagen, daß all mein Forschen nach ihm vergeblich gewesen ist. Ich will dich nicht mit einer langen Erzählung ermüden, sondern zunächst erwähnen, daß Kepek in allen, selbst den ärmlichsten Verhältnissen treu zu mir gehalten hat. Alle unsere Mittel bestanden in dem wenigen Sold, den er sich gespart hatte. Wir bettelten uns nach Konstantinopel und noch weiter durch. Ein glücklicher Zufall führte eine Begegnung mit Midhat, dem einsichtsvollen, später ebenso berühmten wie verkannten Pascha herbei; er nahm mich in seinen Dienst, nachdem ich ihm alle meine Erlebnisse mitgeteilt hatte. Ich stand unter ihm in Bulgarien und ging dann mit ihm nach Bagdad. Als er nach zwei Jahren nach Stambul zurückgekehrt und dann Großvezier geworden war, wurde mir hier der Rang eines Bimbaschi verliehen und die Oberstelle der hiesigen Zollbeamten anvertraut. Wäre er nicht später in Ungnade gefallen, so hätte seine Gönnerschaft mich jedenfalls noch weit höher geführt; so aber blieb ich hier sitzen und blieb das, was ich war. Doch fühlte ich mich nicht unzufrieden, denn ich hatte, durch seine Güte beschützt, Ersparnisse gemacht, welche sich von Jahr zu Jahr vergrößerten und mir ein sorgenfreies Alter verhießen, und wurde durch die Pflichten meines Amtes so in Anspruch genommen, daß mir keine Zeit übrig blieb, über die Vergangenheit nachzugrübeln. Kepek hätte avancieren können, aber er begnügte sich mit seiner früheren Charge als Onbaschi und bestand darauf, mein Diener sein und bleiben zu dürfen, ein Wunsch, der ihm, wie du siehst, gewährt worden ist.«

Als der Erzähler jetzt eine Pause machte, reichte ich dem Dicken meine Hand hinüber und drückte ihm die seine herzlich. Er war ein kreuzbraver Mensch, und ich konnte nun begreifen, daß sein Herr ihn mit einer so ungewöhnlichen Nachsicht behandelte. Dieser fuhr in seiner Erzählung fort, indem er mich fragte:

»Sind dir die hiesigen Zollverhältnisse bekannt?«

»Nein,« antwortete ich.

»So hast du keine Ahnung von der Verwirrung, in der sie sich befanden, als Midhat die Verwaltung von Irak Arabi übernahm. Es dauerte lange Zeit, ehe es ihm gelang, Ordnung zu schaffen und die Strenge, mit welcher er dies that, hatte zur Folge, daß die Zöllner hier noch mehr gehaßt wurden als in anderen Gegenden, wo man ihnen doch auch keine Liebe entgegenbringt. Man blieb nicht nur beim Hasse stehen, sondern man verfolgte sie und schonte selbst ihr Leben nicht, denn der Schmuggel blühte auf dem Flusse und besonders von der persischen Grenze her in einer Weise, daß sich Hunderte und aber Hunderte von ihm nährten, die nun mit uns, den Beamten, um ihre Existenz kämpfen mußten. Ob es jetzt wieder so ist, das weiß ich nicht, das geht mich nichts mehr an; ich bekümmere mich nicht darum; aber ich bitte dich, mir zu glauben, daß ich als der oberste der Zollbeamten der am meisten Gehaßte und schließlich nirgends meines Lebens sicher war. Wir haben damals Gefahren bestanden, welche ich nicht noch einmal erleben möchte, und wenn du meinen dicken Onbaschi jetzt betrachtest, ist es kein Wunder, zu bezweifeln, daß er mir stets ein treuer und mutiger Helfer gewesen ist.«

»Welche Waren wurden damals geschmuggelt?« erkundigte ich mich.

»Vorzugsweise Felle, Seide, Shawls, Teppiche, Türkise, Hausenblase und Opium. Jetzt aber würde bei der Höhe des Zolles, der auf ihm liegt, Safran der einträglichste Gegenstand des Schmuggels sein.«

Als er dies sagte, mußte ich unwillkürlich an den Pädäri-Baharat, den »Vater der Gewürze«, denken und an das, was ich gehört hatte, als ich ihn und seine zwei Gefährten oben am Tigris belauschte. Er fuhr fort:

»Die Pascherei wurde nicht etwa von jedem, wie ihm beliebte, betrieben, sondern ich machte die Bemerkung, daß sie sehr gut organisiert sein müsse. Es gab jedenfalls Oberhäupter, niedere Chargen und gewöhnliche Schmuggler. Diese Leute mußten geheime, aber umfangreiche Niederlagen besitzen, in denen die Waren aus allen Gegenden zusammenflossen und dort bis zu dem Augenblicke aufbewahrt wurden, an welchem sie ohne Besorgnis gleich in Menge fortgeschafft werden konnten. Ich war schon lange Zeit im Amte, ohne daß es mir gelingen wollte, eine solche Niederlage zu entdecken, und als mir dieser Wunsch endlich, endlich erfüllt wurde, kostete es mich nicht nur mein Amt, sondern auch mein Vermögen, mein ganzes Vermögen, so daß ich durch diesen längst herbeigesehnten Erfolg zum armen Manne wurde.«

»Wie ist das möglich? Ein solcher Erfolg muß doch Nutzen und Beförderung anstatt Schaden und den Verlust des Amtes bringen!«

»Das sagst du, weil du nicht weißt, in welcher Weise diese Entdeckung geschah. Ich habe bisher streng darüber geschwiegen; dir aber will ich alles erzählen; nur möchte ich vorher wissen, wie du über den Eid denkst. Welche Ansicht hast du von ihm?«

»Ich kenne zwar die Beziehung nicht, in welcher du diese Frage aussprichst, aber ich sage, daß der Eid ein heiliges Gelöbnis ist, welches man auf keinen Fall brechen darf. Ich würde lieber sterben, als einen Eid verletzen, den ich geschworen habe.«

»Dann muß ich freilich schweigen und darf dir nichts erzählen, denn ich habe geschworen, gegen jedermann zu schweigen, und Kepek hat denselben Eid leisten müssen.«

»War es wirklich ein Eid?«

»Ja.«

»Von der Obrigkeit euch abgefordert?«

»Obrigkeit? Nein.«

»Von wem denn?«

»Von den Schmugglern.«

»Dann war es nur ein Schwur, und zwar ein erzwungener, wie ich vermute. Habe ich es erraten?«

»Ja.«

»So brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Der Begriff des Eides erfordert unbedingt, daß er von der zuständigen Obrigkeit verlangt und vor ihr abgelegt worden ist. Du hast also keinen Eid geschworen. Und selbst der Schwur, den du beim Namen Gottes dir selbst oder einem anderen Menschen giebst, verpflichtet dich nur dann zur Erfüllung desselben, wenn es sich um eine löbliche, also nicht verbotene Angelegenheit handelt. Den Namen Gottes in einer schlechten Sache anzurufen, ist nichts als Gotteslästerung, und diese Lästerung wird auch zum Verbrechen gegen die menschlichen, die staatlichen Gesetze, wenn man einem solchen Schwure Gehorsam leistet. Ist einem aber ein solcher Schwur gar abgezwungen worden, so kann seine Erfüllung zum Verbrechen werden, und man ist nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, sich nicht nach ihm zu richten. Hast du vielleicht schwören müssen, verbotene Thaten zu verschweigen?«

»Ja.«

»So hast du damit ein Unrecht, ein großes Unrecht begangen.«

»Es galt unser Leben; man hätte uns ermordet, wenn wir es nicht thaten.«

»Ich an deiner Stelle hätte dennoch nicht geschworen. Aber du bist nicht ich, und deine Ansichten über den Eid und über den Schwur sind nicht die meinigen, zumal dir der Islam ebenso gleichgültig ist, wie du ein lauer Christ gewesen bist; aber du bist ein Mann, und ein Mann, ein wahrer Mann hält sein Wort, welches ihm heilig ist und welches er nicht gegen Zwang und für eine schlechte Sache hinwirft!«

»Du magst recht haben, und ich streite nicht mit dir; es ist mir eigentlich auch nicht um den Eid an sich, sondern um die Folgen, welche eintreten sollen, wenn ich ihn nicht halte. Seid ihr, du und dein Halef, verschwiegen, so verschwiegen wie das Grab, welches keine Worte hat, so kann ich ruhig erzählen, was ich euch erzählen möchte.«

»Das Beispiel oder Gleichnis vom Grabe ist nicht gut gewählt. Das Grab ist nicht verschwiegen; es spricht im Gegenteile eine sehr laute, beredte und ernste Sprache, die sogar in Donnerworten erklingen kann, nicht für das leibliche, sondern für das geistige, das seelische Ohr. Wir versprechen dir also, verschwiegener als das Grab zu sein, falls es sich nicht um eine Angelegenheit handelt, welche mitzuteilen wir verpflichtet sind.«

»Diese Verpflichtung habt ihr nicht, denn ihr seid keine vom Padischah verpflichteten und vereideten Zollbeamten. Ich weiß, daß ich mich auf dein Wort verlassen kann und werde also weitersprechen. Nämlich wenn ich damals manche Ereignisse und Vorkommnisse, die Erfahrungen und Ansichten meiner Untergebenen mit den Resultaten meiner eigenen Beobachtungen und Nachforschungen verglich, so führten in Beziehung auf den gesuchten Knotenpunkt der Schmuggelei die Fäden alle nach den Ruinen von Babylon. Es würde zu weitläufig sein, dir die Gründe dazu alle mitzuteilen. Ich folgte diesen Fingerzeichen und engagierte zwei arme Beduinen, welche von ihrem Stamme ausgestoßen worden waren und also gegen keinen Menschen irgendwelche Verpflichtungen hatten. Nachdem ich mich durch freigebige Versprechungen ihrer Treue versichert hatte, schickte ich sie nach dem Ruinenfelde. Sie mußten thun, als ob sie dort Ausgrabungen veranstalteten, um die Funde zu verkaufen, hatten aber die Aufgabe, ihre Augen besonders während der Nächte offen zu halten und mir sofort heimlich Mitteilung zu machen, falls ihnen eine mir nützliche Entdeckung gelingen sollte. Es waren zwei pfiffige Kerls, und kaum waren einige Wochen vergangen, so machten sie mir eine Mitteilung, welche mich in Entzücken versetzte. Sie hatten Schmuggler beobachtet, welche zu verschiedenen Zeiten und aus verschiedenen Richtungen mit beladenen Tieren oder die Lasten selbst tragend nach einer bestimmten Stelle gegangen waren und sich dann, ohne die Pakete bei sich zu haben, wieder entfernt hatten.«

»Du erfuhrst also diese Stelle?«

»Ja. Sie konnte mir sehr leicht bezeichnet werden, obwohl die beiden Spione sich wohlweislich gehütet hatten, sich so weit heranzuwagen, daß sie hätten bemerkt werden können. Es war am Birs Nimrud; ich weiß den Ort noch heut genau und werde ihn dir nicht nur beschreiben, sondern sogar zeichnen. Ich belohnte die Spione reichlich und befahl ihnen, noch weiter aufzupassen. Die Nachrichten, welche sie mir brachten, bestätigten das Vorherige in der Weise, daß ich beschloß, die Entdeckung auszunützen. Ich brach mit zehn zuverlässigen Untergebenen und Kepek auf, um die betreffende Stelle genau zu untersuchen.«

»In welcher Weise sollte das geschehen?«

»Das werde ich dir später sagen. Es handelte sich um eine verborgene Niederlage von Waren, die jedenfalls einen Raum bildete, der einen Eingang haben mußte, nach welchem zu forschen war. Zu diesem Zwecke nahmen wir Werkzeuge zum Graben und Hacken mit.«

»Ah! Diese Arbeit wolltet ihr am Tage vornehmen?«

»Natürlich! Wann sonst? Es war doch nicht möglich, sie des Nachts zu verrichten.«

»So habt ihr diese Werkzeuge vergeblich mitgenommen.«

»Woher weißt du das?«

»Ich ahne es. Ja, ich vermute noch mehr, nämlich daß ihr verunglückt seid.«

»Das schließest du daraus, daß ich von einem erzwungenen Eid gesprochen habe!«

»Nicht nur daraus. Deine beiden Spione haben dich betrogen.«

»Nein, ganz gewiß nicht; sie waren treue, zuverlässige Menschen.«

»Das möchte ich bezweifeln.«

»Es giebt keinen Grund dazu.«

»Waren sie bei dir, um dir die Stelle zu zeigen?«

»Ja.«

»Bist du auch noch später im Verkehr mit ihnen gewesen?«

»Nein. Sie müssen die Gegend dann gleich verlassen haben; aber das ist keine Ursache, sie für Betrüger zu halten. Sie hatten stets den besten Eindruck auf mich gemacht, und besonders der eine, welcher Safi hieß, sah wie die Ehrlichkeit selber aus.«

»Safi?« fragte ich unwillkürlich, indem ich an den Mann aus Mansurijeh dachte, welcher uns an die Perser verraten hatte. »Wie alt war dieser Araber?«

»Warum willst du das wissen?«

»Weil ich einen Mann dieses Namens kenne.«

»Es giebt viel Menschen, welche so heißen.«

»Wann ist das, was du erzählst, geschehen?«

»Vor vier Jahren.«

»Wie alt war der Mann ungefähr?«

»Er sagte, er zähle vierzig Jahre, sah aber älter aus. Der andere Beduine hieß Aftab, und auch von ihm möchte ich schwören, daß er treu und ohne Falsch war.«

»Aftab! Safi und Aftab, sonderbar, hm, sonderbar!«

Er sah mich erstaunt an und fragte:

»Kennst du vielleicht auch einen Mann dieses Namens?«

»Allerdings, und wenn meine Vermutung mich nicht täuscht, so kann auch ich nun schwören und nicht bloß ahnen wie vorhin, nämlich, daß du in eine dir gestellte Falle gegangen bist.«

»Rzecz smieszna! Hältst du mich für so dumm, daß mir so etwas geschehen kann?«

»Es sind nicht die dummen, sondern sogar sehr pfiffige Tiere, welche man in Fallen fängt. Ich bitte dich, in deiner Erzählung fortzufahren.«

»Das will ich thun, bin aber neugierig, wie du deine Behauptung wirst beweisen wollen.«

»Das wirst du wahrscheinlich sehr bald hören. Uebrigens deutest du an, daß ihr die Werkzeuge zum Graben von hier mitgenommen habt. Ihr seid doch wohl nach Hilleh geritten?«

»Ja. Man muß doch dorthin, wenn man nach den Ruinen von Babylon will!«

»Man kann diese Stadt vermeiden, wenn man beabsichtigt, etwas zu thun, was niemand wissen soll.«

»Wir haben sogar die Nacht dort zugebracht und sind dann am Morgen nach dem Birs Nimrud geritten.«

»So war es unnötig, euch mit den Werkzeugen zu schleppen; ihr hättet in Hilleh welche haben können.«

»Wir wollten dort nicht wissen lassen, was wir zu thun beabsichtigten.«

»Man hat aber eure Hacken und Schaufeln dort jedenfalls bemerkt, die eure Absichten auch schon zwischen hier und Hilleh verraten haben.«

»Wieso und an wen?«

»Ich nehme an, daß ihr unterwegs beobachtet worden seid.«

»Wir sind nur in Khan Bir Nust und Khan Mahawid, wo sich wenig Menschen befanden, eingekehrt und haben unterwegs einige Reiter nur von weitem bemerkt.«

»Von weitem? Diese Reiter vermieden also den Weg? Warum? Sie kamen nicht näher, weil sie euch beobachteten; sie gehörten zu den Schmugglern, denen ihr später in die Hände fielet.«

»Effendi, du sprichst so, als ob du schon alles wüßtest, was ich dir erzählen will. Also, wir kamen wohlbehalten in Hilleh an, übernachteten dort und ritten dann früh nach dem Birs Nimrud hinaus, wo Aftab und Safi uns die Stelle zeigten, um welche es sich handelte.«

Er drehte den ausgerauchten Tschibuk in der Hand um und machte mit der Pfeifenspitze Striche vor sich hin, als ob er ein Papier vor Augen und einen Stift in der Hand habe, um die angegebenen Richtungen zu zeichnen. Dabei fuhr er fort:

»Also hier liegt Hilleh, und so, wie ich es dir jetzt zeige, ritten wir. Da vorn liegt der Turm zu Babel; von dieser Seite näherten wir uns ihm. Dann wurden wir hier nach links geführt, wo ein Haufen von Steinen mit Keilinschriften lag. Von da ging’s schief nach rechts empor, einen Einschnitt hinan, hierauf wieder nach links, wo wir um einen Vorsprung schwenkten, der aus meist beschädigten, verglasten Ziegeln bestand. Hinter diesem Vorsprunge lag die Stelle.«

»Nein,« rief ich in meiner plötzlichen Erregung fast überlaut.

»Nicht?« fragte er erstaunt. »Wie kommst du zu dieser Behauptung?«

»In diesem Augenblicke weiß ich, daß die von dir bezeichnete Stelle nicht die rechte ist; die richtige muß weiter oben liegen.«

»Du bringst mich in Verwunderung! Welche Stelle soll die richtige sein?«

»Die, wo man in das Versteck der Schmuggler gelangt!«

»Das ist richtig, sehr richtig, Effendi. Ich höre, daß du im Besitze eines Geheimnisses bist, welches niemals zu verraten wir, um unser Leben zu retten, einen schweren Eid ablegen mußten. Wie bist du in den Besitz desselben gekommen?«

»Davon später! Habt ihr an der falschen Stelle, also an der, welche du erwähntest, sofort zu graben angefangen?«

»Nein, denn ich hatte meine zehn Zollwächter in Hilleh zurückgelassen und war zunächst mit Kepek und den Führern allein nach dem Birs geritten, um mir die Stelle zeigen zu lassen. Es konnten sich ja womöglich Gründe ergeben, die Nachforschungen nicht vor den Augen der Untergebenen vorzunehmen.«

»Welch eine unvorsichtige Vorsichtigkeit! Erzähle weiter! Ich bin überzeugt, daß jetzt die Schmuggler über euch herfallen werden.«

»Du scheinst allwissend zu sein, Effendi, denn es ist wirklich so, wie du sagst. Wir waren nämlich kaum von den Pferden gestiegen, so tauchten aus einer Vertiefung seitwärts von uns mehr als zwanzig bewaffnete Kerle auf, welche so schnell auf uns eindrangen, daß wir gar nicht Zeit fanden, an Gegenwehr auch nur zu denken. Einige Augenblicke später waren wir niedergeworfen, festgehalten und gebunden worden. Auch die Augen verhüllte man uns. Ich hörte eine Stimme in befehlendem Tone sagen: Tort mit ihren Pferden, weit fort, und schnell hinauf mit ihnen, daß kein Kumrukdschi ahnen kann, was geschehen ist; denn die zehn anderen Hunde, weiche dieser Bimbaschi mitgebracht hat, werden wohl auch bald eintreffen.‹ Ich fühlte, daß ich aufgehoben und fortgeschleppt wurde, nicht abwärts oder zur ebenen Erde, sondern sehr steil aufwärts, wo man mich dann niederlegte. Ich sage dir, daß mir nicht wohl zu Mute war, denn ich kannte den Haß der Schmuggler gegen mich und hatte allen Grund, um mein Leben besorgt zu sein.«

»Es war nicht so schlimm; du lebst ja noch!«

»Scherze nicht! Als ich nun an der Erde lag, vernahm ich das Geräusch von aneinander klingenden Steinen, wie wenn ein Maurer bei der Arbeit ist. Das dauerte längere Zeit und ohne daß ich ein gesprochenes Wort zu hören bekam; dann wurde ich wieder aufgehoben und fortgeschleift, wobei ich, wie ich wohl bemerkte, bald rechts, bald links an Steine, also wahrscheinlich an Mauern stieß. Hierauf wurde ich abermals niedergelegt, worauf man endlich zu sprechen begann, aber leider persisch, was ich damals nicht so wie heut verstand. Ich habe mir nur den Namen Gul-i-Schiraz gemerkt, welcher mir auffallen mußte, weil er wiederholt genannt wurde. Nach einiger Zeit hörten wir Schritte, welche sich entfernten; dann wurde es still.«

»Und Kepek?« fragte ich. »Was war mit ihm geschehen? Wo befand er sich?«

Da ergriff der Dicke, seit wir uns oben auf dem Dache befanden, zum erstenmal das Wort, indem er antwortete:

»O Emir, ich lag neben meinem Herrn, denn man hatte mich ganz genau wie ihn behandelt und mich auch in dieses Loch des Verderbens geschleppt. Ich zitterte vor Besorgnis nicht um mich, sondern um ihn, und war hoch erfreut, als ich seine geliebte Stimme hörte. Er fragte nämlich, ob noch jemand da sei, und als ich ihm meinen Namen genannt hatte, besprachen wir die Lage, in welcher wir uns befanden.«

»Ihr beide?«

»Ja.«

»Und eure Spione, die mit euch gekommen waren?«

»Die lagen nicht bei uns.«

»Das glaube ich gern, denn es ist so, wie ich vermutete: Sie waren mit den Schmugglern verbündet, und es verstand sich ganz von selbst, daß ihnen nichts geschah. War es euch denn nicht möglich, von den Fesseln loszukommen?«

»Nein,« antwortete der Bimbaschi. »Ich versuchte es auf alle mögliche Weise aber vergeblich. Wir lagen lange, lange Zeit; es schien ein halber, ja ein ganzer Tag zu sein, und die Glieder schmerzten uns von diesem langen Liegen. Da endlich nahten wieder Schritte; wir hörten, daß mehrere Personen kamen. Die Augen wurden uns freigegeben, und wir sahen drei Männer vor uns stehen und einen vierten, welcher unweit von uns auf einem Steine saß. Dieser wurde von einem der drei gefragt, was er gehört habe, und er berichtete jedes Wort, welches von uns gesprochen worden war. Daraus erkannten wir nun, daß wir nicht allein gewesen waren, denn dieser Mensch hatte uns bewachen und belauschen müssen.«

»Waren Fenster oder sonstige Oeffnungen in dem Raume?«

»Nein.«

»So muß er erleuchtet gewesen sein. Wodurch?«

»Durch irdene Oellämpchen, von denen ich später, als ich mich aufrichten durfte, einen ganzen Vorrat nebst einer großen Oelkanne in einer Nische stehen sah.«

»Kannst du mir sagen, wie der Raum beschaffen war?«

»Ja, denn ich habe mich lange genug in demselben befunden; er ist mir so gegenwärtig, als ob ich noch jetzt darin läge. Er war lang und schmal und nicht viel mehr als mannshoch.«

»Also ursprünglich kein Gemach, sondern ein Gang.«

»Du kannst recht haben, denn die nackten Wände, welche aus Ziegeln bestanden, waren leer und nur in einer Ecke lagen einige Werkzeuge und ein Haufen Stricke.«

»Gab es eine Thür?«

»Nein.«

»Ich kann mir das nicht denken, denn es steht zu vermuten, daß dieses Gelaß nur das Vorgemach zu anderen und größeren Räumlichkeiten war.«

»Das ist allerdings richtig, obwohl ich, im eigentlichen Sinne gemeint, nicht von einer Thür sprechen kann. Ich werde das später erklären; jetzt muß ich dir erzählen, was der Säfir zu mir gesagt hat.«

»Der Säfir? Dieses persische Wort bedeutet ›Gesandter‹. Woher kennst du diese Bezeichnung?«

»Er wurde von den andern so genannt. Sein Aussehen war fast furchterweckend, und zwar wegen einer feuerroten Narbe, welche auf der Stirn begann und über die linke, leere Augenhöhle und die Wange bis herunter zur Spitze des Mundes reichte und dort den langen Schnurrbart in zwei ungleiche Hälften schied. Der Hieb, welcher ihm diese Narbe brachte, hatte ihm das Auge geraubt. Der Anzug, den er trug, war – – –«

»Der thut nichts zur Sache,« unterbrach ich ihn, »denn die Kleidung kann jederzeit gewechselt werden. Wie war seine Gestalt? Und hatte er sonst etwas Auffälliges an sich?«

»Er trug nur Schnurrbart. Seine Gestalt war nicht hoch, aber sehr breit und ungewöhnlich kräftig, und seine Stimme hatte einen schnarrenden Klang. Auch sah ich, daß er die Gewohnheit hatte, die Haare des Schnurrbartes sehr oft über die Lücke desselben zu streichen. Warum fragst du nach solchen Merkmalen?«

»Weil das in meiner Gewohnheit liegt. Ich pflege auf meinen Reisen den geringsten Umstand zu beachten und habe sehr häufig die Erfahrung gemacht, daß Kleinigkeiten, welche andern entgehen würden, mir, wenn ich sie im Gedächtnisse behalten hatte, später großen Nutzen brachten. Dieser Säfir muß mich schon an sich und auch deinetwegen interessieren; aber wir gehen nach Persien, und da auf Erden nichts unmöglich ist, kann es die Schickung fügen, daß ich ihm dort einmal begegne. Auch will ich mit Halef nach dem Birs Nimrud reiten, und da ist es – – –«

»Das wollt ihr? Wirklich, wollt ihr das?« fiel er schnell ein.

»Ja. Zwar habe ich nicht den mindesten Grund, anzunehmen, daß wir den Säfir dort sehen werden, aber er steht in meiner Phantasie nun einmal mit dem Turm zu Babel in Beziehung und darum möchte ich so gut wie möglich über seine Person unterrichtet sein.«

»Habt ihr vielleicht die Absicht, den Turm zu untersuchen?«

»Wenn sie sich nicht noch einstellt, bis jetzt hatten wir sie noch nicht.«

»So laßt euch auch nicht gelüsten, es zu thun, denn dieser Gedanke könnte für euch höchst gefährlich werden! Ich weiß, was mir mein damaliger Besuch des Turmes gebracht hat, und wenn es mir auch unbekannt ist, ob er dergleichen Gesindel jetzt noch birgt, so sagt mir doch eine innere Stimme, daß ich euch warnen soll. Vor allen Dingen hütet euch, aus meiner Erzählung die Veranlassung zu ziehen, dort nachzuspüren, weil mir das den angedrohten Tod bringen könnte! Ich spreche nicht darum zu euch, daß ihr meine Erlebnisse verfolgen sollt, sondern nur um deinen Rat zu holen.«

»Was diese Warnung und diesen Wunsch betrifft, so kann ich dir versichern, daß du keine Veranlassung hast, um dich oder uns beunruhigt zu sein. Wir wissen dein Vertrauen zu schätzen und werden nichts thun, was dir schaden könnte.«

»Das beruhigt mich. Ihr dürft mir meine Besorgnis nicht übelnehmen, denn die Gefahr, welcher wir damals nur mit Not und durch die Ablegung des Eides entgingen, ist für uns ganz in derselben Größe auch noch heut vorhanden.«

»Es kann uns nicht einfallen, deine Worte anders zu nehmen, als sie gemeint sind. Sprich getrost davon weiter, was ihr im Birs Nimrud erlebt habt!«

»Der Säfir sprach eine Weile persisch mit seinen Leuten, wobei er uns von Zeit zu Zeit bald höhnische und bald grimmige Blicke zuwarf oder uns verächtliche Fußtritte versetzte. Meine Frau und ihr Vater hatten mir von dieser Sprache nur soviel beigebracht, daß ich mich ihrer gebrochen bedienen konnte; darum verstand ich auch jetzt nur wenig von dem, was gesprochen wurde, zumal diese Kerle außerordentlich schnell redeten; aber es kam auch dieses Mal sehr häufig der Name Gul-i-Schiraz vor. Erst in diesem Augenblicke kommt mir ein Gedanke: der Orientale drückt sich gern bildlich aus; er legt besonders seinen Frauen oft Blumennamen bei. Sollte etwa nicht eine wirkliche Rose, sondern ein Weib gemeint sein? Dann müßte diese weibliche Person in sehr enger Beziehung zu den Schmugglern stehen. Wen man so oft nennt, der muß Wichtigkeit besitzen und hieraus ist meines Erachtens zu schließen, daß diese Beziehung keine gewöhnliche ist. Ich bin geneigt, die ›Gul-i-Schiraz‹ für die Frau eines Anführers zu halten. Was sagst du dazu, Effendi?«

»Ich überlasse in Hinsicht auf die Persönlichkeit die Lösung des Rätsels jetzt noch dir. Wichtiger als die Person ist mir der Ort.«

»Wieso?«

»Ob eine Person oder eine Sache gemeint ist, das hat vorläufig noch keine Wichtigkeit für mich; die Hauptsache ist für mich das Wort Schiraz, aus welchem ich die Vermutung Ziehe, daß die Enthüllung des Geheimnisses nur drüben in der gleichnamigen Hauptstadt der persischen Provinz Farsistan oder deren Nähe zu versuchen ist. Und selbst wenn ich mich mit dieser Annahme in Irrtum befinden Sollte, möchte ich doch behaupten, daß sich ein Zusammenhang zwischen einer dortigen Existenz und der gesuchten Gul-i-Schiraz finden lassen wird. Es ist nicht nötig, uns den Kopf darüber zu zerbrechen. Wenn es sein soll, wird sich uns die Lösung ganz von selbst bieten. Also du erzähltest, daß der Säfir zunächst mit seinen Leuten gesprochen habe?«

»Ja; dann wendete er sich zu uns, um seinen Grimm natürlich besonders über mich auszuschütten. Indem er mich mit den niedrigsten Schimpfworten bewarf, zählte er mir vor, welchen ungeheuren Schaden mir die Schmuggler anzurechnen hätten, und drohte, daß man mir dafür nicht nur möglichsten Ersatz, sondern sogar auch das Leben abfordern würde. Seine Rede war sehr lang; ich aber will kurz sein und nur sagen, daß ich sie nicht beantwortete. Auch Kepek sagte kein Wort. Da begann der Perser von neuem, indem er hohnlächelnd alle meine Nachforschungen vorbrachte, welche ich gemacht hatte, um das Versteck der Pascher zu entdecken. Woher wußte er das alles? Befand sich etwa unter meinen Beamten einer, der in seinem Solde stand und ihm alles verraten hatte?«

»Das ist nicht nur möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich, denn ich schließe aus deiner Erzählung, daß die Verbindung der Schmuggler eine sehr weitreichende und außerordentlich wohlgeordnete ist, und da die Leitung derselben eine ebenso kühne wie auch schlaue zu sein scheint, kann man fast mit Sicherheit annehmen, daß Spione angestellt worden sind, um alles, was du gegen sie zu unternehmen gedachtest, vorher zu erfahren. Und wo gab es Personen, welche darüber unterrichtet waren? Natürlich nur unter deinen eigenen Leuten.«

»Das ist richtig. Hätte ich doch auch in dieser Beziehung meine Augen offen gehalten! Erst jetzt wird es mir klar, warum mir oft Pläne mißglückten, welche so sorgfältig und pfiffig angelegt waren, daß der Erfolg gar nicht ausbleiben zu können schien. Ich sehe ein, daß ich gegen meine Untergebenen zu vertrauensselig gewesen bin, und das ist ein Fehler, den ich schwer, sehr schwer habe büßen müssen.«

»Gleich von der Zeit an, von welcher du erzählst?«

»Ja. Ich habe dir schon gesagt, daß der Anführer nicht nur mein Leben bedrohte, sondern auch Schadenersatz verlangte. Er forderte mein ganzes Vermögen von mir, und als ich sagte, daß ich nicht reich sei, nicht einmal wohlhabend, lachte er mich aus und sagte mir nicht nur die Summe, welche ich besaß, sondern auch die Bank, in welcher sie lag, so genau, als ob ich es ihm selbst anvertraut hätte.«

»Auch hieraus mußt du erkennen, daß er vorzügliche Spione hatte, welche nur in deiner Nähe zu suchen waren.«

»Daran dachte ich damals nicht; es wäre auch zu spät gewesen, da er doch nun einmal so genau unterrichtet war. Er verlangte eine Anweisung auf die Bank, und als ich sie ihm verweigerte, erklärte er mir, daß ich dann binnen einer Stunde mit dem Onbaschi getötet werde. Er gab mir drei Viertelstunden Zeit, es mir zu überlegen, und setzte sich dann zu den andern wartend nieder. Da saßen sie und unterbrachen die tiefe Stille nur zuweilen durch einige leise Worte, welche sie einander zuflüsterten. Als die Zeit vorüber war, wurde ich gefragt, ob ich mich eines Bessern besonnen hätte; ich gab eine verneinende Antwort; da schlugen sie zwei Pflöcke in die Mauer und banden mir und Kepek Stricke um die Hälse. Ich konnte nicht bezweifeln, daß sie uns aufhängen würden, und so erklärte ich mich denn mehr aus Rücksicht auf den Onbaschi als auf mich bereit, die Summe zu bezahlen. Vielleicht wirst du sagen, Effendi, daß dies feig von mir gewesen sei?«

»Das fällt mir nicht ein. Es hätte wohl jeder an deiner Stelle genau so wie du gehandelt, denn wenn man die Wahl hat, entweder als armer Mann leben bleiben zu dürfen, oder als reicher aufgehängt zu werden, so wird man wohl das erstere vorziehen. Du hattest ja deine einträgliche Stellung und konntest also wieder wohlhabend werden.«

»Das sagte ich mir auch, mußte aber nur zu bald einsehen, daß diese Hoffnung eine vergebliche war. Man nahm uns die Stricke wieder ab und brachte – – ah, kannst du erraten, was man nun brachte?«

»Nein.«

»Man brachte mein Diwit jazy takym, ja, mein eigenes Diwit jazy takym nebst Mürekkeb, Kalem und Kiahat, und erstaunlicherweise war dieses Kiahat auch von mir, von meinem eigenen Schreibtische genommen! Man hatte das alles in ein Päckchen gepackt, in welchem auch Lök und mein Mühür war. Was sagst du dazu?«

»Daß dieser Streich, den man dir spielte, seit langer Zeit und sehr eingehend vorbereitet gewesen ist. Man brauchte alle diese deine eigenen Sachen, die man auf der Bank wahrscheinlich kannte, um dort zu überzeugen, daß die Anweisung wirklich von dir und von keinem andern komme. Du hast sie natürlich geschrieben?«

»Ja, doch nicht wie ich wollte, sondern der Säfir diktierte sie. Er mußte ein gewandter Geschäftsmann sein, denn er verfaßte sie so, daß ich, wenn ich Kassierer der betreffenden Bank gewesen wäre, das Geld ohne alles Bedenken sofort aufgezählt hätte. Es stand übrigens ohne Kündigung, da ich in meinen Verhältnissen und als türkischer Beamter unter einem übelwollenden Pascha in einer von Stambul so entfernten Stadt unter allerlei Scherereien zu leiden hatte und sogar gezwungen war, mit einer plötzlichen Entlassung zu rechnen. Da war es geraten gewesen, mein Geld so anzulegen, daß ich es zu jeder Stunde bekommen konnte. Als der Säfir die Anweisung in den Händen hatte, verglich er sie mit einigen andern Papieren und sagte mir:

»Hier sind Schriftstücke, welche du verfaßt hast, und ich habe dein jetziges Schreiben mit ihnen verglichen. Hättest du deine Hand verstellt, so wäret ihr doch noch aufgehängt worden. Jetzt habe ich euch etwas zu zeigen und werde dann eine Frage an dich stellen. Ueberlege sie dir wohl, ehe du sie beantwortest, denn von deiner Entscheidung hängt wahrscheinlich euer Leben ab!«

»Man band uns die Stricke von den Füßen los, so daß wir aufstehen und gehen konnten; die Hände aber blieben gefesselt, um es uns unmöglich zu machen, uns zu wehren. Er trat, während die andern mit Lämpchen leuchteten, in die Ecke, wo die Stricke lagen und den Boden bedeckten; sie wurden weggeräumt, worauf man auch den darunter liegenden Sand eine Hand hoch entfernte. Da kamen einige Bretterstücke, und unter ihnen, als man sie weggenommen hatte, ein Loch mit abwärts führenden Stufen zum Vorschein. Wir stiegen ab und gelangten in einen großen, weiten Raum, welcher von einer solchen Menge von Schmuggelwaren angefüllt war, daß ich mich vor Erstaunen fast kaum zu fassen wußte. Da hingen, lagen oder standen – – –«

»Bitte, erlaube mir!« unterbrach ich ihn. »Wie hoch war dieser Raum?«

»Vielleicht vier Fuß über Mannes hoch,« antwortete er.

»Du wirst es nicht mehr wissen, aber es wäre mir interessant zu erfahren, wieviel Stufen hinabgeführt haben.«

»Das weiß ich zufällig noch ganz genau. Als ich in das Loch steigen mußte und die dunkle Tiefe unter mir sah, dachte ich, daß da unten unser Gefängnis liege, in welchem man uns umkommen lassen wolle. Ich war entschlossen, in diesem Falle alles mögliche zu unserer Rettung zu unternehmen, und weil die Treppe dabei von Bedeutung war, zählte ich die Stufen. Es waren achtzehn.«

»Waren sie von gewöhnlicher Höhe?«

»Ja. Ich glaube, es werden in den hiesigen Häusern sechs Treppenstufen auf eine Zär-i-Schahi gerechnet.«

»Richtig! Die Zär-i-Schahi hat hundertzwölf Centimeter. Wenn der Raum vier Fuß über Mannes hoch gewesen ist, muß die Decke neunzig bis hundert Centimeter dick gewesen sein. Der Abstand zwischen den beiden Fußböden oben im Gange und unten in dem Vorratsraume hat also wohl ungefähr dreihundertfünfzig Centimeter oder nach persischem Maße drei königliche Ellen und eine halbe Väjab betragen.«

Er sah mich nachdenklich an und sagte:

»Ich muß dich immer wieder fragen, warum du dich so eingehend erkundigst und nun gar eine so genaue Berechnung anstellst?«

»Und ich antworte dir immer wieder, daß ich das nur aus alter Gewohnheit thue. Wenn man weiß, wie tief der Vorratsraum unter dem Gange liegt, dessen Lage man kennt, kann man, ohne das Innere zu betreten, auch von außen angeben, in welcher Höhe oder Tiefe des Birs Nimrud man diesen Raum zu suchen hat. Welche Ecke des Ganges war es, in welcher die Stricke lagen?«

»Hinten rechts. Aber mir kommt es vor, als ob du Absichten hegtest, die du mir verheimlichen willst!«

»Ich habe keine; aber ich werde dir später eine Mitteilung machen, welche dich an die Harmlosigkeit meiner Fragen glauben lassen wird. Also der Raum, von welchem du sprachst, war mit Schmuggelwaren angefüllt?«

»Vollständig angefüllt, und zwar so, daß kaum genug Platz blieb, sich zwischen ihnen zu bewegen. Der Säfir befahl, rundum zu leuchten, und da sahen wir eine Menge der sehr mühselig und kostspielig herzustellenden Kalämkar-Gewebe, deren Farben mit Sakkes-Harz fixiert werden. Ferner kostbare Shawls aus Murgus-Wolle und herrliche Färschha aus Farahan bei Kirmanschah, geflammte Seide und wellige Charah und palmendurchwebte Shawls abrischum. Auch sah ich große Ballen von Saghri, Tscherme hamadani und Puste buchara. Hierauf wurden wir durch noch drei andere Räume geführt, in denen ähnliche Waren aufbewahrt wurden, auch andere Dinge wie Haschisch, Opium, Gewürze, Rosenöl und Arsenik aus Kaswin, für Konstantinopel bestimmt. Es wurde uns auch Lapis lazuli aus Turkestan gezeigt und Diamanten, welche in Ispahan und Schiras geschliffen worden waren, und eine ganze Menge Baras, Schirbam und Maden-i-Nau, welche an sich ein Vermögen ausmachten.«

»Wozu hat man dir, dem obersten Zollbeamten, dem man es doch hätte verheimlichen sollen, das alles gezeigt? Es giebt nur einen Grund, nämlich den, daß man dich in Versuchung führen und ins heimliche Einvernehmen mit den Schmugglern bringen wollte. Wenn du dich verlocken ließest, darauf einzugehen, konnten sie natürlich noch weit bessere Geschäfte machen als bisher.«

»Ja, das war der Zweck. Der Säfir machte mir den Vorschlag, seine Gesellschaft zu begünstigen, und bot mir dafür eine jährlich zu zahlende Summe an, welche so beträchtlich war, daß ein anderer sich sehr wahrscheinlich hätte verleiten lassen; ich aber sagte ihm kurz, daß ich weder ein Verbrecher sei noch einer werden wolle. Hierauf zeigte er mir Geld, sehr viel Geld und sagte, er werde mir die erste Jahressumme gleich heut auszahlen und mir auch meine Anweisung zurückgeben, da er mich als seinen Verbündeten dann doch nicht berauben könne. Ich blieb aber fest. Da ergrimmte er und sagte:

»Du hältst die Gefahr, in welcher du dich befindest, wahrscheinlich nicht für so groß, wie sie in Wirklichkeit ist. Es handelt sich um euer Leben. Ihr kennt unser Versteck und habt alles gesehen, was sich darin befindet; folglich kann nur euer Tod uns die Sicherheit bieten, auf welche wir nicht verzichten dürfen. Ich gebe dir noch Zeit zum Ueberlegen. Ich schicke jetzt einen Boten mit deiner Anweisung nach Bagdad. Wird sie nicht bezahlt, bist du auf alle Fälle verloren; bekommen wir das Geld, so werde ich noch einmal mit dir reden.«

»Als er diese Drohung ausgesprochen hatte, wurden wir wieder gebunden wie vorher und dann eingesperrt, ohne daß man uns mit Wasser oder einer Speise versah.«

»Du vergissest, den Ort zu sagen, an welchen man euch brachte. Auch hast du von noch drei Räumen gesprochen, ohne zu erwähnen, in welcher Weise sie zusammenhingen und wie ihr aus dem einen in den andern gelangt seid.«

»Durch Thüröffnungen, welche mit Teppichen verhängt waren.«

»Es gab also keinen verborgenen Mechanismus, durch welchen etwaigen Eindringlingen der Zugang unmöglich gemacht wurde?«

»Nein.«

»So handelt es sich also nur um zwei verborgene Stellen, nämlich um den äußern Eingang und um die unter den Stricken versteckte Treppenöffnung. Wie lagen die drei Räume zu dem ersten?«

»Von ihm aus kam man in den mittleren, neben welchem rechts und links die beiden andern lagen. Dem ersten gegenüber stieß an das mittlere das Gefängnis, in welches wir eingesperrt wurden.«

»War dies klein?«

»Nein, sondern ebenso groß, wie die andern vier Uwad waren.«

»Also bildeten diese fünf Uwad eine ganz regelmäßige Figur von gleichgroßen Vierecken, welche in Form eines Kreuzes aneinander stießen?«

»Ja; ich will es dir zeigen.«

Er nahm den Tschibuk wieder in die Hand und zeichnete mit der Spitze desselben die nebenstehende Figur vor sich hin.

5

2 3 4

1

Dann fuhr er fort:

»Zu Nummer Eins führt die Treppe hinab; von da gingen wir nach Drei, Vier und Zwei, und dann wurden wir wieder gebunden und nach Fünf geschafft, wo wir bewegungslos wie Warenballen liegen mußten.«

»Im Finstern natürlich?«

»Ja; doch so lange sie mit den Lampen bei uns waren, konnten wir uns umschauen, sahen aber nichts als kahle Mauern, auch aus Ziegelstein, und auf dem Boden unten einen kleinen Haufen Erde in der Ecke links.«

»Bestand denn der Boden aus Erde?«

»Nein, sondern aus Ziegeln.«

»So ist dieses Häufchen Erde merkwürdig, oder wenigstens will ich sagen, daß es, wenn ich an deiner Stelle gewesen wäre, meine Aufmerksamkeit erregt hätte.«

»Etwa wegen der Kanafid, welche später kamen? Das sind ja ganz friedliche Tiere, welche keinem Menschen etwas thun.«

»Kanafid? Ah, ihr habt Stachelschweine in diesem Raume gehabt?«

»Ja. Als wir, wie uns deuchte, wohl eine ganze Ewigkeit gelegen hatten, hörten wir ein leises Geräusch; dann rasselte es, wie wenn dünne Stäbe zusammenklingen, und dann jagten sich einige Tiere hin und her. Wir wußten erst nicht, was für welche es waren, aber als wir dann die eigentümlichen grunzenden Töne hörten, welche das Kumfud im Zorne auszustoßen pflegt, da erkannten wir, daß es Kanafid seien.«

»Merkwürdig, höchst merkwürdig!«

»Warum?«

»Siehst du das nicht ein? Zunächst ist es seltsam, daß sich diese sonst so scheuen Tiere in eure unmittelbare Nähe gewagt haben; das erklärt sich aber dadurch, daß vielleicht Frühling war, ihre Paarungszeit, in welcher ihr Gesellungstrieb jawohl einmal stärker als ihre angeborene Furchtsamkeit sein kann. Viel auffälliger aber ist der Umstand, daß sie sich in dieser aus Ziegeln gemauerten Kammer befunden haben. Die Stachelschweine graben oft sehr lange Gänge; aber durch feste Ziegel können sie wohl kaum. Entweder handelt es sich da um eine Lage zerfallener Luftziegel in der Mauer oder gar um einen verschütteten Ausgang in das Freie, der euch freilich nichts nützen konnte, weil ihr gefesselt waret. Wichtiger für mich, wenigstens jetzt, ist die Frage, in welcher Weise eure Kammer von Nummer Drei abgeschlossen wurde. Gefangene pflegt man doch nicht durch eine Teppichthür zu verwahren!«

»Was das betrifft, so war den Schmugglern eine solche Unvorsichtigkeit auch gar nicht in den Sinn gekommen. Sie hatten einen Vorhang herabgelassen, welcher aus starken Drahtstäben bestand und nach Belieben auf- und niedergerollt und gut befestigt werden konnte. Selbst wenn wir nicht gebunden gewesen wären, und unsere Messer bei uns gehabt hätten, wäre es uns nicht gelungen, diese Stäbe zu zerschneiden.«

»Das Vorhandensein dieses festen Rollenvorhanges läßt darauf schließen, daß die Kammer schon vor euch Gefangene aufgenommen hat. Erzähle weiter!«

»Es schien uns, wie gesagt, fast eine Ewigkeit zu sein,« fuhr er fort, »bis wir die Drahtstäbe rasseln hörten, und wieder Licht sahen. Der Säfir kam, mit ihm dieselben Männer, welche schon vorher dagewesen waren. Er hatte, wie er uns mitteilte, das Geld bekommen. Dies schien ihn zur Milde gestimmt zu haben, denn er trat viel weniger barsch als früher auf. Er fragte zwar, ob ich mich eines Bessern besonnen hätte, nahm aber meine abweisende Antwort ohne den frühern Zorn ruhig hin und sagte in gelassenem, wenn auch trotzdem sehr entschiedenem Tone:

»Mit dieser Weigerung hast du dein Urteil selbst gefällt. Ich muß dafür sorgen, daß du uns nicht schaden kannst. Wir ahnten, daß du den Vorschlag zurückweisen würdest, der Unserige zu werden, und in diesem Falle war dein Tod beschlossen. Man hat aber für dich gebeten; wer das gewesen ist, das brauchst du nicht zu wissen; ich habe dem Betreffenden Schonung deines Lebens zugesagt, falls du bereit bist, uns in anderer Weise sicher zu stellen. Höre also, was ich dir jetzt sage! Gehst du darauf ein, so erhaltet ihr die Freiheit wieder; wenn nicht, so werdet ihr schon die nächste Stunde nicht überleben. Also: ihr schwört mit einem Eide, den ich euch vorsagen werde, daß ihr diesen Ort hier keinem Menschen verraten werdet, und du giebst, sobald du nach Bagdad zurückgekehrt bist, deine Stellung auf. Thust du dies nicht sofort, so verfallt ihr in kürzester Zeit unserer Rache. Und wird dieses Versteck hier früher oder später einmal in irgend einer Weise entdeckt, die uns auch bloß nur ahnen läßt, daß ihr nicht schweigsam wie das Grab gewesen seid, sondern euern Eid gebrochen habt, so steht euch der martervollste, grauenhafteste Tod bevor. Auch darfst du, solange du lebst, Bagdad niemals verlassen, damit du unserer Rache nicht entrinnen kannst. Wir werden dich stets beobachten und dich, selbst wenn du noch hundert Jahre lebtest, niemals aus den Augen lassen. Du würdest bei der geringsten Vorkehrung zur Abreise verloren sein! – Das war es, was der Säfir von mir verlangte, Effendi. Was hättest du an meiner Stelle gethan?«

»Jedenfalls nicht, was du gethan hast,« antwortete ich. »Er hätte mich wahrscheinlich gar nicht mehr im Gefängnisse vorgefunden. Doch darauf kommt es jetzt auch gar nicht an. Ihr habt den Eid geschworen und seid entlassen worden, worauf du dann nach Bagdad zurückgekehrt bist und dein Amt niedergelegt hast.«

»Ja, so ist es. Ich weiß wirklich nicht, was ich sonst hätte thun sollen oder thun können. Wenn wir uns weigerten, das zu thun, was man von uns verlangte, so war uns der Tod gewiß. Zwar hatte das Leben schon längst keinen eigentlichen Wert mehr für mich; aber es handelte sich nicht allein um mich, sondern auch um Kepek, den Treuen, und da das Leben doch immerhin etwas ist, so ging ich auf die Bedingungen des Säfir ein. Wir mußten schwören und wurden dann gleich von den Fesseln befreit und hinauf in den Gang und hinaus vor den Turm geschafft.«

»Des Nachts natürlich?«

»O nein; es war am hellen Tage.«

»Wirklich? Welche Unvorsichtigkeit von dem Säfir!«

»Warum Unvorsichtigkeit?«

»Weil ihr da sehen konntet, was man euch bisher verheimlicht hatte, nämlich den Eingang, seine Lage und wie er geöffnet und verschlossen werden konnte.«

»Das haben wir freilich alles gesehen. Der Säfir stand dabei und sagte:

»Daß ich das nicht als ein Geheimnis für euch betrachte, mag euch zeigen, wie fest und sicher ich euch in meinen Händen halte. Ja, ich habe sogar eine ganz besondere Absicht dabei. Nun ihr alles wißt, ist für euch die Versuchung, euern Eid zu brechen, um so größer und also euer Tod um so sicherer.«

»Uebrigens, was den heimlichen Eingang betrifft, so würden wir ihn jedenfalls nicht finden, und wenn wir noch solange suchten, denn wir haben uns die Striche nicht gemerkt, mit denen der kleine Ziegel gezeichnet war, den man erst entfernen muß, ehe sich die größeren bewegen lassen.«

Ich horchte auf, als der Bimbaschi dies sagte. Er hatte geschworen, nichts zu verraten, und ahnte nicht, daß er mir mit diesen Worten alles offenbart hatte. Die Ziegel des Birs Nimrud tragen Keilinschriften; er hatte aber nicht von Keilen, sondern von ›Strichen‹ gesprochen, und dieser Ausdruck lenkte meine Aufmerksamkeit auf einen Umstand, dem ich bisher keine Beachtung geschenkt hatte, weil ich ihn für nur zufällig und also ganz bedeutungslos hielt. Nämlich das Pergament des Pädär-i-Baharat hatte, wie man weiß, eine Zeichnung enthalten, deren Bedeutung ich damals nicht verstand; aber als der Bimbaschi den Weg zur Höhe des Birs Nimrud beschrieb, trat sie mir ganz plötzlich wieder klar vor die Augen, und ich erkannte zu meinem Erstaunen, daß die Striche, aus denen sie bestand, den Pfad nach dem Verstecke der Schmuggler verdeutlichen sollten. Und nun er jetzt ›Striche‹ anstatt ›Keile‹ sagte, fiel mir ein, daß ich unter der Zeichnung Striche bemerkt hatte, die mir aber nicht sehr aufgefallen waren. Sie sahen aus wie Kommata, wie man sie macht, wenn man eine Schreibfeder probiert oder ihren Schnabel auf das Papier drückt, um ihn elastischer zu machen oder auch um ein Härchen, welches dazwischen geraten ist, zu entfernen. Ich hatte die Zeichnung kopiert, aber diese Striche nicht, doch besitze ich glücklicherweise ein außerordentliches Gedächtnis, welches oft, als ob es von meinem Willen ganz unabhängig sei, Gegenstände und Vorgänge festhält, die mir unendlich gleichgültig waren, und sie mir plötzlich ganz deutlich wiederzeigt, sobald meine Gedanken durch die Association der Ideen zu dem betreffenen Orts- oder Zeitpunkt zurückgeführt werden. Ganz so geschah es auch jetzt. Kaum hatte der Bimbaschi das Wort ›Striche‹ ausgesprochen, so standen diese Striche, die vermeintlichen Kommata auf jenem Pergamente, so deutlich und bestimmt vor meinem geistigen Auge, daß ich nicht nur ihre Zahl, sondern sogar ihre verschiedene Größe und gegenseitige Lage klar vor mir hatte. Das waren nicht Kommata, sondern Keile, also Worte in Keilschrift, und zwar in einfacher babylonischer Keilschrift, und während ich auf das, was der Bimbaschi weiter sagte, gar nicht hörte, übersetzte ich die Keile in folgende Worte: »romen ‚a. Illai in tat kabad bad ‚a. Illai – –«.Das heißt wörtlich zu deutsch: »darbringen dem höchsten Gotte mit der Absicht allein zur Pracht des höchsten Gottes – –«

Es war das also nur das Bruchstück eines Satzes, jedenfalls der noch erkennbare Teil der Inschrift des betreffenden Steines, während die andern Zeichen unlesbar geworden waren. Aber hier kam es ja auch gar nicht auf die Entzifferung der ganzen, ursprünglich vorhandenen Inschrift an, sondern darauf, dieses übriggebliebene Bruchstück festzuhalten, weil nur mit dessen Hilfe der betreffende Stein zu erkennen war. Und selbst wenn man die Inschrift genau kannte, hatte es, falls man noch nicht dort gewesen war, seine Schwierigkeiten, ihn zu entdecken, denn diese Steine haben nur die Größe eines alten babylonischen Fußes im Quadrat. Diesem Gedanken, ohne auf den noch sprechenden Bimbaschi zu achten, weiter folgend, fragte ich ihn plötzlich:

»Giebt es in der Nähe des Steines mit den Strichen auch noch andere Steine, welche so gezeichnet sind?«

»Das weiß ich nicht mehr,« antwortete er. »Aber wie kommst du zu dieser Frage? Ich rede von etwas ganz anderem, und du unterbrichst mich mit diesem Steine! Ich glaube, du hast gar nicht gehört, was ich sagte!«

»Wahrscheinlich. Ich dachte nämlich darüber nach, ob man vielleicht doch einen – – –«

»Denke nicht nach; ich bitte dich!« fiel er mir nun seinerseits in die Rede. »Ich habe dir erzählt, was ich erzählen durfte, weil ich weiß, du bist verschwiegen; mehr aber darf ich nicht sagen. Du weißt, daß ich das Geheimnis nicht verraten darf, denn der Tod würde die unausbleibliche Strafe sein.«

»So glaubst du wohl, daß du auch jetzt noch beobachtet wirst?«

»Ja.«

»Dann weiß man vielleicht, daß ich bei dir bin?«

»Mag man es wissen! Ich wüßte nicht, aus welchem Grunde mir dies Schaden bringen könnte. Dich geht die hiesige Schmuggelei doch gar nichts an.«

»Was war, während ihr euch gefangen im Birs befandet, aus den Zollbeamten geworden, welche du mitgebracht hattest?«

»Die hatten in Hilleh vergeblich auf mich gewartet und mich dann ebenso vergeblich gesucht. Da waren sie, ohne sich weiter um mich zu sorgen, wieder nach Bagdad zurückgekehrt. Wenn du glaubst, hier im Oriente dieselbe Anhänglichkeit zu finden wie im Abendland, so irrst du dich. Uebrigens bekamen wir von dem Säfir unsere Pferde und Waffen wieder und ritten zunächst nach Hilleh, um uns satt zu essen und zu trinken, denn wir waren über drei Tage im Turme gewesen. Sofort nach meiner Ankunft in Bagdad meldete ich mich beim Pascha krank, bat um meine Entlassung und wurde nicht eher wieder gesund, als bis mein Nachfolger meine Stelle angetreten hatte. Man setzte mir eine leider sehr kärgliche Pension aus, von welcher wir bisher gelebt haben, und wenn ich dir sage, daß wir seit jener Zeit noch kein einzigesmal ein Mittagessen gehabt haben, wie das heutige war, so genügt das wohl zum Verständnis unserer Lage. Es giebt Gegenden, in denen ich, der dortigen Billigkeit wegen, besser leben könnte als hier in dem teuren Bagdad; aber ich darf ja nicht fort; mein Leben steht auf dem Spiele.«

»So hast du keinen Versuch gewagt, Bagdad zu verlassen?«

»Nein. Wie hätte ich auch nur den Gedanken dazu fassen können! Wir sind hier Gefangene wie damals im Birs Nimrud. Wir sehnen uns von ganzem Herzen fort und fühlen uns doch für das ganze Leben angekettet. Das erzwungene Leben in diesen Banden ekelt mich an. Ich bin menschenscheu geworden und habe mich zurückgezogen. Wenn nur das geringste dort am Turm von Babel passiert, wenn das Wetter einen Stein abbröckelt oder etwas Aehnliches geschieht, kann man denken, ich habe einen Versuch gemacht, dort einzudringen. Ich sehe den Dolch des Mörders an einem Haare über mir hängen und zucke bei jedem ungewöhnlichen Geräusch zusammen, als ob ich hörte, daß er die für mich bestimmte Kugel in den Lauf seines Gewehres stößt. Ich esse nichts aus fremder Hand, denn es könnte für mich vergiftet sein; ich genieße nur die Reste des Mahles, von welchem der Onbaschi vorher gegessen hat. Ich möchte sterben, nur um dieses von Furcht und Angst erfüllte Leben loszuwerden; ich möchte tot sein, tot, und doch fürchte ich den Tod, denn es giebt eine Stimme in meinem Innern, welche mir fort und fort zuruft, daß ich noch nicht sterben dürfe, weil es noch einen mir unbekannten Zweck meines Lebensrestes, meiner letzten Lebenstage gebe. Ich bin unglücklich, unbeschreiblich unglücklich; das kannst du mir glauben, Effendi!«

Wie dauerte mich der alte Mann! Jetzt kam er mir gar nicht mehr so wunderlich vor wie vorher. Die Angst hatte seinen Charakter zerfressen, seine Thatkraft gelähmt und ihn zum Schmetterling gemacht, der vor jedem auf ihn fallenden Schatten wie vor einem Todfeind flieht. Wie herzlich gönnte ich ihm die Erlösung von diesem Leiden. Wären seine Feinde, der Säfir und die andern, zu fassen gewesen, ich hätte gern mein Leben eingesetzt, um gegen sie für diesen schwergeprüften Mann zu kämpfen. Aber er hatte außerdem noch Feinde, und diese lebten nicht am Birs Nimrud, nicht in der Wüste, nicht in dem Grenzgebiete zwischen Irak Arabi und Persien, sondern in seinem Innern.

»Ja, du bist unglücklich, unglücklicher noch, als du denkst,« sagte ich. »Du fürchtest den Tod; du fürchtest für dein Leben; aber du bist schon längst tot; du lebst schon seit langer Zeit nicht mehr!«

»Wie meinst du das?« fragte er.

»Deine Seele ist ein Kabr, in welchem dein Glaube, deine Zuversicht, dein Gottvertrauen begraben liegen. Wer keinen Gott besitzt, hat auch das Leben nicht; wer aber weiß, daß er unter dem Schirm des Allmächtigen steht, den ficht keine Angst und kein Bangen an, der fürchtet keinen Feind und keinen Widersacher, denn alle menschlichen Anschläge müssen zu Schanden werden vor dem Willen dessen, ohne den kein Wassertropfen verdunstet und kein Sonnenstäubchen zur Erde fällt.«

»Du hast gut predigen; dir droht keine Mörderhand!«

»Meinst du? Wüßtest du, wie oft sich solche Hände gegen mich ausgestreckt haben, von mir gesehen oder oft auch hinterrücks! Es haben Menschen, die ich gar nicht kannte oder noch schlimmer, die ich für Freunde hielt, mir nach dem Leben getrachtet; der Tod hat nahe vor mir, neben oder hinter mir gestanden, ohne daß ich es ahnte. Das ist schlimmer und viel, viel gefährlicher, als wenn man, wie du, die Personen kennt, vor denen man sich zu hüten hat. Du sagst, daß mir kein Mörder drohe, und ich sage dir, daß es hier Leute giebt, welche nach meinem Blute förmlich lechzen. Aber siehst du etwa, daß ich Besorgnis hege? Diese Menschen, welche mich verfolgen, können mir nichts anhaben, weil ich unter einem Schutze stehe, gegen den ihre Kraft der Dabbuhr gleicht, welche sich einbildet, in die Höhe steigen und mit ihrem Stachel den Nisr durchbohren zu können.«

»Das werden gewöhnliche Menschen sein; mein Feind aber ist der Säfir, der mächtige Anführer einer Bande von Verbrechern, gegen deren Anschläge selbst der Pascha von Bagdad nicht aufzukommen vermag.«

»Du täuschest dich. Der, welcher mir hier in Bagdad nach dem Leben trachtet, ist wahrscheinlich ebenso mächtig oder, wenigstens in dieser Gegend, noch mächtiger als der Säfir. Denn weil Säfir ›Gesandter‹ heißt, befindet er sich jedenfalls nur zeitweilig und vorübergehend hier. Ich vermute sogar, daß beide einander kennen, daß beide Freunde und ganz gleichwertige Halunken sind.«

»Was sagst du? Dir und mir trachten zwei Menschen nach dem Leben, welche Freunde sind?«

»Ja.«

»Ist dein Gegner auch Schmuggler?«

»Vielleicht gar etwas Schlimmeres.«

»Wer ist er, und wie heißt er?«

»Hast du einmal den Namen Sill gehört?«

»Das ist ein persischer Ausdruck, welcher soviel wie ›Schatten‹ bedeutet.«

»Ich spreche von diesem Worte als einem Namen, nicht als einem Ausdruck.«

»Da kenne ich ihn nicht.«

»So sei froh! Wie der Schatten nie vom Menschen läßt, so läßt auch der Sill den nicht los, hinter dessen Ferse er mit gezücktem Messer schreitet.«

»Und so einen Sill hast du hinter dir?«

»Mehrere; ihr Anführer ist, wie ich vielleicht mit Recht vermute, ein Freund und Verbündeter deines Säfir, und es würde mich gar nicht wundern, wenn ich bei einer Begegnung mit dem einen auch den andern mit vor meine Fäuste bekäme. Es würde mich herzlich freuen, wenn mir da die Freude würde, die freundliche Zuneigung, welche der Säfir bisher dir gewidmet hat, auf mich zu lenken, denn ich denke, daß ich schnell mit ihm fertig würde.«

»Effendi, du hast sehr viel Selbstvertrauen, vielleicht zu viel!«

»Das glaube nicht! Wer sich mehr zutraut, als er kann, der ist ein eingebildeter Mann; wer sich aber weniger zutraut, als er kann, der ist ein schlechter Mann. Ich bilde mir nichts ein, will aber auch kein schlechter Mann sein. Man muß sich genau kennen, und diese Selbstkenntnis ist freilich nicht leicht zu erlangen; man erwirbt sie durch den Kampf mit widerwärtigen Verhältnissen, mit feindlichen Personen und – und das nicht zum wenigsten – im Kampfe mit sich selbst. Je kaltblütiger man sich dabei verhält, desto leichter und schneller wird man Sieger und desto sicherer gelangt man zur Erkenntnis seiner selbst. Hat man diese aber einmal erworben, so kann man seine eigne Kraft getrost mit den Kräften anderer vergleichen und dann nach dem Ergebnisse dieser Vergleichung handeln. Wer beim berechtigten selbstbewußten Worte eines andern die Nase rümpft und von Hochmut spricht, der kennt den hohen Wert des Selbstvertrauens nicht, weil er selbst kein wahres Vertrauen zu sich hat, obgleich er wohl im stillen oder auch lauter von sich sagt, er sei ein tüchtiger Kerl.«

»Das war eine Rede, die du nicht dir, sondern mir gehalten hast, Effendi; das weiß ich wohl. Aber ich bin ein alter Mann; du bist noch jung, und dir wurden nicht die, welche dir die Liebsten auf Erden waren, durch den blutigen Mord aus den Armen gerissen.«

»Ich habe trotzdem soviel wie du, ja vielleicht noch mehr verloren; aber wem der Herrgott in seiner Weisheit nimmt, dem giebt er doppelt wieder. Freilich, wer es nicht versteht, die Hand darnach auszustrecken und zuzugreifen, der wird nicht von dem reichen Ersatze und der Heilung aller seiner Wunden reden können. Und wenn du klagst, daß dir alle deine Lieben durch den Tod entrissen worden seien, so frage ich dich- Kannst du denn wirklich, wirklich und wirklich behaupten, daß sie tot sind?«

»Effendi!« fuhr er auf. »Willst du mit meinem Herzen, mit meinem Grame ein grausames Spiel treiben?«

»Nein. Vor einem solchen Beginnen möge mich Gott behüten! Denke nicht, daß ich dir diesen Gedanken in frevlem Leichtsinne in die Seele werfe! Ich weiß gar wohl, was ich thue! Indem ich jetzt zu dir rede, ist jedes Wort vorher bedacht und hat darum ein schweres Gewicht.«

»Aber wie kommst du dazu, meine Toten zu den Lebenden zu zählen?«

»Habe ich das gethan?«

»Ja.«

»Nein. Ich habe nur gefragt, ob du behaupten, also beweisen kannst, daß sie wirklich tot sind. Kannst du das?«

»Ja und – – – doch auch nein.«

»Nicht ja, sondern bloß nein! Hast du ihre Leichen gesehen?«

»Nein.«

»Ueberreste ihrer Körper gefunden?«

»Nein.«

»Sprachst du mit Leuten, welche vollgültige Zeugen ihres Todes waren?«

»Wieder nein. Man erzählte mir von der Ermordung, aber niemand war selbst dabei gewesen; niemand hatte die That mit eigenen Augen gesehen.«

»Und doch glaubst du so fest daran? Ich an deiner Stelle hätte nach unumstößlichen Beweisen gesucht!«

»Effendi, treib mich nicht zur Selbstanklage! Mach mir das Herz nicht noch schwerer, als es während aller dieser Jahre war und auch heut noch ist!«

»Ich möchte es dir im Gegenteile erleichtern. Du hast uns jene Ereignisse in Damaskus nur ganz kurz erzählt. Denke nach! Es werden sich in dem bisher herrschenden Dunkel Stellen finden, welche lichter sind und dir vielleicht Grund zur Hoffnung bieten. Hast du denn wirklich noch gar nie nachgedacht, sondern alles als so selbstverständlich und für immer abgeschlossen hingenommen?«

»Oh, ich will dir doch gestehen, daß es Stunden gegeben hat, in denen ich an der Wahrheit dessen, was ich bisher für unumstößlich hielt, zweifeln wollte; aber wie sehr ich mich dann auch bemühte, einen einzigen Grund zu finden, der meinem Anker einen Halt bieten könnte, immer kehrte dieser, mir meinen Kummer wiederbringend, vergeblich aus der Tiefe zurück.«

»So wirf ihn nur von neuem aus!«

»Das nützt mir nichts! Sag doch selbst: Würden die Meinen, wenn sie nicht tot wären, mir nicht ein Zeichen ihres Lebens geben?«

»Sie können es nicht, weil sie nicht wissen, wo du bist.«

»Sie hätten forschen müssen, bis sie mich fanden!«

»Wahrscheinlich haben sie das gethan; aber du mußt bedenken, daß du nichts von dir hören lassen durftest. Wie sollten sie dich da finden?«

»Das ist wahr, Effendi.«

»Vielleicht haben sie auch gar nicht nach dir geforscht, weil sie dich für tot hielten. Sie mußten doch erfahren, daß du erschossen worden seist!«

»Sie konnten von den Soldaten, welche mich geschont hatten, das Gegenteil erfahren!«

»Hätten diese davon sprechen dürfen?«

»Zu meinem Weibe und ihren Eltern? Jedenfalls, denn diese hätten nichts verraten.«

»Aber wie kannst du denken, daß die Deinen auf den Gedanken hätten kommen sollen, zu den Angehörigen deiner Kompagnie zu gehen, um zu fragen, ob man, um dich zu retten, vielleicht nicht auf dich gezielt habe! Und wenn ihnen Gott selbst diesen Gedanken eingegeben hätte, so wußten sie doch nicht, welche Soldaten es waren, die man zu eurer Exekution kommandiert hatte. Sie hätten sich hin und her erkundigen müssen, und das wäre aufgefallen und hätte Argwohn erregt. Bedenke das!«

»Daran habe ich allerdings noch nicht gedacht!«

»Du hast die Ansicht gehabt, daß sie ermordet worden seien; ich aber will einmal annehmen, dies sei nicht wahr. In diesem Falle sind sie vor dem Pöbel geflohen, welcher die Schiiten ebenso wie die Christen bedrohte. Als die Straße, in welcher sie wohnten, geplündert und niedergebrannt wurde, befanden sie sich bereits in Sicherheit, vielleicht außerhalb der Stadt; es ist auch möglich, daß sie unter den Tausenden waren, welche Abd el Kader in das Kastell und in sein Haus rettete. Im ersteren Falle durften sie sich nicht eher in die Stadt zurückwagen, und im letzteren Falle konnten sie das Kastell oder das Haus des Algierers nicht eher verlassen, als bis wieder Ruhe eingetreten war; da aber warst du schon tot, das heißt, offiziell erschossen und begraben. Als sie sich wieder sehen lassen durften, erfuhren sie das. Es gab für sie keine Ahnung einer Ursache, an deiner Hinrichtung zu zweifeln; sie mußten sie als vollendetes Faktum hinnehmen. Siehst du das nicht ein?«

»Effendi, wenn du in dieser Weise sprichst, ist es mir unmöglich, dir ein Wort zu widerlegen.«

»Also weiter! Hätten sie etwa um Oeffnung des Grabes bitten sollen, um nachzuschauen, ob du auch wirklich drin liegest? Selbst wenn sie auf diese kühne Idee gekommen wären, man hätte sie wenigstens ausgelacht oder gar noch Schlimmeres gethan. Nein, die Angelegenheit ist so einfach wie nur möglich verlaufen: Sie erfuhren deinen Tod; sie haben aufrichtig und tief um dich getrauert, was sie vielleicht heut noch thun, und dann – – – was denkst du wohl, was sie dann gethan haben werden?«

»Das kann ich nicht wissen.«

»Wissen nicht, aber vermuten. Du hast ja erzählt, was viele, viele der Geretteten thaten, als sie sich wieder öffentlich zeigen durften.«

»Sie zogen von Damaskus fort.«

»Richtig. Sie trauten der erzwungenen Ruhe nicht, welcher leicht ein neues und noch größeres Blutbad folgen konnte. Warum soll grad dein Schwiegervater sich sicherer gefühlt haben als andere Schiiten oder Christen?«

Der Bimbaschi rückte höchst unruhig auf seinem Sitze hin und her. Es war geradezu zum Verwundern, daß er noch nie dieselben Gedanken wie jetzt ich gehabt hatte. Endlich antwortete er:

»Höre, Effendi, jetzt glaube ich selbst, daß der Vater meiner Frau, falls sie nicht umgebracht worden sind, nicht länger, als umumgänglich nötig war, in Damaskus geblieben ist.«

»Und meinst du, daß er es fertig gebracht hätte, nur allein seine Frau mitzunehmen?«

»Nein; er hat auf alle Fälle mein Weib und meine Kinder mitgenommen.«

»Aber wohin?«

»Wer kann das wissen!«

»Ich sage wieder wie vorhin: Man kann es nicht wissen, aber doch vermuten. Denke nach!«

»Hm! Ich an seiner Stelle wäre unbedingt nach Beirut gezogen.«

»Warum?«

»Weil er vorher dort gewohnt hatte und glücklich gewesen war.«

»Aber ich an seiner Stelle hätte das nicht gethan!«

»Aus welchem Grunde?«

»Weil der Aufstand gegen die Andersgläubigen grad im und am Libanon begonnen und dort die weitesten Kreise gezogen hatte. Die Ruhe war nur infolge des Zwanges eingetreten. Beirut liegt inmitten dieses gefährlichen Gebietes. Brach die Empörung von neuem aus, so war mit Sicherheit anzunehmen, daß sie wieder grad hier beginnen werde. Hat nun der Vater deines Weibes Damaskus aus Besorgnis, daß sich das Blutbad wiederholen werde, verlassen, so wird er doch nicht grad dahin gezogen sein, wo das neue Unheil am ehesten zu erwarten war.«

»Effendi, ich bemerke etwas wie Allwissenheit an dir!«

»Uebertreibe nicht! Nur einer ist allwissend, und den kennst auch du, obgleich du nicht an ihn glaubst. Ich ziehe nur den einfachen, gesunden Menschenverstand zu Rate und hole aus den klar daliegenden Thatsachen ebenso einfach meine Schlüsse. Das kann ein jeder thun, der seine Gedanken nicht ohne Aufsicht spazieren gehen läßt.«

»Aber sag, wohin er sich gewendet haben soll, wenn er nicht nach Beirut gegangen ist?«

»Kannst du das nicht raten?«

»Nein.«

»O Bimbaschi, wie muß ich mich da über dich wundern!«

»Daj ko katu! Da giebt’s gar nichts zu wundern! Du magst es zugeben oder nicht, zum Erraten solcher Dinge gehört doch ein kleines Stückchen Allwissenheit, wenn auch nur ein winziges, ganz winziges Teilchen davon. Berechnen kann jeder etwas, denn er hat die Zahlen oder Ziffern dazu; was aber hat er, wenn er raten Soll, nur raten?«

»So wollen wir es nicht raten, sondern berechnen nennen. Wir haben hier ja auch Ziffern oder Zahlen, wenn diese auch nicht in Einheiten, Mehrheiten oder Nullen, sondern in Thatsachen bestehen.«

»Du wirst gelehrt, Effendi. Das verstehe ich nicht.«

»Du wirst es sofort begreifen, wenn ich dir ein Beispiel gebe. Du fühlst dich hier unglücklich und möchtest gern fort. Wenn du das könntest und nichts, aber auch gar nichts dich hinderte, deine Schritte dorthin zu lenken, wohin du gehen möchtest, welchen Ort, welche Stadt, welche Gegend oder welches Land würdest du da wählen?«

»Welch eine Frage! Die Antwort hierauf ergiebt sich doch wohl ganz von selbst. Ich würde nach dem Leh memleketigehen, weil ich ein geborener Leh Lehli bin. Darüber kann es doch gar keinen Zweifel gehen!«

»Keinen Zweifel?« fragte ich lächelnd. »Es kann ihn freilich geben, denn du hast ganz denselben Zweifel soeben noch in Beziehung deines Schwiegervaters gehegt.«

»Ich?« fragte er erstaunt.

»Ja.«

»Wieso?«

»Du befandest dich in Zweifel darüber, nach welcher Gegend oder welchem Lande er sich gewendet hat.«

»Maschallah! Ja, das ist wirklich ein Wunder! Effendi, wie du mich zu fangen verstehst!«

»Nun, was sagst du jetzt?«

»Er ist nach Persien gegangen; ja, er konnte nur nach Persien gehen, weil er ein geborener Perser ist. Das Unglück, welches er in der Fremde, im Auslande erlebte, muß ihn dahin getrieben haben, wohin es das Herz des Menschen bis an das Ende seines Lebens immer und immer wieder zieht, nämlich nach seinem Vaterlande. Ist auch dir dieser Zug nach der Heimat bekannt?«

»Jetzt möchte nun ich ausrufen wie vorhin du: Welch eine Frage! Ich war es doch wohl, der dich auf Polen aufmerksam machte, damit du Persien raten solltest. Kann mir da die nie endende Anhänglichkeit des Menschen an die Stätte, wo seine Eltern gewohnt haben, unbekannt sein?«

»Nein; meine Frage war ganz unnötig. Also nach Persien! Und ich wohne schon so lange Zeit und so nahe an der Grenze dieses Landes, ohne auf den Gedanken gekommen zu sein, den du mir jetzt eingegeben hast. Wie hätte ich forschen können, zwar nicht selbst, aber durch andere Leute, denn ich durfte nicht von hier weg! Vielleicht hätte ich die gefunden, welche ich für verloren hielt. O Effendi, was habe ich versäumt! Ich bin ganz, ganz untröstlich darüber!«

»Beruhige dich!«

»Beruhigen? Das kannst nur du sagen, der du nicht weißt, was es heißt, alles verloren und nichts wiedergefunden zu haben, weil man nicht verstanden hat, an der richtigen Stelle zu suchen!«

»Beruhige dich! Wie es scheint, haben wir jetzt unsere Standpunkte vertauscht. Du hast den meinigen eingenommen und mir den deinigen überlassen.«

»Wieso?«

»Vorhin wolltest du von keiner Hoffnung etwas wissen, und ich versuchte, dir den Strahl einer solchen in das Herz fließen zu lassen. Jetzt scheint es keine Trauer, sondern bloß noch Hoffnung in dir zu geben, und ich muß dich nun wieder zu deinen früheren Zweifeln führen.«

»Thu das nicht, Effendi, thu das nicht; ich bitte dich! Du ahnst ja gar nicht, wie glücklich du mich damit gemacht hast, daß du das Blut der Meinen, welches ich für vergossen hielt, aus meinem Gedächtnisse wischtest.«

»Du irrst. Ich habe diese blutigen Spuren nicht vertilgt, denn eine solche Absicht wäre gleich einer Versündigung an dir gewesen. Es lag mir fern, bestimmte Erwartungen oder gar eine volle Ueberzeugung in dir zu erwecken, denn wenn sie sich später als Trugbilder erwiesen, so müßte dein Gram sich verdoppeln oder gar in einen tödlichen verwandeln. Ich wollte, wie ich schon sagte, dir nur einen Strahl der Hoffnung geben, der deiner starren Gleichgültigkeit gegen das Leben ein Ende machen sollte. Du aber springst sofort von einem Extrem in das andere über und nimmst als eine Gewißheit an, was nicht einmal wahrscheinlich, sondern höchstens möglich ist. Hüte dich! Ich werde dir jetzt überzeugende Gründe vorführen, daß deine Lieben ermordet worden sind.«

»Nein, nein; thue das nicht!« wehrte er ab. »Diese Gründe kenne ich alle, alle nur zu genau. Sie haben mir alle Lebensfreude getötet und selbst den geringsten Genuß des Daseins zur Unmöglichkeit gemacht. Ich verspreche dir, daß ich nicht überschwänglich denken und hoffen will. Ich gebe dir mein Wort, daß ich zwischen Hoffnung und Befürchtung gehen werde, bis die eine oder die andere zur Gewißheit wird!«

»Thue das; das ist das richtige Verhalten. Glaube mir, daß ich, indem ich dir diese Hoffnung gab, mir meiner Verantwortlichkeit voll und ganz bewußt gewesen bin; aber indem ich einer innern Stimme folgte, habe ich es gewagt. Diese Stimme hat mich noch nie getäuscht, außer wenn ich sie einmal mißverstand; sie hat mich oft, sehr oft aus schweren Gefahren geführt und mir bei der Lösung von Aufgaben beigestanden, zu der ich ohne sie zu schwach gewesen wäre. Es ist, wenn ich diese Stimme wahrnehme, als ob mein Schutzengel mit mir spräche, und indem ich sie höre und ihr gehorche, fühle ich mich selig und mein Herz gehoben wie in Engelsnähe. Als sie sich vorhin wie eine freundliche Ahnung, und doch viel heller, klarer und bestimmter als eine Ahnung, in mir bemerkbar machte, konnte ich ihr nicht widerstehen; ich mußte ihr meine Bedenken opfern und von der Möglichkeit eines Morgens nach langer, dunkler Nacht zu dir sprechen. Ich glaube nicht, daß ich diese Stimme heut falsch verstanden habe, aber ich warne dich dennoch, mehr zu erwarten, als eine bloße Möglichkeit versprechen und erfüllen kann.«

»Ich danke dir, Effendi, und werde so vorsichtig sein, wie du es wünschest; aber den Strahl, welcher schon begonnen hat, mein altes, müdes Herz zu erwärmen, den gebe ich nicht wieder her. Ich sage dir, es ist sonderbar: in keiner Kirche und in keiner Moschee habe ich die fromme, erhebende Regung gespürt, welche ich jetzt in mir auftauchen fühle. Du bist weder ein christlicher, noch ein muhammedanischer Prediger, aber deine Worte haben mir – – –«

»Verkenne dich und dein Inneres nicht selbst!« unterbrach ich ihn. »Du bist stets ein Weltkind mit nur irdischen Wünschen und Gedanken gewesen; dein Herz war für die Forderungen des Himmels so fest verschlossen, daß das Wort weder eines Wa’is noch eines Chatib es zu öffnen vermochte. Es mußten Trübsale über dich ergehen und lange, schwere Leiden deine Seele vorbereiten; dann war vorauszusehen, daß die erste Hand, welche freundlich nach dir griff, dich aus der Tiefe des Elendes und der Glaubenslosigkeit auf die erste Stufe der Erkenntnis führen werde. Daß dies grad meine Hand gewesen ist, darfst du nicht mir anrechnen; deine Zeit ist gekommen, und jeder andere, falls er fest im Glauben und treu in der Liebe war, hätte dir ganz dieselbe Gabe wie heut ich gebracht. Du ahnst noch nicht, was auf unsere jetzige Unterredung folgen wird; aber ich sage dir, es wird ein Licht aufgehen, welches du nicht auslöschen kannst, wenn du das auch wolltest. Es wird immer größer werden und schließlich dich und dein ganzes Sein und Wesen erleuchten.«

»Glaubst du das wirklich, Effendi?« fragte er, vor Ergriffenheit fast nur flüsternd.

»Ich bin überzeugt davon. Gott, den du leugnest, hat schon die verborgenste Falte deines Herzens ergriffen; es wird ihm sehr bald ganz und voll gehören. Wo seine allmächtige Liebe ihren Einzug halten will, gibt’s keinen Widerstand.«

Da sprang er auf und rief:

»Liebe, Liebe! Gieb mir mein Weib, gieb mir meine Kinder wieder, und ich will, o Liebe Gottes, an dich glauben und dich festhalten bis zum letzten Augenblick des Lebens und noch länger – länger – – länger!«

»Noch länger! Da sprichst du schon von der Ewigkeit, die du noch vor kaum einer Stunde leugnetest. Halte die Hand fest, welche sich dir heut geboten hat, um dich zu retten! Aber verlang ja nicht zu viel von ihr; stelle keine Bedingungen, denn Gott läßt nicht mit sich feilschen! Will er dir gnädig sein, so ist er es ohne Handel. Bete zu ihm, so oft du kannst, denn die Stufen des Gebetes sind es, auf denen er herniedersteigt!«

Es trat eine tiefe Stille ein, welche lange, lange währte. Die Palmenwedel flüsterten wieder; aber das klang jetzt nicht mehr wie Märchenklänge aus Tausend und eine Nacht, sondern wie ein süßes, liebe- und verheißungsvolles Mahnen: »Rufet, so werdet ihr mich finden; klopfet an, so wird euch aufgethan!« Der Bimbaschi hatte sich wieder niedergesetzt und die Hände ineinander verschlungen. Jetzt trennte er sie, reichte mir die Rechte hin, um die meinige zu drücken, und sagte:

»Weißt du, was ich jetzt gethan habe?«

»Ja. Du hast gebetet,« antwortete ich.

»Gebetet; du hast es erraten. Ich habe gebetet, aus eigenem Antriebe zum ersten, zum allererstenmal in meinem Leben gebetet! Wie oft habe ich die Beter ausgelacht oder gar bemitleidet, und nun fühle ich, daß ich es war, der Mitleid verdiente. Es ist mir, als ob ich lange, lange krank und schwach, zum Sterben krank, gelegen und eine Arznei von wunderbarer Kraft bekommen hätte, welche mir mit einem Male die verlorene Stärke und Gesundheit wiederbrachte. Seit dem Verluste meiner Familie bin ich kein Mensch gewesen; ich habe nicht gelebt; aber jetzt lebe ich, lebe wieder und sehe ein, daß Tausende, ja vielleicht Millionen dahinleben, ohne wirklich zu leben.«

»Ja, ein wirkliches Leben lebt nur der, welcher in Gott und seiner Liebe lebt. Dir war die Liebe gestorben, und an ihrer Stelle wucherten in dir der Groll, der Haß, die Rache empor. Du warfst die ganze Schuld an deinem verfehlten Dasein auf Gott, ohne zu bedenken, daß niemand schuld war als du selbst. In deiner hochmütigen Selbstgerechtigkeit hadertest du mit Gott und hieltest seine ewige, unwandelbare Gerechtigkeit für Ungerechtigkeit. Du allein warst es, der gefehlt hatte; aber es mangelte dir die Selbsterkenntnis, und so klagtest du nicht dich an, sondern den, von dem du zum Glücke geführt worden wärest, wenn du seine Gebote geachtet hättest. Du glaubtest, er habe dich vernachlässigt, obgleich du des Glückes vielleicht würdiger seist als andere Menschen. Du hast dich gegen die von ihm bestätigte Obrigkeit empört und bist, wie du selbst eingestandest, als Aufrührer im Blute gewatet; du bist um nichtiger Vorteile willen zu einem andern Glauben übergetreten und hast dadurch die heilige Lehre Christi und die fromme Ehrfurcht vor allem, was über uns erhaben ist, verleugnet; dir stand die Liebe zu den Deinen höher als die erste Verpflichtung des Menschen, himmelan zu streben, und bis zum heutigen Tage hat dich nur der Kummer um dein irdisches Unglück und die Sehnsucht nach irdischem Wohlergehen beschäftigt, nicht aber der Gram um die Umnachtung deiner Seele und die Besorgnis um dein ewiges Heil. Du hast dich vor dem Strahle der Sonne versteckt und wunderst dich darüber, daß du frierst; du hast das Wasser des Lebens verschmäht und bist erzürnt darüber, daß du dürstest; du hast dir die Thore des Glückes verschlossen und ballst in kindischem Trotz und Unverstand die Faust gegen den Vater, der sie offen für dich hielt. Das alles, alles hast du gethan, und noch viel, viel mehr hast du unterlassen; aber fragtest du dich etwa, was auf so schwere Begehungs- und Unterlassungssünden folgen muß? Nein! Du hast weit mehr verdient, als was dir geschehen ist. Gott brauchte gar nicht ungerecht zu sein, wie du ihn genannt hast, sondern nur gerecht, so säßest du jetzt entweder gar nicht oder als ein zehnmal unglückseligerer Mann hier vor meinen Augen. Du bist nicht imstande, einzusehen, wie barmherzig er trotz allem, worüber du klagst, gegen dich gewesen ist, mit welcher Langmut er gezögert hat, dir deine Schuld voll anzurechnen und welch eine unverdiente Gnade von ihm es für dich ist, daß er dir jetzt einen Lichtstrahl sendet, und zwar grad durch mich, gegen den du ihn verleugnet oder gar der Ungerechtigkeit beschuldigt hast.«

Als ich jetzt schwieg, zögerte er, zu antworten. Es waren schwere Anklagen, die ich ausgesprochen hatte, Anklagen, die ihn um so kräftiger treffen mußten, je weniger bisher von Selbsterkenntnis bei ihm die Rede gewesen war. Es wäre ein großer Fehler von mir gewesen, ihn in dieser Beziehung zu schonen. Steht der Arzt vor einem Menschen, welcher seine Gesundheit durch ein unordentliches Leben ruiniert hat, so muß er, wenn er ihn heilen will, ihm mit voller Aufrichtigkeit sagen, welchen Ursachen die Krankheiten zuzuschreiben sind. Und die Verpflichtungen des Seelenarztes sind nicht weniger hoch als diejenigen eines Mediziners, welcher die Aufgabe hat, nur die körperlichen Gebrechen zu behandeln. Der Bimbaschi mußte niedergedrückt werden, um sich desto höher aufrichten zu können. Um erkennen zu können, wie ungerecht er, der Wurm, gegen den Allvater der Welt gewesen war, mußte er einsehen, daß ihm dieser, anstatt ihn durch seine Gerechtigkeit zu vernichten, nur Gnade um Gnade gegeben hatte. Schienen meine Worte hart gewesen zu sein, so hatte ich doch nicht darnach fragen dürfen, ob sie mir übelgenommen werden könnten, denn wenn sie eine solche Aufnahme fanden, dann war dem Bimbaschi auf geistlichem Gebiete überhaupt nicht mehr zu helfen. Ich war aber der guten Zuversicht, daß sie die gewünschte Aufnahme finden und die beabsichtigte Wirkung haben würden.

Was ich gedacht hatte, das geschah. Er gestand mir nach einer längeren Pause:

»Effendi, hätte ein anderer so zu mir gesprochen wie du, so hätte er gewärtig sein müssen, hier vom Dache hinabgestürzt zu werden, denn ich bin zwar alt geworden, und der Onbaschi scheint die Bequemlichkeit zu lieben; aber es scheint auch nur so, denn in Wirklichkeit können wir bei Beleidigungen noch sehr schnell bei der Hand sein. Von dir jedoch nehme ich diese Worte ruhig hin, denn ich weiß, du meinst es gut mit mir, und wenn ich auch noch nicht mit vollster Bestimmtheit erkenne, daß deine Vorwürfe die Wahrheit enthalten, so finde ich doch auch keine Worte, mit denen ich sie widerlegen könnte, und es taucht in mir eine Ahnung auf, daß es gar nicht lange dauern werde, bis ich einsehe, daß du tiefer als ich selbst in mich hinabgeblickt hast. Ich komme mir vor wie ein Patient, welcher dem Arzte wehrlos in die Hand gegeben ist. ich möchte mich gegen dich sträuben und fühle doch, daß das, was mir wehe thut, wie eine Wohlthat wirken wird, und daß ich die Hand, welche mir heut Schmerzen bereitet, vielleicht einst noch segnen werde. Ich bin überhaupt so weich, so sonderbar gestimmt, wie ich es noch nie in meinem Leben war. Ich gleiche einer Pflanze, welche einen schweren Regen auf sich fallen lassen muß, der ihr wohl die Blätter, oder wenigstens einige derselben, von den Zweigen schlägt, aber dabei ihren dürstenden Wurzeln Nahrung giebt, daß sie neue, schönere und grünere und vielleicht gar auch Blüten treiben und Früchte bringen kann. Es würden das« – – fügte er nachdenklich hinzu – –»am Ende wohl die ersten guten und nützlichen Früchte meines Lebens sein, auf welche ich zeigen könnte, wenn ich dereinst gefragt werde, was ich mit meinem Dasein begonnen und wie ich die Zeit desselben angewendet habe.«

Tief gerührt von diesem demütigen, wenn auch fast unbeabsichtigten Geständnisse antwortete ich ihm:

»Du sprichst da von der Rechenschaft, welche wir dereinst alle von unserem Thun und Lassen abzulegen haben. Oh, wenn ich könnte, ich würde gern, sehr gern für jeden einzelnen Menschen den Tod erleiden, wenn er dadurch zu der Einsicht käme, daß jedes gesprochene und unter Umständen auch jedes nicht gesprochene Wort dort vor dem Richter mit Centnerschwere in die Wagschale fallen wird. Und wenn dies mit den Worten geschieht, mit denen wir hier wie mit leichten, schnell zerrinnenden Schneeflocken um uns werfen, von welcher Schwere müssen da erst die Thaten und Unterlassungen sein, wenn sie auf ihren Wert und ihre Wirkung hin gewogen werden! Ich sage dir: Wenn wir Menschen alle uns dieser furchtbaren Verantwortlichkeit bewußt wären und uns mit Ernst bestrebten, sie in unserem Verhalten keinen Augenblick außer acht zu lassen, so würde zwar nicht die Sünde ganz verschwinden und die Erde ganz zum Himmel werden, aber der Ocean der Schmerzensthränen, dessen Wasser heut noch immer höher und höher steigen, würde vertrocknen, es gäbe weder Haß noch Rache, weder Kampf noch Streit, weder Ueberhebung noch Neid oder Unzufriedenheit, sondern die Liebe, die vom Himmel herniederstrahlende, unendliche Liebe würde ihre Schwingen breiten von einem Pole bis zum andern, vom Aufgange bis zum Niedergange über unsere ganze Erdenwelt und über ein Gott wohlgefälliges Menschengeschlecht, dem alle Millionen Thore und alle Seligkeiten des ewigen Zions offen stehen. Schau in die heilige Schrift, und lies: »Was kein Menschenauge jemals sah und kein Menschenohr jemals hörte, das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben!« Hier steht es wieder, das einzige, große Gebot, welches stets ohne Unterlaß erklingt, das einzige, große Wort, um welches sich Sonnen und Welten drehen, die von ihm und nur allein von ihm gehalten werden, nämlich die Liebe. Gott verlangt nichts, nichts von uns als nur Liebe, Liebe und immer wieder Liebe, denn sie ist es, außer welcher es keine Macht oder Kraft in der ganzen Schöpfung, weder im Himmel noch auf Erden giebt, wenn wir auch zu schwach sind, dieses herrliche, für uns unfaßbare Gotteswunder zu begreifen. Wir besitzen wohl das Wort, aber wir haben keine Ahnung von dem Wesen und dem Inhalte dessen, was es bezeichnen soll. Wir sind wie Blinde diesem Glanze gegenüber und erst der Tod, der ja kein Sterben ist, wird uns sehend machen. Auch du bist von dieser Liebe, von dieser unendlichen Fülle der Barmherzigkeit getragen worden, ohne daß du es wußtest. Du hast die unsichtbare Hand nicht geschaut, welche von Stunde zu Stunde offen war, die deine zu ergreifen, wenn du sie ihr nur entgegenstrecken wolltest. Sie schwebt auch jetzt noch über dir; greif zu; ich bitte dich! Es steigen immerwährend Engel auf und ab, dem Schlage deines Herzens zu lauschen, ob nicht doch endlich das Verlangen darin entstehen will: ›Herr halte mich, denn sonst versinke ich!‹ Greif zu, und laß den Regen vorüber sein, welcher die Pflanze entblättert hat! Sie ist noch jung und stark genug, um neu zu grünen, zu blühen und auch Frucht zu bringen. Du glaubst nicht, wie wichtig, wie heilig mir die jetzigen Augenblicke um deinetwillen sind. Wie müssen sie erst dir, der du aus der Tiefe des Grames und des Kummers – – –«

Ich konnte nicht weitersprechen, denn er sprang auf, warf dem Onbaschi den längst ausgegangenen Tschibuk hin und rief aus:

»Halt auf, halt auf, Effendi! Ich muß fort, ich muß fort; ich halte es nicht länger aus!«

Er eilte nach der Luke, welche vom Dache in das Innere des Hauses führte. Als er bis zum Kopfe in derselben verschwunden war, drehte er sich noch um und fügte hinzu:

»Bleibt aber hier oben, denn ich komme wieder!«

Als er fort war, hörten wir lange nichts als wieder nur das leise Flüstern der Palmen. In meiner jetzigen, frommen Stimmung erklang es mir wie das Flüstern der Cypressen auf der Höhe des Horeb, wohin sich der Prophet Elias einst vor den Nachstellungen Achabs und Jezebels flüchtete. Dort5 hörte er einen starken Sturm, der die Berge zerriß, aber der Herr war nicht darin; dann kam ein Erdbeben, aber der Herr war nicht darin; nach dem Erdbeben kam ein Feuer, aber der Herr war nicht im Feuer; und nach dem Feuer kam ein leises, sanftes, liebliches Säuseln; in diesem Säuseln war der Herr. So offenbarte sich auch dort der Herr der Heerscharen nicht im Sturme, im Erdbeben, im Feuer, sondern im stillen Säuseln, nicht in seiner strengen Gewalt und Macht, sondern in seiner Liebe und schonenden Barmherzigkeit. Vielleicht nahm diese Barmherzigkeit sich jetzt der Seele an, welche von dem Widerstreite der Gedanken und Empfindungen unten im Garten hin und her getrieben wurde! Ich hörte nämlich nun die Schritte des Bimbaschi, welcher das Haus verlassen hatte und unter den Bäumen sich bewegte.

Unser Gespräch schien auch auf Halef und den Onbaschi eine tiefe Wirkung gemacht zu haben, denn sie sagten kein Wort. Wenn der kleine, sonst so gesprächige Hadschi in dieser Weise schwieg, mußte er sehr mit sich selbst beschäftigt sein. Nach einer Weile aber sagte er leise, als ob er sich scheue, die tiefe Stille zu unterbrechen:

»Sihdi, horch! Er weint!«

Er hätte gar nicht nötig gehabt, mich darauf aufmerksam zu machen, denn ich hatte das von unten heraufklingende Schluchzen auch gehört. Das starre Herz war gebrochen. Ein Auge, welches noch Thränen finden kann, wird auch seinen Herrgott finden, wenn es ihn ernstlich sucht.

Es verging eine lange Zeit. Der Onbaschi schien sich nur mit dem Tschibuk zu beschäftigen; er qualmte wie ein Schornstein und stopfte, wenn er ihn ausgeraucht hatte, immer von neuem. Aber sein Inneres mußte auch in Bewegung sein, denn aus der dichten Rauchwolke, welche ihn umhüllte, klang zuweilen ein glucksender Ton, welchen man zu hören pflegt, wenn jemand mit seiner Rührung oder gar mit Thränen kämpft. Und da teilte sich die Wolke; der Dicke schob sich zu mir her und rief, in ein plötzliches Weinen ausbrechend, wobei er mir den ganzen Qualminhalt seines Mundes ins Gesicht blies:

»Emir, mein Effendi weint! Das hat er noch nie gethan, seit ich ihn kenne. Das kann ich nicht mit anhören; das halte ich nicht aus! Sag mir, ob es ihm schaden wird!«

»Sorge dich nicht um ihn!« antwortete ich. »Thränen mildern jedes Leid; sie werden ihm eine Wohlthat sein.«

»Aber mir nicht! Du mußt doch einsehen, daß seine Thränen mein Leid nicht mildern, sondern vergrößern! Mir laufen ganze Wasserbäche über die Wangen und fließen in mein inneres, so daß mein Herz auf ihnen schwimmt. Du hast mit deinen Worten nicht nur ihn, sondern auch mich zu Thränen gerührt. Kann es denn wirklich eine Liebe geben, welche so groß ist, wie du sie beschriebst?«

»Ja, lieber Kepek, es giebt eine solche.«

»Lieber Kepek, hast du gesagt? Emir, so hat mich noch niemand genannt als nur mein Effendi, und auch dieser bloß ein einziges Mal! Lieber Kepek! Ich habe viele Christen, die ich kannte, hassen müssen, denn sie besaßen keine Spur von Liebe; aber in der Weise, in welcher du von ihr sprichst, kann doch nur ein Christ von ihr reden. Nicht?«

»Ja. Die Christen, welche keine Liebe besaßen, nannten sich nur so, waren aber keine.«

»Sie stellten sich aber außerordentlich fromm, diese Armenier mit Habichtsnasen und diese Griechen und Levantiener mit den listigen Augen, welche auf nichts als nur auf ihren Geldbeutel sahen. Allah setze ihnen einen Hut auf den Kopf! Doch da kommt mein Effendi wieder!«

Er schob sich auf seinen Platz zurück. Die soeben gehörte Redensart vom Hute ist eine im Oriente sehr gebräuchliche; sie wird, da die Muhammedaner nie Hüte tragen, nur gegen Christen gerichtet und hat eine sehr verächtliche Bedeutung.

Der Bimbaschi kehrte zu uns zurück. Als er sich wieder niedergesetzt hatte, bat er:

»Erlaube, Effendi, daß wir unser Gespräch jetzt nicht fortsetzen! Und fordere auch nicht von mir, dir zu sagen, warum ich diesen Wunsch hege! Willst du?«

Ich verstand ihn nur zu wohl. Es war etwas in ihm erstanden, was unberührbare Heiligkeit für ihn besaß. Es begann in seinem Innern ein Altar emporzuwachsen, vor welchem nur seine eigene Seele anbetend knieen durfte, Weitere Einwirkung meinerseits hätte als Entweihung wirken können. Darum antwortete ich:

»Du kommst meinem Wunsche mit dem deinigen zuvor. Auch ist der Abend fortgeschritten. Laß uns schlafen gehen!«

»Nein, das noch nicht, noch lange, lange nicht! Wenn es auf mich ankommt, so erwarten wir hier den Morgen. Bedenke, daß ich hier in tiefster Einsamkeit lebe und deine Anwesenheit also soviel wie möglich ausnützen und genießen muß! Du warst am Nachmittag noch nicht entschlossen; aber jetzt kannst du mir vielleicht sagen, wie lange ihr in Bagdad bleiben werdet.«

»Wir reiten morgen fort – – –«

»Allah! So bald schon?« unterbrach er mich.

»Ja.«

»Effendi, ich bitte dich, mir dies nicht anzuthun!«

»Du hast mich nicht aussprechen lassen. Ich wollte sagen, daß wir morgen fortreiten, aber dann bald wiederkommen.«

»Das klingt schon besser. Aber warum schon morgen wieder fort? Ihr müßt doch von der Reise ausruhen?«

»Im Gegenteile: wir müssen uns Bewegung machen. Wir haben während der ganzen Fahrt auf dem kleinen Kellek sitzen müssen, und wenn wir auch nicht sagen wollen, daß uns das ermüdet hat, so müssen wir doch Rücksicht auf unsere Pferde nehmen. Diese feurigen Tiere sind zu immerwährendem Stillstehen gezwungen gewesen, und du als Kenner wirst wissen, daß wir sie nun nicht auch hier bei dir noch länger stehen lassen dürfen.«

»Das gebe ich zu; aber ihr könnt ihnen doch einen tüchtigen Spazierritt bieten!«

»Wir haben Gründe, dies nicht zu thun. Ich sagte dir schon, daß wir uns vor Feinden hüten müssen. Zwar fürchten wir uns keineswegs, aber es ist stets besser, ein Uebel zu vermeiden, als es herbeizurufen.«

»Wer sind diese Feinde, und wohin wollt ihr reiten?«

»Nach dem Birs Nimrud. Wir haben, nachdem wir dich damals verlassen hatten, dort eine so schlimme, schwere Zeit verlebt, daß uns die betreffenden Oertlichkeiten für das ganze Leben unvergeßlich geworden sind. Wir wollen also, da wir in Bagdad sind, wieder hin, um sie zu besuchen.«

»Eine schlimme, schwere Zeit sagst du. Welche Erlebnisse sind das gewesen? Darf ich es erfahren? Willst du es mir erzählen?«

Kaum hatte er das Wort »erzählen« ausgesprochen, so fiel Halef schnell ein:

»Richte diese Bitte, o Bimbaschi, nicht an meinen Effendi, sondern an mich! Er liebt es nicht, ein unendlich langes Kamelseil der Erzählung aus seinem Munde laufen zu lassen, und wenn er doch dazu gezwungen wird, so beißt er es ab, ehe es alle ist und schluckt das Ende wieder hinunter, wo es seiner Gesundheit den größten Schaden bringen kann. Ich aber bin von Allah mit der Gabe eines unzerbissenen Seiles begnadet worden und pflege das, was ich einmal angefangen habe, auch stets bis an dasjenige Ende zu bringen, wo nichts mehr zu sagen ist. Darum erkläre ich mich bereit, dir mitzuteilen, was du gern wissen willst. Hoffentlich hat niemand etwas dagegen!«

Mit dem niemand war natürlich ich gemeint. Ich kannte das Vergnügen, welches ich dem kleinen Hadschi bereitete, wenn ich ihm die Erlaubnis zum Erzählen nicht versagte, und pflegte ihn nur dann desselben zu berauben, wenn es sich um einen kurzen, sachgemäßen und nüchternen Bericht handelte, den ich stets selbst übernahm. Er hingegen liebte die Ausschmückungen, und wenn diese Liebe dem Orientalen im allgemeinen eigen ist, so besaß sie der Hadschi in so hervorragender Weise, daß ich oft gezwungen war, seinen übertriebenen Lobeserhebungen Einhalt zu thun. Offen gestanden aber hörte ich ihm selbst gern zu, denn er war ein wirklich guter Erzähler und bearbeitete die beigefügten Verzierungen nach einem so humorvollen Stile, daß er mich dadurch stets köstlich amüsierte, obgleich ich ihm dies nur selten merken ließ. Da ich jetzt seine Frage nicht sofort beantwortete, nahm er mein Schweigen als Zustimmung und begann seine Erzählung, welche eine ganze Stunde in Anspruch nahm und mir einen neuen Beweis seines Talentes lieferte, selbst traurige Ereignisse, wie die Ermordung unserer Reisegenossen und unsere Erkrankung an der Pest doch waren, in einer Weise darzustellen, durch welche die Aufmerksamkeit der Zuhörer bis zum letzten Worte gespannt und gefesselt wurde.

Als er geendet hatte, fügte er in seiner eigenartigen Weise noch hinzu:

»Ihr seht, daß wir weder von den Feinden gefressen noch von dem Rachen der Pest verschlungen worden sind. Allah bewahrte uns zu ferneren großen Thaten auf, von denen ich euch vielleicht ein anderes Mal erzählen werde, wenn es meiner Huld gefällt, euch davon zu berichten. Jetzt will ich euch nur sagen, daß wir beabsichtigen, nach Persien zu reiten, um den Ruhm zu vergrößern, den unsere Namen dort schon längst besitzen. Wenn es uns beliebt, sind wir bereit, mit dem ganzen Heere des dortigen Herrschers zu kämpfen und ihn, falls er uns auch nur mit einem einzigen scheelen Auge betrachten sollte, samt seinem ganzen Harem von der Erde auszurotten. Was dann geschieht, nämlich ob wir von dort nach Amiriki oder nach Asterali reiten werden, das muß jetzt noch unser Geheimnis bleiben, welches wir auf keinen Fall verraten dürfen. Jedenfalls aber wird die Kunde von unsern Thaten rückwärts zu euch dringen, noch ehe wir nach vorwärts, weil die Erde rund ist, zu den Zelten der Haddedihn zurückgekehrt sind. Allah erhalte euch bis dahin bei Kraft und Verstand des Leibes und der Seele, damit ihr dann meine Erzählung mit derselben Bewunderung vernehmen könnt, mit welcher ihr die jetzige vernommen habt!«

Nach diesem schwungvollen Schlusse stopfte er seine Pfeife und rauchte sie mit unendlicher Genugthuung darüber, daß ich seine Ruhmredigkeit durch keine Zwischenrede um den beabsichtigten Effekt gebracht hatte. Der Onbaschi gab seiner Begeisterung durch einige tiefe, grunzende Atemzüge Ausdruck; Worte schienen ihm zu fehlen. Sein Herr nahm die Sache nüchterner und sagte:

»Ihr habt da freilich Schweres, sehr Schweres durchgemacht, und darum kann ich nicht begreifen, was euch verlocken kann, diese Orte wieder zu besuchen. Ich zum Beispiel möchte, wenn ich nicht durch einen Zwang hingetrieben würde, den Birs Nimrud nicht wiedersehen.«

»Das bist du,« antwortete Halef. »Wir aber sind von anderer Art. Wenn wir das dort erlebt hätten, was dir und deinem Onbaschi dort begegnet ist, so wären wir gleich in den nächsten Tagen wieder hin, um das Nest auszunehmen und der Erde gleichzumachen!«

»Den gewaltigen Birs Nimrud der Erde gleich?«

»Warum nicht? Traust du uns das etwa nicht zu? Uebrigens hätten wir das gar nicht nötig gehabt, denn wir an eurer Stelle hätten uns nicht einsperren lassen, keinen Eid abgelegt und auch keine Anweisung unterschrieben.«

»Das kannst du gut behaupten, weil ihr eben nicht an unserer Stelle gewesen seid!«

»Du irrst, weil du weder mich noch meinen Effendi kennst. Wer oder was wäre dieser Säfir, von welchem du erzählt hast, gegen ihn gewesen? Und wenn er noch so kräftig und noch so listig und noch so mutig gewesen wäre, so hätte ihn das alles doch gegen die Stärke, die Klugheit und Kühnheit meines Sihdi, geschweige der meinigen, gar nichts genützt. Wir haben noch ganz andere Leute bezwungen, als dieser Perser war. Ich wollte, wir würden einmal von ihm in den Birs gesperrt! Du würdest bald erfahren, wie schnell wir wieder heraus wären, um ihn mit unserm Hohngelächter niederzuschmettern!«

Der Hadschi überlegte nicht, daß diese Worte geeignet waren, den Bimbaschi zu beleidigen; er ahnte auch ebensowenig wie ich, wie bald seine Prahlerei zur Wahrheit werden sollte. Zu meiner Beruhigung klang die Antwort des Wirtes ohne Groll:

»Allah verhüte, daß ihr jemals in eine solche Lage kommt! Der stärkste und klügste Mann kann, wenn er gefesselt ist, nichts gegen seine Feinde thun, und eure Feinde – – – ah, ich sollte doch erfahren, wer sie sind?«

»Ja, du sollst es wissen und wirst erstaunen, wenn du erfährst, mit welcher List und Leichtigkeit wir uns ihrer entledigt haben. Willst du es vielleicht erzählen, Sihdi?«

»Nein,« antwortete ich.

»Das ist sehr recht von dir,« nickte er selbstbewußt. »Wer eine solche Sache erzählen will, der muß die Offenheit des Mundes, die Beweglichkeit der Zunge, die Eindringlichkeit der Vernunft in die Tiefen des Verstandes und zugleich die große Kunst besitzen, grad da anzufangen und grad da aufzuhören, wo angefangen und aufgehört werden muß. Diese Kenntnisse und dieses Geschick aber besitzen nur wenig Menschen, und wenn nichts davon vorhanden ist, darf man sich nicht darüber wundern, daß aus dem schönsten Erzählungsstoff ein alter, zerrissener und zerbrochener Sattel wird, auf den sich niemand setzen kann. Nun werde ich beginnen, und ihr habt mir mit Andacht zuzuhören!«

Es versteht sich ganz von selbst, daß er unserer Begegnung mit dem Pädär-i-Baharat einige abenteuerliche Seiten, die gar nicht vorhanden gewesen waren, hinzufügte, und ebenso unvermeidlich war es, daß er mich zwar außerordentlich lobte, sich selbst aber noch viel weniger vergaß. Er pflegte dies bekanntlich in der Weise zu thun, daß er sich als meinen Berater und Beschützer bezeichnete. Es fehlte auch nicht an drolligen Wendungen, welche mir so viel Vergnügen machten, daß ich ihn aus Dankbarkeit dafür ohne Unterbrechung sprechen ließ, bis er fertig war. Als Nutzanwendung ließ er dann noch die an den Bimbaschi gerichtete Bemerkung folgen:

»Du hast also gehört, daß wir es mit drei Mördern und einem Verräter samt seiner Frau zu thun gehabt haben. Uns war der Tod bestimmt; aus deiner Erzählung aber geht hervor, daß deine Feinde nur beabsichtigten, dein Geld zu bekommen und dich durch einen Eid unschädlich zu machen. Wir haben uns also in einer weit größern Gefahr befunden, als ihr. Ihr seid ahnungslos in die Falle gegangen; wir aber haben die Falle auf derjenigen Seite, wo sie für uns offen war, zugemacht und sie dann auf der andern Seite geöffnet, wo unsere Widersacher hineingekrochen sind. War das nicht klug von uns? Und wie haben sie die Peitsche gefühlt! Ich sage dir, so eine Kurbadsch ist der Inbegriff aller siegreichen Unwiderstehlichkeit! Ich würde niemals ohne Peitsche in den Birs Nimrud steigen. Hättet ihr eine mitgehabt, so würde die Gunst des Schicksales euch hineinbegleitet und als freie Männer wieder herausgelassen haben.«

Der Bimbaschi ließ diese Ermahnung unerwidert über sich ergehen und richtete an mich die Frage:

»Und nun denkst du, Effendi, daß diese Perser hier in Bagdad nach dir suchen werden?«

»Falls sie überhaupt hierher kommen, werden sie das sicher thun,« antwortete ich.

»Und darum willst du schon morgen fort?«

»Nicht darum allein, denn ich habe dir schon gesagt, daß ich ihnen zwar ausweiche, sie aber nicht fürchte. Ich habe keinen Grund, hier liegen zu bleiben.«

»Ist meine Bitte kein Grund für dich?«

»Nein, denn wir kommen wieder. Dann werden wir Ursache zum Bleiben haben, denn es liegt ein mehrtägiger Ritt hinter uns, von dem wir ausruhen müssen.«

»So will ich nicht länger in dich dringen, bitte dich aber, bei eurer Rückkehr nirgends abzusteigen als hier bei mir. Auch wiederhole ich meine schon einmal ausgesprochene Bitte.«

»Welche?«

»Beim Birs Nimrud ja nichts vorzunehmen, was mir schaden könnte. Vermeidet ja, den Verdacht auf mich zu lenken, als hättet ihr von mir erfahren, was uns damals dort geschehen ist!«

»Ich habe dir die Erfüllung dieses Wunsches bereits zugesagt, und du kannst dich darauf verlassen, daß ich Wort halten werde.«

Ich hatte ursprünglich nur die Absicht gehabt, die erwähnten Erinnerungsstätten zu besuchen, gestehe aber aufrichtig, daß die Erzählung des Bimbaschi den Entschluß in mir rege gemacht hatte, dem Birs Nimrud eine größere Aufmerksamkeit zu schenken, als sie ihm ohne diese Erzählung von uns gewidmet worden wäre. Ich wußte längst, daß er Gänge enthält, in welche man schon oft versucht hat, einzudringen; diese Versuche wurden aber später aufgegeben, weil sie in vielen Fällen unglücklich verlaufen sind. Die unterirdischen Räume, in denen der Pole gesteckt hatte, interessierten mich um so mehr, als sich die Zeichnung in meinem Taschenbuch auf sie bezog. Ich wollte nach ihnen forschen, sagte ihm aber natürlich nichts davon und war ganz selbstverständlich entschlossen, mochte dabei vorkommen, was da wollte, nichts zu thun und nichts zu sagen, was geeignet war, ihm Schaden zu bringen.

Davon, daß wir die Nacht durchwachen wollten, war nicht mehr die Rede. Wir sahen kurz nach Mitternacht nach unsern Pferden und legten uns dann schlafen.

  1. Siehe: Karl May »Von Bagdad nach Stambul«, fünftes Kapitel.
  2. Siehe I. Buch der Könige 19.

Im Lande des Mahdi III

Im Lande des Mahdi III

Unser nächstes Ziel war, wie bereits erwähnt, der Maijeh Semkat, zu deutsch der Maijeh der Fische. Dieser Name sagte uns, daß wir dort auf reichliche Fleischnahrung rechnen konnten. Drei Tage brauchten wir bis dorthin. Dann mußten wir das Schiff verlassen und den Landweg antreten. Aber wie? Marschieren? Durch diese sumpfige Gegend! Das wäre eine böse Anstrengung gewesen, bei welcher wir nur höchst langsam vorwärts gekommen wären. Also reiten? Ja; aber auf was für Tieren? Pferde und Kamele giebt es in diesen Regionen nicht; sie sind vollständig unnütz und gehen überhaupt sehr schnell zu Grunde. Man bedient sich dort eines Reittieres, welches freilich nicht so edel wie das arabische Roß und nicht so oft besungen wie das »Schiff der Wüste« ist, nämlich des Ochsen.

Diese Tiere gedeihen am sümpfereichen Obernile ganz vortrefflich. Sie sind stark, schnell, gelehrig und dabei recht gutmütig. Die Reitochsen scheinen sich durch Zucht herausgebildet zu haben und eine Rasse für sich zu sein. Natürlich werden sie auch zum Tragen von Lasten verwendet.

Konnten wir solche Tiere bekommen, so hatte die Berechnung der Zeit ein sehr günstiges Resultat für uns. Ibn Asl wollte im ganzen zwanzig Tage brauchen; er war erst fünf fort und gelangte also wahrscheinlich nach fünfzehn Tagen an sein Ziel. Wir aber konnten in neun Tagen Wagunda erreichen, und so bekamen wir einen Vorsprung von sechs Tagen, welcher mehr als ausreichte, ihm dort den von uns beabsichtigten Empfang zu bereiten. Nur fragte es Sich, woher für uns alle Reit- und für unser Gepäck Lastochsen bekommen. Wir mußten sie uns eben in der Gegend unseres nächsten Zieles, des Maijeh Semkat, suchen.

Da oben wohnen die Bor, welche ungefähr zehntausend Köpfe zählen, die vierzig Dörfer bewohnen und sehr große Rinderherden besitzen. Glücklicherweise sind diese Bor ein Zweig des großen Dinka-Volkes, und da es die Rettung der ihnen stammverwandten Gohk galt, so glaubten wir, bei ihnen die notwendige Unterstützung zu finden.

Dabei handelte es sich auch um die Zeit. Wir wollten nicht gern einen Tag versäumen und mochten also die Unterhandlung mit diesen Leuten nicht bis zur Ankunft unseres Schiffes aufschieben. Darum wurde beschlossen, das große Boot vorauszusenden, welches acht Ruderer und einen Steuerer mit den notwendigen Mundvorräten faßte. Acht Ruderer gaben demselben eine weit größere Geschwindigkeit als der ›Falke‹ selbst beim allerbesten Winde entwickeln konnte. Ich sollte die Leitung übernehmen und erhielt vom Emir die Vollmacht, ganz nach Gutdünken mit den Schwarzen zu verhandeln. Als Ruderer wurden acht der kräftigsten Männer ausgewählt, unter denen sich der Dinka Agadi befand, der den Dolmetscher zu machen hatte, weil keiner von uns der Dinkasprache ganz mächtig war. Daß wir alle auch wohlbewaffnet waren, versteht sich ganz von selbst. Einige der Asaker wollten wissen, daß der Maijeh Semkat von Nilpferden wimmele und an seinen Ufern ganze Herden Elefanten zu finden seien. Das ließ mich ein interessantes Jagdvergnügen erhoffen.

Dieser Plan wurde kurz nach unserer Abfahrt von der zerstörten Seribah besprochen und auch sofort ausgeführt. Wenige Zeit später waren wir neun Männer dem ›Falken‹ schon sehr weit voran.

Die Ufer des Flusses waren während unserer ganzen Bootsfahrt dicht bewaldet; auf dem Wasser gab es oft und reichlich Schilf, was uns aber nicht aufhielt, da wir überall leicht durchkamen. Um die Kräfte meiner Leute zu schonen, ließ ich abwechselnd vier und vier rudern; ich selbst saß am Steuer. Selbstverständlich führten wir auch ein Segel, um uns die Gunst des Luftstromes nutzbar zu machen.

Am Abende legten wir an, um den Aufgang des Mondes zu erwarten und dann weiter zu fahren. Ich mußte wenigstens eine kurze Zeit schlafen, da ich während der ganzen letzten Nacht kein Auge geschlossen hatte. Agadi befand sich in derselben Lage. Die andern aber hatten auf dem Schiffe ihre volle Ruhe gehabt. Ein Feuer schützte uns gegen die Stechfliegen, welche hier höchst lästig werden. Die Breite, in welcher wir uns befanden, gehört schon dem Gebiete der mit vollem Rechte berüchtigten Baudah an.

Der Nordländer hat nicht die geringste Idee von der Höhe, welche die Insektenplage dort erreicht. Unsere Stubenfliege, ja unsere so zudringliche Wasserschnake sind Engel gegen die höllischen Kreaturen, welche dort in Insektengestalt die andern Geschöpfe peinigen. Der Neger brennt große Haufen von Holz, Mist und nassem Stroh an, um seine Herde bei denselben lagern zu lassen. Er selbst gräbt sich bis an das Kinn in die heiße, stinkende Asche ein, um die Mücken und Fliegen von seinem Körper abzuhalten. Die greulichen Puppiparen bedecken die Rinder und Schafe oft in solcher Menge, daß die Haut gar nicht zu sehen ist. Einer solchen tage-, wochen- und monatelang fortgesetzten Plage muß das stärkste Rind erliegen. Darum ist selbst der letzte Matrose mit einer Namusiah versehen, und auf den Sklavenzügen hüllt sich der ärmste Askari in sein Netz, während freilich die bedauernswerten Schwarzen der entsetzlichen Plage vollständig preisgegeben sind.

Als der Mond über dem Walde stand, wurde ich geweckt, und es ging weiter. Der Schnabel des Bootes war mit einer Lehmdecke versehen, auf welchem wir ein Feuer brannten. Dieses schützte uns gegen die Fliegen und gewährte uns zugleich den Vorteil, Fische stechen und daran braten zu können. Der Rohl ist an Fischen sehr reich. Besonders reichlich wurde eine kleinere Welsart, welche sehr wohl schmeckt, gefangen.

Wir ruderten die ganze Nacht durch. Als am Morgen der Wind erwachte, wurde das Segel gerichtet und einem übergeben, während die andern sich, soweit es gehen wollte, in dem Boote niederlegten, um ein wenig zu schlafen. Dann wurde wieder gerudert, zur heißesten Mittagszeit abermals nur gesegelt, später wieder zu den Rudern gegriffen und dabei eine so bedeutende Strecke zurückgelegt, daß ich nach meiner Karte die Nähe des gesuchten Maijeh Semkat vermuten mußte. Einer der begnadigten Asaker Ibn Asls war bereits einmal dagewesen und hatte mir gesagt, daß der Eingang zum Maijeh gar nicht verfehlt werden könne, weil kurz vorher der gewöhnliche Baumschlag aufhöre und von einem sehr ansehnlichen Delebwalde abgelöst werde.

Die Delebpalme ist neben der Dattelpalme die schönste Palme Nordostafrikas. Sie hat einen hohen, schlanken Stamm, welcher in der Mitte bauchig anschwillt und dann allmählich wieder dünner wird. Er erinnert dadurch an die Säulen mancher altägyptischer Bauwerke. Die dichte Krone besteht aus vielen dunkelgrünen Blattwedeln, welche denen der Dompalme sehr ähnlich sind. Die Früchte besitzen in reifem Zustande eine pomeranzengelbe Farbe und erreichen die Größe eines Kinderkopfes. Das Holz wird vorzugsweise zur Anfertigung leichter Boote und als Reibstock für das Getreide verwendet.

Der Abend war schon ziemlich nahe, als zu unserer Rechten das gesättigte Grün eines Delebwaldes erschien. Wir ruderten eine halbe Stunde an demselben hin, dann schien ein Arm des Flusses rechts abzugehen. Als wir demselben folgten, zeigte es sich, daß er sich bald zu einem weiten, seeartigen Becken erweiterte, welches der Maijeh Semkat, unser Ziel, war.

Wir hatten während der ganzen Fahrt keinen Menschen gesehen, und auch hier schien es, als ob uns keine Begegnung bevorstehe. Wir ruderten in den Maijeh hinein, dessen beide Ufer wir zunächst sehen konnten; dann traten sie soweit auseinander, daß wir uns, um gebotenen Falls schneller landen zu können, an das rechte hielten und demselben entlang fuhren. Während wir nahe am Lande schnell dahinglitten, suchte ich dasselbe mit gespannter Erwartung nach Spuren ab, welche auf die Anwesenheit menschlicher Wesen schließen ließen, lange Zeit ohne Erfolg. Die Zeit der kurzen Dämmerung näherte sich rasch, und schon glaubte ich, annehmen zu müssen, daß wir die kommende Nacht für unsern Zweck verlieren würden, als ich ein eigentümliches, guillotineartiges Gestell bemerkte, welches einige Schritte vom Ufer entfernt angebracht war. Vom Wasser aus führte ein tief ausgetretener Pfad zwischen den beiden Seitenpfosten und unter dem Querholze hindurch. An dem letzteren hing an einem schweren Steine eine kurze, eiserne Lanze, welche mit einer langen Leine in Verbindung stand, deren anderes Ende an ein leichtes Schilfbündel befestigt war. Die Spitze der Lanze war mit einem scharfen Widerhaken versehen.

Dieses Gestell war eine Nilpferdfalle. Das Nilpferd ist nämlich keineswegs ein so friedliches Tier, wie es oft beschrieben wird. Es greift den Menschen im Wasser sogar sehr oft ungereizt an. Verwundet ist es doppelt gefährlich, taucht unter und stößt dann wieder empor, um den Kahn des Feindes umzuwerfen und den letzteren zwischen den weit spannenden Kiefern zu zermalmen. Darum weicht ihm der Neger, wenn möglich, auf dem Wasser aus, stellt ihm aber desto eifriger am Lande nach, da das Fleisch und ganz besonders der Speck dieses Tieres ein sehr gesuchtes Nahrungsmittel ist. Selbst Weiße halten den Speck für wohlschmeckend und erklären die Zunge für eine Delikatesse.

Das Nilpferd hält sich tagsüber auf dem Grunde des Wassers auf und steigt am Abende an das Land, um sich an saftigen Pflanzen zu äsen. Besonders gern geht es da in die Zuckerrohr- und andere Felder, in denen es große Verheerungen anrichtet, da es wenigstens ebenso viel niedertritt, als es abweidet. Es hat da, wie fast jedes Wild, seinen bestimmten Wechsel, den es täglich benutzt, bis es ihn aus irgend einem Grunde aufzugeben gezwungen ist. Auf diesem Wechsel nun stellen die Neger ihre Fallen auf, schwebende Spieße oder Harpunen, welche, um einen kräftigen, tiefgehenden Stoß zu erzielen, mit Steinen beschwert sind. Die Fallen sind mit Vorrichtungen versehen, welche, sobald sie von dem Tiere berührt werden, die Harpune von ihrem Halte lösen und zum Falle bringen. Sie sticht sich tief in den Nacken oder Rücken des Tieres ein und kann infolge des Widerhakens von demselben nicht abgeschüttelt werden. Das verwundete Tier stürzt sich ins Wasser und verblutet nach und nach. Die Leiche kommt nicht sofort zur Oberfläche, sondern bleibt oft tagelang und noch länger unten. Wegen der in jenen Gegenden so außerordentlich schnell eintretenden Fäulnis würde das Fleisch verloren sein, aber die Harpune ist, wie schon bemerkt, mit einer langen Leine versehen, an welcher ein Schilfbündel hängt. Dieses letztere kann nicht untergehen; es schwimmt auf der Oberfläche des Wassers und zeigt den Suchenden an, an welcher Stelle das erlegte Wild zu finden ist.

So eine Falle hatten wir vor uns. Der unter derselben hindurchführende Pfad war der Wechsel eines Nilpferdes. Ich schloß natürlich: Wo man eine Falle aufgestellt hat, muß es Menschen geben, und richtete das Steuer nach dem Ufer. Aber ich hütete mich, gerade an dem Wechsel zu landen, und zwar nicht etwa aus Furcht vor dem Tiere, sondern aus Vorsicht betreffs der Menschen, welche wir aufsuchen wollten.

Noch wußten wir nicht, ob wir bei ihnen eine freundliche Aufnahme finden würden. Sie kamen jedenfalls zur Falle, um nachzusehen, und mußten, wenn wir dort landeten, unser Boot finden, auf welchem, wenn wir angegriffen wurden, unsere Rettung beruhte. Es mußte uns also auf jeden Fall erhalten bleiben. Darum steuerte ich es noch eine Strecke am Ufer hin und legte erst dann an, als wir an einen schmalen Einschnitt kamen, den das Wasser machte und dessen Seiten so mit hohem, dichtem Schilfe bewachsen waren, daß man ihn kaum bemerken konnte. In diesen lenkte ich das Boot, welches, nachdem wir ausgestiegen waren, so in und unter das Schilf gezogen und geschoben wurde, daß es von einem Fremden fast unmöglich entdeckt werden konnte.

Jetzt mußten meine Leute warten, und ich ging zu der Falle, um sie und ihre Umgebung nach Spuren zu untersuchen. Es galt, zu entdecken, nach welcher Richtung wir uns zu wenden hatten, um diejenigen zu finden, von denen die Falle errichtet worden war. Das wollte ich ganz allein thun, um Spuren, welche uns verraten konnten, zu vermeiden.

Das war freilich nicht leicht, denn das Ufer war sumpfig, und die Füße sanken ein; aber die dadurch entstehenden Vertiefungen füllten sich sehr rasch mit so dicker, trüber Flüssigkeit, daß die Stapfen mir keine Sorge machen konnten. Um jedoch ganz und gar sicher zu sein, band ich mir Schilf um die Füße, so daß die Löcher, welche ich trat, fast genau den runden, großen Stapfen eines Nilpferdes glichen.

Bei der Falle angekommen, fand ich die Eindrücke nackter Menschenfüße. Als ich dieselben genau betrachtete, sah ich, daß die Leute, von denen sie herrührten, im Laufe des Nachmittages hier gewesen sein mußten. Um die beiden Pfähle war der weiche Boden aufgewühlt und hatte sich noch nicht wieder gesetzt. Ich schloß daraus, daß die Falle erst heute errichtet worden war.

Die Leute, welche diese Arbeit verrichtet hatten, waren nicht per Boot hier gewesen, sondern in und durch den Wald zurückgekehrt, wie die Fährte zeigte, welche sie gar nicht deutlicher hätten zurücklassen können. Ich beschloß, derselben eine Strecke weit zu folgen.

Der Wald bestand auch hier aus Delebpalmen, deren Kronen ein beinahe geschlossenes Dach bildeten. An den Stämmen rankten sich Schlingpflanzen empor, welche ihre Ausläufer nach allen Seiten sandten und zwischen den Palmen ein so dichtes Gewebe bildeten, daß ein Vordringen nur mit Hilfe des Messers möglich war. Darum waren die Neger gezwungen gewesen, sich einen Pfad durch dieses Geflecht zu hauen. Ich folgte demselben, immer bereit, bei einer etwaigen Bewegung schnell zur Seite abzuweichen, um mich zu verstecken.

Nach ungefähr fünf Minuten öffnete er sich auf eine lichte Stelle des Waldes, welche wohl durch Windbruch entstanden war. Auf derselben sah ich sechs Tokuls von solchem Umfange und so leichter Bauart, wie sie der Neger nur für einen kurzen Aufenthalt errichtet. Die Größe der Hütten ließ vermuten, daß trotz der geringen Anzahl derselben nicht wenige Menschen unter den sechs trichterförmigen Schilfdächern wohnten.

Vor den Thüren lagen, saßen und standen die Schwarzen, lauter Männer, wie ich sah. Einige von ihnen waren beschäftigt, Feuermaterial zusammen zu tragen, denn in wenigen Minuten mußte es dunkel werden. Wachen waren nicht ausgestellt; die Leute schienen sich hier vollständig sicher zu fühlen. An den Tättowierungen erkannte ich, daß ich Dinka vor mir hatte, also wohl Dinka von der Abteilung der Bor, welche wir suchten.

Ich kehrte auf dem Wege, den ich gekommen war, erst bis zu der Falle und dann zum Boote zurück. Dort erzählte ich, was ich gesehen hatte. Agadi, unser Dolmetscher, sagte:

»Das sind Krieger der Bor, Effendi. Sie befinden sich auf einem Jagdzuge und haben darum keine Frauen mit. Laß uns sofort zu ihnen gehen!«

»Meinst du, daß sie uns freundlich aufnehmen werden?«

»Ja. Warum sollten sie das Gegenteil thun? Wir kommen in freundlicher Absicht, und ich als ein Dongiol bin Stammesgenosse von ihnen. Komm, wir wollen gehen!«

Er wendete sich in der Richtung nach der Falle ab, um dieselbe einzuschlagen.

»Halt!« gebot ich ihm. »Laß uns dennoch vorsichtig sein! Es ist noch nicht so gewiß, wie du denkst, daß wir ihnen willkommen sind. Wenn wir uns zum Rückzuge gezwungen sehen sollten und nur den einen Weg nach der Falle hätten, so ist ihnen derselbe bekannt und sie können uns leicht verfolgen.«

»Wir haben doch gute Gewehre! Wir sind ihnen überlegen.«

»Ich fürchte mich nicht etwa vor ihnen; aber wenn wir Verluste vermeiden können, warum sollen wir es nicht thun? Machen wir uns einen zweiten Weg, welcher von hier aus direkt nach den Tokuls führt.«

»Wirst du die Richtung treffen?«

»Ganz gewiß. Falls wir fliehen müssen, ist ihnen dieser Weg unbekannt, und sie können uns nicht folgen. Dadurch gewinnen wir Zeit, unser Boot flott zu machen.«

»Wie du willst, Effendi; aber notwendig ist diese Arbeit nicht.«

Mochte er sich irren oder nicht, ich hielt es für besser, eine gesicherte Rückzugslinie zu haben. Wir zogen die Messer, hingen die Gewehre um und begannen, uns einen Weg durch die Schlingpflanzen zu bahnen. Wir thaten dies selbstverständlich soviel wie möglich ohne Geräusch. Ich gab die Richtung an. Unsere Messer waren scharf und wir rückten ziemlich rasch vor. Dennoch wurde es dunkel, ehe wir die Lichtung erreichten. Da zündeten die Bor ihre Feuer an, so daß wir uns nach dem Scheine derselben richten konnten.

Je weiter wir uns vom Ufer entfernten, desto trockener und fester wurde der Boden, was uns natürlich sehr willkommen war. Endlich hatten wir die Lichtung erreicht und sahen die Hütten vor uns liegen. Die erste derselben war von dem Orte aus, an welchem wir uns befanden, mit dreißig Schritten zu erreichen.

Vor jeder brannte ein Feuer, an welchem die Insassen beschäftigt waren, sich Fleisch zu braten. Der Duft desselben drang zu uns herüber. Agadi sog die Luft durch die Nase, schnalzte leise mit der Zunge und sagte:

»Das ist Mischwi el Husahn el Bahr. Sie müssen heut früh ein Nilpferd erlegt haben. Effendi, wir werden mit ihnen essen. Gehen wir gleich zusammen, oder soll ich erst mit ihnen sprechen?«

»Nein. Wir wählen keines von beiden, sondern den Mittelweg. Wir gehen zusammen bis an die erste Hütte. Dann trittst du vor, sie zu begrüßen und mit ihnen zu sprechen. Sobald du bemerkst, daß sie uns nicht Wohlwollen, eilst du zu uns zurück; das weitere wird sich dann finden.«

Agadi war einverstanden, und so schritten wir vorwärts. Da auch jetzt kein Wächter ausgestellt war, sah man uns nicht eher, als bis der Schein der Feuer auf uns fiel. Derjenige, welcher uns zuerst erblickte, stieß einen lauten Schrei aus, sprang auf und zeigte auf uns. Aller Augen richteten sich auf uns; ein vielstimmiger Schrei antwortete ihm; dann verschwanden die Schwarzen mit unglaublicher Schnelligkeit im Innern ihrer Hütten.

Am liebsten wäre ich gleich mit allen vorgerückt; aber ich sagte mir, daß dies nicht geraten sei. Ich sah Gewehrläufe, die auf uns gerichtet waren, aus den Eingängen ragen. Gingen wir jetzt weiter vor, so konnten wir niedergeschossen werden, ohne die Sicherheit zu haben, auch nur einen einzigen Schwarzen zu treffen. Darum ging Agadi allein nach derjenigen Hütte, welche die größte war und in welcher wir den Anführer vermuteten. Er schwenkte einen Palmenzweig in der Hand, überall, wo es Palmen giebt, eine Zeichen, welches eine friedliche Absicht bedeutet.

Bei dem Feuer angekommen, blieb er stehen. Er sprach gegen den Tokul; wir hörten eine antwortende Stimme. Die Worte gingen eine Zeit lang herüber und hinüber; dann kamen zwei Schwarze aus der Hütte. Sie waren nicht bewaffnet, traten zu Agadi und redeten mit ihm. Ihre Mienen, ihre Bewegungen dabei ließen auf keine feindseligen Absichten schließen. Endlich deuteten sie nach der Hütte, in welcher auch ein Feuer brannte, denn wir sahen den Rauch aus der obern Öffnung steigen. Sie luden ihn ein, mit ihnen hineinzugehen. Ich wollte ihm zurufen, dies nicht zu thun, unterließ es aber, um sie nicht mißtrauisch zu machen. Er folgte ihrer Aufforderung.

Nun vergingen zehn Minuten, eine Viertelstunde, ohne daß er wiederkam. Aus der Viertel- wurde eine halbe Stunde, und noch immer ließ sich niemand sehen. Die Neger steckten in ihren Tokuls und kamen nicht heraus. Die Feuer, welche nicht genährt wurden, brannten immer niedriger. Das mußte Bedenken erregen. Warum kam Agadi nicht wenigstens auf einen Augenblick heraus, um uns zur Geduld zu mahnen? Wenn wir warteten, bis die Feuer verlöschten, gaben wir den einzigen Trumpf, den wir jetzt hatten, aus der Hand. Ich rief den Namen Agadi einigemale, doch vergeblich. Ich rief ihm zu, daß er antworten möge. Da klang seine Stimme aus der Hütte: »Effendi, ich bin gefangen, weil man dich für Ibn Asl hält; sie glauben es mir nicht.«

»Ist der Anführer im Tokul bei dir?«

»Ja.«

»Er mag mit dir herauskommen. Ich will mit ihm reden!«

Er antwortete nicht. Es vergingen einige Minuten; dann sah ich ihn aus der Thüre treten. Die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden, und außerdem hing er an einem Stricke, welcher in das Innere der Hütte reichte. Man konnte ihn an demselben augenblicklich hineinziehen.

»Nun?« fragte ich. »Wo ist der Häuptling?«

»Im Tokul. Er kommt nicht heraus. Ich soll dich auffordern, dich augenblicklich zu entfernen.«

»Und wenn ich es nicht thue?«

»So wird man uns erschießen. Und wenn du nicht gehst, zieht man mich an dem Stricke zurück und ermordet mich.«

»Und wenn wir gehen, was wird dann?«

»Es soll darüber beraten werden.«

»Wann sollen wir das Resultat der Beratung hören?«

»Morgen.«

»Warum erst dann? Du weißt, wie kostbar unsere Zeit ist. Wie und wo sollen wir es erfahren? Hast du etwa gesagt, wo sich unser Boot befindet?«

»Nein. Ich sagte, daß ich die Stelle zwar wisse, aber sie doch nicht beschreiben könne. Vielleicht überzeuge ich sie noch, daß du nicht Ibn Asl bist. Gehe zurück, und warte still bis morgen. Versuche jetzt nicht, mich zu befreien. Es würde mein augenblicklicher Tod sein.«

»Ich werde überlegen, was zu thun ist, und mich jetzt zurückziehen. Aber sage dem Häuptling folgendes: Ich werde schon beim Anbruch des Tages wiederkommen und mir Antwort holen. Erzähle ihm, was du von mir weißt, und teile ihm mit, daß, wenn dir nur ein einziges Haar gekrümmt wird, er es unbedingt mit seinem Leben bezahlen muß.«

Ich drehte mich um und entfernte mich mit meinen Asakern, doch nicht weit. Sobald uns der Schein der Feuer nicht mehr traf, blieben wir stehen. Als ich jetzt zurückblickte, sah ich Agadi im Eingange des Tokul verschwinden.

»Er ist verloren,« sagte einer der Soldaten. »Sie halten ihn für einen Verräter, für den Verbündeten von Ibn Asl. Da sie denken, daß du der Sklavenjäger bist, so werden sie bemüht sein, uns zu entkommen. Sie werden sich also heimlich davonschleichen und Agadi vorher umbringen.«

»Daß sie die Absicht haben werden, sich davon zu machen, das glaube ich auch. Aber wir werden sie hindern. Wir umzingeln das Lager.«

»Das hilft uns nichts. Wir könnten zwar einige erschießen, aber doch nicht alle.«

»Wenn sie fort wollen, müssen sie uns alle vor die Flinten kommen. Denke nur nach! Sie wohnen am Flusse und lagern jetzt am Maijeh. Der Wald ist undurchdringlich. Auf welchem Wege werden sie hierhergekommen sein? Etwa durch den Wald?«

»Schwerlich. Sie wollen Nilpferde jagen und wohl auch fischen. Sie sind auf dem Wasser hierher gekommen.«

»Einverstanden! Also wissen wir, was wir zu thun haben. Wir sahen ihre Boote nicht; sie haben sie versteckt, jedenfalls nicht weit von hier, und zwar in der Nähe des Nilpferdpfades, da man auf demselben am leichtesten nach dem Wasser kommt. Wenn wir ihnen diesen Weg abschneiden, können sie nicht fort. Wir sind acht Personen; das giebt vier Doppelposten, je einen im Norden, Süden, Osten und Westen des Lagers. Wir stellen uns am Rande der Lichtung auf, um, wenn der Mond nachher kommt, im Schatten sein zu können. Wollen die Neger auf einer Seite durchbrechen, so ruft der betreffende Posten. Wir andern hören es und eilen hinzu. Das ist alles, was wir zu thun haben. Die alten, schlechten Gewehre der Neger brauchen wir nicht zu fürchten. Kommt! Ich werde euch eure Plätze anweisen.«

Indem wir leise und langsam um das Lager schritten, ließ ich in der angedeuteten Weise drei Doppelposten hinter mir zurück. Der vierte bestand aus dem siebenten Askari und mir selbst. Ich hatte die südliche Stellung gewählt, weil da der Nilpferdpfad nach dem Maijeh führte und dies die Richtung war, in welcher wir ein Davonschleichen der Neger erwarten konnten.

Wir beide legten uns auf die weiche Erde. Es war unter den Palmen so dunkel, daß man uns nur dann gewahren konnte, wenn man über uns hinwegstolperte. Die Lagerfeuer verlöschten eins nach dem andern; als das letzte verglommen war, lagen auch die Tokuls in tiefer Finsternis. Es herrschte dort eine tiefe Stille. Auch die Tierwelt schlief, und kein Lüftchen regte sich. Die Tierwelt, ja, aber nicht die ganze. Myriaden von Leuchtkäfern zuckten unter den Wedeln der Palmen hin, und aber Myriaden Stechmücken fielen über uns her. Die lieben Tierchen sollten sich heute abend leider in uns täuschen. Es giebt nämlich in den Zuflüssen des oberen Niles eine kleine, ein- und linsenblätterige Wasserpflanze, welche gar keinen Geruch zu haben scheint, aber wenn man sie zerdrückt oder gar zerreibt, einen wahrhaft mephitischen Duft entwickelt. Wir waren am Nachmittage durch eine schwimmende Kolonie solcher Wasserpflanzen gerudert und hatten einige Handvoll von ihnen in das Boot geschöpft. Als wir dann ausgestiegen waren, hatten wir uns alle die Hände und die Gesichter mit ihnen eingerieben. Dies scheuchte jede Fliege, jede Mücke von uns fort.

Ich kenne keinen Gestank, welcher demjenigen dieser Sitt ed dschami el minchar gleicht. Wenn trotzdem ein Mensch, zumal ein Europäer, diese Qual derjenigen der Stechfliegenplage vorzieht, so kann man sich eine Vorstellung von der letzteren machen. Wird das Gesicht nicht durch ein Netz geschützt, so kann man es nach kurzer Zeit schon fast nicht mehr für ein menschliches halten. Es schwillt von dem Mückengifte an; die Augen verschwinden unter der Geschwulst; die Lippen werden zu förmlichen Wülsten, und die Nase verwandelt sich in einen blauroten Klumpen. Und wehe nun gar der Zunge, wenn es einer oder einigen Mücken gelingt, in den Mund zu kommen! Sie schwillt so an, daß sie fast die ganze Mundhöhle füllt, und wird unbeweglich. Das Sprechen wird zum unbeholfenen Lallen. Ebenso ist es auch mit den Ohren, deren Eingänge sich schließen, so daß man für lange Stunden taub geworden ist. Da läßt sich der Geruch der erwähnten Wasserpflanze doch noch leichter ertragen.

Und dazu waren wir gezwungen, weil wir die Mosquitonetze im Boote zurückgelassen hatten, da sie uns bei dem, was wir vorhatten, hinderlich gewesen wären.

So lagen wir eine ganze Weile, wohl eine halbe Stunde lang. Da wurden die bis jetzt so hellen Sterne bleicher, der Himmel im allgemeinen aber heller, denn der Mond ging auf. Er warf da, wo die Palmenkronen Lücken ließen, silberne, zitternde Lichter durch das Dunkel des Waldes, welche die wie Edelsteine flammenden Glühwürmer an sich lockten.

Da ertönte rechts von uns ein leises Geräusch.

»Hörst du, Effendi?« fragte mein Gefährte. »Was mag das sein?«

»Es kommen zwei Menschen geschlichen, jedenfalls sind es Neger.«

Sie kamen näher. Wir lagen an der Seite des Pfades unter den Schlinggewächsen, so daß sie uns nicht sahen. Es war hier unter den Palmen dunkel, dennoch erkannte ich die Umrisse ihrer schwarzen Gestalten, und es war mir, als ob sie Ruder in den Händen trugen. Als sie vorüber waren, wiederholte sich dasselbe Geräusch.

»Es kommen abermals welche,« flüsterte der Asaker. »Wollen wir sie vorbeilassen?«

»Ja. Sie gehen zu den Booten. Wenn wir sie vorbeilassen, können wir erfahren, wo dieselben liegen; im anderen Falle müßten wir sie mühsam suchen. Die nächsten aber, welche kommen, weisen wir zurück.«

Während ich ihm dies nur für ihn hörbar zuraunte, kamen die zwei Schwarzen an uns vorüber. Es war klar, sie wollten fort, und diese vier sollten die Boote klar machen. Ich horchte nach dem Lager hin und hörte nichts.

»Ich schleiche ihnen nach,« sagte ich. »Bleib‘ liegen. Kommen wieder welche, so rufst du sie an. Weichen sie nicht zurück, so schießest du den vordersten nieder. Das wird wirken, wenigstens bis ich zurückkomme.«

Ich kroch aus unserem Verstecke hervor und wendete mich dem Maijeh zu. Der Pfad hatte keine Biegungen, sondern führte schnurgerade nach dem Wasser und bildete, als ich eine Strecke gegangen war, eine Art Fernrohr, durch welche ich hinaus auf den Maijeh sehen konnte. Dieser glänzte im Scheine des Mondes wie flüssiges Metall; kein Lüftchen bewegte seine Oberfläche. Das Ufer wurde zunächst durch einen breiten Schilfrand gebildet, welcher zwischen dem Wasser und dem Walde lag. Aus diesem Schilfe erhob sich die Falle. Zwischen dieser und dem Walde sah ich die vier Neger stehen, mit dem Rücken nach mir gerichtet. Sie hatten allerdings Ruder in den Händen und schienen etwas, was ich aber nicht sehen konnte, auf dem Maijeh zu beobachten. Ich ging schnell weiter, bis ich den Ausgang des Waldes erreichte. Da sah ich, im Schatten der letzten Palmen stehend, den Gegenstand, welchen sie betrachteten.

Es war eine Nilpferdkuh, ein anscheinend riesiges Tier, nach der Größe des Kopfes zu beurteilen. Sie spielte im Wasser; sie tauchte auf und nieder, ließ aber, wenn sie emporkam, nicht den ganzen Körper sehen, sondern nur Kopf und Nacken. Auf dem letzteren hockte in sehr lächerlicher Stellung ein noch junges Nilpferd, welches die Höhe eines Neufundländerhundes hatte, aber dicker war.

Die alten Aegypter nannten das Nilpferd Rer, das ist Wasserschwein, und der Körper dieses Riesentieres hat wirklich eine große Ähnlichkeit mit demjenigen des Schweines, nur daß die Verhältnisse fast ungeheuerlich sind. Der Kopf läßt sich mit nichts vergleichen; es giebt eben kein Tier, welches einen ähnlichen Kopf besitzt. Das Gesicht des Hippopotamus ist ganz unverhältnismäßig breit und platt. Die kleinen, schweineartigen Augen stehen hoch oben. Der Rachen, welcher mit starken Hauern bewaffnet ist, kann einen starken Menschen in der Mitte des Leibes umfassen. Da Augen, Ohren und Nasenlöcher in derselben Ebene liegen, so kann das Tier den ganzen Leib verborgen halten und das Gesicht allein über das Wasser erheben, um zu atmen oder nach Feinden auszuschauen. Unter der starken Haut befindet sich eine dicke Schicht halbflüssigen Fettes, wodurch dem Tiere das Schwimmen ungemein erleichtert wird. Die sehr plumpen Beine sind so kurz, daß beim Laufen der Leib beinahe auf der Erde schleift.

Jetzt tauchte das Tier auf und ließ die Wasser zu beiden Seiten aus dem Rachen laufen. Dann wieder stieß es dieselben durch die Nasenlöcher, eine halbkugelförmige, dichte, feuchte Staubfontaine bildend, wälzte sich hin und her, schüttelte das Kleine ab, daß es ins Wasser fiel, nahm es wieder auf und näherte sich endlich dem Ufer.

Dort wurde das junge wieder abgeworfen; es platschte ziemlich beholfen durch das Wasser, erreichte das Land und trollte langsam den Pfad herauf, lief unter der Falle weg und blieb dann stehen, um sich nach der Alten umzusehen.

Diese hatte den Kopf über Wasser gehalten, um das Kleine zu beobachten und ihm, wenn nötig, beizustehen. Jetzt, da sich dasselbe auf festem, sicherem Boden befand, kam auch sie an das Ufer, eine gewaltige, unförmliche Körpermasse, welche sich wassertriefend und schnaubend an und durch das sumpfige Ufer arbeitete.

Das Junge sah die Alte kommen und trollte gemütlich weiter, sich den Negern nähernd, ohne dieselben, welche sich jetzt niederbückten, zu beachten. Es hatte noch keine Ahnung von den Gefahren, welchen sogar ein anmutvolles Nilpferd ausgesetzt ist.

Ich war ganz Auge. Meine Aufmerksamkeit war nur auf die beiden Tiere gerichtet. Alles andere erschien mir nebensächlich. So schien es auch den vier Negern zu gehen. Sie dachten nicht an die Boote, zu denen sie geschickt worden waren; sie sahen den köstlichen Braten, wenn auch in noch ungeröstetem Zustande, vor sich, und durch ihre Seelen ging ein tiefes Rühren, dem sich alles andere unterordnen mußte.

Jeder halbwegs gebildete Europäer kennt den gewaltigen Unterschied zwischen dem köstlichen Geschmacke eines zarten Spanferkels und dem schon mehr profanen Genusse, den ein alltäglicher Schweinebraten bietet. Ebenso weiß jeder leidlich erfahrene Sudanese zwischen dem Braten eines Nilpferd-Küchleins und demjenigen eines alten Hippopotamus zu unterscheiden. Hier kam das zarte Küchlein den Schwarzen so gar bequem entgegengetrollt, daß sie der Versuchung unmöglich widerstehen konnten. Sie sprangen auf, fielen mit den Rudern über das ahnungslose Tierchen her und schlugen es nieder. Es kreischte zwei- oder dreimal auf und erlag dann den schnellen, kräftigen Hieben, welche auf die empfindliche Nase gerichtet waren. Ich sah kommen, was nun kommen mußte, nämlich das alte Tier.

Dieses hörte kaum die Schmerzenslaute seines jungen, so ließ es ein grimmiges Schnauben hören, welches mit sonst nichts zu vergleichen ist, und stürzte sich vorwärts. Mit einer Schnelligkeit, welche man dieser unförmlichen Fleischmasse gar nicht zutrauen sollte, schoß es durch die Falle. Dabei berührte es die Auslösung; die Harpune fiel – – aber hinter dem Tiere, weil die Bewegung desselben zu schnell gewesen war. Das Nilpferd blieb unverletzt und jagte weiter, bis dahin, wo das junge lag. Dort hielt es an und wendete es mit der Schnauze einige Male von einer Seite auf die andere.

Hatten die vier Neger sich für sicher vor dem Alten gehalten? Hatten sie gemeint, daß dieses nicht weiter als bis unter die Falle kommen könne? Wenn das der Fall war, so sahen sie sich schrecklich enttäuscht. Sie standen erst starr vor Entsetzen; aber dadurch, daß die Alte bei dem jungen anhielt, gewannen sie Zeit zur Flucht. Sie warfen die Ruder weg und rannten zurück, an mir vorüber, in den Wald hinein, dem Lager zu. In demselben Augenblicke hörte ich meines Gefährten laute, befehlende Stimme:

»Halt, bleib‘ stehen, sonst bist du eine Leiche!«

Dieser Drohung war zu entnehmen, daß die andern Neger oder wenigstens wieder einige von ihnen kamen. Die vier Ausreißer brüllten ihnen mehrere Worte, die ich nicht verstand, entgegen, jedenfalls eine Warnung. Zehn und noch mehr Stimmen brüllten; die Tierwelt erwachte aus dem Schlafe; Affen kreischten, Vögel erhoben ihre so verschiedenen Stimmen; der Schuß meines Gefährten krachte; im Lager heulten die Schwarzen; der ganze Wald war lebendig geworden. Meine drei andern Doppelposten ließen ihre Rufe ertönen; ich hörte ihre Schüsse fallen. Und das alte Nilpferd? Und ich?

Nun, wir waren hart hintereinander her, aber nicht etwa es hinter mir, sondern ich hinter ihm. Ich hatte mich tief in die Lianen gedrückt, um die vier Neger an mir vorüber zu lassen, und den Blick nicht von dem Tiere gewendet. Als es sich überzeugt hatte, daß das junge tot war, stürzte es wieder vorwärts, sah die Neger unter den Palmen verschwinden und schoß ihnen nach. Die Schnelligkeit, mit welcher dies geschah, war ganz unglaublich. Dabei ließ es einen Ton oder vielmehr Töne hören, welche gar nicht zu beschreiben sind. Das war kein Schnaufen mehr, kein Schnauben, kein Grunzen, kein Brüllen, und doch war es das alles und noch viel mehr als das.

Als es mir nahte, blieb ich stehen, nicht vor Schreck, sondern aus Berechnung. Meine beiden Läufe waren geladen; ich hätte schießen können, war aber vorsichtig genug, dies nicht zu thun. Das Riesentier mußte so getroffen werden, daß es sofort fiel; hier unter den Bäumen aber hatte ich kein sicheres Zielen, und ein Nilpferd besitzt keineswegs viele Stellen, an denen es tödlich verwundbar ist. Von vorn durfte ich es auf keinen Fall nehmen.

Als es an mir vorüberschoß, streifte es mich, ganz leicht nur, im Verhältnisse zu seiner Stärke und seiner Masse; aber ich flog doch, wie von zehn Pferdekräften geworfen, seitwärts in das Dickicht, raffte mich jedoch sofort wieder auf und rannte hinterdrein. Was nun folgte, läßt sich wirklich leichter erleben als beschreiben.

Man denke sich einen von einem Nilpferde ausgetretenen Pfad, der keineswegs einem parkettierten Fußboden gleicht, sondern buchstäblich aus tiefen, runden Löchern, in denen das Wasser steht, zusammengesetzt ist. Rechts und links Dickicht. Oben die Palmenwipfel, welche den Pfad verdunkeln, und bricht ja ein einzelner Strahl des Mondes durch, so bewirkt er nur, daß die Unsicherheit vergrößert wird. Vorn Schüsse, Rufe, das Geheul und Geschrei der erschrockenen Menschen, von allen Seiten das Geplärr, Gekrächz, Gestöhn, Gebrumm, Gebrüll und Gekreisch der Tiere! Hart vor der Hand ein wütendes Ungeheuer, dem man den Garaus machen will, machen muß, um zehn und noch mehr Menschenleben zu retten!

Wie ich mit solcher Schnelligkeit vorwärts gekommen bin, wußte ich damals nicht und kann es heute noch viel weniger sagen. Das Nilpferd flog und ich flog auch, über die Löcher und Pfützen hinweg, zwischen den Lianenwänden hin. Ich stolperte über menschliche Körper, welche von dem Untiere niedergerannt worden waren, und kam doch nicht selbst zum Falle. Meine Füße berührten kaum den Boden, und doch blieb ich so gut bei Atem, als ob ich ruhig auf einem Sofa säße. Da lichtete sich das Dunkel über mir. Der Pfad war zu Ende, und die Bäume traten zurück. Die Lichtung begann und war vom Mondenscheine förmlich überflutet. Rechts, links, vorn rannten, flogen, schossen, stürzten, purzelten, wälzten sich schwarze Gestalten. Zehn, zwölf Sprünge vor mir stampfte das Nilpferd einen Mann unter den Beinen zu Brei. Fünf, sechs weite Sprünge links nach vorn, dann blieb ich stehen und legte an. Die Aufmerksamkeit zunächst auf mich selbst richtend, bemerkte ich, daß ich nicht zitterte; dann den Blick auf das Visier, die Mündung handtief hinter das linke Ohr des Hippopotamus gerichtet und dann losgedrückt. Der Schuß erdröhnte durch den Wald; die zweite Kugel folgte sofort nach; ich schnellte mich weiter nach links bis in den Schatten der nächsten Hütte, fuhr mit der Linken in die Tasche, wo ich die Patronen hatte, und wendete mich erst nun zurück, um schnell wieder zu laden und dabei zu sehen, welchen Erfolg meine Schüsse hatten.

Das Tier stand aufrecht, ohne sich zu bewegen. Es hatte den Rachen weit geöffnet und ließ die starken, stumpfen Hauer sehen. Es schien, als ob es in verderblicher Wut brüllen wolle, aber der Rachen blieb stumm; die Quelle der Stimme, die Lunge, war gelähmt. Ein schweres Zittern lief langsam über den Körper; er neigte sich nach rechts, nach links, nach vorn, wieder nach rechts und fiel dann schwer, wie aus Holzklötzen geschnitten, nach dieser Seite um. Da lag er starr und steif, ohne daß auch nur ein einziges Glied sich einmal noch bewegte.

Unterdessen hatte ich wieder geladen und näherte mich vorsichtig dem Kopfe, bereit, demselben nötigenfalls noch zwei schnelle Kugeln zu geben. Es war nicht nötig. Wie sich später zeigte, waren die beiden ersten direkt in das Gehirn gedrungen und hatten das Ungeheuer augenblicklich und vollständig gelähmt; es war tot.

Jetzt sah ich mich um. Mehrere Tote und Gequetschte lagen hier und dort an der Erde, sonst war niemand zu sehen; aber im Innern der Tokuls hörte ich Stimmen. Ich begab mich zum größten, trat in den Eingang und fragte:

»Agadi, bist du noch hier?«

»Ja, Effendi,« antwortete er. »O Allah, welch ein Schreck kommt über die Erde!«

»Bist du noch gebunden?«

»Ja, Ich hänge hier am Pfosten.«

»Sind noch andere hier?«

»Eine ganze Menge.«

»Ich werde dich abschneiden.«

Seine Stimme sagte mir, wohin ich mich zu wenden hatte.

Ich stieg zwischen, auf und über Menschen hinweg, welche ich nicht sah, und die sich dies ruhig gefallen ließen, schnitt ihn los, machte auch seine Hände frei und zog ihn dann hinaus auf den Platz. Wir waren, außer den Toten und Verwundeten, die einzigen Menschen draußen; die andern waren von der Angst in die Hütten getrieben worden. Als er das Tier liegen sah, schlug er die Hände zusammen und rief aus:

»Da liegt das Ungetüm, bei Allah, da liegt es! Ist es denn wirklich tot?«

»Ja, ich habe es erschossen.«

Ehe er antworten konnte, ertönte hinter der Tierleiche der laute Ruf:

»Allah akbar! Da liegt der vierfüßige Teufel, der uns alle verschlingen wollte! Er ist tot; er hat sein Leben lassen müssen und ist in seinen Sünden dahingestorben. Nicht wahr, du bist es, der ihn erschossen hat, Effendi? Ich steckte am Wege, und obgleich es dunkel war, sah ich dich hinter ihm her rennen.«

Der Sprecher war der Askari, mit dem ich am Wege gelauert hatte.

»Jetzt haben wir,« rief Agadi, »gewonnenes Spiel. Du hast das ganze Lager gerettet, hast den Kriegern der Bor das Leben erhalten, denn dieses Ungetüm hätte die Hütten und mit ihnen alle, welche sich darin befanden, niedergestampft. Nun kann uns niemand mehr als Feinde betrachten; nun wird man mir glauben, wenn ich wiederhole, daß du nicht Ibn Asl bist. Komm‘ mit herein, damit ich dem Häuptling sage, daß du sein Retter bist!«

»Dazu bedarf es meiner Gegenwart wohl nicht. Gehe also allein zu ihm. Er mag die Feuer wieder anbrennen lassen. Wenn wir das Tier zerlegen, soll jeder Bor ebenso wie jeder Askari sein Teil bekommen. Sage ihm das. Inzwischen will ich nach meinen Asakern sehen.«

Agadi trat wieder in den Tokul. Der Askari, welcher sich mit mir auf Posten befunden hatte, begleitete mich, als ich ging, um nach den sechs andern Asakern zu sehen. Sie hatten sich wacker gehalten. Keiner war von seinem Platze gewichen. Sie hatten das Geschrei, die Warnungsrufe gehört und die Verwirrung bemerkt, ohne aber zu wissen, welchen Grund dies habe, da sie die Sprache der Bor nicht verstanden. Die Schwarzen hatten vor dem Nilpferde fliehen und aus dem Lager brechen wollen, waren aber durch die Schüsse der sechs Asaker zurückgetrieben worden und hatten sich dann vor Angst in die Tokuls verkrochen. Freilich durfte ich meinen Posten ihr ruhiges Ausharren nicht allzuhoch anrechnen. Hätten sie gewußt, daß ein Nilpferd im Anzuge sei, so wären sie, obgleich sie den Schwarzen so wacker standgehalten hatten, sehr wahrscheinlich auch davongelaufen.

Ich führte sie in das Lager, ohne mich zu fragen, ob ich das auch wagen dürfe. Ich dachte gar nicht mehr daran, daß uns eine Gefahr drohen könne; ich war Herr der Situation gewesen und hatte das Gefühl, daß ich dies auch bleiben werde. Darum befahl ich meinen Soldaten, zwei große Feuer in der Nähe des Nilpferdes anzubrennen, damit es bei dem Scheine derselben ausgewirkt werde.

Während sie diesen Befehl ausführten, beobachtete ich die Schwarzen. Sie brannten ihre Feuer wieder an und holten ihre Angehörigen herbei, welche von dem Nilpferde getötet oder verletzt worden waren. Auch diejenigen, welche schon auf dem Pfade zu Fall gekommen waren, wurden gebracht. Im ganzen waren vier Mann tot und acht verwundet, und zwar meist schwer. Dies alles geschah in einer Weise, als ob unsere Anwesenheit ganz selbstverständlich sei. Als dann die Toten beiseite geschafft und die Verletzten in einem Tokul untergebracht worden waren, kam der Dolmetscher in Begleitung eines Schwarzen, den er mir als den Häuptling bezeichnete, zu mir. Ich konnte mir den Mann beim Scheine der jetzt wieder brennenden Feuer betrachten. Er stand im mittleren Lebensalter; sein Gesicht war beinahe vollständig schwarz, doch zeigten seine Züge nicht den bekannten Negertypus. Wie fast alle Angehörige des Dinkavolkes hatte er das Haar geschoren und nur auf der Mitte des Scheitels eine Art Skalplocke stehen lassen. Auch die bereits bei der Beschreibung des Dolmetschers erwähnte Tättowierung war in genau derselben Weise vorhanden. Sein Anzug bestand aus einem blauleinenen Hemde, welches ihm fast bis an die Füße reichte. Es wurde von einem Riemen zusammengehalten, in welchem eine alte Pistole und ein Messer steckten. In der Hand trug er eine lange, einläufige, arabische Steinschloßflinte. Er machte mir eine tiefe Verneigung, betrachtete mich mit neugierigen Augen, wobei sein Gesicht sehr bemerkbar freundlicher wurde, und sagte dann:

»Nein, du bist nicht Ibn Asl. Ich sehe das jetzt.«

Er bediente sich der Sprache seines Stammes, sodaß Agadi mir die Worte verdolmetschen mußte. Hierbei sei erwähnt, daß auch fernerhin jede Unterredung mit ihm oder einem seiner Leute nur mit Hilfe Agadis stattfand.

»Kennst du diesen Mann persönlich?« fragte ich ihn.

»Ja. Ich habe ihn einmal unten am Mokren el Bohur gesehen.«

»So kannst du allerdings entscheiden, ob ich dieser Halunke bin oder nicht.«

»Vorhin, als du an unserem Lager standest, konnte ich dein Gesicht nicht deutlich erkennen, und da ich weiß, daß Ibn Asl einen Sklavenzug zu unternehmen beabsichtigt, mußte ich vorsichtig sein. Nun da ich dich aber so nahe vor mir habe, glaube ich den Worten dessen, den du zu mir sandtest. Ich mußte ihm mißtrauen, da ich erfahren hatte, daß er sich bei Ibn Asl befand.«

»Ich habe ihn über die Absichten des Slavenjägers aufgeklärt, und er hat sich infolgedessen von diesem losgesagt. Du kannst ihm und mir vertrauen.«

»Ich vertraue dir jetzt sehr gern. Sage mir, wie ich dir dankbar sein kann! Ich werde es gern thun.«

»Was ich gethan habe, bedarf keiner Dankbarkeit; aber es giebt allerdings eine Gefälligkeit, um welche ich dich bitten möchte und die wir dir gut und ehrlich bezahlen werden. Wir brauchen Ochsen zum Reiten und zum Tragen unseres Gepäckes.«

»So ist es also wahr, daß Ibn Asl gegen die Gohk ziehen will?«

»Er will nicht nur, sondern er ist bereits unterwegs. Ich weiß, daß sie zu deinem Stamme gehören, und hoffe deshalb, daß du uns deine Hilfe nicht verweigern wirst.«

»Sie sind unsere Freunde und Verwandten, und es ist also unsere Pflicht, ihnen beizustehen. Dazu kommt, daß du uns gerettet hast. Dir sind sie fremd, und dennoch willst du sie retten; wie könnten wir, die wir zu ihnen gehören, dir unsere Hilfe versagen! Wie viel Ochsen brauchst du?«

»Ungefähr zweihundert. Wirst du so viele auftreiben können und zwar schnell?«

»Wenn du willst, kannst du schon morgen um die Zeit des Mittags tausend haben, denn wir sind sehr reich an Rindern, reicher als alle anderen Stämme, welche in dieser Gegend ihre Dörfer haben. Zweihundert werden zu wenig sein.«

Indem er diese letzteren Worte sagte, betrachtete er mich mit einem Lächeln, als ob er dabei einen für mich angenehmen Hintergedanken habe.

»Warum?« fragte ich ihn erwartungsvoll.

»Weil zweihundert Ochsen alle die Krieger, welche ausziehen werden, nicht fortbringen könnten. Wenn fremde Krieger sich solchen Entbehrungen und Gefahren unterwerfen, um den Gohk beizustehen, so dürfen doch wir unmöglich zurückbleiben. Ich werde zweihundert meiner besten Leute versammeln und mit euch ziehen.«

Nichts konnte mir lieber sein als dieses Anerbieten. Das war ja weit mehr, als ich hatte erwarten können! Darum antwortete ich erfreut:

»Ihr werdet uns sehr willkommen sein! Wir fürchten zwar Ibn Asl keineswegs, zumal wir überzeugt sind, daß die Leute Agadis, sobald wir mit ihnen sprechen, von ihm abfallen werden, aber man kann niemals der Kräfte zu viel haben. Nur fragt es sich, wie lange es dauert, bis du die zweihundert Krieger zusammenbringst.«

»Wann kommt der Reis Effendina mit seinen Leuten hier an?«

»Ich denke, daß er morgen gegen Abend hier sein wird.«

»Und ich meine, daß er dann nicht sofort aufbrechen kann, sondern bis zum andern Morgen warten muß. Da braucht er unsertwegen keine Zeit zu verlieren, denn ich werde jetzt gleich Boten aussenden, daß meine Krieger am Mittag schon beisammen sind. Damit wir uns unterwegs nicht der Nahrung wegen mit der Jagd aufhalten müssen, werden wir uns einen genügenden Vorrat von Speisen backen. Damit werden unsere Frauen und Mädchen bis zum Morgen fertig sein. Erlaube mir, mich zu entfernen, um dem Boten meinen Auftrag zu erteilen!«

Er rief seine Leute zusammen. Dann entfernten sich sechs von ihnen, um den Auftrag, den sie erhalten hatten, auszuführen. Sie gingen nach dem Ufer, um den Weg per Kahn zurückzulegen, die übrigen begleiteten sie, um das junge Nilpferd zu holen. Da auch ich mitging, sah ich, daß die Schwarzen ihre Boote in der Nähe der Nilpferdfalle versteckt hatten.

Als wir nach dem Lager zurückgekehrt waren, wurde auch das kleine Hippopotamus zerlegt; dann begann das Braten.

Ich saß mit meinen Asakern an einem der Feuer, und der Häuptling nahm bei uns Platz. Er freute sich auf den beabsichtigten Kriegszug, und ich erkannte aus jedem seiner Worte, daß wir an ihm einen sehr wackern Verbündeten haben würden.

Die Bor hatten schon zum Abend gegessen; dennoch machten sie sich mit einem Eifer, als ob sie völlig ausgehungert gewesen seien, über den Nilpferdbraten her. Welche Quantitäten Fleisch so ein Mensch verschlingen kann, davon hat man gar keine Ahnung. Ich aß doch auch tüchtig, und das große Stück Zunge, welches ich für mich genommen hatte und von welchem ich nichts übrig ließ, schmeckte mir vortrefflich, aber was und wie diese Leute aßen, das brachte mich in Erstaunen. Sie schnitten sich lange, schmale, bandförmige Stücke ab, hielten sie, indem sie den Kopf weit nach hinten legten, mit der Linken über den weit geöffneten Mund, ungefähr so, wie die neapolitanischen Lazzaroni ihre Maccaroni zu essen pflegen, schnappten zu und schnitten die einzelnen Bissen dann mit der Rechten hart an den Zähnen ab. Auf diese Weise aßen, oder vielmehr fraßen sie, bis sie endlich nicht mehr konnten und ihre Bäuche so dick angeschwollen waren, daß es mir hätte angst und bange um sie werden mögen. Dann krochen sie in die Tokuls, um zu schlafen. Auch die Verwundeten waren mit Fleisch förmlich vollgestopft worden, wozu die europäische medizinische Welt gewiß sämtliche Köpfe geschüttelt hätte. Ich zog es natürlich vor, unter freiem Himmel zu schlafen, und ließ die Mosquitonetze von unserm Boote holen. Wir hüllten uns hinein und gaben uns der Ruhe hin, ohne es für nötig zu halten, zu unserer Sicherheit einen Wächter auszustellen. So groß war das Vertrauen, welches mir der Häuptling der Bor eingeflößt hatte.

Am Morgen wurden wir durch das Geschrei der Vögel, welche den Wald belebten, geweckt. Die Schwarzen waren schon munter und saßen bereits bei den Feuern, um – – wieder zu essen. Wenn die Kerle gegen den Feind so tapfer waren wie hier beim Essen, dann war Ibn Asl auf alle Fälle verloren!

Der Vormittag wurde damit zugebracht, einen Vorrat von Fleisch so anzubraten, daß dasselbe nicht so schnell wie in frischem Zustande in Fäulnis geriet. Unterdessen kamen die Boten, welche nach sechs verschiedenen Dörfern geschickt waren, zurück und meldeten, daß die Krieger zu Mittag da sein und die Ochsen nach einer kleinen Savanne bringen würden, deren Namen ich vergessen habe; dorthin würden später auch die Frauen mit den Speisevorräten kommen.

Um die Mittagszeit stellte sich ein Schwarzer ein, welcher die Nachricht brachte, daß die Krieger mit den Ochsen eingetroffen seien. Der Häuptling wollte hin zu ihnen, und ich sollte mit. Möglicherweise konnte der Reis Effendina früher ankommen, als ich berechnet hatte. In diesem Falle galt es, dafür zu sorgen, daß er uns fand. Darum schickte ich unser Boot mit vier Ruderern und einem Steuerer fort, um sich draußen vor dem Maijeh an das Nilufer zu legen und ihn, falls er kam, zu führen. Dann begleitete ich den Häuptling nach der Savanne. Natürlich ging Agadi mit, da ich ihn als Dolmetscher brauchte.

Nachdem wir ungefähr eine Viertelstunde lang durch den Wald gegangen waren, gelangten wir an die Savanne, welche infolge der Nähe des Wassers dicht mit saftigem Grase bestanden war. Dort hielten die zweihundert Krieger mit ihren Reitochsen und den Treibern, welche die übrigen Rinder gebracht hatten. Die Bor waren schwarze, kräftige, nur mit einem Lendentuche bekleidete Gestalten. Ihre Waffen bestanden ausnahmslos in Messern, welche kräftig genug waren, um mit denselben einen Weg durch die Schlinggewächse des Waldes zu bahnen, und alten, langen Flinten, mit denen diese Leute aber, wie ich später sah, sehr gut umzugehen verstanden. Die Ochsen waren stark und sehr gut genährt, von feinern Formen und Linien als die unserigen. Ihre Augen blickten nicht stier, sondern klug und verständig, und es kam auch während unsers Zuges kein einziger Fall von Starrnackigkeit vor, wie man sie bei unsern Stieren so oft beobachtet. Ich fand ihren Gang leicht und gewandt. Derjenige, den ich später ritt, gehorchte dem leisesten Drucke, ertrug alle Anstrengung, ohne zu ermüden, und war mir nicht ein einziges Mal ungehorsam.

Es waren weit über vierhundert solcher Tiere da. Die Lastochsen trugen an jeder Seite entweder einen Bastkorb, oder einen großen, thönernen Krug. Die Körbe waren zur Aufnahme der festen Gegenstände bestimmt, während in den Krügen das Trinkwasser transportiert werden sollte, da das Wasser der Sümpfe, an denen unser Weg vorüberführen sollte, nicht zu genießen war. Die für die vornehmern Personen bestimmten Reitochsen trugen eine Art Sattel und, wie auch alle übrigen, in der Nase zwei Ringe, an denen die Zügel befestigt waren.

Der Häuptling hielt an seine Leute eine Rede, welche ich leider nicht verstand. Wie mir der Dolmetscher sagte, hatte er ihnen die Gründe, die Richtung und den Zweck unsers Zuges mitgeteilt und sie zur Tapferkeit aufgefordert. Sie antworteten mit einem Geschrei, welches jedenfalls den Sinn unseres Vivat oder Hurra haben sollte. Dann ließ er sie an mir erst vorüberziehen und nachher vorüberreiten. Das sollte eine Parade sein, doch warteten sie noch auf einen ›alten Dessauer‹, von welchem sie den Gleichschritt lernen konnten. Was ihnen in dieser Beziehung mangelte, das ersetzten sie vollständig durch die grimmigen Gesichter, welche sie schnitten. Wenn es nach diesen ging, so hatte ich jetzt, wie Selim sich ausdrücken würde, die tapfersten Helden des Weltalls vor mir.

Als die Truppenschau beendigt war, kehrten wir nach dem Lager zurück. Die Krieger blieben auf der Savanne, da bei uns unter den Bäumen kein Platz für sie war; doch mußte uns eine Anzahl von ihnen begleiten, um Fleisch zu holen. Daß davon genug vorhanden war, kann man sich denken, wenn ich sage, daß das erlegte Nilpferd eine Länge von wenigstens vier Metern hatte.

Wir hatten uns noch nicht lange im Lager befunden, so kehrte das ausgesandte Boot zurück, und die Insassen desselben zeigten mir an, daß der Reis Effendina schon im Ansegeln sei. Ich begab mich nach der Nilpferdfalle, um ihn dort zu erwarten, da diese Stelle sich am besten zum Anlegen eignete. Von dort aus sah ich bald darauf das Schiff im Eingange des Maijeh erscheinen und nach wenigen Minuten kam der Emir allein an das Ufer.

Ich berichtete ihm von dem Erfolge, welchen meine Sendung gehabt hatte, und er war sehr erfreut darüber. Auch er fand es für sehr vorteilhaft für uns, daß die Bor entschlossen waren, in solcher Zahl an unserm Zuge teilzunehmen. Dennoch gab er erst dann, als ich ihm versichert hatte, daß dieselben nicht etwa eine Heimtücke gegen uns beabsichtigten, den Befehl, daß die Besatzung des Schiffes an das Land kommen solle.

Während dies geschah, führte ich ihn zu dem Häuptlinge, der ihn, natürlich durch den Dolmetscher, mit ehrerbietigen Worten begrüßte. Dann lud er ihn ein, sich mit nach der Savanne zu begeben, um die dort befindlichen Bor-Krieger ebenfalls zu besichtigen. Da ich dieselben schon gesehen hatte, verzichtete ich darauf, mitzugehen, und der Reis Effendina konnte die Leitung der notwendigen Marschvorbereitungen selbst in die Hand nehmen. Ich hatte also nichts zu thun, und weil es noch mehrere Stunden bis zum Anbruche des Abends war und ich nicht müßig bleiben wollte, so gedachte ich, mich durch eine Jagd auf eßbare Vögel zu beschäftigen. Da der Häuptling die Gegend kennen mußte, so fragte ich ihn, wohin ich mich wohl zu wenden hätte, um zum Schusse zu kommen.

»Hier wirst du nichts finden, Effendi,« ließ er mir durch Agadi antworten. »Unsere Anwesenheit hat das Wild verscheucht. Aber wenn du nach dem jenseitigen Ufer ruderst, wirst du gewiß finden, was du suchest.«

»Weißt du nicht, ob ich da drüben vor feindlichen Begegnungen sicher sein werde?«

»Ich weiß, daß du gar nichts zu befürchten hast. Du wirst auf keinen Menschen stoßen, da die Gegend nur von uns bewohnt wird.«

Diese Versicherung mußte mein Bedenken, wenn ich ein solches gehabt hätte, vollständig zerstreuen. Ich hatte aber meine Frage nur aus gewohnter Vorsicht, nicht aber infolge irgend einer Befürchtung ausgesprochen und forderte Ben Nil auf, mich im Boote zu begleiten. Das hörte einer, den ich früher oft mitgenommen hatte, was aber, da er sich seit lange bei dem Reis Effendina an Bord befand, in letzter Zeit nicht mehr geschehen war, nämlich Selim, der ›Schleuderer der Knochen‹. Er trat schnell zu mir heran und sagte:

»Effendi, nimm mich mit! Ich will auch Vögel schießen.«

»Ich kann dich nicht brauchen,« antwortete ich ihm in Erinnerung an frühere Kalamitäten, in die er mich gebracht hatte.

»Warum?« fragte er, indem er ein außerordentlich erstauntes Gesicht machte.

»Weil du jedenfalls doch nur wieder Dummheiten begehen würdest.«

Da warf er die langen Arme empor, schlug die Hände über dem Kopfe zusammen und rief aus:

»Dummheiten! Ich, Selim, der berühmteste Krieger und Jäger des Weltalls, Dummheiten! Hat man schon einmal so etwas gehört! Du beleidigst die Tiefen meiner Seele und betrübst die Gefühle meines Herzens. Vor mir kann der tapferste Held der Erde nicht bestehen. Laß fünfzig Nilpferde und hundert Elefanten über mich herfallen, sie werden mir nichts anhaben können; ich erlege sie vielmehr in der Zeit von fünf Minuten. Und du willst doch nur Vögel schießen!«

Selbst diese eifrige und beredte Vorstellung hätte mich wohl kaum vermocht, ihm seinen Wunsch zu erfüllen, aber Ben Nil schien Lust zu haben, den alten Schwadroneur wieder einmal mit uns zu nehmen, denn er bat mich:

»Versage es ihm doch nicht, Effendi! Du hast gehört, daß wir da drüben vollständig sicher sind. Es kann uns also nichts geschehen.«

»So wird er uns wenigstens die Vögel verscheuchen, denn eine Dummheit macht er ganz gewiß. Nun, wir wollen sehen, ob er sich einmal verständig halten kann.«

Wir nahmen das kleine Boot unseres Schiffes, welches sehr leicht war und Platz für mehr als zwei Ruderer und einen Steuerer hatte. Ben Nil und Selim ruderten. Wir fuhren quer über den Majieh hinüber und legten am jenseitigen Ufer an, wo wir ausstiegen und uns in den Wald begaben. Wir schritten wohl über eine Viertelstunde lang durch denselben, kamen aber nicht zum Schusse. Es gab Vögel genug, aber sie waren zu scheu.

»Wir sind noch nicht weit genug vom Lager entfernt,« meinte Ben Nil. »Wir müssen viel weiter in den Maijeh hinein.«

Da ich die Bemerkung Ben Nils für richtig hielt, kehrten wir nach dem Boote zurück und fuhren eine bedeutende Strecke am Ufer hin, bis wir an eine schmale Bucht kamen, welche sich links in das Land zog. Ich steuerte da hinein. Selim warf den Blick umher und sagte:

»Hier werden wir finden, was wir suchen. Steigen wir nun aus!«

Er zog, ohne auf meinen Befehl zu warten, das Ruder ein. Wir waren noch mehrere Ellen vom Ufer entfernt, an welchem sich eine Art Halbinsel von auf deren Oberfläche grünendem Sumpfgras angesammelt hatte. Dadurch, daß Selim sein Ruder einzog, bekam das Boot eine Wendung, welche ich mit dem Steuer unmöglich sofort korrigieren konnte; wir gerieten mit der Spitze des Fahrzeuges in das Sumpfgras; Selim hielt die schwimmende Halbinsel für festes Land und – –

»Halt!« rief ich ihm zu. »Bleib‘, du brichst durch!«

Aber noch schneller, als ich sprechen konnte, hatte er sich aufgerichtet und den Sprung gethan. Meine Worte erfüllten sich buchstäblich – er brach durch und verschwand unter dem verräterischen Grün des Sumpfgrases. Unser leichtes Boot geriet durch den Sprung des unvorsichtigen Menschen in gefährliches Schwanken; es wollte mit der Backbordseite Wasser fassen; darum neigte ich mich rasch nach der rechten Seite, um die linke emporzubringen. In diesem Augenblicke tauchte Selim gerade an der letzteren wieder auf, hielt sich am tief geneigten Bootsrande krampfhaft fest und brüllte:

»Ich ertrinke! Hilfe, Hilfe!«

»Nimm die Beine hoch; schwimme!« rief ich ihm zu. »Du stürzest sonst das Boot um!«

»Ich will hinein, hinein!« zeterte er. »Die Krokodile kommen, die Krokodile! Hebt mich hinein! Schnell, schnell, sonst fressen sie mich!«

Es war kein Krokodil zu sehen; dennoch blieb der Kerl vor Entsetzen steif und schwer am Boote hangen, so daß sich dasselbe nicht aufzurichten vermochte.

»Ben Nil, schnell auf die andere Seite, sonst kentern wir!« gebot ich meinem jungen Gefährten.

Dieser wollte gehorchen und rückte nach rechts, von Selim ab. Dies vergrößerte die Angst des letzteren, welcher schrie:

»Nicht fortrücken; bleib‘ da; zieh‘ mich hinein! Sie kommen; sie kommen!«

Er zog sich aus Furcht vor den Krokodilen, die es doch gar nicht gab, am Rande des Bootes in die Höhe und langte nach Ben Nil. Die seitige Last war für das leichte Fahrzeug zu schwer; es faßte Wasser und kippte, da Selim trotzdem nicht losließ, um. Der alte Pechvogel verschwand wieder in der Tiefe; auch Ben Nil ging unter, mit ihm unsere Gewehre, welche auf dem Boden des Fahrzeuges gelegen hatten. Nur ich blieb an der Oberfläche, da ich so vorsichtig gewesen war, die Arme und Beine sofort zum Schwimmen auszubreiten. Ben Nil kam rasch wieder empor.

»Wo ist Selim?« fragte er, als er diesen nicht sah.

»Unten. Tauchen wir nach ihm, sonst ertrinkt er uns.«

Nach dieser Aufforderung ließ ich mich sinken und wurde augenblicklich an einem Beine gepackt. Ich arbeitete mich empor und schwamm, Selim nach mir ziehend, dem Ufer zu. Er hing so fest an meinen Beinen, daß er selbst dann, als ich mich auf dem Trockenen befand, nicht losließ. Halb im Wasser und halb am Lande liegend, hatte er die Augen fest geschlossen und bewegte sich nicht. Ich mußte Kraft anwenden, um mich von seinem krampfhaften Griffe zu befreien.

»Er ist doch nicht tot?« fragte Ben Nil, welcher auch an das Ufer kam.

»Nein. So schnell ertrinkt niemand.«

»Aber ohne Besinnung. Ich will versuchen, ob er mich hört. Selim, Selim! Mach‘ doch die Augen auf!«

Er folgte dieser Aufforderung, sah uns an, kam sofort vollends an das Land, sah voller Angst nach dem Wasser rückwärts und schrie:

»Wo sind die Krokodile, wo? Schnell, fort von hier!«

Er wollte wirklich fort. Ich hielt ihn fest und gebot:

»Bleib‘, Feigling! Kein Krokodil wird so dumm sein, dich für einen guten Bissen zu halten. Du bist vollständig sicher hier. Es giebt kein Krokodil in der Nähe, aber mit unserer Jagd ist es nun auch zu Ende. Das kommt davon, daß wir dich mitgenommen haben. Ich wußte doch, daß es ohne irgend eine Dummheit nicht abgehen werde.«

Dieses Wort brachte ihn vollständig wieder zu sich. Er sah, daß keine Gefahr vorhanden war, Grund genug für ihn, eine möglichst würdevolle Haltung einzunehmen und mir in beleidigtem Tone zu antworten:

»Sprich ja nicht so, Effendi! Wer hat eine Dummheit gemacht, du oder ich? Wer hat uns nach diesem Grase gesteuert, welches ich für das feste Ufer halten mußte? Doch du?«

»Nein. ich wollte an demselben vorüber; da du aber, ohne von mir den Befehl dazu erhalten zu haben, das Ruder einzogst, so bekam das Boot eine falsche Wendung. Eigentlich hätten wir dich ertrinken lassen sollen; dann brauchten wir uns nicht mehr über einen solchen Dummkopf zu ärgern.«

»Dummkopf? Etwa ich? Nein, du kannst mich unmöglich meinen, Effendi. Und ich ertrinken? Ich sage dir, ich bin in allen Meeren und Flüssen so zu Hause, daß ich am Lande viel leichter ertrinken würde als im Wasser!«

»Wenn das ist, so gehe da hinein und hole das Boot, vor allen Dingen aber zunächst unsere Gewehre heraus!«

Da kratzte er sich die berühmten Stellen hinter den Ohren und schwieg. Meine Aufforderung war keineswegs ernstlich gemeint gewesen. Selim war nicht der Mann, uns wieder zu unsern Gewehren zu verhelfen. Ich mußte das selbst thun. Darum leerte ich meine Taschen, um den Inhalt derselben zum Trocknen in die Sonne zu legen, und gab auch den Gürtel mit allem, was sich in demselben befand, dazu. Nachdem ich mich der Stiefel entledigt hatte, ging ich in das Wasser. Es war leicht, die Flinten zu finden, da sie gerade an der Stelle unten lagen, an welcher der Unfall geschehen war. Während ich sie durch Untertauchen heraufholte, legte auch Ben Nil alles Überflüssige von sich, um nach dem Boote, welches kieloben trieb, zu schwimmen und es nach dem Ufer zu schaffen.

Dann saßen wir an letzterem, damit beschäftigt, die Schlösser und Läufe der Gewehre zu reinigen und zu trocknen. Dabei hielten wir die Augen dem Wasser zugekehrt und sprachen laut miteinander, da wir keinen Grund zu haben glaubten, leise zu reden und dem Walde hinter uns eine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Leider aber hatte der Häuptling, allerdings ohne Absicht, uns falsch berichtet. Seine Meinung, daß wir hier an diesem Ufer keinen Menschen treffen würden, erwies sich als falsch. Wir sollten Leute sehen, nicht bloß sehen, und zwar was für welche!

Ich war eben mit meinem Gewehre fertig geworden und wollte nun nach den Revolvern langen, um nachzusehen, wieweit sie vom Wasser gelitten hatten, da erklang hinter uns eine befehlende Stimme:

»Drauf! Haltet sie fest nieder und bindet sie!«

Ich wurde so schnell, daß ich nicht einmal Zeit fand, mich umzudrehen, viel weniger aber aufzuspringen, von hinten gepackt und niedergerissen. Drei oder vier dunkelfarbige Kerle knieten auf mir, und ein anderer bemühte sich, mir mit seinem Kopftuche die Arme an den Leib zu binden. Ich versuchte, sie abzuwerfen und mich aufzurichten; ich kam einige Male halb auf, wurde aber immer wieder niedergerungen, bis ich endlich gebunden und Widerstand also nicht mehr möglich war. Drei ähnliche, verwegen aussehende Menschen hatten Ben Nil bemeistert. Neben diesem lag Selim. Er, der ›größte Held des Weltalls‹, wurde von nur einem in Schach gehalten.

Jetzt, da wir unschädlich gemacht worden waren, ließ sich derjenige sehen, dessen Kommando wir gehört hatten. Er war im Gebüsch geblieben, um nicht etwa von uns verletzt zu werden. Jetzt, da er sich sicher fühlte, kam er hervor und redete uns an:

»Ihr seid hier am Maijeh Semkat, ihr Hunde? Das hat Allah gefügt! Er hat euch in meine Hand gegeben, und nun sollt ihr uns gewiß keinen Schaden mehr thun.«

Wir sahen zu unserm großen Erstaunen den Muza’bir vor uns stehen, den Menschen, dem ich schon einige Male so glücklich entgangen war. Ich war der Meinung gewesen, daß er mit Ibn Asl gezogen sei. Warum war er hier am Maijeh zurückgeblieben, und was für Leute waren es, die er da befehligte?

Sein Gesicht drückte die größte Freude aus, als er, hart an mich herantretend, fortfuhr:

»Der Teufel ist dir wiederholt behilflich gewesen, uns zu entgehen, wenn wir dich ganz sicher zu haben glaubten. Dieses Mal aber wird dir seine Hilfe nichts nützen, denn wir werden dir vor allen Dingen keine Zeit zum Entkommen geben. Sobald wir mit dir das Lager erreichen, wirst du aufgehenkt. Leider ist dieser Tod ein viel zu schneller für dich; du solltest langsam totgemartert werden. Doch kann dies immer noch geschehen, wenn du dich weigerst, mir die Wahrheit zu sagen. Also willst du dir Schmerzen ersparen, so sprich aufrichtig. Wo kommt ihr her?«

Er sprach von einem Lager. Sollte Ibn Asl noch hier sein? Schwerlich! Mich aufs Schweigen zu legen, wäre albern gewesen; freilich konnte es mir auch nicht einfallen, ihm die Wahrheit zu sagen. Ich antwortete auf seine Frage:

»Wir drei kommen den Fluß herauf.«

»Weiter niemand?«

»Nein.«

»Lüge nicht, Giaur!«

»Ich sage die Wahrheit.«

»Nein, du lügst; dein Boot verrät dich. Solche Boote giebt es hier nicht; es kommt weiter her; es gehört zu einem Schiffe. Und das Schiff wird dasjenige des Reis Effendina sein. Gestehe es! Von wem hast du das Boot?«

Ich beschloß, diesmal die Wahrheit zu sagen, damit er das weitere nicht bezweifeln möge; darum antwortete ich ihm:

»Vorn Reis Effendina.«

»Dachte es mir! Wo liegt sein Schiff?«

»Unten im Flusse, anderthalbe Bootstagereise von hier.«

»Das soll ich glauben? Warum seid ihr nicht auch dort?«

»Weil er uns vorausgesandt hat, damit wir hier im Maijeh Nilpferdfallen stellen; unsere Asaker sollten übermorgen bei ihrer Ankunft gleich Fleisch finden.«

»Was wollt ihr überhaupt hier oben?«

»Wir suchen Ihn Asl.«

»Ah! Kennt ihr denn seine Seribah nicht?«

»Nein. Wir werden sie aber noch erfahren.«

»Ihr werdet nichts weiter erfahren, als wie es in der Hölle aussieht, denn ehe die Sonne gesunken ist, seid ihr tot. Seid ihr während eurer Fahrt auf keiner Seribah eingekehrt?«

»Wir hielten bei der Seribah Aliab an.«

»Wem gehört Sie?«

»Einem alten, lahmen Manne, welcher mit den Anwohnern des Flusses Handel treibt.«

»Vielleicht Sklavenhandel?«

»Nein. Er ist ein ehrlicher Mann und verkauft nur Waren.«

Da lachte er laut und höhnisch auf und sagte:

»So dumm kann doch nur ein Christ, ein verdammter Giaur sein! Mensch, um dein Gehirn muß es traurig stehen! Du hast dich von diesem »ehrlichen Manne« fürchterlich betrügen lassen. Wisse, diese Seribah Aliab gehört Ibn Asl, und der alte, lahme Mann, der sich für einen Händler ausgegeben hat, ist der Feldwebel des Sklavenjägers!«

»Alle Wetter!« rief ich aus, indem ich mich überrascht stellte.

»Ja, so ist es! Ihr wollt Ibn Asl fangen. Lächerlich! Er ist längst nicht mehr da, wo ihr ihn sucht.«

»Wo ist er denn?« fragte ich in beabsichtigter Naivetät.

»Wo er ist? Meinst du, daß ich dir das sagen werde?« lachte er, fügte aber, schnell wieder ernst werdend, hinzu. »Doch ja, ich will es dir sagen, um dir zu beweisen, daß wir dich nicht mehr zu fürchten brauchen, daß du verloren bist. Ibn Asl ist mit über zweihundert Kriegern nach Wagunda, um die dortigen Gohk-Neger zu Sklaven zu machen.«

»Warum gingst du nicht mit? Fürchtetest du dich?«

»Fürchten? Ich? Ich sollte dir eigentlich die Antwort auf diese Frage ins Gesicht hineinschlagen! Ich bin mit dem Mokkadem hier zurückgeblieben, weil Ibn Asl, sobald er Sklaven gemacht hat, den Weg gerade nach hier einschlagen wird. Wir bauen hier eine neue Seribah, nur leichte Hütten einstweilen, in denen die Sklaven, sobald sie kommen, untergebracht werden sollen, bis wir Gelegenheit finden, sie sicher an den Mann zu bringen. Du sollst diese neue Seribah sehen, denn wir werden jetzt nach dort aufbrechen.«

Er hatte neun Männer bei sich. Je zwei von ihnen nahmen Ben Nil und Selim zwischen sich; die anderen fünf mußten mich bewachen, und er gebot ihnen, außerordentlich aufmerksam zu sein. Das Boot blieb am Ufer liegen, wo es mit dem Stricke an einem Baume hing. Es sollte, wie ich hörte, später abgeholt werden.

Wir wurden fortgeführt, längs des Ufers hin. Nach kurzem hörte der Wald auf, und eh sah eine ziemlich weite, offene Grasfläche vor mir, welche bis an das Wasser trat. Dort wurde der Maijeh nur von einem schmalen Saum von Büschen eingefaßt. Diese Prairie war jedenfalls infolge eines Waldbrandes entstanden. Es ging über sie hinweg, wohl eine halbe Stunde lang; dann sahen wir, indem wir den Maijeh immer zur rechten Hand behielten, wieder Wald vor uns, an dessen Rande mehrere Hütten errichtet waren. Das kreisrunde Gemäuer derselben bestand aus Schlamm und Schilf. Die trichterförmig sich verjüngenden runden Dächer waren nur aus Schilf gefertigt. Diese Tokuls bildeten jedenfalls die neue, im Werden noch begriffene Seribah des Sklavenjägers.

Als wir uns derselben näherten, kamen uns vier Männer entgegen, drei mit afrikanischen Gesichtszügen. In dem vierten erkannte ich den Mokkadem der heiligen Kadirine. Wie staunte er, als er mich erblickte! Nachdem er seine Freude, mich als Gefangenen wieder bei sich zu sehen, einen mehr als reichlichen Ausdruck gegeben hatte, fragte er, wo und auf welche Weise wir ergriffen worden seien. Der Gaukler teilte ihm nun alles mit, was ich gesagt hatte und beide glaubten es, was freilich kein Beweis von großer Klugheit ihrerseits war.

Da der Muza’bir mir gesagt hatte, daß ich schleunigst aufgehängt werden sollte, so war ich auf eine schnelle Flucht bedacht gewesen. Das Kopftuch, mit welchem man mir die Arme platt um den Leib gebunden hatte, mußte zerrissen werden. Es war nicht neu, aber noch fest. Ich mußte versuchen, es soweit zu bringen, daß man es für einen Augenblick öffnete.

Auf der Seribah befanden sich unsere beiden Todfeinde und die zwölf Asaker, welche Ibn Asl bei ihnen gelassen hatte. Sie alle waren zwar bewaffnet, legten aber, als wir die Hütten erreichten, ihre langen Gewehre ab. Die Pistolen und Messer, welche sie nun noch bei sich hatten, konnten mir nichts schaden. Etwas seitwärts weideten zwei Ochsen, Reitochsen, wie es schien. Die an den Nasenriemen befestigten Zügel waren ihnen um den Hals geschlungen. Es versteht sich, wie ich kaum zu bemerken brauche, ganz von selbst, daß man uns alle unsere Habseligkeiten abgenommen hatte.

Der Mokkadem war ganz damit einverstanden, daß wir durch den Strick sterben sollten, doch stellte er den Antrag, wenigstens mich vorher ein kleinwenig zu martern. Während man darüber verhandelte, flüsterte ich meinen beiden Gefährten, welche nahe bei mir standen, zu:

»Ich schneide euch los. Dann rennt ihr geradewegs, ohne euch umzusehen, nach unserem Boote und steigt ein, um sofort abrudern zu können, wenn ich nach euch komme.«

»Wie willst du schneiden können!« antwortete Ben Nil, für unsere Feinde unhörbar. »Du bist doch gebunden und hast kein Messer.«

»Ich mache mich frei.«

»Werden wir entkommen? Sie werden alle hinter uns her sein.«

»Hinter euch nicht. Ich schlage zunächst eine andere Richtung ein, und da sie es doch meist auf mich abgesehen haben, werden sie mir nachrennen und nicht euch. Wartet dann aber ja, bis ich komme, sonst werde ich doch noch erwischt!«

Ich bewegte die Oberarme, um das Tuch zu lockern. Das that ich nicht etwa heimlich, sondern man sollte es bemerken. Der Muza’bir sah es zuerst, trat auf mich zu und sagte:

»Hund, willst du dich etwa losmachen? Das soll dir nicht gelingen. Ah, das Tuch ist wahrhaftig schon gelockert. Werde es wieder fester binden.«

Er bedachte nicht, daß er, um dies zu thun, den Knoten aufmachen mußte. Dieser wurde, allerdings nur für einen kurzen Moment gelöst; aber in demselben Augenblicke stieß ich die Ellbogen von mir ab, bekam die Arme frei, drehte mich nach dem Muza’bir um, riß ihm mit der Rechten das Messer aus dem Gürtel, schlug ihm die Linke ins Gesicht, daß er hintenüber stürzte, dann zwei rasche Schnitte – Ben Nils und Selims Banden waren entzwei, und die beiden rannten, was sie nur laufen konnten, davon. Diese Bewegungen waren in größter Schnelligkeit geschehen, aber doch nicht zu schnell für den Mokkadem, welcher herbeisprang und mich beim linken Arme ergriff, um mich festzuhalten. Ich hatte das Messer in der Rechten, mußte von ihm los, wollte ihn aber doch nicht erstechen; darum warf ich es fort und schlug ihn mit der geballten Faust nieder, so daß er meine Linke fahren lassen mußte, und rannte dann auch fort, aber nicht gerade aus, wie meine Gefährten es thaten, sondern nach rechts in die Prairie hinein. Dabei mußte ich an den beiden Ochsen vorüber. Es kam mir ein Gedanke. Ich sprang auf den Rücken des einen, ergriff die Zügel und schlug ihm die Fersen so kräftig gegen die Weichen, daß er augenblicklich mit mir davonrannte. Schon nach den ersten Sprüngen, welche er that, bemerkte ich, daß er den Zügeln gehorchte und mich also, wenigstens in dieser Beziehung, nicht in Verlegenheit bringen werde.

Hinter mir schrieen die Sklavenjäger wie toll; sie rannten mir nach. Ich sah mich nach ihnen um und bemerkte, daß der Muza’bir sich schnell wieder aufgerafft hatte und soeben den zweiten Ochsen bestieg, um mir auf demselben nachzujagen. Das war mir sehr lieb. Man bekümmerte sich nicht um Ben Nil und Selim, und ich hatte bereits einen solchen Vorsprung, daß ich nicht zu befürchten brauchte, eingeholt zu werden.

Leider aber erwies diese Zuversicht sich als unbegründet. Mein Ochse trat mit einem Vorderbein in ein Loch, welches ich nicht hatte bemerken können, da es mit Gras bewachsen war, blieb hängen und überschlug sich. Ich wurde abgeschleudert und flog in einem weiten Bogen mit solcher Gewalt zur Erde, daß ich eine kleine Weile wie geprellt liegen blieb. Dann raffte ich mich auf. Ich war unverletzt, aber der ganze Körper »brummte« mir, wie man dieses sonst schwer zu beschreibende Gefühl mit einem volkstümlichen Ausdrucke zu bezeichnen pflegt.

Der Ochse konnte nicht auf; er hatte den Fuß gebrochen, und ich war also auf die Schnelligkeit meiner eigenen Beine angewiesen. Der Muza’bir war mir bis auf zweihundert Schritte nahe. Er stieß ein Triumphgeschrei aus und schwang die Pistole in der rechten Hand. Weit hinter ihm kam der Mokkadem mit den andern gelaufen. Die letzteren brauchte ich nicht zu fürchten, desto gefährlicher aber war mir der erstere; er holte mich auf alle Fälle ein. War es da nicht besser, ihn stehenden Fußes zu erwarten? Zwar war er bewaffnet und ich nicht, doch glaubte ich, mich auf meinen scharfen Blick und mein gutes Glück verlassen zu können. Ich blieb also stehen. Er kam herangejagt, richtete die Pistole auf mich und rief, wohl noch hundert Schritte von mir entfernt:

»Stirb, Hund! Willst du dem Stricke entgehen, so trifft dich meine Kugel!«

Er drückte ab und – traf mich nicht, wie mit fast absoluter Sicherheit zu erwarten gewesen war. Wer aus solcher Entfernung und auf einem Ochsen galoppierend mich treffen wollte, mußte ein besserer Schütze sein und jedenfalls auch eine bessere Waffe haben. Die Pistole hatte nur einen Lauf. Er steckte sie in den Gürtel und zog die andere. Noch einmal schoß er und fehlte wieder. Jetzt gehörte der Mann mir; darauf hätte ich jede Wette eingehen mögen.

Er steckte auch die zweite Pistole ein und riß das Messer aus dem Gürtel. Aus Wut über die beiden Fehlschüsse und im grimmigen Verlangen, meiner habhaft zu werden, verlor er das richtige Augenmaß und vergaß, sein Tier im richtigen Augenblicke zu zügeln. Es blieb nicht bei mir halten, sondern schoß eine kleine Strecke über mich hinaus. Er riß in die Zügel und versäumte dabei, sich nach mir umzusehen. Es waren nur wenige Augenblicke, welche er verlor, doch genügten sie mir vollständig, seine Unvorsichtigkeit zu benutzen. Ich rannte ihm nach, und noch hatte er den Ochsen nicht vollständig zum Stehen gebracht, so sprang ich hinter ihm auf und preßte ihm mit meinen Armen die seinigen fest an den Leib, das Tier erschrak und rannte in erneutem Laufe weiter.

»Hund!« brüllte er, »laß mich los, sonst brechen wir beide Hals und Beine!«

»Ich breche nichts,« lachte ich; »aber dir zerknicke ich die Knochen. Laß das Messer fallen, sonst drücke ich dir die Rippen ein!«

Er hielt mit beiden Händen die Zügel und nebenbei das Messer in der Rechten. Er ließ es fallen, als ich bei meinen Worten die Arme fester um ihn schlang.

»Halt ein!« stöhnte er, »du zermalmst mir die Brust!«

»Falls du gehorchst, geschieht dir nichts; im ersten Augenblicke des Ungehorsams aber zerquetsche ich dich wie eine faule Frucht. Du hast die Zügel. Lenke den Ochsen mehr nach links!«

Seine Leute waren immer noch so weit zurück, daß ich sie nicht zu beachten brauchte. Meine beiden Begleiter hatten die Savanne durchquert; sie näherten sich, wie ich sah, dem jenseitigen Walde und konnten nicht mehr belästigt werden. Es handelte sich nur noch darum, ihnen zu folgen, und zwar nicht allein; der Muza’bir mußte mit. Darum zwang ich ihn, nach links einzubiegen, in die Richtung, welche mich zu unserm Boote führte. Ich preßte ihm die Rippen so zusammen, daß er gezwungen war, meinen Befehl auszuführen. Er stöhnte laut unter meinem Griffe, gehorchte aber, ohne ein Wort zu sagen.

Der Ochse stürmte in vollem Laufe über die Prairie dahin und dem Walde zu. Die Sklavenjäger schlugen hinter uns unter der Leitung des Mokkadem dieselbe Richtung ein. Sie schrieen wie besessen, konnten mir aber nun nicht die geringste Sorge mehr machen. Wir hatten beinahe den Wald erreicht, da hob der Muza’bir das eine Bein, um es auf die andere Seite des Ochsen zu bringen und dadurch vielleicht meiner Umarmung zu entschlüpfen. Ich war keineswegs gewillt, mich damit zu begnügen, daß ich meinen Feinden entkommen war. Hatte ich diesen Menschen einmal in meinen Händen, so sollte er auch in denselben bleiben. Darum ließ ich ihn für einen kurzen Augenblick los, faßte ihn mit der Linken am Halse und schlug ihm die Faust gegen die rechte Schläfe. Er ließ das bereits erhobene Bein wieder sinken und wollte mit dem Oberkörper nach vorn fallen. Ich riß die Zügel aus seinen erschlaffenden Händen und zog mit der andern Hand seinen jetzt wie leblosen Körper wieder an mich.

In diesem Augenblicke hatte ich den Wald erreicht und mußte den Ochsen zügeln. Er gehorchte und schritt langsamer vorwärts. Dennoch war es nicht leicht, mich auf seinem Rücken zu halten, ohne den Muza’bir fallen oder mich von dem Gezweig abstreifen zu lassen. Später, als die Bäume dichter zusammentraten, sah ich mich gezwungen, abzusteigen. Ich ließ den Ochsen laufen, nahm den Muza’bir auf die Schulter und eilte der Stelle zu, an welcher ich das Boot wußte.

Es lag noch da. Ben Nil und Selim saßen, meiner ängstlich wartend, darin.

»Hamdulillah!« rief mir der erstere, als er mich sah, entgegen. »Wie gut, daß du kommst! Wir hatten große Sorge um dich, Effendi. Aber wen bringst du da getragen? Das ist – -bei Allah, das ist ja der Muza’bir!«

»Allerdings! Er wollte uns haben, und da haben wir ihn!«

»Welch ein Glück! Welch ein Streich von dir! Wie hast du das fertig gebracht?«

»Davon später. Jetzt müssen wir rasch fort, denn die Verfolger werden bald da sein.«

»Sie haben unsere Waffen und Sachen. Wollen wir ihnen das lassen?«

»Nur für einstweilen. Jetzt gilt es, von hier fortzukommen.«

»Direkt über den Maijeh?«

»Nein. Sie würden uns sehen und also erfahren, wohin wir uns wenden. Wir rudern immer nahe am Ufer zurück, wo sie uns nicht entdecken können. Sind wir dann unserer Nilpferdfalle gegenüber angekommen, so ist es inzwischen dunkel geworden, daß sie unser Boot nicht mehr sehen können, wenn es quer über den Maijeh geht.«

Ich war während dieses kurzen Wortaustausches in das Boot getreten, hatte den besinnungslosen Muza’bir niedergelegt und mich dann an das Steuer gesetzt. Die beiden legten sich in die Ruder, und wir flogen, uns so nahe wie möglich an das Ufer haltend, unter den Bäumen dahin. Die Sonne stand schon tief hinter dem jenseitigen Walde, und mußte in einigen Minuten hinter dem Horizonte verschwinden. Wir beeilten uns, bis dahin diejenige Stelle zu erreichen, an welcher wir, der Nilpferdfalle gegenüber, vorhin gelandet waren und vergeblich nach Federwild gesucht hatten. Während die beiden fleißig ruderten, erzählte ich ihnen, auf welche Weise es mir gelungen war, mich des Muza’bir zu bemächtigen. Als ich diese Mitteilung beendet hatte, sagte Ben Nil:

»Wer hätte das gedacht! Als man uns fortschleppte und von unserm Tode sprach, glaubte ich alles verloren. Und nun ist das Gegenteil geschehen; wir kehren als Sieger zurück, denn wir haben den Muza’bir gefangen.«

Er war meines Lobes voll; sein Mund floß über. Selim aber verhielt sich schweigend; er sagte kein Wort, sodaß Ben Nil ihm unwillig zurief:

»Und du bist still? Kannst du dem Effendi nicht danken? Ohne ihn hingst du jetzt, gerade wie ich auch, an einem Baume!«

Selim begann nun wieder seine gewöhnlichen Prahlereien; ich gebot ihm aber Schweigen, weil wir an der ins Auge gefaßten Stelle angekommen waren und der Muza’bir sich zu regen begann. Wir legten an und fesselten den letzteren mit seinem eigenen Gürtel. Er ließ das geschehen, ohne einen Laut von sich zu geben oder nur den leisesten Versuch des Widerstandes zu machen.

Die Schatten des Waldes lagen schon längst auf dem Wasser; jetzt begann es zu dunkeln, und wir stießen nun wieder ab, um den Kiel gerade nach der Nilpferdfalle zu richten, wo das Schiff im Dunkel des Abends lag. In Anbetracht der Feinde, denen wir entkommen waren, war es mir lieb, daß kein Licht auf demselben brannte. Sie hätten es vielleicht doch drüben sehen können.

Der Reis Effendina hatte Posten ausgestellt, befand sich aber bei den Tokuls der Bor. Wir begaben uns dorthin, indem wir den Muza’bir so fest zwischen uns nahmen, daß es keine Möglichkeit des Entkommens für ihn gab. Wie staunte der Emir, als er ihn sah und von mir hörte, was geschehen war! Man hatte schon ein Feuer angezündet. Er nahm den Gefangenen beim Arme, schob ihn näher zu der Flamme, warf einen finstern, forschenden Blick auf ihn und fuhr ihn dann an:

»Kennst du mich?«

Als der Gefragte nicht antwortete, wiederholte er:

»Weißt du, wer ich bin? Antworte, sonst laß ich dich hauen, daß dir das Fleisch von den Knochen fällt!«

»Du bist der Reis Effendina,« erklang es in trotzigem Tone.

»Ja, der Reis Effendina, der bin ich. Aber weißt du denn auch, was das für dich bedeutet? Als Reis Effendina bin ich dein Richter, und du wirst von mir gehört haben, daß ich nicht zu fackeln pflege.«

»Ich habe dich nicht zu fürchten!«

»Ob du dich vor mir fürchtest oder nicht, das ist deine Sache; die meinige aber ist, den Stab der Gerechtigkeit zu schwingen.«

»Falls du gerecht bist, mußt du mich entlassen. Ich habe dir nichts gethan.«

»Du bist Sklavenjäger!«

»Beweise es mir! Bringe mir einen Sklaven, den ich gefangen habe!«

»Belle nur, Hund; bald wirst du winseln! Hast du nicht diesem Effendi nach dem Leben getrachtet?«

»Er lügt. Und selbst wenn es wahr wäre, müßte er sich nicht an dich, sondern an seinen Konsul wenden.«

»Du irrst. Du bist Unterthan des Vizekönigs, an dessen Stelle ich hier vor dir stehe. Deine Missethaten sind mir alle bekannt. Der Effendi hatte sehr oft Nachsicht mit euch; ich aber wußte, daß du in dem Augenblicke, an welchem ich dich fassen würde, verloren seist. Jetzt habe ich dich, folglich ist es aus mit dir.«

»Bringe mir Beweise! Was andere sagen, geht mich nichts an. Ich kann Zeugen dafür bringen, daß ich nichts gethan habe und fälschlicherweise angeschuldigt werde.«

»Ich will mich durch deine Worte nicht erzürnen lassen, weil du in meinen Augen bereits eine Leiche bist und ich mich über einen Toten unmöglich ärgern kann. Deine Zeugen gelten nichts; ich glaube denen, die deine Ankläger sind. Mein Gesetzbuch ist dasjenige der Wüste: Gleiches mit Gleichem. Wehe dem, der wehe thut! Aziz, bringe einen Strick!«

Aziz war bekanntlich der Liebling und Urteilsvollstrecker des Reis Effendina. Er ging in einen Tokul, um den verlangten Strick zu holen. Als er ihn brachte, rief der Muza’bir aus:

»Effendina, willst du etwa Ernst machen? Bedenke die Verantwortung! Der Mokkadem der heiligen Kadirine ist mein Freund. Er weiß, daß ich unschuldig bin, und würde dich wegen meines Todes vor den Vizekönig fordern!«

»Dieser Mokkadem ist auch mein Freund und wird, noch ehe es Morgen wird, zu seinem Vergnügen hier neben dir hängen. Hinauf mit ihm an den Ast!«

Drei Asaker hielten den Muza’bir fest; Aziz legte ihm die Schlinge um den Hals, um das andere Ende des Strickes zwei andern Asakern, welche auf den nächsten Baum kletterten, zuzuwerfen. Der Verurteilte versuchte, sich zu wehren. Er schrie und heulte, in einem fort seine Unschuld beteuernd. Ich konnte es nicht unterlassen, den Emir um Gnade zu bitten, erhielt aber, wie zu erwarten stand, die zornige Antwort:

»Schweig‘! Du weißt, wie oft ich dir zuliebe Milde walten ließ. Hätte ich das nicht gethan, so wären wir längst mit diesen Hunden fertig. Kommst du nun, da wir fast am Schlusse stehen, mir wieder mit solchen Bitten der Schwachheit und des Unverstandes, so begiebst du dich in die Gefahr, mich in der Weise zu erzürnen, daß ich nichts mehr von dir wissen mag. Halte also den Mund, und entferne dich, wenn du es nicht vertragen kannst, einen solchen Halunken hängen zu sehen!«

Nun, das war deutlich genug! In dieser Weise hatte noch kein Freund zu mir gesprochen. Ich verzichtete natürlich auf jedes weitere Wort und wendete mich schweigend ab. Es widerstrebte mir zwar, Augenzeuge der Hinrichtung zu sein, doch war es keineswegs Schwäche, welche mir meine Bitte diktiert hatte. Darum blieb ich seitwärts stehen, um zuzusehen.

Der Muza’bir bekam einen zweiten Strick unter den Armen hindurch, an welchem er emporgezogen wurde; dann band man den ersten Strick, dessen Schlinge ihm um den Hals ging, an einem starken Aste fest. Nun wurde der vorige Strick losgelassen, und die Schlinge zog sich fest; die Arme und Beine bewegten sich eine kurze Zeit krampfhaft in der Luft, worauf sie schlaff herabhingen. Als dies geschehen war, kam der Emir zu mir. Sein Zorn war so schnell verraucht, wie er gekommen war.

»Effendi, die Gerechtigkeit ist befriedigt, doch nicht vollständig,« sagte er. »Wir müssen auch den Mokkadem noch haben. Hoffentlich wirst du mir dabei deine Hilfe nicht versagen?«

»Wie kommst du zu dieser Frage?«

»Infolge deiner sogenannten Humanität. Du wolltest vorhin den Muza’bir freibitten, und ich muß dir aufrichtig sagen, daß ich den Mokkadem, sobald wir ihn haben, an dem selben Baume aufhängen lassen werde. Ist dir das nicht recht, so mag Ben Nil uns nach der neuen Seribah führen, und du bleibst hier, damit dein zartes Gewissen dir später keine Vorwürfe machen kann.«

»Mein Gewissen ist ebenso kräftig wie das deinige. Laß tausend Menschen hängen, ich sehe ruhig zu, wenn sie es verdient haben. Wenn aber ich es bin, an dem sie sich versündigten, so halte ich es für meine Pflicht, wenigstens ein gutes Wort für sie einzulegen. Fruchtet das nichts, so habe ich eben meine Schuldigkeit gethan und brauche mir nichts vorzuwerfen.«

»So bist du einverstanden, daß ich den Mokkadem auch hängen lasse, und wirst mitgehen?«

»Ja.«

»Das ist mir sehr lieb, denn du bist ein besserer Führer und Berater, als Ben Nil es sein würde. Ich muß dich sogar schon jetzt um deinen Rat bitten. Denkst du, daß wir die Schufte ergreifen werden?«

»Ich bin überzeugt davon.«

»Und ich befürchte, daß sie entflohen sein werden. Sie können sich doch denken, daß du zurückkommst!«

»Wenn sie dies denken, so glauben sie doch jedenfalls nicht, daß ich so bald komme. Ich habe dafür gesorgt, daß sie sich heute noch sicher fühlen. Sie glauben, du seist anderthalbe Tagereise von hier entfernt. Ich muß, da man uns die Waffen abgenommen hat, auf deine Ankunft warten, ehe ich etwas gegen sie unternehmen kann. Ich bin ihnen entflohen, jedenfalls weit fort, um von ihnen nicht gefunden zu werden. Das ist ihre Ansicht, und darum werden sie sich auf ihrer neu angelegten Seribah so sicher fühlen, als ob heute gar nichts geschehen wäre.«

»Wenn du dich nicht irrst, so sind wir allerdings sicher, ihrer habhaft zu werden. Wann brechen wir auf?«

»Möglichst bald. Ich bin schon jetzt bereit dazu. Wir haben zwei Boote und brauchen uns nur eins noch von den Bot zu borgen, so fassen sie mehr Leute, als wir brauchen, um diese wenigen Gegner zu überwältigen.«

»Da müssen wir aber einen anderen Weg nehmen, daß sie unser Kommen nicht bemerken.«

»Natürlich! Sie wissen, daß wir in westlicher Richtung geflohen sind, und werden also, falls sie überhaupt aufpassen, ihre Aufmerksamkeit nach dieser Gegend wenden. Wir müssen von Osten kommen. Um dies zu können, rudern wir im Schatten der Bäume immer nahe am diesseitigen Ufer hin, bis wir über die jenseits liegende neue Seribah hinaus sind. Dann fahren wir quer über den Maijeh, landen, lassen die Boote zurück und schleichen uns zu Fuße zu ihnen hin.«

»Können wir uns nicht verirren?«

»Nein. Der Mond geht bald auf. Dann ist der dunkle Wald am jenseitigen Ufer leicht von der Savanne zu unterscheiden, an deren Rande die Seribah liegt. Nimm außer mir und Ben Nil zwanzig Mann mit. Das genügt.«

»Ich denke auch, daß wir nicht mehr brauchen. Die Waffen, welcher du bedarfst, kannst du von jedem zurückbleibenden Askari erhalten. Laß dir sie geben!«

»Ich mag keine. Ich hole mir die meinigen. Nähme ich jetzt andere mit, so müßte ich sie zurücktragen.«

»Aber wenn es zum Kampfe kommt und du bist unbewaffnet, so kann es dir leicht schlimm ergehen!«

»Schlimm? Pah! Ich fürchte nichts.«

»So will ich mit dem Häuptling wegen des Bootes sprechen.«

Der Anführer der Bor war nicht nur bereit, uns eines seiner Boote zu leihen, sondern er bat uns, ihn mitzunehmen, was ihm auch gern gestattet wurde. Ich stieg mit dem Emir und Ben Nil in das kleine Boot, welches wir am Nachmittag gehabt hatten, um voranzurudern, während die Asaker in den beiden größeren Fahrzeugen folgen sollten.

Noch war der Mond nicht aufgegangen, als unsere Fahrt begann, doch leuchteten die Sterne hell genug, um uns in das Wasser ragende Wurzeln und andere derartige Hindernisse vermeiden zu lassen. Wir folgten genau dem Ufer, welches an dieser Seite einige größere Buchten hatte. Dadurch wurde unsere Fahrt verlangsamt, was mir aber gar nicht unlieb war, da ich, um dann später nicht zu irren, auf den Mond zu warten hatte.

Als er aufging, sahen wir ihn tief am Horizonte stehen, denn es gab da drüben keine Bäume, die ihn verdeckten. Daran erkannte ich, daß wir uns schon parallel mit der baumlosen Prairie befanden, an deren anderm Rande die Seribah lag.

Jetzt legten wir uns kräftiger in die Ruder als bisher. Der Mond stieg langsam höher, verschwand aber doch nach einiger Zeit hinter einer dunkeln Wand, welche ihn uns unsichtbar machte. Das war der Wald, welcher drüben wieder begann. Wir waren also an der Savanne vorüber, ruderten noch eine kleine Strecke weiter und hielten dann quer über den Maijeh hinüber.

Am jenseitigen Ufer angekommen, stiegen wir aus und banden die Boote fest. Es galt zunächst zu erfahren, ob unsere Annäherung bemerkt worden sei. Wir verhielten uns zu diesem Zwecke vollständig laut- und bewegungslos, um zu lauschen, aber es war nichts zu hören. Dann suchte ich, während die anderen noch immer still halten blieben, die Umgebung ab. Die Bäume standen nicht dicht, und der Mond schien zwischen den Kronen hindurch, sodaß ich ganz leidlich sehen konnte. Es war kein Mensch in der Nähe. Also konnte nun der kurze Marsch beginnen. Wir befanden uns nicht mehr als sechshundert Schritte hinter der Seribah.

Ich ging voran, vielleicht zwanzig Schritte von den andern entfernt, welche hinter mir eine lange Einzelreihe zu bilden hatten. Noch hatte ich den Rand des Waldes nicht erreicht, als ich den Schein eines Feuers vor mir sah und laute Stimmen hörte. Ich ließ meine Asaker halten und schlich allein weiter, um genau zu rekognoszieren. Was ich sah, gab mir die Gewißheit, daß wir die Feinde überwältigen würden, ohne daß wir einen Tropfen Blutes zu vergießen brauchten.

Wie bereits früher gesagt, standen die Tokuls der jungen Seribah am Waldesrande unter den ersten Bäumen. Zwischen zweien von ihnen hatte man das Feuer angebrannt, jedenfalls um die Stechfliegen zu vertreiben. An demselben saß der Mokkadem mit seinen Asakern, von denen kein einziger fehlte. Man hatte es also nicht für nötig gefunden, eine Wache auszustellen; man hielt sich für vollständig sicher. Das ging für mich auch daraus hervor, daß ich kein Gewehr sah. Man hatte die Flinten in den Tokuls liegen lassen. Das freute mich um unsert- und auch um der Gegner willen, denn wenn auch der Mokkadem nicht zu retten war, so hoffte ich doch, daß, falls kein Blut vergossen wurde, der Reis Effendina die andern begnadigen würde.

Ich kehrte zurück und holte unsere Leute herbei. Sie konnten die Feinde deutlich sehen, denn das Feuer brannte so, daß der Schatten einer Hütte die Stelle, an welcher wir hielten, verdunkelte. Ich wollte dem Reis Effendina meine Ansicht über das, was nun zu geschehen habe, mitteilen, da nahm er mich beim Arme und sagte:

»Komm‘ hier zur Seite, sonst wirst du getroffen!«

Er zog mich bei diesen Worten fort. Ich folgte ihm ahnungslos und fragte:

»Getroffen? Die Kerle können doch gar nicht zum Schusse kommen. Wir fallen plötzlich über sie her und –«

»Effendi,« unterbrach mich Ben Nil, welcher uns nachgehuscht war, »ich muß dir sagen, daß die Feinde erschossen werden sollen, außer dem Mokkadem. Als du vorhin vorangingst, hat der Reis Effendina befohlen, daß – –«

»Schweig‘!« fiel ihm dieser zornig in die Rede. Dann deutete er nach dem Feuer hin und rief, ehe ich es zu verhindern vermochte, seinen Leuten laut zu: »Jetzt gebt Feuer! Schnell!«

Zwanzig Gewehre erhoben sich, und zwanzig Schüsse krachten. Alle, die noch soeben ahnungslos am Feuer saßen, brachen zusammen, nur einen ausgenommen, nämlich den Mokkadem, welcher aufsprang und entsetzt nach uns herüberstarrte.

Ich ahnte, was nun folgen werde, und sprang nicht etwa auf das Feuer zu, um ihn zu ergreifen, sondern links dem Ufer zu, welches, soweit die Savanne reichte, mit Büschen eingefaßt war.

»Was fällt dir ein!« rief mir der Emir nach. »Dort am Feuer steht doch der Kerl. Drauf!«

Er rannte, gefolgt von allen seinen Leuten, auf das Feuer zu. Das gab dem Mokkadem seine Geistesgegenwart zurück. Er wendete sich, um zu fliehen. Wohin? In den Wald, aus dem er die Feinde kommen sah, konnte er natürlich nicht. Hinaus in die Prairie, wo der Mond so hell schien? Das war auch gefährlich. Also gab es nur den einen Weg, zum Wasser hin; nur im Schutze des Ufergesträuches war Rettung zu finden; er sprang dorthin. Das war es, was ich vorhergesehen hatte, weshalb diese Richtung von mir eingeschlagen worden war. Ich war ihm, ohne daß er es beachtet hatte, zuvorgekommen. Eben als er sich zur Flucht wendete, hatte ich schon das Gebüsch erreicht und mich niedergeduckt. Jetzt kam er gerade auf mich zugerannt. Ich richtete mich auf. Er sah mich, prallte zurück und rief:

»O Allah! Der Effendi! Die Hölle verschlinge ihn!«

Er war so erschrocken, daß er gar nicht auf den Gedanken kam, sich einer Waffe zu bedienen; er sah sein Heil auch jetzt nur in der Flucht und machte eine neue Wendung, um in die Savanne hinauszueilen; da faßte ich ihn hüben und drüben bei den Oberarmen und warf ihn den Asakern zu, welche hinter ihm hergeeilt kamen und ihn niederrissen. Was sie dann noch mit ihm thaten, war mir gleichgültig; ich eilte an das Feuer, um nach den dort Liegenden zu sehen. Neun waren tot, einige von ihnen von mehr als einer Kugel getroffen, die übrigen schwer verwundet. Das hatte ich nicht gewollt!

Der Reis Effendina stand fern und beobachtete mich. Ich ging auf ihn zu und fragte ihn in so zornigem Tone, daß ich fast sagen möchte, ich fuhr ihn an:

»War dies notwendig? Warum hast du mir es nicht vorher gesagt? Mußten sie denn ermordet werden?«

»Ermordet? Ich verzeihe dir diese Frage, weil du dich in Aufregung befindest. Konnte ich diese Menschen laufen lassen und ihnen Gelegenheit geben, ihr Handwerk fortzutreiben?«

»Das hätte ich nicht von dir verlangt. Du konntest sie begnadigen und in deinen Dienst nehmen. Du hast ganz dasselbe schon mit ihren Kameraden gethan, welche wir in der Seribah Aliab gefangen nahmen!«

»Ich that das nur auf deine Bitte hin. Wollte ich mich stets und so weiter nach deinen Wünschen richten, so müßte ich alle Sklavenjäger des Sudans zu meinen Asakern machen, und die Folge davon wäre, daß sie mich schließlich zwängen, selbst auch Sklavenjäger zu werden.«

»Davon ist keine Rede. Es handelt sich nur um die zwölf Männer hier.«

»Nur um die Zwölf?! Nur? Nimm die dazu, welche ich in der Seribah Aliab begnadigte, so sind ihrer, denen ich nie trauen könnte, genug, mir meine bisher so zuverlässigen Soldaten nach und nach zu verführen und vollständig zu verderben. Nein. Wehe dem, der wehe thut! Diese Hunde haben den Tod verdient, und ich kenne meine Pflicht. Du hast sie gesehen. Leben noch welche?«

»Noch drei, die so schwer verwundet sind, daß sie unmöglich aufkommen können.«

»Man wird sie erlösen. Komm‘ zu dem Mokkadem! Er wird ganz entzückt darüber sein, dich sobald wiedergesehen zu haben.«

Während ich dieser Aufforderung folgte, winkte er drei seiner Leute zu sich und erteilte ihnen einen Befehl, den ich nicht verstehen konnte. Sie gingen nach dem Feuer. Ich sah nicht hin; aber drei rasch hintereinander fallende Schüsse sagten mir, daß sie den Auftrag erhalten hatten, die drei Verwundeten zu erschießen.

Der Mokkadem war an Händen und Füßen gebunden und an das Feuer geschafft. Dann nahm der Reis Effendina einen Feuerbrand und forderte mich auf, mit ihm das Innere der Tokuls zu untersuchen.

Wir fanden in der ersten Hütte einige Fettlampen, welche wir anzündeten, da der brennende Ast gefährlich war, denn es stand zu erwarten, daß ein Vorrat von Pulver vorhanden sei. Die Hütte gehörte, wie wir später von ihm selbst erfuhren, dem Mokkadem. Da lagen meine, Ben Nils und Selims Waffen. Es fanden sich auch alle andern Gegenstände vor, welche uns abgenommen worden waren. Wir erhielten natürlich alles zurück.

Es versteht sich ganz von Selbst, daß wir alles, was wir außerdem in diesem Tokul und den andern Hütten fanden, für gute Beute erklärten, und zwar sollte dieselbe unter die Bor verteilt werden. Als das der Häuptling derselben hörte, geriet er vor Freude beinahe außer sich und floß von Versicherungen seiner Treue und Ergebenheit geradezu über.

Unser Zweck war erreicht, und wir beschlossen, nun zurückzukehren. Einige Asaker wurden dagelassen, um die Hütten während der Nacht zu bewachen. Am Morgen sollten die Bot die Beute abholen und die Tokuls in Brand stecken.

Die Heimkehr geschah in gerader Fahrt quer über den Maijeh hinüber, so daß wir in kurzer Zeit das Lager erreichten. Dort wurde der Mokkadem so niedergelegt, daß er die noch an dem Baume hängende Leiche seines Sündengenossen nicht sehen konnte. Sein vom Feuer beleuchtetes Gesicht hatte einen sehr ruhigen Ausdruck. Entweder besaß er Beherrschung genug, seine Angst zu verbergen, oder er hatte gar keine Sorge, sondern gab sich der Überzeugung hin, daß selbst unter den gegenwärtigen Verhältnissen einem Manne von seiner Stellung nichts Schlimmes geschehen könne. Diese Meinung wurde dadurch bestätigt, daß er, als man sich eine Zeit lang scheinbar nicht um ihn zu kümmern schien, mir in fast befehlendem Tone zurief:

»Soll ich etwa so liegen bleiben? Ich will losgebunden sein!«

Da trat der Emir zu ihm und antwortete:

»Du scheinst mißmutig zu sein? Wohl weil du Langeweile hast! Gut, du sollst Unterhaltung haben. Willst du vielleicht die Gnade haben, mir deine Wünsche mitzuteilen?«

»Spotte nicht, sondern bedenke, wer und was ich bin!« fuhr der Gefangene auf. »Gieb mich frei!«

»Was wirst du dann thun, wenn ich diesem deinem Befehle Gehorsam leiste?«

»In diesem Falle bin ich bereit, euch die Mißhandlung, welche ich erduldet habe, zu verzeihen.«

»Wenn ich dir aber den Willen nicht thue?«

»So erinnere ich dich daran, daß ich Mokkadem der heiligen Kadirine bin und es mich nur ein Wort kostet, dich und euch alle zu verderben.«

»So! Laß uns dieses große Wort doch einmal hören!«

»Effendina, verhöhne nicht den Mann, der so hoch über dir steht! Hunderttausende, die zur Kadirine gehören, sind mir unterthan!«

»Aber ich gehöre nicht zu ihr!«

»Dennoch besitze ich die Macht, dir zu beweisen, wie tief du dich unter mir befindest!«

»Du brauchst dich nicht zu bemühen, o großer Mokkadem, denn ich besitze ganz dieselbe Macht und bin gern bereit, zu zeigen, daß du recht hast. In wenigen Augenblicken werden wir alle tief unter dir stehen, und du wirst über uns erhaben sein. Du sollst schon jetzt den Vorgeschmack davon haben. Sieh einmal da hinauf!«

Er deutete nach dem Baume und gab dem Mokkadem eine andere Lage, sodaß derselbe hinaufsehen konnte. Als der Gefangene den Gehenkten erblickte, war er für eine ganze Minute still, doch schienen seine Augen aus ihren Höhlen treten zu wollen. Dann schrie er im Tone des Entsetzens auf:

»Wer ist das? Täuschen mich meine Augen? O Allah, Allah, Allah! Das ist ja – – das ist der Muza’bir!«

»Ja, der Muza’bir,« nickte der Reis Effendina. »Er dünkte sich so erhaben über uns, daß wir ihn so hoch erhoben, um uns in Demut vor ihm neigen zu können. Da wir wissen, daß du noch über ihm stehst, werden wir dir einen noch höheren Platz anweisen.«

»Mir? Wollt ihr – mich – mich etwa – –?«

Er brachte die Frage nur stammelnd heraus, das letzte Wort blieb ihm gar im Munde stecken.

»Aufhängen?« ergänzte der Emir. »Ja, aufgehängt wirst du werden. Was soll sonst mit dir geschehen?«

»Un – un – unmöglich!«

»Wir werden das Unmögliche möglich machen müssen, denn ich habe dem Muza’bir, deinem Freunde, versprochen, daß du, noch ehe der Morgen graut, mit ihm an demselben Baume hängen werdest.«

»Welch ein Mord! Welch ein Verbrechen! Was hat euch der Muza’bir gethan? Sein Tod wird gerochen werden. Ich selbst werde zum Khedive gehen, und wehe, dreifach wehe dann den Mördern! Ich werde von jetzt an weder ruhen noch rasten, bis ich euch vernichtet habe. Ihr habt eure verruchten Hände erhoben, UM – –«

»Schweig‘, du Hundesohn!« donnerte ihn da der Emir an, welcher bis jetzt in ruhigem Tone gesprochen hatte. »Wie darfst du von Verruchtheit sprechen! Du selbst bist ja der Verruchteste unter den Verruchten! Meinst du, deine verrückten Worte und Drohungen seien für mich Haschisch, der mich betrunken macht? Du weißt, daß wir alle deine Missethaten kennen, und wagst es dennoch, mir zu drohen? Wenn du von so hoch oben herab mit mir reden willst, werde ich dir gleich den geeignetsten Platz dazu anweisen. Hinauf mit ihm, hinauf, und zwar um zwei Äste höher als der Muza’bir! Dann mag ihn seine heilige Kadirine, mit welcher er uns droht, vom Baume schneiden. Allah ist gerecht, und auch ich sage: Wehe dem, der wehe thut!«

Am sechsten Tage nach diesem der gnadenlosen Vergeltung gewidmeten Abende wand sich unser Zug wie eine endlos erscheinende Schlange durch einen Wald, dessen Riesenbäume ein Laubdach bildeten, durch welches selbst die Sonne des Sudan nicht einen Strahl zu senden vermochte. Wir befanden uns in immerwährender Dämmerung. Diese wäre uns sehr willkommen gewesen, denn sie schützte uns vor der glühenden Hitze, welche draußen auf dem offenen, wasserlosen Gelände alles Leben vernichtete; aber sie war wenigstens ebenso gefährlich wie dieser Sonnenbrand, denn unter den dichten Blätterhallen lag ein Boden, welcher unmöglich als Erde bezeichnet werden konnte. Sumpf, bodenlos tiefer Sumpf war es, in welchen die Giganten der Baumwelt ihre Wurzeln schlugen, ohne, was mir völlig unerklärlich schien, in demselben zu versinken.

Ich hatte in den Vereinigten Staaten den Dismal-, Alligator-, Catfish-, Green- und Gum-Swamp kennen gelernt und seit jener Zeit geglaubt, daß kein Sumpf der Erde sich mit diesen Swamps zu messen vermöge, mußte aber jetzt einsehen, daß dieselben, verglichen mit der Region des oberen Niles, welche wir jetzt durchzogen, den Namen Sumpf gar nicht verdienen.

Der Waldboden, auf welchem wir uns bewegten, war ein mit Wassermoos und anderen Sumpfpflanzen bedeckter, dicker Brei, welcher bei jedem Schritte den Reiter und sein Tier zu verschlingen drohte. Das schwappte und schnappte, klitschte und klatschte, schob sich nach vorn und schlickerte wieder zurück; ich kam aus der Sorge, in diesen Schlamm hinabgezogen zu werden, gar nicht heraus; ich glaubte jeden Augenblick, meinen Vordermann in dem klebrigen Teige verschwinden zu sehen, und doch verschwand er nicht und ich nicht und keiner von uns allen. Wie war das zu erklären? Ich konnte wohl diese Frage aufwerfen, aber nicht die Antwort darauf finden.

Wir alle ritten, und zwar auf den schon erwähnten Ochsen. Voran kam eine Abteilung der Borkrieger, dann ein Trupp Asaker; dann folgten Lastochsen, dann wieder Soldaten und Lasttiere, worauf die andere Hälfte Bor den Zug beschlossen. Es war ein Glück für uns, daß die Schwarzen sich mit uns verbündet hatten, denn ohne sie hätten wir niemals unser Ziel erreicht, sondern wären in diesem unendlichen Sumpfe umgekommen. Sie aber kannten denselben, als ob er ihre Heimat sei. Ihre geübten Augen unterschieden mit Leichtigkeit die Stellen, denen man sich anvertrauen konnte; nur durften dies nicht zwei zugleich wagen, und darum ritten wir im Gänsemarsche, immer einer hinter dem andern. Ich bewunderte den Scharfblick und die Umsicht dieser Leute mehr und mehr und lernte hier auch – – Ochsen achten, denn ohne ihre Tiere hätten auch die Bor nicht fortkommen können. Diese Ochsen versanken fast bei jedem Schritte bis an das halbe Bein und zeigten doch niemals Ermüdung. Sie schienen sich hier ganz in ihrem Elemente zu befinden. Keiner wich zur Rechten oder Linken. Jeder wußte, daß er dem Vorgänger genau zu folgen habe. Das geschah nicht etwa in schnurgerader Richtung, sondern der Häuptling der Bor, welcher den Zug leitete, mußte sich nach der Tragfähigkeit des Bodens richten, und so kam es, daß wir zuweilen Windungen beschrieben, durch welche die letzten im Zuge den ersten ganz nahe kamen, während die in der Mitte Reitenden sich fern von Kopf und Schwanz befanden.

So war es nun schon drei Tage lang gegangen, und wir hatten es redlich satt. Die Stechmücken machten uns entsetzlich zu schaffen; es gab kein festes Nachtlager; das Wasser ging aus, und das, was wir einatmeten, war nicht Luft, sondern geradezu Fieber zu nennen.

Da ertönte vorn, wo der Häuptling ritt, in höchster Tonlage ein langgezogener Schrei, welcher augenblicklich von allen Bor wiederholt wurde. Agadi, der Dolmetscher, ritt zwischen dem Emir und mir in der Mitte des Zuges. Ich fragte ihn, was dieser Schrei zu bedeuten habe, und erhielt zur Antwort, daß er das Zeichen eines freudigen Ereignisses sei. Welches Ereignis gemeint war, erkannte ich schon nach wenigen Minuten, als ich einen Sonnenstrahl durch die lichter werdenden Wipfel fallen sah und die Luft, wie Nektar in der Kehle, mir leichter und belebend in die Lunge drang. Der Boden wurde fester; er begann zwischen den riesigen Stämmen zierliche Sträucher zu tragen. Meine Vorderleute ritten zu zweien, dreien und vieren neben einander. Alles deutete an, daß der Sumpf zu Ende sei, und hinter dem Emir ertönte Selims schnarrende Stimme:

»Hamdulillah! Der große Brei ist überwunden. Er sperrte seinen Rachen auf, uns zu verschlingen; aber wir sind über ihn hinweggegangen wie die Helden, die sich vor keinem Drachen fürchten. Nun klappt er hinter uns sein großes Maul zusammen und verschwindet vor Ärger und Scham darüber, daß es ihm nicht gelungen ist, zu fressen Selim, den tapfern Überwinder aller Sümpfe und Moräste des Weltenalls!«

Der alte Maulheld konnte eben keine Gelegenheit, sich in Wichs zu werfen, vorübergehen lassen; aber Überwinder aller Moräste des Weltalls, das übertraf alles, was ich bisher aus seinem Munde gehört hatte.

Der Häuptling war halten geblieben, um uns an sich herankommen zu lassen, und sagte uns durch den Mund des Dolmetschers:

»Der Sumpf ist hinter uns, und nun beginnt guter Weg. Bald werden wir Wasser trinken und Felder sehen, welche den Gohk gehören. Gegen Abend ziehen wir in Wagunda ein.«

Es läßt sich denken, daß uns diese Botschaft hoch erfreute. Die bisher so stillen, mißmutigen Menschen wurden lebhaft und gesprächig, doch auch die Tiere schienen zu wissen, daß das Ziel nahe sei; sie ließen ihre Stimmen hören und drängten nach vorwärts, so daß unsere bisherige Ordnung nicht mehr einzuhalten war. Nach einiger Zeit drang uns ganz plötzlich der hellste, vollste Sonnenschein entgegen. Nach der bisherigen langen Dämmerung war es, als ob uns ein förmliches Lichtmeer entgegenflute. Es war Mittag; aber wir fühlten die hier herrschende Glut nur als Wärme, welche unsere Körper wohlthuend durchdrang und alle unsere Sinne neu belebte.

Der Urwald hörte auf. Er stieß an einen Fluß, an dessen anderem Ufer nur Schilf, untermischt mit Büschen, stand. Der Fluß war zwar breit, aber nicht tief. Sein Wasser hatte eine dunkle Farbe, und unsere Ochsen zeigten keine Lust, davon zu trinken. Er wurde jedenfalls von dem Sumpfe gespeist, durch welchen wir gekommen waren. Die Bor fanden nach kurzem Suchen eine Stelle, an welcher wir ihn durchreiten konnten. Dann ging es in der bisherigen Richtung weiter, immer nach Westen zu. Das Schilf, welches ich erwähnte, verschwand, die Büsche aber blieben. Sie bildeten Inseln in einem grünen Meere von Gras, welches an Saftigkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Ich bat den Häuptling, hier wenigstens eine kurze Zeit halten zu lassen, damit unsere Ochsen fressen könnten. Er ließ mir aber antworten, daß wir bald einen Ort erreichen würden, welcher noch viel geeigneter zum Halten sei.

Bald darauf begann das Terrain sanft anzusteigen, und wir gewahrten in der Ferne Höhen, welche mit Wald gekrönt waren. Dort entspringt, wie wir vom Häuptling erfuhren, ein Nebenfluß des Djau, an welchem die größeren Dörfer der Gohk liegen. Indem wir dieses Gelände emporritten, gelangten wir in ein muldenförmiges Thal, auf dessen Grunde eine Art Weiher lag, der durch ein Wasser, welches ich fast Bach nennen möchte, Abfluß fand. Im Nu sprangen die Schwarzen von ihren Reittieren, und ebenso rasch nahmen sie den andern Ochsen die Lasten ab, damit dieselben nicht beschädigt werden sollten, denn die Tiere waren nicht zu halten; sie rannten nach dem Weiher und liefen so weit wie möglich hinein, um nach langer Wanderung durch den Sumpf, dessen Wasser nicht zu genießen gewesen war, sich satt zu trinken. Die Menschen hatten vollauf zu thun, den Bach für sich frei zu halten.

Den Bach? Das klingt so heimatlich! Freilich mache ich, indem ich dieses Wort anwende, mich einer Unrichtigkeit schuldig. Was wir Weiher und Bäche nennen, giebt es in jenen Gegenden nicht. Und die Höhen, von denen ich sprach, waren noch lange keine Berge. Aber nach einer dreitägigen Wanderung durch fieberstinkenden Sumpf kommt man leicht in die Gefahr, eine Bodenanschwellung als Höhe und ein Wasser, welches nicht ganz still steht und leidlich durchsichtig ist, als Bach zu bezeichnen.

Nach ungefähr einer Stunde wurde wieder aufgebrochen. Wir folgten dem Wasser abwärts, wo es sehr bald in einen schmalen Fluß lief, dessen Ufer unser Führer wurde. Er brachte uns an hohe Felder von Zuckerrohr und Durrha, aus denen wir die runden Dächer einzelner Hütten ragen sahen. Wir näherten uns einem kleinen Dorfe der Gohk und blieben halten, um einen Boten voranzuschicken, damit die Bewohner desselben nicht bei unserem Anblicke erschrecken und fliehen möchten.

Als er zurückkehrte, kam hinter ihm alles, was im Dorfe »leibte und lebte«, dreingelaufen, Väterlein und Mütterlein, Männlein und Weiblein, Bürschlein und Mägdelein, jeder und jede im besten Staate und Schmucke, welcher in dieser Schnelligkeit zu haben gewesen war.

Ein alter, grauköpfiger Mann, welcher uns als Dorfgebieter bezeichnet wurde, trug nur den Lendenschurz, hatte aber auf seinem Haupte ein walzenförmiges Flechtwerk sitzen, welches wohl drei Fuß hoch und mit bunten Federn besteckt war. Eine junge Dorfschöne hatte ihr Haar in Löckchen gedreht und dieselben mit Fett und Ocker so steif gemacht, daß es aussah, als ob ihr ein halbes Gros roter Korkzieher von innen heraus durch den Schädel gebohrt worden seien. Ein Bursche, jedenfalls der Flaneur des Dorfes, hatte sein Haupt mit einer abgerissenen Hutkrämpe geschmückt. Wie mochte sie hierher ins tiefe Afrika gekommen sein! Sein rechter Fuß steckte in einem sohlenlosen Lederschuh, während an dem linken eine Sandale befestigt war. Sein bester Schmuck aber, vielleicht die größte Kostbarkeit des ganzen Dorfes, bestand aus einem gläserlosen, verbogenen uralten Brillengestell aus Messing, welches er mit Hilfe eines dünnen Riemens um den Hals befestigt hatte.

Gern hätte ich diese Studien fortgesetzt, aber der erwähnte Alte nahm den jungen Inhaber der Brillenstellage bei der Hand, zog ihn zu dem Reis Effendina, welcher ihm als unser Anführer bezeichnet worden war, hin und hielt unter lebhaften Gestikulationen eine Rede, von welcher ich zwar kein Wort verstand, deren Inhalt ich aber dennoch erriet. Der Alte deutete nämlich wiederholt auf die Brille und dann gegen Westen, welche Pantomime ich mir folgendermaßen ins Deutsche übersetzte:

»Ihr seid fremde, sehr hohe Herren und wollt nach Wagunda. Dieser junge Adonis ist der Besitzer dieser Brilleneinfassung und also allein würdig, euch den Weg zu zeigen.«

Es stellte sich heraus, daß ich ganz richtig geraten hatte. Der Dolmetscher übersetzte uns die Rede. Wir beschenkten den Alten mit einigen kleinen, für uns unbrauchbaren, für ihn aber höchst wertvollen Gegenständen und ritten dann weiter. Der famose Besitzer der mangelnden Brillengläser schritt als unser Führer stolz voran.

Man glaube aber ja nicht, daß er der einzige war, der uns voranging. Der Dorfälteste hatte nach Empfang unseres Boten und ehe er dann zu uns kam, eine Person nach Wagunda gesandt, um dort die baldige Ankunft so vieler Fremden pflichtschuldigst zu melden. Den Erfolg davon bemerkten wir später.

Unser Führer war ein sehr guter Läufer, trotzdem seine Füße so ungleich ausgerüstet waren. Er hielt mit unseren Ochsen, welche sehr behend liefen, gleichen Schritt. Es ging immer abwärts an dem erwähnten Flusse hin, dann in einer Furt quer durch denselben und eine Stunde lang über sonndurchglühtes, ödes Land. Hierauf sahen wir in der Ferne einen langgestreckten Belut-Wald liegen, welcher auf die Nähe von Wasser schließen ließ.

Während wir auf denselben zuritten, sprach der Führer unausgesetzt auf uns ein. Wir erfuhren von Agadi, daß er uns eine Beschreibung von Wagunda lieferte, die ich freilich lieber in einer andern mir geläufigen Sprache gehört hätte. Um zu erfahren, ob er wisse, was für ein Ding er eigentlich um seinen Hals hängen habe, winkte ich ihn zu mir und gab ihm zu verstehen, daß er mir das Brillengestell einmal geben möge. Er erschrak außerordentlich und weigerte sich durch Pantomimen ganz entschieden, meinem ebenso unkultivierten wie räuberischen Verlangen Folge zu leisten. Der Dolmetscher machte ihm sanfte Vorstellungen und wurde dann, als dies nichts fruchtete, grob, wie ich aus seinem Tone hörte. Das wirkte, denn der mißtrauische Gentleman band seinen unbezahlbaren Schatz los und gab ihn mir in die Hand, verwendete aber sein Auge nicht von demselben, bis er ihn wieder hatte. Ich setzte die Brille auf, nachdem ich ihre Knillen und Kniffe gerade gebogen hatte, zog mein Notizbuch aus der Tasche und machte die Gebärde des Lesens und des Schreibens. Er hatte keine Ahnung von dem, was ich meinte. Aber als ich verschiedene Male erst ohne und dann durch die Brille nach dem vor uns liegenden Walde sah und ihm durch die Veränderungen meines Gesichtsausdruckes zu erkennen gab, daß es etwas ganz anderes sei, ob man einen Gegenstand durch diese Stellage ansehe oder nicht, schien er mich zu begreifen. Als ich ihm nun die Brille zurückgab, setzte er sie sogleich auf und sah hindurch. Sein Gesicht strahlte vor Vergnügen. Er schien die Gegend tausendmal schöner als vorher zu finden. Von jetzt an verzichtete er auf jede fernere Beschreibung von Wagunda und schaute unausgesetzt durch die Stellage. Meine Unterweisung, daß das Gestell nicht am Halse, sondern auf der Nase zu tragen sei, hatte mir sein ganzes Herz gewonnen, wofür er mir später die überzeugendsten Beweise lieferte.

Wir erreichten den Wald und ritten quer hindurch, um an das Ufer eines langgestreckten, seeartigen Wasserbeckens zu kommen. Ein Blick belehrte uns, daß wir uns in der Nähe des Zieles befanden. Die Ufer des Sees waren von Fruchtfeldern umgeben, von denen aus sich Weideplätze bis hin zum Horizonte zogen. Am Rande des Wassers hingen Kähne.

Rechts von uns gab es einen Berg, ja wirklich, eine Anhöhe, welche im Verhältnisse zu der sonst ganz platten Gegend recht gut als ein Berg bezeichnet werden konnte. Er führte ziemlich steil empor, und seine Kuppe war von einer hohen, dichten Dornenhecke umgeben, hinter welche wir nicht sehen konnten.

Diese Hecke hatte jetzt eine schmale Öffnung, aus welcher zahlreiche Menschen strömten, die paarweise hintereinander herniederstiegen und uns entgegenkamen. Nun erst erfuhren wir mit Hilfe des Dolmetschers, daß die Einwohner von Wagunda von unserer Annäherung durch einen Boten unterrichtet worden seien. Auch hatte derselbe erzählt, aus welchem Grunde wir unsern Ritt überhaupt unternommen hatten. Aus Freude darüber kam man jetzt, uns feierlichst willkommen zu heißen.

Der Häuptling der Bor, welcher die Sitten des Landes kannte, gab uns an, wie unser Zug sich zu ordnen hatte. Wir hatten uns in zwei Treffen aufzustellen, nämlich im ersten die Reiter und im zweiten die Lasttiere mit ihren Treibern. Vor die Front hatten die Anführer zu kommen, also der Reis. Effendina, der Häuptling und – – ich. In dieser Ordnung sollten wir stetig vorrücken und soviel schießen und Lärm machen wie nur irgend möglich. Das übrige hatten wir den Gohk zu überlassen.

Glücklicherweise war das Terrain einer solchen Aufstellung günstig, denn gerade zwischen uns und dem Berge lag ein freier Plan, welcher, wie wir später hörten, nach Art unserer Vogelwiesen der Belustigungsort der Bevölkerung von Wagunda war. Wir fanden Zeit, uns da in der beschriebenen Weise aufzustellen, voran der Reis Effendina, links von ihm der Häuptling und rechts ich. Neben dem Reis hielt der Dolmetscher Agadi, um nötigenfalls sofort bei der Hand zu sein. Ich bekam auch einen Adjutanten, denn der Brillenjüngling trieb seinen Ochsen an die Seite des meinigen und nickte mir so verheißungsvoll zu, daß ich überzeugt war, er habe eines für mich sehr wichtigen und vorteilhaften Amtes zu walten. Er war eigentlich unberitten, hatte sich aber eines ledigen Packochsen bemächtigt, um seiner heutigen Würde gemäß zu erscheinen.

Als die Gohk den erwähnten Plan erreichten, stellten sie sich auch in zwei Treffen auf und kamen dann, ihren Häuptling voran, waffenschwingend und schreiend auf uns zugerannt. Sie waren natürlich zu Fuße. Ihre Waffen bestanden in Spießen, Säbeln, Messern, Keulen, Bogen und Pfeilen. Einige von ihnen, selbstverständlich auch der Häuptling, hatten Flinten. Sobald sie sich gegen uns in Bewegung setzten, thaten wir dasselbe gegen sie. Die nun folgenden Evolutionen bestanden darin, daß sie zwischen unsern Gliedern durchrannten und wir zwischen den ihrigen hindurchritten. Hauptsache dabei war natürlich der Lärm. Wer ein Gewehr hatte, schoß es möglichst oft ab; die andern schwangen unter entsetzlichen Gebärden ihre Waffen, alle aber schrieen, riefen und heulten, als ob sie verrückt geworden seien. Ich trug zu diesem schönen Konzerte meinen Teil in so ehrlicher Weise bei, daß ich dann einige Tage lang an einer rauhen Kehle laborierte. Wer so reist wie ich, der muß mit den Nachtigallen singen und mit den Wölfen heulen können, sonst erregt er Anstoß allerorten.

Als wir uns diesen Bewegungen und dieser Vokal-Kunstleistung eine Viertelstunde lang mit edler Begeisterung hingegeben hatten, blieben beide Parteien auf ein gegebenes Kommando einander gegenüber halten. Dann kam der Häuptling der Gohk mit vielen Verbeugungen auf den Reis Effendina zu, wand den Leib bald nach rechts und bald nach links, als ob er an einer höchst energischen Pferdekolik leide, verdrehte die Augen, rang die Hände, sprang einige Schritte vor, dann wieder zurück, bewegte den Hals schraubenmäßig, wie eine Henne, welche mit dem Schnabel Eier legen will, druckte und schluckte, als ob er an einem mit hinuntergefahrenen Knochen ersticken wolle, und brachte endlich, endlich das zum Vorscheine, was zum Vorscheine kommen sollte, nämlich eine Rede, welche wohl über eine Viertelstunde dauerte und mich besonders durch die eine ihrer vielen und auffälligen Eigenschaften entzückte, daß sie uns ihrer Länge wegen nicht übersetzt werden konnte. Als das letzte Wort verklungen war, brachen seine Gohk in ein wahrhaft tolles Jubelgeschrei aus, in welches wir aus Leibeskräften und mit Aufbietung aller Körperstärke einstimmten.

Nun kam der bedeutungsvolle Moment, in welchem unser kommandierender Generalissimus zu antworten hatte. Er schickte sich dazu mit einem wohltönenden Räuspern an, ließ seinem Munde einen kurzen, edel klingenden Satz entfahren und schaltete darauf eine weise Pause ein, um Agadi Zeit zur Übersetzung zu lassen. Daran schloß er, immer in lieblicher Abwechslung, einige andere Sätze und Pausen, bis er zu der wohlbedachten Überzeugung gelangte, daß es mit seiner Beredsamkeit zu Ende sei. Er gab, um Ende und auch alles gut zu machen, mit der erhobenen Hand ein Zeichen, um uns zu einer frenetischen Anstrengung unserer Stimmwerkzeuge aufzufordern. Leider aber hatte der gute Reis Effendina weder sich noch eine andere Person zu begeistern vermocht, weshalb das Resultat dieser Aufforderung eine ebenso allgemeine wie auffällige Stille war.

Wir sahen uns dadurch, sozusagen, vor den Gohk blamiert. Ihr Anführer hatte den unsrigen um alle Pferdelängen geschlagen. Wie war dem abzuhelfen? Sollte der peinliche Eindruck, welchen das Schweigen hervorbrachte, verwischt werden, so mußte schnell und augenblicklich etwas geschehen. Dies sagte mir mein Taktgefühl, ein Gefühl, welches mein schwarzer Adjutant ganz in demselben Maße wie ich besaß, denn er trieb sein Packtier, noch ehe ich zu einem Entschlusse gekommen war, vor, hielt vor dem Häuptlinge der Gohk an, deutete auf mich und rief, ihn zwei- oder dreimal wiederholend, einen langen Satz aus, von welchem ich nichts zu verstehen vermochte. Glücklicherweise klärte mich der Dolmetscher rasch auf, daß ich jetzt auch sprechen solle.

Ich, eine Rede! Dieser Gedanke war ganz vortrefflich. Ja, die Gohk sollten eine Rede hören! je toller, desto besser; denn je unsinniger ich mich gebärdete, desto tiefern Eindruck mußte ich hervorbringen. Ich trieb also meinen Ochsen, ohne lange zu überlegen, zum raschesten Laufe an, jagte zehn-, zwanzigmal um den Anführer der Gohk herum und stieß dabei das wilde, schrille Kriegsgeheul der Komantschen und Apatschen aus, welches ich in Amerika so oft gehört hatte, sprang aus dem Sattel, ließ dann den Ochsen laufen, wohin er wollte und blieb vor dem ganz entzückt beobachtenden schwarzen Anführer stehen, schlug die Arme empor und begann mit weithin schallender Donnerstimme:

»Festgemauert in der Erden
Steht die Form aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden;
Frisch, Gesellen, seid zur Hand!«

So deklamierte, oder vielmehr schrie ich weiter, das ganze, lange Lied von der Glocke, bis zum Schlusse. O Schiller, du begeisterndster unter den Sängern, wäre es dir vergönnt gewesen, mich zu hören, so wärest du endlich, endlich einmal zu der Überzeugung gekommen, daß ich der einzige Sterbliche bin, der dich richtig verstanden hat und deine herrliche Dichtung durch die nötigen Kehl- und Gaumentöne aufs unvergleichlichste wiederzugeben vermag!

Ich blieb während der Deklamation keineswegs stehen, sondern ich sprang hin und her, warf bald das eine, bald das andere Bein empor, kauerte mich nieder, schnellte wieder auf, drehte mich wie ein Kreisel um mich selbst, raffte, als ich die letzten Zeilen ›Freude dieser Stadt bedeute; Friede sei ihr erst Geläute‹ in das Weltall hineingeschrieen hatte, mein Gewehr wieder auf, rannte zu meinem Ochsen, welcher unfern stehen geblieben war, sprang auf seinen Rücken und jagte ihn, das vorhin erwähnte Kriegsgeheul wieder ausstoßend in wildem Laufe zwischen den beiden einander gegenüberstehenden Parteien einige Male hin und her, worauf ich endlich wieder an meinen erst eingenommenen Platz zurückkehrte.

Was nun erfolgte, ist ganz unbeschreiblich. Erst tiefe, lautlose Stille; dann heulte mein geistesgegenwärtiger, schwarzer Adjutant mir zu. Das brachte die Stimmen aller gegenwärtigen Schwarzen, Braunen, Gelben und Weißen in Aufruhr. Und was für Stimmen waren das! Was ist der Föhn, der Sirocco, der Samum, der nordamerikanische Blizzard, ja was ist selbst die rasende, hochasiatische Wjuga gegen den Sturm, welcher sich nun erhob! Wer eine Stimme hatte, und die hatte doch ein jeder, ließ dieselbe hören, als ob er hundert Stimmen hätte. Wäre die ganze Hölle losgewesen, vor diesem Lärm hätte sie sich augenblicklich wieder verkrochen. Die ganze, bisherige Ordnung war mit einem Male aufgelöst. Das Entzücken trieb jeden von seinem Platze. Unsere Reiter warfen sich von ihren Tieren. Alles, alles, Körper, Arme, Beine, Köpfe schwebten, glitten, tanzten, sprangen und flogen in tollem Wirrwarr auf dem Platze herum und hin und her. Unsere sonst so einsichtsvollen Ochsen erschraken darüber und kniffen brüllend aus. Kurz und gut, ich hatte einen so unbeschreiblichen Erfolg, daß es mir selbst heute, wenn ich daran denke, angst und bange wird; denn hatte ich mich vorhin wie wahnsinnig gebärdet, so thaten dies meine Zuhörer noch viel mehr. Sie glichen wirklich Tollen; selbst die verständigsten unserer Asaker wurden angesteckt, und auch Ben Nil tanzte und jubelte mit, als ob er es bezahlt bekäme.

Ein einziger nur war es außer mir, der ruhig blieb, nämlich der Reis Effendina. Er kam zu mir, um mir kopfschüttelnd zu sagen:

»Glaubst du, Effendi, daß ich beinahe dachte, du seist übergeschnappt? Was fiel dir ein? Du, der bedächtigste und ruhigste von uns allen, gebärdest dich ganz plötzlich wie einer, der den Verstand verloren hat! Was sollte ich da denken! Ich wäre am liebsten gleich auf und davon gerannt!«

»So hat meine Leistung also deinen Beifall nicht?« fragte ich lachend.

»Nein, ganz und gar nicht! Du hast unsere Würde geschädigt. Für was für Menschen müssen diese Schwarzen uns halten!«

»Für ganz tüchtige Kerle; darauf kannst du dich verlassen! Wenn man die Menschen nimmt, wie sie sind, wird man nie bei ihnen anstoßen, sondern vielmehr Anerkennung finden. Ich denke, daß du dich für mein Auftreten noch bei mir bedanken wirst.«

»Schwerlich! Ich bin der Vertreter des Vicekönigs, dessen Ansehen durch solche Tollheiten leiden muß.«

»Ich habe freilich nicht an das Ansehen des Vicekönigs, sondern zunächst daran gedacht, uns hier ein solches zu verschaffen. Die Folge wird zeigen, ob der Khedive durch mein Verhalten seinen Thron verliert oder nicht. Willst du tadeln, so prüfe erst.«

»Aber du mußt doch unbedingt zugeben, daß meine Rede viel würdiger war als die deinige!«

»In meinen Augen, ja. Aber hast du sie denn mir gehalten?«

»Den Gohk natürlich.«

»So sind sie es, welche zu entscheiden haben. Es fragt sich, wessen Rede nicht uns beiden, sondern ihnen besser gefallen hat. Eigentlich haben sie durch ihren Beifall die Antwort auf diese Frage schon gegeben.«

Diese Antwort sollte gleich auch in noch anderer Weise kommen. Der Häuptling der Gohk war ebenso wie jeder seiner Untergebenen mit herumgesprungen; jetzt entfernte er sich aus dem Gewühl und hielt eine Art Banner empor, welch ‚ es aus einer Stange bestand, an welche ein graues Affenfell befestigt war. Dies war das Zeichen zum sammeln, denn als die Seinen es erblickten, löste sich der Wirrwarr, und jeder begab sich an den von ihm eingenommenen Platz. Der Anführer hielt eine kurze Beratung mit einigen Männern, welche nach unsern Begriffen wohl als Gemeinderäte zu bezeichnen waren. Dann schritt er mit ihnen auf den Häuptling der Bor zu, welcher sich auch wieder auf seinem vorigen Platze befand, denn auch unsere Leute hatten ihre frühere Stellung jetzt wieder eingenommen. Er sprach längere Zeit mit ihm, jedenfalls von dem Reis Effendina und mir, da sein Auge uns immer wieder aufsuchte. Darauf kam er auf uns beide zu, verneigte sich vor dem Reis Effendina und sagte zu diesem, natürlich durch den Dolmetscher:

»Herr, ich habe vernommen, was euch zu uns führt. Ihr seid gekommen, uns aus einer großen Gefahr zu erretten. Wir werden noch weiter über dieselbe sprechen und über die Art und Weise, in welcher sie abzuwenden ist. Vor allen Dingen heißen wir euch willkommen. Ich höre, daß du ein Liebling des Vicekönigs bist. Zwar sind wir demselben nicht unterthan, denn wir sind freie Gohk vom großen Volke der Djangeh; aber du wirst bei uns geachtet sein, wie du daheim geachtet wirst, Sei unser Gast, und bleibe, solange es dir bei uns gefällt!«

Dann wendete er sich mit folgenden Worten an mich:

»Herr, der Häuptling der Bor, welche unsere Brüder sind, erfuhr von deinen Thaten und hat mir einige in Kürze mitgeteilt. Du kommst aus einem Lande, in welchem lauter berühmte Männer wohnen. Du bläsest deine Feinde von dir wie Staub, und niemand kann dich je besiegen. Auch hörte und sah ich dich sprechen, wie ich noch keinen reden sah und hörte. Wer deine Stimme hört, wird wie von Merissah begeistert, und die Bewegungen deiner Arme und Beine zeugen von der Wahrheit deiner Worte. Sollte je ein Mensch deinem Messer widerstehen, so wirst du ihn durch deine Rede besiegen. Darum bist nur du der Mann, der uns zu retten vermag. Ibn Asl ist der größte Teufel unter den Sklavenjägern, und seine Leute sind wie böse Geister, vor denen es keine Rettung giebt. Wir vermöchten ihm und ihnen nicht zu widerstehen; aber da du dich bei uns befindest, brauchen wir keine Sorge zu haben, denn du allein bist soviel wie hundert meiner Krieger. Ich werde meine Leute ausrüsten und sie unter deinen Befehl stellen. Sage mir, ob du ihr Anführer sein willst!«

Das war nun freilich im Superlativ gesprochen. Nach den Worten dieses guten Schwarzen zu urteilen, hätte ich ja wirklich die Bezeichnung, welche Selim so oft unrechtmäßigerweise für sich in Anspruch nahm, mit vollem Rechte verdient und wäre der ›größte Held des Weltalls‹ gewesen. Also General en chef sollte ich werden? Nun, ich hatte keinen Grund, diese Würde von mir zu weisen. Wenn ich sie annahm, so war ich wenigstens sicher, daß in der Leitung keine groben Fehler gemacht wurden, und so erklärte ich denn dem Häuptlinge, daß ich bereit sei, auf seinen Vorschlag einzugehen.

Als er diese Antwort seinen Leuten verkündigte, erhob sich ringsum ein lautes Jubelgeschrei, und es wurde abermals eine Phantasie ins Werk gesetzt, welche darin bestand, daß alles, was Beine hatte, im Kreise um mich zu tanzen begann. Sodann wurden wir eingeladen, mit hinauf in das Dorf zu kommen. Die Schwarzen stellten sich in Reih und Glied, nahmen uns in die Mitte, worauf sich der Zug in Bewegung setzte und sich auf demselben Wege bergaufwärts bewegte, auf welchem die Schwarzen uns vorher entgegengekommen waren. ich ritt dabei neben dem Emir, aber nur wenige Schritte; dann machte sich mein famoser Brillenträger an meine andere Seite, und es war geradezu spaßhaft, die stolze Haltung, welcher er sich dabei befleißigte, zu beobachten. Der ganze Abglanz derjenigen Hoheit, welche er mir beilegte, schimmerte auf seinem Gesichte.

Auf der Höhe des Berges angekommen, sahen wir erst, welchen Umfang derselbe hatte. Wir befanden uns auf einem ebenen Plateau, welches auf den andern drei Seiten so steil abfiel, daß es nur auf derjenigen, von welcher wir gekommen waren, erstiegen werden konnte. Die Verteidigungsverhältnisse dieses Ortes waren also sehr gute. Das Dorf nahm ungefähr die Hälfte des Plateaus ein und bestand aus lauter runden Hütten von der Art, wie ich sie wiederholt beschrieben habe, und war von einem hohen, sehr dichten Dorngestrüpp umgeben. Die Fläche außerhalb des Dorfes war mit kurzem Grase bewachsen. Es gab da mehrere Einzäunungen, um die Herden des Nachts und zur Zeit eines Überfalles in Sicherheit zu bringen.

Der Eingang der Dornumfassung war geöffnet. Wir stiegen da von unseren Tieren, welche auf die Grasweide getrieben wurden, und zogen in das Dorf ein, festlich empfangen von allen denjenigen Bewohnern, welche vorher aus irgend einem Grunde hatten zurückbleiben müssen. Die größte der Hütten wurde für den Reis Effendina und mich bestimmt; alle andern wurden einzeln bei den Dorfbewohnern einquartiert. Dann schlachtete man mehrere Ochsen und brannte Feuer an, um das Fleisch derselben zu braten. Ich hatte nicht die Absicht, in der Hütte zu wohnen; die ›wibbelnde‹ und ›kribbelnde‹, stechende und beißende Bevölkerung solcher Logements pflegt so zutraulich zu sein, daß ich es für geratener hielt, selbst des Nachts im Freien zu bleiben.

Zunächst unternahm ich mit dem Emir, dem Häuptling und dem Dolmetscher einen Gang durch und um das Dorf, um die Örtlichkeiten in Beziehung auf ihre Verteidigungsfähigkeit zu prüfen. Ich fand, daß ein momentaner Angriff leicht abzuschlagen war; anders aber stand es im Falle einer Belagerung. Es gab nämlich hier oben kein Wasser; dieses mußte vielmehr aus dem kleinen Flüßchen, welches unten den bereits erwähnten See speiste, heraufgeholt werden. Ein längere Zeit reichender Vorrat konnte unmöglich im Dorfe aufbewahrt werden, denn erstens mangelte es an den hierzu nötigen Gefäßen und Behältern, und zweitens war bei der hier herrschenden Hitze die Verdunstung eine so bedeutende, daß gar nicht daran gedacht werden konnte, uns von Ibn Asl auf dem Berge einschließen zu lassen. Er hätte unten am Flusse Wasser in Hülle und Fülle gehabt und sicher darauf rechnen können, daß der Durst uns bald zur Übergabe zwingen würde. Um ihn nicht in diesen Vor- und uns in diesen Nachteil zu bringen, war es notwendig, unsere Stellung weiter vorzuschieben, ihn gar nicht an den See, an den Fluß zu lassen. Es galt, ihn an einem Orte zu empfangen, welcher uns die Aussicht bot, ihn ohne große Verluste und schnell zu überwältigen. Da wir ihn aus Südost erwarteten, mußte dieser Ort in dieser Richtung von dem Dorfe liegen. Es war also nötig, zu rekognoszieren, um ein passendes Terrain aufzufinden. Dazu aber hatten wir heute keine Zeit, da es eine Beleidigung für die Gohk gewesen wäre, wenn ich mich ihrer Gastlichkeit entzogen hätte.

Diese Angelegenheit war übrigens keine dringende, da wir Ibn Asl jetzt noch nicht zu erwarten hatten. Wir waren, seit wir seinen Boten ergriffen hatten, neun Tage unterwegs gewesen, während er bis Aguda acht und dann bis Wagunda zwölf, in Summa also zwanzig Tage zuzubringen gedacht hatte. Aus diesem Grunde stand zu vermuten, daß er von heute an in zehn oder elf Tagen ankommen werde, eine genügend lange Zeit, ihm einen niederschmetternden Empfang und seinem Treiben ein für allemal ein Ende zu bereiten. Die Pflichten eines Generalissimus verhinderten mich also nicht, die Freundschaftsbeweise der Gohk heute über mich ergehen zu lassen.

»Über mich ergehen zu lassen!« Ja, das ist der richtige Ausdruck für das, was ich bezeichnen will, denn ich war bei dieser Sache der wahrhaft Leidende, nicht aber der Thätige. Meine einzige Aktivität bestand im Kauen, im immerwährenden Verschlingen des Fleisches und der säuerlichen Merissah, welche mir fast buchstäblich immer und immer wieder eingezwungen wurde. O Allah, wieviel so ein Neger zu essen und zu trinken vermag! Und da er wohl weiß, daß der Weiße hoch über ihm steht, so erwartet er von diesem unbedingt eine ebenso überlegene Magenweite und Verdauungsfähigkeit. Ich mußte aus Höflichkeit bis an die fernste Grenze meines Leistungsvermögens gehen und hatte infolgedessen, als ich mich nach Mitternacht vor dem Dorfe ins Gras niederstreckte, das Gefühl, daß ich im Leben niemals wieder zu essen brauchen werde. Ich fiel trotz des Lärmes, welcher noch im Dorfe herrschte, sofort in tiefen Schlaf und erwachte aus demselben erst dann, als die Sonne so hoch stand, daß ihre stechenden Strahlen mich weckten. Als ich durch die Umzäunung das Dorf betrat, sah ich – -die Neger und auch unsere Asaker schon wieder beim Essen sitzen. Der Leistungsfähigste von ihnen allen schien mein langer Selim zu sein, denn als er mich erblickte, rief er mir zu:

»Effendi, wie schön ist’s hier! Hier bleibe ich für alle meine Tage. Ich habe gar nicht geschlafen, sondern immerfort gegessen und erzählt. Und diese lieben, guten Leute, welchen Allah tausend Jahre schenken möge, haben auch fortwährend gegessen und mir zugehört. Setz‘ dich her zu uns, und iß! Ich habe hier ein Rippenstück, dessen Saftigkeit alle Genüsse der Erde überstrahlt.«

Er hielt mir das Stück mit beiden Händen entgegen und drückte es, um mir die Wahrheit seiner Worte zu beweisen, so, daß der Saft ihm von den Fingern tropfte. Ich dankte natürlich und ging weiter, um den Reis Effendina aufzusuchen, welcher in der uns zugewiesenen Hütte saß und den Häuptling der Gohk als lieben Besuch vor sich hocken hatte. Soll ich verraten, was der letztere that? Er aß! Als ich eintrat, hatte er eben einen Wirbelknochen, von welchem er mit seinem elfenbeinernen Gebisse das Fleisch abschabte, vor dem Munde. Bei beiden, doch in der ehrerbietigen Entfernung von einigen Schritten, standen zwei junge Neger, welche zu meinem Erstaunen – – nicht aßen, obgleich der Häuptling soviel Braten vor sich liegen hatte, daß zehn Männer meiner Konstitution sich damit vollständig hätten sättigen können. Der Emir deutete, nachdem ich ihn begrüßt hatte, auf diese beiden und sagte:

»Diese Jünglinge werden uns von großem Nutzen sein. Sie stammen aus diesem Dorfe und kehren zufälligerweise gerade jetzt von einem zweijährigen Aufenthalte drüben in Hasab Allaba am Gasellenflusse zurück. Sie sind als Asaker dort gewesen und haben das Arabische soweit gelernt, daß sie uns als Dolmetscher dienen können.«

Diese Mitteilung erfreute mich, da es mir nun möglich war, mich freier zu bewegen. Ich bat den Häuptling, mir einen dieser Dolmetscher zur unausgesetzten Hilfe zuzuweisen, was er auch sofort that. Dann erklärte ich dem Reis Effendina, daß und warum es nötig sei, schon heute einen Ritt zu unternehmen, um die südöstliche Gegend kennen zu lernen, und fragte ihn, ob er mich begleiten wolle. Er lehnte ab. Wie ich später wohl bemerkte, geschah dies aus einer Art von Eifersucht. Er fühlte sich dadurch zurückgesetzt, daß gestern nicht ihm, sondern mir der Befehl über die Krieger der Gohk übertragen worden war. Verletztes Ehrgefühl kann leicht die beste Freundschaft in das Gegenteil verwandeln.

Nur der Dolmetscher und mein treuer Ben Nil sollten mich auf dem erwähnten Ritte begleiten. Der Brillenjüngling wollte mit; ich gestattete es ihm nicht. Auch Selim meldete sich. Er hatte soviel gegessen, daß er nicht gerade stehen, viel weniger noch auf einem Ochsen reiten konnte. Davon auch abgesehen, hätte ich ihn nicht mitgenommen, denn dieser Unglücksvogel wäre mir noch hinderlicher als jeder andere gewesen und hätte mich durch seine Dummheiten nur in Schaden bringen können.

Mein junger Dolmetscher war ein sehr brauchbarer Mann. Er sprach zwar nur das sogenannte Bahr-Arabisch, doch verstanden wir uns leidlich, da ich mich bemühte, meine Ausdrücke demselben anzubequemen. Vor allen Dingen war ihm die Gegend, um welche es sich handelte, genau bekannt. Er war früher mit seinem Vater einige Male drüben in Aguda, von woher wir Ibn Asl erwarteten, gewesen und konnte meine Fragen zur Zufriedenheit beantworten. Er beschrieb mir genau die Route, welche Ihn Asl von Aguda nach Wagunda einzuschlagen hatte. Infolge seiner Erklärungen und meiner Rekognoszierung, von welcher wir erst am Abende zurückkehrten, entwarf ich einen Plan, von welchem ich mit Sicherheit erwartete, daß er Ibn Asl und alle seine Asaker ohne großes Blutvergießen in unsere Hände liefern werde.

Wagunda liegt in der Nähe des obern Tonj-Flusses, da, wo dieser sich in die beiden Arme teilt, aus denen er entspringt. Der eine ist gerade nördlich nach Awek gerichtet, während der andere aus Südosten kommt. Beide bilden einen stumpfen Winkel, in dessen offene Arme Ibn Asl laufen mußte; beide fließen durch sumpfiges Land, welches in der Nähe der Ufer geradezu ungangbar ist. Über den Südarm ist aus diesem Grunde nicht zu kommen, und der Nordarm bietet nur eine einzige Stelle, an welcher der Boden so fest ist, daß man sich ihm nähern und ihn überschreiten oder, je nach der Jahreszeit, durchschwimmen kann. Nach dieser Stelle mußte Ibn Asl, um nach Wagunda zu kommen, seinen Marsch unbedingt richten. Mein Plan war nun folgender:

Die Furt mußte auf beiden Seiten des Flusses mit genügender Mannschaft besetzt werden. Die Abteilung jenseits des Flusses hatte sich zu verstecken, bis Ibn Asl an ihr vorübergezogen war und den Fluß erreicht hatte. Folgte sie ihm dann, so hatte er sie im Rücken, rechts und links den Sumpf und vor sich die Furt. Von ihr ins Wasser getrieben, mußte er das diesseitige Ufer zu erreichen suchen, an welchem ihn die andere Abteilung zu erwarten hatte. So stak er im Wasser, hatte vor und hinter sich Sumpf und Feinde und war aller Voraussetzung nach gezwungen, sich ohne Gegenwehr zu ergeben. Dabei rechnete ich auf die Djangeh-Krieger, welche bei ihm waren und deren Häuptling sich bei uns befand. Rief dieser ihnen von weitem zu, daß sie von Ibn Asl betrogen worden seien und zu uns übergehen sollten, so thaten sie dies sicher, und er war dann mit seinen wenigen Asakern so ohnmächtig, daß es Wahnsinn von ihm gewesen wäre, sich zur Wehr zu setzen. Um des Gelingens vollständig sicher zu sein, nahm ich mir vor, an der Furt einige Gräben und Verhaue anzulegen, in und hinter denen wir sicheren Schutz vor feindlichen Kugeln finden würden.

Mit diesem Plane kehrte ich heim und rief sofort nach meiner Ankunft eine Art Kriegsrat zusammen, welcher aus dem Reis Effendina, den Häuptlingen der Djangeh, Bor und Gohk und mir bestand. Als ich mit Hilfe des Dolmetschers meine Absicht vorgetragen und begründet hatte, trat zu meinem Erstaunen ein Schweigen ein, welches mich stutzig machen mußte. Die drei Häuptlinge sahen sich untereinander an, richteten ihre Augen auf den Reis Effendina und senkten dann die Blicke vor sich nieder. Es war klar, sie wagten nicht, mir beizustimmen. Hatte der Reis ihnen Grund gegeben, sich so schüchtern zu verhalten? Ich richtete also an diesen die Aufforderung, sein Gutachten auszusprechen.

»Das sollst du hören,« antwortete er mir. »Bist du Offizier, Effendi?«

»Nein.«

»Nun, ich bin einer, und zwar als Reis Effendina einer von nicht gewöhnlichem Range; das weißt du ja. Daraus magst du ermessen, wer von uns beiden, du oder ich, befähigt ist, einen Kriegsplan zu entwerfen. Zwar hat der Häuptling der Gohk dir das Kommando übergeben; das kann er in Beziehung auf seine Leute thun; aber meinst du, daß ich dem Oberbefehle über die andern alle, die mit uns gekommen sind, entsage?«

Er sprach in einem geradezu unfreundlichem Tone; er war eifersüchtig auf mich geworden; er fühlte sich beleidigt. Ich hatte ihm manchen Dienst erwiesen und durfte wohl auf seine Dankbarkeit rechnen; also war eigentlich ich es, welcher Grund hatte, sich gekränkt zu zeigen. Ich that dies nicht, sondern antwortete in meiner gewöhnlich ruhig freundlichen Weise:

»Wie kommst du zu dieser Frage? Habe ich dich aufgefordert, deinen Rechten zu entsagen? Als der Häuptling mich bat, der Anführer zu sein, hast du zu meiner Antwort geschwiegen, und ich durfte also annehmen, daß du einverstanden seist. Da ich jetzt höre, daß dies nicht der Fall ist, so bin ich gern bereit, mein Versprechen zurückzunehmen. Ich bin ein Abendländer, und es kann mir sehr gleichgültig sein, was hier im Sudan geschieht. Was ich gethan und vorgeschlagen habe, habe ich zu eurem Wohle gethan und gesprochen. Gefällt euch mein Plan nicht, nun, so habt ihr ja das Recht, ihn zurückzuweisen. Sinnt euch einen andern, bessern aus! Ist es euch dann recht, über denselben mein Urteil zu hören, so sollt ihr es haben. Wollt ihr aber ohne den Einfluß eines Fremden handeln, so wird es mir gar nicht einfallen, mich beleidigt zu fühlen. Ich bin gar nicht lüstern darnach, Anführer zu sein oder durch Vorlegung eines Planes Verantwortung auf mich zu laden; aber aus Interesse an der Sache und aus Freundschaft für dich, bitte ich, in euren Reihen kämpfen zu dürfen, falls es zum Kampfe kommen sollte.«

Ich erwartete, daß diese Worte ihn umstimmen würden, hatte mich aber getäuscht, denn er meinte in ganz gereiztem Tone:

»Du hast sehr richtig gesprochen. Du bist ein Fremdling, und unsere Angelegenheiten gehen dich eigentlich nichts an. Du hast durch deinen gestrigen Tanz diese guten Leute verwirrt; heute aber sind sie zur Ansicht gekommen, daß mein Verhalten ein würdigeres war, und der Häuptling der Gohk hat den Oberbefehl über seine Krieger dir entzogen und mir übergeben. Dagegen, daß du mit uns kämpfest, wird kein Mensch etwas haben.«

»Das befriedigt mich. Wie aber steht es mit deinem Plane? Darf ich ihn hören?«

»Hören? Ja. Aber etwaige Einwendungen werden an demselben gar nichts ändern. Er ist ebenso einfach, wie er untrüglich zum Ziele führt.«

»So bitte, sprich!«

»Er gleicht dem deinigen, wie ein Haar dem andern. Du willst den Ibn Asl in den Fluß, ich hingegen will ihn in den See werfen.«

»In den See da unten am Berge?«

»Ja. Wir haben das viel bequemer. Infolge deines Planes müßten wir einen weiten Marsch nach dem Flusse machen und dort in den Sümpfen kampieren; der meinige erlaubt uns, hier zu bleiben. Wir verstecken uns hier oben. Ibn Asl hat keine Ahnung davon, daß wir uns hier befinden, daß die Gohk gewarnt worden sind. Er wird kommen und sich natürlich zwischen dem Berge und dem See aufstellen. Sobald er das gethan hat, stürmen wir hinab und drängen ihn in das Wasser.«

»Das klingt allerdings verlockend, will aber dennoch überlegt sein. Draußen an der Furt ist der Feind so von uns, dem Sumpfe und dem Wasser umgeben, daß er nach keiner Seite ausbrechen kann und Rettung einzig nur darin findet, daß er sich ergiebt. Hier aber hat er euch vor sich, den See hinter sich und zu beiden Seiten offenes Land; er kann also, selbst wenn es euch gelingt, ihn zu schlagen, entweichen. Jedenfalls fließt Blut, viel Blut. Dein Trachten muß darauf stehen, vor allen Dingen Ibn Asl persönlich in die Hände zu bekommen; ich glaube aber, wetten zu können, daß – –«

»Gieb dir keine Mühe!« unterbrach er mich, »du bist stark, tapfer und listig, aber doch kein Offizier; deine Kugel fehlt nie ihr Ziel, aber von der Strategie verstehst du nichts; das habe ich wiederholt erfahren. Mein Plan ist gut und wird ausgeführt. Die Erlaubnis, mitzukämpfen, sollst du haben, natürlich unter der Voraussetzung, daß du zu gehorchen weißt!«

Das war ganz im Tone eines Vorgesetzten zu seinem Untergebenen gesprochen. Wie oft hatte ich die Fehler seiner Leute, sogar seine eigenen, gut gemacht, und jetzt wollte er wiederholt erfahren haben, daß ich nichts von Strategie verstand! ja gewiß, ein Stratege war und bin ich nicht im mindesten; aber Ibn Asl zu fangen, dazu glaubte ich ebensoviel Geschick wie er zu haben. Seine letzten Worte waren geradezu grob; darum stand ich auf und sagte, jedoch im ruhigsten Tone:

»Es giebt keinen Menschen, dem ich zu gehorchen habe, und es wird wahrscheinlich auch nie einen geben. Allah isallamak – Gott behüte dich!«

Bei diesen Worten wendete ich mich um und verließ die Hütte des Häuptlings, in welcher diese eigenartige Beratung stattgefunden hatte. Vor derselben stand Ben Nil. Er sah mir besorgt in das Gesicht und sagte:

»Hamdulillah, es ist besser verlaufen, als ich dachte! Ich glaubte, du werdest hocherzürnt herauskommen. Dein ruhiges Gesicht aber sagt mir, daß man doch nicht so dumm gewesen ist, dir zu widersprechen.«

»Woher weißt du, daß man dies beabsichtigt hat?«

»Vom anderen Dolmetscher, der mir sagte, daß der Reis Effendina während unserer Abwesenheit gedroht habe, Wagunda seinem Schicksale zu überlassen, falls nicht er allein es sei, der zu gebieten habe.«

»Und du hast geglaubt, daß ich ein grimmiges Gesicht dazu machen werde?«

»Natürlich! Eine solche Undankbarkeit muß doch erzürnen!«

»Sie kränkt mich zwar, aber sie erzürnt mich nicht.«

»Kränkt? Also hat man es doch gethan?«

»Ja. Man hat meinen Rat zurückgewiesen, doch ist man so gnädig gewesen, mir zu erlauben, mitzukämpfen, aber unter der Bedingung, daß ich gehorche.«

»Gehorchen? Du?« rief er aus. »Effendi, bleib‘ hier stehen, bis ich wiederkomme! Ich muß fort, hinein zu ihnen, um ihnen zu sagen, was sie sind gegen dich!«

Er wollte fort; ich hielt ihn am Arme zurück und gebot ihm:

»Bleib‘! Du machst es nicht anders. Sie hören nicht auf dich, da sie nicht auf mich gehört haben. Sie werden nur von den Ereignissen eines andern belehrt werden.«

»Aber was willst du thun?« fragte er eifrig. »Es dir ruhig gefallen lassen und dich als gewöhnlicher Askari neben die andern stellen, dich einem dieser Neger gleichachten lassen?«

»O nein. Geh nur in deine Hütte; hole deine Sachen, und komm dann nach der meinigen!«

Er eilte von dannen. Ich begab mich nach der mir und dem Reis Effendina zugewiesenen Hütte, um mein Eigentum an mich zu nehmen. Bald kam Ben Nil. Wir verließen das Dorf und stiegen den Berg hinab, um uns jenseits des See’s am Waldesrande schlafen zu legen. Ben Nil sprach kein Wort; er war ein braver, feinfühlender Bursche. Er hatte sich über mein ruhiges Gesicht gewundert; ich war auch innerlich ruhig; aber diese Ruhe war keine wohlthuende. Ich ärgerte mich nicht und grämte mich nicht; es war mir nur eine Kränkung widerfahren, und doch konnte ich während dieser ganzen Nacht nicht schlafen. Die Sorge um das Schicksal derer, welche ich verlassen hatte, ließ mir keine Ruhe. Ich sann und sann, wie ihnen doch zu helfen sei, und kam endlich auf einen Gedanken, welcher mir zwar nicht den Schlaf, aber doch innere Beruhigung brachte. Es gab zwar gegen die Ausführung desselben mancherlei Bedenken, aber nach reiflicher Überlegung kam ich, gerade als es Tag wurde, zu der Überzeugung, daß ich nichts Besseres thun könne, als diesem Vorsatze treu zu bleiben. Da erwachte Ben Nil aus seinem Schlafe, welcher auch ziemlich unruhig gewesen war. Wir wuschen uns im See, und nachdem wir uns abgetrocknet hatten, fragte er mich:

»Was nun, Effendi? Steigen wir wieder hinauf in das Dorf?«

»Nein, wir werden uns nach Foguda.«

»Nach Foguda? Das ist das Dorf der Gohk, von welchem uns der Dolmetscher gestern erzählte, als er uns die Umgegend erklärte. Was wollen wir dort?«

»Hilfe für Wagunda holen.«

»So willst du diese Undankbaren nicht ihrem Schicksale überlassen?«

»Nein. Ich weiß, daß sie in ihr Unglück rennen, wenn ich ihnen nicht helfe, und da sie meine Hilfe von sich weisen, muß ich sie zwingen, sie anzunehmen.«

»Sie sind es nicht wert, Effendi! Und bedenke die Gefahren des Weges, den wir zurückzulegen haben!«

»Warum diese Worte? Ich weiß, daß du dich nicht fürchtest.«

»Aus Sorge für dich, nicht für mich. Ich gehe mit dir bis an das Ende der Welt; aber es ist meine Pflicht, dich darauf aufmerksam zu machen. Der Dolmetscher sagte, daß Foguda drei volle Tagreisen von hier entfernt sei. Bedenke, daß wir keine Reittiere haben und also laufen müssen, durch Urwald und Sumpf, den wir nicht kennen.«

»Er hat die genaue Richtung angesagt und den Weg kurz beschrieben. Das genügt mir.«

»Du willst die Bewohner von Foguda aufbieten, mit uns hierher zu ziehen?«

»Ja. Foguda liegt seitwärts des Weges, auf welchem Ihn Asl hierher kommen wird. Wir legen uns mit den dortigen Gohk auf die Lauer, lassen ihn vorüber und folgen ihm. Hier stellen wir uns hinter ihm auf und fallen, wenn er das Dorf angreift, über ihn her.«

»Diesen Plan willst du den Leuten in Foguda erklären? Aber du kennst ja deren Sprache ebensowenig, wie ich sie kenne. Und einen Dolmetscher haben wir nicht mit!«

»Ich rechne auf mein gutes Glück. Vielleicht giebt es einen unter ihnen, der ein wenig Arabisch versteht und wenn nicht, so hoffe ich, mit der Zeichensprache und einigen Worten, die mir doch bekannt sind, auszukommen.«

»Und du glaubst, daß die Fogudakrieger uns hierher begleiten werden?«

»Ich bin überzeugt davon, da sie zu demselben Stamme mit den Bewohnern von Wagunda gehören.«

»Nun wohl! Du hast stets die besten Gedanken, und so wird der jetzige wohl auch der richtige sein. Laß uns aufbrechen, denn wir müssen drei Tage lang tüchtig marschieren. Aber wovon leben wir?«

»Von Früchten, welche wir finden werden, und von dem, was wir schießen. Übrigens haben wir gestern so viel gegessen, daß ich für heute und morgen wohl nichts brauchen werde.«

Wir verließen den See und schritten in der Richtung, nach welcher wir gestern geritten waren, fort, ohne daß es mir einfiel, noch einen Blick hinauf nach dem Dorfe zu richten, wo alles noch zu schlafen schien. Wir waren ungefähr zehn Minuten gegangen und durchquerten gerade ein leichtes Gebüsch, als ich hinter uns ein Schnaufen hörte, ähnlich demjenigen eines Hundes, welcher seinen Herrn verloren hat und nun ängstlich nach der Spur desselben sucht. Ich drehte mich um und hielt das Gewehr zum Schusse bereit. Wir wurden verfolgt, hatten aber, wie ich bald sah, nichts zu fürchten, denn unser Verfolger war kein anderer, als der lange Selim, der mit Riesenschritten, so daß sein langes Gewand hinter ihm flog, uns nachgeeilt kam.

»Halt, Effendi, halt!« rief er, als er mich erblickte. »Wo wollt ihr hin?«

»Sage erst, wohin du selber willst?«

»Mit euch!« antwortete er, indem er keuchend bei uns stehen blieb.

»Bleib‘ in Gottes Namen hier; wir können dich nicht gebrauchen!«

»Nicht? Mich, den tapfersten der Helden?«

»Dich, den Unglücksbringer! So oft ich dich mit mir nahm, hast du mir Unheil gebracht.«

»Allah, Allah! Sprich doch nicht so, Effendi! Allen meinen Schritten folgt Heil und Segen nach. Warum wollt ihr nicht bleiben? Warum habt ihr gestern abend das Dorf verlassen?«

»Weil ich Undank fand.«

»Ich habe es gehört, und die Asaker bedauern es, weil sie dich lieb gewonnen haben. Sie hofften, daß du heute zurückkehren werdest. Ich erhob mich früh vom Lager, um nach dir zu suchen, weil ich dein natürlicher Beschützer und Behüter bin. Ich nahm mein Messer und mein Gewehr, um das Dorf zu verlassen. Eben als ich in das Freie trat, sah ich euch. Ich rief, aber ihr konntet es nicht hören; so bin ich euch also nachgerannt.«

»Um gleich wieder umzukehren!«

»Nein, Effendi. Ich gehe mit euch.«

»Und ich befehle dir, zum Reis Effendina zurückzukehren! Wir gehen Gefahren entgegen und haben dich nicht nötig.«

»Das denkst du nur. Und wenn du mich wirklich fortjagst, laufe ich euch von weitem nach!«

Da stellte sich Ben Nil auf seine Seite und bat für ihn. Was sollte ich machen! Treu war der alte Kerl; aber Pech, Pech und immer wieder Pech, hatte er mir stets und überall gebracht. Sollte ich mich hier unnütz mit ihm herumstreiten? Ich wußte, daß er uns doch nachlaufen werde. Darum entschied ich, freilich höchst ungern:

»Nunwohl, so gehe mit! Ich weiß, daß du uns Unglück bringst, will es aber trotzdem noch einmal mit dir versuchen, falls du mir versprichst, allen meinen Anordnungen auf das genaueste nachzukommen.«

»Allen, allen, Effendi!« beteuerte er, indem er die Hand auf das Herz legte. »Verlange von mir, was du willst, ich thue es; nur verlange nicht, daß ich dich verlasse.«

Wir setzten, nun zu dreien, unsern Weg fort, welcher uns zunächst nach der erwähnten Furt führte. Selim blieb, da er die längsten Beine hatte, nicht hinter uns zurück, obgleich er sehr bald über heftiges Leibweh und Magendrücken klagte. Nach dem, was er im Essen geleistet hatte, war dieses Unwohlsein sehr leicht zu erklären.

Gestern waren wir durch die Furt geritten, heute mußten wir sie durchwaten, wobei uns das Wasser bis an die Brust ging. Nachdem wir noch eine Stunde im Winkel, den die beiden Quellflüsse des Tonj bildeten, zurückgelegt hatten, wendeten wir uns von der Route, auf welcher Ihn Asl zu erwarten war, um ein weniges nach Süden ab. Ich richtete mich dabei weniger nach der Beschreibung des Weges, welche der Dolmetscher mir geliefert hatte, als nach meinem Kompaß, auf welchen ich mich lieber verließ. Auch ist der Instinkt eines erfahrenen Reisenden ein besserer Führer als das Wort eines jungen Negers, dem es fast stets schwer wird, verwandte Begriffe nicht zu verwechseln. Ich wußte, in welcher Richtung Foguda lag, und wenn ich diese Richtung einhielt, mußten wir unser Ziel unbedingt erreichen.

Das, was ich soeben Instinkt genannt habe, bewährte Sich, wenigstens am ersten Tage. Wir kamen durch keine der Sumpflandschaften, welche wir gefürchtet hatten, sondern durch einen ungeheueren Tamarindenwald, welcher ohne Ende zu sein schien. Die Bäume desselben standen soweit auseinander, daß der Boden ziemlich trocken war und wir leichtes Wandern hatten, und doch auch wieder so dicht, daß die Kronen derselben uns einen sehr wohlthätigen Schatten gewährten.

An einer großen Wasserlache, an welcher wir vorüberkamen, gab es allerlei gefiederte Tiere, und es gelang mir, einige Vögel zu schießen, welche wir am Abende braten konnten. Als die Sonne sich dem Horizonte näherte, war der Wald zu Ende, und wir kamen auf eine vollständig ausgedorrte Prairie, welche wir in derselben Richtung weiter wanderten. Sie konnte hier in dieser flußreichen Gegend nicht groß sein, und wirklich tauchten, eben als die Sonne ihre letzten Strahlen aus dem Westen sandte, gerade vor uns die Umrisse eines zweiten Waldes auf.

Wir waren müde, hielten aber nicht am Rande dieses Waldes an, weil von demselben aus unser Feuer weit in die Prairie hinaus zu sehen gewesen wäre, sondern drangen trotz der Dunkelheit tiefer ein und machten erst nach angemessener Zeit den ersehnten Halt. Dürres Holz gab es hier genug; bald brannte das Feuer, und wir waren eifrig mit dem Rupfen und Ausnehmen unserer Jagdbeute beschäftigt. Der Braten geriet ganz nach den Verhältnissen unserer nicht sehr luxuriös eingerichteten Küche. Auch schien er etwas bejahrt zu sein; da aber weder Geburts- noch Impfzeugnis vorhanden war, verzehrten wir ihn als jung und legten uns dann schlafen. Aber wir schliefen nicht alle drei zugleich. Einer mußte wachen, um nach zwei Stunden den nächsten zu wecken; das gab in Summa sechs Stunden, welche wir für die Ruhe bestimmt hatten.

Nach dieser Zeit verzehrten wir den Rest der zähen Poularden, welche eigentlich Ibisse waren, und machten uns dann wieder auf den Weg, gerade als der Tag zu grauen begann. Er war nicht so glücklich für uns wie der vorhergehende. Wir kamen durch sumpfige Gegenden und mußten sehr vorsichtig sein und oft von der geraden Richtung abweichen, um gefährliche Stellen zu umgehen. Hier schien alles Leben erstorben zu sein. Es war jedenfalls vorhanden, floh uns aber, und so kam es, daß der Abend hereinbrach, ohne daß wir irgend ein jagdbares Tier zu Gesicht bekommen hatten. Darum mußten wir uns »ungespeist« niederlegen, was dem hungrigen Selim einige sehr gewichtige Seufzer entlockte. Als ich ihm versicherte, daß wir jedenfalls morgen mehr Glück haben würden, schlief er beruhigt ein.

Ich hatte diesen Ausspruch im besten Glauben gethan, konnte aber leider mein Versprechen nicht halten. Es gab auch am nächsten Vormittage nur Sumpf und wieder Sumpf. Von unschädlichen oder eßbaren Früchten oder Wurzeln war da keine Rede, und von irgend einem Wilde war, wie der Jäger sich auszudrücken pflegt, auch kein Schwanz zu sehen. Hatte gestern nur Selims Magen geknurrt, so begann heute er selbst zu murren und zu klagen, und das in einer Weise und Tonart, welche es sehr geraten erscheinen ließ, diesem höchst ungesättigten Zustande möglichst schnell ein Ende zu machen.

Hätte ich den unglückseligen Urian doch nur murren lassen; es wäre uns viel Unheil erspart geblieben! Aber er war ein starker Esser; Hunger thut weh, und darum dauerte er mich. Es war schon Mittag, und nach meinem Vermuten mußten wir Foguda noch vor Abend erreichen. Das sagte ich ihm, aber der Erfolg war nur das eine Wort: Hunger, Hunger und Hunger! Auch Ben Nil sah erschöpft aus. Auch er hatte natürlich seit gestern früh nichts genossen, und ebensolang war unsere Wanderung durch die Sümpfe eine sehr anstrengende gewesen. Er sagte nichts, sehnte sich aber jedenfalls ebenso wie Selim nach der notwendigen Stärkung. Was machen, hier mitten im Urwalde, wo es gewiß genug Tiere gab, von denen sich aber keines sehen ließ? Wie eine Antwort auf diese stille Frage erklang von links der Ruf zu uns herüber »Karnuk, Karnuk, Karnuk!« Das war Hilfe.

»Ihr sollt zu essen haben, und zwar sofort!« sagte ich.

»Was und woher?« fragte Selim.

»Von dort her,« antwortete ich, indem ich nach der angegebenen Richtung deutete. »Habt ihr den Vogelruf nicht gehört? Es ist ein Karnuk, und wo es einen Karnuk giebt, da giebt es auch noch andere Vögel. Kommt, aber so leise wie möglich!«

Karnuk ist der Kronkranich, Grus pavonia, Sein Ruf klingt wie ›Karnuk, Karnuk – nuk – nuk‹, und daher sein arabischer Name. Ich vermutete, daß da, wo er sich befand, Wasser sei, und nahm daher an, dort auch noch andere Sumpf- und Wasservögel zu finden. Wir schwenkten also nach links ab und schlichen uns unter den Bäumen hin, bis sich zwischen denselben ein dichtes Oschergebüsch zeigte. Als wir durch dasselbe geschlüpft waren, befanden wir uns im Freien. Der Wald lag an dieser Stelle hinter uns. Zu unserer Linken bildete er einen rechten Winkel. Der Rand, an welchem wir standen, lief genau von Süd nach Nord. Der andere Winkelschenkel bog gerade nach Ost. Rechts, ungefähr hundert Schritte von uns, gab es einen Sumpf, dessen mit hohem, dichtem Schilfe bestandene Ufer bis nahe an den Wald reichten. Dort war der Ruf erklungen, und dorthin wendete ich mich, indem ich das Gewehr vom Rücken nahm.

»Darf ich mit?« fragte Ben Nil. »Du weißt, Effendi, daß ich dir die Jagd nicht verderbe.«

»Ja, komm!« antwortete ich, um ihm seinen Wunsch zu erfüllen. Er wollte gern auch etwas schießen.

»Ich möchte auch mit,« meinte Selim. »Vor meiner Kugel erzittert jedes Wild.«

»Und fliegt sodann unverletzt davon,« fügte ich hinzu. »Du Unglückskind würdest uns alles verscheuchen. Du bleibst zurück, hier am Rande des Gebüsches, damit wir dich dann nicht zu suchen brauchen. Lauf‘ nicht etwa davon! Verstanden?«

»Ja, ich bleibe stehen, Effendi. Ich habe ja versprochen, alles zu thun, was du verlangst. Nur schaffe recht bald etwas zu essen!«

Er setzte sich nieder, und wir entfernten uns und huschten am Waldesrande nach der Spitze des Sumpfes. Ich drang vorsichtig in das Schilf ein und sah zwei Kronenkraniche im Wasser stehen. Die schönen grauen Vögel nahmen sich mit ihren hohen Kopfbüschen prächtig aus, waren aber alt, also nicht zu essen. Dagegen bemerkte ich weiter oben eine Gesellschaft von Sporengänsen, nämlich am jenseitigen Ufer, während am diesseitigen Ufer ein Sporenkibitzpaar im Wasser hockte. Der Sudanese nennt diese letzteren, sehr wachsamen Vögel nach ihrer Stimme Siksak. Da eine Gans einen besseren Braten als ein Kibitz giebt und auch leichter zum Schusse kommt als dieser, wendeten wir uns um die Spitze des Maijeh hinum dem andern Ufer zu, an welchem wir in gebückter Stellung hinter dem Schilfe entlang schlichen. Da klang es plötzlich und ängstlich »Sik-sak, sik-sak!« Die Kibitze hatten sich drüben erhoben, kamen über den Maijeh herüber und flogen über uns hinweg.

»Was ist das?« fragte ich leise, indem ich stehen blieb. »Die Kibitze sind drüben aufgescheucht worden. Von wem?«

»Von uns,« meinte Ben Nil. »Sie haben uns gesehen.«

»O nein. Das Schilf deckte uns ja. Wären wir es gewesen, vor denen sie flohen, so wären sie doch nicht herüber nach unserer Seite gekommen.«

»Sie werden Selim bemerkt haben.«

»Das ist allerdings möglich. Komm also weiter!«

Als wir die Stelle erreichten, wo ich jenseits des Schilfes die Gänse gesehen hatte, drangen wir langsam und leise in das letztere ein. Es gelang uns, die Gesellschaft zu sehen, ohne selbst bemerkt zu werden.

»Nimm die junge, fette links!« flüsterte ich Ben Nil zu, indem ich meinen Lauf auf eine andere richtete. Die beiden Schüsse krachten fast zu gleicher Zeit; die Schar stob schnatternd auseinander; die beiden Opfer aber waren so gut getroffen, daß sie sich kaum noch bewegten. Wir drangen vollends durch das Schilf und langten sie mit unseren Gewehren aus dem Wasser.

»So, jetzt giebt’s zu essen,« lachte Ben Nil befriedigt. »Nun wird Selim wohl nicht mehr wimmern.«

Jeder seine Gans in der Hand, kehrten wir um den Maijeh nach der andern Seite zurück. Es war, seit wir Selim verlassen hatten, doch über eine Viertelstunde vergangen. Als wir den Sumpf umschritten hatten und ich am schnurgeraden Waldesrande hinblickte, sah ich Selim nicht. Auch Ben Nil vermißte ihn, denn er sagte:

»Dieser Mensch ist doch nicht da geblieben, wo er bleiben sollte! Er wird auch nach dem Maijeh gegangen sein. Jedenfalls war er es, der die Kibitze vertrieb.«

Da dies sehr leicht möglich, ja sogar wahrscheinlich war, fühlte ich, der ich sonst so vorsichtig bin, mich nicht beunruhigt, und so schritten wir langsam der Stelle zu, an welcher Selim gesessen hatte. Dort angekommen, sah ich zunächst, daß keine Spur von hier aus nach dem Sumpfe führte. Er war also nicht dort; aber mehrere Zweige des Gebüsches waren abgebrochen.

»Er ist wieder in den Wald gegangen,« sagte ich. »Warum, wozu?«

Kaum hatte ich diese Frage ausgesprochen, so bekam ich die Antwort, aber auf eine ganz und gar unerwartete Weise. Es richteten sich nämlich jenseits des Strauches mehrere Gestalten auf, welche mit den Kolben ihrer Gewehre zum Schlage ausholten. Ich wollte zurückspringen, aber es war bereits zu spät. Ein Hieb streckte mich nieder; ich versuchte, mich aufzurichten, bekam aber einen zweiten Hieb, der mir die Besinnung raubte.

Als ich später erwachte, war es mir ganz eigentümlich vor den Augen. Ich sah wie durch einen dichten Nebel, hinter welchem Gestalten saßen. Mein Kopf that entsetzlich weh. Ich wollte nach demselben greifen, konnte aber nicht, denn meine Arme waren fest an den Leib gebunden.

»Der Hund hat die Augen offen,« ertönte es gerade vor mir. »Er lebt also noch. Welch eine Freude für uns!«

Auch diese Stimme klang wie durch einen Nebel, wie aus der Ferne oder vielmehr wie durch eine Wand an mein Ohr. Dennoch kam sie mir bekannt vor. Ich sann und sann, wo ich sie schon gehört haben mochte – vergeblich; meine Sinne waren noch halb gelähmt von den zwei Kolbenhieben.

»Hättet ihr ihn gegen meinen Befehl zu Tode getroffen,« hörte ich dieselbe Stimme wieder, »so wäre uns ein großer Genuß entgangen. Nun er aber lebt, werden ihm endlich, endlich die Qualen werden, die ich ihm schon oft vergeblich angedroht habe. Dieses Mal entkommt & uns nicht wieder!«

Jetzt, ja jetzt wußte ich, wer der Sprecher war. Ibn Asl, mein Todfeind! In seiner Hand befand ich mich! Ich schloß die Augen, nicht etwa vor Angst, vor Entsetzen, o nein! Es giebt keine Lage, in welcher der Mensch zu verzweifeln braucht. Aber mir war vor allen Dingen Ruhe nötig, Ruhe, damit meine Sinne vollständig erwachen, mein Denkvermögen sich erholen könne. Und kaum hatte ich die Augen zu, so wußte ich nichts mehr von mir. War es tiefer Schlaf, in den ich verfiel, oder eine abermalige Bewußtlosigkeit, die mich erfaßte, ich weiß es nicht; aber als ich zum zweiten Male erwachte, schmerzte mich mein Kopf zwar noch ebenso, übrigens jedoch fühlte ich mich äußerlich so kräftig und innerlich so klar, als ob vorher gar nichts geschehen sei.

Ich öffnete die Wimpern ein klein wenig, um verstohlen hindurchzublicken. Was ich sah, konnte keineswegs tröstlich genannt werden. Es war noch Tag. Ich lag am Waldesrande, genau an der Stelle, an welcher ich niedergeschlagen worden war. Neben mir lagen rechts Ben Nil und links Selim, beide mit offenen Augen und beide ebenso an Händen und Füßen gebunden wie ich. Gerade vor mir saß Ibn Asl, welcher den Blick mit haßerfülltem Ausdrucke auf mich gerichtet hielt. Um ihn saßen die ihm Näherstehenden seiner Untergebenen, etwas entfernter die weißen Sklavenjäger. Weiter draußen folgten die Djangeh, welche teils auch ruhten und teils beschäftigt waren. Diese Beschäftigung bestand in dem Zäumen und Satteln der Ochsen, welche zwischen dem Walde und dem Sumpfe geweidet hatten. Eine ganze Anzahl dieser Tiere war dazu bestimmt, die Stricke, Ketten und Halsbäume zu tragen, mit denen die einzufangenden Sklaven gefesselt werden sollten. Von diesen Werkzeugen war eine Menge vorhanden.

»Mach die Augen weiter auf, du Hund!« fuhr mich Ibn Asl an. »Meinst du, ich sei blind, um nicht zu sehen, daß du durch deine verfluchten Wimpern blickst?«

Um ihn nicht zu weiteren, zwecklosen Beleidigungen zu veranlassen, hielt ich es für geraten, die Augen vollends zu öffnen. Er hatte eine Nilpferdpeitsche in der Hand, versetzte mir einen Hieb mit derselben und fuhr fort:

»Allah hat endlich mein Flehen erhört und dich in meine Hand gegeben, wo ich es gar nicht mehr für möglich hielt. Weißt du, was dich erwartet?«

»Ja,« antwortete ich ruhig. »Die Freiheit.«

»Hund, wagst du es, mich zu verhöhnen!« fuhr er auf, indem er mir einige weitere Hiebe gab. Ich hatte infolge der leichten, dünnen Kleidung die Schwielen derselben dann längere Zeit zu fühlen. »Die Qualen, welche dich erwarten, habe ich dir schon einige Male aufgezählt. Es glückte dir, mir zu entkommen. Dieses Mal aber sollst du mir nicht entfliehen. Das erste wird sein, daß ich dir die Augenlider abschneiden lasse, damit du die Segnungen des Schlafes entbehrst und unter der Folter der Ruhelosigkeit langsam dahinstirbst!«

»Du wirst eher sterben als ich, und Allah wird deine Seele unter diejenigen Martern stellen, welche du für mich bestimmt hast und doch nicht an mir auszuführen vermagst.«

Ich sagte das, weil eine innere Stimme mir versicherte, daß ich auch dieses Mal entkommen werde. Ich verzweifelte keineswegs, sondern vertraute auf Gott, auf mein so oft erprobtes Glück, auf meinen Scharfsinn und meine Körperkraft. Übrigens wußte ich, daß er sich hüten werde, schon jetzt meinen Körper zu verletzen. Eine Erkrankung meinerseits hätte seinen Marsch aufgehalten, und es lag doch jedenfalls in seiner Absicht, mich für längere Martern aufzubewahren.

»Nicht auszuführen?« schrie er mich an. »Es bedarf nur eines Wortes von mir, so wird mein Befehl erfüllt; aber ich habe jetzt weder Zeit noch Lust dazu. Zu allererst werde ich dich mit dem Anblicke derer peinigen, welche du zu retten gekommen bist. Ihre Schmerzen werden auch dich elend machen. Du meinst, ich werde eher sterben als du? Hüte dich, zu glauben, daß man dich befreien werde! Ich weiß, auf wen du rechnest; aber deine Hoffnungen werden zu schanden gemacht.«

»Nichts, gar nichts weißt du!« behauptete ich, um ihn zu reizen, mir das, was er wußte, zu sagen.

»Alles, alles weiß ich«, antwortete er in höhnischem Tone, »Du hast meinen Boten, den Scheik der Djangeh, abgefangen und von ihm meinen Plan erfahren. Ihr habt meine Seribah genommen und seid dann mit den Bor, die ihr am Maijeh Semkat traft, aufgebrochen, um die Gohk in Wagunda zu warnen.«

»Du träumst!« lachte ich, um ihn zu weiterer Mitteilung zu verführen.

»Ich träume nicht, sondern der Gewährsmann, den ich habe, ist ein sicherer. Dein kluger Selim hier hat mir alles sehr ausführlich gestanden. Du hast dich mit dem Reis Effendina veruneinigt und infolgedessen Wagunda verlassen, um auf eigene Faust die Leute von Foguda zur Hilfe zu holen. Glücklicherweise habe ich meinen Marsch abgekürzt, indem ich nicht ganz bis Aguda gegangen bin, und befinde mich infolgedessen um mehrere Tage eher hier, als du erwartetest. Ich kam auf den klugen Gedanken, nicht nur Wagunda zu nehmen, sondern schon vorher auch Foguda zu überfallen. In der Nähe dieses Ortes angekommen, mußten wir, um die Nacht abzuwarten, Halt machen und uns verbergen. Ich ritt mit einigen Asakern voran, einen dazu passenden Ort zu suchen, und kam hierher, als Selim am Waldesrande stand und ihr euch jenseits des Schilfes befandet. Dieser Selim ist ein solcher Ausbund von Schlauheit, daß es ihm gar nicht einfiel, zu entfliehen. Er hatte uns gesehen; er mußte auch bemerken, daß wir unsere Tiere schnell unter die Bäume zogen und uns dann durch die Büsche schlichen, um an ihn zu kommen; er entfloh trotzdem nicht. Wenn die Krieger, welche ihr bei euch habt, alle so klug sind, wie er ist, werde ich sehr leichtes Spiel mit ihnen haben. Wir ergriffen ihn, und als ich ihn im Weigerungsfalle mit dem Tode drohte, erzählte er mir alles, was ich zu wissen nötig hatte. Dann kamt ihr zurück und wurdet von uns niedergeschlagen. Du siehst, daß ich alles weiß. Du bist verloren. Jetzt werden wir nach Foguda aufbrechen, um dir den Anblick einer Sklavenjagd zu verschaffen. Das, was du da siehst, mag dir einen kleinen Vorgeschmack dessen geben, was ihr zu erwarten habt.«

Er stand auf und gab mit der Hand ein Zeichen, auf welches sich alle andern Sitzenden auch erhoben, um zum Aufbruche zu rüsten. Da in diesem Augenblicke niemand scharf auf uns achtete, benutzte ich denselben, mich an Selim zu wenden:

»Du hast Ibn Asl wirklich kommen sehen?«

»Ja, Effendi«, antwortete er. »Es waren fünf weiße Asaker bei ihm.«

»Und bist doch sitzen geblieben!«

»Natürlich! Hast du vergessen, daß du mir befahlst, zu bleiben? Und hast du vergessen, daß ich dir versprach, allen deinen Befehlen zu gehorchen?«

Da übermannte mich denn doch der Zorn, und es entfuhr mir der Ausruf:

»O du Heupferd aller Heupferde! So eine Dummheit ist noch nie dagewesen! Konnte ich wissen, daß Ibn Asl kommen werde? Ich wußte es wohl, daß du uns ins Unglück bringen werdest! Wärest du beim Anblicke Ibn Asls schnell in das Gebüsch gesprungen, um nicht gesehen zu werden und uns zu warnen, so wäre er jetzt unser Gefangener, anstatt daß wir uns in seinen Händen befinden. Und wie kommst du dazu, ihm ein so offenes und ausführliches Geständnis über alles, was geschehen ist und was wir beabsichtigten, zu machen?«

»Du hast ja von ihm selbst gehört, daß er mich mit dem Tode bedrohte!«

»Dummkopf! Wenn ich dich nicht rette, wirst du ermordet trotz deines Geständnisses.«

»Meinst du, daß du uns zu retten vermagst, mein lieber Effendi?« fragte er kleinlaut.

»Ich habe die Hoffnung noch nicht verloren. Bete zu Allah, daß er dich und uns in – –«

Ich wurde unterbrochen, denn es traten mehrere weiße Asaker zu uns, um uns zum Marsche fertig zu machen. Ibn Asl schien es überhaupt zu vermeiden, uns mit schwarzen Asakern oder gar den Djangeh in nähere Berührung zu bringen. Er befürchtete, wir würden verraten, daß der Häuptling der letzteren Freundschaft mit uns geschlossen hatte. Ich mußte aufstehen und bekam eine schwere Schebah angelegt. Unter Schebah versteht man einen starken Gabelast, in dessen Gabel der Hals des Sklaven oder Gefangenen gesteckt und dann durch ein Querholz festgehalten wird. Hierdurch behält der Gefangene den freien Gebrauch der Hände und Füße, während er durch den langen Ast, den er vor sich hertragen muß, am Entrinnen und an jedem Mißbrauche der Hände verhindert wird. Man hatte, wie es schien, den schwersten aller vorhandenen Äste für mich ausgesucht. Aber das genügte noch nicht, denn es wurden mir noch zwei eiserne Handschellen angelegt, welche durch eine kurze Kette miteinander verbunden waren. Dann erst nahm man mir die bisherigen, nun überflüssigen Fesseln ab. Ben Nil und Selim wurden nur durch je eine Schebah unschädlich gemacht.

Beim Anlegen der Handschellen war ich darauf bedacht, keine sehr engen zu bekommen. Ich drückte die Ellbogen an den Leib und ballte die Finger fest zusammen, wodurch das Handgelenk sich verkürzte und einen größern Umfang bekam. Die beiden Kerls, welche mir die Schellen anlegten, ließen sich dadurch wirklich täuschen. Sie wollten mir zunächst Schellen anlegen, welche mir paßten und sich eng um meine Handgelenke gelegt hätten; infolge meiner Manipulation aber brachten sie die Schlösser nicht zusammen, und so suchten sie ein paar weitere aus, welche sich zwar schlossen, mir jedoch scheinbar nicht den geringsten Spielraum ließen. Dies gab mir die Hoffnung, mich von den Fesseln befreien zu können. Von der Schebah hoffte ich, dann auch bald loszukommen.

Der Aufbruch begann. Eine Anzahl guter Läufer wurde vorangeschickt, um die bereits vorausgegangenen Kundschafter zu verstärken. Dann kam eine Abteilung der Djangeh, welchen Ibn Asl mit seinen weißen Sklavenjägern folgte. Den Beschluß machten die übrigen Djangeh. Die meisten dieser Leute ritten auf Ochsen. Zwei von den Lasttieren trugen das Zelt, welches, wie ich erfuhr, allabendlich für Ibn Asl aufgerichtet wurde. An die Spitze meiner Schebah wurde ein mehrfach zusammengeflochtener Riemen befestigt, dessen anderes Ende Ibn Asl an seinen Sattel band. Mein Hals steckte in der Gabel der Schebah, deren Ast ich vor mir hertragen mußte. So trollte ich gerade wie ein Sklave seitwärts neben oder hinter meinem Todfeinde her. Die Gabeläste von Selim und Ben Nil waren in derselben Weise mit den Sätteln zweier anderer Reiter verbunden.

Ich sagte mir natürlich, daß die Djangeh, falls sie den wirklichen Sachverhalt gekannt hätten, ihrem jetzigen Anführer wohl nicht so bereitwillig gefolgt wären. Es stand vielmehr mit Gewißheit zu erwarten, daß sie sich in diesem Falle gesträubt hätten, ihm zu gehorchen. Ich war sogar überzeugt, daß sie dann wenigstens den Versuch gemacht hätten, uns zu befreien. Darum war ich entschlossen, die erste Gelegenheit, sie warnen zu können, trotz der Gefahr, welche mir dabei drohte, nicht vorübergehen zu lassen.

Aber wie das fertig bringen, da ich mich nicht so, wie es notwendig war, verständlich machen konnte! Ich suchte in Gedanken meinen geringen Wortvorrat zusammen und fand auch bald Gelegenheit, ihn in Anwendung zu bringen.

Wir waren über eine Stunde lang über offenes Land gezogen und sahen dann draußen am Horizonte wieder Wald vor uns liegen. Aus diesem kehrte einer der Kundschafter zurück, um dem Anführer der ersten Djangeh-Truppe eine Meldung zu machen. Dieser letztere kam zu Ibn Asl, um ihm dieselbe mitzuteilen. Es geschah dies in der Djangeh-Sprache, welche Ibn Asl, wie ich jetzt sah und hörte, gut verstand. Sie sprachen eine kleine Weile miteinander. Als sich der Djangeh dann zu seiner Abteilung zurückbegeben wollte, rief ich ihm zu:

»Ibn Asl anadsch rehm, badd ginu Scheik kador, Scheik and wirt, afod rahn – –«

Diese der Djangeh- und Nuehrsprache entnommenen Worte bedeuteten soviel wie: Ibn Asl ist ein schlechter Kerl; er wollte deinen Scheik ermorden; der Scheik ist jetzt als unser Freund bei uns. – – Weiter kam ich nicht, denn Ibn Asl griff nach meiner Schebah, riß daran, daß ich zu Boden stürzte, und schrie mir grimmig zu:

»Schweig, du Hund, du armseligster aller Lügner! Soll ich dein Maul mit der Peitsche verstopfen?«

Er zog die Nilpferdpeitsche aus dem Gürtel und schlug mich, der ich mich wieder aufrichten wollte, mit dem Knopfe derselben so auf den Kopf, daß ich fast wieder niedergesunken wäre. Dann erteilte er dem Djangeh den Befehl, sich zu entfernen, und dieser gehorchte, und zwar in einer Weise, daß ich wohl merkte, er lege meinen Worten nicht die von mir beabsichtigte Bedeutung bei.

»Wenn du nur noch ein einziges Mal mit einem Djangeh redest«, fuhr Ihn Asl drohend fort, »so gebe ich dir einen Knebel!«

Diese Drohung machte er gewiß wahr, und da es auf keinen Fall ein Vergnügen ist, einen Tag oder gar noch länger einen Knebel im Munde zu haben, so nahm ich mir vor, ihn nicht wieder auf diese Weise zu reizen.

Bald erreichten wir den erwähnten Wald. Es war ziemlich düster in demselben, denn die Bäume standen dicht, und der Nachmittag ging zu Ende. Es dauerte eine halbe Stunde, bis wir ihn durchquert hatten; dann gelangten wir wieder auf offenes Land. Nach einer Viertelstunde brach der Abend herein; unser Zug blieb trotzdem in Bewegung, bis es vielleicht acht Uhr geworden war. Da hielten wir an, weil wir auf die Kundschafter gestoßen waren, welche uns hier erwartet hatten. Ich schloß daraus, daß wir uns in der Nähe des Dorfes Foguda, welches zerstört werden sollte, befanden.

Noch leuchteten die Sterne nicht in der Weise, daß ich weit genug hätte sehen können, um zu erfahren, welcher Art die Gegend war, in welcher wir uns befanden. Doch bemerkte ich wenigstens soviel, daß wir uns zwischen Büschen lagerten, welche den Sklavenjägern ein gutes Versteck gewährten.

Wir drei Gefangenen wurden von den Sätteln losgebunden. Dafür aber fesselte man uns die Füße wieder. Wir waren also gezwungen, uns zu legen, was uns große Unbequemlichkeiten verursachte, da es niemanden einfiel, uns die Schebahs abzunehmen. Außerdem ließen sich drei Männer bei uns nieder, welche uns zu bewachen hatten.

Das Thun und Treiben um uns her war ein sehr reges und doch beinahe geräuschloses. Man pflockte die Ochsen an oder band sie an die Sträucher fest. Feuer wurden nicht angezündet, doch sagte mir der Klang der Waffen und das Klirren der Ketten, daß man sich auf den Überfall des Dorfes vorbereite.

Ich zermarterte mir das Gehirn mit der Frage, ob es nicht möglich sei, die armen Schwarzen zu retten, sie wenigstens zu warnen. Hin zu ihnen konnte ich nicht; aber vielleicht war das Dorf so nahe, daß die Bewohner desselben meinen Warnungsruf zu hören vermochten. Ich wollte schreien, sagte mir dabei aber freilich, daß ich mein Leben auf das Spiel setze. Ein einziges Menschenleben gegen dasjenige so vieler! Hätte ich nur gewußt, daß ich den beabsichtigten Erfolg wirklich erreichen würde, dann hätte ich mein Leben gern in die Schanze geschlagen. Doch hing ja an demselben noch mehr, viel mehr. Ich wollte doch die Gohk in Wagunda retten, und mit diesen den Reis Effendina mit seinen Scharen. Dies war mir aber nicht möglich, wenn ich hier ermordet wurde. Was also thun?

Diese Gedanken und Erwägungen peinigten mich. Ich bemerkte, daß die Djangeh abzogen; ihnen folgten kurze Zeit später die weißen Asaker. Nur einige von diesen letzteren blieben, unsere drei Wächter ausgenommen, zur Beaufsichtigung der Ochsen zurück. Die Zeit drängte. Meine Angst um das bedrohte Dorf wuchs von Minute zu Minute. Hätte ich nur eine Hand, eine einzige, frei gehabt! Ich versuchte zwar in der Dunkelheit, die Schellen abzustreifen, aber es gelang mir nicht. Meine Hände waren infolge der Tageshitze und des beschwerlichen Marsches so schweißig, so geschwollen, daß alle meine Bemühungen vergeblich blieben.

Ungefähr eine Viertelstunde nach dem Abmarsche der Sklavenjäger hatte meine innere Unruhe einen solchen Grad erreicht, daß ich es nicht länger aushalten konnte. Ich mußte warnen, mochte darauf mit mir geschehen, was da wolle. Ich legte also die Hände hohl an den Mund, holte tief Atem, um meinem Rufe die nötige Stärke und Länge geben zu können, und stieß jenes Geheul aus, mit welchem wilde Völkerschaften ihre kriegerischen Angriffe zu begleiten pflegen. Ich that das zwei, drei Male hintereinander, ohne daß unsere Wächter mich daran hinderten. Einer von ihnen stieß ein höhnisches Gelächter aus und sagte:

»Dummkopf! Meinst du, daß Ibn Asl sich nicht vorgesehen hat? Er kennt dich. Er dachte daran, daß du so albern sein werdest, die schwarzen Hunde warnen zu wollen. Darum hat er hier halten lassen. Von hier bis zum Dorfe hat man fast eine Stunde zu gehen. Also schrei in Allahs Namen, wenn es dir Vergnügen macht! Ich gönne es dir, da es das letzte Vergnügen ist, welches du erlebst.«

Beinahe schämte ich mich. Und doch war ich froh, daß mein Beginnen keine schlimmeren Folgen hatte. Zu retten war Foguda also nicht; aber ich hatte meine Pflicht gethan undkonnte in dieser Beziehung also ruhig sein. Nicht so in Beziehung auf die unglücklichen Menschen, denen jetzt das Verderben heimlich nahte. Ich lag wie im Fieber. Eine Viertelstunde nach der andern verging. Nach dem Stande der Sterne, welche jetzt heller leuchteten, mochte es zwischen zehn und elf Uhr sein; da begann der Himmel im Süden sich zu röten.

»Hamdulillah, es geht los!« meinte der vorige Sprecher in freudigem Tone. »Die Ratten werden ausgeräuchert.«

»Wollt ihr sie verbrennen?« fragte ich entsetzt.

»Verbrennen?« lachte er. »So weißt du also nicht, wie es bei einer Sklavenjagd zugeht?«

»Ich bin kein Menschenjäger.«

»So werde ich es dir beschreiben.«

»Schweig! Ich mag nichts hören.«

»Du mußt es hören. Du hast mir nicht Schweigen zu gebieten. Wenn ich sprechen will, so spreche ich, und dabei ist es meine Sache, wovon ich reden will. Gerade weil ich weiß, daß es dich quält und peinigt, werde ich dir sagen, wie man es macht, wenn man Sklaven fangen will.«

Ich gab ihm natürlich keine Antwort. Er fuhr fort:

»Du weißt, daß alle diese Negerdörfer von hohen Stachelzäunen umgeben sind. Die Dornen sind meist vertrocknet und brennen außerordentlich gut. Sobald man am Abende das Dorf umzingelt hat, brennt man den Zaun an verschiedenen Stellen an. In der Zeit von einigen Minuten brennt er überall; die Funken fliegen auf die Negerhütten, deren Dächer aus Schilf bestehen und sofort auch in Brand geraten. Die Schwarzen erwachen und wollen sich retten. Die kleinen Kinder und die Alten sind zu schwach dazu; sie müssen verbrennen. Den Starken aber, und gerade diese sind es, die man haben will, gelingt es, in kräftigen Sprüngen durch den brennenden Zaun zu brechen. Draußen ist es dunkel; sie sind geblendet und sehen nicht, wen und was sie vor sich haben; sie werden ergriffen und gefesselt. Wer von ihnen sich wehrt, wird niedergestochen, erschossen oder erschlagen!«

»Schweig mit deiner Beschreibung!« sagte Ben Nil. »Ihr seid keine Menschen, sondern wahre Teufel!«

»Da hast du recht,« lachte der andere. »Daß wir Teufel sind, werdet auch ihr sehr bald erfahren. Euch wird es noch viel schlimmer ergehen als den Negern, die wir soeben fangen. Sie haben nicht zu klagen. Wird einer erschossen, erschlagen, oder ins Feuer geworfen, so ist er schnell tot. Und wer Sklave wird, der braucht nicht mehr zu sorgen, denn sein Herr sorgt für ihn.«

»Ins Feuer geworfen?« fragte Ben Nil entsetzt. »Kommt das auch vor?«

»Sehr häufig! Alte Weiber mit kleinen Kindern, denen es gelungen ist, sich aus dem Brande zu retten, treibt man einfach in das Feuer zurück. Wer unter fünf und über dreißig Jahre alt ist, den können wir nicht brauchen, da niemand einen solchen Sklaven kauft. Und indem man solche unbrauchbare Schwarze in das Feuer zurücktreibt, erspart man das Pulver, welches sie nicht wert sind.«

In dieser Weise sprach der Kerl weiter und weiter. Ich konnte ihn nicht zum Schweigen bringen. Im Süden wurde es immer heller; der Himmel glühte; das Dorf brannte. Das Feuer warf seine Helle sogar bis her zu uns, woraus ich schloß, daß Foguda ein ungewöhnlich großes Dorf sei.

Wieder vergingen einige Stunden. Es war nach Mitternacht. Da kamen zwei weiße Asaker und meldeten den dreien, welche uns bewachten:

»Ibn Asl will diesen gefangenen Hunden zeigen, welchen Fang wir gemacht haben. Folgt uns mit ihnen nach Foguda!«

Man nahm uns die Riemen von den Füßen; wir mußten gehorchen, mußten mit fort. Der Feuerschein war jetzt nicht mehr so hell wie vorher, erleuchtete die Gegend aber doch noch so, daß wir sehr gut sehen konnten. Wir gingen erst zwischen Büschen hin, dann über offenes Land. Nach einer halben Stunde kamen wir an Feldern vorüber, deren Besitzer die kommende Ernte nun wohl nicht einzuheimsen vermochten. Dann erreichten wir das Dorf. Es brannte nicht mehr; es bildete nur noch einen rauchenden Aschenhaufen. Aber außerhalb des frühern Dornenzaunes hatten die Sklavenjäger einige große Feuer angebrannt, in deren Nähe sie ihre Beute umzingelt hielten. Diese letztere bestand aus Menschen und Tieren.

Die Neger haben nämlich ihre Herden stets außerhalb der Dörfer auf einem zwar eingefriedigten sonst aber freien Platze. Daher kommt es, daß bei einem Überfalle die Rinder, Schafe usw. niemals mit verbrennen, sondern dem Sieger in die Hände fallen. Diese Herden sind dem Sklavenjäger noch weit lieber als die erbeuteten Schwarzen, da hier im Lande eine Kuh wenigstens doppelt soviel wert ist, als selbst ein junger und kräftiger Sklave.

Ibn Asl hatte reiche Beute gemacht. Ich sah über hundert Rinder beisammenstehen, und die Zahl der Schafe schätzte ich wenigstens auf das vierfache, soweit ich nämlich in dem Helldunkel eine ungefähre Schätzung vornehmen konnte.

Und Menschen, Gefangene? Nun, ich sage, wenn ich meine Hände frei gehabt hätte, so wäre es jetzt um Ibn Asl geschehen gewesen. Es ist verboten, Menschenblut zu vergießen; aber bei dem Anblicke, den ich jetzt hatte, wäre es eine Wonne für mich gewesen, dem Sklavenjäger eine gute Klinge in das Leben zu stoßen.

Zwischen zwei der größten Feuer lagen sie, die unglücklichen Menschen, welche vor kurzer Zeit noch so ruhig, so ahnungslos geschlafen hatten. Sie lagen lang ausgestreckt, in Reihen eng nebeneinander. Die Männer waren von den Frauen und Mädchen, diese wieder von den Kindern getrennt. Zwischen diesen Reihen gingen Wächter auf und ab, mit Peitschen in den Händen. Die Gefangenen waren alle gebunden; wenn sich trotzdem einer von ihnen nur einigermaßen bewegte, bekam er Hiebe, daß, wie ich bei einem deutlich sah, sofort die Haut aufplatzte. Ich wendete mich von dieser Scene ab; Ben Nil und Selim thaten desgleichen.

Ibn Asl stand bei den Kindern. Er befühlte ihre Gliedmaßen, um die Beschaffenheit derselben zu untersuchen. Er hatte uns kommen sehen; er sah auch, daß wir uns abwendeten. Da kam er herbei, deutete auf einige starke Pfähle, welche den Negern zum Anbinden der Schlachtochsen gedient hatten, und befahl:

»Die Hunde wollen nicht sehen, was sie sehen sollen! Bindet sie an die Pfähle, so daß ihre Blicke auf die Neger gerichtet sein müssen, und wenn sie etwa die Augen schließen, so gebt ihnen die Peitsche solange, bis sie dieselben wieder öffnen!«

Dieser Befehl wurde ausgeführt. Man band uns in der Weise an, daß wir die ganze grauenhafte Scene vor uns hatten. Zu meiner Rechten lag das niedergebrannte Dorf. Ich sah zwischen den glimmenden und qualmenden Trümmern zahlreiche Überreste halbverkohlter Menschen liegen. Links hielten die Herden, von einer Anzahl Djangeh zusammengehalten und bewacht. Und gerade vor mir lagen die Reihen der Neger, zwischen denen sich die Wächter mit ihren drohenden Peitschen bewegten.

Ibn Asl war zu den Kindern zurückgekehrt. Er setzte seine Untersuchung fort. Diejenigen von ihnen, die er für kräftig genug fand, den weiten Transport auszuhalten, blieben liegen; die andern, die er mit einem verächtlichen Winke seiner Hand bezeichnete, wurden zur Seite getragen und dort niedergeworfen. Noch ahnte ich nicht, was er mit diesen Unglücklichen vornehmen werde. Da sie ihm als unbrauchbar erschienen, so war ich überzeugt, daß er sie ihrer Fesseln entledigen und einfach laufen lassen werde. Aber wie hatte ich mich da geirrt!

Als seine Untersuchung zu Ende war, hörte ich ihn einen Befehl aussprechen, und sogleich eilten mehrere seiner Leute zu den ausgeschiedenen Kindern – die Messer dieser Unmenschen blitzten – ich schrie laut auf und schloß die Augen -mehrere Peitschenhiebe zwangen mich, sie wieder zu öffnen – – als ich dort hinübersah, lebte keines von den Kindern mehr.

Die Mütter und Väter der Ermordeten schrieen und heulten vor Schmerz; sie sträubten sich gegen ihre Fesseln; sie wollten auf, um den Tod ihrer Kinder zu rächen. Die Armen! Man brachte sie durch Peitschenhiebe zum Schweigen, und einige, bei denen dieses Mittel nicht fruchten wollte, wurden einfach erschossen.

Ich fühlte eine Wut in mir, welche gar nicht zu beschreiben ist. Meine Glieder zitterten förmlich, nicht aus Schwäche, sondern infolge des inneren Grimmes. Wie oft hatte ich Ibn Asl und mehrere, ja alle seiner Mitschuldigen geschont! In diesem Augenblicke bereute ich dies auf das bitterste. Ich machte mir die schwersten Vorwürfe und nahm mir fest und heilig vor, nun nicht wieder so schwach und nachsichtig zu sein, falls ich in die Lage kommen Sollte, diesen Massenkindermord zu rächen.

Leider hatte ich noch nicht alles gesehen; es sollte, wenn auch nicht noch schlimmer, aber doch auch nicht besser kommen. Es ging nämlich jetzt an die Untersuchung der Erwachsenen. Dabei wurden die als untauglich erscheinenden gar nicht erst entfernt, sondern an Ort und Stelle getötet. Um nicht aufzubrüllen, preßte ich die Zähne zusammen; aber ich behielt die Augen offen, jetzt nicht aus Furcht vor der Peitsche, sondern ich wollte nun Augenzeuge dieser Schlächterei bis zum letzten Ende derselben sein.

Als sie vorüber war, wurden die Schebahs und Eisenketten gebracht. Die Gefangenen waren bis jetzt nur mit Stricken und Riemen gebunden gewesen; nun aber bekamen sie die Handschellen und Gabeläste angelegt, und es wurde einer immer in der Weise an den andern gefesselt, daß sie alle nur auf der einen Seite liegen konnten und, wenn sie dessen müde waren, sich alle zugleich auf die andere Seite legen mußten. Sie verhielten sich jetzt still; sie sahen ein, daß offener oder auch nur heimlicher Widerstand ihr Schicksal nur verschlimmern konnte.

Als Ibn Asl diese seine Arbeit vollbracht hatte, kam er wieder zu mir, grinste mir höhnisch in das Gesicht und fragte:

»Nun, wie gefällt es dir? Meinst du nicht, daß wir einen guten Fang gethan haben und ausgezeichnete Geschäfte machen werden?«

Ich drückte alle meine Empörung nieder und antwortete, wie ich glaube, im ruhigsten Tone:

»Der Fang ist allerdings ein sehr reichlicher. Ich schätze die Schwarzen, welche du leben ließest, auf wenigstens zweihundert. Laß unterwegs auch den vierten Teil zu Grunde gehen, so sind es doch hundertfünfzig, für welche du Bezahlung bekommst. Dazu die Herden. Ich beneide dich!«

Wäre die Scene eine andere gewesen, so hätte ich im stillen über das Gesicht lachen müssen, welches er mir bei diesen meinen Worten zeigte. Er fuhr förmlich um einige Schritte zurück, staunte mich an und meinte:

»Du beneidest mich? Allah thut Wunder über Wunder! Es muß ganz plötzlich ein anderer Geist in dich gefahren sein.«

»Das ist allerdings der Fall, und ich denke, daß du diesen Geist sehr bald kennen lernen wirst.«

»Willst du etwa auch Sklavenjäger werden?«

»Nein, das nicht. Sklaven suche und mag ich nicht. Es sind nur einige ganz besondere Menschen, welche ich fangen will und hoffentlich auch fangen werde.«

»Wer ist das?«

»Ich könnte es verschweigen, will es dir aber doch sagen, damit du mich nicht für feig oder hoffnungslos hältst. Wen ich fangen will? Zunächst vor allen Dingen dich und sodann deine weißen Asaker.«

Er schlug ein schallendes Gelächter auf und rief:

»Mich und meine weißen Asaker! Warum nicht auch meine schwarzen Soldaten?«

»Weil diese getäuscht, belogen und verführt worden sind. Darum wird die Strafe, die dich und deine Weißen erwartet, nicht auch sie mittreffen.«

Er starrte mir eine ganze Minute lang in das Gesicht, trat dann näher zu mir heran, untersuchte meine Schebah und die Handschellen sehr sorgfältig und sagte, als er diese ganz in Ordnung fand:

»Fast glaubte ich, du habest dich deiner Fesseln schon halb entledigt und seist also der Hoffnung, wieder freizukommen; da ich aber sehe, daß dies nicht der Fall ist, so kann ich nur annehmen, daß du plötzlich verrückt geworden bist.«

»Ich bin vollständig bei Sinnen und weiß ganz genau, was ich sage.«

»So? Nun, ich werde dir jetzt zeigen, wie ich solche – –«

Er hielt inne und betrachtete mich abermals mit stechendem Auge, während ich seinen Blick ruhig aushielt. Er hatte die letzten Worte im zornigsten Tone gesprochen und dabei das Messer aus dem Gürtel gerissen, als ob er es mir in die Brust stoßen wolle. Aber er besann sich eines andern, fletschte mir mit überlegenem Lachen seine Zähne entgegen, steckte das Messer wieder zurück und fuhr fort:

»Doch nein! Mich überrumpelst du nicht! Ich bin klug genug, zu wissen, was du beabsichtigst.«

»Dazu gehört keine besondere Klugheit. Ich beabsichtige, dir meine Meinung, die Wahrheit zu sagen. Das ist alles.«

»O nein! Verstelle dich, so sehr du nur willst, mich täuschest du doch nicht. Du giebst dich verloren; du weißt, daß du meiner Rache hoffnungslos verfallen bist und daß dich Martern erwarten, die noch niemand vor dir erlitten hat. Um diesen Qualen zu entgehen, um leicht und schnell zu sterben, hast du dir vorgenommen, mich zu reizen. Du meinst, daß ich dich im Zorne rasch töten werde; aber da hast du dich verrechnet; ich bin klüger als du denkst. Ich werde dich schonen, bis ich Wagunda auch überfallen und verbrannt habe. Dann befindet sich dein geliebter Freund, der Reis Effendina, auch in meinen Händen, und ich werde euch die Freude bereiten, euch gegenseitig in Schmerzensschreien und Jammertönen überbieten zu können.«

Nun legte er mir in höhnischer Freundlichkeit die Hand auf die Achsel und fügte noch hinzu:

»Du siehst also, wie überlegen ich dir bin. Dich kann weder Allah noch der Satan aus meiner Hand erretten. Du bist verloren. Und solltest du vielleicht von dem Reis Effendina Hilfe erwarten und der Ansicht sein, daß ich diesen nicht ergreifen werde, so will ich dir hiermit sagen, daß ich noch in dieser Nacht nach Wagunda aufbrechen werde. Er erwartet mich jetzt noch nicht; er kann mich noch nicht erwarten, und je mehr ich mich beeile, desto sicherer überrasche ich ihn. Ihr drei werdet jetzt zu essen und zu trinken bekommen, nicht etwa aus Mitleid, o nein, sondern damit ihr stark genug seid, die schnelle Reise auszuhalten.«

Er wendete sich von mir ab und erteilte einige Befehle, welche seine letzten Worte betrafen. Ich hatte meine Absicht erreicht und war von dem, was er mir mitgeteilt hatte, sehr befriedigt. Daß er annahm, ich wolle ihn reizen, gab mir die Gewißheit, daß er sich wenigstens zunächst hüten werde, gegen unser Leben oder unsere Gesundheit etwas zu unternehmen.

Wir bekamen Fleisch zu essen und Wasser zu trinken. Das erstere wurde uns in zugeschnittenen Bissen in den Mund gesteckt, und zwar so reichlich, daß ich mich vollständig gesättigt fühlte. Dann wurden wir von den Pfählen gebunden und unter Bedeckung der schon erwähnten drei Wächter seitwärts gebracht, wo wir uns niederlegen durften.

Ich legte mich so, daß ich die Feuer und den Schauplatz der heutigen Unthaten im Rücken hatte und nichts davon sehen konnte. Mit meinen beiden Gefährten zu sprechen, hütete ich mich, denn ich wußte, daß der Versuch dazu doch nur mit Peitschenhieben zurückgewiesen worden wäre. Sie schienen, da sie sich ebenso still verhielten, ganz derselben Ansicht zu sein.

Obgleich ich mit dem Gesicht abgewendet lag, bemerkte ich sehr bald, daß hinter mir irgend eine Vorbereitung getroffen wurde. Welcher Art dieselbe war, erfuhr ich bald – die Vorbereitung zum Aufbruche. Die neugefangenen Sklaven mußten sich erheben, um in Einzelreihen fortgeschafft zu werden. Die geraubten Herden trieb man hinter ihnen her. Wir drei wurden von Ibn Asl und fünf weißen Asakern besonders genommen und fortgeführt. Der Zug ging nordwärts zurück nach den Sträuchern, zwischen denen wir vor dem Überfalle gelagert hatten. Als wir dort anlangten, wurden einige Feuer angebrannt. Nach dem, was Ibn Asl zu mir gesagt hatte, war ich überzeugt, daß wir nur kurze Zeit hier verweilen würden, und es zeigte sich, daß diese Vermutung die richtige war.

Man hatte uns so plaziert, daß wir auf drei Seiten von Büschen umgeben waren und das, was auf dem Lagerplatze vorging, nicht sehen konnten. Man brachte gesattelte Ochsen herbei; dann kam Ibn Asl und sagte:

»Ben Nil und Selim sind keine Reiter; wenn ich ihnen die Schebah ließe, würden sie mir unterwegs zu Grunde gehen; da ich sie jedoch lieb habe und sie mir zu erhalten wünsche, werde ich ihnen den Ritt dadurch erleichtern, daß ich ihnen den Gabelast abnehme. Du aber bist im Sattel zu Hause, Effendi, und wirst also mit der Schebah reiten. Ich hoffe, daß du mir für diese Auszeichnung dankbar bist!«

Diese spöttischen Worte stellten mir einen schweren, sehr schweren Ritt in Aussicht, doch nahm ich sie ruhig hin, da ich jetzt zu meiner Rettung nichts zu thun vermochte. Meine einzige Hoffnung konnte ich nur auf Wasser gründen. Auf Wasser? Wieso?

Als mir die Handschellen zum erstenmale angelegt wurden, war ich bestrebt gewesen, sie so weit wie möglich zu bekommen; ich hatte geglaubt, ihnen entschlüpfen zu können; es wäre mir auf einige Haut- oder Fleischfetzen, die ich dabei verloren hätte, nicht angekommen. Aber ich hatte das Klima dieser Gegend nicht in Berechnung gezogen. Ich schwitzte; die Hände waren beständig feucht und so angeschwollen, daß es geradezu unmöglich war, sie selbst mit größter Anstrengung aus den Fesseln zu ziehen. Wollte ich diesen letzteren Zweck erreichen, so mußte die Anschwellung zum Weichen gebracht werden, und das konnte nur durch kaltes Wasser geschehen. Also Wasser, nur Wasser!

Ben Nil und Selim wurden von ihren Gabelästen befreit und auf Reitochsen gebunden. Auch ich mußte aufsteigen, was ich natürlich ohne Weigern that, und wurde auf das sorgfältigste festgeschnürt. Dann leitete man unsere Tiere zwischen den Büschen hin, bis wir die freie Ebene erreichten, wo ich schon eine größere Anzahl Reiter halten sah.

Man ordnete sich zum Zuge. Voran ritten zwei Kerle, welche, wie ich später bemerkte, eine ausgezeichnete Ortskenntnis besaßen. Dann kam ein Trupp von vielleicht zehn weißen Asakern, hinter ihnen Ibn Asl, an dessen Sattel hinten zwei Riemen befestigt waren. Der eine wurde an die Spitze meiner Schebah gebunden und der andere Ben Nil um den Leib geschlungen, so daß wir beide gezwungen waren, nebeneinander hinter unserm Peiniger zu reiten. Von meinem Sattel aus ging wieder ein Riemen, von welchem hinter mir der Ochse Selims geleitet wurde, ein Arrangement, welches kaum raffinierter erdacht werden konnte.

Ich saß auf dem Ochsen festgebunden, ohne die Zügel fassen zu können, um den Hals die schwere Schebah, welche ich mit den beiden erhobenen Händen halten mußte, wenn ich von ihr nicht erwürgt sein wollte. Jeder Ruck von Ibn Asls Ochsen, jeder Fehltritt desselben mußte meine Schebah aus der Lage bringen und mir Schmerzen bereiten. Selim war kein Reiter, war zudem auch gefesselt und leistete auf einem Ochsen sicherlich noch weniger, als auf einem Pferde. Da sein Tier mit mir zusammenhing, war die Einrichtung für mich eine Folter, deren Erfindung einem Teufel Ehre gemacht haben würde. Es gab nur ein Mittel, sie erträglicher zu machen, nämlich äußerst fester Schluß- und Schenkeldruck; aber welcher sterbliche Mensch kann einen ganzen Tag, ja nur eine Stunde lang, wenn er noch dazu gefesselt ist, mit einem Ochsen solchen Schluß behalten!

Hinter Selim ritten wieder mehrere weiße Asaker, worauf die übrigen folgten. Auf einen Ruf des Anführers setzte man sich in Bewegung, erst langsam, worauf bald ein schnellerer Schritt angenommen wurde.

Schon nach den ersten fünf Minuten hatte ich die feste Überzeugung, daß ich nicht auf einem Reitochsen saß und man mir sogar unter den Lastochsen den allermiserabelsten und steifsten »Werfer« ausgesucht hatte. Nun, ich that mein möglichstes, seinen Sylphidenschritten etwas mehr Elastizität und Stetigkeit zu geben. Aber was half das bei der Schlechtigkeit Ibn Asls, welcher von Zeit zu Zeit hinter sich nach dem Riemen griff, um an meiner Schebah zu zerren! Dann schlugen die hinter Selim Reitenden auf den Ochsen ein, daß dieser störrisch wurde und, zur Seite fahrend, mich von hinten zerrte. Es war ein Ritt, wie ich noch keinen gemacht hatte und mir auch keinen wieder wünsche.

Es mochte ungefähr drei Uhr nachts sein. Die Sterne leuchteten noch in unverminderter Helle, und es ging immer über offenes Land, bald geradeaus, bald indem wir nach rechts oder nach links abbogen. Die Führer kannten die Gegend so genau, als ob sie hier geboren seien. Das einzige Gute, welches man mir gelassen hatte, war, daß ich mit Ben Nil sprechen konnte, ohne daß man es verbot. Oder war auch das eine Raffiniertheit? Sollten wir Pläne zu unserer Rettung schmieden, um dann desto schwerer zu empfinden, daß dieselbe unmöglich sei?

Wie viele Reiter ich hinter mir hatte, konnte ich nicht sehen, da die Schebah mich hinderte, den Kopf zu drehen. Später, als wir anhielten, um die Ochsen ruhen, trinken und grasen zu lassen, zählte ich dreißig weiße Asaker und ungefähr hundert Djangeh. Es waren also wohl zwanzig weiße und fünfzig Schwarze zurückgeblieben, um die erbeuteten Ochsen und Sklaven nachzutreiben, während Ibn Asl in beschleunigtem Ritt voraneilte, um Wagunda sicher zu überraschen.

Ben Nil that alles mögliche, mir die Qualen dieses Rittes zu erleichtern; aber da er auch an den Händen und Füßen gefesselt war, so hatte er sein Tier nicht so, wie er wollte, in der Gewalt.

»Effendi, dieses Mal ist es wohl aus mit uns,« warf er mir in halblautem Tone zu. »Oder sollte in deinem Herzen noch ein wenig Hoffnung vorhanden sein?«

»Ein wenig?« antwortete ich. »Ich habe nicht das kleinste Stäubchen meiner Hoffnung verloren.«

»Hoffnung! Das ist ein schönes Wort; aber es steht zu befürchten, daß dasselbe nicht mehr für uns existiert.«

»Es existiert für mich, solange ich lebe, und da ich jetzt noch lebe, so hoffe ich eben noch.«

»Trotz der Fesseln und auch trotz dieser Schebah, welche zu den Erfindungen der Hölle gehört?«

»Trotzdem. Fesseln kann man zersprengen, und eine Schebah ist zwar ein festes, aber immerhin auch zerbrechliches Ding.«

»Glaubst du denn, die Kette, welche deine Handschellen verbindet, sprengen zu können?«

»Solange ich die Schebah halten muß, nein.«

»Und solange du die Schellen an den Händen hast, kannst du dir die Schebah nicht selbst vom Halse nehmen.«

»Das ist richtig; aber ich hoffe, diese Schellen nicht mehr lange tragen zu müssen.«

»Wie willst du sie herunterbringen?«

»Das wirst du später erfahren. Ich will nicht davon sprechen, weil man meine Worte doch vielleicht hören könnte. Schweigen wir jetzt! Ich habe meine Gedanken anderweit zusammenzunehmen, wenn ich nicht erwürgt sein oder mit dem Ochsen stürzen und den Hals brechen will.«

Die Bemerkung vom Brechen des Halses war von mir ganz ernst gemeint. Ich befand mich wirklich in der größten Gefahr, dieses Unglück zu erleiden. Ich wurde von vorn und von hinten gezogen und gezerrt; jeden Ruck, den ich bekam, mußte mein Ochse auch fühlen. Wenn er die Geduld verlor und auf die sprichwörtlich gewordene Eigenschaft seiner Sippe verfiel, konnte er leicht zum Sturze kommen. Ich war auf seinem Rücken festgebunden und trug die schwere, lange Schebah am Halse; dieser letztere war also von meinen Körperteilen derjenige, den ich den gefährdetsten nennen mußte.

Als der Tag anbrach, fühlte ich meine Arme nicht mehr. Sie waren mir infolge der Stellung, welche sie beim Halten des Gabelastes einzunehmen hatten, eingeschlafen. Von den andern Gliedern will ich nur die Beine erwähnen. Ich fühlte, daß sie bereits blutrünstig waren. Und doch sollte die Qual sich nicht vermindern, sondern steigern.

Die Führer hatten wegen der n ‚ ächtlichen Dunkelheit nur offene Gegenden aufgesucht. Jetzt, da es hell geworden war, konnten sie die gerade Richtung einhalten, und diese führte durch Wald und immer wieder Wald. Mit meinem Tiere und in meiner Lage, von vorn und von hinten gezogen und gerissen, war der Ritt unter den Bäumen hin und durch den Morast, den es da stellenweise gab, natürlich weit beschwerlicher noch als derjenige über die Lichtungen. Und doch hielt ich es bis zum Mittage aus, um welche Zeit angehalten wurde, da die Ochsen der Erholung bedurften. Dies geschah auf einer Blöße, über welche ein kleines Wasser langsam floß.

Wir drei wurden von den Tieren gebunden. Als meine Füße den Boden berührten, vermochten sie mich nicht zu halten; ich brach förmlich zusammen.

»Steht es schon so mit dir?« lachte Ibn Asl höhnisch auf. »Willst du dich auch jetzt noch deiner Stärke rühmen?«

»Wann habe ich mich derselben gerühmt?« antwortete ich. »Meinst du etwa, daß ich leide? Ich freue mich vielmehr, denn ich weiß, daß du Wagunda nicht zur rechten Zeit erreichen wirst.«

»Nicht? Warum?«

»Weil ich dich hindern werde!«

Er sah nachdenklich vor sich nieder und wendete sich dann, ohne noch ein Wort zu sagen, von mir ab. Ich hoffte, das erreicht zu haben, was ich mit meinen Worten erreichen wollte, nämlich eine weniger grausame Behandlung.

Meine Beinkleider waren steif vom Blute, doch erkannte ich bald, daß meine Schwäche vorhin nur eine augenblickliche und schnell vorübergehende gewesen war. Die unnatürliche, erzwungene Lage meiner gefesselten Glieder hatte sie, als sie in die gewöhnliche Lage zurückkehren durften, für eine Minute unbrauchbar gemacht. Doch ließ ich das nicht merken, sondern stellte mich schwächer, als ich in Wirklichkeit war. Diese Taktik sollte nicht ohne Erfolg bleiben.

Wir bekamen auch jetzt Fleisch und Wasser. Da ich mich freier bewegen konnte, sah ich, wie bereits oben bemerkt, aus welchen und wie vielen Leuten unser Zug bestand. Man hatte Reserveochsen mitgenommen. Zwei von ihnen trugen das Zelt des Anführers. Auf dem Packsattel eines dritten sah ich ein langes Bündel, aus welchem die Kolben und Läufe unserer Gewehre blickten. Daß man uns nicht nur die Waffen, sondern überhaupt alles abgenommen hatte, bedarf eigentlich keiner besonderen Erwähnung.

Zwei Stunden mochten wir geruht haben, als wir wieder aufbrachen. Wie war ich erfreut, als man mir, bevor ich aufsteigen mußte, die Schebah vom Halse nahm! Ich bekam sogar einen andern, bessern Ochsen. Meine Bemerkung hatte also die beabsichtigten Früchte getragen. Zwar wurde ich wieder durch Riemen mit Ibn Asl und Selim verbunden, aber die Gabel hinderte und drückte mich nicht mehr, und ich konnte trotz der gefesselten Hände die Zügel halten und auch führen. Das hatte zur Folge, daß ich während des ganzen Nachmittages fast nicht die mindeste Belästigung fühlte, nur daß am Abende, als wir wieder Halt machten, noch eine gewisse Steifheit zu bemerken war.

Wir befanden uns am Rande einer Art von Prairie. Die Ochsen sollten einige Stunden grasen und dann wiederkäuen, natürlich unter Aufsicht von Wächtern, die sich während der Nacht abzulösen hatten. Für Ibn Asl wurde das Zelt aufgeschlagen, und mir wurde die Schebah wieder angelegt. Als Abendessen bekamen wir einen Brei von Durrhamehl, in kaltem Wasser angerührt.

Es war ein Feuer angebrannt worden, welches, um die Stechmücken abzuwehren, die ganze Nacht unterhalten werden sollte. Dort hatten Ben Nil und Selim sich niederzulegen, weil sie, von den Flammen beschienen, besser bewacht werden konnten. Was aber mich betraf, so sagte Ibn Asl, nachdem er meine Handschellen und die Schebah sorgfältig untersucht hatte:

»Dich lasse ich nicht im Freien. Du mußt mit ins Zelt hinein, damit ich deiner vollständig sicher bin.«

Ich wurde also in das Zelt geschafft und im Hintergrunde desselben niedergelegt, nachdem man mir mit einem Riemen beide Fußgelenke zusammengebunden hatte. Die Spitze der Schebah wurde fest an die eine Zeltstange geschnürt, so daß ich die ganze Nacht den Kopf und Oberkörper nicht zu bewegen vermochte, eine mehr als unbequeme Lage.

Nahe dem Eingange wurde für Ibn Asl ein Lager aus weichen Decken zurechtgemacht und für den etwaigen Bedarf während der Nacht ein Gefäß voll Trinkwasser daneben gestellt. Dieses Wasser hätte mich retten können; leider aber stand es nicht in meinem Bereiche. Als er sich auf sein Lager hingestreckt hatte, machte er mir die Bemerkung:

»Denke nicht etwa an Flucht! Ich werde jede deiner Bewegungen hören. Wolltest du dich erheben, so würdest du, da die Schebah mit dem Zelte verbunden ist, dasselbe erschüttern, oder gar niederreißen. Auch sitzen die Wächter draußen am Feuer und werden das Zelt nicht aus den Augen lassen.«

Der gute Mann hatte sehr recht; aber wenn mir das Wassergefäß zugänglich gewesen wäre, so hätte er nicht recht gehabt. Er verschloß den Eingang des Zeltes, indem er den Vorhang vorzog, und verhielt sich von jetzt an ruhig. Ich war ebenso still wie er, aber nur äußerlich. In meinem Innern sprachen verschiedene Stimmen, von denen aber keine zur wirklichen Geltung gelangte. Sowie ich jetzt hier im Zelte lag, war Flucht unmöglich. Ich mußte mich heute noch in Geduld fügen. Aber Schlaf fand ich nicht. Erstens war meine Lage zu unbequem dazu, und zweitens galt es, nachzudenken, ob es nicht auf eine andere, mir bisher noch nicht eingefallene Weise möglich sei, loszukommen. Aber all mein Sinnen führte zu keinem Ziele; der Kopf wurde mir schwer; ich fiel zuweilen in eine Art von Halbschlummer, aus dem ich immer schnell wieder erwachte, und als die Wächter draußen die Schläfer mit lauter Stimme weckten, war ich viel müder, als ich am Abende gewesen war.

Der Tag brach an. Man band mir die Füße frei, löste die Schebah von der Zeltstange und führte mich hinaus, wo ich wieder Durrhabrei, und zwar in derselben Weise wie am vorigen Abende zu essen bekam. Dann wurde ich, nachdem man mir die Schebah abgenommen hatte, wieder auf den Ochsen gebunden, Ben Nil und Selim ebenso, worauf der heutige Ritt begann. Einer der Führer fehlte. Wie ich später erfuhr, war er schon während der Nacht aufgebrochen, um uns als Kundschaftet voranzureiten.

Während ich über mein Befinden im Sattel jetzt nicht mehr zu klagen hatte und auch Ben Nil sich nicht beschwerte, begann Selim hinter uns zu wimmern und zu klagen. Es war klar, daß der alte Mann solchen Anstrengungen nicht gewachsen sein konnte. Ich bedauerte ihn, obgleich nur er allein unsere gegenwärtige Lage verschuldete, und warf ihm einige Bemerkungen, die ihn trösten sollten, zu. Dies war mir heute möglich, da ich die Schebah nicht zu tragen hatte und mich also umdrehen konnte.

»Schweig, Effendi!« fuhr er mich undankbar an. »Du bist schuld an allem, was ich zu leiden habe.«

»Ich? Wieso?« fragte ich verwundert.

»Wärst du in Wagunda geblieben, so wäre ich dir nicht nachgelaufen! Meine Glieder sind wie von Papier, und meine Seele weint mehr Thränen, als es in einem Jahre regnen kann. Dieser Ochse ist mein Tod.«

»Ich habe geglaubt, daß du ein guter Reiter seist!«

»Der bin ich auch. Ich bin der kühnste und gewandteste Reiter des Weltalls. Ich bändige selbst das wildeste Roß; aber welcher wahrhaft Gläubige hat jemals schon auf einem Ochsen gesessen?«

Er konnte selbst in unserer jetzigen Lage das Aufschneiden nicht lassen. Übrigens verdenke ich es selbst heute noch keinem gläubigen Moslem, wenn er es vorzieht, lieber auf einem sammtnen Diwan, als auf einem sudanesischen Ochsen zu sitzen. Es soll sogar Christen geben, welche genau derselben Meinung sind.

Als wir die Prairie hinter uns hatten, ritten wir durch einen Wald, am Rande eines Sumpfes hin. Die Gegend kam mir bekannt vor. Bald darauf ging es wieder über eine Lichtung, welche ich auch schon gesehen zu haben glaubte. Als ich infolgedessen schärfer nach allen Seiten blickte, sagte Ben Nil:

»Weißt du, Effendi, daß wir hier gewesen sind? Über diesen Platz sind wir am frühen Morgen des zweiten Tages gekommen.«

»Ah, du hast recht; ich besinne mich.«

»Denke dir also, wie schnell wir geritten sind!«

»Wir haben gestern allerdings eine weite Strecke zurückgelegt; aber das ist nicht die einzige Ursache, daß wir uns schon hier befinden. Wir haben ausgezeichnete Führer bei uns.«

»Das ist schlimm, weil wir die Strecke, zu welcher wir zu Fuße drei Tage brauchten, jetzt in zwei zurücklegen werden. Wann, meinst du, daß wir Wagunda erreichen?«

»Wahrscheinlich schon heute.«

»So sind unsere Freunde verloren und wir mit ihnen.«

»Noch nicht. Bis dahin kann noch viel geschehen. Sei nur getrost.«

Es war nun allerdings Grund vorhanden, unsere Hoffnungen herabzustimmen. Wenn wir uns jetzt nicht in der Gegend geirrt hatten, so war anzunehmen, daß wir am Abende in die Nähe von Wagunda gelangen würden. Und der Umstand, daß ein Kundschafter vorausgegangen war, bewies, daß wir uns diesem Ziele näherten. Kamen wir nicht zu spät dort an, so durften wir vermuten, daß Ihn Asl den Angriff noch heute unternehmen werde, falls er nämlich finden sollte, daß die Verteidiger unvorbereitet seien. Das Dorf war zu gut besetzt, aber wenn die Leute schliefen und es wie Foguda angebrannt wurde, so waren unsere Freunde allem Vermuten nach doch verloren.

Kurz und gut, die Entscheidung nahte mit schnellen Schritten. Wenn mir bis zum Abende kein rettender Gedanke kam, so brauchte mir später überhaupt keiner mehr zu kommen.

»Meinst du, daß der Reis Effendina auf seiner Hut sein wird?« fuhr Ben Nil fort.

»Ich möchte es fast bezweifeln.«

»Ich auch, denn er erwartet Ibn Asl jetzt noch nicht.«

»Und wenn er vorsichtig wäre, so würde das uns dreien doch nichts nützen. Sobald Ibn Asl einsähe, daß er verloren ist, würde er uns ermorden.«

»Allah! Das ist richtig; das ist wahr.«

»Wir müssen frei sein, ehe es zum Kampfe kommt.«

»Das ist aber unmöglich, und darum sind wir verloren. Ich werde die Meinen nie wiedersehen, aber ich habe doch den Trost, daß es mir vergönnt sein wird, an deiner Seite zu sterben, mein guter, lieber Effendi.«

»Du wirst hoffentlich noch lange und sehr glücklich leben, denn du verdienst es, glücklich zu sein. Ich bitte dich, an der Hilfe Allahs noch nicht zu verzweifeln!«

Er antwortete nicht, und auch mir war es nicht ganz so zuversichtlich um das Herz, wie ich mir den Anschein gab. Ich versuchte heimlich, die Kette an meinen Händen zu zerdrehen, vergeblich. Aber selbst wenn mir das gelungen wäre, so hätte ich doch keine Waffen gehabt und war anderwärts mit starken Riemen angebunden. Dennoch konnte jeden Augenblick irgend ein für uns günstiger Umstand eintreten.

Leider aber war dies nicht der Fall. Der Vormittag verging, und wir machten, als die Sonne am höchsten stand, den ersten heutigen Halt, um unsern nun sehr angegriffenen Tieren Ruhe und Nahrung zu gönnen. Es war ihnen anzumerken, daß sie die bisherige Schnelligkeit höchstens nur noch bis heute abend entwickeln könnten.

Wir bekamen Dörrfleisch zu essen, mit welchem Ibn Asl zur Genüge versehen war. Wie gestern wurde nach zwei Stunden wieder aufgebrochen. Später wurde mir die Gegend bekannter, als bisher. Vier Uhr nachmittags erreichten wir die Stelle, an welcher wir vor fünf Tagen von dem Wege, auf welchem wir damals Ibn Asl erwartet hatten, rechts abgewichen waren. Wir befanden uns zwischen den beiden schon früher erwähnten Quellflüssen des Tonj und kamen kurz vor Sonnenuntergang an die Furt, an welcher ich Ibn Asl hatte empfangen und schlagen wollen.

Als wir uns derselben näherten, kam der Kundschafter, welcher sich in voriger Nacht von uns getrennt hatte, zwischen den Büschen, hinter denen er sich versteckt gehalten hatte, hervor und näherte sich Ibn Asl, um seine Meldung zu machen. Da ich hinter dem Letztgenannten ritt, konnte ich jedes Wort, welches gesprochen wurde, hören, zumal er sich nicht bemühte, dies zu verhüten.

»Nun,« fragte er – »bist du glücklich gewesen?«

»Ja, Herr,« lautete die Antwort, »glücklicher, als ich hoffen konnte.«

»Wieweit liegt das Dorf von hier?«

»Man geht über eine Stunde; reitend aber erreicht man es noch eher. Ich habe jenseits der Furt im Walde zwei Männer belauscht.«

»Schwarze aus Wagunda?«

»Nein, weiße Asaker des Reis Effendina. Sie waren in den Wald gegangen, ein Wild zu schießen, und da sie keines fanden, so saßen sie da, um sich zu unterhalten.«

»Wovon sprachen sie?«

»Von dir. Es war ein sehr glücklicher Zufall, daß ich sie traf. Er hätte, wenn sie aufmerksamer gewesen wären, sehr schlimm für mich ausfallen können. Ich war über die Furt geritten, um meinen Ochsen in dem Walde zu verstecken und mich dann in die Nähe des Dorfes zu schleichen. Eben hatte ich die ersten Bäume hinter mir, da kamen sie. Wären sie um einige Herzschläge eher gekommen, so hätten sie mich gesehen.«

»Was geschah weiter?«

»Ich wich zur Seite, um zunächst den Ochsen anzubinden, und ging ihnen dann leise nach. Sie setzten sich und sprachen so laut miteinander, daß ich sie verstehen konnte, ohne mich zu weit vorwagen zu müssen.«

»Was hast du da gehört?«

»Daß man dich erst in vier oder wohl gar fünf Tagen erwartet.«

»So hat man wohl noch gar keine Vorbereitungen zur Gegenwehr getroffen?«

»Nein. Man will dir Späher entgegensenden und dich bis an den See, welcher unterhalb des Dorfes liegt, kommen lassen; in diesen sollen wir dann von der Übermacht getrieben werden.«

»Das ist nichts Neues für mich, da ich es schon von unserm Gefangenen, diesem Selim, gehört habe. Wer ist denn der Anführer? Der Reis Effendina?«

»Ja; aber man hat kein großes Vertrauen zu ihm. Die beiden Männer sagten, daß der Effendi ihnen lieber gewesen sei, und auch die Bor, welche sich hier befinden, sollen mehr Vertrauen zu diesem gehabt haben.«

Da drehte Ibn Asl sich zu mir um und sagte:

»Hörst du dein Lob, Effendi? Ich hoffe, daß du das Vertrauen, welches man in dich setzt, nicht zu schanden machst.«

»Sei überzeugt, daß ich mein möglichstes thun werde,« antwortete ich ihm.

»Mit deinen Möglichkeiten ist es leider zu Ende,« lachte er hämisch und wendete sich dann dem Kundschafter wieder zu: »Was hast du noch gehört?«

»Weiter nichts, als daß man glaubt, die drei Männer, welche jetzt unsere Gefangenen sind, haben denselben Weg eingeschlagen, auf welchem sie in diese Gegend kamen.«

»So ahnt man nicht, daß sie nach Foguda wollten?«

»Nein. Man denkt, der Effendi habe sich beleidigt und zurückgesetzt gefühlt und sich infolgedessen ganz und gar von dem Reis Effendina zurückgezogen.«

»Ich bin zufrieden mit dem, was du erfahren hast. Wie tief ist die Furt?«

»Ein Reiter wird nur bis zu den Knien naß.«

»Wir müssen uns dem Dorfe soweit wie möglich nähern. Kennst du einen Ort, an welchem wir alle lagern können, ohne gesehen zu werden?«

»Ich habe mich danach umgesehen und einen gefunden, der auf halbem Wege von hier liegt. Wenn wir kein Feuer brennen, ist es ganz unmöglich, uns von Wagunda aus zu bemerken.«

»So führe uns! Wir werden nur kurze Zeit dort liegen bleiben, da der Überfall noch vor Mitternacht geschehen soll.«

»Herr, erlaube mir, dich darauf aufmerksam zu machen, daß die Bewohner des Dorfes Gäste haben. Die Bor und die Asaker des Reis Effendina sind bei ihnen, und wo sich Gäste befinden, da pflegt man spät zur Ruhe zu gehen.«

»Das ist freilich wahr. Übrigens pflegt man zwischen Mitternacht und Sonnenaufgang am festesten zu schlafen. Vielleicht greifen wir erst um diese Zeit an. Ich werde nachher noch einen Lauscher senden. Jetzt vorwärts!«

Wir ritten in das Wasser und jenseits der Fuhrt wieder aus demselben, dem Dorfe entgegen. Nach beinahe einer halben Stunde bogen wir, von dem Kundschafter geführt, nach dem Walde, in welchen er seinen Ochsen versteckt hatte. Die Bäume desselben waren stark und hoch und standen weit auseinander. Zwischen zwei Unterholzgebüschen angelangt, erklärte der Führer, daß hier der beste Ort zum Lagern sei.

Man stieg ab, und wir drei bekamen sofort die Schebah wieder angelegt. Man war gerade zur richtigen Zeit eingetroffen, da der Abend jetzt zu dunkeln begann. Die Ochsen wurden angebunden. Einige Männer schlugen das Zelt des Anführers auf. Da wir außer der Schebah auch die Handschellen trugen und außerdem an den Füßen gebunden waren, so glaubte man jedenfalls, nicht allzusehr auf uns achten zu müssen. Wir konnten also miteinander sprechen, ohne von jemand verstanden zu werden.

»Es steht schlimm, sehr schlimm, Effendi,« sagte Ben Nil. »Erst trugen Selim und ich nur Riemen; jetzt hat man uns auch Eisen angelegt. Das ist ein böses Zeichen. Wir sind verloren.«

»O nein! Es muß und wird etwas zu unserer Rettung geschehen.«

»Was denn? Ich kann nichts thun, Selim auch nicht. Und dich wird man wieder an das Zelt binden. Was soll da geschehen!«

»Nun, wenn nichts anderes geschieht, so passiert wenigstens das eine, daß ich mich über Ibn Asl hermache.«

»Unmöglich! Du wirst ja angebunden sein!«

»Mit der Schebah an die Zeltstange, ja. Aber wenn ich mich erhebe, so reiße ich die Stange mit empor und das Zelt stürzt ein. Sollte mich wundern, wenn es mir da nicht gelänge, Ibn Asl zu fassen.«

»Was hilft das uns?«

»Sehr viel. Befindet er sich einmal zwischen meinen Händen, so geb‘ ich ihn gewiß nicht wieder los.«

»Aber man tötet uns!«

»Vielleicht auch nicht. In meinen Händen ist dieser Mensch ein Geisel, gegen welchen wir uns freihandeln können.«

»Du bist gebunden und waffenlos, während er selbst während des Schlafes sein Messer bei sich hat. Wenn du ihn trotz deiner Handschellen fassest, wird er dich erstechen.«

»Ich packe ihn gleich so, daß er gar nicht an sein Messer denken kann.«

»Könnten wir doch mit diesen Djangeh sprechen! Aber auch das würde uns nichts nützen. Sie sind zwar mit den Leuten von Wagunda gleichen Stammes; aber sie waren ja auch mit den Bewohnern von Foguda, die ebenso zu den Gohk gehören, verwandt und haben sie doch mit überfallen und ermordet. Wenn die Schwarzen einmal Blut gesehen haben, hört bei ihnen jedes Gefühl und jede Rücksicht auf.«

Wir mußten unser Gespräch abbrechen, da man kam, um uns in die Nähe des Zeltes zu schaffen. Es herrschte nur noch ein Halbdunkel unter den Bäumen. Ich benutzte dasselbe, um einen Überblick über das Lager zu gewinnen.

Der Raum zwischen den beiden Büschen war weniger breit als lang. Infolgedessen hatte das Lager eine langgestreckte, schmale Gestalt angenommen. Den einen Flügel nahmen die weißen Asaker, den andern die Djangeh ein. Zwischen beiden stand das Zelt, doch nicht in der Mitte des Lagers, da die Schwarzen einen größeren Raum einnahmen als die Weißen. Die Ochsen waren hinter den Büschen angebunden. Einige Djangeh wurden mit den vorhandenen Gefäßen nach Wasser geschickt. Sie mußten es trotz der ansehnlichen Entfernung aus der Furt holen. Als sie zurückkehrten, wurde der schon erwähnte Brei bereitet, mit welchem auch ich gefüttert wurde. Dann schaffte man mich in das Zelt, wo ich genau so wie gestern angebunden wurde. Ibn Asl blieb vor dem Eingange desselben sitzen. Ich hörte, was er mit seinen Leuten sprach. Er schickte zwei Kundschafter aus und befahl außerdem, für ihn Wasser zu holen, da der vorhin gebrachte Vorrat zu Ende gegangen war.

Es verging eine lange Zeit, wohl eine Stunde. Dann kehrte der Mann von der Furt mit dem Wasser zurück. Ihn Asl trank und stellte das Gefäß hinter sich in das Zelt. Kurze Zeit später kamen die Spione. Sie meldeten, daß im Dorfe ein sehr reges Leben herrsche und also anzunehmen sei, daß man dort nicht sobald schlafen gehen werde. Es war so finster, daß ich, obgleich das Zelt offen stand, keinen Menschen zu erkennen vermochte. Ihn Asl schien nachzudenken; dann hörte ich ihn sagen.

»Gut, wir greifen erst nach Mitternacht an. Die Wachen sind dieselben wie gestern und haben um Mitternacht zu wecken. Gebt die Decken für mein Lager her!«

Ich verschlang natürlich jedes dieser Worte. Und nun lauschte ich mit angehaltenem Atem auf jede seiner Bewegungen. Er nahm die Decken in Empfang, um sich das Lager selbst zu bereiten. Das Wassergefäß stand ihm im Wege; er stellte es, um nicht daran zu stoßen, zur Seite. Als er mit seinen Vorbereitungen fertig war, kam er zu mir, um meine Fesseln zu betasten. Dabei sagte er:

»Hund, heute ist dein letzter guter Tag. Morgen befindet sich auch der Reis Effendina in meiner Hand, und dann sollt ihr heulen, daß man es jenseits des Niles hört.«

Er hatte sich überzeugt, daß meine Fesseln in Ordnung seien, und ging zu seinem Lager, um sich dort niederzustrecken. Er hatte den Topf weit von sich gesetzt; ich zitterte fast vor Erwartung, ob er ihn mit sich nehmen werde. Nein, er that dies nicht; er vergaß es und ließ ihn stehen! Ich holte tief, sehr tief und erleichtert Atem.

Nun wartete ich, bis anzunehmen war, daß er eingeschlafen sei, wohl eine Stunde lang, die mir aber wie eine Ewigkeit erschien. Dann streckte ich die zusammengebundenen Füße aus, um nach dem Wassergefäße zu »fischen«. Ich stieß an dasselbe, schob die Fußspitzen dahinter und dirigierte es, indem ich die Kniee nach und nach an den Leib zog, leise, leise zu mir heran. Endlich konnte ich es mit den Händen erreichen. Es war eine sogenannte »Kulle«, ein bauchiger Krug, dessen Öffnung glücklicherweise so weit war, daß ich eine Hand hineinstecken konnte. Da die linke Hand gewöhnlich ein wenig kleiner ist als die rechte, schob ich die erstere hinein, nahm mich aber sehr in acht, um dabei nicht mit der Kette zu klirren. Das Wasser war kühl.

Die Zeit war nicht zu messen; wahrscheinlich aber dauerte es wieder gegen eine Stunde, ehe ich die Hand zurückzog. Als ich sie mit der Rechten befühlte, merkte ich, daß die Haut kleine Falten bildete; die Hand war also eingeschrumpft. Ich faßte mit der rechten Hand die linke Schelle fest und begann zu drehen. Hamdulillah, hätte ich beinahe ausgerufen – es ging; ich konnte die linke Hand durch das runde Eisen ziehen; sie war frei! Nun schnell mit ihr nach dem Genick, wo der Querpflock in der Schebah steckte. Ich zog ihn heraus und konnte dann den Hals aus der Gabel nehmen. Jetzt galt es nur noch, den Riemen, welcher meine Füße verband, zu lösen. Man hatte eine Schleife gemacht; ich zog sie auf und befand mich nun im vollen Besitze meiner Glieder. Zwar hingen die Eisenschellen noch an meinem rechten Handgelenke, doch anstatt mir hinderlich zu sein, konnten sie mir vielmehr als eine nicht zu verachtende Waffe dienen.

Was nun? Ben Nil und Selim befreien? Das ging nicht; das brachte mich wieder in Gefahr, da sie jedenfalls scharf bewacht wurden. Aber wenn Ibn Asl erwachte und meine Flucht entdeckte, so mußte er annehmen, daß sein Plan durch mich verraten werde, und dann war es um das Leben der beiden geschehen. Die Sache war kritisch, befreien konnte und hier lassen durfte ich sie nicht! Aber wie nun, wenn ich Ibn Asl unschädlich machte? Konnte ich überhaupt fort, ohne mich seiner zu versichern? Sollte er mir etwa abermals entgehen? Nein, nein und zum drittenmale nein! Entweder nichts gewagt, oder alles gewagt!

Ich legte mich auf den Bauch und kroch leise, leise zu ihm hin, die Kette festhaltend, damit sie nicht klirre. Sein Atem ging hörbar und regelmäßig; er schlief. Sollte ich ihn erschlagen, mit seinem eigenen Messer erstechen? Nein; ein Mörder bin ich nicht. Ich tastete mich an seinem Leibe empor – ein Griff nach seiner Kehle und ein Fausthieb nach seinen Schläfen – ein halb erstorbenes Röcheln; er war mein!

Nun hinaus, und zwar mit ihm! Ich zog ihm das Messer und die Pistole aus dem Gürtel, denn er schlief mit diesen beiden Waffen, und richtete mich auf. Vorn am Zelte die Wächter, hinten Büsche, rechts Büsche, links aber ein freier Raum; das hatte ich gesehen. Das Messer war scharf. Ich schnitt auf der linken Seite die Zeltleinwand auf, nahm Ibn Asl empor und drängte mich hinaus, freilich nicht so schnell, wie es erzählt werden kann, denn es galt, auch das leiseste Geräusch zu vermeiden. Draußen angekommen, warf ich den Betäubten über meine rechte Achsel und tastete, ihn mit einer Hand festhaltend, mich mit der andern weiter. Ich kam durch die Lücke im Buschwerke glücklich hindurch, wendete mich links, hinter den dort angebundenen Ochsen weg, und trachtete nun, glücklich aus dem Walde ins Freie zu kommen. Es gelang.

Nun war mir das Terrain sehr gut bekannt. Rechts ging es nach dem See; ich wendete mich also nach dieser Seite. Ibn Asl war schwer, und ich hatte keine Zeit zu verlieren. Durfte ich mich da mit ihm bis hinauf in das Dorf schleppen, eine halbe Stunde weit? Nein. Ich hatte seitwärts von meinem jetzigen Wege einen mittelstarken Baum gesehen; den suchte ich auf. Das war nicht sehr schwer, denn es war über neun Uhr geworden, und die Sterne leuchteten mir. Bei dem Baume angekommen, legte ich Ibn Asl zunächst nieder, um nach Fesseln zu suchen. Den Riemen von meinen Füßen hatte ich eingesteckt. Meines Gefangenen Gürtel und langes Turbantuch reichten aus; dazu sein eigener Fez als Knebel. In Zeit von zwei Minuten war er so fest an den Baum gebunden, daß er aus eigener Kraft unmöglich loskommen konnte; der Knebel verhinderte ihn am Schreien.

Nun rannte ich nach dem See. Dort angekommen, blickte ich nach oben, nach dem Dorfe. Es war alles dunkel. Man war ganz gegen die Voraussetzung der Kundschafter doch zeitig schlafen gegangen. Ich lief den Berg empor. Dabei dachte ich nach, was nun zu geschehen habe. Das Lager zu überrumpeln, dazu gehörte gar nicht viel. Aber konnte ein Blutvergießen dabei denn nicht vermieden werden? Ich dachte an den Djangeh-Häuptling. Ja, mit dessen Hilfe war es möglich! Es war sogar noch etwas anderes möglich, nämlich der Beweis an den Reis Effendina, daß er wohl mich, ich aber ihn nicht notwendig habe. Ich bin sonst kein ehrgeiziger Mensch; aber er hatte mich zurückgesetzt, und so zögerte ich nicht, ihm diese Lehre zu erteilen.

Der Boden war weich, und meine Schritte wurden durch das Gras gedämpft. Auf halber Bergeshöhe stand ein breiter, nicht viel über manneshoher Felsen, an dem ich vorüber mußte. Er war von heller Farbe. Es war mir, als ob sich etwas Dunkles daran bewege. Gegenwärtig mußte mir alles verdächtig erscheinen; ich zog also das Messer und trat näher. Da standen ein Männlein und Weiblein, also ein Liebespärchen, was, wie man munkelt, auch in anderen Erdteilen und nicht allein in Afrika vorkommen soll. Sie fuhren auseinander. Das Weiblein beachtete ich nicht weiter, desto mehr aber das Männlein. Es trug eine Hutkrempe auf dem lockigen Haupte und eine große, gläserlose Brille auf der Stumpfnase.

Wahrhaftig, dieser Wunderknabe hatte sich während der wenigen Tage das Herz einer Negerjungfrau erobert! Als er mich erkannte und vor Freude zu schreien begann, legte ich ihm als Aufforderung zum Schweigen die Hand auf die wulstigen Lippen und wollte mich ihm eben durch Worte noch verständlicher machen, als um die Ecke des Felsens ein -zweites Pärchen gehuscht kam, jedenfalls durch den Ruf des schwarzen Stutzers aufmerksam gemacht. Das Verschenken der Herzen schien hier epidemisch geworden zu sein. Ich sah mir auch dieses Männchen an und erkannte zu meiner Freude einen der beiden jungen Dolmetscher, die ich am letzten Tage meines Aufenthaltes hier gesehen hatte. Ich verständigte mich schnell mit ihm; dann rannte er nach dem Dorfe, um den Häuptling der Djangeh zu holen, sonst aber keinen Menschen zu wecken und noch weniger jemandem etwas zu sagen. Nach etwa zehn Minuten brachte er ihn.

Jetzt galt es, den Häuptling zu unterrichten und für meinen Plan zu gewinnen. Das erstere erleichterte mir der Dolmetscher, und dann fiel mir das andere auch nicht schwer. Er war höchst ergrimmt über Ibn Asl und zeigte sich bereit, mich sogleich zu begleiten.

Als wir gingen, nahm ich meinen biedern Brillenjüngling und die beiden Mädchen mit, um sie Ibn Asl als Wächter zu geben. Der Brillenmann gelobte, sich lieber zerreißen, als den Gefangenen entkommen zu lassen. Dieser letztere hatte das Bewußtsein wieder erlangt. Er hielt zwar die Augen geschlossen, aber er schnaufte, um trotz des Knebels Luft zu bekommen.

Nun ging ich mit dem Häuptlinge und dem Dolmetscher nach dem Walde. Mein Plan war, den ersteren heimlich zu seinen Djangeh zu bringen, die er über die eigentlichen Absichten Ibn Asls aufklären sollte. Während er dies that, wollte ich mich mit dem Dolmetscher durch die zerschnittene Wand in das Zelt schleichen, um zur Bewältigung der weißen Asaker mit bei der Hand zu sein.

Die Sterne blinkten leise durch das Blätterdach, und ich kannte die Örtlichkeit; ich war also sicher, das Lager zu finden. Wir huschten an der betreffenden Stelle zwischen den Bäumen hinein und bückten uns dann nieder, um uns in dieser Stellung weiter zu bewegen, ich mit dem Häuptlinge voran, der Dolmetscher hinter uns. Die Hauptsache war, daß kein Lärm entstand, bevor die Schwarzen meinen Begleiter als ihren Häuptling erkannten. Sie hatten den vorderen Teil des Lagers inne, die Asaker den jenseits des Zeltes liegenden. Es herrschte tiefe Stille im Walde; man hatte also meine Flucht und das Fehlen des Anführers noch nicht bemerkt.

Wir schlichen leise weiter und weiter, bis wir die hellen Kleidungsstücke der Djangeh, die vom tiefen Schatten des Waldes abstachen, vor uns sahen. Die Leute schliefen. Wir krochen zu dem uns nächsten Schläfer. Der Häuptling weckte ihn und flüsterte ihm einige Worte in das Ohr. Der Mann wollte auffahren, beruhigte sich aber schnell infolge einer Aufforderung des ersteren. Ein zweiter und dritter wurden geweckt; dann ließ der Häuptling mir durch den Dolmetscher sagen:

»Begieb dich in das Zelt, Effendi. Einer von uns wird den andern wecken, um die Kunde von meiner Anwesenheit leise zu verbreiten. Dann fallen wir über die schlafenden Asaker her. Vielleicht brauchst du zu ihrer Gefangennehmung gar keine Hand zu regen.«

Das befriedigte mich, und ich schlug mich mit dem Dolmetscher seitwärts hinter die Büsche und an den ruhenden Ochsen vorüber. Es war nicht ganz leicht, unbemerkt an und in das Zelt zu gelangen, da die Wächter jedenfalls in der Nähe desselben saßen, aber wir brachten es dennoch fertig. Im Innern angekommen, legte ich mich nieder, kroch nach dem Eingange und schob den Vorhang ein wenig zur Seite. Mein Auge war an die Dunkelheit gewöhnt, und das Blätterdach hatte über uns einige größere offene Stellen. Ich konnte mehrere Schritte weit sehen.

Gerade vor dem Zelte, mir den Rücken zukehrend, saßen die beiden Wächter; zu ihren Füßen lagen Ben Nil und Selim; links dann sah ich die Gestalten der schlafenden Asaker ausgestreckt.

Diese mir so bequeme Situation veranlaßte mich, unter dem Vorhange hindurchzukriechen und die Pistole Ibn Asls hervorzuziehen; es war eine alte, schwere Waffe. Zwei kräftige Hiebe mit dem Kolben derselben, gegen die Köpfe der Wächter geführt, genügten, die Getroffenen niederzustrecken. Dann rasch zu Ben Nil. Er schlief nicht und erkannte mich sofort.

»Effendi,« flüsterte er mir zu, »du bist frei?«

»Ja. Sei still, damit keiner erwacht!«

Ich zerschnitt ihm den Beinriemen und schob den Pflock seiner Schebah zurück. Er konnte sich erheben, mußte aber die Hände leider noch in den eisernen Schellen behalten.

»Da rechts liegt der Pack mit unsern Gewehren,« raunte er mir zu. »Gieb mir das meinige! Zuschlagen wenigstens kann ich damit trotz meiner Fesseln.«

»Jetzt nicht. Komm in das Zelt! Die Djangeh könnten dich sonst mit einem Askari verwechseln.«

»Die Djangeh? Was ist mit ihnen? Wie kämen sie dazu – –«

Ich ließ ihn nicht ausreden und schob ihn in das Zelt. Und da endlich begann es, sich rechts von demselben zu regen. Die Schwarzen hatten, einer immer von dem andern, erfahren, daß ihr Häuptling hier sei, daß Ibn Asl ihn hatte ermorden lassen wollen und daß sie selbst von diesem für die ihm geleisteten Dienste später als Sklaven verkauft werden sollten. Sie kamen leise nach dem Zelte, neben welchem ein großer Haufe von Stricken und Riemen lag, für die Bewohner von Wagunda bestimmt; sie nahmen davon, soviel sie zu brauchen gedachten, um die Asaker zu binden.

Hundert Djangeh und dreißig Weiße; infolgedessen hatte ich dem Häuptlinge durch den Dolmetscher angedeutet, daß immer drei Schwarze einen Askari auf sich nehmen sollten und daß der Angriff gleichzeitig auf alle erfolgen solle, damit nicht einer infolge des Warnungsrufes des andern entkommen könne. Er hatte diese Weisung seinen Leuten gut eingeprägt, und ebenso prompt wurde sie von denselben ausgeführt. Sie kamen lautlos wie Gespenster heran und wählten je drei ihren Mann. Sich auf ihn werfen, ihn entwaffnen und binden, war das Werk nur einiger Augenblicke. Ein sorgfältig darauf eingeübtes Korps hätte nicht besser und exakter handeln können. Es entkam kein einziger Askari, und ebenso war kein einziger dazu gekommen, von einer Waffe Gebrauch zu machen.

Als dies vorüber war, wurden Feuer angebrannt, was der besseren Orientierung wegen notwendig war. Die Scene, welche es nun gab, war halb heiter und halb rührend. Zunächst heiter natürlich nur für uns, die Sieger. Natürlich wurde Ben Nil sofort von seinen Handschellen und auch Selim von seinen Fesseln befreit. Was für Gesichter machten nun die Asaker, als sie uns drei frei und so freundlich mit ihren bisherigen Verbündeten verkehren sahen! Sie fluchten und wetterten, doch vergeblich. Die einzige Folge ihrer Grobheiten war, daß sie zu den bisherigen Riemen nun auch Ketten und Schebahs angelegt bekamen. Es waren deren genug vorhanden; Ibn Asl hatte sie für die Leute von Wagunda mitgebracht. Und rührend war die Scene für Ben Nil, und zwar in Beziehung auf die Djangeh. Sie hatten uns, die wir doch ihre jetzigen und eigentlichen Retter waren, so feindselig behandelt. Das baten sie uns ab. Jeder einzelne wollte uns ein gutes Wort sagen und eine Hand von uns haben. Es versteht sich von selbst, daß der Dolmetscher dabei seine liebe Not hatte.

Als die nötige Ordnung hergestellt war, schickte ich Ben Nil und Selim fort, um Ibn Asl und seine Wächter herbeizuholen. Ihnen konnte ich diese Aufgabe wohl anvertrauen, da er von ihnen nicht eine Spur von Nachsicht zu erwarten hatte. Sie nahmen eine Schebah und zwei Handschellen mit. Diesen Schmuck trug er, als sie ihn brachten. Ich wollte gar nicht mit ihm sprechen, ihm meine Verachtung zeigen; aber da er sich vor mich hinstellte, mich aus haßerfüllten Augen anblitzte und mir einen nicht nachzusprechenden Fluch in das Gesicht schleuderte, sprang ich doch zornig auf und fuhr ihn an:

»Schweig, Elender! Du hast mich noch vor wenigen Stunden aufgefordert, das in mich gesetzte Vertrauen nicht zu Schanden zu machen. Ich versprach, mein möglichstes zu thun, und habe Wort gehalten. Nun ist es nicht mit meinen, sondern mit deinen Möglichkeiten zu Ende. Ich habe dir bewiesen, daß das Gute stets mächtiger ist als das Böse, und bin für immer mit dir fertig. Der Reis Effendina wird dein Urteil fällen.«

Wie wir die wenigen Stunden bis Tagesanbruch verbrachten, läßt sich denken. Der lebhafteste war wieder Selim, der jeden zwang, anzuhören, daß er der größte Held des Weltalls sei, denn er schob natürlich nur sich allein den ebenso plötzlichen wie freudigen Umschwung der Verhältnisse zu.

Als es licht zu werden begann, wurden die Ochsen gesattelt, denn ich hatte vor, einen lustigen Streich auszuführen. Die Effekten und Gefangenen wurden aufgeladen; dann stiegen auch wir auf. Wir verließen den Wald und zogen nach dem See. Dort angekommen, ritten wir in feierlicher Langsamkeit rund um denselben herum. Die Bewohner des Dorfes, welche auch schon wach waren, hielten uns für die erwarteten Feinde und erhoben ein großes Kriegsgeschrei. Sie stellten sich in hellen Haufen vor die Umzäunung auf und wurden von ihrem Generalissimus, dem Reis Effendina, in mehrere Armeekorps geteilt. Als diese sich den Berg herab in Bewegung setzten, um uns, wie er sich vorgenommen hatte, »in den See zu treiben«, schickte ich ihnen den tapfern Selim, reitend auf dem Rücken eines streitbaren Ochsen, entgegen. Keine andere Zunge paßte für eine solche Aufgabe so gut wie diejenige dieses größten Helden des Weltalls. Er kam, sah und siegte auch diesesmal, ganz wie immer. Kaum hatten sie ihn erkannt und die ersten seiner Worte gehört, so gerieten ihre Schlachthaufen in Unordnung, die Disziplin ging »flöten« und alles drängte sich kunterbunt den Berg herunter, um das Wunder des jungen, kaum aufgegangenen Tages anzustaunen. Jeder wollte mit mir reden, und ich hatte doch nicht Zeit, Antwort zu geben, denn meine ganze Aufmerksamkeit wurde durch die Aufgabe, Ihn Asl zu beschützen, in Anspruch genommen. Hätte ich das nicht gethan, er wäre wörtlich in Stücke gerissen worden. Auf meinen Befehl schlossen die Asaker des Reis Effendina um ihn und seine weiße Bande einen dichten Kreis, um die Kerls hinauf ins Dorf »in Prison« zu schaffen; die Djangeh folgten, und die Bürger und die Bürgerinnen von Wagunda zogen so begeistert hinterdrein, daß niemand auf mich achtete, der ich ganz allein am See zurückblieb und erst nach einiger Zeit langsam auch aufwärts schlenderte.

Indessen hatte Selim Zeit gehabt, unsere oder vielmehr seine Heldenthaten auszuposaunen und jedmänniglich für dieselben zu erwärmen. Auch der Emir war warm geworden. Eben als ich durch das Thor in das Dorf trat, kam er mir entgegen, hielt mir seine beiden Hände hin und bat:

»Verzeihe mir, Effendi! Ich bin ungerecht gegen dich gewesen. Diesem Selim ist kein Wort zu glauben, aber aus dem wenigen, was ich von deinem braven Ben Nil erfahren habe, ersehe ich, daß wir heute nacht zu Grunde gegangen wären. Es schlief das ganze Dorf!«

»Nicht das ganze,« antwortete ich. »Es waren vier Herzen wach, für deren Schlag das Dorf zu eng geworden war. Wären diese nicht gewesen, so – –«

Ich konnte nicht weitersprechen, denn geführt von dem Brillenmanne kam eine Rotte Gohk auf mich losgeschossen. Ich wurde gepackt, gedrückt, gequetscht, gedreht und fortgewirbelt, immer mitten zwischen ihnen, von einer Hütte zur andern, im ganzen lieben Dorf herum. Fast schien es mir, als sei der Ochsenritt von Foguda noch lange nicht so entsetzlich gewesen wie der Triumphzug durch Wagunda.

Am Nachmittage gab es abermals einen Umzug durch das Dorf, doch einen von ganz anderer Art. Ibn Asl und seine weißen Sklavenjäger wurden herumgeführt, ohne Ausnahme mit Eisen gefesselt und die Schebah am Halse. Ibn Asl trug dieselbe schwere, mit welcher er mich gepeinigt hatte. Ich sagte bereits, daß der Berg, auf welchem der Ort lag, an drei Seiten senkrecht zur Tiefe fiel. Die Sklavenjäger wurden nach der einen Seite gebracht, dort hart an der Kante aufgestellt und erschossen. Ihre Leichen fielen in die Tiefe. Ich war nicht dabei. »Wehe dem, der wehe thut.« Die Strafe war gerecht, doch gab das keinen Grund für mich, Zeuge der Vollstreckung zu sein. Dennoch aber war es mir, als ob ich jetzt erst frei aufatmen dürfe, da ich erst nun die Gewißheit hatte, daß die schrecklichen Drohungen des Sklavenjägers nicht an mir in Erfüllung gehen konnten.

Den Djangeh wurde verziehen. Wir erfuhren von ihnen, daß die andere Abteilung der Sklavenjäger die Weisung erhalten habe, von Foguda in der Richtung nach Agardu zu marschieren und auf derselben mit Ibn Asl zusammenzutreffen. Die Gohk kannten diese Gegend und den Weg genau und wir setzten uns schon am nächsten Morgen in Marsch, um die Gefangenen zu befreien. Einen Tag später, um die Mittagszeit, stießen wir auf den Zug. Wir waren den siebzig Treibern der Herden und Sklaven weit überlegen und umzingelten sie. Als die fünfzig dabei befindlichen Djangeh sahen, daß ihre Gefährten sich mit dem Häuptlinge bei uns befanden, gingen sie sofort zu uns über. Die zwanzig Asaker Ibn Asls sahen ihr Schicksal vor Augen. Sie ergaben sich nicht, sondern wehrten sich und wurden niedergeschossen. Man sieht, dieses Erlebnis endet ziemlich blutig, wofür ich aber glücklicherweise nicht verantwortlich bin.

Die befreiten Sklaven thaten mir von ganzem Herzen leid. Sie erhielten zwar ihre Freiheit und ihre Rinder und Schafe wieder, doch konnten sie daheim nur die Trümmer ihrer Hütten und die Leichen ihrer Angehörigen finden. Man sage nicht, der Neger fühle nicht so wie wir; er fühlt sogar leidenschaftlicher als wir und kann dem Unglücke nicht den Trost entgegensetzen, den uns der Glaube an einen Gott der Liebe und der Weisheit gibt. – – –

Mancher meiner geneigten Leser wird am Schlusse des vorigen Kapitels gedacht haben: »Jetzt sollte der Verfasser eigentlich schließen, denn nach schriftstellerischen Regeln ist die Erzählung nun zu Ende, da die sämtlichen Konflikte gelöst worden sind und der Gerechtigkeit Genüge geschehen ist.« Dem habe ich zu entgegnen, daß ich nicht eigentlich schriftstellere, sondern Erlebnisse niederschreibe und es unmöglich hindern kann, wenn sich das Leben und die Wirklichkeit nicht nach schriftstellerischen Regeln richten und sich selbst vom scharfsinnigsten Kritikus nicht den Gang der Ereignisse vorschreiben lassen. Es giebt ewige Gesetze, welche hoch über allen tausend Regeln der Kunst erhaben sind.

Ja, ich hätte höchst wahrscheinlich meine Erzählung mit dem Aufenthalte in Wagunda schließen können, wenn mich nicht das Schicksal einige Jahre vorher und in einem weit von Sudan entfernten Lande mit einem Manne zusammengeführt hätte, dem es wider alles Erwarten bestimmt gewesen war, mir hier im tiefen Süden wieder zu begegnen. Wer die heilige Schrift kennt, hat jedenfalls auch gelesen: »Herr, deine Wege sind wunderbar, und du führest alles herrlich hinaus!«

Ich hatte damals mit meinem wackern Diener Halef, von dem alle meine Freunde gehört haben, zu Pferde eine Reise durch das »Reich des silbernen Löwen« gemacht, von welcher ich in einem spätern Bande erzählen werde. Wir kamen, müde von den Anstrengungen des monatelangen Rittes, aber reich an Erfahrungen, mitten im Gebiete räuberischer Kurdenstämme über die persisch-türkische Grenze und machten in dem kleinen Orte Khoi einen kurzen Halt, um den müden Pferden einige Tage Ruhe zu gönnen. Zu jener Zeit lebte, wie ich bemerken muß, Rih, mein herrlicher, unvergleichlicher Rapphengst noch, der mir später unter dem Leibe erschossen wurde, indem ihn eine tödliche Kugel traf, welche eigentlich mir gegolten hatte, und wenn dieses edle und ausdauernde Tier von der Reise angegriffen war, so läßt sich leicht denken, daß dieselbe das Pferd Hadschi Halefs, obgleich es auch einen guten Stammbaum besaß, noch viel mehr mitgenommen hatte. Es war in den letzten Tagen vor Ermattung oft ins Stolpern geraten, und so sahen wir uns in anbetracht des beschwerlichen Weges, den wir noch bis jenseits des Tigris zurückzulegen hatten, gezwungen, in Khoi den erwähnten Aufenthalt zu nehmen, obgleich dieser Ort ganz und gar nichts bot, was uns sonst zum Bleiben hätte verlocken können.

Wenn wir, schon als wir die ersten Hütten erreichten, von den Bewohnern derselben angestaunt wurden, so lief, als wir vor dem elenden Khan hielten, gar eine ganze Menge von Menschen zusammen, um uns ihre Bewunderung zu zollen. Freilich konnten wir nicht so unbescheiden sein, diese Bewunderung auf uns selbst zu beziehen; sie galt vielmehr meinem Hengste, dem man es trotz seines herabgekommenen Zustandes gleich beim ersten Blick ansehen mußte, daß er jenen unschätzbaren Wert besaß, infolgedessen so ein Pferd niemals verkäuflich ist. Er trug eines jener kostbaren Geschirre, welche Reschma genannt werden, und zog auch aus diesem Grunde aller Augen auf sich. Ich hatte es von einem hochgestellten Perser, dem einen Dienst zu erweisen mir gelungen war, als Geschenk erhalten, und da er mir in wahrhaft edler Freigebigkeit sein bestes Reschma ausgesucht hatte, welches nach kurdischem Begriffe ein Vermögen repräsentierte, so war es kein Wunder, daß alles und alle, Männer, Weiber und Kinder, aus den nahegelegenen Häusern gelaufen kamen, um Pferd und Ausstattung in Augenschein zu nehmen.

Der Khan war ein roher, mit Lehm verschmierter Steinbau ohne Oberstock und mit so kleinen Fenstern, daß das Licht des Tages kaum Zutritt in das Innere finden konnte. Wenn ich mich sträflicherweise der Bezeichnung Fenster bediene, so darf man ja nicht etwa an Glasscheiben denken, sondern nur an einfache Maueröffnungen, durch weiche der Wind blasen konnte, wie es ihm beliebte, und die zugleich dem löblichen Zwecke dienten, dem Rauche Abzug zu gewähren, denn Schornsteine gab es nicht. Auch das Thor, welches in den Hof führte, war nur ein breites Mauerloch ohne Thürflügel, und in diesem Hofe sah es aus, als ob dort seit langen Jahren die Exkremente des ganzen wilden und zahmen kurdischen Tierreiches zusammengetragen und von den hohen Herren und lieblichen Herrinnen der Schöpfung breitgetreten worden seien.

Dem entsprechend war das Aussehen des Wirtes, welcher unter der Thür erschien, um uns nach orientalischer Weise unter tiefen Verbeugungen und blumenreichen Redensarten zu begrüßen. Dabei wendete er sich nicht an Hadschi Halef Omar, sondern an mich, der als Besitzer des besseren Pferdes der Herr sein mußte:

»Willkommen, o Herr, in meinem Hause, welches dir seine zwölf gastlichen Thore mit Wonne öffnet! Allah breite tausend Segen über dich und zehntausend Segen als Teppich unter deine Füße! Nie sah ich im Leben einen edlern und vornehmern Gast. Wünsche alles, was dein Herz begehrt, und ich werde es dir augenblicklich bringen. Mein Gesicht strahlt vor Freude über deine Ankunft wie die Sonne des Paradieses; meine Gestalt trieft von der Bereitwilligkeit, dir zu dienen; meine Hände zittern vor Begier, deine Befehle zu erfüllen, und meine Füße werden eilen wie die Flügel des Falken, alle deine Botschaften im Nu zu bestellen. Die Seele, welche meinen Körper bewohnt, soll – – – –«

»Laß sie; sie mag drin stecken bleiben!« unterbrach ich ihn. »Ich bin nicht Freund von vielen Worten. Hast du gute Wohnung für uns beide?«

»Az kolahme tah – ich bin dein Diener. Ihr werdet bei mir wohnen, als wäret ihr die Lieblingsfrauen des Propheten.«

»Und das Essen?«

»Bu kalmehta ta ßiu taksihr nakehm – um dir zu dienen, werde ich nichts sparen. Ich bin bereit, alle meine Herden für euch zu schlachten!«

»Laß sie leben, laß sie leben! Wir kommen nicht hierher, um Herden zu verschlingen. Die Hauptsache ist, daß unsere Pferde ein gutes Unterkommen finden.«

»Oh, Chodih, sie werden Plätze finden, welche mit den Palästen Mekkas zu vergleichen sind!«

»Gut! Zeige uns diese Paläste!«

»So komm und setze deine Schritte in die Stapfen meiner frohbewegten Füße! Du wirst zufrieden sein mit mir, der ich der zuverlässigste aller deiner Diener bin!«

Wir stiegen von den Pferden und dieser »zuverlässigste aller meiner Diener« setzte sich nach dem Hofthore zu in Bewegung. Seinen struppigen Kopf schmückte ein Tuch, welches eigentlich kein Tuch mehr war, sondern ein wirres Gefitz von zerrissenen Fäden. Und eine Hose wie seine Hose war keine Hose! Das unerklärliche Ding, welches ganz betrügerischerweise diesen Namen führte, war ein ausgefranster Lappen, welcher sich die ganz vergebliche Mühe gab, bis zum Knie herunterzureichen, und was die Unterschenkel betraf, so hatte es den Anschein, als ob sie von dunkeln Trikotstrümpfen bedeckt seien; bei näherer Betrachtung aber zeigte es sich, daß dieser Trikotstoff der landwirtschaftlichen Goldgrube des schon erwähnten Hofes entstammte. Auch eine Jacke hatte dieser edle Kurde an, von welcher rechts der dritte und links der vierte Teil eines Ärmels vorhanden war; hinten war sie zu, wirklich zu, außer den Löchern, die es gab; vorn war sie offen, wirklich offen, denn sie war hier, wenn ich die Wahrheit sagen soll, gar nicht mehr da. Ich erblickte an ihrer Stelle eine Brustbedeckung, welche sehr wahrscheinlich das vorstellen sollte, was der Türke als Gömlek und der Araber als Kamis zu bezeichnen pflegt, doch war es mir unmöglich, das, was ich sah, zu klassifizieren, weil es eine zu große Ähnlichkeit mit der Bedeckung der Unterschenkel hatte.

War mir gleich, als der Mann erschien, sein irrer Blick aufgefallen, so ging er jetzt mit so wankenden, ja taumelnden Schritten vor uns her, daß ich annahm, es wohne nicht nur die Seele in ihm, die er vorhin nicht herauslassen durfte, sondern auch noch jener »selig« machende Geist, welcher sein Dasein der Gärung verdankt, um schoppen- oder gläserweise »hinter den Binden« seiner Anhänger zu verschwinden.

Unsere Pferde führend, folgten wir ihm in den Hof. Natürlich gab es sonst nirgends als grad beim Eingange in denselben eine Vertiefung, in welcher sich die flüssigeren Teile des schon erwähnten Goldes angesammelt hatten. Der Wirt kannte selbstverständlich als Besitzer und Inhaber des allgegenwärtigen Kompostes diese gefährliche Stelle und versuchte, mit Hilfe einer Schwenkung um sie herumzukommen; aber die Centripedalkraft dieses Punktes war so viel größer als die Stärke der beabsichtigten Centrifuge, daß sie den Hotelbesitzer von Khoi unwiderstehlich an sich zog; er fiel der Mutter Erde in die weichen Arme. Ich streckte die Hand aus, um ihn herauszuziehen; er aber schien die nötige Übung zu besitzen, sich in diesem speziellen Falle selbst zu helfen, denn er wies mich zurück und krabbelte langsam heraus, indem er mir zulachte:

»Taklif, b’ela k’nahrek, be’in ma, batal – mache dir keine Umstände; unter uns sind sie unnötig!«

Er hatte sehr recht, denn als er wieder auf den Beinen stand, sah er keineswegs schmutziger aus als vorher.

»Sihdi,« sagte Halef in moghrebinischem Arabisch, welches der Wirt jedenfalls nicht verstand, zu mir, »dieser Kerl ist ein Abu kull’Chanazir, ein Vater aller Schweine, bei dem wir unmöglich bleiben können. Wollen wir uns nicht eine andere Wohnung suchen?«

»Sein Khan ist der einzige hier im Orte, lieber Halef.«

»So laßt uns lieber im Freien bleiben!«

»Das geht nicht. Wir befinden uns im jetzigen Gebiete der Kelhurkurden, welche die berüchtigtsten Pferdediebe sind. Denke an meinen kostbaren Rih! Anstatt uns auszuruhen, könnten wir keinen Augenblick schlafen.«

»Das ist leider richtig; wir müssen ein Obdach haben, welches verschlossen werden oder wo sich wenigstens kein solcher Räuber einschleichen kann, denn außer den Pferden wäre auch unser Leben in der größten Gefahr. Eine reinliche Stelle werden wir freilich hier nicht finden können; suchen wir uns also eine aus, wo es am wenigsten schmutzig ist und wo uns dieser Gidd el Wasach nicht so oft vor die Nase kommt! Ich habe schon viele Menschen gesehen, deren Anblick mich mit Ekel erfüllte, aber so einen Liebling des Düngers doch noch nicht!«

Der betrunkene »Liebling« taumelte über den Hof hinüber, wo es wieder eine Maueröffnung gab, an welcher er, sich an der Wand festhaltend, stehen blieb. Sich nach uns umwendend, sagte er:

»Hier, Chodih, ist der Ort, wo eure Pferde sich wie an den Pforten des Paradieses fühlen werden. Führt sie hinein und sagt mir, welches Futter ich für sie holen soll!«

Ich warf einen Blick in den Raum, der so finster war, daß mein Auge sich erst an die Dunkelheit gewöhnen mußte; dann aber sah ich in diesen »Palästen von Mekka« eine solche Fülle Unrates aller Arten, daß ich, ohne, wie man sich auszudrücken pflegt, der Sache einen Mantel umzuhängen, antwortete:

»Bist du bei Sinnen? Hier ist der Schmutz so tief, daß die Pferde drin versinken würden!«

Er starrte mich eine Weile ganz verständnislos an und rief dann aus:

»Schmutz? Schmutz bei mir? So etwas hat mir noch kein Mensch gesagt! Das ist eine Beleidigung, wegen der ich dich eigentlich zum Müssajefet fordern müßte!«

Diese Drohung kam mir so urkomisch vor, daß ich darüber in ein herzliches Gelächter ausbrach; Halef aber wurde, ganz entgegengesetzt von mir, durch sie so in Zorn versetzt, daß er den Mann anfuhr:

»Wie? Du wagst es, von einem Müssajefet zu sprechen? Weißt du, wer der hohe Herr ist, dem dies zu sagen du unternommen hast?«

»Nein,« antwortete der harmlose Wirt.

»Es ist der berühmte Emir Hadschi Kara Ben Nemsi aus Germanistan!«

»Den kenne ich nicht. Und wer bist denn du?«

»Ich bin der ebenso berühmte Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah. Wir brauchen nur einen Finger gegen dich zu erheben, so wirft dich der Schreck sofort über den Haufen!«

»Oho! Ich gehöre nicht zum verachteten Stande der Guranen, sondern zu den Assireten, die mit den Waffen umzugehen wissen. Es ist kein Schreck so groß, daß er mich umwerfen könnte!«

»Du wankst ja aber schon!«

»Das ist nicht der Schreck, sondern – – sondern – –«

»Sondern der Raki,« fiel Halef ein.

»Raki? Ich habe heut noch keinen Schluck getrunken. Du willst mir doch hoffentlich nicht die Schande anthun, mich für einen Sekran zu halten!«

»Ja, grad das thue ich!«

»Du irrst!«

»Beweise es! Ein gläubiger Anhänger des Propheten darf niemals trunken sein, und wenn er es dennoch ist, so hat jeder gute Moslem die heilige Pflicht, ihm die Sure ‚l Imtihan vorzuhalten. Kannst du sie auswendig?«

»Nein.«

»So werde ich sie dir schnell vorsagen und du sprichst sie ebenso schnell nach! Also, paß auf!«

Diese Sure ist die hundertundneunte des Kuran; sie lautet: »Sprich: O ihr Ungläubigen, ich verehre nicht das, was ihr verehrt und ihr verehret nicht das, was ich verehre, und werde auch nie verehren das, was ihr verehret und ihr werdet nie verehren das, was ich verehre. Ihr habt eure Religion, und ich habe die meinige.« In der deutschen Übersetzung klingt das einfach; im Arabischen aber ist es selbst für einen Nüchternen schwierig, die Sure schnell und ohne Fehler herzusagen; ein Betrunkener gar bringt es niemals fertig. Darum pflegt man dem, den man eines Rausches zeiht, diese Sure vorzuhalten. Geht er nicht darauf ein, so gibt er dadurch zu, daß er betrunken ist, was für eine solche Schande gilt, daß niemand sich weigern wird, die Worte zu recitieren. Auch der Wirt weigerte sich nicht; er gab sich vielmehr die größte Mühe, sie Halef nachzusprechen, mußte aber immer wieder von vorn anfangen, ohne das Ende zu erreichen.

»Giebst du nun zu, daß du betrunken bist?« fragte mein kleiner Hadschi zornig. »Du wirst in der Dschehenna dafür büßen müssen!«

»Ich? Fällt mir nicht ein! Ich bin nur ein wenig heiter; aber wenn ihr hinein in die Stube geht, so werdet ihr einen sehen, der weder stehen noch sitzen und auch die Augen nicht mehr offen halten kann.«

»So ist dein Haus eine Maghare er Redila, eine Höhle des Lasters, welche Allah verfluchen möge, und in deiner Stube liegt der Schmutz der Seele ebenso hoch, wie hier der Unrat des Gestankes liegt. Hast du keinen andern, bessern Ort für unsere Pferde?«

»Einen noch besseren? Wünschest du vielleicht den siebenten Himmel Muhammeds für eure Tiere? Ist dieser Stall nicht köstlich zu nennen gegen den, in welchem ich meine eigenen Pferde habe? Hier herein lasse ich nur die Pferde vornehmer Gäste, welche bei mir einkehren.«

»So weiß ich wirklich nicht, was wir thun sollen! Sihdi, weißt du es etwa?«

»Es wird uns wohl nichts übrig bleiben, als diesen Stall reinigen zu lassen,« antwortete ich. »Zunächst aber wollen wir einmal sehen, was wir selbst hier zu erwarten haben. Hast du vielleicht einen Extraraum für vornehme Gäste?«

»Nein,« antwortete der Wirt, an den ich diese Frage gerichtet hatte. »Vor Allah sind alle Menschen gleich; darum setzen sich auch die Vornehmen dorthin, wo die Niedrigen sitzen.«

»Das ist drin in der Stube, wo sich der Betrunkene befindet?«

»Ja.«

»Die wollen wir uns doch einmal ansehen!«

Wir banden die Pferde für kurze Zeit im Hofe an und ließen uns von ihm in die Gaststube führen. Diese war lang und breit, aber sehr niedrig. Sie nahm den größten Teil des Hauses von der Thür bis zur Giebelseite ein. Die Diele bestand aus festgeschlagenem Lehm; es gab einige sehr primitiv in den Boden gerammte Tische und Bänke und an der Hinterwand lehnten mehrere über mannshohe Weidengeflechte, deren Länge der Breite der Stube gleich war. Diese Flechtwerke werden in Kurdistan viel als transportable Wände gebraucht, um je nach Bedarf aus einem größeren Raum mehrere kleinere oder umgekehrt zu machen.

Es war nur ein einziger Gast zu sehen, welcher an einem der Tische in der Weise hockte, daß er das Gesicht auf die Arme gelegt hatte. Vor ihm stand eine thönerne Flasche mit zwei kleinen, ebenso thönernen Trinkgefäßen, aus denen jedenfalls der Raki getrunken worden war, welcher den Wirt zum Rausche und zur hundertundneunten Sure geführt hatte. Seiner Ansicht nach sollte der Gast noch betrunkener sein als er. Ich richtete also gleich beim Eintritte mein Auge auf diesen Mann. Er hob den Kopf ein wenig und sah uns an; sein scharfer, forschender Blick war nicht der eines Betrunkenen; so kam es mir vor, obgleich er den Kopf gleich wieder auf die Arme legte. Hatte ich mich getäuscht? Befand sich der Wirt im Irrtum? Oder verstellte sich dieser Mann? Wenn dies letztere der Fall war, so mußte dem eine Absicht zu Grunde liegen, welche keine gute sein konnte. Wenn man mich fragt, wie ich zu diesem Verdachte kommen konnte, so antworte ich. Wenn man sich auf jahrelangen Reisen so oft in Gefahr befunden hat wie ich, so gewöhnt man sich, den geringsten Umstand zu beachten, das kleinste Vorkommnis schnell zu erfassen und alles, was sich nicht sofort erklären läßt, mit Mißtrauen zu betrachten. Dieser Gewohnheit habe ich es mit zu verdanken, daß ich zwar die Narben vieler Wunden an mir trage, aber doch noch am Leben bin.

Gekleidet war dieser Mann in echt kurdischer Weise-. Seinen Kopf bedeckte eine eigentümliche runde Ledermütze, deren Rand so viel und tiefwinkelig eingeschnitten war, daß die dadurch entstandenen Spitzen vorn bis ins Gesicht, an den Seiten über die Ohren und hinten bis über den Nacken herabhingen. Sie glich einer großen Spinne, deren Körper auf dem Scheitel sitzt, während sie ihre vielen und langen Beine über die andern Teile des Kopfes streckt. Den Oberkörper bedeckte eine dunkle Weste, welche oben so ausgeschnitten war, daß der sehnige, braune Hals frei blieb; sie hatte oben enge und unten weit werdende Ärmel, aus denen die nackten, knochigen Arme bis zum Ellbogen hervorblickten. Die Lederhose steckte unten in kurzen, stark gearbeiteten Stiefeln. Was der Mann im Gürtel hatte, das konnte ich wegen seiner vornüberliegenden Stellung nicht sehen, doch lehnte neben ihm eine lange, orientalische Flinte an der Kante des Tisches. Sein Haar war weiß; er mochte ungefähr sechzig Jahre alt sein, doch machte er, obgleich ich ihn daraufhin nicht genau betrachten konnte, ganz und gar nicht den Eindruck eines alten, hinfälligen Mannes.

Mein Halef bekümmerte sich nicht um diesen Gast; er ließ seine Blicke in der Stube umherschweifen, nickte zufrieden, als er am Herde ein Feuer brennen sah, dessen Rauch, der niedrigen Decke langsam folgend, dann durch die Fensteröffnungen entwich, und sagte.

»Weißt du, Effendi, mit Hilfe der Weidenwände dort könnten wir uns hier eine abgesonderte Stube herrichten. Was meinst du dazu?«

»Der Gedanke ist nicht übel.«

»Und ein zweiter Gedanke, den ich habe, ist noch weniger übel, Effendi: Wir könnten auch die Pferde mit hereinnehmen. Da ständen sie gut, wir hätten sie bei uns und brauchten nicht aufzupassen.«

Als der Wirt dies hörte, sagte er schnell:

»Die Pferde mit herein in die Stube? Allah muß euch ganz besondere Köpfe gegeben haben, da so absonderliche Gedanken drin geboren werden. Wie könnt ihr denken, daß ich den schönsten Raum des Hauses, der eine Zierde des ganzen Ortes ist, zum Pferdestalle machen lasse?«

»Wir bezahlen es!« antwortete Halef.

»Bezahlen? Ich mag euer Geld nicht. Ich habe mehr, viel mehr Geld im Hause, als ihr besitzen könnt.«

»So bist du wohl ein sehr reicher Mann?«

»Das nicht, denn das Geld gehört nicht mir, sondern der Regierung des Pascha, für den ich es als der angestellte Charadschi dieses Kreises einkassiert habe. Es sind über zehntausend Piaster. Habt ihr etwa so viel in euern Taschen?«

»Dummkopf!« antwortete Halef, der gern mehr von sich sagte, als ich ihm erlauben konnte. »Wir sind reicher als selbst dein Pascha, und was wir besitzen, ist unser Eigentum; dir aber gehört nichts von dem, was du hier liegen hast. Wieviel verlangst du von uns, wenn wir uns hier eine eigene Stube bauen?«

»Wie lange wollt ihr bleiben?«

»Vier Tage.«

»So zahlt ihr für die Stube täglich zehn Piaster und für das Essen – –«

»Das bereiten wir uns selbst,« fiel ihm der Hadschi in die Rede. »Wenn du einwilligst, daß wir die Pferde mit hereinnehmen, zahlen wir dir zwanzig Piaster für den Tag. Greif schnell zu, denn so viel hat dir noch nie ein Gast eingebracht!«

Der noch immer betrunkene Mann willigte nach einigem Hin- und Herreden ein und teilte mittelst einer Scheidewand den hinteren Teil der Stube für uns ab, worauf Halef die Pferde holte und bei uns unterbrachte. Hierauf erhandelten wir uns für zwei Piaster ein Huhn, mit welchem Halef, nachdem er es geschlachtet hatte, zum Herde ging, um es dort am Spieß zu braten, denn aus den Händen des Wirtes etwas zu essen, das war uns die reine Unmöglichkeit.

Ich breitete inzwischen hinter der Flechtwand meine Decke aus, um es mir darauf bequem zu machen. Durch die Lücken dieser Wand konnte ich die Leute beobachten, welche in die Stube kamen, um die Gäste zu sehen, die so vornehm waren, daß sie ihre Pferde nicht im Schmutze stehen lassen wollten. Sie wendeten sich an den Hadschi mit neugierigen Fragen, welche dieser in seiner drollig stolzen und vielfach übertreibenden Weise beantwortete. Als dabei mein Name genannt wurde, richtete sich der angeblich betrunkene Gast plötzlich auf und erkundigte sich:

»Ist das der Emir Kara Ben Nemsi Effendi, welcher damals den Stamm der Haddedihn von allen seinen Feinden befreite?«

»Ja,« antwortete Halef; »er ist dieser berühmte Krieger, den noch nie ein Feind zu besiegen vermochte und der sogar den Löwen ganz allein und nur des Nachts aufsucht, um ihn mitten in das Auge zu treffen.«

»Also derselbe, welcher dafür von Mohammed Emin, dem Scheik der Haddedihn, den unübertrefflichen Rapphengst Namens Rih geschenkt bekam?«

»Ja.«

»Ist es dieser Hengst, den du dort hinter diese Wand gebracht hast?«

»Er ist’s. Warum fragst du nach ihm?«

»Weil ich so viel von diesem Pferde und seinem jetzigen Herrn gehört habe, aus keinem andern Grunde.«

Nach diesen Worten legte er sich wieder vorn nieder und verblieb längere Zeit in dieser Stellung, bis er dann einmal aufstand und unsicher wie ein Betrunkener zur Thür hinauswankte. Kaum zehn Minuten später kam eine Frau, welche, wie ich gleich merkte, die Wirtin war, eiligst herein und fragte ihren Mann:

»Soeben ist der Fremde fortgeritten. Hat er dich gefragt?«

»Gefragt? Wornach?« antwortete der Wirt. »Fortgeritten? Er hat doch kein Pferd! Und fort soll er sein? Sein Gewehr lehnt ja noch hier!«

»Er saß auf einem unserer Pferde.«

»So wird ihm etwas Notwendiges eingefallen sein, was er zu verrichten hat. Er wird sich nicht weit entfernt haben und bald wiederkommen, denn er will ja einige Wochen hier bei uns in Khoi wohnen.«

Damit war für ihn die Sache abgemacht; mir aber kam sie, obgleich sie mich gar nichts anging, doch befremdlich vor. Als der Fremde seine Fragen an Halef richtete, hatte er so klar, fest und bestimmt wie kein Betrunkener gesprochen, und als er sich dann entfernte, war es mir vorgekommen, als ob sein schwankender Gang kein natürlicher, sondern ein nachgeahmter sei. Aber ich hatte ja gar nichts mit dieser Angelegenheit zu thun, und so konnte es mir vollständig gleichgültig sein, ob ein Gast, der sich vom Wirte für kurze Zeit ein Pferd auslieh, diesen vorher besonders darum fragte oder nicht. Übrigens kam bald darauf Halef mit dem gebratenen Huhn zu mir, und während wir aßen und dann die Pferde fütterten und tränkten, geriet das Intermezzo vollends in Vergessenheit.

Gegen Abend machten wir einen Spaziergang vor den Ort hinaus, weil dieser nichts Sehenswertes an sich bot; als wir bei einbrechender Dunkelheit zurückkehrten, saß der Wirt mit einigen Nachbarn schon wieder beim Raki und war betrunkener als vorher; er schien anzunehmen, daß Muhammed nur den Wein und nicht auch den noch viel schlimmern Schnaps verboten habe, und die andern waren ihm ganz gleichgesinnt. Ich habe unzählige Male, nicht an mir selbst, sondern an andern erfahren, was für ein böser Dämon der Branntwein ist; es können Jahre vergehen, ehe ich mir die Lippen einmal mit einigen Tropfen Cognac oder Rum netze und dies auch nur dann, wenn ich dieses Zeug aus Gesundheitsgründen als Arznei nehme; hier aber saßen Gewohnheitstrinker beisammen, welche stumm und stupid darauf lostranken, bis der Krug leer war; dann gingen die andern heim und der Wirt torkelte, denn anders konnte man es nicht mehr nennen, zur Thür hinaus, wohin, das sollte ich bald darauf erfahren, denn nur einige Minuten später hörten wir ihn draußen im Hofe schreien, als ob er am Spieße stäke. Wir eilten hinaus, um zu erfahren, was mit ihm geschehen sei. Da stand er mit gerungenen Händen und schrie wütend auf seine Frau und andere Personen ein, welche durch seinen Lärm herbeigerufen worden waren. Der noch vor wenigen Augenblicken so schwere Rausch war plötzlich und vollständig von ihm gewichen, und zwar hatte ihn der Schreck so nüchtern gemacht; ich hörte nämlich, daß die zehntausend Piaster verschwunden seien und er klagte nun die Anwesenden der Reihe nach an, sie ihm gestohlen zu haben. Als sie alle ihre Unschuld beteuerten, rannte er nach dem Stalle, holte eine Peitsche und schlug mit derselben auf Frau und Gesinde ein. Ich riß sie ihm aus der Hand und sagte:

»Wie kannst du dein eigenes Weib und diese Leute für etwas züchtigen, was sie gar nicht gethan haben!«

»Nicht?« antwortete er. »Wie kannst du das behaupten? Eins von ihnen ist’s gewesen!«

»Wenn du den Schuldigen treffen willst, so prügele dich nur selbst.«

»Wie? Mich selbst! Bist du bei Sinnen?«

»Ich bin bei Sinnen; du aber bist es nicht. Du selbst hast dich bestohlen, aber nicht mit deinen eigenen Händen, sondern durch fremde!«

»Du redest, was man nicht verstehen kann. Ich werde mich doch nicht selbst bestehlen!«

»Und doch hast du es gethan, indem du den Dieb, wie ich vermute, geradezu veranlaßt hast, das Geld zu nehmen. Hattest du es versteckt?«

»Ja.«

»Kannte deine Frau den Ort?«

»Nein.«

»War er diesen Leuten hier bekannt?«

»Auch nicht.«

»Du bist ein höchst unvorsichtiger Mensch, den der Raki plauderhaft macht!«

»Ich habe nicht geplaudert!«

»So? Hast du nicht uns beiden, die wir dir vollständig fremde Menschen sind, erzählt, daß du über zehntausend Piaster im Hause habest?«

»Aber wo das Geld lag, das habe ich euch nicht verraten!«

»Uns nicht, aber sehr wahrscheinlich einem andern. Kennst du den Fremden, der auf deinem Pferde fortgeritten ist?«

»Ich hatte ihn, bevor er kam, noch nie gesehen; aber jetzt weiß ich, daß er ein reicher Mann aus Serdascht ist, der einige Wochen hier bleibt, um Galläpfel für seine Kunden in fernen Ländern einzukaufen.«

»Wirklich? Ein Bewohner von Serdascht kommt von dort herüber, um Galläpfel zu erstehen? Deine Leichtgläubigkeit und Unkenntnis ist grenzenlos. Dazu frage ich dich, ob jetzt die Zeit zu solchen Einkäufen ist?«

Er fühlte, daß ich recht hatte und schwieg.

»Ist er mit dem Pferde zurückgekehrt?« erkundigte ich mich weiter.

»Nein.« »Und mit dem Gelde natürlich auch nicht!«

Da riß ihn der Schreck stramm empor und er rief:

»Der – der – – der – –! Hältst du ihn für den Dieb?«

»Ja.«

»Warum?«

»Er stellte sich betrunken, war es aber nicht. Weißt du noch, was du im Rausche alles mit ihm gesprochen hast?«

»Nicht alles.«

»Hast du ihm von dem Gelde gesagt?«

»Ja, denn er war ein sehr erfahrener Mann und sagte mir, wie er das seinige zu verstecken pflegt.«

»Und da hast du es ihm nachgemacht?«

»Ja.«

»So hat er also gewußt, wo es verborgen war?«

»Ganz genau nicht, denn es waren mehrere Orte, die er mir riet.«

»So hat er an diesen Orten gesucht, bis er den richtigen fand und sich auf dein Pferd gesetzt, um schnell fort- und niemals wiederzukommen.«

»Aber, Effendi, er hat ja sein Gewehr noch hier!«

»Ia Heiwana – o du Einfalt! Das mußte er ja liegen lassen, denn hätte er es mit aus der Stube genommen, so würde dadurch seine Absicht, durchzubrennen, verraten worden sein. Und wenn jemand zehntausend Piaster und dazu ein Pferd stiehlt, kommt dabei der Wert dieses alten Schießeisens gar nicht in Betracht.«

Die Betrunkenheit des Wirtes war, wie bereits gesagt, von ihm gewichen; aber er schien auch in nüchternem Zustande nicht mit hervorragenden Geisteskräften experimentieren zu können, denn die Wahrheit meiner Ansichten wollte ihm selbst jetzt noch nicht einleuchten. Er sah mich eine ganze Weile wortlos an und wendete sich dann ab, um das bißchen Denkvermögen, welches ihm noch geblieben war, weiter anzustrengen. Hierauf schien ihm eine plötzliche Eingebung gekommen zu sein, denn er drehte sich wieder zu mir um und sagte:

»Effendi, da fällt mir etwas ein, etwas sehr Wichtiges sogar! Über dem Loche, welches der Dieb machen mußte, um zu dem Gelde zu kommen, lag ein Messer. Was sagst du dazu?«

»Du hast es natürlich an dich genommen?«

»Nein; ich habe es liegen lassen.«

»Mensch, dir scheint ja alles zu fehlen, was zum Nachdenken gehört. Mit diesem Messer ist das Loch gegraben worden, und derjenige, dem es gehört, muß, wenn es ihm nicht darum zu thun war, dadurch den Verdacht von sich abzulenken, unbedingt der Dieb sein. Laß uns schnell hingehen, um es anzusehen!«

»Nein, nein! Es braucht kein Mensch zu wissen, wo ich mein Versteck habe. Ich hole es allein.«

Er rannte fort, ohne sich zu sagen, daß nun, da das Geld gestohlen worden war, der Ort, an welchem es gelegen hatte, nicht mehr verheimlicht zu werden brauchte. Als er wieder kam, gingen wir in die Stube, weil es da heller als im dunkeln Hofe war. Kaum hatte er einen Blick auf das Messer geworfen, so rief er aus:

»Effendi, du hast recht gehabt, sehr recht, denn dieses Messer gehört ihm; ich weiß das ganz genau; ich habe es, als er damit aß, wiederholt genau betrachtet und es mir sogar von ihm zeigen lassen, weil der Griff von uralter persischer Arbeit ist. Sere men – bei meinem Haupte, er ist der Dieb! O Allah, O Prophet aller Propheten! Ich bin zu Grunde gerichtet! Wäre jemand von meinen Leuten der Dieb, so müßte er mir das Geld wieder geben; nun aber dieser Halunke es gestohlen hat, werde ich es niemals wiederbekommen, und es ist doch nicht mein. Ich habe es abzuliefern; ich muß es ersetzen und werde dadurch ein armer Mann! Was soll ich thun? Was rätst du mir?«

»Hm! Man hat doch gesehen, nach welcher Richtung er geritten ist. Wenn es Tag wäre, könnte man seine Spuren sehen und ihn verfolgen; ich würde ihn auf meinem Pferde einholen, obgleich er bis jetzt einen ganz bedeutenden Vorsprung gewonnen hat.«

»Thue das, Effendi, thue das!«

»Ich würde es wohl thun, wenn es nicht wegen der jetzigen Dunkelheit unmöglich wäre. Wir müssen also warten, bis es am Morgen wieder hell wird; bis dahin haben wir auch Zeit, die Sache weiter zu besprechen und zu überlegen.«

»Überlegen? Welch ein Gedanke von dir! Bis dahin ist der Kerl ja noch viel weiter entflohen als jetzt! Nein, nein! Ich habe keine Zeit; ich lasse ihm keine Zeit! Ich muß mein Geld wiederhaben, mein Geld, mein Geld! Ich weiß, was ich zu machen habe; es ist das allerbeste, was ich thun kann: Ich eile sofort zum Nezanum und mache Anzeige. Der ist ein kluger und erfahrener Mann, viel pfiffiger, klüger und erfahrener als wir beide, nämlich du und ich, zusammen sind und wird sofort wissen, wie ich sicher wieder zu meinem Eigentum komme. Paß auf, ich werde es in der kürzesten Zeit wieder haben!«

Er rannte fort. Halef ließ ein lustiges Lachen hören und sagte zu mir:

»Sihdi, da hast du gehört, wie dieser Wirt über sich und auch über deine Geistesgaben denkt. Solltest du jemals auf den Gedanken kommen, dich als Nezanum von Khoi zu melden, so weißt du, was für einen dummen Kerl der jetzige zum Nachfolger bekäme. Danke Allah für diese Aufrichtigkeit und wandle mit fügsamer Bescheidenheit deinem zukünftigen Amte entgegen!«

Ich bemitleidete natürlich den Wirt und hätte gern etwas für ihn gethan, obgleich sein Vertrauen zu mir kein allzu übermäßiges genannt werden konnte; unter den gegebenen Verhältnissen aber konnten wir nichts thun, als uns in unsere Abteilung zurückzuziehen und seine Rückkehr abzuwarten. Es verging fast eine Stunde, da hörten wir draußen Pferde schnauben. Halef ging hinaus und berichtete mir dann:

»Sihdi, man denkt gar nicht daran, die Vorzüge unseres Geistes mit zu Hilfe zu nehmen. Soeben ist der ›pfiffige‹ Nezanum mit dem Wirte und einigen andern Männern fortgeritten und zwar nach Westen zu, weil man den Dieb nach dieser Richtung hat reiten sehen. Ich wünsche ihnen eine glückliche Reise. Du hast mir wiederholt gesagt, daß die Erde die Gestalt einer Kugel habe. Wenn du gern erfahren willst, ob der Kerl von ihnen erwischt wird, so bin ich gern bereit, mit dir hierzubleiben und zu warten, bis sie aus Osten wiederkommen.«

In diesen ironischen Worten war das ganze Urteil des kleinen Hadschi Halef enthalten, welcher, was Mutterwitz und Scharfsinn betraf, es jedenfalls mit sämtlichen Unterthanen des Nezanum aufnehmen konnte. Da wir glaubten, heute nicht mehr in Anspruch genommen zu werden, machten wir unsere Lagerstätten bereit und gaben unsern Pferden das Zeichen, sich auch niederzulegen, was sie in langgewohntem Gehorsam auch gleich thaten. Aber wir sollten doch noch nicht zur Ruhe kommen, denn wir hatten die Augen noch nicht geschlossen, so stellte sich ein neuer Gast ein, welcher draußen im Hofe nach dem Wirte rief und, weil er nicht sofort Antwort erhielt, herein in die Stube kam. Er trat mit lauten Vorwürfen, daß man seiner nicht achte, wie es seinem Range zukomme, ein, unterbrach aber den Fluß seiner Strafrede, als er beim Schein des noch brennenden Feuers niemand in der vordern Abteilung bemerkte. Da kam er zu uns herein und fragte, als er auch hier nichts sah, weil es bei uns dunkler war:

»Ist jemand hier in diesem Loche?«

»Ja,« antwortete Halef.

»So macht euch doch auf, ihr Taugenichtse! Ich habe weder Lust noch Zeit, zu warten, bis es euch gefällt, mich zu bedienen!«

Ich kannte meinen Halef zu genau, um nicht zu wissen, was nun folgen würde. Er besaß ein höchst reges Ehrgefühl und ließ sich niemals ungestraft grob behandeln. Er schwieg zunächst.

»Nun, wird es bald?« fuhr der Fremde fort. »Wenn ihr nicht augenblicklich kommt, treibe ich euch mit der Peitsche in die Höhe!«

Halef schwieg noch immer und auch mir fiel es nicht ein, ein Wort zu sagen. Da kam der Fremde einige Schritte näher, und ich hörte, daß er mit der Peitsche um sich schlug. Aus einem Geräusche neben mir entnahm ich, daß Halef aufsprang. Er war so klein, daß er mir kaum bis an die Schultern reichte; aber er besaß mehr Körperkraft, als man ihm zutraute und war dabei von einem Mute und einer Tapferkeit, daß ich ihn oft verwegen hatte nennen müssen. Gegen Feinde im Kampfe wußte er sich seiner guten Waffen vortrefflich zu bedienen; für Beleidiger aber gebrauchte er lieber seine Peitsche aus Nilpferdhaut, die er sich von unserm Ritte durch Ägypten mitgebracht hatte und seitdem fast stets im Gürtel trug. Kurz und gut, kaum hatte ich das Geräusch der Peitsche des Fremden gehört und gleich darauf bemerkt, daß Halef aufsprang, so fielen klatschende Hiebe, von wem, wußte ich nicht gleich, und zwar so schnell hintereinander, daß ich sie nicht zählen konnte, und die Stimme des Fremden ertönte in zeterndem Tone:

»Allah’l Allah! Wer wagt es da, auf mich zu schlagen! Wer ist es, der – – el wail lak, meded, aman, meded Allah, ej wah, o jazyk – wehe dir, oh, zu Hilfe, wehe dir, wehe!«

Nun wußte ich allerdings, wer der Schlagende und wer der Empfangende war. Der kleine, wackere Hadschi prügelte den Fremden durch, was ich leider nicht sehen konnte. Und zwar fielen die Hiebe so hageldicht, daß der Getroffene gar keine Zeit fand, sie mit seiner Peitsche zu parieren. Komisch war dabei, daß Halef seine Arbeit in tiefstem Schweigen verrichtete, während der Fremde überlaut schrie. Seine Interjektionen gehörten der arabischen und türkischen Sprache an, was mich annehmen ließ, daß er kein Kurde sei. Als er zu der Erkenntnis gekommen war, daß er der ihm so schweigend gebrachten, aber um so fühlbareren Aufnahme nicht gewachsen sei, versuchte er, aus unserer Abteilung zu entwischen, was ihm auch gelang, da er von Halef nicht daran verhindert wurde. Eben als er unsere Scheidewand hinter sich hatte, kam die Wirtin, von seinem Geschrei herbeigerufen, mit einigen Gesindepersonen zur Thür herein. Als er sie sah, rief er ihr entgegen:

»Wer bist du? Bist du etwa das Weib des Sahib el Locanda

»Ja,« antwortete sie.

»Wo ist dein Mann? Rufe ihn mir!«

»Er ist nicht daheim.«

»So schicke sofort zum Nezanum dieses Ortes! Ich muß augenblicklich mit ihm sprechen.«

»Auch er ist nicht daheim.«

»Ich muß ihn aber haben! Ich bin geschlagen worden und verlange, daß die Verbrecher, welche dies thaten, sofort und auf das allerstrengste bestraft werden.«

»Wer hat dich geschlagen?«

»Die Hunde, welche dort hinter der Flechtwand stecken. Du bist die Herrin. Rufe sie hervor; sie müssen dir gehorchen!«

Da antwortete die Wirtin verlegen:

»Sie werden mir nicht gehorchen, sie gehören nicht in dieses Haus. Sie sind Fremde, welche einige Tage bei uns wohnen.«

»Fremde? Um so schlimmer! Von einem Fremden kann ich mir die Schläge noch viel weniger gefallen lassen als von einem Hiesigen. Wer sind sie denn?«

»Der eine ist ein Emir und Effendi aus dem Abendlande und der andere ein Hadschi mit einem so langen Namen, daß man ihn unmöglich im Gedächtnis behalten kann.«

»Mag er noch tausendmal länger sein, als er ist, die Schufte müssen bestraft werden. Jeder gewöhnliche Mann weiß, das Schläge nur mit Blut abzuwaschen sind; ich aber bin kein gewöhnlicher Mensch, sondern ein Liebling Allahs, ein Nachkomme des Propheten und Forscher auf dem Wege, der zum Himmel führt. Rufe sie also heraus, damit ich Rechenschaft von ihnen fordere!«

»Ich kann sie wohl rufen, ob sie aber kommen werden, das weiß ich nicht.«

Sie näherte sich der Scheidewand, brauchte aber ihre Absicht nicht auszuführen, denn Halef, der Furchtlose, kam ihr zuvor. Die Peitsche noch immer in der Hand, ging er hinaus, schritt grad auf den Fremden zu, stellte sich nahe vor ihn hin, sah ihm in das Gesicht und sagte:

»Hier bin ich, der Hadschi mit dem langen Namen. Wenn du Rechenschaft fordern willst, so bin ich bereit, sie dir zu geben, aber nur in meiner Weise, die wahrscheinlich nicht die deinige ist. Du hast sie aber schon kennen gelernt!«

Der »Liebling Allahs« war ein junger Mann von vielleicht dreißig Jahren mit einem langen Vollbarte und schönen, asketisch strengen Gesichtszügen, wie ich jetzt durch ein Loch der Flechtwand sah, weil er im Schein des Feuers stand; seine kleinen, etwas schiefblickenden Augen waren aber geeignet, diese Schönheit nicht zu erhöhen, sondern herabzumindern. Von hoher, stolzer Gestalt, ragte er um mehr als Kopfeslänge über den kleinen Hadschi hinaus. Die Farbe seines Turbans zeigte allerdings, daß er sich zu den Nachkommen des Propheten zählte. In seinem Gürtel steckten Messer und Pistolen, doch weil er Halefs Hiebe so ohne jede Gegenwehr hingenommen hatte, glaubte ich, daß dieses kriegerische Aussehen nicht ganz mit seinen innern Eigenschaften harmoniere. Er sah, als Halef ausgesprochen hatte, mit finstern Augen auf ihn nieder und antwortete-

»Ich sehe eine Peitsche in deiner Hand. Bist du es etwa, der es gewagt hat, mich zu schlagen?«

»Ja, geschlagen habe ich dich, aber gewagt war nichts, gar nichts dabei.«

»Schweig, Hund! Willst du mich abermals beleidigen?«

Da hob der Kleine die Peitsche drohend empor und sprach.

»Sagst du noch ein einziges Mal das Wort Hund zu mir, oder ein anderes, welches mir nicht gefällt, so ziehe ich dir diese Riemen des Nilpferdes über das Gesicht, daß du dich zehn Jahre lang vor keinem Menschen sehen lassen kannst! Wer bist du denn, daß du dich unterfängst, in dieser Weise mit mir zu sprechen? Wie heißest du, und wie lautet der Name deines Vaters, deiner beiden Großväter und der vier Väter dieser Vatersväter?«

»Das sollst du gleich hören. Wisse, ich bin Ssali Ben Aqil, der berühmte Wanderprediger des wahren Glaubens, der uns eine Auferstehung und Wiederkehr des Propheten verheißt.«

»Berühmt nennst du dich?« lächelte Halef. »Ich bin in den Ländern vieler Menschen gewesen vom Aufgang bis zum Niedergang der Sonne, aber den Namen Ssali Ben Aqil, so fromm und klug er klingt, habe ich noch nie gehört. Ich aber bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah!«

Als der Wanderprediger diesen Namen hörte, fuhr er einen Schritt zurück, machte eine Gebärde größter Überraschung und rief aus:

»Hadschi Halef Omar! Gehörst du jetzt zum Stamm der Haddedihn?«

»Ja.«

»So bist du der kleine Kerl, der mit jenem Ungläubigen, jenem Christen geritten ist, welcher im ›Thale der Stufen‹ die vereinten feindlichen Stämme besiegte, die den Stamm der Haddedihn verderben wollten?«

»Ja.«

»Weißt du, wo dieser Christ sich jetzt befindet?«

»Ja.«

»Wo?«

»Dort hinter der Scheidewand.«

Da trat Ssali Ben Aqil noch einen Schritt weiter zurück, warf vor Erstaunen die Arme empor – fast hätte ich behaupten mögen, daß dieses Erstaunen ein freudiges sei – und fragte:

»Wie wird er genannt?«

»Er ist der berühmte und unbesiegbare Emir Hadschi Kara Ben Nemsi Effendi.«

»Ssahi, ßahi – richtig, richtig; genau so habe ich diesen Namen gehört!«

Ich sah, daß er weitersprechen wollte, aber er verschluckte das, was ihm auf den Lippen lag, drehte sich um und ging einige Male nachdenklich in der Stube hin und her. Es war jedenfalls ein wichtiger Gedanke, ein Entschluß, der ihn bewegte und mit dem er auch bald fertig war, denn er wendete sich Halef wieder zu und sagte in ganz anderer Weise, als er bis jetzt gesprochen hatte:

Wörtlich: »Der Fromme, Sohn des Scharfsinnes«.

»Höre, Hadschi Halef Omar, auf meine Worte! Du hast mich geschlagen; das ist eine Beleidigung, welche nur durch den Tod gesühnt werden kann; aber ich will sie dir verzeihen, weil ich vorher geschlagen habe, freilich ohne dich zu treffen. Ich habe von deinen und des christlichen Emirs Thaten so viel gehört, und ich bewundere sie so sehr, daß es mir eine Wonne des Paradieses sein würde, wenn ich den Emir jetzt sehen und mit ihm sprechen könnte. Ich bitte dich, zu ihm zu gehen und ihm das zu sagen. Willst du mir diesen Wunsch meines Herzens erfüllen?«

Seine Augen ruhten bei dieser Frage stechend und gespannt auf dem Gesichte des Kleinen, Dieser Prediger des Islam gefiel mir nicht; er war ein Mann, vor dem man sich zu hüten hatte, und hinter seiner plötzlichen Freundlichkeit lauerte jedenfalls eine Absicht, welche diesem Verhalten ganz entgegengesetzt war; aber mein wackerer Halef war alles, nur kein Menschenkenner; sein gutes Herz verzieh sehr leicht, und wenn man gar von seinen »berühmten und großen« Thaten sprach, so hatte man ihn ohne Widerstand gewonnen. Er war dabei freilich keineswegs ein solcher Aufschneider wie der alte Selim, der »Schleuderer der Knochen« und »größte Held des Weltenalls«; aber er hatte zahlreiche Abenteuer erlebt und mit mir glücklich bestanden, und bei der Bildungsstufe, auf welcher er stand, und der Art und Weise des Orientalen überhaupt war es gar kein Wunder, daß er mehr von sich hielt, als von andern Menschen, und leicht in den Fehler verfiel, Leuten, die ihm schmeichelten, sein Vertrauen zu schenken. So antwortete er auch jetzt, ohne sich sein Verhalten zu überlegen:

»Ja, ich werde ihn dir erfüllen und den Effendi holen.«

»Wird er aber auch kommen, wenn du ihn darum ersuchst?«

»Ganz gewiß! Er wird mich niemals dadurch kränken, daß er ein Versprechen nicht erfüllt, welches ich gegeben habe.«

Ich sah ein, daß mir schon um Halefs willen nichts anderes übrig blieb, als mich dem Fremden zu zeigen. Dazu kam das Interesse, welches man an jedem Menschen nimmt, der einem ungewöhnlich oder gar rätselhaft erscheint. Der Prediger war uns feindlich gesinnt; das stand bei mir fest; er verfolgte eine Absicht, welche, wenn sie in Erfüllung ging, uns nichts Gutes bringen konnte; das stand ebenso fest; aber diese Absicht zu durchschauen, das reizte mich, und da es auch stets immer besser ist, einem Übel oder gar einer Gefahr entgegenzugehen, feig zu warten, bis man davon gepackt wird, so stand ich auf und trat hinaus, ohne Halef Zeit zu lassen, mich darum zu bitten.

Als Ssali Ben Aqil mich erblickte, trat er einige Schritte auf mich zu, kreuzte die Hände über der Brust, verbeugte sich tief und sagte:

»Allah grüße und segne dich, Emir! Noch in der Stunde meines Todes werde ich den Augenblick, an welchem ich dir heut begegne, zu den schönsten meines Lebens rechnen!«

Er blieb nach diesen Worten in gebückter Haltung stehen, um meine Antwort zu erwarten. Er wußte, daß ich ein Christ war; er durfte als Moslem mir nicht in dieser Weise den Segen Allahs wünschen; er that es dennoch, obgleich er nicht nur Moslem, sondern sogar Chatib des Islam war; das mußte mich doppelt bedenklich machen. Ich ließ ihm natürlich nichts merken und antwortete in freundlichem Tone:

»Erhebe dein Haupt! Unter Männern ziemt es sich, daß sie einander in die Augen schauen.«

»Aber du bist berühmter als ich!« entgegnete er, indem er sich langsam und mit demutvollem Augenaufschlage emporrichtete.

»Was verstehst du unter berühmt? Nur Einer ist berühmt, Gott, denn sein Name erschallt durch alle Lande, und sein Lob ertönt auf allen Sonnen und Sternen, jetzt und in Ewigkeit. Wenn ein Mensch ein weniges mehr gethan hat als ein anderer, so darf er sich dessen doch nicht rühmen, denn es war ihm von Gott befohlen, und er erhielt von ihm die Kraft dazu.«

»Aus deinen Worten klingt mir die Stimme der Weisheit und Demut entgegen, doch bin ich mir gar wohl bewußt, wie hoch du über mir stehst. Wirst du mir verzeihen, daß mein plötzliches Kommen dich in der wohlverdienten Ruhe störte?«

»Die Störung geschah in etwas ungewöhnlicher Weise, über welche ich aber nicht richten will, weil du dich mit meinem guten Hadschi Halef Omar darüber verständigt hast. Als deine Peitsche fragte, hat die seinige geantwortet, und so ist die Störung vorübergegangen, ohne daß du dich beklagen darfst, keine Antwort erhalten zu haben.«

Sein Auge schoß einen schnellen, scharfen Blitz auf mich, doch mit der freundlichsten Miene erwiderte er:

»Ich hörte, daß du mehrere Tage hierzubleiben gedenkst; du brauchst also morgen früh nicht zeitig aufzubrechen, und du kannst also den Schlaf um die Stunde verlängern, die ich ihm jetzt im Anfange raube. Laß mich dein freundliches Herz erkennen, und sei mein Gast, wenn ich jetzt hier zum Abend speise!«

»Wir haben schon gegessen,« wehrte ich ab.

Er antwortete, indem er einen vielsagenden Blick über die schmutzige Umgebung gleiten ließ:

»Emir, ich verstehe dich, doch enthalten meine Satteltaschen genug Gaben der Reinlichkeit, daß ihr, du und dein Hadschi Halef Omar, getrost daran teilnehmen könnt. Erlaube, daß ich sie hole und mit diesem Weibe des Wirtes mein Verbleiben hier bespreche!«

Er ging hinaus und winkte der Frau und dem Gesinde, ihm zu folgen. Als ich mich nun mit Halef allein befand, fragte er:

»Sihdi, hättest du es für möglich gehalten, daß so ein grober, rücksichtsloser Ben el Maswahka sich so schnell in einen freundlichen und ergebenen Sibt el Adab verwandeln könne?«

»Ja, denn er hat jedenfalls seine guten Gründe dazu. Du aber, lieber Halef, bist ein Sohn und Enkel der Unvorsichtigkeit gewesen, als du ihm versprachest, mich hierher zu holen.«

»Ich? Warum?«

»Weil dieser Mann aus irgend einem Grunde, den ich bald zu erfahren hoffe, ein Feind von uns ist und in der kurzen Zeit, während welcher er vorhin hier auf- und niederschritt, über einen Plan nachgedacht hat, der uns nur Böses bringen kann.«

»Er hat dir aber doch den Segen Allahs gewünscht!«

»Er, ein Lehrer des Islam, mir, einem Christen! Bedenke das, Halef!«

»Kull‘ Schejatin – alle Teufel! Das habe ich vor Freude über seine Umwandlung ganz übersehen. Aber was kann er Böses gegen uns wollen? Wir kennen ihn nicht und haben ihn nie beleidigt!«

»Aber er kennt uns und mancher Mensch hat mehr unbekannte als bekannte Feinde. Bedenke, daß wir uns dadurch, daß wir den Haddedihn damals zum Siege verhalfen, ihre sämtlichen Gegner zu Feinden gemacht haben und daß wir auf unsern spätern Streifzügen oft gezwungen waren, uns der Angriffe von Personen zu erwehren, deren Angehörige uns nach den Gesetzen der Rache hassen müssen, wann und wo sie uns nur treffen. Es ist ja nicht unmöglich, daß dieser Ssali Ben Aqil der Sippe eines solchen Menschen angehört.«

»Das ist wahr, wie immer alles, was du sagst, Sihdi. Wollen uns wieder niederlegen und ganz so thun, als ob dieser Liebling Allahs, wie er sich nannte, gar nicht gekommen wäre!«

»Nein; das dürfen wir auf keinen Fall. Selbst wenn er nicht durch frühere Vorkommnisse zur Feindschaft gegen uns gezwungen wäre, würden die Hiebe, die du ihm erteiltest, ihn zur Rache zwingen. Käme dazu noch die große Beleidigung, daß wir seine Einladung zurückweisen, so könnten wir mit doppelter Sicherheit darauf rechnen, seine unversöhnliche Gegnerschaft herausgefordert zu haben.

Und das ist bei einem so fanatischen Anhänger des Islam zehnmal gefährlicher als bei jedem andern Menschen.«

»So mag wenigstens unser Verhalten ein so stolzes und zurückhaltendes sein, daß er froh ist, wenn wir uns recht bald wieder entfernen!«

»Auch das nicht, denn er würde dadurch zu der gleichen Zurückhaltung genötigt sein, und ich könnte also nicht das aus ihm heraushorchen, was ich doch von ihm erfahren will. Er muß überzeugt sein, daß wir ihm glauben und vertrauen; darum werden wir zu ihm freundlich und für seine Einladung dankbar sein. Es ist am besten, du schweigst so viel wie möglich und lässest nur mich mit ihm sprechen.«

Das war von meinem stets redfertigen Halef zwar sehr viel verlangt, aber ich sagte es in einem so bestimmten Tone, daß er darauf verzichtete, etwas dagegen einzuwenden. Diese Instruktion war grad noch zur rechten Zeit gegeben, denn eben, als ich die letzten Worte gesprochen hatte, kam Ssali Ben Aqil wieder herein, gefolgt von einem Chadim, welcher die wohlgefüllten Satteltaschen trug.

»Hier, Emir, bringe ich ein Ascha,« sagte er, »von dem du ohne Scheu genießen kannst, denn auch ich bin ein Freund der Reinlichkeit, weil ich die großen Städte besucht habe, wo man nicht gewohnt ist, den Gast durch Schmutz zum Hunger zu verdammen.«

Er nahm dem Knechte, der sich darauf entfernte, die Taschen ab und legte den Inhalt derselben, eingewickeltes Fleisch, Fladenbrod und Früchte, auf den Tisch. Das sah so sauber und einladend aus, daß Halef sich setzte und sein Messer zog. Ich folgte diesem Beispiele, und während wir zu essen begannen, erkundigte ich mich bei Ssali, indem ich an seine letzte Bemerkung anknüpfte:

»In den großen Städten bist du gewesen? Willst du mir die Namen derer nennen, die du gesehen hast?«

»Ich habe das ganze Reich des Padischah und auch das Land des Schah von Persien gesehen, denn ich ziehe von Ort zu Ort, um zu verkünden, daß die Zeit nahe ist, in welcher der Rechtgeleitete, erscheinen wird.«

»Woher weißt du das?«

»Eine innere Stimme, welche während des Tages und während aller Nächte zu mir spricht, sagt es mir. Doch, du als Christ kannst das ja nicht verstehen. Laß uns lieber von den Städten sprechen, in denen ich längere Zeit geblieben bin, um den Kuran, die Auslegungen desselben und alle Regeln der Anbetung zu studieren!«

»Welche sind dies?«

»Erst ging ich nach Persien als dem Lande, dessen Schulen meiner Heimat am nächsten lagen. Ich studierte in Teheran und Isfahan, bin aber der Hunde von Schiiten wegen, welche Allah verfluchen möge, schon nach einem Jahre wieder fortgegangen. Ich wanderte nach Stambul, wo ich sehr fromme und sehr kluge Lehrer fand, aber doch nicht, was ich suchte. Hierauf schloß ich mich der großen Hadsch nach den heiligen Städten Mekka und Medina an. In Mekka erwarb ich mir dieses Hamail, welches ich am Halse hängend trage, wie es jeder Hadschi, der es besitzt, zu tragen hat, und in Medinah blieb ich dann längere Zeit als Schüler eines berühmten Muderris, der die hervorragenden Auslegungen fast auswendig kannte.«

Da war Halef so unvorsichtig, zu bemerken:

»Grad so ein Hamail wie du hat auch mein – –«

Er wollte sagen, daß ich auch ein Hamail besaß. Das konnte ich nur in Mekka erworben haben, welches kein Christ besuchen darf. Darum fiel ich ihm schnell in die Rede, indem ich Ssali fragte:

»Würdest du mir erlauben, dein Hamail einmal zu betrachten?«

Er löste das Band und gab mir das Buch mit den Worten hin: »Eigentlich darf dieser heilige Kuran von der Hand keines Ungläubigen berührt werden; wenn ich ihn dir dennoch gebe, magst du daraus ersehen, wie hoch du in der Achtung meines Herzens stehst.«

Der Kuran ist mir grad so genau bekannt, wie unsere Bibel. Wenn ich um dieses Exemplar bat, so that ich dies also nicht des Inhaltes wegen, sondern aus einem andern Grunde. Ich wollte nämlich wissen, ob Ssali wirklich ein Scherif war. Als ich die betreffende Bemerkung nicht eingetragen und untersiegelt fand, fragte ich:

»Weißt du, daß die Tabellen, in denen der Name jedes Scherifs verzeichnet steht, alljährlich mit der großen Hadsch nach Mekka gesendet werden?«

»Ja.«

»Und daß der Name jedes Scherifs, der dort ein Hamail erwirbt, in dasselbe eingetragen werden muß?«

»Natürlich weiß ich das; ich bin ja ein Scherif!«

»Warum. steht dann dein Name nicht hier in diesem Kuran?«

Jetzt merkte er erst, wo ich hinausgewollt hatte, und antwortete verlegen und schnell darüber hinweggehend:

»Weil ich vergessen habe, ihn einschreiben und mit dem Siegel des Großscherifs versehen zu lassen. Als ich von dem Muderris in Medina nichts mehr lernen konnte, zog ich nach Kahira. Die Universität der Azharmoschee dort ist die berühmteste in allen Landen; es gab dort über achttausend Talaba, unter denen ich mehrere fand, die nach der Wahrheit strebten und mich zu einem Muderris führten, welcher der einzige war, der von dem bald zu erwartenden Mahdi lehrte. Ich wurde sein Schüler, und ihm habe ich es zu verdanken, daß ich jetzt der Welt die Kunde von dem kommenden ›Rechtgeleiteten‹ bringen kann.«

Er sprach jetzt in einem so stolzen und überlegenen Tone, daß ich es mit nicht versagen konnte, diesen Ton ein wenig herabzustimmen; darum warf ich die Erkundigung ein:

»Ich erkenne, was für ein hochbedeutender Mann du bist. Darf ich erfahren, welche Gegend oder welcher Ort den großen Vorzug besitzt, deine Geburt gesehen zu haben und deine Heimat zu sein?«

Diese Frage schien ihm ungelegen zu kommen, und es bedurfte einer, wenn auch nur kurzen Überlegung, ehe er antwortete:

»Ich bin in el Damijeh in Ägypten geboren.«

»Sonderbar! Ich habe dich für einen Kurden gehalten.«

»Warum?«

»Zunächst wegen einiger Kehllaute in deiner Aussprache, die nur aus einer kurdischen Kehle zu hören sind, und sodann hast du vorhin selbst gesagt, daß Kurdistan deine Heimat sei.«

»Ich? Wann?« fragte er mehr besorgt und betroffen als erstaunt.

»Du teiltest uns mit, daß Persien das Land sei, welches deiner Heimat am nächsten liege; am nächsten zu Persien aber liegt Kurdistan.«

»O, Emir, solche Bemerkungen darf man nicht so genau nehmen, als ob sie im Kuran ständen. Ich stamme wirklich aus el Damijeh. ja, durch Kurdistan bin ich auch schon einige Male geritten; aber ich bin in diesem Lande nicht halb so bekannt wie du.«

»Nimmst du dies wirklich an? Warum?«

»Weil mir deine Erlebnisse erzählt worden sind.«

»Welche?«

»Alle. Ich denke dabei jetzt nur an eure Kämpfe mit den Bebbeh-Kurden.«

»Diese Kerls sind die größten Schurken, die es giebt!«

Ich bediente mich mit Absicht dieses kräftigen Ausdruckes, indem ich ihn dabei scharf aber verstohlen beobachtete. Ich sah die Röte des Zorns in seine Wangen steigen, doch beherrschte er sich und fragte scheinbar ruhig:

»Hast du auch ihren Scheik gekannt?«

»Meinst du Gasahl Gaboya?«

»Ja.«

»Ich habe ihn nur zu gut kennen gelernt; er war der allergrößte unter diesen Schuften.«

Da sah ich, daß er alle seine Macht über sich zusammennehmen mußte, um seinen Zorn zu bemeistern; dennoch klang seine Stimme rauh und fast heiser, als er weiterfragte:

»Warst du es nicht, der ihn niedergeschossen hat?«

»Ich nicht; aber er wagte es, sich im Kampfe an mich zu machen, und wurde von einem meiner Gefährten niedergeschossen.«

Daß Hadschi Halef dieser Gefährte war, verschwieg ich, denn ich hatte nun erfahren, was ich wissen wollte. Dieser Ssali Ben Aqil war allerdings ein muhammedanischer Theologe; in dieser Beziehung hatte er uns nicht belogen; aber ebenso gewiß war er der Abstammung nach ein Bebbehkurde, höchst wahrscheinlich sogar ein Verwandter des gefallenen Gasahl Gaboya. Ich hatte mich also vor ihm sehr in acht zu nehmen, denn nirgends wird die Blutrache so streng gehandhabt wie grad bei einigen Kurdenstämmen. Als ob er meine Gedanken erraten hätte, machte Ssali auf meine Antwort die Bemerkung:

»Der Scheik der Bebbeh ist also doch im Kampfe mit dir gefallen, ob von deiner Kugel oder nicht, das ist gleichgültig; du bist der Blutrache verfallen, und ich wundere mich außerordentlich darüber, daß du dich wieder in diese Gegend wagst.«

»O, ich war seitdem schon öfters hier!«

»Wirklich? Da ich dich unmöglich für einen leichtsinnigen Menschen halten kann, mußt du einen Mut besitzen, der ganz unvergleichlich ist. Bitte Allah, daß er dich nicht in die schrecklichen Hände der Thar fallen lasse! Wenn dich ein Verwandter von Gasahl Gaboya sähe, wärst du verloren.«

»Ja, einer von beiden würde verloren sein, entweder er oder ich.«

»Du, du, nicht er, Emir! Du verkennst die Sache, weil du ein Fremder bist, nicht nur ein Fremder, sondern sogar ein Christ. Von euch Christen weiß man es ja, daß ihr euch in jeder Beziehung überhebt und für besser haltet als Andersgläubige, daß ihr denkt, an euch sei alles schöner, frömmer, heiliger und unverletzlicher als an andern Menschen. Du wirst das nicht zugeben wollen, obgleich du es durch dein Verhalten beweisest. Ein Moslem kennt die Schrecklichkeit der Blutrache ganz genau; wenn er das gethan hätte, was du hier verübt hast, so würde er es niemals wagen, hier in dieser Gegend wieder zu erscheinen. Du als Christ kennst den Kuran nicht und auch nicht die Gesetze und Regeln, nach denen die hiesigen Völkerschaften leben. Du glaubst, deine Haut sei als diejenige eines Christen ebenso unverletzlich, wie die Haut eines Drachen, durch den keine Waffe dringt; ja du meinst sogar im Stolze deines Christentums, daß kein Kurde es wagen darf, sich an dir zu vergreifen und dir ein Leid zu thun, denn ihr pocht auf eure Kanasil, die euch behüten, schützen, tragen und leiten müssen, wie eine Mutter ihr kränkstes, schwächstes Kind bewacht. Aber dein Stolz wird dir bald vor die Füße fallen, wenn du, vor der Blutrache stehend, zu der entsetzlichen Erkenntnis kommst, daß du ihr rettungslos verfallen bist. Nicht einen von beiden wird es treffen, wie du soeben sagtest, sondern dich, nur dich allein. Du kannst dir nicht helfen, und dein Gott kann dir nicht helfen; die Erde unter deinen Füßen wird wanken; der Boden, darauf du stehst, wird weichen, und du wirst hinunterfahren in den ewigen Jammer der Dschehenna, in welcher alle Christen und andern Ungläubigen zu endloser Qual und nie aufhörenden Martern versammelt werden. Wir aber, wir Gläubigen, werden über euch thronen als Richter über Himmel und Hölle, über Leben und Tod, unberührt von eurem Heulen und Wehklagen darüber, daß ihr so eingebildet und unverständig gewesen seid, die göttliche Gesandtschaft Muhammeds und die bis zum Himmel emporgewachsenen Vorzüge des Islam vor eurem lügenhaften Christentum zu leugnen!«

Er hatte erst in gewöhnlichem Tone und dann in immer wachsender Begeisterung gesprochen; seine Augen leuchteten, und der Fanatismus glänzte, ja, triefte ihm förmlich vom Gesichte. Ich mußte mir im stillen eingestehen, daß er alles besaß, was zu einem Wanderprediger des Muhammedanismus gehörte: Überzeugung, Rednergabe, Phantasie, Überhebung, Mangel an Bildung und Urteil und, last, not least, eine vollständige Unwissenheit über die Lehren und Verhältnisse Andersgläubiger. Als er gesprochen hatte und ich ihm nicht sofort antwortete, fügte er hinzu:

»Du schweigst; du bist von der Wahrheit meiner Worte niedergeschmettert. ja, der heilige Islam ist eine Sonne, gegen welche die armen, elenden Schemat ed Duhun der andern Glaubenslehren verschwinden müssen wie Irrlichter, welche nur vom Gestank der Sümpfe leben. Man nennt dich einen berühmten Emir und hochgelehrten Effendi aus dem Abendlande, und du erhebst den Kopf allüberall, weil du dem Bilad el Alman entstammst, aber deine ganze Berühmtheit und Gelehrsamkeit ist vor meiner überwältigenden Rede in stumme Wortlosigkeit versunken, und die bewaffneten Heerscharen deines Volkes würden, wenn sie hierher nach Kurdistan kämen, um mit uns zu kämpfen, in den Staub niederfallen und um Gnade bitten müssen.«

Es war gar nicht meine Absicht gewesen, mit ihm über Glaubenssachen anzubinden, denn ich hatte das Gefühl, daß er mir die Gelegenheit aufzwingen würde, mit ihm noch in anderer Beziehung anzubinden; da er aber meinem Schweigen eine solche Erklärung gab, mußte ich gegen seine Ansichten nun das Wort ergreifen:

»Ssali Ben Aqil, du scheinst ganz von Sinnen und megnuhn zu sein! Denn anders kann ich es mir nicht erklären,daß du meinem Schweigen eine solche Deutung giebst. Ist dir vielleicht das Sprüchwort: ›Se dere’i, karvan dibehuhre‹ bekannt?«

»Ja,« antwortete er ahnungslos, warum ich grad diese Redensart anzog.

»Und auch das andere: ›Ei ku tif beke ber ba’i, tif dike ru’i chu‹?«

»Auch das.«

»Schau, wie gut du das Kurdische verstehst, obgleich du vorgiebst, in el Damijeh geboren zu sein! Du glaubst, deine Rede habe mich niedergeschmettert; aber die Karawane ist trotz dieses Bellens ruhig weitergezogen. Du hast gegen mich gespeit, aber nicht mich, sondern nur dich selbst getroffen.«

»Emir, wie kannst du solche Worte zu mir sagen.« fuhr er auf; »zu mir, der alle Lehren und Gesetze des Islam kennt!«

Ich machte eine wegwerfende Handbewegung und entgegnete:

»Du willst doch wohl sagen, daß du nur die Lehren des Kuran, weiter gar nichts, gar nichts kennst, und auch diese nicht richtig verstanden hast! Ich sage dir aus meiner ›Niedergeschmettertheit‹ heraus: Wenn einer von uns beiden zuviel Einbildung, grundlosen Stolz und Überhebung besitzt, so bin nicht ich dieser eine, sondern du bist es. Mit deiner Kenntnis des Kuran ist es schlecht, sehr schlecht bestellt, wie du gleich erfahren wirst, und auch die Gesetze und Regeln, nach denen die hiesigen Völker leben, kenne ich besser als du. Du behauptest, daß wir Christen uns auf unsere Konsuls verlassen und von ihnen wie unmündige Kinder beschützt werden müssen. Wenn man dir wirklich von uns erzählt hat, so sage mir doch nur einen einzigen Fall, welcher beweist, daß ich mich an die Hilfe eines Konsuls gewendet oder gar auf sie gepocht habe! Sage mir auch nur einen einzigen Fall, daß ich mich wie ein krankes, schwaches Kind betragen habe! Ich darf ganz im Gegenteile behaupten und kann es auch beweisen, daß gar mancher, mancher Moslem heut noch lebt und sich wohl befindet, der ohne meine Hilfe, also ohne die Hilfe des Christen, verloren gewesen und zu Grunde gegangen wäre. Grad die Kurden vom Stamme der Bebbeh wissen ganz genau, ob ich so ein Schwächling bin, wie du die Christen beschreibst. Gehe hin zu ihnen, und frage sie, so wirst du erfahren, welche Furcht und Angst ihr ganzer Stamm vor mir gehabt hat! Es giebt unter ihnen – – –«

»Schweig!« fuhr er mich da zornig an. »Die Bebbeh sind Helden, die keine Furcht kennen. Am allerwenigsten aber haben sie vor dir – –«

»Halte den Mund!« unterbrach auch ich ihn in befehlendem Tone. »Bist du etwa ein Bebbeh, daß du dich ihrer so annimmst? Soll ich denken, daß du nicht in Ägypten, sondern hier geboren bist? Grund genug hast du mir schon dazu gegeben! Ich warne dich! Gieb mir ja keine Gelegenheit, dich und deine Absichten zu durchschauen, denn das könnte übel für dich ausfallen! Du hast gewagt, mir zu sagen, daß weder Gott noch ich selbst mir helfen könne; aber Gott hat durch mich schon manchem Muhammedaner geholfen, dem sonst nicht zu helfen gewesen wäre, und bis jetzt habe ich dir noch keine Veranlassung gegeben, anzunehmen, daß ich nicht wisse, wie man sich gegen muhammedanische An- und Übergriffe zu verteidigen hat. Wie kommst du ferner dazu, zu behaupten, daß wir Christen der Hölle verfallen seien? Welcher Dummkopf hat dir das weißgemacht? Etwa einer deiner Professoren? Dann ist der Islam zu bedauern, daß er nicht bessere Lehrer aufzuweisen hat! Wenn ihr es nicht wißt, nun so wissen wir Christen es um so besser und kennen den Kuran um so genauer, daß Muhammed wiederholt erklärt hat, der Himmel stehe auch den Christen offen. Blicke in das Hamail, welches du wohl am Halse, nicht aber im Kopfe zu haben scheinst, so wirst du die Stellen finden, die ich meine! Und endlich hast du behauptet, daß ihr Muhammedaner im jenseitigen Leben hoch über uns thronen werdet als Richter über Himmel und Hölle, über Leben und Tod. Wer dir diesen Gedanken beigebracht hat, in dessen Kopfe ist niemals eine Spur von Hirn zu finden gewesen. Wenn du nicht hier säßest und ich deine Worte nicht mit eigenen Ohren gehört hätte, würde ich es für unmöglich halten, daß ein denkender Mensch solchen Unsinn aussprechen könne und solcher Überhebung fähig sei. Wer sich eine Behauptung, wie diese ist, zu schulden kommen läßt, dem muß der Kuran ein vollständig unbekanntes Buch sein, und ebenso wenig darf er sagen, daß er jemals eine Auslegung desselben in den Händen gehabt habe! Du, du willst also einst auch mit Richter sein über Tod und Leben, über Himmel und Hölle? Armer Teufel! Noch weißt du selbst nicht, ob du glücklich über Es Ssireth, die Brücke des Todes, gelangen wirst. Und sagt nicht Muhammed und sagen nicht die Kalifen und alle Ausleger des Kuran, daß nur Isa Ben Marryam allein es ist, der am jüngsten Tage vom Himmel kommen und von der Moschee der Omajjaden in Damaskus aus alle Lebendigen und Toten richten wird? Also Christus, den wir als Gottes Sohn verehren! Christus, der Sohn Mariens, der unser Mittler und Fürsprecher ist im Leben und im Sterben! Also nicht euer Muhammed, sondern unser Christus wird richten, denn nur Gott allein kann richten, und Christus ist ja Gott, während Muhammed zwar euer Prophet, aber doch ein Mensch gewesen ist. Wo bleibst da du, Ssali Ben Aqil, der du von dir behauptest, daß auch du mit richten werdest über Himmel und Hölle, über Tod und Leben! Wenn du dereinst vor Isa Ben Marryam erscheinst, was wird er dich fragen, und was kannst du ihm antworten? Er wird dein Richter, dein gerechter aber strenger Richter sein. Wirst du ihm, dem göttlichen Gründer des Christentums, etwa auch sagen, daß die Christen, seine Gläubigen, in die Hölle zu ewigem Jammer und endloser Qual verdammt werden müssen, weil sie nicht Muhammed, sondern ihn verehrt haben?«

Er hatte während meiner Rede einige Male vergeblich angesetzt, mich zu unterbrechen; jetzt aber war er stumm geworden und saß vor mir, ohne ein Wort zu sprechen. Drum fuhr ich fort:

»Nun, du schweigst? Ich habe dir alle deine Behauptungen widerlegt. Wenn du gegen meine Worte etwas sagen kannst, so sprich!«

Da er auch jetzt im Schweigen verharrte, ergriff der kleine Halef das Wort:

»Sihdi, es geht ihm, wie es mir ergangen ist und wie es jedem ergeht, der sich unterfängt, mit dir gegen deinen Glauben zu reden. Weißt du noch, lieber Effendi, welche Mühe ich mir in der ersten Zeit unserer Bekanntschaft und sogar auch später gab, dich vom Christentume abzubringen und zum Islam zu bekehren?«

»Ja,« antwortete ich lächelnd. »Ich weiß es gar wohl!«

»Schau, deine Lippen verziehen sich zur Lustigkeit, und die Spitzen deines Bartes nehmen die Haltung des mitleidigen Wohlwollens an! Du bedauerst mich, und ich gebe zu, daß du dazu berechtigt bist. Wer dich von deinem Glauben abbringen will, der gleicht dem Himahr, welcher dem Nisr weißmachen will, daß es im dunkeln, schmutzigen Stalle herrlicher zu leben sei als droben in den hellen, freien, reinen Lüften, wo das Gold des Sonnenscheines sich mit dem Purpur der Morgen- und der Abendröte vermählt.«

»Mensch!« fuhr ihn da der Wanderprediger an, »soll das etwa heißen, daß du mich mit einem Esel vergleichst?«

»Ah, habe ich von dir gesprochen?« fragte Halef in ruhigem Tone. »Ich glaubte, nur diejenigen gemeint zu haben, die da meinen, meinen Sihdi, der alle Bücher und Schriften von jedem Glauben auswendig kennt, mit den paar armseligen Brocken, die sie im Kopfe haben, belehren zu können. Wenn du dich zu diesen Leuten zählst, so ist das deine eigene Schuld, und ich habe nichts dagegen!«

»Sag, ob du ein Moslem bist!«

»Ich bin einer.«

»Und doch redest du ihm, dem Christen das Wort!«

»Allah’l Allah! Ich würde sogar mehr als ein Wort für ihn reden; ja, ich würde sogar meine Flinte und mein Messer für ihn sprechen lassen! Er ist der Adler, von dem ich gelernt habe, mit ihm hoch über den Wolken zu fliegen. Dort gefällt es mir; wenn es den andern Geschöpfen unten lieber ist, so fällt es mir nicht ein, mich mit ihnen darüber zu streiten; aber ich dulde auch nicht, daß sie mir meine reine Luft nicht gönnen!«

Er sagte das in einem Tone, der fast wie eine Drohung klang, und der kleine, furchtlose Kerl war ganz der Mann dazu, seinen Worten den gehörigen Nachdruck zu geben. Das wußte Ssali, der ja von ihm ebenso wie von mir gehört hatte, und darum hielt er es für geraten, seine Gegnerschaft wenigstens jetzt nicht weiter zu treiben. Auch kam es ihm, wie ich später bemerkte, sehr darauf an, uns keine Veranlassung zu geben, eine unvorteilhafte Meinung über ihn zu fassen, und so überwand er sich, in versöhnlicher Weise zu bemerken:

»Es ist mir gar nicht eingefallen, deinen Effendi anzugreifen; er mag der Christ bleiben, der er ist, während ich mich wie vorher zu Muhammed bekenne, den Allah über alle Himmel erheben wird.«

»Du hast aber nicht bloß von der Religion gesprochen, sondern ihm und mir mit der Blutrache gedroht!«

»Gedroht? Das habe ich nicht. Ich verehre ihn und bewundere eure Thaten, darum habe ich mir erlaubt, eine Warnung auszusprechen, die aus einem wohlmeinenden Herzen kam.«

»So denke in Zukunft daran, daß es unmöglich ist, sich über ein wohlmeinendes Herz zu freuen, wenn dieses Herz sich einer unhöflichen und zorneseiligen Zunge bedient! Du hast uns eingeladen, mit dir zu essen; wir sind also deine Gäste, und mit Gästen streitet man nicht.«

»Du hast recht. Ich hatte nicht die Absicht, euch zu kränken oder gar zu beleidigen; aber wenn ich trotzdem ein Wort gesprochen habe, welches euch nicht gefallen hat, so verzeiht es mir! Ich bin von der Reise ermüdet, und ein müder Mann denkt oft nicht an das, was er spricht.«

Das klang so mild und versöhnlich, daß es wohl auf gar manchen den beabsichtigten Eindruck hervorgebracht hätte, den es aber auf mich ganz und gar verfehlte. Wer sich so beherrschen konnte, aus der religiösen Begeisterung in eine demütigende Bitte um Verzeihung zu fallen, der war ein Mensch, vor dem man sich zu hüten hatte. Ich zeigte mich also äußerlich freundlich, war aber dabei innerlich reservierter als vorher und nahm nach einiger Zeit seine vorgeschützte Ermüdung als Vorwand, das Zusammensein mit ihm abzubrechen. Wir zogen uns in unsere Abteilung zurück, und er ging hinaus, um nach seinem Pferde im Stalle zu sehen und sich dann auch zur Ruhe zu begeben.

Als er wieder hereingekommen war, nahm er ein Stück brennenden Holzes von dem noch immer nicht ausgegangenen Feuer und trat damit hinter die Flechtwand, wo wir uns indessen schon niedergelegt hatten. Er leuchtete uns an und sagte, sich entschuldigend:

»Verzeiht, daß ich euch störe! Ich habe euch nur Belletak sa’ide gewünscht, ohne euch, wie man es bei Gästen thut, Allah zu empfehlen! Fi amahn Allah – in Gottes Schutz! Er gebe euch einen langen, ruhigen Schlaf!«

»Ma ßah Allah kahn wamah lam jaßah lam jekun – was Gott will«, geschieht; was er nicht will, das geschieht nicht,« antwortete ich ihm.

Er nickte uns hierauf freundlich zu und verließ uns, ohne den Sinn meiner Antwort herausgehört zu haben. Ich sah durch die Zwischenräume des Flechtwerkes, daß er sich mit Hilfe seines Sattels und seiner Decke in der Nähe des Herdes ein Lager bereitete und sich auf demselben ausstreckte.

Warum war er noch einmal zu uns gekommen? Wirklich aus Höflichkeit? Gewiß nicht! Wollte er etwa nur sehen, wo und wie wir lagern? Sehr wahrscheinlich! Wenn dies der Fall war, so hatte er eine Absicht, die uns in Gefahr brachte. Darum gab ich ihm die Antwort, deren Bedeutung er nicht erriet. Sollte ich Halef sagen, was ich vermutete? Nein. Das liebe, gute Kerlchen bedurfte mehr als ich des Schlafes, und so beschloß ich, ihn nicht zu beunruhigen und lieber selbst die ganze Nacht wach zu bleiben. Er war weniger bedroht als ich, denn er lag an der Mauer, während mein Platz derjenige war, den ein heranschleichender Feind zuerst erreichen mußte. Es dauerte nicht lange, so verriet mir sein leiser, regelmäßiger Atem, daß er eingeschlafen war; da schob ich mich von meiner Stelle fort, um einem etwa geplanten Überfall durch meinen Angriff zuvorzukommen.

Da, wo ich nun lag, gab es in der Wand ein größeres Loch, durch welches ich meine Beobachtungen leichter machen konnte. Zu beiden Seiten des Herdes war trockenes Schilf zum Anzünden und dürres Holz zur Unterhaltung des Feuers aufgeschichtet. Das letztere brannte, da nun nichts mehr nachgelegt wurde, bald nieder. Ehe es ganz ausging, sah ich, daß Ssali seine Arme aus der Decke, die ihn umhüllte, hervorzog und, den Kopf ein wenig hebend, mit scharfen Augen nach uns herblickte. Dieser Umstand befestigte mich in dem Verdachte, den ich hegte. Hierauf wurde es ganz finster, und ich konnte mich nur noch auf meine Ohren, nicht mehr auf die Augen verlassen.

In Lagen wie diejenige, in der wir uns befanden, vergeht die Zeit mit quälender Langsamkeit. Die Minuten wurden mir zu Stunden; aber ich ließ nicht nach in meiner Aufmerksamkeit, welche endlich, endlich ganz nach Erwarten belohnt wurde, denn ich hörte das, wenn auch nur ganz leise zu vernehmende Geräusch, welches hervorgebracht wird, wenn ein Gewand, ein Kleidungsstück auf dem Boden hinstreift. Wäre mein Gehör nicht während meines Aufenthaltes im wilden Westen so außerordentlich geschärft worden, so hätte ich jetzt sicherlich nichts wahrgenommen.

Wie gut, daß ich mißtrauisch gewesen war und Verdacht gefaßt hatte! Der Bebbeh-Kurde – denn daß er das war, stand nun bei mir fest – fühlte sich als Vertreter der Blutrache und kam jetzt, um sie auszuführen. Welch ein Ruhm und welch eine Ehre für ihn, wenn er seinem Stamme dann die Meldung bringen konnte, daß er Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar getötet habe! Eine solche Blutthat stand nach der Ansicht dieser Leute mit seinem geistlichen Berufe nicht im geringsten Widerspruche.

Er glitt durch die Wandöffnung zu uns herein und wendete sich dann nach rechts, wo ich erst gelegen hatte und wo Halef noch lag, während ich mich jetzt links davon befand. Ich konnte ihn nicht sehen, täuschte mich aber trotzdem nicht, denn das leise, leise Streichen des Gewandes war keine Hallucination, und wenn ich ja noch gezweifelt hätte, so gab es jetzt ein zwar sehr kurzes, aber noch deutlicheres Geräusch, welches mir bewies, daß ich mich in keinem Irrtume befand: es war das Knacken eines Gelenkes, welches bei einem gut geschulten Anschleicher, der er aber nicht war, unmöglich vorkommen kann. Dies ist wieder einmal ein Beweis, wie außerordentlich schwer ein tadelloses Anschleichen ist, denn an dem leisen Knacken auch nur eines Fingergelenkes kann das Leben hängen!

Als er die Wendung nach rechts gemacht hatte, folgte ich ihm, auf die beiden Kniee und die linke Hand gestützt, denn die rechte mußte ich vorsichtig tastend ausstrecken, um mich mit ihm in Verbindung zu setzen. Ich berührte dabei die Sohle seines Schuhes, den er unverzeihlicherweise nicht ausgezogen hatte. Mich noch mehr zur Seite aber weiter vor schiebend, fühlte ich dann einen Zipfel seines Haiks; also nicht einmal diesen hatte er abgelegt. Diesen Zipfel zwar festhaltend, dabei aber immer nachgebend, fühlte ich jede seiner Bewegungen, bis er sich ganz nahe der Stelle befand, wo er mich liegen glaubte. Bisher war er auf allen vieren gekrochen; jetzt richtete er sich knieend auf; meine Zeit war gekommen. Ich erhob mich ebenso wie er, streckte mich aus und griff mit beiden Händen zu. Ich erwischte ihn mit der Rechten beim Oberarm und mit der Linken im Genick. Der Schreck über diese unerwartete, plötzliche Berührung entriß ihm einen lauten Schrei; ich zog ihn vollends an mich heran und nahm ihn mit beiden Händen um den Hals, und zwar so fest, daß ihm nicht der geringste Widerstand möglich war. Die Arme sanken ihm schlaff herab, und wenn ich ihn nicht in den Händen gehabt hätte, wäre er niedergefallen.

Halef war von dem Schrei erwacht; der kleine, geistesgegenwärtige Mann sprang sofort auf, zog seine Pistole aus dem Gürtel, wie ich an dem Knacken des Hahnes hörte, und rief:

»Was giebt’s? Wer schreit da? Sihdi, wo bist du?«

»Hier,« antwortete ich. »Beunruhige dich nicht! Hast du noch Kibritat einstecken?«

»Ja, hier in der Tasche.«

»So eile hinaus zum Herde, und mache schnell Feuer!«

»Warum? Wo ist Ssali Ben Aqil?«

»Hier. Ich habe ihn fest; er wollte uns ermorden.«

»Allah, wallah! Hast du ihn wirklich sicher, ganz sicher?«

»Ja. Sorge dich nicht! Aber Licht müssen wir haben.«

»Gleich, gleich! Ich eile; es soll im Augenblicke hell werden! Ermorden! Uns! Dieser Schurke! Wir schicken ihn dafür in die Hölle; vorher aber bekommt er von mir hundert Peitschenhiebe dahin, grad dahin, wo sie ihm am wenigsten gefallen!«

Während er diese Worte des Zornes ausstieß, eilte er hinaus zum Herde. Ssali bewegte sich unter mir und griff nach meinen Händen; ich schlug ihm also die Faust an den Kopf, daß er die Besinnung verlor. Da flammte draußen das brennende Schilf auf und warf seinen Schein durch die vielen Ritzen des Flechtwerkes. Grad vor mir sah ich das Messer des Kurden liegen; er hatte uns also erstechen wollen. Ich hob es auf, schob es in meinen Gürtel und schleifte dann den Bewußtlosen hinaus an den Herd, wo inzwischen auch das Holz zum Brennen gekommen war. Während wir dort dem Ertappten die Füße zusammen- und die Hände auf den Rücken banden, erkundigte sich Halef:

»Aber, Sihdi, wie war es möglich, daß dieser Mensch uns, die wir doch seine Gäste waren, nach dem Leben trachten konnte?«

»Ich vermute, daß er ein Kurde ist und zum Stamme der Bebbeh gehört!«

»Maschallah, Wunder Gottes! Ein Bebbeh! Also Blutrache! Und doch hat er uns, bevor er sich schlafen legte, dem Schutze Allahs befohlen!«

»Um uns zu täuschen. Er wünschte uns aber auch einen langen Schlaf und hat damit höchstwahrscheinlich den Todesschlaf gemeint.«

»Jil’an dakno – verflucht sei sein Bart! Als ich mich niederlegte, hatte ich keine Lust, außerhalb dieser Erde aufzuwachen! Du hast dir und mir das Leben gerettet; wir sind dir also beide zum größten Dank verpflichtet. Wie aber ist es gekommen, daß es dir möglich war, die Mordthat zu verhüten?«

»Ich bin wach geblieben, denn ich ahnte, was der Kerl für eine Absicht hatte.«

»Und hast mir nichts davon mitgeteilt, Sihdi!«

»Weil dir der Schlaf so nötig war, lieber Halef.«

»O, Effendi, was bist du doch für ein Mann! Du kannst streng und stolz sein wie der Herrscher aller Herrscher in Istambul, und doch im nächsten Augenblicke auch wieder voller Milde, Güte und Freundlichkeit wie das Herz eines liebenden Weibes! Hoffentlich aber hört deine Freundlichkeit auf, wenn es sich um die Bestrafung dieses Mörders handelt!«

»Du befindest dich im Irrtum, wenn du ihn für einen Mörder hältst, denn es ist ihm ja nicht gelungen, uns das Leben zu nehmen.«

»Ja, ja; ich weiß, ich weiß! Da kommt wieder bei dir zum Vorscheine, was du den guten Christen nennst. Wer dir bloß nach dem Leben trachtet, der ist ein ganz braver Mensch. Wer aber bei dir als Mörder gelten soll, der muß dich erst zehnmal totgeschlagen und dann noch zwanzigmal totgeschossen haben, und selbst dann möchte ich wetten, daß du ihn noch unbestraft entkommen lässest, weil dein Ingil dir befiehlt, selbst deinen Feinden Liebe zu erweisen! Schau, da schlägt er die Augen auf! Nun wollte ich, ich dürfte die Peitsche nehmen und ihm hundert Piaster aufzählen, aber nicht silberne sondern lederne, die aus der Haut des Nilpferdes geschnitten worden sind. Doch, wie ich dich kenne, werde ich darauf wohl verzichten müssen. Es ist kein Blut geflossen und nach deiner Ansicht also gar nichts Böses geschehen. Allah, Allah! Was seid ihr Christen doch für sonderbare, unbegreifliche Menschen!«

Während der gute Halef in dieser Weise über mich und das Christentum klagte, war er im Innern selbst ein guter Christ, und die Seufzer, mit denen er meine Milde bejammerte, noch ehe ich sie hatte zeigen können, waren eigentlich nichts als ihm selbst unbewußte Aufforderungen an mich, Gnade walten zu lassen.

Ssali kam zu sich. Er sah uns erst, als er sich gefesselt fühlte, erstaunt an; dann, als ihm einfiel, was er beabsichtigt hatte und was geschehen war, stieß er einen Ruf des Schreckes aus, ohne ihm aber ein Wort folgen zu lassen. So lag er stumm, mit zusamengekniffenen Lippen vor uns; desto beredter aber waren seine Blicke, welche er voll Haß und Grimm auf uns richtete. Da fragte ich ihn:

»Willst du auch jetzt noch behaupten, daß du in Damijeh geboren seist?«

Er antwortete nicht sogleich; dann aber zischte er wütend zwischen den Zähnen hervor:

»Die List gebot mir, die Unwahrheit zu sagen; aber denke ja nicht, daß ich nun aus Angst vor dir weiterlüge! Allah schien dich in meine Hand gegeben zu haben; ich habe mich in ihm geirrt.«

»Dies ist wohl nicht das erste Mal, daß du dich in Gottes Fügung irrst. Du bist ein Kurde?«

»Ja.«

»Vom Stamme der Bebbeh?«

»Ja.«

»Der Scheik Gasahl Gaboya war ein Verwandter von dir?«

»Er war der Bruder meiner Mutter.«

»Ich begreife! Du erfuhrst hier, wer wir sind, und die Blutrache zwang dich, das Leben von uns zu fordern.«

»Ja, sie zwang mich, so wie sie jetzt dich zwingt, mir das Leben zu nehmen.«

»Ich bin ein Christ und kenne die Blutrache nicht!«

»Vielleicht die Blutrache nicht, aber doch die Rache!«

»Auch diese nicht. Gott ist der Vergelter.«

Da veränderte sich der Ausdruck seines Gesichtes; er sah mich ganz erstaunt an und fragte:

»Dürfen die Christen einander ungestraft nach dem Leben trachten?«

»Nein. Ein Mensch, welcher dem andern nach dem Leben trachtet, ist überhaupt kein Christ, wenn er sich auch als einen solchen bezeichnet. Unser Kitab el Mukad’das, befiehlt uns: ›Du sollst nicht töten!‹ und ein wirklicher, wahrer Christ hält sich streng nach diesem Befehle. Wer aber Menschenblut vergießt, wird durch die Obrigkeit bestraft, welche von Gott dazu eingesetzt worden ist.«

Ein Hoffnungsstrahl blitzte über sein Gesicht, als er schnell fragte:

»So werdet ihr mich der Obrigkeit ausliefern?«

»Nein.«

Seine Züge wurden sofort wieder finster, und enttäuscht klangen seine Worte:

»Also werdet ihr doch selbst richten! Du hast mein Messer aufgehoben; ich sehe es in deinem Gürtel. Nimm es und stoß zu!«

Ich schüttelte den Kopf und entgegnete:

»Du hast mich nicht verstanden. Die Rache ist mir verboten; dafür aber gebietet mir der christliche Glaube, meinen Feind zu lieben, wie mich selbst. Ich töte dich nicht und liefere dich auch nicht der Obrigkeit aus.«

Da glitt ein Ausdruck über seine Züge, der sich nicht beschreiben läßt. Erstaunen, Hoffnung, Zweifel, Verwunderung, Befürchtung, das alles sprach sich darin aus, bis der Haß wieder die Oberhand bekam und der Gefangene zornig herausstieß:

»Du spottest meiner! ja, man sagt, daß es euch befohlen sei, sogar euern Feinden Gutes zu erweisen; aber welchem Menschen wäre es möglich, dies zu thun! Es ist eine Lüge, daß euer heiliges Buch dies von euch fordert, und euer Christus wäre ein Ssanam el heiwana, wenn er von euch etwas verlangte, was kein Mensch zu erfüllen vermag!«

»Du sprichst als Moslem, der nicht die Liebe kennt; wir Christen aber kennen und üben sie. Du hast mein Leben gewollt, es aber nicht bekommen; dafür schenke ich dir das deinige.«

Indem ich dies sagte, nahm ich sein Messer, zerschnitt damit die Fesseln, hielt es ihm dann hin und fügte hinzu:

»Diese Klinge durfte mich nicht treffen; also gebe ich sie dir zurück. Nimm sie hin!«

Da sprang er empor. Seine Augen öffneten sich weit; sein Mund – ich möchte beinahe sagen, er sperrte ihn auf, und seine beiden Hände zuckten vorwärts, ohne aber das Messer zu ergreifen.

»Allah ja’lam el geb – Gott kennt das Verborgene; ich aber weiß nicht, was ich denken soll!« rief er aus. »Ist das immer noch Spott, oder ist es Ernst?«

»Es ist Ernst.«

»Schwöre mir das bei Allah zu!«

Christus verbietet uns zu schwören. Ein Christ spricht nur die Wahrheit; da bedarf es keines Schwures.«

»So schenkt ihr mir das Leben?«

»Ja.«

»Wirklich das Leben?«

»Wirklich!«

»Aber wenn ich nun in meiner Rache fortfahre?«

»So wird Gott uns behüten, wie er uns vorhin behütet hat. Du sagtest dort am Tische, weder Gott noch ich selbst werde mir helfen können; jetzt siehst du, daß er mir geholfen hat; auf ihn verlaß ich mich auch fernerhin. Du bist frei und kannst mit deiner Rache machen, was du willst!«

Da riß er das Messer aus meiner Hand, trat einige Schritte zurück, sah bald mich, bald Halef mit ungewissen Blicken an und sagte dann, halb spöttisch, halb gerührt:

»Ich danke dir, Effendi, ich danke dir! Wenn das, was du jetzt gesprochen und gethan hast, wirklich aus deinem Herzen kam, so bist du entweder plötzlich verrückt geworden, oder das Christentum ist doch besser, viel besser, als ich gedacht habe. Da ich aber ein vorsichtiger Mann bin und weder dir noch deinem Glauben traue, werde ich mich jetzt schnell entfernen und nicht so lange warten, bis dir der verlorengegangene Verstand zurückgekehrt ist. Sollte er aber nicht zurückkehren, so vermehre Allah euer Wohlsein um soviel, wie ihr an Verstand verloren habt!«

Er raffte seine Decke zusammen und eilte zur Thür hinaus. Einige Minuten später ritt er davon, ohne, wie wir später hörten, der Wirtin etwas bezahlt zu haben. Als der Hufschlag seines Pferdes in der Stille der Nacht verklungen war, machte Halef ein teils ärgerliches und teils lustiges Gesicht und sagte:

»Da ist er hin, ganz so, wie ich gedacht habe, ohne Strafe und ohne Hiebe! Und dabei glaubt er nicht einmal, daß es dein Ernst gewesen ist! O Sihdi, Sihdi, was muß ich alles an dir erleben! Du erfreust deine Feinde mit Barmherzigkeit und betrübst deine Freunde mit Wehmut über das Leder der Peitsche, die sie nicht schwingen dürfen! Ich hätte fürs Leben gern einmal bis hundert gezählt; nun aber ist mir durch deine Güte der Ort verloren gegangen, auf den ich zählen wollte. Wenn du in dieser Weise fortfährst, deine Feinde zu belohnen, wird jeder kluge Mann es vorziehen, dein Gegner anstatt dein Freund zu sein!«

»Räsonniere immerhin! Ich weiß doch, lieber Halef, daß ich ganz nach deinem Herzen gehandelt habe. Früher warst auch du ein Anhänger der Thar und konntest nicht genug Blut zu sehen bekommen; jetzt aber thut es dir wehe, einen Wurm zu treten.«

»O, Effendi, da hast du recht, sehr recht, denn je größer der Wurm ist, desto weher thut es mir, und wenn er gar in Menschengestalt erscheint, so ist der Islam mit allen Khalifen und Auslegungen vergessen, und ich denke nur an dich, aus dem ich doch einst einen Moslem machen wollte. Wenn das so fortgeht, wirst du mich noch dahin bringen, von einem eurer Priester die heilige Ma’mudija zu erbitten. Komm, laß uns zum zweitenmal schlafen gehen! Man wird uns nicht wieder stören wie beim erstenmal, denn dieser Ssali Ben Aqil kehrt nicht zurück; er hat erfahren, daß es leichter ist, uns freundlich zum Essen einzuladen, als die Gesetze der Blutrache an uns auszuführen. Wenn er einst dem Engel des Todes so leicht entkommt, wie er unserer Vergeltung entgangen ist, wird er den siebenten Himmel Muhammeds erreichen.«

Wir warfen noch einige Griffe Holz in das Feuer und legten uns dann wieder nieder, ohne daß ein Mensch im Hause erfahren hatte, wie nahe wir dem Tode gewesen waren. Es ist kaum glaublich, mit welchem Gleichmute man, wie wir, aus einem Erlebnisse in das andere reitend, Ereignisse hinnimmt, welche an andern Orten und bei andern Menschen das größte Aufsehen erregen und die ganze Bevölkerung in Alarm setzen würden. Aber grad dieser Gleichmut ist es, auf den dabei so viel ankommt und mit dessen Hilfe es gelingt, Gefahren zu überwinden, denen man ohne ihn erliegen würde.

Als Halef annahm, daß wir nun nicht wieder gestört würden, hatte er sich geirrt, denn wir mochten noch nicht zwei Stunden geschlafen haben, als uns ein Lärm erweckte, welcher sich draußen erhoben hatte. Es war ein vielstimmiges Schreien und Brüllen, aus welchem wir zuweilen den Ruf »ia harik, ia harik!« heraushörten. Es brannte also irgendwo im Orte, und so wenig uns das eigentlich anging, wir sprangen doch auf und rannten hinaus, um unsere Hilfe anzubieten, wenn sie nötig war.

Wir sahen, daß es sich um einen bedeutenden Brand handelte, und eilten der betreffenden Gegend zu. Denkt man sich eine Feuersbrunst des Nachts in einem kleinen abgelegenen Städtchen Deutschlands, und zwar zur Zeit, als es noch keine Feuerwehren gab, so hat man einen ganz, ganz kleinen Begriff von dem großen Wirrwarr, in den wir mit hineingerissen wurden, und von den Scenen, die wir vor und um uns sahen. Es brannte am entgegengesetzten Ende des Ortes; dorthin rannte und strömte alles, oder vielmehr: man wurde gerannt und geströmt. Wir steckten nach kurzer Zeit in einem dichten Knäuel von Menschen, aus dem es absolut kein Entkommen gab. Dieser Knäuel wogte bald nach rechts, bald nach links, bald vor- und oft auch wieder rückwärts. jeder, der einen Mund hatte, schrie so laut, wie er nur schreien konnte; aber was da brannte, wo es brannte und bei wem es brannte, das schien niemand zu wissen; wir konnten es nicht erfahren. Wir waren »eingekeilt in fürchterlicher Enge«, hatten keinen Willen, konnten uns nicht selbständig bewegen und mußten uns die größte Mühe geben, nur beisammenzubleiben.

In diesem Gedränge dachte ich an unsere Pferde, die wir im Eifer, uns hilfsbereit zu zeigen, ohne Schutz und Aufsicht im Khan gelassen hatten. Wie nun, wenn ihnen etwas geschah! Man hatte meinen Rih gesehen und bewundert, und hier in dieser Gegend war fast jeder Mensch ein geborener Pferdedieb. Mir wurde angst; ich teilte Halef meine Besorgnisse mit, und wir gaben uns nun alle Mühe, uns Bahn zu brechen, um nach dem Khan zurückzukehren. Aber je mehr wir schoben, drängten und stießen, desto mehr wurden wir gedrückt und gequetscht, gestoßen und geschlagen. Wir fühlten bald, wie man sich auszudrücken pflegt, unsere Knochen nicht mehr, und schon gaben wir es auf, unsern Willen durchzusetzen, als uns plötzlich Hilfe wurde, und diese Hilfe kam durch die Tulumba.

Tulumba – was ist das? Natürlich das, was bei einer Feuersbrunst das unumgänglich Notwendigste ist, nämlich die Spritze. Eine Spritze! Gab es denn in jenem kleinen, abgelegenen Orte Kurdistans eine Spritze, wirklich eine Spritze? wird man mich ungläubig fragen. Ja, es gab eine, und was für eine! O Talumba! Ich habe dich in der Türkei gesehen; ich bin dir in Persien begegnet, und du hast mich in Kairo sogar einmal mit dem Esel, auf dem ich zufälligerweise saß, umgerissen, so daß der Esel auf mich und ich unter ihn zu liegen kam; aber die Gestalt, in welcher du mir hier in Khoi erschienen bist, hätte mich beinahe irre gemacht an dir und deiner wohlbekannten Körperkonstitution oder vielmehr -konstruktion. Tulumba, o Tulumba, mir graut seitdem vor dir! Befandest du dich inkognito dort? Hattest du dich verkleidet, um nicht erkannt zu werden? Oder war es nur Verstellung von dir? Mag dem sein, wie ihm wolle, das Kismet mag mich kurz und gut davor bewahren, daß du mir in dieser Gestalt und dieser Weise im Leben noch einmal begegnest! O Tulumba, schreckliche Tulumba!

Es soll Menschen geben, welche Zweck und Mittel, Hauptsache und Nebensache, Fördernis und Hindernis zu verwechseln pflegen. Wer das nicht für möglich hält, der mag nach Khoi gehen und sich die dortige Tulumba zeigen lassen; dann wird und muß er daran glauben! Um das zu begreifen, denke man sich einen – – doch nein, man denke sich nichts, sondern man mache die Erfahrung in der Weise, wie ich sie gemacht habe und wobei einem zunächst das Denken sofort und gründlich vergeht. Also wir beide, Halef und ich, hatten vergeblich versucht, aus dem harten, dichten Menschenklos, in welchem wir zwei verschwindend kleine Grieben bildeten, herauszukommen; diese unsere Bemühungen hatten nur den gar nicht bezweckten Erfolg gehabt, daß wir immer weiter hinein und schließlich etwas auseinander gerieten. Halef war jetzt nun eine kleine Strecke hinter mir, so daß sich vielleicht fünf oder sechs Personen zwischen uns befanden. Ich drehte mich, immer fortgeschoben werdend, häufig nach ihm um und konnte mich nur mit Hilfe von Gebärden mit ihm verständigen, weil bei dem allgemeinen, ohrenbetäubenden Gebrüll Worte nicht zu verstehen waren.

Dieses Brüllen war so entsetzlich, daß ich überzeugt war, es könne unmöglich noch gesteigert werden. Ein Lärm in deutscher und ein Gebrüll in kurdischer Sprache, das giebt übrigens einen ganz bedeutenden Unterschied, gar nicht zu gedenken, daß viele Schreier sich auch der türkischen, arabischen und persischen Sprache bedienten. Plötzlich verwandelten sich diese fürchterlichen Tonwellen in die entsetzlichsten Tonwogen; das Brüllen wurde zum Toben, und zwar nicht allgemein, sondern grad hinter mir. Ich drehte mich um und bemerkte in der Menge eine eigenartige, von dem steten Vorwärtsdrängen abweichende Bewegung, die ich mir nicht erklären konnte. Man stelle sich an ein stehendes Wasser und sehe einen Fisch, der an der Oberfläche in gerader Richtung schwimmt! Das Wasser wird vorn an der Spitze seines Kopfes gehoben werden und nach hinten dann nach rechts und links auslaufende Strahlen werfen. Die Köpfe der Menschenmenge hinter mir als eine solche Wasserfläche gedacht, bemerkte ich ganz dieselbe nach beiden Seiten auslaufende Strahlenbewegung, konnte aber den Fisch nicht sehen, welcher auch ganz so, wie der erwähnte, das Wasser mit seiner Schnauze hob; das heißt mit anderen Worten, die Menschen vor sich in die Höhe warf; denn es wurden in langsam fortschreitender, grad auf mich zu gerichteter Bewegung alle von der Spitze dieser Bewegung getroffenen Personen über die Köpfe der Menge emporgeschleudert. Wer oder was war der Karpfen oder der Hecht, der auf der Fläche der dichtgedrängten Menschenköpfe diese sonderbaren Wellen warf? Ich wußte es nicht und konnte es nicht erfahren, denn ein jeder, den ich fragte, war mit sich selbst und seiner Rettung so sehr beschäftigt, daß er keine Zeit oder Lust hatte, mir Antwort zu geben.

Der unsichtbare Fisch kam, von einem gradezu sinnverwirrenden Toben menschlicher Stimmen begleitet, langsam aber sicher näher. Fast hatte er Halef erreicht, der ihn nicht bemerkte; da hob ich beide Arme empor, um eine warnende Bewegung zu machen, kam aber damit zu spät, denn grad in diesem Augenblicke wurde auch der kleine Hadschi emporgeschleudert. Er hatte sich unter einem breit- und tiefästigen Horbaume befunden und flog so hoch, daß er, die Hände unwillkürlich nach Hilfe ausstreckend, einen der Äste ergriff und an demselben hängen blieb. Natürlich brüllte er nun auch, was er nur brüllen konnte; ich hörte es zwar nicht, aber ich sah es an seinem Munde, der jetzt nicht mehr ein Mund, sondern ein Maul zu nennen war und so weit aufgerissen wurde, daß sich alle zweiunddreißig Zähne präsentierten, denn Halef besaß ein Gebiß, um welches er beneidet werden konnte.

Indem ich ihn beobachtete, dachte ich nicht an mich; da fuhr mir plötzlich etwas zwischen die Beine. Ehe ich darnach fassen und mich überzeugen konnte, was es war, wurde ich auch emporgehoben und erhielt einen plötzlichen, kräftigen Schwung, sicherlich vier Ellen hoch, aus welcher Höhe ich verkehrt auf die Köpfe der Menschenmenge niederstürzte, wo ich, ohne den Erdboden wieder zu erreichen, von zwanzig, dreißig, vierzig Händen, die sich nach mir ausstreckten, ergriffen, gestoßen, gezogen, geschoben und gezerrt wurde, daß ich beinahe auch wie Halef den Mund weit aufgerissen hätte, um mit zu brüllen. So wurde ich eine kleine Weile, auf den Köpfen der Menschen liegend, hin und her gerissen, bis mir der Gedanke kam, mich auf ungewöhnliche Weise in Sicherheit zu bringen. Ich war in den Prairien Nordamerikas oft mit andern Jägern mitten in die Herden wilder Büffel hineingeritten und, während die Herde vorwärts stürmte, von dem Rücken des einen Bison auf den Rücken des andern gesprungen, was man thut, um sich das zum Fleischmachen passendste Tier auszusuchen. Daran dachte ich jetzt. Ich befreite mich von den Händen, die mich grad gepackt hielten, richtete mich halb auf und turnte mich mit allen vieren auf den Köpfen hin, wobei ich gar keine Rücksicht darauf nahm, wohin ich meine Hände und Füße setzte und zahlreiche Püffe und Stöße austeilte, aber deren auch soviel und mehr zurückbekam, als ich mir nur wünschen konnte. Wie dann später mein Gewand aussah, kann man sich wohl denken! Doch: mit der Nadel in der Hand, flickt man öfters sein Gewand!

Mein Rettungsweg war nach der Pappel gerichtet, in deren Zweigen Halef jetzt in olympischer Ruhe und Sicherheit thronte; es war gar nicht weit dorthin, aber die Stöße, welche ich austeilte und wiederbekam, erschwerten mir die Passage in der Weise, daß ich endlich mit wenigstens fünfzehn Minuten »Verspätigung« bei meinem Hadschi Halef Omar einfuhr. Einfuhr ist hier das ganz richtige Wort, denn ich flog gradezu in das Gezweig hinein und mußte mich fest anklammern, um nicht auf der andern Seite wieder hinauszufliegen.

Halef schrie mir etwas zu, was ich aber nicht verstand. Ich war von der gehabten Anstrengung fast erschöpft; ich schnappte förmlich nach Atem und fühlte das Schlagen des Pulses durch den ganzen Körper. Als ich nach einigen tiefen Atemzügen ruhiger geworden war und mir einen festen Sitz genommen hatte, fand ich Zeit, den Blick unter mich zu richten, und da sah ich denn endlich den sonderbaren, geheimnisvollen »Fisch«, der sich stet und kräftig in das Menschenmeer hineinarbeitete und Halef und mich mit seiner Schnauze so hoch emporgeworfen hatte. Dieser Fisch war die Tulumba, die Feuerspritze. Sie war jetzt an der Pappel vorüber; wir beobachteten, wie sie sich weiterarbeitete, und konnten ihre Konstruktion erkennen.

Ich war, als ich diese Konstruktion sah, zunächst ziemlich verblüfft, brach aber dann in ein herzliches Lachen aus, welches leider in dem allgemeinen Getöse vollständig verloren ging. Auch Halef lachte, wie ich seinem lustig verzogenen Gesichte ansah.

Wenn ein Feuer ausbricht, muß man es mit Wasser löschen; das ist jedenfalls ein guter Gedanke. Wenn ein Feuer ausbricht, so strömen die Menschen scharenweise zusammen; das ist ein Gedanke, welcher jedenfalls auch viel Wahrheit für sich hat. Ein abendländischer Spritzenfabrikant würde den ersten Gedanken für den Hauptgedanken erklären. Der orientalische Meister aber, aus dessen Händen die Tulumba hervorgegangen war, hatte eine Logik gezeigt, die alle occidentale Logik weit übertraf. Er hatte den Zeigefinger an die Nase gelegt und sich gesagt: »Was nützt es, wenn man aus einer Tulumba Wasser in das Feuer spritzen kann und es wegen des Menschenandranges nicht möglich ist, sie an den Ort zu bringen, wo es brennt!« Er hielt also pfiffigerweise den Transport des Wasserspeiers für wichtiger als das Spritzen selbst und hatte infolgedessen bei der Konstruktion das Hauptgewicht darauf gelegt, die Hindernisse zu bewältigen, welche der Fortbewegung der Tulumba im Wege standen. Er als Erfinder hatte wahrscheinlich auch einmal von den »sechs einfachen Instrumenten«, Hebel, Rolle, Rad, schiefe Ebene, Keil und Schraube, gehört und dabei eine besondere Vorliebe grad für den Keil gefaßt. War es da ein Wunder, daß ihm die geplante Tulumba in keilförmiger Gestalt im Traum erschienen war und er diesen Wink des Traumgottes ausgeführt hatte? Ja, er war sogar noch klüger und umsichtiger als dieser Gott gewesen, denn er hatte die keilförmige Konstruktion mit einer hebelnden Bewegung versehen, durch welche es ermöglicht wurde, jeden der Tulumba nicht ausweichenden Menschen einfach in die Luft zu schleudern, worauf es dann in dem Belieben des Betreffenden stand, entweder in der Luft kleben zu bleiben oder sich mit den bekannten Fallgesetzen auf vertraulichen Fuß zu stellen.

Ich fühle mich außer stande, die Möglichkeit in Abrede zu stellen, daß sich unter meinen Lesern der Besitzer einer deutschen Spritzenfabrik befindet. Sollte es dieser Herr für zu seinem weiteren Fortkommen unbedingt notwendig halten, die Konstruktion der Tulumba von Khoi kennen zu lernen, so füge ich für ihn die Zeichnung dieser Feuerspritze bei, wobei ich zugleich den Zweck verfolge, meine geometrischen Talente bewundern zu lassen.

Zum Verständnisse dieser Zeichnung diene folgendes: a b ist eine Wagenachse, an welcher sich in a und b zwei sehr hohe Räder drehen; auf ihr ruht das aus starkem, festem Holz gefertigte Gestell c a d b, dessen Widerstandsfähigkeit durch den Balken c d erhöht wird. Das Ganze bildet also einen zweiräderigen Wagen mit je einem langen, schmalen Balkendreieck vorn und hinten, die sich die Wage halten. Es bedarf also gar keiner Anstrengung, das hintere Dreieck zu senken und dadurch das vordere zu heben, oder umgekehrt. Die Mannschaft der Tulumba befindet sich im Innenraume des hinteren Dreieckes, kann also mit den zu beseitigenden Inhabern des Ehrentitels »Publikum« nicht in direkte Karambolage kommen. Diese Feuerwehrmänner – es waren ihrer zwanzig – schieben das Gestell vorwärts, ohne alle Rücksicht in die Menschenmenge hinein. Sie heben dabei von Zeit zu Zeit die hinteren Balken hoch, wodurch sich der vordere Teil tief senkt und den im Wege stehenden an und zwischen die Beine gerät, denn die Spitze geht in einen schmalen, scharfen Balken aus. Ziehen sie nun hinten plötzlich nieder, so werden diejenigen, welche von der Spitze ergriffen worden sind, je nach der Gewalt des Ruckes mehr oder weniger hoch emporgeworfen, während die keilförmige Gestalt die andern auf die Seite drängt. Man kann sich das Geschrei, die Quetschungen und Püffe denken, die es giebt, wenn so ein Keil in die dichte Menschenmenge hineingerannt wird! Auf den Gedanken, eine solche Tulumba zu bauen, kann man freilich auch nur kommen, wenn man es mit einer kurdischen Bevölkerung zu thun und ein kurdisches Gehirn im Kopfe hat.

Es ist selbstverständlich, daß die Spritze nur höchst langsam vorwärts kommt, denn es muß sehr oft angehalten werden, und es kommt häufig vor, daß sich das widerspenstige Publikum zur Wehre setzt. Geschah es doch auch im gegenwärtigen Falle, daß die Talumba die Brandstätte gar nicht erreichte und das große Holzlager, welches die Brandstifter angesteckt hatten, vollständig eingeäschert wurde.

Aber der umsichtige Erfinder hatte wirklich auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß die Spritze an dem Orte ihrer Bestimmung ankam, und für diesen Fall bei Punkt e der Wagenachse einen starken Haken angebracht, an welchem ein Wasserfaß mit einigen Eimern hing. Wenn ich seit jener Zeit nach Beispielen suche, um die sozialen Verhältnisse des Orients zu illustrieren, so fällt mir immer zuerst die Tulumba von Khoi ein. Übrigens ist dieser kurdische Ort Khoi ja nicht mit der persischen Stadt gleichen Namens zu verwechseln, welche in der Provinz Aserbeidschan an der Karawanenstraße von Erzerum nach Tobriz liegt und eine der schönsten persischen Städte mit gegen dreißigtausend Einwohnern ist.

Ich blieb mit Halef auf der Silberpappel sitzen, bis die Tulumba nicht mehr zu sehen war und mit ihr sich das Gedränge verzogen hatte. Dann stiegen wir herunter. Jetzt fühlte ich erst die Püffe und Stöße, die ich bekommen hatte. Auch Halef rieb verschiedene Teile des Körpers und sagte dabei in seiner eigenartigen, humoristischen Weise:

»Sihdi, wenn das Feuer dort so brennt, wie mir meine Glieder brennen, so ist es nicht zu löschen, zumal im Fasse der Tulumba kein Wasser war.«

»Kein Wasser? Weißt du das?«

»Ja, denn einem von den Männern, welche die Spritze schoben, war der Tschibuk ausgegangen und er steckte ihn in das Faß, um ihn dort aufzubewahren, was er doch wohl unterlassen hätte, wenn Wasser drin gewesen wäre.«

Ich mußte laut auflachen. Ein Feuerwehrmann mit dem Tschibuk, und das Wasserfaß als Aufbewahrungsort für Tabakspfeifen, das war doch mehr als komisch! Halef lachte mit und fuhr fort:

»Der Mann, der diese Tulumba erfunden hat, muß den Gedanken dazu vom obersten der Schejatin erhalten haben.

Möge er dafür in der Hölle braten, wo es hoffentlich keine Feuerspritzen giebt, die Marterflammen auszulöschen. Mein Leib fühlt sich an wie eine alte Kameldecke, aus welcher der Schmutz von hundert Jahren herausgeklopft worden ist. Ein Glück ist’s, daß das Kismet so vernünftig war, mir diese Hor et thalis hierherzusetzen, die dir auch Schutz gegeben hat! Als du auf den Köpfen dieser Männer von Khoi herumzappeltest, stach mich der Schmerz des Mitleids durch die Seele. Deine Haltung und deine Bewegungen waren so majestätisch wie diejenigen des Padischah von Persien, wenn er Audienz erteilt, und wenn mich nicht der Gedanke an unsere Pferde – – oh, Effendi, unsere Pferde, unsere Pferde! Was würden wir thun, wenn man sie gestohlen hätte!«

»Komm schnell nach dem Khan, Halef! Der Weg dorthin ist nun freigeworden, und ich fühle eine Unruhe in mir, die sich nicht weggebieten läßt. Wir müssen zu den Pferden!«

Indem ich diese Worte sprach, lief ich auch schon mit eiligen Schritten davon, und der kleine Hadschi folgte mir, indem er wegen seiner Beine, die bedeutend kürzer waren als die meinigen, sich beinahe springend fortbewegte. Wir dachten nicht mehr an das Feuer, sondern nur noch an die Pferde, die wir in hilfsbereiter Menschenfreundlichkeit auf so unverantwortliche Weise ohne Aufsicht gelassen hatten. Es gab eine Stimme in mir, welche so deutlich und bestimmt, als ob ein Mensch zu mir spräche, behauptete, daß in Beziehung auf die Tiere etwas geschehen oder irgend etwas nicht in Ordnung sei. Leider sollte diese Stimme recht behalten, denn als wir den Khan erreichten, in dessen Hof sich kein Mensch befand, weil außer der Wirtin alle nach der Brandstätte gelaufen waren, und dort in die Stube traten, fanden wir dieselbe vollständig dunkel, denn es brannte kein Licht, und das Feuer auf dem Herde war ausgegangen. Ich wartete gar nicht ab, bis ich die hintere Abteilung erreichte, sondern rief gleich beim Eintreten mein Pferd beim Namen. Es war gewohnt, mir stets und gleich durch ein freundlich klingendes Schnauben zu antworten; diese Antwort aber blieb jetzt aus, und so eilte ich erschrocken hinter, indem ich dem Hadschi zurief:

»Sie sind fort, Halef, sie sind fort, denn wären sie noch da, so würde Rih sich hören lassen!«

Halef blieb stehen; er, der sonst so wackere Mann, der keine Furcht und kein Zagen kannte, konnte vor Schreck nicht weiter. Ich hörte es ihm an, daß es ihm Mühe machte, die Worte hervorzustoßen:

»Fort, fort sind sie? Allah mu’awin – Gott sei unser Helfer! Wenn man uns die Pferde gestohlen hat, so liegen wir hier wie Fische auf dem Trockenen. Mir ist der Schreck in alle meine Glieder gefahren; ich hoffe, daß wenigstens die deinigen davon verschont bleiben!«

Als ich die hintere Abteilung erreichte und die Hände nach den Pferden ausstreckte, griff ich in die Luft; meine Ahnung hatte mich also nicht betrogen. Und eine fast noch schlimmere Befürchtung durchzuckte mich, als mir jetzt unsere Waffen einfielen. Wenn meine Gewehre auch fort waren, so ergab das doppelten Verlust. Ich hatte sie, ehe wir vorhin fortrannten, zu Halefs Flinte in die hintere Ecke gelegt und unsere Decken darauf geworfen. Jetzt war ich mit einigen raschen Schritten dort und bückte mich nieder. Gott sei Dank! Die Decken lagen noch da, und ich fühlte unter ihnen die Gewehre! Zugleich hörte ich Halef rufen:

»Sind sie fort, sind sie wirklich fort, die Pferde, Effendi?«

»Leider, ja!«

»So möge der Scheitan die Diebe braten und bis auf die Knochen verbrennen lassen, daß seine brennende Großmutter keinen Bissen von ihnen genießen mag! Ich muß mich selbst überzeugen, ob es wahr ist. Ich komme hinter; ich komme zu dir! Und wenn dann die – – – Allah! Da bin ich über eine Person gestolpert, welche am Boden liegt und – -o Allah, Allah! Komm he rzu mir, Sihdi, komm schnell her! Da liegt ein Mädchen oder ein Weib, eine Frau, die rund um den ganzen Körper gebunden ist und nicht reden kann, weil sie einen Knebel im Munde hat. Das können nur die Diebe gewesen sein, denn ein ehrlicher Mensch kennt die Regeln der Höflichkeit, nach denen man die Frauen zu behandeln hat und die es jedermann verbieten, einer Sejide einen Gegenstand in den Mund zu stecken, nach dem sie keinen Appetit verspürt!«

Der kleine Kerl behielt selbst in der gegenwärtigen Lage die possierliche Ausdrucksweise bei, die eine Folge seiner stetigen guten Laune war. Ich folgte natürlich seiner Aufforderung, ging aber zuerst nach dem Tische, wo ich den Stumpf des Talglichtes, welches vorhin dort gebrannt hatte, noch vermutete. Er war noch da und ich erhellte mit seiner und eines Zündholzes Hilfe die Stube. Da sah ich die Wirtin am Boden liegen; sie war mit Baststricken umwickelt, daß sie sich nicht rühren konnte, und hatte soviel von ihrer Schürze, wie nur möglich war, in den Mund gestopft bekommen. Als wir sie von den Fesseln und dem Knebel befreit hatten, holte sie einige Male tief, tief Atem und bat dann in flehendem Tone:

»Thu mir nichts, Emir! Laß es nicht mich entgelten, denn ich bin unschuldig, vollständig unschuldig daran!«

»Das glaube ich dir,« antwortete ich. »Es fällt mir gar nicht ein, dir Übles zuzufügen. Setz‘ dich hierher an den Tisch, und erzähle uns ausführlich, was sich während unserer Abwesenheit hier zugetragen hat!«

Ich führte sie, die an allen Gliedern zitterte, zur Bank und zog sie auf dieselbe nieder. Es dauerte trotz meines begütigenden Zuredens eine geraume Zeit, ehe sie in gesammelter Weise erzählen konnte:

»Als alle Menschen zum Feuer rannten, wollte ich auch mit fort; aber es fiel mir ein, daß ich das Haus nicht allein lassen dürfe und also hier bleiben müsse. Aber ich fürchtete mich draußen und ging darum herein in diese Stube. Kaum befand ich mich hier, so kamen viele fremde Kerls herein, welche wie Räuber bewaffnet waren und über mich herfielen. Ich wurde gebunden und dann nach euch gefragt, ob Emir Kara Ben Nemsi Effendi und Hadschi Halef Omar wirklich eure Namen seien. Wenn ich mein Leben retten wollte, so mußte ich die Wahrheit sagen, denn der Anführer stand mit dem gezückten Messer vor mir und drohte, mich zu erstechen, wenn ich mich weigere, ihm die richtige Antwort zu geben. Kannst du mir darüber zürnen, daß ich mein Leben behalten wollte, Emir?«

»Nein, du bist vollständig unschuldig. Sag, kanntest du nicht wenigstens einen dieser Diebe?«

»Nein; sie waren mir alle unbekannt; aber ich weiß dennoch, wer sie gewesen sind, denn ehe sie sich entfernten, sagte mir der Anführer, um euch zu ärgern und zu verhöhnen, wer sie seien.«

»Ah! Das ist mir von der größten Wichtigkeit! Wahrscheinlich aber hat er gelogen, um uns irre zu führen. Welche Namen hat er genannt?«

»Er hat nicht gelogen, sondern er ist wirklich der, für den er sich ausgab, denn ich sah die tiefe Schmarre auf seiner rechten Wange, und ich weiß, daß Schir Samurek eine solche Schmarre besitzt, die er im Kampfe mit den Bebbehkurden erhalten hat.«

»Ah, Schir Samurek! Meinst du etwa den Scheik der Kurden vom Kelhur-Stamme?«

»Ja, der war es, Effendi. Alle Kelhurs sind Räuber, und er ist der oberste und schlimmste aller Räuber. Sie hatten es auf eure Pferde abgesehen. Dein Hengst biß und schlug um sich wie ein Teufel, als er hinausgeführt werden sollte; aber sie hatten Stricke mitgebracht, die sie ihm um die Beine warfen und so gelang es ihnen, ihn hinauszuziehen. Mit dem Pferde des Hadschi Halef Omar hatten sie keine solche Not. Sie waren voller Bewunderung und Entzücken über den Rappen, und der Scheik freute sich so sehr über das Gelingen des Raubes, daß er mir, ehe ich den Knebel in den Mund erhielt, erzählte, wie er auf den Gedanken gekommen ist und ihn ausgeführt hat, sich dein Pferd zu holen. Er hat mir sogar befohlen, es dir zu erzählen. Er meinte, du solltest erfahren, wie sehr du betrogen worden bist, und würdest dann einsehen, daß alle Christenhunde Dummköpfe seien.«

»Schön! Zu dieser Einsicht wird mich niemand bringen; höchst wahrscheinlich aber wird im Gegenteile er sehr bald erkennen, daß diese Verhöhnung der größte Fehler war, den er begehen konnte. Zunächst freilich wird er und sein Stamm sehr stolz darauf sein, das weltberühmte Pferd jetzt zu besitzen, doch bin ich überzeugt, daß diese Freude keine lange Dauer hat. Wie hat er denn erfahren, daß ich mich hier in eurem Khan befinde?«

»Du wirst erstaunen, wenn du das erfährst, Emir! Weißt du, wer der Mensch gewesen ist, der unser Geld gestohlen hat, obgleich wir ihm alle Ehren der Gastlichkeit erwiesen haben?«

»Nein.«

»Es giebt unter den Bebbeh-Kurden einen, den alle seine Feinde fürchten und alle seine Freunde hassen, denn sie sind nicht wirklich seine Freunde, sondern nennen sich nur so. Er ist listig wie Abu Hossein, gewaltthätig wie Assad und blutdürstig wie ein Parsa mit dem schwarzen Felle. Es genügt ihm nicht, bei seinem Stamme zu bleiben und an den Kämpfen desselben teilzunehmen, sondern wenn die Bebbeh mit den andern Aschair in Frieden leben, zieht er allein hinaus, um auf eigene Faust zu rauben und zu stehlen. Er heißt Aqil und ist der Oheim der beiden Scheiks Ahmed Azad und Nizar Hared, welche Söhne des früheren Scheikes Gasahl Gaboya sind.«

»Kull ru’ud – alle Donner!« entfuhr es mir, der ich mich nur höchst selten einmal zu einem solchen Kraftworte hinreißen lasse. »Von diesem Menschen habe ich noch nie etwas gehört. Und Aqil heißt er? Weißt du das gewiß?«

»Ja, Effendi; ich irre mich nicht, denn man spricht grad hier in unserer Gegend sehr viel von seinen Thaten.«

»Und der Gast, mit dem wir hier gegessen haben, nannte sich Ssali Ben Aqil! Er leugnete zwar, ein Kurde zu sein, doch glaubte ich ihm nicht. Sollte er der Sohn dieses Aqil sein, von dem du redest?«

»Er ist es, Emir.«

»Das hast du gewußt und ihn doch herein in das Haus gelassen?!«

»Ich habe es nicht gewußt, sondern es erst von Schir Samurek erfahren, der mir befahl, es dir zu sagen, ›damit dein Leib vor Ärger platze‹; das waren nämlich ganz genau die Worte, die er sagte.«

»Gut! jetzt möchte ich wissen, ob die Anwesenheit dieses Ssali Ben Aqil mit dem Hiersein seines Vaters im Zusammenhang steht.«

»Nein, der Sohn hat nicht geahnt, daß sein Vater kurz vor ihm hier bei uns gewesen ist. Auch das hat mir der Scheik der Kelhur-Kurden erzählt. Und nun kommt das wichtigste, was ich dir zu sagen habe, weil ich es dir sagen soll. Die Kelhur und die Bebbeh stehen nämlich in Blutrache miteinander, welche daher stammt, daß Aqil vor zwei Jahren einen Kelhur getötet hat. Das fordert das Blut Aqils oder eines Verwandten von ihm, denn durch eine Zahlung kann es nicht friedlich ausgeglichen werden, weil die Kelhur einen Preis gefordert haben, der nicht zu erschwingen ist. Aber heut hat Aqil doch geglaubt, diesen hohen Preis zahlen zu können und deshalb die Kelhur aufgesucht, von denen er wußte, daß sie in der Nähe unserer Stadt lagerten.«

»Welch ein Gedanke von diesem Kerl! Ich ahne, was du sagen willst. Er hat sich durch meinen Rapphengst von der Blutrache loskaufen wollen?«

»Ja. Er war, ohne daß wir es ahnten, hier bei uns. Da kamt ihr; er hörte, wer ihr seid, und sah auch eure Pferde. Schon vorher hatte er beschlossen, unser Geld zu stehlen; er that es und ritt dann auf unserm Pferde zu den Kelhur, um ihnen deinen Hengst als Blutpreis anzubieten.«

»Das war allerdings mehr als mutig, das war verwegen, ja tollkühn von ihm! Wahrscheinlich hat er heut nacht das Pferd stehlen oder später auf irgend eine Weise in seinen Besitz bringen und ihnen dann zuführen wollen; aber er konnte sich doch denken, daß sie ihn zunächst festhalten und dann zwingen würden, ihnen zu sagen, wo es zu haben ist!«

»Ja, Emir; so wie du es sagst, genau so ist’s geschehen. Sie haben ihn ergriffen und so lange geprügelt, bis er gesagt hat, daß ihr hier bei uns seid. Nun bekommt er den Lohn für seine Thaten: er muß den Blutpreis mit dem Leben zahlen; sie aber haben ihm nicht nur das gestohlene Geld abgenommen, sondern sind auch hierher geritten, um sich dein Pferd selbst zu holen. Unterwegs ist ihnen auch sein Sohn in die Hände gefallen, der nun ebenso verloren ist wie sein Vater. Oh, Effendi, Allah hat es nicht gut mit dir und uns gemeint, denn unser Geld ist weg und dein Rappe ist weg. Was die Kelhur in ihren Händen haben, das geben sie nie wieder heraus!«

»Das mag eine Eigentümlichkeit von ihnen sein, von der sie nicht freiwillig abgehen werden; aber ich habe auch gewisse Eigentümlichkeiten, die ich mir nicht nehmen lasse. Dazu gehört zum Beispiel die Gewohnheit, daß ich, wenn ich bestohlen worden bin, nicht eher ruhe, als bis ich das Gestohlene zurückbekommen habe.«

»Meinst du etwa, daß du von den Kelhur-Kurden dein Pferd zurückverlangen willst?«

»Ja.«

»So willst du sie aufsuchen?«

»Ja.«

»Aber du weißt doch nicht, wohin sie von hier aus geritten sind!«

»Ich werde sie trotzdem finden.«

»So müßtest du allwissend sein!«

»Nur Allah ist allwissend; aber er hat uns in seiner Allweisheit den Verstand gegeben, mit dessen Hilfe man das, was man nicht weiß, ergründen und erfahren kann.«

»Willst du dein Leben von dir werfen, Effendi? Weißt du, was es heißt, die Kelhur zu verfolgen, um den Raub von ihnen zurückzufordern? Ihr begebt euch dadurch in den sichern Tod!«

»Du irrst. Der Tod ist nur den Kelhur sicher, wenn sie sich weigern, uns die Pferde zurückzugeben.«

Da bog die Frau den Oberkörper zurück und sah mich mit prüfenden Blicken an wie einen Wahnsinnigen, vor dem man sich in acht zu nehmen hat. Und als es ihr nicht gelang, etwas Verrücktes an mir zu entdecken, schüttelte sie den Kopf und sagte: »Effendi, ich habe gehört, daß ihr Christen Leute seid, welche nicht nur anders glauben und anders fühlen und denken, sondern auch alles anders machen als wir. Darum ist es vielleicht möglich, daß du etwas erreichst, wo ein gläubiger Moslem nichts erreichen würde. Du und Halef, ihr beide habt viel gethan, was man eigentlich nicht glauben möchte. Denkt ihr wirklich, daß es euch gelingen könne, eure Pferde wieder zu bekommen?«

»Ja, das denken wir.«

»Allah! Wenn die Kelhur gezwungen werden können, euch euer Eigentum zurückzuerstatten, könnte man sie doch auch dazu anhalten, uns unser Geld wiederzugeben?«

»Allerdings.«

»Aber kein Einwohner von Khoi würde es wagen, zu ihnen zu gehen, um ihnen dieses Ansinnen zu machen. Emir, weißt du wohl, wie höflich und gastfreundlich wir dich empfangen und behandelt haben?«

Es war eine sehr wohlbegründete und erlaubte Schlauheit, welche ihr diese Frage diktierte, und ich ging bereitwillig auf dieselbe ein, indem ich lächelnd antwortete:

»Ja, ich weiß sehr wohl, welche Aufmerksamkeit wir euch zu verdanken haben.«

»So sag, ob euch eure Lehre vielleicht die Dankbarkeit verbietet!«

»Die Dankbarkeit ist eine der hervorragendsten Tugenden jedes Christen.«

»Oh, Effendi, dann bitte ich dich, ein recht guter Christ zu sein und deiner Lehre zu gehorchen, indem du uns wieder zu unserem Gelde verhilfst!«

»Gesetzt, daß ich bereit bin, dir diesen Wunsch zu erfüllen, wie denkst du es dir, daß ich es ermöglichen kann?«

»Das brauche ich dir doch wohl nicht erst zu sagen. Du willst doch den Kelhurkurden nach, um ihnen eure Pferde wieder abzuverlangen; es würde eure Mühe nicht vermehren und die Gefahr nicht vergrößern, wenn ihr da auch gleich unser Geld mitbrächtet!«

Halef lachte, als er diese Worte hörte; ich aber antwortete sehr ernsthaft.

»Da hast du freilich recht, und ich bin auch sehr gern bereit, dir diesen Dienst zu erweisen, werde dies aber nicht thun können, wenn du mir nicht vorher einen Gefallen erweisest.«

»So sag schnell, was du verlangst! Wenn ich kann, werde ich es sehr gern thun.«

Ich hatte einen ganz besondern Grund, in dieser Weise mit ihr zu sprechen. Wir mußten unsere Pferde unbedingt wieder haben und die Diebe also verfolgen. Den Weg, den diese eingeschlagen hatten, mußten uns ihre Spuren verraten, welche aber erst nach Tagesanbruch zu sehen waren. Bis dahin hatten die Kurden jedenfalls einen Vorsprung, den wir nur mit Hilfe guter Pferde einholen konnten, und doch waren so wertvolle Tiere hier jedenfalls weder zu kaufen noch zu borgen, wenn es überhaupt welche gab. Ich Mußte, um mich nach ihnen richten zu können, diese Verhältnisse von der Wirtin erfahren und mich zugleich ihrer Hilfe versichern, falls es galt, etwas zu unternehmen, was sie eigentlich nicht gutheißen durfte. Darum antwortete ich:

»Wir müssen den Kelhur nachreiten und sie einholen; dazu brauchen wir Pferde. Denkst du, daß wir hier welche kaufen können?«

»Es giebt keinen Händler hier, und ich kenne auch keinen Pferdebesitzer, welcher den Gedanken hat, ein Pferd zu verkaufen.«

»Auch nicht zu verleihen?«

»Nein.«

»Das ist schlimm, denn wenn wir keine Pferde bekommen, können wir den Kelhur nicht folgen und dir auch nicht zu deinem Gelde verhelfen.«

»Oh, Effendi, wir haben noch zwei Pferde im Stalle; die werde ich euch leihen.«

»Sind sie gute Renner?«

»Nein. Sie sind schon fast zwanzig Jahre alt. Das beste hat dieser Aqil gestohlen und auf dem zweitbesten ist dann mein Mann fort.«

»So alte Tiere sind uns nichts nütze, denn die Räuber haben einen großen Vorsprung, den wir mit ihnen nicht einholen können. Du wirst also auf das schöne Geld verzichten müssen.«

»Allah kerihm – Gott ist gnädig; aber grad uns scheint er nicht seiner Gnade teilhaftig machen zu wollen,« klagte sie.

»Giebt es denn gar keinen Menschen hier, der zwei gute, schnelle Pferde hat?«

»Oh, es giebt wohl einen; aber der verkauft sie nicht und verborgt sie noch viel weniger.«

»Auch dann nicht, wenn er erfährt, daß er deinem Manne damit zu seinem Gelde verhilft?«

»Dann erst recht nicht, denn er ist ein Feind von uns.«

»So! Wer ist denn dieser Mann?«

»Unser Nachbar, der von Kerkuk hierher gezogen ist. Er ist erst ein kleiner Baijah gewesen und dann Tabbach el adwija geworden, als welcher er sich viel, sehr viel Geld verdient hat. Man sagt, daß er nicht ehrlich gewesen sei und deshalb Kerkuk habe verlassen müssen. Hier in Khoi ist er der reichste Mann und tritt wie ein Pascha von drei Roßschweifen auf. Er besitzt zwei teure Kamele und fünf noch teurere Pferde, von denen er erst kürzlich zwei gekauft hat, die noch nicht an den Stall gewöhnt sind.«

»Noch nicht an den Stall? So befinden sie sich wohl im Freien?«

»Ja.«

»Wo?«

»In dem Garten, welcher draußen vor dem Orte liegt.«

»Das ist aber doch eine sehr große Unvorsichtigkeit, zwei so gute Pferde da draußen so ohne alle Aufsicht stehen zu lassen!«

»Ohne Aufsicht sind sie nicht, denn in dem Garten steht ein Kiosk, in dem er selber schläft und von zwei Dienern bewacht wird.«

»Liegt dieser Garten nach derjenigen Seite der Stadt, wo die Feuersbrunst entstanden ist?«

»Nein, sondern nach Norden. Warum fragst du, Effendi?«

»Das kann ich dir nur sagen, wenn ich weiß, daß du verschwiegen bist. Vielleicht kannst du dadurch dein Geld wiederbekommen.«

»Emir, wenn das der Fall ist, wird kein Wort über meine Lippen kommen! Du bist klüger, viel klüger als mein Herr und Gebieter, welcher nach einer ganz falschen Richtung geritten ist; darum ist den Kelhur das Geld in die Hände gefallen. Ich habe dir noch gar nicht gesagt, wie die Feuersbrunst entstanden ist. Die Kelhur haben sie angezündet, weil sie dachten, ihr würdet hinlaufen und eure Pferde hier ohne Wache lassen; dann könnten sie sie leichter stehlen. Dies ist auch geschehen. Aber ihr werdet sie euch wiederholen und dabei auch unser Geld mitbringen. Nun sag mir aber auch, was ich verschweigen soll!«

»Ich will es dir sagen. Ich muß die Kelhur einholen; dazu brauche ich schnelle Pferde. Da ich sie aber weder verkauft noch verborgt bekomme, muß ich sie mir ohne Erlaubnis des Besitzers leihen. Verstehst du mich?«

Die Kurdin war nicht auf den Kopf gefallen. Sie blinzelte mir verständnisinnig zu, nickte dabei mit dem Kopfe und fragte:

»Wirst du sie ihm wiederbringen?«

»Natürlich! Wir sind keine Diebe.«

»Willst du dir etwa die beiden schönen, neuen Pferde des Apothekers borgen?«

»Ja.«

»Da kann ich nichts dagegen haben, zumal er nicht ein Freund von uns ist und ich dir sagen muß, daß es die schnellsten Pferde von ganz Khoi sind.«

»Hm, ja! Wenn ich nur genau wüßte, wo der Garten liegt!«

Sie senkte nachdenklich den Kopf und sagte nach einer Weile:

»Du wirst einsehen, Effendi, daß ich dir in einer solchen Sache nicht behilflich sein kann; aber wenn du es erlaubst, werde ich dir einen guten Rat geben.«

»Gieb ihn mir; ich bitte dich darum!«

»Brauchst du auch zwei Sättel?«

»Nein. Wir hatten die unserigen den Pferden abgenommen und sie dann als Kopfkissen gebraucht; sie liegen noch da hinten, denn die Kelhur haben sie, ich weiß nicht warum, nicht mitgestohlen.«

»So laßt von jetzt an einige Minuten vergehen; dann nehmt ihr die Sättel und verlaßt den Khan. Wenn ihr links an drei Häusern vorüber seid, werdet ihr eine Frau sehen, der ihr folgen müßt, ohne euch ihr aber ganz zu nähern. Draußen vor der Stadt wird sie euch ein Zeichen geben, indem sie den Stock, den sie in der Hand hat, an eine Pforte lehnt und sich dann entfernt. Ihr folgt ihr nicht weiter, denn diese Pforte gehört zum Garten, in welchem sich die Pferde des Apothekers befinden. Wollt ihr diesen Rat befolgen?«

»Ja.«

»So sei Allah mit euch! Er gebe, daß ihr das Geld wiederbringt; denn wenn es mein Herr und Gebieter nicht zurück erhält, muß er es ersetzen und wird so arm wie ein Bettler sein!«

Sie stand auf und ging hinaus. Halef sah mich an; lachte kurz und leise auf und fragte:

»Sihdi, willst du diese Pferde wirklich borgen?«

»Natürlich! Oder können wir anders?«

»Nein. Auch ist es ein Streich, der mir außerordentlich gefällt. Ich mache mit Vergnügen mit. Aber was denkst du von dieser Wirtin?«

»Sie ist eine sehr kluge Frau.«

»Klüger, viel klüger als ihr Mann! Wer wird das Weib sein, dem wir folgen sollen?«

»Sie selbst.«

»Das denke ich auch. Der Kopf des Mannes gleicht oftmals einem leeren Beutel; im Kopfe der Frau aber ist stets noch ein Piaster zu finden, und wenn der letzte herausgenommen worden ist, steckt immer noch ein allerletzter drin! Es ist nicht mehr lange bis zur Morgenröte. Wir müssen die Pferde haben, ehe es Tag geworden ist. Laß uns aufbrechen, Effendi!«

Wir nahmen unsere Gewehre, die Decken und jeder einen Sattel. Das Feuer beschäftigte immer noch alle Bewohner der Stadt. Wir kamen unbemerkt hinaus und bis an das bezeichnete Haus. Dort stand eine tief verhüllte Frau, welche einen Stock oder Pfahl in der Hand hatte. Es war natürlich die Wirtin, welche uns Hilfe leistete, ohne es später geständig sein zu wollen. Als sie uns kommen sah, ging sie weiter, und wir folgten ihr. Die Feuersbrunst war jetzt noch so groß, daß sie uns leuchtete.

Es ging auf bald schmalen und bald breiteren Wegen zwischen den Häusern und Hütten hin, bis wir den Ort hinter uns hatten. Da erreichten wir einen aus Dornen bestehenden langen Zaun, in dessen Mitte die etwa zwanzig Schritte vor uns hergehende Frau stehen blieb, um den Pfahl anzulehnen; dann huschte sie seitwärts fort. Als wir die Stelle erreichten, sahen wir eine Pforte, welche nicht verschlossen, sondern angelehnt war. Höchst wahrscheinlich hatte das Feuer den Apotheker auch so schnell angezogen, daß ihm der Gedanke an das Zuschließen nicht gekommen war. Wir gingen zunächst einige hundert Schritte weiter, bis wir im freien Felde einen Steinhaufen fanden, wo wir die Sättel und Gewehre niederlegten. Dann zur Pforte zurückgekehrt, schoben wir sie auf, hinter uns wieder zu und traten in den Garten.

Der Schein des Feuers wirkte hier nicht mehr so wie vorher; dennoch sahen wir die Bäume, den Kiosk und nicht weit von dem letzteren eine Art von Verplankung, nach der wir uns schlichen. Wir erreichten sie ungestört; die Diener schienen sich ebenso wie ihr Herr entfernt zu haben. Die beiden Pferde standen hinter den Planken, an Pfählen angebunden. Wahrscheinlich wußte der Apotheker nicht, daß gesunde Pferde sich des Nachts zu legen pflegen. Der Eingang zur Verplankung war bald gefunden. Wir gingen hinein und banden die Pferde los. Es waren zwei Grauschimmel, die sich zwar erst etwas sträubten, sich aber unsern Liebkosungen so zugänglich zeigten, daß sie uns dann willig folgten. Wir brachten sie glücklich hinaus und bis zu dem Steinhaufen, wo wir ihnen die Sättel auflegten.

Jetzt waren sie unser, und kein Mensch wäre imstande gewesen, sie uns wieder wegzunehmen. Wir hatten sie grad zur rechten Zeit bekommen, denn im Osten zeigte sich der fahle Schein des neuen Tages.

»Allah sei Dank; wir haben Pferde!« sagte Halef. »Und ich glaube, die Frau hat recht gehabt! Diese Grauschimmel scheinen von keinen schlechten Ahnen zu stammen. Aber nun fragt es sich, nach welcher Richtung wir uns zu wenden haben. Wie denkst du darüber, Sihdi?«

»Ich denke daran, daß die Kelhurkurden das Feuer angelegt haben, um uns und die Bewohner von Khoi nach der Brandstätte zu locken. Werden sie dazu einen Ort gewählt haben, an dem sie dann mit unsern Pferden vorüber mußten?«

»Gewißlich nicht; sie werden vielmehr dafür gesorgt haben, daß ihr Weg nach der entgegengesetzten Richtung liegt.«

»Nun, in dieser entgegengesetzten Richtung befinden wir uns jetzt. Reiten wir zehn Minuten langsam in derselben fort, so wird zwar der Schein der Feuersbrunst verschwunden, dafür der Morgen so hell geworden sein, daß wir nach den Spuren der Diebe suchen können. Sind diese gefunden, so verlieren wir sie sicherlich nicht wieder. Komm!«

Ich stieg auf, und Halef folgte meinem Beispiele. Dabei bemerkten wir, daß die Pferde Temperament besaßen und wohl seit langem keinen Reiter getragen hatten; sie mußten aber gehorchen. Noch waren die zehn Minuten nicht vergangen, so sahen wir seitwärts ein Pferd liegen. Wir ritten hin, und ich stieg ab, den Kadaver zu untersuchen. Man hatte es in den Kopf geschossen und zwar nicht früher als in dieser Nacht, denn das Blut, in dem es lag, war noch nicht ganz geronnen. Warum war es erschossen worden? Ich setzte mein»e Untersuchung fort und entdeckte sehr bald, daß es nicht weitergekonnt hatte, weil ihm ein Bein zerschlagen worden war.

»Halef, wir haben die Fährte schon!« rief ich, erfreut über diesen schnellen Erfolg. »Sieh die Fußspuren hier an der Erde! Fußspuren von Menschen und Fußstapfen von Pferden!«

»Aber ob es die Kurden gewesen sind?!«

»Ganz gewiß! Diesen Fund haben wir meinem Rih zu verdanken.«

»Wieso, Effendi?«

»Der Rappe verweigert, wie du weißt, fremden Leuten den Gehorsam; er ist nicht leicht fortzubringen gewesen, und gar aufsitzen, das hat niemand wagen dürfen. Sie hatten aber Eile, und da mögen sie ihn gedrängt, vielleicht gar mißhandelt haben; da hat er nach seiner Weise um sich geschlagen und diesem Pferde das Bein zerschmettert. Sie konnten es nicht mitnehmen, sondern mußten es erschießen und hier liegen lassen.«

»Ja, Sihdi, so mag es gewesen sein. Die Spur ist gefunden, und ich hoffe zu Allah, daß wir unsern herrlichen Rih bald wieder haben werden. Denkst du, daß ihr Vorsprung ein sehr großer ist?«

»Der Zeit nach läßt er sich genau bestimmen, nämlich vom Anfange des Brandes bis jetzt; die Entfernung aber können wir nicht so genau wissen. Sie haben sich gewiß beeilt; aber wir müssen auch die Widersetzlichkeit des Rappen mit in Betracht ziehen. Dieses kluge Tier weiß ganz genau, daß es uns entführt worden ist, und wird sich auf alle Weise wehren; schlägt man es, dann um so schlimmer, denn dann geht es erst recht nicht von der Stelle. Wenn es noch ein wenig heller geworden ist, werde ich die Fährte genauer bestimmen können, der wir nun folgen wollen.«

Ich stieg wieder in den Sattel, und wir ritten weiter, den Spuren nach, die so deutlich waren, daß wir sie gar nicht verfehlen konnten, obgleich der Tag erst zu grauen begonnen hatte und von einer eigentlichen Helle noch keine Rede war.

Unser Weg führte uns nach Norden. Die Kurden hatten alle Wege sorgfältig vermieden und überhaupt, wie wir aus verschiedenen Anzeichen erkannten, eine für sie ganz ungewöhnliche Vorsicht entwickelt. Als Halef sich darüber verwunderte, erklärte ich ihm:

»Sie wissen, mit wem sie es zu thun haben. Der Scheik hat in seinem Übermute der Wirtin alles mitgeteilt und, wie er wohl auch wissen wird, durch seinen Hohn unsere Thatkraft herausgefordert. Er muß sich sagen, daß wir alles mögliche thun werden, wieder zu unsern Pferden zu gelangen, und ihm also folgen werden. Da muß er sich nun nach allem, was er von uns gehört hat, sagen, daß er Leute hinter sich hat, welche eine solche Verfolgung in ganz anderer Weise betreiben als die gewöhnlichen Bewohner dieser Gegend. Daher die Vorsicht, deren er sich in jeder Beziehung zu befleißigen scheint. Aber, so groß sie auch ist, mit unserer Erfahrung kann er sich doch nicht messen. Wir sind ihm, wenn wir von der Zahl der Personen absehen, auf alle Fälle überlegen.«

»Da hast du recht, lieber Sihdi,« nickte der Hadschi zustimmend. »Du hast es jenseits des großen Meeres im Bilad Amirika gelernt, wie man eine Fährte zu lesen und ihr zu folgen hat, und bist in dieser großen Kunst nun hier mein Lehrmeister gewesen. Wir werden zwar, weil wir nur zwei Personen sind, etwas wagen müssen, aber unsere Pferde ganz gewiß wieder bekommen. Denn ein Ausbund von Klugheit ist dieser Scheik der Kelhur nicht; das hat er ja heute nacht bewiesen.«

»Wodurch?«

»Dadurch, daß er unsere Gewehre und die Sättel nicht beachtet hat. Denke nur, wie kostbar dein Reschma ist! So ein Sattel- und Riemenzeug kann kein Kelhurkurde haben. Diese Kerls müssen ja geradezu mit Blindheit geschlagen gewesen sein, daß sie sich diesen Schatz und Schmuck entgehen ließen!«

»Es ist aber sehr leicht zu erklären, wie das geschehen konnte. Erstens haben sie es sehr eilig gehabt, denn wir konnten wieder kommen, ehe sie fort waren, und da es nur auf meinen Rih abgesehen war, fühlten sie sich befriedigt und nahmen sich nicht die Zeit, weiter zu forschen, als sie ihn hatten. Und zweitens ist es hinter der Schirmwand in unserer Abteilung dunkel gewesen, so daß sie in der Eile die Gegenstände, welche noch da lagen, gar nicht gesehen oder beachtet haben. Höchst wahrscheinlich hat ihnen Aqil, als sie ihn zum Geständnisse zwangen, von dem Reschma nichts gesagt.«

»So wollte ich, er sagte es ihnen jetzt. Wie würden sie sich darüber ärgern, daß sie sich eine so reiche Beute haben entgehen lassen! Mögen sie dafür in der Hölle auf Sätteln reiten müssen, welche aus glühendem Eisen bestehen und mit den tausendspitzigen Häuten teuflischer Kanafid überzogen sind!«

Die Fährte führte uns über grasiges Terrain, welches die Spuren deutlich erkennen ließ. Der Tau hing noch an den Halmen und flimmerte gleich Perlen und Diamanten im Strahle der aufgehenden Sonne. Die niedergetretenen Gräser hatten sich noch nicht wieder aufgerichtet. Aus diesem Umstande, der Windrichtung, der Bodenart und andern Verhältnissen, welche mit in Betracht zu ziehen waren, schloß ich, daß sich die Kurden ungefähr um einen Zweistundenritt vor uns befanden. Verglich ich damit den Zeitraum von jetzt an bis zurück, als sie wahrscheinlich Khoi verlassen hatten, so kam ich zu dem Resultate, daß ihre Schnelligkeit keine ungewöhnliche war, obgleich sie sich jedenfalls sehr beeilten. Daran war nur Rih, mein Rappe schuld.

Nach dieser Berechnung konnten wir sie in drei Stunden ohne eine übermäßige Anstrengung unserer Pferde einholen, und so setzten wir sie, die wir bisher noch gar nicht angetrieben hatten, nun in schnelleren Gang. Halef nahm an, daß wir gleich in Aktion würden treten können, sobald wir die Kurden erreicht haben würden; dem setzte ich aber entgegen:

»Wie viel Reiter glaubst du wohl, daß wir vor uns haben?«

»Ich verstehe das nicht so genau zu beurteilen wie du, Sihdi, zumal ihre Spuren zeigen, daß sie nicht Ordnung gehalten haben, sondern immer wirr untereinander hineingeritten sind; aber es müssen ihrer so ungefähr dreißig sein.«

»Ich schätze sie wenigstens auf vierzig Mann.«

»Das thut doch nichts, zehn Mann mehr oder weniger, das ist uns ganz gleichgültig; wir nehmen ihnen doch auf alle Fälle die Pferde ab!«

»Stelle dir das nicht so leicht vor! In diesem Augenblicke können sie schon ein Hundert oder mehrere Hundert zählen.«

»Wieso, Sihdi? Ein Kurde ist doch keine Namusa, die sich unterwegs in der Luft vermehrt!«

»Erstens vermehren sich selbst die Mücken nicht in der Luft, und zweitens mußt du damit rechnen, daß die Kelhur, welche uns bestohlen haben, sehr wahrscheinlich nur eine Abteilung eines größeren Lagers gebildet haben.«

»Wie kommst du auf diesen Gedanken?«

»Indem ich die Umstände in Betracht ziehe. Nämlich Aqil hat die Kelhur aufgesucht, um mit ihnen zu verhandeln; er hat also gewußt, wo sie sich befunden haben. Vierzig Reiter aber sind eine sehr bewegliche Truppe, die bald hier und bald da auftaucht und von der man nicht wissen kann, wo sie zu finden ist. Wenn also Aqil so genau gewußt hat, wo die Kurden anzutreffen waren, so hat es sich nicht um eine so mobile Reiterschar, sondern um ein viel weniger bewegliches Lager gehandelt. Ich denke, daß du das einsehen wirst.«

»Natürlich sehe ich es ein, Effendi. Aber wenn das so ist, so wird die Sache ganz anders, als ich es mir gedacht habe. Ich glaubte, wir könnten gleich, sobald wir sie eingeholt haben, unter sie hineinfahren wie zwei Kanonenkugeln in einen Ameisenhaufen, so daß die Erde nach allen möglichen Seiten und Richtungen auffliegt.«

»Das würden wir selbst dann nicht thun, wenn es sich nur um diese vierzig Reiter handelte. Was nützt uns die Wiedererlangung unserer Pferde, wenn wir dabei erschossen werden!«

»Oh, nicht jede Kugel trifft, Effendi!«

»Das ist richtig; aber wenn vierzig Kugeln auf uns abgeschossen werden, so ist es doch sehr wahrscheinlich, daß wenigstens zwei von ihnen treffen. Ich weiß, daß du ein tapferer Krieger bist, der sich selbst vor hundert und noch mehr Feinden nicht fürchtet; aber die Tapferkeit darf nicht in Verwegenheit ausarten. Dem wahren wirklichen Mute steht stets die Vorsicht, die Bedachtsamkeit zur Seite.«

»Richtig, Sihdi, sehr richtig! Ich weiß, was du meinst. Du willst wieder einmal listig sein. Oh, du bist ein Held, ein großer Held; das weiß ich ja, denn ich habe es tausendmal erfahren und gesehen; ich bin mit dabei gewesen, daß du ganz allein und mitten in der dunkelsten Nacht dem Löwen bis an die Mähne gegangen bist; ich bin dabei gewesen, daß du mitten in ein Lager von über tausend feindlichen und über uns ergrimmten Beduinen hineinrittest und sie halb durch den Donner deines Gewehres und halb durch den Schall deiner Stimme besiegtest. Ich habe dich im großen Haufen der Gegner kämpfend stehen sehen wie einen Felsen in der Brandung, wie einen Riesen unter Zwergen, wie einen Elefanten unter krabbelnden Ameisen und hüpfenden Flöhen. Ja, das habe ich gesehen, denn ich bin dabei gewesen und nicht von deiner Seite gewichen. Das Herz ist mir dabei groß und weit geworden, und der Stolz hat mir die Brust geschwellt, denn wenn wir dann als Sieger heimkehrten, so wurden wir empfangen von dem Jubel der Unserigen, von dem Preise der Kamandschat und dem Frohlocken der Anfar; die kleine Nakkara sang unser Lob, und die große Tarabukka schlug den Takt dazu; die Krieger beneideten uns; die Frauen und Mädchen tanzten den Reigen des Entzückens um uns her, und Hanneh, mein Weib, das beste und schönste Weib der Erde, die duftigste und lieblichste Blume unter allen Blumen der Wiesen, Felder und Gärten, schlug dann im stillen Zelte die Arme um mich, weinte Thränen der Freude und nannte mich ihren Liebling, den einzigen Gedanken ihres Herzens, den Besitzer ihrer Seele und den Sonnenschein ihres Glückes!«

Der gute Halef liebte Hanneh, sein Weib, mit einer seltenen Innigkeit; jetzt, da er an sie dachte, ließ er eine Pause der Rührung folgen. Er sprach sehr gern von unsern Erlebnissen, und wenn er es that, so geschah es in jener orientalischen Weise, welche die Ausschmückung, wenn nicht die Übertreibung liebt. Er sprach dann gewöhnlich von mir, meinte aber natürlich sich selbst auch mit und war dafür besorgt, daß von dem Lobe, welches er mir erwies, ein wohlgemessener Anteil auf ihn fallen mußte. Ich gönnte ihm das gern, denn er war trotz der Kleinheit seiner Gestalt von einer Furchtlosigkeit, der ich oft einen Dämpfer auflegen mußte, und hatte Gefahren bestanden, die ihm die Bewunderung sogar der an ein bewegtes Leben gewöhnten Beduinen sicherten.

Er fuhr nach einer kleinen Weile fort:

»Ja, so ist es gewesen; so habe ich dich als Held gesehen, den kein Mensch besiegen kann. Aber noch schöner fast und viel lustiger war es, wenn du die Waffen stecken ließest und dich der List bedientest. Was ist die Klugheit von tausend Kurden oder Perser gegen uns, wenn wir einmal den Entschluß gefaßt haben, sie mit den Pistolen des Geistes, den Flinten der List und den Messern der Verschlagenheit zu besiegen! Es mögen die gescheitesten Männer des Sultanreiches kommen, wir überlisten sie doch alle und machen ihnen eine Nase, die von hier bis hinüber nach Mekka und dann wieder zurück bis nach Teheran und Isfahan reicht.«

»So schlimm ist es doch wohl nicht, lieber Halef,« warf ich ein.

»Schlimm nicht, Effendi, aber großartig! Denke nur zurück, was wir durch Schlauheit schon alles erreicht haben! Was kein Mensch für möglich hielt und was wir mit hundert Kanonen nicht erreicht hätten, das haben wir nur durch listige Streiche fertig gebracht. Wenn wir dem Tode so nahe standen, daß ich seinen kalten Hauch schon bis auf die Knochen fühlte und keine Verwegenheit uns retten konnte, dann dachtest du dir einen Kniff aus, der uns aus den Wassern der Hoffnungslosigkeit nach dem Ufer der Erlösung brachte. Wie oft wurden unsere Feinde grad dann auf das ärgste getäuscht, wenn sie bei Allah und dem Propheten darauf geschworen hätten, uns vollständig hintergangen und betrogen zu haben! Wie oft wurden uns verderbliche Schlingen mit einer Geschicklichkeit gelegt, die selbst dich und mich in Erstaunen versetzte; aber wir waren dann doch noch feiner und lachten hinterher über die, die sich über uns ärgern mußten. Wie viele Male haben wir den Vögeln geglichen, deren Beine in der Schlinge stecken und nach denen sich schon die tödliche Hand ausstreckt, um ihnen den Hals umzudrehen; aber deine List hat den Knoten stets noch zur rechten Zeit zu lösen vermocht, und wenn die Hand zuschnappte, sind wir mit dem Nagha el Masgara davongeflogen.«

Gezwitscher des Gespöttes, das war gut! Ich mußte lachen. Da sah er mich fast zornig von der Seite an und fragte in scharfem Tone:

»Was giebt es da zu lachen, Effendi? Hältst du das Halsumdrehen für eine so lustige Sache?«

»Das Halsumdrehen nicht, aber das Zwitschern.«

»Spotte nicht! Ich weiß gar wohl, daß Allah weder dir noch mir anstatt des Mundes einen Sperlings- oder Finkenschnabel verliehen hat, und wenn ich mich im Gespräche mit dir der höhern, bilderreichen Kunst der Rede bediene, so thue ich das aus Achtung vor deiner Gelehrsamkeit, die es nicht verdient, von dir verlacht zu werden. Du bist ein großer Held und oft noch größer in der List, hast aber dabei sehr häufig den Fehler, Vorzüge nicht anzuerkennen, die mich, deinen Freund und Diener, über die leeren Köpfe anderer Sterblicher erheben und dir den Beweis geben sollten, daß es Allah außerordentlich gut mit dir gemeint hat, als er es so fügte, daß du mich kennen lerntest!«

Der kleine Hadschi fühlte sich sehr leicht beleidigt, selbst auch von mir. In solchen Fällen pflegte ich zu schweigen, denn sein Zorn verrauchte ebenso schnell, wie er gekommen war, und sein gutes Herz und seine Anhänglichkeit machten es ihm unmöglich, mir etwas nachzutragen. So auch hier. Als eine Weile verging, ohne daß ich sprach, überflog er mein Gesicht mit einem prüfenden Blicke und fragte in besorgtem Tone:

»Was ist mit dir, Sihdi? Du redest nicht, und wir befanden uns doch so schön im Flusse des Gespräches. Habe ich dir weh gethan?«

»Nein. Ich dachte nur über die Vorzüge nach, die dich so hoch über mich erheben.«

»Über dich? Das habe ich nicht gemeint; davon habe ich nicht gesprochen, denn alle die Vorzüge, welche ich besitze, hast erst du doch in mir ausgebildet. Drum preise und danke ich Allah täglich in allen fünf Gebeten dafür, daß er mich damals mit dir zusammenführte, als wir uns mitten in der Wüste kennen lernten. Willst du nun wieder gut mit mir sein?«

»Ich bin gar nicht bös auf dich gewesen!«

»Diese deine Worte erquicken mein Herz und erfreuen meine Seele bis dahin, wo sie am tiefsten in meinem Innern liegt. Es kommt sehr selten aber doch zuweilen vor, daß du unzufrieden mit mir bist. Dann fahren mir zehntausend Debabis durch mein Gemüt, und es ist mir, als ob im Mittelpunkte der Liebe, die ich zu dir fühle, hunderttausend Kibritat frengija brennen. Ich habe dann nicht eher Ruhe, als bis dein Mund wieder lächelt und dein Auge wieder freundlich geworden ist.«

Das mit den Stecknadeln und Zündhölzern war wieder gut! Ich hütete mich aber sehr, mein Lachen von vorhin zu wiederholen.

»Wir sind übrigens,« fuhr er fort, »ganz von dem abgekommen, was wir vorhin sprachen. Du meintest, daß wir nicht Gewalt sondern List gegen diese Kurden anwenden wollen. Hast du dir den Streich, den wir ihnen spielen werden, vielleicht schon ausgedacht?«

»Nein.«

»Aber ein guter Feldherr muß stets schon vorher wissen, welch einen Plan er auszuführen hat!«

»Ich bin kein Feldherr; aber wenn ich einer wäre, würde ich nicht eher einen Plan entwerfen, als bis ich den Feind und alle Verhältnisse, die ihn und seine Absichten betreffen, kennen gelernt hätte. Wenn du ein Pferd kaufen willst, kannst du da, ehe du es gesehen hast, im voraus sagen, wie du es behandeln wirst?«

»Nein.«

»Ebensowenig können wir jetzt schon bestimmen, in welcher Weise wir gegen die Kelhur vorgehen werden. Laß uns übrigens das Gespräch abbrechen, denn ich finde, daß die Fährte nun unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt!«

Hatten die Kurden bisher alle gangbaren Wege vermieden, so gab es jetzt keine Wege mehr, denen sie sich hätten fernhalten müssen. Wir waren erst über grasige Flächen, dann durch lichten Wald gekommen und ritten jetzt eine nackte, weit ausgedehnte und schräg ansteigende Felsentafel hinan, auf welcher die Pferdehufe keine Stapfen hatten hinterlassen können; ich hatte mich nur an kleine, winzige Zeichen zu halten, leise Schürfungen oder Kratzungen, die einem weniger geübten Auge sicherlich entgangen wären.

Daß die Kurden den gangbaren Wegen ausgewichen waren, sollte jedenfalls eine Vorsichtsmaßregel von ihnen heißen, war aber gar nicht geeignet, der Klugheit ihres Anführers von mir eine gute Censur zu erwirken. Ein harter, festgetretener Weg nimmt die Spuren nicht so auf wie der weiche Grasboden, und wenn ich der Verfolgte gewesen wäre, so hätte ich grad die Wege gewählt, um, von dem einen in den andern einbiegend und also verschiedene oder gar ganz entgegengesetzte Richtungen einschlagend, den Verfolger von mir abzubringen. Schir Samurek hatte pfiffig sein wollen, war aber grad das Gegenteil von klug gewesen.

Als wir den oberen Rand der Felsenplatte erreichten, sahen wir eine weite Heidestrecke vor uns liegen, deren Ende aber nicht ersehen werden konnte, weil sie mit zwar einzeln stehenden doch in ihrer Gesamtheit die Fernsicht hindernden Kiefern bestanden war. Von hier aus gingen die Spuren auseinander; sie führten nach allen Richtungen, natürlich nur nicht rückwärts, in die Heide hinein.

»Allah ‚w Allah!« rief Halef aus. »Das ist ein sehr böser Streich, den die Kurden uns da gespielt haben, ein sehr böser!«

»Wieso?« fragte ich.

»Siehst du denn nicht, daß sie sich getrennt haben, um uns irre zu führen? Dieser Schir Samurek ist doch nicht ganz so dumm, wie er uns bis hierher vorgekommen ist!«

»Er ist im Gegenteile noch viel dümmer, als ich gedacht habe!«

»Wirklich, Sihdi? Ich bitte dich, mir das zu erklären!«

»Das liegt doch so klar auf der Hand, daß es gar keiner Erklärung bedarf. Denkst du etwa, daß die Kurden sich hier für immer voneinander getrennt haben, Halef?«

»Nein; es ist nur eine Finte von ihnen.«

»Die ihnen aber gar nichts nützt, denn ihr Anführer hat jedenfalls den Punkt bestimmt, an welchem sie alle wieder zusammentreffen.«

»Ah, jetzt verstehe ich dich! Da brauchen wir ja nur einer dieser Fährten zu folgen, um den Punkt auch zu erreichen, von welchem du gesprochen hast.«

»Natürlich! Diese Finte ist so dumm, daß ein ganz gewöhnlicher Indianer sich schämen würde, auf sie verfallen zu sein. Wir wählen uns diejenige Fährte aus, welche am stärksten ist, die also von der zahlreichsten Abteilung stammt und – – – schau hier! Da ist der Heideboden aufgewühlt, daß ganze Schollen umhergeflogen sind. Es hat sich eines der Pferde geweigert, weiter zu gehen, und ich müßte mich sehr irren, wenn das nicht mein Rih gewesen wäre. Dieser Fährte und keiner andern folgen wir. Komm!«

Wir gaben unsern Pferden die Sporen und galoppirten auf den erwähnten Spuren hin, denn die weit auseinanderstehenden Kiefern hinderten uns nicht, ein so schnelles Tempo einzuhalten! Unsere Grauschimmel waren jung; der Apotheker, vielleicht kein guter Reiter, hatte sie zwar ziemlich aus der Schule kommen lassen, unter uns aber fanden sie sich leicht zurück, und ich wurde zu meiner Genugthuung überzeugt, daß wir zu unserm Zweck gar keine geeigneteren Tiere hätten bekommen können.

Als wir eine Viertelstunde so fortgeritten waren, senkte sich die Höhe wieder niederwärts und wir kamen in ein wasserloses, sandiges Thal, in welchem nur Ginsterbüsche und andere anspruchslose, holzige Schmetterlingsblütler ihr Leben fristeten. In diesem Sande war die Fährte so deutlich zu sehen, wie wir nur wünschen konnten, und als wir dem Thale und seinen Windungen vielleicht eine kleine halbe Stunde gefolgt waren, sah ich eine Spur von links herabkommen und sich mit derjenigen, welcher wir folgten, vereinigen. Dann stieß eine zweite, dritte, vierte und fünfte herzu, bis die Hufeindrücke, welche droben an der Felsenplatte auseinander gegangen waren, sich alle wieder vereinigt hatten.

»Sihdi, du hast recht gehabt,« sagte Halef. »Jetzt sind die Kurden wieder beisammen und der Kniff ihres Anführers hat uns nicht eine Minute aufhalten können. Sobald wir ihn gefangen genommen haben, werde ich ihm sagen, daß er, wenn er in der Einbildung lebt, sich mit dir messen zu können, einer alten, dicken, heiseren Batta gleicht, welche sich erfrecht, mit den Belabil des siebenten Himmels um die Wette zu singen!«

Fast hatte ich wieder gelacht und zwar nicht etwa über den Vergleich zwischen Ente und Nachtigall, sondern über die Sicherheit und Selbstverständlichkeit, mit welcher er annahm, daß wir den Scheik festnehmen würden, wir, zwei fremde, einzelne Männer, den mächtigen Befehlshaber der Kelhurkurden, der auf alle Fälle mehr als die vierzig Krieger befehligte, die ihn zum Raube meines Pferdes nach Khoi begleitet hatten! Aber so war der kleine, kühne Kerl nun einmal. Wir hatten bei unsern Reisen und fast allen unsern Erlebnissen so viel Glück gehabt, daß er verwöhnt worden war und es für ganz ausgeschlossen hielt, daß uns einmal etwas mißlingen könne. Ja, er hatte sich sogar angewöhnt, seine Ansprüche an das Glück viel, viel höher zu spannen, als zum Gelingen unserer jeweiligen Absichten nötig war. So sprach er auch jetzt nicht etwa nur von der Zurückgewinnung unserer Pferde, sondern er wollte sogar den Scheik gefangen nehmen, und es stand bei ihm über allen Zweifel erhaben, daß dies auch wirklich geschehen werde. Es fiel mir gar nicht ein, sein Selbstvertrauen herabzustimmen, denn grad diese seine Zuversichtlichkeit war es, die ihn zu einem brauchbaren Gefährten in jeder Not und Gefahr gemacht hatte. Ich nickte also halb zustimmend und antwortete:

»Wenn wir unsern Zweck auf keine andere Weise erreichen können, wird es freilich notwendig sein, Schir Samurek in unsere Gewalt zu bringen. Dieses Mittel haben wir, wenn alle andern fehlschlagen wollten, schon oft angewendet. Hat man sich des Anführers oder einer sonst hervorragenden Person versichert, so kann man fordern, anstatt bitten zu müssen. Übrigens denke ich, daß wir nun sehr bald sehen werden, woran wir mit den Kelhur sind, lieber Halef. Wenn das Kismet bestimmt hat, daß du heut ein Heldenstück spielst, so wird in kurzer Zeit der Vorhang sich bewegen.«

»Denkst du?« fragte er geschmeichelt. »Was das Kismet will, soll geschehen. Ich werde als Batal alles thun, um mir deine Zufriedenheit und deinen Beifall zu erringen. Doch warum denkst du, daß der Vorhang sich schon so bald heben wird?«

»Die Finte des Scheiks bringt mich auf diesen Gedanken. Warum hat er sie nicht gleich in der Gegend von Khoi ausgeführt? ich vermute doch, daß wir es mit einem ganzen Lager und nicht nur mit einer flüchtigen Abteilung der Kelhur zu thun haben. Den Hauptstreich, uns von diesem Lager abzuhalten, hat er – auch wieder nicht pfiffigerweise – unternommen, als er in der Nähe desselben angekommen war. Paß auf; wir werden gar nicht mehr weit zu reiten haben!«

Das Thal, in welchem wir uns befanden, machte eine so scharfe Biegung nach links, daß sie einen spitzen Winkel bildete. Die Kurden waren dieser Biegung nicht gefolgt, sondern die Seite des Thales, an welche der Winkel stieß, hinaufgeritten. Halef wollte, ohne anzuhalten, weiterreiten, ihnen nach; ich hielt ihn aber zurück und sagte.

»Halt! Wenn wir uns, wie ich vermute, in der Nähe des Lagers befinden, und wenn der Scheik annimmt, daß wir ihn verfolgen, so steht zu erwarten, daß er hier Wachen ausgestellt hat, die uns entweder kurz wegputzen oder ihm unsere Annäherung melden sollen. Wir müssen also vorsichtig sein. Du bleibst also hier zurück und hältst mein Pferd, während ich mich zu Fuße weiterschleiche, um die Sicherheit des weiteren Weges zu erkunden. Du verlässest die Stelle hier auf keinen Fall eher, als bis ich wiederkomme oder dich dort von der Höhe aus zu mir rufe!«

Ich stieg vom Pferde, übergab ihm die Zügel und klomm an der Lehne des Thales empor, wo es wieder Bäume und Sträucher gab, die ich als Deckung benutzen konnte. Indem ich dabei die Fährte der Kurden im Auge behielt, konnte ich keine einzelne Spur entdecken, die von derselben abgewichen war. Droben gab es Felsen mit Fichtenwald, in welchem einzelne Eichen eine freundliche Abwechslung hervorbrachten. Da folgte ich der Fährte wohl über eine Viertelstunde lang; sie blieb ungeteilt, und es wich auch hier kein Stapfen von ihr ab. Schon wollte ich nun umkehren, da bemerkte ich, daß der Wald sich abwärts zu senken begann. Die Fährte führte links nach einer Bodenrinne; rechts stieg ein Felsstück wie ein halb eingefallener Wartturm aus den Büschen auf; zu diesem ging ich hin und kletterte hinauf. Hatte ich erwartet, von da aus einen Ausblick zu gewinnen, so sah ich mich nicht getäuscht. Der Fuß des Berges ging in eine grüne Ebene über, durch welche ein Bach floß, der in der erwähnten Rinne zu entspringen schien. Ziemlich weit draußen in dieser Ebene befand sich, vom Bache durchflossen, das Kurdenlager, oder vielmehr, es hatte sich dort befunden, denn ich sah beim ersten Blicke, daß es aufgehoben worden war. Es bewegte sich dort alles geschäftig, ja eilig durcheinander. Ich sah ledige Menschen und Pferde; ich sah Reiter, welche bereits im Sattel saßen; Frauen gab es nicht und andere Tiere als Pferde auch nicht. Es handelte sich also nicht um ein gewöhnliches Wohnlager, an welchem die Frauen und Herden teilnehmen, sondern es hatten nur Männer hier gewohnt, und zwar nicht in Zelten, sondern unter leicht zu errichtenden Zweig- und Blätterdächern, die auf je vier Pfählen ruhten. Um einen Jagdzug konnte es sich nicht handeln, um einen Kriegszug, welcher die hiesige Gegend betraf, auch nicht; für jetzt war mir der Aufenthalt der Kelhur hier ein Rätsel, bis ich dann erfuhr, daß sie einen Raubzug nach jenseits der Masaraberge beabsichtigt hatten, um die Bewohner der persischen Grenze zu brandschatzen. Es waren ganz gewiß dreihundert Krieger beisammen, welche außer ihren Reitpferden wenigstens fünfzig Maultiere bei sich hatten, die mit Packsätteln versehen waren. Die großen, hellen, oft vier Fuß im Durchmesser haltenden Turbane gaben diesen Leuten das Aussehen, als ob sie Kürbisse auf den Köpfen trügen. Ich versuchte, mein Pferd zu entdecken, was aber bei dem Gedränge, welches es dort gab, unmöglich war.

Halb befriedigt und halb enttäuscht, kehrte ich nun zurück, doch nicht ganz zu Halef; ich blieb vielmehr oben auf der Seite des Sandthales stehen und rief ihm zu, heraufzukommen. Er folgte diesem Rufe und erkundigte sich, als er bei mir ankam und mir das Pferd übergab:

»Hast du Wachen entdeckt, Sihdi?«

»Nein.«

»Aber wohl das Lager?«

»Ja.«

»Welch eine Unvorsichtigkeit von Schir Samurek! Er mußte doch unbedingt durch Wächter dafür sorgen, daß wir uns seinem Lager nicht so leicht und unbemerkt nähern können!«

»Er hat das nicht für nötig gehalten, weil das Lager abgebrochen wird.«

»Was? Abgebrochen? Sie wollen fort?«

»Ja. Er scheint gleich bei seiner Ankunft den Befehl zum Aufbruch gegeben zu haben.«

»Wohin wollen sie?«

»Das kann ich natürlich nicht wissen; wir werden es aber erfahren, denn wir folgen ihnen so lange, bis wir unsere Pferde wieder haben.«

»Ich hoffe zu ihrem Wohle, daß dies noch heut geschieht, denn wenn ich länger warten muß und mir die Geduld vergeht, so schieße ich sie alle über den Haufen. Wenn sie Pferde stehlen wollen, so habe ich nichts dagegen, denn der Pferderaub gilt bei ihnen für eine mutige und lobenswerte That; aber wenn sie, obgleich es auf der Erde Millionen von Pferden zu stehlen giebt, grad nur nach den unserigen verlangen, so habe ich sehr viel dagegen und werde ihnen zeigen, was es für schlimme Folgen hat, wenn man mich zwingt, mich auf den Rücken eines At el Attar zu setzen!«

»Sei doch froh, daß wir diese Grauschimmel bekommen haben; wir hätten viel schlechtere erwischen können!«

»Ist das ein Trost? Wir haben sie zwar nicht gestohlen, sondern nur geliehen; aber bis wir sie dem Giftmischer zurückgegeben haben, werde ich mich als Spitzbube fühlen, und daran sind diese Kelhur schuld. Mögen sie dafür in der Hölle und in alle Ewigkeit Besitzer von Pferdeherden sein, die ihnen täglich zehnmal gestohlen und nie wieder zurückgegeben werden!«

Wir ritten nun bis zu dem Felsen, von welchem aus ich vorhin meine Beobachtungen gemacht hatte, banden unten unsere Pferde an und stiegen hinauf, um das Kurdenlager zu überblicken. Wir waren grad zur rechten Zeit gekommen, um noch zu sehen, daß die Kelhur fortzogen. Sie bildeten, zu zweien oder dreien nebeneinander reitend, ein langes, schmales Band, das sich über den grünen Plan bewegte und dessen Spitze schon fast den Horizont erreicht hatte.

»Da ziehen sie hin, die Schurken, die Schufte,« grollte Halef zornig, »und wir stehen hier und gucken hinter ihnen her, den Schnurrbart leckend wie hungrige Hunde, denen der lebendige Braten auf vier Beinen davongelaufen ist! Aber wartet nur eine kleine Weile; dann werden wir über euch kommen wie zwei grimmige Löwen über die Mäuse und euch so in den Rachen nehmen, daß euch die Rippen krachen und die Arme und Beine hüben und drüben abgebissen herunterfallen! Ich bin ein guter Mensch, ein seelensguter Mensch; ich bin so gut, daß ich sogar die Diebe noch für Menschen halte; aber ist das etwa ein Grund, mich selbst auch zu bestehlen? Grad diese meine Milde und Güte sollten jeden Spitzbuben abhalten, sich an meinem Eigentume zu vergreifen! Aber ganz im Gegenteile, diese Halunken haben sich grad die zwei besten Menschen ausgewählt, um ihnen die Pferde zu rauben. Fordert das nicht die doppelte, die dreifache Rache heraus, Effendi? Schau, dort schlängeln sie sich fort und zwingen unsere Lieblinge, mit ihnen zu laufen! Wer weiß, was für ein stinkiger Kerl nun auf dem meinigen sitzt! Du freilich kannst das süße Gefühl der wohlthuenden Überzeugung haben, daß der Rücken deines Rih von keiner kurdischen Fortsetzung des menschlichen Rückgrates berührt werden kann; denn wer da wagen wollte, dies zu versuchen, der müßte, um sie später wiederzufinden, seine Glieder vorher im Buche des Lebens verzeichnen lassen. Der Zorn kocht in meiner Seele, und der Grimm dampft in meinem Herzen. Wenn ich den Kerl erfahre und erwische, der auf meinem Pferde gesessen hat, den zerschneide ich von oben herab in zwei ganz gleiche Hälften, so daß er niemals wieder reiten kann, sondern sobald er aufgestiegen ist, zu beiden Seiten wieder herunterfällt! Bei Muhammed, dem Propheten, das werde ich thun, das werde ich ganz genierlich thun!«

Es läßt sich denken, daß auch ich nicht gut auf die Pferderäuber zu sprechen war; aber der Zorn Halefs wirkte komisch auf mich, und seine Ausdrucksweise war so drollig, daß ich mir wieder einmal Mühe geben mußte, das Lachen zu verbeißen. Und im Arabischen war seine Rede noch bedeutend wirkungsvoller, als ich sie hier im Deutschen wiedergeben kann. Und dabei hatte er nicht einmal eine Ahnung, daß mir das Lachen näher stand als das Räsonnieren! Neben seinen vielen guten, ja vortrefflichen Eigenschaften war es nicht zum geringsten auch diese seine Drolerie, die ihn mir so lieb und wert gemacht hatte. Es ist ja überhaupt keine Frage, daß orginelle Charaktere stets und überall einen tiefern Eindruck machen als gewöhnliche Dutzendmenschen.

Das Nächste, was wir zu thun hatten, war natürlich, den Lagerplatz der Kurden zu untersuchen; das konnten wir aber nicht eher vornehmen, als bis die Kelhur jenseits des Horizontes verschwunden waren. Die Linie, welche sie eingeschlagen hatten, lag gegen Südost; wenn wir ihnen folgten, mußten wir also wieder nach dem Zabflusse, der uns aus dem Grenzgebirge herab nach Khoi geführt hatte. Wir waren also, wenn wir ihn wieder erreichten, die Kanten eines Dreieckes geritten, was einen Zeitverlust ergab, den wir nur diesen Kelhurkurden zu verdanken hatten; dies gab einen weiteren Grund, ihnen mit keinen freundlichen Gesinnungen zu folgen.

Endlich waren die letzten von ihnen im Südosten verschwunden; wir stiegen von dem Felsen herab und wieder auf unsere Pferde, die wir nach der Bodenrinne lenkten, welche ich schon bezeichnet habe und nach der die Fährte der Kelhur führte. Die Rinne war schmal und tief, aber doch leidlich wegsam. Je weiter wir ihr abwärts folgten, desto feuchter wurde sie, und bald brachen rechts und links kleine Wässerchen aus den Wänden, die sich miteinander vereinigten und tiefer unten ganz so, wie ich vermutet hatte, den Bach bildeten, der von mir vom Felsen aus gesehen worden war.

Als wir am Fuße des Berges anlangten, lief die Rinne breit in die Ebene aus und wir ritten im Galoppe dem Bache entlang, bis wir die Stelle erreichten, wo die Kurden gelagert hatten. Während Halef die Pferde hier erst trinken und dann grasen ließ, untersuchte ich sehr sorgfältig den ganzen Platz, indem ich hoffte, vielleicht etwas zu entdecken, was unserm Vorhaben förderlich sein könnte. Ich hatte mich aber getäuscht, denn nach einem ziemlich langen Forschen hatte ich weiter nichts gefunden und erfahren, als daß das Lager vielleicht eine Woche lang benutzt worden war. Dies erfahren zu haben, hatte für uns gar keinen Wert. Wertvoller war der Schluß, den ich aus der schnellen Entfernung der Kurden zog. Sie hatten sehr wahrscheinlich vorher nicht die Absicht gehabt, heut das Lager zu verlassen, denn ich sah, daß einige der bereits erwähnten Schutzdächer erst gestern neu gedeckt worden waren, was man jedenfalls unterlassen hätte, wenn der heutige Aufbruch schon gestern beschlossen gewesen wäre. Da war gegen Abend Aqil hier angekommen, um wegen des Blutpreises zu verhandeln, zu seinem und unserm großen Schaden, denn sie hatten ihn festgenommen, später auch durch Zufall seinen Sohn ergriffen und dann unsere Pferde gestohlen. Aqil und sein Sohn Ssali Ben Aqil befanden sich jetzt noch in ihren Händen; sie waren der Blutrache, also einem jedenfalls nicht leichten Tode verfallen. Hatten die Kelhur wegen dieser beiden Gefangenen den Lagerplatz so schnell verlassen? Oder vielleicht, weil sie dachten, daß ich mit Halef hierherkommen werde? Vielleicht hatten beide Gründe zusammengewirkt.

Man braucht mich nicht für einen eingebildeten Menschen zu halten, weil ich es für möglich hielt, daß dreihundert Kurden wegen uns zwei Menschen sich aus ihrem Lager entfernt hatten. Im Oriente fällt es der Mücke gar nicht schwer, in kurzer Zeit ein Elefant zu werden; ja, sie kann sogar ganz ohne ihr Zuthun sehr leicht zum Dickhäuter werden. Ich hatte Gelegenheit gefunden, mich mit einigem Geschick aus bösen Lagen zu ziehen. Mit Hilfe einiger Kenntnisse, die jeder gebildete Europäer besitzt, und den im wilden Westen gesammelten Erfahrungen war es mir gelungen, einigen Stämmen der Dschesireh hier und da einen kleinen Dienst zu erweisen. Das war erzählt und von Mund zu Mund weitergetragen worden. Weil nun jeder Erzähler seiner Phantasie dabei freien Raum gelassen hatte, war eine Sagen- und Legendenbildung entstanden, durch welche mein Bild und auch Halefs kleine Figur wie auf der Leinwandfläche eines Hydro-Oxygengas-Mikroskopes erschienen. Die Legende hatte meine Kenntnisse und Geschicklichkeiten in das Ungeheure vergrößert; noch berühmter aber als ich selbst waren meine beiden Gewehre. Man erzählte sich, daß die Kugel meines Bärentöters durch Stahl und Mauern dringe und daß ich mit dem »Zaubergewehre«, nämlich dem Henrystutzen mit fünfundzwanzig Schüssen, in alle Ewigkeit und ohne Aufhören schießen könne, ohne einmal laden zu müssen. Dazu kam freilich, daß ein Fehlschuß bei solchen Gewehren nicht leicht vorkommen kann und daß die indianische Art, zu reiten, selbst jedem Beduinen imponieren muß. Ferner war ich im Anschleichen und Auskundschaften beobachtet worden, und da auch in dieser Beziehung der Asiate nicht den zehnten Teil dessen leistet, was der Indianer mit Leichtigkeit vollbringt, so war es gar kein Wunder, daß eben Wunder von mir erzählt wurden und daß auch hier die Kelhurkurden ihr Lager lieber aufgaben als sich, wie sie dachten, von mir beschleichen und von meiner Zauberflinte niederpaffen zu lassen. Wenn trotz dieser Angst Schir Samurek den Fehler begangen hatte, mich durch seinen Hohn hinter sich her zu locken, so war es eben ein Fehler gewesen, den er jetzt wahrscheinlich bereute. Also es war keineswegs Überhebung von mir, sondern eine ganz objektive Beurteilung der Umstände, wenn ich annahm, daß die Kurden mit wegen mir von hier fortgezogen seien.

Selbstverständlich mußten wir ihnen nachreiten; aber das hatte nun keine große Eile, weil wir uns doch erst abends an sie schleichen konnten und ihnen nicht so Knall und Fall folgen durften; wir mußten ihnen vielmehr, wenn wir nicht von ihnen entdeckt sein wollten, Zeit lassen, einen auch für uns vorteilhaften Raum zwischen sich und uns zu legen. Verschwinden konnten sie uns auf keinen Fall; dafür sorgte schon ihre Fährte, welche unsichtbar zu machen, sie nicht die Übung und das Geschick besaßen. Darum ließen wir unsere Pferde fast zwei Stunden lang grasen und brachen erst dann auf, als wir grad ebenso weit vom Mittag waren, also gegen zehn Uhr vormittags.

Als die Sonne am höchsten stand, befanden wir uns zwischen den Bergen, wo ich in einem Walde von Balamut-Eichen – von denen die dortigen weltbekannten Galläpfel kommen – ein Wildschwein schoß, welches uns den notwendigen Proviant lieferte. Wir saßen da für kurze Zeit ab, um einige gute Stücke davon anzubraten und mitzunehmen; denn so lange wir uns den Kurden von jetzt an auf den Fersen befanden, und das konnte mehrere Tage dauern, durften wir auf kein Wild mehr schießen, weil der Schuß uns ihnen verraten konnte. Eigentlich war es dem Hadschi als Muhammedaner verboten, Schweinefleisch zu essen; aber der Umgang mit mir hatte ihn in der Weise emancipiert, und sein Gaumen war so empfindlich für den Wohlgeschmack des Schwarzwildes, daß er lieber das Mißfallen des Propheten und aller toten Kalifen riskierte, als auf einen Genuß verzichtete, auf den ich ihn durch Wort und That erst vergeblich und dann mit immer größerem Erfolge aufmerksam gemacht hatte. Hier bekenne ich mich leider ohne alle Reue als den Verführer einer Menschenseele!

Nun war aber doch so viel Zeit vergangen, daß wir einen größeren Vorsprung einholen mußten, als erst in unserer Absicht gelegen hatte. Wir folgten der Fährte darum mit größerer Eile als vorher.

Am Nachmittage lag die Südbiegung des kleinen Zab zu unserer Rechten hinter den steilen, waldigen Höhen, an deren Fuß wir uns befanden. Wir ritten längs eines kleinen Flüßchens, welches im Frühjahre höchst wahrscheinlich hoch angeschwollen war, jetzt aber kaum soviel Wasser hatte, daß es unsern Pferden bis über die Hufe reichte. Es gab hier außerordentlich viel lockeres Geröll, welches bei jedem Schritte unter den Pferden wich; zahlreiche freigespülte Wurzeln wurden uns hinderlich, und die vielen, kurzen Krümmungen des Flußbettes ließen uns nicht von der Stelle kommen.

»Der Scheitan muß den Kurden diesen Weg gezeigt haben!« klagte Halef. »So ähnlich wie dieser muß der Pfad beschaffen sein, der vom Tode hinab in die Verdammnis geht, nur daß dieser hier nicht ab-, sondern aufwärts führt.«

»Auch ich begreife nicht,« stimmte ich bei, »warum die Kelhur grad diese Steinrinne aufgesucht haben.«

»Ah, giebt es endlich einmal etwas, was du auch nicht begreifst, Sihdi?«

»Habe nur keine Sorge! Das Begreifen wird sich schon zur rechten Zeit einstellen.«

»Wo sie nur hinwollen? Von hier aus führt doch kein Paß über diese Bergkette hinüber!«

»Nein. Wenn ich mich nicht ganz irre, haben wir zwei Berge vor uns, die wir von unsern früheren Ritten her noch kennen, nämlich rechts den Meqilik und links den sonderbar gestalteten Nekuhl. Zwischen ihnen führt kein Paß hinauf. Schir Samurek will also nicht über die Berge, sondern sein Ziel liegt diesseits von ihnen. Was er aber da zu suchen hat, das ist mir ein Rätsel.«

»Allah! Sollte hier die Gegend sein, in welcher die Musallah el Amwat liegt?«

»Die Musallah el Amwat? Von der habe ich noch nie gehört. Was ist das für ein Ort?«

»Ein Ort, den jeder Mensch meidet, mag er nun Sunnit oder Schiit, Christ oder Jude sein. Du weißt, daß ich vorgestern im Khan, wo wir blieben, mit einigen Mazydschilar beisammensaß und mich mit ihnen unterhielt. Sie waren in dieser Gegend bekannt, hatten viel erlebt und erzählten davon. Die schönsten und besten Galläpfel wachsen bei der Musallah el Amwat in Menge; aber niemand getraut sich hin, sie zu sammeln, denn die Geister der Toten gehen dort um. Es ist vor mehreren hundert Jahren gewesen, da kamen Christen in das Land und bauten sich die Musallah in den Bergen, um Allah nach ihrer Weise zu verehren. Sie waren gute und fleißige Leute, die jedermann zur Liebe lebten; aber die Schiiten beschlossen dennoch, sie von der Erde auszurotten. Sie zogen hinauf, umstellten die Christen bei der Musallah und metzelten sie alle, alle nieder, Männer, Greise, Jünglinge, Weiber, Jungfrauen und Kinder. Der Priester war der letzte, welcher starb; noch im Niederfallen betete er für die Feinde. Da rissen sie das Kreuz von der Musallah und warfen es ins Feuer. Als er das mit brechendem Auge sah, verwandelte er sein Gebet in einen Fluch, den er auf sie und auf die Stätte des Todes vom Himmel herniederrief. Seitdem trifft Unheil jeden, der es wagt, die Musallah aufzusuchen. Dennoch waren die Mazydschilar kürzlich so verwegen, hinaufzusteigen, denn sie sind arm und wußten, daß es da oben eine reiche Ernte giebt. Sie baten Allah, sie zu beschützen, und machten sich auf den Weg. Sie kamen auch glücklich hinauf und sahen die Musallah stehen; aber als sie sich ihr näherten, trat der Geist des ermordeten Priesters in der Gestalt eines riesigen Bären heraus, der sich mit offenem Rachen auf sie stürzen wollte; da flohen sie schreiend und betend von dannen und dankten dann, unten wieder angekommen, Allah, der sie errettet hatte durch die Schnelligkeit ihrer Beine. Sie werden niemals wieder so tollkühn sein, die Musallah aufzusuchen. Das erzählten sie mir. Was sagst du dazu, Effendi?«

»Daß der Bär kein Geist, sondern ein gewöhnlicher Bär gewesen ist. Jedermann weiß, daß es da oben im Gebirge Bären giebt.«

»Ja, das weiß ich auch; aber so ganz riesengroß, wie dieser gewesen ist, sind sie nicht.«

»Die Angst vergrößert alles; sie kann selbst einen Bären doppelt groß erscheinen lassen.«

»Das sagst du, weil du nicht an Geister glaubst!«

»Ich bin ganz im Gegenteile fest davon überzeugt, daß es Geister giebt; aber Gespenster giebt es nicht, die in Bärengestalt erscheinen.«

»Ja, du bist mutig, Sihdi, du wärst gewiß nicht geflohen, sondern dem Bären kühn entgegengegangen. Doch ich, ich weiß, daß du alles kannst und verstehst, und ich glaube dir auch jedes Wort, welches aus deinem Munde kommt, aber ich würde doch lieber auch nicht die Probe machen, ob der Bär ein Geist oder der Geist ein Bär ist. Wir haben Bären mit einander erlegt, weißt du, drüben in den Schluchten des Balkan, wo es keine Musallah el Amwat giebt; hier aber liegt der Fluch des Priesters auf der Gegend, also auch mit auf dem Bären, und mit einem verfluchten Bären mag ich nichts zu thun haben, gleichviel, ob er ein wirklicher Bär ist oder ein verkappter Geist!«

»Hast du eine Ahnung, in welcher Gegend die Musallah liegt?«

»Die Mazydschilar haben sie mir beschrieben. Sie liegt zwischen dem Nekuhl und dem Meqilik, und man kommt hinauf, indem man einem vielgewundenen, steinigten Flußbette folgt, welches von sehr engen Ufern eingefaßt ist und – –«

Er hielt mitten in der Rede inne, sah mir eine halbe Minute lang ganz betroffen in das Gesicht und fuhr dann rasch fort:

»Allah akbar – Gott ist groß! Das paßt ja ganz genau auf unsern Weg!«

»Ja, wie es scheint!«

»Der Nekuhl und der Meqilik sind die beiden Berge, welche du vorhin erwähntest; im steinigten, engen und vielgewundenen Flußlaufe befinden wir uns, also – – Maschallah! – – wir befinden uns auf dem Wege zur Musallah el Amwat, zur Kapelle der Toten, von welcher ich dir erzählt habe.«

»Das ist allerdings sehr leicht möglich. Aber mach den Mund wieder zu, lieber Halef, sonst kommt der Bär und springt hinein. Weit genug dazu hast du ihn offen.«

»Spotte nicht auch noch, Sihdi! Warum soll mir der Mund nicht offen stehen, wenn ich staune? Wenn ich nicht mehr staune, fällt er ganz von selbst wieder zu. Oh Wunder, o Fügung! Wir befinden uns auf dem Wege nach der Kapelle der Toten! Das scheint unser Kismet, unser Fatum zu sein. Wenn ich nur wüßte, was wir dort oben sollen!«

»Das fragst du noch?«

»Natürlich! Weißt du es denn?«

»Ja.«

»Nun, was?«

»Wir sollen das Gespenst von seinem Bärenfell erlösen.«

»Oh Verwegenheit, oh Hohn! Du spottest noch immer, Effendi! Mir aber ist es auf dem Rücken kalt wie Eis, und ich weiß wahrhaftig nicht, wozu ich mich entschließen werde.«

»Entschließen? Wie meinst du das?«

»Nun, wenn der Bär gelaufen kommt, ob ich da fliehen oder auf ihn schießen soll. Ist er wirklich ein Bär und ich laufe fort, so lachst du mich aus, und ich habe mich bis zum Tode meiner Angst zu schämen. Ist er aber ein Geist und ich schieße auf ihn, so geht ihm die Kugel durch den Leib, ohne ihn zu verletzen, und was dann aus mir werden wird, das weiß nur Allah allein.«

»Halef, Halef! Wenn du auf den Geist schießest, geht ihm die Kugel durch den Leib! Geist und Leib! Welch ein Widerspruch das ist! Bin ich denn so lange ganz umsonst dein Lehrer und Berater gewesen? Hast du nichts von mir gelernt? Wohnt wirklich noch der dumme Aberglaube der früheren Zeit in dir? Sag mir doch, für wen der Priester damals gestorben ist!«

»Für seinen Gott und für seinen Glauben, Effendi.«

»Wie nennt man solche Leute?«

»Schuhada

»Was sagt der Kuran, von unserer heiligen Schrift gar nicht zu sprechen, von diesen Schuhada?«

»Daß sie direkt vom Tode in den Himmel eingehen.«

»Verstehe mich wohl! Ich spreche, um dir das Verständnis zu erleichtern, wie ein Moslem zu dir. Sogar nach der Ansicht der Mohammedaner geht ein Schahid direkt in den Himmel ein, zur Belohnung für die Leiden und Martern, die er ausgestanden hat. Diesen frommen Priester aber soll Gott für seinen Märtyrertod in den Pelz eines Bären verbannt haben! Würde das nicht anstatt eines Lohnes eine fürchterliche Strafe, anstatt des Himmels eine Hölle sein?«

Er öffnete wieder den Mund und sah mich eine Weile mit weit offenen Augen an.

»Da staunst du nun schon wieder!« lächelte ich.

»Ja, Sihdi, ich staune abermals,« nickte er.

»Worüber jetzt?«

»Über die Vortrefflichkeit deines Beweises, dem ich nicht widerstehen kann. Allah insaf oder Allah el adala – Gott ist die Gerechtigkeit, sagen wir.«

»Wie würde es aber mit Gottes Gerechtigkeit in diesem Falle stehen?«

»Wenn der Bär ein Geist wäre, so würde Allah nicht gerecht sein; da es aber unumstößlich und unanfechtbar fest steht, daß Allah gerecht ist, so – so – – so – –«

»Nun weiter, weiter!«

»– – – so kann der Geist kein Bär und also der Bär auch kein Geist sein.«

»Gut. Mag also der Bär, der wirklich ein Bär ist, auch in deinem Kopfe ein Bär sein und bleiben! Bist du nun überzeugt, Halef?«

»Ja, Effendi. Du bist, wie in allem, auch in den Regeln der Mantik unüberwindlich und hast mein an diesem Bären erkranktes Gehirn im Nu wieder gesund gemacht. Nun mag er immer kommen; ich werde sofort und ohne mich zu besinnen auf ihn schießen!«

»Das Schießen überlaß lieber mir. Die kurdischen Bären sind keine abgehetzten Isabellbären vom Hauran und vom Libanon. Sie werden wenig gestört, fast gar nicht gejagt und also sehr groß und alt. Die Galläpfelsammler haben ja von der ungeheuren Größe dieses Exemplares gesprochen. Eine Kugel aus deiner Flinte würde ihn nicht töten, sondern nur zur Wut reizen. Und ferner mußt du bedenken, daß wir es jetzt unterlassen müssen, unsere Anwesenheit durch Schüsse zu verraten. Übrigens kommt er jetzt noch nicht gelaufen und wird wahrscheinlich auch nicht gelaufen kommen. Wir wissen es ja nicht einmal genau, sondern denken es nur, daß wir uns jetzt auf dem Wege zur Musallah el Amwat befinden. Die Hauptsache ist, daß du überhaupt einen Geist im Bärenfelle nicht mehr für möglich hältst.«

»Weder in einem Bären- noch in irgend einem andern Felle, Effendi. Ich habe eingesehen, daß ein Geist in einem Felle undenkbar ist. Einen Geist kann man weder sehen noch fühlen oder greifen. Wenn ich ihm das Fell abzöge, was würde da wohl übrig bleiben? Nichts, gar nichts. Wenn aber nichts im Felle steckt, so kann auch kein Geist darin gewesen sein.«

»Ganz richtig!« lachte ich. »Und ebensowenig kann es einen Bären geben, der nur aus seinem Felle besteht. Die Schärfe deiner Logik ist weit größer als die meinige. Nun haben wir sowohl den Bären wie auch das Gespenst glücklich abgethan und – – was ist?«

Halef, welcher neben mir ritt, hatte meine Rede dadurch unterbrochen, daß er nach meinem Zügel griff und dadurch das Pferd anhielt.

»Ich sehe etwas dort unter den Bäumen,« antwortete er, indem er mir mit der ausgestreckten Hand die Richtung angab. »Es hat sich bewegt; aber was es ist, ein Mensch oder ein Tier, das weiß ich nicht.«

»Wir müssen es erfahren. Komm schnell hier herüber unter die Bäume!«

Im Schutze der Bäume angelangt, stieg ich ab, gab Halef mein Pferd zum Halten und sagte:

»Bleib hier und rühre dich nicht! Ich werde mich hinschleichen, um zu sehen, mit wem oder was wir es zu thun haben.«

»Nimm dich in acht, Sihdi,« warnte er. »Es kann der Bär sein, und es ist auch möglich, daß die Kurden dort stecken!«

»Keine Sorge! Verhalte nur du dich ganz still!«

Das Messer stichfertig in der Hand, schlich ich von Baum zu Baum, bis ich in der Nähe der betreffenden Stelle anlangte. Da sah ich, daß es kein Tier, sondern ein Mensch war. Er stand an einer tiefästigen Buche und langte mit beiden Armen in die Höhe, weshalb und wozu, das konnte ich nicht erkennen. Er hatte das Gesicht von mir abgewendet, kam mir aber trotzdem bekannt vor. Diese Gestalt, diese schmutzstarrenden Beine, die zerfranste Hose, die zerrissene Jacke, deren Ärmel teilweise fehlten – – – wenn das nicht der trunkselige Wirt des Khanes von Khoi war, so konnte ich mich auf meine Augen niemals wieder verlassen! Aber was wollte er hier? Wie kam er so allein in diese Gegend, und was that er dort am Baume?

Jetzt drehte er sich um, erhob sich auf den Zehen und schob sich eine von dem Aste herunterhängende Schnur unter die Kehle, welche er soeben oben festgebunden hatte. Herrgott, der Kerl wollte sich hängen!

»Katera Chodeh – um Gottes willen!« rief ich ihm zu, indem ich hinrannte und die Schnur wegriß. »Halt ein! Du willst dich morden!«

Er starrte mich wie abwesend an und antwortete in einem Tone, als ob er sich im Traume befinde:

»Morden? Nein, sondern nur aufhängen.«

»Das ist doch ganz dasselbe! Was hast du denn für einen Grund, diese große, ungeheure Sünde zu begehen?«

»Grund – – – ? Warum fragst du mich – – – ? Wer bist du denn – – ?«

Sein Auge war bei diesen Fragen noch immer gedankenleer.

»Wer ich bin? Du kennst mich doch! Ich bin Kara Ben Nemsi Effendi, der in Khoi bei dir wohnt.«

Der Klang meines Namens schien ihn zu sich zu bringen. Es kam Ausdruck in seinen Blick; aber seine Stimme war immer noch klanglos wie vorher, als er antwortete:

»Ich muß mich hängen; ich muß mir das Leben nehmen, denn ich bekomme mein Geld nicht wieder.«

»Woher weißt du das?«

»Von Schir Samurek.«

»Von dem? Von ihm selbst? Hast du denn mit ihm gesprochen?«

»Ja.«

»Wann?«

»Vor einer Stunde.«

»Wo?«

»Droben, unter der Musallah el Amwat.«

»Ah, die Kapelle ist also doch hier! Lagern die Kelhur dort?«

»Ja.«

»Ist einer von ihnen hier in der Nähe? Kann man uns vielleicht hören oder sehen?«

»Nein. Ich wurde von ihnen fortgepeitscht, und keiner ist ein Stück mit mir gegangen.«

Die Erinnerung an die Peitsche brachte ihn vollends zu sich selbst zurück. Er warf sich nieder, legte das Gesicht in die Hände und fing an, bitterlich zu weinen. Die Thränen sind ein heilsames Wasser – – – wenn sie rinnen können; darum ließ ich ihn weinen und störte ihn nicht, sondern rief Halef herbei, welcher die Pferde anband und sich dann mit mir neben den Wirt niedersetzte. Als der letztere nach einiger Zeit ruhiger geworden war, richtete ich ihm den Kopf auf und sagte:

»Der Selbstmord ist eine gräßliche Sünde, weil man sie weder bereuen noch gar gutmachen kann. Am allerwenigsten soll man seine Seele um des Geldes willen in die Hölle senden. Deine Piaster sind ja auch noch gar nicht verloren!«

»Sie sind verloren. Schir Samurek hat sie Aqil abgenommen und giebt sie nicht wieder her!«

»Er muß sie hergeben! Ich verspreche dir, daß ich ihn dazu zwingen werde.«

Da bekamen seine Augen Glanz; er richtete sich straffer auf und fragte hastig.

»Ist das dein Ernst, oh Emir? Versprichst du mir das wirklich?«

»Ja.«

»So sei Allah Preis und Dank! Ich bin gerettet, denn was der Emir Hadschi Kara Ben Nemsi verspricht, das hält er auch, obgleich Schir Samurek, der Räuber, über ihn gelacht hat!«

»Wann hat er gelacht, bei welcher Gelegenheit und warum? Kannst du mir das sagen? Kannst du dich besinnen und mir alles erzählen, wie du zu ihm gekommen bist und was da alles gesprochen worden und geschehen ist?«

»Wenn du es erfahren Willst, so werde ich es dir sagen.«

»Aber genau, ganz genau, denn es kommt viel, ja alles darauf an! Nimm dein Gedächtnis zusammen, denn an dem, was du erzählst, kann das Leben und der Tod von vielen Menschen hangen. Und dein Geld, das kannst du auch nur dann zurückbekommen, wenn dein Bericht ganz genau und richtig ist!«

»Oh, Emir, ich weiß jetzt alles ganz genau. Wenn du sagst, daß du mir mein Geld verschaffen willst, so wächst die Schärfe meines Gedächtnisses, und ich besinne mich auf jedes Wort, welches ich gehört habe!«

»So sprich! Aber fasse dich kurz, denn die Zeit ist kostbar, und es können Gründe für uns eintreten, selbst mit den einzelnen Minuten geizig zu sein! Wo und wie bist du mit Schir Samurek zusammengekommen?«

»Du weißt, ich ritt mit unserem Nezanum und einigen Leuten fort, um Aqil, dem Diebe, das Geld wieder abzujagen. Wir fanden seine Spur nicht; aber wir glaubten, er müsse, um sich in Sicherheit zu bringen, über die persische Grenze geflohen sein. Darum wendeten wir uns der Grenze zu, hörten aber in keinem Orte und an keinem Hause, daß er von jemand gesehen worden sei. So ritten wir weiter bis fast um die Mittagszeit, wo wir einsehen mußten, daß wir auf einem falschen Wege waren. Wir kehrten also um und wollten es nun mit der Richtung nach Rowandis und Lahij an versuchen. Wir wendeten uns also nach Norden, immerzu nach Norden, bis der Teufel uns den Kurden in den Weg führte. Diese umringten uns, banden uns und führten uns mit sich fort bis hierher.«

»Da nahm es euch wohl wunder, den so vergeblich gesuchten Dieb bei ihnen zu finden?«

»Ja, er ist bei ihnen, aber nicht als freier Mann, sondern als Gefangener, sein Sohn auch. Heut nacht werden beide sterben; sie werden die Opfer der Blutrache und ihrer eigenen Schlechtigkeit sein.«

»Ist ihr Tod eine fest beschlossene Sache?«

»Ja; sie können ihm nicht entgehen, und es ist ein schrecklicher Tod, den sie erleiden werden.«

»Kennst du die Todesart?«

»Ja; sie werden von den Bären zerrissen und gefressen werden.«

»Ah! Was für ein Mensch ist dieser Scheik der Kelhurkurden! Wie kommt er denn auf den Gedanken, sie den Bären vorzuwerfen? Giebt es denn hier Bären, deren er sich zu diesem Zwecke bedienen kann?«

»Ja, und er hat sich alles so genau ausgedacht und überlegt, daß es gelingen muß. Er ist ja nur deshalb hierher gezogen, um die beiden Bebbehkurden den Bären zu bringen. Seine Krieger sind vor einiger Zeit droben bei der Musallah el Amwat jagen gewesen und haben dort das Bärenlager entdeckt. Auf dem Rückwege haben sie dann einen Baum mit wilden Bienen gefunden. Beides wird heut abend zur Hinrichtung der beiden Bebbeh benutzt. Schon längst sind zehn oder zwölf Kelhur fort, um Honig zu holen.«

»Weißt du, wie derselbe verwendet werden soll?«

»Vielleicht habe ich nicht alles richtig verstanden; aber das Bärenlager befindet sich nicht weit von der Musallah. Die Bebbeh sollen gefesselt und mit Honig bestrichen werden; dann schafft man sie in das Innere der Musallah. Von da aus bis zum Bärenlager sollen Wabenstücke mit Honig gelegt werden, um die Bären nach der Musallah zu locken; dort werden sie die Gefesselten erst ablecken und dann fressen.«

»Allah, Allah!« ließ sich da Halef schaudernd hören. »Sind diese Kelhur Menschen zu nennen? Sihdi, wollen wir die Bebbeh retten, obgleich sie unsere Todfeinde sind, und an ihrer Stelle diesen Schir Samurek den Bären vorwerfen?«

So war der kleine, liebe, brave Kerl! Er wollte die beiden Bebbeh von dem qualvollen Tode befreien, obgleich Aqil die Kelhur auf uns gehetzt und sein Sohn uns sogar noch in der letzten Nacht nach dem Leben getrachtet hatte! Er trug sich zwar äußerlich als Moslem, war aber innerlich ein besserer Christ als Hunderttausende, welche sich zwar mit Christi Namen brüsten, aber nicht eine Spur von der wahren Nächsten- oder gar Feindesliebe im Herzen tragen.

Der Wirt setzte seinen Bericht fort, und ich erfuhr noch folgendes: Die Kelhur hätten schon meinetwegen heut ihr Lager verlassen; der Umstand, daß die Bebbeh in ihre Hände gefallen waren, trieb sie noch rascher fort, um diese so bald wie möglich dem Tode entgegenzuführen. Es war das für die dreihundert Krieger ein Freudenritt, der keine Minute aufgeschoben werden sollte. Jetzt lagen sie oben unterhalb der Musallah im Walde und hatten Gericht über die der Blutrache Geweihten gehalten. Schir Samurek hatte diesen mit den heiligsten Schwüren versichert, daß es für sie keine Rettung gebe. Nach gewöhnlichem Ermessen gab es allerdings keine; aber Ssali Ben Aqil hatte sich, sonst an allem verzweifelnd, an einen Gedanken geklammert, der ihm plötzlich gekommen war, als er vernahm, daß wir höchst wahrscheinlich nach unsern gestohlenen Pferden suchen würden.

»Noch sind wir nicht tot,« hatte er gesagt. »Wenn Kara Ben Nemsi kommt und euch findet, wird er uns befreien!«

»Euch, seine Todfeinde?« hatte der Scheik höhnisch gerufen. »Er würde mich vielmehr bitten, euch noch mehr zu martern, als ich mir vorgenommen habe!«

»Das wird er nicht, denn er ist ein Christ!«

»Ein Christ? Ein Christ ist ein Hund, und ein Hund riecht gern Blut. Diese Hunde, welche einen Menschen aus en Nasirah ihren Gott nennen, haben sich von ihm sagen lassen, daß man sogar die Feinde lieben soll; aber sie gehorchen ihm nicht, denn da sie sich untereinander bestehlen, betrügen, belügen und alle Fremden bedrängen, übervorteilen und bekriegen, können sie unmöglich im stande sein, diejenigen zu lieben und ihnen Gutes zu erweisen, die ihnen nicht bloß fremd, sondern wirkliche Feinde sind. Dieser Kara Ben Nemsi würde mit Vergnügen zusehen, daß die Bären euch zerreißen!«

»Nein, denn er ist ein wahrer Christ und hat schon oft und vielen seiner Feinde Gutes erwiesen!«

»So rufe ihn doch herbei! Da werden wir sehen, ob er in Wirklichkeit dem falschen Propheten aus en Nasirah gehorcht!«

»Ja, ich werde ihn rufen; ich werde Allah bitten, ihm den Weg hierher zu zeigen!«

»Ich gebe dir einen bessern Rat. Kara Ben Nemsi mag als Christ von unserm Allah nichts wissen; du mußt also zu seinem Gekreuzigten beten, wenn du Erhörung finden willst!«

In dieser Weise hatte er weitergehöhnt und dann hinzugefügt-. »Wie wenig ich diesen Christenhund fürchte und ob er euch retten könnte, sollst du gleich erfahren. Ich habe ihm sagen lassen, daß ich der Räuber seiner Pferde bin, und er wird uns folgen; aber wenn er unsere Spuren wirklich finden und es wagen sollte, bis hierher zu kommen, so werden die Wächter, welche ich nachher ausstelle, ihn ergreifen und ich werfe ihn mit euch den Bären vor. Nun bete meinetwegen zu Allah oder zu el Mesiah; dein Gebet wird in die Luft gesprochen sein!«

Dann war über die andern Gefangenen beraten worden. Der Beschluß hatte gelautet: Sie sollen zusammen ein Lösegeld von zwanzigtausend Piastern geben und werden so lange festgehalten, bis dieses Geld bezahlt worden ist; der Wirt soll gehen und das Geld holen, um es nach der Musallah el Amwat zu bringen; bringt er es binnen drei Tagen nicht, oder stellt sich bei der Zahlung eine Hinterlist heraus, so werden sie getötet. – Kurz nachdem diese Bestimmungen getroffen worden waren, hatte man den Wirt erst durchgepeitscht und dann fortgejagt, natürlich ohne Pferd.

Er war vollständig verstört und niedergeschlagen davongegangen, ohne daß es eine Hoffnung gab; denn nun war nicht nur das gestohlene Geld verloren, sondern er sollte auch noch einen Teil des Lösegeldes aufbringen, was ganz unmöglich war. Seinen Ruin vor Augen sehend und gewiß kein Held im Glauben und Gottvertrauen, hatte er zur Schnur gegriffen und war nur durch unsere Dazwischenkunft abgehalten worden, sich selbst den Tod zu geben.

»Jetzt, o Emir,« fügte er seinem Berichte hinzu, »hast du alles vernommen, was ich dir sagen konnte. Was meinst du dazu? Hältst du es für möglich, daß ich mein Geld wieder erhalte?«

»Was ich meine, ist zunächst, daß der Raki einen bösen Geist in sich trägt, mit dem man sich nicht abgeben darf!«

»Der Raki? Wie kommst du auf den Raki?«

»Weil er die Schuld an dem trägt, was dir jetzt geschehen ist.«

»Was hat mein Raki mit dem Häuptling der Kelhur zu thun?«

»Frag doch nicht so dumm! Hättest du gestern nicht so viel Raki getrunken, so hättest du nicht mit Aqil von dem Verstecke deines Geldes gesprochen, und es wäre dir nicht gestohlen worden; also ist auch der Raki daran schuld, daß du in die Hände Schir Samureks gefallen bist und dich jetzt aufhängen wolltest. Du mußt zugeben, daß dich der Schnaps zum Selbstmorde getrieben hat!«

Er schwieg, weil er einsah, daß ich die Wahrheit gesagt hatte, und sich doch nicht selbst auch anklagen wollte. Ich fuhr fort.

»Wenn du dem Raki so ergeben bleibst wie jetzt, wird er dir noch viel Elend bringen; er frißt deine Seele und verzehrt deinen Körper. Wenn du ihm aber entsagest, wirst du Glück und Freude erleben und einst ohne Wanken über Es Ssiret, die Brücke des Todes, zum ewigen Leben gehen. Bedenke, daß diese Brücke nicht breit ist, sondern so schmal, daß Muhammed sie mit der Schärfe einer geschliffenen Säbelklinge vergleicht. Wie will ein Mensch, dessen Seele noch nach dem Tode voller Raki ist, über diese Brücke gelangen, ohne von ihr hinab in die gähnenden Abgründe der Hölle zu stürzen!«

Indem ich nach christlichen, überhaupt europäischen Begriffen lächerlich sprach, bequemte ich mich der Anschauungs- und Ausdrucksweise des Mannes an, dem meine Warnungen galten. Sie verfehlten ihren Zweck auch wirklich nicht, denn er antwortete:

»Oh, schweig davon, Emir! Deine Worte lassen mich schaudern!«

»Du würdest in diesem Augenblicke noch mehr schaudern, wenn du das grauenhafte Werk, welches du vorhin hier an diesem Baume plantest, wirklich ausgeführt hättest, denn jetzt wankte dein Geist, mit der mordenden Leine am Halse, über die Brücke des Todes; der Raki würde deine Füße gleiten lassen, und du stürztest hinunter in die ewig brodelnden und nie verlöschenden Flammen der Dschehenna, welcher du unrettbar verfallen wärest! Muß dein Herz nicht beben, wenn du daran denkst?«

»Oh, Emir, deine Worte treiben mir den Schweiß der Angst und des Entsetzens aus dem Leibe!« antwortete er, sein Gesicht verhüllend.

»So rate ich dir, von jetzt an das Getränk zu meiden, welches dich und jeden, der sich dem Trunk ergiebt, verderben muß!«

»Ich werde es thun! ja, Herr, ich werde es ganz gewiß thun!«

»Das ist aber nicht so leicht, wie du vielleicht denkst. Wen die Geister des Schnapses einmal ergriffen haben, den wollen sie nicht loslassen, den halten sie fest mit ihren Schlangenarmen; es giebt da einen Kampf, einen schweren Kampf; aber der Sieg ist dann auch um so größer und beglückender. Willst du diesen Kampf versuchen?«

»Ich will es, Emir! Ich verspreche dir, daß ich tapfer kämpfen werde.«

»Und ich nehme dein Versprechen an. Du wirst schon viele Betrunkene gesehen haben, aber ohne sie mit den richtigen Augen zu betrachten und ohne sie in der rechten Weise zu beurteilen. Der Sukri ist kein Mensch mehr, sondern nichts weiter als ein wandelndes Faß, welches täglich vollgegossen wird, bis es, vom Raki ganz und gar zerfressen, elend auseinanderfällt. Auch dich hat er schon so sehr angenagt und angefressen, daß dein Zusammenbruch in kurzer Zeit erfolgen muß, wenn du dich nicht heute mit aller Kraft zusammenraffst!«

»Ich werde nicht mehr trinken; hier hast du meine Hand darauf!«

Er hielt mir die Hand hin. Ich nahm sie jetzt noch nicht, sondern sprach weiter.

»Schau den Trunkenbold an, wenn er sich früh vom Lager erhebt! Sein Kopf schmerzt ihm; seine Hände und Füße zittern; sein Angesicht ist verstört, und er sieht mit glasigen Augen in die Welt hinein. Sein Weib und seine Kinder haben keinen freundlichen Gruß für ihn, weil sie ihn verachten und weil sie wissen, daß er sie nicht liebt und daß ihm der Schnaps höher steht als ihr Glück und ihr Wohlergehen. Freunde hat er nicht, denn die Bekannten, die mit ihm dem Raki fröhnen, sind keine Freunde, sondern ebenso wandelnde Fässer, ohne Herz und ohne Seele, grad wie er. Die Verwandten bemitleiden oder hassen ihn, und die Nachbarn lachen über ihn. Es ist öde in seinem Innern und öde rings um ihn her. Er denkt nicht an Allah und an seine Pflichten; er vergißt die fünf Gebete des Tages und die Feier der heiligen Zeiten. Sein Bauch ist wie mit brennendem Pech gefüllt und sein Magen ausgebrannt wie das Gemäuer einer Hütte, welche die Feuersbrunst verzehrte. Darum verlangt sein trockener Schlund immer wieder und schon in der Frühe nach dem Getränke des Teufels; aber wenn er es verschlungen hat, liegt es ihm wie Blei in den Gliedern; er verliert die armseligen Reste des Verstandes, den Allah ihm verliehen hat; er kann seine Füße nicht mehr beherrschen und bewegt sich wie ein junger, noch blinder Hund, der nicht laufen kann und, so oft er sich erhebt, immer wieder niederfällt. Dabei ist die Seele aus seinen Augen gewichen; seine Lippen fallen herunter, und wenn er sprechen will, kommt nur ein Lallen über seine Zunge, welches das Gelächter der Zuhörer erregt. Sein armes Weib, das ihn früher wohl liebte und ihm eine freundliche Gefährtin war, hat ihm ihr Herz wieder entrissen; sie steht scheu in der Ecke und schämt sich seiner; ja, sie fürchtet sich sogar vor ihm, denn sie ist von der Hand, die ihr eine Stütze auf dem Wege durch das Leben sein sollte, geschlagen und mißhandelt worden. Die Kinder meiden seine Nähe; wenn er mit ihnen spricht, so zittern oder lachen sie, denn sie wissen nicht, ob sie über ihn lachen oder weinen sollen. Das Gesinde, welches ihn achten und ehren und ihm gehorchen sollte, sieht seine Würde im Schmutze liegen und verhöhnt ihn, so oft er seinen Rücken wendet. Die Mitbürger und Ehrenmänner, zu denen er gehören sollte, mögen nichts mehr von ihm wissen; sie meiden ihn, und wenn er ihnen dennoch in die Nähe kommt, so wenden sie sich von ihm ab, wie man zurückfährt, wenn man beim Pflücken der Tschilek unter dem Laube den kalten Leib einer häßlichen Kara Kurbadscha berührt. Die Obrigkeit, die ihn einst wertschätzte und ihm vielleicht gar ein ehrenvolles Amt anvertraute, wird vorsichtig gegen ihn; sie beobachtet seine Schritte und alles, was er thut, denn sie weiß, daß der Geist des Raki ihn nach und nach unfähig machen wird, dieses Amt zu verwalten. Also – –«

»Halt ein!« unterbrach er mich da. »Sprich nicht weiter! Alles, alles was du jetzt gesagt hast, paßt so genau auf mich, als ob du mich seit Jahren gekannt und beobachtet hättest. Habe ich doch erst noch in voriger Woche hören müssen, daß ich in nächster Zeit nicht mehr Charadschi sein werde, weil es zu gewagt sei, mir das Einsammeln der Steuern länger anzuvertrauen. Darum wich die Betrunkenheit sofort von mir, und der Schreck warf mich fast zur Erde, als ich entdeckte, daß die zehntausend Piaster verschwunden waren.«

»So giebst du also zu, daß der Raki dich an den Rand des Verderbens gebracht hat?«

»Ja, Effendi, ja!«

»So wirst du auch einsehen, daß du ihn von jetzt an meiden mußt, wenn du nicht in dieses Verderben stürzen willst. Ich bin ein Christ, dessen Pflicht es ist, jeden strauchelnden Menschen, auch wenn derselbe einen andern Glauben hat, zur Besserung und zum Glück zu führen. Darum will ich dir jetzt, obgleich du Moslem bist und dein Wohl mir eigentlich vollständig gleichgültig sein könnte, die Hand zur Rettung bieten. Ich verspreche dir, alles aufzubieten und selbst mein Leben daran zu wagen, daß du das gestohlene Geld wiederbekommst. Dafür mußt aber du mir heilig versprechen, daß du von jetzt an den Raki meiden willst!«

Da sprang er auf und rief vor Freude fast überlaut, gar nicht daran denkend, daß er durch seine Stimme unsere Anwesenheit verraten könne:

»Ich werde ihn meiden; ja, ich werde ihn meiden; das verspreche ich dir!«

»Nicht so laut! Ich glaube, daß du dieses Versprechen gerne giebst; aber du denkst in diesem Augenblicke nicht daran, wie schwer es zu halten ist. Nimm dir nicht vor, von heut an gar keinen Raki mehr zu trinken; das würdest du nicht fertig bringen, sondern der Trunksucht ganz im Gegenteile nur noch mehr verfallen. Trinke von heute an nur noch die Hälfte von dem, was du bisher täglich getrunken hast, nach einem Monate nur das Viertel, nach drei Monaten nur den achten Teil, und so alle drei Monate halb soviel wie vorher, bis du so weit gekommen bist, daß du täglich nur so viel genießest, wie du mit drei kleinen Schlucken nehmen kannst. Diese drei Schlucke darfst du dann täglich bis an dein Ende trinken; das erlaube ich dir. Liegt dir aber daran, ein Allah wohlgefälliges Werk zu verrichten und ein ganz glücklicher Mann zu sein, der sich dereinst ohne Straucheln der Brücke des Todes getrost anvertrauen kann, so meide auch diese drei Schlucke und trinke nichts, aber auch gar nichts mehr, was dich betrunken machen kann; denn Muhammed, dein Prophet, hat gesagt: Kullu muskürün haram -alles, was trunken macht, sei verboten, sei verflucht!«

Da streckte er mir die Hand wieder hin, ja beide Hände zugleich, und sagte: »Emir, ich höre, daß du von mir nicht mehr verlangst, als was ein schwacher Mensch zu leisten vermag. Ich werde deinem Gebote und dem Gebote Muhammeds Folge leisten, und Allah wird mir die Kraft geben, wieder ein guter Mensch zu werden und mein Weib und meine Kinder glücklich zu machen; habe ich dann das verlorene Vertrauen und die verschwundene Achtung zurückerlangt, so werde ich in Dankbarkeit deiner gedenken und es vor allen Leuten bekennen, daß die Lebe, welche die Menschen untereinander haben sollen, wenn nicht bei uns Moslemim, so doch desto sicherer bei euch Christen zu finden ist. Ich habe dir vorhin meine Hände vergeblich angeboten; willst du sie nun jetzt ergreifen? Ich schwöre dir bei – –«

»Keinen Schwur!« unterbrach ich ihn. »Ich bin ein Mensch, also auch nur Gottes Geschöpf, grad so wie du, und darf keinen Schwur von dir fordern, welcher an den Namen des Allmächtigen und Allwissenden gebunden ist. Gieb mir nur dein Versprechen!«

»Gut! Ich verspreche dir bei meiner Seele, bei den Geistern meiner Väter und bei den unberührten Bärten des Propheten und seiner Nachfolger, daß mich von jetzt an niemand mehr betrunken sehen soll! Allah hat es gehört; er wird auch sehen, daß ich mein Wort halten werde! Hier, nimm zur Bekräftigung dessen, was ich gesagt habe, meine Hände!«

Ich folgte seiner Aufforderung. Halef, der ganz gerührt über diesen Erfolg war, gab ihm auch die Hand und sagte:

»Allah sei mit dir, du Sohn der Trunkenheit, der sich von dieser seiner schlimmen Gohzet el Ab scheiden lassen will! Wirf sie getrost zum Hause hinaus, und laß sie ja nicht wieder herein, auch wenn sie nicht durch die Thür kommen, sondern durch das Fenster steigen will! Denn sie ist schlau, ungeheuer schlau, sage ich dir, wie alle Weiber sind, welche man hinausgeworfen hat und die doch gern wieder hereinkommen möchten! Und wenn du dereinst ein nüchterner Mann geworden bist und wir deinen Khan wieder besuchen, so wird dann auch die Tiefe des Morastes, in welcher man jetzt in deinem Hofe zu waten hat, verschwunden sein, so daß man mit sauberen Schuhen darüber hinwegschreiten kann und dich nicht mehr in dem Loche des Schlammes liegen sieht wie eine große Dabb sakrahn, welche den Auswurf deiner Landwirtschaft für das Ruhebett der Königin von Scheba hält! Wasche also auch deinen Körper, wenn du deine Seele gereinigt hast, denn wer das Wasser der Seife scheut, an dessen Gliedern sind alle Löcher der Haut verstopft, und er wird, auch wenn er nicht mehr trunken ist, an den Folgen der Dscherab und anderer Amrad el Gild zu Grunde gehen!«

Der Wirt fühlte sich durch die drastische Ermahnung des kleinen Hadschi nicht im geringsten beleidigt; er antwortete:

»Du hast recht, o Hadschi Halef Omar! Früher, als ich den Raki noch nicht liebte, waren mein Haus und mein Hof so blank und freundlich wie das Angesicht einer Braut, welche die Wonne des Bräutigams und die Erwählte seines Herzens ist. Aber, was sehe ich jetzt! Ich habe noch gar keine Zeit gefunden, eure Pferde zu beachten. Sind das nicht die Grauschimmel des Apothekers?«

»Ja, sie sind es,« antwortete ich.

»Welch ein großes Wunder, daß er sie euch geborgt hat!«

»Er hat sie uns nicht geborgt, sondern wir haben sie uns ohne sein Wissen aus seinem Garten geholt. Wir mußten so schnell hinter den Kelhur her, daß wir keine Zeit mit Fragen, Bitten und Verhandlungen verlieren durften. Er wird sehr erschrocken sein, als er bemerkte, daß sie fehlten, und um so mehr wird er sich freuen, wenn du sie ihm wiederbringst.«

»Ich? Ich soll sie ihm wiederbringen?«

»Ja. Du steigst jetzt in den Sattel und reitest heim.«

»Mit Wonne, Emir, mit großer Wonne! Ich werde froh sein, wenn ich aus der Nähe dieser Räuber bin. Aber dann habt ihr ja keine Pferde mehr!«

»Sorge dich nicht um uns! Wir werden nicht eher von hier fortgehen, als bis wir den Kelhur unsere beiden Pferde wieder abgenommen haben.«

»Aber das ist gefährlich, außerordentlich gefährlich!«

»Noch gefährlicher ist es, ihnen deine zehntausend Piaster wieder zu entreißen, was, wie ich hoffe, uns doch gelingen wird. Wenn alles glückt, sind wir schon morgen abend in Khoi und bringen dir das Geld. Siehst du uns bis übermorgen abend nicht, oder bekommst du bis dahin keine Nachricht von mir, so sind wir tot.«

»Das, o Effendi, möge Allah verhüten! Denn es hängt ja auch mein Glück davon ab, daß ich euch gesund und wohl wiedersehe.«

»Ich wollte dich nicht ängstigen, doch muß der Mensch an alle Fälle denken. Ich glaube, dir alle Hoffnung mitgeben zu können, daß unser Abenteuer einen guten Ausgang nimmt. Wir sind nicht unerfahren in solchen Sachen und brauchen jetzt nur noch zu erfahren, wie der Ort und seine Umgebung beschaffen ist, an welchem sich die Kelhur gelagert haben. Ist es dir möglich, ihn mir zu beschreiben?«

»Ja, dieses Wasserbett führt jetzt steiler an als bisher. Da, wo es sich teilt, folgt ihr dem Arme rechts, der auch viele Windungen macht und immer schmaler wird, bis ihr auf eine kleine, ebene Wiese kommt, die auf drei Seiten vom Walde umgeben ist. Auf der vierten Seite steigt ein Fels fast senkrecht auf, von welchem die Quelle herunterstürzt, indem sie einen schmalen Schellal bildet. Da seht ihr oben die Musallah el Amwat stehen, in welcher die Geister wohnen und in der heut in der Nacht Aqil und sein Sohn von den Bären gefressen werden sollen. Hinter der Kapelle und etwas höher noch als sie, ist einst eine Steinwand eingestürzt, die nun ganz wirr in vielen Trümmern liegt, in denen sich das Lager der Bären befindet.«

»Bären. Es giebt also nicht nur einen, sondern mehrere dort?«

»Ja.«

»Hm! Die Paarungszeit ist längst vorüber, und wenn die Bärin geworfen hat, leidet sie den Bären nicht mehr bei sich, weil er kein guter Vater ist, sondern die lieblose Neigung hat, seine Kinder zu verzehren. Ich bin also der Meinung, daß es sich nicht um ein Bärenpaar, sondern um eine Bärin und ihre jungen handelt.«

»Das weiß ich nicht; aber der Dubb, den man da oben gesehen hat, soll ein Dubb el Chulud sein, der seit der Ermordung der Christen bei der Musallah wohnt und in dieser langen Zeit immer gewachsen und dadurch so groß geworden ist, daß er einen Menschen zweimal überragt. Es ist der Geist des Priesters dieser Christen, und sein Fell soll wegen dieses hohen Alters die Weiße des Schnees besitzen. Sein Magen muß so groß sein, daß Aqil und sein Sohn in kurzer Zeit darin verschwinden werden. Effendi, wenn du dich auch nicht vor den Kelhur fürchtest, so nimm dich wenigstens vor diesem Ungetüm in acht! Mein Herz hegt den Wunsch, dich in Khoi wiederzusehen, was aber nicht geschehen kann, wenn er dich zu den zwei Bebbeh auch mit hinunterschlingt!«

»Was das betrifft, so mach dir keine Sorge! Ich bin ein Bissen, den selbst ein Bär nicht so leicht hinunterbringt, zumal wenn er vorher schon zwei Kurden vom Stamme der Bebbeh genossen hat. Über den unsterblichen Dubb el Chulud habe ich nun genug erfahren; eine Hauptsache ist jetzt noch, zu wissen, wo die Kelhur lagern. Wohl auf der kleinen Wiese, von welcher du gesprochen hast?«

»Nein, denn die ist zu moorig dazu. Von der Wiese kommt, wieder rechts, ein ganz dünnes und klares Wasser herab. Wenn du diesem folgest, so gelangst du weiter oben an einen freien, rings vom Walde eingefaßten Platz, in dessen Mitte eine kleine Birka liegt, welche den Quell des Wassers bildet. Das ist die Stelle, wo sich die Kelhur gelagert haben.«

»Ist der Wald dort dicht?«

»Ja.«

»Giebt es zwischen ihm und der Birka einen sehr breiten Raum?«

»Nein; der Platz ist klein, so daß die Kurden ganz rund um die Birka liegen müssen.«

»Mit ihren Pferden? Oder haben sie die irgendwo anders untergebracht?«

»Sie befinden sich auch dort und sind, nachdem sie getränkt worden waren, rings an den Bäumen angebunden worden.«

»So brauche ich nichts mehr zu wissen, und du kannst fortreiten, freilich ohne Sattel, denn unser Lederzeug brauchen wir selber.«

»Aber dein kostbares Reschma darfst du doch keiner Gefahr aussetzen! Wenn es dir nun die Kelhur stehlen! Ist es nicht viel besser, daß ich es mit nach Khoi nehme?«

»Nein. Es ist mir hier sicherer als auf dem Grauschimmel, den du reitest. In Khoi wird auch gestohlen, wie du ja aus Erfahrung weißt.«

Wir schirrten die Pferde ab und übergaben sie dem Wirte; er stieg auf und ritt davon, uns »mehr als tausend Wünsche des Gelingens« zurücklassend, wie sein Ausdruck lautete. Bis jetzt hatten wir ihn vom Selbstmorde abgehalten; ich hatte beinahe die feste Überzeugung, daß es uns auch gelingen würde, ihm sein Geld wieder zu bringen.

Zunächst galt es, die Pferdegeschirre zu verbergen. Wir fanden schon nach kurzem Suchen ein vortreffliches Versteck, in welchem wir sie unterbrachten; dann folgten wir, jetzt aber zu Fuße, den Spuren der Kurden von neuem, doch nur bis dahin, wo sich das Flußbett teilte, denn von da an konnten wir jeden Augenblickes von den Wächtern gesehen werden, welche der Scheik hatte ausstellen wollen.

Ich beschloß aus diesem Grunde, die Fährte nun zu verlassen. Die Beschreibung, welche der Wirt uns geliefert hatte, und der Blick, mit welchem ich die vor uns liegenden Höhen und Hänge musterte, genügten, mir zu zeigen, wie wir uns zu verhalten hatten, um unbemerkt an die Feinde zu kommen. Der Scheik hatte unsere Ankunft für möglich gehalten; er war jedenfalls überzeugt, daß wir uns nach seiner Fährte halten würden, und richtete also seine Aufmerksamkeit nach der Gegend, aus welcher er selbst gekommen war, nämlich am Wasser hinauf. Wir hatten also die Aufgabe, von oben herabzukommen. Darum verließen wir nun das Wasserbett und drangen in den Wald ein, der hier stark in die Höhe stieg. Wir hatten tüchtig zu klettern, und es dauerte fast eine Stunde, bis wir den Kamm, auf den ich es abgesehen hatte, erreichten. Dort angekommen, sahen wir jenseits, in gleicher Höhe mit uns, die Musallah el Amwat liegen.

Es war ein großartiger Ausblick, der sich uns hier bot. Unter uns brandete weithin ein ganzes Meer von hellen Laub und dunklen Nadelholzwogen, während vor uns und zu beiden Seiten die finstern Mauern des Gebirges starrten. Solche Formen waren nicht im Harze oder Thüringer Walde, nicht im Erzgebirge oder den Sudeten, auch nicht in Tirol, der Schweiz oder den Pyrenäen zu finden. Freilich konnten sie in Beziehung auf Höhe, Massigkeit und Schwere nicht mit den letztgenannten Gebirgen verglichen werden; aber ihre Physiognomie war eine so scharfe, charaktervolle, wild drohende und unerbittliche, daß mir der Vergleich mit dem Charakter und den Verhältnissen der hier hausenden Stämme förmlich aufgezwungen wurde. Der Mensch ist überall, in Süd und Nord, auf der Ebene und im Gebirge, ein Kind der Scholle, auf welcher er seine ersten Schritte thut!

Gradezu wunderbar nahm sich auf den gegenüber liegenden Felsen die »Kapelle der Toten« aus. Dieser stille von der übrigen Erde ab- und dem Himmel nahegelegene Felsenthron war wie geschaffen gewesen als Zufluchtsort jener vertriebenen, verfolgten und abgehetzten Bekenner des Christentumes, und dennoch war der schiitische Fanatismus wie ein Bluthund auf ihren Spuren geblieben, grad so wie heut wir auf der Fährte der Kelhurkurden. Von hier aus hatten sie nicht weiter gekonnt, über die Bergesmauern und über den hochstarrenden Haß der Verfolger hinüber, und darum waren sie den Weg gegangen, den einzigen, der ihnen hier übrig blieb, den Weg in den Tod.

Die Musallah, deren Trümmer wir vor uns liegen sahen, war weder ein imposantes Bauwerk gewesen noch nach irgend einem Stile errichtet worden; trotzdem wirkten ihre Überreste noch jetzt auf uns, weil sie den Mittelpunkt einer unvergleichlichen Gebirgsscenerie bildeten und zugleich ein Denkmal zum Gedächtnisse derer, welche gehorsam gewesen waren dem Gottesrufe: »Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben!« Die Mauern hatten aus unbehauenen Natursteinen bestanden, wie sie von dem nahen Felsensturze geboten wurden, und das niedrige aber breite Thor war aus drei schweren Monolithen zusammengefügt. Die zwei leeren Fensteröffnungen starrten wie Simsons ausgestochene Augen, und über dem zerstörten Heiligtume ragte als Decke ein Felsenvorstoß aus der Bergeswand, drohend und schwer wie der Fluch, den der sterbende Priester noch im Verscheiden ausgesprochen hatte. Als ob dieser Fluch erst gestern ausgestoßen worden sei und die »Zeit keine Zeit gefunden« habe, mit sanfter, grünender Hand den Bann zu lösen, es war kein Baum, kein einziger Strauch in der Nähe zu sehen und keine Staude, kein Moos, keine Flechte hatte das Mitleid gehabt, die Runen zu übergrünen, die ich so deutlich lesen konnte, die Runen- »Seid verflucht!« Erst weiterhin, wo das Chaos des Bergsturzes begann, wanden sich einzelne Dornen um das Gestein und krochen, im Vereine immer dichter werdend, mit Farren, Kaiserkronen und Weidenröschen untermischt, in das Trümmerfeld hinein und hoch noch über dasselbe hinauf; dann läuteten riesige Glockenblumen dem Walde entgegen, der hinter und über dem Wirrwarr wieder begann. Dort, unter dem Dornengestrüpp und nirgendwo anders mußte das Lager der Bären zu suchen sein. Halef hatte denselben Gedanken, denn er sagte, indem er mit der Hand hinüberzeigte:

»Sihdi, da drüben, wo du die große Lahbahta el Higara erblickst, muß die Wohnung des ›Bären der Unsterblichkeit‹ sein. Wenn wir ihm zeigen wollen, daß er trotz dieses Namens sterblich ist, müssen wir hinüber und ihm den Faden des Lebens zerschneiden, noch ehe es ihm gelingt, die beiden Bebbehkurden zu verschlingen.«

»Das dürfen wir leider nicht, lieber Halef, denn das Terrain ist dort so offen und wir könnten uns so wenig verbergen, daß uns die Kelhur gleich in der ersten Minute entdecken würden.«

»So willst du es zugeben, daß Aqil und sein Sohn getötet werden?«

»Nein.«

»Wie kannst du das aber verhüten, wenn du den Bären nicht aufsuchen willst?«

»Er wird ganz von selber kommen, ohne daß wir uns die Mühe zu geben brauchen, ihm unsere Visite zu machen.«

»So ist er höflicher als wir; diesen Vorwurf kann ich dir nicht ersparen, Sihdi! Glaubst du übrigens, daß er so groß ist, wie der Wirt gesagt hat?«

»Nein.«

»Ich auch nicht. Um erst die Bebbeh und dann auch dich noch zu verschlingen, müßte er einen Magen haben wie ein kleines Frauenzelt. Auch soll er weiß sein wie der Schnee. Giebt es Bären von dieser Farbe?«

»Ja; der Eisbär ist so weiß, und der kurdische Bär bekommt im Alter zuweilen auch dieselbe Farbe.«

»Kann er aber in einem solchen Alter Junge haben?«

»Gewiß. Der Bär kann fünfzig Jahre alt werden, und es hat Beispiele gegeben, daß eine Bärin noch mit dreißig Jahren junge geworfen hat. Der Wirt kann also, die abergläubische Erklärung abgerechnet, die Wahrheit gesagt haben.«

»Wie aber denkst du dir die Rettung der Bebbeh, ohne daß wir den Bären aufsuchen?«

»Einen bestimmten Plan habe ich jetzt noch nicht. Ich muß erst zu den Kelhur hinunter.«

»Sie beschleichen?«

»Ja.«

»Darf ich mit, Sihdi?«

»Nein.«

»Oh, warum denn nicht? Du weißt ja, daß ich so sehr gern jede Gefahr und Sorge mit dir teile!«

»Dazu wirst du heut schon noch Gelegenheit bekommen. Zunächst gilt es, das Lager der Kelhur ganz genau kennen zu lernen und dabei vielleicht etwas Bestimmteres über ihre Absichten zu erlauschen. Da bist du überflüssig, während du mir, wenn du hier bleibst, den größten Dienst erweisen kannst.«

»Wiefern, Effendi?«

»Insofern, als ich dir meine Gewehre anvertraue, die ich nicht gern einer Gefahr aussetzen möchte. Sie sind mir unersetzlich, und du wirst also einsehen, wie wichtig es für mich ist, sie in deinen treuen und starken Händen zu wissen.«

Das war geschmeichelt, und ich hatte wohl Grund, dies zu thun. Halef war mir stets ein aufmerksamer und gelehriger Schüler gewesen, auch im Anschleichen, beziehentlich dessen seine Geschicklichkeit für gewöhnliche Fälle ausreichte; in schwierigeren Fällen aber schloß ich ihn lieber aus, denn er besaß nicht die notwendige Ausdauer des Körpers und des Geistes. Er war kräftig, doch sich längere Zeit auf den Spitzen der Finger und Zehen zu erhalten, das brachte er doch nicht fertig. Und sein lebhaftes Naturell machte es ihm fast unmöglich, stundenlang eine stille, regungslose und schweigsame Geduld zu üben. Er hatte mir da schon öfters Böcke geschossen und mich in arge Verlegenheiten gebracht. Das Anschleichen und Belauschen kann unter Umständen die Körper- und auch die Geisteskräfte des geübtesten Mannes vollständig aufzehren; ich hatte solche Fälle sogar an mir selbst erlebt und heut und hier, das wußte ich im voraus, standen mir Schwierigkeiten entgegen, wie ich sie selten zu überwinden gehabt hatte. Darum sollte der Hadschi nicht mit. Da er sich aber sehr leicht zurückgesetzt fühlte, mußte ich der bittern Pille eine süße Umhüllung geben und that dies, indem ich das große Vertrauen betonte, welches ich ihm bewies, indem ich ihn beauftragte, meine Gewehre zu behüten. Er fiel auch wirklich auf diese gutgemeinte Finte herein, indem er mir in stolzem, selbstbewußtem Tone versicherte:

»Daran thust du freilich sehr recht, Effendi, denn diese köstlichen Waffen können in deinen Händen gar nicht sicherer sein als in den meinigen. Ich würde sie bis zum allerletzten Tropfen meines Blutes verteidigen!«

»Das sollst du gar nicht, denn es wird sich hier, wenn du es richtig machst, kein Mensch dazu finden, sie dir abnehmen zu wollen. Du hast weiter nichts zu thun, als dich so gut zu verstecken, daß dich jemand, der wider alles Erwarten hierher käme, nicht finden kann. Nur darfst du dieses Versteck nicht eher verlassen, als bis ich zurückkehre.«

»Ja, wann kommst du denn wieder?«

»Das kann ich nicht bestimmen; es können Stunden bis dahin vergehen.«

»Stunden? Allah ‚l Allah! Das werden Ewigkeiten sein! Wenn du nicht kommst und ich denke, daß du dich in Gefahr befindest, so fährt mir vor Ungeduld die Seele aus dem Leibe. Bedenke doch, wenn man dich tötete, ohne daß ich dabei bin! Das hieltest du nicht aus und ich auch nicht!«

»Allerdings! Das getötet werden hält kein Mensch aus, ich auch nicht. Aber wenn man mich tötete, so wäre es ganz gleich, ob du dabei bist oder nicht.«

»Ich könnte wenigstens mit dir sterben!«

»Das würde mich nicht wieder lebendig machen; aber du könntest mich rächen!«

Das war das richtige Wort, mit dem ich ihn dahin brachte, wohin ich ihn haben wollte. Er schlug sich stolz in die Brust und sagte:

»Ja, dich rächen! Dazu bin ich der richtige Mann! Geh also getrost, Effendi! Ich werde hier ganz geduldig und unbeweglich warten, bis du wiederkommst. Kommst du aber nicht, so wird sich binnen kurzer Zeit kein einziger von diesen Kelhurkurden mehr zu den Menschen rechnen können, die noch am Leben sind! Wenn sie es wagen sollten, dir auch nur die Haut zu ritzen, so sende ich sie alle, alle in die Hölle, einen nach dem andern, bis keiner mehr von ihnen übrig ist. Das sage ich dir und was ich dir sage, darauf kannst du dich verlassen. Geh also, geh in Allahs Namen! Dein treuer Halef sitzt als Rächer hier, wenn du getötet wirst!«

Ich hätte gern gelacht, ließ es aber, um ihn nicht zu beleidigen, bei meinem ernsthaften Gesichte bewenden, gab ihm die Gewehre, drückte ihm die Hand, indem ich ihm noch einmal einschärfte, sich ja ganz ruhig zu verhalten, und stieg dann, langsam und vorsichtig Fuß um Fuß vorsetzend, den Berg in derjenigen Richtung hinab, welche mich nach dem Lager bringen mußte.

Nach meiner ungefähren Berechnung hätte ich, um es zu erreichen, unter gewöhnlichen Verhältnissen eine Viertelstunde zu gehen gehabt; aber die Vorsicht, welche ich anwenden mußte, konnte dieser Zeit eine Ausdehnung geben, die jetzt noch gar nicht zu bestimmen war. Glücklicherweise bestand der Boden aus weicher Humuserde; es gab keine Steine, die durch einen unvorsichtigen Schritt ins Kollern kommen konnten, und starke Bäume standen genug da, hinter denen ich mich, falls ich einen Menschen sah, sofort verstecken konnte. Man verhält sich bei Gelegenheiten, wie die jetzige eine war, in der Weise, daß man, hinter einem Baume stehend, mit den Augen die Umgebung absucht und zugleich das Ohr zu Hilfe nimmt, jedes verdächtige Geräusch zu entdecken; hat man keinen Grund zum Mißtrauen gefunden, so sucht man so rasch wie möglich den nächsten Baum zu erreichen, von welchem aus man das Spähen und Lauschen fortzusetzen hat. Das erfordert zwar Zeit, entschädigt aber für diesen Verlust mehr als reichlich durch die Sicherheit, die man dadurch für sich gewinnt.

Indem ich diesen Trick anwendete, kam ich, ohne etwas Störendes bemerkt zu haben, binnen einer halben Stunde so weit den Berg hinab, daß ich endlich unter mir Stimmen hörte; die klangen jedenfalls vom Lager herauf, dessen Nähe ich erreicht hatte. Meine Abschätzung der Gegend und der Entfernungen war also richtig gewesen, obgleich es nicht etwa leicht ist, so, wie in meiner Lage, in fernem Lande, zwischen Bergen und Wäldern, die man nicht kennt und wo die Lichtverhältnisse und der verschiedene Feuchtigkeitsgehalt der Luft das Auge täuschen, vorherzusagen, in welcher Weise und zu welcher Zeit man auf Umwegen, zu denen man gezwungen ist, einen bestimmten Ort erreichen werde.

Nach dem Klange der Stimmen, die ich hörte, konnten die Sprechenden nicht weit von mir entfernt sein; darum nahm ich mich von jetzt an noch mehr zusammen als bisher, bewegte mich aber trotzdem in gerader Linie auf diese Leute zu. Dadurch hatte ich so viel Glück, daß ich es gar nicht größer hätte haben können. Ich gelangte nämlich an ein ausgedehntes aber nicht sehr dichtes Farngestrüpp, legte mich auf den Boden nieder und schob mich in dasselbe hinein. Kaum war ich da vier oder fünf Meter weit vorgedrungen, so fiel der Grund des Waldes vor mir fast senkrecht hinab, und ich sah mich oben über dem schmalen Hintergrunde eines haarnadelähnlichen Einschnittes, dessen Seiten von Farn eingefaßt wurden. Da, wo ich lag, war er am tiefsten; seine Ränder senkten sich aber schnell nach vorn, wo er auf die Wiese mit dem kleinen Teiche mündete, die den Lagerplatz der Kurden bildete. Dieser Einschnitt hatte seine Entstehung unbedingt einem fließenden Wasser zu verdanken, welches da hinten, wo ich lag, aus der Erde gekommen war und dann nach der Wiese floß; das war wohl die ursprüngliche Quelle des Baches gewesen, auf dessen Bette die Kurden heraufgeritten waren; sie hatte sich aber als »wandernde Quelle«, die man nicht selten findet, vorwärts bewegt; jetzt speiste sie den Teich auf der Wiese, und der Einschnitt, den sie in den Boden des Waldes gefressen hatte, war trocken geworden. Er gab nun einen Ruheort, wie man ihn sich gar nicht bequemer denken konnte. Vor Wind und durch das dichte Laub der Bäume auch vor Regen geschützt, konnte man es sich hier in dem tiefen, weichen Moose so bequem machen, wie draußen auf der Wiese nicht. Das hatte Schir Samurek, der Scheik der Kelhurkurden, gar wohl bemerkt und darum diese bequeme Stelle für sich und seine nächste Umgebung ausgewählt. Diese Umgebung bestand aus noch einem Kelhur, welcher den Wächter machte, und den Gefangenen. Man kann sich denken, welche Freude ich hatte, als ich grad diejenigen vor mir sah, welche für mich die Hauptpersonen waren!

Grad unter mir, also am hintersten Ende des Einschnittes, saß Ssali Ben Aqil mit seinem Vater, nahe bei ihnen der Scheik; sie waren an den Fuß- und Armgelenken gefesselt. Dann kamen die übrigen Gefangenen, also der Nezanum und die Männer aus Khoi, die ebenso gebunden waren, und vor ihnen saß, die geladene Flinte in der Hand, der erwähnte eine Kelhur, welcher die Gefangenen zu beaufsichtigen hatte, was für jetzt, bei Tage, keine anstrengende Aufgabe war.

Der Scheik und die beiden Bebbeh waren diejenigen gewesen, deren Stimmen ich vorhin gehört hatte; sie sprachen auch jetzt noch miteinander, wobei, wie ich sehr bald hörte, Schir Samurek den Zweck verfolgte, sie mit Beleidigungen zu quälen und ihnen schon jetzt einen Vorgeschmack ihres grausamen Todes zu geben. Er schien ihnen soeben eine dieser letzteren Bemerkungen gemacht zu haben, denn ich hörte Ssali Ben Aqil in einem Tone, welcher nach Schauder klang, antworten:

»Du bist ein Teufel, ein grausamer Teufel, und wenn ich nicht wüßte, daß der Satan in der Hölle wohnt, würde ich denken, du seist dieser oberste der bösen Geister!«

»Was ist der Satan gegen mich, wenn es sich um die Blutrache handelt!« höhnte der Scheik. »Er muß sich verkriechen, denn seine Gedanken wären nicht auf die Bären und auf den Honig gekommen, mit dem ich euch bestreichen lassen werde. Da seht ihr ihn. In einer halben Stunde wird es Zeit sein, zu beginnen.«

Er deutete mit diesen Worten auf ein neben ihm liegendes, mit großen Blättern des wilden Kürbis dick umwickeltes Paket, welches also wohl die Honigwaben enthielt. Als er keine Entgegnung erhielt, fuhr er fort:

»Du bist ein Lehrer und Prediger der Religion und hast geglaubt, den Mahdi entdecken zu können, welcher der Führer zum Entzücken und zur Seligkeit sein soll. Suche ihn doch und finde ihn doch heut, du Thor! Heut ist dir so ein Führer aus der Qual zum Genusse, aus dem Tode zum Leben nötiger denn je! Bete zu Allah, ob er dich erretten wird! Bete zu Muhammed, ob er dir Hilfe bringt! Richte deine Seele zu Obeid-Allah, dem ersten Fadimiten, und zu allen übrigen, die ihm in der Lüge nachgefolgt sind, indem sie sich für den Mahdi ausgaben! Flehe sie doch an, dich vom Tode zu befreien! Kein Allah, kein Prophet und kein Mahdi kann dich erlösen!«

»Wenn ich ernstlich darum bitte, werden sie uns befreien,« antwortete Ssali, »denn der Kuran sagt, daß das Gebet dem Feuer gleiche, welches selbst das härteste Erz zum Schmelzen bringt.«

»Du Thor!« lachte der Scheik. »Kein Gott handelt gegen seine eigenen Gesetze und kein Prophet gegen seine eigenen Lehren. Hat nicht Allah die Blutrache geboten, als er sagte: Auge um Auge, Leben um Leben!? War es nicht Muhammed, der seinem Stamme, den Arab Koreisch, in jeder Blutsfehde mit dem Schwerte voranging? Was soll dir das Gebet zu ihnen helfen, da weder Allah noch der Prophet jemals verziehen hat? Gott und Muhammed, sie sind durch sich selbst gezwungen, mir zu helfen, aber nicht dir! Es giebt keine Gesetzgebung und keine Lehre, welche den Mut besitzt, im vollen Ernst die Rache zu verbieten und die Verzeihung an ihre Stelle zu setzen.«

»Es giebt eine solche Lehre!«

»Nein!«

»Es giebt eine; die christliche ist’s!«

»Dummkopf! Glaubst du denn, daß es dem Gekreuzigten und seinen Nachfolgern Ernst damit gewesen ist? Beobachte die Christen, was sie thun! Gleichen ihre Werke ihren Lehren? Geben sie nicht Lüge anstatt Wahrheit, Strafe statt Verzeihung, Falschheit anstatt Aufrichtigkeit und Krieg anstatt des Friedens?«

»Die das thun, haben gar keinen Glauben; sie nennen sich zwar Christen, sind aber keine!«

»Das hat dir dieser Kara Ben Nemsi gesagt, dessen Zunge die Wohnung des Betruges ist!«

»Ich glaube ihm, denn er spricht niemals anders, als er denkt!«

»Allah w‘ Allah! Der Moslem vertraut dem Christenhunde! Bist du denn wirklich wahnsinnig genug, zu denken, daß dieser räudige Schakal uns hindern könne, euch den Bären vorzuwerfen?«

»Es ist nicht Wahnsinn, daß ich es für möglich halte. Dieser Emir aus Germanistan ist ein Sohn des Glückes und ein Liebling der guten Dschinn, welche im Himmel wohnen und Gottes Thron umringen. Er hat viel Schwereres vollbracht, als unsere Befreiung sein würde!«

»Er ist eine feige Hyäne, die den Mut nicht hat, uns zu folgen, oder ein blinder Hund, der keine Fährte sieht. Wenn er sich an uns wagte, müßte er längst hier sein! Ich habe ja sein Antlitz schamrot gemacht, indem ich ihm sagen ließ, daß ich es bin, der seinen Hengst entführte.«

»Er kann noch kommen!«

»So fällt er meinen Wachen in die Hände, die unten beim Aufgang des Thales auf ihn lauern, und wird den gleichen Tod mit euch erleiden! Ihn, der ein Christ ist, wird dann der Geist des christlichen Priesters, der als Bär erscheint, auch verschlingen. Du siehst, daß ihr auf alle Fälle verloren seid!«

»Allah giebt das Leben, und Allah giebt den Tod; es ist alles im Buche verzeichnet; aber ich darf noch nicht sterben, denn ich habe die Aufgabe noch nicht erfüllt, die ich zu vollenden habe; ich weiß also, daß wir errettet werden!«

»Hund, willst du mich etwa verhöhnen! Such‘ deine Befreiung beim Halbmonde, oder such‘ sie beim Kreuze der Christen, du wirst vergeblich nach ihr lechzen und schreien!«

»Ist der Mond der Moslemim nicht barmherzig, so werden wir Erhörung bei dem Kreuze finden!«

»Das haben die Schiiten dort von der Musallah herabgestürzt und mit Feuer verbrannt, es ist vernichtet und kann dir zu nichts helfen!«

»Aber die Bedeutung, die es hatte, die ist noch vorhanden!«

Da donnerte ihn der Scheik, erbost über die Gegenreden, grimmig an:

»Der Wahnwitz deines Widerstandes ist und bleibt grenzenlos! Ich sage dir, und das merke dir: da drüben steht die Musallah el Amwat; ich sage, daß der Bär des Priesters euch dort fressen werde, und du meinst, daß das Kreuz euch dort erretten könne; jeder Mensch, der Hirn im Kopfe hat, wird dich darob verlachen, dennoch will ich ernst bleiben und so thun, als ob ich das, was du gesagt hast, für möglich halte. Wenn der Bär des toten Priesters da drüben im Eingange der Musallah steht und das Kreuz der Christen in den Tatzen hält, dann will ich glauben, daß es diesem Kara Ben Nemsi, dem Christenhunde, gelingen kann, euch aus unsern Händen zu erretten, eher aber nicht! Hast du das gehört? Bist du so verrückt, auch dies für möglich zu halten?«

»Wenn Gott es will, so ist es nicht nur möglich, sondern es wird und muß geschehen!«

Da sprang der Scheik auf, stampfte mit beiden Füßen die Erde, fuchtelte in unzähmbarem Zorne mit den Armen in der Luft herum und schrie den Kelhur zu, welche, von dem überlauten Gezänke herangelockt, am Eingange des Bodenrisses standen:

»Hört ihr es, hört! Dieser verrückte Sohn eines Hundes und einer Hündin vom Stamme der Bebbeh behauptet, daß der Geist des Priesters drüben unter dem Thore der Musallah stehen werde, mit dem Kreuze der Christen in den Tatzen, zum Zeichen, daß er und sein Vater uns mit Hilfe von Kara Ben Nemsi, den die Hölle geboren hat und auch wieder verschlingen muß, entkommen werden! Ihr habt es gehört. Nun laßt das Lachen des Spottes erschallen und das Gelächter der Verachtung ertönen, damit er und der Erzeuger seines armseligen Lebens von den Stimmen der Verhöhnung niedergeschmettert werden!«

Er ließ, um selbst das Beispiel zu geben, ein brüllendes Lachen hören, und seine gehorsamen Kurden fielen in dasselbe ein. Der Wald und die Bergwände gaben das unbeschreibliche johlen verzehnfacht zurück, daß es mir war, als müsse der weiße Riesenbär des Priesters aufgeweckt werden und drüben erscheinen, um die so verhöhnte Behauptung wahr zu machen. Mein Blick flog auch wirklich unwillkürlich hinüber; aber das Gedorn bewegte sich nicht, und das Thor der Musallah blickte so leer als wie zuvor zu uns herüber. Dafür aber tauchte in mir ein Gedanke auf, den ich sofort festhielt, obgleich seine Ausführung mir die Rettung der Gefangenen, die mir in anderer Weise wohl leichter geworden wäre, ungemein erschweren mußte.

Als das Hohngelächter verklungen war, setzte sich Schir Samurek wieder nieder und warf in unbeschreiblich verachtungsvollem Tone die Frage hin:

»Wiß ihr nun, wie vernünftige Männer über euch denken? Hat die Antwort, die ihr erhieltet, euch nicht die Knochen zu Mehl und Staub zermalmt? Morgen um dieselbe Zeit werdet ihr dasselbe Lachen aus dem Munde der Teufel in der Hölle hören, und es wird euch in die Ohren klingen in alle Zeit und Ewigkeit! Eure Erwartung ist Lüge, eure Hoffnung ist Täuschung, und euer Glaube ist Betrug. Weder Allah noch sein Prophet wird sich eurer erbarmen, denn das Blut, welches wir zu rächen haben, muß über euch kommen, und wenn ihr euch in eurer Todesangst dann an den falschen Gott der Ungläubigen wendet, welcher Isa heißt, so wird der Himmel sich vollends von euch wenden und die Hölle über euern Abfall jubeln!«

Da rief Aqil, welcher bis jetzt kein Wort gesprochen hatte:

»Mag er sich vollends abwenden, und mag sie darüber jubeln! Wenn weder Allah noch sein Prophet eine Rettung für uns wissen, so verlieren wir nichts, wenn sie uns vollends verlassen. Ist es etwa eine Sünde, einen Glauben aufzugeben, der sich seiner Anhänger nicht erbarmt und ihnen nur Tod und Rache bringt? Du aber, sprich ja nicht von Falschheit und Betrug, du, dessen Lüge und Hinterlist uns um das Leben bringt! Als ich dir gestern den Hengst des Fremden als Lösegeld bot, nahmst du es an und verhießest mir das Leben; als du aber erfahren hattest, wo das Pferd zu finden war, warfst du mich in Fesseln und nahmst dann auch noch meinen Sohn gefangen, als ihn der Zufall euch entgegenführte. Statt ich allein, sollen nun wir beide sterben. Ist das nicht Hinterlist und Falschheit, Lüge und Betrug! Ist es wirklich ein Abfall von unserm Glauben, wenn wir Rettung durch den Christen erwarten, weil kein Moslem uns aus den Händen derer befreien will und kann, die sich Gläubige des Propheten nennen?«

»So hofft getrost auf diesen Ungläubigen; ich habe nichts dagegen! Er, den du um sein teueres Eigentum brachtest und den dein Sohn erstechen wollte, soll nun sein Leben wagen, um das eurige zu retten! Von welch einem Menschen kann man das verlangen! Bei Allah und bei meiner Seele, wenn er es dennoch thäte, ich würde selbst auch am Islam irre werden und meine Augen auf den Gott richten, der am Kreuz gestorben sein soll, um die Sünder zu erretten und die Verlorenen wiederzufinden!«

»So mache dich ja bereit, deine Augen nach dem Kreuze zu richten, denn Kara Ben Nemsi wird sicher kommen. Ein Krieger wie er läßt ein solches Pferd nicht im Stich!«

»Allah! Wir sind dreihundert gegen ihn!«

»Hast du jemals gehört, daß er seine Feinde zählt?«

»Hund! Du scheinst ja diesen unreinen Wurm schon zu verehren und anzubeten wie einen Gott, der über dem siebenten Himmel thront! Selbst wenn er hier erscheinen sollte, würde es zu spät für euch sein; er würde auch in unsere Hände fallen, doch wäret ihr schon längst vorher im Magen des Bären begraben. Warum leihe ich überhaupt euern Reden meine Ohren? Wir mußten warten, weil der Bär erst spät, nachdem es dunkel wird, sein Lager zu verlassen pflegt; nun aber naht die Dämmerung, und ich brauche nicht länger zu zögern, mit dem Werke der Vergeltung zu beginnen. jetzt, in diesem Augenblicke, erhebt der Tod seine Hand, um sie nach euch auszustrecken; sobald das letzte Licht des Tages verschwindet, hat er euch ergriffen; da liegt ihr drüben in der Musallah el Amwat, und keinem Sterblichen, mag er nun ein Moslem oder ein Ungläubiger sein, wird es gelingen, euch zu erretten. Die Musallah ist die Kapelle der Toten, und wen die Toten übernommen haben, den geben sie nicht wieder heraus!«

Er warf dem Wächter einen Befehl zu; dieser entfernte sich und brachte acht oder zehn Kurden herbei, welche zwei starke Pfähle und viele Riemen bei sich hatten. Die Bebbeh sollten mit den Riemen an die Pfähle gebunden und dann mit Honig bestrichen werden; das war klar. Ich durfte nicht länger hier bleiben, denn ich mußte noch den Weg nach der Musallah rekognoszieren, den wir später in der Dunkelheit zurückzulegen hatten. Ich kroch also zurück, aus den Farn heraus, und wendete mich nach der Seite hin, wo drüben die Kapelle lag. Dabei bewegte ich mich wieder vorsichtig von Baum zu Baum, wäre aber trotz dieser Vorsicht beinahe gesehen worden, wenn ich die Gefahr nicht noch beinahe im letzten Augenblicke bemerkt hätte.

Nach der Beschreibung des Wirtes hatte ich die Wiese rund mit scharfer Waldumgrenzung gehalten; aber sie streckte eine Art Zunge ziemlich weit zwischen die Bäume hinein, der ich Mich, ohne sie zu kennen, so weit genähert hatte, daß ich mich nur einige Schritte von ihrem Rande befand. Der Klang einer Stimme grad vor mir hatte meinen Fuß noch zur rechten Zeit zurückgehalten. Ich warf mich nieder und kroch, tief an den Boden gedrückt und scharf um mich spähend, vorwärts. Ein starker Stamm gewährte mir genügende Deckung; von da aus konnte ich die Wiesenzunge überblicken. Da standen Pferde, vielleicht gegen dreißig Stück, beisammen, seitwärts davon mein Rih mit Halefs Gaul. Der Rappe war ein edles, stolzes Tier; er litt niemals ein fremdes Pferd in seiner Nähe, dessen Besitzer er nicht kannte; er schlug und biß es fort. Und wenn es ihrer viele waren, so entfernte er sich und ließ sich darin durch keinen Zügel oder Riemen hindern.

Wie aber sah das herrliche Tier jetzt aus, natürlich nur in meinen Augen, die jeden Zollbreit von ihm kannten! jeder andere mußte ihn auch jetzt nur mit Bewunderung betrachten. Es wurde schon erwähnt, daß der lange Ritt durch Persien nicht ohne Folgen auf ihn gewesen war. Gestern war er uns gestohlen und mit Gewalt fortgeführt worden. Er war nicht gutwillig mitgegangen; wie ich ihn kannte, wußte ich, daß er sich ganz energisch gesträubt und widersetzt hatte; anstatt ihn durch Liebe und Zureden gefügig zu machen, war man roh und gewaltthätig mit ihm umgegangen, das sah ich ihm sofort an. Nun stand er bewegungslos mit halb geschlossenen Augen und tief hängendem Kopfe da. Sein herrliches Fell hatte seit gestern fast allen Glanz verloren; das Gras der Wiese reizte ihn nicht; vor ihm lag ein Haufen junger, grüner Zweigspitzen, die man ihm vorgeworfen hatte, um ihm Appetit zu machen; sein Maul hing grad darüber, ohne daß eine Nüster auch nur leise zuckte; er hungerte, und ich war überzeugt, daß er auch das Wasser verschmäht hatte. Er grämte sich; er sehnte sich nach mir!

Möge man über mich lachen, ich gestehe es doch aufrichtig, daß mir ganz weh wurde, so wehe, als ob ich alle Zeichen des Grames eines lieben Menschen vor mir hätte. Ich liebte den Rappen; sein Anblick jammerte mich, und dieser Jammer trieb mich zu einem Wagnisse, welches ich eines andern Pferdes wegen gewiß nicht unternommen hätte. Ich nahm mir den Mut, ihm ein Zeichen zu geben, daß ich mich in der Nähe befand, und von dem ich wußte, daß er es sofort verstehen werde. Vorher aber überzeugte ich mich, daß die paar Kelhur, welche bei den Pferden saßen, ihre Aufmerksamkeit nicht nach der Gegend richteten, in welcher ich mich befand. Ich hatte dem Rappen mehrere Zeichen gelehrt, von denen jedes seine bestimmte Bedeutung hatte und die so unauffällig waren, daß sie keine Aufmerksamkeit erregten außer die seinige, Zeichen, die für solche Fälle bestimmt waren, in denen ich mich ihm nicht nähern konnte, wollte oder durfte. Jedes edle arabische Pferd kennt solche Zeichen, die sein Besitzer einem andern Menschen nur aus ganz besonderen Gründen mitteilen würde. Eines dieser meiner Zeichen war ein scharfes, dabei aber dumpfes, sehr kurzes Husten, welches wie die Silbe »kol« klang. Kol heißt »iß!« oder »friß!« Die erwähnten Kurden sprachen laut und angelegentlich mit einander, wahrscheinlich von der Kapelle, wie ich aus ihren lebhaften Gesten schloß, und ich glaubte, annehmen zu dürfen, daß sie auf den kurzen, rasch verhallenden Klang wohl kaum achten würden. Ich wagte es also, zu husten. Sie rührten sich nicht; sie hatten es nicht gehört. Rih aber hatte ein schärferes Gehör; er richtete den Kopf sofort nach meiner Seite, und seine feinen Ohren legten sich lauschend nach vorn; die Augen standen plötzlich weit geöffnet; die Sehnen spannten sich, und der lange, schwere Schwanz wurde an der Wurzel in elegantem Boden gehoben. Außer seinen Augen war kein anderes zu mir hergerichtet. Da wagte ich noch mehr: Ich richtete mich ganz auf, so daß er mich sehen mußte, und warf mich aber sofort nieder. Er hatte mich erkannt. Ein anderes Pferd hätte nun seine Freude durch Schnauben, Wiehern oder auffällige Bewegungen kundgegeben; Rih aber war zu gut geschult, als daß er in einen solchen Fehler verfallen wäre. Er ließ nur die Ohren ein ganz klein wenig spielen, senkte dann den Kopf, nahm ein Maulvoll Zweige und – – begann zu fressen! Mein Zweck war erreicht; ich blieb zwar nur wenige Augenblicke liegen, aber es war mir doch trotz der Kürze dieser Zeit, als ob der Rappe ein ganz anderes, weit besseres Aussehen bekommen hätte, und ich glaube kaum, daß ich mich darin täuschte.

Nun umkroch ich die Wiesenzunge, um meine unterbrochene Rekognoszierung fortzusetzen. Sie nahm keine lange Zeit in Anspruch, denn ich wurde nicht gestört und hatte in Beziehung auf das Terrain gar keine Hindernisse zu überwinden. Bald kannte ich den geradesten Weg, der von der Wiese hinüber zur Kapelle führte und stieg nun wieder den Berg empor, um zu Halef zurückzukehren. Er hatte eine so schnelle Lösung meiner erst so schwierig erscheinenden Aufgabe nicht erwartet und freute sich um so mehr darüber, als er daraus auf eine günstige Lage der Verhältnisse schließen konnte.

»Hamdulillah – Preis sei Allah,« sagte er, »daß du schon wieder da bist! Ich dachte schon darüber nach, wen ich zuerst erschießen sollte, wenn du nicht wiederkommen würdest, den Scheik oder seine dreihundert Schufte; am liebsten hätte ich ihn mir bis ganz zuletzt aufgehoben, um ihn so lange wie möglich mit der Angst vor dem Tode zu quälen. Was hast du gesehen und gehört? Wo sind unsere Pferde und wo die Gefangenen? Hast du den Scheik belauscht und wann will er die Bebbeh nach der Musallah schaffen? Sind die zehntausend Piaster schwer zu erlangen und werden wir mit List durchkommen oder zu den Waffen greifen müssen? Hat Rih dich gesehen und – –«

»Halt ein mit deinen Fragen!« unterbrach ich ihn. »Wir müssen uns beeilen; später wirst du alles erfahren. Jetzt komm!«

Ich nahm meine Gewehre, hing sie über und führte ihn den Berg hinab nach einer Stelle, wo wir, zwischen Büschen gut versteckt, die Kelhur sehen konnten, wenn sie vorübergingen, um die Bebbeh nach der Musallah zu schaffen. Kurz bevor wir diese Stelle erreichten, sahen wir eine Bärenfährte und sprachen sie an. War das ein gewaltiger Petz, der hier herübergewechselt hatte! Die Sohlen waren von einer Stärke, wie ich sie fast noch bei keinem Grizzly bemerkt hatte, doch mit sehr kurzen, stumpfen Krallen; es mußte ein hochbetagter Kerl sein oder vielmehr kein Kerl, sondern eine Lady, denn nicht weit davon stießen wir auf die Tritte einiger Bärenbabies und hatten es also mit der Mama und ihren Kindern zu thun. Leider konnten wir nur wenige Augenblicke auf diese Spuren verwenden, denn grad da, wo sie sich befanden, gab es keine Deckung, und wenn wir uns sehen ließen, riskierten wir nicht nur das Gelingen unserer Pläne, sondern auch das Leben. Wir suchten also die erwähnten Sträucher auf, krochen hinein und zogen die Zweige so über uns zusammen, daß wir zwar hinausblicken, aber von draußen aus nicht gesehen werden konnten. Als wir nun wartend hier nebeneinander lagen, wollte Halef seine Fragen von vorhin wiederholen; ich verwies ihn aber auf später und er mußte sich bescheiden.

Die Sonne war längst hinter den Bergen verschwunden und es begann bereits zu dunkeln, als wir endlich die Kelhur kommen sahen. Es waren bei weitem nicht alle dreihundert, sondern etwa nur zwanzig Mann. Der Scheik schritt voran. Hinter ihm wurden die beiden Bebbeh von je vier Mann getragen; die übrigen folgten neben oder hinter ihnen her. Diejenigen, welche nicht Träger waren, hielten ihre Gewehre ängstlich schußbereit, denn man näherte sich dem Geisterbären, der auch einmal auf den Gedanken kommen konnte, seinen Umgang zu einer früheren Zeit als gewöhnlich zu unternehmen. Man hatte die beiden Gefangenen mit dem Rücken auf die Pfähle gelegt und sie mittels Riemen so sorgfältig daran festgebunden, daß es allerdings der Gewalt von Bärenkrallen bedurfte, um sie ohne Messer davon loszubringen. Dann waren sie so dick mit Honig beschmiert worden, daß wir ihn beim Vorübertransporte heruntertropfen sahen. Einer der Kelhur trug noch Waben nebenher, wozu, das konnten wir bald darauf beobachten.

Wir folgten ihnen mit gespannten Blicken, bis sie alle drüben im Innern der Kapelle verschwunden waren. Nach zehn Minuten kamen sie wieder heraus. Drei liefen, als ob sie einen raschen Botengang zu besorgen hätten, an uns vorüber nach dem Lager zurück, und andere gingen, während die übrigen bei der Musallah warteten, langsam und äußerst vorsichtig von dort aus nach den Felswandtrümmern, wobei sie sich von Zeit zu Zeit zur Erde niederbückten.

»Hast du eine Ahnung, was diese Leute dort thun, Sihdi?« erkundigte sich Halef.

»Ja. Du hast doch gesehen, daß einer von ihnen Honigwaben in den Händen trug. Das ist die Lockspeise für den Bären, die sie von der Musallah bis in die Nähe seines Lagers legen, um ihm den Weg zu zeigen, der ihn zu seinen Opfern führen soll.«

»Maschallah! Ist es nicht ein Wunder, daß es Menschen giebt, die keine Menschen mehr sind? Wer eine Blutrache ausführen will, der mag dem Feinde eine Kugel in den Kopf geben; aber ihn auf diese Weise quälen und ihn von den wilden Tieren zerreißen lassen, das kann doch nur ein Teufel sich aussinnen!«

»Es ist freilich so unmenschlich, daß man es kaum begreifen kann; aber wer weiß, durch welche Grausamkeit die Bebbeh diese Art der Rache herausgefordert haben; uns werden sie es freilich nicht erzählen. Schau, da kommen die drei Kelhur wieder! Sie haben noch etwas holen müssen.«

Als sie an uns vorübergingen, sahen wir, was sie trugen, nämlich ein Bündel dürre Binsen, mehrere Stücke Talg und einen leeren blechernen Patronenkasten.

»Was sie mit dem Kasten wollen?« meinte Halef.

»Wahrscheinlich eine Lampe anfertigen.«

»Lampe? Wozu?«

»Das Mark der Binsen vertritt den Docht und der Talg die Stelle des Öles.«

»Ja, aber warum? Wozu brauchen sie eine Lampe herzustellen? Wollen sie sie der Bärin zum Geburtstage für ihr Zimmer des Schlafes schenken?«

»Das weniger, Halef. Es liegt vielmehr ein jedenfalls nicht so liebenswürdiger Grund vor. Sie werden die Kapelle erleuchten wollen, damit der Bär seine Beute leichter findet.«

»Allah! Das ist wieder ein Gedanke aus der Hölle.«

»Und eine Qual, die man nicht bloß fühlt, sondern auch sieht, ist eine doppelte Qual. Diese Kelhur verfahren mit einer so ausgesuchten Bosheit, daß man sie an Stelle der Bebbeh den Bären vorwerfen möchte, ohne sich die geringsten Gewissensbisse darüber zu machen.«

Wir sahen, daß die erwähnten Gegenstände in das Innere der Musallah getragen wurden; inzwischen waren die, welche den süßen Köder gelegt hatten, damit fertig geworden, und als die andern in der Kapelle auch ihren Zweck erreicht hatten, kamen sie alle zurück und wieder an uns vorbei. Sie verhielten sich dabei so schweigsam, daß wir kein Wort von ihnen zu hören bekamen. Nun glaubte Halef endlich die Zeit gekommen, Aufklärung über meine Absichten von mir erhalten zu können. Darum fragte er:

»Dürfen wir jetzt miteinander sprechen, Sihdi?«

»Ja.«

»Warum sprichst du nicht? Du weißt ja wohl ganz gewiß, was ich so gern wissen möchte!«

»Ich kann es mir denken und will vorher einige Fragen an dich richten. Wollen wir nicht nur unsere Pferde wieder holen, sondern auch das Geld des Wirtes und dazu die Bebbeh retten?«

»Ja, Effendi; das wollen wir nicht nur, sondern das müssen wir sogar. Wenn wir die Bebbeh in dieser Weise sterben ließen, würde mir es Zeit meines Lebens sein, als ob ich die Krallen des Bären in meinem Fleische fühlte.«

»Gut! Aber es gilt dabei, unser Leben zu wagen. Bist du damit einverstanden?«

»Warum fragst du mich da erst? Willst du mich, deinen treuen Hadschi Halef Omar, beleidigen und kränken?«

»Nein. Ich frage deshalb, weil es sich um eine Gefahr handelt, in welcher du dich noch niemals befunden hast.«

»Welche ist es?«

»Weil die Kelhur jetzt noch nicht wissen sollen, daß wir hier sind, dürfen wir nicht schießen; dennoch aber müssen wir die Bären töten.«

»Nun, so töten wir sie!« antwortete der kleine, furchtlose Kerl schnell bereit.

»Aber womit?«

»Womit du willst, Effendi.«

»Wir können sie nur entweder erstechen oder erschlagen.«

»Gut, so thun wir es!«

»Halef, erst überlegen, dann beschließen und nachher handeln! Hast du schon einmal einen Bären erschlagen oder erstochen?«

»Noch nie. Aber eben deshalb freue ich mich unendlich darauf, es heut einmal thun zu dürfen.«

»Lieber Hadschi, zwischen wollen und vollbringen ist ein großer Unterschied! Hier handelt es sich um eine alte, ungeheuer große Bärin; sie zu erschlagen, dazu gehört eine Körperkraft, die du nicht besitzest, und ein Gewehrkolben, weicher nicht zerspringt.«

»Einen solchen Kolben hat dein Bärentöter; also sind die Rollen gleich verteilt: du erschlägst sie und ich ersteche sie, ob vorher oder nachher, das ist mir gleich!«

»Langsam, langsam! Weißt du, wohin man stechen muß, nämlich zwischen welche Rippen?«

»Nein. Bleibt denn eine Bärin so lange ruhig stehen, bis man ihre Rippen vorwärts und rückwärts abgezählt hat, Effendi?«

»Nein; aber dem Geübten genügt ein einziger Blick. Das Messer muß mit einem einzigen Stoße bis an das Heft eindringen; man kann es auch zurückziehen und mehrere Male stoßen müssen. Ein Bär scheint ungeheuer tölpelhaft zu sein, ist aber, besonders wenn er angegriffen wird, außerordentlich schnell und gewandt; wenn du nicht ganz richtige Stellung nimmst und den Augenblick ganz genau berechnest, kann er dich gepackt und zerfleischt haben, ehe du nur das Messer zückst. Wehe dir, wenn deine Klinge an dem dichten Felle abgleitet! Wehe dir, wenn – –«

»Oh, Effendi,« unterbrach er mich, »ich höre schon, was du willst! Du willst die Bärin selbst erstechen und erschlagen!«

»Ob erschlagen oder erstechen, das kommt ganz auf die augenblicklichen Umstände an; aber ich beabsichtige allerdings, sie nur auf mich allein zu nehmen.«

»So willst du mir von dem Ruhme des heutigen Tages gar nichts überlassen? Soll ich, wenn wir zu unserm Stamm der Haddedihn zurückgekehrt sind, den dortigen Kriegern erzählen müssen, daß ich hier an der Musallah el Amwat ruhig zugesehen habe, daß du alle Gefahren allein auf dich genommen hast, während ich die Hände in den Schoß legte wie ein altes Weib, welches schon ausreißt, wenn ihr ein Bär bloß im Traume erscheint? Was würde mein Weib Hanneh, die schönste und lieblichste Blüte unter allen Blumen des Landes, dazu sagen? Müßte sie nicht denken, daß der Geist der Tapferkeit von mir gewichen sei und ich nun einer Kaffeemühle gleiche, von welcher der Drehling verloren worden ist?«

»Beruhige dich, lieber Halef! Du sollst dich keineswegs so ruhig und unbeteiligt verhalten, wie du anzunehmen scheinst. Wir werden uns vielmehr die Arbeit teilen. Wenn ich die Bärin auf mich nehme, fallen dir die jungen zu.«

»Die Jungen! Als ob das eines Kriegers, wie ich bin, würdig wäre! Was für ein Ruhm kann für mich davon abfallen, daß ich einem oder zwei jungen Bären die Hälse umdrehe! Das ist ja eine Arbeit, welche jeder Knabe leicht verrichten kann.«

»Da irrst du dich. Wie groß stellst du dir die jungen Bären vor?«

»Nun, sie werden wohl nicht viel größer als eine Katze sein.«

»Oh, viel, viel größer! Sie sind jetzt gegen sechs Monate alt und also schon so herangewachsen, daß sie dir sehr zu schaffen machen können. Ein junger, halbjähriger Bär, der in der Wildnis, nicht in der Gefangenschaft geboren worden ist, kann unter Umständen die ganze Kraft eines Mannes in Anspruch nehmen, und hier haben wir es höchst wahrscheinlich nicht bloß mit einem, sondern mit mehreren zu thun.«

Ich war gezwungen, die alte Bärin auf mich allein zu nehmen, denn Halef war kein Bärenjäger und hätte nicht nur sich und mich in große Gefahr bringen, sondern auch in Beziehung auf die Kelhur unsere Pläne vollständig zunichte machen können. Damit er sich aber nicht dadurch zurückgesetzt fühle, bedurfte es eines Hinweises darauf, daß die Rolle, welche ihm zufiel, auch schon den ganzen Mut eines Mannes erfordere. Daher meine letzten Worte, durch welche ich auch meine Absicht zu erreichen schien, denn er sagte in beruhigtem Tone:

»So meinst du also, daß es nicht so sehr leicht ist, es mit solchen Abkömmlingen einer Bärin der Unsterblichkeit aufzunehmen?«

»Ganz und gar nicht leicht. Dazu kommt die große Liebe, welche so ein Tier für seine jungen hegt. Wer sich gegen diese feindlich zeigt, auf den stürzt sie sich mit einer Wut, die keine Grenzen kennt; sie wendet sich in diesem Falle, um nur ihre jungen zu verteidigen, von ihren eigenen Angreifern ab. Du siehst also, daß du nicht weniger Mut als ich zu zeigen haben wirst; ja, es ist sogar möglich, daß du dich beim Angriffe auf die jungen in viel größerer Gefahr befindest als ich, weil du dadurch sehr leicht zwischen die Tatzen und Zähne der Alten geraten kannst.«

»Das macht mich glücklich, Effendi, sehr glücklich! Ich sehe jetzt ein, daß du mich nicht für so eine alte Tahunet el Bunn hältst, wie ich vorhin dachte, und darum bin ich damit einverstanden, daß mir die Söhne und Töchter der Bärin zufallen sollen.«

»Schön! Aber vergiß nicht, daß wir nicht schießen dürfen!«

»Oh, ich werde nichts als mein Messer brauchen, und die jungen Abkömmlinge der vermeintlichen alten Unsterblichkeit werden aus dem Leben scheiden, ohne daß darüber in der Welt ein großer Lärm entsteht. Dann werde ich zum Andenken an den heutigen Tag aus den Fellen ein Zini ed Delul anfertigen lassen oder einen weichen Sidschschadi es Ssiwan für die kleinen, süßen Füßchen meiner Hanneh, die mit so kleinen, allerliebsten Pantöffelchen bekleidet sind, daß man sie fast nur mit dem Glase der Vergrößerung erkennen kann. Doch schau, es ist dunkel geworden, und der Schein der Binsendochte erleuchtet das Innere der Musallah. Wird es nun nicht Zeit für uns, hinüberzugehen und die armen Teufel von ihrer Todesangst zu befreien?«

»Was diese Angst betrifft, so ist sie ihnen zu gönnen. Diese Bebbeh sind Menschen, und also dürfen wir nicht zugeben, daß sie ermordet werden, daß sie zumal eines solchen Todes sterben, wie der ist, den man ihnen zugedacht hat; aber sie sind auch nicht besser als die Kelhur, ihre Feinde; sie haben uns bestohlen und nach dem Leben getrachtet, und wenn ich auch fest entschlossen bin, sie zu retten, so haben sie es doch verdient, vorher ein wenig Todesangst auszustehen.«

»Das ist wahr, Sihdi; diese Angst kann ihnen gar nichts schaden; aber wenn wir lange zögern, so kommen die Bären und fressen sie auf, ohne daß wir uns dabei beteiligen können.«

»Beim Auffressen?«

»Scherze nicht, Sihdi! Nennst du es etwa Rettung, wenn wir die Bebbeh aus dem Magen der Bärin schneiden? Wir müssen sie befreien, ehe sie sich gezwungen fühlen, durch den Schlund dieses Raubtieres zu wandern. Und darum denke ich, wir gehen jetzt hinüber. Oder meinst du, daß wir nicht so sehr zu eilen brauchen?«

»Eigentlich haben wir noch Zeit, denn der Bär des Gebirges pflegt sein Lager nicht so zeitig zu verlassen; aber der Geruch des Honigs, welcher bis nahe an das Gestrüpp gelegt worden ist, kann die Bestien schon früher hervorlocken, und außerdem möchte ich gern wissen, was die Bebbeh in der fast hoffnungslosen Lage, in welcher sie sich befinden, miteinander reden. Darum bin ich damit einverstanden, daß wir uns jetzt hinüberschleichen.«

»Schleichen? Warum uns solche Mühe geben? Es ist ja so dunkel, daß uns niemand sehen kann; wir brauchen also nicht zu kriechen, sondern können gehen.«

»Allerdings, doch nur mit Anwendung der nötigen Vorsicht. Die Musallah ist vom Lagerplatze der Kelhur aus zu sehen, und du kannst dir denken, daß sie von ihnen im Auge behalten wird. Die Thor- und Fensteröffnungen sind im Scheine der drinnen brennenden Lichter hell zu sehen, und die Kelhur müßten uns, sobald wir ihre Gesichtslinie durchschnitten, unbedingt bemerken, denn unsere Gestalten würden sich in diesem Lichte scharf abzeichnen. Du wirst dich also hinter mir halten und ganz genau das machen, was ich thue.«

»Das werde ich, Sihdi. Also, brechen wir jetzt auf?«

»Ja.«

»So wollen wir Allah bitten, daß er uns ein gutes Gelingen dieses gefährlichen Werkes beschere! Du weißt, Effendi, daß ich mich nicht fürchte; mein Herz klopft ruhig wie immer, und meine Hand wird das Messer so sicher führen, als ob es nur gelte, einen gebratenen Hammel zu zerteilen; aber ein Bär ist doch noch etwas anderes als ein Hammel, zumal wenn er nicht gebraten ist, und so wünsche ich, daß, wenn wir nachher von da drüben zurückkehren, weder meine Haut noch die deinige mehr Löcher hat als jetzt. Also beten wir! A‘ uhdu billah min esch Schejtan er ragihm – ich suche Zuflucht bei Allah vor dem bösen Teufel; er wird mir beistehen, Effendi, und auch dir!«

Ich wußte gar wohl, daß es nicht die Angst, sondern die Frömmigkeit war, die ihn zu diesem Stoßseufzer veranlaßte, und wenn ich auch nicht laut in seine Bitte einstimmte, so befahl ich mich doch im stillen auch dem Schutze dessen, der Leben und Tod in seinen allmächtigen Händen hält, denn es war trotz meiner Erfahrenheit auch für mich kein Spaß, unter den gegenwärtigen Verhältnissen mit einem so riesenhaften Vertreter der Familie Ursus anzubinden. Der kurdische Bär kommt in Beziehung auf seine Gefährlichkeit gleich nach dem Grizzly des amerikanischen Felsengebirges, und das will wohl etwas sagen, zumal es uns verboten war, uns unserer Gewehre zu bedienen.

Da wir das Terrain bei Tage überschaut hatten, so kannten wir es genau; es bot uns keine Schwierigkeiten, außer an denjenigen Stellen, wo wir die Gesichtslinie der Kurden berührten. Da mußten wir uns platt niederlegen und uns möglichst so in den vorhandenen Bodenvertiefungen bewegen, daß wir nicht zwischen die Augen der Kelhur und die erleuchteten Maueröffnungen der Musallah kamen.

Aus diesem Grunde dauerte es wohl eine Viertelstunde, ehe wir die Kapelle erreichten, und zwar nicht an ihrer vordern und auch nicht an der nach dem Felssturze liegenden, sondern an der dritten Seite, welche wir bisher noch nicht gesehen hatten und die, zu meiner großen Befriedigung, auch jetzt von den Feinden nicht gesehen werden konnte. Die vierte Seite stieß an den Felsen, kam also gar nicht in Betracht. Wir befanden uns also auf der von den Bären abgelegenen Flanke der Ruine, was uns nur zum Vorteile gereichen konnte, und zu meiner noch größeren Genugthuung bemerkte ich da, daß es hier auch ein Fenster gab, dessen Brüstung so tief eingefallen war, daß man nur über einige Steine zu springen brauchte, uni in das Innere zu gelangen.

Im Schatten dieser Steine legten wir uns nieder und brauchten nur die Köpfe zu erheben, um den ganzen Innenraum der Musallah zu überblicken. Wir sahen nichts als Trümmer, Schutt und Mauern; es gab nichts, auch nicht den kleinsten, geringsten Gegenstand, der auf den einstigen Zweck des Bauwerkes hätte schließen lassen. Große Steine und kleineres Geröll lagen über den Boden hin verstreut, und nur an der hintern Seite, der Felsenwand, bemerkte ich verbröckelte Linien, die wahrscheinlich einst eingemeißelt worden waren und, wenn der fahle, ungewisse Lichtschein mich nicht täuschte, in kufischer Schrift als »Kyrie« gelesen werden mußten. Kyrie eleison – Herr erbarme dich! Keine Inschrift konnte besser passen für diesen Schauplatz der Zerfleischung glaubenstreuer Christen! Und nicht weniger eignete es sich für die Scene, welche jetzt vor unsern Augen lag!

Die Kelhur hatten die Pfähle, an welche die beiden Bebbeh gebunden worden waren, im Hintergrunde in die Erde gerammt und unten mit angelegten, schweren Steinen so befestigt, daß sie nicht wanken konnten. Dies war jedenfalls geschehen, um eine Verlängerung der Todesqualen zu erzielen; die Bären sollten dadurch gezwungen werden, ihr grauenhaftes Werk an den Füßen ihrer Opfer zu beginnen. Diese befanden sich in ihren Kleidern und waren mit Riemen und Stricken fest umwickelt, eine weitere Verschärfung der Grausamkeit, weil die Krallen der Raubtiere dadurch verhindert wurden, mit ihnen schnell ein Ende zu machen. Ihre mit Honig beschmierten Gesichter waren kaum zu erkennen; er lief und tropfte an ihnen nieder und bildete unter ihnen kleine Lachen, welche ihre Anziehung auf die Bären nicht verfehlen konnten. Da sie nicht im stande waren, auch nur ein Glied zu bewegen, erinnerten sie mich an die Art und Weise, wie gewisse Puebloindianer ihre verstorbenen Angehörigen zu beerdigen oder vielmehr nicht zu beerdigen pflegen, indem sie sie an Pfähle binden, die an hochgelegenen Punkten in die Erde gesteckt werden. Es ist schauerlich, solche Leichen hoch oben auf Felsenspitzen zu erblicken, umschwebt von Geiern, welche ihr grausiges Mahl davon halten. Hier aber in der Musallah sollten nicht Leichen, sondern lebende Menschen aufgefressen werden!

Die Bebbeh schienen alle ihre Kräfte angestrengt zu haben, ihre Fesseln zu zersprengen, natürlich vergeblich; sie waren davon so ermattet, daß wir zunächst nur müde Seufzer hörten. Dann erklang aus Aqils Munde ein schwerer, hier unmöglich wiederzugebender Fluch, dessen Erfüllung den Kelhur den sofortigen Sturz in die tiefsten Qualen der Hölle gebracht haben würde.

»Verdamme sie nicht, sondern klage nur dich selbst an!« sagte da sein Sohn. »Sie üben nur die Rache aus, zu welcher du sie herausgefordert hast.«

»Müssen sie sich aber in dieser fürchterlichen Weise rächen?« entgegnete der erstere. »War es nicht Strafe genug, wenn sie uns einfach erschossen?«

»Nein! Hast du etwa vor zwei Jahren den Kelhur auch nur erschossen, oder hast du ihn in die Grube gesperrt und langsam verhungern lassen? Er mußte verhungern und wir werden gefressen; das ist die Rache Schir Samureks, gerecht gegen dich, aber ungerecht gegen mich, denn ich bin nicht schuld am Tode jenes Mannes; als er starb, war ich in Kahira und also fern von Kurdistan. Warum hat Allah es gefügt, daß ich dein Sohn wurde und nun an den Folgen deiner Thaten und deiner Thorheiten zu Grunde gehen muß!«

»Die Blutrache geht von Glied zu Glied; sie ist Allahs Gesetz, und du darfst dich also nicht beschweren.«

»Ich habe nicht von der Blutrache, sondern von deinen Thorheiten gesprochen!«

»Thorheiten! Wie darf ein Sohn es wagen, dieses Wort gegen seinen Erzeuger auszusprechen!«

»Er darf, wenn es die Wahrheit enthält! War es nicht mehr, viel mehr als Thorheit, daß du trotz der Blutrache, die zwischen euch schwebte, zu den Kelhur gingst, um ihnen ein Pferd anzubieten, welches weder dir gehörte, noch sich in deinen Händen befand? Mußtest du es nicht voraussehen, daß sie dich festhalten und dann das Pferd stehlen würden? Durch dich, nur durch dich allein sind sie auf den Gedanken gekommen, nach Khoi zu reiten, und auf dir allein liegt die Schuld, daß ich ihnen dabei in die Hände gefallen bin!«

Sein Vater beantwortete diesen berechtigten Vorwurf durch ein tiefes, schmerzvolles Stöhnen, versuchte dann aber doch, ihn durch eine Gegenanklage zu entkräften:

»Du sprichst von meinen Thorheiten, nicht aber von den deinigen! Den größten Fehler, der gemacht worden ist, hast du begangen!«

»Wodurch?«

»Dadurch, daß du auf den Gedanken kamst, Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar zu erstechen. Obgleich ich wünsche, daß Allah sie verfluchen möge, muß ich doch zugeben, daß sie Männer sind, die ihr Gegner zehnmal mehr zu fürchten hat, als jeden andern Feind. Der Hengst des Effendi hat einen unschätzbaren Wert, und darum bin ich bereit, die heiligsten Eide darauf abzulegen, daß er den Kelhur folgt, um das Pferd wieder zu bekommen. Wenn ich an die Thaten denke, die man sich von ihm erzählt, möchte ich darauf schwören, daß er hier in der Nähe ist und alles gesehen hat, was die Kelhur gethan haben.«

»Diese Überzeugung habe ich auch,« stimmte Ssali bei.

»Vielleicht weiß er sogar schon, daß wir hier in der Musallah angebunden worden sind, um von den Bären gefressen zu werden. Darauf beruht die einzige Hoffnung, die uns übrig bleibt!«

»Du hoffst vergebens! Seit die Kelhur uns vorhin verlassen haben, denke ich an keine Rettung mehr. Erst dachte ich, daß sie uns mit den Bären nur erschrecken wollten; jetzt aber erkenne ich, daß es ihnen Ernst gewesen ist. Nun es dunkel geworden ist, getrauen sie sich nicht, herüber zu kommen, um uns loszubinden. Wir sind also unrettbar dem Tode verfallen, den sie über uns ausgesprochen haben.«

»Noch nicht! Meine Hoffnung wird erst in dem Augenblicke schwinden, an welchem ich die Krallen der Bestien in meinem Herzen fühle. Kara Ben Nemsi kommt; er ist vielleicht schon da; er duldet nie, daß ein Mensch, und sei dieser sein ärgster Feind, gemartert werde. Wenn er hier ist und wenn er weiß, was uns bevorsteht, wird er nach der Musallah kommen und uns retten!«

»Nein; das wird er nicht thun!«

»Warum nicht?«

»Deinetwegen! Hättest du ihn nicht erstechen wollen, so wollte ich es glauben. Nun aber wird er sich eines Feindes wegen, der ihn ermorden wollte, nicht in die Gefahr begeben, selbst von den Bären zerrissen zu werden.«

»Die Bären fürchtet er nicht; das wissen wir. Und wenn er dir den Raub des Pferdes verzeiht, wird er auch nicht nach dem Messer fragen, welches ich gegen ihn gezückt habe. ›Ein Christ kennt die Rache nicht, denn Gott ist der Vergelter,‹ sagte er zu mir, indem er mir die Waffe wiedergab. Wenn er hier ist und erfahren hat, in welcher Not wir uns befinden, wird er den Geboten seines Glaubens gehorchen und uns retten!«

»Allah w‘ Allah! Welch ein Wunder, mein Sohn, daß aus deinem Munde solche Worte kommen! Du, ein stolzer Lehrer und Prediger des heiligen Islam, der du für die Christen niemals etwas anderes als nur Flüche hattest, setzest jetzt deine einzige und letzte Hoffnung auf so einen verfluchten Anhänger der Lehre des Kreuzes auf Idschdschuldschula

»Fluche ihm nicht, wenigstens diesem nicht! Er führt die Lehren seines Glaubens nicht nur auf der Zunge; sie wohnen auch in seinem Herzen; sie hängen am Griffe seines Messers und sie sprechen aus den Läufen seiner Gewehre. Wenn Allah ihn hierher geleitet hat, so schwöre ich bei Muhammed und bei – –«

»Schweig!« fiel ihm sein Vater in die Rede. »Hast du vergessen, was Schir Samurek uns so höhnisch riet? Wer Hilfe durch einen Christen erwartet, darf seine Rufe nicht an Muhammed richten. Soll uns Hilfe durch Kara Ben Nemsi werden, so führt ihn Isa Ben Marryam herbei; also an diesen letzteren wende dich!«

Mir war es zweifelhaft, ob Aqil dies ernstlich oder ironisch meinte; sein Sohn schien Spott für ausgeschlossen zu halten, denn er antwortete:

»Noch sind die Bären nicht da; sie werden erst in später Nacht erscheinen; noch kann uns also vielleicht Muhammed einen Retter senden; der Christ bleibt uns übrig bis zum letzten Augenblick!«

In der schrecklichen Lage der beiden Bebbeh klang diese spitzfindige Klügelei geradezu zum Erbarmen; das fühlte Halef auch; er flüsterte mir zu:

»Effendi, wenn das nicht zum Weinen wäre, würde es zum Lachen sein! Ich weiß, wer stärker ist, Christus oder Muhammed. Wollen wir nicht dafür sorgen, daß diese Bebbeh es auch erfahren?«

»Das haben wir nicht nötig,« antwortete ich ebenso leise; »sie werden schon selbst dafür sorgen; warten wir es nur ab! Sei still; wir wollen weiter hören!«

Was wir noch hörten, war nichts Wichtiges für uns. Sie ächzten und stöhnten abwechselnd; sie machten einander Vorwürfe; sie beteten zu Allah, zu Muhammed und seinen Nachfolgern; das widerstrebte mir so, daß ich mich schon erheben wollte, um hineinzugehen und sie loszubinden, als Aqil plötzlich einen Schrei ausstieß und dann seinem Sohne zurief: »Allah sei uns barmherzig! Siehst du den Bären dort an der Thür?!«

»Ich sehe ihn,« antwortete Ssali. »Es ist ein junger. Oh Allah, o Prophet, o Mekka, o heilige Kaaba, unser Martertod wird jetzt beginnen!«

Unsere Blicke reichten auch bis zur Thür. Ja, dort stand wirklich ein junger Bär! Er war ganz gewiß sieben Männerfäuste hoch und dem entsprechend lang und stark; der Milch schon längst entwöhnt, war er von seiner Mutter gewiß nicht nur mit Früchten, sondern schon mit Wildpret aller Arten bedacht worden; das sah man ihm an. Ein kleines Baby war er nicht mehr; er steckte schon tüchtig in der Flegelzeit, und Halef raunte mir, meinen Arm ergreifend, eifrig zu:

»Oh, Sihdi, das ist ein Bär, wirklich einer! So groß habe ich mir die kleinen Kinder der alten Mutter nicht gedacht! Der wird freilich keinen Spaß verstehen! Soll ich hinein zu ihm und ihm sagen, daß ich sein Fell zu einem Teppich brauche?«

»Nein, nein; warte! Der Angriff auf ihn würde die Alte, die jedenfalls auch schon in der Nähe ist, wütend machen. Du darfst auf keinen Fall eher hinein als ich!«

Indem wir diese hastigen Worte schnell miteinander wechselten, war der Bär mit einer Honigwabe beschäftigt, welche die Kelhur nahe der Schwelle hingelegt hatten. Er nahm sie zwischen die Vorderkrallen, richtete sich auf und begann, sie in einer Weise zu verzehren, die man hätte drollig finden müssen, wenn die Situation eine andere gewesen wäre.

Die Bebbeh waren für einige Zeit vor Angst ganz still; dann flossen die Stoßgebete ohne Pause von ihren Lippen, doch gar nicht laut, um nicht den Bären durch die Stimmen aufmerksam zu machen. Plötzlich erhielt er von hinten einen Stoß; er fiel vornüber und trollte, ohne sich nach der Ursache umzusehen, einige Schritte weiter bis dahin, wo wieder ein Stück Honig lag; hinter ihm war ein zweites Junges erschienen, womöglich größer und stärker noch als er. Die Stoßseufzer der Bebbeh wurden lauter und lauter; der Name Muhammeds ertönte von Sekunde zu Sekunde von ihren Lippen, und der Ton dieser Ausrufungen bewies, daß ihre Angst sich ebenso schnell vergrößerte. Als hinter dem zweiten nun gar noch ein dritter Bär, auch ein junger, hereingehumpelt kam, gab es keine Rücksicht mehr darauf, daß sie durch ihre Stimmen die Alte herbeilocken würden; sie schrieen, als ob sie schon angebissen würden. Allerdings stand der erste Petz schon unter Aqil und leckte mit Behagen von dem Honig, der sich dort angesammelt hatte; der zweite leistete ihm einige Augenblicke später Gesellschaft, während der dritte bald bei Ssali stand, um da dieselbe Arbeit vorzunehmen. Das war ein Schlürfen und Schmatzen, fast wie an einer feinen Hoteltafel, wenn die Suppe serviert worden ist und kein Mensch auf den Ekel und Abscheu seines Nachbars Rücksicht nimmt. Bär bleibt eben Bär, im kurdischen Hochgebirge und an der Table d’hÔte in Cannes, Baden-Baden oder Scheveningen!

Die beiden ersten Gourmands hatten die Pfütze schnell aufgeleckt; sie merkten, daß die Süßigkeit sich nach oben fortsetzte, und richteten sich auf, indem sie ihre Krallen an die Füße und Unterschenkel Aqils legten. Dieser schrie nicht mehr; er brüllte!

»Oh, Effendi, lieber Effendi, wir müssen hinein, sonst sind sie verloren!« forderte mich Halef halblaut auf.

Er wollte wirklich aufstehen; ich drückte ihn fest nieder und antwortete.

»Du bleibst! Ich weiß nicht, wo die alte Bärin bleibt; sie könnte uns von hinten fassen!«

Ich lauschte in die Nacht hinaus, konnte aber nichts von ihr hören, denn die Bebbeh ließen jetzt ihre Stimmen so laut erschallen, daß man sie ganz gewiß drüben im Lager der Kelhur hörte. Das Ausbleiben der Bärin war mir bedenklich; die jungen war zwar ihrer Brust schon längst entwachsen, aber sie so ganz selbständig und ohne Aufsicht in der Nacht herumlaufen lassen, das that sie gewiß nicht, ohne daß ihre Aufmerksamkeit von ihnen ab und auf etwas Wichtiges gelenkt worden war. Sollte ihre Nase auf unsere Spur geraten sein? Oder machten ihr die vielen Spuren der Kurden zu schaffen?

»Ducke dich ganz nieder, und rühr dich nicht!« forderte ich Halef auf. »Die Alte kann jeden Augenblick da um die Ecke kommen!«

Das Messer halb aus dem Gürtel gezogen, hielt ich den schweren Bärentöter bei den Läufen zum Hiebe bereit. Meine Befürchtung hatte mich nicht getäuscht: eine in der nächtlichen Finsternis helldunkel scheinende Gestalt von riesigen Umrissen schob sich langsam hinter der Mauer hervor. Schon glaubte ich, der Augenblick sei da, an dem es heißen würde: die Bärin oder ich! Da wurde das Geschrei der Bebbeh von einem Laute übertönt, der weder Brummen noch Winseln, weder Pfeifen noch Kreischen und doch alles dieses war, und sofort sah ich die Gestalt wieder verschwinden. Ein schneller Blick in das Innere der Musallah zeigte mir die Ursache: die beiden Bären, welche sich an Aqil aufgerichtet hatten, waren in Streit miteinander geraten und bearbeiteten sich mit den Krallen, wobei auch Aqils Beine nicht verschont blieben, was sein Gebrüll verdoppelte. Die Bärin hatte wirklich zu mir und Halef gewollt, war aber aus Sorge um ihre Jungen rasch wieder umgekehrt und erschien nun in der Thür.

Fast hätte ich sie für eine Eisbärin halten können, wenn ihr Kopf länger und die Schnauze spitzer gewesen wäre. Sie war fast reinweiß bei weit über zwei Meter Länge und anderthalb Meter Schulterhöhe, ein außerordentlich und selten großes und starkes Tier. Das eine Ohr fehlte ihr; sie mochte es im Kampfe mit dem Herrn Ehegemahl oder einem andern nicht gentlemanliken Signor verloren haben. Sie stand nur einen Augenblick still unter der Thür; das war aber ganz genügend, zu zeigen, daß ein kleiner Hieb ihrer Vordertatze genügte, den stärksten Mann niederzuschlagen. Während der Hälfte dieses Augenblickes herrschte lautloses Schweigen; ihr Anblick raubte den beiden Bebbeh den Atem; dann brachen sie aber um so lauter los.

»Allah, Allah!« schrie Aqil. »Jetzt ist es da, das Ungeheuer; jetzt ist er da, der Tod! Nun giebt es keine Rettung mehr!«

Und zu gleicher Zeit heulte sein Sohn:

»Das ist der Geist des Priesters, der uns fressen wird! Das ist der Rachen des Todes, in dem wir verschwinden werden! Hilf uns, oh Allah! Hilf uns, oh Prophet aller Gläubigen! Errette uns, oh – – –«

»Schweig!« donnerte ihn da sein Vater an. »Mit der Macht des Propheten ist’s zu Ende. Bedenke – – –«

Ich horchte nicht weiter auf sie, denn der Augenblick war für uns gekommen.

»Laß mich erst allein hinein; du bist mir sonst im Wege, Halef!« befahl ich dem Hadschi, indem ich aufstand.

Den Stutzen ließ ich fallen; er war im Wege. Dafür nahm ich das Messer zwischen die Zähne und den Bärentöter hoch, nicht zum Hiebe, sondern zunächst zum Stoße, denn ich wußte, wie es nun kommen mußte. Die Bärin war mit zwei, drei raschen Bewegungen zu den zankenden jungen gekommen und warf sie beide mit einem vorsichtigen Tatzenhiebe auf die Seite. Dann richtete sie sich langsam und drohend vor Aqil auf, welcher voller Entsetzen zeterte:

»Hilf, oh Gott der Christen! Hilf, oh Isa Ben Marryam, da uns kein anderer helfen kann!«

Und in derselben Todesangst wimmerte Ssali Ben Aqil:

»Rette uns, oh Gekreuzigter; rette uns! Es ist keine Macht im Himmel und auf Erden als bei dir allein – –«

Mehr hörte ich nicht, denn in diesem Momente lag mein ganzes Leben in meinen Augen und in meinen Fäusten. Ich schnellte mich über die schon erwähnten Steine hinein und rannte der Bärin den schweren Kolben unter den erhobenen Vorderpranken gegen die Rippen, daß sie lang auf die Seite niederfiel. Das hatte ich beabsichtigt, denn nur in dieser Lage bot sie mir die Schnauze zum betäubenden Hiebe; der Schädel war zu dick dazu. Noch war sie im Stürzen, da hob ich den Kolben schon hoch; er sauste nieder und traf so gut, daß das Ungetüm alle vier Beine steif von sich streckte. Ich wußte gar wohl, daß diese Betäubung eine schnell vorübergehende sei. Das Gewehr wegwerfend, nahm ich das Messer aus dem Munde – – zwei, drei rasche Stiche bis an das Heft zwischen die bewußten zwei Rippen; dann sprang ich auf die Seite und stürzte dabei über den jungen Bär, der noch bei Ssali Ben Aqil stand. Ich hatte nicht anders weichen können, raffte mich wieder auf und sah da, daß Halef mir rascher gefolgt war, als er sollte. Er hatte nahe der Bärin ein junges gepackt, welches nach ihm schlug und biß, so daß er keinen sichern Stoß für sein Messer fand. Ich eilte zu ihm hin und riß ihn zurück.

»Um Gotteswillen, fort von der Alten!« rief ich ihm zu. »Noch wissen wir nicht, ob ihr mein Messer wirklich ins Leben gefahren ist!«

Der kleine Kerl sah mir lächelnd in das Gesicht und antwortete, auf die Bärin deutend:

»Dein Messer, und nicht richtig treffen! Das kann gar nie geschehen! Sieh den Strom des Blutes, der ihr aus dem Herzen rinnt! Schau, daß sie nicht mehr zucken kann! Es ist nur noch das letzte Zittern des Scheidens von der Erde, welches leise ihr Fell bewegt. Ihre Seele hat den Leib bereits verlassen, und ihr Geist schweift nun ohne Wohnung über die Wälder des Gebirges hin. Dein erster Stoß hat sie niedergeworfen; dein Kolbenschlag hat ihr das Gebiß und die ganze Zierde des Angesichtes zerschmettert, und die Spitze deiner Klinge hat die Musallah el Amwat von dem Gespenste befreit, welches in ein lebendiges Bärenfell gewickelt war. Dein Werk ist vollbracht; nun mag das meinige beginnen. Ich bitte dich, o Effendi, mir deinen Katil ed Dubeb zu leihen, weil die Kinder in ganz genau derselben Weise aus dem Dasein wandeln sollen, wie ihre Mutter es verlassen hat!«

Während er dies sagte, hielt ich den Blick scharf auf die Bärin gerichtet, bereit, ihr schnell, wenn nötig, noch einen Messerstoß zu geben; es war überflüssig; die Klinge hatte das Herz durchbohrt. Indem ich nun die Aufmerksamkeit eines jungen auf mich lenkte, schlug Halef es mit dem Bärentöter nieder und gab ihm dann den richtigen Messerstoß. So machten wir es auch mit den beiden andern, und als wir dann vor den vier Tierleichen standen, waren seit dem Augenblicke meines Einschreitens wohl kaum mehr als zwei Minuten vergangen, ein über alles Erwarten glückliches Gelingen, welches wir nicht mit dem kleinsten Hautritz zu bezahlen hatten.

Nun konnten wir unsere Aufmerksamkeit den Bebbeh schenken. Sie hielten beide die Augen geschlossen und gaben, als ob sie nicht mehr am Leben seien, keinen Laut von sich. Das ärgerte meinen kleinen Hadschi, welcher glaubte, ihren lauten Dank verdient zu haben. Er rief sie an:

»So öffnet doch eure Augen, ihr großen Helden vom Stamme der Bebbeh! Oder meint ihr, daß ihr mit zu den Bären gehört, die wir erschlagen haben? Da müßten wir euch auch noch unsere Messer zu fühlen geben!«

Da schlugen sie die Augen auf.

»Kara Ben Nemsi!« rief Aqil.

»Ja, er ist’s; er ist es wirklich, der Hadschi Emir Kara Ben Nemsi Effendi!« stimmte Ssali bei. »Und hier steht auch der kleine, tapfere Hadschi Halef Omar! Sehe ich euch in Wirklichkeit, oder ist’s ein Traum, in den ich durch den Tod versetzt worden bin?«

»Maschallah! Kann man nach dem Tode auch noch träumen?« lachte Halef. »Ihr seht uns hier in voller Wirklichkeit, denn ich sage euch, wir haben keine Lust, nichts als nur Traumgestalten zu sein!«

»Also wirklich, wirklich! Wie aber seid ihr hierher nach der Musallah el Amwat gekommen?«

»Ganz so, wie ihr es vorhin zu einander sagtet: Wir ritten den Hunden der Kelhur nach, um ihnen unsere Pferde wieder abzunehmen und euch zu befreien.«

»Uns befreien?« fragte er in zweifelndem Tone. »Uns zu befreien! Scherzest du vielleicht, Hadschi Halef Omar?«

»Wie kannst du diese Frage aussprechen! Schau die gewaltigen Glieder dieser Bärin an und die zwölf Krallenfüße ihrer jungen! Sieht das so aus, als ob wir hier einen Scherz getrieben hätten?«

»Allah ‚l Allah! So ist es wirklich euer Ernst gewesen, uns zu retten?«

»Ja.«

»Dann ist unser Gebet zu dem Gekreuzigten das richtige gewesen! Aber, verzeiht! Wir haben euch beleidigt, euch um die Pferde gebracht und euch nach dem Leben getrachtet. Wir können darum nicht eher an eure Güte glauben, als bis ihr uns hier losgebunden habt!‹&

»Wir haben beschlossen, dies zu thun, doch nur unter der Bedingung, daß ihr ein Verlangen nicht an uns stellt, welches wir nicht befriedigen könnten.«

»Welches Verlangen meinst du?«

Halef, der stets den Schalk im Nacken hatte und selbst der ernstesten Situation eine heitere Seite abzugewinnen wußte, antwortete in hoheitsvollem Tone:

»Wir werden euch nur dann losbinden, wenn ihr nicht etwa verlangt, daß wir euch auch noch ablecken sollen! Unser Kismet sagt nichts davon, daß wir diese Arbeit da fortsetzen sollen, wo die Bären darin unterbrochen worden sind.«

Ssali wußte nicht, was er hierauf sagen sollte. Ich überhob ihn der Antwort, indem ich begann, seinen Pfahl zu lockern, um ihn mit demselben umzulegen, wo dann das Losmachen leichter und bequemer als im Hängen war. Bald waren wir fertig damit, und als sie nun mit freien Gliedern vor uns standen und aus nicht mehr beengter Brust tief Atem holten, geschah etwas, oder vielmehr, geschah zweierlei, was ich beiden nicht zugetraut hätte. Aqil nämlich, der Räuber und Mörder, der bisher so gefühls- und gewissenlose Mensch, warf sich auf den Boden nieder und begann, laut wie ein Kind zu weinen. Die ausgestandene, furchtbare Todesangst hatte ihn so tief erschüttert, daß er sich nicht halten konnte. Und Ssali, sein Sohn, ergriff meine beiden Hände, sank vor mir in die Kniee und sagte:

»Du hast gesiegt, Emir, wie so oft über deine Feinde; aber diesen Sieg hast du nicht für dich errungen, sondern für einen, der weit höher steht als du. Gott ist die Liebe; du hast es gesagt, und ich glaubte es nicht; nun aber wäre ich blind, wenn ich nicht sähe, daß du die Wahrheit besitzest, während ich im Irrtum wandelte. Du hast uns, deine Feinde, aus den Krallen des Todes befreit; wir sind dein Eigentum und legen unser Schicksal in deine Hände.«

Ich zog ihn empor und antwortete:

»Knie nicht vor einem Menschen! Nur vor Gott und seinen Stellvertretern soll man sich beugen; ich aber bin ein Sünder so wie du. Seid ihr wirklich bereit, euer Schicksal ganz in meine Hände zu legen?«

»Ja. Ohne euch wären wir zerrissen und aufgefressen worden. Mach mit uns, was du willst! Wirst du uns den Kelhur wieder ausliefern?«

»Nein. Ihr seid frei.«

»Allah! Das wäre zu viel! Mußt du nicht wenigstens meinen Vater nach Khoi bringen, um ihn für den Raub der zehntausend Piaster bestrafen zu lassen?«

»Ich bin nicht Polizist von Khoi. Was ihr gegen uns begangen habt, das haben wir euch vergeben, und die Händel, welche ihr mit andern hattet, die gehen uns nichts an. Wir haben kein Recht über euch; mag Allah euer Richter sein! Ihr seid also frei und könntet eigentlich jetzt gehen, wohin ihr wollt, aber ich bitte euch, wenigstens noch bis morgen früh bei uns zu bleiben, weil wir sonst wahrscheinlich verhindert sein würden, das zu thun, was wir zu thun versprochen haben.«

»Oh, Emir, du hast nicht zu bitten, sondern nur zu befehlen! Unsere Herzen sind voller Dankbarkeit für euch; alle Feindschaft, die wir gegen euch hegten, ist zu Ende, und wir werden alles, alles thun, was du von uns nur fordern kannst.«

»Was ich von euch wünsche, ist nur, daß ihr bei uns bleibt und euch ruhig verhaltet. Ich will den Kelhur noch heut in der Nacht unsere Pferde entführen, und ich will Schir Samurek, ihren Scheik, ohne daß sie es merken, aus ihrem Lager holen; ihr aber sollt euch ruhig verhalten, bis dieses beides geschehen ist. Dies ist es, was ich von euch verlange.«

»Was sagst du da, Effendi? Was willst du thun? Eure Pferde entführen, das ist schwer, sehr schwer, aber doch nicht unmöglich. Aber den Scheik auch entführen, das kannst selbst du nicht fertig bringen!«

Da fiel Halef eifrig ein:

»Wie darfst du meinem Sihdi solche Worte sagen! Er thut stets das, was er sich vorgenommen hat, und für ihn ist das oft leicht, was andere für unmöglich halten. Wenn er Schir Samurek herausholen will, so holt er ihn; darauf kannst du dich verlassen! Siehst du denn nicht, daß ich auch da bin, der ich mit ihm schon so viel vollbracht habe? Was wir durchführen wollen, das führen wir durch, und dabei bleibt es sich ganz gleich, ob er bei mir ist oder ob ich bei ihm bin; die Hauptsache ist ja, daß wir beisammen sind! Wir haben die Bären der Unsterblichkeit erlegt und euch aus ihren Tatzen befreit. Ist das nicht schwerer, viel schwerer, als zwei Pferde und einen Scheik aus dem Lager zu entführen?«

»Für mich würde beides unmöglich sein; ihr aber seid Männer, deren Pläne und Thaten man nicht hindern kann, und darum darf ich euch nicht entgegenreden. Welchen Grund aber habt ihr denn, den Scheik gefangen zu nehmen?«

»Wir wollen ihn dadurch zwingen, das Geld herauszugeben, welches dem Wirte von Khoi gehört.«

»Werdet ihr ihn dann gefangen halten und nach Khoi schaffen, um ihn dort des Brandes wegen bestrafen zu lassen?«

»Nein,« antwortete ich jetzt an Halefs Stelle. »Ich habe dir schon gesagt, daß ich kein Polizist bin. Sobald ich meinen Zweck erreicht habe, lasse ich ihn frei.«

»Frei willst du ihn lassen, Effendi? Diesen Räuber und Mörder, der uns von den Bären zerreißen lassen wollte? Der euch die Pferde gestohlen hat und, wenn ihr ihm in die Hände gefallen wäret, euch auch den Bären vorgeworfen haben würde? Denke doch, was das zu bedeuten hätte! So eine Nachsicht und Milde könntet ihr weder vor Allah noch vor den Menschen verantworten, und alle Sünden, welche dieser Schir Samurek in seinem Leben noch begehen würde, müßten auf euer Gewissen fallen! Kannst du dich wirklich entschließen, eine solche Last auf dich zu nehmen, Emir?«

»Ja.«

»So begreife ich dich nicht!«

»Oh, ich habe soeben erst eine ganz gleichgroße Last auf mich genommen!«

»Wann und wie?«

»Vorhin, als ich euch verzieh. Schir Samurek ist ein Räuber und Mörder. Was seid ihr gewesen? Er wollte mich töten, falls ich in seine Hände fiele. Ihr habt uns nach dem Leben getrachtet. Euch haben wir zur Freiheit verholfen. Ihm wollen wir sie auch wiedergeben. Steht da nicht beides gleich? ja, für euch haben wir mehr, viel mehr gethan, als wir für ihn thun wollen, denn wir haben, obgleich ihr unsere Todfeinde waret, unser Leben gewagt, um euch von den Bären zu befreien; für ihn aber werden wir nichts, gar nichts wagen.«

»Aber die Kelhur sind unsere Feinde, mit denen wir in Blutrache stehen!«

»Was geht das mich an? Nanntet ihr euch nicht auch unsere Todfeinde? Und doch haben wir euch vergeben! Du hast erst vorhin so schön und mit solcher Überzeugung von der Liebe gesprochen, und jetzt brütest du Rache gegen die Kelhur. Meinst du, daß dies Liebe sei, die richtige Liebe, die Gott von uns verlangt? Ist es etwa ein Verdienst, diejenigen, welche dich lieben, wieder zu lieben? Das ist nicht Liebe, sondern Selbstsucht von dir. Nur wer gelernt hat, zu verzeihen, kann richtig und kann wirklich lieben; die Liebe aber, die neben sich die Rache kennt und duldet, verdient den Namen nicht, den du ihr giebst. Du bist noch neu und unerfahren in der wahren Liebe. Bitte Allah täglich, daß du sie besser kennen lernst. Ich habe sie dir gezeigt. Nun werbe um sie fort und immerfort, damit sie deine Freundin werde. Ich sage dir, es giebt kein Glück und keine Seligkeit ohne sie, im Leben und im Sterben. Doch jetzt dürfen wir uns nicht länger mit Worten, sondern wir müssen uns mit Thaten beschäftigen. Kannst du dich auf die Worte besinnen, welche Schir Samurek zu dir sagte, als du behauptetest, daß ich euch retten würde, obgleich ihr meine Todfeinde seid?«

»Welche Worte meinst du?«

»Bei Allah und bei meiner Seele, wenn er es dennoch thäte, ich würde selbst auch am Islam irre werden und meine Augen auf den Gott richten, der am Kreuz gestorben sein soll, um die Sünder zu erretten und die Verlorenen wiederzufinden!«

»Maschallah – Wunder Gottes! Du kennst seine Worte so genau, als ob du dabei gewesen wärest, als er sie sprach! Bist du allwissend, Effendi?«

»Nein. Weißt du auch noch, was er von dem Kreuze und von diesen Bären sagte?«

»Ja.«

»So hilf uns, dafür zu sorgen, daß seine Worte in Erfüllung gehen! Hat euch die Liebe, welche in meinem Herzen wohnt, also das Kreuz, welches das Zeichen meines Glaubens ist, Errettung vom Tode gebracht, so mag es auch den Kelhur die Erkenntnis bringen, daß der Haß und die Rache immer wieder nur Haß und Rache erzeugt, während die Liebe die Mutter der Erlösung und des Glückes ist.«

»Wie sollen wir dazu mithelfen, Effendi?«

»Wenn morgen früh Scheik Samurek den ersten Blick zur Musallah hebt, soll er die Erfüllung dessen sehen, was er im Hohne zur Bedingung machte: der Bär soll mit dem Kreuze in den Pranken hier unter der Thüre stehen.«

Seine dunkeln Augen bohrten sich mit forschendem Blicke und doch wie staunend in die meinigen, indem er ausrief:

»Welch ein Gedanke! Welch eine Idee! Effendi, ich beginne zu ahnen, wo die Quelle deiner Erfolge sprudelt. Du bist nicht ein Sklave des Kismet, sondern hast dich von ihm frei gemacht und leitest es nach deinem Willen!«

»Das kannst du auch!«

»Nein; ich kann es nicht, und kein andrer Mensch kann es außer dir. Wer hat dir die Macht dazu gegeben?«

»Die Liebe. Habe ich dir nicht gesagt, daß die Liebe die Mutter der Erlösung ist? Dein Kismet ist ein Tyrann, vor dem du wie ein Wurm, den es jederzeit zertreten kann, im Staube kriechst; er lebt von dem Marke deiner Knochen und mästet sich an dem Willen deiner Seele; er macht dich taub, daß du das Klirren deiner Ketten nicht vernimmst, und macht dich blind, daß du die Herrlichkeit der Freiheit nicht erblickst. Er schreibt seine Gesetze mit dem Blute deiner Adern und erteilt dir seine Befehle durch die Stimme der Leidenschaften, welche dich gleich dem Gifte des Haschisch verzehren, während sie dich zu erquicken scheinen. Dir ist jeder, wenn auch noch so leise Entschluß verboten; du darfst keinen Wunsch und keine Hoffnung haben, denn das Kismet hat jeden Hauch, der eines deiner Haare bewegt, schon im vorher bestimmt. Die Gewalt ist dieses Tyrannen Scepter, und der Islam ist die Lehre, die er predigt. Ist doch eure heilige Kamara nicht auf den Mond zurückzuführen, sondern auf den krummen, blutigen Säbel Muhammeds, den er, um seine Scharen anzufeuern, während der Schlacht an seine Lanze steckte! Mit dem Worte Kismet hat er und haben seine Nachfolger ihre Streiter in den Tod getrieben; an dem wasserlosen Brunnen des Kismet hat die Liebe unter euch verschmachten und verdürsten müssen, und während ihr euch für die bevorzugten Kinder Allahs haltet, seid ihr die Leibeigenen des Hasses, der Rache und der Unversöhnlichkeit geworden. So hat euch das Kismet um alle Freiheit, um alle Energie gebracht. Ihr müßt euch ohne Kraft und Licht durch euer Leben schleppen, wie das finstre, ungerechte und unerbittliche Fatum es euch vorgeschrieben hat, und wenn ihr dann einen Christen kennen lernt, dem der Gott der Liebe, der Weisheit und Gerechtigkeit die Fähigkeit verliehen hat, bestimmend, schaffend und gestaltend nicht nur in den Lauf seines eigenen Lebens, sondern auch in das Schicksal anderer Menschen einzugreifen, so ruft ihr ein Maschallah über das andere aus und könnt es nicht begreifen, daß er mit leichter Mühe etwas fertig bringt, was bei euch in das Bereich der Unmöglichkeit gehört. Das Kismet hat Schir Samurek befohlen, uns unsere Pferde zu stehlen; ich aber verlache dies Kismet und hole sie mir wieder. Dieses, euer Kismet hat ihm geboten, euch den Bären zu überantworten, und ihr wäret ihnen verfallen gewesen; ich aber bin ein freier Mann und habe die Vorbestimmung zu schanden gemacht, indem ich euch errettete. So werde ich auch, ohne euer Kismet um Erlaubnis zu fragen, auf Schir Samurek wirken, und ich bin überzeugt, daß dies nicht ohne Folgen für sein ganzes späteres Leben sein wird.«

Ich hatte gemäß der Denk- und Anschauungsweise Ssali Ben Aqils gesprochen, und er war meinen Worten mit Aufmerksamkeit gefolgt, ohne mich einmal zu unterbrechen. Aus seinen Augen blickte mir ein heißer Wunsch nach Verständnis entgegen. Als ich geendet hatte, hielt er mir die Hand entgegen und sagte:

»Ich danke dir, Effendi! So lange ich nur denken kann, hat meine Seele nach Licht gestrebt und doch nur Schatten oder Dämmerung gefunden. Ich kann deine Worte nicht so schnell begreifen, wie ich möchte; aber sie werden in mir haften bleiben, und ich hoffe, daß sie einen Funken enthalten, der später zur hellen Flamme wird. Ich bin ein Prediger des Islam und dennoch bereit gewesen, die Blutrache auszuführen. Du bist kein Lehrer deines Glaubens und hast doch deinen Feinden Gutes erwiesen. Das ist mir eine Aufforderung zum Vergleich. Ich werde darüber nachdenken und dann thun, was Allah wohlgefällt.«

»Woher wirst du wissen, was ihm wohlgefällt?«

»Die Stimme meines Herzens wird es mir sagen.«

»Ist das dieselbe Stimme, welche dir mitgeteilt hat, daß der Mahdi bald erscheinen wird?«

»Ja.«

»So prüfe dein Herz genauer als bisher, ehe du auf seine Stimme hörst! Ein alter Lehrer des Christentumes sagt: ›Des Menschen Herz ist ruhelos, bis es ruhet in Gott!‹ Laß dein Herz im Schoße der ewigen Liebe und Wahrhaftigkeit ruhen, so brauchst du keinen Mahdi, den du erst mühevoll entdecken mußt.«

»Auch diese Worte werde ich überlegen, Effendi. Wie deine Barmherzigkeit auf mich eingewirkt hat, das wirst du wohl bemerken. Gestern hast du mich als Eiferer für den Islam kennen gelernt, und heut höre ich nicht nur deine Reden an, ohne mich darüber zu erzürnen, sondern ich verspreche dir auch, sie in meinem Innern zu erwägen, und nehme sogar ohne den Grimm eines wahren Gläubigen deine Aufforderung hin, dir bei der Herstellung des Kreuzes mitzuhelfen. Ist dir das für jetzt genug?«

»Ja. Du wirst also mithelfen?«

»Ich werde es. Und wenn der Prophet darüber zürnt, so will ich hoffen, daß sein Grimm nicht ewig währt.«

»An deiner Stelle würde ich mich um Muhammed und seinen Zorn ebensowenig kümmern, wie er sich um euch bekümmert hat, als der Rachen der Bärin vor euch offen stand!«

Da rief Aqil, welcher bis jetzt, still zuhörend, noch immer am Boden gesessen hatte, halb erschrocken und halb zustimmend aus:

»Welche Reden muß ich da vernehmen, ohne daß ich, wie ich eigentlich müßte, dich dafür anspucken darf! Du lästerst den Propheten, Effendi. Wie wird er dich dafür bestrafen!«

»Ganz so, wie er euch auch bestrafen würde, wenn er überhaupt bestrafen könnte.«

»Uns auch? – Wofür?«

»War es von euch als Moslemim nicht viel, viel mehr als eine solche Lästerung, daß ihr vorhin in der größten Not nicht Muhammed, sondern den Gott der Christen und den Gekreuzigten um Hilfe batet? Habt ihr da nicht beide gerufen, daß kein anderer als Isa Ben Marryam euch helfen könne? Ich habe gesagt, daß Muhammed euch nicht geholfen habe; ihr aber sagtet, daß er euch nicht helfen könne; von wem ist er da mehr gelästert worden, von mir oder von euch?«

»Sei still, Effendi! Es waren gräßliche Augenblicke, in denen kein Mensch auf die Worte achtet, die er spricht. Die Hilfe war ein wahres Wunder; sie kam, als wir zu dem Gekreuzigten flehten; warum half Muhammed nicht, als wir ihn anriefen? Dein Isa Ben Marryam war also mächtiger als unser Prophet. Das ist wahr; wir haben es erfahren, und so dürfen wir es sagen, ohne befürchten zu müssen, daß wir damit eine Sünde begehen. Und wenn mein Sohn, der alle Satzungen des Islam kennt, bereit ist, das Kreuz mit euch zusammenzusetzen, so ist es mir, der ich kein ‚Alim bin, wohl ebenso erlaubt, euch mitzuhelfen. Ich fühle noch jetzt die Nähe des Todes in allen meinen Gliedern; du hast uns das Leben gebracht, und wenn ich dir dafür einen Dank erweisen kann, so frage ich keinen Menschen danach, ob mir Muhammed das übelnehmen wird. Sag‘ uns also jetzt, Effendi, was wir machen sollen!«

Die beiden waren heut ganz andere Menschen, als sie gestern gegen uns gewesen waren, und ich glaubte, annehmen zu dürfen, daß diese Änderung nicht nur für heut und morgen dauern werde. Wir löschten zunächst die Lichter aus, daß die Kelhur weder uns noch unsere Schatten sehen konnten; sie mochten denken, daß sie von den Bären umgerissen worden seien. Hierauf machten wir mit Hilfe unserer Messer den einen Pfahl, welcher den Querbalken bilden sollte, kürzer als den andern, und banden dann beide in der Weise zusammen, daß sie ein aufrechtstehendes Kreuz bildeten. Als wir damit fertig waren, zogen wir die Bärin bis ganz vor an die Thüröffnung und bauten schwere Steine aufeinander, woran sie aufgerichtet und so angelehnt wurde, daß es von weitem aussah, als ob sie auf den Hinterpranken stehe; dann gaben wir ihr das Kreuz in die Vordertatzen und banden Kreuz und Bärin so fest an die Steine, daß keines von beiden umfallen konnte. Nun gelüstete es keinen von uns, länger in der Musallah zu bleiben. Wir schafften die drei jungen Bären nach dem Hintergrunde derselben, und verließen dann, nachdem ich den weggeworfenen Henrystutzen wieder zu mir genommen hatte, den Ort, der uns, wenn wir nicht so sehr vom Glücke begünstigt gewesen wären, leicht ebenso verhängnisvoll hätte werden können, wie er es den beiden Bebbeh hatte werden sollen.

Ich wollte nach der Stelle oberhalb des Kelhurlagers hinauf, wo Halef am Nachmittage auf mich gewartet hatte, und traf grad diese Wahl, weil der Ort und der Weg von da herab mir bekannt geworden waren. Wir bewegten uns leise und sehr vorsichtig in der Weise, daß ich ein Stück voranschlich, denn die Neugierde konnte, seit die Lichter verlöscht waren, die Kurden näher zur Musallah herangetrieben haben. Es kam uns aber glücklicherweise keiner von ihnen in den Weg, und so langten wir oben an, ohne von jemand bemerkt worden zu sein.

Nun galt es, noch vor dem Grauen des Morgens eine höchst schwierige Doppelaufgabe zu lösen: ich wollte erstens unsere Pferde haben und zweitens auch den Scheik dazu. Beides mußte ich allein ausführen, weil mir weder Halef noch gar einer der Bebbeh dabei helfen konnte. Bei Halef war trotz seiner sonstigen Zuverlässigkeit doch die Möglichkeit, einen Fehler zu begehen, nicht ausgeschlossen, und der Bebbeh war ich so wenig sicher, daß ich, doch ohne daß sie es hörten, sie der Aufsicht des Hadschi übergab. Sie waren ganz natürlich so voller Grimm auf die Kelhur, daß ich ihnen einen unvorsichtigen Akt der Rache, der leicht alles verderben konnte, gar wohl zutrauen mußte. ich ermahnte alle drei, sich bis zu meiner Rückkehr unbedingt vollständig still zu verhalten, übergab Halef meine beiden Gewehre, die ich aus leicht begreiflichen Gründen nicht mitnehmen konnte, und trat dann den Abstieg an, der jetzt im Dunkel der Nacht zehnmal schwieriger als am Tage war.

Ich konnte, wie man sich auszudrücken pflegt, die Hand nicht vor Augen sehen und mußte mich also auf den Tastsinn verlassen. Darum stieg ich rückwärts hinab, Schritt für Schritt und mit dem Rücken vorwärts gerichtet, wie man von einer Leiter zu steigen pflegt. Mein Ziel war natürlich zunächst der schmale Einschnitt, von dessen Rande aus ich am Nachmittage Schir Samurek belauscht hatte; ich mußte vor allen Dingen wissen, wo er sich befand und was er machte.

Als ich nach ziemlich langer Zeit das Farngestrüpp erreichte, war alles dunkel; man hatte im Lager kein Feuer brennen. Wo steckte der Scheik? Da unten in dem Einschnitte, wo ich ihn schon gesehen hatte? Ich glaubte, diese Frage mit ja beantworten zu müssen, weil grad dieser Ort eine so bequeme Lagerstätte für den Anführer gab. Aber ob er allein oder mit anderen dalag, das gab für mich einen ganz gewaltigen Unterschied! Nach vorwärts hörte ich Stimmen; die Kurden schliefen also nicht. Das hatte ich auch erwartet, denn die Spannung auf den Ausgang der Bärenmahlzeit in der Musallah mußte sie wach erhalten. Grad unter mir aber, wo ich Schir Samurek vermutete, war alles still. Ich kroch mit außerordentlicher Vorsichtigkeit an dem Rande des Einschnittes hinab und schob mich, als ich unten angekommen war, in denselben hinein. Das war ein gefährliches Unternehmen, da ich jeden Augenblick auf einen Kurden stoßen konnte. Zu sehen war bei dieser Finsternis hier unter dem dichten Waldesdache rein nichts; zu hören ebensowenig, ich verließ mich also auf – – meine Nase und auf die Fingerspitzen, mit denen ich um mich tastete. Man denke ja nicht, daß der Geruchssinn mir hier keine Dienste leisten konnte! Wäsche, und gar neugewaschene, kennt der gewöhnliche Kurde nicht; den Anzug wechselt er jährlich nur zweimal, im Frühling und im Herbste, wenn er nämlich so glücklich ist, einen Sommer- und einen Winteranzug zu besitzen, und Seife ist für ihn ungefähr grad so ein Luxus, wie Austern es für einen deutschen Weichensteller sind. Man kann sich also denken, daß so ein Mensch eine Dufthülle an sich hat, die mehrere Schritte weit reicht und von einer leidlich gutwilligen Nase gar nicht mißverstanden werden kann. Es giebt nur zwei deutsche Ausdrücke, die das, was ich meine, so ungefähr und auch nur von weitem bezeichnen, nämlich »müffig« und »nach Herberge riechen«.

Also ich tastete und roch mich langsam vorwärts, in den Einschnitt hinein, ohne auf jemand zu stoßen. Als ich aber den Hintergrund erreicht hatte, hörte ich die ruhigen, schweren Atemzüge eines Schlafenden. Das mußte Schir Samurek sein! Grad daß ich ihn nicht roch, bestärkte mich in dieser Annahme, weil er als wohlhabender Mann keine so penetrante Dunsthülle wie ein armer Teufel besaß. Ich schob mich zu ihm hin und ließ meine Fingerspitzen leise, leise über seinen Anzug gleiten. Er schlief fest und befand sich allein an diesem Orte. Das war wieder ein Umstand, wie ich ihn mir gar nicht glücklicher hätte wünschen können. Das Kismet meinte es, obgleich ich es vorhin in so unfreundlicher Weise kritisiert hatte, heut überhaupt herzlich gut mit mir, aber eben ein Beweis, was für ein charakterloses Ding es ist!

Ich bedurfte selbstverständlich keiner langen Zeit, einen Entschluß zu fassen und ihn auszuführen: ein derber Griff nach der Kehle – zwei Faustschläge an den Kopf – der Scheik gehörte mir! Ich nahm ihn auf die Schulter, richtete mich auf und trug ihn fort, auf demselben Wege, auf welchem ich gekommen war. Daß man mich dabei hören könne, hatte ich nicht zu besorgen; die einzige Schwierigkeit bestand darin, daß ich den Aufstieg mit der schweren Last im Dunkeln machen mußte; doch auch das wurde glücklich ausgeführt, und ich kam mit dem Scheik oben an, ohne daß er unterwegs wieder zum Bewußtsein gekommen war.

»Bist du es, Sihdi?« fragte Halef, als er mich kommen hörte.

»Ja.«

»Hast du Glück gehabt?«

»Außerordentliches. Hier bringe ich Schir Samurek. Wir haben also selbst für den Fall gewonnen, daß es mir nicht gelingen sollte, noch vor Tagesanbruch unsere Pferde zu bekommen.«

»Den Scheik hast du? Effendi, das ist wieder einmal ein Streich, den selbst ich nicht fertig brächte!«

»Glaube es wohl, lieber Halef. Den schweren Mann in dieser Stockdunkelheit von da unten heraufzutragen, das sollte dir wohl Schweiß kosten!«

»Das nicht allein. Ihn aufzufinden und zu betäuben, ohne daß es jemand bemerkt, das ist doch noch weit schwieriger. Was thun wir nun mit ihm?«

»Wir binden ihn so fest, daß er sich gar nicht rühren kann, und stecken ihm einen Knebel in den Mund. Ich muß wieder fort, um nach den Pferden zu sehen. Während meiner Abwesenheit bewacht ihr ihn gut, bis ich wiederkomme. Sagt ihm nur, sobald er aufwacht, daß er ja keinen lauten Ruf ausstoßen soll, wenn er nicht das Messer in das Herz haben will.«

Da bat Aqil schnell:

»Gieb mir ein Messer, Effendi! Ich werde dafür sorgen, daß dieser Hund den Mund nicht öffnet, ohne sofort die Klinge in dem Leibe zu fühlen! Er hat gewollt, daß uns die Bären fressen, und soll die hundertfache Todesangst bezahlen, die wir ausgestanden haben!«

»Mein Messer brauche ich selbst,« wehrte ich ab. »Was ich befohlen habe, wird Hadschi Halef Omar ausführen; ihr habt für jetzt keinen Teil an dem Scheik. Ich würde jeden Versuch, euch an ihm zu rächen, auf das strengste ahnden. Ich bin es, der ihn gefangen genommen hat; er gehört also mit seinem Leben mir, auch nach euern Gesetzen, und wer mich dieses meines Eigentumes beraubt, den betrachte ich als meinen Todfeind und werde Leben um Leben von ihm fordern. So, jetzt wißt ihr, woran ihr seid. Wenn ihr euch nicht danach verhaltet, wäre es besser für euch, die Bären hätten euch vorhin getötet!«

Ich mußte diese strengen Worte anwenden, um die Bebbeh davon abzuhalten, sich in meiner Abwesenheit an Schir Samurek zu vergreifen. Sie dürsteten jedenfalls nach Rache; ich aber wollte ihn schonen, denn er sollte, wie schon viele, viele andern vor ihm und auch nach ihm, wenn ich von ihm Abschied genommen hatte, hinter mir her sagen: »Er ist ein Christ; darum wohnt die Güte in seinem Herzen.«

Halef verstand mich; darum erklärte er mir in beruhigendem Tone:

»Du kannst getrost gehen, Effendi. Dein Halef wird dafür sorgen, daß alles nach deinem Willen geht. Wer sich nur mit einem Finger an diesem Scheik der Kelhurkurden vergreift, der bekommt augenblicklich mein Messer in den Leib. Ich habe es gesagt, und was ich sage, das pflege ich zu halten!«

Ich war überzeugt, daß er gegebenen Falles sein Wort erfüllen würde, und entfernte mich, zunächst genau in derselben Richtung, in welcher ich vorhin hinabgestiegen war. Dann wendete ich mich, beinahe an dem Bodeneinschnitte angekommen, in welchem der Scheik gelegen hatte, nach rechts, um die Wieseneinbuchtung zu erreichen, auf welcher Rih von den Kelhur untergebracht worden war. Als ich an dem Rande derselben angekommen war, herrschte auf derselben zwar nicht die – greifbare, möchte ich fast sagen –Stockdunkelheit wie im Walde, aber es war doch immerhin so finster, daß ich nicht zu befürchten hatte, von den Kurden gesehen zu werden. Jetzt fragte es sich: Wo saßen die Wächter, und wo lag jetzt mein Rih? Ja, wenn ich laut hätte rufen dürfen »Ta’al!« oder »Ta’a lahaun!«, so würde es keine Minute gedauert haben und er wäre bei mir gewesen; aber das durfte ich ja nicht, und so legte ich mich auf den Boden nieder und kroch der Stelle zu, an welcher ich ihn gesehen hatte, denn ich durfte dem klugen Tiere wohl zutrauen, daß es nicht von dort wegzubringen gewesen war, seit es mich gesehen hatte. Hätte jemand mit mir darüber gestritten, ich wäre eine Wette darauf eingegangen und hätte sie gewonnen, denn ich hatte kaum die Hälfte der Strecke zurückgelegt, so hörte ich ein leises, kurzes, einmaliges Schnauben, welches ich sehr wohl kannte: Rih hatte mich gewittert. Jedes andere Pferd wäre nun wohl aufgesprungen und zu mir gekommen; er aber blieb ruhig liegen, weil ich ihm auf sein Schnauben kein Zeichen gab, zu kommen.

Als ich ihn erreichte, fühlte ich mit den Händen, daß ringsum der weiche Grasboden aufgewühlt und zerstampft war. Man hatte ihn also fortbringen wollen, und er hatte sich gewehrt. jetzt hing er an einem Riemen, der an einen in die Erde geschlagenen Pflock befestigt war. Halefs Gaul war ihm treu geblieben und lag neben ihm. Ich liebkoste den braven Rappen, worauf er mir die Hände wie ein Schoßhund leckte und dabei ein ganz, ganz leises, schnaubendes Stöhnen

»Komm!« oder »Komm hierher!« hören ließ. Damit wollte mir das »unvernünftige« Tier sagen, wie es ihm nach mir bange gewesen war und wie sehr es sich jetzt darüber freute, mich wieder zu haben. Daß kein Wächter bei ihm war, konnte ich nicht begreifen. Die Kurden mußten durch den Umstand, daß unterhalb des Lagers Wachen standen, so vertrauensselig geworden sein, daß sie es nicht einmal der Mühe wert hielten, sich eines so kostbaren Pferdes zu vergewissern.

Ich zog den Pflock aus der Erde, daß es den Anschein haben sollte, als ob ihn das Pferd selbst herausgerissen und sich dann entfernt habe, wand ihm den Riemen, an dem er hing, um den Hals und gab ihm dann das Zeichen zum Aufstehen. Rih gehorchte, und Halefs Pferd folgte sofort seinem Beispiele. Da ich wußte, daß der Hengst mir folgen würde, was ich aber von Halefs Gaul nicht behaupten konnte, so nahm ich den letzteren beim Zügel und führte ihn fort, genau nach der Stelle, an der ich aus dem Walde auf die Wiese gekommen war. Wir erreichten sie glücklich und nun fühlte ich mich vor den Kurden geborgen, obgleich es eine außerordentlich schwierige Aufgabe war, die beiden Pferde in dieser unter den Bäumen herrschenden ägyptischen Finsternis und bei der Steilheit des Terrains bergan zu schaffen. Der Umstand, daß Pferde des Nachts besser sehen als Menschen, erleichterte mir dieselbe; ich führte Halefs Tier und Rih kam von selbst hinterher. Der letztere wußte ganz genau, daß er ruhig zu sein hatte, und der Gaul schien auch einzusehen, daß es hier gelte, vorsichtig zu sein. Beide kletterten langsam und behutsam tastend hinter mir her; wir mußten oft stillhalten, oft den im Wege stehenden Stämmen ausweichen, und so kann ich sagen, daß wir gewiß drei Viertelstunden brauchten, um den unter anderen Verhältnissen so kurzen Weg zurückzulegen.

Als wir uns dem Orte näherten, wo Halef mit den andern auf mich wartete, mußten sie uns natürlich hören. Er konnte seine Ungeduld nicht unterdrücken und fragte, noch ehe ich ihn erreicht hatte, natürlich aber nicht so laut, daß man ihn unten bei den Kurden hören mußte:

»Wer kommt? Sihdi, bist du es?«

»Ja,« antwortete ich.

»Hamdulillah – Allah sei Lob und Dank, daß er dich wieder zu uns führt! Aber ich höre, daß du nicht allein bist. Ist jemand bei dir?«

»Ja.«

»Wer?«

»Die Pferde.«

»Rih und das meinige?«

»Ja.«

»Allah akbar – Gott ist groß! Aber meine Verwunderung ist fast noch größer, daß es dir gelungen ist, dieses ungeheuer schwere Werk zu vollbringen. Bist du oder sind die Pferde dabei verletzt worden?«

»Nein.«

»So ist das Wunder ein doppeltes und zehnfaches, und mein Erstaunen wächst so riesengroß, daß ich wollte, meiner kleinen Gestalt würde nur der millionste Teil von dieser Höhe hinzugesetzt. Gieb her, Effendi! Ich muß Rih unbedingt einen Kuß geben und auch meinen alten Tehs ein wenig streicheln. Dieses Wiedersehen erfreut mich beinahe so, als ob meine Hanneh, die süßeste und lieblichste Rose unter allen Frauen und Weibern, jetzt käme, mich zu begrüßen!«

Er kam mir die wenigen Schritte entgegen und liebkoste die beiden Tiere in der Weise, wie er es gesagt hatte. Dabei erkundigte ich mich:

»Wie steht es hier bei dir? Ist alles in Ordnung?«

»Ja, Effendi.«

»Habt ihr mit dem Gefangenen gesprochen?«

»Nur ich einige Worte; den Bebbeh hatte ich es verboten. Als er zu sich kam, war er erst eine Weile ruhig; dann warf er sich so hin und her, daß ich glaubte, er werde seine Fesseln zersprengen. Da ließ ich ihm die Messerspitze fühlen und habe ihm gesagt, daß seine Seele sofort spazieren gehen werde, wenn er nicht so unbeweglich liegen bliebe, wie ein gebratener Hammelsrücken im Reispillau mit Pfeffer und Rosinen liegt. Von da an hat er kein Glied mehr bewegt.«

»Weiß er, wer wir sind?«

»Ich habe es ihm nicht gesagt; aber vielleicht ahnt er es.«

»Und die Bebbeh? Wie haben die sich zu ihm verhalten?«

»Sie haben kein Wort gesprochen, seit du fort bist, und so gethan, als ob sie gar nicht da wären.«

Ich hatte diese Erkundigungen natürlich leise eingezogen; jetzt fügte ich vernehmlicher hinzu:

»Hobble die Pferde hier links bei den Sträuchern an, damit sie fressen können! Dann schlafen wir, wobei wir beide uns zum Wachen bis früh einander ablösen werden.«

Ich legte mich zu den Bebbeh in das Moos und flüsterte ihnen zu, nicht zu sprechen, sondern auch zu schlafen. Schir Samurek hatte sie weder gesehen noch gehört und wußte also nicht, daß sie noch lebten und sich in seiner unmittelbaren Nähe befanden; er sollte es auch jetzt noch nicht erfahren. Ich war müde und Halef ebenso; er erhielt die erste Wache, und ich übernahm die zweite, um beim Anbruche des Tages munter zu sein und den Gefangenen beobachten zu können. Da ich mich auf Halefs Wachsamkeit verlassen konnte, ließ ich mir von ihm meine Gewehre wiedergeben und schlief ein, um erst dann aufzuwachen, als er mich eine Stunde nach Mitternacht weckte.

Bald darauf hörte ich sein langsames, regelmäßiges Atmen. Die Bebbeh schnarchten um die Wette; von dem Scheik war kein Atemzug zu vernehmen. Ich schloß daraus, daß er nicht schlief, sondern wachte. Welche Gedanken mochten ihm durch den Kopf gehen? Wie sicher war er des Gelingens seiner Absichten gewesen! Wie stolz hatte er von mir und Halef gesprochen! Und nun lag er gefesselt und geknebelt da, ein Gefangener des »Christenhundes«, den er noch vor wenigen Stunden auch von den Bären hatte zerreißen lassen wollen.

Wie viele solche Nächte hatte ich in fremden Ländern, in Prairien und Urwäldern, in Dschungeln und sonstigen Wildnissen einsam durchwacht. Keine dieser Wachen hatte der andern geglichen; stets war die Situation eine andere gewesen. Und doch gab es ein Etwas, was stets vorhanden gewesen war, was allen diesen Nächten die gleiche – – – Klangfarbe, möchte ich sagen, die gleiche Stimmung gegeben und den Grundton gebildet hatte zu all den Moll- oder Dur-, zu all den weichen oder härteren Accorden, die da in meiner Seele erklungen waren, nämlich das Gefühl der Gottesnähe, die mit allen Fasern und Fibern empfundene Gegenwart dessen, welcher die allerhöchste Macht und zugleich die allerhöchste Liebe ist, das seligmachende Durchdrungensein von der Überzeugung, daß eine unendliche und allbarmherzige Weisheit mich an Ort und Stelle geleitet hat und mich auch weiter führen wird. Wie die winzige Puppe eines kleinen Falters, zu dem sie sich entwickeln Soll, auf der Fläche einer geöffneten Gigantenfaust, so liegt der Mensch mit Leib und Seele, mit allem seinem Denken und Fühlen, mit all seinem Hoffen, Harren und Zagen in der allgewaltigen Hand Gottes, die ihn nicht zerdrücken, sondern zum irdischen Glücke führen und dann zur Seligkeit des Himmels leiten will. Und – sollte man es für möglich halten – dieses Würmlein wagt es, an dem Dasein dieses Giganten zu zweifeln, dessen Faust es mühelos zermalmen kann. Dieses Würmlein will die Erde und den Himmel meistern, will die ewigen Gesetze des Herrn der Welten kritisieren, will seine Tempel zerstören und seine Altäre niederreißen, will sich selbst zum ersten und letzten Endzweck der Schöpfung ernennen und Atome und Moleküle erfinden, um aus ihnen Sonnen- und Sternenbälle zu formen, die nur dazu entstanden seien, sich wieder in ihr Nichts aufzulösen!

Wie anders, wie so ganz anders steht es da um ein Herz, welches in dem festen, unerschütterlichen Glauben schlägt, daß es in des Vaters Liebe ruhe und sich von seiner weisen Güte leiten lassen müsse, auch wenn es seine Absicht nicht erkennt. Wie unsagbar wohl lebt man, während ringsum die Stürme toben, im warmen, stillen Gottvertrauen, welches sich durch keinen Zweifel stören und durch keine noch so subtile Hyperkritik irre machen läßt. Das ist keine gedankenlose oder denkfaule Hingabe an das Großmutter- und Kindermärchen vom »lieben Gott, der alles sieht«, sondern ein selbstbewußtes und selbstgewolltes und deshalb um so beglückenderes Aufgehen in einen ebenso allgütigen wie unerschütterlichen höhern Willen, gegen den kein Sträuben hilft. Wer da meint, widerstehen zu können, dem wird und muß die Erkenntnis seines Irrtumes kommen, wenn nicht noch im letzten, schwersten Augenblicke seines Lebens, so doch ganz sicher im ersten Augenblicke nach der Stunde, die wir so falscher Weise die Todesstunde nennen. Die Menschenseele besteht nicht aus Atomen, welche, wenn die Begräbnisglocken nicht mehr klingen, in dem von den Leugnern erfundenen großen Nihil zerstäubend untergehen, und wird, sobald sie ihr irdisches Haus verlassen hat, dem ewigen Richter Rechenschaft ablegen müssen über jeden Schritt des Weges, den sie von ihrem Erwachen zum Bewußtsein an bis zur Befreiung von ihrer körperlichen Hülle zurücklegte. Das ist eine Gewißheit, die Grausen erregen müßte, wenn es nicht ebenso gewiß wäre, daß zwar die ewige Gerechtigkeit die Untersuchung führen und das Urteil sprechen, aber dann die göttliche Barmherzigkeit das Recht der Begnadigung besitzen und an dem Reuigen ausüben wird.

Wie die sogenannte »Nacht des Todes« doch nur die Pforte zum jenseitigen Leben ist, so waren die still durchwachten Nächte, von denen ich vorhin sprach, es stets, die meinen Sinn nach oben lenkten. Die Vorkommnisse des Tages nehmen den Geist gefangen; die leuchtenden Runen des Firmamentes ziehen den Blick dann himmelan, oder der dunkle, mond- und sternenlose Abend macht geneigt zur Einkehr in sich selbst. Dann gehen wohl im tiefen Innern helle Sterne auf, oder es erscheinen die Wolken der Betrübnis über die Begehungs- und Unterlassungssünden, welche während des Tages nicht vermieden wurden. Das giebt dann ein, wenn auch noch so schwaches, Vorbild des ewigen Gerichtes, denn es sind die göttlichen Gesetze, nach denen der Mensch sein Thun und Lassen zu beurteilen hat, also ganz genau dieselben, nach denen ihm dereinst sein Urteil werden wird. Wie oft habe ich da mein Fühlen, Wollen und Handeln im Vergleich zu Gottes Vorschrift abgewogen und dabei nicht ein einziges, aber auch nicht ein einziges Mal gefunden, daß ich, das heißt der Richter in meinem Innern, mit mir zufrieden sein durfte. Ein Mensch, der im Gefühle seines Christentumes den Nacken stolz aufrichtet, der ist kein wahrer Christ, der hat nie über sich zu Gericht gesessen, denn hätte er dies nur ein einziges Mal in der richtigen Weise und ohne Selbstgefälligkeit gethan, so würde er recht demütig und bescheiden anstatt stolz geworden sein.

So saß ich jetzt in finsterer Nacht bei den Schläfern, auf jeden Laut, welcher die Stille unterbrach, scharf achtend und doch in mich versenkt. Der feuchte Hauch der Tiefe stieg zu Berge und den Himmel verdeckte ein dichtes, undurchdringliches Wolkenzelt. Zuweilen verriet mir ein kurzer, rascher Lufthauch, daß eine Watwata mit unhörbarem Flughautschlage vorübergeflattert sei; das Rauschen eines hohen Astes, dem das Rascheln eines niedrigeren folgte, belehrte mich, daß ein gefräßiges Singab auf nächtlichen Raub ausgehe; ein ebenso nächtliches Sursur geigte drüben bei der Musallah seine Flügeldecken, daß es bis zu uns herüberschrillte, und dann klang das dumpfe »Bu-buhu« des Bajkusch aus dem Thale herauf. Suchen nach Beute, Raub und Fraß überall! Selbst die Nacht bringt keinen Frieden für die Welt der Tiere! Ob für die Menschen?

Da unten lagen die Kelhurkurden. Ihre Gedanken waren gierig nach der Kapelle gerichtet, nicht etwa friedlich, denn diese Leute waren überzeugt, daß jetzt dort Menschenknochen unter den Zähnen der Bären krachten und daß der Boden der einstigen Friedensstätte vom Blute der Bebbeh gerötet sei. Und waren etwa nur diese halbwilden Menschen Räuber zu nennen? Giebt es nicht Tropfen, welche ebensowenig vergossen werden sollten, obgleich sie nicht von roter Farbe sind, Tropfen, die auch tief aus dem Herzen kommen? Giebt es nicht Thränen, die gleich schwer auf dem Gewissen liegen sollten? Giebt es nicht einen Schweiß der Armen, der auch zum Himmel schreit wie Abels Blut? Das waren trübe Betrachtungen, aus denen mich ein leises, leises Geräusch aufstörte. Ich horchte. Ein dürres Ästchen knackte in meiner Nähe; dann bekam ich den Eindruck, als ob ein schwerer Gegenstand über Gras geschoben werde. Da streckte ich die Hand nach Schir Samurek aus; ich hätte seinen Kopf fassen müssen, griff aber in das Leere. Ah, der Kelhur wollte den Versuch machen, uns trotz seiner Fesseln zu entkommen! Er schob sich von der Stelle weg, an welcher er gelegen hatte, war aber erst einige Handspannen weit fortgekommen, so hatte ich ihn fest. Er wollte sich durch Stoßen mit den Füßen wehren; da warnte ich ihn leise, um die andern nicht zu wecken, die des Schlafes bedurften:

»Liege still, sonst fühlst du augenblicklich meine Klinge!«

Er sah ein, daß Gehorsam besser als unnützer Widerstand war, und ich zog ihn in seine frühere Lage zurück, worauf ich mich so nahe zu ihm setzte, daß ich eine Wiederholung des Fluchtversuches nicht nur hören, sondern auch fühlen mußte.

So saß ich, bis die ersten befiederten Boten des Morgens erwachten und ihre Stimmen hören ließen, obgleich es noch ganz dunkel war. Sie weckten Halef auf und auch die beiden Bebbeh erwachten. Der bisher schwarze Wolkenhimmel begann, sich grau zu färben. Da fragte Halef leise:

»Darf ich sprechen, Sihdi, oder müssen wir jetzt noch schweigen?«

»Schweig lieber,« antwortete ich. »Es giebt für dich nichts Wichtiges zu sagen; interessanter wird es sein, den Scheik zu beobachten. ich werde ihm eine andere Lage geben, daß er euch nicht gleich sehen kann.«

Ich schob mich mit Schir Samurek ein Stückchen fort, zog mein Messer, setzte es ihm auf die Brust und sagte:

»Der Knebel hat dir den Mund bisher verschlossen; ich werde ihn entfernen, damit du leichter Atem holen kannst.

Ich erlaube dir auch, mit mir zu sprechen, doch nur so, daß ich es höre. Sprichst du lauter, oder wagst du es gar, um Hilfe zu rufen, so ist dieser Ruf der letzte deines Lebens, denn in demselben Augenblicke wird mein Messer dir im Herzen stecken!«

Ich zog ihm den Knebel heraus. Er holte einige Male frei und tief Atem und fragte dann, die Worte hastig aber doch leise hervorstoßend:

»Ssuker Chodeh – Gott sei Dank! Fast wäre ich erstickt! Wo befinde ich mich?«

»Das wirst du bald selbst sehen, ohne daß ich es dir zu sagen brauche.«

»So will ich wenigstens wissen, wer du bist!«

»Auch das brauche ich dir nicht zu sagen; du wirst in kurzer Zeit meinen Namen selbst finden.«

»Du mußt der Teufel sein, denn ich war plötzlich tot, und als mir das Leben wiederkehrte, war ich gefesselt und geknebelt und lag an einem ganz andern Orte. Ein Mensch kann das nicht mit mir gethan haben!«

»Ein Teufel auch nicht, denn sonst wärest du nicht hier, sondern in der Hölle aufgewacht. Ich habe dich mit dem Kopfe hoch gelegt. Blicke gerade aus, bis du sehen kannst, wo du dich befindest. Aber vergiß ja meine Warnung nicht: Ein lauter Ruf bringt dir sofort den Tod! Für jetzt will ich, daß du schweigest.«

Er gehorchte.

Die Wolken färbten sich langsam, aber stetig heller, und ein leiser Dämmerschein ließ die Spitze des gegenüberliegenden Berges sichtbar werden, an dem er nach und nach niederglitt. Das Thal lag noch schwarz unter uns. Links drüben war der Wasserfall in undurchdringlich dunkeln Dunst gehüllt, und über dem Teich unter uns, wo die Kurden lagen, schwebten ebenso dichte Nebelballen; bei ihnen war es noch Nacht. Für uns hier oben aber wurde der erste fahle Morgenschein schnell heller; er glitt uns gegenüber am Berge nieder, bis er die Musallah el Amwat erreichte, die wir nun zwar nicht ganz klar, sondern wie durch einen Schleier, aber doch ziemlich deutlich liegen sahen. Da zuckte Schir Samurek zusammen, riß die Augen auf und starrte hinüber. Es war der Schreck, der ihn ergriff, denn er sah unter der Thür den Riesenbär mit dem Kreuze in den Pranken stehen. Unsere Sicherheit nötigte mich zu der schnellen Warnung:

»Ja kein lautes Wort, sonst ersteche ich dich sofort!«

Dabei setzte ich ihm die Messerspitze auf die Brust. Er schloß die Augen, öffnete sie wieder, machte sie abermals zu und riß sie wieder auf; er konnte sich nicht irren, er konnte nicht daran zweifeln: der Bär stand mit dem Kreuze drüben und blieb unbeweglich stehen. Da legte ich Schir Samurek mit starkem Drucke die Hand um den Oberarm und sagte langsam und schwer die Worte, die ich aus seinem eigenen Munde gehört hatte:

»Wenn der Bär des toten Priesters da drüben am Eingange der Musallah steht und das Kreuz der Christen in den Tatzen hält, dann will ich glauben, daß es diesem Kara Ben Nemsi, dem Christenhunde, gelingen kann, euch aus unsern Händen zu erretten, eher aber nicht!«

Da wurde sein Gesicht aschgrau; die Augenlider sanken herab, und die Wangen fielen ihm ein; er sah plötzlich einer Leiche ähnlich; sein Atem ging schwer und kam wie stöhnend über seine farblos gewordenen Lippen. Ich schwieg, um den Eindruck meiner Worte und dessen, was er sah, ungeschwächt wirken zu lassen. Das dauerte eine ganze Weile; dann wendete er mir sein Gesicht zu, öffnete die Augen wieder, richtete den verstörten Blick auf mich und fragte:

»Bist du etwa dieser Christ?«

»Ich bin es,« nickte ich.

»Der Emir Kara Ben Nemsi Effendi?«

»Ja.«

»Allah – Allah – Allah!« seufzte er dreimal, und es dauerte wieder eine Weile, bis er sich erkundigte: »Dieser Bär bewegt sich nicht. Ist er tot?«

»Ja.«

»Gestorben? Oder wurde er getötet?«

»Er wurde erstochen.«

»Von wem?«

»Von mir.«

»Maschallah! Vorher aber hat er die Bebbeh aufgefressen?«

»Nein.«

Er zuckte zusammen, reckte sich dann schnell aus und fragte so hastig, daß die Worte wie zugleich aus seinem Munde kamen:

»So leben sie noch?«

»Ja.«

»Unverletzt?«

»Vollständig unverletzt.«

»Das glaube ich nicht; das kann ich nicht glauben; das ist eine Lüge; das ist nicht wahr!«

»Es ist wahr. Du wirst gehört haben, daß ich niemals eine Lüge sage.«

»So zeige sie mir! Ich will und kann es nicht eher glauben, als bis ich sie sehe!«

»Da, schau dich um!«

Ich drehte ihn auf die Seite, so daß er Aqil und seinen Sohn sehen konnte. Die Wirkung war eine noch tiefere als vorhin, wo er den Bär erblickte. Einen ersterbenden Wehelaut ausstoßend, schloß er wieder die Augen; die Narbe in seinem Gesichte trat blutigrot hervor, und an der Stirn schwollen ihm die Adern zum Zerplatzen. Der Schreck trieb ihm das Blut aus dem Herzen nach dem Kopfe. Dann aber fiel das Gesicht noch mehr als vorher zusammen, und kaum hörbar kam es fast röchelnd über seine Lippen:

»Die Bebbeh sind frei – – ! Durch den Christ gerettet–Drüben der Bär – – mit dem Selib in den Tatzen – –- !«

Dann lag er starr und bewegungslos wie eine Leiche da. Ich aber sagte langsam und mit schwerer Betonung wie vorhin:

»Bei Allah und bei meiner Seele, wenn er es dennoch thäte, ich würde selbst auch am Islam irre werden und meine Augen auf den Gott richten, der am Kreuz gestorben sein soll, um die Sünder zu erretten und die Verlorenen wiederzufinden.«

Da richtete er sich, so weit es ihm die Fesseln gestatteten, auf, sah mir mit wie irren Augen in das Gesicht und sagte:

»Du kanntest vorhin meine Worte und kennst nun auch diese so genau. Wenn du nicht der Teufel bist, so muß dir Allah seine Allwissenheit geliehen haben, um alles zu erfahren und alle meine Absichten zu Schanden zu machen. Du hast mich mitten aus dem Lager geholt; du hast den Bären getötet; du hast diese Bebbeh befreit; nun wäre es gar kein Wunder, wenn du dir auch eure Pferde wiedergenommen hättest.«

»Es soll auch gar kein Wunder sein,« antwortete ich lächelnd, indem ich ihn nach der andern Seite drehte. »Schau da nach rechts, wenn du sie sehen willst.«

Als er sie erblickte, stieg ihm das Blut wieder rot in das Gesicht, und er sagte mit heiser klingender Stimme:

»Dachel Allah – ich bitte dich um Gottes willen! Auch das hast du gethan, auch das! Wenn mir Allah jetzt nicht hilft, verliere ich den Verstand!«

»So wünsche ich, daß er dir helfen möge, denn du hast grad jetzt deinen ganzen Verstand zusammenzunehmen, wenn du nicht mit allen deinen Kriegern zu Grunde gehen willst.«

»Wieso?«

»Deine Leute werden den Bär da drüben sehen; sie werden dich vermissen und von einem großen Schreck ergriffen werden. Wenn sie dann vor Entsetzen nicht wissen, was sie thun sollen, wird hier meine Baruda es Sihr ihre Stimme erheben und nicht eher schweigen, als bis kein einziger Kelhur mehr am Leben ist.«

Da konnte der stets zungenfertige Halef sich nicht enthalten, zu meiner Drohung auch die seinige zu fügen:

»Und ich werde meinem Effendi helfen, die Kelhur mit unsern Kugeln zu durchlöchern, daß ihre Leiber gleich Gharabil anzusehen sind, durch welche man Datteln werfen kann. Ihr habt uns bestohlen und verhöhnt; ihr wolltet uns auch den Bären vorwerfen, wenn ihr uns ergreifen würdet, was aber selbst dann nicht geschehen wäre, wenn du zehntausend Wächter da unten am Wege aufgestellt hättest, um uns abzufangen. Dafür werdet ihr nun alle, alle sterben müssen, wenn du den Verstand verlierst, den du, wie mein Effendi ganz richtig sagte, grad jetzt viel nötiger als in deinem ganzen Leben brauchst!«

»Wer bist du denn?« fragte ihn der Scheik. »Wohl Hadschi Halef Omar, der Begleiter dieses Christen?«

Da warf sich der Kleine in die Brust und antwortete in seinem stolzesten Tone:

»Sprich nicht so kurz von mir! Mein Name ist viel länger, als du denkst! Alle, die mich kennen und von mir gehört haben, wissen, daß ich Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah genannt werde! Das merke dir für die Zukunft, auch wenn meine Kugel dich in einigen Minuten in die schrecklichste Hölle aller Höllen befördert haben sollte.«

Der Scheik nahm diese Worte gar nicht etwa mit Ironie entgegen, o nein, das fiel ihm gar nicht ein, denn er war als Orientale diese Ausdrucksweise nur zu gewöhnt; er machte vielmehr ein ganz betroffenes Gesicht und erwiderte, sich mir wieder zuwendend:

»Was ich zu thun habe, werde ich in wenigen Augenblicken wissen. Weißt du, Emir, was diese zwei Bebbeh gegen euch verbrochen haben?«

»Ich weiß es,« antwortete ich.

»Daß Aqil die Schuld am Raube eurer Pferde trägt?«

»Ja.«

»Und daß Ssali Ben Aqil euch nach dem Leben getrachtet hat?«

»Auch das.«

»Und du hast dennoch mit den Bären gekämpft, um sie vom Tode zu erretten?«

»Das war meine Pflicht, denn ich bin ein Christ.«

»Was gedenkst du nun, mit ihnen zu thun? Ihr steht in Blutrache mit ihnen und habt doch nur die Schrecklichkeit ihres Todes mildern wollen, da sie nun von euern Kugeln sterben müssen?«

»Nein. Als Christ kenne ich nur die Verzeihung, nicht aber die Rache. Ich habe ihnen die Freiheit geschenkt. Sie können gehen, wohin sie wollen, nachdem ich dich gezwungen habe, ihnen ihre Pferde und ihre Waffen wieder herauszugeben.«

Da warf er mir, indem sein ganzes Gesicht sich in ein einziges, großes und erstauntes Fragezeichen verwandelte, die Worte zu:

»Hast du im Ernste gesprochen, Emir?«

»Im vollsten Ernste.«

»Welch Wunder, welch ein großes, unbegreifliches Wunder sehe ich da! So ist es also wahr, was man von dir erzählt: Du erweisest selbst deinen Todfeinden Gutes, weil du ein Bekenner des Gekreuzigten bist. Weißt du denn, daß nun auch Rache zwischen euch und mir vorhanden ist?«

»Ich habe dir schon gesagt, daß ich keine Rache übe.«

»Aber ich befinde mich doch in deinen Händen, ich, der ich euch töten wollte. Was hast du über mich beschlossen?«

»Wenn du thust, was ich von dir verlange, werde ich dich als Freund betrachten und dir die Freiheit wiedergeben.«

»Und was ist es, was du von mir forderst?«

»Daß du erstens Aqil und Ssali die Waffen und Pferde wiedergiebst; daß du zweitens die Gefangenen aus Khoi mit allem, was ihnen gehört, zurückreiten lässest, und daß du drittens die zehntausend Piaster des Wirtes, welche du Aqil abgenommen hast, mir zur Besorgung an ihn ausantwortest.«

»Aber was bleibt da für dich? Was hast du davon, daß du gegen diese Leute und auch gegen mich so gütig und barmherzig bist?«

»Ich habe viel, sehr viel davon! Das Bewußtsein, den Geboten des christlichen Glaubens gehorsam gewesen zu sein, ist mir hundertmal mehr wert, als alles andere, was ich erlangen könnte. Isa Ben Marryam, der Gekreuzigte, hat uns befohlen: Liebet eure Feinde; segnet die, welche euch verfluchen, und thut denen wohl, welche euch hassen; dann seid ihr gehorsame Kinder eures Vaters im Himmel! Ich möchte gern ein solches Kind Gottes sein, und der Gedanke, daß der allliebende Vater heut mit mir zufrieden ist, macht mich glücklicher, als der Reichtum der ganzen Erde mich machen könnte.«

Da sah ich, daß Schir Samurek die Zähne zusammenbiß; seine Lippen zuckten, und indem eine tiefe Bewegung über seine Züge ging, rief er aus:

»Effendi, du hast mich zweimal besiegt, erst durch deine List und Verwegenheit und nun durch deine Versöhnung predigende Frömmigkeit. Ich will noch nicht sagen, was ich mir in diesem Augenblicke vorgenommen habe; ich will dich nur noch einmal, zum letztenmale, durch eine Bitte prüfen: Gieb mir, o Emir, jetzt einmal die Hände frei, daß ich sie zum Gebete falten kann!«

War das Betrug, war es eine List? Ein forschender Blick in sein Gesicht beantwortete mir diese Frage mit einem überzeugten, sichern »Nein!« Ich schnitt ihm alle Fesseln durch und sagte:

»Wohlan, du sollst erfahren, wie ein Christ jetzt handelt, während ein Anhänger Muhammeds dich auslachen und verhöhnen würde. Ich gebe dir nicht nur die Hände und, was du gar nicht erbeten hast, auch die Füße frei; ich gebe dich ganz frei. Du kannst also gehen, wohin es dir beliebt. Wenn dich der traurige Ruhm stolz und glücklich machen kann, einen ehrlichen Mann getäuscht zu haben, der dir Glauben und Vertrauen schenkte, obgleich du dich in seiner Gewalt befandest und die Rache ihm deinen Tod befahl, so gehe hin und rühme dich; ich habe nichts dagegen!«

Es war weniger Überlegung als vielmehr eine Eingebung, welche mich so handeln ließ. Die Folgen davon waren sofort zu sehen und zu hören. Aqil und Ssali schrieen vor Verwunderung fast laut auf; Halef streckte beide Hände abwehrend aus und rief:

»Sihdi, was fällt dir ein! Sei gehorsam deinem Glauben, ja; das aber ist zu viel; das ist zu viel gewagt!«

Schir Samurek jedoch sprang auf, schlug beide Hände über den Kopf zusammen und frohlockte:

»Frei bin ich, wieder frei, ganz frei! Der Tod war mir sicher, und nun wird mir dafür das Leben! Effendi, du hast den Sieg vollendet, von dem ich soeben sprach. Hör‘, was ich hierauf sage: Siehe, ich strecke beide Arme aus. Der linke zeigt nach Mekka, wohin der Moslem sein Angesicht richtet, wenn er betet, und der rechte deutet nach dem Bait el Makdis, wo dein Gekreuzigter gestorben ist. Ich wende mich nicht nach links, sondern nach rechts, damit Isa Ben Marryam höre, was ich dir verspreche: Niemals, nie, so lange ich lebe, werde ich den heutigen Morgen vergessen, an dem ich den Lehrer einer solchen Liebe und Barmherzigkeit kennen lernte; nie soll die Rache wieder in mir wohnen, und jeder Christ soll mir in meinem Zelte so willkommen sein, als ob sein Erzeuger auch mein Vater sei. Und damit ihr seht, wie ernst es meinem Herzen mit diesem Schwure ist, soll gleich jetzt und hier das erste Werk der Versöhnung vollzogen werden.«

Er trat zu den Bebbeh, reichte ihnen beide Hände hin und fuhr fort:

»Es lag Blut zwischen meinem Stamme und dem eurigen. Aqil hatte die Rache heraufbeschworen und wir weigerten uns, den Blutpreis anzunehmen. Ihr fielet in meine Hände, und ich wollte euch von den Bären fressen lassen. Muhammed konnte euch nicht retten; aber der Gott der Liebe hat euch durch die Hand dieses Christen befreit, in dessen Herzen eigentlich die Unversöhnlichkeit des Hasses gegen euch wohnen sollte. Soll der Christ die Moslemim beschämen? Nein! Wo wir so viel Barmherzigkeit von ihm erfahren haben, dürfen wir nicht mehr an Haß und Rache denken. Reicht mir also eure Hände, und seid damit einverstanden, wenn ich sage. Von dieser Stunde an soll zwischen den Stämmen der Bebbeh und der Kelhur Freundschaft sein anstatt der Rache. Alles sei vergessen; die Alten sollen sich wie Brüder lieben, und die Jungen sollen einig wie Geschwister sein! Wollt ihr, Aqil und Ssali Ben Aqil, mit diesem meinem Vorschlage einverstanden sein?«

Er hatte ihre Hände ergriffen und hielt sie in den seinigen fest. Die ausgestandene Todesangst, vielleicht auch mein unerwartetes Verhalten, hatte ihn, den Harten, weich gemacht, und diese Milde des sonst so steinherzigen, ja blutgierigen Mannes, konnte unmöglich ohne Wirkung sein. Aqil antwortete:

»Wir fühlten die Krallen der Bären in unserm Fleische und den Hauch des Todes in unsern Seelen; da haben wir eingesehen, daß die Rache eine entsetzliche Tochter des Hasses ist, und sind bereit, uns zu der Liebe zu bekehren. Es sei darum, wie du gesagt hast: es walte Freundschaft zwischen euch und uns, zwischen eurem Stamme und dem unserigen; eure Freunde seien unsere Freunde, und unsere Feinde seien auch eure Feinde. Die besten und wertesten Freunde aber, welche beide Stämme haben, das sollen Hadschi Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar sein, der einen noch längeren Namen hat.«

Da sprang der kleine Hadschi zu ihnen hin, vereinigte seine Hände mit den ihrigen und rief:

»Ja, mein Name ist viel, viel länger, als ihr denken und aussprechen könnt, denn die Zahl meiner Väter, Urväter und Großvatersväter der Ahnenväter reicht bis zu dem Augenblicke hinauf, an welchem der erste Vater auf Erden geboren wurde. Aber meine Freunde brauchen mich nur Hadschi Halef zu nennen, und da ihr nicht mehr unsere Feinde, sondern unsere Freunde sein wollt, so erlaube ich euch, die ruhmreiche Kette meiner Vorfahren unerwähnt zu lassen. Allah hört und sieht den Bund, den wir jetzt schließen; er wird jeden strafen, der es wagt, ihn zu brechen. Komm, Sihdi, gieb deine Hände auch mit zum Versöhnungsfest, welches mit der Honigliebe der Bären begonnen hat und selbst dann kein Ende finden soll, wenn kein Honig mehr in den Bäumen wächst und keine Bären mehr auf Erden wandeln!«

Ich folgte seiner honigreichen Aufforderung und hatte eben einige Worte der frohen Zustimmung gesagt, als ein vielstimmiges Geschrei vom Kurdenlager zu uns heraufscholl. Die Kelhur hatten den Bären gesehen und die Abwesenheit ihres Scheiks bemerkt. Daß dies nicht schon früher geschehen war, daran trug der Morgenwind die Schuld, welcher vom Thale aufstieg und die dichten Nebelmassen nach der Höhe trug. Diese hatten sich als undurchsichtige Decke auf das Lager gelegt und den Ausblick von dort aus nach der Musallah verhindert. Nun aber war diese Decke von dem kräftiger werdenden Luftzuge zerrissen worden und die Kapelle lag frei vor den Augen derer, die gestern alle die höhnischen Worte ihres Anführers gehört hatten. Ihre Betroffenheit läßt sich denken, als sie dieselben in Erfüllung gegangen sahen und den Bären mit dem Kreuze erblickten. Natürlich eilten sie nach der Lagerstätte des Scheiks und sahen zu ihrem Schrecken, daß er verschwunden war. Seine Abwesenheit mit dem Erscheinen des Bären da drüben verbindend, erhoben sie das von mir erwähnte Angstgeschrei.

»Sie haben Sorge um mich; sie suchen nach mir,« sagte Schir Samurek. »Sie werden den Wald durchstöbern und hierherkommen. Und da sie nicht wissen, daß wir Freunde geworden sind, werden sie auf euch schießen und dadurch euer Leben in Gefahr bringen. Aber wenn ich dich bäte, hinab zu ihnen gehen zu dürfen, Effendi, um sie zu benachrichtigen, könntest du mir mißtrauen, denn unsere Freundschaft ist erst einige Minuten alt und hat noch keine Beweise meiner Aufrichtigkeit gegeben. Sag‘ also du, was jetzt geschehen soll. Ich werde alles thun, was du von mir verlangst.«

Ich antwortete auf diese ehrlich gemeinte Aufforderung ruhig:

»Es bedarf keiner solchen Beweise, denn ich glaube dir. Nach dem großen Vertrauen, welches ich dir vorhin schenkte, kannst du es nicht für möglich halten, daß ich dich jetzt, so schnell danach, mit einem Verdachte kränke, welcher dich beleidigen und den geschlossenen Bund sofort wieder zerstören müßte. Steig‘ also hinab und erzähle deinen Kriegern, was geschehen ist. Wir werden hier auf deine Rückkehr warten.«

Da drückte er mir herzlich beide Hände und sprach:

»Das ist wieder ein Edelmut, den ich bisher für nicht zu glauben hielt. Nun ich ihn aber kennen lerne, macht er die guten Vorsätze meiner Seele doppelt fest. Ja, ich werde gehen und dir schneller, als du denkst, beweisen, daß mein Mund nicht zwei Zungen hat, welche verschiedene Sprachen reden. In kurzer Zeit bin ich wieder hier bei euch.«

Als er sich entfernt hatte, äußerten die Bebbeh ihren ängstlichen Zweifel an seiner Aufrichtigkeit. Auch Halef warnte mich:

»Sihdi, du wagst zu viel! Warum bist du heut viel weniger vorsichtig als zu andern Zeiten?«

»Weil ich nicht durch Mißtrauen zerstören will, was ich durch Vertrauen erworben habe. Unvorsichtig werde ich trotzdem nicht sein; nur braucht er nicht zu wissen, daß ich, um ihn zu beobachten, ihm folgen werde. Bleibt hier! Ihr werdet nicht lange zu warten haben, denn ich komme jedenfalls eher wieder als er.«

Während ich nach unten stieg, war das Schreien und Rufen noch zu hören; bald aber verstummte es. Der Scheik war bei den Seinen angelangt und hatte seinen Bericht begonnen. Ich setzte meinen Weg mit doppelter Schnelligkeit fort, was jetzt, am hellen Morgen, keine Schwierigkeiten hatte. Es dauerte nicht lange, so hörte ich seine Stimme. Ihrem Schalle folgend, erreichte ich den Waldesrand und sah ihn mitten unter seinen Kriegern stehen. Ich verstand jedes Wort, welches er ihnen sagte, weil er in dem lauten Tone eines Redners sprach. Schon die erste Minute überzeugte mich, daß er es ehrlich meinte; ich wartete aber trotzdem, bis er mit seinem Berichte zu Ende war und sie eindringlich auch zum Frieden mahnte. Er stieß, wie auch gar nicht anders zu erwarten war, zunächst auf einigen Widerspruch; seine Leute hatten nur an den Austrag ihrer Rache gedacht und sich nicht in einer so schlimmen Lage wie er befunden; aber es wurde ihm doch nicht schwer, die wenigen Gegner seiner Ansicht zu derselben umzustimmen, und ich machte mich, als ich mich davon überzeugt hatte, auf den Rückweg zu den Gefährten.

Ich saß seit nur einigen Minuten wieder bei ihnen, so kam Schir Samurek auch zurück und zwar ganz allein.

»Effendi, du wirst mit mir zufrieden sein,« sagte er. »Meine Krieger hörten zwar mit großem Erstaunen, daß die Bebbeh noch am Leben seien; als sie aber erfuhren, daß du die beiden gerettet und mich dafür ergriffen, dann aber freiwillig wieder freigegeben hast, siegte bei ihnen der Wunsch, den Emir Kara Ben Nemsi Effendi als Freund und Gast bei sich zu haben und dadurch den Neid der andern Stämme zu erregen. Sie werden dich und Hadschi Halef Omar mit Freuden empfangen und ich bin nur jetzt allein gekommen, um dir zu beweisen, daß du mir vertrauen darfst. Schau, ich bin ohne Waffen. Nehmt mich in eure Mitte und geht mir mir hinab. Meine Krieger haben sich auf die eine Seite des Lagers zurückgezogen und auf der andern alle ihre Flinten und Messer vorher abgelegt; du würdest also schon allein mit deinem Zaubergewehre jede Hinterlist leicht bestrafen können.«

»Diese Versicherung gereicht zu deiner Ehre, doch für uns ist sie überflüssig, weil wir wissen, daß du uns nicht betrügen wirst. Du bist also bereit, die Bedingungen zu erfüllen, welche ich dir vorhin gestellt habe?«

»Ja; doch habe ich eine Bitte.«

»Welche?«

»Wenn du mir das Fell der Bärin überlassen wolltest, würde es für unsern ganzen Stamm ein Heiligtum des Andenkens an Kara Ben Nemsi sein.«

»Du sollst es haben; die Felle der drei Jungen aber wird Halef mit zu den Haddedihn nehmen.«

»Wie? Drei Kinder hatte diese riesenhafte Mutter der Gefräßigkeit?«

»Ja.«

»Oh, ihr Helden! Wie ist es euch denn möglich geworden, diese Tiere zu töten, ohne daß wir einen einzigen Schuß gehört haben?«

»Das wirst du nachher erfahren. Mein guter Hadschi Halef Omar ist ein großer Meister des Erzählens; ihr werdet aus seinem beredten Munde hören, wie alles gekommen ist, von unserm Eintritte in Khoi an bis auf den jetzigen Augenblick.«

Nichts war dem kleinen Hadschi lieber, als wenn er so recht nach seinem Gusto erzählen konnte; darum bereitete ihm dieser Hinweis auf sein Talent die größte Freude. Er fühlte sich geschmeichelt und bestätigte, sich in die Brust werfend, meine Worte:

»Ja, das ist sehr wahr. Allah hat mir die Gabe der überwältigenden Rede verliehen, und wo ich meine Stimme erschallen lasse, da schweigen alle Menschen, Pferde und Kamele. Ihr sollt erfahren, wie wir euch gefunden haben, wie mein Sihdi dich und die beiden Rosse herausgeholt hat und wie der Unsterblichkeit der Bärin ein so schnelles und ruhmloses Ende bereitet wurde. Eure Ohren werden voll werden von den Klängen unserer Pfiffigkeit und von den Tönen unserer Tapferkeit; wir aber konnten uns in Khoi nur mit Datteln versehen, welche nichts taugen, weil sie wurmstichig sind, und freuen uns also sehr darauf, von euch bessere zu bekommen. Rih, unser edler Rappe, ist an diese Frucht gewöhnt, und da ihr ihn gestern schlecht behandelt habt, so daß er vor Zorn und Ärger gar nicht fressen konnte, so muß er nun täglich wenigstens zweimal eine Ruba gute Datteln bekommen, bis sich sein Grimm gelegt hat und er wieder zu Kräften gekommen ist.«

Der kleine Kerl benutzte die Gelegenheit, das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden; daß er dabei den Mund sehr voll nahm, das lag in seiner Art und Weise; freilich wollte mir die Unverfrorenheit seiner Forderung nicht gefallen, doch nahm der Scheik sie mit guter Miene hin, indem er versprach, sie nach Möglichkeit zu erfüllen. Wer hätte es für möglich gehalten, daß dieser Räuber, dem kein Gesetz als nur das der Blutrache heilig gewesen war, so rasch und in solcher Weise ein ganz anderer werden könne! Noch heute ist mir wenigstens das Eine unbegreiflich, daß er, scheinbar so leichten Herzens, auf Rih verzichtete, ohne nur ein einziges Wort des Bedauerns laut werden zu lassen. Das konnte nicht allein die Wirkung der ausgestandenen Todesangst sein, sondern des Wortes von der Liebe, die ja mächtiger ist als alles andere im Himmel und auf Erden.

Wir stiegen mit ihm, die beiden Pferde an den Zügeln führend, zum Lager hinab, wo wir es so fanden, wie er uns gesagt hatte: rechts lagen die Waffen alle beisammen, und links vom Teiche saßen die Kelhurs, welche Halef und mich mit bewundernd neugierigen Blicken empfingen, während sie die Bebbeh einstweilen gar nicht zu beachten schienen. Am freudigsten wurden wir von dem Nezanum und seinen Begleitern bewillkommnet, die uns die Befreiung aus der Gefangenschaft und von der Zahlung des Lösegeldes zu verdanken hatten.

Die Hauptsache war natürlich, wie bei allen wilden und halbcivilisierten Völkern, ein Schmaus, welcher sogleich veranstaltet wurde und zu dem das Fleisch der vier Bären eine vortreffliche Beigabe bot. Ein Freundschaftsschluß kann nur dann als bindend betrachtet werden, wenn er durch einen solchen Schmaus bestätigt und bekräftigt worden ist.

Was die Bären betrifft, so folgten die Kelhur uns trotz ihrer großen Neugierde nicht ohne Scheu nach der Musallah hinüber. Als wir drüben anlangten, sagte der Scheik, indem er auf die tote Bärin deutete:

»Effendi, ich rühre sie nicht eher an, als bis ich weiß, daß sie wirklich tot ist und bis sie das Kreuz nicht mehr in den Tatzen hat. ich weiß nicht, was gefährlicher ist, das Zeichen der Christen zu entweihen oder zwischen die Pranken eines solchen Ungetümes zu geraten.«

»Wenn es zu deiner Beruhigung dient,« antwortete ich, »so werde ich dir beweisen, daß sie nicht mehr lebt, und du wirst mir dafür helfen, die Ruine der Musallah mit einem bessern Kreuze zu versehen.«

»Ja, das werde ich thun; sehr gern soll das geschehen. Einige meiner Krieger haben ihre Kadadim zum Bau der Lagerstätten mit. Wir werden Stämme fällen und ein Kreuz zimmern, wie du es haben willst; du brauchst uns deinen Wunsch nur anzugeben.«

Da drängte sich Ssali Ben Aqil zu mir heran und fragte mich:

»Erlaubst du mir, Effendi, daß ich bei dieser Arbeit auch mithelfe?«

Ich gab ihm mit Absicht folgende Antwort:

»Natürlich erlaube ich es dir. Aber du bist ein Lehrer und Prediger des Islam. Verträgt es sich mit diesem deinem Berufe, eine Musallah derer, die ihr Ungläubige nennt und die deshalb hier von Moslemim getötet wurden, mit dem Zeichen des Christentumes zu schmücken?«

Die Leute, welche um uns standen, waren Bekenner des Islam, dennoch erwiderte er, daß sie alle es hörten:

»Du hast uns gesagt, daß der Halbmond eine Nachahmung des tötenden Schwertes sei; das Kreuz aber wurde dem Gotte der Liebe errichtet, der uns durch dich vom Tode errettet hat. Wer kann wanken, wenn er zwischen Tod und Leben zu wählen hat? Lag nicht der Tod auch aller dieser Kelhurs im Laufe deines Zaubergewehres? Und doch hast du ihnen die Versöhnung an Stelle der Vernichtung gebracht! Ist es etwa gleichbedeutend mit der Abschwörung des Islam, wenn ich aus Dankbarkeit für die Befreiung aus den Krallen der Bären die Hölzer des Kreuzes mit zimmern und errichten helfe? Soll ich mir von dir vorwerfen lassen, daß ich deinem Glauben den Dank verweigere, den ich ihm schuldig bin? Muß ich deshalb, weil ich den Mahdi suche, ungerecht gegen deine Lehre sein? War Abram nicht ein Heide, ehe er ein Jude wurde? War Muhammed sogleich ein Moslem, als er als Kind die Erde betrat? War euer Isa Ben Marryam nicht ein Jude, ehe er seine große Predigt vom Berge lehrte? Muß also der Mahdi, den wir erwarten, ursprünglich und unbedingt ein Moslem sein? Kann nicht auch ein Christ von Allah begnadet werden, die Wohnung des Geistes zu sein, welcher seinen Gläubigen die Pforten der wahren Seligkeit öffnet? Und habe ich nicht gestern abend und heut früh die Überzeugung gewonnen, daß dieser Geist der Geist der Liebe sein muß? Streite mit mir über den Glauben, aber wehre mir nicht, die Schuld abzutragen, die mich drücken würde!«

»Es fällt mir nicht ein, mit dir zu streiten, denn ich bin der Überzeugung, daß du, wenn du eifrig suchst, das Richtige finden wirst. Und noch viel weniger werde ich dich hindern, das Kreuz mit zu errichten, unter welchem allein die Liebe wohnt, nach welcher du dich sehnst. Du wandertest bisher in der Irre, weil du dir vornahmst, ein Führer zu sein. Sobald du zu der Erkenntnis kommst, daß du selbst noch sehr der Führung bedarfst, wird dir, wie einst den drei Königen aus dem Morgenlande, der Stern von Bait Lahm erscheinen, um dich zu dem rechten und einzigen Mahdi zu leiten, dessen Stimme noch heut durch alle Lande schallt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, und niemand kommt zum Vater denn durch mich! Suche nur, suche! Unsere heilige Schrift giebt uns die tröstliche Verheißung- Suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgethan. Diese Verheißung gilt nicht bloß für uns Christen, sondern für alle Menschen, die nach der Wahrheit trachten, also auch für dich. Aber wer nach der Wahrheit strebt, der darf dies nicht mit Voreingenommenheit thun, denn wenn du einen Freund mit Absicht grad nicht in der Stadt oder in dem Hause suchst, wo er wohnt, so ist dein Suchen vergeblich.«

»Effendi, ich werde suchen, überall, allüberall, und ich bin überzeugt, daß ich den Mahdi finden werde, hier oder dort, früher oder später. Jetzt aber werde ich euch helfen, den Bären auf die Seite zu schaffen, der uns im Wege steht. Du hast dafür gesorgt, daß er uns nicht fressen konnte; dafür wird er aber nun von uns verzehrt werden.«

»Die Tatzen sind für mich und für meinen Sihdi bestimmt,« fiel da der schlaue Halef ein. »Alles übrige Fleisch, von der Mutter sowohl als auch von ihren jungen, könnt ihr für euch behalten.«

»Nur die Lebern nicht,« warnte ich. »Die sind von dieser Art von Bären giftig und müssen weggeworfen werden.«

Jetzt banden wir der Bärin das Kreuz aus den Pranken, legten sie um und schälten sie aus dem Felle, was nur langsam vor sich ging, weil sie nicht mehr warm war. Den Pelz nahm dann Schir Samurek gleich an sich. Dasselbe geschah dann mit den jungen, über deren Häute sich Halef sofort hermachte, um die noch anklebenden Fleischteile mit Hilfe einiger Kurden abzuschaben und sie dann mit dem Gehirne einzureiben. Inzwischen gingen Aqil und sein Sohn nach dem Wasser, um sich und ihre vielfach zerfetzten Anzüge von dem Honige zu reinigen, dessen Süßigkeit ihnen hatte so verhängnisvoll werden sollen.

Als das Fleisch der Bären verteilt worden war, begann das Braten desselben und dann der Schmaus, bei dem die Freundschaft zwischen uns und den Kelhur abgeschlossen wurde – – für ewige Zeiten. Was solche Ewigkeiten zu bedeuten haben, und von welcher Dauer sie sind, das wissen die Diplomaten aller Länder, und das wissen auch die Kurden. Die Bärentatzen schmeckten mir und Halef ausgezeichnet. An das Fleisch der uralten »Bärin der Unsterblichkeit« hätte ich mich nur in der größten Hungersnot gewagt; es war unbeschreiblich hart und zähe und mußte wie Sohlenleder schmecken; aber diesen Kelhur schien es einen wahren Göttergenuß zu bereiten. Wenigstens versicherten sie einstimmig, daß sie noch niemals solche leckere und ehrenvolle Lukmat esch Schühret genossen hätten. Der Stolz, grad diese berühmte Bärin verspeisen zu dürfen, machte ihre Geschmacksnerven allem Anscheine nach vollständig empfindungslos.

Nach dem Essen wurde aus hartem, dauerhaftem Holze ein riesiges Kreuz gezimmert und dann hoch auf der Vordermauer der Musallah befestigt, so daß es der vereinigten Kräfte vieler Männer bedurfte, es von da zu entfernen. Als wir damit fertig waren, fragte Ssali Ben Aqil:

»Effendi, ich habe auf meinen Reisen viele Eigentümlichkeiten der Europäer kennen gelernt. Ich weiß, daß sie bei Gelegenheiten, wie die jetzige eine ist, eine feierliche Takdis zu veranstalten pflegen. Bist du nicht der Meinung, daß so eine Takdis auch hier zu geschehen habe?«

Ich war selbstverständlich darüber erstaunt, daß er, der Moslem, sogar der Prediger des Islam, mir die Einweihung dieses Zeichens des Christentumes in Vorschlag brachte. Natürlich ging ich darauf ein, mußte dabei aber vorsichtig sein; ich durfte die Glaubensansichten der Kurden nicht beleidigen und mußte mich vor allen Dingen hüten, den Samen zu vernichten, der heut in viele Herzen gefallen war. Darum antwortete ich:

»Ja, wir wollen dieses Kreuz einweihen. Es soll in diesen Bergen, in denen bisher der Haß und die Unversöhnlichkeit wohnten, als das Sinnbild der Liebe und des Friedens stehen. Seid ihr damit alle einverstanden?«

Ich erhielt ein hundertstimmiges ja zur Antwort und fuhr fort:

»Wenn jemand unter euch das Trotzlied von Fileh el Mafileh kennt, so möge er mir den Anfang desselben sagen!«

Da war es gleich der Scheik, welcher antwortete:

»Gasa, Nikma, Bugda, Thar – –«

»Halt, mehr brauche ich nicht!« unterbrach ich ihn. »Diese vier Worte sagen zur Genüge, was für finstere Wolken seit Jahrhunderten auf diesen Bergen und Thälern gelegen haben; sie sollen von der Sonne der Liebe und Güte zerteilt und vertrieben werden. Wenn einer von euch Farbe bei sich hätte, würde ich euch ein anderes und schöneres Muwal an dieses Kreuz schreiben, welches das Herz eines jeden Menschen erleuchten würde, der hierher käme und es läse.«

Da rief mir einer zu:

»Effendi, ich bin der Schabbar des Stammes und habe mehr Nila bei mir, als du zu einer solchen Schrift nötig hast.«

Das war mir lieb. Einen Pinsel gab es zwar nicht, doch fertigte ich mir einen, indem ich ein Stück grünes Holz abschnitt -und das eine Ende desselben kaute, daß es faserig wurde. Dann mußten zwei starke Kurden mit mir hinauf zum Kreuze steigen; ich stellte mich auf ihre Schultern, so daß ich den Querbalken des Kruzifix erreichen konnte, und schrieb in arabischer Sprache, was mir der Augenblick eingab. In arabischer ist es viel kürzer als in deutscher Sprache, in welcher es, den Reim beibehalten, ungefähr lauten würde:

»Die Güte leite all dein Handeln;
Die Milde leite all dein Thun.
Du sollst in Gottes Lebe wandeln;
Du sollst in Gottes Liebe ruhn!«

Als ich fertig war und Ssali Ben Aqil es den schriftunkundigen Kurden vorlas, erntete ich lauten und allgemeinen Beifall. Ich sprach eine kurze Weiherede, forderte die Zuhörer auf, niederzuknieen und die Hände zu falten und betete das Vaterunser, an dessen Schlusse alle in mein Amen mit einem kräftigen Amin einfielen, ein Wort, welches ganz dieselbe Bedeutung hat. Es war wohl nur Ssali Ben Aqil allein, welcher wußte, daß sie damit einen außerordentlichen Verstoß gegen die Satzungen des Islam begangen hatten.

Es versteht sich ganz von selbst, daß die Wachen, welche unten im Flußbette gestanden hatten, um uns abzufangen, längst eingezogen worden waren. Das Einvernehmen aller war jetzt ein so gutes, als ob niemals eine Feindschaft zwischen uns gelegen hätte. Wir beschlossen, noch nicht fortzuziehen, sondern den ganzen Tag und auch noch die folgende Nacht hier oben bei der Musallah el Amwat zu bleiben, und da kann man sich denken, daß mein kleiner, redseliger Halef diese Gelegenheit ausnützte, von meinen Thaten und von meinen Vorzügen zu erzählen, worunter er aber nicht zum wenigsten die seinigen meinte.

Auch ich ließ diese Gelegenheit nicht vorübergehen, ohne – – – zu erzählen? o nein! sondern ohne den ausgestreuten Samen zu begießen, wobei mir Ssali Ben Aqil ein sehr aufmerksamer Zuhörer war. Ich gedachte des Wortes unsers Heilandes an Petrus: »Von jetzt an wirst du Menschen fangen!« und zugleich des Dichterwortes: »O Gott, wie muß das Glück erfreun, der Retter einer Seele sein!«

Ich erzählte von den alttestamentlichen Weissagungen, von Christi Geburt, seinem Leben, Sterben und Auferstehen, von seinen Lehren. Ich that dies nicht in aufdringlicher, missionierender Weise, durch welche ich grad das Gegenteil von meiner Absicht erreicht hätte, denn diese unvorsichtige Art des Fanges hätte das Wasser getrübt und die Fische verscheucht; so aber hörte man mir still und ohne Unterbrechung zu, erst aufmerksam nur, dann staunend, voller Verwunderung, die so aufrichtig war, daß der Scheik Schir Samurek endlich ausrief:

»Aber, Effendi, von alledem haben wir bisher ja nichts, gar nichts gehört und gewußt!«

»Das brauchst du mir nicht erst zu sagen. Dieses Geständnis hat mir schon gar mancher Moslem gemacht, welcher die Lehre Christi verachtete und verdammte, ohne ein Wort von ihr zu kennen. Ist es nicht Thorheit, über etwas vollständig Unbekanntes ein Urteil zu fällen?«

»Da hast du recht. Also Isa Ben Marryam hat die Wunder wirklich alle gethan, welche du erzählt hast?«

»Ja.«

»Aber warum geschehen jetzt keine Wunder mehr, weder bei uns noch bei euch?«

»Es geschehen noch immer welche.«

»Bei euch?«

»Bei uns und euch.«

»Das glaube ich nicht!«

»Weil deine Augen geschlossen sind. Du brauchst sie nur zu öffnen, so siehst du Wunder allüberall. Der Kurzsichtige oder gar Ungläubige pflegt bei solchen Ereignissen freilich nicht von einem Wunder, sondern nur vom Zufalle zu sprechen.«

»Willst du damit sagen, daß es keinen Arid giebt?«

»Ja,«

»Hierin hast du einmal unrecht, Effendi. Es giebt Awarid; ich habe viele, viele selbst erlebt.«

»Du irrst. Wir Christen glauben, daß Gottes Hand uns vom Anfange bis zum Ende des Lebens leitet, daß es sein liebevoller Wille ist, nach welchem alles, alles geschieht. Und wenn der Mensch sich gegen diese Liebe sträubt und dadurch seinem Lebenswege eine andere, schlimme Richtung giebt, so thut er das nach seinem, des Menschen Willen. Kann man da vom Zufall sprechen? Und euer Islam lehrt, daß alles, was geschieht, im Buche des Lebens vorher verzeichnet sei. Ist da also nicht auch bei euch jeder Zufall ausgeschlossen?«

»Richtig! Du hast recht, obgleich ich es vorhin nicht glaubte. Aber wie ist’s da mit dem Wunder?«

»Wenn des Menschen Weg und Wollen mit dem Willen und der Liebe Gottes auseinandergehen, so streckt Gott in seiner Allbarmherzigkeit die Hand der Allmacht aus, um den Verirrten zu sich zurückzuführen. Das, was dann die Allmacht thut, ist eben das Wunder, welches an dem Menschen geschieht, zumeist ohne daß er es als solches erkennt.«

»Und du meinst, daß ich auch schon solche Wunder erlebt habe?«

»Ja.«

»Maschallah! Sage mir eins, ein einziges nur, so will ich daran glauben!«

»Das fällt mir gar nicht schwer. Hadschi Halef Omar erzählte euch vorhin, wie ich euch beschlichen und belauscht habe, du fordertest deine Krieger auf, über Ssali Ben Aqil zu lachen. Sie thaten es, und dann sagtest du zu ihm und seinem Vater: ›Wißt ihr nun, wie vernünftige Männer über euch denken? Hat die Antwort, die ihr erhieltet, euch nicht die Knochen zu Mehl und Staub zermalmt? Morgen um dieselbe Zeit werdet ihr dasselbe Lachen aus dem Munde der Teufel in der Hölle hören, und es wird euch in die Ohren klingen in alle Zeit und Ewigkeit! Eure Erwartung ist Lüge; eure Hoffnung ist Täuschung und euer Glaube ist Betrug. Weder Allah noch sein Prophet wird sich euer erbarmen, denn das Blut, welches wir zu rächen haben, muß über euch kommen, und wenn ihr euch in eurer Todesangst dann an den falschen Gott der Ungläubigen wendet, welcher Isa heißt, so wird der Himmel sich vollends von euch wenden und die Hölle über euern Abfall jubeln!‹ – Das waren genau deine Worte, und du wirst zugeben, daß du so gesagt hast!«

»Ja.«

»Du hieltest es für vollständig unmöglich, daß grad das Gegenteil von deiner Drohung geschehen könne?«

»Ja, für vollständig unmöglich!«

»Nun, was folgte dann? Sie wurden frei und du selbst fielst in Gefangenschaft. Wir hätten dich in ganz genau denselben Tod schicken können, den sie erleiden sollten. Dann hättest du an ihrer Stelle das Lachen der Teufel in der Hölle gehört. So ist also nicht ihre, sondern deine Erwartung zur Lüge, deine Hoffnung zur Täuschung und dein Glaube zum Betrug geworden. Das, was du für unmöglich hieltest, ist geschehen. Isa hat sie errettet, ohne daß der Himmel sich von ihnen wendet und ohne daß die Hölle über sie jubelt. Wenn aber Unmögliches zur Wahrheit geworden ist, so ist eben ein Wunder geschehen. Nicht der Zufall hat uns hergeführt, sondern Gottes Allmacht war es, welche durch uns zwei schwache Männer das vollbrachte, was nach eurem und überhaupt nach menschlichem Ermessen niemals geschehen konnte. Zweifelst du noch daran, daß es ein Wunder ist?«

»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, Effendi.«

»Du siehst es ein, sträubst dich aber, es zu gestehen. Und doch ist zu diesem Wunder sogar ein noch viel größeres geschehen. Ssali Ben Aqil und sein Vater, eure Todfeinde, sitzen jetzt als Freunde bei euch; sie haben nicht einmal die Dijeh, den Blutpreis zu bezahlen gehabt. Wenn das nichts als ein bloßer Zufall ist, so kann es allerdings überhaupt gar keine Wunder geben!«

Da sprang Schir Samurek auf und rief:

»Jetzt, jetzt hast du das Richtige getroffen, Effendi; jetzt hast du mich abermals besiegt! Daß dies geschehen konnte, daran war hier im Leben und auch im jenseits nicht zu denken. Ja, es geschehen Wunder, und ich bin jetzt überzeugt davon. Aber ihr waret es, die dies alles vollbracht haben; die Liebe, die euch leitet, ist’s gewesen; vor ihr ist das ganze, große Bauwerk unsers Hasses und unserer Rache, von dem wir glaubten, daß es in alle Ewigkeit bestehen müsse, in ein Nichts zusammengebrochen. Meine ganze Seele hat sich seit gestern verändert; ich kenne mich nicht mehr. Wenn ich nicht einsehen müßte, daß du nichts als die volle Wahrheit sagst und daß du es gut und ehrlich mit uns meinst, so würde ich dich für einen schlauen Missionar halten, der uns durch schönklingende Worte bethören und von unserem Glauben abwendig machen will. Aber deine Thaten sprechen noch lauter und überzeugender als deine Worte, und wenn du von uns scheiden wirst, so hast du uns ein Mah et Tahkid hier zurückgelassen, von welchem unsere Herzen noch lange, lange trinken werden. Wirst du vielleicht einmal nach dem Lande der Kurden zurückkehren?«

»Das steht bei Gott. Wenn er es will, wird es geschehen.«

»Er gebe es! Dann sollst du bei uns empfangen werden als Bruder und als Freund, der keinen Wunsch hat, den wir nicht erfüllen. Jetzt aber sollst du weiter erzählen von Isa, dem Gekreuzigten und seinen zwölf Hawarijun; denn da du schon morgen von uns scheidest, so müssen wir die kurze Zeit benützen, die du in unserer Mitte bist.«

Wie gern kam ich dieser Aufforderung nach! Hatte ich doch eine ganz bestimmte Absicht, die ich noch erreichen wollte. Ich habe bereits gesagt, daß die Kelhur einen Raub- und Beutezug über die Grenze hinüber ausführen wollten, und ich stellte mir die Aufgabe, sie davon abzubringen. Daß ich dabei nicht, wie man sich auszudrücken pflegt, mit der Thür ins Haus fallen durfte, versteht sich ganz von selbst. Ich wirkte durch leise Andeutungen heimlich darauf hin; ich belegte diese Mahnungen mit Beispielen aus meinem eigenen Leben und hatte endlich die Freude, den Erfolg eintreten zu sehen, daß Schir Samurek ohne alle Ahnung von dieser meiner Taktik scheinbar ganz von selbst auf die Frage kam:

»Aber da begehen wir doch, wenn wir unsern Kriegszug ausführen, eine so große Sünde, daß sie uns gar nicht vergeben werden kann. Meinst du nicht auch, Emir?«

Ich that, als ob ich erst jetzt, durch ihn, an dieses ihr Vorhaben erinnert werde, und antwortete natürlich in bejahender Weise. Nun gab es für ihn einen doppelten Kampf, nämlich zwischen ihm und sich selbst und zwischen ihm und seinen Leuten. Er und sie waren das Räuberleben gewöhnt; sie betrachteten den Raub als ritterliche That; sie hatten den Zug unternommen, um Beute zu machen. Sollten sie auf diese Beute verzichten? Sollten sie leer nach Hause kommen und sich auslachen lassen? Ich hatte mir fast zu Schweres vorgenommen, denn mein Einfluß auf diese Dreiviertelbarbaren stammte erst von heut; er war viel zu neu und zu schwach, es mit ihren altgewohnten Anschauungen aufzunehmen; aber grad dadurch, daß ich nicht kategorisch sprach, sondern sie selbst gegen einander leitete und nur in den kritischen Momenten ein widersprechendes oder aufmunterndes Wort fallen ließ, erreichte ich schließlich doch mein Ziel: es wurde beschlossen, den Raub in einen Jagdzug umzuwandeln und also morgen früh schon wieder umzukehren.

Ich nahm an, daß nur Halef meine heimliche Absicht erraten habe, befand mich da aber im Irrtum, denn Ssali Ben Aqil nahm mich in einem Moment, an welchem wir nicht beachtet wurden, bei der Hand und raunte mir zu:

»Effendi, dir scheint alles möglich zu sein, denn sogar auch dieses hast du fertig gebracht, ohne daß ein einziger ahnte, was du eigentlich wolltest. Du kannst jedermann zu allem bringen, was du willst; hättest du schlechte Absichten, so wärest du ein höchst gefährlicher Mensch. Allah sei Preis und Dank, daß du nur nach dem Guten strebst!«

Es war spät, sehr spät, als wir endlich zum Schlafen kamen; dafür wachten wir früh später auf, als wir uns vorgenommen hatten. Dann wurde mit dem Aufbruche nicht gesäumt. Wir wollten die Kelhur nur bis zum Ausgange des Engthales begleiten und uns dann direkt nach Khoi wenden, während ihre Richtung die nördliche war. Schir Samurek stieg als der letzte von ihnen zu Pferde, vorher aber händigte er mir das gestohlene Geld des Wirtes mit den Worten aus:

»Effendi, es war sehr rücksichtsvoll von dir, mich bis zu diesem Augenblicke nicht an die zehntausend Piaster zu mahnen. Hier hast du sie! Indem ich sie dir gebe, habe ich nun alles erfüllt, was du von mir gefordert hast.«

Er ritt hinter seinen Leuten her. Ihm folgte der Nezanum mit den Männern aus Khoi, die auch alle ihnen abgenommenen Sachen wiederbekommen hatten. Ich ging mit Halef noch einmal nach der Musallah, um dort eine kurze Andacht zu verrichten. Die beiden Bebbeh schlossen sich uns an. Als wir dann unsere Pferde auch bestiegen, um den Kelhur nachzureiten, sagte Ssali Ben Aqil, indem er nach der Kapelle zurückdeutete:

»Dies ist der Ort, wo wir schon in den Tod versanken, als du uns neues Leben gabst. Aber nicht nur das Leben hast du uns gebracht, sondern auch das Licht der Liebe, das uns leuchten soll. Es sind hier große Wunder geschehen. Das letzte war, daß es deiner Klugheit gelang, die Kelhur zum Verzicht auf ihren Beutezug zu bringen. Ihr Christen scheint nicht nur die wirkliche Liebe, sondern auch die wahre Weisheit zu besitzen, die alle menschlichen Listen überragt. Wir müssen leider sehr bald von dir scheiden, weil wir heut noch den gleichen Weg mit den Kelhur haben; aber unsere Herzen sind des Dankes voll. Wenn Allah meinen Wunsch erfüllt, so treffe ich dich einstens wieder, und dann wirst du erfahren, ob ich noch auf der Spur des Mahdi wandle oder ob mir der andere Stern erschienen ist, von welchem du zu mir gesprochen hast. Der Segen Allahs sei auch fernerhin mit dir, wie er dich bisher begleitet hat!«

Wir holten die Kelhur unten im Thale ein und ritten mit ihnen und den Bebbeh, bis das Flüßchen aus den Bergen trat. Da wurde Abschied genommen. Es geschah dies in der wortreichen orientalischen Weise, welcher selten zu trauen ist; hier aber waren die bilderreichen Ausdrücke herzlich und aufrichtig gemeint, und als wir uns dann mit den Leuten von Khoi allein befanden, strich sich Halef mit der Hand über das Gesicht und sagte:

»Sihdi, das Scheiden ist eine Sache, weiche zwar nicht zu ändern ist, aber doch geändert werden sollte, denn sie berührt die Tiefe des Behagens wie ein Quirl und bewässert die Winkel unserer Augen, daß sie wie ein Doppelbrunnen laufen. Glücklicherweise finden wir Trost in dem erhabenen Gedanken, daß wir diese vielen Feinde nicht nur besiegt, sondern sogar in Freunde umgewandelt haben und daß ich die Felle der drei Bärenjünglinge besitze, welche in beredten Worten unsern Ruhm verbreiten werden. Mein gegenwärtiges Befinden ist viel besser und viel edler als die unerwartete Bequemlichkeit, die ich empfand, als ich von der Talumba von Khoi in das Geäst des Baumes geschleudert wurde. Möge diese Spritze von allen bösen Geistern besessen sein und niemals Ruhe finden, weder bei Tage noch bei Nacht!«

Unsere jetzigen Begleiter gaben sich alle Mühe, uns ihres Dankes und ihrer Freundschaft zu versichern, doch hielten wir uns für uns, denn selbst der vornehmste von ihnen, der Nezanum, dessen Klugheit nach der Ansicht des Wirtes weit über unserer Weisheit erhaben war, besaß nichts, was uns verlocken konnte, uns näher mit ihm zu beschäftigen. So ist über diesen Heimritt also nichts weiter zu erwähnen, als daß auf ihm nichts Wichtiges passierte und daß wir glücklich in Khoi ankamen.

Wir erregten Aufsehen; die Bewohner liefen in hellen Haufen zusammen, und so fand Halef wieder gute Gelegenheit, sein Erzählertalent glänzen zu lassen. Wie glücklich war der Wirt, als ich ihm sein Geld aushändigte. Auch seine Frau bedankte sich bei uns und sagte mir dann heimlich mit Freudenthränen in den Augen, daß ihr Mann ihr sein festes Versprechen gegeben habe, nicht wieder in sein Laster zurückzufallen.

Wir blieben fünf Tage in dem Orte, dessen Bewohner uns mit Beweisen freundschaftlicher Gesinnung fast überschütteten – – nur einer nicht, nämlich der Apotheker. Er zeigte uns als Pferdediebe an und wollte uns streng bestraft wissen, wurde aber mit seiner Klage natürlich abgewiesen. Hierauf kam er in den Khan und verlangte Entschädigung von uns. Halef erklärte sich sofort bereit, sie ihm in jeder Höhe auszuzahlen, leider aber nur mit der Peitsche. Von da an ließ er uns in Ruhe, und wir bekamen ihn nicht eher wieder zu sehen, als bis wir Khoi verließen. Da stand er am Wege und warf uns wütende Blicke zu, die unsern Gleichmut nicht zu stören vermochten. – – –

Und wieder war’s am Nile, und zwar im tiefen Walde, der sich bis fast ganz herunter an das Wasser zog, von welchem er nur durch einen schmalen Schilfrand getrennt wurde. Mächtige Sunut- und Subakhbäume vereinigten ihre Kronen zu einem selbst für die südliche Sonne undurchdringlichen Laubdache. Die roten Stämme der Thalha-Mimosen schickten ihre langen, horizontalen Äste über das Schilf hinüber, wo die Fiederblätter einen dichten Vorhang bildeten, der seinen Saum in die Fluten tauchte; die Glut, welche in diesem Walde herrschte, hätte man unmöglich aushalten können, wenn nicht der Strom so nahe vorübergeflossen wäre. Wie aber kamen wir von so weit oben herunter an diese Stelle des Bahr el Abiad?

Die Aussöhnung zwischen mir und dem Reis Effendina war von meiner Seite wirklich ehrlich gemeint, von der seinigen aber minder aufrichtig gewesen. Obgleich ich mich in meinem ganzen Verhalten bestrebte, das Gegenteil hervorzurufen, war doch unter seinen Leuten und allen unsern Bekannten die Ansicht verbreitet, daß ich es sei, dem man die gehabten Erfolge zu verdanken habe, daß er sehr häufig, ich aber niemals in Fehler verfallen sei, daß, wenn er mit seinem Wissen und Wollen am Ende stehe, ich selbst in der schlimmsten oder verwickeltsten Lage einen Ausgang gefunden habe, und daß besonders seine unerbittliche Strenge die Herzen kalt lasse oder gar von ihm entferne, während ich sie mir durch meine Milde und Freundlichkeit alle zu gewinnen wisse.

Es konnte gar nicht ausbleiben, daß er dies bemerkte; ja, es gab Schelme, die es ihm zu Ohren brachten. Er hatte keinen Grund, mir Vorwürfe zu machen, und schwieg also; aber er zog sich immer mehr von mir zurück und beobachtete eifersüchtig jeden meiner Schritte und jedes meiner Worte. Ich verhielt mich infolgedessen noch vorsichtiger als bisher, erreichte aber dadurch weiter nichts, als daß ich Mitglied der Expedition blieb, denn fort- und in die Wildnis hinausjagen konnte er mich ja doch nicht; aber er sprach nur das allernötigste mit mir und ließ mich bei jeder Gelegenheit fühlen, daß er der Herr und Gebieter sei. Hatte er mich früher als seinen Freund und Ratgeber geschätzt und behandelt, so war ich jetzt, wie man sich auszudrücken pflegt, das fünfte Rad am Wagen und wurde nur dann einmal zu einer Auskunft herbeigezogen, wenn es mit seinem Scharfsinne und seiner Thatkraft nicht mehr vorwärts wollte.

Dieser immer haltloser werdende Zustand brachte mich zu dem Entschlusse, ihn in Faschodah zu verlassen, sobald wir dort ankommen würden. Leider aber stellte sich, als wir dort anlangten, heraus, daß das Sumpffieber in der Stadt und ihrer Umgebung grassierte und daß vor Ablauf eines Monats kein Schiff zu erwarten sei, welches abwärts gehe. Der Reis Effendina blieb nur zwei Tage da und lichtete dann die Segel, um der Ansteckung zu entgehen; er gab mir ziemlich deutlich zu verstehen, daß er glaube, ich passe jetzt besser nach Faschodah als an Bord seines Schiffes; ich stellte mich aber unter den gegebenen Umständen taub und blieb bei ihm, obgleich es mich einen innern Kampf kostete, eine solche Undankbarkeit noch länger schweigend zu ertragen.

Dieses mein Verbleiben vergrößerte seinen Zorn gegen mich, zumal er einen neuen Grund zu haben glaubte, eifersüchtig gegen mich zu sein. Wir hatten nämlich in Faschodah gehört, daß die Sklavenjäger während unserer Abwesenheit wieder kühner geworden seien. Esch Schahin, unser vortreffliches Jagdschiff, hatte sich so lange nicht mehr auf dem Nile sehen lassen, und so war den Sklavenhändlern der Mut wieder gewachsen. Wenn in der letzten Zeit auch keine Jagden unternommen worden waren, so gab es doch immer noch Orte, an denen man heimlich Reqiq verborgen hielt, und diese wurde nun an den Nil gebracht und über die unbewachten Furten desselben an das rechte Ufer geschafft, von wo aus der Transport dann ohne Gefahr weitergehen konnte. Ganz besonders sollte die Gegend zwischen Kaka und Kuek unterhalb Faschodah zu diesem verbotenen Treiben ausersehen sein, und so entschloß sich der Reis Effendina, einige Zeit lang hin und her zu kreuzen, um vielleicht einen Fang zu machen,

Was mich betraf, so glaubte ich nicht an die Wahrheit dieses Gerüchtes, hütete mich aber, dies zu sagen, zumal ich nicht nach meiner Meinung gefragt wurde. Kaka mit seinen in der fast baumlosen Steppe zerstreuten Strohhütten bot den Sklavenhändlern ebenso wenig wie das armselige Schillukdorf Kuek die für sie so notwendige versteckte Unterkunft, und da es zwischen beiden Orten auch keine passable Furt gab, so hätte sich der Händler, dessen Wahl auf diese Gegend gefallen wäre, geradezu ein Armutszeugnis ausgestellt. Freilich führt von Kaka aus eine vielbewanderte Karawanenstraße hinüber in das Gebiet der Bagara und an dem Dschebel Kedaro vorüber nach dem Lande Tagala; sie ist immer die Hauptstraße der Sklavenverkäufer gewesen, und so war es allerdings nicht unmöglich, daß sie auch jetzt wieder von diesen Leuten benutzt wurde. Der Reis Effendina wenigstens war überzeugt davon; ich aber gab diese Möglichkeit im stillen, denn laut sagte ich nichts mehr, zwar zu, nahm aber dabei an, daß der Übergang über den Nil nicht in der Nähe oder Gegend der beiden angegebenen Ortschaften, sondern an einer unterhalb derselben liegenden Machadah bewerkstelligt werde. Warum grad unterhalb? Weil die Richtung nach oberhalb ein bedeutender Umweg und also ein großer Zeitverlust gewesen wäre, und je länger der Weg, desto mehr Sklaven gehen dabei zu Grunde.

Nun der Reis Effendina sich wieder auf seinem eigentlichen Jagdgebiete befand und des beinahe festen Glaubens war, daß er einen Fang machen werde, trat ihm der Gedanke nahe, daß mir dabei Gelegenheit geboten werde, mich abermals auf eine ihm nicht genehme Weise hervorzuthun. Seine Eifersucht verdoppelte sich, und er beschloß, da er mich in Faschodah nicht losgeworden war, mich wenigstens jetzt kalt zu stellen – um mich dieses vulgären Ausdruckes zu bedienen. Er teilte mir mit dem freundlichsten Gesichte mit, daß er mir einen Auftrag zu erteilen habe, der ein Beweis seines großen Vertrauens zu mir sei. Er habe nämlich die Überzeugung, daß die Insel Matenieh von den Sklavenhändlern zum Übergange benutzt werde; ich solle also hinabfahren, um die Gelegenheit auszukundschaften, und so lange dort bleiben, bis er mit dem »Falken« nachkommen werde; er hege zu meiner Erfahrung und meinem Scharfsinne das Vertrauen, daß ich dann im stande sei, ihm gute Nachricht zu geben. Ich durchschaute ihn, ging aber trotzdem gleich und ohne alle Widerrede auf seinen Vorschlag ein. Zwar wußte ich genau so gut wie er, daß grad bei der Matenieh keine Spur eines Händlers zu finden sein werde, war aber dabei im stillen der Ansicht, daß zwischen ihr und Kuek die Furten zu suchen seien, auf welche die oben erwähnte Karawanenstraße mündete. Er stellte mich also warm anstatt kalt, und während ich wußte, daß er niemand fangen werde, gab er mir die Gelegenheit, das zu thun, was er verhüten wollte, denn ich war willens, nicht direkt nach der Matenieh zu fahren, sondern die Ufer bis hinab zu ihr genau abzusuchen. Das verschwieg ich natürlich.

Er war ebenso erstaunt wie erfreut über meine schnelle Bereitwilligkeit und erlaubte mir in dieser guten Laune, die Leute, welche mich begleiten sollten, selbst auszusuchen. An der Mischrah von Kaka war von einer aufwärts fahrenden Dahabijeh ein Arbat Makadif zurückgelassen worden, dessen scharfer, praktischer Bau mir in die Augen fiel; ich bat den Reis Effendina, dieses Boot zu requirieren und bis Kuek an das Schlepptau zu nehmen. Er erfüllte mir diesen Wunsch. In Kuek angekommen, wählte ich vier kräftige Asaker aus, von denen ich wußte, daß sie mir ergeben waren, ließ einen Vorrat von Proviant und Munition in den Arbat Makadif schaffen, dazu verschiedene Kleinigkeiten, die ich für nötig hielt, und sagte dann meinem braven Ben Nil, daß er mich begleiten solle. Er war so entzückt darüber, daß er mich beinahe umarmt hätte. Das Boot war so geräumig, daß wir sechs Männer vollständig Platz hatten; ein Segel war auch da, und so machte ich mich nur zu gern auf die Fahrt, welche eigentlich eine wenn auch nur kurze Verbannung für mich bedeuten sollte. Ben Nil bewies mir, daß ich es nicht allein war, der diese Befriedigung empfand, denn als Kuek und der »Falke« aus unsern Augen entschwunden waren, sagte er:

»Effendi, ich weiß, daß er dich hat los sein wollen. Dein Ruhm ist ihm zu groß geworden; nun will er dir nichts mehr zu verdanken haben; ich aber denke, daß grad das Gegenteil geschehen wird.«

»Weshalb denkst du das?« fragte ich ihn.

»Weil du so guter Laune bist und ihm den Willen gethan hast, ohne ein Wort dagegen zu sagen. Ich kenne dich. Wenn du ein Gesicht machst wie jetzt in diesem Augenblick, so fühlst du dich entweder recht zufrieden in deiner Seele, oder du hast eine Dubara vor, die deinem Herzen wohlthut und auch uns mit Freude erfüllen wird.«

Auch die vier Ruderer waren sehr damit einverstanden, daß meine Wahl sie getroffen hatte. Sie fühlten sich der strengen Schiffsdisziplin enthoben und hegten die frohe Erwartung, daß unsere Fahrt nicht eine so erfolglose sein werde, wie der Reis Effendina angenommen hatte. Wenn wir glücklich waren, fiel ihnen ein Beuteanteil zu, der um so größer wurde, je geringer die Zahl der Personen war, die auf ihn Anspruch hatten. Wir waren nur sechs, und sie wußten, daß ich nichts zu nehmen pflegte.

Ich führte das Steuer; Ben Nil saß im Buge des Bootes, und die Asaker hatten sich unthätig lang ausgestreckt, denn der Wind war uns günstig; wir hatten das Segel aufgezogen und brauchten uns nicht mit Rudern abzumühen. Unsere Abfahrt von Kuek hatte am Nachmittage stattgefunden, und da keine Furt in der Nähe war, hielt ich es nicht für notwendig, nach Spuren von Sklavenhändlern zu suchen. Diese Arbeit hatte erst am nächsten Morgen zu beginnen. Wir segelten bis zum Abend und dann auch noch weiter, denn der Mond schien hell, und der Wind hatte sich nicht gedreht, wie es auf dem Nile gewöhnlich zwischen Tag und Nacht der Fall zu sein pflegt. Später machte der Strom eine energische Krümmung; das Segel fiel zusammen, und weil wir nun hätten rudern müssen, zog ich es vor, nach dem Ufer zu wenden. Dort legten wir unter Bäumen an, befestigten das Boot an einem Stamm und legten uns zum Schlafen nieder. Einer mußte wach bleiben, um das Feuer zu unterhalten, welches wegen der Stechfliegen während der ganzen Nacht zu brennen hatte.

Als am nächsten Morgen die Fahrt fortgesetzt wurde, war es nun an der Zeit, den Ufern unsere Aufmerksamkeit zu schenken und auch nach sonstigen Zeichen einer Furt auszublicken. Daß dies bei der Breite des Stromes nichts Leichtes war, ist selbstverständlich, zumal wir zwischen einer Machadah und einer Chod zu unterscheiden hatten. Der Anwohner des oberen Niles versteht nämlich unter Machadah eine eigentliche Furt, wo ein Fluß wegen seiner geringen Tiefe überschritten werden, unter Chod aber eine Stelle, an welcher man wegen des sehr ruhigen Wassers leicht übersetzen kann.

Der Mittag war nahe, als der Nil sich in mehrere Arme teilte, zwischen denen niedrige Inselbänke sich hinzogen. Das Wasser floß in diesen Betten so ruhig dahin, daß, wenn es eine Furt, eine zum Übergange geeignete Stelle gab, sie unbedingt hier sein mußte. Kein einziges Krokodil war auf den Bänken zu sehen, und der tiefste dieser Flußarme hatte eine so geringe Breite, daß er sehr leicht überschwommen werden konnte. Wir legten an jeder der Inseln an, um sie zu untersuchen. Sie waren alle mit Omm Sufah und Gebüsch bewachsen, eine schnellwuchernde Vegetation, welche jede Spur in kurzer Zeit begräbt. Aber auf der Bank, welche dem linken Ufer am nächsten lag, fanden wir eine noch nicht ganz vom Sacharumgras verdeckte Schebah, also eine jener schweren Gabeln, welche die gefangenen Schwarzen am Halse tragen müssen. Wie kam diese Schebah hierher? Jedenfalls war ein Sklaventransport hier über den Fluß gegangen. Ich ließ vollends an das Ufer rudern, um auch dort nachzuforschen. Es gab dort ein dichtes Ambakgestrüpp, welches meine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Der Ambak oder Ambatsch ist ein zu den Schmetterlingsblütlern gehöriger Strauch, dessen Stämme zur Zeit der Überschwemmung schnell mehrere Meter hoch über den höchsten Wasserstand aufschießen, um nach dem Falle des Wassers abzusterben. Das Holz ist schwammig, aber doch sehr dauerhaft und dabei so leicht, daß es allgemein als Material zu Flößen benutzt wird. Ein Floß, welches zwei, ja drei Personen hält, kann ohne Mühe von einem Mann über Land getragen werden.

Der größte Teil dieses Gestrüppes war schon abgestorben; die Pflanzenleichen lagen unter Papyrusstauden versteckt; aber weiter entfernt vom Wasser fand ich, was ich suchte.- da war in einem stacheligen Akaziengebüsch ein ganzer Vorrat von Ambakhölzern aufgeschichtet. Das konnten nur Menschen gethan haben! Und wozu? Um hier, grad hier Flöße zusammenzusetzen, mit deren Hilfe solche Personen, die nicht schwimmen konnten, über den einen, tiefen Flußarm geschafft werden sollten. Wir hatten eine Furt entdeckt. Ob das uns etwas nützen werde, war freilich eine andere Frage. Wer weiß, wie lange Zeit seit der letzten Benutzung dieser Machadah vergangen war, und wer weiß, wie viele Wochen oder gar Monate man auf den nächsten Übergang hätte warten müssen! Aber uns trieb ja nichts davon, und so nahm ich mir vor, die Stelle einmal recht gründlich in Augenschein zu nehmen.

Dazu war zunächst nötig, unser Boot zu verstecken. Es konnte ja immerhin grad jetzt jemand kommen, der es nicht zu sehen brauchte; es mußte von dieser Stelle fort. Wir ließen es also abwärts treiben, bis wir ein weit überhängendes Laubdach erreichten, unter welchem wir anlegten und das Fahrzeug ganz an das Ufer zogen. Die Asaker mußten als Wächter dabei bleiben; ich aber entfernte mich mit Ben Nil, um nach der Machadah zurückzukehren. Vorher wendeten wir uns rechts empor dem hohen Ufer zu, um zu sehen, ob es von dort aus einen besonderen Zugang zu der Furt gebe. Je weiter wir uns dabei vom Wasser entfernten, desto lichter wurde der erst sehr dichte Wald. Oben auf der Höhe angekommen, sahen wir die Bäume schon stellenweise so weit auseinander stehen, daß sich ihre Zweige nicht mehr berührten. Da bogen wir nach links ein, um in den Rücken der Machadah zu kommen.

Weniger aus für notwendig gehaltener Vorsicht als vielmehr aus zur zweiten Natur gewordener Gewohnheit spähte ich da zwischen den Stämmen hindurch, um die etwaige Anwesenheit von Menschen rechtzeitig zu bemerken, dennoch hätte ich wohl kaum einem sehr wichtigen Gegenstande die nötige Beachtung geschenkt, wenn mich nicht Ben Nil auf ihn aufmerksam gemacht hätte. Er sah nämlich einige Handvoll abgerissenen Grases seitwärts von uns auf dem Boden liegen und sagte es mir. Wir gingen hin. Es war sehr langes Andropogongras. Kaum hatte ich das erkannt und die Fußstapfen dabei im weichen Boden, so nahm ich Ben Nil bei der Hand und zog ihn in schnellem Laufe fort, wieder zurück, hinunter, woher wir gekommen waren. Ich hielt erst wieder an, als wir unsere Asaker und das Boot erreichten.

»Aber, Effendi, was fiel dir so schnell ein?« fragte er. »War das Gras die Ursache dieser Flucht?«

»Ja,« antwortete ich.

»Warum?«

»Wo solches Gras ausgerissen worden ist, da müssen Menschen sein.«

»Können nicht Tiere es ausgerissen haben?«

»In diesem Falle nicht. Dieses Riesengras wird hier verwendet, um Ambakhölzer zu Flößen zu verbinden. Es war ganz frisch, noch nicht verdorrt, noch nicht einmal verwelkt. Es sind also Menschen in der Nähe, welche im Walde nach Gras suchen, um sich ein Floß zu machen.«

»Maschallah! Warum aber haben sie es liegen lassen?«

»Der Bequemlichkeit wegen. Hat einer eine Handvoll, so legt er sie einstweilen weg, um später alles zusammenzuholen.«

»Ob man uns gesehen hat?«

»Das weiß ich nicht, möchte aber annehmen, daß wir unbemerkt geblieben sind. Warten wir eine kurze Zeit, ob man uns nachkommen wird! Wenn dies nicht geschieht, so schleichen wir uns nach der Furt, nach welcher sie jedenfalls gehen werden.«

Nachdem zehn Minuten vergangen waren, ohne daß wir jemand bemerkten, schlichen wir uns sehr vorsichtig am Ufer hin, bis wir uns an der eingangs erwähnten Stelle unter Sunut-, Subakh- und Thalha-Bäumen befanden, deren herabhängende Fiederblätter, wie bereits gesagt, einen Vorhang bildeten, hinter welchem hervor wir die Machadah und auch die aufgestapelten Ambakhölzer überschauen konnten. Es war niemand dort zu sehen; darum schoben wir uns noch soweit vorwärts, wie es mit der gebotenen Vorsicht zu vereinbaren war, und legten uns dann nieder, um das weitere abzuwarten.

Die feuchte Glut, welche hier herrschte, trieb uns den Schweiß aus allen Poren, und die lästigen Insekten machten uns sehr zu schaffen; wir durften uns aber nicht rühren, weil die geringste Bewegung uns verraten konnte. Endlich, endlich erschienen bei dem Ambakhaufen, von welchem wir vielleicht vierzig Schritte entfernt lagen, zwei Männer, welche die dicken, langen Grasbündel, die sie in den Armen hatten, nach dem Wasser trugen und dort niederlegten. Dann machten sie sich unverweilt daran, auch so viele Hölzer, wie sie zu einem Floße brauchten, hinzuschaffen; hierauf machten sie sich an die Zusammensetzung derselben. Es waren keine Dinka- und auch keine Schillukleute, sondern ihren Gesichtszügen und auch ihrer Kleidung nach mußten sie zu einem der Araberstämme des weißen Nils gehören.

»Sie bauen sich ein Floß; sie wollen hinüber,« flüsterte mir Ben Nil zu. »Ob wohl auch noch andere bei ihnen sind?«

»Schwerlich,« antwortete ich ebenso leise.

»Hältst du sie für Sklavenhändler?«

»Das läßt sich jetzt noch nicht sagen. Reich sind sie jedenfalls nicht. Wenn sie sich mit dem Sklavenhandel befassen, sind sie jedenfalls nur Untergebene eines Händlers.«

»Wollen wir mit ihnen sprechen?«

»Jetzt noch nicht. Warten wir ab, ob wir sie reden hören werden.«

»Zu welchem Stamme denkst du, daß sie gehören?«

»Der Hautfarbe nach sind sie weder Kababisch noch Bagara; sie scheinen Mitglieder eines östlichen Stammes zu sein, zu dem sie sich jetzt begeben wollen.«

Die beiden Fremden arbeiteten, ohne miteinander zu sprechen, bis das Floß beinahe fertig war. Da richtete der eine von ihnen sein Auge nach dem Himmel; sah an dem Stande der Sonne, welche Tageszeit es war, warf das Holz, welches er in den Händen hatte, weg und sagte laut, daß wir es deutlich hörten:

»Halt ein mit der Arbeit, denn die Zeit des Gebetes ist gekommen! Erst kommt Allah, dann der Prophet und erst nachher der Mensch mit seinem Thun. Willst du der Vorbeter sein?«

»Nein,« antwortete der andere. »Sprich du das Sallah; ich spreche es dir leise nach!«

»So laß uns zunächst das Gebet gegen die Ungläubigen sagen, denn es ist die Zeit des Asr, wo es dem Strenggläubigen vorgeschrieben ist!«

Er wendete sein Angesicht in der Richtung nach Mekka, faltete die Hände und betete, ohne niederzuknieen:

»Ich suche Zuflucht bei Allah vor Satan, dem Verfluchten. Im Namen Gottes, des Allbarmherzigen, des Erbarmers! Oh Allah! Unterstütze den Islam, und erhöhe das Wort der Wahrheit und den Glauben! Oh Herr aller Geschöpfe, Oh Allah! Vernichte die Ungläubigen und die Götzendiener, deine Feinde, die Feinde der Religion! Oh Allah, mache ihre Kinder zu Waisen; verdirb ihre Wohnungen; laß ihre Füße straucheln und gieb sie und ihre Familien und ihr Gesinde und ihre Weiber und Kinder, ihre Verwandten, ihre Brüder und Freunde, ihren Besitz und ihren Stamm, ihren Reichtum und ihre Länder den Moslemim zur Beute! Oh Allah, du bist der Herr aller Geschöpfe!«

Er hatte sich einen strenggläubigen Moslem genannt. Als solcher mußte er dem Gebete das Wudu, die vorgeschriebene Waschung, vorangehen lassen. Er trat also an den Rand des Flusses, streifte die Ärmel bis über die Ellbogen empor und sagte dann:

»Ich beabsichtige, das Wudu zu vollziehen, um zu beten!«

Hierauf kniete er nieder, tauchte die Hände in das Wasser, wusch sie dreimal und sagte dabei:

»Im Namen Gottes, des Allbarmherzigen, des Erbarmers! Preis sei dir, Allah, der du das Wasser herniedergesandt zur Reinigung und den Islam gemacht zum Licht und Leiter und Führer zu deinen Gärten, den Gärten der Wonne, und zu deinen Wohnungen, den Wohnungen des Friedens!«

Dann schöpfte er sich mit der rechten Hand Wasser in den Mund, spülte ihn dreimal aus und sprach:

»Oh Allah, hilf mir, dein Buch zu lesen und deiner zu gedenken, dir zu danken und dir richtig zu dienen!«

Jetzt brachte er mit derselben Hand dreimal Wasser in die Nase, schnaubte es hindurch und rief:

»Oh Allah, laß mich die Düfte des Paradieses riechen und segne mich mit seinen Wonnen; laß mich nicht riechen den Geruch des Feuers in der Hölle!«

Nach diesem wusch er dreimal das Gesicht mit beiden Händen und fügte die Bitte hinzu:

»Oh Allah, mache mein Gesicht weiß mit deinem Lichte an dem jüngsten Tage, da du wirst weiß machen die Gesichter deiner Lieblinge, und schwärze nicht mein Gesicht an dem Tage, da du wirst schwärzen die Gesichter deiner Feinde!«

Diese Worte bezogen sich auf die Ansicht der Moslemim, daß am Tage des Gerichtes die Guten mit weißen, die Bösen aber mit schwarzen Gesichtern auferstehen werden. Daher sagt man, das Gesicht eines Menschen sei weiß, wenn er in einem guten, aber schwarz, wenn er in einem schlechten Rufe steht. »Möge Allah dein Gesicht schwarz machen!« ist eine Verwünschung, die man sehr oft zu hören bekommt. –

Nach dieser Reinigung des Gesichtes wusch der Fremde dreimal die rechte Hand und den rechten Arm bis an den Ellbogen und ließ das Wasser auch dreimal von dem Handteller bis an den Ellbogen am Arme herablaufen, wobei er sagte:

»Oh Allah, gieb mir mein Buch des Lebens in meine rechte Hand, und rechne mit einer leichten Rechnung mit mir!«

Dann folgte dieselbe Prozedur mit der linken Hand bis zum Ellbogen, die er mit der Bitte begleitete.

»Oh Allah, gieb mir nicht mein Buch in meine linke Hand noch auf meinen Rücken, und rechne mit mir nicht mit einer schweren Rechnung, und mache mich nicht zu einem von dem Volke des ewigen Feuers!«

Dann nahm er mit der linken Hand sein Kopftuch ab, fuhr sich mit der nassen rechten Hand über den Scheitel und sprach:

»Oh Allah, bedecke mich mit deiner Gnade, und schütte deinen Segen auf mich herab. Beschatte mich mit dem Schatten deines Baldachins an dem Tage, da kein Schatten sein wird außer in seinem Schatten!«

Nun bestrich er den Nacken mit den nassen Fingerspitzen beider Hände und sagte:

»Oh Allah, befreie meinen Nacken von dem ewigen Feuer und bewahre mich vor den Ketten, Halseisen und Fesseln des Teufels!«

Zuletzt wusch er die Füße bis an die Knöchel, strich mit den Fingern zwischen den Zehen hindurch und betete dabei:

»O Allah, mache meinen Fuß sicher auf Esch Schireth, der Brücke des Todes, an dem Tage, da die Füße auf derselben gleiten! Oh Allah, laß meine Arbeit gebilligt, meine Sünden vergeben, meine Werke wohlgefällig sein, als eine Ware, die nicht zu Grunde geht, durch deine Verzeihung! Oh du Mächtiger, oh du Vergebender! Bei deinem Erbarmen, oh du Barmherzigster unter den Barmherzigen!«

Jetzt war die Waschung vollendet. Der Mann stand auf und rief, indem er seinen Blick erst zum Himmel und dann zur Erde richtete:

»Deine Vollkommenheit, oh Allah, erhebe ich mit deinem Preise. Ich bezeuge, daß kein Gott ist, als du allein. Du hast keinen Genossen. Ich flehe um deine Vergebung und wende mich zu dir mit Reue. Ich bekenne, daß es keinen Gott giebt außer Gott, und ich bekenne, daß Muhammed sein Diener und sein Gesandter ist!« –

Diese Waschung hat der Moslem täglich fünfmal vor den fünf vorgeschriebenen Gebeten vorzunehmen. Ist, wie beim Wüstenreisenden, kein Wasser vorhanden, so darf man an dessen Stelle Sand oder Staub nehmen. Eine solche trockene Waschung wird Tajemmum genannt.

Nun konnte der Fremde das Gebet des Asr beginnen. Er legte das Kopftuch auf den Boden, um es als Seggadeh zu benutzen, kniete mit gen Mekka gerichtetem Gesichte darauf nieder und begann mit lauter Stimme den Adahn:

»Gott ist sehr groß; Gott ist sehr groß; Gott ist sehr groß! Ich bekenne, daß es keinen Gott giebt außer Gott; ich bekenne, daß Muhammed der Gesandte Gottes ist! Kommt zum Gebete; kommt zum Heile! Gott ist sehr groß; es giebt keinen Gott außer Gott!«

Hierauf folgte das eigentliche Gebet, welches sehr lang war und von den verschiedensten Verneigungen und anderen Bewegungen des Körpers, der Arme und der Beine begleitet wurde. Da sich vielleicht mancher Leser dafür interessiert, möchte ich es niederschreiben; andere aber würde es ermüden, besonders wegen der vielen Wiederholungen, und so mag es mit der Beschreibung der Waschungen seine Genüge haben. Jedes Wort, welches der eine Fremde sprach, sagte der andere in halblautem Tone nach, und ebenso ahmte er jede Bewegung so genau und peinlich nach, daß man sich eines Lächelns nicht erwehren kann, wenn man sich eine Versammlung vieler solcher Beter in einer Moschee vorstellt, wo alle Köpfe, Rücken, Hände und Füße den Bewegungen des Kopfes, des Rückens, der Hände und der Füße des Vorbeters mit einer Genauigkeit folgen, welche der hölzernen Übereinstimmung am Draht gezogener Marionetten gleicht. Der Geist wird durch diese Äußerlichkeiten getötet, und das Gebet verwandelt sich in ein gedankenloses Plappern. Auch sage man mir ja nicht, daß diese vorgeschriebenen islamitischen Phrasen infolge der dabei vorkommenden Worte wie Barmherzigkeit, Gnade, Reue, u.s.w. denn doch Ähnlichkeit mit christlichen Gebeten haben! Das sind nur leere, hohle Silben, die keinen Inhalt haben und ohne wahres Herzensbedürfnis ausgesprochen werden. Das wahre, zermalmende Zentnergewicht des Wortes Sünde ist nur dem Christentum bekannt, und ebenso kennt auch nur der Christ den hellen, unbeschreiblichen Jubel, der aus dem Worte Gnade klingt.

Als das Gebet zu Ende war, banden die beiden Muselmänner ihre Tücher wieder um die Köpfe und nahmen dann die Arbeit an dem Floße wieder auf. Sie waren dabei nicht so schweigsam wie vorher, sondern sie unterhielten sich, und zwar über einen Gegenstand, welcher mein ganzes Interesse in Anspruch nahm. Sie schienen die Anwesenheit eines andern Menschen für eine Unmöglichkeit zu halten, denn sie sprachen so laut, daß wir sie verstanden hätten, auch wenn die Entfernung zwischen uns und ihnen die doppelte gewesen wäre.

Wie horchte ich auf, als ich den Namen Ibn Asl nennen hörte! Der, welcher ihn ausgesprochen hatte, fügte den Stoßseufzer hinzu:

»Wenn er doch recht bald zu den Seinen zurückkehrte! Er war streng, ja hart, und ahndete jede Widersetzlichkeit mit dem sofortigen Tode; aber unter ihm waren wir doch freie Männer, die sich selbst vor dem Teufel und dem Reis Effendina nicht fürchteten. Nun aber sind wir arme Knechte, deren Lohn in die Taschen anderer fällt, und die Botendienste leisten müssen, wenn sie nicht verhungern wollen. Allah verdamme die neue Lehre, welche sagt, daß es Sünde und Verbrechen sei, Reqiq zu machen!«

»Diese Lehre ist von den Christenhunden ersonnen worden, um den Pascha in ihren Schlingen zu fangen,« stimmte der andere bei. »Wollen wir uns zwingen lassen, ihm und ihnen zu gehorchen?«

»Nein! Was geht uns das Christentum und was geht uns der Pascha an, welcher den Ungläubigen gehorcht? Wir sind Söhne des Islam, welcher Sklaven braucht. Predigt nicht auch der neue Murabit von Aba mit gewaltiger Stimme, daß Allah befohlen habe, alle Ungläubigen, schwarze oder weiße, sollen Sklaven der wahren Gläubigen sein?«

»Ja, das thut er, und Allah steigt des Nachts hernieder, um ihm solche Worte einzugeben. Es ist seit Muhammed kein Prophet erschienen, der diesem neuen Propheten gleicht. Wenn er von Allah den Befehl erhielte, die heilige Fahne zu entfalten, würde er sie über den ganzen Erdkreis tragen und viele Millionen Sklaven wären unser!«

Was ich da hörte, war mir ein Rätsel. Der Murabit von Aba! Wen hatte ich mir unter diesem »neuen Heiligen« zu denken? Aba ist eine Insel des weißen Niles; das wußte ich; aber nie hatte ich gehört, daß ein Murabit dort wohne. Aber der Heilige wurde »neu« genannt. War er vielleicht erst erstanden, seit wir diese Gegend des Niles verlassen hatten, um südwärts zu segeln? Die heilige Fahne sollte er entfalten? Da mußte er sich für den erwarteten Mahdi ausgeben. Ich dachte unwillkürlich an Ssali Ben Aqil, den Kurden, welcher den Mahdi suchte, und zugleich an jenen Fakir el Fukara, mit dem wir damals am Brunnen in der Chala zusammengetroffen waren, als ich den Löwen von El Teitel schoß; er hatte sich hinreißen lassen, mir einzugestehen, daß er sich für den Mahdi halte, aber diese Rede von seiner »Sendung« war von mir nicht ernst genommen worden. Wenn ich mich recht entsinne, hatte er sich Mohammed Achmed genannt. Ich hatte ihm das Leben gerettet und er uns dafür an Ibn Asl verraten wollen; zur Vergeltung dafür war ihm vom Reis Effendina die Bastonnade geworden. War es möglich, daß dieser Mann der »Heilige von Aba« sein konnte?

Ich hatte weder Zeit noch Lust, mich mit dieser mir so unwichtigen Frage weiter zu beschäftigen; die Gegenwart nahm meine Gedanken in Anspruch, denn die beiden Araber setzten ihre Unterhaltung fort und waren dabei so unvorsichtig, über Dinge zu sprechen, die ihrer Verschwiegenheit anvertraut worden waren. Ich erfuhr da, daß sie von einem Händler in Takoba nach dem Chor Omm Karn abgeschickt worden waren, wo ein zweiter Händler lagerte und auf ihre Botschaft wartete. Der erstere wollte eine Anzahl von sechzig Sklaven nach der Furt liefern, an welcher wir uns befanden, und der andere sollte sie von heut ab in drei Tagen gegen sofortige Bezahlung von dort abholen, wahrscheinlich um sie, wie ich für mich hinzufügte, auf der Tana-Karkoger Karawanenstraße weiterzuschaffen. Ben Nil, welcher dies alles natürlich auch hörte, stieß mich an und sagte leise:

»Wollen wir, Effendi?«

»Was?«

»Diese Leute gefangen nehmen.«

»Nein.«

»Aber wir müssen die armen Sklaven doch befreien!«

»Allerdings!«

»Dazu gehört, daß wir diese Boten nicht fortlassen!«

»Dazu gehört grad, daß wir sie fortlassen!«

»Das begreife ich nicht, Effendi!«

»Es genügt vollständig, daß ich es begreife. Paß auf; jetzt sind sie fertig!«

Die zwei Boten waren mit der Herstellung des Floßes zustande gekommen; sie machten sich noch Ruder, indem sie an zwei langen Ästen dicke Zweigbüschel banden, schoben das Floß in das Wasser, setzten sich darauf, stießen vom Ufer und ruderten sich nach der nächsten Insel hinüber. Nachdem sie das Floß quer über diese getragen hatten, setzten sie über den zweiten, seichten Arm des Flusses. So sahen wir sie sich entfernen, bald rudernd und bald laufend, bis sie jenseits des Niles verschwanden.

»Da sind sie fort, Effendi! Und wir hätten sie doch so schön und leicht erwischen können!« klagte Ben Nil.

»Hab‘ nur keine Sorge; wir bekommen sie schon noch!«

»Bei ihrer Rückkehr?«

»Ja.«

»Hm! Sei mir nicht bös, wenn ich etwas sage, was gegen die Achtung verstößt, welche ich dir schuldig bin. Sie werden nicht allein zurückkommen, sondern mit den Leuten, welche die Sklaven hier abholen sollen; dann sind aber auch schon die Männer des Sklavenhändlers in Takoba hier. Zum Transporte von sechzig Sklaven gehören wohl fünfzehn Mann; wir haben es also dann mit dreißig Personen zu thun; diese zwei aber konnten wir ganz mühelos ergreifen. Wir werden uns vom Reis Effendina Hilfe holen müssen.«

»Nein.«

»Wie? Wir sind nur sechs Mann. Denkst du, daß wir mit dreißig fertig werden?«

»Ja.«

»Allah! Da machst du schon wieder dein pfiffiges Gesicht! Bin ich etwa sehr dumm gewesen?«

»Nur vorsichtig bist du gewesen, dumm aber nicht. Du rechnest fünfzehn Mann auf jeder Seite. Glaubst du, daß wir sechs mit so viel fertig werden?«

»Wenn du dabei bist, ja.«

»Fünfzehn an diesem und fünfzehn an jenem Ufer. Wir fangen erst die eine und dann die andere Truppe ab. Und selbst wenn wir ihre Vereinigung nicht hindern könnten, wird sich eine Art und Weise finden lassen, ihrer Herr zu werden. Ich würde den Reis Effendina nur höchst ungern um mehr Asaker bitten. Die Prämie können wir uns allein verdienen.«

»Da hast du recht, sehr recht, Effendi! Aber das könnten wir noch leichter, wenn wir die Boten nicht fortgelassen hätten. Wir brauchten nur dem Transporte aus Takoba hier aufzulauern und hätten dann nicht auch noch mit den Leuten aus dem Chor Omm Karn zu kämpfen!«

»Ich denke nicht, daß es zu einem Kampfe kommen wird. Grad diese Leute aus Omm Karn sollen kommen, ihres Geldes wegen.«

»Ihres Geldes? Wie meinst du das?«

»Sie haben die Sklaven hier an der Furt zu empfangen und zu bezahlen, was mit Geld oder Waren geschehen muß. Der einen Truppe nehmen wir die Sklaven ab und der anderen das Geld; auf diese Weise werden beide bestraft, euer Lohn vervielfältigt sich und der Reis Effendina wird gezwungen, einzusehen, daß es für ihn nicht vorteilhaft ist, uns wegzuschicken, wohin es ihm beliebt.«

Da schlug er froh die Hände zusammen und rief aus:

»Effendi, das ist ein Gedanke, wie er schöner, besser und für uns vorteilhafter gar nicht ausgesonnen werden kann. Wenn dein Plan glückt, woran ich gar nicht zweifle, denn ich kenne dich ja, so fällt uns eine große Bezahlung zu; darüber freue ich mich ja; noch mehr aber werden sich die Asaker freuen. Höher, viel höher jedoch als dieses Geld steht mir die Genugthuung, welche wir empfinden werden, wenn wir dem Reis Effendina einen solchen Fang bringen, während er keinen gemacht hat. Da muß die Röte der Scham über sein Angesicht ziehen, und wenn er aufrichtig ist, wird er sich wenigstens still in seinem Herzen sagen, daß er dir und somit auch allen, die dich lieben, unrecht gethan hat. Ja, wir wollen diese sechzig Sklaven befreien! Wie das geschehen kann, das weiß ich freilich nicht; doch steht mein Vertrauen zu dir so felsenfest, daß ich von dem Gelingen so unerschütterlich überzeugt bin, als ob diese That schon geschehen wäre.«

Wir kehrten nun zu unserem Boote und den vier Asakern zurück. Ben Nil erzählte ihnen, was wir gesehen und erfahren hatten, und als sie hörten, welche Absicht ich nun verfolgte, waren sie nicht nur einverstanden damit, sondern sogar so begeistert davon, daß sie mir erklärten, zu jedem Wagnisse, und sei es noch so groß, bereit zu sein. Sie wollten sofort hören, in welcher Weise ich mein Vorhaben auszuführen gedächte; ich erklärte ihnen, daß jetzt von einem bestimmten Plane noch keine Rede sein könne, denn ich müsse vorher nicht nur die diesseitige Mischrah, sondern auch jenseits des Flusses die Stelle genau kennen lernen, an welcher die Leute aus dem Chor Omm Karn den Übergang über den Nil bewerkstelligen würden.

Nun wollten sie mich sofort hinüberfahren, damit ja keine Zeit verloren gehe; doch so zu beeilen brauchten wir uns nicht, weil die Übergabe der Sklaven erst in drei Tagen vor sich gehen sollte. Für heute genügte es, das diesseitige Ufer kennen zu lernen, was ich allerdings nicht bis morgen aufschieben durfte, weil da die Spuren der beiden Boten verschwunden sein würden, nach denen ich mich zu richten hatte.

Ich wollte nur Ben Nil mitnehmen; die Asaker baten mich aber so herzlich, mit dabei sein zu dürfen, daß ich ihnen die Erfüllung dieses Wunsches gewährte. Einer freilich mußte bei dem Boote bleiben; er wurde durch das Los bestimmt; dann stiegen wir anderen zur Höhe des Ufers hinauf, von wo aus wir geradeaus gingen, bis wir den allerdings nicht scharf gezeichneten Rand des Waldes erreichten, welcher das Ufer des Flusses begleitete.

Hier galt es nun, die Fährte der zwei Boten aufzufinden, um zu erfahren, ob sie ihre eigenen Gedanken als Wegweiser genommen hatten oder ob es einen bestimmten und stets eingehaltenen Pfad nach der Furt gab, nach welchem sich die hierher bestimmten Sklavenhändler alle richteten. Die Spuren wurden sehr bald entdeckt; sie führten rechtwinkelig vom Nile weg in die Chala hinaus. Wir folgten ihnen und erreichten schon nach einer halben Stunde die Linie, welche den Einfluß der Stromesfeuchtigkeit hier begrenzte: schon seit einiger Zeit hatte es keine Büsche, auch keine einzelnen, mehr gegeben; nun hörte auch der Graswuchs auf, derjenige nämlich, welchen der Nil stets frisch und grün erhält; denn die Chala hat auch nicht nur ihr Gras, sondern sie ist kurz nach der Regenzeit sogar mit einem so dichten Blütenteppich bedeckt, daß die schreienden Farben desselben den Augen des Europäers wehe thun. Diese üppige Vegetation stirbt aber ebenso schnell ab, wie sie entstanden ist, und dann bietet die Steppe eine kahle, lederfarbene Öde, welche den Menschen fast noch tiefer als der Anblick der wirklichen Wüste ergreift.

»Sie dehnt sich aus von Meer zu Meere;
Wer sie durchritten hat, dem graust;
Sie liegt vor Gott in ihrer Leere
Wie eine leere Bettlerfaust«,

so beschreibt Freiligrath die Steppe, und eine solche Bettlerfaust war es, über welche wir jetzt dahinschritten. Es war nicht leicht, hier, wo es keine Fußeindrücke geben konnte, der verfolgten Fährte treu zu bleiben; es gelang mir aber doch. Wir waren sogar so glücklich, hier und da zu finden, was ich suchte, nämlich die Reste von Kamelexkrementen, welche bewiesen, daß es hier einen nicht selten benutzten Karawanenweg gab. In der Wüste und in der ausgedorrten Chala pflegt man diese Exkremente sorgfältig zu sammeln, weil sie da das einzige Feuerungsmaterial bilden; hier aber hatte man das nicht mehr nötig gehabt, weil der nahe Nil Holz mehr als genug zum gleichen Zwecke bot.

Da ich nun wußte, woran ich war, kehrten wir wieder um und trafen bei unserm Boote grad wieder ein, als die kurze Dämmerung der Dunkelheit des Abends wich. Der Mond stand zwar schon am Himmel, hatte aber noch nicht seinen spätern Glanz.

Wir zogen uns der Stechfliegen wegen eine tüchtige Strecke vom Flusse zurück und brannten heut kein Feuer an, weil die verkohlte Stätte desselben uns später leicht hätte verraten können. Es fehlte uns also der Rauch zur Vertreibung der grad hier sehr lästigen und blutdürstigen Insekten, und so mußten wir unsere Zuflucht zu den Mückennetzen nehmen, mit denen wir glücklicherweise versehen waren.

Am andern Morgen fuhren wir dann Über, um das rechte Ufer des Flusses kennen zu lernen. Auf dieser erstreckte sich die Vegetationszone viel weiter in das Land hinein, und wir hatten nicht nötig, über dieselbe hinaus zu gehen, weil wir schon oder noch in ihrem Bereiche mehr als genug Anzeichen entdeckten, welche uns den Karawanenweg verrieten. Wir fanden sogar ziemlich leicht die Stelle, wo er auf den Fluß mündete. Die Händler schienen es nicht für nötig gehalten zu haben, hier dieselbe Vorsicht walten zu lassen, wie am linken Ufer.

Dorthin zurückgekehrt, ruderten wir eine gute Weile aufwärts, bis wir eine Stelle fanden, welche sich zum Verstecken unseres Bootes eignete; denn in der Nähe der Furt durften wir es nicht lassen. Da blieben wir die zweite Nacht. Die dritte Nacht mußten wir wieder in der Nähe des Überganges zubringen, denn es war möglich, daß der Sklaventransport aus Takoba eher als an dem bestimmten Tage eintraf. Diese Möglichkeit wurde zu meiner Freude zur Wirklichkeit. Wir marschierten am Spätnachmittage bis an den Rand der Chala, um Ausschau zu halten. Da sahen wir denn auch am fernen Horizonte eine Reihe von großen und kleinen Punkten, deren Bewegung den Fluß zum Ziele hatte. Die großen Punkte waren Kamelreiter; die kleinen waren die Sklaven, welche zu Fuß gehen mußten. Die Karawane hielt sich genau auf dem Wege, den uns die Fährte der beiden Boten verraten hatte. Wir standen, als wir den Zug kommen sahen, natürlich nicht auf diesem Wege, denn wir waren so vorsichtig gewesen, uns so weit seitwärts von demselben zu halten, daß unsere Spuren nicht gesehen werden konnten.

Kaum hatten wir das Nahen der Karawane entdeckt, so bemerkten wir, daß sich zwei Reiter von ihr trennten, um ihr voranzueilen. Sie wollten sich jedenfalls überzeugen, ob der Aufenthalt an der Furt heut sicher für sie sei oder nicht. Wir kehrten also rasch nach dem Flusse zurück und versteckten uns da an einer Stelle, welche wir uns vorher als Observatorium eingerichtet hatten.

Als wir dort anlangten und nach dem Flusse blickten, sahen wir ein Floß, welches zwei Männer über den letzten, tiefen Arm herüberruderten. Das waren die Boten, die grad zu derselben Zeit zurückkehrten, in welcher die Karawane eintraf. Ob dies aus Zufall oder auf Verabredung geschah, das konnte uns gleichgültig sein; aber lieb war es mir, denn ich konnte bei der Begrüßung, die jedenfalls laut geschah, vielleicht etwas für uns Wichtiges hören, ohne daß ich mich erst anzuschleichen brauchte. Unser Beobachtungspunkt lag nämlich so, daß wir alles, was an der Furt gesprochen wurde, wenn es nicht ganz leise war, verstehen konnten.

Die beiden Ruderer erreichten das Ufer, stiegen an das Land, zogen das Floß halb auf das Trockene und suchten die Umgebung ab. Als sie nichts Verdächtiges gefunden hatten, schickten sie sich eben an, die Mischrah emporzusteigen, als von oben herab ein scharfer, kurzer Pfiff zu hören war. Einer von ihnen antwortete mit einem ebensolchen Pfiff; dann blieben sie stehen, um zu warten. Nach kurzer Zeit sahen wir zwei wohlbewaffnete, bärtige Männer erscheinen, jedenfalls die beiden Reiter, welche ihre Kamele oben gelassen und angebunden hatten. Die Boten verneigten sich demütig; die beiden neuen Ankömmlinge erwiderten diesen Gruß mit kurzem, stolzem Kopfnicken, und einer von ihnen fragte:

»Wann seid ihr hier angekommen?«

»Vor einigen Minuten,« erhielt er zur Antwort.

»Habt ihr die Muchada abgesucht?«

»Ja; sie ist sicher. Es ist weder ein Mensch noch die Spur eines solchen da.«

»Konntet ihr eure Botschaft ausrichten?«

»Wir fanden alles so, wie du es uns beschrieben hast. Die Männer aus dem Chor Omm Karn werden morgen zwei Stunden nach Tagesanbruch am Flusse erscheinen.«

»Hoffentlich verlangen sie nicht, daß wir zu ihnen hinüberkommen sollen?«

»Nein; sie kommen herüber, um die Sklaven hier in Empfang zu nehmen.«

»Womit wollen sie bezahlen?«

»Sie wollten sich nicht mit Waren schleppen, weil sie da mehr Kamele brauchten, und werden dir also Goldstaub bringen.«

»Was thue ich mit dem Golde, für welches ich mir hier nichts kaufen kann! Ich habe Beda’i erwartet, denn ich komme während dieser Reise an keinen Ort, wo ich bekommen kann, was ich brauche. Wenn sie mit Gold bezahlen, werde ich höhere Preise machen. Wie viel Männer zählen sie?«

»Zwölf.«

»Grad so viel wie wir. Das genügt vollständig, da der Reis Effendina mit seinem Adschnabi, den Allah ersäufen möge, nicht mehr da ist. Geht hinauf zur Höhe, und gebt der Karawane das Zeichen, daß sie kommen soll. Wir werden hier auf sie warten. Bringt auch die Hudschun mit herab, daß sie trinken können!«

Der Sprecher ging mit seinem Begleiter nach einem Baume, an dessen Stamme sie sich niedersetzten, während die beiden andern sich nach der Höhe entfernten. Die beiden ersteren sprachen nicht miteinander; sie waren augenscheinlich von der Reise ermüdet. Ihrer Gesichtsbildung und Hautfarbe nach schienen sie zu den Messerijeh oder Habanijeh zu gehören, beides Stämme, bei denen der Sklavenhandel keine Seltenheit ist.

Es dauerte nicht lange, so kam die Karawane die Mischrah herabgezogen, sehr langsam, weil den Kamelen das Abwärtssteigen schwer fiel und weil, wie wir sogleich sahen, die Sklaven so erschöpft waren, daß sie sich kaum mehr schleppen konnten. Diese armen Teufel hatten einen sehr weiten Weg hinter sich, den sie in Fesseln und im glühendsten Sonnenbrande zu Fuße durch die ausgetrocknete Chala hatten zurücklegen müssen. Wie sahen sie aus! Zum Erbarmen! Zwar war die mit Recht so gefürchtete Schebah, die ich selbst auch mehr als zur Genüge kennen gelernt hatte, nicht in Anwendung gebracht, doch durfte ihre Fesselung trotzdem keine leichte genannt werden. Die Hände waren ihnen nämlich durch Stricke je mit dem Fuße der andern Seite so verbunden, daß sie nur ganz kurze Schritte machen und die Finger nicht zum munde, ja kaum bis zur Höhe der Brust bringen konnten. Von einem Handgelenke zum andern ging ein dritter Strick, in dessen Mitte ein schwerer Holzklotz hing, den sie tragen mußten, wenn er ihnen nicht die Beine zu Schanden schlagen sollte. Außer einigen Fetzen, die um ihre Lenden hingen, waren sie unbekleidet, und da auch ihre Köpfe vollständig entblößt waren, mußten sie bei der jetzt herrschenden Hitze fürchterliche Qualen ausgestanden haben. Ich sah an ihren Körpern handgroße Stellen, von denen die Sonne die Haut weggefressen hatte. Und das waren keine Neger, keine Heiden, sondern muhammedanische Bagara el Homr, wie ich später hörte, welche in die Kriegsgefangenschaft ihrer jetzigen Herren geraten waren! Sie hatten so lange gedürstet, daß sie, als sie das Wasser sahen, vor Freude aufschrieen und sofort nach dem Ufer laufen wollten, doch wurden sie von ihren Wächtern durch Gewehrstöße zurückgehalten. Erst durften die Kamele saufen, und dann erhielten auch sie zu trinken, und zwar aus hohlen Kürbisschalen. An das Wasser durften sie nicht, denn man fürchtete, es möchte sich einer von ihnen aus Verzweiflung hineinstürzen, um sich zu ertränken.

Als sie ihren Durst gelöscht hatten, bekam jeder von ihnen eine Handvoll trockener Hirsekörner, die sie nur im Sitzen essen konnten, weil es ihnen nur in dieser Stellung möglich war, den Mund mit den Händen zu erreichen. Dann wurden sie nach einer morastigen Sumpfgrasstelle gebracht, wo sie sich, paar- und paarweise zusammengebunden, niederlegen mußten. Dabei zündeten ihre Wächter zwei große Feuer an, um sie während der Nacht beobachten zu können.

Dadurch hatten sie sich alle von unserem Verstecke so weit entfernt, daß wir nicht mehr hören konnten, was gesprochen wurde. Ich hatte doch nicht gedacht, daß die Armen würden in dem Sumpf kampieren müssen. Aber daß wir nichts verstehen konnten, das machte uns keinen Schaden. Je weiter diese Händler von uns saßen, desto weniger konnten sie uns entdecken. Wie jetzt die Sache lag, mußte ich meine Absicht, die Sklaven zu befreien, auf alle Fälle erreichen; mehr konnte ich hier doch wohl nicht verlangen.

Es war inzwischen dunkel geworden, und das Moghreb wurde gebetet; diesem folgte das Aschia, das Abendgebet, einige Zeit nach dem vollständigen Eintritte der Finsternis. Diese beiden Gebete wurden mit einer Feierlichkeit und Inbrunst gesprochen, auch von seiten der Sklaven, die mit der Situation im grellsten Widerspruche stand. Auch abgesehen vom Sklavenraube und Sklavenhandel, den schon die allgemeine Menschenliebe verbietet, der Islam aber erlaubt, so sollten hier Muselmänner verkauft werden, was nach dem Islam ein todeswürdiges Verbrechen ist. Trotzdem beteiligten sich diejenigen, welche sich dieses Verbrechens schuldig machten, und diejenigen, an denen es begangen wurde, mit einer Eintracht an den vorgeschriebenen Gebeten, welche das gerade Gegenteil von erhebend wirkte. Es konnte weder dem einen noch dem andern Teile wirklich ernst mit dieser seiner Andacht sein!

Die Herren der Situation, also die Männer aus Takoba, welche mit den beiden Boten vierzehn Köpfe zählten, nahmen erst nach Vollendung der Gebete ihr Abendessen zu sich, welches aus eingerührtem Mehlbrei, getrocknetem Fleische und Datteln zu bestehen schien; genau konnten wir nicht sehen, was sie aßen. Der Anführer, nämlich der, welcher vorhin das Wort geführt hatte, gab dann seine Befehle für die Nacht, die wir zwar nicht verstanden, aber aus ihren Wirkungen erkannten: Zwölf von ihnen wickelten sich – der Insekten wegen – bis über die Köpfe in ihre Decken, während die übrigen zwei wach bleiben mußten; diese machten sich so nahe wie möglich an das eine Feuer heran, um in dem dicken, scharfen Rauche desselben einen Schutz vor den Stechmücken zu haben. Wie schlimm waren dagegen die fast ganz nackten Gefangenen daran! Von keinem wirklichen Kleidungsstücke bedeckt und auch nicht im stande, alle Körperteile mit den Händen zu erreichen, waren sie den schmerzhaften Stichen der Blutsauger vollständig wehrlos preisgegeben. Nur wer die schrecklich verschwollenen, bis zur Unkenntlichkeit entstellten Gesichter solcher Menschen gesehen hat, der weiß, was es bedeutet und welche unendliche Qualen es bereitet, wenn es einem unmöglich ist, sich dieser zwar kleinen aber erbarmungslosen und in wolkigen Massen auftretenden Teufel zu erwehren. Ich hatte die Moskiten des untern Missisippi, Mittel- und Südamerikas und auch Ostindiens kennen gelernt und oft infolge ihrer Stiche ein blutig verschwollenes Gesicht gehabt; aber mit diesen Nahmuhs des oberen Niles verglichen, möchte man sie noch sehr liebenswürdige und menschenfreundliche Wesen nennen. Die Sklaven kamen von Dar Tagaleh, also von dem mächtigen Bergstocke des Tegeli herab, wo es keine Stechfliegen giebt; sie waren also gegen die Stiche dieser Insekten nicht im mindesten abgehärtet und wälzten sich unter so schmerzvollem Wimmern und Stöhnen hin und her, daß es mich geradezu empörte, die Händler dabei ruhig schlafen zu sehen. Es stand fest, daß ich alles daran setzte, sie zu befreien, aber die Schmerzen, welche sie ausstanden, mußten mich veranlassen, dies nicht nur überhaupt, sondern auch so schnell wie möglich zu thun. Ben Nil schien denselben Gedanken zu hegen, denn er fragte mich:

»Denkst du, daß wir diese armen Menschen noch heute nacht retten können, Effendi?«

»Ja,« antwortete ich.

»So bitte ich dich darum, daß wir dies so schnell wie möglich thun, selbst wenn die Gefahr dadurch für uns größer wird, denn ich kann die Pein und die Martern, welche sie auszustehen haben, nicht länger mit ansehen und anhören. Willst du mir diesen Gefallen thun?«

»Sehr gern, zumal ich nicht glaube, daß die Gefahr für uns dadurch erhöht wird.«

»So sag, was wir dabei thun sollen! Wir sind bereit, uns auf die vierzehn Halunken zu werfen, und zwar sofort. Auch dein Zaubergewehr, mit dem du sie alle niederschießen könntest, gar nicht gerechnet, würde es genügen, wenn jeder von uns nur einen Schuß thäte; das würden sechs Kugeln sein; die übrigen acht schlagen wir dann rasch, ehe sie sich wehren können, mit dem Kolben tot!«

»Ich will das Blut dieser Leute nicht vergießen, denn sie glauben nicht, daß sie eine so große Sünde thun, indem sie mit Menschen handeln.«

»Aber, Effendi, bedenke, daß sie sich wehren und auf uns schießen werden, wenn wir sie nicht durch den Tod unschädlich machen. Du wirst dadurch, daß du ihr Blut schonst, nur erreichen, daß das unserige vergossen wird.«

»Oh nein! Der Streich, den ich ihnen spielen will, ist für mich so leicht, daß ich sehr wahrscheinlich eure Hilfe dazu gar nicht brauche. Dennoch müßt ihr euch bereit machen, mir beizustehen. Wickelt euch also aus euern Netzen heraus, und behaltet mich im Auge! Ich werde mich jetzt nach dem Feuer schleichen, an dem die beiden Wächter sitzen. Gelingt es mir, sie zu überwältigen, ohne daß ihre Kameraden aufwachen, so könnt ihr ruhig hierbleiben, bis ich euch dann rufe; wachen aber diese andern auf, so kommt ihr schnell zu mir hingesprungen, um mir beizustehen. Es wird aber wohl alles so glatt verlaufen, wie ich denke, denn die Gefangenen sind, wie ich vorhin aus einigen Ausrufen gehört habe, der arabischen Sprache mächtig; sie werden also das, was ich ihnen zu sagen habe, verstehen und auch so schnell ausführen, wie es nötig ist. Dennoch aber müßt ihr euch bereit zum schnellen Handeln halten.«

Ich kroch aus meinem Netze heraus, legte es und den Bärentöter in das Gebüsch und schob den Arm in den Riemen des Henrystutzens, denn diesen mußte ich mitnehmen, um nötigenfalls die Feinde mit ihm in Schach halten zu können. Als der Anführer vorhin den Adschnabi, den Fremden erwähnte, hatte er mich gemeint; mein Name war ihm also zu Ohren gekommen, und da durfte ich als sicher annehmen, daß er auch von meiner gefürchteten »Zauberflinte« gehört hatte.

Ich kroch aus dem Gesträuch, welches uns versteckt hatte, heraus und schlich mich, um von hinten an die Wächter zu kommen, in einem Bogen nach dem Feuer hin. Das war gar nicht schwer, denn ich hatte es hier mit Leuten zu thun, welche von dem echten, richtigen Wald- und Wildnisleben keine Ahnung besaßen. Ich kam ohne Anstrengung so nahe an sie heran, daß ich beide fast mit den Händen erreichen konnte, eine wahre Wonne für mich, den Westläufer, denn nun war ich sicher, daß alles genau so verlaufen würde, wie ich es mir gedacht hatte.

Ich lag in dichter Omm Sufah versteckt; anderthalb Armlängen von mir saßen die Wachen, die Gesichter von mir abgewendet; sie sprachen nicht miteinander und waren nur damit beschäftigt, Holz in die Feuer zu werfen, die mit ihrem Scheine alles hell erleuchteten. Rechts lagen die schlafenden, tief in ihre Decken gehüllten Händler und links und vorn die wachen Gefangenen, die mich unbedingt sehen mußten, wenn ich mich zum Angriffe gegen die Wächter erhob. Die Überraschung konnte ihnen Ausrufe entlocken, durch welche die Schläfer vorzeitig aufgeweckt wurden. Dem mußte ich vorbeugen. Ich zog also den Arm aus dem Riemen des Gewehres, nahm es in die rechte Hand, richtete mich langsam auf und legte die linke mit jener warnenden Bewegung auf den Mund, welche in der Zeichensprache aller Völker eine Aufforderung zum Schweigen bedeutet. Mein Zweck wurde erreicht, denn es ließ sich nicht nur kein Ruf hören, sondern das bisher ununterbrochene Stöhnen und Wimmern hörte plötzlich auf. Die Sklaven hatten mich gesehen, und wie die Umstände lagen, mußten sie sich sofort sagen, daß sie von mir nichts zu fürchten, sondern im Gegenteile nur Gutes zu erwarten hatten. Es läßt sich denken, mit welcher großen Spannung ihre Augen auf mich gerichtet waren.

Ein guter Westmann wäre durch das so plötzlich eingetretene Schweigen aufmerksam und mißtrauisch gemacht worden; von den beiden Takobaleuten aber wurde es gar nicht beachtet. Jetzt kehrte ich den Stutzen um – zwei wohlabgewogene Hiebe auf ihre Köpfe, und sie knickten lautlos zusammen. Ich bückte mich rasch zu ihnen nieder, um zu sehen, ob ich ihrer augenblicklichen Unschädlichkeit sicher sein könne; als ich mich davon überzeugt hatte, machte ich einige Schritte vorwärts, so daß die Gefangenen mich verstehen konnten, auch wenn ich mit unterdrückter Stimme sprach, und sagte:

»Seid still, und sprecht jetzt kein lautes Wort! Ich bin gekommen, euch zu befreien. Ich werde eure Stricke zerschneiden; dann, aber ja nicht eher, als bis ich die Wächter gebunden habe, nehmt ihr die Händler fest! Ihr sollt ihnen aber nichts thun, sondern sie nur halten, daß wir sie fesseln können. Also paßt auf!«

Dreimal sechzig Stricke zu zerschneiden, das hätte ziemlich lange gedauert; aber als ich die zwei ersten befreit hatte, forderte ich sie auf, die Messer der Wächter zu nehmen und mir zu helfen. Auf einen Wink von mir nach dem Gebüsch, in welchem Ben Nil und die Asaker steckten, eilten diese herbei, und so standen nach kaum zwei Minuten alle Sklaven mit freien Gliedern da.

»Euch hat Allah gesandt!« sagte einer von ihnen. »Willst du uns sagen, Herr, wer du bist und woher –«

»Still jetzt!« unterbrach ich ihn. »Ihr werdet nachher alles erfahren. Jetzt binden wir zunächst die Wachen, und dann machen wir uns über die anderen her. Da sie sich in ihre Decken gehüllt haben, können sie sich gar nicht wehren, wenn,wir ihnen keine Zeit dazu lassen. Stricke sind mehr als genug da. Wenn jeder dieser Leute von zwei oder drei von euch gehalten wird, während der vierte den Strick gleich um die Decke wickelt, kann ein Widerstand gar nicht stattfinden. Also, es kann beginnen!«

Es war eine wahre Lust, zu sehen, was nun geschah. Die Befreiten folgten meinem Rate, und so fühlten sich die Schläfer, ehe sie nur recht munter wurden, in ihren eigenen Decken ein- und festgeschnürt. War dies in völliger Lautlosigkeit geschehen, so erhob sich aber nun ein solches Jubelgeschrei, daß ich glaubte, die Kamele würden scheu werden und davonrennen. Wer von den geretteten Sklaven eine Stimme hatte – und die hatte jeder, und zwar was für eine! -der strengte sie in allen möglichen Höhenlagen und auf das äußerste an, um den Gefühlen seines entzückten Herzens Luft zu machen. Dieses Schreien und Heulen wirkte so ansteckend, daß meine Asaker und zuletzt sogar Ben Nil, auch mit brüllten. Ich war der einzige, der seinen Kehlkopf nicht für das Ventil einer Trompete und seinen Mund nicht für einen Klarinettenschnabel hielt, und mußte wohl einige Minuten lang die Arme wie Windmühlenflügel hin und her und auf und ab bewegen, ehe die so stimmbegabten Menschen einsahen, daß diese meine Gestikulationen den Zweck verfolgten, der gewaltigen Erschütterung der Atmosphäre Einhalt zu thun.

»Dieses Schreien kann uns in Verlegenheit bringen!« warnte ich, als ich mich endlich verständlich machen konnte. »Es schallt ja über den Fluß hinüber, wo die Leute aus dem Chor Omm Karn schon eingetroffen sein können!«

»Was gehen uns diese Leute an!« antwortete einer. »Sie sollen nur kommen, um uns zu holen. Wir werden sie empfangen, wie sie es verdienen!«

»Sie sollen allerdings kommen; aber wenn sie durch euer Geheul mißtrauisch gemacht werden, kommen sie eben nicht.«

»Meinst du, Herr? Ja, da hast du recht! Wir müssen ganz still sein, daß sie morgen früh ahnungslos herübersetzen; dann empfangen wir sie am Ufer und drücken ihre Köpfe unter das Wasser, daß sie ersäuft werden und im Meere des Todes untergehen. Nun aber sag uns, wer du bist, oh Herr, damit wir erfahren, wie wir unseren Retter zu nennen haben. Die Badalat dieser vier Männer lassen uns erkennen, daß sie Asaker des Khedive sind; du aber und dieser dein fünfter Begleiter, ihr scheint keine Asaker zu sein?«

»Nein; wir sind keine Soldaten. Ich bin ein Franke und werde Kara Ben Nemsi Effendi genannt, und dieser, mein junger Freund, heißt Ben Nil.«

Die Folge meiner Antwort war ein Murmeln, welches im Kreise herumging. Der Sprecher gab diesen unverständlichen Tönen einen verständlichen Ausdruck, indem er fragte:

»Bist du etwa ein Christ, Effendi?«

»Ja.«

»Giebt es einen Sabit des Khedive, welcher Reis Effendina genannt wird und immer den Nil hinauf- und hinunterfährt, um die Sklavenjäger und -händler abzufangen?«

»Den giebt es allerdings.«

»Du bist mit ihm gefahren und hast ihm geholfen?«

»Ja.«

»So haben wir von dir gehört, zwar nicht viel, aber doch genug, um zu wissen, daß du ein Freund und Wohlthäter aller Menschen bist, welche zu Reqiq gemacht werden. Abu Reqiq hat unterwegs öfters mit seinen Leuten von dir und diesem Reis Effendina gesprochen; er schien Angst vor euch zu haben.«

»Wer ist Abu Reqiq?«

»Das weißt du nicht? Dort liegt er gefesselt bei seinen Leuten. Er ist der reichste und berüchtigtste Sklavenhändler im ganzen Dar Sennaar; er reist bis Fodja und noch weiter nach Westen, um Reqiq zu machen, und geht ebenso weit nach Osten über den Atbara hinüber bis an das Ufer des Bahr el ahmar, um die Sklaven trotz der Schiffe und der Aufsicht der Franken dort zu verkaufen. Er heißt eigentlich Tamek er Rhani, denn sein Besitztum ist größer als das von fünf Paschas zusammengenommen, wird aber wegen seines umfangreichen und einträglichen Sklavenhandels nur Abu Reqiq genannt. Er hat uns droben in Salamat gekauft und hierhergeschafft, um uns nach Omm Karn zu verhandeln. Von da aus sollten wir über Karkog nach dem Atbara geschafft werden.«

»Er kauft und verkauft also auch Anhänger des Propheten? Hasa nasieb – Schande über ihn!«

»Ja, er behandelt den Gläubigen gleich dem Ungläubigen als eine Ware, wenn er nur Gewinn davon hat. Möge dafür sein Gesicht am Tage des Gerichtes kohlschwarz werden! Nun wirst du wohl auch wissen wollen, wer wir sind. Wir gehören zur Ferkah El Homr des großen Stammes der Bagara und fielen einer Truppe Barabra in die Hände, weil wir im Schlafe lagen. Von ihnen wurden wir an Abu Reqiq verkauft. Ich bitte dich, uns nicht deshalb für Feiglinge zu halten!«

»Dieses Wunsches bedarf es nicht, denn ich weiß, daß die El Homr sich durch großen Mut und seltene Tapferkeit auszeichnen. Sie sind die berühmtesten Agagir und gehen ohne Flinte selbst dem Fil und dem Kerkedahn zu Leibe.«

»Es freut mich sehr, daß du dieses weißt, Effendi! Du wirst unsere Tapferkeit erkennen, wenn du siehst, wie wir hier diese Sklavenhändler bestrafen.«

»Zu ihrer Bestrafung bedarf es keiner Tapferkeit, denn ihr zählt sechzig Männer, während sie nur vierzehn sind. Übrigens habt ihr mit ihnen nichts zu thun. Sie gehören mir, und ich werde sie dem Reis Effendina zur Bestrafung übergeben.«

Das war nun freilich nicht nach der Ansicht der El Homr. Ich hatte lange mit ihnen zu streiten, ehe sie mir recht gaben und mir versprachen, die Rache dem Reis Effendina zu überlassen. Der, welcher bis jetzt in ihrem Namen gesprochen hatte, war der Schech es Sehf, des Stammes und also derjenige, welcher das größte Ansehen unter ihnen genoß. Sie hatten während ihres langen Marsches schrecklich hungern müssen und machten sich darum zunächst über die Durrhavorräte her, welche säckevoll bei den Kamelen lagen. Ebenso groß war ihr Bedürfnis zu einem Bade, und so sahen wir bald, während mehrere von ihnen den Negerhirse zwischen Steinen zu Mehl zerrieben, die anderen im seichten Wasser des Ufers plantschen. Schwimmen konnten sie als echte Beduinen nicht. Das Mehl wurde mit Hilfe des Nilwassers in einen Teig verwandelt und dann einfach mittels der Finger wie Kleister in den Mund gestrichen. jeder ißt nach seiner Art und Weise; der eine braucht zum Fisch ein silbernes Besteck, der andere will die Auster nur mit Seewasser haben. Wer kein Silberzeug besitzt und Austern nicht bezahlen kann, ißt, wenn er in Berlin wohnt, Eisbein mit Sauerkraut; Gallertschüssel schmeckt ebenso, und wem es im Buche des Lebens vorgezeichnet war, ein Bedawi el Homr zu werden, klebt sich den kalten Hirsebrei nach Art der Maurer zwischen das Gebiß. Man trifft überall auf die bekannte Wahrheit »Ländlich, sittlich«, welche, wie man sagt, nach anderer Lesart »Ländlich, unsittlich« lautet.

Wie mochte es den so fest eingeschnürten Sklavenhändlern zu Mute sein? Der Schlag war über sie gekommen wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Was erwartete sie aber dann erst später beim Reis Effendina! Ich will offen gestehen, daß mir der Gedanke kam, sie freizulassen, sie ihm nicht auszuliefern, doch mußte ich mir sagen, daß diese Milde nicht am Platze sei. Hatten sie doch ihre eigenen Glaubensgenossen nicht geschont! Und wenn ich Abu Reqiq frei ließ, so hieß das nicht anders, als ihn in der Fortsetzung seines fluchwürdigen Gewerbes bestärken. An allem Elend, welches er später verursachte, trug dann ich die Schuld. Nein, das wollte ich denn doch nicht auf mein Gewissen laden. Er mußte unbedingt bestraft werden. Aber mußte ich auch seine Habe dem Reis Effendina treulich ausliefern? War die Gefangennahme dieses Mannes nicht mein Werk? Gehörte er nicht mit allem, was er besaß, nach den hier herrschenden Gesetzen und Gebräuchen nur mir? Mußte ich die Undankbarkeit und Hinterlist des Reis Effendina mit einer hier gar nicht angebrachten Noblesse vergelten? – Nein!

Ich nahm mit Ben Nil eine Untersuchung aller Satteltaschen der Reitkamele vor, und wir fanden viele für die Asaker wertvolle Gegenstände. Das beste fiel uns beim Kamele des Anführers in die Hände, nämlich vier Säckchen Goldstaub, die für so einfache Leute geradezu ein Vermögen ausmachten. Das war Abu Reqiqs Betriebskapital; einige leere Ledersäckchen waren auch da. Ich setzte mich mit den Asakern und Ben Nil beiseite und verteilte den Goldstaub in sechs Säckchen, von denen jeder Askari eines, Ben Nil aber zwei bekam. Sie wollten in lauten Jubel ausbrechen; aber ich gebot ihnen, zu schweigen. Die El Homr brauchten nicht zu wissen, was für einen guten Fang wir gemacht hatten. Wie dankbar mir die fünf Glücklichen waren! Sie hatten nur die Sorge, daß der Reis Effendina ihnen den Staub wieder abverlangen werde; ich beruhigte sie aber mit der Versicherung, daß davon keine Rede sei; ich würde diese Verteilung, die ich getroffen hatte, nötigenfalls selbst mit den Waffen gegen ihn verfechten.

Weil die Beute, auf welche sie sich so sehr gefreut hatten, so über alles Erwarten reich ausgefallen war, erklärten sie sich auf meinen Wunsch gern bereit, auf alles andere zu verzichten. Ich sagte also dem Schech es Sehf der El Homr, daß er die Kamele und alles, was er bei ihnen finden werde, als sein und seiner Leute Eigentum betrachten solle; ebenso solle ihnen alles, was die Gefangenen in ihren Taschen hatten, nur Gold ausgenommen, als Eigentum zufallen, Das erregte natürlich Freude auch bei diesen Leuten, welche, weil ich die Händler nicht als ihr, sondern als unser Eigentum betrachtete, angenommen hatten, daß ihnen infolgedessen auch von der Beute nichts zufallen werde. Daß sie gern sofort in den Besitz derselben kommen wollten, konnte ich ihnen nicht verdenken; darum gab ich, als sie mich darum baten, den Befehl, die Gefangenen aus ihren Decken zu wickeln und ihnen die Taschen zu leeren, sie aber an Händen und Füßen gut zu fesseln.

Dies geschah. Ich war neugierig, wie die Takobamänner sich dabei verhalten würden. Wäre es meine Ansicht gewesen, daß sie sich sträuben und in Schimpfreden ergehen würden, so hätte ich mich im Irrtume befunden, denn sie ließen alles ruhig und ohne sich zu wehren, über sich ergehen. Der Schreck über ihre Gefangennahme, welche für sie im Bereiche der Unmöglichkeit gelegen hatte, wirkte noch nach. Nur Abu Reqiq, welcher zuletzt an die Reihe kam, verhielt sich zwar still, während er von seiner Decke befreit und dann gleich wieder gebunden wurde; aber als ihm Ben Nil in die Taschen griff und die in denselben befindlichen Gegenstände herausnehmen wollte, fuhr er ihn in zornigem Tone an:

»Was fällt dir ein! Bin ich etwa unter Räuber geraten, daß man mir stiehlt, was mir gehört?«

»Kerl, sei still, und sprich nicht von Räubern und Diebstahl!« antwortete Ben Nil. »Der größte und schlimmste Dieb und Räuber bist doch du selbst! Wir haben euch ergriffen; also ist alles, was ihr bei euch habt, unser Eigentum. Das ist hier Gesetz, wie du wohl wissen wirst.«

»Du würdest anders sprechen, wenn du wüßtest, wer ich bin. Meine Macht ist so groß, daß es nur eines Wortes von mir bedarf, euch zu verderben!«

»So sprich es aus, dieses Wort! Ich bin sehr neugierig darauf, von welcher Seite dieses Verderben kommen und worin es bestehen wird.«

»Es wird in eurem Untergange, in eurem Tode bestehen!«

»Sprich nicht so dummes Zeug! Ist jemand hier, dem der nahe Tod schon zur Seite steht, so bist du es allein.«

»Höhne nicht! Ich bin Tamek er Rhani, den man Abu Reqiq nennt!«

»Das wissen wir; aber wer du bist und ob man dich Abu Reqiq oder Tamek el Chasir nennt, das ist uns vollständig gleich. Du stehst in unseren Augen nicht höher als der ärmste Ziegenhirt; ja, ein Ziegenhirt wird von uns hundert- und tausendmal höher geachtet als du, denn er ist ein ehrlicher Mann, der nur thut, was Allah wohlgefällt, während du ein Schurke bist, welcher an die Stelle der Dschehenna gehört, wo die Qualen am größten sind.«

»Hund, wer bist du, daß du es wagst, mich einen Schurken zu nennen?«

»Ich heiße Ben Nil. Das ist ein Name, an welchem kein einziger Tropfen Blut und keine einzige solche Sünde hängt, wie du sie ohne Zahl auf dem Gewissen hast. Hüte dich übrigens, mich wieder Hund zu nennen! Hier neben mir steht ein Mann, der dich dafür strenger, viel strenger bestrafen wird, als du es ahnst!«

Er meinte mit diesen Worten mich, der ich an seiner Seite stand. Tamek ließ seinen Blick über mich gleiten und sagte dann.

»Dieser Mensch mag sein, wer er will, er kann mir nichts thun. Er mag sich ja hüten, mir auch nur das geringste zuzufügen! Von meiner Macht wieder zu sprechen, bin ich viel zu stolz; aber ich habe so mächtige Freunde und Bekannte, daß selbst jedes eurer Worte, welches mir nicht gefiele, von ihnen mit eurem Tode beantwortet würde. Hütet euch also!«

Da wies ich Ben Nil an:

»Laß den Kerl doch schwatzen! Er quakt wie ein Frosch, aus dessen Maule kein anderer Ton je kommen kann. Er gleicht der Mücke, die sich brüstet, den Adler zerreißen und auffressen zu wollen. Das ist rein lächerlich. Mach seine Taschen leer, und damit basta!«

Als Ben Nil diesem Befehle gehorchte, brüllte mich der Sklavenhändler wütend an:

»Mensch, ich habe dich gewarnt. Wenn du trotzdem in dein Verderben rennen willst, so thue es; ich habe nichts dagegen und werde es nicht hindern!«

»Du kannst allerdings nichts hindern, was ich thun will,« antwortete ich, »und solltest nur an dein Verderben, nicht aber an das meinige denken. Ich warne dich vor allen weiteren Schimpfreden und Drohungen! Bist du noch einmal so frech, uns durch ein Wort zu beleidigen, so laß ich dir die Bastonnade geben!«

»Die Bastonnade? Du?« lachte er höhnisch. »Sag mir doch, wer du bist!«

»Du brauchst nur die Asaker dort zu sehen, um zu wissen, in was für Hände du gefallen bist.«

»Asaker? Allah! Vier Asaker, nur vier! Das werden Diebe sein, welche die Uniformen gestohlen haben. Oder sie sind Deserteure, welche ausgerissen sind, weil sie zu feig waren, im Dienste des Khedive zu verbleiben.«

»Sie sind Soldaten des Reis Effendina. Ob sie feig sind, kannst du daraus ersehen, daß wir sechs Männer euch ergriffen und eure Gefangenen befreit haben.«

»Wer hat euch den Befehl dazu gegeben?«

»Niemand. Es giebt keinen Menschen, der es wagen dürfte, mir Befehle zu erteilen. Ich stehe aus eigenem Belieben an Stelle des Reis Effendina vor dir.«

Da kam ihm der richtige Gedanke; ich sah es seinem Gesichte an. Er suchte, während er mich noch einmal, und zwar genauer als vorher, betrachtete, nach Worten. Dann rief er in einem Tone, durch welchen er die Angst nicht ganz verbergen konnte, welche jetzt über ihn gekommen war:

»Allah ‚l Allah! – Gehörst du wirklich zum Reis Effendina?«

»Ja.«

»Bist du ein Franke, ein christlicher Franke?«

»Ja.«

»Heißest du Emir Kara Ben Nemsi Effendi?«

»Das ist mein Name!«

»Aber ihr seid doch ganz hinauf in die Länder der Schwarzen gefahren!«

»Du siehst, daß wir wieder hier sind. Ich hoffe, daß du dich darüber freust. Und um dein Herz mit noch größerem Entzücken zu erfüllen, will ich dir mitteilen, daß wir Abd Asl und Ihn Asl, welche du gewiß gekannt hast, gefangen und mit dem Tode bestraft haben.«

»Allah sei uns gnädig! Ibn Asl ist also tot, wirklich tot? Sagst du die Wahrheit, Effendi?«

»Kara Ben Nemsi lügt nie! Nachdem wir diesen Sklavenjäger und alle seine Leute unschädlich gemacht haben, kommen die anderen dran, und du bist der erste von ihnen. Nun wirst du wohl wissen, wer sich zu fürchten hat, ob du dich vor uns oder wir uns vor dir!«

»Maschallah – Wunder Gottes! Ihn Asl wurde für unüberwindlich gehalten!«

»Lächerlich! Das Böse, die Sünde, kann niemals unüberwindlich sein, sondern das Gute, die Gerechtigkeit, gelangt stets, wenn auch zuweilen spät, zum Siege. Das wirst du auch an dir erfahren, denn ich sage dir, daß du heut zum letztenmal in deinem Leben auf dem verbotenen Wege des Sklavenhandels gegangen bist.«

Er antwortete nicht gleich; er mochte überlegen, wie er sein Verhalten gegen mich am besten einzurichten habe. Wovon konnte er Vorteile für sich erwarten? Dadurch, daß er sich scheinbar in sein Schicksal ergab und sich demütig zeigte, oder daß er den Versuch machte, mir zu imponieren? Demut zu zeigen, dazu war später ja auch noch Zeit! Er schien sich für das letztere entschlossen zu haben, denn er versuchte, seinem Gesichte einen hochmütigen Ausdruck zu geben, und fragte mich in wegwerfendem Tone-.

»So? Denkst du wirklich, daß nun ich nach Ihn Asl an die Reihe komme? Das glaubst du doch wohl selber nicht!«

»Zu glauben brauche ich es nicht, weil ich vollständig überzeugt davon bin.«

»Du willst mich dem Reis Effendina ausliefern?«

»Ja.«

»Wann?«

»Ich brauchte es dir nicht zu sagen, doch kann es mir nicht schaden, wenn du es erfährst. Wir bleiben hier liegen, bis er in einigen Tagen mit seinem Schiffe kommt, um uns an Bord zu nehmen. Wir sind ihm vorausgefahren.«

Ich wußte, welcher Gedanke ihm jetzt kommen würde, und nahm ihn scharf in die Augen. Es glitt ein nicht ganz zu unterdrückender Zug der Freude über sein Gesicht, und er sagte in demselben höhnischen Tone wie vorher:

»Ich bin entzückt von deiner Aufrichtigkeit und will dir daher das Vergnügen machen, ebenso offen zu sein wie du. Deine Wünsche, Hoffnungen und Absichten gleichen den leisen Wellen der Luft, welche über den mächtigen Talhabaum streichen, ohne ihn beugen zu können. Wenn du uns nicht sofort freigiebst, werdet ihr euch morgen in unserer Gefangenschaft befinden. Wie ihr euch heut zu uns verhaltet, so werden wir euch dann morgen behandeln. Das gebe ich dir zu bedenken! Sei also klug, Effendi! Diese Warnung spreche ich nicht etwa aus Angst aus, sondern weil ich mich in der gnädigen Stimmung befinde, dich retten zu wollen.«

»Ich bedarf deiner Gnade nicht und habe auch gar nicht die Absicht, dir die meinige anzubieten. Jeder hat die Last zu tragen und die Schuld zu büßen, die er auf sich genommen hat.«

»So bist du verloren, unbedingt verloren!«

»Pah! Die Leute, auf welche du rechnest, mögen nur kommen! Anstatt euch befreien zu können, werden sie gefesselt neben euch liegen.«

Er fuhr erschrocken zusammen und fragte:

»Welche Leute meinst du?«

»Die aus dem Chor Omm Karn.«

»Von solchen Leuten weiß ich nichts, gar nichts!«

»Lüge nicht! Die zwei Boten, welche du zu ihnen schicktest, haben dir ja mitgeteilt, daß sie morgen kommen werden, um die Sklaven in Empfang zu nehmen und mit Goldstaub zu bezahlen. Auf ihre Hilfe rechnest du vergeblich.«

Da trat wieder eine Pause ein, die er nötig hatte, um sich zu fassen. Dann sagte er:

»Ich weiß nicht, was du meinst. Du mußt im Fieber gelegen haben, als du glaubtest, Dinge zu sehen, die sich gar nicht ereigneten, und Worte zu hören, welche gar nicht gesprochen wurden. Die Hilfe, welche ich erwarte, ist eine ganz andere, als du denkst. Indem du uns als Feinde behandelst, hast du dich auf Es Sireth begeben, auf die Brücke des Todes, und es bedarf nur eines leisen Stoßes meines Fingers, so stürzest du in den Abgrund hinab, welcher dir aus der schauerlichen Tiefe entgegengähnt.«

»Laß ihn gähnen! Ich gähne ja auch, und zwar aus Langeweile über die leeren Drohungen, von denen du meinst, daß sie mich erschrecken sollen.«

»So denkst du, daß ich lüge?«

»Ja.«

»Effendi, beleidige mich nicht! Ich bin ein gläubiger Moslem, du aber bist ein Christ, der tief, tief unter mir steht!«

»So wirst du, da du so hoch über mir stehst, um so tiefer fallen!«

»Du willst dich also nicht überzeugen lassen? Frag Geri, meinen Mulasim! Da liegt er als der dritte zu meiner linken Seite. Er wird bei Allah und dem Propheten bestätigen, daß ich recht habe.«

»Ich glaube ihm ebensowenig wie dir.«

Da fuhr er mich an:

»Hüte dich, Giaur! Ich mag solche Worte nicht hören!«

Ich trat ganz nahe zu ihm heran und drohte:

»Ich warne dich zum letztenmale. Wenn du wirklich denkst, so hoch über mir zu stehen, weil ich ein Christ bin, so lache ich darüber; aber wenn du diesen albernen Hochmut so weit treibst, mich zu schimpfen, so werde ich dich zwingen, einen bescheideneren Ton gegen mich anzuschlagen.«

»Ich, der reiche und berühmte Abu Reqiq, bescheiden gegen dich, der du doch nur der Sklave und Speichelfresser des Reis Effendina bist? Ich möchte den Ungläubigen, den ewig Verfluchten sehen, der dies fertig brächte. Wisse, daß grad der Islam es ist, der dich in meine Hände liefern wird! Der neuerwachte Islam wird seinen Rachen öffnen und dich und deinen Reis Effendina verschlingen, dem du nachläufest und gehorchest wie ein Hund!«

»Gut, du hast’s gewollt! Du wirst sofort erfahren, daß der Giaur, der ewig Verfluchte, der Hund es wohl versteht, dich demütiger zu machen. Ben Nil, der Kerl bekommt einstweilen zehn Hiebe auf jede Fußsohle. Besorge das! Und wenn er dadurch nicht bescheidener wird, werden ihm noch zwanzig aufgezählt!«

Ben Nil war eine solche Strenge so wenig an mir gewöhnt, daß er, anstatt mir zu gehorchen, einen fragenden, zweifelnden Blick auf mich war. Als ich ihm aber mit einer energischen Handbewegung bedeutete, daß es mein Ernst sei, rief er erfreut aus:

»Oh, Effendi, welche Wonne du mir damit bereitest! Fast hätte ich es nicht geglaubt, denn deine Güte und Langmut pflegen unendlich zu sein. Es schmerzt mich nur, daß nicht auch seine Leute die Hiebe bekommen, welche sie alle so wohl verdient haben; aber ich werde diesen Schmerz von mir abladen und auf die Sohlen seiner Füße übertragen. Kommt, ihr Krieger vom tapfern Stamme der El Homr! Schafft euern Peiniger hier auf die Seite; legt ihn auf den Bauch; kniet auf seinen Rücken, daß er sich nicht bewegen kann, und zieht ihm die Sandalen ab. Haltet ihm dann die Füße hoch, daß die Sohlen gegen den Himmel schauen; sie sollen die Gaben des Stockes empfangen, den ich mir jetzt abschneiden werde, eines schönen Stockes, dessen Stimme deutlicher erklingen wird, als die Gesetze des Kuran und aller Ausleger desselben!«

Er ging zum nahen Busche, um einige passende Ruten abzuschneiden, während zehn, zwanzig El Homr sich über Abu Reqiq hermachten. Wie gern sie das thaten! Sie faßten ihn bei den Beinen, zogen ihn auf die Seite und gaben da seinem Körper und seinen Gliedern die Lage, welche Ben Nil ihnen bezeichnet hatte. Er wehrte sich dagegen, soweit die Stricke, mit denen er gebunden war, es ihm erlaubten. Das half ihm nichts, denn es hatten ihn so viel Fäuste gepackt, daß seine Kraft gegen die ihrige gleich Null war.

Hätte er mich um Verzeihung gebeten, so wäre ich sehr wahrscheinlich so schwach gewesen, ihm die Bastonnade zu erlassen; aber es fiel ihm gar nicht ein, dies zu thun. Er schleuderte vielmehr eine solche Flut von Schimpfworten gegen uns und besonders gegen mich, daß ich befahl, ihm nicht zehn sondern zwanzig Hiebe auf jeden Fuß zu geben. Als das sein Mulasim hörte, rief er ihm zu:

»Schweig doch, schweig! Du siehst ja, daß du es mit deinem Zorn noch schlimmer machst. Wenn du deine Zunge nicht zähmst, wirst du dreißig oder fünfzig Streiche erhalten, während dich doch schon die ersten zehn vollständig zufriedenstellen konnten!«

Diese Warnung fruchtete; Abu Reqiq schwieg; aber um Verzeihung zu bitten, das ließ ihm sein Stolz auch jetzt nicht zu. Mehrere der El Homr baten, die Rute führen zu dürfen, doch Ben Nil antwortete:

»Ihr seid halb verhungert und verdürstet und habt also die Kraft verloren, welche dazu gehört, alles, was im bösen Herzen dieses Menschen lebt, so deutlich auf seine Sohlen zu zeichnen, daß er es endlich selber glauben muß. Ich aber bin kräftig genug dazu und habe mir hier diese vier schönen, starken und biegsamen Stöcke nicht für euch, sondern nur für mich abgeschnitten. Haltet ihn also fest! Es kann beginnen.«

Die El Homr bildeten einen Kreis um die bei der Exekution beteiligten Personen; ich aber zog es vor, nicht Zuschauer bei derselben zu sein. Bald hörte ich die Hiebe fallen, deren jeder durch ein tierisches Gebrüll des Empfangenden quittiert wurde. Die einzelnen Schreie, welche er ausstieß, zogen sich nach und nach in ein immerwährendes, pausenloses Heulen zusammen, welches mich verhinderte, die ferneren Schläge zu hören und also auch zu zählen. Endlich verstummte das Gebrüll; es gab nur noch ein tiefes, schweres Stöhnen. Der Kreis öffnete sich; Ben Nil kam zu mir und meldete:

»Wir sind zu Ende, Effendi, und du wirst mit mir zufrieden sein.«

»Warum?«

»Weil ich ihm fünfundzwanzig anstatt zwanzig gegeben habe.«

»Warum hast du das gethan?«

»Weil ich so schön im Zuge war, daß ich meinen Arm nicht eher zum Stillstehen brachte, als bis es fünf zu viel geworden waren. Nun liegt er da und kann sich nicht rühren. Was sollen wir mit ihm machen?«

»Schafft ihn hinter das Akaziengebüsch rechts dort an der Wasserlache! Wenn er dort liegt, tragt ihr seinen Mulasim zu ihm und bindet sie so neben einander an die Büsche oder an Pflöcke, die ihr in die Erde schlagt, daß sie sich nicht bewegen und nicht sehen können, was hinter ihnen geschieht.«

»Warum?«

»Kannst du dich noch erinnern, wie ich Abd Asl belauschte, als wir an der Quelle lagen, wo ich den Löwen schoß?«

»Ja.«

»Grad in derselben Weise will ich diesen Abu Reqiq belauschen. Er drohte mir, daß grad der Islam seinen Rachen gegen mich öffnen werde, um mich zu verschlingen. Das hat eine Bedeutung, die ich nicht kenne und die ich kennen lernen will und muß. Er würde es mir weder gutwillig noch gezwungen sagen; darum wende ich die List, welche damals so glückte, hier wieder an. Es ist ein dafür sehr günstiger Umstand, daß er seinen Mulasim bei sich hat, mit dem er jedenfalls auf einem vertraulicheren Fuße steht als mit seinen andern, gewöhnlichen Leuten. Wenn beide glauben, allein und unbeobachtet bei einander zu liegen, werden sie ihren Herzen Luft machen, und ich müßte mich sehr irren, wenn dabei nicht auch das mit zur Sprache käme, was ich erfahren will. Die Hauptsache ist, daß sie sich für unbelauscht halten, daß sie überzeugt sind, ich befinde mich in eurer Mitte, nicht aber bei ihnen.«

»Das laß mich machen, Effendi! Die El Homr müssen sich in einem Kreise um dich niedersetzen und so thun, als ob die Beute unter sie verteilt würde. Inzwischen schaffe ich die beiden Kerls nach dem Gebüsch und binde sie dort an, und du schleichst dich, ohne daß sie es bemerken, hinter sie. Wenn ich dann wieder bei den El Homr sitze, werde ich öfters so thun, als ob ich mit dir spräche. Sie werden das hören und dann gewiß nicht denken, daß du nicht bei uns, sondern bei ihnen bist.«

Dieser Vorschlag Ben Nils war gut; ich stimmte ihm bei, und er machte sich gleich daran, ihn in Ausführung zu bringen. Es dauerte nicht lange, so lag ich an dem betreffenden Gesträuch hinter Abu Reqiq und seinem Vertrauten, welche beide der festen Überzeugung waren, daß ich inmitten der El Homr säße.

Sie sprachen zunächst nicht miteinander. Die Schmerzen des Gezüchteten waren so groß, daß er nicht an Unterhaltung dachte; er wimmerte in einem fort leise vor sich hin. Wie oft hatte er wohl gefangene Neger noch ganz anders, ja zu Tode schlagen lassen, ohne daß sein Gewissen nur im geringsten dadurch beschwert worden war?

Dieses Schweigen dauerte dem Mulasim endlich doch zu lang. Nach dem, was geschehen war, gab es so viel zu besprechen, und die Gelegenheit, dies zu thun, konnte gar nicht bequemer kommen. Er begann also:

»Wer hätte gestern um diese Tageszeit gedacht, daß es uns heut so traurig ergehen werde! Der Scheitan muß diese Hunde grad jetzt von den Grenzen des Niles herabgeführt haben, grad an dem Augenblicke, wo wir hier angekommen sind! Nur einen einzigen Tag später, und unser Handel wäre gelungen. Thun deine Wunden dir sehr wehe, Herr?«

»Frag nicht so dumm!« antwortete Abu Reqiq stöhnend, wie er überhaupt während des ganzen Gesprächs fortwährend ächzte und wimmerte. »Soll es nicht schmerzen, wenn einem die Füße so zerschlagen worden sind, daß die Knochen aus dem Fleische schauen? Allah verdamme diesen Christenhund in denjenigen Teil der Hölle, wo die Teufel ohne Aufhören und in alle Ewigkeit Bastonnade erteilen!«

»Du hättest nur zehn Streiche erhalten; aber weil du ihn schimpftest und beleidigtest, so bist du selber schuld – –«

»Schweig!« unterbrach ihn der Sklavenhändler. »Ich will deine guten Lehren nicht hören! Ich wollte ihn durch mein sicheres Auftreten ängstlich machen.«

»Allah! Wir haben genug über diesen Christen gehört, um zu wissen, daß ihm keine Angst einzujagen ist. Er ist milde wie ein Weib, aber stolz und unerschütterlich dabei. Ich möchte wissen, weshalb er uns beide so allein hat hierherschaffen lassen.«

»Weil er sich trotz seines Stolzes vor uns scheut und fürchtet. Wir sollen nicht sehen, was sie thun, und nicht hören, was gesprochen wird. Er hält es trotz seines Leugnens für möglich, daß wir gerettet werden. In diesem Falle wäre es gefährlich für ihn, wenn wir etwas über seine Absichten gehört hätten. Nur aus diesem und keinem andern Grunde hat er uns beiseite schaffen lassen!«

»Oder ist er gar nicht dort, sondern hier bei uns, um uns zu belauschen!«

»Fällt ihm nicht ein! Ich sah ihn, als ich fortgeschafft wurde, inmitten der El Homr sitzen; du hast ihn auch gesehen, und— horch! Hörst du seinen Namen nennen? Hörst du, daß dieser verfluchte Ben Nil mit ihm redet?«

»Ja; er ist also wirklich dort, und wir können mit einander sprechen, ohne zu besorgen, daß wir belauscht werden. Hältst du es für möglich, daß die Männer aus dem Chor Omm Karn uns befreien werden?«

»Ja.«

»Aber sie werden ahnungslos herüberkommen und ihm grad in die Hände laufen! Er sagte doch Selbst, daß er sie festnehmen wolle!«

»Ich werde sie warnen. Sobald wir sie kommen sehen, rufe ich ihnen zu, daß wir gefangen sind und daß sie uns befreien sollen.«

»Da wird er dich töten!«

»Nein; ein Mörder ist er nicht. Wir haben ja gehört, daß er nur im äußersten Notfalle Blut vergießt. Er wird uns dem Reis Effendina ausantworten; ehe dies geschehen ist, haben wir wenigstens für unser Leben nichts zu fürchten. Er wird also, wenn er hört, daß ich die Omm Karn-Leute warne, mich nicht töten, sondern die Warnung dadurch erfolglos zu machen suchen, daß er hier diese Furt verläßt und irgendwo ein anderes Lager bezieht. Unsere Verbündeten aber werden ihm folgen, ihn finden und uns befreien. Aber dann!«

Er knirrschte bei diesen beiden letzten Worten mit den Zähnen. Der Mulasim wiederholte sie:

»Aber dann! Ja, dann wird es ihm traurig ergehen!«

»Trauriger, als es ihm in der Hölle ergehen könnte! Ich lasse ihn peitschen, daß ihm alle Knochen aus dem Leibe schauen. Und dann mache ich ihn zu meinem eigenen Sklaven, den ich von früh bis abends peinige, wie noch kein Sklave gepeinigt worden ist. Also, ich bin überzeugt, daß wir nicht gefangen bleiben; aber wir werden einige kostbare Tage verlieren und also später nach El Michbaja kommen, als man uns dort erwartet.«

»Zumal du durch die Bastonnade so verwundet bist! Du wirst dich kaum auf dem Kamele halten können.«

»Wir werden ein Boot haben.«

»Ein Boot? Von wem?«

»Von diesem Christenhunde. Er hat ja gesagt, daß er dem Reis Effendina vorausgefahren sei, und ist also im Besitze eines Fahrzeuges, welches hier irgendwo am Ufer liegen muß. Das nehme ich für mich und laß mich nach El Michbaja rudern, während du mit den andern den Weg mit den Kamelen zurücklegst. Diese Hunde haben uns alles, alles abgenommen. Sogar mein Goldstaub wird sich in ihren Händen befinden. Das könnte mich rasend machen, wenn ich nicht wüßte, daß sie alles wieder hergeben müssen. Dafür wird Kara Ben Nemsi mir einen Gegenstand lassen müssen, welcher hundertmal mehr wert ist, als das Gold, welches er jetzt wohl glaubt, ganz sicher zu besitzen.«

»Was ist das?«

»Sein Zaubergewehr, von welchem wir gehört haben. Jedenfalls hat er es noch, denn so etwas hütet man wie das eigene Augenpaar. Bin ich Besitzer dieser Flinte, so darf man mich den unüberwindlichsten Mann des ganzen Sudahn nennen, und das wird mich vollständig entschädigen für die Bastonnade, gegen die ich mich leider nicht wehren konnte.«

»Wenn aber nun der Reis Effendina kommt, ehe wir wieder frei sind?«

»Geschähe das, so wären wir verloren, denn die Strenge dieses Abgesandten des Teufels würde unser Leben fordern. Glücklicherweise war aus den Reden des Christen zu entnehmen, daß der Reis Effendina erst nach einer Anzahl von Tagen hier eintreffen wird. Da sind wir wieder frei, weil die Leute aus Omm Karn schon morgen kommen.«

»Wir wären dann mit ihnen sechsundzwanzig tapfere Männer. O Allah! Wenn es möglich wäre, mit diesen Leuten das Schiff des Reis Effendina zu ersteigen und ihm wegzunehmen!«

»Diesen Gedanken laß nur fallen! Selbst wenn es gelänge, würden so viele von uns dabei zu Grunde gehen, daß die übrigen das Schiff nicht lenken könnten, zumal sie nichts davon verstehen. Es wird mit ihm und seinen Leuten auch ohnedies in unsere Hände fallen.«

»Bei El Michbaja?«

»Ja.«

»Steht denn der Wächter noch immer dort am Ufer?«

»Ja, bei Tage und bei Nacht. Der ›Heilige‹ hat es so befohlen. Niemand weiß, weshalb er den Untergang des Reis Effendina beschlossen hat; er muß von diesem auf eine Weise beleidigt worden sein, die selbst ein Heiliger nicht verzeihen kann, zumal dieser behauptet, daß Allah und der Prophet den Sklavenhandel befohlen haben. Kennst du die Stelle des Niles, an welcher El Michbaja angelegt worden ist?«

»Nein.«

»Der Fluß hat dort eine so schnurgerade Richtung, daß man jedes abwärtskommende Schiff schon aus weiter, weiter Ferne erblickt. Dann macht er einen raschen Bogen, indem er um eine weit vorgeschobene Landzunge oder Halbinsel fließt, die von sehr dichtem Walde bedeckt ist. In diesem Walde liegt El Michbaja, wo man mit einer großen Sklavenherde auf uns wartet. Die Bewohner von El Michbaja haben den Segen des ›Heiligen‹ erhalten, und ihr letzter Bote teilte mir im Geheimnis mit, daß dieser Reqiq nicht nur aus Schwarzen bestehe. Es giebt Menschen, die man beseite schaffen muß, ohne sie grad töten zu wollen; die macht man einfach zu Reqiq. Ich nehme sie sehr gern mit und bin verschwiegen dabei, weil ich sie umsonst bekomme und nicht zu bezahlen brauche. Es hat sogar Fälle gegeben, daß man mir einige Schwarze dafür schenkte, daß ich einen Weißen mitnahm, um ihn als Sklaven verschwinden zu lassen. Wahrscheinlich steht mir in El Michbaja wieder ein so gutes Geschäft bevor, denn sonst hätte man mir den erwähnten Wink nicht gegeben.«

»Befinden sich denn genug Leute dort, den Reis Effendina abzufangen?«

»Ja. Und diese Männer sind alle mit dem Wasser wie Fische vertraut. Ich habe es bisher geheim gehalten; jetzt aber will ich es dir sagen, daß einer von uns zu den dortigen Leuten gehört und nur deshalb zu mir geschickt wurde, um mein Führer dorthin zu sein, sobald ich einen brauchen sollte.«

»Allah! Solche Geheimnisse hast du vor mir gehabt? Ich habe stets gemeint, du wüßtest, daß du mir vertrauen darfst!«

»Das wußte ich; aber ich mußte versprechen, es so lange geheim zu halten, bis ein triftiger Grund eintrete, es zu sagen. Dieser Grund ist jetzt da. Also am Ufer der Landzunge, auf welcher El Michbaja liegt, hält Tag und Nacht ein Posten Wache, der auf das Schiff des Reis Effendina aufzupassen hat. Es ist so gebaut, daß er es sofort erkennen muß, und sobald es erscheint, hat er es zu melden.«

»Dann wird es angegriffen?«

»Ja.«

»Was soll mit der Besatzung geschehen?«

»Sie kann getötet oder gefangen genommen und als Reqiq verkauft werden, aber zwei sollen unbedingt geschont werden, nämlich der Reis Effendina und dieser Kara Ben Niemsi Effendi.«

»Warum?«

»Der ›Heilige‹ will sie haben.«

»Wozu?«

»Das weiß man nicht. Er hat sie sich auf das allerstrengste ausbedungen, und du kannst dir denken, daß man ihm gern gehorsam ist. Wir sind in die Hände dieses Giaur geraten; das ist ein Unglück, welches vorübergehen wird, und bei jedem Unglück pflegt ein Glück zu sein.«

»So auch hier?«

»Ja. Es ist ein Glück für uns, daß der Reis Effendina grad zu der Zeit angesegelt kommt, in welcher wir uns in El Michbaja befinden werden. Ich bin überzeugt, daß man uns dort die ganze gefangene Besatzung umsonst als Sklaven überlassen wird. Was man nicht tötet, muß verschwinden, und zum Verschwindenlassen bin ich wie kein anderer der richtige Mann.«

»Warst du schon einmal dort?«

»Auch nicht; aber ich kann mich auf Hubahr so verlassen wie auf mich selbst.«

»Ach, Hubahr ist also der, den du vorhin meintest?«

»Ja.«

»Ich habe ihm nicht viel zugetraut, denn er scheint nicht tapfer, sondern ein Feigling zu sein.«

»Feig ist er, ja; er fürchtet sich sogar im hellen Mondenscheine, wenn er von weitem die Stimme der Hyäne hört, die ihm gar nichts anhaben kann. Ein Krieger ist er also nicht; aber zum Boten, Führer und Spion, da paßt er ausgezeichnet, und da er für uns nur dieses sein soll, so kann ich nicht mehr von ihm verlangen. Er ist mir von El Michbaja aus nicht nur sehr empfohlen worden, sondern er steht sogar unter dem Schutze des ›Heiligen‹, den er persönlich kennt, denn er hat bei ihm auf der Insel Aba gewohnt und ist in den frommen Regeln und Satzungen der Terika es Samania einer seiner besten Schüler gewesen.«

»Maschallah – Gott thut Wunder! Wer hätte das von diesem Hubahr gedacht, der mit uns auf den Sklavenhandel gegangen ist und doch vor Angst zusammenzuckt, wenn nur der Hahn seiner eigenen Flinte knackt!«

»Es ist nicht notwendig, daß ein Streiter Allahs auch ein kühner Krieger im irdischen Sinne ist. Der Islam braucht außer den streitbaren Schwertträgern, welche seine Fahne in alle Länder tragen sollen, noch viel nötiger auch kluge, listige Bekenner, von denen ein einziger durch seine Verschlagenheit mehr, viel mehr leisten kann als tausend Asaker, die nur durch die Kraft ihrer Arme wirken. Das hat Mohammed Achmed selbst sehr oft gesagt und gelehrt.«

»So heißt der Heilige?«

»Weißt du das noch nicht? Habe ich noch nicht mit dir von ihm gesprochen? Du widmest deine ganze Kraft und alle deine Gedanken dem Sklavenhandel; aber nebenbei solltest du dich doch auch um die Ereignisse und Personen kümmern, welche für den Islam von Wichtigkeit sind. Mohammed Achmed Ibn Abdullahi war ein Hauar des berühmten Scheich Mohammed Scherif von der Samania. Er entzweite sich mit ihm und ging zur Terika des Scheiches el Gureschi über. Dadurch wurde er berühmt. Er wurde der Fakir el Fukara genannt und wohnte auf der Insel Aba, wo er den Titel eines Sahed erhielt. Er wollte die hervorragenden Anhänger des Islam in den westlichen Gegenden kennen lernen und machte darum eine Reise nach Kordofan. Von da zurückgekehrt, war er eine Zeit lang sehr krank. Er konnte nicht gehen, denn er hatte diese Reise als Sahed meist zu Fuße gemacht und dabei seine Sohlen im heißen Sande so verletzt, daß fast kein Mittel Heilung bringen wollte. Die Schmerzen, welche er infolge dieser seiner Entsagung auszustehen hatte, vermehrten den Ruf seiner Heiligkeit, und es hatten sich in wenigen Wochen so viele Schüler und jünger um ihn gesammelt, daß er jetzt eine Macht besitzt, wie sie vor ihm noch kein Heiliger besessen hat. Als ich zum letztenmal von ihm hörte, sagte man sogar, er sei der Mahdi, welchen wir schon seit Jahrhunderten erwarten; er werde den reinen, geläuterten Glauben lehren und dann die Streiter des Islam siegreich in alle Gegenden der Erde führen, um überall die grüne Fahne des wahren Glaubens aufzupflanzen. Nun weißt du, wen du unter dem ›Heiligen‹ zu verstehen hast, und da Hubahr einer seiner besten Schüler ist, wirst du ihm von jetzt an dein Vertrauen schenken, welches du ihm bisher verweigert hast.«

»Allah, Allah, Allah!« sagte Geri erstaunt. »Der Mahdi soll endlich gekommen sein! Und dieser heilige Mann lehrt, daß der Sklavenhandel keine Sünde sei?«

»Sogar daß er befohlen sei! Er wird schon durch diese Lehre allein das Christentum besiegen, welches die Sklaverei verbietet und also keine Männer hat, sich gegen uns zu wehren, die wir Hunderttausende bewaffneter Sklaven gegen die Ungläubigen aussenden können. Sie werden also grad durch diejenigen niedergeworfen und zerschmettert, welche sie in Schutz nehmen wollen. Allah verderbe sie!«

»Zunächst möge er diesen einen Christen vernichten, der es gewagt hat, sich an uns zu vergreifen und deine Füße mit den Stöcken der Bastonnade zu berühren!«

»Das wird er thun; ich bin ganz überzeugt davon! Allah kann unmöglich wollen, daß wir das neue, große Licht des Islam nur aufgehen sehen sollen, um uns hier ruhmlos von dem Reis Effendina abschlachten zu lassen. Jetzt aber schweig! Ich habe über unsere Lage und über die Rettung aus derselben nachzudenken, und wenn ich spreche, werden die Schmerzen meiner Füße um das Doppelte vermehrt. Wenn ich diesen Giaur in meine Hand bekomme, soll er Qualen erleiden, als ob er hundert Füße hätte, auf die ihm die Bastonnade gegeben worden ist.«

Sie hüllten sich nun in Schweigen; das heißt, so weit es sich auf gesprochene Worte bezog, denn still verhielt sich Abu Reqiq keineswegs, sondern sein Stöhnen und Seufzen ertönte ebenso fort, wie es das ganze, von mir belauschte Gespräch begleitet hatte. Weil es für mich nun keine Hoffnung gab, noch mehr zu hören und zu erfahren, entfernte ich mich leise von der Stelle, an welcher ich gelegen hatte, und kehrte zu den El Homr zurück. Als Ben Nil mich von weitem kommen sah, war er so klug, aufzuspringen und auch die anderen zum Aufstehen zu veranlassen. Diese vielen aufgerichteten Gestalten boten mir eine willkommene Deckung, daß ich mich in einem kleinen Bogen dem Platze nähern konnte, ohne von Abu Reqiq und Geri gesehen zu werden. Auf diese Weise blieb es diesen beiden unbekannt, daß ich nicht nur vom Lagerplatze weg, sondern sogar bei ihnen gewesen war.

Als wir uns dann wieder gesetzt hatten, warf mir Ben Nil einen fragenden Blick zu, den ich mit einem leichten Nicken des Kopfes beantwortete. Nun wußte er, daß es mir gelungen war, den Sklavenhändler und seinen Mulasim zu belauschen. Es war inzwischen der Inhalt der Taschen der Händler verteilt worden, der besonders bei Abu Reqiq reichlich ausgefallen war, wenn er auch nicht aus Gold bestanden hatte.

Mich beschäftigte natürlich das, was ich gehört hatte. Also Mohammed Achmed, der Fakir el Fukara, spielte sich jetzt als Heiliger, sogar als Mahdi auf! Ich konnte nicht daran zweifeln, daß es sich um dieselbe Person handelte, die wir in der Chala kennen gelernt hatten. Seine Reise nach Kordofan war erwähnt worden; er war uns auf der Rückreise von dort begegnet. Die schwere Krankheit seiner Füße, welche er sich durch seine fromme Entsagung zugezogen haben sollte, war nichts als eine Folge der Bastonnade, die ihm der Reis Effendina hatte geben lassen, und daß er diesen und mich gern in seine Gewalt haben wollte, daß er die Rückkehr unseres Schiffes so aufmerksam erwarten ließ, das war mir leicht erklärlich; er wollte Rache nehmen, natürlich auch an mir, obgleich ich mich seiner erbarmt hatte, als er mit zerschlagenen Füßen im Sumpfe lag. Wie er von dort weg und nach der Insel Aba gekommen war, das konnte mir gleichgültig sein; es genügte mir, zu wissen, daß er auf irgend eine Weise wieder heimgelangt war.

Umso wichtiger war mir der Ort, welchen der Händler El Michbaja genannt hatte. In welcher Gegend mußte er gesucht werden? Ich kannte keinen Ort dieses Namens am Nile, Ben Nil, den ich nachher fragte, auch nicht, und als ich mich später bei seinem Großvater erkundigte, hatte dieser ihn ebensowenig gehört und meinte, daß es eine ganz neu angelegte Niederlassung sein müsse. Zwischen unserer Fahrt stromaufwärts und jetzt waren allerdings Monate vergangen, denn ich erzähle nur die hervorragenden Ereignisse derselben, und die Zeit unserer Abwesenheit war mehr als lang genug, daß aus dem Fakir el Fukara inzwischen hatte ein Heiliger werden können und am Ufer des Niles ein Ort entstanden war, den es damals noch nicht gegeben hatte.

Dieser Ort schien aber nicht nur uns unbekannt zu sein; das ging aus seinem Namen hervor. El Michbaja heißt »das Versteck«; es handelte sich also wahrscheinlich um eine geheim gehaltene Stelle, an welcher verkäufliche Sklaven versteckt wurden, um bei passender Gelegenheit auf gefahrlosen Wegen weitertransportiert zu werden. Aber wo lag dieser Ort? Das wollte und mußte ich wissen, denn dort wartete man auf uns, um Rache an uns zu nehmen. Ich zweifelte zwar gar nicht daran, daß es uns gelingen würde, ganz glücklich dort vorbeizukommen, aber doch nur dann, wenn wir wußten, an welcher Stelle die Gefahr uns drohte. Und aufrichtig gestanden, hatte ich gar keine Lust, eben nur glücklich vorüberzufahren. Es gab dort Sklaven zu retten, unter denen sich sogar Weiße befinden sollten! Da war es doch wohl unsere Pflicht, denen, die auf uns warteten, um uns zu verderben, nicht feig aus dem Wege zu gehen, sondern ihnen erst recht zu zeigen, daß wir sie nicht fürchteten.

Also wir mußten unbedingt erfahren, wo El Michbaja lag. Aber von wem? Natürlich von Hubahr, dem bevorzugten Schüler des neuen Propheten, welcher lehrte, daß die Sklaverei eine von Allah befohlene Einrichtung sei. Bei dem Gedanken, daß grad dieser Schüler uns gegen seinen Meister beistehen solle, drängte sich mir ein behagliches Lächeln auf, denn ich war überzeugt, daß es mir gar nicht schwer fallen werde, ihn dazu zu bewegen, allerdings auf freundlichem Wege freilich nicht. Abu Reqiq hatte ihn als einen verschlagenen, listigen aber feigen Menschen geschildert. Nun, die List eines Sudanesen fürchtete ich nicht, und die Feigheit war der Punkt, an dem ich ihn zu fassen hatte.

Dies zu thun, war jetzt noch lange nicht an der Zeit. Zunächst genügte es mir, zu wissen, welcher von den Leuten dieser Hubahr war. Ich hatte den Gefangenen nicht verboten, miteinander zu sprechen, und sie machten von dieser indirekten Erlaubnis reichlichen Gebrauch. Indem ich, scheinbar gar nicht auf sie achtend, die abgerissenen Reden verfolgte, welche sie einander zuwarfen und bei denen auch Namen genannt wurden, erfuhr ich bald, wo der Betreffende lag. Er war ein kleiner, schmächtiger Kerl mit drei schrägen Schnittnarben auf den Schläfen und den Wangen und gehörte also dem Fundschvolke an, höchst wahrscheinlich der Abteilung der Hammedsch oder der Beruhn. Sein dunkles Gesicht zeigte eine ausgesprochene Fennek-Physiognomie, und er wäre von mir, auch wenn ich Abu Reqiq nicht belauscht hätte, gleich beim ersten Blicke für ein schlauer Mensch gehalten worden, dem man nicht trauen durfte. Sein ruheloses, unstätes Auge konnte diese Meinung nur begründen. Also das war einer jener Streiter des Islam, von denen ein einziger mehr wert war als tausend tapfere Asaker.

Ich wußte nun genug und beschäftigte mich nur noch mit den nötigen Bestimmungen für die Nacht. Die Wachen wurden so eingeteilt, daß zu je fünf El Homr ein Askari kam, weil ich mich auf meine vier Asaker mehr verlassen konnte, als auf alle sechzig Homr; dann legten wir uns schlafen.

Am Morgen wurde ich auf meinen Befehl sehr frühe geweckt und stieg die Mischrah hinauf, um eine für meine Absicht passende Stelle zu suchen. Als ich sie gefunden hatte, kehrte ich zurück und gab den Befehl, die Gefangenen nach diesem Orte zu schaffen. Dort angekommen, wurden sie entfesselt und dann wieder gebunden, nachdem wir ihnen ihre Kleidungsstücke genommen hatten, welche die heller Gefärbten unter den El Homr anzuziehen hatten. Zwei Asaker und zwanzig Homr sollten bei ihnen bleiben. Sie hatten sich natürlich alle in diese Veranstaltung fügen müssen, Abu Reqiq auch; aber als er hörte, daß er mit seinen Leuten hier bewacht werden sollte, wurde er von seiner Enttäuschung und Besorgnis zu der Frage getrieben:

»Wie kommst du zu diesem Befehle, Effendi? Warum sollen wir nicht unten am Flusse bleiben?«

»Das kannst du dir nicht denken?« antwortete ich.

»Nein.«

»So will ich es dir sagen. Hier oben könnt ihr die Leute vom Chor Omm Karn nicht kommen sehen, und sie vermögen deine Stimme nicht zu hören, wenn du sie aufforderst, euch zu befreien.«

Da rief er erschrocken aus:

»Allah kerihm – Gott sei uns gnädig! Wer hat dich auf den Gedanken gebracht, daß ich das thun will?«

»Frage doch nicht! Wir Christen besitzen die Eigenschaft, die Gedanken der Moslemim so genau zu erraten, als ob sie auf ihren Stirnen geschrieben ständen. Ich werde nicht vor den Leuten aus Omm Karn diese Mischrah verlassen; sie werden mir nicht folgen und euch befreien, und du wirst mir nicht Qualen bereiten, als ob ich hundert Füße hätte, auf denen ich die Bastonnade bekomme. Ich habe dir gesagt, daß ich die Händler, welche du jetzt erwartest, gefangen nehmen werde, und was ich gesagt und mir vorgenommen habe, das pflege ich auch auszuführen. Nun höre noch, was ich den Wächtern, die bei euch bleiben, jetzt anbefehle! jeder von den Gefangenen, der einen lauten Ruf ausstößt oder nicht still und ruhig auf seinem Platze liegen bleibt, soll augenblicklich erstochen werden! Jetzt, Tamek er Rhani, der du dich Abu Reqiq nennst, such deine Hilfe bei dem ›Heiligen‹, welcher seine Streiter über den ganzen Erdkreis senden wird, um die grüne Fahne des Islam in allen Ländern aufzupflanzen. Er hat die Sklaverei als ein Gebot Allahs hingestellt und mag dir helfen, die Gefangenen, welche ich aus deinen Händen befreit habe und die dich jetzt bewachen, wieder in Fesseln zu schlagen und als Reqiq zu verkaufen!«

»Sei verflucht, in die tiefste Dschehenna hinab verflucht!« knirschte er vor Grimm darüber, daß ich ihm die Hoffnung auf die Omm Karn-Leute vernichtet hatte.

An das Ufer zurückgekehrt, wies ich die vierzig El Homr an, wie sie sich zu verhalten hatten. Die Anzüge der Händler wurden von denen angelegt, welche bei mir und Ben Nil zu bleiben hatten; die übrigen sollten sich zurückziehen und sich verstecken, um nicht gesehen zu werden, mit ihnen der dritte und vierte Askari, deren Uniformen die Kommenden verscheucht hätten. Erst hatte ich die Absicht gehabt, die El Homr scheinbar zu fesseln und am Ufer liegen zu lassen, hielt aber bei den jetzigen Verhältnissen diese lästige Vorsichtsmaßregel nicht mehr für nötig.

Als diese Vorbereitungen getroffen worden waren, sahen wir der Ankunft der Erwarteten mit Spannung entgegen. Wenn sie einzeln kamen und einer der ersten Verdacht schöpfte, konnten uns die andern entgehen. Wir überzeugten uns indes sehr bald, daß diese Besorgnis überflüssig war, denn wir sahen sie alle auf einem großen Floße kommen, und zwar nicht über den geteilten Nil. Der Transport des Floßes über die verschiedenen Inselbänke hätte doch Anstrengung gekostet, und so waren sie weiter oben, wo der Strom sich noch nicht geteilt hatte, in das Wasser gegangen und ließen sich nach dem tiefen Arme, an welchem wir uns befanden, herabtreiben.

Als sie angelegt hatten, banden sie das Floß fest und sprangen alle an das Land, ohne erst einen von ihnen abzusenden, um sich von ihrer Sicherheit zu überzeugen. Diese Leute hatten hier wohl schon oft Sklaven in Empfang genommen, ohne dabei gestört worden zu sein, und waren dadurch nachlässig und unvorsichtig geworden.

Sie sahen uns sitzen und kamen auf uns zu. Ich hatte nicht erfahren können, ob sie Abu Reqiq persönlich kannten, und stand auf, sie zu begrüßen; auch die El Homr erhoben sich. Sie kamen bis ganz heran zu uns. Wir wechselten die üblichen Grüße, und dann fragte derjenige von ihnen, welcher der Anführer war, in einem einigermaßen erstaunten Tone:

»Wo ist Abu Reqiq? Ich sehe ihn nicht! Und wo sind die Sklaven, welche wir holen wollen?«

»Sie liegen auf der Höhe der Mischrah,« antwortete ich, »und Abu Reqiq befindet sich bei ihnen. Er hatte geglaubt, ihr brächtet als Bezahlung Waren mit, und war sehr enttäuscht, als er hörte, daß ihr nur Goldstaub hättet.«

»Ist Gold nicht grad so gut wie Ware? Laß uns zu ihm gehen, damit wir die Sklaven sehen können! Wir haben keine Zeit, uns lange zu verweilen, denn der Reis Effendina ist in der Nähe.«

»Was? Der Reis Effendina?« that ich erschrocken. »Ist das möglich? Woher wißt ihr es?«

»Ein Mann, der aus Chrab el Aisch herabgesegelt kam und nach Omm Karn wollte, sagte es uns. Er hat das Jagdschiff des Khedive in Kuek liegen sehen. Wir müssen uns beeilen, denn die Hunde, welche dieses Schiff bewohnen, beißen gern. Allah sei Dank, daß sie sich noch so weit oberhalb dieser Furt befinden und daß dieselbe ihnen unbekannt ist!«

»Du dankest Allah vergeblich.«

»Wieso?«

»Diese Hunde kennen die Furt und sind bereits hier.«

Er sah mir betroffen forschend in das Gesicht und sagte:

»Ich verstehe dich nicht. Du scherzest doch?«

»Nein, denn ich selbst bin einer dieser Hunde.«

Ich schlug ihn bei diesen Worten mit der Faust nieder. Dies war das mit den versteckten El Homr verabredete Zeichen; sie sprangen herbei, und die wenigen Händler wurden von über vierzig Gegnern zusammengedrängt, überwältigt, entwaffnet und gebunden, ehe sie nur recht auf den Gedanken kamen, Gegenwehr zu leisten. Als sie, so schnell überrumpelt und gefesselt, am Boden lagen, schien es ihnen schwer zu werden, die Sache ernst zu nehmen, wenigstens drückten ihre Züge mehr Verwunderung als Schreck aus, und der Anführer herrschte mich an:

»Was ist das für ein Verhalten! Wollt ihr uns etwa eine neu erfundene Phantasia lehren?«

»O nein,« antwortete ich. »Für Scherz hast du ja keine Zeit; es ist keine Phantasia, sondern Ernst. Ich gehöre, wie du an diesen beiden Uniformen sehen wirst, zum Schiff, in welchem Hunde wohnen, und die vierzig Männer, welche euch niedergeworfen und gebunden haben, sind zwei Drittel der Sklaven, welche du kaufen wolltest; ich habe sie gestern Abend befreit und Abu Reqiq mit seinen Leuten gefangen genommen.«

Jetzt stockte ihm der Atem; der Ausdruck der Angst trat auf sein Gesicht, und er fragte, nur mit Zwischenpausen sprechend:

»Höre ich – – – richtig – – – ? Bin ich – – – denn bei – – –Sinnen? Solltet ihr – – – wirklich zum – – – Reis Effendina gehören?«

»Ja, wir gehören zu ihm,« nickte ich.

»Aber du bist – – der Reis wohl – – nicht selbst?«

»Nein, ich bin ein Freund von ihm.«

»Freund – –? Kein – – Untergebener?«

»Nein.«

»Allah, Allah! Da kannst du nur der Ben Nemsi sein!«

»Der bin ich allerdings.«

Es gab nun eine der gestrigen, bei der Ergreifung Abu Reqiqs, ganz ähnliche Scene, so daß es überflüssig wäre, sie zu beschreiben. Es waren ganz dieselben Grobheiten und Verwünschungen, dieselben anmaßenden Drohungen, die ich über mich ergehen lassen mußte, und ich wunderte mich gar nicht darüber, daß Ben Nil mir schließlich den Rat gab, mir auch hier durch die Bastonnade Achtung zu verschaffen. Am schlimmsten wurde das Geheul, als ich den Befehl gab, den Gefangenen die Taschen zu leeren; doch gelang es mit Hilfe kräftiger Hiebe bald, die nötige Ruhe herzustellen. Der Goldstaub wurde heut wie gestern unter Ben Nil und die Asaker verteilt; die übrige Beute fiel den El Homr wieder zu. Als dies vorüber war, transportierten wir die Händler hinauf zu den andern Gefangenen.

Das Zusammentreffen – bei einigen Personen wohl ein Wiedersehen – der beiden Parteien war ein sehr, sehr ruhiges. Niemand sprach ein Wort; aber hätten ihre Gedanken laut werden können, so wäre das ein zum Himmel aufsteigender, betäubender Lärm gewesen. Welcher Haß sprach aus all den Zügen, welcher Grimm aus all den Blicken! Als Muhammedaner betrachteten sie ihre Gefangennahme als ein im Buche des Lebens vorgezeichnetes Ereignis, welches nicht zu umgehen gewesen war; aber daß eigentlich nur sechs Personen das fertig gebracht hatten und daß der Anführer derselben ein Giaur war, das erregte in ihnen eine Wut, welche sie nicht bemeistern und verbergen konnten. Mich ließ diese Wut sehr gleichgültig; die El Homr lachten und freuten sich darüber. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätten wir die Gefangenen samt und sonders in den Nil geworfen, um sie von den Krokodilen, deren es grad hier freilich keine gab, verzehren zu lassen.

Die Leute aus Omm Karn hatten natürlich auch Kamele mit den nötigen Vorräten bei sich gehabt und sie am andern Ufer unter Aufsicht eines Mannes oder einiger Personen zurückgelassen. Diese mußten herübergeholt werden. Ich ließ zu diesem Zwecke ein großes Floß zusammensetzen, welches gegen Mittag fertig war, und machte mich mit einer Anzahl El Homr an die Überfahrt. Ben Nil blieb zurück, um an meiner Stelle den Befehl zu übernehmen.

Wir hatten trotz aller Drohungen nicht erfahren können, an welcher Stelle wir drüben anlegen mußten, doch war es für mich gar nicht schwer, sie, als wir hinüberkamen, zu finden. Ein halb niedergeschnittenes Ambaggebüsch verriet uns den Ort, wo das Floß angefertigt worden war. Nicht weit davon lagen wiederkäuend die Kamele, von einem einzigen Mann bewacht, mit dem wir kurzen Prozeß machten. Wir mußten trotz der Größe des Floßes mehrmals Überfahren, was bis gegen Abend dauerte.

Ben Nil hatte inzwischen oben auf der Mischrah einen sehr passenden Lagerplatz abgesteckt und eingeteilt und den notwendigen Dienst so unter die El Homr vergeben, daß mir nichts zu thun übrig blieb, als ihm die Bestätigung zu erteilen. Proviant war für mehrere Tage da; dennoch ließ ich unser Boot holen, um abends beim Scheine einiger am Ufer brennender Feuer ein Fischstechen zu veranstalten, durch welches wir reichlich frisches Fleisch bekamen.

Die Feuer brannten während der ganzen Nacht, um dem Reis Effendina, falls er kommen sollte, als Zeichen zum Ankerwerfen zu dienen, und am Morgen wurden Posten aufgestellt, um auf sein Nahen acht zu haben. Ich war der Ansicht, daß er des Nachts kommen werde, weil er uns auf der Insel Matenieh wähnte. Wie ich ihn kannte, richtete er es so ein, daß er früh dort ankam, und wenn dies keine falsche Berechnung war, so mußte er nicht lange nach Mitternacht bei uns vorübersegeln. Die Posten besaßen genaue Weisung, wie sie sich zu verhalten hatten.

Es war auch möglich, daß der Reis Effendina, sobald er die Feuer sah, das Schiff weiter oben halten ließ und ein Boot absandte, um zu erfahren, welcher Art Menschen sich bei den Feuern befanden.

Es vergingen zwei Nächte und zwei Tage, ohne daß sich ein Fahrzeug sehen ließ; ich war also nicht nur kalt, sondern sehr kalt gestellt worden, was mich aber nicht ärgern, sondern die Genugthuung, welche ich empfand, nur vergrößern konnte. In der dritten Nacht richtete ich es so ein, daß zwei Asaker nach Mitternacht Wache standen. Die Vermutung, welche mich dazu bewogen hatte, erwies sich als begründet, denn es fiel so gegen zwei Uhr unten an der Mischrah ein Schuß, das verabredete Zeichen, daß ein Schiff in Sicht sei. Ben Nil mußte im Lager bleiben, an dessen vier Ecken Feuer brannten; ich stieg mit den zwei übrigen Asakern hinab. Man sollte zunächst nur mich mit den vier Soldaten finden, die übrigen Leute aber erst dann, wenn es mir beliebte, zu sehen bekommen.

Als wir das Ufer erreichten, zeigten die Posten uns das Mastlicht eines Schiffes, welches eine Strecke aufwärts von uns den Anker geworfen hatte, sobald unsere Feuer bemerkt worden waren.

»Das ist ›Esch Schahin‹, unser Falke,« sagte ich. »Der Reis Effendina wird das Boot zu Wasser lassen und den Lieutenant senden oder selbst kommen.«

»Wie wird es ablaufen, Effendi?« erkundigte sich einer der Asaker, dem es um seinen Goldstaub war.

»Kommt der Lieutenant, so geht alles glatt, wenigstens hier; kommt der Reis aber Selbst, so wird es zunächst einen Auftritt geben.«

»Und dann?«

»Und dann wird sich alles zu eurer Zufriedenheit machen; das verspreche ich euch.«

»Wir danken dir, Effendi! Wir sind durch dich so reich geworden, daß wir nicht mehr nötig haben, des armen Lebens wegen solche Strapazen durchzumachen, und es würde uns also mit großer Wehmut erfüllen, wenn wir das schöne Gold wieder hergeben müßten.«

»Ihr dürft es behalten; verlaßt euch darauf! Stellt euch jetzt in den Schatten, damit ihr nicht gesehen werdet! Und wenn dann Fragen oder gar Vorwürfe an euch gerichtet werden, so sagt kein Wort, sondern überlaßt das Antworten mir.«

Sie zogen sich ins Dunkel zurück, und auch ich setzte mich so, daß man mich vom Wasser aus nicht gleich bemerken konnte. Es währte nur kurze Zeit, so sah ich ein Boot langsam herabgeschwommen kommen. Die sechs Ruder gaben leichten, taktweisen Gegenschlag, so daß das Fahrzeug nicht die Schnelligkeit der Strömung bekam. Diese Langsamkeit wurde durch die Vorsicht geboten. Als es näher kam, sah ich eine hochaufgerichtete Gestalt am Buge stehen; es war der Reis Effendina selbst. Als er niemand bei den Feuern erblickte, ließ er stärkeren Gegenschlag geben, sodaß das Boot trotz der Strömung halten blieb, und rief herüber:

»Bana bak – heda! Wer ist da drüben am Ufer? Antwort, oder ich lasse schießen!«

»Bana bak!« antwortete ich. »Wer ist da drüben im Boote? Antwort, oder ich schieße auch!«

Er erkannte meine Stimme und fragte:

»Ist es möglich? Du bist es, Effendi?«

»Ja.«

»Allein?«

»Nein.«

»Wer ist bei dir?«

»Die Asaker.«

»Wo ist Ben Nil?«

»Einstweilen abwesend.«

»Wo? Auf Matenieh?«

»Nein, sondern hier.«

Er stieß einen Fluch aus und fügte zornig hinzu:

»Wart! Ich komme gleich!«

Der Tanz zu Zweien sollte beginnen; ich sah ihm ruhig entgegen. Das Boot kam herbeigeflogen und legte an; der Reis Effendina sprang heraus und kam zu mir heran, der ich jetzt aufgestanden war. Seine Augen blitzten; er wollte mich zur Rede stellen; da sah er die vier Asaker, welche sich bei seinem Nahen nebeneinander aufgestellt hatten, und fuhr sie zornig an:

»Warum steht ihr hier, ihr Schurken? Warum seid ihr nicht auf Matenieh?«

»Weil sie mir gehorcht haben,« antwortete ich an ihrer Stelle.

Da drehte er sich zu mir herum und fragte:

»Dir? Sind das meine Asaker oder die deinigen? Wem haben sie zu gehorchen?«

»Bis jetzt mir! Du hast sie mir mitgegeben und unter meinen Befehl gestellt!«

»So sind sie jetzt wieder bei mir, und ich mache diesen Befehl null und nichtig. Bist du auf Matenieh gewesen?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil ich nur bis hierher kam.«

»Nur bis hierher? Allah! Ich habe dir aber doch befohlen, bis Matenieh zu gehen!«

Er stellte mich in einem Tone zur Rede, als ob ich ein gewöhnlicher Askari sei. Das machte mir zwar heimlich Spaß, ich durfte es aber nicht dulden; darum nahm ich denselben Oberton an wie er und antwortete:

»Du mir befohlen? Seit wann hast du mir etwas zu befehlen?«

»Seit ich – – –«. Er hielt inne, trat einen Schritt zurück und fragte. »Wie sprichst du mit mir? Fällt es dir etwa ein, mir gegenüber den Gebieter zu spielen?«

»Welch ein Ausdruck! Einfälle habe ich nie, und noch viel weniger bin ich gewohnt, zu spielen; das merke dir! Ich pflege nur stets ganz in derselben Weise zu antworten, in welcher man mich fragt. Mit Grobheiten und Rücksichtslosigkeiten kommt man bei mir nicht fort.«

»Allah ‚l Allah! Ist das der Dank für die Wohlthaten, die ich dir erwiesen habe?«

»Ja, denn es ist kein Dank, weil es keine Wohlthaten gab. Forderst du dennoch Dank von mir, gut! Den deinen aber, den du mir schuldig bist, magst du behalten; ich verzichte auf ihn.«

»So bist du mit mir fertig?«

»Ja.«

»Ich mit dir auch; drum kann ich gehen.«

»So geh!«

Er hatte wohl erwartet, daß ich bitten würde. Bei meiner kurzen, entschlossenen Antwort trat er abermals einen Schritt zurück, sah mich erstaunt an und warnte:

»Weißt du, was du sagst und thust? Du befindest dich nicht in Kairo, sondern in der Halbwildnis am oberen Nil!«

»Das weiß ich auch!«

»Und dennoch sagst du, daß ich gehen soll?«

»Ja.«

»Gut, so sind wir freilich fertig! Wo ist das Boot, welches ich dir geliehen habe?«

»Dort, dreißig Schritte von hier liegt es am Ufer.«

»Ich nehme es mit; ich kann es dir nicht lassen.«

»Ganz wie du willst!«

»Wenn du aber hier zu Grunde gehst!«

»Ich? Pah! Ich versichere dir, daß ich eher in Chartum und auch eher in Kairo sein werde als du.«

»Du bist wahnsinnig; ich mag nichts mehr mit dir zu schaffen haben.«

Er wendete sich von mir ab zu den Asakern und befahl ihnen:

»Fort, ihr Halunken, in das Boot! Ihr rudert nach dem Schiffe und kommt an Bord mit mir!«

Er ging nach seinem Boote. Sie blieben noch einen Augenblick stehen und sahen mich still, besorgt und fragend an. Ich forderte sie leise auf:

»Gehorcht ihm jetzt! Wir sehen uns sehr bald wieder.«

Da gingen sie. Er ließ vom Ufer abstoßen und rief mir da noch zu:

»Ma’assalami – gehab dich wohl! Das Ufer ist dein und das Schiff mein! Wage nicht, es wieder zu betreten, ich würde dich niederschießen!«

»Einverstanden! Ich werde nicht kommen, bis du mich darum bittest. Dieses Ufer ist mein, aber ich werde dir nicht wehren, es zu betreten.«

»Du bist sehr gnädig. Fahre zum Teufel!«

»Das thue ich nicht; aber du fährst in den Tod, du mit allen deinen Leuten!«

Ich legte ganz besonderen Nachdruck auf diese Warnung; er beachtete sie nicht, aber ich wußte, daß sie die beabsichtigte Wirkung nicht verfehlen würde, denn er kannte mich und sagte sich gewiß sehr bald, daß ich ganz sicher einen triftigen Grund haben müssen, ihn zu warnen. Ich sah den beiden Booten nach, bis sie bei dem Schiffe anlegten und wendete mich dann ab, um mich allein beim Feuer niederzusetzen.

Da saß ich nun, ein in die Wildnis Gewiesener! Nicht einmal an meine Effekten, die noch auf dem Schiffe waren, hatte er gedacht. Ich fühlte mich nicht etwa mutlos, o nein, gar nicht! Ich hatte Ben Nil mit seinem Goldstaube; ich hatte die El Homr, und ich hatte – was noch viel mehr, was überhaupt mehr als alles wert war – ich hatte meinen festen Glauben an und mein ebenso felsenfestes Vertrauen zu Gott! Es giebt einen himmlischen Vater, der keines, keines seiner Kinder verläßt, der selbst in der tiefsten Wildnis, in der schauerlichsten Wüste, in der Abgeschiedenheit des fernsten Erdenwinkels bei dem von allen Menschen verlassenen Erdenpilger bleibt, wenn dieser die Hand der ewigen Liebe nicht von sich weist!

Aber traurig war ich, ernstlich traurig. Wo war die einstige Freundschaft dieses Reis Effendina hin? Und was hatte ich gethan, daß sie mir verloren ging? Er forderte eine unverdiente Dankbarkeit von mir, während er die verdiente mir verweigerte. Giebt es etwas Häßlicheres auf Erden als die Mißgunst und den Neid? Konnte sich ein Charakter wie er -und ein Charakter war er doch jedenfalls! – denn nicht von den Flecken freihalten, welche das ethische Schönheitsgefühl so sehr beleidigten? Aber wir sind alle, alle Sünder und ermangeln des Ruhmes, den wir vor Gott haben sollen; darum ging ich mit mir zu Rate und prüfte mein Inneres, in wiefern auch ich mit meinen Fehlern dazu beigetragen hatte, die nach und nach zwischen uns entstandene Kluft allmählich zu vergrößern.

Ich wußte, wie es kommen würde, und war meines endlichen Sieges ganz gewiß; aber lieber, viel lieber wäre es mir gewesen, wenn er mir keine Veranlassung gegeben hätte, ihm diese Niederlage zu bereiten. Jetzt saß er in der Kajüte und ließ sich von den vier Asakern Bericht erstatten; so erfuhr er, was geschehen war; dabei verschwiegen sie ihm, daß sie den Goldstaub bekommen hatten. Dann ging er allein auf und ab, innerlich erregt und mit seiner Mißgunst kämpfend; meine Warnung fiel ihm ein, die jedenfalls nicht grundlos war. Zu den edlen Gefühlen seines Herzens gesellte sich die Stimme der Sorge um sich selbst, die ihm meine Worte wiederholte, daß er mit allen seinen Leuten in den Tod fahren werde. Diesen Regungen mußte er Folge leisten und dieser Stimme Gehör schenken. Dann kam er wieder herbeigerudert, um mir die Hand zur Versöhnung zu reichen.

So sah ich es kommen, und so wartete ich. Aber ich wartete lange, lange, bis der Morgen graute. Der Falke lag noch immer vor Anker, und ich Sah, daß viel mehr Leute an Deck waren, als zur Ssabah-Wache gehörten.

Sie schienen alle abwärts nach der Stelle zu blicken, wo ich jetzt, da es hell geworden war, die Feuer hatte ausgehen lassen. Da, endlich sah ich meine Erwartung erfüllt. Die kleine Jolle wurde herabgelassen, und der Reis Effendina stieg mit nur einem Ruderer ein. Er ließ die Jolle mit der Strömung gehen, bis er sich mir gegenüber befand. Da rief er mir zu:

»Darf ich landen, Effendi?«

»Ja,« antwortete ich.

»Du wirst nicht schießen?« »Seit wann hältst du mich für einen Mörder?« »Gut! Ich komme!«

Er legte an, stieg aus und kam auf mich zu. Ich erhob mich und sah ihm kühl und ruhig in das Gesicht.

»Effendi,« sagte er, »warum erzähltest du mir vorhin nicht, was sich hier ereignet hat?«

»Hast du mir Zeit dazu gelassen?« »Du hättest nicht grob werden sollen!«

»Mache mir immerhin Vorwürfe! Von mir wirst du keine hören. Es würde mir wehe thun, meine Schuld auf andere zu werfen.«

Er wendete sich von mir ab und ging einigemale hin und her; er hatte also den falschen Stolz in seinem Herzen immer noch nicht ganz überwunden. Dann machte er eine schnelle Schwenkung, stand wieder vor mir und fragte:

»Hast du nichts zu bitten?«

»Nein.«

»Nichts zu fragen?«

»Auch nicht.«

»Kein gutes Wort zu geben?«

Also ich sollte thun, was eigentlich ihm zukam. Diese Aussöhnung war nicht herzlich gemeint. Nicht die Freundschaft, sondern die Sorge um sich hatte ihn wieder zu mir hergetrieben. Dennoch besiegte ich mich und antwortete:

»Worte habe ich nicht zu geben, aber diese hier.«

Dabei hielt ich ihm die Hand entgegen. Er schlug ein und erklärte mit gezwungenem Lachen:

»Wir Menschen können trotz aller unserer Klugheit doch die widersinnigsten Thorheiten begehen. Doch, nun ist’s ja wieder gut! jetzt führe mich zu den Gefangenen! Da sie so dumm gewesen sind, mir in die Hände zu laufen, werde ich sie sofort verhören und Gericht über sie halten.«

Dieses letztere sagte er so leichthin, als ob es sich um etwas ganz und gar Selbstverständliches handle, als ob er einem seiner Asaker eine Rüge wegen eines beschmutzten Tarbusch zu erteilen habe. Dabei wendete er sich ab, um fortzugehen.

Das war mir doch zu stark. Wenn er nur gekommen war, um mich in dieser beleidigenden Weise auf die Seite zu schieben, so hätte er an Bord bleiben und weiterfahren können. Ich durchschaute ihn gar wohl. Er wollte es umgehen, mich erzählen zu lassen, denn mein ungeahnter Erfolg hätte seine Absichten zu schanden gemacht, und er fühlte sich blamiert. Der Neid, der böse Neid war wieder erwacht. Ich hielt ihn nicht zurück und setzte mich wieder nieder. Nach einer Anzahl von Schritten bemerkte er, daß ich ihm nicht folgte; da hielt er an, drehte sich um und rief mir zu:

»Warum kommst du nicht? Hast du nicht gehört, daß ich die Gefangenen sehen will?«

»Ich habe es gehört,« antwortete ich.

»So komm!«

»Ich bleibe!«

»Warum?« brauste er auf.

»Weil ich meine Gründe habe.«

»Gründe! Ach, du handelst freilich immer nach Gründen; das ist richtig. Nun, so habe doch einmal die Güte und laß mich deine Gründe hören!«

Er sagte das, indem er langsam zu mir zurückkehrte und dann vor mir stehen blieb, in beinahe ironischem Tone. Kalt und ruhig fragte ich:

»Hast du zwischen Kaka und Kuek jemand gefangen?»

»Nein. Warum fragst du das?«

»Um zu erfahren, wer dir dort in die Hände gelaufen ist.Oder sagtest du nicht, daß jemand so dumm gewesen sei, dir in die Hände zu laufen, über den du nun sofort ein Verhör und Gericht anstellen willst?«

»Ich meinte die Gefangenen hier.«

»Diese? Hier? Maschallah! Die sind keinem Menschen in die Hände gelaufen, am allerwenigsten dir. Ich habe mir redlich Mühe geben und alle meine Thatkraft und List zusammennehmen müssen, um sie in meine, hörst du, in meine Hände zu bekommen; hineingelaufen sind sie mir nicht. Wir waren sechs Mann und haben zwei Trupps Sklavenhändler ergriffen und sechzig Sklaven befreit; das geschieht natürlich nicht in der bequemen Weise, wie du es darzustellen oder auszudrücken beliebst.«

»Laß doch das feine Haarespalten, Effendi! Die Gefangenen gehören mir, und ich werde sie sehen und dann bestimmen, welche Strafe sie erleiden.«

»Dir gehören sie, wirklich dir?«

»Natürlich!«

»So hast du deine eigene Entscheidung vergessen, welche zu treffen du vorhin die Güte hattest.«

»Welche Entscheidung?«

»Das Schiff gehöre dir und das Ufer mir; ich habe diese Entscheidung acceptiert und bin niemals ein leeres Buch gewesen, dessen Blätter man nach Belieben vor- und rückwärts wenden kann.«

»Soll das heißen, daß du es wagen willst, mir zu widersprechen?« fragte er, indem seine Stirne sich in drohende Falten zog.

»Wagen?« lächelte ich zu ihm auf. »Ich wage nichts, gar nichts, wenn ich anderer Ansicht bin als du.«

»Mir das!« rief er, mit dem Fuße stampfend, und mit der Hand nach dem Schiffe deutend, fügte er hinzu: »Du weißt, wie viele Männer und Gewehre sich dort an Bord befinden. Du weißt auch, daß ich dort einen hübschen, kleinen, engen Raum als Gefängnis für widerspenstige Untergebene habe. Willst du es darauf ankommen lassen, daß ich dich zwinge, mir zu gehorchen?«

Da stand ich auf, faßte seinen Arm, daß er vor Schmerz zusammenzuckte, und antwortete:

»Armer Teufel, du! Dein Untergebener bin ich nicht; zu gehorchen habe ich dir nicht, und zwingen lasse ich mich nicht! Versuche es doch mit dem Gefängnisse! Ich glaube, du stecktest eher drin als ich. Und deine Asaker? Ich sage dir: Wenn es dich gelüsten sollte, die Probe zu machen, welcher Wille ihnen höher stehe, der meinige oder der deinige, du würdest sofort erfahren, daß sie nicht dir, sondern mir gehorchen. Versuche es doch! Und bei allen Schejatin eurer sieben Höllen, ich würde dich in das kleine, hübsche Kämmerchen stecken und als Herr des Schiffes dahin segeln, wohin es mir beliebt. Und selbst wenn das alles, alles nicht wäre, so stünde es dir frei, mich mit allen Mitteln, welche dir zur Verfügung stehen, zu zwingen, gegen meinen Willen zu handeln. Hier stehe ich, ein einzelner Mann, vor dir; rufe deine Asaker herbei und befiehl ihnen, mich zu packen. Es wird viel Blut, sehr viel Blut fließen, ehe es einem von ihnen gelingt, das Ufer zu erreichen, und der erste, den ich fassen werde, das bist du selbst, ja, du!«

So drohend hatte ich wohl selten einem Menschen gegenübergestanden, wie jetzt ihm. Er schüttelte meine Hand von seinem Arme ab und schrie mich an:

»Kerl, vergreif dich nicht an mir!«

Seine Augen bohrten sich wie Dolche in die meinigen, doch hielt ich diesen Blick des Grimmes gelassen aus. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, und unter dem vor Wut krampfhaften Zucken seiner Lippen bewegte sich der Vollbart auf und nieder.

»Du hast Hand an mich gelegt; du hast mir gedroht!« stieß er hervor. »Weißt du, was jetzt geschehen wird?«

»Ja.«

»Nun, was? Sage es; sage es schnell!«

»Dein eigenes Lieblingswort wird sich erfüllen: Wehe dem, der wehe thut!«

»Ja, wehe dem, der wehe thut! Du hast dich gegen mich erhoben; du hast gemeutert! Ich besitze die Gewalt über Leben und Tod aller Leute, die auf mein Schiff gehören, und zu diesen zählst auch du. Im Namen des Khedive: Du bist mein Gefangener und hast mir jetzt an Bord zu folgen!«

Er zitterte vor Aufregung, während ich um so ruhiger antwortete.

»Der Name deines Khedive ist mir vollständig gleichgültig; ich stehe nicht in ägyptischem Dienste.«

»Aber in dem meinigen! Ich bin dein Vorgesetzter, dein du zu gehorchen hast. Ich arretiere dich.«

»Ist das denn wirklich dein Ernst?«

»Es ist mir so ernst, daß ich dich augenblicklich niederschießen werde, wenn du nur die geringste Miene oder Bewegung machst, mir zu widerstehen!«

Er zog sein Doppelpistol, spannte beide Hähne und richtete die Läufe gegen meine Brust. Ja, er machte Ernst; das sah ich ihm an. Er war fest entschlossen, auf mich zu schießen, wenn ich nicht gehorchte. Er war kein kalter Abendländer, sondern ein Orientale, der sich nicht beherrschen konnte, zumal er in der fast ganz selbstständigen Stellung, welche er bekleidete, verlernt hatte, sich irgend einem Willen zu fügen. Was sollte ich thun? Ihm gehorchen? Das konnte mir nicht einfallen. Ich war es mir und meiner deutschen Abstammung, auf welche ich stolz wie nur irgend einer bin, schuldig, ja nun erst recht schuldig, ihm zu zeigen, daß ich kein leicht einzuschüchternder Knabe sei. Darum gebot ich ihm in drohendem Tone: »Nimm die Waffe weg!«

»Fällt mir nicht ein!« antwortete er. »Ergiebst du dich mir? Sage es schnell! Denn ich werde nur bis drei zählen; hast du dich da noch nicht gefügt, so schieße ich. Also eins – –«

Er kam nicht einmal bis zur Zwei, denn ich riß ihm schon bei der Eins die Pistole aus der Hand, warf sie weg, faßte ihn bei den Oberarmen, hob ihn auf und schmetterte ihn auf die Erde nieder.

»Hund, räudiger!« brüllte er, indem er sich aufzuraffen suchte. »Das mußt du mit dem Leben bezahlen!«

»Pah!« antwortete ich. »Du bist es, der bezahlen wird; du hast es nicht anders gewollt!«

Dies sagend, schlug ich ihm, der im Aufstehen den Kopf schief gegen mich erhob, mit der Faust so gegen die Schläfe, daß er wieder niedersank und mit einem wie ein Seufzer verschwindenden Atemzuge sich lang ausstreckte. Er hatte das Bewußtsein verloren. Ohne mich zunächst weiter um ihn zu bekümmern, rief ich dem Askari, der noch in der Jolle saß und alles gesehen hatte, zu, herbeizukommen. Er gehorchte. Bei mir angekommen, sagte er, indem er seinen Blick ängstlich zwischen mir und seinem betäubten Vorgesetzten hin und her schweifen ließ:

»Was hast du gethan, Effendi! Ich weiß zwar, daß du recht hast, denn ich habe alles gehört; aber der Reis wird nicht eher ruhen, als bis er diesen Hieb an dir gerächt hat!«

»Ich fürchte seine Rache nicht. Sag mir vor allen Dingen jetzt aufrichtig: Wer ist dir lieber, er oder ich?«

»Meine Antwort lautet so, wie sie dir jeder von uns geben würde: Ihm müssen wir gehorchen, dich aber haben wir lieb.«

»Gut! Ich trete jetzt an seine Stelle. Du weißt, daß ich schon oft für ihn das Kommando über euch geführt habe; so wird es auch jetzt sein. Ihm wird nichts geschehen, und ihr werdet nur Vorteil davon haben. Hilf mir, ihn zu binden und auf die Höhe der Mischrah zu schaffen!«

»Werde ich später nicht dafür bestraft werden, Effendi?«

»Nein; ich verspreche es dir.«

»Du hältst stets, was du versprichst, und so werde ich dir ohne Angst gehorchen.«

Ich nahm dem Reis Effendina die Waffen und fesselte ihn mit seinem eigenen Gürtel; dann trugen wir ihn hinauf, wo meine Rückkehr besonders von Ben Nil mit großer Spannung erwartet worden war. Wie erstaunte er, als wir den Reis Effendina als Gefangenen brachten, und wie staunten dann die El Homr und auch die Sklavenhändler, als sie hörten, wer der gefesselte Mann war, den wir bei ihnen niederlegten. Ich will nicht grad sagen, daß ich va banque spielte, aber ein gefährliches Spiel war es, welches ich wagte. Wenn einer der Faktoren, mit denen ich jetzt rechnete, nicht stimmte, so konnte sehr leicht mein Tod das Fazit sein. Von seiten des Reis Effendina hatte ich, wie ich ihn kannte, nicht die mindeste Schonung zu erwarten. Als er vorhin vom Schiffsgefängnisse gesprochen und ich ihm darauf gedroht hatte, den Spieß umzukehren, war es mir nicht eingefallen, anzunehmen, daß ich gezwungen sein werde, grad diese Drohung auszuführen. Es gab zwar verschiedene leichtere Wege, mich aus der jetzigen Lage zu ziehen, aber sie erschienen mir alle zu unrühmlich, als daß ich einen von ihnen hätte einschlagen mögen. Sollte ich dem Reis Gelegenheit geben, mich der Feigheit zu zeihen? Nein! Lieber wollte ich es auf eine Gefahr ankommen lassen, die vielleicht größer war, als ich sie schätzte. Sollte meine Rolle auf dem »Falken« ausgespielt sein, nun, dann nur in einer Weise, die meinem bisherigen Verhalten und der Achtung, welche ich beanspruchte, würdig war.

Die Sklavenhändler wunderten sich natürlich außerordentlich darüber, daß ich mich so schnell aus einem Verbündeten in einen Gegner des Reis Effendina verwandelt hatte; sie waren neugierig, die Gründe dazu kennen zu lernen, und schlossen sehr wahrscheinlich Hoffnungen an diesen Wechsel meiner Gesinnung gegen ihren gefürchtetsten Feind, doch wagte es keiner von ihnen, eine darauf bezügliche Frage oder Bemerkung auszusprechen. Anders der Schech es Sehf` der befreiten El Homr, welcher seinem Staunen Worte verlieh und sich bei mir erkundigte, wie das so schnell gekommen sei und welche möglichen Folgen es für ihn und seine Gefährten haben könne. Ich belehrte ihn kurz:

»Ich bin keineswegs ein Feind des Reis Effendina geworden, sondern ich habe ihm nur beweisen wollen, daß ich nicht sein Untergebener bin. Für euch wird kein Schaden, sondern nur Vorteil daraus erwachsen, falls ihr auf den Vorschlag eingeht, den ich euch machen werde.«

»Sprich ihn aus, Effendi! Du darfst überzeugt sein, daß wir alles thun werden, was möglich ist, um dir zu zeigen, welch eine große Dankbarkeit in unsern Herzen wohnt.«

»Ich verlange kein Opfer von euch; die Erfüllung meines Wunsches wird vielmehr nur zu eurem Besten dienen. Ihr habt wahrscheinlich die Absicht, zu eurem Stamm auf dem Wege zurückzukehren, auf welchem ihr von Abu Reqiq hierhergeschafft worden seid?«

»Ja, die haben wir, weil es doch keinen andern Weg für uns giebt.«

»Es giebt einen. Die Kamele, welche euch hier zur Beute gefallen sind, reichen nicht zu für euch alle; aber wenn ihr mit mir auf das Schiff des Reis Effendina kommt, so kann ich euch nach wenigen Tagen mit so vielen Reit- und Lasttieren und dazu Waffen und Proviant versorgen, daß ihr auf dem Abu Hable-Wege eure Heimat mit viel größerer Bequemlichkeit und Sicherheit erreichen werdet. Nur wünsche ich, daß ihr euch, so lange ihr auf dem Schiffe seid, durch keinen Menschen verleiten laßt, etwas Feindliches gegen mich zu unternehmen.«

»Was denkst du von uns, Effendi! Du hast uns errettet und bietest uns jetzt neue Wohlthat an, und wir sollten im stande sein, dir mit Undank zu lohnen? Allah ist mein und unser Zeuge, daß wir unser Leben für dich einsetzen würden, wenn wir Gelegenheit bekämen, dich in unsern Schutz zu nehmen.«

»Ihr geht also auf meinen Vorschlag ein?«

»Gern, sehr gern! Wir werden überhaupt alles thun, was du von uns verlangst. Betrachte dich als unsern Anführer, und sei überzeugt, daß wir dir gehorchen werden.«

»Gut, ich nehme dieses Anerbieten an, welches euch größere Vorteile bringen wird, als ihr jetzt wissen könnt.«

»Wann sollen wir das Schiff besteigen?«

»Wenn ich von dort zurückkehre; ich gehe erst allein an Bord, um mit den Soldaten zu sprechen, denn ich muß ja – –«

»Was?« fiel mir Ben Nil in die Rede. »Das hieße ja, dein Leben auf das Spiel setzen. Wenn du wirklich an Bord gehen Mußt, so gehe ich mit, Effendi!«

»Sei nicht so hitzig, lieber Ben Nil. Ich weiß ganz genau, was ich thun und was ich wagen darf. Übrigens habe ich eine Aufgabe auch für dich, welche nicht wenig Mut erfordert.«

»Welche?«

»Du fährst jetzt in der Jolle nach dem Schiffe, besteigst es aber nicht, sondern richtest nur die Weisung von mir aus, daß der Schiffslieutenant und die beiden Steuerleute an das Land kommen sollen, weil ich mit ihnen zu sprechen habe.«

»Sie werden aber vom Schiffe aus gesehen haben, daß du den Reis Effendina niedergeschlagen hast!«

»Desto wißbegieriger werden sie sein. Übrigens weißt du, daß sie meine Freunde sind; sie kommen auf jeden FA. Du gehst aber nicht an Bord, sondern hast nur deine Botschaft auszurichten und dann zu mir zurückzukehren. Jetzt geh!«

Er schüttelte zwar den Kopf, verzichtete aber auf fernere Einsprache und entfernte sich. Eben waren seine Schritte verklungen, da begann der Reis Effendina sich zu bewegen. Er schlug die Augen auf, ließ den Blick erstaunt im Kreise schweifen und kam, als er fühlte, daß er gefesselt war, zur Besinnung dessen, was sich zwischen ihm und mir ereignet hatte. Da strengte er alle seine Kräfte an, sich frei zu machen, und herrschte, als ihm dies nicht gelang, mir zu:

»Hund, du hast dich nicht nur an mir vergriffen, sondern mich sogar gebunden! Ich wollte dich nur erschießen lassen, weil du gemeutert hast; nun aber wirst du durchgepeitscht und wie ein ehrloser Wicht am Stricke aufgehängt! Ich befehle dir, mich auf der Stelle loszubinden!«

»Ich sagte dir schon, daß du mir nichts zu befehlen hast,« antwortete ich; »der Befehlende bin im Gegenteile jetzt ich. Du hast das Band unserer Freundschaft ohne allen Grund zerrissen und mir soeben selbst eingestanden, daß du die Absicht hattest, mich erschießen zu lassen. Es ist kaum auszusagen, welche Dummheit das von dir war, denn du hast mich genau gekannt und mußtest wissen, wie ich auf solche Angriffe zu antworten pflege. Was ich für dich that, wurde mir mit Mißachtung und Zurücksetzung belohnt. Der häßlichste Neid war es, der mich nach der Matenieh schickte, und als ich auch da geschickter und glücklicher war als du, beschlossest du gar meinen Untergang. Armer, armer Reis Effendina! Wie konntest du nur glauben, mir gewachsen zu sein!«

Diese in mitleidigem Tone gesprochenen Worte erreichten ihren Zweck; er fühlte sich so schwer beleidigt, daß er keine Worte, sondern nur einen heisern Schrei als Antwort fand. Ich fuhr fort:

»Wehe dem, der wehe thut! Du hast meinen Tod gewollt; deine Feindschaft fällt auf dich selbst zurück.«

»So willst du mich ermorden?« knirschte er mich grimmig an. »Meine Asaker würden mich schrecklich rächen!«

»Pah! Ich habe dir schon gesagt, daß die Asaker nicht zu dir, sondern zu mir halten werden. Auch weißt du gar wohl, daß ich kein Mörder bin; du hast mir ganz im Gegenteile sehr oft vorgeworfen, daß ich selbst dem ärgsten Feinde gern verzeihe.«

»Ich verzichte auf deine Verzeihung. Der berühmte Reis Effendina, der alle seine Gegner bloß durch seinen Namen in Furcht und Angst versetzt, hat nicht nötig, einen Christen um Vergebung anzubetteln!«

»Das sollst du auch nicht; ich verzeihe ohne Bitte, mache dich aber darauf aufmerksam, daß ich mich weder vor dir selbst, noch gar vor deinem Namen fürchte.«

»So zeige doch den Mut, dein Maul zu öffnen, um mir zu sagen, was du mit mir vorhast!«

»Sprich höflicher mit mir, sonst bekommst du die Bastonnade, wie sie dort Abu Reqiq bekommen hat.«

Ein abermaliger unartikulierter Wutschrei war die Antwort; ich aber erklärte lächelnd weiter:

»Du wirst dich wohl auf jedes Wort besinnen, welches ich unten am Ufer zu dir sprach, also auch auf die Antwort, welche ich dir gab, als du mir mit dem kleinen engen Raume drohtest, in den ich gesperrt werden sollte. Diese Antwort wird jetzt in Erfüllung gehen: Du wirst Gefangener auf deinem eigenen Schiffe sein, dessen Reis ich von jetzt an bin. Deine Freiheit erhältst du natürlich erst dann zurück, wenn wir in Chartum angekommen sind.«

Das klang so ungeheuerlich, und er wurde durch mein Lächeln und durch die Ruhe meiner Ausdrucksweise in eine solche Aufregung versetzt, daß er in ein krampfhaftes Gelächter verfiel und nur stoß- und pausenweise die Worte hervorbrachte:

»J a – j a – j a – – und in Chartum – – würde ich dich und alle Asaker – – die dir gehorchten – – als Aufrührer – – hinrichten lassen! Oh, wie klug – – wie ungeheuer klug du bist!«

Ich nickte zustimmend und antwortete sehr ernsthaft.

»Ja, diese meine Klugheit ist allerdings so groß, daß du sie jetzt noch gar nicht fassen kannst. Wir werden unterwegs ganz ohne dich einen großartigen Fang machen, der uns grad dadurch gelingen wird, daß du gefangen bist, und mir nichts verderben kannst. Und der hochberühmte Reis Effendina wird in Chartum mild wie ein Lamm gegen uns sein und kein Wort davon sagen, daß er eingesperrt gewesen ist, weil es sonst mit dieser seiner Berühmtheit vollständig aus sein würde. Was würde der Pascha oder gar der Khedive dazu sagen, wenn er erführe, was geschehen ist. Der Reis Effendina verdankt seine Erfolge einem fremden Christen, weil dieser es verstand, alle Ungeschicklichkeiten des Reis zum guten Ende und Erfolg zu führen. Der Reis, anstatt ihm zu danken, wurde neidisch und faßte den Plan, ihn einzusperren und beiseite zu schaffen. Der Christ aber war klüger als er und kam ihm zuvor; er schlug ihn nieder wie einen kleinen Knaben, steckte ihn in dasselbe Loch, übernahm den Befehl über die Asaker, die durch ihn Ehre und Beute ernteten, und führte den ›Falken‹ schließlich nach Chartum, wo er seinen Gefangenen dem Pascha übergab und diesem bewies, daß alle Erfolge der langen Fahrt, auch die Ausrottung Ibn Asls und seiner Sklavenjäger, nicht dem Reis Effendina, sondern ihm, dem Christen, zu verdanken seien! So würde es von Mund zu Mund gehen; das würden sich die Kinder in den Gassen und die Weiber auf den Dächern erzählen. Dazu kommt, daß der Christ kein angeworbener Askari ist und unter dem Schutze seines Konsuls steht, also über alle Drohungen des Reis Effendina lachen kann.«

Neugierig auf den Erfolg meiner Worte, machte ich jetzt eine Pause. Vor einer Minute noch fast außer sich vor Wut, lag er jetzt still und ruhig da; er hielt die Augen geschlossen und sagte nichts. Er mußte ja einsehen, daß ich recht hatte, daß ihn nur Lächerlichkeit, wenn nicht gar Schande erwartete und es mit seiner Berühmtheit vorbei sein mußte. Ich hätte ihm noch mehr sagen und ihn noch mehr warnen können; da aber kam Ben Nil und meldete mir:

»Sie werden kommen, Effendi; das Boot wird schon in das Wasser gelassen.«

»Was haben sie mir dir gesprochen?«

»Nichts. Ich sollte erzählen, bin aber, als ich deinen Auftrag ausgerichtet hatte, sogleich wieder fortgerudert.«

»Gut! Ich weiß, daß du mir treu bist und daß ich mich auf dich verlassen kann. Ich gehe für kurze Zeit fort, und du beaufsichtigst den Reis Effendina. Er soll während meiner Abwesenheit kein Wort sprechen. Bei der ersten lauten Silbe, die er hören läßt, giebst du ihm das Messer in die Brust. Verstanden?«

»Ja, Effendi. Er ist der undankbarste Mensch, den ich kenne, und ich verspreche dir bei Allah, daß ich, wenn er nur den Mund öffnet, ihn nicht schonen werde!«

Er zog sein Messer und setzte sich zu ihm nieder. Ich bat den Schech es Sehf, mir mit zehn Homr zu folgen, und sah, noch ehe wir das Ufer erreichten, das Boot mit den drei Erwarteten kommen. Die Homr waren sehr erfreut darüber, mir ihre Dankbarkeit schon jetzt beweisen zu können. Ich postierte sie an eine geeignete, versteckte Stelle, sagte ihnen kurz, wie sie sich verhalten sollten, und näherte mich dann dem Wasser so weit, wie ich es für meine Absichten rätlich fand. Sie sahen mich stehen, legten an, stiegen aus und kamen auf mich zu. Sie waren ohne Säbel und Schießwaffen und hatten nur ihre Messer bei sich.

»Du hast uns rufen lassen, Effendi,« sagte der Lieutenant. »Allah hat Streit und Unglück über uns gebracht. Wir sahen, daß du den Gebieter niederwarfst. Wo ist er? Was hast du ihm gethan? Wir sollten dich als Feind behandeln, denn wir sind seine Offiziere; aber wir haben dich lieb und wissen, daß das Unrecht nie auf deiner Seite ist. Was hast du mit uns zu sprechen?«

»Setzt euch hier nieder! Ich will euch erzählen.«

Sie folgten dieser Aufforderung, und ich nahm ihnen gegenüber in der Weise Platz, daß sie, falls ich den Revolver zog, nichts gegen mich unternehmen konnten. Dies that ich, obgleich ich glaubte, annehmen zu dürfen, daß sie sich wenigstens innerlich zu mir und nicht zum Reis Effendina bekennen würden. Dann leitete ich meine Erzählung mit dem Hinweise auf die Undankbarkeit ihres Kommandanten ein; ich wies auf seine Strenge und Unnahbarkeit auch ihnen gegenüber hin; ich brachte alles vor, was ich für nötig fand, sie meinem Plane geneigt zu machen, und teilte ihnen schließlich mit, was hier an dieser Stelle zwischen ihm und mir vorgefallen war. Als ich geendet hatte, befanden sie sich über ihr nunmehriges Verhalten in größter Verlegenheit. Die Überzeugung rief sie an meine Seite, die Pflicht aber gegen mich. Keiner wollte das Wort zuerst ergreifen, und erst, als ich den Lieutenant direkt aufforderte, fragte er:

»Der Reis Effendina liegt also gefesselt bei den andern Gefangenen?«

»Ja.«

»Was gedenkst du, nun zu thun?«

»Ich werde den Befehl über das Schiff übernehmen und einen Fang ausführen, von dem ich euch noch nichts gesagt habe.«

»Hast du auch bedacht, Effendi, daß wir als Soldaten auf der Seite des Reis stehen müssen, obgleich unsere Freundschaft zu dir uns gebietet, dir zu helfen?«

»Ich habe es bedacht.«

»So sag, wie du uns von diesem Widerstreite befreien willst. Mach es uns Möglich, deine Freunde zu bleiben, ohne daß wir Feinde des Reis Effendina werden!«

»Das kann ich thun. Sagt mir aber vorher eure Ansicht über das Verhalten der Asaker! Wenn ich jetzt an Bord gehe und, mitten unter ihnen stehend und ihnen reiche Beute verheißend, sie auffordere, nicht ihm, sondern mir zu gehorchen, für wen werden sie sich entscheiden?«

»Für dich; das ist sicher und gewiß. Ihn fürchten sie, dich aber lieben sie. Sie sind nur bis Chartum verpflichtet; dort treten sie aus dem Dienstverhältnisse, und wenn sie durch dich Beute erhalten, werden sie dem Reis Effendina noch eher davonlaufen. Aber denke nicht nur an sie, sondern auch an uns!«

»Das thue ich, wie ihr gleich hören werdet. Vor allen Dingen seht hier die beiden Revolver in meinen Händen. Wer von euch nach seinem Messer greift, bekommt sofort eine Kugel in den Kopf!«

»Aber, Effendi, du wirst doch – –«

»Still, kein Wort! Was ich sage und thue, geschieht zu eurem Besten. Dort hinter dem Gebüsch stehen elf Homr-Beduinen. Ich winke sie herbei, damit sie euch zum Scheine binden. Wir schaffen euch zum Reis Effendina, und dann seid ihr jeder Verantwortung enthoben. Natürlich werde ich euch hinter seinem Rücken als Freunde behandeln und euch sogar an der Beute teilnehmen lassen.«

»Aber, Effendi, wenn wir auf diesen Vorschlag eingingen, welcher allerdings den besten Ausweg bietet, wie zornig würde er darüber sein, daß wir uns haben festnehmen lassen!«

»Zornig? Ihr werdet von mir und elf Homr überrumpelt; er aber ist von mir allein überwältigt worden; er hätte also seinen Zorn mehr gegen sich selbst als gegen euch zu richten.«

»Das ist wahr. Du verstehst es jetzt wie stets, deine Absichten zu verteidigen. Was wirst du aber thun, wenn wir uns weigern, darauf einzugehen?«

»Da mache ich aus dem Scheine Ernst. Meine Gefangenen werdet ihr auf jeden Fall. Gegen meine Revolver und die elf Homr könnt ihr nicht aufkommen; darum hoffe ich, ihr werdet verständig sein und mich nicht zwingen, das Blut meiner Freunde zu vergießen. Entscheidet euch schnell, denn ich habe keine Zeit!«

Es gab mir heimlich Spaß, daß ich die guten Leute so fest hatte. Sie sprachen noch eine kleine Weile hin und her, kamen aber doch nicht darüber hinweg, daß mein Vorschlag der beste sei, und so erklärte der Lieutenant endlich:

»Rufe die Homr herbei, Effendi! Aber sie dürfen es nicht verraten, daß wir uns freiwillig binden lassen. Der Reis Effendina muß denken, daß wir uns sehr gewehrt haben!«

»Dafür will ich schon sorgen; sagt ihr nur auch ihm, daß er sich ja nicht auf die Asaker verlassen soll! Wenn es euch gelingt, ihm diese Überzeugung beizubringen, ist sogar eine noch andere und viel bessere Lösung möglich. Wenn ihr ihn auf die Schande aufmerksam macht, die ihn und euch erwartet, sobald man erfährt, wie ich ihn überwältigt und seine ganze Macht an mich gerissen habe, wird er mir vielleicht das Kommando abtreten, ohne daß ich euch und ihn in Fesseln zu halten brauche. Aber merkt wohl auf: Das Kommando will ich haben; davon gehe ich unter keiner Bedingung ab!«

Ein Wink von mir genügte, die Homr herbeizurufen; die drei Offiziere wurden leicht gebunden und hinaufgeschafft, wo ihr Anblick den Reis Effendina mit Schreck erfüllte. Er hatte nicht gewagt, ein Wort laut werden zu lassen; jetzt aber fragte er mich.

»Effendi, darf ich wieder sprechen?«

»Ja,« antwortete ich. »Aber bemühe dich ja, höflich zu sein, und denke an deinen Ruf, mit dem es für immer zu Ende ist, wenn du nicht die Klugheit besitzest, dich in die jetzige Lage zu finden, die du selbst verschuldet hast.«

»Erlaubst du mir, mit diesen meinen drei Untergebenen zu reden, ohne daß es jemand hört?«

Er sprach schon vom »Erlauben«; er mußte also schon ziemlich tief in sich gegangen sein; wenigstens war sein jetziger Ton ein ganz anderer als der frühere.

»Soll auch ich es nicht hören?« fragte ich dagegen.

»Auch du nicht; höchst wahrscheinlich aber wirst du dann erfahren, was wir besprochen haben.«

»Die Klugheit verbietet mir, dir diesen Wunsch zu erfüllen, denn ihr werdet ja doch nur Pläne schmieden, welche gegen mich gerichtet sind, doch um dir zu zeigen, daß ich euch nicht fürchte, sollst du deinen Willen haben. Ich gebe dir eine Viertelstunde Zeit, länger nicht.«

Ich ließ die vier Männer so weit zur Seite tragen, daß sie, von uns andern ungehört, aber doch beaufsichtigt, miteinander reden konnten, und war auf das Resultat nicht sehr gespannt, denn ich sah es mit ziemlicher Sicherheit voraus. Die Viertelstunde war noch nicht ganz vorüber, als er mich zu sich rief. Er fragte mit unterdrückter Stimme, so daß es weiter niemand hörte:

»Du willst wirklich auf das Schiff, um die Asaker für dich zu gewinnen?«

»Ja.«

»Sie werden sich nicht verleiten lassen!«

»Pah! Versuche doch nicht, mich zu täuschen. Du bist ebenso fest wie ich überzeugt, daß ich gar nicht viele Worte zu machen brauche, um meine Absicht zu erreichen. Wärest du aufrichtig und klug, so wüßtest du, was du mir zu sagen hast.«

»Was sollte das wohl sein?«

Meine Gutmütigkeit veranlaßte mich, ihm den schweren Schritt zu erleichtern, indem ich antwortete:

»Übergieb mir das Kommando bis nach Chartum, das vollständige Kommando, so daß mir kein Mensch etwas dreinzureden hat!«

»Und was giebst du mir dafür?«

»Die Freiheit, dir und diesen drei Offizieren, welche mir von jetzt an bis Chartum zu gehorchen, auf dich aber nicht zu achten und zu hören haben.«

»Allah akbar! Du willst mir schenken, was mir gehört!«

»Siehe dich an, so wirst du nicht behaupten, daß du im Besitze der Freiheit seist!«

»Hältst du es denn wirklich für möglich, daß ich, der berühmte Reis Effendina, meine ganze Macht einem andern übergebe?«

»Es ist nicht nur möglich, sondern geradezu unvermeidlich, vollständig unabwendbar, denn ich werde mir das Kommando auf jeden Fall nehmen, und wenn ich dir erlaube, es mir anzutragen, so ist das ein Akt meiner Güte, für den du mir zu danken hast!«

Sein Gesicht wollte einen zornigen Ausdruck annehmen; er beherrschte sich aber und seufzte:

»Du hast Schach mit mir gespielt und mich dabei mat gemacht!«

»Vergiß nicht, daß du mir Schach geboten hast und trotzdem und aus eigener Schuld mat geworden bist! Mir wurde das Spiel aufgedrängt; nun setze ich es fort bis zum letzten Zuge. Nach allem, was ich für dich that, wolltest du mich vom Schiffe entfernen; jetzt will ich Herr des Schiffes sein. Von dieser Forderung weiche ich nicht ab.«

»Das ist Rache, und doch hast du stets behauptet, daß ein wahrer Christ sich niemals rächen werde!«

»Du irrst dich; es ist etwas ganz anderes als Rache. Du hast mich mit Mißachtung und Geringschätzung behandelt, mich, der ich in hundert Gefahren, die ich für dich bestand, mir deine vollste Hochachtung erworben hatte; darum gebietet mir nun die Ehre, dich zu zwingen, mir das zu geben, was du mir verweigert hast. Ich habe gesiegt, und wenn meine Nachsicht dir jetzt Gelegenheit bietet, den Schein zu retten, so sei ja so klug, sie zu ergreifen, denn wenn du dich nicht schnell entscheidest, so nehme ich später keine Bitte mehr an, sondern schleppe euch jetzt als Gefangene an Bord und gebe euch erst in Chartum wieder frei. Und wolltest du mich dort anklagen, so würde ich es verstehen, mich nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich, so daß alle Welt es lesen kann, so zu rechtfertigen, daß dein ganzer Ruhm, von dem du immer und auch jetzt noch redest, zum Scheitan in die Dschehennah fährt!«

Da sank ihm das Kinn ganz auf die Brust herab; er schwieg eine Weile; dann zuckte es wie ein rettender Gedanke über sein Gesicht, und er sagte:

»Gut, du sollst das Kommando bis nach Chartum haben. Nun gieb uns aber augenblicklich frei!«

»Hm! Hast du etwa eine Hinterthür gefunden, durch welche du mir entschlüpfen willst? Ich pflege nicht mit Netzen, welche zerrissene Maschen haben, auf den Fang zu gehen. Ich kenne die Thür, an welche du jetzt dachtest, und werde dir zeigen, wie fest ich sie verschließen kann.«

Sein Eingehen auf meine Forderung war natürlich nur ein erzwungenes; innerlich suchte er nach einem Mittel, mich schnell wieder los zu werden, und da war ihm jedes recht, auch das verwerflichste, wenn es nur zum Ziele führte. Er war selbst jetzt noch überzeugt, daß er klüger sei als ich, und hielt sich trotz seiner gegenwärtigen Lage für pfiffig genug, es mit mir aufzunehmen. Dieser Gedanke ließ, wenn auch nur für einen Augenblick, den Ausdruck des Hohnes über seine Züge gleiten, und es war von ihm eine sehr unvorsichtige Hast, mit welcher er fragte:

»Eine Thür? Ich kenne keine und bin sogar bereit, dir die Abtretung des Oberbefehls schriftlich zu geben!«

Diese Schrift bot mir gar keine Sicherheit; er konnte sie mir stehlen oder mit Gewalt entreißen lassen; dennoch ging ich darauf ein, indem ich mit scheinbar zufriedener Miene beistimmte:

»Ja, thue das! Das war es, was ich wünsche. Du trägst deine Brieftasche stets bei dir. Hast du Papier?«

»Ja, und auch einen Bleistift.«

»So werde ich dir diktieren, und der Lieutenant und die Steuermänner sollen Zeugen deiner Unterschrift sein.«

Ich band ihm die Hände los; er holte die erwähnten Gegenstände aus der Weste und schrieb mit einer Bereitwilligkeit, welche man anerkennenswert hätte nennen können, wenn sie nicht auffällig gewesen wäre, mein kurzes Diktat nieder. Als er die Unterschrift hinzugefügt hatte, gab er mir das Papier und sagte:

»So, jetzt hast du vollständige Sicherheit und wirst mich freigeben!«

»Höre erst eine Frage! Hier steht, daß ich bis Chartum vollständig an deine Stelle trete und daß selbst du dich mir zu fügen hast. Das hat als dein fester Wille zu gelten?«

»Ja.«

»Die drei Zeugen haben es gehört. Sie mögen nach dem Schiffe zurückkehren und es dort verkünden.«

»Ich nicht mit?«

»Du bist mir hier noch nötig; habe nur Geduld!«

Ich band die Genannten los und schickte sie nach dem »Falken«. Ben Nil mußte sich als Wächter zu dem Reis Effendina setzen, und ich ging zu den gefangenen Sklavenhändlern. Dort gab ich Hubahr, dem Spione, die Füße frei, doch die Hände nicht, und führte ihn ein Stück fort zwischen die Büsche. Als ich dort mit ihm stehen blieb, sah er mir erwartungsvoll in das Gesicht. In welcher Absicht mochte ich ihn von den andern abgesondert haben?

»Wenn ich nicht irre, wirst du Hubahr genannt?«

»Ja. Effendi,« nickte er.

»Weißt du, welches Schicksal euch erwartet?«

»Der Tod, Effendi, wenn Allah nicht so gnädig ist, es zu verhüten.«

»Allah ist gerecht und doch barmherzig. Seine Gerechtigkeit wird alle deine Kameraden vernichten; dich aber wird seine Barmherzigkeit erretten, wenn du dich ihrer würdig zeigst.«

»Mich, Effendi? Allah ‚l Allah! Was muß ich thun, mich ihrer würdig zu machen?«

»Meine Fragen genau der Wahrheit gemäß beantworten.«

»Sprich sie aus, oh, sprich sie aus! Ich werde so wahr und so aufrichtig sein, als ob der Richter des jüngsten Tages mich fragte.«

»Versprich mir nicht zu viel! Ich kenne dich und weiß, daß deine Gedanken anders sind, als deine Worte klingen.«

»Du irrst dich; ja, du irrst!«

»Nein. So weiß ich zum Beispiel, daß ihr euch nicht für verloren haltet, sondern fest an eure Rettung glaubt.«

»Wer dem Reis Effendina in die Hände fällt, der ist nicht zu retten. Wohin sollten wir unsere Hoffnung richten?«

»Nach El Michbaja.«

Er hatte sich bemüht, ein Unbefangenes, aufrichtiges Gesicht zu zeigen, und das war ihm bisher auch ganz gut gelungen; jetzt aber war es ihm unmöglich, seinen Schreck zu verbergen. Er stotterte:

»El Mich – – ba – – ja? Was ist das, Effendi? Das – – das kenne ich nicht!«

»Ganz wie du willst! Ich habe dich von den andern abgesondert, um dich zu retten; aber wenn dir so viel daran liegt, mit ihnen zu Grunde zu gehen, so fällt es mir nicht ein, dir die Freiheit, und das Leben aufzuzwingen. Komm!«

Ich that, als ob ich wieder mit ihm zurückkehren wollte; da bat er mich:

»Warte noch, Effendi, warte! Vielleicht besinne ich mich; vielleicht fällt es mir noch ein, ob ich die Michbaja kenne!«

»Das hoffe ich um deinetwillen und will dir darum auf die Spur helfen. Die Michbaja ist ein Versteck auf einer Halbinsel des Niles, wo man eine ganze Menge Reqiq verborgen hat.«

»Reqiq – –?«

»Ja. Dort steht auch Tag und Nacht ein Posten, um auf das Erscheinen unsers Schiffes, welches überfallen werden soll, aufzupassen.«

»Davon habe ich keine Ahnung, Effendi!«

»So! Auch nicht davon, daß die Bemannung des Schiffes getötet oder verkauft werden kann, ganz nach Belieben, daß aber zwei Personen, nämlich der Reis Effendina und ich, ausgeliefert werden sollen?«

»An wen?«

»An den Murabit von Aba.«

»Den kenne ich nicht.«

»Sonderbar! – Du kennst deinen eigenen Lehrer nicht?«

»Meinen Lehrer?«

»Ja. Du bist doch der Schüler von Moharnmed Achmed Ibn Abdullahi, der dich in der Terika des Scheiches Mohammed Scherif unterrichtet hat?«

»Du siehst, wie ich erstaune. Du verwechselst mich mit einem ganz, ganz andern Menschen.«

»Schwerlich! Es kommt noch etwas, was sehr genau auf dich stimmt. Nämlich der Hubahr, den ich meine, ist zu Abu Reqiq gesendet worden, um sein Führer nach El Michbaja zu sein. Das bist doch du!«

»Nein, das bin ich nicht! Wer hat dir diese Lüge gesagt?«

»Das verrate ich jetzt noch nicht. Du bist also nicht derjenige, von dem ich spreche?«

»Nein.«

»So thut es mir leid um dich! Du gefällst mir, und ich hätte dich sehr gern gerettet, was nur dann geschehen könnte, wenn du wirklich dieser Hubahr wärest. Lege dich nieder!«

Ich drückte ihn zu Boden und band ihm die Füße wieder zusammen. Da fragte er:

»Warum legst du mir schon jetzt die Fesseln wieder an? So kann ich doch nicht zurückgehen. Willst du mich tragen?«

»Nein. Du wirst gar nicht wieder zurückkehren. Da ich dir nicht das Leben retten kann, sollst du wenigstens die Qualen der Gefangenschaft nicht so lange erleiden, wie die andern; ich will dich von ihnen befreien, indem ich dich hier aufhänge.«

Ich sagte das im Tone der größten Gemütlichkeit. Er riß den Mund weit auf und starrte mir mit dem Ausdrucke des Entsetzens in das Gesicht. Ich hatte mich mit einem Stricke versehen und schickte mich an, ihm denselben um den Hals zu knüpfen. Da bekam er die vor Schreck verlorene Sprache wieder:

»Effendi, töte mich nicht; töte mich nicht! Ich will dir die Wahrheit sagen! Ich bin der Mann, den du meinst.«

»Gut! Wo liegt die Michbaja? Beschreibe sie genau!«

Er sammelte sich und folgte dann meiner Aufforderung, beging aber dabei die Unvorsichtigkeit, die Michbaja in die Gegend von Abu Schoka am Bahr el Asrak zu verlegen.

»Schweig lieber!« unterbrach ich ihn. »Du willst mich betrügen, weil du glaubst, daß der Überfall auf unser Schiff doch gelingen wird, wenn wir abwärts segeln.«

»So meinst du, daß die Michbaja von hier abwärts am Bahr el Abiad liegt?«

»Ja. Und weil du mich täuschen willst, werde ich dich doch jetzt aufknüpfen müssen.«

Ich bückte mich mit dem Stricke wieder zu ihm nieder; da jammerte er mir zu:

»Laß mich; laß mich, Effendi! Ich will nicht sterben; ich will leben bleiben! Ich werde dich nun nicht mehr belügen, sondern dir die reine Wahrheit sagen!«

Ich sah es ihm an, daß jetzt die angeborene Feigheit die Macht über ihn bekam; er schien im Begriffe zu stehen, mir jetzt wirklich nur Wahres mitzuteilen. Um ihm dies zu erleichtern, kam ich ihm zu Hilfe:

»So will auch ich aufrichtig gegen dich sein. Ich weiß genau, daß du der Mann bist, von dem ich sprach; ich habe es von Abu Reqiq und von Geri, seinem Mulasim erfahren.«

»Von diesen beiden?« fragte er, hoch aufhorchend. »Darf ich glauben, was du sagst?«

»Ja, du hast gehört, daß ich alles von dir weiß; ist es da nicht klar, daß ich, der Fremde, es von ihnen erfahren haben muß? Es ist dir bekannt, daß niemand außer Abu Reqiq wußte, wer du bist; er hat es Geri mitgeteilt, und dann erfuhr ich es von beiden.«

»Allah! Das sehe ich jetzt freilich ein. Nur Abu Reqiq hat es gewußt, und da du es nun auch weißt, mußt du es von ihm erfahren haben. Effendi, weshalb hat er es dir mitgeteilt?«

»Bist du so dumm, daß du dir das nicht selbst denken kannst?«

»Dumm? Das bin ich nicht; das bin ich nie gewesen. Oh, ich denke mir gar wohl, weshalb er und der Mulasim geplaudert haben: sie haben sich retten wollen. Die Bastonnade hat ihnen Angst gemacht; nun möchten sie frei sein, und wir andern sollen ihre Sünden büßen. Aber nun gebe ich nicht zu, daß sie gerettet werden. Ich will auch frei sein, und mein Leben ist so kostbar wie das ihrige. Wenn du mir Gnade versprichst, so will ich dir ganz genau sagen, wo die Michbaja liegt.«

»Ich habe dir für diesen Fall schon versprochen, dich zu schonen, und werde mein Wort halten. Aber wenn du mir jetzt nicht die volle Wahrheit sagst, wirst du dich später selbst durch die größte Offenheit nicht retten können. Du wirst auf dem Schiffe eingesperrt bleiben, bis wir an der Michbaja vorüber sind; dann gebe ich dich frei. Doch falls du mich wieder belügest, bist du der erste, welcher sterben muß, denn ich werde dich an Händen und Füßen an diejenige Stelle nageln lassen, welche den Kugeln der Angreifer am meisten ausgesetzt ist.«

»Oh Allah, segne mich mit deiner Hilfe! Ich soll angenagelt werden! Ist es dir ernst damit, Effendi?«

»Voller Ernst. Oder meinst du, daß wir uns in einer spassigen Lage befinden? Eure einzige Hoffnung steht darauf, daß ihr an El Michbaja gerettet werdet; dies könnte nur dann geschehen, wenn wir ahnungslos in diese Falle liefen; du hörst aber, daß wir sie kennen, und wirst also einsehen, daß eure Hoffnung eine vergebliche ist. Du kannst dir das Leben nur dadurch erhalten, daß du aufrichtig, vollständig aufrichtig mit mir bist. Nun wähle, was du willst, Wahrheit oder Lüge, Leben oder Tod!«

»Ich wähle die Wahrheit und das Leben, Effendi. Du kannst dich darauf verlassen, daß ich dich nicht wieder täuschen werde!«

»Getäuscht hast du mich noch nicht und wirst mich auch niemals täuschen können; das merke dir! Dennoch fordere ich jetzt von dir den Beweis deiner Aufrichtigkeit. Wenn du wieder lügst, hängst du zwei Minuten später hier am Baume, und kein Bitten und kein Versprechen kann dich von dem Tode des Erhängens retten. Also sag, wo ist El Michbaja zu suchen?«

»Du wirst die volle Wahrheit hören, Effendi, denn ich sehe ein, daß ich von Abu Reqiq nichts zu hoffen habe und daß nur du allein mich befreien kannst. Ist dir der Lauf des Bahr el Abiad von hier bis zur Insel Aba bekannt?«

»Leidlich.«

»Man kommt rechts an Gagumude und links an Omm Delgal, Nasabel, Omm Songur und Omm Saf vorüber. So schnell, wie eine Dahabijeh abwärts fährt, dauert es hinter dem letzteren Orte drei Stunden, dann fließt der Nil eine ganze Stunde lang so gerade wie der Schaft einer Lanze nach Norden. Nun biegt er plötzlich nach links ein und umströmt eine Halbinsel, welche so dicht bewaldet zu sein scheint, daß kein Mensch durchdringen kann. Aber es giebt mehrere schmale und versteckte Pfade, welche alle auf eine Lichtung stoßen, wo eine Art von Seribah erbaut worden ist, in der jetzt außerordentlich viel Reqiq aufbewahrt wird. An einer Uferstelle, wo man die Länge des Niles nach Süden weit überschauen kann, steht die Schildwache, welche auf euch aufzupassen hat.«

»Also drei Stunden unterhalb Omm Saf! Da muß man doch den Dschebel Ain rechts liegen sehen können?«

»Das ist richtig, Effendi. Sobald du den Dschebel Ain erblickst, bist du noch sicher; aber kurze Zeit später wird euer Schiff schon von dem Posten gesehen. Glaubst du das, was ich dir jetzt gesagt habe?«

»Ja. Ich werde darum noch milder gegen dich verfahren, als du denkst. Du sollst nicht eingesperrt werden; aber ich hoffe, daß du auch meine weiteren Fragen mit derselben Wahrheit beantwortest. Jetzt habe ich keine Zeit, sie zu thun. Ich werde dich hier anbinden und dich in kurzer Zeit abholen, denn die Sklavenhändler sollen nicht wissen, daß ich mit dir eine Ausnahme mache. Verhalte dich still; es wird dir nichts geschehen!«

Ich band ihn an einen Baum, und zwar so, daß es ihm zwar keine Schmerzen machte, er sich aber auch nicht befreien konnte. Er sollte nicht wieder mit seinen bisherigen Kameraden zusammen kommen. Als ich dann wieder auf dem Lagerplatze eintraf, fuhr mich der Reis Effendina laut, so daß alle es hörten, an:

»Wo treibst du dich herum? Wie lange soll ich noch gefesselt bleiben? Ich habe gethan, was du verlangtest; nun fordere ich aber auch von dir, daß ich losgebunden werde!«

»Das wird geschehen, sobald ich mich überzeugt habe, daß die Asaker alle deine Schrift respektieren und ich das Kommando also in Wirklichkeit überkommen habe. Ich werde zu diesem Zwecke jetzt an Bord gehen.«

»Ich will aber gleich frei sein, sofort!«

»Du willst? Oh, ich glaube ganz gern, daß du willst, muß dir aber zu bedenken geben, daß jetzt mein Wille maßgebend ist, nicht der deinige.«

»Mensch, bringe mich nicht in Wut! Du wirst es bereuen, sobald ich wieder an Bord gekommen bin!«

»Welche Unvorsichtigkeit von dir! Du sprichst jetzt den Gedanken aus, den ich dir schon vorhin, ehe du schriebst, vom Gesichte abgelesen habe. Diese Schrift sollte mich bloß kirr machen; du hättest sie beim Betreten des Schiffes sofort null und nichtig gemacht und mich sehr wahrscheinlich in das hübsche, kleine Zimmerchen stecken lassen, welches du schon für mich bestimmtest, kurz bevor ich dich mit der Faust zu Boden schlug.«

Er stieß als unfreiwillige Bestätigung der Wahrheit meiner Voraussetzung einen grimmigen Fluch aus und warf mir darauf die Frage zu:

»So scheint es wohl, daß ich jetzt gar nicht an Bord kommen soll?«

»Es scheint, daß erst ich mich hin verfüge. Was dann geschieht, wirst du erfahren. Jetzt bleibst du unter der Aufsicht Ben Nils und der El Homr hier liegen, und diese Männer werden dafür sorgen, daß du dich so ruhig und bescheiden beträgst, wie es sich für meinen jetzigen Untergebenen geziemt.«

»Alle tausend Teufel! Du, der Christ, der nichts, gar nichts ist gegen mich, wagst es – –«

Er konnte nicht weiter sprechen, denn Ben Nil legte ihm die linke Hand an die Kehle, setzte ihm mit der rechten die Messerspitze auf die Brust und drohte:

»Schweig! Beleidigst du meinen Effendi nur noch mit einem Worte, so steche ich dich durch und durch! Er hat recht: er ist jetzt der Kommandant des Schiffes, der Gewalt über Leben und Tod der Besatzung hat, und du bist sein Untergebener. Du hättest, ehe du ihn durch deinen Hochmut, deine Mißachtung und Undankbarkeit beleidigtest, bedenken sollen, daß er in einer einzigen Viertelstunde mehr Klugheit entwickelt, als du in deinem ganzen Leben gezeigt hast und noch zeigen wirst!«

Ich glaubte nicht, daß diese Beleidigung den Reis Effendina einschüchtern werde; sie hatte aber doch diesen Erfolg. Er warf sich auf die Seite, um mich nicht mehr zu sehen, und schwieg. Ich gab Ben Nil die mir für meine Abwesenheit nötig scheinenden Weisungen und entfernte mich, indem ich zunächst wieder zu Hubahr ging, den ich losband; ich gab ihm auch die Füße frei. Wir gingen miteinander zum Ufer hinab, an welchem die Jolle noch lag. Wir stiegen ein, und ich ruderte uns zum Schiffe. Auf meinen Befehl wurde erst Hubahr hinaufgeholt und wieder an den Füßen gebunden; dann schwang ich mich an Deck.

Es war allen schon bekannt, daß ich den Oberbefehl erhalten hatte, und die Freude, mit welcher ich empfangen wurde, war jedenfalls nur bei verschwindend wenigen eine nicht aufrichtige. Da ich alle Ursache hatte, mit der Zeit sparsam umzugehen, ließ ich mich auf keine langen Reden und Erklärungen ein. Die Asaker mußten, vom Lieutenant bis zum letzten Mann herunter, antreten und mir Treue und Gehorsam in die Hand versprechen. Von den übrigen Personen brauchte ich das nicht zu verlangen, weil ich ihrer Sympathie noch sicherer war, als derjenigen der Soldaten.

Hierauf ließ ich den Anker heben und den »Falken« abwärts bis zur Mischrah gleiten, wo wir an einer tiefen Stelle so nahe an das Ufer legten, daß die Verbindung zwischen Land und Bord schnell und doch haltbar herzustellen war. Das letztere war wegen der Kamele nötig, die wir an Bord zu nehmen hatten.

Obgleich ich glaubte, mich auf die Asaker verlassen zu können, ließ ich doch keinen von ihnen an das Ufer gehen, denn es galt, ein Zusammentreffen mit dem Reis Effendina zu verhindern. Ich gab einen Schuß ab; das war das mit Ben Nil verabredete Zeichen, daß die Einschiffung beginnen könne. Hierauf kamen die El Homr von der Höhe herab, um zunächst eine Landungsbrücke zusammenzusetzen, wozu das große Floß der Omm Karn-Leute mitverwendet wurde. Dann holten sie die gefangenen Händler, um sie in den untersten Raum des Schiffes zu schaffen. Hierauf kamen die Kamele an die Reihe, und endlich ließ ich unser Vierruderboot aus seinem Verstecke holen und mit Lebensmitteln versehen, worauf ich es mit vier kräftigen und wohlbewaffneten Asakern besetzte.

Als das geschehen war, ging ich allein an das Land und stieg zur Höhe, wo sich jetzt nur noch der Reis Effendina mit dem ihn bewachenden Ben Nil befand.

»Es ist gut, daß du kommst!« sagte der letztere. »Der Reis will nicht mehr Ruhe halten, so daß ich schon einigemale ansetzen mußte, ihn zu erstechen!«

»Über das Erstechen lache ich!« höhnte der Gefangene. »Ich weiß doch, daß dieser Christ viel zu viel Angst vor seinem Gotte hat, als daß er den Mut besitzen könnte, diese Drohung wahr zu machen! Ich will jetzt unbedingt wissen, woran ich bin. Die El Homr sind fort; die Händler sind fort; was soll nun mit mir geschehen? Wenn ich nicht auf der Stelle von meinen Fesseln befreit werde, lasse ich, sobald ich an Bord komme, euch beide erschießen! Wißt ihr, ich bin der berühmte Reis Effendina, und wer sich in der Weise an mir vergreift, wie ihr es gethan habt, der macht sich eines todeswürdigen Verbrechens schuldig, für welches es nur die größte Strenge, niemals aber Gnade geben kann!«

»Sprich doch nicht schon wieder von deiner Berühmtheit!« antwortete ich. »Was mit dir geschehen soll, das will ich dir wohl sagen. Ich glaube, daß ich dir in jeder Beziehung gleichstehe, und unter Gleichstehenden muß für den einen das billig sein, was er für den andern als recht gehalten hat. Darum werde ich dich genau so behandeln, wie du mich behandelt hast. Du warst Befehlshaber des ›Falken‹ und hast mich mit vier Soldaten auf dem kleinen Boote nach der Matenieh geschickt, wo es keinen Fang zu machen gab. Ich habe trotzdem Erfolge gehabt, welchen du dein volles, ungeteiltes Lob hättest zollen sollen. Jetzt bin ich der Kommandant des Schiffes und schicke dich mit auch vier Soldaten und demselben Boote abwärts nach der Insel Talak chadra, wo es auch keine Hoffnung giebt, einen Fang zu machen. Wenn du der tüchtige Mann bist, für den du dich hältst, wirst du, grad so wie ich, trotzdem auch Erfolge haben, und ich werde dann gerechter als du sein und dir mein Lob nicht vorenthalten.«

Diese Worte brachten einen unbeschreiblichen Eindruck auf ihn hervor. Zunächst starrte er mich wortlos an, als ob er sich besinnen müsse, ob er wache oder träume; dann sprühten seine Augen einen Strahl von Wut auf mich, der mich niedergeworfen hätte, wenn er materieller gewesen wäre, und hierauf brach eine Flut von Flüchen und Verwünschungen los, die ich über mich ergehen ließ, bis er, um Atem zu schöpfen, eine Pause machen mußte. Da fiel ich schnell ein:

»Dein Fluchen und Schmähen hilft dir nicht nur nichts, sondern es würde meinen Entschluß nur noch fester machen, falls ich geneigt gewesen wäre, in Anbetracht unserer früheren Freundschaft von ihm abzuweichen. Und daß du bei jeder Beleidigung mein Christentum hervorhebst, macht eine Änderung meiner Absicht vollends zur Unmöglichkeit. Du wirfst mir vor, mich in Schutz genommen zu haben; ich aber glaube, es ist umgekehrt der Fall. Ich habe deines Schutzes nie bedurft; du rechnetest im Gegenteile stets auf meine Hilfe. Und wenn ich wirklich der unbekannte, niedrige, unbedeutende Christenhund wäre, wie du mich jetzt genannt hast, so würde das nur ein Lob für mich bedeuten, denn es müßte mir hundertfache Bewunderung einbringen, daß es diesem Hunde nichts weiter als nur den Willen gekostet hat, selbst den berühmten und mächtigen Reis Effendina zu bezwingen und ihm sein hinterlistiges und verstecktes Spiel abzugewinnen.«

Er wollte wieder losbrechen; ich ließ ihn nicht dazu kommen und fuhr fort:

»Schweig, sonst sehe ich mich gezwungen, dich durch einen Knebel stumm zu machen! Was ich dir jetzt noch sagen will, habe ich dir nur zu deinem eigenen Nutzen mitzuteilen. Ich segle sofort ab. Du wirst im Boote alles finden, was du brauchst, und sehr klug thun, wenn du dich beim etwaigen Landen so versteckt wie möglich hältst, denn es giebt von hier bis zur Dschesireh Talak chadra Leute, welche dich fangen und töten wollen. Der Talke‹ wird zwar viel schneller sein, als dein Boot, und ich werde mich bemühen, dir alle Gefahren aus dem Wege zu räumen, aber ich will dich dennoch ganz besonders vor der Gegend zwischen Omm Saf und Abu Seir warnen. – So, jetzt bin ich fertig. Du kannst sicher sein, den Talken‹ am Ufer der Insel Talak chadra zu finden. Was du dann mit mir machen willst, das geht mich nichts an; das ist allein deine Sache!«

»Vernichten werde ich dich, du Hund!« brüllte er.

»Versuche es! Es hat mich schon mancher vernichten wollen und ist dabei nur selbst zu Grunde gegangen. Leb wohl! Allah gebe dir eine gute Fahrt und schenke dir unterwegs die Ruhe des Gemütes und die notwendige Einsicht, ohne welche unser Wiedersehen mich nicht erfreuen kann und dir nur Schimpf und Schaden bringen muß!«

Jetzt begann er, wie ein Besessener zu brüllen und mit aller Gewalt an seinen Fesseln zu zerren; das focht mich nicht an, denn ich war mit ihm fertig. Ich forderte Ben Nil auf, mir hinunter nach dem Flusse zu folgen, bis wohin die Stimme des Reis Effendina nicht ganz zu dringen vermochte. Dort angekommen, gab ich den vier Soldaten den Befehl:

»Wenn wir abgesegelt sind, wartet ihr eine halbe Stunde; dann mag einer von euch da links zur Höhe steigen, wo sich der Reis Effendina befindet; von ihm werdet ihr erfahren, wozu ich euch bestimmt habe.«

Wir gingen an Bord, wo ich den Befehl gab, vom Lande zu stoßen. Indem er ausgeführt wurde, kam der Lieutenant zu mir und fragte in ängstlichem Tone.

»Willst du ohne den Reis Effendina von hier fort? Was soll aus ihm werden! Und was können wir vorbringen, wenn man Rechenschaft von uns verlangt und es – –«

»Beruhige dich; es ist alles in Ordnung!« unterbrach ich ihn. »Da er mir den Oberbefehl übergab, habt ihr mir zu gehorchen und seid keinem Menschen als nur mir Rechenschaft schuldig. Ihr könnt das jedermann durch das von ihm ausgestellte Dokument beweisen, welches ich dir zu diesem Zwecke hiermit übergebe. Um sein Wohl braucht ihr euch nicht zu sorgen, weil ich dafür gesorgt habe. Er hat triftige Gründe, nicht jetzt mit uns zu fahren, sondern hinter uns her zu kommen, weil man ihm weiter abwärts auflauert und nach dem Leben trachtet.«

»Hm!« meinte er kopfschüttelnd. »Ich fühle, daß du da diplomatisch redest. Du sagst zwar wohl keine Lüge, aber dennoch wird es anders sein, als du sprichst. Wärest du nicht der Mann, auf den wir uns stets verlassen konnten, so würde ich mich dir widersetzen; so aber bitte ich nur um dein Wort, daß dem Reis Effendina nichts geschieht und daß du die Macht, welche er dir übergeben hat, nicht zu unserm Schaden anwenden willst!«

»Ich gebe dir dieses Wort und füge hinzu, daß ihr alle anstatt Schaden nur Nutzen haben werdet.«

»Das genügt mir, Effendi. Ich will nicht in deine Geheimnisse eindringen, weil ich es für besser halte, sie nicht zu kennen. Du siehst, ich kann auch diplomatisch sein!«

Er war beruhigt und ich dadurch auch, weil nur er es hätte wagen können, sich gegen meine Befehle aufzulehnen. Bald hatten wir die Nilarme hinter uns, und der Fluß bildete wieder eine ungeteilte Wasserfläche, auf welcher unser schneller »Falke« bei günstigem Winde abwärts schoß. Seit wir die Mischrah hinter uns hatten, war mir das Herz wohlthuend leicht, da ich mich erst nun als Sieger fühlen durfte. Ich hatte ein großes Wagnis bestanden; vielleicht lag ein noch viel größeres vor mir, doch konnte mich das nicht ängstlich machen, zumal ich jetzt gar keine Zeit hatte, mich mit Sorgen um die Zukunft zu beschäftigen; die Gegenwart nahm mich ganz in Anspruch.

Ich hatte mich zu überzeugen, daß die gefangenen Händler sicher untergebracht waren, und für die Unterkunft der El Homr Sorge zu tragen. Die Kamele machten uns zu schaffen. Hundert Fragen wurden an mich gerichtet, auf welche ich ebenso viele Auskünfte zu erteilen hatte, und es dauerte lange, ehe die nötige Ordnung herrschte und ich es mir in der Kajüte des Reis Effendina bequem machen konnte.

Ben Nil wurde oben auf dem Verdeck von allen Ohren, welche unser Erlebnis hören wollten, in Anspruch genommen; ich hatte ihm untersagt, Genaueres über mein Verhalten zu dem Reis Effendina zu berichten, und da auch der Lieutenant und die beiden Steuerleute nicht darüber auszufragen waren, so blieben die Asaker in Unwissenheit darüber, daß ihr Kommandant gefesselt und gezwungenermaßen zurückgeblieben war. Was Hubahr, den Spion, betrifft, so hielt ich ihm mein Wort: ich ließ ihn nicht mit den andern Gefangenen einsperren; er war bei ihrer Einschiffung versteckt worden, so daß sie ihn gar nicht gesehen hatten, und durfte sich jetzt frei auf dem Deck bewegen. Nur als wir abends bis zum Aufgange des Mondes anlegen mußten, wurde er wieder gebunden. Diese Zeit wurde übrigens dazu benutzt, das für die Kamele nötige Futter vom Ufer zu holen.

Über die Fahrt bis Omm Saf ist nichts Wichtiges zu sagen. Wir kamen kurz nach Mittag am jenseitigen Ufer vorüber; dies geschah aus Vorsicht, weil ich grad dort nicht wissen lassen wollte, daß unser Schiff der »Falke« sei. Darum waren auch, um möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen, alle Segel beschlagen worden, und wir ließen uns nur von der Strömung treiben.

Aus diesem Grunde dauerte es drei volle Stunden, ehe wir die letzte Krümmung des Flusses erreichten, hinter welcher er eine Stunde lang, wie Hubahr gesagt hatte, in gerader Richtung auf die Michbaja zu floß. Ich ließ nach der innersten Stelle dieser Uferkehle steuern und dort anlegen. Als dies geschehen war, wurden die dem Wasser zugekehrte Seite des Schiffes und die Masten mit grünen Zweigen verkleidet, so daß wir, ganz nahe am dichten Walde liegend, von fern nur schwer gesehen werden konnten.

Jetzt lag die Michbaja nur noch eine Stunde abwärts von uns, und wir standen, oder vielmehr ich stand vor einer Aufgabe, deren Lösung ich mir nicht leicht vorstellen durfte.

Kein Mensch außer mir wußte, warum ich hier an dieser Stelle hatte anlegen lassen, denn selbst Hubahr ahnte es nur. Ich hatte nur bekannt gegeben, daß unsere jetzige Fahrt uns höchst wahrscheinlich reiche Beute bringen werde, und dadurch eine allgemeine frohe Stimmung hervorgerufen; etwas Bestimmtes aber war sogar dem Lieutenant nicht mitgeteilt worden, Daß ich jetzt das Schiff maskieren ließ, brachte ihn auf den Gedanken, daß dies mit der versprochenen Beute in Verbindung stehen müsse, und er fragte mich, ob diese Vermutung richtig sei. Nun weihte ich ihn in meine Absicht ein, das große, reiche Nest auszunehmen, welches jenseits der Flußkrümmung vor uns lag, und teilte ihm mit, was ich darüber erfahren hatte. Er geriet in die größte Aufregung und hätte gewiß Alarm gemacht, wenn er nicht von mir daran verhindert worden wäre. Nun sollte ich ihm die Michbaja und meinen Plan, sie zu überfallen, genau beschreiben; aber ich kannte sie ja selbst noch nicht und hatte auch noch keinen bestimmten Plan gefaßt, denn ich war so vorsichtig gewesen, sie gegen Hubahr gar nicht wieder in Erwähnung zu bringen. Ich traute ihm doch noch nicht recht und wollte ihn erst im letzten Augenblick durch Überraschung zur Wahrheit zwingen. Dieser Augenblick war nun gekommen, und ich bat den Lieutenant, Hubahr zu holen und zu mir in die Kajüte zu bringen. Dieser war wie immer, wenn wir angelegt hatten, so auch jetzt angebunden worden.

Anstatt daß der Lieutenant zurückkam, hörte ich kurz nach seiner Entfernung laute Stimmen schreien, und darauf fiel ein Schuß. Ich eilte auf das Deck und sah alle dort anwesenden Mannen über die Regeling nach dem Ufer blicken, während Ben Nil mit erhobenem Gewehre auf mich zugeeilt kam und mir zurief.

»Wie gut ist es, Effendi, daß ich mein Gewehr fast niemals aus den Händen lege. Hätte ich es nicht bei mir gehabt, so wäre er entkommen.«

»Wer?«

»Hubahr, der Halunke. Der Lieutenant knüpfte ihn los und gab ihm nicht nur die Füße, sondern auch die Hände frei; da arbeitete sich der Schurke schnell durch die ihn umstehenden Asaker hindurch und schwang sich auf die Brüstung, um hinüber auf das nahe Ufer zu springen. Der Sprung ist ihm gelungen, aber weiter nichts, denn eben als er die Erde erreichte, traf ihn meine Kugel in den Kopf; er ist also nicht an das Ufer, sondern in die Hölle gesprungen, von wo er nicht mehr ausreißen kann!«

Es war so, wie Ben Nil sagte; als ich an die Regeling trat, sah ich Hubahr mit durchschossenem Kopfe tot am Ufer liegen, so dicht am Wasser, daß es seine Füße benetzte. Er hatte die Bewohner der Michbaja warnen wollen. Nun war nichts mehr von ihm zu erfahren; aber ich war dennoch ganz damit zufrieden, daß ich bis jetzt gewartet hatte, ihn auszuforschen; er hätte mir doch vielleicht eine Falle gestellt, während ich mich jetzt auf mich allein verlassen mußte, also auf einen Mann, der mich jedenfalls nicht zu betrügen suchte.

Der Lieutenant verriet große Lust, sich wegen seiner Unvorsichtigkeit selbst zu ohrfeigen; ich ersuchte ihn, dies zu unterlassen, da er den Toten dadurch doch nicht lebendig machen könne.

»Aber wir hätten von ihm alles, alles über die Michbaja erfahren, und nun wissen wir nichts, gar nichts von ihr, als daß sie eine Stunde von hier abwärts liegt. Vielleicht ist auch nicht einmal dieses richtig; dieser Schurke kann dich damit belogen haben!«

»Nein; damit hat er die Wahrheit gesagt; ich habe es ihm angesehen.«

»Gut, wenn es so ist! Und da kommt mir ein Gedanke, Effendi. Wollen wir nicht die andern Gefangenen zwingen, uns zu sagen, was sie wissen?«

»Sie wissen weniger als ich, wenigstens auch nicht mehr, und so können wir darauf verzichten, sie ins Verhör zu nehmen.«

»Aber wie können wir die Michbaja überfallen, wenn sie, die überdies bewacht wird, uns so ganz und gar unbekannt ist?«

»Ich weiß einen, der sie zwar jetzt auch noch nicht kennt, aber in kurzer Zeit kennen gelernt haben wird.«

»Wer ist das?«

»Ich bin es.«

»Allah! Willst du etwa hin, um sie auszukundschaften?«

»Ja.«

»Das laß bleiben, Effendi, denn das würde doch nur heißen, dich in den sichern Tod stürzen!«

»Ich habe größere Gefahren bestanden, als diese ist!«

»Nein, gewiß nicht! Denn wenn du dich nach der Michbaja schleichst, um sie heimlich kennen zu lernen, wird man dich entdecken!«

»Wer sagt denn, daß ich heimlich hin will?«

»Doch nicht etwa offen?«

»Doch, ganz offen! Heimlich könnte ich nur des Nachts hin. Wie will ich da im dichten Walde die verborgenen Pfade finden und die ganze Einrichtung der Seribah erkunden? Nein, ich muß am Tage hin und mich ganz offen zeigen, so offen, wie ich jetzt hier vor dir stehe.«

»Allah behüte mich vor dem Teufel und allen seinen Enkeln und Urenkeln! Man wird dich erkennen und auf der Stelle töten!«

»Ich habe keinen Grund, anzunehmen, daß jemand da ist, der mich kennt. Es müßte einer von Abd. Asls Leuten sein; diese sind aber damals nach Chartum gebracht und dort bestraft worden. Und bedenke, wie ich mich seitdem verändert habe! Dürr wie ein Gerippe geworden, bin ich von der Sonne so verbrannt, daß meine Gesichtshaut derjenigen eines Negers gleicht. Lege ich mir ein Pflaster über die eine Wange, so wird selbst ein früherer Bekannter schwerlich herausbringen, wer ich bin.«

»Das mag möglich sein; aber dennoch ist das, was du vorhast, so ungeheuer gefährlich, daß ich dir abraten muß. Was sollen wir thun, wenn dir ein Unglück geschieht? Höre wenigstens erst, was die beiden Steuermänner und auch dein Ben Nil dazu sagen. Thue mir den Gefallen, Effendi, und erlaube, daß wir eine Beratung halten!«

»Diesen Gefallen will ich dir gern thun; aber viel Zeit darf diese Besprechung nicht in Anspruch nehmen, weil ich noch vor Abend bei der Michbaja eintreffen muß.«

Die Steuerleute und Ben Nil wurden geholt. Alle drei, besonders der letztere, baten mich, von meinem Vorhaben abzulassen, und als ich dennoch bei demselben blieb, flehte mich der gute »Sohn des Niles« an, wenigstens nicht allein zu gehen, sondern ihn mitzunehmen. Dies war aber unmöglich, weil seine Gegenwart die Gefahr, in welche ich mich begab, nicht verringern, sondern nur vergrößern konnte. Ich hatte die Beratung nur pro forma abgehalten, und da ich auf meinem Plane beharrte, konnten sie doch nicht anders, als schließlich ja dazu sagen.

Die Vorbereitungen, welche ich zu treffen hatte, machten keine Schwierigkeiten. Ich legte mir ein Pflaster, welches so aussah, als ob es schon sehr alt sei, quer über die linke Wange und ließ mir für einstweilen den Goldstaub wiedergeben, den ich an Ben Nil und die Asaker verteilt hatte. In einem der Beutel hatte sich, wie ich erst jetzt erfuhr, der Siegelring Abu Reqiqs gefunden, ein Umstand, der mir sehr zu statten kam; ich steckte ihn an den Finger. Meine Waffen mußte ich alle zurücklassen und rüstete mich dafür mit einem Messer und einer arabischen Flinte aus. Zu meinem Plane gehörte auch der Befehl, die Leiche Hubahrs an Bord zu holen und recht sichtbar aufzuhängen, am Abende das Deck zu erleuchten und die gefangenen Händler heraufzuschaffen und so dort anzubinden, daß sie und besonders Abu Reqiq vom Ufer aus gesehen werden könnten. Der Lieutenant hielt das für eine große Unvorsichtigkeit, doch Ben Nil forderte ihn auf:

»Thu nur ja alles, was der Effendi dir befiehlt! Er weiß alles zu berechnen, und oft ist grad das, was ganz dumm erscheint, die allergrößte Pfiffigkeit von ihm.«

Ich traf noch verschiedene Anordnungen, von denen die wichtigste für den Fall bestimmt war, daß ich bis Mitternacht nicht zurückgekehrt sein sollte, und ließ dann die Bohle auslegen, um an das Land zu steigen. Von da aus warf ich einen ermunternden Gruß zurück und drang hierauf in den Uferwald ein, um ihn zu durchqueren und dann parallel dem Flusse abwärts zu wandern.

Es fiel mir gar nicht ein, mir die Gefahren zu verheimlichen, denen ich entgegenging; aber es giebt in mir eine, ich will sagen, ahnende Stimme, auf welche ich mich stets habe verlassen können. Wenn sie mich warnte, habe ich mich immer gehütet, meinem Willen zu folgen; stimmte sie mir bei, so war mir der Erfolg gewiß. Heut war mir so getrost und siegesfroh zu Mute, daß ich hätte darauf schwören mögen, ich bringe meine schwarzgebrannte Haut vollständig heil wieder auf das Schiff zurück.

Das Ufer war an dieser Stelle nicht steil, sondern ziemlich flach und der Wald so schmal, daß ich schnell seinen Saum erreichte. Ich prägte mir die Stelle, an welcher ich ihn verließ, genau ein, um sie am Abende nicht zu verfehlen, und wanderte dann so schnell nordwärts, wie das allerdings nicht sehr bequeme Terrain es mir gestattete. Nach Verlauf einer guten Stunde glaubte ich, mich in der Nähe der Michbaja zu befinden. Der Waldstreifen, welcher hier zumeist aus Subakh- und Suffarahbäumen bestand, machte hier einen so scharfen Bogen, daß ich annehmen mußte, dahinter liege die Nilkrümmung, welche die Halbinsel der Michbaja bildete. Vor mir gab es ziemlich dichtes Nabak- und Kittrbuschwerk, und auf der andern, freien Seite kam – – – ah, da kam ein Reiter, wirklich ein Reiter, welcher nicht auf einem Kamele, sondern auf einem Pferde saß, hier eine große Seltenheit.

Ich setzte meinen Weg unbeirrt fort; als er mich sah, blieb er halten und sah mir in einer Weise entgegen, als ob er staune, hier einen ihm fremden Menschen zu erblicken. Jetzt muß ich gestehen, daß die Umstände mich zwangen, mich leider auf die Lüge zu verlegen; man wird mich damit entschuldigen, daß es geradezu Wahnsinn gewesen wäre, die Wahrheit zu sagen. Ich gehöre übrigens zu den Menschen, welche zwischen Lüge und Unwahrheit ebenso einen Unterschied machen, wie zwischen List und Hinterlist.

Als ich näher kam, sah ich, daß das Pferd vollständig in ein Moskitonetz gehüllt war, ein sonderbarer Anblick. Der Reiter stand zwischen dem Mannes- und Greisenalter, gab sich eine Ehrfurcht gebietende Haltung und musterte mich mit so mißtrauischen Blicken, daß es mir hätte bange werden mögen. Bei ihm angekommen, blieb ich stehen, kreuzte die Arme und wollte grüßen; da aber kam er mir zuvor, indem er, seine Hand auf die Brust legend, mich mit »Es selahm ‚alejkum« anredete. Er war also ein Anhänger der strengen Regel, welche fordert, daß der Reiter den Fußgänger zuerst zu grüßen hat. Ich antwortete in seinem Dialekte:

»Aleikumu ’s selahmu wa rahmatu-Ilahi wa barakatuh –über Euch sei Friede und das Erbarmen Gottes und sein Segen!«

Er musterte mich jetzt womöglich noch schärfer als vorher, legte die Hand an den Kolben der Pistole, welche in seinem Gürtel steckte und fragte kurz:

»Du bist fremd?«

»Ja.«

»Schon einmal hier gewesen?«

»Nein.«

»Was willst du hier?«

»Das kann ich nur dem sagen, der hier zu gebieten hat.«

»Wer ist das?«

»Ich weiß es nicht.«

Diese Fragen und Antworten folgten einander schnell wie Blitz und Schlag. Ich sah ihm offen und furchtlos in das Gesicht, dessen Ausdruck immer finsterer und drohender wurde.

»Weißt du, wo du bist?« forschte er weiter.

»Wahrscheinlich in der Nähe der Michbaja.«

»Allah! Du bist fremd und kennst doch diesen Namen. Von wem hast du ihn erlauscht?«

»Ich habe ihn nicht erlauscht, sondern auf rechtmäßige Weise erfahren.«

»Von wem?«

»Auch das kann ich nur dem Gebieter dieses Ortes sagen.«

»So komm!«

Das klang mehr wie eine Drohung als wie eine Aufforderung. Er trieb sein Pferd quer durch die Büsche, die hinter ihm und mir zusammenschlugen, bis der Wald begann und wir auf einen schmalen Weg stießen. Da blieb er halten und sagte:

»Wenn du wirklich zu dem Gebieter der Michbaja willst, so schreite nun voran! Wohl dir, wenn du kein Verräter bist! Im andern Falle wirst du nur als im Nil schwimmende Leiche oder, falls man dir das Leben läßt, als Sklave diesen Ort verlassen! Jetzt geh!«

Er zog die Pistole und spannte den Hahn, Ich ging voran, und er folgte mir. Es war kein allzu angenehmes Gefühl, zu wissen, daß seine Kugel mich jeden Augenblick von hinten treffen könne.

Der Weg schlängelte sich in vielen Windungen vorwärts, bis wir an einen Stachelzaun gelangten, in dem auf seinen lauten Ruf eine Lücke entstand, durch welche wir auf einen ziemlich großen, freien Platz gelangten. Die Wache, welche den Zaun geöffnet hatte, schloß ihn hinter uns gleich wieder.

Auf dem Platze gab es zahlreiche größere und kleinere Hütten, zwischen denen sich Gestalten bewegten, deren Anblick nicht im stande war, Vertrauen zu erwecken. Dann sah ich einige sehr lange, sehr breite und tiefe Hütten, neben deren Eingängen ganze Haufen von Ketten und Sklavengabeln lagen. Ah, das waren die Gefängnisse für den »außerordentlich vielen Reqiq«, von welchem Hubahr gesprochen hatte. Ich befand mich mitten in der Michbaja, und die Bewohner derselben kamen herbei, um mich mit neugierig drohenden Blicken anzustarren. Zu meiner Beruhigung entdeckte ich kein bekanntes Gesicht unter ihnen. Sie bildeten förmlich Spalier, und zwar bis zu einer Hütte, deren sorgfältigerer Bau darauf schließen ließ, daß sie das Eigentum eines nicht gewöhnlichen Einwohners sei. Vor der Thür derselben stieg der Reiter von dem Pferde, welches von den Stechmücken so gelitten hatte, daß es fast nur der Schatten eines Pferdes genannt werden konnte.

»EI Gallad!« sagte er; dann trat er in das Innere, und ich wurde ihm nachgeschoben.

Die Wände der Hütte waren aus Ästen hergestellt und mit Lehm bestrichen. Von der Decke hingen Straußeneier als Sinnbild der Fruchtbarkeit und Unendlichkeit. Die Gebetsrichtung nach Mekka war durch eine Nische angegeben. Peitschen hingen an den Wänden, auch mehrere zweihändige Schwerter, von denen der dicke Blutrost die Politur gefressen hatte. Eine Fesselbank zur Bastonnade und ein starker Holzblock zum Kopfabschlagen bildeten neben der Thür ein trauliches Stillleben. Es war die Wohnung eines sehr frommen und sehr grausamen Muselmannes.

Er setzte sich auf einen Teppich nieder, nahm den Rosenkranz in die Hände und betete leise murmelnd, bis ein riesiger Schwarzer eintrat, welcher eines der Schwerter in die Hand nahm und sich, ohne ein Wort zu sagen, neben mich stellte. Das war der liebe Gallad, der seine Rolle so genau kannte, daß er sie mehr als oft geübt zu haben schien. Da ließ der Beter den Rosenkranz fallen, wendete sich mir zu und sagte in hartem, unerbittlichem Tone:

»Jetzt hängt dein Leben nur an einem Haare. Das Schwert kann, ohne daß du es siehst, wie der Blitz über dich kommen! Hast du schon einmal den Namen Jumruk el Murabit gehört?«

»Nein,« antwortete ich.

Kaum hatte ich dieses Wort gesagt, so hob der Henker das Schwert zum Schlage; der Frager winkte ihm aber ab und fuhr fort:

»Es ist noch niemand, der diesen Namen nicht kannte, hierhergekommen, ohne seinen Kopf zu verlieren. Du bist der erste, bei dem ich eine Ausnahme mache, weil deine Augen wie diejenigen eines unschuldigen Kindes blicken. Jumruk el Murabit werde ich genannt, der Gebieter von EI Michbaja. Die erste Frage hat dir den Tod nicht gebracht, obgleich dir die Antwort fehlte; die zweite kann ihn dir um so schneller bringen. Von wem hast du die Lage von El Michbaja erfahren?«

Also meine Augen waren unschuldige Kinderaugen! Und dabei hielt ich den Henker zwar heimlich aber scharf im Auge. Hätte er wirklich zugehauen, so wäre nicht ich, sondern er im nächsten Augenblick eine Leiche gewesen und dann Monsieur Jumruk auch. Ich war auf alles gefaßt. Mußte ich sterben, dann jedenfalls nicht so ganz allein, wie diese sanften Heinriche dachten. Ich gab meinem Gesichte einen womöglich noch harmloseren Ausdruck und antwortete:

»Von Hubahr, dem gläubigen Jünger des Murabit von Aba.«

»Allah!« rief er erfreut. »Du hast Hubahr gesehen. Wo und bei wem befand er sich?«

»Bei Abu Reqiq, der dir diesen Ring durch mich sendet.«

Ich zog den Ring vom Finger und gab ihm denselben in die schnell ausgestreckte Hand. Kaum hatte er einen Blick darauf geworfen, so sagte er hastig:

»Der Chatim wirklich der Chatim von Abu Reqiq! Wem er diesen Ring anvertraut, der muß in hoher Achtung bei ihm stehen und dessen Botschaft muß eine sehr wichtige sein. Komm her; setze dich an meine rechte Seite, und sage mir, was du mir zu berichten hast!«

Wie freute ich mich über diese Aufforderung! Ich hatte mein Spiel gewonnen, unbedingt gewonnen, wenn nicht ein ganz und gar unglücklicher Zufall dazwischen kam. Nachdem ich mich dreimal ehrerbietig verbeugt hatte, setzte ich mich an seine linke, nicht an seine rechte Seite, welche Bescheidenheit sein Wohlgefallen zu erregen schien, und begann in erzählendem Tone:

»Die Botschaft, welche ich dir zu bringen habe, ist eine halb erfreuliche und eine halb unerfreuliche. Erfreulich ist sie, denn wenn du willst, werden sich der Reis Effendina und der Emir Kara Ben Nemsi Effendi in Zeit von wenigen Stunden in deinen Händen befinden. Unerfreulich aber – –«

Ich kam nur bis hierher in meiner Rede, denn die gewaltige »Faust des Heiligen« sprang, wie von einer Feder geschnellt, vor Wonne empor, schlug entzückt die Hände zusammen und rief.

»Endlich, endlich, endlich! Hamdulillah! Sie kommen, sie kommen; sie laufen direkt in die unerbittliche Faust des Heiligen, die sie zermalmen wird! Wo sind sie? Sag schnell, wo sie sind!«

»Sie liegen oberhalb von hier in der letzten Krümmung des Flusses.«

»So nahe, so nahe! Warum sind sie nicht weitergefahren? Warum haben sie dort angelegt?«

»Weil sie El Michbaja und euch überfallen wollen.«

Sein Entzücken verschwand sofort, und sichtlich erschrocken fragte er:

»Uns überfallen? Sie wissen ja gar nichts von El Michbaja!«

»Sie wissen es gar wohl, denn sie haben Abu Reqiq so lange geschlagen, bis er es ihnen vor Schmerzen gestanden hat. Sie haben ihm die Bastonnade gegeben, daß ihm das Fleisch der Füße von den Knochen fiel.«

»So – – so – – befindet – – er sich in – – in ihrer – – ihrer Gewalt?« stammelte er.

»Ja; er ist ihr Gefangener, er mit allen seinen Leuten, auch die, welche vom Chor Omm Karn gekommen sind.«

Da stieß er einen Weheruf aus, sank langsam wieder auf den Teppich nieder und forderte mich auf.

»Erzähle; erzähle mir alles vom Anfange bis zum Ende!«

Ich kam dieser Aufforderung nach:

»Mein Name ist Ben Sobata; ich wohne in Guradi jenseits der Katulberge und kenne Abu Reqiq schon längere Zeit, weil ich ebenso wie er mit Reqiq handle; nur pflege ich meine Sklaven durch die Bajudasteppe bis in die Gegend von Berber zu schaffen. Dieser Weg ist aber jetzt so gefährlich geworden, daß ich nun einmal einen Versuch in der Richtung gemacht habe, welche diejenige Abu Reqiqs ist. Dieser Versuch ist gelungen, wie ich dir hier beweisen will.«

Ich zog die Goldstaubbeutel heraus, öffnete sie und legte sie ihm vor. Er wog sie in den Händen und sagte:

»Maschallah, mußt du ein großes Vertrauen zu mir haben! Was willst du machen, wenn ich dieses Gold behalte?«

Er mochte es immer behalten, denn es mußte mir mit ihm ja wieder in die Hände fallen. Ich antwortete:

»Du wirst einen gläubigen Moslem, der sich auf deine Ehrlichkeit verläßt, nicht um seine Habe bringen! Doch höre weiter! Ich lieferte meine Sklaven nach Omm Ebeil und kam mit der Bezahlung nach Kaka, von wo aus ich mich nach der Insel Aba wenden wollte, denn ich hatte von dem Heiligen gehört, der dort die reine Lehre verkündet, und wollte in die Stapfen seiner Füße treten.«

»Das ist ein Allah wohlgefälliger Vorsatz; ich bin die Faust des Heiligen und werde dich ihm empfehlen. Sprich weiter!«

»Es lag in Kaka kein Schiff, und ich hörte, daß auch in langer Zeit kein abwärts fahrendes zu erwarten sei. Da kam der Reis Effendina mit dem seinigen. Ich bat ihn um die Erlaubnis, mit ihm fahren zu dürfen, und er gewährte mir meine Bitte.«

»Mah akbar! Welch ein mutiges Herz hast du! Du gleichst der Taube, welche es wagt, unter den Fittigen des Falken Schutz zu suchen. Männer dieser Art sind selten, sehr selten, und ich fühle, daß du meine Freundschaft schnell gewinnen wirst. Also du fuhrst wirklich mit ihm?«

»Ja. Ich schien ihm zu gefallen, denn er sprach gern und viel mit mir. Da ließ Allah es geschehen, daß unterhalb Kuek Abu Reqiq ihm mit sechzig Sklaven in die Hände fiel; ich konnte das natürlich nicht verhindern. Meinen Schreck darüber kannst du dir denken, doch ich beherrschte mich. Auch Abu Reqiq hatte, als er mich erblickte, Besonnenheit genug, zu verbergen, daß er mich kannte. Es kam ihm sogleich der Gedanke, daß ich ihn retten könne. Ich weiß nicht, wie der Reis Effendina eine Ahnung von El Michbaja erhalten hat, kurz, er wollte von Abu Reqiq das Nähere über diesen Ort wissen, und als dieser sich weigerte, es zu verraten, wurde er so lange gepeitscht, bis er sagte, daß es hier an dieser Stelle liege; mehr könne er nicht gestehen, weil er selbst von Hubahr nicht mehr erfahren habe. Nun wurde Hubahr vorgenommen. Dieser legte das Siegel der Verschwiegenheit an seine Lippen und gestand kein Wort, bis er erschossen wurde.«

»Hubahr erschossen? O Allah! Ist das wahr?«

»Ja. Er wurde erst erschossen und dann aufgehängt.«

»Wo und wann?«

»Vor einigen Stunden, da, wo das Schiff vor Anker liegt.«

»Dieser treue, fromme, Allah ergebene Mann, in dem nicht eine Spur von Falschheit war! Mögen doch alle Teufel der Hölle heraufkommen, um seine Mörder stückweise hinabzuziehen, wo in Ewigkeit kein Entrinnen ist! Sagtest du nicht, daß ich diese Hunde ergreifen könne?«

»Ja. Wenn du meine Botschaft erhören wolltest, würde meine Seele sich ebenso freuen wie die deinige.«

»Ich bin sofort und auf der Stelle bereit, über diese Hunde herzufallen. Sag nur, wie es geschehen kann. Wie aber hast du es ermöglicht, mich aufzusuchen?«

»Durch das Vertrauen, welches besonders Kara Ben Nemsi mir schenkt. Sie haben weiter nichts erfahren können, als daß El Michbaja hier in dieser Gegend liegt, denn Hubahr hat das Geheimnis mit in den Tod genommen. Da sie euch überfallen und bestrafen wollen, mußten sie nach der Michbaja suchen. Da machte ich eine Lüge, welche Allah mir verzeihen wird; ich sagte nämlich, daß ich früher einmal längere Zeit als Dschelabi in dieser Gegend gewesen sei. Sie waren mit Blindheit geschlagen und erteilten mir den Auftrag, nach der Michbaja zu suchen. Ich ging darauf mit Freuden ein und schlich mich unbemerkt zu Abu Reqiq, es ihm zu sagen. Ich konnte nur eine Minute mit ihm sprechen. Er gab mir seinen Siegelring, ihn dir zu zeigen und dich bei Muhammed und allen Kalifen anzuflehen, ihn und seine Leute zu retten, und zwar noch in dieser Nacht, weil es morgen zu spät sein würde.«

»Warum zu spät?«

»Weil morgen früh die Michbaja überfallen werden soll.«

»Das gelingt ihnen nicht, denn du kehrst ja nicht zu ihnen zurück, um ihnen zu verraten, wo wir sind.«

»Wäre es doch so, wie du sagst! Wenn ich nicht zurückkomme, nimmt der Reis Effendina an, daß ich in deine Hände gefallen sei, und läßt aus Rache dafür beim Morgengrauen alle Gefangenen töten.«

»Dieser Hund und Hundesohn eines zehnfachen Hundehundes! Da ist es freilich unumgänglich notwendig, daß du dich wieder zu ihnen begiebst, auch um Abu Reqiqs willen, der sich freuen wird, daß du mich gefunden hast. Dein Gold aber darfst du nicht wieder bei diesen Räubern gefährden; ich werde es bei mir für dich aufheben, bis wir sie gefangen haben.«

»Thue das; ich bitte dich darum. Bei dir ist es mir sicherer als in meiner Tasche.«

»Diese deine Einsicht ist ebenso groß, wie der Mut, den du bewiesen hast. Wenn die Gefangenen morgen früh getötet werden sollen, müssen wir sie noch in dieser Nacht befreien; da genügt aber keine Beschreibung des Schiffes und seiner Lage, sondern ich muß es selbst sehen. Wirst du es in der Dunkelheit finden können? Der Tag hat sich geneigt und das Gebet der Dämmerung ist schon nahe.«

»Ich werde es nicht verfehlen.«

»So suchen wir es nach dem Gebete auf, damit ich bestimmen kann, wie es in unsere Hände fallen soll. Wir kehren hierher zurück und holen so viel Krieger, wie wir brauchen.«

»Ich mit?«

»Natürlich! Da die Gefangenen, falls du nicht wiederkommst, erst morgen früh getötet werden sollen, brauchst du ja nicht eher als um diese Zeit zu erscheinen. Darum kannst du getrost bei uns bleiben.«

Diese Bestimmung machte mir einen dicken Strich durch die Rechnung, doch hütete ich mich, etwas dagegen zu sagen; ich hätte mir dadurch das große Vertrauen, welches die »Faust des Heiligen« mir entgegenbrachte, augenblicklich verscherzen können, und hoffte, schon noch einen Grund zu finden, rechtzeitig an Bord gehen zu dürfen. Als er mich jetzt nach der Ursache des Pflasters in meinem Gesichte fragte, war es ein tiefer Messerschnitt, den ich bei meiner letzten Sklavenjagd bekommen hatte; das schien die Sympathie zu verdoppeln, die er mir bewies.

Darüber wurde es dunkel, und das Moghreb mußte gebetet werden. Es geschah dies nach den Regeln der Terika el Gureschi, die ich nicht kennen konnte; ich gehörte natürlich einer andern Terika an, und dies enthob mich der Verpflichtung, das Gebet laut nachzusprechen. Die Nachsicht, welche man mir dadurch erwies, wurde einer Person verweigert, deren Anwesenheit hier in El Michbaja ich für absolut unmöglich gehalten hätte. Wäre mir von jemand die Mitteilung gemacht worden, daß diese Person hier zu finden sei, so hätte ich ihm vielleicht in das Gesicht gelacht; aber man sage mir nicht, daß keine Wunder mehr geschehen.

Kurz nach dem Gebete kam nämlich ein Mensch, einer der Sklavenwächter, herein, welcher die Meldung machte:

»Herr, der verfluchte Starrkopf, welchen der Heilige vorgestern sandte, hat sich wieder geweigert, das Gebet nach unserer Terika zu sprechen. Was befiehlst du, daß ihm geschehen soll?«

»Hole den Aussätzigen! Ich will ihn niederschmettern!«

Es brannten jetzt zwei primitive Öllampen, bei deren Scheine ich das Gesicht des Betreffenden grad zur Genüge erkennen konnte, als er nach einigen Minuten hereingebracht wurde. Die langen wirren Haare hingen ihm wie aufgefranste Schnüre um die hohlen Wangen, und aus den tiefliegenden Augen sah der nahe Hungertod. Seine Blöße war nur mit einigen armseligen Fetzen bedeckt, und die einst so stolz getragene Gestalt hatte eine matte, weit nach vorn gebeugte Haltung angenommen. Dennoch erkannte ich ihn auf der Stelle, denn diese schönen, asketisch strengen Züge waren mir unvergessen geblieben. Man denke sich die Größe meines Erstaunens: dieser Mann war Ssali Ben Aqil, der kurdische Reiseprediger, welcher nach dem Mahdi suchte.

Er konnte mich nicht so, wie ich ihn, erkennen, denn die ihm zugekehrte Seite meines Gesichtes lag im Schatten und das Pflaster ebenso wie auch meine jetzige dunkle Hautfarbe machten mich ihm vollends unkenntlich. Wie war er auf der Suche nach dem Mahdi nach dem weißen Nile gekommen? Die Antwort auf diese Frage war allerdings nicht von unüberwindlicher Schwierigkeit, weil er sich schon früher in Ägypten befunden hatte. Er, der Hochtrachtende, stand jetzt gebückt vor der »Faust des Heiligen« und mußte sich die schwer beleidigende Anrede gefallen lassen:

»Hund, du Sohn eines Hundes und Abkömmling einer Hündin, bist abermals ungehorsam gewesen! Hat dir der Hunger die Eingeweide noch nicht genug zerfressen? So werde ich dich auch noch dürsten lassen, bis du den Willen des Murabit erfüllst und dich in seine Satzungen fügest. Du hast ihn beleidigt mit deinen Lehren und ergrimmt mit deinen Zweifeln; darum hat er die Trübsal über dich ausgegossen, in deren Flut du untergehen wirst, wenn du dich nicht zu seiner heiligen Terika bekehrst. Wenn du das aber thust, so wird er dich erhöhen, denn Allah hat dir die Gabe der überwältigenden Rede verliehen. Er ist der Mahdi, nach welchem du so lange vergeblich suchtest!«

»Ich suche nicht mehr nach dem Mahdi, sondern nur noch nach der Liebe,« klang es matt und hohl zwischen den farblosen Lippen hervor.

»Liebe! Das ist der Wahnsinn, mit welchem du auch den Heiligen so oft geärgert hast. Du hast ihm sogar von jenem ungläubigen Wurm erzählt, dem du die Ansteckung zu dieser deiner Geisteskrankheit verdankst. Du sollst erfahren, daß wir ihn kennen. Der Teufel hat ihm den Weg nach dem Sudahn gewiesen, wo er den Eingang zur ewigen Verdammnis findet.«

»Chodeh – o Gott!« rief da Ssali aus, indem er sich mit einem schnellen Ruck hoch aufrichtete. »Kara Ben Nemsi Effendi befindet sich am Bahr el Abiad?«

»Ja. Er wird in einigen Stunden von der Faust des Heiligen zermalmt oder zerschmettert werden!«

Da flog es wie ein Schimmer der einstigen Begeisterung über das Gesicht des Gefangenen; er hob die Rechte wie zur heiligen Beteuerung und rief:

»Es giebt hier keine Faust, die ihn zerschmettern wird, sondern die seinige wird alle seine Feinde treffen! Ich kenne ihn; die Liebe Gottes ist mit ihm, und keines Menschen Haß kann ihn besiegen!«

»Schweig, Unseliger! Willst du den verfluchten Giaur verteidigen, der ein Feind aller wahren Gläubigen ist? Bedenke, daß du als Sklave verkauft werden sollst, wenn du dein Herz der einzig wahren Lehre nicht öffnest. Dieser Anhänger des Gekreuzigten ist der Todfeind des Murabit und muß zur Hölle fahren. Willst du mit ihm untergehen?«

»Lieber mit ihm in die Hölle, als mit dem Murabit in den seligsten aller eurer Himmel! Sein Glaube führt aus der Hölle in den Himmel; eure haßsprühende Lehre aber macht die sieben Himmel zu Höhlen der Verdammnis. Schau mich nur an! Ist der Schlund des Hasses, in den ihr mich geworfen habt, der wahre, der richtige Weg zu den versprochenen Seligkeiten des Propheten? Sind die Krallen der unverdienten Rache, die ihr mir in den Leib und in die Seele schlagt, etwa die weichen Houri-Arme, welche den Moslem im jenseits empfangen und umfangen sollen? Indem du diesen Christen erwähntest, hast du alle eure auf mich gerichteten Absichten der Fäulnis übergeben. Du nennst ihn einen Hund, einen Wurm, einen Giaur; aber er allein ist der wahrhaft Gläubige, während eure Seelen häßliche Säcke der Verderbnis sind. Er ist da; er ist in der Nähe! Nun weiß ich, was und für wen ich beten soll!«

»Etwa für ihn, du Zweifler mit dem faulenden Gehirn?« donnerte ihn Jumruk an.

»Ja, für ihn,« antwortete der Gefragte ruhig.

Da sprang der Gebieter der Michbaja auf, trat hart zu ihm heran und zischte ihm zu:

»So sei dir ein letztes, ein allerletztes Wort gesagt. Ich gebe dir Zeit bis zur nächsten Morgenröte; da wird sich dieser von Allah Verfluchte in meinen Fäusten winden. Bekennst du dich dann zu uns, so sollst du ein hoher und berühmter Führer von vieltausend Gläubigen sein; fährst du aber fort, zu reden wie in diesem Augenblick, so wird dir das große Glück werden, das Schicksal dieses deines vergötterten Giaur zu teilen.«

»Um da meine Entscheidung zu hören, brauchst du nicht bis zur Morgenröte zu warten; ich verzichte auf den Ruhm, den ihr mir bietet, und wähle den Giaur!«

Welche Freude mir dieser Ausspruch verursachte, brauche ich nicht zu sagen. Wie gern hätte ich Ssali einen Wink gegeben, damit er merke, daß ich hier so nahe bei ihm sei. Aber die Vorsicht gebot mir, zu schweigen. Wenn er sich nicht beherrschen konnte, waren die daraus entstehenden Folgen unberechenbar. Es war mir aber nicht bestimmt, diesen Vorsatz des Schweigens auszuführen; Jumruk selbst machte es mir unmöglich. Er trat einen Schritt von Ssali zurück und sagte im Tone des festesten Entschlusses:

»Nun wohl, du sollst deinen Willen haben; dein Schicksal ist besiegelt!« Und sich zu mir wendend, fuhr er fort: »Ich habe den Giaur noch nicht gesehen; du aber, Ben Sobata, bist mit ihm von Kaka bis fast hierher gefahren und hast ihn also kennen gelernt. Sag, ist dieser Hund denn wirklich im stande, jedem Menschen, den er anbellt, den Kopf zu verdrehen?«

Jetzt konnte ich den beabsichtigten Wink geben; aber vorsichtig, außerordentlich vorsichtig mußte ich sein. Zunächst durfte er mich nur an der Sprache erkennen. Darum antwortete ich, ohne sie zu verstellen:

»Er ist weder ein schöner Mann, noch kann man ihm sonst etwas Außerordentliches ansehen. Ich glaube, wenn du ihn erblicktest, würdest du enttäuscht sein.«

»Vielleicht verstellt er sich?«

»Das ist möglich.«

Ich bemerkte, daß Ssali beim Klange meiner Worte aufhorchte, mich erst sehr scharf ansah und dann die Augen schloß. Wollte er etwa das frohe Strahlen derselben verbergen? Das gab mir den Mut zu der Bemerkung:

»Richtig ist, daß er ein eifriger Jäger ist. Ehe er den Reis Effendina traf, ist er am blauen Nile in der Oase Khoi gewesen und dann hinauf zur Musallah el Amwat geritten, wo er die berühmte Bärin der Unsterblichkeit getötet hat.«

»Eine Bärin der Unsterblichkeit? Davon hat man mir noch nichts erzählt!«

»Es ist aber trotzdem wahr. Dann hat er mit dem großen Araberstamme der Bebbeh Freundschaft geschlossen und einen von ihnen, den er im Khan zu Khoi traf und den man zum Sklaven machen wollte, aus der Gefangenschaft befreit, was nur dadurch möglich wurde, daß die beiden sich so verhielten, als ob sie sich noch nie gesehen hätten.«

»Das muß sehr unterhaltend zu hören sein, und ich bitte dich, es mir morgen zu erzählen, wo ich mehr Zeit habe als jetzt.«

Nach diesen Worten wendete sich der ahnungslose Mann wieder an Ssali Ben Aqil:

»Du wirst auch heut abend nichts zu essen bekommen und morgen mit dem Christen zusammengekettet werden. Da könnt ihr mit einander von der Liebe sprechen, die du suchest, ohne sie zu finden!«

»Ich habe sie gefunden,« antwortete Ssali in ganz anderem Tone als bisher. ›Ich bin überzeugt, daß ich morgen bei ihm sein werde, und freue mich darauf, wie die Blume sich nach langem Winter auf die Sonne des Frühlings freut. Allah gebe dir in dieser Nacht einen ruhigen Schlaf und am Morgen ein fröhliches Erwachen, oh Jumruk el Murabit!«

Er hatte mich erkannt und verstanden und war, als er jetzt fortgeführt wurde, Überzeugt, daß ihn nun die »Faust des Heiligen« nicht mehr festhalten und martern könne. Die Wünsche, welche er in Beziehung auf den ruhigen Schlaf und das fröhliche Erwachen aussprach, waren natürlich ironisch gemeint, und wenn ein Mann in seiner Lage ironisch werden kann, dann muß er überzeugt sein, daß es nicht so schlimm um ihn stehe, wie von seinen Peinigern angenommen wird.

Bald wurde das Aschia gesprochen, das Gebet nach der Dämmerung, wenn es ganz dunkel geworden ist, und dann schickte Jumruk nach fünf Männern, welche kommen und uns begleiten sollten. Als der Bote fort war, fragte er mich:

»Verstehst du die Sprache der Schilluk, oh Ben Sobata?«

»Ja,« antwortete ich, meiner Rolle getreu.

»Und die der Nuehr?«

»Auch.«

»Ist dir auch diejenige der Dinka bekannt?«

»Nein.«

Es wäre, weil ich jetzt zum erstenmale jenseits des weißen Niles gewesen sein wollte, vielleicht aufgefallen, wenn ich auch hier bejahend geantwortet hätte, und doch war mir grad diese Sprache ziemlich geläufig geworden, weil ich während unseres Aufenthaltes südlich dieses Flusses täglich Gelegenheit gehabt hatte, mich in ihrem Gebrauche zu üben. Seine drei Fragen wären unter andern Verhältnissen nicht die Veranlassung gewesen, mein Mißtrauen zu erregen, unter diesen Umständen aber fielen sie mir auf, zumal sie ohne allen Zusammenhang gestellt wurden. Als ich die dritte verneinte, nickte er befriedigt mit dem Kopfe und sprach dann von etwas vollständig anderem. Was hatte er für einen Grund gehabt, sich nach meiner Sprachfertigkeit zu erkundigen? Ich brauchte gar nicht lange zu warten, um denselben kennen zu lernen. Es trat nämlich ein sehr reichlich bewaffneter Kerl ein, der wahrscheinlich keine untergeordnete Stelle bekleidete, denn er war ungewöhnlich gut gekleidet und grüßte mit einem vertraulichen Kopfnicken anstatt mit der Verbeugung, welche ein gewöhnlicher Mann nicht hätte unterlassen dürfen. Schon öffnete er den Mund, um zu sprechen, aber Jumruk gab ihm einen hastigen Wink, zu schweigen und sagte in entschuldigendem Tone zu mir:

»Du mußt verzeihen, wenn ich gegen dich, der du mein Gast bist, die Unhöflichkeit begehe, mit diesem Manne in einer Sprache zu reden, welche du nicht verstehst; die arabische ist ihm vollständig unbekannt.«

Als der Eingetretene das hörte, machte er ein erstauntes Gesicht, war aber so klug, seinen Zügen dann schnell einen unbefangenen Ausdruck zu geben. Dieser Mensch soll das Arabische nicht kennen? Unsinn! Ich hätte darauf schwören mögen, daß er ein Schukurieh-Araber sei. Weshalb diese Verstellung, diese Täuschung? War das Wohlwollen, mit dem Jumruk mich bisher behandelt hatte, etwa nur eine Kriegslist gewesen? Nun, das konnte mir lieber, viel lieber sein, als wenn es aus aufrichtigem Herzen gekommen wäre, denn einen Menschen, und wenn er noch so schlecht ist, in das Verderben zu führen, nachdem er sich freundlich zu einem verhalten hat, das ist eine Aufgabe, der nicht jedermann gewachsen ist. Ich hatte mir auch wirklich schon vorgenommen, die Strafe, welche er verdiente, nach Kräften zu mildern. jetzt diktierte mein Gewissen mir den Wunsch, daß seine mir gezeigte Sympathie sich als Trug erweisen möge. Dieses heimliche Verlangen blieb nicht unerfüllt, denn Jumruk wendete Sich, indem er sich der Dinkasprache bediente, an den Betreffenden:

»Sprich kein Wort arabisch! Ich darf keinen Augenblick von diesem Fremden fort und muß dir doch etwas sagen, was er nicht verstehen soll.«

Er erklärte ihm nun, weshalb ich gekommen war und daß ich ihr Führer nach der Stelle sein werde, an welcher das Schiff des Reis Effendina liege. Dann fügte er hinzu:

»Er muß natürlich sterben, denn er würde ein stets gefährlicher Zeuge davon sein, daß wir es sind, die den Reis und seine Leute vernichtet haben. Außerdem ist er als Sklavenjäger mir im Wege. Nun Ibn Asl tot ist, will ich die ganze Strecke des Bahr el Abiad für mich allein haben, und dieser Mensch hegt die Absicht, uns hier in den Handel zu pfuschen. Ich habe ihn mit Freundlichkeit geködert, und er schenkt mir sein Vertrauen; aber sobald er uns das Schiff gezeigt hat und wir ihn also nicht mehr brauchen, werde ich dir als Zeichen nur das kurze Wort ›Wtole!‹ sagen; dann stichst du ihm das lange Messer von hinten in das Herz, daß er zusammenbricht, ohne ein Wort sagen zu können. In dieser Art des Stechens bist du ja ein Meister.«

Ich verstand jedes Wort und muß sagen, daß mir das Herz dabei leicht wurde, denn nun gab es für mich keine Verpflichtung mehr, ihn zu schonen. Ich machte ein ganz harmloses Gesicht und that so, als ob ich der für mich ganz unverständlichen Rede Jumruks nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkte, Bald kamen noch vier Untergebene von ihm, denen er freilich in arabischer Sprache sagte, weshalb sie gerufen worden seien. Er flocht dabei einige an mich gerichtete Bemerkungen ein, welche den Zweck hatten, mich in meiner guten Ansicht über ihn zu bestärken. Ich reichte ihm, scheinbar dankerfüllt, die Hand und sagte:

»Deine Huld, oh Jumruk el Murabit, ist mir wie eine Gabe des Himmels, und es wird mich glücklich machen, mir sagen zu können, daß ich die gefährlichsten Feinde der Sklavenhändler in deine Gewalt geliefert habe. Möchtest du doch genug Krieger besitzen, den Reis Effendina und alle seine Leute zu ergreifen!«

Diesen Wunsch sprach ich aus, weil er bis jetzt beharrlich darüber geschwiegen hatte, wie viel Leute ihm zur Verfügung standen. jetzt, da mein Tod beschlossen war, hielt er diese Heimlichkeit nicht mehr für notwendig und antwortete darum unbedenklich:

»Wenn ich nur so viel Männer hier in El Michbaja zurücklasse, wie zur Bewachung des Reqiq notwendig sind, habe ich genug Leute, das Schiff mit allem, was darauf lebt, zu erobern.«

»Aber können die Sklaven bei so spärlicher Bewachungsmannschaft nicht ausbrechen?«

Da rief er laut lachend aus:

»Du handelst mit Reqiq und scheinst doch gar nicht zu wissen, auf welche Weise man diese Waare so festlegt, daß ein einziger Wächter genügt, um hundert Gefangenen die Flucht unmöglich zu machen. Komm, ich will dir zeigen, wie wir das hier bei uns machen!«

Das hatte ich gewollt. Es kam mir sehr darauf an, zwar nicht die Fesselung der Sklaven, aber doch die Örtlichkeit der Michbaja kennen zu lernen. Er befahl den andern, zu warten, und führte mich hinaus. Ich sah fünf oder sechs Feuer brennen, welche den Platz ganz genügend erhellten. Er ging mit mir in die größeren Bauten, in denen sich der Reqiq befand. Über das, was ich da sah, hörte und— roch, will ich lieber schweigen; es mag die Bemerkung genügen, daß ich auch an Ssali Ben Aqil vorüberkam, dem ich einen heimlichen Wink zuwerfen konnte. Es war mehr, viel mehr als Schinderei; es war die reine Unmenschlichkeit! Und diese Unglücklichen gehörten nicht alle der Negerrasse an. Es kostete mich die größte Überwindung, meinen Abscheu zu verbergen und diesem Jumruk so zu schmeicheln, daß er, durch diese Anerkennung unvorsichtig gemacht, sich der vortrefflichen Anlage der Michbaja rühmte und sich zu einigen zwar kurzen, aber für mich höchst wichtigen Mitteilungen über diesen Ort verleiten ließ. Auf diese Weise erfuhr ich folgendes:

Die Seribah lag mitten im dichten Walde, durch welchen es nur drei Wege gab. Der eine, nämlich derjenige, auf dem ich gekommen war, führte auf der Landseite ins Freie, während man auf dem zweiten an das südliche und auf dem dritten an das nördliche Ufer der Halbinsel gelangte. Die Mündungen der beiden letzteren Pfade waren so verdeckt, daß man sie vom Flusse aus nicht sehen konnte. An dem stromabwärts gerichteten Ufer lag jetzt eine Schachtura, welche Jumruk gehörte. Er hatte sie sich extra zu dem Zwecke bauen lassen, um mit größerer Schnelligkeit als derjenigen eines gewöhnlichen Nilschiffes von einem Orte nach dem andern zu gelangen. Die genaue Zahl der Untergebenen Jumruks konnte ich nicht erfahren; aber ich hörte, sie seien händelsüchtige und schwer im Zaume zu haltende Leute, so daß ihre Schußwaffen in einem besonderen Depot aufbewahrt werden mußten, dem sie vor jedem Gebrauche entnommen und dann wieder abgeliefert wurden. Das war es, was ich in Erfahrung brachte, zwar wenig, aber, wie sich später herausstellte, für meine Zwecke doch genug.

Nach diesem kurzen Besuche der Niederlagen »lebender Ware« brachen wir auf, Jumruk, fünf seiner Leute und ich; wir waren also sieben Personen. Der Mond stand noch nicht am Himmel; aber die Sterne leuchteten so, daß wir zur Genüge sehen konnten, als wir den Wald hinter uns hatten. Der Weg, den wir gingen, war fast derselbe, auf welchem ich gekommen war. Jumruk schritt voran, und die andern folgten ihm in der Weise, daß ich stets der Vordermann des lieben Freundes war, welcher mich erstechen sollte; glücklicherweise hatte ich seine Virtuosität im Totstechen einstweilen noch nicht zu fürchten, und für später war mir auch nicht bange.

Erst war es mein Plan gewesen, Jumruk, sobald wir das Schiff erreichen würden, festzunehmen und dann mit unsern Asakern nach der Michbaja zu marschieren. Wenn dort der Anführer fehlte, war das Gelingen eines Überfalles eher zu erwarten, als bei seiner Anwesenheit. Aber er hatte fünf Männer mitgenommen, die ich allein nicht so unschädlich machen konnte, wie es nötig war. Wenn auch nur einer von ihnen entkam, hatten wir das Nachsehen. Darum mußte ich versuchen, meinen Zweck auf eine andere Weise zu erreichen. Für jetzt war die Hauptsache, daß ich nicht mit nach der Michbaja zurückzukehren brauchte, sondern, und zwar heiler Haut, an Bord gehen konnte. Ein Mittel dazu hatte ich mir schon ausgesonnen: es mußte eine Flinte losgehen.

Wir brauchten der Dunkelheit wegen anderthalb Stunden, ehe wir an den Baum kamen, der mir als Marke diente. Da ging es langsam, sehr langsam und in völliger Finsternis rechts in den Wald hinein. Er war, wie schon erwähnt, hier nicht breit; aber bei dieser Stockdunkelheit dauerte es doch fast eine halbe Stunde, ehe wir die Lichter des Schiffes durch die Bäume leuchten sahen. Am Ufer angekommen, kauerten wir uns nieder, und ich war dabei so vorsichtig, nicht vor, sondern neben meinem freundlichen Mörder Platz zu nehmen, obgleich er dies zu vereiteln suchte. Das Schiff lag ganz nahe vor uns, und zwar so, daß wir das Deck überblicken konnten. Wir sahen die Leiche Hubahrs hängen, und wir sahen auch Abu Reqiq mit seinen Leuten; sie waren natürlich alle gefesselt.

Während meine Begleiter ihre ganze Aufmerksamkeit nach dem Schiffe richteten, ließ ich meine Hand an der Flinte meines Nachbars, deren Kolben er aufgestemmt hatte, niedergleiten und zog den Hahn auf: sie sollte es sein, die im geeigneten Augenblicke losgehen mußte.

»Du hast uns die Wahrheit erzählt, Ben Sobata,« flüsterte mir Jumruk zu. »Ich sehe alles. Abu Reqiq ist gefangen, und dort ward Hubahr aufgehängt. Das Schiff liegt so nahe am Ufer, daß es gar nicht schwer ist, hinaufzukommen. Wir müssen Abu Reqiq befreien und werden damit nicht bis zum Morgengrauen warten. Jetzt haben wir genug gesehen. – –Wto – – !«

»Wtole!« wollte er sagen, das für mich gefährliche Wort; aber er kam nicht dazu, es ganz auszusprechen, denn ich bewegte in diesem Augenblick den Drücker der vorhin erwähnten Flinte; der Schuß krachte, und meine sechs Busenfreunde fuhren erschrocken in die Höhe.

»Was hast du gemacht, Unvorsichtiger!« raunte ich dem Nachbar zu. »Deine Flinte ist losgegangen!«

»Ich kann nicht dafür.« entschuldigte er sich, indem er ganz vergaß, daß er nicht Arabisch konnte.

»Schweig!« bedeutete ihm Jumruk zornig. »Deine Unvorsichtigkeit hat alles, alles verdorben! Nun ist es vollständig unmöglich, das – –«

»Still!« unterbrach ich ihn. »Wenn ihr klug seid, ist noch nichts verdorben. Kommt nur schnell ein Stück vom Ufer fort!«

Ich faßte Jumruk beim Arme und zog ihn in den Wald hinein; die andern folgten. Dies that ich, daß sie nicht sehen und nicht hören sollten, welche Folgen der Schuß auf dem Schiffe hervorgebracht hatte. Es war gewiß, daß man dort nach mir rufen, also meinen Namen nennen würde, und den durften die Sklavenhändler nicht erfahren. Als wir so weit gelaufen waren, daß diese Rufe nur undeutlich zu uns drangen, blieb ich stehen und sagte:

»Sprecht jetzt kein unnützes Wort, denn es ist kein Augenblick zu verlieren. Wenn ich jetzt schnell an Bord gehe, wird alles noch ein gutes Ende nehmen.«

»Wieso das?« fragte Jumruk.

»Der Schuß hat natürlich die ganze Besatzung alarmiert und mißtrauisch gemacht, euer Überfall kann also nur dann gelingen, wenn ich jetzt zurückkehre und sage, daß ich es gewesen bin, der geschossen hat.«

»Maschallah! Das ist richtig; da hast du recht!«

»Aber der Schuß fiel nahe beim Schiffe; darum darf ich nicht zögern; ich muß fort. Ihr werdet Abu Reqiq doch nicht im Stiche lassen?!«

»Nein, bei Allah, nein! Ihn müssen wir retten, und den Reis Effendina und den Ben Nemsi Effendi müssen wir fangen! Hältst du es für möglich, sie zu beruhigen und ihren Verdacht zu beseitigen?«

»Ja; aber ihr müßt bald, sehr bald kommen!«

»Gieb mir drei Stunden Zeit!«

»Gut! Drei Stunden, aber ja nicht länger!«

»So geh; geh schnell, sonst wird ihr Mißtrauen so groß, daß du es nicht zerstreuen kannst! Sag also Abu Reqiq, daß wir in drei Stunden, höchstens eine halbe später, hier sein werden, um ihn zu befreien! Geh! Wir müssen auch schnell fort. Kommt, ihr Leute, kommt!«

Sie entfernten sich. Ich blieb stehen, bis ich ihre Schritte nicht mehr hörte, und kehrte dann an das Ufer zurück. Infolge des Schusses hatte man auf dem Schiffe die Gefangenen rasch unter Deck geschafft; die Lichter waren ausgelöscht worden, und alle verhielten sich still außer Ben Nil, welcher an der Regeling lehnte und von da herunterrief:

»Effendi, Effendi, gieb doch Antwort, sonst komme ich ans Ufer! Ist etwas mit dir geschehen?«

»Sei doch still, Unvorsichtiger!« antwortete ich. »Wirf mir ein Tau zu!«

Er that dies, und gleich darauf stand ich an Deck. Zehn Minuten später kannte jeder meinen Plan, der allerseits gebilligt wurde, und wieder zehn Minuten später standen alle waffenfähigen Männer, die ich für zuverlässig hielt, am Ufer, um von mir nach der Michbaja geführt zu werden; das Schiff aber stieß vom Lande, um in der Mitte des Stromes Anker zu werfen. Dort, wo es vor einem Überfalle sicher war, sollte der Steuermann, um von Jumruk gesehen zu werden, alle Lichter hissen und dann früh abwärts steuern, um auf ein von uns gegebenes Zeichen bei El Michbaja anzulegen.

Es war nicht leicht, mit einer solchen Schar durch den Wald zu kommen, in welchem man die Hand vor dem Auge nicht sehen konnte; draußen im Freien aber ging es besser; da war es jetzt sogar heller als vorher. Jumruk kam mit seinen Leuten, welche den Weg ebenso kannten, wie er, natürlich schneller vorwärts als wir; dennoch konnte ich mir den Punkt ungefähr berechnen, wo wir ihm auf seiner Rückkehr begegnen mußten. Ich nahm dabei an, daß er nicht länger als eine halbe Stunde brauchen werde, um seine Leute zum nächtlichen Zuge bereit zu haben. Als wir diesen Punkt beinahe erreicht hatten, ließ ich halten und gab den Befehl, daß jedes, selbst das geringste Geräusch zu vermeiden ist. Dann versteckten wir uns ins Gebüsch. Die höchst wichtige Frage war, ob die »Faust des Heiligen« bei dem Vorsatze, den Überfall noch auszuführen, überhaupt geblieben war; wenn nicht, so konnte unser ganzes Unternehmen unausführbar werden. Wie froh war ich darum, als wir nach einiger Zeit das Klirren von Waffen und laute Stimmen hörten. Sie kamen und marschierten mit eiligen Schritten an uns vorbei. Wir warteten etwaiger Nachzügler wegen eine kleine Weile und setzten dann unsern Weg fort, der uns glücklich bis an den Waldpfad brachte, welcher zur Michbaja führte.

Hier ging ich voran, und jeder folgende wurde von seinem Vordermann geführt. Das geschah so vorsichtig und leise, daß ich kaum die Schritte des Lieutenants hörte, welcher hinter mir ging. So erreichten wir die Dornenwand, welche verschlossen war. Ich rief, was, das war gleichgültig, wenn nur geöffnet wurde. Es stand natürlich jetzt auch ein Posten innerhalb. Er hörte meinen Ruf und schob die Stachelthür zur Seite. Kaum hatte er das gethan, so bekam er einen Kolbenhieb und wurde gebunden und geknebelt. Wir standen im Innern der ersehnten Michbaja.

Zunächst wurde die Thür wieder vorgelegt, und dann bildete ich aus meinen Leuten Abteilungen, deren jede ihre Aufgabe erhielt. War wir zu thun bekamen, war leichter, viel leichter, als ich es gedacht hatte. Es brannten jetzt nur zwei Feuer. Die Bauwerke wurden im Nu besetzt, und dann stellte sich heraus, daß Jumruk nur neun Mann in der Seribah gelassen hatte, welche nicht einmal mit Gewehren bewaffnet waren. Sie waren leicht überwältigt. Einer von ihnen mußte den Weg nach dem südlichen Ufer zeigen, wo auch jetzt der vielbesprochene Posten stand, welcher nach dem »Falken« auszuschauen hatte und nun auch unschädlich gemacht wurde.

Jetzt machten wir uns daran, die Sklaven zu befreien, wobei ich natürlich zuerst Ssali Ben Aqil aufsuchte. Als er mich, der ich das Pflaster entfernt hatte, erblickte, rief er mir mit überlauter Stimme entgegen:

»Hamdulillah! Allah sei Lob und Preis gesagt! Also habe ich mich doch nicht geirrt! Du bist es; du bist es wirklich, Effendi! Wie recht hattest du, als du damals sagtest, daß Gott noch Wunder thue! Und nun rettest du den, der dich töten wollte, jetzt zum zweitenmale! Du bist noch immer der – –«

»Still jetzt!« unterbrach ich ihn. »Du bist damals mein Freund und Bruder geworden und hast Gott zu danken, aber nicht mir. Du wirst mir später alles erzählen; jetzt habe ich keine Zeit, denn ehe eure Peiniger wiederkehren, müssen wir hier fertig und bereit zu ihrem Empfange sein.«

Er wurde von seinen Fesseln befreit und wollte sich im Übermaße seines Glückes und des Dankgefühles mir zu Füßen werfen; ich eilte fort, denn es gab noch sehr viel zu thun. Der Lieutenant hatte mit seinen Abteilungen die Gefangenen frei zu machen; ich durchsuchte die Gebäude nach Waffen und allen andern Gegenständen, die als solche dienen konnten. Endlich fand ich das »Depot«. Es war nicht viel mehr da, weil die Leute der Michbaja das meiste mitgenommen hatten; aber es wurden aus allen möglichen Dingen Waffen zum Hauen, Stoßen und Stechen geformt, und so dauerte es nicht lange, bis jeder der befreiten Sklaven mit irgend einer brauchbaren Wehr versehen war.

Das Entzücken dieser Leute kann nicht beschrieben werden. Unter diesen Verhältnissen hätte der kühlste Nordländer nicht ruhig bleiben können. Und nun gar diese heißblütigen Afrikaner! Welch ein Springen und Tanzen, welch ein jubeln und Schreien das war. Es dauerte sehr lange, ehe wir sie nur so weit brachten, daß sie auf uns hörten. Und welche Zeit verging erst, bis sie begriffen, was sie zu thun hatten und uns versprachen, unsere Aufgabe nicht durch ihre Gier nach Rache der Gefahr des Mißlingens auszusetzen. Dann wurde es endlich, endlich still, und Jumruk konnte mit seinen Leuten kommen.

Ich war nämlich der Ansicht, daß er, durch den Augenschein belehrt, daß der »Falke« sich in die Mitte des Flusses in Sicherheit gebracht habe, sich nicht lange besinnen werde, umzukehren. Wenn dies zutraf, so konnten wir ihn nun jeden Augenblick erwarten. Wir ließen nur ein Feuer brennen, und zwar so, daß der Schein desselben nicht weit reichte und besonders der Eingang im Dunkel lag. Dort stand ich mit Ben Nil. Die beiden Wege nach den Ufern waren so besetzt, daß es dort kein Entrinnen gab, und rund um den Platz, am Waldesrand versteckt, zog sich eine ununterbrochene Kette von Männern, welche bereit waren, auf die Sklavenhändler einzudringen, sobald mein Ruf erschallen werde. Wir hatten die Fesseln von gegen zweihundert Sklaven gelöst, also gab es, die Leute des »Falken« dazu gezählt, Arme und Fäuste genug, dem zu erwartenden Kampfe schnell ein Ende zu machen, denn was den eingekerkerten bisherigen Gefangenen an physischer Kraft abging, das wurde mehr als reichlich durch ihre augenblickliche seelische Energie ersetzt.

Wir lauschten lange vergebens, bis wir schließlich durch das Dornenwerk doch die Schritte der Nahenden vernahmen. Der längst erwartete Ruf erscholl. Ich öffnete, und nun quollen die Erwarteten still herein. Keiner sagte ein Wort; das war die Folge der Enttäuschung. Wie lärmend wäre dagegen ihr Einzug gewesen, wenn sie hätten als Sieger kommen können. Jumruk stand draußen und ließ alle an sich vorüber. Als er dann als der letzte auch hereinkam und da statt des einzelnen Postens trotz der Dunkelheit zwei Gestalten stehen sah, schrie er uns zornig an:

»Was giebt es zu zweien hier zu thun? Muß es geplaudert sein, ihr Hunde, ihr?!«

Er holte aus, um mich in das Gesicht zu schlagen; ich fing den Hieb auf und nahm ihn dann mit beiden Händen so fest beim Halse, daß er matt und widerstandslos wie Watte in meinen Armen hing. Er wurde mit den von Ben Nil bereitgehaltenen Stricken schnell gebunden. Seine Leute waren, ohne dies zu bemerken, weitergegangen. Als sie die Mitte des Platzes erreicht hatten, ließ ich den verabredeten Ruf erschallen. Aus mehreren hundert Kehlen ertönte die heulende Antwort; die Angreifer schnellten von allen Seiten herbei; die nichtsahnenden Menschenhändler wurden eingeschlossen, ehe sie zur Erkenntnis ihrer Lage kommen konnten, und als sie daran dachten, sich zu wehren, war es schon zu spät.

Ich war mit Ben Nil am Eingange stehen geblieben, denn ich hielt es nicht für nötig, mich selbst am Kampfe zu beteiligen, dessen für uns siegreicher Ausgang keinem Zweifel unterliegen konnte. Erst als das aufgeregteste Toben und Schreien vorüber war und ich den Lieutenant nach mir rufen hörte, schritten wir dem Platze zu, auf welchem wir Herren der Michbaja geworden waren. Mehrere Feuer flammten auf; da sahen wir das Resultat des Kampfes. Es war kein einziger Feind entkommen. Es gab leider viele Leichen. Die Verwundeten und Unverletzten lagen gebunden an der Erde. Werkzeuge zum Fesseln waren ja mehr als genug vorhanden gewesen. Die entzückten Schwarzen tanzten, obgleich mehrere von ihnen auch verwundet waren, wie wahnsinnig um den Platz. Andere schlugen auf die Besiegten ein, spuckten sie an und traten sie mit Füßen; ich bekam vollauf zu thun, diesem Verhalten zu steuern. Jetzt ließ ich Jumruk nach seiner Wohnung schaffen und bedang mir aus, daß er nur mir gehöre und niemand sich an ihm vergreifen dürfe. Ben Nil mußte ihn bewachen, erhielt aber den Befehl, ihm nichts von mir zu sagen. Wie ich vorausgesehen hatte, sollte es nun an eine regellose Plünderung der Seribah gehen, und es kostete mich die Anstrengung meiner ganzen Energie, dies zu verhindern; ich war sogar gezwungen, meine Fäuste zu brauchen, und erreichte meinen Zweck schließlich nur dadurch, daß ich den ausgehungerten Sklaven ein großes Essen versprach, welches sich freilich schon mehr zu einem Fressen gestaltete. Als der Tag anbrach, lagen dann die Schwarzen von der übermäßig genossenen Merissah besinnungslos betrunken auf dem ganzen Platz herum. Das war aber immer noch besser, als wenn sie andere Ausschreitungen begangen hätten.

Während dieser Zeit, also während der Nacht noch, besichtigte ich die uns als den Siegern zufallende Beute. Sie war so groß, daß sie das Entzücken der Asaker hervorrief. Ein solches Ergebnis hatte der Reis Effendina niemals gehabt, und ich wurde mit Lob fast überschüttet, zumal die Soldaten zu diesen reichen Anteilen kamen, ohne daß ein einziger von ihnen verwundet oder gar getötet worden wäre. Dazu kam, daß ich nichts davon nahm, obgleich mir ein bedeutender Teil davon zugefallen wäre.

Dann, als ich meine Obliegenheiten alle erfüllt hatte und nun ausruhen konnte, kam Ssali zu mir und bat mich, mir doch endlich seinen Dank sagen zu dürfen. Wenn ich ihm nicht wehe thun wollte, mußte ich ihm diese Bitte erfüllen, und so setzte er sich zu mir, floß von Danksagungen über, denen ich kaum Einhalt thun konnte, und erzählte mir dann, was er seit unserer Trennung in der Gegend von Khoi erlebt hatte. Es war viel und doch wenig, wenig an äußeren Ereignissen, viel aber an inneren Wandlungen.

Sich noch immer einbildend, daß er nach dem Mahdi suche, dabei aber sich nach etwas ganz anderem sehnend, war er wieder nach Ägypten gekommen und hatte sich in die »heilige Kadirine« aufnehmen lassen. Vielleicht fand er da den Führer zu der rechten Lehre. Schon bald zu der Erkenntnis gelangt, daß ihm nur leerer Formelkram, totes Wortgeklingel und gar noch Schlimmeres geboten werde, wollte er wieder austreten, bekam aber zu hören, daß der Austritt sein Verderben sein werde, denn er könne gehen, wohin er wolle, der Rächer werde ihm folgen. Diese Angelegenheit brachte ihn vor einen Mann, der einen hohen Grad in der Kadirine bekleidete und ihn wegen des beabsichtigten Austrittes zu verwarnen hatte; er war Offizier und als solcher und auch in anderer Beziehung ein sehr einflußreicher Mann, der sich außerordentliche Ziele gesteckt zu haben schien. Ssali Ben Aqil sagte mir den Namen nicht; einige Andeutungen aber, die ihm unwillkürlich entschlüpften, ließen mich vermuten, daß Arabi Pascha gemeint sei, welcher ja bekanntlich auf die Kadirine die überschwenglichste seiner Hoffnungen gesetzt hat. Dieser hohe Kadirinist nahm ihn anfänglich sehr streng ins Gebet, zeigte sich aber bald milder, als er die Begabung Ssalis erkannte. Er verweigerte ihm nicht nur die Erlaubnis zum Austritte, sondern machte ihn darauf aufmerksam, daß er grad durch die Kadirine zum Ziele gelangen könne, denn nur unter ihren Anhängern, wenn auch in einer ihrer Unterabteilungen oder einer ihr ähnlichen Bruderschaft, könne der ersehnte Mahdi erstehen. Es gebe einen Anhänger der Kadirine, welcher darüber mehr sagen könne, ja, vielleicht den Namen des Mahdi schon wisse. Dieser von Allah begnadete Mann bekenne sich gegenwärtig zur Terika Samania, heiße Mohammed Achmed Ibn Abdullahi und wohne auf der Insel Aba im weißen Nile; Ssali Ben Aqil solle zur Strafe für seine Zweifel und seine Unbeständigkeit zu ihm pilgern, um bei ihm Verzeihung zu erflehen und um seinen Unterricht zu bitten. Er gehorchte dieser Aufforderung und bekam einen verschlossenen Brief des Offiziers an diesen Mohammed Achmed mit. Er kam nach langen, mehr als beschwerlichen Fahrten, Ritten und Wanderungen nach Chartum und von da nach Aba, wo er Mohammed Achmed anwesend fand. Dieser las den Brief, zeigte sich außerordentlich streng gegen ihn und diktierte ihm Büßungen, welche die Gesundheit seines Körpers zu untergraben drohten und den Rest seiner Glaubenszuversicht vollständig vernichteten. Ssali, mit einem ungewöhnlichen Scharfblicke begabt, durchschaute sehr bald das ganze innere Wesen des Mannes, welcher sich bisher den Fakir el Fukara genannt hatte, nun den Titel eines Sahed, eines Entsagenden, führte, bald darauf sich als el Murabit, der Heilige, verehren ließ und ihm schließlich die stolze Mitteilung machte, daß er mit Allah in direktem Verkehre stehe und von ihm den Befehl bekommen habe, als der längst erwartete Mahdi den Erdkreis zu erobern und allen Gläubigen das Glück der wahren Erkenntnis zu bringen. Ssali hatte sich mit Schmerzen nach dem Mahdi gesehnt und war überzeugt gewesen, daß, wenn er das Glück hätte, ihn zu finden, seine Seele in himmlischem Entzücken aufjauchzen würde; wo aber blieb dieses jauchzen jetzt? Er erschrak, anstatt daß er sich freute, denn es graute ihm vor dem Manne, welcher sich vermaß, der Menschheit die Seligkeiten aller Paradiese zu bringen. Der sollte der Mahdi sein? Eine größere Lüge oder wenigstens Selbsttäuschung konnte es gar nicht geben. Er hielt es für seine Pflicht, mit dieser Meinung nicht zurückzuhalten, und wurde von diesem Augenblicke an als Gefangener behandelt. Was er zu seiner Verteidigung vorbrachte, hatte nur den Erfolg, daß es seine Lage verschlimmerte, weil es bewies, was für eine außerordentliche Rednergabe er besaß, welche Mohammed Achmed sich um jeden Preis, selbst durch den äußersten Zwang, dienstbar machen wollte. Der Murabit erkannte, daß er von Ssali durchschaut worden sei, und so gab es seinen Gesinnungen und Plänen nach hier nur zweierlei Wege für ihn: entweder nahm Ssali die Terika Samania an und trat zu den Anhängern des neuerstandenen Mahdi über, oder er mußte verschwinden; auf keinen Fall durfte er ihn zurückkehren lassen, ohne ihn zu sich bekehrt zu haben. Ssali aber war nicht der Mann, sich zwingen zu lassen; die außerordentliche Strenge, mit welcher er behandelt wurde, hatte den grade entgegengesetzten Erfolg; sie brachte die Saat, welche ich damals bei der Musallah el Amwat in sein Herz geworfen hatte, zur schnellen Reife; seine Zweifel an der Wahrheit des Islam wuchsen von Stunde zu Stunde, und die geistliche Tyrannei, unter welcher er litt, ließ in ihm eine heiße Sehnsucht nach der Liebe erwachen, von welcher ich durch Wort und That gepredigt hatte. Es war da kein Wunder, daß er gegen Mohammed Achmed, welcher zuweilen bei ihm erschien, um Bekehrungsversuche anzustellen, von dieser Liebe sprach und dabei meinen Namen fallen ließ. Die Wirkung war eine für ihn ganz unerwartete. Er hatte angenommen, daß ich dem Mahdi vollständig unbekannt sei, und erschrak gradezu über die Wut, in welche dieser geriet, als er den Namen Kara Ben Nemsi hörte.

»Den kennst du? Den kennst du also auch?« schrie ihn Mohammed Achmed an. »Du bist wohl gar ein Schüler, ein Anhänger, ein Freund von diesem tausendmal in die Hölle verfluchten Hunde?«

»Ja, ich kenne ihn und habe ihn liebgewonnen, denn er ist es, durch den ich die Liebe und Barmherzigkeit Gottes erkannt habe, von der es bei euch keine Ahnung giebt,« antwortete Ssali.

»So brauche ich mich nicht mehr über den verrückten Widerstand zu wundern, den du mir zu bieten wagst. Jede Seele, welche mit diesem Giaur in Berührung kommt, ist dem Teufel verfallen. Ich werde dich dennoch zu retten suchen, was allerdings nur durch verdoppelte Strenge geschehen kann. Lässest du dich auch dann nicht zur Wahrheit leiten, so habe ich meine Pflicht gethan, und du magst hier und dort verloren sein.«

Von jetzt an erging es Ssali noch schlimmer als vorher; sein passiver Widerstand wurde dadurch, anstatt nachzulassen, nur fester, und so kam es, daß man ihn vorgestern mit andern Gefangenen auf das Schnellsegelboot schaffte, welches zum Transporte von Personen diente, die dem »Heiligen« unbequem geworden und darum nun seiner »Faust« verfallen waren. Mit einem unendlich dankbaren und liebestrahlenden Blick seiner dunklen Augen sagte Ssali am Schlusse seines Berichtes:

»Mir war die Sklaverei oder der Tod gewiß; da erbarmte Gott sich meiner in der größten Not und sandte dich, grad dich mir wieder zu. Giebt es einen deutlichern und unumstößlichern Beweis dafür, daß die Liebe, welche ihr verkündet, die größte Macht des Himmels und der Erde ist? Du, der du sie mehr durch deine Thaten als durch deine Worte predigest, befindest dich in diesem fernen, dunkeln Erdenwinkel ganz allein unter Jüngern der Grausamkeit, des Hasses und der Gottlosigkeit und bezwingst durch sie allein doch alle diese Menschen, welche sich einbilden, mit der Schärfe des Hasses und des Schwertes euch vernichten und den Kreis der Erde erobern zu können. Muß ich da nicht die finstere Pforte des Islam hinter mir zuwerfen und in die Arme dessen sinken, welcher der einzige und rechte Mahdi ist, indem er lehrte, daß nur die Liebe der Weg zum himmlischen Vater sei?«

Da griff ich hoch erfreut nach seiner Hand und fragte:

»Erinnerst du dich noch meiner Worte, welche ich dir bei der Musallah sagte? Sie lauteten: ›Du wandertest bisher in der Irre, weil du dir vornahmst, ein Führer zu sein. Sobald du zu der Erkenntnis kommst, daß du selbst noch sehr der Führung bedarfst, wird dir der Stern von Bait Lahm erscheinen, um dich zu dem zu leiten, dessen Stimme noch heut durch alle Lande schallt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, und niemand kommt zum Vater, denn durch mich!‹ Ssali Ben Aqil, erinnerst du dich?«

»Ja, Effendi! Aber denkst auch du noch an meine Worte beim damaligen Scheiden? Ich sagte: ›Wenn Allah meinen Wunsch erfüllt, so treffe ich dich einstens Wieder, und dann wirst du erfahren, ob ich noch auf der Spur des Mahdi wandle oder ob mir der andere Stern erschienen ist, von dem du zu mir gesprochen hast.‹ Er ist mir erschienen, schon damals; du hast ihn mir gezeigt. Er war zwar klein und fern, als ich ihn da zum erstenmale sah, aber er kam mir näher und immer näher; er ward größer und immer größer, und heut steht er nahe über mir und strahlt in einem Glanze, in dem ich hier bis zu meinem Tode und dann im jenseits wandeln will. Oh, Effendi, wie hattest du so recht: Gott ist die Liebe, und wer nicht in der Liebe wohnt, der lebt im Elend, denn er wohnt in Finsternis!«

Ich gestehe aufrichtig, daß ich mich über die Gewinnung dieser Seele mehr freute, als über alle andern Erfolge, welche ich heute erreicht hatte. Drum saßen wir, in die heiligen Lehren Christi vertieft, noch lange bei einander, bis es heller Tag geworden war und ich nun von andern Pflichten in Anspruch genommen wurde. Als ich von ihm aufstand, um fortzugehen, hielt er mich noch für einen Augenblick zurück und sprach:

»Da fällt mir noch etwas ein, Effendi, was ich dir sagen muß, denn ich weiß, daß es dich erfreuen wird. Du hast damals den Wirt von Khoi ermahnt, vom Trunke abzulassen; er ist dir gehorsam gewesen, und der Geist des Raki hat niemals wieder Einzug in seine Seele gehalten. Da sind der Schmutz und die Armut von ihm gewichen; er hat die Liebe seines Weibes und seiner Kinder wiedergewonnen und ist abermals der geachtete Mann geworden, der er früher war. Nun geh! Ich darf dich nicht länger hier für mich allein behalten.«

Er hatte recht; es gab für mich noch viel, sehr viel zu thun. Zunächst mußte Ben Nil mir Jumruk el Murabit herausbringen, der noch gar nicht wußte, wie es mit seiner Michbaja stand und wessen Gefangener er eigentlich war. Als er in das Freie trat und mich vor sich stehen sah, erkannte er mich sofort, obgleich ich das Pflaster nicht mehr im Gesicht hatte, und rief aus:

»Du bist es, Ben Sobata aus Guradi? Also habe ich recht geahnt: Der Reis Effendina hat El Michbaja überfallen, als ich mit meinen Kriegern fortgegangen war? Da ich dich sehe, der mein Freund geworden ist, bin ich überzeugt, daß du mich in deinen Schutz nehmen wirst.«

»Du befindest dich in einem vielfachen Irrtum,« antwortete ich ernst. »Nicht der Reis Effendina hat die Michbaja überfallen, sondern Kara Ben Nemsi ist es gewesen; zweitens bin ich nicht dein Freund geworden, und drittens heiße ich nicht Ben Sobata, der dich übrigens niemals in seinen Schutz nehmen würde, weil du ihn ermorden lassen wolltest.«

»Ermorden?« fragte er erstaunt und erschrocken. »Wer hat diese Lüge – –«

»Es ist keine Lüge!« unterbrach ich ihn. »Sobald du das Wort ›Wtole!‹ aussprachst, sollte er von hinten erstochen werden.«

Ich sah trotz seiner dunklen Gesichtsfarbe, daß ihm das Blut aus den Wangen trat. Er fragte, beinahe stammelnd:

»Wer – wer hat ihm – – das verraten? Und wie – – wie kannst du sagen – – daß du nicht – – nicht Ben Sobata – –«

Er stockte und ich fuhr fort:

»Du vermaßest dich in deinem Hochmute, Kara Ben Nemsi zu fangen und mit Ssali Ben Aqil zusammenzubinden. Wie kann ein solcher Ausbund der allergrößten Dummheit, wie du bist, sich einbilden, mich zu überlisten!«

»Dich – – dich – –?« fragte er.

»Ja, mich! Ahnst du denn immer noch nicht, daß ich dieser Kara Ben Nemsi bin; dieser räudige Christenhund, den du dem Murabit ausliefern wolltest?«

»Du – – du – – bist dieser – – – ‹& stammelte er, ohne seine Frage zu Ende zu bringen.

»Ja, der bin ich! Nun wirst du wohl erkennen, was dir bevorsteht. Als du mich für Ben Sobata hieltest, heucheltest du mir Wohlwollen, um auf diese Weise einen Zeugen eurer Missethaten leichter aus dem Wege zu schaffen. Alberner Kerl! Ich hörte deinen Anschlag gegen mich, denn die Dinkasprache ist mir viel, viel geläufiger als dir, und als du mich überlisten wolltest, warst du selbst schon vollständig von mir überlistet! Du nennst dich die Faust des Heiligen; keinem Dinge aber steht dieser Murabit ferner als der Heiligkeit, und deine verbrecherischen Hände werden sich niemals wieder zur Faust zusammenballen; sie sind schwächer geworden, als die kleinen Finger eines Neugeborenen und können nicht einmal das bißchen Goldstaub festhalten, welches du mir auf so vermeintlich schlaue Weise abgenommen hast. Du besitzest viel zu wenig Hirn, um ahnen zu können, daß ich diese Beutel nur mitgebracht hatte, um dich kirre zu machen!«

Ich bediente mich dieser verächtlichen Ausdrucksweise, um ihn noch mehr zu demütigen, als es schon durch die Thatsachen geschehen war. Der Unterschied zwischen seiner gestrigen hochmütigen Sicherheit und seiner jetzigen Erniedrigung wirkte auch wirklich so niederdrückend auf ihn ein, daß er sich schwach an die Knüppelwand des Hauses lehnte und mit matter Stimme seufzte:

»So, also so ist es gekommen! Du bist Kara Ben Nemsi, der Christ! Ia Huzn, ia Musiba, ia Schaka – o Traurigkeit, o Unglück, o Elend! Wie konnte das in so kurzer Zeit geschehen!«

»Wie das geschehen konnte?« fragte Ssali Ben Aqil, indem er nahe an ihn herantrat und ihn aus seinen dunklen Augen anblitzte. »Es mußte so kommen; ja, es mußte! Denn das Verbrechen muß seine Strafe finden, hier oder dort. Wer Liebe giebt, wird Liebe empfangen; wer aber die Saat des Hasses ausstreut, der kann nichts als nur Rache, die Strafe Gottes ernten! Ihr wolltet mich durch eure Grausamkeiten zwingen, in die Stapfen eurer Überhebung zu treten; aber ich that dies nicht, denn ich sah die Vergeltung kommen, welche an meiner Stelle in diese Stapfen trat, um euch zu folgen und schnell zu ereilen. Nun ist sie da. Ich wünschte dir gestern eine ruhige Nacht und ein fröhliches Erwachen; du hast mich nicht verstanden. Ich erkannte in Ben Sobata meinen Freund Kara Ben Nemsi, den von euch Verfluchten, und war, sobald ich ihn sah, überzeugt, daß mein Elend noch während dieser Nacht zu Ende gehen werde. Nun jammerst du über dein Elend, dein Unglück und deine Traurigkeit; wie wirst du erst jammern und klagen, wenn die Strafe, die du jetzt erst von weitem siehst, an dich herangetreten ist, um dich wie mit der Gewalt und Stärke von Löwentatzen zu Boden zu schlagen!«

Daß Ssali, sein Gefangener, es war, der in dieser Weise zu ihm reden konnte, empörte seinen Stolz und rief seine Energie wieder wach. Er richtete sich hoch auf, ballte die gefesselten Hände, hob sie drohend empor und rief:

»Schweig, du Wurm! Denn du bist auch jetzt nur ein armseliger Wurm, obgleich die Nähe dieses Christen dir die Verwegenheit giebt, zu glauben, daß du mich ungestraft beleidigen kannst! Noch habt ihr nicht gesiegt! Ich sehe zwar hier alle meine Leute gebunden und alle meine Sklaven befreit. Es ist euch nur durch niederträchtige Heimtücke gelungen, die Michbaja für wenige Stunden in eure Gewalt zu bekommen, aber eure Freude wird sich in Trübsal und euer Jubel in Jammer verwandeln, denn der Heilige von Aba wird seine mächtige Hand erheben, um mich zu befreien und euch zu verderben!«

»Der Heilige? Seine Hand erheben? Ich denke, du bist seine Hand? Du nennst dich doch Jumruk el Murabit! Wenn wir diese Faust in so ohnmächtiger Schwäche vor uns sehen, wie können wir da den fürchten, dem sie genommen und abgehauen worden ist! Hat euer Murabit sich nicht vor Kara Ben Nemsi gefürchtet? Ist er nicht sein Gefangener gewesen? Verdankt er nicht ihm das Leben, ihm, der sich seiner erbarmte, als er, von der Bastonnade niedergeworfen, fast sterbend einst im Sumpfe lag? So einen Menschen nennt ihr Murabit? So einen Mann, dessen Sohlen auf Befehl des Reis Effendina zerschlagen wurden, soll der Mahdi sein, welchen Allah sendet, um der Menschheit Frömmigkeit und Gerechtigkeit zu bringen und ihr die Pforten des Paradieses zu öffnen? O Jumruk el Murabit, wie müßte ich dich verlachen, wenn es nicht so traurig wäre, einen Menschen, dem Allah doch Verstand gegeben hat, so sinnlose Thorheiten aussprechen zu hören!«

»Schweig, oder du wirst an deinen eigenen Worten ersticken!« schrie ihn Jumruk an. »Ich weiß genau, was ich gesagt habe und auch, warum ich es sagte. Auf euern Sieg braucht ihr euch gar nichts einzubilden, denn es wird – – –«

»Still!« unterbrach ich ihn. »Wenn du glaubst, zu wissen, was du sagst, so wissen wir noch viel besser, was wir thun. Ich ziehe nämlich das Thun dem Sagen vor, und du wirst gar nicht lange zu warten brauchen, um durch die That die Antwort auf deine Drohungen zu bekommen. Schafft ihn wieder hinein und bindet ihm die Füße!«

Er wollte sich sträuben, wieder in das Innere des Gebäudes geschafft zu werden, doch kamen auf meinen Wink einige Asaker herbei, welche Ben Nil halfen, den Widerstrebenden zum Gehorsam zu zwingen. Ich brach so schnell mit ihm ab, weil ich den Askari kommen sah, welchen ich an das südliche Ufer der Halbinsel, wo erst die feindliche Wache stand, postiert hatte, um auf die Annäherung des »Falken« Achtung zu geben. Dieser Mann meldete mir jetzt, daß das Schiff zu sehen sei.

Ich hatte mit dem Steuermann verabredet, falls auf der Halbinsel alles in Ordnung sei, zwei Schüsse aus meinem weithin schallenden Bärentöter abzugeben, auf welches Zeichen hin er am Nordufer der Insel anlegen Solle, weil es da, als stromabwärts gerichtet, ruhigeres Wasser gab als auf der andern Seite. Ich sah den ›Talken« kommen, und zwar schnell, denn der günstige Wind erlaubte ihm, sich der Segel zu bedienen. Als er nahe genug war, schoß ich die beiden Läufe ab, worauf vom Bord ein dreimaliger lauter Ruf als Antwort ertönte; dann glitt der ›Talke« westwärts hinüber, um die Nimdschesireh zu umsteuern. Während er diesen Bogen schlug, ging ich von der südlichen nach der nördlichen Seite derselben und kam dort grad an, als er in die stille Bucht einfuhr, wo auch die schnellsegelnde Schachtura vor Anker lag, weiche, wie schon gesagt, Jumruk sich hatte bauen lassen und die, weil sie meinen Absichten vortrefflich zu statten kam, ich als das mir willkommenste Beutestück betrachtete.

Noch ehe der »Falke« den Anker fallen ließ, rief der Steuermann mir fragend zu, ob der von mir gegen Jumruk geplante Streich vollständig gelungen sei.

»Ja, vollständiger noch, als ich dachte,« antwortete ich. »Schicke mir zunächst Abu Reqiq unter guter Bedeckung an das Land!«

Es dauerte nur einige Minuten, so wurde der Sklavenhändler gebracht. Als die Asaker, welche ihn führten, mit ihm aus dem Boote stiegen, sagte ich zu ihm:

»Du hattest so große Sehnsucht, El Michbaja kennen zu lernen; Hubahr sollte dein Führer sein. Er war nicht geeignet dazu, und so bin ich an seine Stelle getreten. Unter meiner Leitung wirst du nicht bloß sie, sondern auch Jumruk el Murabit sehen, der dich mit so großer Sehnsucht erwartet hat.«

»Allah rhinalek – Gott verfluche dich!« murmelte er halblaut zwischen die Zähne.

Ich that natürlich, als ob ich das nicht gehört hätte, und ließ ihn nach dem Platze schaffen. Dort angekommen, mußte er Jumruks Haus betreten. Dieser saß mit Ben Nil allein im Innenraum und blickte uns beiden mit finstern Augen entgegen.

»Hier bringe ich dir einen Freund, o Jumruk el Murabit,« sagte ich. »Er wird Abu Reqiq genannt und ist außerordentlich entzückt darüber, daß er das außerordentliche Glück hat, dich grad unter meinem freundlichen Schutze begrüßen zu können.«

Die Fesseln hinderten ihn, von seinem Sitze aufzuspringen; er machte einen vergeblichen Versuch dazu, fiel aber natürlich wieder zurück.

»Du bist ein Hund, der nichts gelernt hat, als nur die Zähne zu zeigen!« knirschte er. »Allah gebe, daß wir sie dir noch ausbrechen können!«

Er erhielt für diese Beleidigung von Ben Nil eine schallende Ohrfeige, die ihn so klug machte, daß er von jetzt an kein Wort mehr sagte. Ich fuhr so ruhig, als ob ich nichts gehört und gesehen hätte, fort:

»Ich ließ euch zusammenführen, um euch zu sagen, was ich beabsichtige, mit euch zu thun. Ihr seid meine Todfeinde, und ich könnte euch nach den unter euch herrschenden und von euch befolgten Gesetzen das Leben nehmen; die Menschheit würde mir dadurch zum größten Dank verbunden sein. Aber als Christ muß ich euch alles verzeihen, was ich persönlich gegen euch habe, wenn ihr auch nicht glauben dürft, daß es mir erlaubt ist, euch dem Gesetze zu entziehen; ich bin vielmehr gezwungen, euch diesem zur Bestrafung zu übergeben. Der Reis Effendina ist der Vertreter der weltlichen Gerechtigkeit, welcher ihr verfallen seid, und so mögt ihr wissen, daß ich euch ihm ausliefern werde.«

Da fiel Abu Reqiq schnell ein:

»Thue das nicht, Effendi! Er würde uns sofort töten. Richte lieber du nach den Gesetzen des Christentumes über uns!«

»Ah! Wenn es sich um dein Wohl, ja um dein Leben handelt, ziehst du das Christentum dem Islam vor? Wolltest du dich meiner Gnade erfreuen, so durftest du vorhin nicht wünschen, daß Allah mich verfluchen möge. Was kann dir die Barmherzigkeit eines Verfluchten nützen? Wenn du einen Christen, der im Abgrunde des Fluches untergegangen ist, um Gnade anflehst, wie tief, wie viel tiefer mußt da erst du gesunken sein!«

Da schrie er mich an:

»Deine Seele ist so schwarz, daß sie gar nicht schwärzer werden kann! Lieferst du uns dem Reis Effendina aus und tötet er uns, so wird Allah einst am letzten Tage unsere Seelen von dir fordern!«

»Ich werde ruhig nach der Dschehenna zeigen, wo er sie von den Schejatin fordern müßte, deren Eigentum ihr infolge eurer Missethaten geworden seid. Der Reis Effendina wird euch nach seinem Spruche richten: Wehe dem, der wehe thut! Leider kann er euch das Wehe, welches ihr verbreitet habt, nicht zum tausendsten Teile anthun; aber eins kann er, und das wird er gewiß nicht unterlassen; nämlich euch unschädlich machen, wie man giftige Schlangen unschädlich macht, indem man ihnen die Köpfe zertritt.«

»Bedenke, was du thust, Effendi! Du bist ein Mensch, und auch wir sind Menschen, die man nicht wie Schlangen zertritt!«

»Waren das keine Menschen, die ihr getötet oder in die Sklaverei verkauft habt?«

»Schwarze sind nur halbe Menschen; sie fühlen nichts!«

»Damit entschuldigt ihr euch, obwohl ihr sehr gut wißt, daß es nichts als eine Lüge ist. Aber selbst angenommen, daß es wahr sei, sind die El Homr, welche du verkaufen wolltest, Schwarze? Giebt es unter den Sklaven, die wir hier befreiten, nicht über dreißig Personen, die keine Neger, sondern sogar Bekenner des Islam sind? Ich mache da keinen Unterschied, denn mir gilt ein Mensch soviel wie der andere, welchen Glaubens und welcher Abstammung er auch sein möge; aber beim Reis Effendina wird es mit gewaltiger Schwere auf die Wagschale drücken, daß ihr diese Mitbekenner eures Glaubens wie heidnische Neger behandelt habt.«

»Drum sage ich, du sollst uns richten, Effendi, du!«

»Bitte das nicht! Denn wollte ich nur Gerechtigkeit üben, so würde mein Urteil noch strenger ausfallen als das seinige, weil mir ein Neger oder Heide genau so viel wie ein Araber oder Moslem gilt. Und welche freche Stirn ist’s, die du mir zeigst, indem du mich erst verfluchst und dann um Schonung bittest! Des Menschen Schicksal liegt in seiner Hand; ihr habt die eurige in Blut getaucht; darum kann euer Ende kein anderes als ein blutiges sein!«

»Ist dies die letzte Entscheidung, welche du fällst?«

»Ja.«

»So sollst du noch eher sterben als ich und wir alle, du Sohn des Aussatzes und der Verworfenheit!«

Er sprang auf mich ein, was ihm dadurch möglich wurde, daß seine Füße nicht gefesselt waren, und krallte die Finger seiner zusammengebundenen Hände um meinen Hals; er wollte mich erwürgen. Ben Nil fuhr schnell in die Höhe, um mir beizustehen, aber das war überflüssig, denn ich stieß dem vor Angst wütenden Menschen die Faust unter das Kinn, daß er seine Finger von meinem Halse löste und mit hintenüberknickendem Kopfe zu Boden stürzte. Die Füße wurden ihm nun auch zusammengebunden. Hierauf beorderte ich einige Asaker zur Bewachung der beiden Sklavenhändler, denn Ben Nil, der sie bisher beaufsichtigt hatte, war bei der Verteilung der Beute nötig, welche nun beginnen sollte.

Beute! Welch ein angenehmes Wort für alle, welche das Recht besaßen, an ihr teilzunehmen, doppelt angenehm, weil nicht der Reis Effendina, sondern ich es war, der für alle Fälle den entscheidenden Spruch zu fällen hatte! Dieses Wort brachte einen solchen Jubel und eine so fieberhafte Beweglichkeit hervor, daß ich Mühe hatte, die nötige Ruhe und Ordnung herzustellen. Man hatte sich zwar schon während der Nacht damit beschäftigt, die eigentliche Arbeit aber konnte erst jetzt beginnen.

Ich bestimmte, daß nicht nur diejenigen, welche unsern nächtlichen Zug mitgemacht hatten, sondern alle, die zum Schiffe gehörten, Anteil an der Beute haben sollten. Das waren also unsere ursprünglichen Asaker, dann die in Faschodah engagierten Takaleh, ferner die Soldaten von der Seribah Aliab und endlich die El Homr. Was außer den Genannten für Mannschaften auf dem Schiffe gewesen waren, die hatten es in Faschodah verlassen. Außerdem gab es noch einzelne Personen, welche natürlich auch nicht übergangen werden durften, nämlich Abu en Nil, Ben Nil und der lange Selim, welcher als der »größte Held des Weltalls« am meisten haben wollte, obgleich er keinen Finger zum Gelingen unsers Streiches in Bewegung gesetzt hatte und mir überhaupt, seit ich ihn kannte, mehr hinderlich als förderlich gewesen war; hatte ich doch die meisten Verlegenheiten, in welche wir geraten waren, nur ihm zu verdanken gehabt.

Zu meiner besondern Freude hatte ich von einigen der befreiten Gefangenen erfahren, daß zur Michbaja einige Dutzend Reit- und Lastkamele gehörten, welche in einer am Rande des Waldes gelegenen Einzäunung gehalten wurden. Diese bestimmte ich für die El Homr und die Takaleh, weiche dadurch, meinem den ersteren gegebenen Versprechen gemäß, eine vortreffliche Transportgelegenheit nach ihrer Heimat fanden. Natürlich sorgte ich auch dafür, daß diese Leute hinreichend mit Anzügen, Waffen und Munition versehen wurden; es war genug davon vorhanden.

Die Teilung unter die vielen, leicht erregbaren Menschen ging natürlich nicht ohne Scenen ab, bei denen sogar die Fäuste zu Hilfe genommen wurden; ich sah mich gezwungen, dieses Beweismittel auch in Anwendung zu bringen, und wenn ein kräftiges Wort von mir den beabsichtigten Eindruck nicht hervorbringen wollte, so half ich mit einem tüchtigen Hiebe nach, welcher seine Wirkung nie verfehlte.

Die drei Offiziere kamen selbstverständlich zuerst daran. Sie erhielten »unter acht Augen« von der persönlichen Habe Jumruks so viel, daß sie sich gern zufrieden erklärten. Auch Abu en Nil, Ben Nil und Selim wurden ohne Zeugen von mir abgefertigt; ich betrachtete sie als zu mir gehörig und gönnte ihnen darum einen Vorzug vor den Soldaten, von dem diese nichts zu wissen brauchten. Auch Jumruk hatte, grad wie die Omm Karn-Leute, aber viel mehr als diese, Thibr besessen, dessen größter Teil den Offizieren zugefallen war; den Rest verteilte ich unter die drei Genannten. Selim erhielt davon im Werte von einigen Tausend Piastern; dennoch rief er unzufrieden aus:

»Warum bekomme ich nicht mehr, Effendi? Hast du vergessen, was ich alles geleistet habe? Ist es nicht mir und meiner Tapferkeit allein zuzuschreiben, daß wir Thaten ausgeführt haben, über welche die ganze Menschheit, sobald sie davon hört, in Bewunderung ausbrechen wird? Ich will euch jetzt einmal aufzählen, was ihr mir zu verdanken habt. Ich fange da bei dem Gespenste in Kairo an, dem ich – – –«

»Mit welchem du gleich wieder aufhören kannst!« unterbrach ich ihn, »denn so dumm, wie du dich dabei verhalten hast, bist du auch später stets gewesen. Du hast uns nichts als nur Unheil gebracht, und wenn ich dir diesen Thibr gab, so hast du ihn nur aus Mitleid, nicht aber als Belohnung eines Verdienstes erhalten!«

Er wollte widersprechen, erhielt aber den scharfen Befehl zu schweigen.

Die Unteroffiziere wurden mit dem fünffachen Anteile bedacht, der auf einen Askari entfiel, und doch erklärten am Schlusse der Verteilung alle Asaker, daß sie noch nie, so lange sie auch dienten, so reich wie heut bedacht worden seien. Und die Sklaven? Nun, es versteht sich ganz von selbst, daß ich auch für diese armen Teufel so viel wie möglich sorgte. Die Soldaten waren zwar damit nicht einverstanden, mußten sich aber fügen. Und derjenige, welcher, wenn er hier gewesen wäre, wenigstens den dritten Teil der Beute für sich bestimmt hätte, nämlich der Reis Effendina? Den erwähnte ich gar nicht, und seine Untergebenen hüteten sich sehr wohl, ihn in Erinnerung zu bringen. Er hatte meiner Ansicht nach nichts zu fordern, und wenn er, sobald ich fort war, Ansprüche erheben wollte, so konnte mir das gleichgültig sein; ich war mit ihm fertig.

Als jeder das Seinige erhalten hatte, schwieg jeder Zwist, und Jubel herrschte überall. Man lobte und pries mich in allen Tonarten; leider aber war ich gezwungen, der Freude einen Dämpfer aufzusetzen, indem ich erklärte, daß die Stunde des Scheidens gekommen sei. Niemand wollte daran glauben, und ich hatte einige lange Reden zu halten, um diesen guten Leuten erklärlich zu machen, daß es mir nicht einfallen könne, an Bord des »Falken« wieder mit dem Reis Effendina zusammenzutreffen. Ich fürchtete mich zwar vor seiner Rache nicht, doch war nach dem heutigen Erfolge ein Zusammenleben mit diesem neidischen Offiziere für mich eine Unmöglichkeit.

Ich hatte die Schachtura Jumruks für mich zur Fahrt nach Chartum bestimmt und ging mit den Personen, welche mich begleiten sollten, nach dem Flusse, um sie in stand zu setzen; das waren Ssali Ben Aqil, Abu en Nil, Ben Nil, Hafid Sichar und Selim, der Held aller Helden. Als wir dort mit dem Schnellsegler beschäftigt waren, kam einer zu mir, der auch mit vom »Falken« ausgestiegen war, um die Michbaja zu sehen, an der Beute aber natürlich keinen Anteil genommen hatte, nämlich Murad Nassyr, der Türke. Er hatte uns bis Wagunda und dann zurück begleitet, war erst von dem Reis Effendina mit offenem Mißtrauen behandelt worden und hatte es dann fertig gebracht, ihm nach und nach eine vorteilhaftere Meinung einzuflößen. Sonderbarerweise war der Reis Effendina grad um so freundlicher mit ihm gewesen, je mehr er sich von mir zurückgezogen hatte. Dies und noch andere Beobachtungen gaben mir allen Grund, anzunehmen, daß mir die Sympathie des Reis nicht nur infolge seiner Eifersucht, sondern auch durch heimliches Wühlen von seiten Murad Nassyrs verloren gegangen sei. Der Türke hatte seit langer Zeit nur das Allernotwendigste mit mir gesprochen. Jedenfalls hegte er ein tiefes Rachegefühl gegen mich, denn nach seiner Ansicht war allein ich es, der ihm seine schönen Pläne zu schanden gemacht hatte, so daß er nun mit Kumra, der lieblichen Turteltaube, unverrichteter Sache heimkehren mußte.

Jetzt kam er zu mir und bat mich, ihn und seine Frauen mit auf die Schachtura zu nehmen.

»Wie kommst du zu dieser Bitte?« fragte ich ihn. »Der Reis Effendina würde ganz unglücklich darüber sein, daß du ihn verlassen hast.«

»Glaube das nicht, Effendi! Du bist mir lieber, viel lieber als er!«

»Seit wann?«

»Seit stets!«

»Lüge nicht! Ich kenne dich und weiß genau, was ich dir zu verdanken habe. Ich errate auch deine jetzigen Gründe, ohne daß du sie mir zu sagen brauchst.«

»Ich habe keinen andern Grund als die Freundschaft, welche ich für dich empfinde, Effendi.«

»Das machst du mir nicht weis. Ich will dir sagen, warum du wünschest, mit mir zu fahren. Erstens hat dich Kumra, deine Schwester, darum gebeten; sie würde sich bei mir sicherer und wohler fühlen, als auf dem »Falken«, wo die vielen Asaker sie zu einem förmlichen Gefängnisleben zwingen. Der Hauptgrund aber liegt in deiner jetzigen Angst vor dem Reis Effendina.«

»Angst? Er ist doch stets so freundlich mit mir gewesen. Warum sollte ich mich grad jetzt vor ihm fürchten? Ich habe ihm ja nichts gethan!«

»Du nicht, aber ich! Doch daran trägst auch du die Schuld, wie du wohl wissen wirst. Wenn er an der Insel Talak chadra wieder an Bord kommt, wird er sich in einer so grimmigen Stimmung befinden, daß es für jedermann geraten ist, ihm aus dem Wege zu gehen. Das ist es, was dich zu dem Wunsche treibt, mit mir fahren zu dürfen.«

»Nein! Nur aus reiner Freundschaft möchte ich gern bei dir bleiben!«

»Wirklich? Ist diese Freundschaft so groß, daß sie auch Gefahren mit mir teilen würde?«

»Ja.«

»Gut, so sei dir dein Wunsch erfüllt. Hole deine Frauen! In höchstens einer Stunde segeln wir ab.«

Ich lächelte ihm bei diesen Worten ironisch ins Gesicht. Er wurde verlegen, drückte und drückte und fragte dann:

»Welche Gefahren sind es, die du meinst?«

»Keine gewöhnlichen, denn wir werden hart am Rande des Todes vorübersegeln. Der Heilige auf der Insel Aba will mich fangen, und dieses Boot gehört der »Faust des Heiligen«; er kennt es also und wird mich nicht vorüberlassen wollen. In dieser ganzen Gegend ist der Nil mit Wächtern besetzt, welche auf uns aufzupassen haben. Das ergiebt für uns Gefahren, die der große, wohlbemannte »Falke« nicht zu beachten braucht, denen aber so ein kleines Boot, wie diese Schachtura ist, wohl kaum entgehen kann. Deine Freundschaft zu mir wird sich freilich gar nicht daran kehren!«

»Nein, ganz gewiß nicht, Effendi! Ich bin gern bereit, alles mit dir zu wagen, und bitte dich nur um die Erlaubnis, mit Kumra, meiner Schwester, vorher darüber sprechen zu dürfen!«

Er eilte fort und soll heut noch wiederkommen! Oh Murad Nassyr, Bruder zweier Schwestern, von denen eine mich beglücken sollte, wie thut mir dies dein schnelles Scheiden wehe!

Schon in einer Stunde abzufahren, war nur Redensart gewesen; so rasch konnte ich nicht fort, denn ich wollte die Michbaja nicht eher verlassen, als bis ich die El Homr und die Takaleh vor dem Reis Effendina in Sicherheit wußte. Sie mußten mit den Kamelen an das jenseitige Ufer, wozu der »Falke« zu unbequem war, weil das Ein- und Ausschiffen der Tiere beschwerlich gewesen wäre. Es wurden dazu mehrere große Flöße gebaut, welche bei den vielen Händen, die es dazu gab, sehr schnell zusammengesetzt waren. Die Kamele wurden darauf geschafft, auch die, welche sich auf dem Schiffe befunden hatten, und dann ging’s an ein Abschiednehmen, welches nicht wenig Zeit in Anspruch nahm. Ich kürzte den meiner Person davon gewidmeten Teil dadurch ab, daß ich vor der Flut von Danksagungen die Flucht ergriff und erst dann an das Ufer zurückkehrte, als die Flöße schon weit von der Michbaja in der Mitte des Stromes schwammen. Am jenseitigen Ufer angelangt, brauchten die durch ihre Freiheit und die reiche Beute beglückten Leute nur grad nach Westen zu reiten, um auf den Karawanenweg von Abu Habble zu kommen.

Nun hinderte mich nichts mehr, die Halbinsel auch zu verlassen. Ich versammelte die Offiziere und Asaker, um zum letztenmale zu ihnen zu sprechen und ihnen meine letzten Weisungen zu geben. Sie hatten die gefangenen Händler und die befreiten Sklaven an Bord zu nehmen und die kurze Strecke bis zur Insel Talak chadra zu fahren, wo sie auf den Reis Effendina warten mußten. Was dieser dann thun und wann und wie er nach Chartum kommen würde, das war mir zwar nicht gleichgültig, konnte es mir aber sein.

Den Abschied übergehe ich. Er wurde beiderseits nicht leicht, denn wir waren, sozusagen, während der langen Fahrt und den vielen, gemeinsam bestandenen Gefahren zusammengewachsen.

»Mit dir, Effendi, geht unsere Freude am Leben fort,« sagte ein alter Onbaschi, der sich stets mir sehr ergeben gezeigt hatte. »Ohne dich giebt’s keine Lust an diesen Fahrten. Wenn wir nach Chartum kommen, schnalle ich den Säbel von der Seite. Allah sei mit dir so oft und lange, wie wir an dich denken werden!«

Er fuhr sich mit beiden Händen über die Augen und machte sich auf die Seite. Es gab unter allen diesen Leuten nur Einen, der mir nicht die Hand drücken wollte; das war Aziz, der »Liebling« des Reis Effendina, der so oft auf Befehl seines Herrn die unerbittliche Peitsche geschwungen hatte. Als ich ihm meine Hand zum Abschiede hinhielt, trat er einen Schritt zurück, sah mir finster in das Gesicht und sagte:

»Erwarte von mir keinen Händedruck! Ich liebe meinen Herrn und bin ihm treu; du hast ihn beleidigt und gekränkt; ich mag von dir nichts wissen!«

»Ich freue mich über diese deine Treue, welche dir aber kein Recht giebt, mich zu hassen,« antwortete ich. »Fühlt sich dein Herr beleidigt, so trägt nur er die Schuld, nicht ich. Bringe ihm meinen letzten Gruß, und sage ihm, daß ich nicht als sein Feind von ihm geschieden bin!«

Wir wurden nach dem Ufer geleitet, stiegen ein und stießen ab. Es war uns allen, und zumal mir, wehe um das Herz. Mein Abschied vom »Falken« hätte ein ganz anderer sein sollen und auch sein können. Ich hatte den Reis Effendina aufrichtig lieb gehabt.

Wir saßen lange, lange schweigend im Boote; die notwendigen Handgriffe wurden stumm gethan. Da hinter uns im Süden war ein kurzer aber ereignisreicher Teil unsres Lebens zurückgeblieben! Wir ruderten uns an der Mangarah vorüber und legten dann am Ufer an, um nicht am Tage die Insel Aba zu passieren. Wie gern hätte ich auf ihr gelandet, des groß und heilig gewordenen Fakir el Fukara wegen; aber dies hätte geheißen, uns einer bloßen Neugierde wegen ganz nutzlos in Gefahr zu begeben, und so ließen wir uns dann, als es Abend geworden war, beim Scheine der Sterne an ihr vorbeitreiben und zogen, als der Mond aufging und der Wind aus Süden wehte, die beiden Segel auf, um die Schnelligkeit der Schachtura zu erproben.

Wir konnten mit ihr zufrieden sein, denn wir überzeugten uns, daß der Reis Effendina, selbst wenn es ihm möglich wäre, heut noch an Bord des »Falken« zu kommen, uns doch bis Chartum nicht einholen würde. Von unserer Thalfahrt ist nichts Wichtiges zu sagen; sie machte die erste Hälfte meiner zum Reis gesprochenen Worte wahr: »Ich werde eher in Chartum und auch eher in Kairo sein als du!«

Es war am frühen Vormittage, als wir uns zwischen den vielen Barken hindurchwanden und an das Ufer legten. Ich eilte sogleich nach der nahen, offenstehenden Missionskirche, um dem Ehre zu geben, dem die Ehre für die Rettung aus so vielen Gefahren gebührte. Ssali – ich sage es mit Freuden – begleitete mich und kniete an meiner Seite nieder. Als wir das Gotteshaus verlassen hatten, sagte er:

»In dieser Viertelstunde habe ich auch äußerlich mit dem Islam abgeschlossen, Effendi. In der Heimat angekommen, werde ich eine christliche Medrese besuchen, um ein Prediger der Lehre von der Liebe zu werden, wie ich ein Lehrer der Irrtümer Muhammeds gewesen bin.«

Es sei mir eine Beschreibung dieser außerordentlich interessanten Stadt hier an dieser Stelle erlassen; ein späterer Band wird das Versäumte reichlich nachholen; der mir für dieses Mal gewährte Raum würde nicht reichen. Das Wichtigste, was wir zu thun hatten, war, Barjad el Amin aufzusuchen, welcher im Vereine mit Ibn Asl Hafid Sichar seines Goldes beraubt und ihn in die Sklaverei verkauft hatte. Sein Haus stand in der Nähe des Hokumdaria. Wir fanden es bewohnt, aber nicht mehr von dem Gesuchten. Auf unsere Erkundigungen erfuhren wir, daß er von Allah schwer heimgesucht worden sei; el Hawa, die Cholera, hatte seine ganze Familie vernichtet; nur er allein war übrig geblieben; die Trauer und der Tiefsinn hatten ihn ergriffen; die Einsamkeit aufsuchend, war er seltener und immer seltener gesehen worden und endlich ganz verschwunden. Man glaubte, daß er seinem Leben ein Ende gemacht habe. Wohin sein Vermögen gekommen sei, das wußte niemand zu sagen.

Hafid Sichar machte eine Bewegung mit den Händen, als ob er etwas von sich werfe, und sagte heitren Tones:

»Weg mit dem Golde! Allah hat nicht gewollt, daß ich es zurückerhalte; ich habe meine Freiheit wieder; die ist mehr wert als alle Schätze der Erde. Er sei hochgepriesen dafür, daß ich nach so langer Arbeit im Innern der Erde das Licht der Sonne genießen darf!«

Seine heitere Zufriedenheit rührte mich. Ich gab mir den Anschein, als ob ich grad so dächte, wie er, sann aber im stillen eifrig hin und her, wo dieser Barjad el Amin wohl zu suchen sei. Das Geld hatte nicht mir gehört; aber eine Summe von i 50 000 Piastern samt Zinsen und Zinseszinsen hätte ich nicht so leicht aufgegeben. Wo war das Vermögen des Verschwundenen hin? Er war weder bestohlen worden, noch hatte man jemals von einem Iflas etwas gehört. Er mußte es mitgenommen haben, denn es gab in ganz Chartum keinen Geschäftsmann, bei dem es deponiert worden war.

Unter diesen vergeblichen Nachforschungen meinerseits verging eine ganze Woche. Da wollten meine Begleiter, die sich nach ihrer Heimat sehnten, nicht länger bleiben, und so beschlossen wir, abzureisen.

Es fiel uns gar nicht ein, den Weg durch die Bajudasteppe zu nehmen. Wir hatten unsere Schachtura, welche kein Mensch uns bisher streitig gemacht hatte, und wollten auf ihr den Nil hinab. Was mich außerordentlich wunderte, war, daß der Reis Effendina sich noch nicht hatte sehen lassen. Er hätte nach meiner Berechnung höchstens zwei Tage nach unserer Ankunft auch eintreffen können. Ich war oft an den Fluß gegangen, um nach dem »Falken« zu sehen, hatte ihn aber nicht erblickt.

Da, nur einen Tag vor unserer Abfahrt, hatte ich wegen der Verproviantierung unsers Bootes im Getreidemagazin zu thun gehabt und ging, aus demselben heraustretend, an der danebenliegenden Saraya vorüber, einem der wenigen aus Ziegel gebauten Häuser der Stadt, die meist nur aus Lehmwohnungen bestand, als jemand so eiligen Schrittes aus dem Thore kam, daß er mit mir zusammenstieß; es war – – – der Reis Effendina!

Er trat zurück, um sich zu entschuldigen; da sah er, daß ich es war, und fuhr sofort mit der Hand nach dem Säbel. Wir standen uns einige Augenblicke hoch aufgerichtet und Blick in Blick getaucht, einander gegenüber; da zog er die Hand zurück, machte eine verachtungsvolle Armbewegung, spuckte aus und sagte:

»Du bist für mich Hawa, ganz el Hawa er raik

Das klang so unendlich geringschätzig, daß es mir sehr schwer wurde, ihm nur mit einem ruhigen Lächeln zu antworten. Er gab damit, daß ich für ihn gar nicht vorhanden sein sollte, seine vollste Niederlage zu. Hätte er nur die geringste Hoffnung des Gelingens gehabt, so wäre ich von ihm sicher zur Rechenschaft gezogen worden. Er spuckte noch einmal aus, drehte sich um und ging stolzen Schrittes von dannen. Mir war sein Verhalten sehr erklärlich; selbst der Umstand befremdete mich nicht, daß jemand vor einem Menschen ausspucken kann, der für ihn gar nicht vorhanden ist.

Ich schaute nun nach dem »Falken« aus, konnte ihn aber nicht zu Gesicht bekommen. Erst am andern Morgen erfuhr ich kurz vor unserer Abfahrt, daß das Schiff des Reis Effendina schon seit zwei Tagen jenseits des Ras, Omm Dermann gegenüber, am sogenannten Schedrah Mahobe vor Anker liege und daß der Reis keinem seiner Leute erlaubt habe, von Bord zu gehen; da seien sie alle, nur die drei Offiziere ausgenommen, während der letzten Nacht mit Sack und Pack desertiert. Leider kam mir keiner der Asaker zu Gesicht, und ein Wiedersehen mit dem treuen Freunde Murad Nassyr und seiner Turteltaube konnte ich auch nicht feiern; wir mußten fort. Des Zusammenhanges wegen will ich gleich hier bemerken, daß ich den Reis Effendina einigemale wiedergesehen habe. Er heißt jetzt nicht mehr Achmed el Insaf, sondern trägt einen andern Namen; er ist längst nicht mehr Reis Effendina, sondern ein sehr hoher, oft genannter Beamter geworden, was mich aber nicht im geringsten genieren kann. Er hat mich auch gesehen, doch schien ich Luft für ihn geblieben zu sein, wenn er dies in Kairo auch nicht grad so wie damals in Chartum durch eine derartig rapide Entäußerung jener Feuchtigkeit bekräftigte, welche ganz unentbehrlich für die Verdauung ist. Da meine Werke, allerdings in einer von mir nicht erlaubten Übersetzung in französischer Sprache, auch in Kairo gelesen werden, so ist es sehr leicht möglich, daß ihm, der jetzt gut französisch liest, der vorliegende Band vor die Augen kommt. Falls er da dies Buch nicht auch als einen Teil der Atmosphäre betrachtet, sondern die Gnade hat, einen Blick hineinzuwerfen, so mag er hier die höfliche Bemerkung finden, daß ihn die deutsche Luft schön grüßen läßt!

Doch weiter!

Nach einer langen und glücklichen Fahrt legte unsere Schachtura am Ufer von Maabdah an. Wir fragten nach Ben Wasak, dem Führer. Er wohne noch da, wurde uns gesagt, mache aber den Führer nicht mehr, denn er sei sehr reich geworden. Er wäre daher längst nach Kairo gezogen, wenn er nicht auf die Rückkehr eines deutschen Effendi warten müsse, den er nach Chartum gesandt habe, nach seinem verschollenen Bruder zu forschen.

Reich, dachte ich, werde er durch den verbotenen Mumienschmuggel geworden sein. Sollte das ein ägyptischer Beamter lesen und nun schleunigst nach Maabdah gehen, um Ben Wasak zu arretieren, so gestatte ich mir, ihm mitzuteilen, daß er ihn nicht fangen wird, denn er wohnt schon längst nicht mehr dort, und ich bin, da ich mit den altägyptischen Mumien weder aufwärts noch abwärts in Verwandtschaft stehe, aus reiner Gleichgültigkeit leider so gewissenlos gewesen, ihm einen andern Namen zu geben. Übrigens wird sofort der Nachweis geliefert werden, daß ich mich mit meiner obigen Annahme im Irrtum befunden habe. Also bitte, lassen wir Ben Wasak laufen.

Die Vorsicht verbot, ihn gleich mit seinem Bruder zusammenzuführen; ich ging also zunächst allein zu ihm, um ihn vorzubereiten. Er kannte mich gleich wieder und wäre mir vor Freude beinahe um den Hals gefallen. Ich sollte zunächst festlich bewirtet werden und dann erzählen; das erstere lehnte ich ab; auf das letztere ging ich ein. Ehe ich aber meinen Bericht begann, sagte ich ihm, was ich soeben über ihn gehört hatte.

»Ja, ich bin jetzt reich, sehr reich, Effendi,« bestätigte er. »Und weißt du durch wen? Wie wirst du dich wundern, wenn du es erfährst!«

»Nun, wer ist der Mann?«

»Barjad el Amin.«

»Maschallah! Der – – der ist es?«

»Ja. Ich brenne darauf, zu erfahren, was du über meinen Bruder auskundschaftet hast. Darum will ich dir nur kurz sagen, daß er von Barjad el Amin dem berüchtigten Ihn Asl übergeben worden ist. Sie haben ihm mein Geld abgenommen und damit einen Sklavenhandel eingerichtet, der ihnen große, große Summen eingetragen hat. Dafür aber hat Allahs strafende Hand Barjad el Amin getroffen, denn sein Weib und alle seine Kinder sind von der Cholera hinweggerafft worden. Der Schmerz darüber ist ihm so tief in das Gewissen gestiegen, daß er den Entschluß gefaßt hat, sein Verbrechen zu sühnen. Er hat sein Vermögen und auch alles, was er von Ibn Asl zur Verwaltung noch in den Händen hatte, flüssig gemacht und mir hierhergebracht. Wir saßen unten am Flusse, als er mir alles erzählte und dann das viele Geld übergab. Dann ging er fort; ich konnte ihn nicht halten. Am andern Tage lag er tot im Wasser; er hatte sich ertränkt. Allah sei seiner Seele gnädig! Hätte er doch lieber das Geld behalten und mir dafür sagen können, wo mein Bruder hingeschafft worden ist!«

»Konnte er das nicht?«

»Nein. Ihn Asl hat ihm den Ort nie aufrichtig mitgeteilt.«

»Das darf dich nicht betrüben, denn ich habe nachgeforscht und ihn gefunden.«

»Den Ort oder meinen Bruder?«

»Beide!«

Da sprang er auf und stürmte so mit Fragen und Bitten auf mich ein, daß es kein Hinausziehen mehr gab. Ich mußte sagen, wo Hafid Sichar auf ihn wartete; dann rannte er zum Hause hinaus; ich aber blieb ruhig sitzen, denn geteilte Freude ist oft nur halbe Freude.

Wir verlebten in Maabdah zwei wunderschöne, glückliche Tage. Als wir von den Brüdern Abschied nahmen, hatte ich ein ganzes Paket mit ägyptischen Altertümern in den Händen. Abu en Nil, Ben Nil und Selim bekamen die Summe, welche Ben Wasak mir damals auf Chartum angewiesen hatte, zur Verteilung unter sich, und auch Ssali Ben Aqil wurde wie ein lieber Freund beschenkt.

Wenn Abu en Nil mit seinem Enkel direkt nach Gubatar zu ihren Verwandten wollten, mußten sie sich schon nach kurzer Fahrt von uns trennen; sie entschlossen sich aber, mit nach Kairo zu gehen, wo wir, meinen Worten gemäß, auch eher als der Reis Effendina ankamen. Dort trennte sich Selim zuerst von uns. Er errichtete von dem erhaltenen Gelde ein Dikkahn mit Fingernägel-, Ohren- und Nasenreinigung. Da konnte er seinen Kunden die hunderttausend Abenteuer erzählen, welche er ganz allein bestanden hatte, während wir dabei die Zuschauer gewesen waren. So lange ich in Kairo blieb, bin ich sein erster und einziger Kunde gewesen; das heißt, ich habe mich bei ihm selbst rasiert. Zuhörer hatte er genug; niemand aber hatte den Heroismus, sich der Gefahr auszusetzen, unter seinem tapfern Messer zu verbluten.

Dann verkaufte ich die Schachtura. Den dafür erzielten Preis gab ich Ssali, der von allen Barmitteln entblößt war. Nach einem zweiwöchentlichen Aufenthalte nahmen Ben Nil und sein Großvater von mir Abschied. Was soll ich darüber sagen! Gefühle sind ja nicht auf das Papier zu bringen. Wenn Freunde auseinander gehn, so sagen sie: Auf Wiedersehn! Und ich habe sie wiedergesehen, beide, Abu en Nil kurz vor seinem Tode – er gab mir seinen Segen mit – und Ben Nil auf seinem Elemente, dem Wasser. Unter denjenigen meiner freundlichen Leser, welche das Land der Pharaonen besuchen und hinauf nach Oberägypten wollen, giebt es wohl dann und wann einen, der nicht zu jagen und zu hetzen braucht und Zeit genug besitzt, auf Eisenbahn und Dampfer zu verzichten und die Reise in aller Muße per Segelschiff zu machen. Wenn dieser sich in Bulaq, dem Hafen von Kairo, nach der Dahabijeh »Baraka el Fadl« erkundigt, so wird man ihm ein außerordentlich schmuckes und sauberes Fahrzeug zeigen, dessen Reis besonders gern und billig deutsche Passagiere nimmt. Und sagt der Reisende, daß er Kara Ben Nemsis Bücher gelesen habe, so erfährt er von dem Reis, daß er sich Ben Nil nenne und seinem Schiffe den Namen »Baraka el Fadl« gegeben habe, weil er die Mittel, es zu erwerben, der Güte seiner Freunde verdanke. Er ist ein sehr guter Erzähler, und die Fahrt bis zum ersten Schellal hinauf wird dem Zuhörer sicher wie im Fluge vergehen, obgleich die Dahabijeh kein schneller Dampfer ist,

Und Ssali Ben Aqil? Ich ging mit ihm von Alexandrien nach Jerusalem, um ihm die Heiligtümer des Christentums zu zeigen. Dann schieden wir, er, um über Damaskus nach seiner Heimat, und ich, um über Konstantinopel und durch die Donauländer in die meinige zu gehen. Von da an haben wir einen ununterbrochenen Briefwechsel gepflegt und uns sogar zuweilen wiedergesehen. Und fragt man mich, ob er sein Wort gehalten habe und ein Prediger der Liebe geworden sei, so antworte ich: »Ja, er hat es gehalten, voll und ganz gehalten; aber das ist ihm schwer, sehr schwer geworden, denn es hat lange Kämpfe mit seinen Verwandten und dem ganzen Stamme gekostet. Ich habe dabei an seiner Seite gestanden und nicht nur mit dem Munde für ihn gekämpft, sondern auch mit den Waffen für ihn einstehen müssen. Es ist das eine der interessantesten Perioden meines vielbewegten Wanderlebens; sie zeigt so recht die Wahrheit des Pauluswortes: »Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts als ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.« Ich werde von ihr in meinem Buche »Marah Durimeh« erzählen. – – –

Gefangen


Gefangen

Von dem Brunnen, an welchem das letzte Ereignis sich zutrug, bis zur Dschesireh Hassanieh ist eine Strecke von fast dreißig geographischen Meilen zurückzulegen. Unsere vortrefflichen Kamele legten diesen Weg in zwei Tagen zurück, waren aber dann, als wir uns dem Ziele näherten, so ermüdet, daß wir sie langsam gehen lassen mußten. Ich glaubte, die Richtung ganz genau genommen zu haben, war aber doch etwas zu weit nach links geraten, denn es stieg gerade vor uns der Dschebel Arasch Quol auf, welcher ziemlich weit nördlich von Hegasi liegt.

Es war gegen Abend, als wir dort ankamen. Hegasi ist eine armselige Helle welche aus wenigen Hütten besteht, und liegt auf dem hohen Ufer des Nils, ziemlich gut gegen die Überschwemmungen des Flusses geschützt. Von der Helle führt ein Weg hinab zum Flusse nach der Stelle, an welcher die Fahrzeuge landen und die Tiere getränkt werden. Dieser Weg sowohl wie auch die Tränk- oder Landestelle wird am oberen Nile Mischrah genannt.

Ich freute mich beim Anblicke des Flusses, den ich seit dem Zuge zu den Fessarah nicht wieder gesehen hatte. Die Bewohner des Dorfes kamen herbei, um uns nach dem Woher und Wohin und nach unserm Begehr zu fragen. Ich hütete mich natürlich, ihnen sofort Auskunft zu erteilen, und ging ihren Erkundigungen durch Gegenfragen aus dem Wege.

Zunächst führten wir unsere Kamele zum Flusse, um sie trinken zu lassen; dann brachten wir sie hinauf nach einer grasigen Stelle, deren Eigentümer uns gegen geringes Entgelt die Erlaubnis gab, sie da weiden zu lassen.

Auf der Höhe der Mischrah saß ein Mann, welcher nicht in das Dorf zu gehören schien. Er war vollständig bewaffnet und besser gekleidet als die Bewohner der Helle. Als ich mich bei einem der letzteren nach ihm erkundigte, antwortete er*

»Wir kennen ihn nicht. Er ist schon seit gestern hier und sitzt stets auf derselben Stelle, um flußabwärts zu blicken.«

»Erwartet er vielleicht ein Schiff?«

»Wahrscheinlich; aber er hat uns nicht geantwortet, als wir ihn danach fragten. Vor dem Dorfe hält ein gesatteltes Pferd, welches er sich von unserm Scheik el Beled geliehen hat.«

»Wann hat er es geritten?«

»Noch gar nicht; aber es steht bereit, so lange er sich hier befindet.«

»Wohin will er reiten?«

»Das wissen wir nicht; dem Scheik el Beled wird er es wohl gesagt haben, da dieser ihm sonst sein Pferd nicht gegeben hätte.«

Der Fremde war mir auffällig. Es war klar, daß er nach irgend etwas ausschaute und dann, wenn es erschien, sofort davon reiten wollte, um Meldung davon zu machen. Gern hätte ich gewußt, wohin er diese letztere bringen wollte; aber den Scheik fragen, das wäre wohl zu auffällig gewesen. Darum erkundigte ich mich bei dem Manne:

»Wann ist das letzte Schiff stromaufwärts hier vorübergekommen?«

»Gestern früh.«

»Und wann kam der Mann in das Dorf?«

»Zur selben Zeit, denn er kam von diesem Schiffe. Er wurde in einem Boote an die Mischrah gebracht.«

»Das Boot blieb nicht hier?«

»Nein; es wurde wieder zum Schiffe gerudert.«

»Wem gehörte das Schiff?«

»Das weiß ich nicht.«

»Was hatte es geladen?«

»Auch das kann ich nicht sagen.«

»Kannst du mir auch seinen Namen nicht nennen?«

»Es hieß Hardaun (Eidechse) und war keine Dahabijeh, sondern ein Noquer.«

»Wann kam das vorhergehende Schiff vorüber?«

»Einen Tag vorher, also vorgestern. Es war auch ein Noquer; er war leer und ging nach Süden, um Waren zu holen.«

»Ist nicht ein Schiff vorübergekommen, welches weder eine Dahabijeh noch ein Noquer war und ein sehr fremdes Aussehen hatte?«

»Nein.«

Diese Antwort beruhigte mich, denn sie sagte mir, daß der Reïs Effendina den gefährlichen Ort noch nicht passiert hatte. Sein »Falke« war so ungewöhnlich gebaut und aufgetakelt, daß er jedem hiesigen Auge auffallen mußte.

Ben Nil hatte sich in das Gras gelegt und sah dem Thun und Treiben der Dorfbewohner zu. Ich schritt langsam auf den Fremden zu, welcher mich scharf beobachtet hatte, setzte mich an seiner Seite nieder und grüßte:

»Allah schenke dir einen glücklichen Abend!«

»Glücklichen Abend,« antwortete er kurz.

Ich hatte den Gruß vollständig ausgesprochen, was man nur dann thut, wenn man besonders höflich sein will. Mit seiner Kürze wollte er mir jedenfalls sagen, daß ihm an meiner Gesellschaft nichts liege; ich that aber, als ob ich das gar nicht herausgefühlt habe, und fuhr fort.

»Ich habe kein Netz bei mir, um mich gegen die Mücken des Flusses zu schützen; darum kann ich nicht im Freien schlafen. Giebt es hier in diesem Dorfe eine Hütte, in welcher ich Aufnahme finden kann?«

»Ich weiß nicht; ich bin nicht von hier.«

»So bist du auch fremd? Allah sei mit dir auf deiner Reise!«

»Sein Segen sei auch mit der deinigen! Wo kommst du her?«

»Von Chartum,« antwortete ich, gezwungen, die Unwahrheit zu sagen.

»Wo steht das Zelt, welches dein Eigentum ist?«

»Ich bewohne kein Zelt, sondern ein Haus. Es steht in Suez.«

»Was bist du?«

Ich machte ein möglichst pfiffiges Gesicht und antwortete:

»Ich handle mit allem möglichen, am liebsten aber mit – –«

Ich hielt inne und machte eine Handbewegung, welche sagen sollte, daß es nicht geraten sei, den angefangenen Satz zu vollenden.

»Mit verbotener Ware?« sagte er an meiner Stelle.

»Wenn es so wäre, dürfte ich es eingestehen?«

»Mir könntest du es sagen. Ich würde dich gewiß nicht verraten.«

»Das Schweigen ist auf alle Fälle besser als das Reden.«

»Nicht auf alle Fälle. Wenn ein Kaufmann ein Geschäft machen will, muß er doch von demselben sprechen.«

»In diesem Falle pflege ich natürlich auch zu reden. jetzt aber liegt ein Geschäft nicht vor.«

»Vielleicht doch, falls ich dich nämlich recht verstanden habe. Ihr seid auf Kamelen gekommen. Wo wollt ihr hin?«

»Einkaufen.«

»Was?«

»Das!« nickte ich, ihn im unklaren lassend.

Er war nicht bloß freundlicher, sondern, wie man sich auszudrücken pflegt, warm geworden. Er hielt mich für einen Sklavenhändler, und ich war überzeugt, in ihm einen Untergebenen des Sklavenjägers Ibn Asl, den ich suchte, vor mir zu haben. Es galt, ihn in seiner Ansicht zu bestärken, ohne doch sofort einzugestehen, daß dieselbe die richtige sei, denn ein Sklavenhändler sagt nicht dem ersten besten Menschen, was er ist und was er treibt. Jedenfalls hatte der Mann die Aufgabe, das Erscheinen des Reïs Effendina hier abzuwarten und dann weiter zu melden. Der Noquer »Eidechse« gehörte in diesem Falle Ibn Asl und konnte nicht weit entfernt von hier, wahrscheinlich an der Dschesireh Hassanieh liegen.

»Du bist verschwiegen, und das freut mich sehr,« meinte der Mann. »Nur mit verschwiegenen Leuten kann man sich auf Geschäfte einlassen.«

»Ah, auch du treibst also diese Dinge, welche nicht jedermann zu wissen braucht?«

»Wenn es nun so wäre?«

»So paßten wir zusammen.«

»Wirklich? Weißt du auch, daß es ein sehr gefährliches Geschäft ist, Requiq zu machen?«

»Pah! Ich möchte wissen, wieso gefährlich. Man zieht nach einem Dorfe der Schwarzen, umzingelt es, steckt es in Brand und nimmt die Neger in Empfang, wenn sie aus den brennenden Hütten gesprungen kommen. Die Alten und Schwachen sticht oder schießt man nieder, und mit den andern geht man fort. Wo ist da die Gefahr?«

»Dabei allerdings nicht; sie beginnt erst mit dem Transporte.«

»Man darf sich nicht erwischen lassen und muß die Sklaven an Ort und Stelle verkaufen.«

»Das kann man nicht, denn es ist kein Käufer da.«

»So nimmt man einen mit, welcher die Schwarzen sofort nach der Jagd kauft und bezahlt und dann die Gefahren des Transportes auf sich nimmt.«

»Wo wäre ein solcher Mann zu bekommen?«

»Wo? Hm!« brummte ich bedeutungsvoll.

»Wer ist er?« fragte er.

»Das wird dich wohl nicht sehr interessieren, denke ich.«

»Mehr als du denkst. Ist der Mann reich?«

»Er besitzt soviel, wie er braucht.«

»Auch mutig muß er sein!«

»Das ist er. Er war mehreremal in Abessinien, um Sklaven dort zu kaufen. Dazu gehört doch schon etwas.«

»Allerdings. Wo befindet er sich jetzt?«

»Am weißen Nile, vielleicht gar nicht weit von hier.«

»Du bist wirklich außerordentlich vorsichtig. Meinst du dich selbst?«

»Das sage ich natürlich nicht.«

»Mir darfst du es sagen, denn – –«

»Denn – – ? Warum redest du nicht aus?«

»Weil ich auch vorsichtig sein muß. Aber wenn ich mich in dir nicht irre, so könnte ich dir vielleicht sagen, bei wem du Requiq kaufen kannst.«

»Nun, bei wem?«

»Bei Ibn Asl.«

»Allah! Bei diesem berühmten Sklavenjäger? Wo befindet er sich?«

»Wo sich dein Händler befindet, nämlich am weißen Nil.«

»In welcher Gegend?«

»Vielleicht gar nicht weit von hier,« antwortete er, indem er meine vorigen Worte wiederholte.

Ich that, als ob ich sehr freudig überrascht sei, und rief aus:

»Das ist gut; das ist sehr gut! Ich hörte von ihm sprechen. Ein türkischer Händler, den ich kenne, sagte mir, daß er viel von ihm gekauft habe.«

»Meinst du Murad Nassyr? Den kennst du also?«

»Sehr gut. Ich habe oft Requiq von ihm gekauft.«

»Ah, endlich gestehst du ein, daß du es selbst bist, von dem du sprachst!«

»Allah w’Allah! Es ist mir so herausgefahren.«

»Sei unbesorgt! Es schadet nichts, denn nun kann auch ich offen sein. Ich sage dir, daß ich bei Ibn Asl im Dienst stehe.«

»Ist das wahr? Oder willst du mich nur versuchen?«

»Es ist die Wahrheit. Welchen Grund könnte ich haben, mich fälschlicherweise für einen Diener des Sklavenjägers auszugeben?«

*Um mich zu fangen. Du könntest leicht im Dienste des Khedive stehen.«

»Selbst wenn dies der Fall wäre, könnte ich dir jetzt nicht schaden. Ich müßte dich auf der That ertappen. Also, aufrichtig! Sage mir, ob du Requiq kaufen willst!«

»Nun gut, ich will es wagen und dir Vertrauen schenken, obgleich ich dich noch nie gesehen habe. Ja, ich kaufe Sklaven, sobald ich sie bekommen kann.«

»Wo wolltest du von hier hin?«

»Nilaufwärts, noch weit über Faschodah hinaus, bis ich auf irgend einer Seriba finde, was ich suche.«

Unter einer Seriba versteht man eine Niederlassung von Sklavenjägern. Diese Niederlassungen sind nach dortigen Begriffen festungsartig angelegt. Sie bestehen aus Hütten, welche teils zur Unterkunft der Sklavenjäger, teils als Vorratshäuser dienen und mit einer oft mehrfachen, dichten Stachelhecke umgeben sind.

»Du hast gar nicht nötig, so aufs Geratewohl zu reisen,« meinte der Mann zutraulich. »Hast du Geld mit?«

»Genug.«

»So will ich dich zu In Asl bringen.«

»Dafür würde ich dir herzlich dankbar sein und dir später ein gutes Bakschisch geben. Aber hat Ibn Asl jetzt Sklaven?«

»Noch nicht. Wir wollen eben jetzt eine Fahrt nach Requiq unternehmen. Murad Nassyr will Sklaven haben, und wenn uns das Glück wie immer begünstigt, so bleiben für dich mehr übrig, als du brauchen kannst.«

»So ist Murad Nassyr bei Ibn Asl?«

»Nein. Er ist nach Faschodah voraus.«

Das war mir ungeheuer lieb. Ich hegte den kühnen Gedanken, Ibn Asl aufzusuchen, also mich in die Höhle des Löwen zu begeben. Er kannte mich ja nicht, denn am Wadi el Berd hatte er mich nur von weitem gesehen. Wäre aber Murad Nassyr bei ihm gewesen, der mich kannte, so hätte ich mich unmöglich sehen lassen können; es wäre einfach um mich geschehen gewesen. Freilich konnten auch der Mokkadem und der Muza’bir bei dem Sklavenjäger sein. Die beiden Schurken kannten mich ebenso genau wie der Türke. Es galt also, unauffällig eine diesbezügliche Erkundigung einzuziehen.

»Weißt du, weshalb der Türke jetzt eigentlich gekommen ist?« fuhr der Mann, welcher ganz zutraulich geworden war, fort.

»Nein.«

»Kennst du seine Familie?«

»Ich weiß nur, daß er zwei Schwestern hat.«

»Das stimmt. Und daraus ersehe ich auch, daß du die Wahrheit redest und wirklich derjenige bist, für den du dich ausgiebst. Er hat Ibn Asl eine dieser Schwestern zum Weibe gebracht. Auf einer Seriba am obern weißen Nile wird die Hochzeit sein. Wenn du mit uns ziehst, kannst du das Fest mitmachen. Ibn Asl ist bei solchen Gelegenheiten außerordentlich freigebig. Auch sein Vater ist dabei.«

»Er hat einen Vater?« fragte ich, indem ich mich verstellte.

»Ja, sein Vater lebt noch. Er zieht als frommer Fakir am Nile auf und ab, um unter dieser Maske die Geschäfte seines Sohnes zu fördern.«

»Ist er schon jetzt bei ihm?«

»Eigentlich ja. Für kurze Zeit aber ist er abwesend, mit einer Schar unserer Sklavenjäger in die Steppe gezogen, um Gericht zu halten.«

»Gericht?«

»Ja, um einen fremden Giaur, welcher uns großen Schaden bereitet hat, zu bestrafen.«

»Du machst mich neugierig!«

»Ibn Asl mag es dir selbst erzählen, wenn es ihm beliebt. Ich weiß nicht, ob ich zu dir von ihm sprechen darf. Der Christ ist ein Schurke, ein Teufel, den wir vernichten müssen.«

Wenn er gewußt hätte, daß ich selbst dieser Schurke, dieser Teufel war! Er fuhr fort:

»Er ist von Kahira aus verfolgt worden bis hierher, aber vergebens. Selbst dem Mokkadem ist er entgangen, als er – –«

»Dem Mokkadem?« fragte ich. »Welchen Mokkadem meinst du?«

»Den der heiligen Kadirine.«

»Welcher Abd el Barak heißt? Ah, den kenne ich sehr gut. Ich habe ihn in Kahira getroffen.«

»Wirklich? So freue ich mich um so mehr, daß ich dir hier begegnet bin. Du wirst Freunde finden. Der Mokkadem ist nämlich auch mit Murad Nassyr nach Faschodah. Er hat einen Muza’bir bei sich, und beide wollen unsern Sklavenzug mitmachen.«

Da wußte ich ja auf einmal, was ich wissen wollte. Es befand sich kein Bekannter von mir bei Ibn Asl, und so konnte ich es wagen, zu ihm zu gehen. Eben jetzt berührte die Sonne den westlichen Horizont, und es galt, das Mogreb, das Gebet des Sonnenunterganges, vorzunehmen. Da ich für einen Moslem zu gelten hatte, so war ich gezwungen, wenigstens die äußeren Bewegungen mitzumachen. Ich ging also zu Ben Nil und kniete neben ihm, der bereits im Beten war, nieder.

Ich hätte bei dem Fremden bleiben können, hatte aber meinen guten Grund, das scheinbare Gebet bei meinem Gefährten zu verrichten. Dieser mußte doch erfahren, was ich mit dem andern gesprochen und verhandelt hatte; er hätte sonst sehr leicht einen Fehler begehen und durch irgend eine Äußerung das Gelingen meines Planes zunichte machen können. Eine lange Rede durfte ich da freilich nicht halten. Der Fremde konnte sich uns nähern, und dann mußte Ben Nil schon unterrichtet sein. Darum sagte ich ihm, als das Gebet beendet war:

»Merke auf! ich bin ein Sklavenhändler aus Suez und heiße Amm Selad. Du bist mein Diener und nennst dich Omar. Wir kennen Murad Nassyr, von dem ich Sklaven gekauft habe, und auch den Mokkadem. Wir sind nilaufwärts und kommen jetzt von Chartum.«

»Schön, Effendi!« nickte der Jüngling.

»Um Allahs willen, sag‘ das Wort Effendi jetzt nicht wieder, außer wenn du ganz sicher weißt, daß wir allein sind. Du hast Herz. Ich habe etwas vor, wozu Mut gehört. Es ist ein großes Wagnis. Willst du nicht mitthun, so bin ich dir nicht gram darüber, und du kannst hier im Dorfe die Ankunft der Asaker erwarten.«

»Herr, gehe wohin du willst, ich gehe mit! Und wenn es in den Tod wäre. Wenn es sich um eine Gefahr handelt, werde ich dich um so weniger verlassen.«

»Gut! Du bist ein braver, treuer Kerl. In Asl befindet sich nämlich hier, und ich gehe zu ihm, um seine gegen den Reïs Effendina gerichteten Absichten zu erfahren und dieselben zu durchkreuzen. Ich thue, als ob ich mich ihm auf dem Sklavenzuge, den er bald antreten wird, anschließen will, um von ihm Schwarze zu kaufen.«

Ich konnte nicht weiter sprechen, denn der Fremde trat zu uns und sagte:

»Du fragtest mich, ob du in einer Hütte des Dorfes schlafen könntest. Du wirst aber nicht hier schlafen können, denn ich werde dich nach dem Abendgebete zu Ibn Asl führen.«

»Warum erst dann?«

»Ich erwarte noch ein Schiff. Du weißt, daß Schiffe gewöhnlich des Nachts nicht fahren, sondern an das Ufer legen. Im höchsten Falle fährt man bis eine Stunde nach Sonnenuntergang. Bis dahin muß ich also hier warten. Dann aber, wenn es noch nicht gekommen ist, weiß ich, daß es heute überhaupt nicht mehr kommt, und kann meinen Posten verlassen.«

»Was ist es für ein Schiff?«

»Darf dieser junge Mann alles hören?« gegenfragte er, indem er auf Ben Nil deutete.

»Ja. Er ist der treueste und verschwiegenste meiner Diener, und ich habe kein Geheimnis vor ihm.«

»Du hast von dem Reïs Effendina gehört?«

»Ich habe ihn sogar in Kahira gesehen.«

»Du weißt auch, welche Aufgabe er zu vollbringen hat?«

»Das weiß jedermann. Er soll den Sklaven-Jägern und –Händlern nachspüren und sie fangen. Ich hörte, daß er ganz besondere und außerordentliche Vollmachten überkommen hat.«

»So ist es allerdings. Allah verdamme diesen Hund! Er hat schon viel Unheil über die Jäger gebracht und erst kürzlich im Wadi el Berd eine ganze Schar unserer Kameraden hingemordet.«

Wenn er gewußt hätte, daß ich nicht nur dabei gewesen war, sondern sogar diese Schar aufgespürt und festgenommen hatte!

»Das wird er nicht Mord, sondern Strafe nennen,« sagte ich.

»Willst du ihm das Wort reden?«

»Nein. Ich als Sklavenhändler kann doch unmöglich sein Freund sein. Wenn er so fortfährt, wie er es bisher getrieben hat, wird bald kein Sklave mehr zu kaufen sein.«

»Der Giaur, von dem ich dir vorhin sagte, ist sein Freund und Gehilfe. Bald wird dem einen wie dem andern das Handwerk gelegt sein. Der Giaur wird sich jetzt wohl schon in den Händen der Unserigen befinden, und auf den Reïs Effendina warten wir stündlich.«

»Es ist also sein Schiff, welches du hier sehen willst?«

»Ja. Er kommt, und Ibn Asl liegt im Hinterhalte.«

»Will er das Schiff des Reïs Effendina angreifen?«

»Das kann ihm nicht einfallen. Das Schiff ist so gebaut und bewaffnet, daß wir trotz unserer Überzahl sehr leicht den kürzern ziehen könnten. Wozu überhaupt kämpfen, wobei es selbst auf der Seite des Siegers Verwundete und Tote giebt! Man kann einen Feind auf andere Weise unschädlich machen.«

»Wie denn, zum Beispiele?«

»Man nimmt zum Beispiel – –«

Ich war außerordentlich gespannt, das Folgende zu hören. Wenn der Mann diesen Satz aussprach, so erfuhr ich alles, was ich wissen wollte, und brauchte mich gar nicht zu Ibn Asl und in Gefahr begeben. Leider aber hielt er schon beim vierten Worte inne, legte sich, wie erschrocken, die Hand auf den Mund und fügte dann hinzu:

»Fast hätte ich da mehr gesagt, als ich wohl verantworten kann. Du hast ein so Vertrauen erweckendes Gesicht, daß ich dir alles sagen könnte, ohne zu fragen, ob ich auch wohl das Recht dazu habe. Ich will aber schweigen. Ibn Asl mag es dir selbst mitteilen, und ich bitte dich, ihn ja nicht merken zu lassen, daß ich so gesprächig gegen dich gewesen bin.«

»Ich bin nicht sehr mitteilsam. Du kannst ruhig sein. Weißt du denn gewiß, daß der Reïs Effendina kommen wird? Der Mann soll nicht nur schlau, sondern auch sehr vorsichtig sein.«

»Was das betrifft, so ist der Giaur, der christliche Effendi, noch weit mehr zu fürchten, wie uns gesagt worden ist. Ibn Asl hat dem Reïs Effendina eine Falle gestellt, in welche er sicher gehen wird.«

»Kennst du diese Falle?«

»Ja. Eigentlich sollte ich nicht davon sprechen; aber du bist ein Sklavenhändler und wirst mit uns ziehen, und da du schon soviel weißt, kannst du das auch noch erfahren. Wir haben ihm nämlich auf eine Weise, daß er es glauben muß, weisgemacht, daß ein großer Sklaventransport bei der Dschesireh Hassanieh über den Nil gesetzt werden soll. Er kommt also ganz gewiß, um denselben abzufangen, und wird dabei in sein Verderben laufen.«

Damit war das Gespräch zu Ende, wenigstens so weit es für mich Wichtigkeit hatte. Ich hätte zwar gar zu gern noch erfahren, auf welche Weise der Reïs Effendina unschädlich gemacht werden solle, denn wußte ich das, so wußte ich eben alles, und brauchte ihm nur entgegenzugehen, um ihn zu warnen; aber ich durfte nicht weiter in den Mann dringen; er hätte leicht mißtrauisch werden und Verdacht schöpfen können.

Wir saßen noch eine Stunde lang beisammen, unsere Aufmerksamkeit nilabwärts gerichtet. Ich war vielleicht noch mehr gespannt als der Wächter, denn wenn der Reïs jetzt vorüber kam, ohne daß ich ihn auf irgend eine Weise zu warnen vermochte, so war er verloren. Glücklicherweise aber blieb er noch aus.

Nun kam das Aschia, das Abendgebet, eine Stunde nach Sonnenuntergang, und dann konnten wir aufbrechen. Ich hatte nicht gefragt, in welcher Weise das geschehen sollte, erfuhr es aber jetzt, denn der Mann sagte:

»Wir werden reiten. Wir gehen zu dem Scheik el Beled, um uns für euch Pferde geben zu lassen.«

»Wird er sie uns geben, da er uns doch nicht kennt?«

»Er würde sich nicht weigern, da ja eure Kamele hier bleiben, und das sind, wie ich gesehen habe, keine wertlosen Tiere. Aber er thut es auch Ibn Asl zuliebe.«

»Kennt er ihn?«

»Er ist unser heimlich Verbündeter. Du weißt, daß wir Sklavenjäger überall Helfer haben müssen, welche uns beraten oder warnen; er ist einer von ihnen. Ich werde ihm, wenn ich vor Tagesanbruch zurückkehre, die Pferde wiederbringen.«

Der Scheik war allerdings bereit, uns die Tiere zu borgen; er wies sogar die Bezahlung, welche ich ihm bot, zurück. Wir stiegen auf und ritten davon, in die finstere Nacht hinein, denn der Schein der Sterne hatte noch nicht die spätere Stärke erreicht.

Es ging wohl eine Stunde lang gerade südwärts, wie ich merkte, in die Steppe hinein; dann bogen wir östlich nach dem Flusse um. Einzelne Bäume erschienen. Sie wurden nach und nach dichter, bis wir uns im Walde befanden. Wir mußten da unter einem großen Baume halten bleiben, während unser Führer sich entfernte, um, wie er sagte, Ibn Asl von unserer Ankunft zu benachrichtigen und ihn zu fragen, ob er uns ihm bringen dürfe. Wir stiegen ab.

»Hast du Angst, Effendi?« flüsterte Ben Nil mir zu.

»Nein, aber gespannt bin ich sehr.«

»Ich auch. Wenn man uns erkennt, so ist’s um uns geschehen.«

»Es ist ja niemand dabei, der uns gesehen hat. Dennoch müssen wir in höchstem Grade vorsichtig sein. Auf keinen Fall aber dürfen wir uns auseinander bringen lassen, damit, wenn es nötig ist, einer dem andern helfen kann.«

»Ob es weit von hier ist?«

»Wohl nicht. Wir werden nicht allzulange zu warten haben.«

Das war sehr richtig, denn schon nach vielleicht zehn Minuten kehrte unser Führer zurück und sagte:

»Mein Herr ist bereit, euch zu empfangen. Nehmt die Pferde an die Hand, und folgt mir langsam und vorsichtig. Ihr werdet nun gleich abwärts schreiten müssen.«

Es war stockdunkel um uns her; aber die Bäume standen nicht nahe beisammen. Schon nach wenigen Schritten senkte sich das Terrain abwärts, und dann sahen wir mehrere Feuer brennen, deren Schein uns trefflich zu statten kam. Sie flammten hart am Ufer des Stromes, dessen Wasser sie goldig färbten.

Dort stand kein Baum. Es war eine Omm Sufah-Strecke gewesen, aber das Gras war abgeschnitten worden und lag nun in mehreren Haufen oberhalb des Platzes. Omm Sufah ist nämlich Sumpfgras, eine Sacharum-Art, welche am obern Nile in ungeheuern Mengen vorkommt. Es wächst am Ufer, im seichten, sumpfigen Wasser, wird von den Wellen losgerissen und von einer Stelle zur andern getragen. Es sammelt sich in den Buchten an, wird da wieder fortgespült und bildet dann Inseln, welche abwärts schwimmen. Oft ist die ganze Breite des Stromes mit Omm Sufah bedeckt, und dann müssen die Schiffer mühsam arbeiten, um mit den Fahrzeugen durchzukommen.

Als wir unter den Bäumen hervortraten, sah ich gegen hundert Männer um die Feuer liegen oder kauern, ganz oder halb bekleidet, viele auch nur mit dem Lendenschurze. Es waren alle Gesichtsfarben bis zum tiefsten Mohrenschwarz vertreten, innerlich war aber jedenfalls einer so schwarz wie der andere. Da, wo die Omm Sufah-Haufen lagen, standen sechs große Fässer, und oberhalb dieser Stelle erhob sich die Gestalt des Noquer aus dem Wasser, welches hier so tief war, daß das Fahrzeug sich mit der ganzen Seite dicht an das Ufer schmiegte. Dort brannte, abgesondert von den andern, ein kleines Feuer, an welchem drei Männer saßen, zu denen wir geführt wurden. Sie standen bei unserem Näherkommen auf .

Der eine war von mittlerer aber breiter Statur, hatte einen schwarzen Vollbart und trug einen weißen Haïk. Ich erkannte ihn augenblicklich. Das war der Mann mit dem weißen Dschebel Gerfeh-Kamele, den ich am Wadi el Berd verfolgt hatte, ohne ihn einholen zu können, Ibn Asl, der berüchtigtste der Sklavenjäger. Er musterte uns mit scharfem Blicke, und auch die beiden andern ließen ihre Augen streng, beinahe finster, auf uns ruhen.

»Sallam,« grüßte ich und wollte weiter sprechen; er aber winkte mir mit der Hand Schweigen und fragte:

»Dein Name?«

»Amm Selad aus Suez.«

»Dieser junge Mann?«

»Omar, mein Gehilfe.«

Diener wollte ich doch nicht sagen, weil da Ben Nil wohl nicht hätte bei mir bleiben dürfen.

»Wieviel Sklaven willst du kaufen?«

»Soviel ich bekommen kann.«

»Und wohin lieferst du?«

Sollte ich mich in dieser Weise ausfragen lassen? je bescheidener ich mich verhielt, desto geringer war jedenfalls meine Sicherheit. Er durfte nicht denken, einen untergeordneten Charakter vor sich zu haben. Darum antwortete ich diesmal in kurzem Tone:

»Dahin, wo ich Geld bekomme. Meinst du, daß ich jedermann sofort meine Geschäftsgeheimnisse offenbare?«

»Amm Selad, du trittst sehr zuversichtlich auf!«

»Hast du es von einem Manne meines Berufes anders erwartet? Wie ist denn dein Auftreten? Fragt man einen Gast, ohne ihm einen Platz anzubieten, sogleich in dieser Weise aus?«

»Wer hat gesagt, daß du mein Gast sein sollst?«

»Niemand; aber ich halte es natürlich für ganz selbstverständlich.«

»Das versteht sich nicht so ganz von selbst. Unsereiner hat vorsichtig zu sein.«

»Ich ebenso. Wenn ich dir nicht gefalle, so brauche ich mich auch nicht zu bemühen, Wohlgefallen an dir zu finden, und kann wieder gehen. Komm, Omar!«

Ich drehte mich um, und Ben Nil that ebenso. Da trat In Asl schnell zu mir, legte mir die Hand an den Arm und sagte:

»Halt! Du kennst deine Lage nicht. Wer hier an diesem Orte zu mir kommt, der darf nicht wieder fort.«

Ich sah ihm lächelnd ins Gesicht und antwortete:

»Und wenn ich dennoch gehe?«

»So werde ich dich festzuhalten wissen.«

»Versuche es!«

Bei diesen Worten ergriff ich Ben Nil bei der Hand und sprang, ihn hinter mich herziehend, unter die Bäume hinein. Glücklicherweise war er so geistesgegenwärtig, sogleich dieselbe Schnelligkeit wie ich zu entfalten. Das hatte In Asl nicht erwartet; wir waren fort, ehe er eine Bewegung gemacht hatte, mich festzuhalten. Dann aber schrie er laut:

»Haltet sie fest, ihr Männer! Auf, hinter ihnen her!«

Was Beine hatte, rannte in den Wald, Ibn Asl selbst auch und die beiden andern. Ich hatte nur zwanzig Schritte weit gemacht und mich dann in einem kurzen Bogen wieder zurückgewendet, dahin, wo die Omm Sufah-Lichtung aufhörte. Dorthin drang der Schein des Feuers nicht, und dort zog ich Ben Nil mit mir in das Schilf hinein, wo wir uns niederduckten. Hinter uns erklangen die Zurufe der vergeblich nach uns Suchenden.

»Warum. liefst du denn nicht weiter?« fragte mich Ben Nil. »Sie hätten uns nicht eingeholt!«

»Weil ich gar nicht fort will!«

»Du willst hier stecken bleiben?«

»Nein. Ich wollte Ibn Asl nur zeigen, daß ich mir nichts befehlen lasse. Jetzt sind sie alle unter den Bäumen verschwunden. Komm!«

Wir krochen aus dem hohen Schilfe heraus und schnellten uns nach dem Feuer hin, an welchem Ibn Asl gesessen hatte. Dort setzten wir uns nieder. Drei Flinten und drei Tabakspfeifen lagen da, und daneben stand ein thönernes Gefäß mit Rauchtabak. Wir stopften uns schnell jeder eine Pfeife und steckten sie in Brand. Da erscholl hinter uns ein Ruf der Verwunderung: »Dort sitzen sie ja, dort am Feuer!«

Dieser Ruf ging von Mund zu Mund weiter, und man kehrte ebenso schnell, wie man davongelaufen war, zurück. Wir saßen ruhig da und rauchten. Die Männer wußten nicht, was sie dazu sagen sollten. Sie riefen, schrieen und lachten durcheinander. Ibn Asl mußte sich Bahn brechen, um zu uns zu gelangen.

»Allah akbar – Gott ist groß!« rief er aus. »Was fällt euch ein! Wir suchen euch, und ihr sitzt hier!«

»Ich wollte dir nur zeigen, daß ich mich entfernen kann, wenn ich mich entfernen will. Ihr hättet uns gewiß nicht einholen können. Aber ich bin gekommen, um ein Geschäft mit dir zu machen, und werde nicht eher fortgehen, als bis es zustande gekommen ist.«

Ich sagte das in einem so zuversichtlichen Tone, daß sein vorher so finsteres Gesicht sich zu einem Lächeln verzog und er kopfschüttelnd sagte:

»Amm Selad, einen Mann wie du bist, habe ich noch nicht gesehen. Du bist außerordentlich keck; da mir das aber gerade gefällt, so will ich dir den Schabernack, den du uns gespielt hast, nicht anrechnen. Kehrt an eure Plätze zurück!«

Dieser Befehl galt seinen Leuten, welche denselben sogleich befolgten. Er setzte sich zu meiner Rechten nieder, und die beiden andern folgten diesem Beispiele. Ja, keck war ich gewesen, und nun galt es, abzuwarten, ob es gute Folgen haben werde. Wir waren weder gegrüßt noch willkommen geheißen worden, und solange dies unterblieb, durften wir uns nicht sicher fühlen. Ibn Asl nahm die dritte Pfeife, stopfte sie, zündete sie an und sagte dann, mir den Rauch fast gerade in das Gesicht blasend:

»Was soeben geschehen ist, habe ich wirklich noch nicht erlebt. Entweder bist du ein leichtsinniger Spaßvogel oder ein vielerfahrener Händler.«

»Das erstere nicht, sondern das letztere,« antwortete ich. »Ich bin durch viele Gefahren gegangen und fürchte mich nicht, wenn jemand mich empfängt, ohne mich sofort willkommen zu heißen.«

»Kann ich dir ›Marhaba‹ sagen, ohne daß ich dich kenne?«

»Ja und auch nein. Jeder thut nach seiner Art. Ich heiße jeden willkommen, der mich aufsucht.«

»Und wenn er ein schlechter Mensch ist?«

»So habe ich stets noch Zeit, ihn wieder fortzujagen.«

»Nachdem du den Schaden erlitten hast! Nein, erst die Prüfung und dann die Entscheidung!«

»So prüfe! Mir soll es angenehm sein. Aber ich sage dir, daß ich sehr ermüdet bin. Wir sind heute weit geritten und bedürfen des Schlafes. Habe also die Gewogenheit, deine Prüfung nicht etwa über die ganze Nacht auszudehnen!«

Er sah die beiden andern und diese blickten wieder ihn an. Sie wußten nicht, ob sie lustig oder grimmig dreinschauen sollten, bis Ben Nil mit sehr ernsthafter Miene hinzufügte:

»Und Hunger haben wir auch!«

Da lachte Ibn Asl laut auf und antwortete.

»Bei Allah, ihr seid sonderbare Menschen! Aber ich will einmal von meinen Gewohnheiten abweichen und euch Vertrauen schenken.«

»Das kann dir doch gar nicht schwer fallen,« sagte ich. »Eigentlich wäre es viel schwerer für mich, Vertrauen zu dir zu hegen. Wir haben das Wagnis unternommen, dich aufzusuchen. Ist das nicht der beste Beweis, daß wir es ehrlich meinen?«

»Ich sollte das eigentlich denken!«

»Denke es, so wirst du dich nicht irren! Ich war sehr erfreut, als ich hörte, daß du hier bei der Dschesireh seist. Ich wollte hinauf nach dem Bahr el Ghasal oder gar bis zum Bahr el Dschebel, um dort irgend eine Seriba aufzusuchen. Das wäre eine weite Reise ins Ungewisse hinein gewesen. Jetzt kann ich, wenn du es erlaubst, mich zu dir halten und bin überzeugt, daß wir in immerwährender Geschäftsverbindung bleiben werden.«

»Es fragt sich, welche Preise du bezahlst.«

»Wie die Ware, so der Preis. Ich kaufe den Requiq gleich frisch vom Fange weg und transportiere ihn selbst.«

»Du hast aber doch keine Leute dazu!«

»Die werbe ich später an. Ich denke, daß ich bei den Schilluk oder Nuehr genug Krieger bekommen kann.«

»Das erfordert viel Geld, das heißt viel Ware, denn da oben wird nur mit Ware bezahlt!«

»Die kaufe ich in Faschodah. Geld habe ich.«

»Dann wagest du freilich viel. Wie nun, wenn ich dich töte, um dir das Geld abzunehmen?«

»Du bist zu klug, dies zu thun.«

»Nennst du es Klugheit von mir, dir dein Geld zu lassen?«

»Ja. Beraubtest du mich jetzt, so hättest du einen einmaligen Gewinn; bist du aber ehrlich, so kannst du oft und viel mehr von mir verdienen.«

»Du rechnest richtig. Es wird dir bei mir nichts geschehen.«

»So freut es mich, daß ich mich in dir nicht getäuscht habe. Was mich betrifft, so wird Murad Nassyr für mich bürgen.«

»Das ist es, was mich bewogen hat, dich zu mir zu lassen. Du kennst ihn; du hast von ihm gekauft, und so will ich annehmen, daß ich mit dir werde zufrieden sein können. Ich habe nichts dagegen, daß du mit mir ziehst.«

»Wohin wird dein Zug gerichtet sein?«

»Davon später. Jetzt wollen wir uns nur erst kennen lernen. Ich heiße dich willkommen, dich und deinen Gehilfen. Ihr sollt bei mir schlafen und jetzt auch mit uns essen.«

Von den andern Feuern drang ein sehr appetitlicher Bratenduft herbei. Man hatte, wie ich erfuhr, am Nachmittage ein Rind geschlachtet. Es war in Streifen zerschnitten worden, welche man jetzt röstete. Wir erhielten unsern Anteil und aßen wacker mit. Dabei wurde gesprochen, das heißt, ich mußte sprechen. Ibn Asl fragte mich aus. Er wollte soviel wie möglich von mir hören, mich, meine Vergangenheit, meine Verhältnisse so eingehend wie möglich kennen lernen. Ich gab ihm den ausführlichsten Bescheid. Natürlich war alles, was ich erzählte, ersonnen. Ich dachte mir einen Sklavenhändler in Suez, malte mir die Umstände aus, in welchen er sich befinden konnte, kalkulierte über die möglichen Geschäftsverbindungen, dachte nach, welche Reisen er gemacht haben könne, und brachte, da ich die betreffende Scenerie zur Genüge kannte, mit leidlichem Glück ein Bild fertig, für welches Ibn Asl sich mehr und mehr zu interessieren begann. Der Mann taute auf und teilte mir später auch verschiedenes aus seinem Leben mit.

Was ich da hörte, machte mich grauen. Dieser Mensch hatte nie ein Herz, ein Gewissen gehabt. Seine Seele schien gar nichts Menschliches zu haben. Er hatte eine wahre, wirkliche Lust am Bösen, und je mehr und je länger er erzählte, desto größer wurde der Abscheu, welchen er mir einflößte. Er hingegen schien immer mehr Wohlgefallen an mir zu finden; seine Aufrichtigkeit wuchs. Er erzählte mir schließlich von mir selbst, von dem Schaden, den ich ihm durch die Befreiung der Frauen und Mädchen der Fessarah bereitet hatte. Er schilderte mich, natürlich von seinem Standpunkte aus, und aus jedem seiner Worte sprach ein Haß, ein Grimm gegen mich, der einen andern als mich vielleicht zum Zittern gebracht hätte. Er teilte mir mit, daß er mir Leute entgegengesandt habe, welche mich in der Steppe aufheben sollten, und schloß mit den Worten:

»Diesen Leuten habe ich meinen Vater zum Anführer gegeben, und bin also sicher, daß nichts versäumt werden wird, seiner habhaft zu werden.«

»Man kann ihn aber doch leicht umgehen,« meinte ich. »Kennt man denn die Richtung, in welcher er kommt?«

»Ziemlich genau. Er wird sich ganz gewiß von den Fessarah einen Führer mitgeben lassen, und wir wissen, welchen Weg die Fessarah einschlagen, wenn sie nach Chartum reisen. Diesmal ist es ihm unmöglich, uns zu entkommen, und dann sollst du an ihm sehen, wieviel hundert Schmerzen und Qualen ein Mensch zu ertragen vermag, bevor er stirbt.«

»So willst du ihn zu Tode martern?«

»Ja. Er soll jedes Glied einzeln verlieren. Ich werde ihm die Nase, die Ohren, die Lippen, die Zunge, die Augen nacheinander nehmen.«

»Und was geschieht mit den Asakern, die ihn begleiten?«

»Ich habe den Befehl erteilt, dieselben einfach über den Haufen zu schießen. Man wird mir ihn also ganz allein bringen. Mein Vater kann in jedem Augenblicke zurückkehren.«

Also jedes Glied, jedes Sinnesorgan sollte mir einzeln abgeschnitten, ausgestochen oder herausgerissen werden! Das war ein außerordentlich tröstlicher Gedanke für mich für den Fall, daß man entdeckte, wer ich war! Die Haare hätten mir zu Berge steigen mögen! Dennoch wagte ich es, eine Erkundigung einzuziehen, die mir leicht verderblich werden konnte. Ich nannte nämlich den Fakir el Fukara und fragte ihn, ob er denselben kenne.

»Freilich kenne ich ihn,« antwortete er. »Er ist doch auch Sklavenjäger gewesen.«

»Gewesen? Jetzt also nicht mehr?«

»Nein. Er ist fromm geworden und bereitet sich auf die Zukunft vor.«

»Hat er irgend einen besondern Plan für dieselbe?«

»Das ist möglich; er redet nicht davon. Er liest viele Bücher, weltliche und geistliche, und es kommen und gehen bei ihm Leute, die man nicht kennt und mit denen er lange und geheime Unterredungen hält. Vielleicht will er ein großer Marabut oder ein Wanderprediger des Islam werden. Vielleicht aber ist das auch nur eine Maske, unter welcher er ganz andere Absichten verbirgt. Er haßt den Vicekönig, welcher ihn aus dem Amte gejagt hat, und wird sich wohl auf irgend eine Weise an ihm rächen wollen.«

Sollte es diesem Manne mit seiner Mahdischaft wirklich ernst sein? Wenn das der Fall war, so hatte ich eigentlich die Verpflichtung, die Regierung zu warnen. Er hatte davon gesprochen, daß der Mahdi sich mit einem höheren ägyptischen Offizier verbünden werde. Vielleicht hatten die Besuche, welche er empfing, unter anderm auch den Zweck, eine solche Verbindung anzuknüpfen oder gar schon zu pflegen. Ich nahm mir vor, zuerst dem Reïs Effendina Mitteilung zu machen, welcher diese Angelegenheit leichter zu beurteilen vermochte als ich. Erst viel später, als der Aufstand im Sudan im Gange war, hörte ich, daß mit jenem Offiziere wohl Arabi Pascha gemeint gewesen sei, doch steht es sehr zu bezweifeln, daß er damals schon mit ihm in irgend einer Beziehung gestanden habe.

Leider konnte ich noch immer nicht das erfahren, was zu wissen mir am notwendigsten war. Ihn Asl brachte das Gespräch nicht wieder auf den Reïs Effendina. Ich hütete mich zwar, die Rede direkt auf denselben zu lenken, aber ich gab mir alle Mühe, ihn indirekt und ohne daß er es bemerkte, auf diesen Gegenstand zu leiten, doch vergeblich. Es verging die Zeit bis nahe an Mitternacht, und dann erklärte er, daß er nun schlafen wolle, und forderte mich auf, ihn zu begleiten.

»Wohin?« fragte ich.

»Auf das Schiff. Dort haben wir mehr Schutz vor den Mücken, und ich werde dir ein Mückennetz geben. Du schläfst bei mir. Daraus kannst du ersehen, daß ich Wohlgefallen an dir gefunden habe.«

Ich glaubte ihm das letztere, obgleich er mich auch leicht aus dem Grunde, mich unter seiner besondern Aufsicht zu behalten, zu sich einladen konnte.

»Ich möchte dir nicht lästig fallen,« wand ich ein. »Ich bin gewöhnt, auf meinen Reisen mit Omar, meinem Gehilfen, zu schlafen. Erlaube, daß er bei mir bleibt!«

»Ich habe nur Platz für mich und dich. Er soll auch eine gute Stelle erhalten, denn er wird bei meinen Offizieren schlafen, welche auch eine eigene Kajüte haben.«

Eine weitere Einwendung durfte ich nicht machen, da ein solches Beharren auf meinem Willen ihn sehr leicht stutzig hätte machen können. Darum mußte ich mich fügen. Übrigens glaubte ich keinen Grund zu haben, auf das Beisammensein mit Ben Nil zu dringen. Es war bisher ja alles sehr gut abgelaufen, und ich hatte nicht die mindeste Ursache, anzunehmen, daß uns bis zum Morgen irgend eine Gefahr drohe.

Im Verlaufe unseres Gespräches hatte ich beobachtet, daß viele der Sklavenjäger an Bord gegangen waren, um, jedenfalls der lästigen Mücken halber, im Schiffe zu schlafen. Das Innere desselben schien also jetzt leer zu sein, da es so viele Schläfer fassen konnte. Es führte eine Art Leiter, an welcher wir emporstiegen, vom Ufer auf das Deck. Dort angekommen, wendeten sich die beiden andern, die er als seine Offiziere bezeichnet hatte, nach vorn; sie nahmen Ben Nil mit; ich fand keine Zeit, ihm irgend welche Verhaltungsmaßregeln zu erteilen. Ibn Asl ging mit mir nach hinten.

Der Unterschied zwischen einer Dahabijeh und einem Noquer besteht darin, daß der letztere ein offenes Verdeck hat, wenigstens ist der mittlere Teil des Fahrzeuges frei. Vorn befindet sich gewöhnlich die Schiffsküche, welche einige Sklavinnen zu bedienen haben, und hinten giebt es ein kleines Verdeck, einen Verschlag, in welchem der Herr des Schiffes oder der Reïs, zu wohnen pflegt.

Ob die »Eidechse« diese Einrichtung auch besaß, das konnte ich trotz des jetzt ziemlich hellen Sternlichtes nicht erkennen. Daß sich hinten eine Kajüte befand, das erfuhr ich allerdings, denn Ibn Asl führte mich in dieselbe. Sie bestand aus zwei Abteilungen, einer vorderen, kleineren, und einer hinteren, größeren. Er blieb in der erstern stehen und brannte eine Lampe an. Beim Scheine derselben sah ich, obgleich ich nur wenig Zeit zur Umschau hatte, daß rechter Hand ein Sitzkissen lag, während zur linken ein Holzkasten stand, in welchem allerlei Handwerkszeuge, wie sie auf einem Schiffe zu jeder Zeit gebraucht werden, sich befanden. Dieser letztere Umstand wurde mir später sehr wichtig.

»Tritt schnell ein, damit keine Mücken mit hineinkommen!« forderte er mich auf, indem er eine Matte, welche die beiden Abteilungen voneinander schied, zur Seite schob. Ich folgte seiner Aufforderung, und als er dann die Lampe an einer an der Decke befestigten Schnur aufgehangen hatte, konnte ich die Einrichtung der Kajüte sehen. Sie bestand nur aus einigen Kissen, welche an den Holzwänden lagen, und einer höchst unkünstlerisch bemalten Kiste, die seinen Kleiderbehälter bilden mochte. Er nahm aus derselben zwei Mückennetze, von denen er mir das eine gab. Ich wickelte mich kunstgerecht hinein, und er that mit dem seinigen dasselbe.

War ich der Meinung gewesen, daß wir nun schlafen würden, so hatte ich mich geirrt. Er sagte mir vielmehr, daß er Lust habe, sich weiter zu unterhalten, bis das Öl der Lampe ausgebrannt sei. Das war mir gar nicht unlieb, denn auf diese Weise konnte ich vielleicht doch noch das erfahren, was ich bis jetzt vergeblich hatte wissen wollen.

»Du hast zwar gesagt, daß du müde seist,« meinte er; »aber du kannst ja in den Tag hinein schlafen, solange es dir beliebt.«

Mit diesen Worten gab er mir eine vortreffliche Handhabe, weiche ich auch sofort benutzte, indem ich ihm bemerkte:

»Wenn du noch nicht schläfrig bist, will ich sehr gern noch mit dir plaudern; aber ausschlafen werde ich wohl nicht können.«

»Warum?«

»Weil du den Reïs Effendina erwartest, mit dem es doch, wie ich vermute, zum Kampfe kommen wird.«

»Fürchtest du dich davor?«

»Fällt mir nicht ein! Ich habe schon sehr oft Pulver gerochen, bin kein ganz schlechter Schütze und wünsche sogar, mit dabei sein zu dürfen, wenn es losgeht.«

»Es wird nicht viel Pulver zu verknallen geben, denn die Sache soll in möglichster Stille vor sich gehen. Aber wenn du Lust hast, die Schädel einiger Asaker einzuschlagen, so habe ich gar nichts dagegen.«

»Also nicht geschossen, sondern geschlagen und gestochen soll werden? Mir gilt das gleich; ich bin auf alle Fälle gern dabei. Aber wie kommen wir von deinem Noquer aus auf das Schiff des Reïs Effendina?«

»Dies zu besteigen, werden wir uns sehr hüten. Feuer ist besser als Pulver.«

»Ah! Du willst das Schiff des Reïs Effendina verbrennen? Das wird dir schwer werden. Hast du vielleicht einen Mann bei ihm an Bord, der es anzündet?«

»Nein. Auf diese Weise würde ich meinen Zweck nicht erreichen, denn der Brand würde bald bemerkt und gelöscht werden, und ich hätte das Nachsehen. Ich fange die Sache ganz anders an, und zwar so, daß kein einziger Mann entkommen kann und auch kein Span des Schiffes übrig bleibt.«

»Mir unerklärlich.«

»Ja, du hast schon sehr viel erlebt und manches erfahren, was andere nicht kennen lernen, aber der richtige Schick und Kniff, der fehlt dir noch. Ein Sklavenjäger darf keine Schonung kennen. Es handelt sich hier um Sein oder Nichtsein. Es muß entweder der Reïs Effendina oder ich zu Grunde gehen, und da ich nicht dazu Lust habe, so mag es ihn treffen, aber auch gleich so, daß Rettung für ihn die reine Unmöglichkeit ist.«

»Recht hast du da. Nach allem, was ich von dir erfahren habe, würde ich an deiner Stelle ebenso energisch handeln. Nur sehe ich nicht ein, durch welches Mittel du so sicher und so schnell zum Ziele gelangen willst.«

»Du könntest es eigentlich erraten, doch will ich es dir sagen. Hast du die Omm Sufah-Haufen gesehen?«

»Natürlich; sie sind ja groß genug.«

»Ich habe die Omm Sufah niederschneiden lassen, um erstens Platz zum Lagern und zweitens Material zum Feuer zu bekommen. Hast du die Fässer bemerkt, welche in der Nähe stehen?«

»Ja.«

»Sie sind mit dem Stoffe gefüllt, welcher den Reïs vernichten wird. Es ist nämlich Gaz darin.«

»Gaz? Ah, ich beginne zu begreifen. Aber wie bringst du dieses gefährliche Öl auf sein Schiff?«

»Auf? Ich brauche es doch nicht auf, sondern nur an dasselbe zu bringen. Die Sache ist viel leichter, als du denkst. Ich bin überzeugt, daß er in Hegasi halten wird. Dadurch gewinne ich Zeit zu meiner Vorbereitung. Du weißt, daß ich in Hegasi einen Wächter habe. Dieser kommt, sobald der Reïs dort anlangt, hierher geritten, um es mir zu melden. Der Nil wird durch die Dschesireh in zwei Arme geteilt, von welchem der, auf dem wir uns jetzt befinden, der ruhigere und sichere ist, und der Reïs wird also nach dieser unserer Seite steuern. Ich bilde aus meinen Leuten drei Abteilungen. Die erste bleibt bei den Fässern; die zweite besetzt das Ufer bis möglichst weit hinab und die dritte drüben den Rand der Insel. Auf diese Weise wird der Flußarm, den der Reïs benutzen muß, an beiden Seiten von meinen Kriegern eingefaßt, welche sich natürlich nicht sofort sehen lassen dürfen. Wenn sich das Schiff soweit genähert hat, daß es nicht mehr entfliehen kann, werfen die bei den Fässern Stehenden das Petroleum in den Fluß und die dürre, schnell angebrannte Omm Sufah dazu. Das Öl wird sich über das Wasser verbreiten und um das Schiff ein Feuermeer bilden, aus welchem es nicht zu entkommen vermag. Was sagst du zu diesem Plane?«

Mich schauderte vor diesem Manne, doch zwang ich mich, in bewunderndem Tone zu antworten:

»Er ist herrlich, einzig! Entstammt er deinem eigenen Kopfe oder einem andern?«

»Ich selbst habe ihn mir ausgedacht,« meinte er mit hörbarem Stolze.

»So bewundere ich dich. Ich wäre niemals auf einen solchen Gedanken gekommen. Höchstens hätte ich dem Reïs irgendwo aufgelauert, um ihm heimlich eine Kugel zu geben.«

»Und sein Anhang wäre leben geblieben? Nein, sie müssen alle, alle zur Hölle!«

»Wie nun, wenn sie Zeit finden, das Schiff an das Ufer zu steuern?«

»Sie mögen es versuchen! Bedenke doch, daß sie sich binnen wenigen Augenblicken mitten in Flammen befinden, daß sie unbedingt ersticken müssen. Das Schiff wird sofort lichterloh brennen. Dennoch habe ich auch an den Fall gedacht, daß sich einige in das Wasser werfen werden, um das Ufer zu erreichen. Sollten sie, was ich für eine Unmöglichkeit halte, dem Feuer und den Krokodilen entgehen, so stehen ja meine Leute hüben und drüben am Wasser, von denen sie mit den Gewehrkolben erschlagen werden. Du siehst wohl ein, daß kein einziger entkommen kann.«

»Kann das Feuer nicht deinem eigenen Noquer gefährlich werden?«

»Nein.«

»Aber welche Folgen wird es für dich haben! Du wirst von den Soldaten des Vicekönigs gehetzt werden, bis sie dich haben, und dann dreimal wehe dir!«

»Wird man erfahren, wie das Feuer entstanden ist?«

»Vielleicht. Es ist ja möglich, daß es sich bis Hegasi hinab verbreitet. Man wird natürlich sehen, daß es vom Öle stammt, und sich fragen, wer dasselbe in den Fluß gegossen hat.«

»Mag man das immerhin fragen; niemand wird es beantworten!«

»Bist du deiner eigenen Leute sicher?«

»Ja. Keiner von ihnen wird plaudern.«

»Dann mache ich dich, da ich es gut mit dir meine, noch auf eins aufmerksam. Wie nun, wenn außer dem Reïs noch ein anderes Schiff erscheint?«

»So geht es mit zu Grunde.«

»Oder wenn von oben herab ein Fahrzeug kommt. Dieses würde anhalten und Zeuge des Schauspieles sein. Damit wärst du verraten.«

»Hoffentlich kommt dieser Fall nicht vor; sollte es aber doch geschehen, nun, so kann ich es nicht ändern. Ich würde dieses Schiff auf irgend eine Weise zum Anlegen bewegen und dann doch thun, was ich mir vorgenommen habe. Ich kann nicht dafür, wenn mein Petroleum zufälligerweise sich entzündet und der Reïs Effendina so dumm ist, sich mit seinem Fahrzeuge in das Feuer zu wagen. Wer kann mich da bestrafen?«

»Hm! Wollen wünschen, daß lieber gar keine Störung dazwischen kommt!«

»Und wenn sie käme, ich mache mir nichts daraus. Bin ich nicht schon jetzt verfolgt genug? Darf ich mich in Chartum sehen lassen? Werde ich nicht schon heute gejagt? Ich bin vogelfrei. Niemand als nur ich allein weiß, wo ich eigentlich wohne. Ich bin gegen die Gesetze, und sie sind gegen mich. Ich habe hier noch mehreres auszuführen, und dann werde ich verschwinden. Es kann mir also sehr gleichgültig sein, ob man es erfährt, daß der Reïs durch mich umgekommen ist. Schade nur, daß sein Schiff verbrennt, ohne daß ich die geringste Beute machen kann! Aber was mir da entgeht, das wird mein Sklavenzug mir einbringen; ich werde eine Ghasuah unternehmen, wie es noch keine gegeben hat; das sollst du erfahren. Sprechen wir jetzt nicht davon. Die Lampe verlöscht, und wir wollen nun schlafen.«

Es war nicht viel Öl in der Lampe gewesen. Das Flämmchen wurde kleiner und kleiner und verlöschte endlich ganz; es wurde dunkel in dem kleinen Raume.

Was hatte ich erfahren! War es denn möglich, daß ein Mensch auf einen so teuflischen Gedanken kommen konnte! Die Ausführung dieses schrecklichen Planes mußte verhindert werden. Aber wie? Das einfachste und beste war, mich mit Ben Nil vom Schiffe zu schleichen und nach Hegasi zurückzukehren, um den Reïs zu warnen. Aber wo war Ben Na, und lag es in der Möglichkeit, ihn von seinen beiden Mitschläfern, ohne daß sie es bemerkten, fortzubekommen? Es mußte versucht werden, konnte aber natürlich nicht eher geschehen, als bis Ibn Asl eingeschlafen war.

Ich wartete mit Schmerzen auf diesen Augenblick. Minuten vergingen, lange, lange Minuten. Endlich hörte ich seinen leisen, regelmäßigen Atemzügen an, daß er schlief. Ich wickelte mich aus dem Netze und kroch zu ihm hin. Das Ohr seinem Gesichte nähernd, horchte ich. Ja, das war das Atmen eines wirklich Schlafenden. Er verstellte sich nicht. Dennoch ergriff ich eines seiner Beine und schüttelte es leise. Er erwachte nicht davon; er schlief also fest. Ich kroch hinaus in den vorderen Raum. Dort hatte ich abgelegt, ließ aber meine Sachen liegen, da sie mich beim heimlichen Suchen nach meinem Gefährten gehindert hätten.

Als ich das offene Verdeck erreichte, blieb ich zunächst im tiefen Schatten der Kajüte stehen, um mich umzusehen. Die meisten Sklavenjäger hatten den Schiffsraum aufgesucht. Dort war die Luft zwar schwüler als im Freien, aber man hatte nicht soviel von den lästigen Stechmücken zu leiden. Ein einziges Feuer, das vom Schiffe entfernteste, brannte noch. An demselben lagen, durch den Rauch gegen die Insekten geschützt, einige Schläfer.

Hatte man Wachen ausgestellt? Ich sah und hörte keine. Auf dem Deck, welches im Halbdunkel des Sternenscheines dalag, gab es keine Bewegung. Ich legte mich nieder und kroch nach hinten. Ich kam an der nach unten führenden Luke und an dem Mast vorüber, ohne jemand zu erblicken. Auch weiterhin gab es keinen Menschen.

So gelangte ich ganz nach vorne und sah, daß es da allerdings auch eine Kajüte gab. Die Küche stand nämlich auf der Mitte des Vorderteiles und nicht, wie es sonst zu sein Pflegt, in dem Winkel des Schiffsschnabels. Aus diesem letzteren war vielmehr auch ein Verschlag gebildet worden, aus welchem ich halblaute Stimmen erklingen hörte. Ich kroch ganz an die dünne Bretterwand und lauschte. Die beiden Offiziere und Ben Nil schliefen noch nicht; sie sprachen miteinander und schienen noch ganz munter zu sein. Ich konnte ihre Worte ziemlich deutlich verstehen und erkannte aus denselben, daß Ben Nil sich bestrebte, die beiden auszufragen. Der Eifer des jungen Mannes, mir nützlich zu sein, war So groß, daß er den Schlaf opferte und seine Genossen auch munter zu erhalten suchte. Das machte mir einen dicken Strich durch die Rechnung. Sie konnten noch lange, lange sprechen. War es dann noch möglich, uns zu entfernen, ohne gesehen zu werden? Die Vogelwelt des Nils erwacht schon vor dem Anbruch des Tages. Wurden die Stimmen derselben laut, so erwachten die Schläfer, und es war zur Flucht zu spät.

Übrigens hörte ich es am Schalle der Stimmen, daß die drei Sprechenden für meinen Zweck nicht günstig lagen. Ben Nil lag nämlich hinten, und der Raum war so klein, daß er, selbst wenn die andern geschlafen hätten, sich nicht entfernen konnte, ohne über sie hinwegzusteigen. Dabei mußte er sie aber wecken. Wenigstens war dies mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich.

Was aber thun? Ben Nil war nicht herauszubekommen; aber ohne ihn konnte ich unmöglich fort, denn das wäre der sichere Tod des braven Kerls gewesen. Ich mußte also auch bleiben. Aber die fürchterliche Gefahr, welcher der Reïs Effendina ahnungslos entgegenging! Sie mußte unbedingt abgewendet werden, und zwar sogleich. Er konnte schon am frühen Morgen angesegelt kommen, und dann war es zu spät. Ja, wenn es sich um einen Angriff, einen Überfall, nicht aber um dieses höllische Petroleum gehandelt hätte! Ich mußte es unschädlich machen. Wenn dann der Reh kam, so verbrannte er wenigstens nicht und konnte sich, falls er angegriffen wurde, verteidigen.

Sollte ich hinabsteigen und die Fässer in das Wasser wälzen? Nein, denn das hätte Geräusche verursacht. Ich konnte nicht wissen, wieweit sie fortschwammen. Wurden sie bald wieder an das Ufer gespült und da vom Schilfe festgehalten, so ließ Ibn Asl sie holen und führte seinen Plan dann trotzdem aus. Sie mußten also stehen bleiben, und doch sollte das Petroleum fort. Anbohren? Ah! Mir fiel der Werkzeugkasten ein. Vielleicht lag ein Bohrer darin. Das war der einzige Weg, auf welchem ich das Verderben von dem Reh und seinen Asakern abwenden konnte.

Aber was würde Ibn Asl sagen, wenn er früh bemerkte, daß die Fässer leer seien? Mir gleichgültig! Ich durfte nicht an mich denken und mußte es eben darauf ankommen lassen, daß ich für den Thäter gehalten wurde.

Ich kehrte also so rasch wie möglich in die hintere Kajüte zurück. Ibn Asl atmete wie vorher; er schlief noch ebenso fest. Nun langte ich in den Kasten und nahm ein Werkzeug nach dem andern aus demselben. Das hatte seine großen Schwierigkeiten, da ich jedes, auch das kleinste Geräusch vermeiden mußte. Es gelang; ich fand einige Bohrer. Mehrere waren zu stark. Das Loch oder vielmehr die Löcher sollten nicht so groß sein, daß man sie sogleich bemerkte. Fast ganz unten auf dem Boden lag einer, welcher nicht ganz die Dicke eines Bleistiftes hatte; dieser paßte mir. Ich steckte ihn ein und legte die Werkzeuge leise wieder in den Kasten. Dann lauschte ich abermals auf den Atem des Schläfers und huschte endlich hinaus und über das Deck hinüber nach der Stelle, an welcher die Leiter lehnte.

Dort lugte ich erst vorsichtig über Bord, ob vielleicht ein Posten unten stehe, und stieg, als dies nicht der Fall war, hinab. Die kurze Strecke bis hin zu den Fässern war bald zurückgelegt, und ich begann die Arbeit. Jedes Faß mußte zwei Löcher bekommen, eins oben, um den Zutritt der Luft zu vermitteln, und eins unten zum Abflusse des Öles. Ich brachte sie an solchen Stellen an, auf welcher meiner Ansicht nach das Auge nicht gleich fallen würde. Dabei mußte ich mich hüten, mit dem ausfließenden Öle in Berührung zu kommen. Durch Ölgeruch oder gar Ölflecke wäre ich verraten worden.

Die Fässer standen, um schnell aufgeschlagen und in den Fluß geworfen zu werden, ganz nahe am Wasser. Die Flüssigkeit hatte nur drei oder vier Fuß zu laufen, um das letztere zu erreichen. Nach nicht ganz einer Viertelstunde war ich fertig, spülte den Bohrer im Flusse rein, wischte ihn im Schilfe sorgfältig ab und stieg dann wieder an Bord. In der Kajüte angekommen, legte ich ihn in den Kasten und kroch dann wieder in mein Moskitonetz.

Das Herz war mir unendlich leicht. Ich hatte vielen Menschen das Leben erhalten und einen Bubenstreich verhütet, wie er nichtswürdiger gar nicht gedacht werden kann. Aber die Folgen für mich! Nun, die konnte ich unter den gegebenen Umständen nicht von mir abwenden und mußte eben ruhig warten, was geschehen werde. Die Aufregung, in welcher ich mich denn doch befunden hatte, legte sich, und ich schlief ein. Als ich erwachte, geschah dies nicht von selbst, sondern Ibn Asl weckte mich.

»Steh auf, Amm Selad!« sagte er. »Du wirst ausgeschlafen haben, denn es ist spät am Morgen, und es wird bald zu thun geben; der Reh Effendina kommt.«

Ich war natürlich sofort vollständig munter und sprang empor. Mein erster Blick galt seinem Gesichte. Es war nichts darin, was mich hätte vermuten lassen, daß meine That bereits entdeckt worden sei. Seine Augen glänzten unternehmend; er nickte mir sogar freundlich zu und fuhr fort.

»Ja ja, du staunst? Die Stunde ist gekommen. Geh heraus; der Kaffee steht für dich bereit!«

Draußen vor der Kajüte lag ein Polster, auf weiches ich mich setzen sollte. Eine alte, häßliche Negerin brachte mir den erwähnten Morgentrunk. Die Sklavenjäger lagerten am Ufer, ganz so, wie ich sie gestern angetroffen hatte. Darum fragte ich:

»Der Reïs kommt, sagst du? Aber deine Leute befinden sich noch nicht auf ihren Posten.«

»Das ist jetzt noch nicht notwendig. Ich erhielt soeben erst die Nachricht, daß er in Hegasi angekommen sei und bei der dortigen Mischrah angelegt habe. Nun weiß man nicht, wie lange er dort liegen bleibt. Es können Stunden vergehen, ehe er abfährt. Darum habe ich wieder einen Posten ausgesandt, welcher auf halbem Wege zwischen hier und Hegasi aufzupassen hat. Erst wenn dieser zurückkehrt, ist es Zeit, daß jeder seine Stelle einnimmt.«

»Es wird doch kein anderes Schiff dazukommen!«

»Aufwärts nicht, sonst hätte mein Wächter es gesehen. Und abwärts – – bei der Hölle, es wäre fatal, wenn da jetzt eins käme!«

»Du würdest es vorüber lassen?«

»Gewiß nicht, ganz gewiß nicht. Die Bemannung würde im Vorüberfahren uns und den Noquer sehen und dem Reïs davon Meldung machen.«

»Das ist nicht so ganz gewiß. Die Leute würden vielleicht bei ihm vorübersegeln, ohne mit ihm zu reden.«

»Da kennst du diesen Hund nicht. Er redet jedes ihm begegnende Schiff an, läßt es halten und zwingt es, sich nach Sklaven untersuchen zu lassen. Er würde ganz sicher erfahren, daß hier ein Noquer hält, und das müßte ihm auffallen; er würde Verdacht schöpfen, sich in acht nehmen, und mit meinem schönen Plane wäre es aus. Nein, kommt jetzt ein Fahrzeug von oben, so wird es angehalten und muß warten, bis die Sache vorüber ist. Um für alle Fälle gesichert zu sein, werde ich auch stromaufwärts einen Posten aufstellen. Die Zeit zum Handeln ist da, und ich lasse mich durch kein Dazwischenkommen irre machen.«

Er ging an das Land, um einen Mann fortzusenden. Während dieser Zeit kam Ben Nil zu mir. Es befand sich niemand in unserer Nähe; darum konnten wir ungestört und ohne Scheu miteinander sprechen.

»Du hast sehr lange geschlafen, Herr,« sagte er. »Fast wollte es mir bange werden. Hast du denn nicht an das gedacht, was auf dem Spiele steht?«

»Ich habe nicht nur gedacht, sondern auch gethan, mehr als du denkst.«

»Und ich habe gar nicht geschlafen. Ich konnte vor Angst um unsern Reïs Effendina kein Auge schließen.«

»Ich natürlich auch nicht.«

»Die beiden Offiziere wurden gestern abend noch gesprächig und erzählten mir, daß der Reïs verbrannt werden soll. Denke dir!«

»Mit dem Petroleum da unten in den Fässern.«

»Du weißt es?«

»Ja. Ich erfuhr es von Ibn Asl.«

»Herr, was thun wir? Der Reïs Effendina naht, und dort ist das Petroleum. Es ist schrecklich, unendlich schrecklich! Und dabei hast du geschlafen und dich um nichts bekümmert!«

»Zanke nicht! Es ist nicht ganz so schlimm, wie du denkst. Ich habe die Fässer während der Nacht angebohrt. Das Öl ist abgelaufen.«

»Allah’l Allah! Ist das wahr?«

»Ja. Es ist mir nicht leicht geworden. Ich wollte fliehen und dich mitnehmen, hörte euch aber reden. Du lagst hinten im Verschlage und konntest nicht vor. Da mußte ich auf dich verzichten und allein handeln.<,

»Drum roch es, als ich aufstand, nach Petroleum! Die Leute schrieben das der Ausdünstung der Fässer zu. Und im Schilfe lagen einige tote Fische.«

»Weiter unten wird es jedenfalls mehr abgestandene Fische und anderes Getier geben. War das Wasser etwa gefärbt?«

»Nein.«

»So ist das Öl entweder sehr rein gewesen, oder der kräftige Morgenwind hat die Rückstände hier fortgespült. Das ist vortrefflich für uns.«

»Ich sehe gar nichts Vortreffliches, Herr. Wenn man es entdeckt, wird der Verdacht natürlich auf uns fallen.«

»Sehr wahrscheinlich. Aber wer kann uns etwas beweisen?«

»Nach Beweisen fragen diese Menschen nicht. Wir müssen fort; wir müssen augenblicklich fort.«

»Es wäre allerdings am allerbesten für uns, wenn wir uns entfernen könnten; aber es giebt einige Bedenken dagegen.«

»Welche denn?«

»Erstens können wir es nicht unbemerkt thun. Und sieht man, was wir wollen, so hält man uns auf, und wir haben verlorenes Spiel.«

»Wir machen es wie gestern abend: wir laufen davon.«

»Da ruft man uns an, und wenn wir nicht gehorchen, schickt man uns Kugeln nach.«

»Das hat man gestern nicht gethan!«

»Es war Abend und dunkel, jetzt aber ist es Tag und hell. Das ist ein Unterschied; bedenke das! Gestern abend hätten wir entkommen können, weil es finster war. Niemand konnte auf uns zielen; jetzt aber hätten wir jeder sehr bald einige Kugeln in dem Leibe. Und wohin wollen wir die Flucht richten? Nach Hegasi, durch die offene Steppe, wo jeder Verfolger leicht auf uns zielen kann?«

»Wir schießen doch auch!«

»Ja, aber wenn wir schießen wollen, müssen wir stehen bleiben und geben dadurch den Verfolgern Zeit, in Masse an uns zu kommen. Nein, nein, damit ist’s nichts! Und unsere Flucht soll doch einen doppelten Zweck haben, nämlich uns aus der Schlinge zu ziehen, in welche wir die Köpfe freiwillig gesteckt haben, und zugleich dem Reïs zu Diensten zu sein. Reißen wir jetzt aus, so kommt er ahnungslos herbei. Man kann ihn nun zwar nicht mehr durch das Feuer vernichten, ihm aber doch irgend einen Hinterhalt, eine Falle legen, welche ihm zum Verderben gereicht. Bleiben wir aber da, so können wir dies durch List verhüten oder ihn wenigstens warnen.«

»Warnen? Sobald wir ihm zurufen, sind wir verloren.«

»Pah! Die Warnung kann durch ein Gewehr geschehen, welches wie durch ein Versehen losgeht.«

»Aber in dem Augenblicke, in welchem man entdeckt, daß die Fässer leer sind, wäre es doch wohl jedenfalls für uns am besten, wenn wir nicht mehr hier wären!«

»Das gebe ich ganz gern zu. Laß mich überlegen! Vielleicht kommt mir ein Gedanke.«

»Der müßte aber schnell kommen, sonst geht die kostbare Zeit verloren.«

Er setzte sich zu mir nieder, um auf die »Ankunft« meines Gedankens zu warten. Leider aber passiert es dem Menschen sehr Oft, daß er gerade dann, wenn er eine Idee sehr notwendig braucht, keine finden kann. So ging es mir auch jetzt. Ich sann und sann vergebens. Es vergingen fünf, Zehn, fünfzehn Minuten. Ibn Asl stand unten bei seinen Leuten und sprach sehr eifrig mit einem von ihnen. Es schien mir, als ob sie dabei oft herauf nach uns blickten. Dann kam er an Bord. Sein Gesicht war so freundlich wie vorher, als er zu mir sagte:

»Amm Selad, du hattest recht, als du meintest, daß das Petroleumfeuer mein eigenes Schiff in Gefahr bringen könne. Ich werde es eine Strecke weiter aufwärts ziehen lassen. Hoffentlich kommt der Reïs Effendina indessen nicht.«

Also deshalb hatten die Leute ihre Augen so auf das Schiff gerichtet! Die Blicke hatten nicht unseren Personen gegolten. Es kamen eine Anzahl Männer an Bord, um den Mast aufzurichten.

Das befremdete mich, da das Zugseil doch auch recht gut anderwärts angebracht werden konnte. Bei dieser Veranlassung näherten sie sich uns und – – warfen sich plötzlich auf uns, um uns festzunehmen. Das geschah so unerwartet und schnell, daß ich, als mir die Ellbogen auf dem Rücken und auch die Beine zusammengebunden waren, noch keine Zeit gefunden hatte, ein Glied zu meiner Verteidigung zu rühren. Ich lag neben Ben Nil auf dem Boden. Was war geschehen? Warum hatte man uns so feindselig überrumpelt? Es mußte irgend ein Verdacht gegen uns entstanden sein.

Ibn Asls Gesicht war plötzlich ein ganz anderes geworden. Während seine Leute zwei oder drei Schritte weit von uns zurückgewichen waren, trat er nahe an mich heran und sagte in drohendem Tone:

»Das hattest du wohl nicht erwartet! Du scheinst ein schlauer Kopf zu sein, und darum mußte auch ich es klug anfangen; ich mußte dich täuschen und schnell über dich kommen.«

»Ich erstaune!« antwortete ich. »Aus welcher Veranlassung sind wir in dieser Weise überfallen worden?«

»Ja, du weißt allerdings nichts, nämlich davon, daß das, was ihr vorhin miteinander gesprochen habt, gehört worden ist.«

»Das konnte gehört werden,« antwortete ich schnell gefaßt und in zuversichtlichem Tone. »Wir haben nichts gesprochen, was dir Veranlassung zu diesem plötzlichen feindseligen Verhalten geben könnte.«

»So! Meinst du denn wirklich, Ibn Asl täuschen zu können? Da bist du viel zu dumm dazu. Dieser Mann« – dabei deutete er auf den Menschen, welcher mich zuerst gepackt hatte – »lag auf dem Dache der Kajüte, ohne daß ihr es wußtet. Er hörte alles und kletterte, um von euch nicht gesehen zu werden, hinten am Taue, an weichem das Boot hängt, herab, um mir es mitzuteilen. Willst du es etwa leugnen?«

»Fällt mir nicht ein! Aber von was haben wir gesprochen?« Ich verließ mich darauf, daß der Mann wohl nicht alles genau verstanden hatte. Wir hatten zwar nicht leise gesprochen, aber auch nicht lauter als zwei Personen sprechen, welche bei einander sitzen und von Dingen reden, welche nicht jedermann zu hören braucht.

»Von vielerlei,« antwortete Ihn Asl, »zumeist aber von Falschheit und Verrat.«

»Beweise uns das doch einmal!«

»Beweise verlangst du? Ist es denn an dir, Beweise zu fordern? Habt ihr etwa nicht vom Petroleum gesprochen?«

»Allerdings. Warum sollte ich das leugnen? Du hast mir ja selbst davon gesagt!«

»Aber du hast behauptet, es sei keins drin. Wie kommst du dazu, eine solche Dummheit auszusprechen?«

»Es war natürlich nur ein Scherz,« antwortete ich, sehr erfreut über die Art und Weise, in welcher ich zur Hälfte falsch und zur andern gar nicht verstanden worden war.

»Du wirst sehr bald erfahren, daß es kein Scherz, sondern Ernst ist! Und dann habt ihr von Flucht gesprochen? Warum wollt ihr fliehen, wenn ihr ein gutes Gewissen habt?«

»Wir haben von Flucht vor dem Feuer gesprochen, falls dieses dein eigenes Schiff ergreifen sollte. Sind wir gestern abend geflohen? Habe ich dir nicht vielmehr bewiesen, daß ich bei dir bleiben will, daß mir gar nichts daran liegt, von hier fortzukommen?«

»Du scheinst ein Meister der Ausrede zu sein! Was aber wirst du mir denn antworten, wenn ich dich frage: Warum soll dein Gewehr losgehen, wenn der Reïs Effendina erscheint?«

»Soll? Es soll eben nicht! Und mein Gewehr, das meinige? Ich habe von allen Gewehren, von den Gewehren im allgemeinen gesprochen. Ich befürchtete eine Unvorsichtigkeit, eine Hastigkeit, durch welche der Reïs gewarnt werden könnte. Du postierst deine Leute weit am Ufer hinab, und da sagte ich: Wenn nur nicht etwa aus Versehen irgend ein Gewehr losgeht. Dieser Mann hat zwar gelauscht, aber unvollständig oder verkehrt gehört. Ich rate ihm, ein anderes Mal die Ohren besser zu öffnen.«

Ibn Asl ließ seinen Blick prüfend zwischen mir und dem Lauscher hin und her schweifen. Meine edle Dreistigkeit imponierte ihm. Es war klar, daß er irre wurde und mir Glauben zu schenken begann. Doch fragte er noch:

»Ihr hattet aber doch Angst um den Reïs Effendina?«

»Da hat dein wackerer Berichterstatter mich wieder falsch verstanden. Nicht um, sondern vor dem Reïs hatte ich Angst.«

»Wie stimmt das damit, daß du gestern zu mir sagtest, du hättest keine Angst?«

»Da wußte ich noch nicht, was geschehen soll. Jetzt kenne ich aber deine Absichten, und als ich mit meinem Gehilfen über dieselben sprach, hatte ich Sorge, daß dieselben vereitelt werden könnten. Das habe ich gemeint.«

»Vereitelt? Wer könnte sie vereiteln?«

»Der Reïs. Er ist in Hegasi an das Land gegangen. Ihr habt ihn hierhergelockt, indem ihr ihn fälschlicherweise wissen ließet, daß hier ein Sklavenzug über den Nil gehen werde. Er muß also wissen, daß sich Händler oder gar Jäger hier befinden. Meinst du, daß er nun in aller Gemütlichkeit gefahren kommt wie einer, der spazieren segelt?«

»Was denn?«

»Ich halte es für sehr möglich, daß er sein Schiff in Hegasi läßt und seine Asaker auf dem Landwege hierher und euch in den Rücken führt. Während wir die Augen nach dem Flusse richten, schleicht er sich von der Steppe herbei und fällt über uns her. Darum hatte ich vor ihm Angst, keineswegs aber um ihn.«

»Allah! Das ist richtig, sehr, sehr richtig. Daran habe ich nicht gedacht. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit auch landeinwärts richten und – –«

Er wurde unterbrochen. Der stromaufwärts stehende Posten kam herbeigerannt und meldete ein Schiff, welches sich von dorther nähere. Sofort wurde das Boot bemannt und unter der Führung eines der beiden Offiziere diesem Fahrzeuge entgegengeschickt, um dasselbe zum Anlegen zu veranlassen.

Ich hatte Hoffnung, jetzt wieder losgebunden zu werden. Da fragte er mich:

»Woher weißt du denn, was wir dem Reïs Effendina haben sagen lassen?«

Leider hatte mich der Posten in Hegasi gestern gebeten, ihn nicht zu verraten. Ich war dem Manne für seine Mitteilungen zu Dank verpflichtet und wollte ihm keinen Schaden bereiten; darum antwortete ich:

»Es wurde gestern am zweiten Feuer erwähnt. Wir saßen am ersten; ich hörte es aber doch.«

Diese Unwahrheit entsprang aus einer ganz guten Absicht, fand aber sofort ihre Bestrafung, denn er antwortete:

»Das ist eine Lüge, denn an dem Feuer konnte das nicht gesagt werden. Es wissen nur vier Personen um das, was ich dem Reïs Effendina wissen ließ, nämlich ich, die zwei Offiziere und der Posten von Hegasi. Von diesen hat es dir keiner gesagt. Von wem kannst du es wissen? Etwa gar von dem Reïs selbst? Ich wollte dir mein Vertrauen wieder schenken; jetzt aber sehe ich ein, daß deine Ausreden sehr spitzfindig und zweideutig waren. Ehe ich dich freilasse, werde ich diese Sache genau untersuchen, und wehe dir, wenn ich nur den geringsten verdächtigen Flecken an dir finde! Jetzt habe ich keine Zeit dazu. – Ihr bleibt unter Bewachung einstweilen hier liegen.«

Er wendete sich von uns ab, denn seine Aufmerksamkeit wurde oberhalb unserer Ankerstelle, wo jetzt das betreffende Fahrzeug erschien, in Anspruch genommen. Es wurde von dem entgegengesandten Boote angesprochen und trat in Unterhandlung mit demselben. Dann sahen wir einen Mann über Bord und hinab in das Boot steigen, welches mit ihm zurückkehrte; das Schiff aber wurde gegen das Ufer gesteuert, um dort anzulegen.

Bei mir und Ben Nil stand ein Wächter, der uns scharf im Auge hielt. Mir war gar nicht bange. Ich meinte, annehmen zu dürfen, daß die von mir vorgebrachten Ausreden doch noch die beabsichtigte Wirkung haben würden. Beweisen konnte man uns nichts. Gravierend war nur das, was der Lauscher gegen uns vorgebracht hatte, und diesem war der wirkliche Zusammenhang entgangen; er hatte nur einzelne Punkte vernommen, aus und mit denen eine Überführung nicht zu konstruieren war. Bedenken konnte mir eigentlich nur der Augenblick erregen, an welchem entdeckt wurde, daß die Fässer leer seien. Da man einmal mißtrauisch geworden war, stand zu erwarten, daß der Verdacht dann auf uns fallen werde. Doch war es auch hier unmöglich, uns die Schuld zu beweisen. Leider aber sollte es anders, ganz anders kommen.

Das Boot legte an, und die Leute stiegen mit dem Manne, den sie brachten, an Bord. Man denke sich meinen Schreck, als ich in demselben Abu en Nil erkannte, den Steuermann der Dahabijeh Es Semek, auf welcher ich das bekannte nächtliche Abenteuer in Gizeh erlebt hatte! Diese Dahabijeh war für den Sklavenhandel bestimmt gewesen und in der Nacht von dem Reïs Effendina konfisziert worden. Ich hatte den Steuermann aus Mitleid entfliehen lassen, ihm einiges Reisegeld gegeben und von ihm die Versicherung erhalten, daß er sich nordwärts nach seiner Heimat wenden werde. Und nun sah ich ihn hier oberhalb Chartums im tiefen Süden!

Der Mann kannte mich ganz gewiß noch; er mußte mich ja kennen, zumal ich sehr oft die Erfahrung gemacht hatte, daß mein Gesicht ein solches ist, welches man nicht so leicht und rasch vergißt. Ich war von Leuten, welche mich nur einmal und ganz vorübergehend gesehen hatten, noch nach Jahren sofort wieder erkannt worden. Noch schlimmer aber war der Umstand, daß dieser Steuermann Abu en Nil der Vater oder vielmehr der Großvater meines Begleiters Ben Nil war. Es war vorauszusehen, daß er, uns beide erblickend, augenblicklich zu uns eilen und uns verraten werde.

Ben Nil lag nicht wie ich auf dem Rücken, sondern auf der Seite, von dem Bord, an welchem die Leute heraufgestiegen waren, abgewendet; darum hatte er seinen Großvater nicht gesehen. Ich mußte ihn vorbereiten und wendete mich daher zu ihm, ihm zuflüsternd:

»Erschrick nicht, und bleibe so liegen, wie du liegst! Dein Großvater ist gekommen.«

Ich sah es, daß er eine Bewegung der Überraschung machen wollte, aber er beherrschte sich doch. Es dauerte eine kleine Weile, dann fragte er.

»Ich habe beide Großväter noch. Du meinst doch den Steuermann?«

»Ja, Abu en Nil, den früheren Steuermann der Dahabijeh Es Semek.«

»O Allah, welche Freude!«

»Nein, welches Unglück für uns! Er wird uns verraten.«

»Himmel! Das ist allerdings wahrscheinlich. Wie kommt er hierher? Was thut er hier?«

»Er befand sich auf dem Schiffe, welches Ibn Asl gezwungen hat, anzuhalten. Der Offizier hat ihn mitgebracht, jedenfalls damit er Verhaltungsbefehle bekommen soll.«

»Wo steht er?«

»Dort rechts am Rande des Schiffes. Er hat uns noch nicht gesehen. Ibn Asl spricht mit ihm.«

»Können wir ihm nicht ein Zeichen geben, daß er schweigen möge?«

»Wenn wir nicht gefesselt wären, dann würde es möglich sein, ja; so aber müssen wir das Unglück über uns ergehen lassen. Wie mag er nach dem weißen Nil gekommen sein! Er wollte ja nach Gubator gehen!«

»Ursprünglich, ja; aber es ist anders geworden. Habe ich dir denn nicht erzählt, daß ich ihn in Siut traf?«

»Ah, daran habe ich jetzt nicht gedacht!«

»Ich verlor ihn dort wieder, denn ich wurde von dem alten Abd Asl in den unterirdischen Brunnen gelockt, wo ich verschmachten sollte, aus welchem du mich aber rettetest. Wenn er doch um Allahs willen vorsichtig wäre und nicht sagte, daß er uns kennt!«

»Meinst du, daß ihm eine solche Geistesgegenwart zuzutrauen sei?«

»Wohl nicht. Die Freude, mich zu treffen, und dabei der Schreck darüber, daß ich gefesselt bin, das wird so auf ihn einwirken, daß er wohl die Unvorsichtigkeit begeht, unsere Namen zu nennen. Drehe dich auf die Seite, damit er dein Gesicht nicht sieht!«

Ich folgte dieser Aufforderung, obgleich ich nicht glaubte, daß dies die beabsichtigte Wirkung haben werde. Der alte Steuermann hatte sich damals auf der Dahabijeh nicht so verhalten, daß ich ihm so viel Selbstbeherrschung, wie hier nötig war, hätte zutrauen können.

Unser Wächter hatte darauf, daß wir miteinander sprachen, nicht geachtet. Seine Aufmerksamkeit war mehr auf Abu en Nil, als auf uns gerichtet. Ibn Asl sprach laut mit diesem letzteren, doch hatte ich, weil ich mit Ben Nil redete, den Inhalt des Gespräches nicht verstehen können. Jetzt, da wir schwiegen, hörte ich den alten Steuermann sagen:

»Aber ich sehe immer noch keinen Grund, weshalb wir die Fahrt unterbrechen sollen. Wir sind euch doch nicht im Wege!«

»Doch! Wartet nur kurze Zeit, höchstens einige Stunden, so könnt ihr weiter fahren.«

»Warum jetzt nicht?«

»Das brauche ich euch nicht zu sagen.«

»Du wirst es uns doch wohl sagen müssen, sonst gehen wir sofort wieder unter Segel.«

»Das wirst du bleiben lassen, denn, wenn ich sehe, daß du nicht gehorchen willst, so behalte ich dich hier, bis die Zeit gekommen ist.«

»Dazu hast du kein Recht.«

»Meinst du? Ich bin der Reïs Effendina, von dem du wohl gehört haben wirst.«

»Nein, der bist du nicht. Ich habe nicht nur von ihm gehört, sondern ihn sogar gesehen und mit ihm gesprochen.«

»So! Nun, dann will ich dir sagen, daß ich sein Lieutenant bin. Ob dies oder ob er selbst, das bleibt sich gleich. Du hast zu gehorchen.«

»Beweise mir, daß du die Wahrheit sagst! Die Leute des Reïs Effendina tragen Uniformen, die deinigen aber nicht. Ich habe gesehen, daß dein Schiff ›Eidechse‹ heißt; das Schiff des Reïs Effendina aber heißt ›Der Falke‹. Deine Worte sind also Lügen.«

»Lügen? Hüte dich, mich zu beleidigen! Der Reïs Effendina kommandiert allerdings den ›Falken‹; da aber dieses Schiff für seine Zwecke nicht ausreichte, so hat er die ›Eidechse‹ dazu gemietet und mir den Befehl über dieselbe übergeben. Es ist dir wohl erklärlich, daß gemietete Leute keine Uniformen tragen können.«

»Wenn es so ist, wie du sagst, mußt du eine schriftliche Vollmacht von dem Reïs Effendina haben. Ich bin dir nicht eher Gehorsam schuldig, als bis ich dieselbe gesehen habe.«

»Und mir fällt es nicht ein, dir dieselbe zu zeigen. Du hast mir auf das Wort zu glauben und mir zu gehorchen.«

»Und ich werde zurückkehren und weiter fahren!«

»Halt, Alter, nicht so schnell! Ohne meine Erlaubnis kommst du nicht vom Schiffe. Du bist der Steuermann des angehaltenen Fahrzeuges. Wie ist dein Name?«

»Himjad el Bahri.«

Da ich mich umgewendet hatte, konnte ich den Alten nicht mehr sehen, doch hörte ich, daß er fort gewollt hatte, aber festgehalten worden war. Himjad el Bahri! Er nannte sich also jetzt anders als früher, jedenfalls weil er dem Reïs Effendina entflohen war und sich nun unter einem falschen Namen sicherer wähnte. Das war mir lieb, denn nun konnte er Ben Nil nicht für seinen Enkel ausgeben. Kaum aber hatte ich diese Hoffnung geschöpft, so wurde sie mir von unserm Wächter wieder zu schanden gemacht. Dieser trat nämlich, als er den Namen hörte, einige Schritte vor und rief Ibn Asl zu:

»Das ist nicht wahr; dieser Name ist falsch. Ich kenne den Alten. Ich habe ihn früher in Kahira und auch anderswo gesehen. Er ist ein sehr bekannter Steuermann und wird, weil er den Fluß wie selten ein anderer kennt, Abu en Nil genannt.«

»Abu en Nil!« wiederholte Ibn Asl im Tone der Überraschung. »Ist das wahr? Kennst du ihn wirklich?«

»Ganz genau, ich kann mich gar nicht irren.«

»Ah, Alter, du hast mich täuschen wollen; du bist ein Betrüger! Giebst du zu, daß du der Steuermann Abu en Nil bist?«

»Nein. Ich heiße Himjad el Bahri und habe nie einen andern Namen gehabt.«

»Das ist eine Lüge!« behauptete der Wächter. »Ich kenne ihn ganz genau und kann noch zwei Zeugen bringen, welche ihn auch kennen.«

Er nannte zwei Namen, und die Träger derselben, zwei Untergebene von Ibn Asl, welche sich am Lande befanden, wurden herbeigerufen. Sie bestätigten sofort die Aussage des Wächters; sie sagten dem Alten sogar in das Gesicht, wo und wann sie ihn gesehen hatten. Ich konnte nicht recht begreifen, warum der Umstand, daß der Alte einen falschen Namen tragen sollte, eine solche Wirkung auf Ibn Asl hervorbrachte. In jenen Gegenden und jenen Verhältnissen kommt es nicht selten vor, daß ein Mensch seinen Namen ändert. Hat zum Beispiel ein gewisser Maluf sich lange vergeblich nach einem Sohn und Erben gesehnt und diese Sehnsucht wird ihm endlich erfüllt, so wird er, falls er dem Kinde den Namen Amal giebt, sich aus Freude über sein Vaterglück von jetzt an Abu Amal, Vater des Amal nennen. Freilich hatte der alte Steuermann geleugnet, daß er früher anders geheißen habe, und das mußte auffallen oder gar Verdacht erwecken. Aber nicht der Umstand war es, welcher den Grund zu Ibn Asls Verhalten bildete, denn ich hörte ihn jetzt in höhnischem Tone sagen:

»Du bist überführt; du giebst dich für einen andern aus, als du wirklich bist. Das muß gerochen werden!«

»Ich habe nicht gelogen. Vielleicht sehe ich diesem Abu en Nil ähnlich. Es kann dir übrigens ganz gleichgültig sein, welchen Namen ich trage. Wenn ich wirklich dieser Abu en Nil wäre, so könntest du doch wohl gar nichts dagegen haben!«

»Allerdings nicht, gar nichts, ganz und gar nichts! Ich würde mich im Gegenteil freuen, diesen Mann gefunden zu haben. Und da du es wirklich bist, wie diese drei Männer bezeugt und bewiesen haben, so freue ich mich aber jetzt ganz außerordentlich. Hast du einen Sohn, welcher Ben Nil heißt?«

»Nein.«

»Dann wohl einen Enkel?«

»Auch nicht.«

»Leugne nicht, Alter, sonst werde ich dich zwingen, die Wahrheit zu sagen! Es giebt einen jungen Menschen, einen Matrosen, welcher Ben Nil heißt, und wenn jemand sich Abu en Nil nennt, so muß dieser jemand der Vater oder Großvater des Ben Nil sein!«

»Meinetwegen! Da ich aber nicht Abu en Nil, sondern Himjad el Bahri heiße und weder einen Sohn noch einen Enkel habe, so laß mich mit deinem Ben Nil ungeschoren!«

»Komm mir nicht in diesem Tone, Alter!« drohte Ibn Asl. »Es könnte dich gereuen!«

»Wieso? Ich habe keinen Grund, Furcht vor dir zu haben.«

»Das denkst du jetzt. Aber wenn du wüßtest – –!«

»Was –? Wenn ich was wüßte – –?«

»Daß ich – ein ganz anderer bin,« entfuhr es Ibn Asl.

»Ein ganz anderer? So habe ich also doch richtig gedacht! Nun, so brauche ich erst recht keine Furcht zu haben!«

»Meinst du? Es kommt darauf an, was für ein oder welcher andere ich bin!«

»Sei wer du willst, mir machst du nicht angst!«

»Du sprichst sehr zuversichtlich. Ich bin Ibn Asl, der Sklavenjäger.«

»Allah! Ist das wahr? Ibn Asl, der berühmte Negerfänger?«

»Ja. Wie wird dir nun zu Mute?«

Wenn er der Meinung gewesen war, daß der Alte bei Nennung dieses Namens erschrecken werde, so hatte er sich sehr geirrt. Der Steuermann hatte Grund, sich vor dem Reïs Effendina zu fürchten, weil er diesem entflohen war; sich aber vor Ibn Asl zu entsetzen, dazu hatte er als früherer Sklavenhändler gar keine Ursache. Dies zeigte sich auf der Stelle, denn anstatt sich erschreckt zu zeigen, rief er in frohem Tone aus:

»Ibn Asl! Da wird mir sogar sehr wohl zu Mute, vorausgesetzt, daß du mich nicht abermals täuschest.«

»Ich sage dir die Wahrheit. Allah und der Prophet können mir bezeugen, daß ich Ibn Asl bin.«

»Wenn du so schwörst, so kann ich es glauben. Und nun hast du gar keinen Grund, mich feindlich zu behandeln. Ich werde dir jetzt gern meinen wirklichen Namen sagen.«

Der gute Alte hatte gar keine Ahnung, daß er jetzt im Begriff stand, einen ungeheuren Fehler zu begehen. Hätte ich ihm doch winken können!

»Es ist natürlich der, den du vorhin verleugnet hast?« fragte Ibn Asl.

»Ja. Ich bin Abu en Nil.«

»Also doch, doch, doch! Mann, weißt du auch, was du da gesagt hast?«

»Ja. Ich habe dir damit bewiesen, daß ich nicht ein Feind, sondern ein Freund von dir bin.«

»Wunder über Wunder! Ein Freund von mir! Wieso?«

»Hast du vielleicht von einer Dahabijeh gehört, welche Es Semek hieß?«

»Ja. Der Reïs Effendina hat sie weggenommen.«

»Der Reïs Effendina, weicher dein größter Feind ist! Ich aber war der Steuermann dieses Schiffes. Ich war dabei, als er sie durchsuchte und dabei entdeckte, daß die Dahabijeh ein Sklavenschiff sei. Er konfiszierte sie und nahm die ganze Bemannung gefangen.«

»Dich auch mit?«

»Ja, aber es gelang mir, zu entkommen. Es war ein fremder Effendi auf dem Schiffe –«

»Ah, ein fremder Effendi!« unterbrach ihn Ibn Asl.

»Ja. Dieser Mann hatte Erbarmen mit mir, gab mir Geld und verhalf mir zur Flucht.«

»Warum gerade dir?«

»Weil – das weiß ich nicht.«

Er wußte es gar wohl, wollte aber dem berüchtigten Sklavenjäger nicht sagen, daß er auf meine Aufforderung ein aufrichtiges Geständnis abgelegt hatte.

»Jedenfalls ist es aus Freundschaft gegen dich geschehen. Das macht dich verdächtig!«

»Freundschaft? Davon kann nicht die Rede sein, da ich ihn noch nie gesehen hatte.«

»Aber später hast du ihn jedenfalls wieder gesehen?«

»Nein.«

»Lüge nicht! Du hast zugegeben, daß du Abu en Nil bist; du gestehst nun wohl auch ein, daß du einen Sohn hast, welcher Ben Nil heißt?«

»Nicht mein Sohn, sondern mein Enkel heißt so.«

»Gut, sehr gut! Wo hast du ihn zuletzt gesehen?«

»In Siut.«

»Das stimmt; das stimmt ja ganz genau! Du brauchst nun nur noch einzugestehen, bei wem dein Enkel sich als Diener befindet.«

»Das weiß ich nicht. Er ist niemals der Diener eines Menschen gewesen.«

»Nicht, wirklich nicht? Nun, so ist er es jetzt, und zwar der Diener was für eines Menschen!«

»Ich verstehe dich nicht. Ich begreife dich nicht. Warum sagst du das in einem so zornigen Tone zu mir?«

»Ah, du hörst es also, daß ich zornig bin? Aber begreifen kannst du es nicht? Wirklich nicht?«

»Ich habe keine Ahnung, warum der Name meines Enkels dich in solchen Grimm versetzen kann.«

Ibn Asl war, das hörte ich seinem Tone an, überzeugt, daß Abu en Nil alles wisse. Darum freute er sich, den Alten in seine Hände bekommen zu haben. Er antwortete höhnisch:

»Gut, ich werde es dir sagen, nur um dir zu zeigen, daß dir deine Verstellung gar nichts nützen kann. Allah hat dich zu mir geführt, und bald wirst du auch deinen Sohn bei mir sehen und diesen fremden Effendi, dem, das schwöre ich dir zu, alle Glieder einzeln vom Leibe faulen werden!«

»Allah kerihm! Was hat er dir gethan?«

»Hund, glaube nicht, daß du mich täuschen kannst! Du stehst mit ihm im Bunde. Du weißt alles; du kennst alle seine Thaten und wirst mit ihm gleiches Schicksal haben. Meinst du wirklich, daß ich dir sagen Soll, was geschehen ist? Ich habe jetzt weder Lust noch Zeit dazu. Bindet ihn, und werft ihn zu den beiden anderen, die schon dort bei der Kajüte liegen!«

»Was, mich binden?« rief der Alte aus. »Ich weiß von nichts. Ich bin in Faschodah gewesen und –«

»Schweig, sonst bekommst du die Peitsche!« donnerte ihn Ibn Asl an. Ach mag nichts mehr hören. Später wirst du erfahren und – auch fühlen, was geschieht!«

Abu en Nil wurde von mehreren Männern gepackt und trotz seiner Gegenwehr niedergerissen und gebunden. Dann brachte man ihn zu uns geschleift. Schon glaubte ich, Hoffnung hegen zu dürfen, daß die befürchtete Erkennungsscene ohne Gefahr für uns vorübergehen werde, denn er schien nur mit sich selbst beschäftigt zu sein und vor Zorn gar nichts als nur seine Gegner zu sehen. Da fiel sein Auge auf mich; sein Gesicht nahm einen ganz andern Ausdruck an, und:

»Effendi, du?« rief er laut. »Ist’s möglich, du bist auch gefangen?«

Ibn Asl hatte sich schon abgewendet. Er hörte diese Worte und drehte sich schnell wieder um. Aber es kam noch schlimmer, denn der Alte erblickte auch seinen Enkel und schrie auf.

»Ben Nil, mein Sohn, mein Kind, Sohn meines Sohnes! O Allah, Allah, Allah! Was ist geschehen? Was ist’s mit dir, daß du gefesselt bist?«

Da, ja, da hatten wir es! Da war das Unglück fertigt Das waren die Folgen meiner Gutherzigkeit! Ich gestehe, daß ich in diesem Augenblick nichts sehnlicher wünschte, als in Gizeh diesen alten Plauderhannes seinem Schicksale überlassen zu haben. Der Eindruck, den seine Worte machten, war ganz so, wie ich erwartet hatte. Ibn Asl kam nicht herbeigeschritten, sondern geradezu herbeigesprungen und rief:

»Effendi? Ben Nil? Allah akbar – Gott ist groß! Was höre ich!«

»Schweig, Schwätzer! Du bringst dich und uns ins Verderben!« hatte ich dem Steuermann noch zuraunen können; dann standen alle, die sich auf dem Deck befunden hatten, bei uns und vor uns.

»Sag’s noch einmal! Wiederhole es!« gebot Ibn Asl dem Alten. »Wer sind diese beiden Menschen?«

Meine Warnung hatte doch gefruchtet. Der Gefragte antwortete nicht. Ich sah ihm an, daß er überlegte, was er sagen solle.

»Sprich! Wer sind sie?« wiederholte der Sklavenhändler.

»Wer?« fragte Abu en Nil, jedenfalls um Zeit zu gewinnen.

»Diese beiden, deren Namen du nanntest.«

»Die? Die zwei hier? Die kenne ich ja gar nicht!«

»Und soeben hast du den einen als Effendi und den andern als deinen Enkel Ben Nil bezeichnet! Ich habe es mit meinen eigenen Ohren gehört.«

»Die Namen habe ich genannt, aber diese beiden Männer nicht damit gemeint.«

»Das redet dir der Teufel vor! Wie kämst du dazu, von dem Effendi und von Ben Nil zu sprechen, wenn diese es nicht wären!«

»Das war nur ein Ausruf des Schmerzes und der Reue. Weil ich von dem Effendi und von meinem Enkel gesprochen habe, hast du mich binden lassen. Darum wiederholte ich ihre Namen.«

»Du hast aber gefragt: Was ist’s mit dir, daß du gebunden bist! Wie kämst du zu solchen Worten?«

»Ich habe damit ja mich selbst gemeint.«

»Hältst du mich für wahnsinnig, du Sohn eines Hundes und Enkelhund eines Hundesohnes? Holt die Peitsche! Wir wollen ihm den Mund öffnen!«

In diesem Augenblicke erklang vom Ufer der laute, erschrockene Ruf herauf:

»O Wunder, wie sonderbar, die Fässer sind leer!«

Ibn Asl sprang an den Schiffsrand und sah hinab. Da ich lag, war mir kein Blick nach unten möglich.

»Die Fässer sind leer,« wiederholte man von unten herauf.

»Seid ihr toll!« rief er hinab. »Sie waren ja voll.«

»Jetzt sind sie aber leer!«

Ich hörte einen hohlen Ton, als wenn leere Fässer umgeworfen würden.

»Maschallah – Wunder Gottes!« schrie Ibn Asl. »Sie sind leer, wirklich leer! Wer hat das gethan! Wartet, ich komme hinab!«

Ich sah ihn vom Deck verschwinden, aber im nächsten Augenblicke erschien er mit dem Kopfe wieder, um unserm Wächter zu befehlen:

»Laß die Hunde nicht miteinander sprechen! Schlage sie auf die Mäuler, wenn sie es wagen sollten, sie aufzuthun!«

Dann stieg er vollends hinab. Der Mann, dem dieser Befehl gegolten hatte, ergriff ein starkes Stück Tau und ließ es vor unsern Gesichtern schwingen, als nicht mißzuverstehende Andeutung, daß er den löblichen Auftrag ganz wörtlich erfüllen werde. Wir schwiegen also. Ich hätte überhaupt nicht gewußt, was ich sagen sollte, um den Fehler, den der Alte begangen hatte, wieder gut zu machen.

Die Leute schienen sich unten bei den Fässern zu versammeln, wie aus einem Gewirr von vielen Stimmen zu entnehmen war. Dann wurde es momentan still. Man schien zu untersuchen, zu beraten. Nach einiger Zeit kehrte Ibn Asl zurück; ihm folgten alle seine Leute, so daß das ganze Deck sich füllte. Aller Augen waren auf uns gerichtet, drohend, haßerfüllt und auch, wenn ich mich nicht irrte, bewundernd neugierig. Er trat zu mir, stieß mich mit dem Fuße an und sagte, indem seine Augen mich wütend anblitzten:

»Rede die Wahrheit, du räudiger Schakal, sonst reiße ich dir die Zunge aus! Wo bist du während der Nacht gewesen?«

Nicht zu antworten, das wäre dumm gewesen. Hätte ich auch nur eine Hand frei gehabt, so hätte ich ihm mit der Faust geantwortet. So aber mußte ich, um Mißhandlungen zu entgehen, reden:

»Natürlich bei dir in der Kajüte.«

»Du bist aber einmal fort und bei den Fässern gewesen.«

»Das müßte im Traume geschehen sein.«

»Willst du es leugnen?«

»Was man nicht gethan hat, kann man nicht leugnen.«

»Die Fässer haben Löcher!«

»Das weiß ich auch. Ich habe noch kein Faß ohne Loch gesehen.«

Er versetzte mir wieder einen Fußtritt und schrie:

»Willst du etwa gar Witze machen! Du bist es gewesen, der die Löcher in die Fässer gebohrt hat. Kein anderer kann es gewesen sein!«

»Laß mich in Ruh‘ mit deinen Fässern! Ich möchte wissen, weshalb ich mich mit ihnen hätte beschäftigen sollen!«

»Um den Reïs Effendina zu retten. Nun ist mein ganzer herrlicher Plan zu schanden gemacht! Gestehe es auf der Stelle, sonst zertrete ich dich unter meinen Füßen!«

Er holte mit dem Beine zum Stoße aus. Es ist keine angenehme oder gar ehrenvolle Situation, vor so vieler Augen am Boden zu liegen und völlig widerstandslos allen möglichen Mißhandlungen ausgesetzt zu sein. Diesen Menschen hatte ich haben wollen und nun hatte er mich! Meine Lage bei ihm war eine ganz andere, als die seinige bei mir gewesen wäre. Er war nicht nur ein Verbrecher, ein Unmensch, sondern er war – gemein. Hatte ich denn gar keine Waffe gegen ihn? Giebt es überhaupt gegen Gemeinheit eine Waffe, wenn man nicht eben auch gemein sein will? Und wenn ich der geschickteste Fechter bin, kann ich mich mit einem anständigen Floret gegen einen Menschen wehren, der mich mit der – Düngergabel aufspießen will? Mein ganzes Selbstgefühl bäumte sich gegen den Gedanken auf, mich nun noch durch Leugnen retten zu wollen. Ja, vielleicht konnte es mir gelingen, ihn durch List von mir abzubringen oder wenigstens Zeit zu gewinnen; ihn zu übertölpeln, das wäre keine Schande gewesen; aber er hätte wenigstens jetzt, in diesem Augenblicke, gedacht, daß ich Angst vor ihm habe, und das sollte er sich ja nicht einbilden. Angst! Meine Lage war eine schlimme, aber noch keineswegs eine verzweifelte. Es fiel mir nicht ein, mich schon verloren zu geben; aber selbst auf die Gefahr hin, daß es mich sofort mein Leben kosten werde, antwortete ich:

»Gestehen? Nur Verbrecher, nur Sünder haben Geständnisse abzulegen. Was ich that, war keine Sünde, kein Verbrechen.«

»So giebst du zu, es gethan zu haben?«

»Ja.«

Er sah mir starr in das Gesicht. Das hatte er doch nicht erwartet.

»Ah, hört ihr’s, hört ihr’s?« rief er dann. »Er ist’s gewesen; er giebt es zu! Mensch, weißt du, daß du damit dein Todesurteil gesprochen hast? Warum hast du das Öl auslaufen lassen?«

»Diese Frage hast du schon selbst beantwortet.«

»Um den Reïs Effendina zu retten?«

»Ja. Ich bin sein Freund!«

»Der fremde Effendi?«

»Ja.«

»Und dieser, den du deinen Gehilfen Omar nanntest, ist Ben Nil?«

»Er ist es.«

Er trat, ganz betroffen über die Offenheit dieses Geständnisses, zwei Schritte zurück. Er war überzeugt, daß jeder andere fortgeleugnet hätte, denn seiner Meinung nach konnte in meiner Lage Rettung nur im Leugnen liegen. Er wendete sich von mir ab und seinen Leuten zu und sagte.

»Hört ihr abermals? Er bekennt es, daß er der Effendi ist. Ah, wir haben ihn; wir haben ihn! Allah sei Preis und Dank gesagt!«

Dies benutzte Ben Nil, mir zuzuraunen:

»O, Effendi, warum hast du es gestanden! Nun ist alles, alles verloren!«

»Noch nicht. Sei nur guten Mutes, und laß mich machen!«

Die Leute drängten sich näher herbei, um mich recht genau in Augenschein nehmen zu können. Er trat wieder ganz zu mir heran und sagte, indem er mir höhnisch zunickte:

»Du bist ein verwegener Mensch, Effendi, ein höchst verwegener Mensch; aber du hast doch noch nicht gewußt, was es heißt, dich in meine Nähe zu wagen!«

»Pah! Was soll das weiter heißen! Ich habe noch ganz andere Dinge gewagt. Wenn dir nicht der Zufall günstig gewesen wäre, hättest du nicht entdeckt, wer ich bin. Oder bildest du dir etwa ein, daß du es deinem Scharfsinne, deiner Klugheit zuzuschreiben hast?«

»Ungeziefer, wagst du, mich zu schmähen!« rief er, indem er mir abermals einen Fußtritt versetzte.

»Jetzt magst du mich treten; ich bin gefesselt; aber ich sage dir, daß du mir jeden Fußtritt bezahlen wirst!«

»Dir? Wann denn? Du willst dich rächen? Bist du toll?«

»Ich spreche mit vollster Überzeugung. Wie lange glaubst du mich wohl bei dir zu haben?«

»So lange, bis du vermodert bist!«

»Darüber lache ich. Bedenke, daß sich der Reïs Effendina hier befindet!«

»Verlässest du dich auf den? Hoffst du, daß er dich retten werde?«

»Allerdings.«

»So hoffe, bis du verendest! Ich kann diesen Hundesohn nun freilich nicht verbrennen, aber – –«

Er wurde unterbrochen. Es entstand vom Schiffsrande her ein Gedränge. Zwischen den Leuten hindurch schob sich der Posten, den er gegen Hegasi hin ausgestellt gehabt hatte. Der Mann war ganz außer Atem und meldete:

»Herr, mit dem Petroleumfeuer wird es nichts, denn der Reïs Effendina kommt nicht auf dem Flusse.«

»Wo denn?«

»Allah sei Dank dafür, daß er mir den Gedanken eingab, weiter vorzugehen, als du mir geheißen hattest! Ich stand da auf einer Stelle des Ufers, welche so hoch war, daß ich nicht nur den Fluß sehen, sondern auch über die Bäume hinweg in die Steppe blicken konnte. Und da sah ich ihn kommen.«

»Weißt du denn, daß er es war?«

»Wer könnte es sonst gewesen sein? Sie waren weit, sehr weit entfernt von mir, aber ich erkannte doch, daß sie in Uniformen gekleidet waren.«

»So sind sie es gewesen, Wie viele Köpfe zählten sie?«

»Das weiß ich nicht. Sie gingen zu zweien, und es war eine lange, lange Reihe.<,

»Und wann können sie hier sein?«

»Sie müssen vorsichtig verfahren und werden also längere Zeit als sonst brauchen; auch bin ich sehr schnell gelaufen; aber in einer halben Stunde können sie hier eintreffen.«

»So müssen wir fort. Dieser Hund hat uns das Öl genommen, welches uns nun freilich auch nichts nützen könnte. Wollten wir kämpfen, so würden wir siegen, aber gewiß viele unserer Kameraden verlieren. Das müssen wir vermeiden. Ich werde, um den Reïs Effendina durch List in meine Gewalt zu bringen, einen andern Plan erdenken. Also auf, ihr Männer, an die Arbeit! Nehmt die Masten empor, und öffnet die Segel! Der Wind ist uns günstig und wird uns rasch aufwärts führen.«

Was sich am Ufer befand, wurde schnell an Bord geschafft; die leeren Petroleumfässer warf man in das Wasser; dann richtete man die Masten auf. Der Noquer hatte nämlich außer dem Hauptmast vorn noch einen kleineren Mast. Das Fahrzeug war überhaupt anders eingerichtet, wie die Noquer es gewöhnlich sind. Der Wind begann die Segel zu blähen, wir stießen vom Lande und wurden aufwärts gegen den Strom geführt.

Da jedermann beschäftigt war, hatte man auf uns wenig acht. Auch unser Wächter hielt seine Aufmerksamkeit mehr auf die Bewegung des Schiffes als auf uns gerichtet. Darum konnten wir es wagen, wenn auch nur leise, wieder miteinander zu sprechen. Wir kamen eben an dem Schiffe vorüber, welches Ibn Asl zum Anlegen gezwungen hatte; da sagte Abu en Nil:

»Meinst du, Effendi, daß ich meine Leute jetzt rufe?«

»Um Allahs willen, nein! Du würdest dadurch unsere Lage nur verschlimmern, deinen Zweck aber nicht erreichen.«

»Aber ich muß doch auf meinen Posten zurück und kann unmöglich mit diesem entsetzlichen Ibn Asl fahren!«

»Dem fällt es nicht ein, dich zu fragen, ob du kannst oder willst; du mußt!«

»Aber was soll aus mir werden?«

»Ganz dasselbe, was aus uns beiden wird.«

»Nun, was wird das sein?«

»Allah weiß es, ich aber nicht. Du allein trägst die Schuld, daß du dich in dieser Lage befindest.«

»Ich war so erschrocken und konnte doch nicht wissen, daß ich eure Namen nicht nennen durfte.«

»Wir waren gefangen; das mußte dir genug sagen.«

Noch hatten wir die Dschesireh Hassanieh zur Linken. Rechts am Ufer traten die Bäume weit auseinander. Es gab eine freie Stelle, und man konnte hindurch und hinaus auf die Steppe sehen. Trotzdem ich lag, erblickte ich einen Reiter, welcher auf einem Kamele saß und im scharfen Gange durch diese Lichtung nach dem Flusse strebte. Als er das Schiff sah, richtete er seinen Oberkörper auf, wie einer thut, der etwas scharf ins Auge nehmen will. Dann winkte er, indem er sein Gewehr schwang, und schlug auf sein Tier ein, um das Ufer schnell zu erreichen. Eben stand Ibn Asl in unserer Nähe. Ich hörte ihn sagen:

»Seht! Das ist Oram, welcher uns als Bote gesendet wird! Wir können ihn nicht einnehmen; wir dürfen nicht halten, sonst werden wir von dem Reïs Effendina eingeholt.«

Er legte die beiden Hände hohl an den Mund und rief durch dieses Sprachrohr nach dem Ufer, an welchem der Reiter jetzt hielt, hinüber.

»Maijeh es Saratin, Maijeh es Saratin!«

Der Reiter hatte ihn verstanden; er drehte sein Kamel um und ritt schnellstens wieder von dannen.

Ein Maijeh ist ein sumpfiger Nebenarm eines Flusses, die Einbuchtung eines Stromes, deren Wasser still steht, also ganz dasselbe, was der Anwohner des Mississippi einen Bayou nennt. Im weiteren Sinne wird Maijeh auch jeder Sumpf genannt. Es Saratin heißt »der Krebse«. Der Mann war also nach dem Krebsarm. oder Krebssumpf gewiesen worden, jedenfalls einer Einbuchtung des Niles, in welcher es viele Krebse gab und an deren Ufer er das Schiff erwarten sollte. Er war ein Bote. Von wem? Ich hatte sein Gesicht nicht deutlich sehen können, und dennoch war er mir wie bekannt vorgekommen.

Doch, was kümmerte mich dieser Mann! Ich hatte jetzt genug mit mir zu thun. Es verstand sich ganz von selbst, daß ich mich freute, den Reïs Effendina gerettet zu haben; nun aber stak ich selbst im Pech. Konnte ich Hilfe von ihm erwarten? Möglich, aber nicht wahrscheinlich. Er wußte jedenfalls nicht genau, wo er die Vögel, welche nun ausgeflogen waren, zu suchen hatte. Fand er das verlassene Lager, so forschte er wahrscheinlich weiter nach ihnen. Und erfuhr er von Abu en Nils Schiffsleuten, daß der Noquer aufwärts gefahren sei, so kehrte er nach Hegasi zu seinem Schiff zurück, um ihn zu verfolgen. Dabei mußte die kostbare Zeit verloren gehen, und Ibn Asl erhielt einen Vorsprung, welcher nicht rasch einzuholen war. Der »Falke« des Reïs Effendina war zwar ein Schnellsegler und der »Eidechse« weit überlegen, aber wenn diese sich in einen versteckten Maijeh verkroch, so segelte der »Falke« vorüber, ohne sie zu finden.

Auf den Reïs Effendina konnte ich mich also nicht verlassen; ich mußte Rettung einzig und allein bei mir selbst suchen. Das erklärte ich meinen beiden Mitgefangenen. Ben Nil hatte alles Vertrauen zu mir; sein Großvater wollte aber alle Hoffnung sinken lassen. Er erzählte uns in aller Kürze, daß er, als er von Ben Nil getrennt worden war, ein Schiff gefunden hatte, welches nach Faschodah bestimmt gewesen war. Der Reïs, welcher ihn zufälligerweise kannte, hatte ihn mitgenommen und ihm später die Stelle des Steuermannes anvertraut. Auf der Rückfahrt begriffen, waren sie heute früh von dem Boote des Sklavenjägers angehalten worden. Ibn Asl hatte sagen lassen, daß eine gewaltige, neu angeschwemmte Omm Sufah-Insel den Nilarm unpassierbar gemacht habe. Der Kapitän hatte sein Schiff nach dem Ufer dirigiert und den alten Steuermann im Boote des Sklavenhändlers vorangehen lassen, um die Strecke zu untersuchen. Anstatt einer Omm Sufah-Insel aber hatte der letztere die Gefangenschaft gefunden. Nun klagte er alle Welt und Allah an und fragte, wie es gekommen sei, daß Ibn Asl eine solche Rache auf uns habe. Als sein Enkel ihm diese Frage in kurzer Weise beantwortet hatte, jammerte er.-

»O Allah, o Himmel! Wer hätte das gedacht! Nun sind nicht mehr meine Jahre und Tage, sondern meine Stunden gezählt, denn dieser Sklavenjäger wird uns ermorden. Ich werde die Meinen nicht wiedersehen und ein Ende mit tausend Schrecken finden.«

»Jammere nicht!« ermahnte ihn Ben Nil. »Du fällst mit deinen Klagen dem Effendi beschwerlich. Sei still, und gieb ihm Ruhe zum Nachdenken, so wird er sich sicher einen Weg aussinnen, der uns zur Freiheit führt! Übrigens können nur wir beide verloren sein. Du hast Ibn Asl nichts gethan, und so kann er nicht grausam gegen dich sein.«

»Hast du denn nicht gehört, was er sagte? Er glaubt, daß ich euer Verbündeter sei, und hat mir ganz dasselbe Schicksal wie euch bestimmt.«

Der alte Mann wollte mir als ein rechter Egoist erscheinen. Er dachte nur an sich und sprach nur von sich, nicht aber von seinem Enkel, welcher sich doch in noch viel größerer Gefahr als er befand. Aber ich hatte mich geirrt. Er war, wie ich schon damals in Gizeh gesehen hatte, kein Held, und daß er plötzlich in eine so fatale Lage gekommen war, das hatte ihn vollständig verwirrt. Denn als sein Enkel ihm jetzt vorwarf. »Merkst du denn nicht, daß du den Effendi belästigest? Deine Klagen müssen ihn doch beleidigen!« antwortete er, zu mir gewendet:

»Verzeihe, Effendi! Ich weiß vor Schreck nicht, was ich thue und was ich sage. Man warf mich so plötzlich nieder und band mir die Arme und die Beine. Das hat mich so angegriffen, daß ich mich selbst kaum mehr kenne. Ich weiß, was ich dir zu verdanken habe, und ich wünsche, dir beweisen zu können, daß ich dir gern danken möchte. Sage mir, was ich thun soll.«

»Klage nicht, sondern füge dich still in dein jetziges Schicksal! Das ist es, was ich von dir begehre.«

Wir waren jetzt an der Insel vorübergekommen und segelten im ungeteilten Strome. Kein Schiff war vor oder hinter uns zu sehen. Da ließ Ibn Asl die beiden vorn am Buge in einem spitzen Winkel aufeinander stoßenden Bretter, auf denen der Name des Schiffes stand, wegnehmen, umdrehen und wieder dort befestigen. War da erst die »Eidechse« zu lesen gewesen, so stand nun auf den andern Seiten der Name »Karnuk« geschrieben. Karnuk heißt Kranich, speziell der Kronkranich. Er wird nach seiner Stimme so genannt. Das »Kar – nuk – nuk – nuk« der Kronkraniche pflegt am obern Nile das Herannahen des Morgens zu verkünden.

Ibn Asl hatte also mehrere Namen für sein Schiff. Zu welchem Zwecke, das läßt sich sehr leicht denken. Es stand zu erwarten, daß der Reïs Effendina die »Eidechse« verfolgen werde; unter dem Namen »Kranich« konnte sie Hoffnung haben, ihm zu entkommen. Vielleicht bedienten auch andere Sklavenschiffe sich derselben List.

Ich sah zu meinem Leidwesen, daß der »Kranich« ein sehr guter Segler war; dennoch ließ Ibn Asl auch noch mit Stoßbäumen arbeiten, und um die Schnelligkeit des Schiffes in noch höherem Grade zu vermehren, wurde das Boot an einem Taue vorgespannt. Es saßen zwölf Männer drin, welche aus Leibeskräften ruderten und halbstündlich abgelöst wurden. Das geschah, um einen möglichst großen Vorsprung vor dem »Falken« des Reïs Effendina zu bekommen.

Da die Fahrt nun glatt im Gange war, hatte Ibn Asl wieder Zeit, sich mit uns zu beschäftigen. Er kam mit seinen beiden Offizieren, von denen der eine Oberlieutenant und der andere Lieutenant genannt wurde, zu uns. Sie standen längere Zeit da, um uns, ohne ein Wort zu sprechen, mit höhnischen, triumphierenden Blicken zu betrachten; dann fragte er mich:

»Wer war der Mann, welcher mich am Wadi el Berd verfolgte?«

»Ich war es,« antwortete ich.

»Du? Ah, du selbst! Hast du mich erwischt?«

»Blähe dich nicht auf! Daß ich dich nicht einzuholen vermochte, das hast du nicht einem Vorzuge von dir, sondern der Schnelligkeit deines Dschebel-Gerfeh-Kameles zu verdanken. Du hast nicht mich, sondern dein Tier hat das meinige besiegt.«

»Meinst du, daß ich dich nicht auch besiegen würde, elender Wurm, der du bist!«

»Sei ohne Fesseln, und nimm ein Messer in die Hand; mir aber binde die Hände hinten los und vorne zusammen, ohne daß ich ein Messer habe; dann wollen wir kämpfen. Da wird es sich zeigen, wer ein Wurm und elend ist, du oder ich!«

»Schweig!. Du hast Glück gehabt; das macht dich übermütig; aber dieser Übermut soll sich sehr bald in das Gegenteil verkehren. Ich habe mich bisher vergeblich gesehnt, dich in meine Gewalt zu bekommen; nun es endlich doch geschehen ist, sollst du erfahren, wie ein Gläubiger mit einem räudigen Christenhunde verfährt. Dir wäre besser, wenn du nicht geboren wärest! Ich werde –«

»Erspare dir die Drohungen! Ich weiß schon, was du mit mir thun willst.«

»Nun, was?«

»Zunächst die Zunge herausreißen, dann die Augen, die Ohren, die Nase und Ä Glieder einzeln abschneiden.«

»Wirklich, du weißt es! Wer hat es dir gesagt?«

»Einer, welcher wiederholt erfahren hat, daß ich keine Furcht kenne und mich selbst aus der schlimmsten Lage zu retten weiß.«

»Wer?«

»Abd Asl, dein Vater.«

»Ja, dem bist du schon einigemal entgangen. Der Scheitan hat dich beschützt. Aber das war er, nicht ich. Mir wirst du nicht entkommen. Eher fällt der Himmel ein, als daß ich dich aus den Händen lasse!«

»Das bilde dir nicht ein! Wenn mir je ein Mensch Angst zu machen vermöchte, du aber ganz gewißlich nicht.«

»Hund, du wirst schon in einigen Minuten mich um Gnade und Erbarmen anheulen!«

»Versuche es!«

»Meinst du, daß ich scherze?«

»Nein; aber du drohst nur, doch hast du nicht den Mut, es auszuführen.«

»Daß dich der Scheitan fresse! Ich will dir zeigen, daß ich wohl den Mut habe. Herbei, ihr Männer! Ihr sollt sehen, wie dieser Christenhund im ersten Grade gemartert wird.«

Die Menschen alle, welche nichts zu thun hatten, kamen herzu. Er trat in die Kajüte.

»Effendi, was fällt dir ein!« meinte Ben Nil. »Du reizest ihn. Ich kenne dich, den vorsichtigen Mann, nicht mehr. Du verschlimmerst unsere Lage!«

»Nein. Ich will ihm nur zeigen, daß wohl ich ihn in Furcht zu setzen vermag, nicht aber er mich.«

Jetzt kam Ibn Asl zurück. Er hatte eine Zange geholt, hielt dieselbe empor und rief:

»Diesem Sohne einer verfluchten Hündin sollen jetzt zunächst die Nägel von den Fingern gerissen werden, zuerst an den Daumen. Wer will das thun?«

»Ich, ich, ich, ich!« schrieen mehrere.

Ein kräftiger Kerl drängte die andern zurück, langte nach der Zange und bat.

»Gieb sie mir, Herr! Du weißt, daß ich es verstehe. Es ist nicht das erste Mal, daß ich jemand dadurch zum Singen gebracht habe.«

»Ja, thue es. Du hast Übung darin!«

Der Mensch erhielt die Zange, stellte sich zähnefletschend vor mich hin und klappte sie abwechselnd auf und zu, um mir zunächst einen idealen Vorgeschmack der späteren Schmerzen zu geben. Dann bückte er sich über mich nieder, um mich umzuwenden, da ich die Hände auf dem Rücken hatte. Darauf hatte ich gewartet. Dieser Kerl rühmte sich, schon viele durch Schmerz zum »Singen« gebracht zu haben! Ihm konnte eine Lehre gar nichts schaden. Und wenn er daran starb, so war es umso besser. Ich zog also schnell meine Kniee an mich und schnellte ihm dann beide Füße so gegen den Leib, daß er empor und kopfüber unter die andern flog, mehrere von ihnen niederriß und dann wie tot liegen blieb. Das Blut drang ihm aus dem Munde; ich nahm an, daß er sich durch den Fall in die Zunge gebissen habe.

Alles schrie, fluchte und drohte. Ibn Asl gebot Ruhe und untersuchte den Getroffenen, welcher kein Lebenszeichen gab. Er ließ ihn forttragen, ballte die Faust gegen mich und knirschte:

»Das sollst du büßen, zehnfach, hundertfach büßen! Nun sollen deine Qualen noch ganz anders sein, als ich vorher beschlossen hatte. Haltet ihn fest, damit er sich nicht bewegen kann, und dann herunter mit den Nägeln!«

Sechs, acht Kerls warfen sich auf mich. Ich wehrte mich nicht im geringsten. Einer holte die Zange, welche weit fortgeflogen war, und schickte sich an, die Operation zu vollziehen.

»Halt, vorher ein Wort, Ibn Asl!« rief ich jetzt. »Thue mit mir, was du willst; du wirst keinen Laut des Schmerzes hören. Aber was mit mir geschieht, genau dasselbe wird mit Abd Asl, deinem Vater, geschehen!«

»Mit – meinem – – Vater?« fragte er erstaunt.

»Ja. Und nicht nur mit ihm allein, sondern auch mit jedem seiner Leute, die er bei sich hat.«

»Was weißt du von meinem Vater? Wo ist er?«

»Mir entgegen, um mich zu fangen.«

»Das – ist – – richtig. Du bist ihm abermals entgangen. Er hat dich nicht getroffen.«

»Allerdings. Er hat mich nicht getroffen; aber ich habe ihn getroffen, und zwar in der Weise, daß er nun wohl nicht wieder wünschen wird, mir zu begegnen.«

»Kullu Schejatin! Alle Teufel! Sagst du die Wahrheit?«

»Glaube es, oder glaube es nicht. Mir ist es gleich.«

»Wo hast du ihn getroffen?«

»Am Brunnen.«

»An welchem?«

»Das sage ich nicht.«

»Ich muß es wissen!«

»Fällt mir nicht ein! Zunächst bleibt es mein Geheimnis.

Binde uns los, so werden wir dich zu ihm führen. Wo nicht, so hast du ihn und seinen ganzen Trupp auf dem Gewissen!«

»Das will ich gern,« lachte er. »Du willst dich durch eine Lüge retten.«

»Lüge? Woher könnte ich wissen, daß er mir entgegen ist?«

Er sah ein, daß dieser Einwand begründet war, denn er fragte:

»Sie waren zu Fuße?«

»Nein, zu Kamele.«

»Wieviel Mann?«

»Pah, meinst du, daß ich Lust habe, mich wie einen Buben ausfragen zu lassen? Es ist genug, daß du erfährst: Sie sind alle gefangen und werden dasselbe erleiden, was du mit uns thust.«

»So sind sie in der Nähe?«

»Nein. Wir sind auf Eilkamelen weit voran,«

»Warum bliebst du nicht bei ihnen?«

»Sie befinden sich in sicheren Händen. Ist dir einer bekannt, welcher sich Fakir el Fukara nennt?«

»Freilich ist er mir bekannt. Wir haben ja schon gestern abend von ihm gesprochen. Was willst du mit ihm?«

»Der kam zufällig dazu und wollte sie retten.«

»Ist es ihm gelungen?«

»Wäre ich dann hier? Er hat sein Unternehmen büßen müssen, denn er ist nun selbst gefangen. Ich begreife nicht, wie es dir einfallen kann, Leute auszusenden, welche mich fangen sollen. Es ist euch noch nicht gelungen und wird euch auch niemals gelingen.«

»Allah! Redest du irr? Du bist ja eben jetzt mein Gefangener!«

»Nein, denn du wirst mich wieder frei geben; das weiß ich sehr genau.«

»Eher soll mich der Scheitan – –«

»Halt! Fluche und schwöre nicht! Du weißt nicht, was du thust.«

»Und du bist listiger als der Fuchs. Niemand darf dir trauen. Du ahnst nur, daß wir dich fangen wollten, und thust nun so, als ob du alles genau wüßtest.«

»Kann ich auch ahnen, daß dein Vater der Anführer ist?«

»Nein. Aber warum bist du nach der Dschesireh Hassanieh gekommen?«

»Um mit dir zu unterhandeln.«

»Wer hat dir gesagt, daß ich mich dort befand?«

»Dein Vater. Das ist der allerbeste Beweis, daß ich mit ihm gesprochen habe.«

»Über was wolltest du mit mir verhandeln?«

»Über die Loslassung meiner Gefangenen.«

»Wieso? Wolltest du ein Lösegeld haben?«

»Darüber sprechen wir später.«

»So begreife ich nicht, daß du nicht schon gestern abend davon gesprochen hast.«

»Da hätte ich dir sagen müssen, wer ich bin, und es wäre mir unmöglich gewesen, den Reïs Effendina zu retten.«

»Wußtest du denn, daß ich auf ihn wartete?«

»Ja, von deinem Vater.«

»Das ist unmöglich, Effendi! Mein Vater wird dir doch nicht solche Dinge mitgeteilt haben!«

»Er hat es gethan, ohne es zu wissen.«

»Das begreife ich nicht.«

»Du wirst, wenn du mir auch fernerhin nach dem Leben trachtest, noch manches andere ebensowenig begreifen!«

»Du sprichst in einem höchst stolzen Tone und liegst doch gebunden und hilflos vor mir!«

»Hilflos? Irre dich nicht! Wenn ich nicht bis zu einer gewissen Zeit zu meinen Leuten zurückgekehrt bin, ergeht es allen unseren Gefangenen und auch deinem Vater gerade so wie denen, welche der Reïs Effendina im Wadi el Berd erschießen ließ. Sogar der Fakir el Fukara muß sterben.«

Es trat eine Pause ein, während welcher er den Eindruck meiner Worte verarbeitete. Dann fragte er:

»Wie viele von meinen Leuten sind euch entkommen?«

»Keiner.«

»Du lügst doch, trotz der Bestimmtheit, mit welcher du sprichst, und trotz des ehrlichen Gesichtes, welches du zeigst.«

»Ich sage die Wahrheit!«

»Und ich kann dir beweisen, daß du gelogen hast! Hast du vielleicht den Reiter gesehen, welcher vorhin an das Ufer kam?«

»Ja.«

»Es war Oram, einer meiner Leute. Er befand sich bei meinem Vater.«

»Dann aber sicher nicht zu der Zeit, in welcher ich deinen Trupp überfiel. Vielleicht wurde er irgend wohin gesandt, fand bei seiner Rückkehr seine Kameraden gefangen und machte sich schleunigst weiter, dir dieses zu melden.«

»Kann ich erfahren, wie es gekommen ist, daß es dir gelang, meine gegen dich ausgesandten Leute zu fangen?«

»Ich habe nichts dagegen, daß du es hörst; aber es selbst zu erzählen, dazu habe ich keine Lust.«

»So mag dieser alte Abu en Nil es erzählen!«

»Er weiß nichts davon, denn er war nicht dabei. Seit ich ihm damals in Gizeh zur Flucht verhalf, habe ich ihn nicht wiedergesehen als erst heute, da er dein Schiff bestieg.«

»Ist das wahr?«

»Frage mich nicht immerwährend, ob das, was ich sage, wahr ist! Du wirst es doch wohl begreifen, daß das eine Beleidigung für mich ist.«

»So! Wer nannte sich denn gestern Amm Selad aus Suez und entpuppte sich heute als der gesuchte Effendi? War das etwa keine Lüge?«

»Nein, eine Kriegslist.«

»Ihr Christen scheint nicht zu wissen, was man unter Lüge zu verstehen hat!«

»Und ihr Moslemin gebt euch gar nicht erst mit Kriegslisten ab, sondern ihr mordet lieber gleich. Danke Allah, daß ich mich gestern für einen andern ausgegeben habe, als ich bin! Hätte ich das nicht gethan, so trügst du nun mit dir ein Gewissen herum, welches mit einem hundertfachen Mord beschwert wäre. Ben Nil war dabei. Er mag dir erzählen.« Die Leute drängten sich noch weiter heran. Jeder wollte den interessanten Bericht hören und kein Wort desselben verlieren. Da ich vorhin die Örtlichkeit verheimlicht hatte, so war Ben Nil so klug, über dieselbe auch zu schweigen. Als er davon sprechen wollte, daß ich gelauscht hatte, verbot ich es ihm. Daß ich alles wußte und doch niemand sagen konnte, wie ich es erfahren hatte, das gab der Sache einen rätselhaften, geheimnisvollen Anstrich, welcher mir nur nützlich sein konnte. Man hörte mit fast atemloser Spannung zu, bis der Erzähler geendet hatte. Dann rief Ibn Asl aus:

»Soll man es wirklich glauben! Den Löwen von EI Teitel hast du getötet, Effendi?«

»Wie du gehört hast!«

»Dann hast du es gethan, weil du nicht wußtest, was du dabei wagtest!«

»Mein Leben wagte ich. Was sonst?«

»Ist das nicht genug? Kann ein Mensch mehr verlieren als sein Leben?«

»Jawohl, viel, viel mehr.«

»Was?«

»Das, was du schon längst verloren hast, nämlich die Ehre, den guten Namen, das Wohlgefallen bei Gott und den Menschen.«

»Effendi!« brauste er auf. »Denke ja nicht, daß ich plötzlich langmütig geworden bin! Bedenke, daß ich jetzt dein Herr und Besitzer bin! Dein Leben steht in meiner Hand!«

»Allerdings. Aber mit dem meinigen auch dasjenige deines Vaters, des Fakir el Fukara und deiner Leute.«

»Du bist gekommen, dieser Leute wegen mit mir zu verhandeln. Gieb sie frei! Was verlangst du dafür?«

»Deinen Schwur, vom Sklavenhandel abzulassen, meine Freiheit und diejenige von Ben Nil und seinem Großvater natürlich.«

»Würde mein Schwur dir genügen?«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Es ist möglich, daß ich Sicherstellung verlange.«

»Warum nimmst du an, daß ich falsch schwören könne?«

»Weil ich mehrere Moslemin kenne, welche falsch geschworen haben.«

»Dann sind sie keine wahren, echten Söhne des Propheten.«

»Nun, ich kann dir beweisen, daß der Fakir el Fukara und auch dein Vater, welcher für einen sehr heiligen Fakir gehalten wird, bei Allah und beim Barte des Propheten geschworen und dabei doch gelogen haben.«

»Warst du es, dem sie den Schwur leisteten?«

»Ja.«

»So thaten sie keine Sünde, denn du bist ein Ungläubiger.«

»Ah, ist es so? Also wenn ein Moslem einem Christen einen falschen Eid schwört, so ist das erlaubt, so ist das kein Meineid?«

»Es ist, als hätte er nichts gesagt.«

»Und da verlangst du, daß ich dich schwören lassen und dir glauben soll? Du hast dich selbst gefangen, und ich verzichte nun darauf, den menschenfreundlichen Vorschlag auszusprechen, den ich dir machen wollte.«

»So sind wir also fertig?«

»Trotzdem noch nicht. Ich mache dir ein anderes Anerbieten.«

»Laß es hören!«

»Du giebst uns drei hier frei, und ich gebe dir dafür deinen Vater und den Fakir el Fukara. Die andern Gefangenen liefere ich an den Reïs Effendina aus.«

»Welch eine Verwegenheit!« lachte er höhnisch grimmig auf. »Dieser Giaur befindet sich in unserer Gewalt und redet genau so, als ob er uns Befehle erteilen könne! – Warum erhebe ich nicht die Hand, um dich zu zerschmettern!«

»Weil du nicht kannst; sie ist dir gebunden. Sterbe ich, so stirbt dein Vater auch, und zwar vielleicht eines schlimmeren Todes als ich.«

»Das weißt du so genau?«

»Ja. Er ist so unvorsichtig gewesen, zu sagen, in welcher Weise ich von dir gemartert werden soll. Kehre ich nun zur bestimmten Stunde nicht zurück, so wird man ohne allen Verzug ihn ganz genau denselben Martern unterwerfen, und nicht nur ihn, sondern alle und jeden einzelnen Gefangenen. Laß die kostbare Zeit nicht verstreichen!«

»Wann mußt du zurück sein?«

»Das brauchst du nicht zu wissen. Je schneller du dich entschließest, desto weniger läuft dein Vater Gefahr.«

»Also euch drei Personen soll ich gegen nur zwei ausliefern! Ist das richtig gerechnet?«

»Ja, denn Abu en Nil zählt nichts, da er euch nichts gethan hat.«

»Und wie hoch schätzest du dich?«

»Bei diesem Handel bin ich nur eine Ziffer. Zwei Männer gegen zwei Männer. Der Steuermann hier geht nebenbei.«

»Ist dies dein fester, letzter Vorschlag?«

»Ja.«

»So will ich dir auch den meinigen sagen. Ihr gebt alle eure Gefangenen frei, und ich liefere dafür Abu en Nil und Ben Nil aus.«

»Und ich?«

»Du bleibst bei uns.«

»Danke! Allah ist groß. Er hat dich mit einer Klugheit begnadet, vor welcher ich, wenn ich nicht schon am Boden läge, in Demut auf den Knieen kriechen würde!«

»Und deine Weisheit ist grenzenlos, denn – – sie hat noch gar keinen Anfang gehabt! Wie kann ich dich frei geben! Denke zurück an alles, was du gegen uns begangen hast! Und dort liegt der Mann, den du vorhin ermordet hast!«

»Ermordet?«

»Ja. Er bewegt sich noch immer nicht.«

»Er wird besinnungslos sein. Untersucht ihn nur!«

»Wir haben keinen Hekim an Bord. Aber – du bist ein Fremder, ein Effendi. Alle fremden Effendi sind Ärzte. Bist du auch einer?«

»Ja.«

»So untersuche ihn!«

»Ich bin ja gefesselt.«

»Wenn ich dir die Hände frei gäbe, so würdest du einen Fluchtversuch machen!«

»Nein.«

»Wer kann dir trauen! Du bist stark, verwegen und schnell.«

»Meinst du, daß ich Lust habe, in den Nil zu springen und mich von den Krokodilen fressen zu lassen? Und selbst wenn ich so tollkühn sein wollte, so gebe ich dir mein Wort, daß ich ohne diese meine Mitgefangenen das Schiff auf keinen Fall verlasse. Gieb mir also die Hände frei! Und wenn ich den Mann untersucht habe, lasse ich sie mir ruhig wieder fesseln.«

»Gut! Aber ich nehme meine Pistole in die Hand und schieße dich bei der geringsten falschen Bewegung über den Haufen.«

Man brachte den Menschen zu mir her und löste mir die Hände. Die Füße blieben zusammengebunden. Hätte ich mein Wort brechen wollen, so wäre es mir leicht gewesen, einen Streich auszuführen, der uns gewiß von Nutzen gewesen wäre. Der Mensch, welcher ohne Bewegung vor mir lag, hatte das Messer in seinem Gürtel. Es herausziehen und meine Fußfessel durchschneiden, wäre in einem einzigen Augenblicke geschehen gewesen; ein zweiter Moment hätte genügt, Ibn Asl zu packen. Dieser hatte zwar die Pistole in der Hand, aber den Hahn nicht gespannt; er hielt sie auch nicht auf mich gerichtet, sondern niederwärts. Hätte ich ihn gefaßt und mit in die Kajüte, neben welcher wir uns befanden, gerissen, so wäre ich sein Herr gewesen und hätte ihm diktieren können, was mir beliebte. Aber ich hatte mein Wort gegeben und mußte es halten, obgleich ich überzeugt war, daß jeder dieser Menschen, von Ibn Asl an bis zum letzten seiner Leute herunter, nicht gezaudert hätte, mir den heiligsten Schwur zu brechen.

»Nun?« fragte er, als er sah, daß ich fertig war. »Hat er nur die Besinnung verloren?«

»Ja, er hat nur die Besinnung verloren und wird sie für diesmal auch nicht wieder bekommen. So ist es, wenn man unbesonnen handelt und sich darauf freut, einem Menschenkinde die Nägel auszureißen!«

»Was? – Er ist tot?«

»Ja. Er wird nie wieder einen Menschen zum ›Singen‹ bringen. Mein Fußtritt hat ihm innere Organe verletzt oder gesprengt; ferner hat er sich die Zunge zerbissen; und endlich ist er so gefallen, daß ihm das Genick gebrochen ist.«

»Allah kerihm! Du bist sein Mörder!«

»Ich nicht. Zwei andere sind es gewesen, nämlich du und er selbst.«

»Nein, du warst es, denn du hast ihm den Fußtritt versetzt. Du hast von Stunde zu Stunde immer mehr zu büßen. Denke ja nicht daran, daß ich dich frei geben kann!«

»Nein, sterben muß er!« rief der Oberlieutenant.

»Sterben, sterben!« stimmten zwanzig, dreißig, fünfzig andere ein.

»Bedenke, daß dann auch dein Vater stirbt!«

»Bedenke,« lachte er ingrimmig, »daß ich bis jetzt nur dich gehört habe und auch noch Oram hören muß! Wahrscheinlich giebt das, was er mir zu sagen hat, der Sache eine Wendung, welche dich erbeben macht. Mag es aber kommen, wie es will, dich, dich gebe ich nicht frei!«

»So willst du deinen Vater opfern?«

»Mag er sterben! Er hat lange genug gelebt. Dir habe ich nachgestrebt, ohne dich fassen zu können. Jetzt bist du mir freiwillig in die Hände gelaufen, und diese werden dich festhalten, um dich erst dann wieder zu lassen, wenn der letzte Seufzer deines Atems mit dem letzten Tropfen deines Blutes davongegangen ist. Bringt die drei Hunde fort, mir aus den Augen, hinunter in den Raum! Riegelt sie dort ein, und laßt einen Wächter bei ihnen stehen!«

Wir wurden gepackt und über das Deck nach der Luke geschleift. Dort ließ man uns über die Stiege hinabfallen, ohne zu fragen, ob wir mit heilen Gliedern unten ankommen würden. Unten war es dunkel. Man nahm uns auf und trug uns fort, ob nach vorn oder hinten, das konnte ich nicht beurteilen. Ich hörte einen Riegel gehen; er war nicht von Eisen, sondern von Holz. Wir wurden niedergeworfen; eine Thüre fiel zu; der Riegel klapperte wieder; dann sagte einer der Kerls:

»Viel zu viel Rederei mit diesen Hunden! So kurz wie möglich; das Messer ins Fleisch; das ist das beste. Allah verbrenne sie! Wer bleibt da?«

»Ich!« antwortete eine Stimme, welche mir bekannt vorkam.

»Gut! Dann löse ich dich ab. Aufzupassen giebt es eigentlich nichts. Sie sind gebunden, und wie wollten sie auch vom Schiffe kommen!«

Schritte entfernten Sich; dann wurde es draußen still. Ich fühlte, daß wir auf einer Holzdiele lagen, und horchte auf das Geräusch des Wassers, um beurteilen zu können, ob wir uns im Vorder- oder Hinterteile befanden. Es war nichts zu hören. Da man den Sog unbedingt gehört hätte, so war anzunehmen, daß wir im Vorderteile lagen. Wir lagen ganz trocken, folglich hatte man uns nicht in den eigentlichen Kielraum gebracht.

Abu en Nil wollte sprechen; ich verbot es ihm. Jetzt war die Hauptsache, sich zu orientieren. Es mußte auf jedes, selbst das geringste Geräusch geachtet werden. Draußen hörte ich ein leises Tappen und Schleichen. Es entfernte sich und kam dann wieder zurück. Dann wurde an unsere Thüre geklopft, so vorsichtig, daß man es nur wenige Schritte weit hören konnte. Wir antworteten nicht. Es klopfte wieder, diesmal etwas stärker, und als wir auch jetzt schwiegen, erklang es leise:

»Effendi, hörst du mich?«

»Ja,« antwortete ich.

»Ich bin mit Fleiß als Wächter geblieben. Wirst du mich verderben?«

»Verderben – Wer bist du denn?«

»Der, mit dem du gestern in Hegasi gesprochen hast.«

Ah, Gott sei Dank! Da begann uns ja ganz unerwartet ein Stern zu leuchten! Zwar kaum wahrnehmbar jetzt, aber wenn man es richtig anfing, konnte er sich zu einem hellen Doppelstern entwickeln und vielleicht gar zum Rettungssterne werden. Der Mann hatte Angst; er glaubte, daß ich im Zorne vielleicht mein ihm gegebenes Wort vergessen und plaudern werde. Diese Sorge kam mir sehr gelegen. Wenn Ibn Asl erfuhr, was er mir alles gesagt hatte, so stand ihm jedenfalls eine sehr harte Strafe bevor.

Ich hatte mich, falls alles andere mißglückte, auf meine Körperkraft verlassen. Wahrscheinlich war es mir möglich, den Palmfaserstrick, der meine Hände hinten vereinigte, zu zerreißen oder an einer scharfen Ecke oder Kante zu zerscheuern, Das übrige hätte sich dann gefunden. Bequemer aber war es jedenfalls, die sich jetzt bietende Gelegenheit zu benutzen. Der Mann konnte uns nicht nur ein scharfes, schneidendes Werkzeug liefern, sondern uns auch diejenigen Auskünfte erteilen, ohne welche die Flucht schwer oder gar unmöglich war. Ich kroch ganz nahe zur Thüre hin und fragte leise:

»Hast du gehört, daß mir die Nägel herausgerissen werden sollten?«

»Ja, Effendi.«

»So weißt du, was man gegen mich vorhatte, und wie es uns noch ergehen soll.«

»Ihr werdet wohl sterben müssen!«

»Aber dann Abd Asl auch mit allen seinen Leuten!«

»O, Ibn Asl läßt seinen Vater sterben, nur um dich martern zu können.«

»Was sagen seine Leute dazu?«

»Viele sind dafür. Viele wollen aber, daß ihr frei gegeben werden Sollt, falls unsere Kameraden, welche ihr gefangen habt, dadurch ihre Freiheit auch erhalten.«

»Welche Partei ist zahlreicher?«

»Das kann ich jetzt nicht sagen. Aber ich bitte dich um Allahs Willen, nichts von dem, was du von mir erfahren hast, an Ibn Asl zu verraten! Er würde mich einfach niederschießen oder den Krokodilen vorwerfen lassen.«

»Dann thut es mir leid, daß ich dich nicht schonen kann.« »Nicht? Allah kerihm – Allah ist gnädig! Willst du nicht auch Gnade üben, da du ein Christ bist?«

»Ein Christ liebt sein Leben nicht weniger als ein Moslem.«

»Aber du kannst es dir doch dadurch, daß du plauderst, gar nicht retten!«

»Da irrst du dich. Du hast mir manches gesagt, was ich zu meinem Vorteile benutzen kann.«

»Aber du hast mir ja Schweigen gelobt!«

»Soviel ich mich erinnere nur in Beziehung auf einen einzigen Punkt. Und auch dieses Gelöbnis ist hinfällig, denn ich habe es nur unter der Voraussetzung gegeben, daß ich für den gehalten würde, für den ich mich ausgegeben habe. Das ist nun aber anders geworden. Deine Mitteilungen geben mir die letzte und wichtigste Waffe in die Hand.«

»O Allah, o Prophet! So bin ich verloren!«

Er schwieg, und ich sagte auch nichts. Es galt, nun zuerst die Wirkung meiner Drohung abzuwarten. Diese fiel günstiger, viel günstiger aus, als ich für so kurze Zeit hatte erwarten können. Nach einer Weile klopfte er wieder leise und fragte:

»Effendi, höre, wenn du fliehen könntest!«

»Das wäre freilich gut, auch für dich, denn da wäre ich nicht gezwungen, von dir zu sprechen.«

»Es ist aber unmöglich, vollständig unmöglich! Du bist gefesselt, es wird stets eine Wache hier stehen. Und drittens, wenn das alles nicht wäre, wie wolltet ihr vom Schiffe kommen?«

»Hast du noch andere Bedenken?«

»Nein, nur diese drei, und das ist jedenfalls mehr als genug«

»O nein! Diese drei Punkte genieren mich ganz und gar nicht. Nur würde ich einen brauchen, der mir behilflich ist.«

»Das ist gefährlich, Effendi!«

»Ganz und gar nicht. Kein einziger Mensch würde etwas merken oder erfahren.«

»Was hätte der Mann zu thun?«

»Zweierlei, wovon das eine ebenso leicht und ungefährlich ist wie das andere. Er müßte mir zunächst ein scharfes, spitzes Messer hereingeben.«

Es trat eine Pause ein. Er überlegte. Dann erklärte er zu meiner Freude:

»Du sollst ein Messer haben.«

»Wann?«

»Sobald unser Gespräch zu Ende ist. Es steht dort hinten eine offene Kiste mit Messern und andem Werkzeugen, die man immer braucht. Und was ist das zweite, was du verlangst?«

»Auskunft, weiter nichts. Giebst du uns diese und das Messer, so hast du alles gethan, was ich verlange, und ich verspreche dir, kein Wort von dir zu reden.«

»So frage! Ich werde dir antworten, denn es ist – – halt, still, man kommt!«

Die Stiege knarrte. Es kam jemand herabgestiegen, blieb unten stehen und brannte ein Licht an. Ich sah den Schein desselben durch viele Ritzen, welche sich in der Wand unseres Gefängnisses befanden. Die Hitze des Sudans hatte die Bretter ausgedörrt; sie waren zurückgegangen und hatten Lücken zwischen sich geöffnet, von denen mehrere breiter als ein starker Messerrücken waren. Sofort kam mir der Gedanke an den Riegel. Ich suchte ihn mit dem Auge und fand ihn sehr leicht. Er war in der Mitte der Thüre angebracht, wohl eine Elle lang und vielleicht vier Zoll breit. Er lag gerade zwischen zwei Brettern auf und verdeckte eine Spalte, welche mit zu den breitesten gehörte.

Das Herz schlug mir vor Freude. Wenn man die Messerklinge durch die Spalte schob und mit der Spitze in den Riegel stieß, konnte man denselben bewegen, also von innen öffnen. Zu dieser Beobachtung hatte ich nur zwei oder drei Sekunden gebraucht, und da stand der Mann auch schon an der Thüre und öffnete dieselbe.

Ibn Asl war’s. Er hatte ein Thonlämpchen in der Hand und leuchtete herein. Ich lag auf dem Rücken und hielt scheinbar die Augen geschlossen, doch hatte ich die Lider ein ganz klein wenig geöffnet, um unser gegenwärtiges Tuskulum zu betrachten. Es war niedrig wie ein Taubenschlag, zwei Eilen hoch, drei Ellen breit und ein wenig mehr lang. Außer uns Insassen war es vollständig leer; nicht einmal ein Haken oder ein Nagel war zu sehen.

»Nun, wie gefällt es euch hier?« höhnte der Sklavenjäger. »Zeig deine Fesseln! Wollen sehen, ob sie etwa zu locker sind.«

Er setzte die Lampe nieder und untersuchte meine Stricke. Nun, er konnte zufrieden sein. Man hatte mich so fest gebunden, daß mir an den betreffenden Stellen das Blut stocken wollte.

»Hast du weiter über deinen prächtigen Vorschlag nachgedacht?« fragte er.

Ich antwortete nicht.

»Oder willst du mir wohl sagen, wann die Zeit, nach welcher man dich erwartet, abgelaufen ist?«

»Gerade dann, wann ich komme,« lautete mein Bescheid.

»Dann ist’s eine Ewigkeit, denn die Hunde, die zu dir gehören, werden dich niemals wiedersehen. Halte gut Wache, und wenn diese struppigen Schakals etwa miteinander sprechen, so nimm die Peitsche, und haue sie ihnen um die Köpfe!«

Diese letzteren Worte galten dem Wächter. Ibn Asl nahm die Lampe wieder auf, spuckte mich an und verschloß die Thüre. An der Stiege verlöschte er die Lampe, um sie dort irgend wohin zu setzen, und stieg dann empor. Unser Verbündeter wagte erst nach einer Weile wieder zu klopfen.

»Er ist fort, und wir sind sicher, Effendi,« sagte er. »Was hast du mich zu fragen?«

»Sage zunächst, was das für ein Raum ist, in welchem wir uns befinden.«

»Es ist das Sidschn el Bahriji, in welchem diejenigen von uns, welche diese Strafe verdient haben, krumm geschlossen werden.«

»Wo schlaft ihr des Nachts?«

»Hier in diesem Raume und auch unten im Kielraume, wenn wir keine Menschenladung haben.«

»So müßten wir mitten durch die Schlafenden hindurch?«

»Ja.«

»Das ist freilich schlimm!«

»Die Mannschaft befindet sich des Abends am Ufer und legt sich erst spät im Schiffe nieder, gewöhnlich um dieselbe Zeit wie gestern.«

»Kennst du den Maijeh es Saratin?«

»Sehr genau. Wir sind schon oft dort gewesen, um uns zu verstecken.«

»Wo liegt diese Bucht des Niles?«

»Am linken Ufer jenseits des Dorfes Qaua. Ihr Eingang ist so verwachsen, daß einer, der sie nicht kennt, sie gar nicht findet. Und wenn man hineinkommt, so kann der Rumpf des Schiffes sich unter den überhängenden Ästen, Zweigen, Büschen und Schlingpflanzen vollständig verstecken.«

»Dort wird Oram, der Kamelreiter, euch heute erwarten?«

»Ja.«

»Wann erreichen wir den Maijeh?«

»Wohl noch vor Mitternacht, da wir uns solche Mühe geben, schnell vorwärts zu kommen. Wir fahren nach Mittag an der Insel Mohabileh und, wenn es Abend geworden ist, an Qaua vorüber.«

»Kannst du es nicht so einrichten, daß du, wenn wir den Maijeh erreichen, die Wache wieder hast?«

»Sehr leicht. Aber, wollt ihr etwa da entweichen?«

»Nein. Dadurch würden wir ja dich ins Unglück bringen. Wir gehen erst später, wenn du fort bist; aber das muß sein, wenn sich die Leute noch am Ufer befinden. Wenn sie sich hier im Raume zum Schlafen niedergelegt haben, ist es zu spät. Giebt es einen unter deinen Kameraden, einen recht bösen, schlechten Halunken, den du nicht leiden magst?«

»O, mehrere!«

»Könntest du es nicht so einrichten, daß ein solcher Kerl nach dir die Wache bekommt?«

»Wenn ich es schlau genug anfange, kann ich es vielleicht fertig bringen.«

»Versuche es wenigstens! je schlimmer dieser Mensch, desto lieber ist es mir, da er, wenn uns die Flucht gelingt, jedenfalls bestraft wird. Und nun die Hauptsache: Du mußt uns sagen können, wo sich unsere Waffen befinden, ohne welche ich nicht gehen möchte.«

»Ibn Asl hat sie in seiner Kajüte. Er betrachtet sie als seine Beute.«

»So passe genau auf, ob sie dort bleiben oder vielleicht an einen andern Ort geschafft werden. Ich muß das unbedingt wissen. Machst du deine Sache zu meiner Zufriedenheit, so werde ich dich nicht nur nicht verraten, sondern dir noch extra ein Geschenk geben. Man hat uns alles gelassen, was sich in unsern Taschen befindet. Das ist für uns kein gutes Zeichen, sondern ein Beweis, daß man uns ganz sicher zu haben glaubt. Im letzten Augenblicke, wenn ich überzeugt bin, daß die Flucht glückt, werde ich, ehe wir vom Schiffe gehen, dir deine Belohnung an eine Stelle legen, welche du mir jetzt bezeichnen magst.«

»Wenn du mir etwas schenken willst, Effendi, so giebt es keinen bessern Ort, als dort unter der Stiege. Dort liegen einige alte Palmenmatten, unter welche du es stecken kannst.«

»So hole es sofort, wenn wir fort sind, damit es nicht etwa ein anderer zufällig findet.«

»Wie aber weiß ich denn, daß ihr fort seid? Es darf ja kein Mensch eure Entfernung hören oder sehen.«

»Ich werde dir ein Zeichen geben. Es giebt in den hiesigen Wäldern kleine Meerkatzen. Hast du einmal das zornige Kreischen eines solchen Affen, wenn er von einem andern in seiner Nachtruhe gestört wird, gehört?«

»Sehr oft.«

»Gut! Das ist ein Geräusch, welches nicht auffallen kann. Damit du aber weißt, daß ich es bin, der es verursacht, und nicht ein wirklicher Affe, werde ich es dreimal wiederholen, erst mit einer längern und dann mit einer sehr kurzen Pause. Sobald du das gehört hast, gehst du an Bord, wo du unter den Matten das Geschenk finden wirst.«

»Effendi, ich wünsche von ganzem Herzen, daß ich es finde, einesteils um es zu bekommen und andernteils weil es die Gewißheit giebt, daß eure Flucht geglückt ist. Was habe ich noch zu thun?«

»Ich möchte sehr gern wissen, was der Kamelreiter euch zu berichten hat; es ist aber für uns unmöglich, es zu erfahren, weil wir, wenn das Gespräch mit ihm zu Ende ist, schon fort sein müssen.«

»Vielleicht könnte ich euch wenigstens etwas davon sagen.«

»Auf welche Weise denn und wo?«

»Hier unten.«

»In Gegenwart des Wächters?«

»Ja, denn ich werde thun, als ob ich es diesem erzählen will. Ihr könnt doch nicht sogleich fort, wenn wir ans Land legen; Oram aber wird sofort erzählen. Ich höre zu. Euer Wächter kann diese Neuigkeit nicht hören, weil er sich im Schiffe befindet, und so gehe ich zu ihm, um sie ihm zu bringen. Ihr hört, was ich mit ihm spreche, und wißt also, woran ihr seid.«

& »Das ist ein wirklich vortrefflicher Gedanke! Mein Geschenk wird um so größer sein, je mehr ich mit dir zufrieden bin. Jetzt habe ich dir nichts mehr zu sagen. Ich weiß genug und will mit dem übrigen dein Gewissen nicht in Unruhe versetzen.«

Das Gespräch war zu Ende, und unser Verbündeter holte mir das Messer. Es war scharf und spitz, so wie ich es brauchte, scharf zum Durchschneiden der Stricke und spitz, um es als Stichwaffe zu gebrauchen. Denn ich war fest entschlossen, jeden, der sich uns entgegenstellen sollte, zu töten, und glaubte, mir kein Gewissen daraus machen zu müssen.

Welch ein Glück, daß dieser Mann eine solche Angst hatte, von mir verraten zu werden! Ich war beinahe überzeugt, daß wir um Mitternacht frei sein würden. Er hatte eine Stunde Wache zu halten und wurde dann abgelöst. Im Laufe des Nachmittages kam mir der Gedanke, einmal nachzusehen, ob nur die Innenwände unsers Gefängnisses Ritzen und Lücken besaßen. Dazu mußte ich mich aufrichten, was mir nach einiger Mühe auch gelang.

Ich hatte alle Ursache, mit dieser Untersuchung zufrieden zu sein. Das Schiff ging, da es nicht beladen war, nicht tief im Wasser. Die Gegend der äußern Wand, welche gewöhnlich unter dem Wasser, jetzt aber über demselben lag, war von den Sonnenstrahlen ausgetrocknet worden; das Pech war aus den Plankenritzen gelaufen, und indem ich den Griff des Messers zwischen die Zähne nahm, konnte ich mit der Spitze desselben so viel Werg nach außen stoßen, daß an einigen Stellen Öffnungen entstanden, welche groß genug waren, dem Auge einen Blick ins Freie zu gestatten. Das konnte besonders am Abend von großem Vorteil für uns sein. Jetzt sah ich das Boot noch immer vorgespannt. Man hatte auf demselben sogar, um die Ruderer zu unterstützen, einen kleinen Mast errichtet, welcher ein Segel trug. Dies war allerdings nur durch den steifen Luftzug, welcher wehte, ermöglicht worden, sonst hätte das Boot, da es am Schlepptau zog, leicht kentern können.

Gegen Abend kam Ibn Asl abermals, um nach meinen Fesseln zu sehen. Er schien nur mich für gefährlich zu halten, da er die Stricke der andern nicht untersuchte. Das Messer bemerkte er nicht; es lag in der hintersten Ecke bei dem alten Steuermanne, welcher dort hockte. Da ich im Besitze dieses Instrumentes war, hätte ich uns leicht die Fesseln lockern können; aber ich verzichtete darauf, es zu thun, da ich annahm, daß Ibn Asl nochmals kommen und wenigstens die meinigen wieder untersuchen werde.

Ich lehnte mich an die Außenwand und sah durch die von mir gemachten Löcher hinaus auf den Nil. Wir waren längst an der Dschesireh Mohabileh vorüber und mußten bald das Dorf Qaua passieren. Die Schatten des linken Ufers lagen über der ganzen Breite des Flusses, ein Zeichen, daß die Sonne im Sinken sei. Bald wurde es Abend, und da ich nun nichts mehr zu sehen vermochte, legte ich mich wieder nieder.

Es mochte nach abendländischer Zeitrechnung gegen acht Uhr sein, als unser Verbündeter die Wache wieder übernahm. Er sprach nur kurze Zeit mit uns. Er hatte seine Gesinnung nicht geändert und teilte uns mit, daß nach ihm einer kommen werde, dem es zu gönnen sei, daß er wegen unserer Flucht bestraft werde.

»Und wann werden wir den Maijeh erreichen?« fragte ich.

»Kurze Zeit nachdem meine Wache zu Ende ist,« antwortete er. »Das paßt vortrefflich für unsere Absichten. Ich werde da gleich mit an das Land gehen, und wenn etwas Unerwartetes geschehen sollte, so kann ich euch warnen. Übrigens liegen eure Waffen bei Ibn Asl in der Vorkajüte.«

Die Zeit verging, und er wurde abgelöst. Wir sprachen leise miteinander. Sein Nachfolger hörte es, öffnete die Thüre und schlug mit der Peitsche herein, die er sich zu diesem Zwecke mitgebracht hatte. Dabei ließ er es an »Giaurs« und »Christenhunden« nicht fehlen. Nun, dem Manne sollte meine Anerkennung recht bald werden. Kurze Zeit später ertönten laute Kommandorufe über uns; wir hörten Taue über das Deck streifen; man nahm die Segel ein. Der Maijeh mußte sich also in der Nähe befinden. Dann vernahmen wir das Knarren der Stemmbäume gegen die Bordkanten. Man schob das Schiff aus dem Flusse in den Maijeh.

Ich erhob mich und sah hinaus. Es war ganz dunkel; ich konnte den Himmel nicht erkennen. Das Schiff befand sich also schon unter den Wipfeln der Bäume des Maijeh. Dann aber wurde es hell. Ein Feuer brannte am Ufer, und bei demselben stand ein Mann, welcher rief. »Hierher! Werft das Tau herab; ich winde es um den Baum.«

Man hielt es für überflüssig, den Anker fallen zu lassen. Es wurde vielmehr vom Vorder- und Hinterteile je ein Tau ausgeworfen, mit denen man das Fahrzeug ganz ans Ufer ziehen und dort an zwei Bäumen befestigen konnte. Zu diesem Zwecke wurde, als das Vorderteil angehängt war, die Leiter hinabgelassen, über welche mehrere Männer an das Und stiegen.

Die Wand, an welcher ich lehnte, lag nach dem Ufer zu, so daß ich, wenigstens so weit mein enger Gesichtskreis reichte, sehen konnte, was dort geschah. Das übrige mußte ich erraten. Als das Schiff vollständig fest lag, gingen auch die andern an das Land. Es stand zu erwarten, daß Ibn Asl dies auch thun, uns aber vorher noch einen Besuch abstatten werde. Darum ließ ich mich wieder niedergleiten. Kaum war dies geschehen, so knarrte die Stiege, die Lampe wurde angesteckt, und ich hörte seine Stimme:

»Nun, ist alles in Ordnung?«

»Alles,« antwortete der Wächter. »Die Hunde bellten miteinander; da habe ich sie mit der Peitsche zur Ruhe gebracht.«

»Recht so! Hau nur tüchtig zu!«

Er öffnete die Thüre, leuchtete mit der einen Hand herein, untersuchte mit der andern meine Fesseln und sagte dann, mir höhnisch zugrinsend:

»Jetzt werde ich mit dem Manne sprechen, und euer Schicksal wird sich entscheiden. Mache dich gefaßt! Deine Martern beginnen schon am heutigen Abend.«

»Du redest wie ein Kind,« antwortete ich. »An meinem Schicksale kannst du nichts ändern. Es hat sich schon entschieden. Du vermagst uns nichts anzuhaben.«

Er schlug ein lautes Gelächter auf und rief:

»Die Angst hat dich verrückt gemacht! In einer Stunde wirst du anders singen.«

»Du hast heute erfahren, wie es denen ergeht, welche mich singen machen wollen.«

»Das konnte nur einmal geschehen; zum zweitenmale wird es dir aber nicht gelingen.«

Er verriegelte die Thüre, löschte die Lampe aus und ging. Ich stand auf und blickte wieder hinaus. Man schnitt das am Ufer wachsende Schilf ab, um Lagerplätze zu gewinnen, und brannte noch einige Feuer an. Ich konnte sie zwar nicht sehen, vermutete es aber aus der vermehrten Helligkeit und weil die Baumstämme nicht nur einen, sondern mehrere Schatten warfen.

Jetzt war die Zeit gekommen, uns von den Fesseln zu befreien. Ich schob also mit dem Fuße das Messer aus dem Winkel vor, wälzte mich dann um und nahm es in die Hand. Ben Nil mußte sich mit seinem Rücken gegen den meinigen legen, so daß ich die Klinge in die Fesseln seiner Hände stecken konnte. Ich mußte vorsichtig sein, um ihn nicht zu schneiden oder zu stechen; es ging nicht leicht, aber es ging doch. Bald hatte er die Hände frei. Nun nahm er das Messer, um zuerst seine Füße frei zu bekommen und dann auch uns von den Stricken zu erlösen. Das geschah alles so geräuschlos, daß der Wächter es nicht hören konnte.

Darauf warteten wir, ob unser Verbündeter Wort halten könne und kommen werde. Erst nach einer halben Stunde knarrte die Stiege wieder, und wir hörten seine Stimme:

»Wenn du herauf und herauskommen könntest! Es giebt soviel zu hören.«

»Willst du mich ärgern?« antwortete der Wachthabende. »Der Teufel hat es dem Lieutenant eingegeben, gerade mich und gerade jetzt hier herunterzustellen. Was giebt es denn?«

»Der ungläubige Effendi hat wirklich die Wahrheit gesagt. Unsere Kameraden sind gefangen und acht von ihnen mit dem Kolben erschlagen worden!«

»Allah vernichte die Brut dieses Reïs Effendina! Um diesen verdammten christlichen Effendi aber ist es nun ganz gewiß geschehen! Wie ist denn Oram entkommen? Er hat sich wohl gar nicht ergreifen lassen?«

»O doch! Aber die Asaker haben ihn nicht fest gebunden gehabt. Gegen Morgen ist es ihm gelungen, sich loszumachen. Er hat sich davongeschlichen und sogar ein Kamel mitgenommen. Natürlich ist er sofort in einer Tour nach der Hassanieh geritten, um uns zu benachrichtigen, aber einige Minuten zu spät gekommen.«

»Warum kam er nicht bei unserm Lagerplatze, sondern weiter oben an den Nil?«

»Weil er nicht konnte. Er sah die Asaker des Reïs Effendina sich nach dem Platze wenden. Unsere gefangenen Kameraden werden nicht nach Chartum, wie eigentlich beschlossen war, sondern nach Hegasi gebracht, wo die Asaker von dem christlichen Effendi erwartet werden sollen.«

»Er wird sie niemals wiedersehen, und sie werden von uns in der gehörigen Weise empfangen werden, denn ich hoffe doch, daß Ibn Asl alles thun wird, unsere Gefährten zu retten!«

»Das ist selbstverständlich.«

»Aber es ist keine Zeit zu verlieren! Wenn ich nur unten sein könnte. Willst du nicht die Wache für mich thun? Ich gebe dir dafür gern – –«

»Fällt mir gar nicht ein!« unterbrach ihn der andere. »Ich habe soeben erst zwei Stunden hier gestanden.«

Die Stiege knarrte wieder. Er ging. Er hatte Wort gehalten, und das, was er mir auf diese Weise mitgeteilt hatte, war von sehr hohem Werte für uns. Darum sollte er die ihm versprochene Gratifikation erhalten. Er war zwar unser Feind und außerdem ein schlechter Mensch, aber ich mußte Wort halten. Er sollte mich, den Christen, nicht einen Betrüger nennen können.

Übrigens war das Gespräch auch von noch anderem Vorteile für uns gewesen. Das Öffnen des Riegels mit Hilfe des Messers mußte nämlich ein, wenn auch geringes, aber doch immerhin ein Geräusch verursachen, welches den Posten leicht aufmerksam machen konnte. Außerdem hatte der letztere an der Angelseite gestanden, so daß, wenn wir die Thüre öffneten, er uns im Wege stand und wir sie nicht ganz aufbringen konnten. Er hätte also hinter derselben gestanden, und es wäre nicht leicht gewesen, so schnell an ihn zu kommen, wie es nötig war, wenn man ihn unschädlich machen wollte, ohne daß er um Hilfe zu rufen oder gar Widerstand zu leisten vermochte.

Diesen Übelständen war nun Abhilfe geschafft worden. Der Mann war nämlich, um den andern besser verstehen zu können, mehrere Schritte nach der Stiege zu gegangen; er hatte also die Thüre frei gegeben. Während sie laut miteinander sprachen, steckte ich die Spitze des Messers durch die Ritze in das Holz des Riegels und schob den letzteren zurück. Das gab ein Geräusch, welches der Wächter aber nicht hörte. Ich stieß die Thüre auf und kroch hinaus. Die andern beiden folgten. Um ihnen Platz zu machen, mußte ich avancieren und kam hart hinter dem Wächter zu stehen, als er eben seinen Kameraden aufforderte, für ihn die Wache zu übernehmen. Als dieser nun ging, drehte er sich um und stieß an mich. Im Nu hatte ich ihn mit beiden Händen am Halse. Er brach aus Mangel an Luft, vielleicht auch mit vor Schreck, unter meinem Griffe zusammen, wurde mit seinem Gürtel gebunden und bekam den Fez, welchen er auf dem Kopfe hatte, in den Mund gesteckt.

Nun ging ich zur Stiege und stieg sehr vorsichtig, damit sie nicht knarren möge, hinauf, um zunächst zu rekognoszieren. Was ich sah, erfüllte mich mit großer Freude, denn die Umstände konnten uns gar nicht günstiger sein. Die am Ufer brennenden Feuer konnte ich zwar nicht sehen, aber sie verbreiteten einen Schein, welcher sogar das Deck genugsam erleuchtete. Ich sah, daß sich kein Mensch auf demselben befand, und stieg wieder hinab.

Dort nahm ich von meinem Gelde soviel heraus, wie ich für angezeigt hielt, und legte es unter die unterste Palmenmatte. Dann kehrte ich, natürlich von meinen beiden Gefährten begleitet, auf Deck zurück. Aufrichten durften wir uns nicht, da wir da möglicherweise gesehen werden konnten. Wir krochen nach der Kajüte, um unsere Waffen zu holen. Das war die Hauptsache. Es war zwar dunkel in dem Vorraume, aber mit Hilfe des Tastsinnes fanden wir schnell, was wir suchten.

»Was aber nun?« flüsterte Ben Nil. »Es ist natürlich gefährlich, die Leiter hinabzusteigen.«

»Da haben sie uns beim Kragen, noch ehe wir mit den Füßen den Boden erreichen,« stimmte sein Großvater bei.

»Aber es giebt keinen andern Weg! Am besten ist’s, wir steigen nicht, sondern wir springen hinab, mitten unter sie hinein. Sie werden erstaunen, erschrecken, und ehe sie sich besinnen können, sind wir fort.«

»Werden meine alten Beine einen solchen Sprung aushalten?«

»Sorge dich nicht!« tröstete ich ihn. »Wir werden weder steigen noch springen, sondern klettern. Wir steigen in das Boot des Schiffes, das nach dem Flusse zu hängt, und rudern davon.«

»Allah, Wallah, Tallah! Das ist ein prächtiger Gedanke! Aber – es wird dennoch nicht gehen.«

»Warum?«

»Weil das Boot hinten am Schiffe hängen wird. Da liegt es im Scheine der Feuer, und wir können also nicht hinein.«

»Ich vermute, daß es am Vorderteile hängt. Es ist ja vorgespannt gewesen, und so wird man, als nach dem Maijeh. eingelenkt wurde, das Bugsiertau, an welchem es hing, einfach eingezogen haben. Man hatte die Segel einzunehmen und die Masten niederzulegen. Da gab es, zumal es dunkel war, soviel zu thun, daß man sich nicht die Zeit nehmen konnte, das Boot von vorn nach hinten zu bringen. Kommt, ihr werdet sehen!«

Wir krochen nach vorn, nach der dem Wasser zugewendeten Seite des Schiffes. Da unsere Feinde sich auf der andern Seite befanden, konnten wir, ohne von ihnen gesehen zu werden, uns aufrichten und über die Brüstung blicken. Ja, da hing das Boot an einem Tau, welches so stark war, daß der schwerste Mann sich demselben getrost anvertrauen konnte. Es lag im Schatten; wir konnten also nicht sehen, ob die Ruder sich darin befanden; jedenfalls aber hatte man sie nicht an Bord genommen; wenigstens sahen wir sie nicht hier oben liegen. Etwas Helles lag im Boote.

»Was mag das sein?« fragte Ben Nil.

»Wahrscheinlich das Segel, welches ich heute während der Fahrt aufgerichtet gesehen habe. In diesem Falle liegt auch der Mast dabei, und das ist sehr gut, da wir uns mit Rudern nicht sehr anzustrengen brauchen.«

Wir befanden uns in der Nähe des kleinen Vordermastes. Dort hatte ich heute früh ein Bündel Palmfaserfackeln liegen sehen, wie sie in jenen Gegenden bei verschiedenen Gelegenheiten im Gebrauche sind. Ich kroch hin. Sie lagen noch da; ich nahm einige, kehrte an die Brüstung zurück und warf sie hinunter in das Boot.

»Wozu willst du Fackeln mitnehmen?« fragte Ben Nil.

»Davon später. Jetzt haben wir genug gesprochen und gezögert. Jetzt wollen wir über Bord. Steig du zuerst hinab; dein Großvater wird folgen, und ich mache den letzten.«

Er warf seine Flinte am Riemen über den Rücken und stieg über die Brüstung, um sich am Taue hinabzuturnen. In diesem Augenblicke hörte ich die Stimme Ibn Asls rufen:

»Bringt auch einen Krugvoll Raki mit!«

Raki ist Schnaps, den die Muhammedaner trinken dürfen. Die Worte sagten mir, daß mehrere, wenigstens zwei Männer, unterwegs nach dem Decke seien. Ich drehte mich um. Wirklich, da kam einer gestiegen, hinter ihm ein zweiter.

»Schnell, schnell!« raunte ich Abu en Nil zu. »Noch haben sie uns nicht gesehen!«

Ich kauerte mich nieder, um ihnen nicht sofort in die Augen zu fallen. Aber der alte Steuermann mußte über die Brüstung; ihn mußten sie bemerken. Und da kam auch noch ein dritter hinterher gestiegen. Der erste, vorderste sah den Alten und infolgedessen auch mich. Er begriff die Situation auf der Stelle und schrie:

»Auf, herbei ihr Männer! Die Gefangenen sind los! Sie wollen fort!«

Er stürzte herbei; die beiden andern folgten. Ich blieb kauern, um nicht erraten zu lassen, was ich beabsichtigte. Als der erste noch drei Schritte bis zu mir hatte, schnellte ich mich auf und rannte ihm den Gewehrkolben in der Weise gegen den Leib, daß er zurück- und niederflog; den zweiten, welcher eben den Arm nach mir ausstreckte, schlug ich über den Kopf: er brach auch zusammen. Der dritte war mir auch schon nahe. Er war klüger als die beiden vorigen, denn er zog sein Pistol und drückte es auf mich ab. Ich sprang zur Seite und wurde nicht getroffen; desto sicherer aber warf ihn in der nächsten Sekunde mein Kolben nieder.

Die drei Kerls hatten aus Leibeskräften gebrüllt. Jetzt lagen sie lautlos da. Unten antwortete man. Es schrie, wer schreien konnte. Natürlich eilte man herbei; in wenigen Augenblicken konnte es zu spät für mich sein. Gleich nach dem letzten Kolbenhiebe wendete ich mich um. Der alte Abu en Nil war weg. Ein Sprung nach der Brüstung, hinauf, hinüber, das Tau fassen, hinunter ins Boot, das Messer ziehen und das Tau zerschneiden – da erklang oben die brüllende Stimme Asls:

»Wo sind sie? Sucht, sucht! Sie haben uns diese drei erschlagen. Ich sehe sie nicht. Sie werden in der Kajüte stecken, die Hunde. Greift sie; schnell, schnell!«

Schon hatte ich das Boot vom Schiffe abgedrängt und das Steuer ergriffen. Die Ruder lagen da.

»Setzt euch!« gebot ich mit leiser Stimme. »Ibn Asl ahnt nicht, wo wir sind. Nur erst aus dem Bereiche seiner Augen; dann mag er meinetwegen schießen. Nehmt die Ruder. Macht aber leise und im Takt!«

Sie gehorchten. Die Spitze des Bootes richtete sich im rechten Winkel vom Schiffe ab. Ich durfte nicht anders steuern; ich mußte in dem tiefen Schatten bleiben, welchen der Noquer auf das Wasser warf. Als wir uns in guter Entfernung befanden, ließ ich halten. Kein Mensch befand sich mehr am Ufer. Alle, alle waren an Bord geeilt, um nach uns zu suchen. Das gab ein Schreien und Brüllen, daß ein einzelnes Wort gar nicht verstanden werden konnte. Jedenfalls hatte man den Wächter gefunden, uns aber nicht. Dann trat eine plötzliche Stille ein. Unser vollständiges Verschwinden war ihnen unerklärlich. Sie berieten, wie es schien, denn während sie vorher bunt durcheinander gerannt waren, standen sie jetzt ruhig beieinander. Wir waren nur ungefähr dreißig Bootslängen von ihnen entfernt und konnten ihre Gestalten sehen.

»Jetzt kannst du die Stimme des Affen nachahmen,« meinte der Steuermann. »Wir sind frei.«

»Ich werde auf diese Nachahmung verzichten,« antwortete ich, »und direkt mit Ibn Asl reden.«

»Da hören sie, wo wir uns befinden. Viele seiner Leute haben die Gewehre in den Händen. Es ist zwar dunkel, aber wenn sie schießen, können wir aus Zufall doch getroffen werden.«

»Ich führe sie irre, und das wird dir Spaß machen.«

Mich nicht gegen das Schiff, sondern wasseraufwärts wendend, hielt ich die hohlen Hände an den Mund und rief durch dieses Sprachrohr, indem ich die Silben langsam ausdehnte: »Ibn Asl, Ibn Asl, komm, hole uns!«

Der hohe und dichte Wald, welcher das Wasser einfaßte, machte, daß es so klang, als ob die Worte weit oben im Maijeh gerufen worden seien. Meine Stimme war deutlich zu erkennen.

»Das ist er, der Hund, der Hundesohn!« schrie Ibn Asl. »Da droben sind sie, auf dem Wasser! Sie müssen unser Boot haben!«

Wir bemerkten, daß man sogleich nach dem Boote sah.

»Ja, wir haben es!« antwortete ich in derselben Weise. »Jetzt laß mich doch einmal singen!«

»Hört ihr’s, hört ihr’s!« brüllte er wütend. »Sie sind mit dem Boote fort. Da oben, vielleicht achtzig Schritte von hier. Schießt, schießt, ihr Männer!«

Viele Schüsse krachten westwärts, während wir uns in südlicher Richtung befanden. Auf die gegebene Örtlichkeit rechnend, wendete ich jetzt das Gesicht nach Osten, lachte so schallend wie möglich auf und fügte hinzu:

»Fehlgeschossen! Wo sucht ihr uns denn?«

Das klang von der entgegengesetzten Seite her. Alle drehten sich um, und Ibn Asl gebot:

»Nicht da oben, sondern dort unten sind sie. Schießt dorthin, dorthin!«

Man gehorchte ihm, natürlich ohne allen Erfolg. Ich wendete mich wieder nach der vorigen Richtung und ließ ein möglichst höhnisches Gelächter hören. Sofort wendeten sie sich wieder um.

»Er hat den Teufel!« schrie Ibn Asl.«Ich hab’s gewußt, daß er den Teufel hat! Nun ist er wieder dort oben!«

Meine Absicht, sie irre zu führen, war geglückt, und wir konnten nun ohne Sorge vor ihren Kugeln die Flucht fortsetzen. Das war nicht etwa etwas ganz Leichtes. Keiner von uns kannte den Maijeh. Wo befand sich der Eingang desselben, welcher, wie wir gehört hatten, durch Pflanzenwuchs maskiert war? Ich hatte keine Ahnung davon, und den beiden andern ging es ebenso. Wir konnten uns nur die ungefähre Richtung denken.

Dazu kam, daß diese stehenden Flußarme gewöhnlich von Krokodilen, weiter südwärts auch mit Nilpferden bevölkert sind. Der Maijeh es Saratin lag am linken Nilufer; das war alles, was wir wußten. Glücklicherweise kannte Abu en Nil den Fluß sehr genau. Ich fragte ihn:

»Welche Richtung hat der Nil oberhalb des Dorfes Qaua?«

»Er fließt nach Nordnordwest.«

»So wollen wir versuchen, ihn zu finden. Rudert langsam.«

Ich hielt noch mehr von dem Schiffe ab, fast bis an das andere Ufer hinüber, und wendete dann nach links. Wir sahen die Sterne über uns. Der Himmel bildete einen schmalen Streifen, welchem wir zu folgen hatten. Dieser Streifen wurde immer schmäler, bis er vor uns zu Ende ging. Das Laubdach des Waldes nahm uns auf.

»Zieht die Ruder ein!« riet ich. »Wir müssen in der Nähe des Einganges sein. Vielleicht giebt es eine wenn auch nur geringe Strömung da. Wir wollen das Boot treiben lassen.«

»Das ist gefährlich,« warnte der Steuermann. »Wenn wir anstoßen und kentern, werden wir von den Krokodilen gefressen.«

»Wir werden nicht anstoßen.«

Ich zog das Feuerzeug, brannte eine Fackel an und gab sie Ben Nil, um sie am Vorderteile des Bootes zu befestigen. Ob Ibn Asl das Licht sah, das mußte uns gleichgültig sein.

Beim Scheine der Fackel bemerkten wir, daß wir uns unter Sunutbäumen befanden, welche, wie wir mit dem Ruder maßen, gegen zwei Ellen unter Wasser standen. Das war der Eingang zum Maijeh natürlich nicht. Wir legten an einem Stamm an, und ich warf einige Blätter in das Wasser. Sie bewegten sich; sie wurden fortgeführt. Wir folgten langsam nach, links ab von der bisher eingehaltenen Richtung. Da wurde das Wasser tiefer, so tief, daß wir den Grund selbst mit unserm Maste nicht erreichen konnten. Es bewegte sich auch schneller, aber kreisförmig.

»Wir fahren irre,« behauptete Ben Nil. »Wir müssen zurück.«

»Nein,« widersprach sein Großvater. »Wir sind richtig. Das Wasser läuft hier im Kreise, weil in der Nähe der Nil vorübergeht. Er ist durch die Pflanzen verdeckt. Wir müssen hindurch.«

Hindurch! ja, aber wo denn? jedenfalls geradeaus. Zu beiden Seiten gab es Bäume. Das sahen wir. Die Wipfel dieser Bäume waren von Schlingpflanzen durchwuchert, welche sich von Gipfel zu Gipfel zogen und eine bis in das Wasser niederhängende Pflanzenbrücke bildeten. Da, wo diese Brücke sich links von uns aus der Flut erhob, waren die Ranken derselben vielfach zerrissen. Auf diese Stelle deutend, sagte ich:

»Dort muß es sein. Dort sind von dem Noquer, als er hindurch geschoben wurde, die Pflanzen zerrissen worden. Nehmt die Ruder wieder. Wir wollen es wenigstens versuchen.«

Wir hielten auf die Stelle zu. Die Ranken hingen viel höher über uns, als es vorhin den Anschein gehabt hatte. Wir kamen ganz leicht hindurch, und plötzlich lag der Wald hinter uns, der offene Fluß vor uns und der mit Sternen übersäte Himmel über uns.

»Allah sei Dank!« seufzte der Steuermann. »Es wollte mir beinahe bange werden. Hätten wir den Ausgang nicht entdeckt, so wären wir vielleicht doch von In Asl aufgegriffen worden.«

»Unmöglich!« antwortete ich. »Hätten wir den Fluß nicht gefunden, so wären wir an das Ufer gegangen und es sollte Ibn Asl wohl schwer werden, uns da zu finden und gar zu fangen. So aber ist es doch noch besser. Wir sind frei und haben offene Fahrt zum Reïs Effendina.«

»Wo suchst du ihn? Meinst du, daß er sich noch unten an der Dschesireh Hassanieh befindet?«

»Um das zu wissen, müßte ich allwissend sein. Zunächst gilt es, möglichst schnell zu sein. Was haben wir für Luft?«

»Des Nachts hier meist aus Süd.«

Wir prüften den hier am Ufer nur leise fühlbaren Luftzug und fanden, daß er uns günstig war. Darum richteten wir den Mast auf und befestigten das Segel daran. Da der Steuermann der älteste von uns war und sich nicht so sehr anstrengen sollte, übergab ich ihm nun meinen bisherigen Platz und griff mit Ben Nil zu dem Ruder.

»Soll ich nach der Mitte des Stromes halten?« fragte der Alte.

»Nicht ganz.«

»Warum nicht? Wir haben dort ja vollern Wind.«

»Das ist wahr; aber wir könnten da den Reïs Effendina verfehlen.«

»So meinst du also doch, daß er jetzt aufwärts kommt?«

»Nein; aber er kann irgendwo am Ufer liegen. Mag er sich befinden, wo er will, jedenfalls hält er scharfe Wache. Darum habe ich die Fackeln mitgenommen. Er soll uns bemerken und anrufen, damit wir nicht an ihm vorüberfahren.«

»So bitte ich dich, mich nach meinen Gedanken steuern zu lassen. Ich kenne die Bahn, welche die Schiffer einzuhalten pflegen, und auch diejenigen Stellen, wo man anlegen und den Fluß beobachten kann.«

Ich konnte nichts Klügeres thun, als ihm seinen Willen zu lassen. Hätte ich nur gewußt, wo der Reïs Effendina zu suchen war! Er hatte die Vögel ausgeflogen gefunden; er hatte jedenfalls mit den Leuten des Schiffes, welches angehalten worden war, gesprochen und da genug erfahren, um wissen zu können, in welcher Richtung er die Gesuchten finden könne. Ich nahm an, daß er mit seinen Asakern schleunigst nach Hegasi zurückgekehrt sei und dort seinen »Falken« bestiegen habe, um südwärts zu segeln. Traf dies zu, so mußten wir ihm entweder unterwegs begegnen oder er hatte beim Anbruche des Abends irgendwo angelegt, und zwar an einer Stelle, wo er jedes vorüberkommende Fahrzeug sehen konnte.

Unsere jetzige Nachtfahrt ging freilich schneller als die heutige Aufwärtsfahrt. Wir hatten drei Motoren, das Gefälle des Flusses, den Wind und die Ruder. Leider war das Boot sehr groß; mit einem kleinern wären wir noch viel rascher vorwärts gekommen. Dennoch war seit dem Augenblicke, an welchem wir den Maijeh verlassen hatten, noch nicht eine Stunde vergangen, als wir an die Helle Qaua gelangten. Dieses Dorf war damals das Regierungs-Depot am weißen Nile. Es lagen da ganz bedeutende Getreide- und andere Vorräte, und jedes südwärts segelnde Schiff versah sich da mit den noch notwendigen Bedürfnissen, welche von da an um so teurer werden, je weiter man nach Süden kommt.

Wir legten hier für kurze Zeit an, um uns bei dem Haris el Mischrah zu erkundigen, ob das Schiff des Reïs Effendina gesehen worden sei. Die Antwort war eine verneinende, und so segelten und ruderten wir weiter.

Eine Nacht auf dem Nile! Welch ein Sujet für einen Dichter! Mir aber war gar nicht sehr poetisch zu Mute. Ich hatte eine ganze Reihe von Nächten nur wenig geschlafen, war infolgedessen sehr abgespannt und mußte doch – rudern. Mit meinem Ben Nil war es nicht anders. Ich glaube, er ruderte zuweilen, ganz so wie ich, mit geschlossenen Augen, halb oder gar dreiviertel im Schlafe. Der alte Abu en Nil war ebenso einsilbig wie wir. Er hatte keine solchen Anstrengungen hinter sich, und so vermutete ich, daß seine Schweigsamkeit einen ganz besondern Grund haben müsse. Nach demselben befragt, antwortete er mir:

»Müde bin ich nicht im geringsten, Effendi. Die Sorge ist’s, die mir die gute Laune raubt. Ich bin ein Flüchtling.«

»Ah, du hast Angst vor dem Reïs Effendina?«

»Natürlich! Ich wurde damals von ihm auf dem Sklavenschiffe ergriffen und wäre sicherlich sehr streng bestraft worden, wenn du mich nicht hättest entfliehen lassen. Und jetzt soll ich diesem strengen Herrn geradezu in die Hände segeln. Es wird mir schwer, die Bitte auszusprechen, aber, Effendi, gieb mich noch einmal frei! Erlaube mir, an der ersten, besten Stelle das Boot zu verlassen!«

»Willst du nicht wieder auf dein Schiff zurück?«

»Ehe ich es erreiche, bin ich gefangen.«

»Aber du bist einsam und mittellos. Du hast nichts bei dir. Was willst du anfangen?«

»Ben Nil, mein Enkel, wird ja bei mir sein!«

»Nein,« antwortete dieser. »Du bist der Vater meines Vaters, und es ist Allahs Gebot, daß ich dich achten und ehren soll. Das thue ich auch. Aber jetzt bin ich der Diener dieses meines Effendi, und nichts kann mich vermögen, ihn zu verlassen.«

»Sohn meines Sohnes, wer hätte das von dir gedacht! Willst du das Blut verleugnen, welches in deinen Adern fließt? Willst du gegen die Gesetze handeln, die in der Brust eines jeden Menschen vorhanden sind?«

»Nein. Die Liebe zu dir und die Treue für meinen Effendi lassen sich wohl miteinander vereinigen. Du brauchst das Boot nicht zu verlassen. Ich kenne den Effendi. Er wird dich in seinen Schutz nehmen.«

»Das kann er nicht!«

»Zweifle doch nicht daran! Er kann alles, was er will.«

»Wenigstens will ich nur das, was ich kann,« bemerkte ich. »Abu en Nil, du brauchst dich nicht zu fürchten. Der Reïs Effendina wird dir das Vergangene verzeihen.«

»O, Effendi, wenn das wahr wäre! Ich wollte ihm auf meinen Knieen dafür danken. Ich ‚bin kein so schlimmer Mensch, wie es den Anschein hatte!«

»Das weiß ich, und das wußte ich; darum ließ ich dich entkommen.«

»Und niemals wird man mich wieder an Bord eines Sklavenhändlers sehen!«

»Auch das glaube ich dir, und darum werde ich den Reïs Effendina bitten, dir das, was vergangen ist, zu vergeben.«

»Effendi, du träufelst Balsam in die Wunde, welche ich selbst meinem Gewissen geschlagen habe. Wenn der Reïs Effendina mir vergiebt, so kann auch ich selbst mir verzeihen. Dann habe ich nichts und niemand mehr zu fürchten, kann mich vor jedermann sehen lassen und auch in die Heimat gehen, ohne denken zu müssen, daß mich der Rächer wieder von den Meinen reißt.«

»Sei getrost! Ich sage dir, daß alles vergeben und vergessen sein wird.«

»Ich will dir glauben. Du hast mich schon damals gerettet und würdest mich nicht mit zum Reïs Effendina nehmen, wenn du nicht überzeugt wärest, daß es ohne Schaden für mich geschehen kann. Was aber soll ich ihm antworten, wenn er mich fragt, in welcher Weise ich damals die Flucht ergriffen habe?«

»Belüge ihn nicht, sondern sage ihm die Wahrheit!«

»Dann würde er dir sehr zürnen.«

»Das denke nicht. Übrigens hat dein Enkel hier ihm einige gute Dienste geleistet, und so gebietet ihm die Dankbarkeit, dir die Bitte um Verzeihung zu erfüllen.«

Das beruhigte ihn vollends, und nun war das Schweigen gebrochen. Sein Herz war ihm leicht geworden, und darum wurde ihm auch die Zunge leicht. Er begann, mir seine Erlebnisse zu erzählen, und er hatte soviel erlebt, daß es uns um Stoff für die Unterhaltung während der einsamen Fahrt nicht bange zu sein brauchte. – – –

Am Sumpf des Fiebers


Am Sumpf des Fiebers

Die angeregte Unterhaltung, welche wir während unserer nächtlichen Thalfahrt im Boote führten, that unserer Aufmerksamkeit keineswegs Abbruch. Wir paßten sehr gut auf, hielten auch einigemale an, wenn ein phantastischer Uferschatten die Gestalt eines Schiffes zeigte, sahen uns aber allemal getäuscht. Wir verbrannten nach und nach alle sechs Fackeln, die ich in das Boot geworfen hatte, und mußten endlich ohne Licht fahren. Gegen morgen wurde der Wind stärker und infolgedessen unsere Schnelligkeit größer. Natürlich hatten wir nicht ohne Unterbrechung gerudert, denn das wäre nicht auszuhalten gewesen. So oft wir uns in guter Strömung befanden, hatten wir ausgeruht.

Es war noch nicht fünf Uhr früh, als wir die Stelle erreichten, an welcher die »Eidechse« geankert hatte. Eine kleine Strecke weiter oben hatte Abu en Nils Schiff gelegen; es war fort. Wir stiegen am Lagerplatze aus, in der Hoffnung, jemand zu finden. Es war vergeblich. Nun hieß es, noch bis Hegasi zu segeln. Traf ich den Reïs Effendina auch dort nicht, so hatten wir ihn entweder heute nacht umgangen oder er war nach Chartum zurückgekehrt. In diesem Falle war ich in Beziehung auf die Sicherung unserer Karawane nur auf mich selbst angewiesen.

Als wir uns Hegasi näherten, glänzte uns ein kleines Licht entgegen. Die Sterne begannen bereits zu erbleichen, demnach sah ich, daß das Licht zu einem Schiffe gehörte, welches an der Mischrah lag. Ich erkannte den scharfen, eleganten Rumpf und die drei schiefen Masten. Es war der »Falke«, den wir suchten. Das Licht kam aus der Laterne, welche am Mittelmaste brannte. Wir hielten natürlich auf das Fahrzeug zu, demnach rief uns, noch bevor wir es erreicht hatten, vom Verdecke eine Stimme an:

»Boot, hier an der Seite anlegen!«

Zum Scherze gab ich dem Alten die Weisung, etwas abzufallen, als ob wir dem uns erteilten Befehle nicht gehorchen wollten. Wir nahmen also eine mehr seitwärtige Richtung; da aber rief der Mann:

»Halt, ich schieße!«

Zu gleicher Zeit ertönten die scharfen Klänge einer kleinen Glocke. Es war die Alarmglocke des »Falken«. Gab die Deckwache mit ihr das Zeichen, so standen gewiß binnen einer Minute alle Mannen, und wenn sie im tiefsten Schlafe gelegen hätten, gefechtsbereit. Ich durfte den Scherz nicht weiter treiben, denn ich wußte, daß man sonst auf uns geschossen hätte. Darum steuerten wir auf das Fahrzeug zu.

»An Backbord anlegen,« gebot die Wache, »und ruhig halten bleiben!«

Wir gehorchten diesem Befehle. Droben wurde es lebendig und nach sehr kurzer Zeit wurde herabgefragt:

»Wem gehört das Boot?«

Ich erkannte die Stimme des Reïs Effendina. Damit er mich nicht an der meinigen erkennen sollte, sagte ich Ben Nil die Antwort vor, welche er an meiner Stelle gab:

»Der Eidechse.«

Als er diese Antwort hörte, rief er in erregtem Tone.

»Steigt herauf, sofort herauf!«

Er hatte natürlich erfahren, daß das Schiff, welches kurz vor seiner Ankunft die Dschesireh Hassanieh verlassen hatte, die »Eidechse« gewesen war, und glaubte nun Aufschluß über dasselbe zu erhalten. Es waren eben mehrere Laternen angebrannt worden. Scherzhafterweise forderte ich den alten Steuermann auf, als der erste die Strickleiter, welche man herabgeworfen hatte, hinaufzusteigen.

Er gehorchte, ohne meine Absicht zu durchschauen. Als er oben ankam, hörte ich den Reïs Effendina rufen:

»Das ist der erste. Doch halt, dieses Gesicht müßte ich kennen! Wer ist denn das? Höre, Patron, wo haben wir uns denn schon gesehen?«

Abu en Nil war über diesen Empfang so erschrocken, daß er vergaß, eine Antwort zu geben.

»Wenn ich mich nicht irre, so ist dein Name Abu en Nil. Gestehe es sofort!«

»Ja, Effendi, ja!« gab der Steuermann angstvoll zu.

»War es nicht in Gizeh, wo wir uns sahen?«

»In Gizeh, ja, Effendi.«

»Nenne mich Emir! Du weißt von damals her recht gut, daß ich so genannt werde! Wenn ich mich nicht irre, so bist du der Steuermann der Dahabijeh es Semek, welche ich damals konfiszierte?«

»Ich bin es.«

»Ich nahm euch alle gefangen. Du aber entkamst mir wieder. Willkommen heute und hier! Ich freue mich, das damals Versäumte nachholen zu können. Bindet den Kerl, und schließt ihn in die Gefängniskoje.«

»Nein, nein, Emir, nicht binden!« rief der Alte. »Ich bin ja nicht dein Feind; ich bin freiwillig gekommen!«

»Freiwillig? Und doch hat euch meine Wache mit Schießen drohen müssen? Das ist eine Lüge. Wo ist dein Schiff, die Eidechse?«

»Im Maijeh es Saratin.«

»Den kenne ich nicht. Was macht sie dort?«

»Sie hat sich dort vor dir versteckt.«

»Also hat sie ein böses Gewissen! Was wollte sie an der Dschesireh Hassanieh?«

»Dich fangen.«

»Mich – – fangen – –?« rief er aus. »Beim Scheitan, du bist aufrichtig, im höchsten Grade aufrichtig! Wer ist der Reïs dieser Eidechse, die mich fangen will?«

»Sie hat keinen Reïs, denn ihr Herr, Ibn Asl, kommandiert sie selber.«

Dieser Name, so kurz er war, brachte eine bedeutende Wirkung hervor.

»Ibn Asl, Ibn Asl!« klang es laut von allen Lippen, und auch der Reïs Effendina gab seinem Erstaunen Ausdruck.

»Höre ich recht? Ibn Asl sagst du? Der berüchtigte Sklavenräuber befindet sich also auf der Eidechse? So geht mir jetzt ein Licht auf. Dieser Hundesohn hat mir eine Falle legen wollen. Ist es so? Gestehe es augenblicklich!«

»Ja, Emir, du hast es erraten. Du solltest samt deinem Schiffe mit Petroleum verbrannt werden.«

»Allah kerihm – Gott ist gnädig! Er gab mir den Gedanken des Mißtrauens ein. Wie gut, wie gut, daß ich den Landweg einschlugt Darum also die Fässer! Ich werde augenblicklich aufbrechen, und du sollst mich nach dem Maijeh es Saratin führen! Mich verbrennen, mich und mein Schiff, also alle meine Leute! Als Vorgeschmack dessen, was dich erwartet, werde ich dir jetzt einstweilen die Bastonnade geben lassen. Binde ihm die Füße zusammen, Aziz, und gieb ihm zwanzig Hiebe auf die Sohle!«

Aziz war sein Liebling, der junge Mann, welcher stets die Nilpferdpeitsche bei sich trug, immer bereit, die von seinem Herrn befohlenen Exekutionen zu vollführen. Abu en Nil kannte ihn von damals her nur zu gut. Er hob erschrocken beide Hände auf und schrie: »Nicht die Bastonnade, nicht schlagen, Emir; ich bin ja ganz und gar unschuldig!«

Jetzt eilte Ben Nil, sein Enkel, die Strickleiter hinauf, zu dem Emir hin und sagte: »Du darfst ihn nicht schlagen lassen! Er ist mein Großvater und hat dir keine Lüge gesagt.«

»Was, du hier, Ben Nil? Wie kommst du hierher und in die Gesellschaft eines Steuermannes der Sklavenjäger?«

»Das ist er nie gewesen. Einen Sklavenhändler hat er auf kurze Zeit gesteuert, aber keinen Sklavenjäger. Mein Effendi wird dir ganz dasselbe sagen.«

»WO ist er denn, dein Effendi?«

»Kommt schon!« antwortete ich, indem ich über die Schanzbekleidung sprang. »Hier ist er.«

Ein allgemeiner Ruf freudiger Überraschung ließ sich hören. Der Emir trat einen Schritt zurück, starrte mich für einen Augenblick wie betroffen an, öffnete dann die Arme und kam mit den Worten auf mich zu: »Effendi, du hier, du? Welch eine Freude! Eingetroffen aus dem Lande der Fessarah! Komm an mein Herz; laß dich umarmen!«

Seine Freude war eine ebenso große wie aufrichtige; sie ehrte mich, weil sie mich beglückte. Sein Oberlieutenant und Lieutenant, der alte Onbaschi und viele der andern kamen herbei, um mir die Hände zu drücken. Einer hatte bisher von fern gestanden; jetzt drängte er seine lange, dürre Gestalt mit den unendlichen Gliedern durch die Menge und jauchzte mir schon von weitem zu:

»Effendi, o Effendi, meine Seele ist ganz Wonne, und mein Herz springt vor Freude, daß mein Auge dich jetzt wieder sehen darf! Du hast mir gefehlt, wie ein geliebtes Weib ihrem Manne. Ohne dich ist mir das Leben dunkel gewesen wie eine zugedeckte Feueresse, in welche man von unten blickt und wie ein Stiefel, den man am falschen Fuße trägt. Kein Mensch hat sich um mich gekümmert; keiner hat auf meine Worte geachtet. Meine Tapferkeit ist dahingestorben und mein Heldenmut ist eingetrocknet wie ein Teerfleck auf dem Ärmel meines Gewandes. Nun aber kommt neue Wonne über mich, und meine Vorzüge und Geschicklichkeiten werden wieder wachsen und in allen herrlichen Farben spielen wie die Blase der Seife, welche unter dem sanften Hauche des Mundes sich vergrößert.«

»Und dann zerplatzt!« fügte ich hinzu, indem ich ihm die Hand reichte und einen Schritt zurücktrat, denn er hatte eigentlich in höchst vertraulicher Weise seine ewig langen Arme um mich schlingen wollen. Ich glaube, sie hätten ausgereicht, sie mir nicht nur einmal, sondern zweimal um den Leib zu wickeln. »Wenn niemand auf dich geachtet hat, so bist jedenfalls nur du selbst schuld daran.«

Dieser lange Mensch war natürlich kein anderer als Selim, mein zweiter Diener, den ich bei dem Reïs Effendina gelassen und nicht mit zu den Fessarah genommen hatte, weil er alles verkehrt zu machen und mich aus einer Fatalität in die andere zu bringen pflegte. Er antwortete auf meine letzten Worte:

»Effendi, da verkennst du mich, wie so oft. Ich habe redlich teil an allen ihren Sorgen und Leiden genommen, bin ihnen in allem als leuchtendes Beispiel vorangegangen und habe ihnen ein Muster gegeben, welches sie freilich während ihres ganzen Lebens nicht erreichen können.«

»Im Essen, ja!« rief einer. »Sonst aber hat er weiter nichts gemacht. Essen, trinken, rauchen, schlafen und prahlen!«

»Schweig!« donnerte ihn der Lange an. »Dein Mund ist eine Quelle, aus welcher ungenießbares Wasser fließt. Effendi, du hättest mich zum Beispiele nur gestern sehen sollen, als wir nach der Dschesireh Hassanieh zogen, um die Sklavenjäger zu fangen! Meine Gestalt ragte über alle empor, und in meinem Herzen brannte die Glut einer Kampfbegierde, welcher kein Mensch widerstehen konnte. Als das die Sklavenjäger sahen, liefen sie auf und davon; wir trafen sie nicht mehr an, und ihr Schiff war fort. Das hat der Emir ganz allein meiner siegreichen Anwesenheit zu verdanken.«

»Fange nicht gleich jetzt beim ersten Zusammentreffen an, schon wieder aufzuschneiden!« warnte ich ihn. »Wir haben andere Dinge zu hören, als das oft gehörte Lob eines Ruhmes, den du gar nicht besitzest.«

»Das ist wahr,« stimmte der Emir bei. »Es müssen wichtige Dinge geschehen sein, daß du nach Hegasi anstatt nach Chartum kommst. Warum finde ich dich in der Gesellschaft eines Steuermannes der Sklavenhändler? Und wo hat du deine Asaker?«

»Sie sind noch zurück und werden dir eine Schar Sklavenjäger von Ibn Asl bringen, die ich gefangen habe.«

»Schon wieder hast du welche ergriffen? Und von In Asl? Effendi, was bist du für ein glücklicher Mann! Ich habe seit dem Wadi el Berd nichts, gar nichts gefangen.«

»So freue dich, denn morgen wirst du, wenn mich nicht alles täuscht, Ibn Asl selbst in deine Hand bekommen.«

»Wirklich, wirklich? Wo befindet er sich?«

»Im Maijeh es Saratin, wie dir dieser Abu en Nil vorhin gesagt hat.«

»Wo liegt der Maijeh?«

»Oberhalb des Dorfes Qaua.«

»Da oben warst du? Wie ist das zu begreifen?«

»O, ich war gestern auch, bevor du kamst, in Hegasi und in der Dschesireh Hassanieh. Ibn Asl hatte mich gefangen genommen.«

»Gefang – –« das Wort blieb ihm im Munde stecken. »Effendi, scherzest du?«

»Nein.«

»Ich vermute dich in der westlichen Steppe, und du bist doch hier und schlägst dich mit Ibn Asl herum, den anzutreffen ich mir alle vergebliche Mühe gegeben habe!«

»Die Sache ist sehr einfach. Ich werde dir erzählen. Gebiete aber deinen Leuten, ruhig zu sein! Es ist für unsere Zwecke besser, wenn hier in Hegasi niemand erfährt, was hier geschieht und was wir beschließen werden, weil Ibn Asl hier Spione hat. Der hiesige Scheik el Beled zum Beispiel ist sein Verbündeter.«

»Kannst du das beweisen?«

»Ja. Er wußte es, daß Ibn Asl dir hier einen Hinterhalt legte; er ist ihm dabei sogar behilflich gewesen, denn er hat einem Sklavenjäger, welcher dir aufpassen sollte, ein Pferd zur Verfügung gestellt, damit deine Ankunft auf das schleunigste gemeldet werden könnte.«

»Das alles weißt du! Ich sterbe vor Begierde, deine Erzählung zu hören. Komme mit in die Kajüte. Diesen alten Steuermann der Sklavenhändler aber wollen wir binden und in das Gefängnis stecken.«

»Nein, Emir! Er ist ein guter und ehrlicher Mann, den ich deinem Wohlwollen empfehle. Ich werde dir auch das erklären. Laß ihn bei Ben Nil, seinem Enkel, und befiehl, daß man beiden zu essen und zu trinken gebe. Wir haben seit gestern nichts genossen.«

»So hast auch du Hunger? Komm, du sollst haben, was dein Herz begehrt!«

Als ich noch dafür gesorgt hatte, daß alle Lichter außer der Mastlaterne ausgelöscht wurden, gingen wir in seine prächtig eingerichtete Kajüte. Aziz, sein Liebling, bediente uns dort. Es wurde aufgetragen, was die Vorräte zu bieten vermochten. Auch einige Flaschen Wein waren dabei, denn der Emir hatte sich von dem Verbote des Rebensaftes emanzipiert. Während des Essens erzählte ich, und es läßt sich denken, daß der Emir Effendina mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zuhörte. Er konnte nicht sitzen bleiben, lief erregt hin und her und unterbrach meinen Bericht oft durch die kräftigsten Ausrufeworte. Ich hatte keine Zeit, so ausführlich zu sein, wie ich es eigentlich gern gewesen wäre. Meine Erzählung hatte nicht mehr als fünf Minuten in Anspruch genommen. Als ich geendet hatte, wollte er ausführlichere Details erfahren; ich aber sagte:

»Nicht jetzt. Die Zeit ist kostbar. Wir, du, ich und Ben Nil, müssen fort, noch ehe es Tag geworden ist.«

»Wohin?«

»Wir steigen in das Boot, auf welchem ich gekommen bin, und fahren eine Strecke den Fluß hinauf. Da werde ich dir alles sagen. Ich habe einen Plan, zu dessen Ausführung es gehört, daß du sofort mit mir gehst. Eigentlich sollten wir niemand mitnehmen; aber da ich und Ben Nil zu ermüdet sind und ich auch von dir nicht verlangen kann, zu rudern, so mögen uns zwei deiner Matrosen begleiten.«

»Nun gut! Du bist außerordentlich geheimnisvoll; da ich aber weiß, daß du nichts ohne gute Gründe thust, so will ich mit dir gehen. Wärst du es nicht, der mich dazu auffordert, so würde ich es nicht thun, sondern glauben, daß man mich auf diese Weise Ibn Asl in die Hände spielen wollte.«

»Vertausche deine glänzende Uniform, wenigstens den Waffenrock, mit einem einfacheren Kleidungsstück. Je weniger man dich bei deiner Rückkehr bemerkt, desto leichter wird unser Plan gelingen.«

Er zog den Rock aus und an dessen Stelle einen dunkeln Burnus an; ich steckte für mich und Ben Nil einige Mundvorräte ein, welche ich vom Tische nahm. Dann brachen wir auf.

Im Osten zeigte sich das erste, fahle Morgenlicht, als wir mit unserm Boote von dem »Falken« abstießen. Zwei Matrosen ruderten. Ich saß neben Ben Nil, der Emir uns gegenüber. Es war leicht erklärlich, daß er sich in einer außerordentlichen Spannung befand. Ich ließ ihn nicht lange warten, sondern lieferte ihm, während wir am linken Nilufer langsam aufwärts glitten, den gewünschten ausführlichen Bericht. Jetzt konnte ich ohne Schaden für meinen Plan alle seine Fragen beantworten, und deren waren so viele und eingehende, daß, als er sich endlich befriedigt fühlte, wir an die Stelle gekommen waren, an welcher die »Eidechse« gehalten hatte. Dort legten wir an, stiegen aus und setzten uns unter einem Baume nieder. Den beiden Matrosen befahl ich, nun zu Lande nach Hegasi zurückzukehren und sich dabei möglichst wenig sehen zu lassen. Sei gingen; der Reïs Effendina aber fragte erstaunt:

»Du wirst immer rätselhafter. Kehren wir denn nicht im Boote zurück?«

»Ich und Ben Nil, ja, du aber nicht.«

»Warum? Soll auch ich laufen?«

»Ja. Den Grund will ich dir nachher mitteilen. Jetzt aber möchte ich zunächst von dir hören, welchen Gedanken du über diese Ereignisse hegst.«

»Zunächst bin ich ganz und gar Erstaunen. Effendi, du bist wirklich ein Mann – –«

»Still davon!« unterbrach ich ihn. »Was du von mir denkst, das ist jetzt Nebensache.«

»Aber wir alle haben dir unser Leben zu verdanken, und da kannst du doch nicht verlangen, daß – –«

»Daß du jetzt wenigstens einstweilen darüber schweigst? ja, das verlange ich allerdings. Die Zeit ist so kostbar, daß wir uns nur mit dem Notwendigsten beschäftigen dürfen. Natürlich hast du die Absicht und auch die Hoffnung, Ibn Asl diesmal ganz gewiß zu ergreifen?«

»Natürlich! Ich schwöre bei Allah, daß ich ihn heute oder morgen – –«

»Schwöre nicht! Der Mensch ist nicht Herr der Ereignisse. Ein kleiner Fehler, ein unbedeutender Zufall kann alles verderben. Auf welche Weise denkst du ihn zu fassen?«

»Auf die allereinfachste: Wir segeln nach dem Maijeh es Saratin und greifen ihn dort an.«

»Er ist gar nicht mehr dort. Ich bin überzeugt, daß er kurz nach unserer Flucht den Maijeh verlassen hat, und zwar aus zwei verschiedenen Gründen. Erstens fühlt er sich dort nicht mehr sicher, weil ich nun dieses Versteck kenne, und zweitens muß er sich beeilen, seinen Vater und seine Untergebenen zu befreien. Er ist hinter uns her nilabwärts gesegelt.«

»So brauchen wir ihm ja nur entgegen zu gehen, um – –«

»Um ihn nicht zu sehen und zu treffen,« fiel ich ein.

»Wir durchsuchen jeden Winkel des Ufers!«

»Ja, und während wir dies thun, marschiert er mit seinen Leuten schon durch die Steppe und unsern Asakern entgegen!«

»So schnell bringt er das nicht fertig!«

»Warum nicht? Er weiß, daß du ihn suchst und daß ich dir jedenfalls entgegen bin, um dich nach dem Maijeh zu bringen. Er hat die Nacht benutzt, diesen Ort zu verlassen und möglichst weit stromabwärts zu kommen. Dort legt er an irgend einer ihm bekannten, sonst aber versteckten Stelle an, läßt einige Mann zur Bewachung des Fahrzeuges zurück und marschiert mit den andern unsern Asakern entgegen.«

»Das leuchtet mir freilich ein. Ich muß mit meinen Leuten schnell aufbrechen, um die Karawane zu beschützen. Du begleitest uns natürlich.«

»Ich bleibe nicht, sondern ich reite der Karawane mit Ben Nil entgegen, während du Ibn Asl einen Hinterhalt legst.«

»Warum wollen wir ihr denn nicht gleich zusammen entgegen gehen?«

»Weil wir in diesem Fall Ihn Asl nicht bekommen würden. Er befindet sich mit seinen Leuten oberhalb von uns; wir haben also einen Vorsprung; er kommt hintendrein und findet unsere Spur, wird dadurch aufmerksam gemacht und – bleibt zurück.«

»Aber wenn er seinen Vater retten will, muß er uns doch folgen und uns angreifen!«

»Fällt ihm nicht ein! Seine eigene Sicherheit ist ihm wertvoller als das Leben seines Vaters und als dasjenige aller seiner Leute. Das habe ich erfahren und dir erzählt. Ja, vielleicht ließe er uns durch seine Sklavenjäger angreifen, aber daß er selbst uns nicht in die Hände fallen könne, dafür würde er gewiß Sorge tragen. Oder, was noch viel wahrscheinlicher ist, würde er sich auf irgend eine List verlegen, die uns allen sehr gefährlich werden dürfte, da wir von derselben keine Ahnung haben können.«

»Also sollen nicht wir voranziehen? Soll ich etwa ihn voran lassen? Dann überfällt er unsere Karawane und ich komme zu spät.«

»Für die Karawane wäre in diesem Falle wenig oder nichts zu befürchten, da ich ja bei derselben sein würde. Er könnte sie also nicht, wie er die Absicht hat, überrumpeln. Aber ich beabsichtige etwas ganz anderes. Ich habe schon sehr oft durch List sehr leicht und sehr vollständig erreicht, was mir bei Anwendung aller Gewalt nicht gelungen wäre. Du selbst hast Beispiele davon erlebt. Mit einer solchen List werde ich, wenn du es erlaubst, Ibn Asl zu fassen suchen, und wenn dabei kein Fehler unterläuft, so bin ich des Gelingens vollkommen sicher.«

»Was willst du thun?«

»Ihm ein Fußeisen legen, in welchem er sich fangen wird. Es erleichtert den Sieg ganz bedeutend, wenn man den Kampfplatz genau kennt. Versteht es ein Feldherr, den Feind nach dem Platze zu locken, wo schon alles zum Empfange des Gegners vorbereitet ist, so ist ihm der Sieg selbst bei ungleichen Kräften beinahe sicher. Ziehst du hinaus in die offene Steppe, so weißt du nicht, wo du Ibn Asl treffen wirst und unter welchen Umständen der Kampf erfolgen wird. Um das zu vermeiden, wollen wir einen Ort bestimmen, an welchem wir auf ihn warten werden.«

»Aber ob er kommen wird!«

»Er kommt. Dafür laß nur mich sorgen.«

»Hast du einen bestimmten Ort im Sinne?«

»Ja, einen sehr passenden. Er muß natürlich so nahe wie möglich derjenigen Richtung liegen, aus welcher unsere Karawane kommen wird und in welche also Ibn Asl zu ziehen hat. Der Dschebel Arasch Qol ist der geeignetste Ort für meinen Plan. Warst du oft dort?«

»Fünfmal. Ich habe damals die ganze Umgebung durchstrichen.«

»Das ist mir lieb, denn dann brauche ich dich wahrscheinlich nicht heimlich hinzubegleiten, um dir die Örtlichkeiten, welche ich im Auge habe, zu zeigen. Es giebt zwei Maijehs dort, zwei Sümpfe, welche durch einen Wasserarm mit dem Nile in Verbindung stehen. Der nördlichere ist größer und weit länger als der südliche. Kennst du sie?«

»Ja. Der große Maijeh wird Maijeh el Humma genannt; den Namen des kleineren kenne ich nicht.«

»Diesen Sumpf des Fiebers meine ich. Er zieht sich lang und schmal hart am Fuße des Berges hin. Man muß über vier Stunden gehen, um von einem Ende an das andere zu gelangen. Ungefähr in der Mitte seiner Länge tritt ein Busen vor, weit in den Berg hinein. Er ist sehr tief, mit trügerischem Omm Sufah bedeckt und an seinem Rande mit hohen, dicht belaubten Gafulbäumen bewachsen, welche mir außerordentlich in die Augen fielen, weil keine Art des Gaful sonst eine solche Höhe zu erreichen pflegt.«

»Ich kenne sie. Ihr außerordentlich lieblicher Duft erfüllt die ganze Gegend und macht den Gestank des Sumpfes weniger empfindlich. Ein Fußgänger kann da wohl bequem vorüberkommen; ein Kamelreiter aber muß sich sehr in acht nehmen. Der Felsen ist tief eingebuchtet und steigt fast senkrecht himmelan. Diese Bucht ist von dem Busen des Maijeh angefüllt; zwischen dem Wasser und dem Felsen gibt es einen nur sehr schmalen Streifen Weges, auf welchem große Steinstücke zerstreut liegen, die von oben herabgefallen sind und besonders den Kamelen das Gehen erschweren. Dieser Weg rund um den Busen des Maijeh hat schon vielen Menschen Unheil gebracht und wird darum Darb el Musibi genannt.«

»Ganz richtig. Und er soll für Ibn Asl so ein richtiger, echter Unglücksweg werden.«

»Wie willst du den Mann dorthin locken?«

»Daß ich ihn sicher hinlocken werde, weiß ich ganz genau; die Art kenne ich selbst noch nicht; der Augenblick wird sie ergeben. Der Unglücksweg liegt am westlichen Ufer; kennst du auch das östliche Ufer des Maijeh?«

»Ebenso genau.«

»So kennst du wohl den dichten Hegelikwald, welcher am südlichen Ende desselben steht?«

»Ja. Dieser Wald ist beinahe undurchdringlich, da der Raum zwischen den Stämmen der Bäume fast ganz mit Nabak-Büschen ausgefüllt ist.«

»Er soll euch zum Verstecke dienen.«

»Uns? Sollen wir etwa Ibn Asl dort erwarten?«

»Ja. Jetzt kommt die Hauptsache für dich, Emir. Merke sie dir wohl! Du fährst, wenn du nach Hegasi zurückkommst, sogleich von dort ab, suchst aber vorher den Scheik el Beled zu sprechen.«

»Diesen Hund, diesen Verräter, den ich streng bestrafen werde!«

»Das wirst du später thun. Heute aber wirst du noch sehr freundlich mit ihm sein und dir den Anschein geben, als ob er dein vollstes Vertrauen besitze. Du sagst ihm, daß du hier an der Hassanieh Sklavenhändler gesucht aber nicht gefunden habest, du seist jedenfalls von Ibn Asl irre geführt worden; dieser befindet sich sehr wahrscheinlich in Chartum, und du kehrest schnell dorthin zurück, um nach ihm zu forschen und ihn zu bestrafen.«

»Warum soll ich dies gerade dem Scheik el Beled sagen?«

»Weil er in meinem Plane eine bedeutende Rolle spielt. Er soll Ibn Asl das Fußeisen legen, ohne selbst eine Ahnung davon zu haben. Er ist sein Verbündeter, und Ibn Asl kommt jetzt ganz gewiß entweder selbst, natürlich heimlich, zu ihm oder schickt ihm einen Boten, um sich zu erkundigen, wo du bist oder wie die Verhältnisse stehen. Der Scheik sagt ihm oder läßt ihm sagen, daß du zurück nach Chartum bist, und so wird Ibn Asl sich vor dir ganz sicher fühlen.«

»Auch vor dir?«

»Ja, denn auch ich werde mit dem Scheik sprechen. Du kehrst jetzt zu Fuß nach Hegasi zurück und lässest dich unterwegs wo möglich von niemand sehen. Damit man dich nicht von weitem erkenne, bat ich dich, deinen Waffenrock umzutauschen. Wenn du von dort fort bist, komme ich mit Ben Nil angesegelt –«

»Wie willst du wissen, daß ich fort bin?«

»Das laß meine Sorge sein! Ich werde schon Ausguck halten. Also dann komme ich mit Ben Nil angesegelt und suche den Scheik el Beled auf. Ich thue so, als ob ich soeben erst vom Maijeh komme, und erzähle ihm, was da oben und vorher an der Dschesireh Hassanieh geschehen ist.«

»Sagst du ihm da, wer du wirklich bist?«

»Natürlich! Er wird es ja doch dann von Ibn Asl erfahren. Hätte ich ihn in Beziehung auf meinen Namen belogen, so würde er auch das, was ich ihm außerdem sage, nicht glauben, und mein Plan käme in Gefahr, zu verunglücken. Ich werde ihm das größte Vertrauen zeigen. Als Scheik el Beled ist er eine obrigkeitliche Person, deren Hilfe ich scheinbar in Anspruch nehmen werde. ich übergebe ihm das Boot zur Aufbewahrung und sage ihm, daß du es später abholen werdest.«

»Du kommst nur mit Ben Nil nach Hegasi; er aber wird erfahren, daß Abu en Nil auch dabei gewesen ist. Wie willst du das Fehlen dieses letzteren erklären?«

»O, der ist, als er während unserer Flucht in das Boot klettern wollte, in das Wasser gefallen und, falls Ibn Asl ihn nicht wieder erwischt hat, von den Krokodilen gefressen worden.«

»Warum lässest du ihn bei mir? Du könntest ihn doch mitnehmen?«

»Nein; es fehlt mir an einem Reittiere. Du weißt ja, daß ich nur zwei Kamele in Hegasi stehen habe.«

»Wohin sagst du, daß du reiten wolltest?«

»Meiner Karawane wieder entgegen. Ich habe dieselbe verlassen, um dich zu warnen. Jetzt höre ich, daß du gerettet bist, und kann sie also wieder aufsuchen. Das ist ein Coup, welcher sicher von Erfolg sein wird. Ibn Asl wird unendlich ergrimmt darüber sein, daß ich ihm entkommen bin; er zieht unserer Karawane entgegen, um unsere Gefangenen zu befreien; wenn er nun hört, daß ich wieder bei derselben bin, wird er darüber ganz entzückt sein, denn dies giebt ihm die Hoffnung, mich abermals ergreifen zu können. Er wird dann also erst recht entschlossen sein, uns anzugreifen, und uns mit doppelter Sicherheit in die Falle gehen.“

»Du weißt aber noch nicht, wie du es anfangen wirst, ihn in die Falle zu locken.«

»Bis soeben wußte ich es noch nicht; nun aber ist mir ein Gedanke gekommen. Ich mache dem Scheik el Beled eine Bemerkung, auf welche hin Ibn Asl den Dschebel Arasch Qol ganz gewiß aufsuchen wird. Ich erzähle im folgendes: Ich habe das Leben meiner Gefangenen geschont, obgleich diese Halunken den Tod schon mehrfach verdient haben. Nach dem aber, was jetzt geschehen ist, kann ich nicht länger Milde walten lassen. Solches Ungeziefer muß ohne Erbarmen ausgerottet werden. Man hat mich zu Tode martern wollen; nun wohl, jeder Untergebene von Ibn Asl, der in meine Hände fällt, muß sterben, vor allen Dingen zunächst die Gefangenen, denen ich entgegen reite. Ich werde sie nach dem Dschebel Arasch Qol führen, um sie dort in den Maijeh el Humma werfen zu lassen. Wenn In Asl dies hört, wird er sich sofort dorthin wenden, um auf uns zu warten und sie zu retten. Meinst du nicht auch?«

»Ja, gewiß! Ich denke, daß diese Berechnung dich nicht trügen wird. Aber wie willst du ihn verleiten, dort eine Stellung einzunehmen, welche uns den Sieg sichert?«

»Das wird der Augenblick ergeben. Er ist eher dort als ich und wird die Örtlichkeit, falls er sie noch nicht kennen sollte, sehr sorgfältig in Augenschein nehmen. Hat er nur einigermaßen offene Augen, so wird er auf den Gedanken kommen, mir ganz dieselbe Falle zu stellen, in welcher ich ihn fangen will, das heißt, mich von hinten und von vorn anzugreifen, während ich mich auf dem engen Pfade zwischen dem Felsen und dem Wasser befinde. Glückt ihm dies, so bin ich seiner Ansicht nach verloren.«

»Und wirst du in diese Falle gehen?«

»Vielleicht ja, natürlich aber nur, um ihn mit hinein zu ziehen und drin zu verderben. Du fährst von Hegasi ab, hältst in gleicher Breite mit dem Dschebel Arasch Qol an, versteckst dein Schiff und lässest es unter der Bewachung nur weniger Leute zurück. Mit den übrigen Matrosen und Asakern marschierst du nach dem Maijeh el Humma, um dich am Südende desselben in dem erwähnten Hegelikwalde zu verstecken. Dort erwartest du, natürlich ohne dich sehen zu lassen, Ibn Asls Ankunft und auch die meinige. Es ist möglich, daß ich, bevor der Schlag ausgeführt wird, dich dort aufsuche, um dir noch nähere Mitteilungen zu machen. Sollte dies aber nicht der Fall sein, sollte ich nicht kommen, so ist das, was du zu thun hast, außerordentlich einfach. So bald du schießen hörst, kannst du annehmen, daß ich, von Norden kommend, mich ‚ auf dem engen Kampfplatze befinde und von Süden her von Ibn Asl angegriffen werde; natürlich befindet sich dieser mit seinen Leuten auf demselben engen Raume. Du brichst schnell aus dem Walde hervor, um ihm in den Rücken zu kommen. Gelingt das, so steckt er zwischen dir und mir fest, kann nicht ausweichen und muß entweder sich ergeben oder sich in den Maijeh drängen lassen, wo er unter der trügerischen Omm Sufah-Decke ein unerbittliches Grab finden wird.«

»Effendi, dieser Plan ist gut, ist ausgezeichnet! Dennoch aber habe ich ein sehr großes Bedenken; du hast nur zwanzig Mann bei dir!«

»Brauche ich mehr Leute, so hole ich sie mir von dir.«

»Wenn du Zeit dazu findest!«

»Mag sein! Dieses Bedenken ist allerdings nicht ganz unbegründet.«

»Das zweite auch! Ihr habt die Gefangenen zu bewachen. Wie viele Männer bleiben dir da zum Kampfe übrig? Und es ist sehr wahrscheinlich, daß Ibn Asl dich nicht nur von Süden her angreift, sondern dir im Norden der verhängnisvollen Stelle einen Hinterhalt legt. Du willst ihn zwischen zwei Feuern haben; er wird betreffs deiner ganz dasselbe beabsichtigen.«

»Davon bin ich schon, bevor du mir dies mitteiltest, überzeugt gewesen. Einen Hinterhalt wird er mir natürlich legen, zumal er mehr als ausreichend Zeit dazu hat; aber da ich dies weiß, liegt in diesem Umstande gar keine Gefahr für mich. Weiß man, daß an einer gewissen Stelle eine Mine liegt, so geht man entweder nicht hin oder sorgt dafür, daß sie vorzeitig zur Explosion gelangt. Dann kann sie keinen Schaden machen. Da ich aber allerdings viel weniger Leute als du bei mir habe und von diesen die Gefangenen zu bewachen sind, so kannst du mir ja zwanzig Mann zu Hilfe senden.«

»Und wohin schicke ich sie, damit sie dich auch sicher treffen?«

»Die Leute dürfen vom Feinde nicht gesehen, müssen aber von mir leicht gefunden werden können. Mit ist eine Stelle bekannt, welche sich außerordentlich gut für unsern Zweck eignen würde. Ich habe einst an derselben gelagert. Das war an der Nordseite des Dschebel Arasch Qol. Es führt ein sehr schmales, trockenes Regenbett in den Berg hinein. Ist man fünf Minuten lang aufwärts gegangen, so erweitert sich dieses Bett zu einem kleinen Kessel, welcher mit dichten Büschen angefüllt ist.«

»Das ist ein Kittr-Gesträuch.«

»Ah, du kennst den Ort?«

»Ja. Ich bin einmal diesem Regenbette gefolgt, weil ich nach Trinkwasser suchte.«

»Es giebt keines dort, da der Regen sofort ab- und in den Maijeh fließt. Was von dem Wasser in dem Kessel zurückbleibt, wird schnell faulig und ungenießbar und dient nur zur Erhaltung der Kittrsträucher. Es ist mir sehr lieb, daß du das Regenbett kennst, da auf diese Weise ein Versehen ausgeschlossen ist. Sende mir die zwanzig Mann dorthin!«

»Wann sollen sie dort sein?«

»Es ist nicht gut, wenn sie sehr lange vor meiner Ankunft dort eintreffen. In diesem Falle könnten sie von Ibn Asl leicht entdeckt werden. Stimmt meine Berechnung, so stoße ich schon heute auf unsere Karawane – –

»Das ist unmöglich, denn sie hat fünf Tagereisen zu machen, und heute ist erst der dritte Tag.«

»Bedenke, daß dieser Oram entflohen ist, welcher gestern abend Ibn Asl das Geschehene meldete. Unsere Asaker müssen sich sagen, daß er jedenfalls. zu Ibn Asl ist; infolgedessen werden sie sich beeilen und wohl nur vier Tage brauchen, anstatt fünf. Heute abend sind sie also eine Tagereise weit von hier, und da ich bis dahin wenigstens auch einen vollen Tagesritt zurücklege, werde ich sie sehr wahrscheinlich in dieser Entfernung von hier und um diese Zeit treffen. Morgen früh brechen wir dann nach dem Dschebel Arasch Qol auf, doch reite ich nicht ganz bis zu ihm, sondern mache Nachtlager, ehe wir ihn erreichen. Ich will den Überfall natürlich nicht des Nachts haben, sondern ihn für übermorgen früh aufsparen. Vielleicht suche ich dich während der Nacht auf. Jedenfalls aber kannst du, wenn ich bis eine Stunde nach Mitternacht nicht bei dir bin, die zwanzig Mann absenden. Sie können um den Maijeh marschieren und sich in dem Kessel des Regenbettes verstecken, wo ich sie dann treffen werde. Ich lasse, wenn ich ankomme, dreimal das tiefe Gelächter einer Hyäne hören. Dies wiederhole ich, indem ich am Waldesrande hinschreite. Der Posten, welcher dies zuerst hört, kann zu mir kommen, um mich zu dir zu führen. jetzt bin ich mit meiner Unterweisung zu Ende.«

»So will ich jetzt nach Hegasi aufbrechen. Vorher aber, Effendi, muß ich dir danken für das, was – –«

»Jetzt nichts davon, Emir! Willst du mir über deine Rettung je eine lange Rede halten, so habe ich nichts dawider, aber ich bitte dich, dies später zu thun. Jetzt haben wir keine Zeit dazu.«

»Nun wohl, ich gehe, doch wird die Rede, von welcher du sprichst, dir keinesfalls erspart bleiben. Ich will hoffen, daß unser nächstes Wiedersehen ein fröhliches und siegreiches sein möge!«

Er gab mir und Ben Nil die Hand und ging. Wir warteten, bis wir annehmen konnten, daß er in Hegasi angekommen sei; dann stiegen wir in das Boot und ruderten uns zum gegenüberliegenden Ufer. Dort wurde das Boot im Schilfe versteckt, und wir gingen soweit abwärts, bis wir Hegasi drüben liegen sahen.

Wir hielten uns so, daß wir von dort aus nicht gesehen werden konnten. Der »Falke« lag noch an der Mischrah; aber als wir ungefähr eine halbe Stunde gewartet hatten, wurden die Segel aufgezogen, er steuerte hinaus auf die Höhe des Flusses und richtete den Bug nach Norden. Wir kehrten nach unserem Boote zurück, warteten noch eine Viertelstunde und ruderten uns dann nach der Mitte des Niles. Dort richteten wir den Mast auf und öffneten das Segel. Der Wind war nicht günstig; wir lavierten also langsam auf Hegasi zu.

Ben Nil war Zeuge unsers Gespräches gewesen, und so waren für ihn, da er alles gehört hatte, nicht noch erst besondere Verhaltungsmaßregeln nötig. Er brannte, ganz ebenso wie ich, vor Verlangen, die Scharte, welche man uns gestern geschlagen hatte, auszuwetzen. Die Hauptsache war jetzt, daß wir den Scheik el Beled daheim trafen. In dieser Beziehung konnten wir es nicht besser treffen, denn als wir uns der Mischrah näherten, sahen wir ihn unten am Wasser stehen und neugierig nach uns ausschauen. Wir ließen das Segel fallen, brachten uns mit einigen Ruderschlägen an das Ufer, stiegen aus und befestigten das Boot. Er kam sogleich auf uns zu und sagte im freundlichsten Tone:

»Sallam aaleikum! Wie kommt es, daß ihr zurückkehrt? Ich glaubte, ihr wolltet mit der ›Eidechse‹ nach Faschodah fahren. Eure Kamele konntet ihr ja später bei der Rückkehr mitnehmen.«

»Ich danke! Nach Faschodah hat man von hier aus fast zehn Tage zu fahren. Eine so lange Abwesenheit konnten wir nicht beabsichtigen. Beinahe aber wären wir zu einer solchen, ja zu einer noch viel längeren gezwungen worden.«

»Wieso?«

Er gab sich Mühe, ein möglichst unbefangenes Gesicht zu zeigen, konnte aber die außerordentliche Spannung, in welcher er sich befand, nicht ganz beherrschen.

»Ich werde es dir sagen,« antwortete ich. »Aber komm mit uns ein wenig auf die Seite! Es ist sehr Wichtiges geschehen, was wir nur dir allein erzählen möchten.«

»Du erfüllst meine Seele mit Wißbegierde, Herr,« meinte er, indem er uns seitwärts folgte. »Was kann hier in diesem kleinen Hegasi so sehr Wichtiges geschehen!«

»Du wirst dich wundern, wenn du es hörst. Kanntest du den Mann, welchem du die Pferde borgtest?«

»Näher nicht. Er sagte, daß er zur &Eidechse< gehöre, weiche an der Dschesireh Hassanieh lag.«

»weiß du, was das für ein Schiff ist?«

»Ein Handelsschiff aus Berber, sagte mir der Mann.«

»Hast du ihn nicht gefragt, wie der Besitzer desselben heißt?«

»Warum sollte ich fragen? Was ging mich das Schiff an? Ich bin weder Kapitän noch Wächter eines Hafens. Warum sollte ich mein Gedächtnis mit den Namen aller hier vorüberkommenden Schiffe und ihrer Herren belästigen?«

»Du hat recht. Aber ich bedaure, daß du dies nicht thust, denn du hättest uns jedenfalls gewarnt und wir wären nicht in die Gefahr gekommen, unser Leben zu verlieren.«

»Euer Leben?« fragte er, indem er sich sehr erschrocken stellte. »Allah’l Allah! Habt ich euch in einer solchen Gefahr befunden?«

»Allerdings, denn wisse, daß diese ›Eidechse‹ das Schiff des größten Verbrechers und Sklavenräubers ist, den es nur geben kann. Kannst du dir denken, wen ich meine?«

»Ich weiß nicht, ob ich es zu erraten vermag. Für den schlimmsten aller Sklavenräuber halte ich Ibn Asl, den Allah verdammen möge; aber dieser kann es doch nicht wagen, sich hier sehen zu lassen!«

»Er hat es gewagt.«

»Wirklich, wirklich? Allah! Hätte ich das gewußt, so hätte ich alle Männer und Jünglinge von Hegasi aufgeboten, ihn zu ergreifen und dem Reïs Effendina auszuliefern.«

»Kennst du den Reh des Vizekönigs?«

»Natürlich kenne ich ihn. Es ist kaum eine Stunde her, daß ich mit ihm gesprochen habe.«

»So war er da?« fragte ich, indem ich mich überrascht stellte.

»Heute, hier! Gestern ist er an der Hassanieh gewesen.«

»Als wir schon fort waren! Allah sei Lob und Preis gesagt! So ist es mir also gelungen, ihn zu retten! Ich glaubte nicht, daß er so unvorsichtig sein werde, zu kommen. Man wollte ihn in das Verderben locken.«

»Herr, du erschreckst meine Adern und meine Gebeine! Das Blut will mir erstarren! Den Reïs Effendina, dem Allah tausend Gnaden erweisen möge, in das Verderben locken! Wer denn, wer?«

»Ibn Asl.«

»Ist’s möglich? Die Zunge will mir den Dienst versagen! Erzähle doch, Herr, erzähle!«

»So will ich dich vorher fragen, ob du mich vielleicht kennst?«

»Nein. Ich habe dich noch nie gesehen und weiß auch nicht, wie du heißest.«

»Ich bin ein Effendi aus dem Lande der Christen und ein Freund des Reïs Effendina, welchen ich – –«

»Allah, Allah, Allah!« unterbrach er mich im Tone unbeherrschten Erstaunens oder vielmehr Erschreckens. »So bist du also der fremde Effendi, welcher schon so viele Sklaven befreit hat und – –«

Er hielt inne. Er erkannte, daß er zu weit gegangen sei und zu viel gesagt habe, denn er durfte doch eigentlich gar nichts von mir wissen. Ich that, als ob ich dies gar nicht bemerkte, und sagte:

»So hast du also schon von mir gehört? Das freut mich, denn nun brauche ich dir keine so lange Rede zu halten, wie es sonst wohl nötig gewesen wäre. Du weißt also, daß ich dem Emir ein wenig behilflich bin, seine Aufgabe zu erfüllen?«

»Ein wenig nur? Effendi, ich weiß, daß du erreicht hast, was der Emir nicht fertig gebracht hätte.«

»Nun, dann kannst du dir denken, daß Ibn Asl eine große Rache gegen mich hat.«

»Eine außerordentliche! Ich glaube, er haßt dich noch weit mehr, als den Reïs Effendina selbst.«

»Das ist wahr; ich habe es einige Male erfahren und gestern wieder. Ich muß es dir erzählen.«

Ich berichtete ihm von den früheren Ereignissen soviel, wie ich für nötig hielt, das gestrige Erlebnis aber auf das ausführlichste. Nur, daß ich den Emir getroffen hatte, das erwähnte ich natürlich nicht. Er spielte sich als den Ahnungslosen und also außerordentlich Erstaunten auf und rief, als ich geendet hatte, aus:

»O Allah, o Prophet der Propheten! Sollte man solche Dinge für möglich halten! Effendi, du bist ein Christ; aber Allah muß dir trotzdem unendlich gewogen sein, sonst wäre es dir nicht gelungen, den Händen dieser blutdürstigen Hyänen zu entschlüpfen! Aber wo ist denn dieser Abu en Nil? Du hast ihn nicht mit, und doch sagst du, daß er mit auf dem Deck gestanden habe.«

»Er ist beim Hinabklettern in den Nil gestürzt. Wir konnten uns nicht um ihn kümmern. Wenn die Schurken ihn nicht herausgefischt haben, so ist er von den Krokodilen gefressen worden.«

»Welch ein Unglück! Und ihr seid jetzt eben erst hier angekommen?«

»Ja. Wir wären früher da gewesen, wenn wir nicht die Zeit damit versäumt hätten, daß wir den Reïs Effendina suchten. Wir glaubten natürlich, daß er die ›Eidechse‹ verfolgen werde.«

»Verfolgen? Warum hätte er auf diesen Gedanken kommen können? Er hat die ›Eidechse‹ gar nicht im Verdachte gehabt. Er glaubt, daß er in Chartum von Ibn Asl geäfft worden ist. Dieser hat ihn durch eine falsche Nachricht von dort fortgelockt, höchst wahrscheinlich um Zeit und Raum zu einem guten Geschäft zu gewinnen.«

»Wer sagte dir das?«

»Der Emir selbst.«

»Wo ist er jetzt?«

»Nach Chartum zurück.«

»Das ist mir höchst unlieb. Er hätte das Boot hier, welches ich erbeutet habe, mitnehmen können. Was thue ich mit demselben?«

»Es fragt sich, was du überhaupt zu thun entschlossen bist. Wenn du nach Chartum willst, so kannst du das nächste Schiff, welches dorthin geht, besteigen und das Boot hinten anhängen.«

»Das geht nicht. Nach Chartum kann ich nicht. Du vergissest, daß meine Asaker mit den Gefangenen nach hier unterwegs sind. Ihnen will ich entgegen.«

»So kannst du das Boot hier lassen. Ich will es nach Chartum senden. Ich hoffe, daß du mich für den Mann hältst, dem du es anvertrauen kannst!«

»Was das betrifft, so habe ich keine Bedenken. Du bist die Obrigkeit, der Gebieter von Hegasi. Ich würde dir gern ein Vermögen von vielen Tausenden anvertrauen. Ich will es dir also übergeben. Aber du brauchst es nicht nach Chartum zu senden. Laß es liegen, bis der Reïs Effendina wiederkommt; da wird er es mitnehmen.«

»Kommt er bald wieder?«

»Das weiß ich nicht. Er hat nicht davon gesprochen. Er hätte wohl alle Ursache dazu. Er könnte Ibn Asl verfolgen, der jedenfalls nun unterwegs nach Faschodah und noch weiter hinauf ist. Der macht jedenfalls schleunigst, daß er uns aus den Augen kommt. Er wird wohl hinauf nach dem Bahr ed Dschebel oder dem Bahr es Seraf gehen, um Sklaven zu fangen. Es wäre zu langweilig und zu beschwerlich, ihm zu folgen; aber wenn er zurückkehrt, werden wir ihm auflauern, ihm die geraubten Sklaven abnehmen und die Schlußrechnung mit ihm halten. Dann soll es ihm genau so ergehen, wie es jetzt seinem Vater Abd Asl ergehen wird!«

»Wie? Was steht denn diesem bevor?«

»Der Tod. Ich hätte die Schufte alle sofort niederschießen lassen sollen, ganz so, wie der Emir es im Wadi el Berd mit ihren Genossen gethan hat. Ich war zu gütig; ich schonte sie und wollte sie ihm allerdings ausliefern. Aber ich bin anderer Meinung geworden und habe vom Reïs Effendina Gewalt über Leben und Tod.«

»Hat er dir solche Vollmachten geben dürfen, die sonst nur vom Khedive zu erlangen sind?«

»Ja. Er hat von dem Khedive die Erlaubnis erhalten, seine Rechte, wenn er es für nötig hält, für einige Zeit an andere abzutreten. Nur auf diese Weise werden Zeitverluste und sonstige Weiterungen vermieden; nur dadurch wird der Zweck erreicht, den Sklavenräubern ein schnelles Ende mit Schrecken zu bereiten. Ich habe von diesem überkommenen Rechte noch nicht Gebrauch gemacht und werde es nun zum erstenmale thun.«

»Du handelst richtig und bist nur zu loben, daß du es thust, aber bedenke auch die Verantwortung, welche du dann zu tragen hast!«

»Pah! Verantwortlich bin ich auch für alle Schandthaten, welche von diesen Kerls noch begangen würden, falls ich sie entkommen ließe. Hast du vielleicht Mitleid mit ihnen?«

»Effendi, welche Frage! je schneller sie ausgerottet werden, desto mehr werde ich mich darüber freuen. Ich wollte, ich könnte euch dazu behilflich sein!«

»Das kannst du leider nicht. Bedenke, was diese Menschen sich vorgenommen hatten! Sie wollten meine Asaker erschießen und mich langsam totmartern. Ich habe sie trotzdem geschont. Nun aber, da ich nur mit großer Not dem qualvollsten Tode entgangen bin, wäre ich geradezu ein Selbstmörder, wenn ich nicht die äußerste Strenge und Rücksichtslosigkeit walten ließe.«

»Willst du vielleicht hier in Hegasi Gericht über sie halten?«

»Nein; sie werden Hegasi gar nicht zu sehen bekommen.«

»Wo? Effendi, halte es nicht für eine gewöhnliche Neugierde, daß ich dich frage. Meine Seele ist so entrüstet über die Thaten dieser Verbrecher, daß ich zu gern genau wissen möchte, ob die Strafe sie auch wirklich ereilt.«

»Ich erkenne deine Gerechtigkeitsliebe an und habe keinen Grund, dir aus dem, was ich beabsichtige, ein Geheimnis zu machen. Kennst du den Dschebel Arasch Qol?«

»Wie sollte ich diesen nicht kennen! Ich bin schon sehr viele Male dort gewesen.«

»Auch den Maijeh el Humma, an welchem er liegt?«

»Auch diesen.«

»Hat der Maijeh viele Krokodile?«

»Unzählige! Ganz besonders wimmelt der Busen, weicher sich tief in den Berg hineindrängt, von ihnen.«

»Nicht wahr, um diesen Busen führt ein nur sehr schmaler Weg?«

»Ja. Auf der einen Seite steigen die Wände des Berges gerade in die Höhe, und auf der andern breitet sich auf dem Wasser schwimmende Omm Sufah aus, unter weicher die Krokodile in Massen wohnen. Der Weg ist wegen der Felsbrocken, welche auf ihm liegen, für Kamele kaum gangbar. Wer da nicht herunter- und den Krokodilen in den Rachen fallen will, muß absteigen und sein Tier langsam und vorsichtig hinter sich herführen.«

»Das weiß ich. Es giebt keinen Ort, der besser für meine Absicht paßt, als dieser Busen des Fiebersumpfes.«

Der Scheik el Beled erschrak; das war ihm anzusehen.

»Dort, also dort willst du deine Rache halten? O, Effendi, das wird ja entsetzlich, fürchterlich sein!«

»Jeder erntet, was und wie er gesäet hat. Und gar so entsetzlich, wie du meinst, ist es nicht. Mir sollten die Nägel von den Fingern gerissen werden; dann wollte man jedes Glied meines Körpers einzeln, nach und nach abschneiden; ich aber will diese Leute einfach in die Omm Sufah werfen, wo sie in wenigen Augenblicken von den Krokodilen verschlungen werden. Welcher ist fürchterlicher, ihr Tod oder derjenige, den ich sterben sollte?«

»Der deinige, Effendi. Aber wann wird das geschehen, Effendi?«

»Übermorgen früh, eine Stunde nach dem Gebete der Morgenröte werden wir den Dschebel Arasch Qol und den Maijeh des Fiebers erreichen.«

»Und das ist die Todesstunde dieser Männer?«

»Ja.«

»Wann brichst du von hier auf, Effendi?«

»Jetzt. Ich werde mir meine Kamele holen.«

Er begleitete mich zu dem Manne, bei welchem ich die Tiere untergestellt hatte und von dem ich sie gegen ganz geringe Futterkosten zurück bekam. Wir führten sie hinab zur Mischrah, um sie zu tränken, und dann wieder hinauf zur Höhe, wo sie gesattelt wurden. Eben stand ich im Begriff, den Sattelgurt festzuschnallen, da rief mir Ben Nil zu: »Effendi, schau dorthin!«

Er deutete hinaus auf die Steppe, über welche ein Kamelreiter geritten kam. Er war noch ziemlich weit entfernt, und doch erkannte ich ihn auf den ersten Blick. Es war Oram, der meinen Asakern entkommen war und Ibn Asl die Botschaft gebracht hatte. Ben Nil hatte ihn auch erkannt, denn er hob den Finger empor und meinte:

»Aufpassen, Effendi!«

Der Scheik el Beled stand dabei und hatte es gehört. Darum antwortete ich im gleichgültigsten Tone:

»Aufpassen? Wozu? Seit du mitgefangen gewesen bist, witterst du überall Gefahr. Dieser Reiter ist ein Reisender. Was weiter? Steig auf; wir müssen fort!«

Er gehorchte, warf mir aber dabei einen sehr erstaunten Blick zu. Ich reichte dem Scheik die Hand und verabschiedete mich von ihm. Er verneigte sich und sagte:

»Allah jihfazak – Gott bewahre dich! Werde ich dich nach dem Gericht am Maijeh wiedersehen?«

»Wahrscheinlich. Unser Wiedersehen bringe dir tausend Segen!«

Wir ritten fort in westlicher Richtung, während Oram, der erwähnte Reiter, von Süden gekommen war. Als er uns erblickt hatte, hatte er sein Tier angehalten und dann gar gewendet, um sich wieder zu entfernen. Jetzt wendete er sich im Sattel um und blickte zurück; er sah, daß wir fortritten und blieb halten. Nach einer Weile schien er sich sicher zu fühlen, denn er trieb sein Tier wieder dem Dorfe zu.

»Ich begreife dich nicht, Effendi!« meinte Ben Nil. »Der Reiter war doch Oram, der von In Asl kommt?«

»Natürlich!«

»Und du hast nicht gewartet, hast ihn nicht ergriffen!«

»Bedenke doch: alles, was ich dem Scheik gesagt habe, soll Ibn Asl erfahren; er wird es durch diesen Oram erfahren, und ich habe also alle Ursache, mich darüber, daß er gekommen ist, zu freuen. Statt dessen aber war es jedenfalls deine Ansicht, daß er festgenommen werden solle. Er wird nun von dem Scheik alles erfahren und Ibn Asl davon benachrichtigen; dieser marschiert dann ganz gewiß nach dem Dschebel Arasch Qol und geht uns in die Falle.«

»Allah gebe es! Hoffentlich verfehlen wir unsere Asaker nicht!«

»Davon kann keine Rede sein. Siehst du den dunklen Strich, der da im Grase vor uns herläuft?«

»Ja. Es ist eine Spur; aber weißt du, was für eine?«

»Es ist Orams Fährte. Er ist jedenfalls auf der unserigen geritten, welche, da er nur wenige Stunden hinter uns ritt, noch ganz frisch gewesen ist. Unsere Asaker sind ihm dann gefolgt, indem sie sich auf unserer und seiner Spur hielten. Wenn wir nun auf dieser letzteren zurückreiten, müssen wir mit unsern Gefährten zusammenstoßen. Laß dein Tier ausgreifen! je eher wir sie treffen, desto besser ist es.«

Unsere Kamele hatten ausgeruht und freuten sich darüber, daß sie tüchtig laufen durften. Zur Mittagszeit hielten wir eine kurze Rast. Später wurde die Fährte bedeutend undeutlicher, doch konnte ich sie noch leidlich unterscheiden, wenn Ben Nil sich auch vergebliche Mühe gab, sie zu entdecken.

Unter solchen Umständen war anzunehmen, daß auch unsere Asaker sie nicht mehr erkennen konnten und also sehr wahrscheinlich von ihr abgewichen seien. Was war zu thun? Südlich von unserer Richtung gab es einen Brunnen, welcher Bir Safi, der klare Brunnen, hieß. Der Fessarahführer kannte ihn und hatte die Karawane sehr wahrscheinlich dorthin geführt. Wir bogen also nach Süden ab. Wenn wir so schnell wie bisher ritten, konnten wir vor Sonnenuntergang dort sein.

Meine Vermutung trügte mich nicht. Die Sonne war nur noch drei ihrer Durchmesser vom westlichen Horizonte entfernt, da sahen wir Bäume und Gesträuch in der Ferne; das war der Bir Safi. Bald sahen wir Kamele liegen und Menschen sich bewegen; das war unsere Karawane.

»Was wird Abd Asl sagen, wenn wir kommen!« meinte Ben Nil.

»Und der Fakir el Fukara, welcher Mahdi werden will!«

»Die Kerle haben jedenfalls schon geglaubt, daß wir zu Grunde gegangen sind. Allah vernichte sie! Ich habe dem Alten das Leben geschenkt. Hätte ich gewußt, was unser an der Dschesireh Hassanieh wartete, so hätte ich es nicht gethan.«

»Ich hoffe, daß du dich nicht noch nachträglich an ihm vergreifst!«

»Du hast nichts zu befürchten, Effendi! Dieser alte, stinkende Schakal ist mir viel zu widerwärtig, als daß ich mich an ihm vergreifen möchte. Vor meiner Berührung ist er sicher.«

Jetzt waren wir dem Brunnen so nahe, daß die dort Befindlichen uns erkennen konnten.

»Der Effendi!« hörte ich eine Stimme rufen.

»Der Effendi! Und Ben Nil! Der Effendi, der Effendi! Preis Allah und Heil uns! Sie kommen, sie kommen!« so riefen zwanzig Stimmen durcheinander und ebenso viele Männer kamen uns entgegengerannt. Wir mußten noch vor dem Brunnen von den Kamelen herab. Man drückte uns die Hände; man rief und schrie in allen Tonarten, und ich ließ sie gern gewähren, denn ihre Freude konnte uns ja keinen Schaden bringen und war mir ein wohlthuender Beweis, daß ich ihren Herzen nicht fremd geblieben war. In dieser Weise war selbst ihr Vorgesetzter, der Reïs Effendina nicht bewillkommnet worden, als er im Wadi el Berd auf uns traf.

Natürlich sollten wir erzählen. Vorher aber mußte ich wissen, wie es bei ihnen gegangen war. Wir setzten uns nieder, und der alte Askari, dem ich das Kommando anvertraut hatte, sagte:

»Es ist alles nach der richtigen Regel gelaufen, Effendi Es giebt nur eins, was wir zu beklagen haben. Es fehlt einer: Oram. Er hat sich von den Fesseln losgemacht, euch ein Kamel genommen und ist ––«

»Uns nachgeritten,« fiel Ben Nil ein.

»Das ist ganz richtig! Wie aber könnt ihr es wissen?«

»Wir haben ihn gesehen.«

»Wo denn?«

»Das werden wir euch erzählen,« antwortete ich. »Vor allen Dingen möchte ich wissen, ob die Gefangenen gut gebunden sind.«

»Effendi, seit Oram uns entschlüpft ist, entkommt uns keiner mehr. Ich hoffe, daß du uns dessen Flucht nicht anrechnen wirst. Als er gefesselt wurde, warst du ja selbst noch da!«

»Nun, was das betrifft, so war der Mangel an Wachsamkeit wohl mehr schuld an seinem Entkommen als die ungenügende Fesselung. Ihr habt doch gewacht! Ihr habt einen Kreis um die Gefangenen gebildet. Da es ihm geglückt ist, aus demselben zu gelangten, so nehme ich an, daß ihr alle zusammen geschlafen habt.«

»Nein, Effendi, wir haben abwechselnd gewacht; aber dieser Hund muß einen Zauber besitzen und sich unsichtbar machen können.«

»So ist der Zauber bei mir und Ben Nil wirkungslos, denn wir haben ihn gesehen, und zwar mehreremale. Aber ich zürne euch nicht; ich habe sogar alle Veranlassung, mich über seine Flucht zu freuen. Sie hat uns Schaden bringen sollen, wird aber im Gegenteile von großem Vorteile für uns sein.«

»Ist das möglich!«

»Sehr! Heute konnten wir ihn fangen, wenn wir wollten; wir haben ihn aber laufen lassen, weil er uns, wenn er frei ist, mehr Nutzen schafft, als wenn er sich in Gefangenschaft bei uns befindet.«

Da rief der alte Abd, Asl unter höhnischem Gelächter herüber:

»Prahle nicht! Du redest solche Lügen, um uns zu ärgern; aber du täuschest uns nicht. Hättet ihr Oram gesehen, so hättet ihr ihn ergriffen. Da ihr das nicht gethan habt, habt ihr ihn auch nicht gesehen.«

»Dein Kopf ist der Brunnen aller Weisheit, o heiligster aller Moslemin,« antwortete ich ihm.

»Weißt du denn, wohin er gegangen ist?« fragte er lachend.

»Zu Ibn Asl, deinem Sohne, natürlich.«

»Wenn du ihn gesehen hättest, müßtest du bei Ibn Asl gewesen sein!«

»Wir waren bei ihm, waren sogar auf seinem Schiffe und haben mit ihm gesprochen.«

»Lüge! Lüge!«

»Nimm dich in acht, oder du bekommst die Peitsche. In deiner Lage hat man sich der Höflichkeit zu befleißigen.«

Da richtete sich der Fakir el Fukara in sitzende Stellung auf und sagte:

»Du forderst Höflichkeit? Behandelst du uns so, daß wir sie dir bieten können?«

»Ich behandle euch so, wie ihr es verdient habt.«

»Ich habe nichts gethan. Ich war euer Gast, und ihr habt mich gefesselt. Das ist ein Verbrechen, welches gar nicht vergeben werden kann.«

»Wer hat dich zu unserem Gaste gemacht? Habe ich das Wort Daif gegen dich gebraucht? Habe ich ›Habakek‹ oder ›Wasahlan‹, ›Marhaba‹ zu dir gesagt?«

»Nein; aber ich habe bei euch gesessen!«

»Und dich dann wieder weggesetzt! Ich habe, wie du zugeben mußt und auch eingestanden hast, dir das Leben gerettet, und dennoch wolltest du fort, um uns an Ibn Asl zu verraten!«

»Beweise es!«

»Ich weiß es, also ist es bewiesen! Diese Undankbarkeit hat dich in Fesseln gebracht, und wenn dir diese nicht gefallen, so zanke mit dir, aber nicht mit uns!«

»Ich verlange aber meine Freiheit und giebst du mir sie nicht sofort, so rufe ich den Fluch Allahs auf dich nieder!«

»Allah wird deinen Fluch in Segen verwandeln.«

»Und den Fluch des Propheten!«

»Dein Prophet geht mich nichts an!«

»Du wirst bald anders denken und anders sagen. Wenn du erfährst, welche Macht mir gegeben ist, wirst du mich um Gnade anwinseln!«

»Zunächst besitze ich die Macht, und zwar über dich. Über wen du später Macht ausüben wirst, ob über deinen Harem oder auch wohl über deine Hunde, das ist mir gleichgültig. Und nun schweig, sonst kommt die Peitsche über dich. Ich habe keine Lust, mich von einem Manne anbrüllen und verfluchen zu lassen, welcher sich so sehr von Allah und dessen Geboten entfernt hat, daß er sogar im stande ist, an seinem Lebensretter zum Verräter zu werden.«

»Gut, ich schweige; bald aber kommt die Zeit, und sie ist schon nahe, in welcher ich sprechen werde. Dann werden Millionen auf meine Stimme hören, und du wirst der erste sein, der vor mir im Staube kriecht!«

Er legte sich wieder nieder. Er sah doch ein, daß Schweigen klüger sei als Sprechen. Abd Asl aber konnte es nicht zu derselben Erkenntnis bringen; oder stand ihm die Vorsicht nicht so hoch wie die Begierde, zu erfahren, was ich während der Zeit meiner Abwesenheit gethan und erlebt hatte? Er hatte wohl geglaubt, daß ich in mein Verderben geritten sei; jetzt war ich wohlbehalten zurückgekehrt; wie konnte das geschehen? So fragte er sich. Er wollte und mußte Antwort haben, und anstatt ruhig zu warten, was ich thun oder sagen werde, fuhr er im Anschlusse an die letzten Worte des Fakir el Fukara auf:

»Ja, im Staube kriechen, und auch vor mir! Du hast keine Ahnung, in welcher Lage du dich befindest und welche Gefahren dich umschwirren. Mein Sohn wird als Rächer über dich kommen und dich vernichten, wie er den Reïs Effendina vernichtet hat!«

»Ja, den hat er allerdings vernichtet!« antwortete ich ernst, indem ich eine sehr trübsinnige Miene zeigte.

»Hat er? Hamdulillah, Allah sei Dank!« jubelte er. »Es ist gelungen. Die Feinde sind zermalmt und werden niemals wieder erstehen!«

»Zermalmt? Nein, sondern verbrannt sind sie worden.«

»Es ist geglückt, es ist geglückt! Hört ihr es, ihr Männer, ihr Freunde, ihr Gläubigen, es ist geglückt! Ich habe es euch mitgeteilt; ich habe es euch leise gesagt. Meine Seele war voller Erwartung, ob es gelingen werde. Nun ist der Teufel mit seinen Asakern zu Staub und Asche verbrannt, und der oberste der Teufel, welcher da vor uns sitzt und es uns erzählen muß, hat die Macht verloren und wird uns freigeben müssen, denn wenn er dies nicht thut, heute gleich thut, erwartet ihn ein Klappern der Zähne, welches ohne Ende ist!«

»Verrechne dich nicht!« warnte ich ihn im ruhigsten Tone. Darauf fuhr er, im höchsten Grade begeistert, fort:

»Mich verrechnen! Wie kann ich mich irren! Mein Sohn, der Tapferste der Tapfern, der Gefürchtetste der Gefürchteten, der Schrecklichste der Schrecklichen, hat den Reïs Effendina verbrannt und wird nun kommen, uns zu erlösen. Wehe euch, wenn er findet, daß einem einzigen von uns ein einziges Haar von seinem Haupte fehlt! Was an Qualen und Foltern nur zu erdenken ist, wird euch treffen, und ihr werdet heulen, wie die Verdammten heulen, welche auf dem tiefsten Grunde der Hölle wohnen. Frei will ich sein, frei, und zwar sofort! Du hast deine Ohnmacht eingesehen und deine Lächerlichkeit erkennen müssen, Effendi. Laß uns los, und eile fort; fliehe, soweit dich deine Füße und die Füße deines Kamels tragen, sonst kommt das Entsetzen über dich, wie der Löwe über das Schaf, welches sich gegen die Krallen des Mächtigen nicht zu wehren vermag!«

»Daß ich vor einem Löwen nicht fliehe, hast du erfahren; du kannst dir also denken, daß ich auch vor diesem deinem Entsetzen nicht davonlaufe. Dein Sohn mag kommen; er wird sehen, wie ich ihn empfange.«

»Er wird dich ebenso verbrennen, wie er den Emir mit Feuer vernichtet hat!«

Es läßt sich denken, welchen Eindruck diese Reden auf die Asaker machten. Ihr Emir verbrannt, mit seinen Soldaten ermordet. Sie sprangen auf und fielen mit Fragen über mich her. Ich gebot Stille und fügte hinzu:

»Ihr sollt alles erfahren, und ich will euch schon im voraus sagen, daß ihr ruhig sein könnt. Der Triumph dieses heiligen Moslem wird nicht lange währen. Ich ritt fort, um den Reïs Effendina zu retten, und was ich mir vorgenommen habe, das pflege ich, zumal wenn es etwas so Wichtiges ist, auch auszuführen. Der Emir lebt; er ist gerettet.«

»Allah sei Dank!« erklang es rundum. Abd Asl aber rief:

»Er lügt! Er will uns unsere Freude verkümmern; aber das soll ihm nicht gelingen. Er gönnt uns unsern Jubel nicht; aber wir werden weiter jubeln, bis der Retter erscheint, welchen wir alle Augenblicke erwarten können!«

»So warte, bis du schwarz wirst und dir das sündige Fell im Grimme der Enttäuschung zerplatzt!« rief ihm Ben Nil zu. »Du wirst sogleich hören, ob unser Effendi seine Ohnmacht hat einsehen und seine Lächerlichkeit hat erkennen müssen! Hört, ihr Männer, ihr Asaker des Emirs; der Effendi wird sprechen!«

Aller Augen waren auf mich gerichtet. Es gab keinen, bei den Asakern sowohl wie auch bei den Gefangenen, der sich nicht in der größten Spannung befand. Die Sonne versank soeben; es war also Zeit, das Mogreb zu beten; aber niemand dachte an die Erfüllung dieser Pflicht. Ich erzählte, und zwar berichtete ich alles ausführlich bis zum Augenblicke, an welchem wir drei die Flucht von der »Eidechse« ergriffen hatten. Bis hierher konnten, ja sollten die Gefangenen alles hören; das Spätere aber mußte ihnen verschwiegen bleiben. Hätten sie erfahren, welche Falle ich Ihn Asl stellen wollte, so konnte es ihnen durch irgend einen Zufall gelingen, mir meinen Plan zunichte zu machen. Man bestürmte mich zwar, weiter zu erzählen, doch that Ben Nil dem Drängen Einhalt, indem er sagte:

»Seid still! Ihr habt für heute genug erfahren. Der Emir ist errettet; wir waren bei Ibn Asl auf seinem Schiffe; er hat uns erkannt und in Banden geschlagen; mehr als hundert Männer waren bei ihm, dennoch sind wir entkommen. Als wir im Boote nicht weit von der ›Eidechse‹ hielten, konnten wir ihn leicht erschießen. Wir haben es nicht gethan; wir sind noch einmal gnädig mit ihm gewesen. Aber wehe ihm, wenn er sich wieder treffen läßt.«

»Aber was geschah dann, als ihr vom Schiffe wart?« fragte wieder einer. »Was habt ihr dann gemacht? Wo ist dein Großvater, der Steuermann, der doch bei euch war?«

»Deine Neugierde ist viel größer als mein Mund; dennoch will ich versuchen, sie zu befriedigen. Wir sind natürlich in dem Boote nach Hegasi gesegelt und von dort mit unsern Kamelen hierher geritten. Mein Großvater aber ist in Hegasi geblieben, um dort unsere Rückkehr zu erwarten.«

»Und der Reïs Effendina? Wo befindet er sich?«

»Auch in Hegasi, denn dorthin werden wir ihm diese Gefangenen liefern.«

»Warum hat er uns keine weiteren Asaker mitgesandt?«

»Weil, du Vater der Neugierde, keine Kamele zu haben waren, und weil wir Manns genug sind, diese feigen Kröten hier zu transportieren. Abd, Asl aber, der heiligste der Moslemin und die häßlichste der Kröten, mag nun fortfahren in dem Jubel, welchen er vorhin anstimmte und in dem er sich nicht unterbrechen lassen wollte!«

Das hatte Ben Nil nicht schlecht gemacht! Er hatte die Neugierde vollständig gestillt, ohne unsere weiteren Absichten auch nur mit einem Worte zu verraten. Es war jedenfalls besser, wenn selbst die Asaker noch nichts erfuhren. Eine unvorsichtige Äußerung, von einem Gefangenen gehört, hätte uns Schaden bringen können. Übrigens waren die ersteren froh, daß ich mich wieder bei ihnen befand. Sie hatten doch eine große Verantwortlichkeit zu tragen gehabt, und der alte Askari holte tief und erleichtert Atem, als ich ihm sagte, daß er nun nichts mehr zu verantworten habe. Ebenso befriedigt war der Fessarahführer davon, denn bei jedem vorkommenden Fehler hätte er auch einen Teil der Schuld auf sich zu nehmen gehabt.

Ich gab die Reihenfolge der Wachen an und legte mich dann zum Schlafen nieder. Ben Nil that ebenso, obgleich es noch nicht spät war. Wir hatten während der letzten Nacht gar nicht geschlafen. Früh weckte mich das Gebet der Morgenröte. In kurzem wurde aufgebrochen.

Es war ein ganz eigenartiges Geschäft, die Gefangenen auf die Kamele zu bringen, denn sie machten es uns so schwer wie nur immer möglich. Bei hartnäckigen Fällen mußte natürlich die Peitsche nachhelfen.

Da der Bir Safi südlich von der geraden Richtung lag und ich aus begründeter Vorsicht die letztere vermeiden wollte, hielt ich mich bis Mittag genau östlich und bog dann nach Süden ab. Auf diese Weise kamen wir fast streng aus Norden auf den Dschebel Arasch Qol zu, während wir sonst aus Nordwest gekommen wären. Ich hatte diese Richtung vermieden, weil der Scheik el Beled und infolgedessen auch Ibn Asl uns in derselben wußte. Möglicherweise konnte man auf den Gedanken gekommen sein, uns nicht erst am Maijeh, sondern schon vorher draußen auf der Steppe zu überfallen; dann befanden wir uns nicht in der Richtung, in welcher man uns suchte. Ibn Asl hatte wohl hundert Mann, ich aber nur zwanzig, ein Kampf auf offener Steppe hätte für uns leicht verhängnisvoll werden können.

Um der erste zu sein, der das Ziel erblickte, ritt ich den andern weit voran. Es war noch gar nicht spät am Nachmittage, als ich den Berg wie einen Nebelfleck im Süden liegen sah. Ich kehrte sogleich wieder um, um der Karawane, welche vielleicht eine englische Meile hinter mir gefolgt war, Halt zu gebieten. Ich that dies, damit keiner der Gefangenen den Dschebel Arasch sehen solle. Es war auf jeden Fall besser, wenn sie nicht wußten, wo sie sich befanden. Sie wurden von den Kamelen gehoben, und wir lagerten.

Die Asaker konnten sich den Grund nicht denken, warum dies schon so früh am Tage geschah. Es war nun Zeit, sie zu unterrichten. Erst wurden die Gefangenen gespeist und getränkt; dann führte ich die Soldaten weit zur Seite, ließ sie einen Kreis um mich bilden und teilte ihnen mit, was heute geschehen sollte. Kein Gefangener konnte es hören. Hätte ich ihnen gesagt, daß jeder von ihnen tausend Piaster erhalten solle, die Freude wäre auch nicht größer gewesen. Ibn Asl und alle seine Sklavenhändler in einer Falle fangen! Das war ein Gedanke, welcher sie begeisterte. Jeder wollte wissen, welche Aufgabe ihm dabei zufalle, welche Rolle er dabei zu spielen habe. Ich konnte es keinem sagen, denn es war vorher notwendig, zu rekognoscieren, und das konnte erst am Abend geschehen. Ibn Asl befand sich jedenfalls schon am Berge. Hätte ich mich demselben jetzt am hellen Tage genähert, ich wäre höchst wahrscheinlich bemerkt worden.

Die Asaker erhielten‘ den Befehl, selbst untereinander jetzt noch um keinen Preis ein Wort über unser Vorhaben zu sprechen, und bildeten dann, wie dies bisher täglich geschehen war, einen Kreis um die Gefangenen. Die Kamele lagerten, von einem Manne bewacht, außerhalb dieses Kreises.

Der Nachmittag verging, ohne daß auf der Steppe außer uns ein menschliches Wesen erblickt worden war. Die Sonne ging unter, und die Asaker beteten das Mogreb. Nun senkte sich schnell der Abend nieder, und ich konnte meine Rekognition beginnen. Es stand zu erwarten, daß ich mehrere Stunden, vielleicht sogar bis gegen Morgen, abwesend sein werde. Ich übergab trotz seiner Jugend Ben Nil den Befehl über die Karawane und unterrichtete ihn, wie er in jedem einzelnen Falle, welcher vorauszusehen war, sich zu verhalten habe. Dann bestieg ich mein Kamel und ritt dem Ziele entgegen.

Die Aufgabe, welche ich mir gestellt hatte, war nicht leicht. Ich wußte, wo der Hegelikwald lag, in welchem ich den Reïs Effendina finden sollte, nämlich am Südende der Ostseite des Sumpfes; aber bei der herrschenden Dunkelheit diesen Wald treffen, das war die Sache! ja, wenn ich nur diese eine Sorge gehabt hätte! Aber wo war Ibn Asl mit seinen Leuten? Wohl auch am Südende des Sumpfes. Aber wenn er sich vorgenommen hatte, seine Leute zu teilen, um mich in die Mitte zu bekommen, so war es für ihn weit bequemer, während der Nacht in der Mitte der östlichen Sumpfseite zu lagern. Dann konnte er am Morgen einen Teil seiner Leute rechts und die andere Abteilung links um den Sumpf schicken und mich auf diese Weise von vorn und von hinten packen. Lagerte er jetzt da, so mußte ich, um zu dem Emir zu kommen, an ihm vorüber und konnte, wenn er keine Feuer brennen hatte, ganz unerwartet mitten in sein Lager geraten. Er schien aber Freund von nächtlicher Helligkeit zu sein; wenigstens hatte er während der beiden Abende an der Hassanieh und am Maijeh es Saratin mehrere große Feuer brennen gehabt. Er wußte mich jetzt noch fern; er wußte ferner von der Anwesenheit des Emirs nichts; darum konnte er sich für sehr sicher halten, und es stand zu erwarten, daß er den Abend nicht im Dunkeln zubringen werde. In diesem Falle mußten seine Feuer mir sein Lager verraten, und ich konnte mich fern von demselben halten.

So ging es in raschem Schritte südwärts. Die Sterne waren aufgegangen, und ich konnte mich also nicht in der Richtung irren. Nach einer halben Stunde hatte ich das Sumpfgebiet erreicht, und es galt, auch wegen des trügerischen Bodens vorsichtig zu sein. Der Maijeh el Humma sendet mehrere Ausläufer in das Land, und darum war es geraten, möglichst weit ostwärts auszubiegen.

Eine Stunde und noch eine war ich geritten; es mochte nach unserer Zeit abends neun Uhr sein, da kam ich an einem einzelnen Baum vorüber, dessen Umrisse mir bekannt vorkamen, obgleich sie sich nur undeutlich gegen den Himmel abzeichneten. Ich ritt hin. ja, das war der Hegelik, unter welchem ich bei meiner frühern Anwesenheit Schutz gegen die Sonne gesucht hatte. Ich hatte damals diese mächtigen Formen bewundert und sie mir eingeprägt. Gar nicht weit von hier, nur einige hundert Schritte rechts, begann der Hegelikwald, den ich suchte.

Ich ritt hinüber und an seinem Rande hin. Er lag mir wie eine hohe, dunkle Wand zur Seite, als Vorposten einzelne Büsche aussendend, zwischen denen ich mich hindurchwinden mußte. Nirgends ein Feuer zu sehen oder zu riechen. Ibn Asl befand sich gewiß nicht in der Nähe. Ich ließ halblaut das bekannte tiefe Lachen der Hyäne hören. Es klingt wie »Ommu ommu« und ist trotzdem einem Gelächter ähnlich. Keine Antwort erfolgte. Im langsamen Weiterreiten wiederholte ich dieses Zeichen mehrere Male. Endlich, nach dem siebenten oder achten Mal hörte ich rechts unter den Bäumen eine Stimme:

»Effendi?«

»Ja,« antwortete ich, das Kamel anhaltend.

»Komm hierher!«

Ich ritt hin. Ein Mann trat auf mich zu, blieb vor dem Tiere stehen, sah mich an und sagte dann:

»Ja, du bist es. Steig ab! Ich werde dich zu dem Emir führen.«

»Ist es weit von hier?«

»Ziemlich! Wir haben eine lange Postenkette, damit dir das Auffinden des Emir nicht so schwer fallen sollte.«

»Führe mich zu dem Posten, welcher der nächste beim Emir ist. Derselbe mag mein Kamel halten.«

Während wir nebeneinander hinschritten, fragte ich ihn, ob sie Ibn Asl mit seinen Leuten bemerkt hätten.

»Ja,« antwortete er. »Sie kamen kurz nach Mittag an und lagerten ganz am südlichen Ende des Maijeh.«

»Habt ihr sie, seit es dunkel geworden ist, beobachtet?«

»Der Reïs Effendina war dort.«

»Brennen sie Feuer?«

»Ich weiß es nicht; ich konnte es nicht erfahren, da ich mich seit jener Zeit auf dem Posten befand.«

Wir kamen an mehreren Asakern vorüber, bis einer von ihnen mein Tier zu halten bekam. Mein Führer meinte, ich solle ihm nun tiefer in den Wald folgen; ich aber gab ihm den Auftrag, mir lieber den Emir zu holen. Ich hatte mich mehr angestrengt als der Emir, mußte mich vielleicht auch noch mehr anstrengen und wollte mir den Weg durch den Wald und die dichten Nabakbüsche, welche das Unterholz bildeten, ersparen. Der Mann ging also allein und brachte mir bald den Reïs Effendina geführt. Er war sehr erfreut, mich zu sehen, besonders, da ich nicht sicher hatte sagen können, ob ich kommen werde. Er begrüßte mich mit einem kräftigen Händedrucke und sagte:

»Sie sind da, schon seit der Mittagszeit. Sie lagern am Ende des Maijeh.«

»Brennen sie Feuer?«

»Sechs, jedenfalls schon um der vielen Stechfliegen willen, vor denen es dort am offenen Sumpfe ohne Feuer gar nicht auszuhalten wäre. Hier im dichten, ziemlich trockenen Walde sind wir glücklicherweise nicht sehr von ihnen geplagt.«

»Kennst du den Plan, den Ibn Asl morgen verfolgen will?«

»Nein. Wie soll ich ihn kennen?«

»Ich denke, du bist dort gewesen. Hast du nicht gelauscht?«

»Werde mich hüten! Soll ich etwa soweit hinangehen, bis ich sie sprechen hören kann? Dann kann ich auch gesehen und ergriffen werden!«

»Aber es giebt oft gewisse Anzeichen, aus denen sich Schlüsse ziehen lassen. Hast du nichts Derartiges bemerkt?«

»Nein. Sie saßen um die Feuer und aßen und schwatzten. Aber was sie sprachen, das verstand ich nicht, da ich nicht nahe genug war.«

»Hast du Ibn Asl gesehen?«

»Ja. Er saß an dem ersten Feuer, welches man von hier aus erreicht.«

»Wie weit ist’s bis dahin?«

»Fast eine halbe Stunde.«

»Ich muß hin. Willst du mich begleiten?«

»Sehr gern, wenn du nicht etwa verlangst, daß ich mich zu Ibn Asl setzen soll. Dir ist nämlich so etwas wohl zuzutrauen.«

Meinen hellen Haïk hatte ich in meinem Lager zurückgelassen; jetzt ließ ich auch die Gewehre hier, und dann gingen wir, immer zwischen einzelnen Büschen hindurch, bald rechts, bald links einer sumpfigen Lache, die sich durch phosphorescierenden Glanz verriet, ausweichend. Nach über einer Viertelstunde sah ich den Schein des ersten Feuers, dann noch eins und noch eins, bis ich auch sechs zählte. Es gab hier nur Gafulbäume, und zwar ohne Unterholz. Man lagerte ohne einen besonderen Plan, hier ein Feuer und dort eins, wie der Zufall oder Einfall es ergeben hatte. Wir standen hinter einem breiten Busch, wohl sechzig Schritte von dem ersten Feuer, an welchem ich Ibn Asl sitzen sah, entfernt. Es saßen außer ihm noch seine Offiziere und zwei Männer an demselben. Man hörte sie sprechen, ohne aber die einzelnen Worte verstehen zu können.

»Ich muß hin, unbedingt hin!« sagte ich mehr zu mir als zu dem Emir. Ach muß wissen, was sie reden.«

»Um Allahs willen, was fällt dir ein! Du würdest verloren sein. Man müßte dich ja sehen!«

»Nein. Ich habe mich schon unter ganz anderen Verhältnissen angeschlichen. Hier ist es geradezu ein Kinderspiel.«

»Ich sage dir, mich bringst du keinen Schritt weiter!«

»Das will ich auch nicht; ich gehe allein. Zwischen hier und dem Feuer stehen in gerader Linie zwei starke Bäume, deren Stämme einen ganz geraden, breiten Schatten hinter sich werfen. Krieche ich in diesem Schatten auf der Erde hin, so bin ich von dem Boden gar nicht zu unterscheiden. Dazu habe ich erst den ersten und dann den zweiten Baum als Deckung. Dieser letztere hat in Manneshöhe, auf der nach uns gerichteten Seite, einen starken Ast. Schwinge ich mich da hinauf, so sitze ich, hinter Zweigen und Blättern verborgen, höchstens fünfzehn Schritte vom Feuer entfernt und kann alles hören, was gesprochen wird.«

»Und wie kommst du dann zurück?«

»Auf demselben Wege, auf dem ich hingekommen bin.«

»Nein, Effendi, ich gebe es nicht zu! Ich will nicht haben, daß du dein Leben wagst.«

»Wage ich es nicht morgen, wenn wir kämpfen? Wagt es da nicht jeder? Warum also gerade jetzt nicht? Und wie nun, wenn dadurch, daß ich es jetzt wage, der Kampf vermieden werden kann?«

»Hältst du das für möglich?«

»Ja. Vielleicht erfahre ich etwas, was mich veranlaßt, eine Disposition zu treffen, nach welcher von seiten der Gegner jeder Widerstand vergeblich ist.«

Er griff nach mir, um mich zurückzuhalten; aber er war nicht schnell genug gewesen. Ich war rasch hinter dem Busche hervorgetreten, hatte mich niedergeduckt und kroch nun im dunkeln Schatten vorwärts. Es war gar keine Kunst. Um rechten Qualm zu erzeugen und die Stechfliegen abzuhalten, wurden feuchte Äste in die Feuer geworfen; dies gab einen Rauch, der zuweilen so dick war, daß man nicht hindurchzusehen vermochte. Er zog sich, da die Sumpfluft schwer und drückend war, zuweilen ganz nahe am Boden hin. Solche Augenblicke benutzend, kam ich an den ersten, dann an den zweiten Baum und saß oben in den Ästen und Zweigen desselben, bevor seit dem vergeblichen Griffe des Reïs Effendina zwei Minuten vergangen waren. Ich hatte es außerordentlich glücklich getroffen, denn eben hatte ich mich zurechtgesetzt und spitzte die Ohren, da hörte ich weiter vorn ein Rufen, welches meine Aufmerksamkeit sogleich auf sich zog.

»Der Scheik, der Scheik el Beled!« hörte ich sagen. »Er ist da! Endlich ist er angekommen!«

Wahrhaftig, da kam er, vom hintersten Feuer her, ein Kamel am Zügel führend. Man hatte ihm dort gesagt, wo er Ibn Asl finden werde. Die Disziplin hielt die Leute ab, ihm zu folgen. Er ließ sein Tier sich legen und trat an das Feuer, wo er mit sichtlicher Genugthuung bewillkommnet wurde. Ich ahnte, um was es sich handelte. Er hatte nach uns ausspähen müssen. Einer von Ibn Asls Leuten hätte dies nicht thun dürfen, denn hätte ich ihn gesehen, so hätte ich ihn auch erkannt und wäre mißtrauisch geworden. Begegnete uns aber der Scheik el Beled, so standen demselben mehrere Ausreden zu Gebote, denen ich wohl Glauben schenken konnte.

»Setz‘ dich, und berichte!« forderte ihn Ibn Asl auf. »Hast du sie gesehen?«

»Nein,« antwortete der Gefragte, indem er Platz nahm.

»Nicht? Dann hast du mich falsch berichtet. Sie kommen entweder später als morgen oder wohl gar nicht.«

»Sie kommen!« behauptete der Scheik mit Bestimmtheit. »Ich habe ihre Fährte gesehen.«

»Hat man die Fährte, so hat man bald auch den Mann. Du hättest nicht ruhen sollen, bis du sie wirklich sahst.«

»Es war zu spät, denn es wurde dunkel. Der Effendi hatte mit seinem Ben Nil eine sehr sichtbare Fährte gemacht. Ich folgte ihr. Sie lief immer schnurgerade fort und bog dann plötzlich mehr nach Süden. Er muß nach dem Bir Safi geritten sein. Heute früh paßte ich auf. Sie mußten kommen, aber sie kamen nicht. Ich wartete bis gegen Mittag, und da ich sie auch bis dahin nicht gesehen hatte, nahm ich an, daß sie ganz unerwartet eine andere Richtung eingeschlagen hatten. Dies konnte nur die nördliche sein. Wenn ich gerade nach Norden ritt, mußte ich also auf ihre Spur stoßen, da sie sich später doch östlich wenden mußten. So geschah es auch. Der Abend war nahe, als ich auf die Fährte traf, welche nach Osten führte.«

»Natürlich gerade auf den Dschebel Arasch Qol zu?«

»Nein, sonderbarerweise nicht. Wenn sie von da aus immer in gerader Richtung geritten sind, haben sie den Dschebel weit südlich von sich liegen lassen.«

»Warum das? Der Effendi hat bei dem Geringsten, was er thut, seine Absicht!«

»Hier liegt keine besondere Absicht vor. Sie haben sich einfach geirrt. Es ist ja niemand aus dieser Gegend bei ihnen. Der Fessarah, welcher ihnen als Führer dient, kann unser Gebiet unmöglich genau kennen.«

»Aber der Effendi selbst! Aus allem, was er dir gesagt hat, geht hervor, daß er den Dschebel und auch den Maijeh kennt.«

»Er ist ein Fremder, ein Christenhund, von soweit her, daß er wohl nur ein einziges Mal dort gewesen sein kann. Da ist es ja gar nicht zu verwundern, wenn ein Irrtum vorkommt. Sie werden schon noch nach Süden eingebogen sein.«

»Sie werden – –! Mir wäre es lieber, wenn du sagen könntest: Sie sind – –! Dann hätte ich Gewißheit. Du hättest ihnen weiter folgen sollen!«

»Das war unmöglich, denn ich hätte, da der Abend nahe war, ihre Spur nicht mehr sehen können. Auch mußte ich unbedingt hierher zu dir, da du auf Nachricht wartetest. Bedenke, welche Strecken ich in dieser kurzen Zeit habe zurücklegen müssen! Ein gewöhnliches Kamel hätte dies unmöglich leisten können. Es war nur gut, daß du mir erlaubtest, deine Dschebel-Gerfeh-Stute zu besteigen. Die ist wie ein Sturm mit mir über die Steppe gegangen.«

Also er hatte die berühmte weiße Kamelstute des Sklavenjägers geritten, die Stute, welcher Ibn Asl das Gelingen so vieler Unternehmungen zu verdanken hatte! War es ihm doch auch nur durch ihre unvergleichliche Schnelligkeit gelungen, mir damals am Wadi el Berd zu entkommen! Aber das Kamel, welches der Scheik jetzt mitgebracht hatte, besaß die gewöhnliche Farbe der ordinären Kamele. Wie war das zu erklären? Hatte er kurz vor seiner Ankunft hier die weiße Stute mit einem andern Hedschihn vertauscht? Ich wurde sogleich über diesen Punkt aufgeklärt, denn Ibn Asl fragte:

»Wenn der Giaur gewußt hätte, daß meine Kamelstute bei dir steht, daß ich stets, wenn ich zu Schiffe gehe, sie bei dir lasse, da ich sie dann unmöglich mitnehmen kann! Er hat sie doch nicht etwa gesehen?«

»Nein. Und wenn er sie gesehen hätte, so hätte er sie doch nicht erkannt, denn so oft du sie mir übergiebst, wird sie gefärbt, damit niemand weiß, welches berühmte Tier ich bei mir habe. Schau sie an! Ist sie von einem gewöhnlichen Hedschihn zu unterscheiden?«

»Allerdings! Ich würde mich schämen, wenn sie einem solchen ähnlich sähe. Siehe doch nur die Formen! Ein Kenner merkt doch sofort, welch ein Tier sie ist. Aber das ist jetzt Nebensache. Wir haben nicht von meinem Kamele, sondern von diesem Effendi und seinen Leuten zu sprechen. Warum soll übrigens die Stute hier hungrig liegen! Sie hat einen weiten Weg gemacht und mag fressen. Fesselt ihr die Vorderbeine kurz, damit sie sich nicht weit entfernen kann!«

Einer von den beiden Männern, weiche bei ihm saßen, stand auf, um diesen Befehl auszuführen. Die herrliche Stute durfte weiden. Ich beobachtete ihre Bewegungen fast mit noch mehr Aufmerksamkeit als derjenigen, mit welcher ich auf die Worte ihres Herrn hörte. Dieses Kamel, ah, es mußte mein werden! Lieber wollte ich Ibn Asl selbst entkommen als seine Stute laufen lassen!

Er war sichtlich von dem Resultate, welches der Scheik el Beled ihm brachte, enttäuscht. Er fuhr fort:

»Da du die Stelle nicht kennst, an der die Gefangenenkarawane lagert, so ist unser erster Plan nicht auszuführen. Jammerschade! Zwanzig Asakerhunde! Und wir zählen fünfmal mehr! Wie leicht hätten wir sie draußen auf der freien Steppe umzingeln können!«

Ah, da hörte ich es ja! Ich hatte ganz richtig gedacht. Wie gut, daß ich diesen Umweg nach Norden, Osten und endlich Süden gemacht hatte. Wären wir in gerader Richtung geblieben, so hätte Ibn Asl uns überfallen, heute abend schon, bevor wir den Dschebel Arasch Qol erreichten! Der Scheik antwortete auf den ihm gemachten Vorwurf:

»Wahrscheinlich ist es gut für uns, daß dies nicht geschehen ist. Du kennst den Effendi. Er ist wachsam und versäumt keine Vorsicht. Überraschen hätten wir ihn unmöglich können.«

»Aber eingeschlossen wäre er worden, eingeschlossen von hundert Mann! Bedenke das! Er hätte sich auf Gnade oder Ungnade ergeben müssen, ohne die Hand rühren zu können!«

»Glaube das nicht! Der und sich ergeben! Du kennst ihn ja noch besser als ich. Ich bin überzeugt, daß du an der Wahrheit deiner eigenen Worte zweifelst. Es wäre gewiß zum Kampfe gekommen. Rechne, daß jeder Askari nur einen von uns erschossen hätte! Auf den Effendi aber mußt du mehrere rechnen. Ich bin sogar überzeugt, daß der Giaur sich sofort persönlich gegen dich gewendet hätte.«

»Mich hätte er gar nicht gesehen. Ich weiß, was ich mir schuldig bin. Ich bezahle meine Leute gut; dafür müssen sie kämpfen. Meine Sicherheit aber ist allzu wichtig für sie, als daß sie verlangen könnten, daß ich mich selbst am Kampfe beteilige. Das ist nicht Mutlosigkeit, sondern Berechnung, Vorsicht von mir. Meinst du, ich hätte mich dahin gestellt, wo die Kugeln pfeifen mußten? Aber wenn sie wirklich kommen, so werden sie unser, ohne einen Schuß thun zu können.«

»So triff die Vorbereitungen ja nicht etwa zu spät. Der Effendi sagte, daß er eine Stunde nach dem Gebete der Morgenröte am Dschebel Arasch Qol ankommen werde, und er hält gewiß Wort. Also muß die Abteilung, welche du nordwärts senden willst, spätestens um Mittei nacht hier abgehen.«

»Ich sende sie schon vorher ab. Du bist also der Überzeugung, daß sich diese Leute im Regenbette verstecken können, ohne bemerkt zu werden?«

»Ja. Geht man nur einige Minuten in diesem Bette aufwärts, so erweitert es sich und ist da mit Kittr-Büschen angefüllt, die eine prächtige Deckung bieten. Wenn dann, wenn der Tag anbricht, einer auf den Felsen steigt, kann er die Karawane kommen sehen. Man läßt sie vorüber, um ihr dann langsam und unbemerkt zu folgen, bis sie sich zwischen den steilen Wänden des Dschebel und den Krokodilen des Maijeh auf dem schmalen Wege befindet. Diese unsere Abteilung befindet sich hinter der Karawane; unsere anderen Leute stehen schon vor derselben bereit, und gerade dann, wenn die Gefangenen in den Sumpf geworfen werden sollen, lasse ich als Führer der ersteren Abteilung den ersten Schuß hören. Das Ergebnis ist nicht zweifelhaft. Der Effendi muß einsehen, daß er von einer übermächtigen Anzahl Feinde eingeschlossen ist und daß Widerstand der reine Wahnsinn sein würde. Er wird sich ergeben. Um ihm dies zu erleichtern, kannst du ja auf Bedingungen eingehen, welche du dann nicht zu halten brauchst.«

Das war ja ganz vortrefflich! Dieser Scheik el Beled wollte nach demselben Regenbette, in welches ich mich in Hinterhalt hatte legen wollen. Die Falle, welche mir gestellt werden sollte, war genau diejenige, welche ich ihnen legen wollte. Wie gut, daß ich gegen den Willen des Emir herbeigeschlichen war, um zu lauschen.

»Wieviel Mann giebst du mir mit?« fragte der Scheik weiter.

»Wieviel brauchst du?«

»Die Hälfte von deinen hundert wäre eigentlich richtig, aber ich brauche sie nicht und begnüge mich mit weniger.«

»Ich gebe dir vierzig, so bleiben mir sechzig. Ihr marschiert eine Stunde vor Mitternacht ab, also vielleicht in einer Stunde. Ist es notwendig, daß wir in gegenseitiger Verbindung bleiben?«

»Nein. Es wäre überhaupt schwer, dieselbe zu unterhalten. Sie müßte um den langen Maijeh herum stattfinden, und das würde viel zu viel Zeit erfordern. Der Plan ist ja so einfach. Sobald es Tag wird, besetzest du die Südseite des Busens. Die Karawane kommt von Norden her, und ich folge ihr. Sobald ihr meinen Schuß hört, ist die richtige Zeit gekommen. Welch ein Glück, daß der Effendi zu spät nach Hegasi kam! Der Reïs Effendina war soeben fort. Hätten sie sich getroffen, so wäre der Emir dageblieben, und wir hätten es ruhig geschehen lassen müssen, daß dein Vater mit den übrigen Gefangenen in den Sumpf geworfen wurde. jetzt haben wir alles Nötige besprochen, und ich will versuchen, ein wenig zu schlafen, denn ich bin von dem langen Ritte ermüdet. Wecke mich, wenn meine Abteilung zum Marsche bereit steht!«

Er legte sich nieder, und ich konnte mich entfernen. Es war klar, daß ich nichts Wichtiges mehr zu hören bekommen würde. Darum benutzte ich einen Augenblick, in welchem zwischen meinem Baume und dem Feuer sich wieder eine Rauchwolke niedersenkte, schwang mich herab, legte mich zu Boden und kroch schnell zurück. Ich kam, ohne bemerkt zu werden, bei dem Emir an, welcher noch auf derselben Stelle hinter dem Busche stand.

»Effendi, ich habe fast um dich gezittert!« meinte er. »Diese Verwegenheit konnte dir ans Leben gehen.«

»O nein! Du wirst sogleich hören, daß sie mir außerordentliche Vorteile gebracht hat. Ich kenne den ganzen Plan der Leute.«

Ich teilte ihm mit, was ich erlauscht hatte. Als ich zu Ende war, flüsterte er mir erregt zu:

»Sie gehen in die Falle; sie gehen hinein, Effendi! Aber durch welche List bekommst du den Scheik mit seinen vierzig Mann vor dich, anstatt daß er dir folgt?«

»Durch die List ist da nichts zu erreichen. Ich muß sie gefangen nehmen.«

»Das ist gefährlich, da es nicht ohne Angriff und Gegenwehr geschehen kann!«

»Gar nicht gefährlich! Ich besetze den Platz, ehe diese Leute kommen. Sie müssen sich entweder ergeben oder bis auf den letzten Mann erschießen lassen.«

»Aber du hast nur zwanzig Asaker bei dir!«

»Diese brauche ich unter den jetzigen Verhältnissen freilich alle zur Bewachung der Gefangenen. Kannst du mir auch vierzig Köpfe mitgeben?«

»Ganz gern!«

»Dir bleiben immer noch genug. Wenn es Tag geworden ist, besetzt Ibn Asl den schmalen Paß. Du folgst ihm.. Ich komme, indem ich die Gefangenen unter guter Bewachung zurücklasse, von Norden her, und so haben wir die Gegner zwischen uns. Ich sage jetzt ganz dasselbe, was vorhin der Scheik sagte: Wenn du den ersten Schuß hörst, ist die Zeit gekommen.«

»Gut, dann werfe ich mich auf den Feind.«

»Aber eins muß ich dir sehr ans Herz legen: Ich hörte, daß Ibn Asl sich nie am Kampfe zu beteiligen pflegt. Vielleicht bleibt er auch hier zurück. Sorge ja dafür, daß er nicht entkommt. Beauftrage lieber eine kleine Abteilung von vielleicht zehn Mann, speziell auf ihn zu sehen und ihn nicht entwischen zu lassen!«

»Ich werde mein möglichstes thun. Wann soll ich dir die vierzig Männer geben?«

»Gleich! Gehe zurück und stelle sie mir bereit! Ich werde dir bald folgen.«

»Du willst nicht gleich mit mir gehen? Warum?«

»Weil ich mir die weiße Dschebel-Gerfeh-Stute des Sklavenhändlers holen will.«

»Laß sie doch! Du könntest dadurch alles verderben. Wenn man dich dabei erwischt, sind wir verraten.«

»Mich erwischen? Pah!«

»Aber wenn man merkt, daß sie fehlt, muß man auf einen Dieb, also darauf schließen, daß Menschen anwesend sind. Das muß doch jedenfalls Mißtrauen erwecken.«

»Man wird zunächst meinen, daß die Stute schlecht gefesselt worden und zu weit fortgelaufen ist, sich aber morgen leicht wieder finden lassen wird. Ich habe außer dem hohen Werte dieses Kameles noch einen andern triftigen Grund, mich seiner zu bemächtigen. Wenn nämlich Ibn Asl sich nicht direkt am Kampfe beteiligt, so kann er dir trotz aller Vorsicht, die du anwendest, entschlüpfen. Hat er dann die Stute, so kann kein Mensch ihn einholen; habe ich sie, so ergreife ich ihn, er mag dagegen machen und versuchen, was er will.«

»Das ist richtig; aber ich befürchte nur, daß du bemerkt wirst.«

Er widerstrebte nur noch kurz und entfernte sich dann. Ich schlich mich in einem Bogen jenseits des Feuers hinüber. Das Hedschihn stand im Dunkeln bei einem Busche, dessen Blätter es knusperte. Es ließ mich ganz ruhig herankommen. Dieser Ibn Asl verstand es nicht, ein solches Tier zu erziehen; es hätte bei meiner Ankunft fliehen oder wenigstens laut schnauben müssen. Ich band ihm die Vorderfüße los, schlang den Leitstrick vom Halfter und führte es fort. Es folgte so gutwillig, als ob es mir gehörte. Auf einem Umwege kehrte ich nach meinem früheren Standorte zurück und schritt dann dem Hegelikwalde zu, wo der Reïs Effendina mich in großer Spannung erwartete. Die vierzig Mann standen schon bereit.

»Allah! Es ist gelungen,« sagte er. »Effendi, du bist ein sehr gefährlicher Kameldieb; man sollte dich lebenslänglich einsperren lassen!«

»Verzeihe mir, hoher Vertreter der ägyptischen Gerechtigkeit; ich stehle nur bei Dieben und Räubern!« lachte ich. »Ich werde sofort aufbrechen. Aber, sind diese Leute mit Material versehen? Wir werden sehr wahrscheinlich vierzig Gefangene zu binden haben.«

»Es ist alles da. Wir haben das Nötige vom Schiffe mitgebracht.«

»So lebe wohl, und morgen früh ein siegreiches, fröhliches Wiedersehen!«

»Allah gebe es!«

»Laß Ibn Asl nicht entkommen!« warnte ich ihn noch; dann ging es vorwärts; einer der Asaker führte mein Kamel, ein anderer hatte das weiße Hedschihn am Halfter.

Erst den einzelstehenden Hegelik aufsuchend, schlug ich dann denselben Weg ein, den ich gekommen war. Natürlich ging es jetzt viel langsamer als vorher, da ich ritt. Es vergingen mehrere Stunden, ehe wir das Nordende des Sumpfes erreichten und dasselbe dann westlich umschritten. Jetzt sahen wir die dunkle, kompakte Masse des Berges vor uns liegen. Ich nahm meine Erinnerung zusammen, um das Regenbett nicht zu fehlen. Zweimal ging ich irre, fand es dann aber doch.

Jetzt galt es zunächst, die beiden Kamele, welche wir nicht weiter mitnehmen konnten, zu verstecken. Ich führte sie eine genügende Strecke fort, pflockte sie da fest und ließ einen Wächter bei ihnen zurück. Dann stiegen wir das Regenbett empor, bis wir den Kessel erreichten.

Die Wände desselben waren nicht allzu steil. Dreißig Mann mußten hinauf und sich dort rundum verteilen. Sie erhielten den Befehl, sich völlig laut- und geräuschlos zu verhalten, bis ich selbst den Angriff beginnen würde. Sie sollten möglichst hinter Steinen Deckung suchen, um, falls die Feinde sich verteidigen würden, von deren Kugeln nicht getroffen zu werden. Sollte einer der Gegner noch während der Dunkelheit hinaufgestiegen kommen, so war er von zweien oder dreien zu empfangen, am Halse festzuhalten, um nicht schreien zu können, und mit dem Messer unschädlich zu machen.

Mit den vierten Zehn ging ich eine kurze Strecke zurück und erstieg dann die halbe Höhe des Ufers des Regenbettes. Dort setzten wir uns nieder, um den Scheik el Beled mit seiner Schar vorüber zu lassen und dann zu folgen.

Elf Uhr nachts hatte er aufbrechen wollen; unser Marsch hatte kurz nach zehn Uhr begonnen. Wir hatten also höchst wahrscheinlich eine Stunde zu warten; aber es dauerte länger, viel länger. Er kam erst kurz vor Tagesgrauen. Er hatte sich nicht zu sehr beeilt, da er ja wußte, daß meine Karawane erst eine Stunde nach der Morgenröte kommen werde. Wir hörten sie an uns vorüberschreiten, stiegen dann leise von der Höhe herab und folgten ihnen. Nahe am Eingang des Kessels blieben wir halten. Die Sklavenjäger glaubten sich natürlich allein und sprachen laut miteinander. Sie lagerten sich um und zwischen die Büsche und bewiesen durch ihr munteres Lachen, daß sie sich in sehr guter, siegesgewisser Stimmung befanden.

Der Scheik war in Beziehung auf die Lustigkeit trotz der Würde, welche er eigentlich zu bewahren hatte, allen voran. Er scherzte übermütig und sprach von der Beute, welche zu machen sei, und von der Verteilung derselben. Wie ich später erfuhr, war ihm für seine Mitwirkung ein reicher Anteil versprochen worden. Der brave Mann hatte sich verspekuliert; er bekam etwas ganz anderes.

Der Tag mußte in ganz kurzer Zeit anbrechen, da hörte ich ihn sagen, daß er nach der Morgenröte ausschauen wolle. Ich glaubte, er werde innen, an der Wand des Kessels, emporsteigen, aber er kam durch den Ausgang heraus und auf uns zu.

»Bückt euch nieder!« raunte ich meinen Leuten zu, indem ich mich selbst schnell niederkauerte. Der Scheik sollte uns nicht zu früh bemerken. Er kam in langsamen Schritten heran; fast stieß er schon an mich, da fuhr ich vor ihm auf und nahm ihn mit beiden Händen am Halse.

»Nur die Hände binden, nicht die Füße!« befahl ich den Asakern. Sie gehorchten.

Ich drückte ihm den Hals nicht so fest zu, daß er die Besinnung verlor, und drohte ihm leise an das Ohr.

»Ein Laut von dir, und das Messer fährt dir in das Herz! Willst du schweigen, so nicke!«

Er nickte. Es war von ihm kein Widerstand zu fürchten; der Schreck war mächtiger als die Energie, und es zeigte sich später, daß er ein Feigling war, der nur für den Verrat, nicht für den Kampf paßte und die Führung der vierzig Sklavenjäger nur übernommen hatte, weil er überzeugt war, bei uns keinen Widerstand zu finden.

Acht Mann ließ ich stehen; zwei mußten mit mir den Scheik im Regenbette zurückführen, bis soweit, daß unsere Stimmen im Kessel nicht gehört werden konnten. Die beiden Asaker hielten ihn hüben und drüben fest. Ich hatte mein Messer in der Hand, ließ ihm die Spitze desselben auf der Brust fühlen und fragte ihn:

»Kennst du mich?«

»Ja. Du – du bist der – der Effendi,« stammelte er. »Warum behandelst du mich wie einen Feind? Du hast mir ja gesagt, daß du die Obrigkeit in mir achtest.«

»Und du hast das geglaubt! O du größter und oberster aller Dummköpfe! Nur ein so hirnloser Mensch wie du durfte glauben, daß er mich täuschen könne. Aber während du überzeugt warst, mich zu übervorteilen, habe ich dir einen Fuß gestellt, über den du nun stürzest.«

»Du bist nun im Irrtume, bei Allah, im Irrtume! Ich bin als dein Freund, als dein Gönner und Bewunderer gekommen.«

»Und die vierzig Männer, welche du bei dir hast, sind sie auch meine Bewunderer, Gönner und Freunde?«

»Ja. Ich habe sie in der Umgegend von Hegasi gesammelt und hierher geführt, um dir gegen deine Feinde beizustehen.«

»Gegen meine Gefangenen, willst du sagen! Gegen sie brauche ich keine Hilfe. Und warum versteckt ihr euch hier?«

»Nur um dich da zu erwarten. Ich weiß nicht, wie du auf den Gedanken kommst, diese Männer für Leute von Ibn Asl zu halten!«

»Schweig!« unterbrach ich ihn. »Dein Doppelspiel ist durchschaut. Mit dem heutigen Tage wird ihm ein Ende gemacht. Ich habe dich erkannt, sofort als ich dich sah. Du hattest keine Ahnung, daß ich dich täuschte. Du borgtest Ibn Asl dein Pferd; das hat dich verraten. Als ich mit Ben Nil im Boote zu dir kam, war ich schon vorher bei dem Reïs Effendina auf seinem Schiffe gewesen und hatte dich angezeigt. Er war dann ebenso freundlich zu dir wie ich; wir thaten das, um Ibn Asl durch dich hierher zu locken. Es ist uns gelungen, weil deine Dummheit fast noch größer ist als deine Schlechtigkeit. Jetzt ist Ibn Asl da, der Reïs Effendina aber auch. Dieser wird jenen ebenso nehmen, wie ich jetzt dich genommen habe. Wir schließen Ibn Asl mit seinen sechzig Männern gerade so auf dem Felsenwege ein, wie ihr mich einschließen wolltet. Ich habe gestern, ohne daß ihr es wußtet, mit bei euerm Feuer gesessen und alles gehört, deinen Bericht und auch das, was darauf besprochen wurde.«

»Das ist unmöglich!« entfuhr es ihm, ohne daß er daran dachte, daß in diesen Worten ein Geständnis enthalten sei.

»Ich will es dir beweisen. Du kamst auf der gefärbten Kamelstute; sie legte sich nieder. Ibn Asl befahl einem der beiden Männer, die außer ihm, dir und den Offizieren mit dort saßen, sie aufstehen zu lassen und ihr die Vorderbeine zu fesseln, damit sie fressen könne. Ist sie dann nicht vermißt worden?«

»Ja. Sie war fort; sie hat sich verlaufen.«

»Nein, sie hat sich nicht verlaufen, denn ich habe sie mitgenommen. Das werde ich dir gleich auch beweisen.«

Und mich an den einen der beiden Asaker wendend, fragte ich ihn: »Kannst du ein Kamel reiten?«

»Ganz gut, Effendi,« antwortete er.

»Im Norden von Maijeh lagern deine Kameraden mit den Gefangenen. Hole sie alle schnell herbei. Du gehst jetzt das Regenbett hinab, wendest dich links und wirst in einiger Entfernung auf die Wache treffen, welche ich bei den beiden Kamelen zurückgelassen habe. Findest du sie nicht gleich, so kannst du rufen. Du besteigst die Dschebel-Gerfeh-Stute des Sklavenhändlers und reitest gerade ostwärts, am Ende des Maijeh vorüber. Bis dahin ist es Tag geworden, und du wirst meine Spur sehen, welche dich genau nordwärts nach dem Lager führt. Spute dich, und treibe auch die andern zur größten Eile an!«

Er ging. Ich fuhr zu dem Scheik fort:

»Jetzt hast du gehört, wo unser Lager ist. Du wolltest es gestern erforschen, damit wir auf offener Steppe überfallen würden; ich aber ahnte das und schlug einen Umweg ein. Während du mich im Westen suchtest, war ich längst im Norden von hier. Daß der ehrliche Mann stets gescheiter ist und weiser handelt als der Verbrecher, das könnt und wollt ihr nicht eher glauben, als bis es euch zu eurem Schaden bewiesen wird. jetzt hast du genug gehört. Willst du noch leugnen?«

»Effendi, wie viele Asaker befinden sich jetzt hier bei dir?« fragte der Feigling.

»Mehr als genug, um euch zu vernichten. Wir kamen eine Stunde vor euch hier an und haben die Höhen und, wie du bemerkt hast, auch den Eingang des Kessels so besetzt, daß nicht ein einziger von euch zu fliehen vermag. Du, der Anführer, bist bereits gefangen. Wenn du deinen Leuten befiehlst, ihre Waffen auszuliefern und sich uns zu ergeben, so will ich meinen Einfluß bei dem Emir für dich verwenden, daß deine Strafe eine möglichst milde wird.«

»Allah ‚l Allah! Die Waffen abliefern. Sich ergeben! Vierzig Mann!«

»Ja, das klingt freilich anders als vorhin, da ihr so siegesgewiß bereits die Beute verteiltet! Beantworte meine Frage! Ich habe keine Zeit. Sage ja, so erhaltet ihr wenigstens das Leben; sage nein, so schießen wir euch alle über den Haufen!«

»Effendi, sei gütig, sei gnädig! Laß mich die Zahl deiner Leute sehen!«

»Du glaubst mir nicht? Ich lüge nicht; das muß dir genug sein.«

»O, du bist schlau! Was du nicht durch Gewalt fertig bringst, das suchst du durch List zu erreichen. So wird es auch hier sein, denn – – O Allah, o Muhammed! Da haben wir’s! Da geht es schon los!«

Vom Kessel herab erklang ein wüstes Geschrei. Schüsse knallten; dann wurde es ebenso plötzlich ruhig.

»Da hast du den Beweis der Wahrheit meiner Worte,« sagte ich. »Komm! Du wirst meinem Körper als Schild dienen. Wenn jemand auf mich schießt, trifft die Kugel dich. Das merke dir!«

Ich zog ihn mit mir fort, wieder das Regenbett hinauf. Am Eingange des Kessels standen die acht Asaker, die Gewehre schußbereit in den Händen. Der Tag graute; man konnte jetzt zur Genüge sehen. In jenen Gegenden bricht der Tag ebenso schnell herein wie die Nacht.

»Was hat’s gegeben; warum ist geschossen worden?« fragte ich.

»Da es hell geworden ist,« antwortete man mir, »wollten einige drin im Kessel emporklettern; unsere Leute verboten es von oben herab, und da nicht gehorcht wurde, so haben sie geschossen.«

»Wie steht es drin? Es ist ja schnell still geworden!«

»Die Sklavenjäger haben sich unter die Büsche verkrochen.«

»Da siehst du, welchen Mut deine Helden besitzen,« sagte ich zu dem Scheik. »Komm mit herein! Beim geringsten Anlasse aber stoße ich dir das Messer in den Leib.«

Ich hatte das Messer in der Rechten, nahm ihn mit der Linken beim Genick und schob ihn vor mir her, in den Kessel hinein. Auf einen Wink folgten mir die neun Asaker.

»Nun schaue einmal da hinauf, und sehe dir die Flinten an!« forderte ich den Scheik auf.

Die Asaker steckten hinter Felsen oder hatten Steine vor sich aufgebaut. Man sah von ihnen nichts als die Läufe der Flinten, welche von allen Seiten nach unten gerichtet waren. Ein Blick auf die Büsche brachte mich beinahe zum Lachen, obgleich meine Lage keine ungefährliche war. Wie leicht konnte einer auf mich schießen! Aber es gab keinen, welcher den Mut dazu hatte. Sie wußten übrigens noch gar nicht, von wem sie eingeschlossen waren; sie hatten nur die Gewehrläufe gesehen und sich sofort versteckt. Als ob die Büsche sie hätten schützen können! Hier sah ein Arm, ein Ellbogen, dort ein Schuh, ein nackter Fuß unter dem Grün hervor; sie alle lagen still; keiner regte sich.

»Wo hast du denn deine Helden?« fragte ich den Scheik. »Fordere sie doch einmal auf, hervorzukommen und sich zu verteidigen!«

»Der Effendi, der fremde Effendi!« klang es unter den Büschen heraus.

»Ich gebe dir nur eine Minute Zeit,« fuhr ich fort. »Hast du sie bis dahin nicht aufgefordert, die Waffen auszuliefern, so bekommst du das Messer bis an das Heft in den Leib.«

»Werde ich begnadigt?« fragte er.

»Ich verspreche dir Milde. Mehr kannst du nicht verlangen. Die Gnade steht beim Reïs Effendina. Schnell, schnell, ehe die Minute vergeht!«

Er wandte sich unter meinem Griffe hin und her; ich hob das Messer wie zum Stoße, da schrie er voller Angst:

»Laß mich los, Effendi! Ich werde thun, was du von mir forderst.«

»Von Loslassen ist keine Rede, denn du bist mein Gefangener. Befiehl deinen Leuten, einzeln hierher zu kommen, um die Waffen abzugeben und sich binden zu lassen, sowie du auch selbst gebunden wirst. Zeigt einer nur die geringste verdächtige Bewegung oder Miene, so bekommt er von den Leuten, welche da oben liegen, eine Kugel. Nun mach rasch; ich habe keine Zeit!«

Die Todesangst veranlaßte ihn, den betreffenden Befehl zu erteilen. Seine Leute gehorchten, indem einer nach dem andern unter dem Gesträuch hervorgekrochen kam. Nach Verlauf einer Viertelstunde waren sie alle entwaffnet und gefesselt. Der erste Akt des heutigen Dramas hatte sich ganz nach meiner Erwartung und ganz so, daß wir zufrieden sein konnten, abgespielt.

Nun galt es, die Ankunft meines Ben Nil mit der Karawane zu erwarten. Ich stieg das Regenbett hinab und setzte mich draußen nieder. Es verging fast eine Stunde, ehe ich sie kommen sah. Ben Nil ritt mit dem Boten, der auf dem Kamele saß, voran. Als sie mich erblickten, trieben sie ihre Tiere an, um noch vor der Karawane bei mir anzukommen.

»Effendi, wir hatten Sorge um dich,« meinte der treue Jüngling, als er sein Tier bei mir niederknieen ließ und aus dem Sattel sprang. »Du kehrtest bis zum Morgen nicht zurück, und da glaubten wir, es sei dir ein Unfall passiert. Sind die Feinde in deine Hände geraten?«

4a. Wissen eure Gefangenen davon?«

»Nein, denn dein Bote hat leise mit uns gesprochen. Aber sie haben die Dschebel-Gerfeh-Stute gesehen und müssen sich sagen, daß sie Ibn Asl, ihrem Herrn, abgenommen worden ist. Daraus können sie natürlich schließen, daß es ein Ereignis gegeben hat, welches demselben, wenn nicht gefährlich, so doch wenigstens unwillkommen gewesen ist. Wo sind die Leute, welche du ergriffen hast?«

»Sie stecken da oben in einer Schlucht. Wir werden deine Gefangenen zu ihnen bringen, die Kamele aber unter der Aufsicht einiger Leute hier unten lassen.«

Als die Karawane ankam, wurden die Gefangenen von den Kamelen gebunden; die Füße ließen wir ihnen frei, damit sie nach dem Kessel des Regenbettes laufen könnten. Man sah es ihnen an, daß der Anblick des Kameles sie mit Befürchtungen erfüllt hatte. Sie warfen auffällig forschende Blicke umher und tauschten leise Fragen und Antworten aus. Nur der Fakir el Fukara und Abd Asl gaben sich den Anschein, als ob sie nichts bemerkt hätten und sich ganz sicher fühlten.

»Effendi,« fragte der erstere, »warum werden wir hierher gebracht? Was sollen wir hier?«

»Ich will euch eine frohe Überraschung bereiten,« antwortete ich.

»Spottest du unser? Es scheint, daß wir etwas Frohes von dir nie zu erwarten haben. Ich bin durch die Schuld eines der obersten Teufel in deine Gewalt geraten, und obgleich ich dir nichts gethan habe, schleppst du mich wie ein wildes Tier mit dir herum. Du bist weder Herr meiner Person noch Besitzer meiner Rechte. Ich verlange, daß du mich losbindest und mir ein Kamel giebst, wie du mir versprochen hast, damit ich in meine Heimat reiten kann.«

»Wo ist diese Heimat?«

»Für jetzt in Chartum.«

»So gedulde dich nur noch eine kleine Weile; dann wirst du in Begleitung vieler deiner Freunde nach dort reiten können.«

»Ich mag keine Begleitung. Ich bin allein zu dir gekommen und will auch wieder allein gehen. Du mußt mich fortlassen, denn du hast keine Macht über mich.«

»Und über uns auch nicht!« behauptete Abd Asl.« Woher nimmt der Reïs Effendina die Erlaubnis, dir seine Rechte abzutreten? Und wenn er dies thun dürfte, warum schleppst du uns nach allen möglichen Richtungen hier in der Steppe herum? Ich verlange, nach Chartum gebracht zu werden!«

»Dieser Wunsch wird dir sehr bald in Erfüllung gehen,« sagte ich ihm.

»Wann aber denn? Heute haben wir einen Umweg hierher machen müssen. Meinst du etwa, daß dies klug von dir gehandelt ist? Wenn du meinem Sohne begegnest, was doch sehr leicht geschehen kann, so bist du unbedingt verloren.«

»Ich bin ihm schon wiederholt begegnet, ohne verloren gewesen zu sein.«

»Du hattest ein Glück, welches du gewiß nicht wieder haben wirst. Läufst du ihm noch einmal in den Weg, so bist du von Allah gerichtet! Du weißt, wie viele Krieger er bei sich hat. Hier in der Steppe könntest du nicht gegen ihn aufkommen. Er würde dich mit deinem Häuflein zerdrücken! Der Prophet kann unmöglich dulden, daß ein Christ sich ungestraft so über uns erhaben dünkt. Das Schwert seiner Rache flammt schon über dir. Wer weiß, nach wie wenigen Augenblicken schon es dich treffen und zerschmettern wird!«

»Ich werde dir zeigen, über wem es flammt. Folgt mir jetzt diesen Weg hinauf!«

Die Kamele waren abgesattelt worden und weideten im Grase. Drei Asaker blieben bei ihnen zurück. Die andern Soldaten nahmen die Gefangenen zwischen sich und führten sie hinter mir her das Regenbett empor. Es läßt sich denken, wie die letzteren erschraken, als sie, oben angekommen, vierzig Kameraden gefangen an der Erde liegen sahen. Abd Asl schrie vor Wut laut auf und überflutete mich dann mit solchen Grobheiten und Beleidigungen, daß mein Ben Nil sich sofort der Peitsche bediente, um ihn zum Schweigen zu bringen. Die andern verhielten sich still; sie wurden alle wieder an den Füßen gebunden und zu den übrigen gelegt.

Jetzt konnte ich aufbrechen. Die zwanzig Mann, welche ich mit bei den Fessarah gehabt hatte, blieben da, um die Gefangenen und die Kamele zu bewachen; die vierzig, welche mir der Reïs Effendina gestern mitgegeben hatte, begleiteten mich. Eigentlich sollte Ben Nil die ersteren befehligen; aber er bat mich so dringend, ihn mitzunehmen, daß ich ihm die Erlaubnis dazu gab. Ich konnte dem Fessarah-Führer und dem alten Asaker, welcher den Befehl über seine Kameraden schon einmal geführt hatte, gar wohl das nötige Vertrauen schenken. An eine Überrumpelung war nicht zu denken, und da die Gefangenen gut gefesselt waren, so gab es gar keinen Grund, die zwanzig Asaker, deren Treue unzweifelhaft war, noch durch einen besondern Vertrauensmann überwachen zu lassen. Sie hätten sich überhaupt dadurch beleidigt fühlen können.

Es war bestimmt worden, daß ich eine Stunde nach der Morgenröte den Dschebel Arasch Qol erreichen werde. Als wir jetzt aufbrachen, war es etwas später, was aber keineswegs von Nachteil sein konnte. Ich schärfte den zurückbleibenden Asakern auf das entschiedenste ein, gute Wache zu halten, gab ihnen für gewisse Fälle, deren Eintreten immerhin im Bereiche der Möglichkeit lag, bestimmte Verhaltungsmaßregeln und war nun überzeugt, daß keine Unregelmäßigkeit, kein Fehler, vorkommen werde. Es war mir undenkbar, damit einen Fehler begangen zu haben, und doch hatte ich mich, wie sich später zeigte, eines zu großen Vertrauens schuldig gemacht.

Während ich mich gestern auf der Ostseite des Maijeh gehalten hatte, marschierten wir jetzt auf seiner westlichen Seite nach Norden. Der Raum zwischen ihm und dem Berge war hier von der Breite einer Viertelstunde, doch gab es verschiedene Aus- und Einbuchtungen, durch welche diese Breite zeitweilig verringert oder vergrößert wurde. Der Berg war oben kahl und nur an seinem Fuße mit Grün bestanden. Je weiter wir kamen, desto höher stieg er an und desto steiler wurden seine Felsen, auch trat der Maijeh immer weiter zu ihm heran.

Nachdem wir längere Zeit gegangen waren, näherte sich der Sumpf von rechts her so weit, daß wir stellenweise nur zu zweien nebeneinander gehen konnten. Vor uns tauchten einzelne Laubbäume auf, deren Blätter unpaarig gefiedert waren. Ich erkannte sie schon von weitem. Es waren die Gafulbäume, welche uns andeuteten, daß wir uns der Stelle näherten, an welcher wir auf Ibn Asl und seine Leute zu treffen rechneten. Als ich Ben Nil, welcher neben mir ging, darauf aufmerksam machte, sagte er: »Wollen wir nicht halten bleiben, Effendi? Es muß einer heimlich vorkriechen, um zu erkunden, wo die Sklavenjäger stecken.«

»Das ist überflüssig. Es ist ja heller Tag.«

»Aber du hast dich auch schon bei Tage angeschlichen!«

»Weil das Terrain es mir erlaubte. Hier aber ist die Örtlichkeit, auf welcher man sich bewegen kann, zu schmal. Ibn Asl hat jedenfalls einen Posten ausgestellt. Dieser braucht nur auf den schmalen Weg zu achten, um einen etwaigen Kundschafter von uns sofort gewahren zu können. Nein, wir marschieren ruhig weiter.«

»Dann laufen wir ihnen doch gerade in die Hände!«

»Das will ich ja! Man wird keineswegs sofort auf uns schießen, sondern uns anrufen. Ibn Asl will mich lebendig haben; er hat jedenfalls Befehl gegeben, nicht auf mich zu schießen. Wenn ich also vorangehe, seid ihr sicher. Bleib mit den andern ein wenig zurück, und laß mich ungefähr dreißig Schritte weit vor euch herschreiten. Wenn ich stehen bleibe, so bleibt auch ihr solange halten, bis ich euch befehle, heranzukommen.«

»Ich muß dir leider gehorchen, möchte aber lieber an deiner Seite bleiben, denn die Entscheidung liegt ganz nahe vor uns.«

»Noch nicht. Ibn Asl wird sich nicht eher zeigen, als bis wir uns mitten in der eigentlichen Enge befinden, die wir noch gar nicht betreten haben.«

»Aber wenn der Reïs Effendina dann noch nicht zur Stelle ist!«

»So hätte es auch keine Gefahr für uns. Wir würden ihm Ibn Asl zutreiben. Zu befürchten wäre für uns nichts, da wir ja keinen Feind hinter uns haben. Es wäre nur der eine Nachteil zu befürchten, das Ibn Asl uns entkommen könnte.«

Wir setzten den Weg in der angedeuteten Weise fort. Ich ging allein voraus, und die andern folgten mir in der angegebenen Entfernung. Als ich die ersten Gafulbäume passiert hatte, bog der hier nun ganz schmal werdende Weg scharf nach rechts ab, denn die bereits erwähnte Bucht des Sumpfes begann hier an dieser Stelle. Sie trat von links her weit in den Felsen hinein. Dieser stieg senkrecht empor und bildete, um mich so ausdrücken zu dürfen, einen halben Hohlcylinder, an dessen Wand der Fuß eines Menschen unmöglich zu haften vermochte. Zu meiner linken Hand lag der Sumpf, vollständig mit Omm Sufah bedeckt, zwischen welcher einzelne freie, ölig glänzende Wasserstellen wie triefende Hexenaugen zu mir heraufstarrten. Von der obern Kante der Felsen waren Steine abgebrochen und heruntergestürzt. Sie lagen neben- und übereinander, von feuchtem Moose überzogen oder von verwesenden, stinkigen Pflanzenresten bedeckt, durch oder über welche der oft ausgleitende Fuß nur mit Vorsicht schreiten durfte.

Wer hier von vorn und zugleich von hinten angegriffen wurde, der konnte sich unmöglich wehren, der mußte sich ergeben. Rechts boten ihm die unersteiglichen Felsen keinen Weg zur Flucht, und links gähnte der Sumpf, aus dessen Schilf die widerlichen Köpfe unzähliger Krokodile glotzten. Es war so recht ein Ort des Schreckens, des Verderbens. Also ich allein sollte hier geschont werden, um für noch viel entsetzlichere Qualen aufgehoben zu sein; meine Asaker aber sollten in den Sumpf gedrängt, hineingeschleudert werden, ein Fraß für die Saurier, welche da unten in solcher Menge vorhanden waren, daß es schien, sie könnten nur dadurch das Leben fristen, daß die stärkeren die schwächeren verzehrten.

Wäre es unmenschlich gewesen, wenn ich den Sklavenjägern ganz das gleiche Schicksal bereitete? Wieviel Blut klebte an ihren Händen! Wieviele tausend und aber tausend Neger waren von ihnen unglücklich gemacht worden! Es schien mir, als sei es für sie keine zu harte, sondern nur eine sehr gerechte Strafe, sie in den Maijeh hinabzustoßen. Wie du mir, so ich dir, das ist das Gesetz der Wüste ebenso wie dasjenige der Prairie, der Savanne, der Pampas und Llanos Südamerikas, und wenn – – aber ich konnte diesen Gedanken nicht vollständig ausdenken, denn gar nicht weit von mir ertönte eine laute, gebieterische Stimme:

»Halt, keinen Schritt weiter, sonst schießen wir!«

Ich blieb stehen und blickte scharf nach vorn. Da standen zwei Gafulbäume nebeneinander, und vor denselben lagen einige große Felsstücke, hinter denen drei Männer versteckt sein mußten, denn ich sah ebensoviele Gewehrläufe, welche auf mich gerichtet waren – eine fatale Situation, denn es bedurfte dort nur eines Fingerdruckes, so fuhr mir das tödliche Blei in den Körper.

»Wer bist du denn?« fragte ich, indem ich that, als ob ich nur einen vor mir zu haben glaubte.

»Ich bin ein alter Bekannter von dir. Willst du mich sehen?« antwortete es.

»Natürlich!«

»Lege deine Waffen weg, dann trete ich hervor!«

»Daß ich ein Thor wäre!«

Ich that einen Sprung nach dem nächsten Baume, hinter dessen Stamm ich vollste Deckung fand. Diese Leute befanden sich jedenfalls in Verlegenheit. Sie waren zur rechten Zeit hier eingetroffen und warteten auf das Zeichen, welches ihnen der Scheik el Beled hatte geben wollen. Ich war ihnen auf den Leib gerückt; sie konnten mich unmöglich näher kommen oder gar vorüber lassen, und doch hatten sie sich erst dann sehen lassen sollen, wenn der Schuß des Scheiks gefallen war. Was nun thun? Durch Redensarten Zeit gewinnen? Fast schien es so, denn der Sprecher erwiderte:

»Wir können dich leicht zwingen, wenn wir nur wollen; aber du sollst auf friedliche Weise erfahren, was wir von dir verlangen.«

»So sage es!«

»So nicht. Laß deine Waffen zurück, und komm bis zu dem Steine, der mitten zwischen uns liegt! Ich werde dasselbe thun.«

»Gut, ich komme. Aber wenn ich nur die geringste Waffe, das kleinste Messer bei dir bemerke, fährst du dorthin, von wo du nicht wiederkommen kannst!«

Ich steckte die Revolver in die Hosentaschen, lehnte das Gewehr an den Stamm und legte das Messer daneben. Ich hätte die Revolver ruhig zurücklassen können, denn ich war meiner Sache vollständig sicher. Ein Blick nach rückwärts belehrte mich, daß meine Leute halten geblieben waren. Die Vordersten von ihnen, dabei Ben Nil, standen hinter einem Gebüsch, welches ein Eck bildete; sie konnten zwar von mir, nicht aber von dem, der mit mir sprach, gesehen werden. Wer dieser war, das wußte ich, denn ich hatte ihn an der Stimme erkannt. Es war der Oberlieutenant von Ibn Asl. Warum aber redete mich dieser nicht selbst an?

Ganz getrost hinter meinem Baume hervortretend, ging ich nach dem mir bezeichneten Steine und blieb dort stehen. Da ließ sich auch der Oberlieutenant sehen; er kam auf mich zu, blieb einige Schritte vor mir stehen und fragte in höhnischem Tone:

»Mich hast du hier wohl nicht erwartet?«

»Ja und auch nein,« antwortete ich ruhig. »Ich wußte, daß ich von euch hier erwartet werde. Und sage auch nein, weil ich glaubte, nicht von dir, sondern von Ibn Asl angeredet zu werden.«

»Allah! Du wußtest, daß wir hier auf dich warten?«

»Pah! Ich weiß noch mehr; ich weiß alles. Jetzt wartest du auf das Zeichen, welches der Scheik el Beled euch geben wollte. Oder ist’s nicht so, daß ein Schuß aus seiner Flinte euch den Beginn der Feindseligkeit andeuten sollte?«

»Allah ist allwissend. Er hört, sieht und kennt alles. Wie aber kannst du von dem Scheik und seiner Absicht wissen!«

»Das werdet ihr erfahren. Rufe Ibn Asl herbei!«

»Er ist nicht da.«

»Ich weiß, daß er sich hier befindet!«

»Du weißt es? So ist deine berühmte Allwissenheit doch nicht so bedeutend, wie du uns glauben machen willst. Wenn du wüßtest, wo Ibn Asl sich jetzt befindet, so würdest du dich weit weniger zuversichtlich, als du jetzt bist, zeigen!«

Diese Worte gaben mir zu denken. Hätte ich doch Ben Nil bei den Gefangenen zurückgelassen! Ich ahnte nämlich jetzt sofort, daß Ibn Asl seinen Plan, soweit es nämlich seine Person betraf, geändert habe. Er traute dem Scheik wohl nicht genug Umsicht zu und hatte darum das Kommando hier seinen beiden Offizieren übergeben und war nach dem nördlichen Ende des Maijeh gegangen, um die dortigen vierzig Sklavenhändler hinter mir herzuführen. Glücklicherweise war er zu spät dort angekommen. Wir hatten diese Leute gefangen genommen. Wenn ich mir nun auch sagte, daß er allein sie unmöglich befreien könne, so konnte er doch noch Leute bei sich haben, oder es konnte irgend ein Zufall ihm eine unvorhergesehene Gunst erweisen. Auf alle Fälle aber stand uns seine Gefangennahme nicht so sicher bevor, wie wir bisher geglaubt hatten. Natürlich ließ ich mir von meiner Besorgnis nichts merken, sondern antwortete mit einem überlegenen Lächeln:

»Wo er sich befindet, brauchst du mir nicht zu sagen. Er ist hier am Maijeh. Steht er nicht da vorn bei den sechzig Mann, so ist er zu den vierzig Mann gegangen, welche in dem Thalkessel des Regenbettes auf mich warten sollten.«

»Ja latif – du meine Güte! Er weiß es von dem Regenbette!« rief der Oberlieutenant. »Wer hat es dir verraten?«

»Ich weiß es; das ist genug. Ich habe dir schon gesagt, daß ich alles weiß. Ihr Dummköpfe solltet euch nun endlich doch einmal sagen, daß ihr mich nicht täuschen oder mir gar eine Falle, in der ich mich fange, stellen könnt. Die Falle, in welcher wir uns jetzt befinden, habe ich euch gestellt, nicht ihr uns.«

»Du? Und diese Falle?« lachte er höhnisch auf. »Ich will nicht sagen, daß Allah dich mit Blindheit geschlagen hat, denn du hast bisher nur mich sehen können; aber ich will dir mitteilen, daß du mit deinen zwanzig Asakern rundum eingeschlossen bist. Du hast uns vorhin Dummköpfe genannt, und doch ist mir noch nie im Leben so ein Dummkopf, wie du bist, vorgekommen!«

»Wirklich? Willst du mir das beweisen, du Klugkopf aller Klugköpfe?«

»Der Beweis ist sehr leicht. War es nicht die größte Dummheit, die es geben kann, daß du dem Scheik el Beled erzähltest, daß du die Absicht hattest, deine Gefangenen hierher zu führen, um sie den Krokodilen vorzuwerfen?«

»Eine Dummheit ist das gewesen? Mann, ich möchte vor Mitleid über dich weinen! Nicht eine Dummheit war es, sondern eine sehr schlaue Berechnung, welche sich in diesem Augenblicke als ganz richtig erweist.« Und nun erzählte ich ihm, wie ich es angefangen und was ich bereits erreicht hatte. Da schlug er die Hände zusammen und rief aus:

»O Allah, o Muhammed! Das – das – das soll man glauben?!«

»Wenn du es nicht glauben willst, wirst du es glauben müssen. Wo ist der Scheik mit seinen vierzig Männern? Warum giebt er nicht das verabredete Zeichen? Warum schießt er nicht?«

»Er kommt noch; er kommt ganz sicher noch! Und wenn er nicht käme, so dürftest du doch nicht triumphieren. Du hast nur zwanzig Mann bei dir; wir aber sind noch über sechzig Köpfe und werden – –«

»Nichts werdet ihr, gar nichts! Ihr könnt nichts anderes thun als euch auf Gnade und Ungnade ergeben.«

»Hältst du uns für wahnsinnig?«

»Da ihr so bereitwillig und unüberlegt in meine Falle gelaufen seid, sollte ich euch freilich für unsinnig halten. Aber du gehst mit dieser deiner Frage von einer sehr falschen Voraussetzung aus. Du glaubst, den Rücken frei zu haben; dies ist aber keineswegs der Fall, denn hinter euch steht jetzt der Reïs Effendina mit seinen Asakern.«

»Der – Reïs – Effen – dina?« stotterte er. »Du lügst!«

»Ich sage die Wahrheit. Und auch ich habe nicht zwanzig Köpfe, sondern viel, viel mehr bei mir. Zwanzig hatte ich erst, und ich habe dir ja gesagt, daß mir gestern abend der Reïs Effendina noch andere Leute mitgegeben hat. Ich fordere dich hiermit auf, die Waffen zu strecken. Wenn du dich dessen weigerst, wird mit euch geschehen, was ihr uns thun wolltet: wir werden euch den Krokodilen vorwerfen.«

»Effendi, was fällt dir ein! Du willst mich durch Lügen – –«

»Sei still, und beleidige mich nicht!« unterbrach ich ihn in strengem Tone. »Ich will die Gnade haben, dir die Wahrheit meiner Worte zu beweisen, damit unnützes Blutvergießen verhütet werde; – – Reïs Effendina –! Emir –!«

Ich rief diese beiden Namen, indem ich die beiden Hände hohl an den Mund legte, über den Busen des Sumpfes hinüber.

»Hier sind wir, Effendi, hier!« ertönte die Antwort, und zwar aus viel größerer Nähe, als ich sie zu hören geglaubt hatte.

»Nun?« fragte ich den Oberlieutenant. »Hörst du an dem Schalle, daß der Emir nicht zweihundert Schritte von mir steht?«

»War er das?«

»Wer sonst soll es gewesen sein? Mein Ruf hat ihm gesagt, daß ich da bin, und nun wird er vorwärts rücken. Ich rate dir, dich zu ergeben. Du sollst auch meine Leute sehen.«

Ich wendete mich rückwärts und winkte. Da brach Ben Nil mit seinen vierzig Asakern hinter dem Gesträuch hervor und kam schnell herbei. Die Leute hielten ihre Gewehre schußbereit. Zwar mußten sie hintereinander gehen; aber da der Weg einen Bogen machte, brauchten sie sich nicht bloß nach vorn zu richten, sondern konnten ihre Kugeln über den Busen hinüber und zu den Sklavenjägern senden. Als der Oberlieutenant diese meine Leute kommen sah, rief er aus:

»O Allah! Das sind ja fast hundert Mann! Ich lasse mich nicht von ihnen erwischen. Effendi, ich gehe, ich gehe!«

Er sprang nach den Bäumen, hinter welchen er gesteckt hatte und holte sein Gewehr. Dann eilte er noch weiter zurück, gefolgt von den beiden andern, die ihm dort Gesellschaft geleistet hatten. Wir avancierten eine kurze Strecke hinter ihm her, bis ich sah, daß es leidliche Deckung für uns gab. Ich glaubte nicht, daß es zum Kampfe kommen werde, dennoch stellte ich meine Leute so, daß sie hinter Steinen, Bäumen oder Büschen möglichst verborgen steckten.

Nun wartete ich, was geschehen werde. Ich war bereit und mußte vorerst erfahren, was auf der Seite unsers Emir geschah. Der Oberlieutenant hatte einen heilsamen Schreck erhalten. Er war von der langen Einzellinie meiner Leute so getäuscht worden, daß er sie für viel zahlreicher hielt, als sie waren. Das konnte mir nur lieb sein. Für je übermächtiger er uns hielt, desto größer mußte seine Besorgnis sein und also auch seine Bereitwilligkeit, sich zu ergeben.

Da hörte ich jenseits des Busens laute Stimmen; die Worte aber, welche gesprochen wurden, konnte ich nicht verstehen. Dann erdröhnte ein Schuß, noch einer, ein dritter und ein vierter. Menschen schrieen. Dann wurde es plötzlich wieder ruhig. Eine Viertelstunde verging. Da kam ein Mann um die Krümmung des Weges; er trug die Uniform der Asaker des Emirs. Ich trat hinter dem Baume, an welchem ich stand, hervor. Ich kannte ihn; ein Betrug war unmöglich. Als er mich sah, kam er schnell auf mich zu.

»Die Sklavenjäger haben dich durchgelassen?« fragte ich voller Hoffnung.

»Ja, Effendi; sie mußten, denn sie haben die Waffen gestreckt,« antwortete er.

»Gott sei Dank! Aber es fielen Schüsse!«

»Der Emir wollte ihnen zeigen, daß wir Ernst machen. Es sind vier von ihnen erschossen worden; dann erst baten die beiden Offiziere um Gnade. Nun sollst du mit deinen Leuten näher kommen, um mitzuhelfen, den Gefangenen die Hände zu binden.«

Auf diese Weisung hin marschierten wir vorwärts und stießen sehr bald auf die ersten Feinde. Diejenigen, welche ich sehen konnte, hielten ihre Gewehre noch in den Händen, machten aber keine Miene, sie gegen uns zu gebrauchen.

»Effendi!« hörte ich die Stimme des Emirs rufen.

»Hier!« antwortete ich.

»Die Gegner legen die Waffen nieder und werden, die Hände hinten gefesselt, immer einer an den andern gebunden, so daß sie eine Einzelreihe bilden und so auf dem schmalen Wege transportiert werden können. Laß keinen entkommen. Wir marschieren nach dem Regenbette.«

Dieses Arrangement war bei der Schmalheit des Weges das einzig richtige. Oft konnten nur zwei nebeneinander stehen. Die Stricke und Riemen zum binden, ebenso die erbeuteten Waffen, mußten von dem einen dem andern zugereicht werden. Als ich vorn fertig war und der Emir von sich dasselbe gemeldet hatte, setzten wir uns in Bewegung, zunächst meine Asaker voran, darauf die Gefangenen und dann der Emir mit seinen Leuten. Nachdem später der Weg breiter geworden war, bildeten wir aus der Einzelreihe der Sklavenjäger eine doppelte, neben welcher die Asaker hermarschierten, immer ihre Waffen zum Gebrauche bereit, um einen etwaigen Fluchtversuch zu vereiteln. Später konnten wir es uns noch bequemer machen, und da kam auch der Emir nach vorn, um mit mir zu sprechen. Er war natürlich ebenso wie ich über das Gelingen unseres Unternehmens erfreut, ärgerte sich aber auch in demselben Grade darüber, daß wir Ibn Asl nicht mit erwischt hatten.

»Wo mag er stecken?« fragte er.

»Hat der Oberlieutenant es dir nicht gesagt?«

»Er gestand mir, daß er nach dem Regenbette sei. Dieser Gedanke scheint ihm erst gegen Morgen gekommen zu sein. Vielleicht ergreifen wir ihn noch.«

»Schwerlich! Nämlich wenn er nicht schon ergriffen worden ist.«

»Von unseren Wächtern am Kessel des Regenbettes?«

»Nein, sondern von den Kamelwächtern. Ehe er den Kessel erreichen konnte, mußte er an diesen Leuten vorüber.«

»Wieviele sind es?«

»Solange ich dort anwesend war, hielt ich drei Personen für ausreichend; aber als ich fortging, befahl ich, daß noch zwei dazu kommen sollten.«

»Das genügt vollständig. Gegen fünf Mann hat Ibn Asl unmöglich etwas machen können.«

»Durch Gewalt wohl nicht, aber ob auch nicht durch List –?!«

»Welche List hätte er in Anwendung bringen können?«

»Hm! Ist er allen deinen Asakern persönlich bekannt?«

»Nein.«

»So steht zu erwarten, daß er sich für einen andern ausgegeben hat. Ist ihm Glauben geschenkt worden, so kann er uns wohl bedeutenden Schaden angerichtet haben.«

»Das ist wahr. Wollen uns beeilen!«

»Soll ich nicht lieber vorausgehen? je eher einer von uns ankommt, desto leichter ist ein etwa vorgefallener Fehler gut zu machen.«

»Ja, eile vor uns her, und nimm deinen Ben Nil mit, auf den du dich verlassen kannst! Wir kommen so schnell wie möglich nach.«

Es zeigte sich leider, daß meine Befürchtung nicht unbegründet gewesen war. Als ich mit Ben Nil an die Nordseite des Berges gelangte und da die weidenden Kamele erblickte, sah ich zugleich etwas, was mir bewies, daß nicht alles in Ordnung sei. Außerhalb des Platzes, auf welchem sich die Kamele befanden, standen fünf Wächter, und innerhalb dieses Halbkreises, da, wo das Regenbett in den Berg zu schneiden begann, gab es eine Gruppe von Menschen, welche sich nicht hier befinden durften, wenn nichts Regelwidriges geschehen war. Es waren fünf Personen. Zwei lagen an der Erde, und drei kauerten bei ihnen, indem sie sich mit ihnen beschäftigten. Als diese drei uns kommen sahen, sprangen sie auf und blieben stehen, um unser Nahen zu erwarten. Es war der Fessarahführer, der alte Askari, dem ich den Befehl übergeben hatte, und noch ein Soldat. Schon von weitem sah ich es ihnen an, daß sie sich in einer nicht ungewöhnlichen Verlegenheit befanden.

»Was ist denn geschehen?« fragte ich sie. »Warum liegen diese zwei, ohne sich zu bewegen, an der Erde?«

»Sie sind – – verwundet, Effendi,« antwortete der Alte.

»Von wem?«

»Von einem Fremden.«

»Wie ist das möglich gewesen? Kanntet ihr den Mann?«

»Nein. Ich habe ihn gar nicht gesehen, und dieser da,« – er deutete auf den Soldaten – »welcher mit Wache stand, hat ihn nicht gekannt.«

»Und die andern Wächter?«

»Ob diese den Mann gekannt haben, weiß ich nicht; ich kann sie nicht darnach fragen, da sie ohne Besinnung sind.«

»Aber das sind zwei, und dieser Soldat hier, das ergiebt drei; ich hatte aber doch befohlen, daß fünf bei den Kamelen sein sollten!«

»Effendi, es sind jetzt ja fünf Mann da!« meinte der Alte, indem er die Augen niederschlug.

»Fünf!« zürnte ich. »Jetzt sind in Summa zehn Mann hier; also befinden sich nur zehn, anstatt fünfzehn Personen droben bei den Gefangenen. Was ist das für eine Wirtschaft! Wenn du meinen Anordnungen nicht besser Gehorsam leistest, ist es freilich nicht zum verwundern, daß solche Dinge geschehen. Du bist der älteste der Asaker; aber hätte ich einem Kinde den Oberbefehl übergeben, so wären meine Weisungen jedenfalls gewissenhafter befolgt worden. Und diese beiden Männer sollen nur verwundet sein?«

»Ich denke es, Effendi; ich hoffe es, daß sie nur besinnungslos sind und bald wieder zu sich kommen.«

»Habt ihr euch mit ihnen beschäftigt?«

»Schon seit einer Stunde; sie wollen aber trotz unserer Bemühungen nicht erwachen.«

»Das glaube ich wohl. Sieh doch ihre Gesichter an! Das sind hippokratische Züge. Wollen einmal sehen!«

Ich kniete nieder, um die Verwundeten, welche in einer Blutlache lagen, zu untersuchen. Der eine war in den Hinterkopf und der andere in die Brust geschossen. Man hatte ihnen nicht einmal die Jacken geöffnet. Sie waren tot.

»Mensch,« fuhr ich den Alten zornig an, »hast du denn keine Augen gehabt! Diese beiden Leute sind nach den Schüssen, welche sie erhielten, sofort tot gewesen. Und nun will ich wissen, wie dieses Unglück geschehen konnte und wie es geschehen ist!«

»Effendi, frage den; der war dabei!«

Er deutete auf den Soldaten.

»Erzähle!« gebot ich diesem.

»Herr,« begann dieser zaghaft, »mich trifft keine Schuld; das glaube mir! Wir drei hatten eben die Wächter abgelöst – –«

»Ihr drei?« fiel ich ihm in die Rede. »Also sind es selbst nach der Ablösung trotz meines bestimmten Befehles nur drei Posten gewesen?«

»Ja; aber ich kann nicht dafür.«

»Das weiß ich, denn du warst es ja nicht, der zu bestimmen hatte. Weiter!«

»Also wir drei hatten eben die Wächter abgelöst, als wir einen Mann sahen, der um den Sumpf herum und über die Steppe kam. Seine eiligen Schritte waren gerade auf uns gerichtet; aber als er uns erblickte, blieb er wie erschrocken stehen. Dann kam er langsam auf uns zu.«

»Er war bewaffnet?«

»Ja. Ich stand ihm am nächsten und rief ihn an. Er gehorchte, blieb stehen und kam erst dann vollends heran, als ich ihm die Erlaubnis dazu erteilt hatte.«

»Das war ein Fehler. Entweder durftet ihr ihn gar nicht heranlassen, oder ihr mußtet ihn gefangennehmen.«

»Dieses letztere wollten wir ja auch, und nur darum erlaubten wir ihm, zu uns zu kommen.«

»Fragte er, wer ihr seid?«

»Ja.«

»Und du antwortetest?«

»Ja. Es gab doch keinen Grund, ihm zu verschweigen, daß wir Asaker des Reïs Effendina sind!«

»Es gab wohl Grund, und zwar allen, allen Grund! Du hast da eine Albernheit begangen, welche ganz unverzeihlich ist. Er wollte erfahren, wen er vor sich hatte, um darnach seine Antworten und Auskünfte einzurichten. Siehst du das nicht ein? Er war klüger als ihr. Ich muß unbedingt ganz genau erfahren, was geschehen ist; ich muß jedes Wort wissen, was gesprochen wurde, womöglich sogar die Reihenfolge der Fragen und Antworten. Besinne dich also, und gieb ehrlich Auskunft! Nur dadurch kannst du dir meine Verzeihung, welche du gar nicht verdient hast, erwerben. Also er fragte zuerst, was?«

»Wer wir seien. Ich sagte es ihm. Dann wollte er wissen, wo unsere Kameraden seien. Ich wollte es ihm nicht sagen, und da teilte er mir mit, daß er ein Freund des Emirs sei.«

»Das glaubtest du?«

»Nicht sofort. Ich war vorsichtig, Effendi, und sagte ihm in das Gesicht, daß seine Worte Lügen seien. Da aber begann er, sehr stolz zu sprechen. Er behauptete, ein Eilbote des Gouverneurs von Chartum zu sein; er sei an den Reïs Effendina abgesandt, um diesem höchst wichtige Befehle zu bringen.«

»Der Gouverneur von Chartum hat dem Emir nichts zu befehlen!«

»Das wußte ich nicht. Er gab sich für einen hohen Offizier, nämlich für einen Mir Alaj aus und sprach in einer so befehlshaberischen Weise zu uns, daß wir ihm Glauben schenken mußten.«

»Mußten? Wenn ein Hund dich anbellt, anstatt demütig zu winseln, mußt du ihn deshalb für einen Löwen halten? Doch weiter! Er hat sich jedenfalls nach allem erkundigt?«

»Ja. Er kannte auch dich und sprach so freundlich von dir, daß unser Mißtrauen völlig schwand. Er wollte wissen, wo du seist, wo die Gefangenen sich befänden; kurz, wir mußten ihm alles, alles sagen.«

»Daß die Gefangenen da oben im Kessel des Regenbettes sind?«

»Ja. Wir mußten ihm erzählen, wie die vierzig Mann heute früh in unsere Hände geraten seien.«

»So erfuhr er auch, daß der Reïs Effendina sich hier am Maijeh befindet und wieviel Asaker er bei sich hat?«

»Auch das.«

»Sagtet ihr auch, in welcher Weise wir In Asl fangen wollten?«

»Darnach fragte er uns ganz besonders und eindringlich.«

»Nun, da haben gerade die richtigen Kerle für ihn dagestanden. Er konnte sie sich gar nicht dümmer und leichtgläubiger wünschen! Wo habt ihr nur eure Köpfe und eure Gedanken gehabt! Diesem fremden Manne alles, alles zu sagen, anstatt ihn festzunehmen und ihm bis zu meiner Rückkehr alles zu verheimlichen, wie es eure Pflicht und Schuldigkeit war! Wie sah er aus?«

»Er trug einen weißen Haïk, Effendi.«

»Seine Gestalt?«

»Er war nicht lang, aber sehr breit.«

»Sein Gesicht?«

»Es war ganz von einem schwarzen Vollbart bedeckt.«

»Dachte es mir! Weißt du denn, du Sohn, Enkel und Urenkel eines Großvaters der Albernheit, mit wem du da gesprochen und wem du diese wichtigen Dinge verraten hast? Ibn Asl war es, der berüchtigte Sklavenjäger, der Anführer unserer Feinde in eigener Person!«

»Allah w’Allah! Wäre es möglich?!«

»Natürlich! Denn bei dir ist alles möglich, selbst die allerunmöglichste Kopflosigkeit, wie du ja bewiesen hast! Was that er denn, nachdem du ihm eine so schöne und ausführliche Auskunft erteilt hattest?«

»Er verlangte mit demjenigen zu sprechen, dem du das Kommando hier übergeben hättest.«

»Gut! Weißt du denn, was eigentlich nun geschehen mußte?«

»Was, Effendi? Ich glaube keinen Fehler gemacht zu haben.«

»Hättet ihr richtig gehandelt, so stände es jetzt hier anders. Während einer von euch hier bei den Kamelen blieb, mußten die beiden andern ihm die Waffen abfordern und ihn dann in die Mitte nehmen, um ihn zu dem Kommandierenden zu bringen. Habt ihr dies etwa gethan?«

»Nein, das nicht.«

»Und warum nicht?«

»Weil er befahl, es sollte einer von uns gehen, um den Kommandanten zu holen.«

»Und wer ging?«

»Ich.«

»Das hat dir das Leben gerettet. Drei waren ihm doch zu viel und zu gefährlich; darum schickte er einen fort, um mit den andern leichter fertig werden zu können. Erzähle weiter!«

»Ich ging. Ich hatte doch noch Verdacht gegen ihn und blieb, als ich mich zwischen den hohen Ufern des Regenbettes befand, stehen, um zu überlegen, ob es nicht vielleicht besser sei, ihn gleich mitzunehmen. Indem ich so darüber nachdachte, hörte ich zwei Schüsse schnell hintereinander fallen. Das war bei den Kamelen. Ich sprang auf das eiligste zurück und sah diesen Mann das weiße Hedschihn besteigen; meine beiden Kameraden aber lagen an der Erde. Wie du jetzt gesagt hast, sind sie von ihm erschossen worden.«

»Schossest du nicht nach ihm?«

»Natürlich! Ich legte mein Gewehr sofort auf ihn an und zielte nach seinem Kopfe; aber die Kugel ging leider fehl, und dann war er mit dem Kamele so schnell und so weit fort, daß ihn meine zweite Kugel gar nicht erreichen konnte.«

»Wohin ritt er?«

»Dahin, woher er gekommen war.«

»Also östlich?«

»Ja; er verschwand hinter dem Sumpfe.«

»Und dann?«

»Dann kam der Alte hier, denn er hatte die Schüsse auch gehört. Ich erzählte ihm, was geschehen war. Da stellte er fünf Wächter her, und wir gaben uns Mühe, die Toten aufzuwecken, haben aber, bis du kamst, keinen Erfolg gehabt.«

»Ja, jeder Dummkopf macht erst dann, wenn es zu spät ist, seine Fehler gut! Ihr seid schuld am Tode eurer Kameraden und an dem Entkommen des Sklavenjägers. Ich will nicht mit euch rechten, sondern dies dem Reïs Effendina überlassen. Ich will lieber versuchen, eure Thorheit ungeschehen zu machen, obgleich ich überzeugt bin, daß dies fast unmöglich ist. Helft mir schnell, mein und Ben Nils Kamel zu satteln; sie sind die schnellsten von allen. Wir werden Ibn Asl nachreiten. Du aber, Alter, kehre jetzt zu den Gefangenen zurück! Da du nur zehn Wächter bei ihnen gelassen hast, könnte zu dem ersten Unfalle leicht noch ein zweiter kommen. Dem Reïs Effendina melde, daß ich wohl nicht sehr lange fortbleiben werde.«

Zwei Minuten später saßen wir im Sattel und ritten nach dem Sumpfe, hinter dessen nördlichem Ende, wie wir gehört hatten, Ibn Asl verschwunden war.

Am Wadi el Berd, als ich und Ben Nil den Sklavenjäger auf seinem weißen Kamele verfolgten, hatten wir auf denselben Tieren gesessen, welche wir heute noch ritten. Es war uns damals unmöglich gewesen, die weiße Dschebel-Gerfeh-Stute einzuholen; sie war unsern Tieren noch heute ganz in derselben Weise überlegen. Da wird man nun mit gutem Grunde fragen, wie es kam, daß ich dennoch den Versuch machte, Ibn Asls habhaft zu werden. Ich wollte mich einfach nicht auf die unzulängliche Schnelligkeit meiner Kamele, sondern auf meine List verlassen. Ben Nil folgte dem soeben bezeichneten Gedankengange, als er, während wir zunächst langsam nebeneinander herritten, mich fragte.

»Effendi, meinst du wirklich, daß wir Ibn Asl einholen? Denke an damals, als wir ihn am Wadi el Berd verfolgten! Wir saßen auf den schnellsten Hedschihn, welche der Reïs Effendina aufzutreiben vermocht hatte, und doch verschwand Ibn Asl auf seinem weißen Kamele vor uns, wie eine Sternschnuppe hinter dem Horizonte verschwindet.«

»Das ist richtig; aber ich will ihn nicht verfolgen, sondern er soll mir in die geöffneten Arme laufen. Ich behaupte, er ist noch hier.«

Bei diesen Worten deutete ich hinaus in die nordwärts von uns liegende Steppe.

»Da wäre er der größte Thor, den ich mir denken kann!«

»O nein! Du hast die Erfahrung gemacht, daß meine Berechnungen, selbst wenn sie einmal kühner als gewöhnlich sind, meist stimmen.«

»Das ist wahr. Ob aber auch die jetzige?!«

»Ibn Asl schwamm schon im Siegesrausche, desto größer wird jetzt seine Enttäuschung sein. Er hat, als er hörte, was geschehen war, oder vielmehr was geschehen sollte, sich nicht in den Kessel des Regenbettes zu seinen gefangenen Genossen getraut; er sah ein, daß er verspielt habe und sein Heil nur in der Flucht suchen müsse. Entkommen konnte er aber nur durch die Schnelligkeit seines Kameles. Es war ihm gestern abhanden gekommen; aber er sah es vorhin hier bei den unserigen weiden. Da mußte ihm der Gedanke kommen, sich wieder in den Besitz desselben zu setzen. Es ist ihm gelungen, indem er die Wächter bethörte. Auf dem Rücken dieses unvergleichlichen Tieres weiß er sich nun vor jeder Verfolgung sicher, da kein anderer Reiter ihn einzuholen vermag. Aus diesem Grund braucht er es mit der Flucht nicht so eilig zu nehmen, sondern er kann das thun, was ihm nächst der Rettung seiner eigenen Person am meisten am Herzen liegen wird, nämlich nachforschen, was aus seinen Leuten geworden ist. Es liegt ja im Bereiche der Möglichkeit, daß sie nicht in unsere Hände geraten sind. In diesem Falle braucht er nicht zu fliehen, sondern kann uns im Gegenteile noch höchst gefährlich werden. Er wird unsere Rückkehr belauschen. Wenn unser Zug zwischen dem Sumpfe und dem Berge hervorkommt, um den letzteren nach dem Regenbette hin zu umbiegen, bietet er einen so offenen Anblick, daß ein heimlicher Beobachter sogleich erkennen muß, wie die Verhältnisse liegen.«

»Aber einen heimlichen Beobachter kann es doch da gar nicht geben, weil sich hier niemand verstecken kann.«

»Da täuschest du dich eben. Die offene Steppe bietet ein außerordentlich gutes Versteck, eben weil sie offen ist. Hinter einem Busche oder Baume kann man einen Lauscher vermuten und suchen; sage mir aber mit Sicherheit genau den Punkt, wo ich einen auf der Steppe verborgenen Menschen antreffen werde!«

»Du hast im allgemeinen recht; aber Ibn Asl hat ein weißes Kamel, welches ihn verraten würde.«

»Du ziehst nicht in Betracht, daß es jetzt gefärbt ist.«

»Ja, das hatte ich vergessen. Aber er trägt einen weißen Haïk, den man unbedingt sehen muß.«

»Den zieht er aus.«

»So giebt es aber doch noch einen Einwand, den du mir wohl nicht widerlegen wirst. Wenn er uns beobachten will, muß er doch so nahe herankommen, daß er uns deutlich sehen kann; dann sehen aber auch wir ihn.«

»Ich habe auf der ›Eidechse‹ ein Schiffsfernrohr gesehen; das hatte er mit, wie ich gestern abend, als ich ihn am Feuer beobachtete, bemerkt habe. Mit Hilfe desselben kann er uns aus einer Entfernung beobachten, welche für unsere bloßen Augen zu groß ist, als daß wir ihn da sehen könnten. Er hat dieses Rohr jedenfalls auch vorhin umhängen gehabt. Leider dachte ich nicht daran, mich darnach zu erkundigen. Also ich stelle mir das so vor: Er ist ein tüchtiges Stück fortgeritten und dann wieder umgekehrt, bis er dem Regenbette so nahe war, daß er es durch das Rohr beobachten kann. Dort stieg er ab; sein Kamel mußte sich legen, und er hält nun das Rohr auf die Gegend gerichtet, aus welcher unser Zug kommen muß.«

»Dann sieht er aber doch jetzt uns beide, Effendi!«

»Allerdings; jedoch das schadet nichts. Er ahnt ja nicht, was wir beabsichtigen. Nun fragt es sich, wohin er dann, wenn er uns beobachtet hat, seinen Ritt oder vielmehr seine Flucht wenden wird.«

»Jedenfalls nilaufwärts nach der Stelle, an welcher er sein Schiff liegen hat.«

»Das denke ich auch. Hier unten muß er seine Sache verloren geben. Er ist ganz allein und hat keine Leute, um uns die Gefangenen abzujagen. Er findet sein Heil nur in der schleunigsten Entfernung. Er wird zunächst sein Schiff aufsuchen und dann, entweder mit diesem Schiffe oder auf seinem viel schnelleren Kamele nach Faschodah gehen, wo Freunde und Verbündete auf ihn warten. Dort und in der Gegend Fanakama kann er neue Leute anwerben, um sein schmachvolles Handwerk weiter zu treiben. Daraus geht hervor, daß er von hier aus südwärts reiten wird, ungefähr in der Richtung nach Hegasi zu, woher er j a auch gekommen ist. Darauf gründe ich meinen Plan, bei dessen Ausführung du mir helfen sollst.«

»Ich werde alles, was du willst, gern thun, Effendi. Gieb mir nur deine Befehle!«

»Wenn er wirklich das thut, was ich erwarte, so kann ich mir ungefähr denken, an welcher Stelle er sich jetzt befindet. Unser Zug kommt zwischen dem Berge und dem Maijeh hervor und wendet sich dann links. Dieser Gegend gegenüber muß Ibn Asl Posto fassen, wenn er alles deutlich sehen will. Die Breite, in welcher sich sein Versteck befindet, kenne ich also, und die Länge ergiebt sich aus der Tragweite seines Fernrohres. Da, wo die Länge mit der Breite sich schneidet, habe ich ihn zu suchen.«

»Das verstehe ich nicht, und ich bitte dich also, es mir zu erklären!«

»Das ist nicht notwendig; du brauchst mich nicht so genau zu verstehen, da du ihn nicht aufsuchen sollst; das werde vielmehr ich thun. Ich umreite ihn, so daß er keinen Verdacht faßt, komme dann in seinem Rücken zurück und stöbere ihn auf. Er wird fliehen, und zwar in südlicher Richtung. Diese hast inzwischen du verfolgt. Du bist an einer Stelle, an welcher er voraussichtlich vorüberkommen muß, abgestiegen. Dein Tier liegt am Boden; du auch; er kann euch also nicht eher sehen, als bis es zu spät ist. Sobald er nahe genug ist, zielst du auf sein Kamel und schießest es nieder.«

»Warum nicht ihn?«

»Er mag noch so schlecht sein, bleibt aber doch ein Mensch. Und sein Kamel ist zwar kostbar, aber doch nur ein Tier. Es wird stürzen; er springt auf, um zu fliehen, und du steigst schnell in den Sattel. Dann haben wir ihn zwischen uns, denn du bist vor und ich bin hinter ihm; er muß sich ergeben.«

»Er wird auf uns schießen!«

»Glaube das nicht! Ich werde dafür sorgen, daß er das nicht wagt. Wollte er im Ernste ziele, so würde meine Kugel ihn treffen, bevor er abzudrücken vermag. Ich hoffe, du hast mich begriffen!«

»Ja. Aber wo ist die Stelle, an welcher ich anhalten soll, an welcher er deiner Ansicht nach vorüberkommen wird? Ich bin sehr begierig, zu erfahren, wie du das in der offenen Steppe bestimmen willst.«

»Es ist leichter als du denkst.«

»Wirklich, Effendi? Er reitet nach Süden, ja; aber wieweit er sich dabei östlich oder westlich hält, das kannst du nicht wissen.«

»Wenn ich es noch nicht weiß, so berechne ich es mir. Zu weit nach Osten kann er nicht gehen, weil das ein Umweg wäre und ihn zugleich in die Nähe des Niles bringen könnte, wo er gesehen würde; er wird sich also eher soweit wie möglich nach Westen halten. Da aber sendet der Sumpf einen langen, schmalen Arm in die Steppe hinein, über den er nicht kann, den er also umreiten muß. Er wird, das bin ich überzeugt, hart am Ende dieses Sumpfarmes vorüberkommen, und dort ist es, wo du ihn zu erwarten hast.«

»Ist das weit von hier?«

»Gar nicht. Wir befinden uns am nördlichen Ende des Sumpfes. Blicke nach Südost, so wirst du dort am Horizonte eine dunkle Linie sehen!«

»Ich sehe sie, Effendi.«

»Das sind die Büsche, welche diesen Arm des Sumpfes markieren. Da, wo links diese Linie aufhört, ist auch der Sumpf zu Ende, und dort hältst du an.«

»So weiß ich, was ich zu thun habe. Ich soll natürlich jetzt sogleich hin?«

»Ja. Aber mach keinen Fehler! Ziele gut, damit du keinen Fehlschuß thust.«

»Du weißt, daß ich nicht schlecht schieße, Effendi.«

Wir trennten uns. Er ritt nach Süden und ich nach Norden, in die Steppe hinaus. Wenn Ibn Asl wirklich ungefähr da lag, wo ich ihn vermutete, so mußte er, wie bereits erwähnt, mich sehen und sich also fragen, weshalb ich diesen Ritt unternahm. Höchst wahrscheinlich kam er nicht auf die Idee, daß derselbe ihm gelte; ich hielt ihn nicht für klug genug, mir eine solche Berechnung zuzutrauen; dennoch hielt ich mich mehr nach Westen, um ihm nicht allzu nahe zu kommen. Hätte er schon jetzt meine Absicht bemerkt, so wäre er geflohen, und ich hätte ihn nicht Ben Nil zutreiben können.

Als ich mich soweit, wie meiner Vermutung nach sein Fernrohr trug, von dem Berge entfernt hatte, mußte ich mich sehr wahrscheinlich in gleicher Breite mit ihm befinden, und hielt nun mehr östlich hinüber, aber nur nach und nach, damit es ihm nicht auffallen möge. Ich ritt noch einmal so weit, als ich bisher gekommen war, bog dann um und wendete mich zurück, nach Süden, auf die Gegend zu, welche mir nun einmal als sein Aufenthalt oder Versteck im Sinne lag. Ich trieb mein Tier zum schärfsten Gange an, um Ibn Asl so wenig wie möglich Zeit zu lassen, und nahm mein Gewehr vom Sattelknopfe. Vielleicht gelang es mir doch, ihn so zu überrumpeln, daß ich auf sein Tier zum Schusse kam.

Dabei rechnete ich darauf, daß er seine Aufmerksamkeit vorzugsweise nach der Richtung wenden werde, in welcher unsere Asaker erscheinen mußten. Ich war außerordentlich gespannt, zu erfahren, ob ich meine Berechnung in die Luft geschrieben hatte oder nicht. In die Steppe reiten, um einen Menschen zu fangen, der sich gar nicht in derselben befindet, das hätte mich denn doch geärgert und wohl auch ein wenig – blamiert.

Glücklicherweise sollte ich wenigstens dieser Blamage entgehen, denn plötzlich bemerkte ich da vorn vor mir eine Bewegung im Grase. Ich sah ein Kamel am Boden liegen; ein Mann sprang in den Sattel; das Tier schnellte sich auf und rannte fort.

Also war er doch dagewesen! Er hatte gerade und genau da gelegen, wo meine Vermutung ihn gesucht hatte. Jetzt schoß er gerade vor mir her, drehte sich nach mir um und schwang höhnisch die Flinte über dem Kopfe, gerade wie damals, als er mir am Wadi el Berd entfloh. Schießen konnte oder vielmehr wollte ich nicht; ich hätte ihn vielleicht noch treffen können, aber die Entfernung war doch zu groß, als daß ich meiner Kugel hätte sicher sein können.

Es fiel mir auf, daß er nicht in die Richtung floh, welche meiner Erwartung entsprochen hätte. Er hielt sich mehr rechts, als ob er gerade nach dem Regenbette reiten wolle. Die Ursache blieb mir nicht lange verborgen. Nämlich eben jetzt waren unsere Asaker zu sehen, welche mit ihren Gefangenen anmarschiert kamen. Er hielt gerade auf dieselben zu, um so viel wie möglich sehen zu können. Um mich schien er sich gar nicht zu kümmern.

Ich war überzeugt, daß er sich nur so weit an sie wagen werde, daß er noch außerhalb ihrer Schußweite blieb. Dann aber mußte er sich wieder nach links wenden, um an dem Sumpfe vorüberzukommen. Er hatte trotz der kurzen Zeit schon einen bedeutenden Vorsprung gewonnen und hielt jetzt sogar an, um besser beobachten zu können. So sehr verließ er sich auf die Schnelligkeit seines Tieres. Ich benutzte dies, um ihm später näher zu kommen; ich ritt nicht gerade auf ihn zu, sondern wendete mich mehr nach dem Maijeh. Ich konnte ihm dadurch den Weg freilich nicht abschneiden, aber doch die Entfernung zwischen uns verringern und dadurch vielleicht zum Schusse kommen.

Unsere Asaker sahen ihn; sie sahen auch mich und vermuteten, daß er ein Feind sei. Sie erhoben ein lautes Geschrei; er antwortete ihnen in derselben Weise und sah sich dann nach mir um. Da bemerkte er, daß ich ihm zuvorkommen wollte, und trieb sein Tier wieder an. Er kam jetzt schräg auf meine Richtung zu. Welch ein herrliches Kamel war diese Dschebel-Gerfeh-Stute! Sie warf die Distanzen nur so hinter sich! Ich kam nicht zum Schusse und trieb mein Hedschihn mit Schlägen zur äußersten Eile an. Es that sein möglichstes, aber von Schritt halten oder gar einholen konnte keine Rede sein.

Zu meiner Genugthuung hielt Ibn Asl jetzt ganz genau die Richtung ein, welche ihn zu Ben Nil führen mußte. Ich trachtete noch weiter nach links, um ihn zu veranlassen, mehr rechts zu bleiben und ihn also an das Ende der erwähnten Zunge des Sumpfes zu drängen. Dabei kam es darauf an, seine Aufmerksamkeit soviel wie möglich von vorn abzulenken, damit er Ben Nil nicht zu zeitig erblicken möge. Deshalb rief ich hinter ihm drein, gab ihm die gröbsten Schimpfnamen, kurz, machte einen Skandal, der weit über die Steppe hin zu hören war. Er wendete sich einigemale nach mir um und antwortete mit einem schallenden Gelächter. Dieser Lärm hatte zugleich die gute Wirkung, Ben Nil auf unsere Annäherung aufmerksam zu machen.

Wir ritten so schnell, daß es schien, als ob die Büsche, bei denen ich den letzteren wußte, auf uns zugeflogen kämen. Der Sklavenjäger war noch zwölfhundert, noch tausend, noch acht-, noch sechshundert Schritte davon entfernt. Er mochte dem Sumpfe doch nicht recht trauen, denn er bog mehr nach links ab, um ihm noch weiter auszuweichen. Er war auf vier-, auf dreihundert Schritte heran und bog immer weiter ab. Auf diese Weise kam er soweit von Ben Nil vorüber, daß dieser gar nicht treffen konnte.

Da sah ich diesen hinter den letzten Sträuchern hervorkommen und, das Gewehr in der Hand, gerade in die Steppe hinein- und auf Ibn Asl losrennen. Dieser sah ihn natürlich ebenfalls und faßte Verdacht. Er lenkte seitwärts, aber sein Kamel war so im Schusse, daß es noch eine Strecke geradeaus rannte, ehe es die Wendung zu machen vermochte. Zu gleicher Zeit blieb Ben Nil stehen, legte an und schoß. Ich sah den Rauch seines Gewehres, hörte den Schuß und sah, daß die weiße Stute mitten im Rennen hielt, als ob sie einen Schlag von vorn erhalten habe. Dann raffte sie sich auf und flog, von ihrem Reiter mit der Flinte angetrieben, davon, als ob sie aus einem Kanonenrohre geschossen worden sei. Da krachte Ben Nils zweiter Schuß hinter ihr her, doch ohne zu treffen. Ibn Asl jagte an der Sumpfzunge vorüber – – er war uns entkommen. Einige Sekunden später hatte ich Ben Nil erreicht und hielt bei ihm an.

»Effendi,« rief er, »ich kann nichts dafür; ich habe das Kamel getroffen. Hast du es nicht gesehen? Es blieb mitten im Laufe für einen Augenblick stehen.«

»Ich habe es gesehen,« antwortete ich, indem ich abstieg. »Dein erster Schuß traf, der zweite aber nicht.«

»Auch diesen hatte ich gut gezielt!«

»Zu spät abgedrückt!«

»Aus Überraschung, Effendi. Kann man ohne Erstaunen bleiben, wenn man genau weiß, daß man getroffen hat, und doch läuft das Tier ganz unverletzt davon. Ich weiß, daß ich getroffen habe. Das Tier muß in kurze ‚ r Zeit niederfallen. Ich habe gerade auf die Brust gezielt.«

»Wollen sehen, ob wir Blut finden.«

Wir folgten der Spur eine ganz bedeutende Strecke, doch ohne einen einzigen roten Tropfen zu bemerken. Der Reiter verschwand indessen am südlichen Horizonte. So schnell hätte das nicht geschehen können, wenn das Kamel schwer verletzt gewesen wäre.

»Vielleicht war es ein Streifschuß, der nur die Haut berührte,« sagte ich.

»Nein, Effendi; ich bin meiner Sache so sicher, daß ich bei Allah, dem Propheten und allen Kalifen schwören kann, daß ich die Brust getroffen habe. Bedenke, daß die Entfernung nur fünfzig, höchstens sechzig Schritte betrug! Wie wäre da ein Streifschuß möglich?«

»Aus Aufregung. Aber ich halte dies selbst auch nicht für möglich. Ein Streifschuß hätte dem Kamele nicht einen solchen Ruck nach hinten gegeben. Du mußt es voll getroffen haben. Laß uns einmal suchen! Vielleicht ist die Kugel an irgend etwas abgeglitten.«

Die Stelle war leicht zu erkennen, da das Kamel mit den Zehen den Boden aufgerissen hatte. Wir suchten im Grase, und wirklich, da glänzte uns etwas metallisch entgegen. Ich hob es auf, es war die plattgedrückte Kugel aus Ben Nils Gewehr.

»Wie schade, jammerschade!« rief dieser aus. »Sie muß an einem festen Gegenstande breitgedrückt worden sein.«

»So ist es,« bestätigte ich. »Ich habe gesehen, daß der Brustriemen des Kameles mit Platten und großen Knöpfen verziert war. Die Kugel ist an einen dieser Gegenstände aufgetroffen. Du siehst, wie gut es gewesen wäre, wenn du schnell zum zweitenmal geschossen hättest.«

»Verzeihe mir, Effendi! Ich war wirklich ganz betroffen, als ich das Tier nicht fallen sah.«

»Ärgere dich nicht über diesen wirklichen Schuß, sondern über den, den du dann nicht abgefeuert hast!«

Die Betrübnis verschwand allmählich aus seinem Angesichte. Er holte sein Kamel aus dem Gesträuch, in welchem er es versteckt gehabt hatte, hervor. Wir stiegen auf und ritten nach dem Regenbette. Wir sahen schon von weitem, daß dort ein sehr reges Leben herrschte. Man hatte die früheren und heute erst Gefangenen aus dem Kessel geholt und sie den neuen zugesellt. Sie saßen, nur an den Händen gefesselt, auf der offenen Steppe im Grase und waren von zahlreichen Wächtern umstellt. Nahe dabei lagerten die Asaker. Unweit von ihnen hatte sich der Emir mit seinen Offizieren niedergelassen, und hinter diesen Gruppen weideten die Kamele. Die Asaker waren sehr lustig und guter Dinge. Sie hatten gesiegt, ohne daß einer von ihnen verletzt worden war, und einen ausgezeichneten Fang gemacht, welcher ihnen reiche Prämiengelder einbringen mußte. Desto schweigsamer waren die Gefangenen. Sie warfen, als ich kam, finstere, haßerfüllte Blicke auf mich, und als ich nahe bei ihnen aus dem Sattel stieg, hörte ich, daß der alte Abd. Asl zu seinem Nachbar sagte:

»Nur diesem räudigen Giaur, diesem stinkenden Hunde haben wir das alles zu danken. Möge ihn Allah zerreißen und in alle Lüfte zerstreuen!«

Ich achtete nicht auf diese Worte. Der Reïs Effendina stand auf, kam mir entgegen und benachrichtigte mich:

»Ich habe während deiner Abwesenheit alles erfahren und werde die Schuldigen streng bestrafen. Dort liegen sie.«

Er deutete auf eine Stelle, welche ich noch nicht beachtet hatte. Dort lag der alte Askari, dem ich das Kommando anvertraut hatte, mit dem Posten, welcher gegen Ibn Asl so mitteilsam gewesen war und ihn hatte entwischen lassen. Beide waren gebunden. Dann fuhr er fort: »Man sagte mir, daß du mit deinem Ben Nil hast Ibn Asl nachjagen wollen. Wer war der Reiter, den du verfolgtest, als wir kamen? Ich sah ihn, konnte aber sein Gesicht nicht erkennen.«

»Eben Ibn Asl.«

Ich erzählte ihm, während wir uns zu seinen Offizieren setzten, den Hergang. Als ich geendet hatte, strich er sich nachdenklich den Bart und sagte, aber zu meiner Freude nicht mit dem von mir erwarteten ärgerlichen Ausdrucke:

»Hätten wir ihn erwischt, so wäre uns viele Mühe und Anstrengung erspart. Ich darf nicht ruhen, bis ich diesen Halunken in meine Gewalt bekommen habe. Ich werde ihn nicht zu Atem kommen lassen, sondern ihn hetzen, bis er vor meinen Füßen zusammenbricht. Dieser Mensch allein ist noch gefährlicher als alle seine Leute zusammengenommen. Es wäre ein Triumph, ein Glück, eine Genugthuung, wenn wir ihn gefaßt hätten; dennoch will ich nicht klagen, sondern einstweilen zufrieden sein. Denn sieh die Gefangenen, und zähle sie! Hundertsechzig Sklavenjäger! Ist jemals so ein Fang gemacht worden, Effendi?«

»Ich habe wenigstens noch nichts davon gehört.-

»Ja, es ist noch nie geschehen. Man kennt mich bereits. Von jetzt an aber wird mein Name von allen solchen Schuften mit doppelter Scheu genannt werden, und das habe ich dir zu verdanken.«

»Lange nicht in der Weise, wie du es denkst! Ich habe dich ein wenig unterstützen können, aber nur, weil mir der Zufall günstig gewesen ist.«

»Das nennst du ›ein wenig‹? Wer hat die Sklavenjäger im Wadi el Berd gefangen und die Fessarah-Frauen befreit? Du! Wer hat dann die sechzig Jäger dort am Brunnen der Steppe ergriffen? Du! Wem habe ich es zu verdanken, daß ich nicht mit meinem Schiffe und allen meinen Leuten verbrannt worden bin? Dir! Und wer hat mir den heutigen Fang in die Hände geliefert? Wieder du! Und von ›Zufall‹ darfst du gar nicht sprechen. Was du so nennst, ist nichts anderes als eine Folge deiner Schlauheit, deiner Verwegenheit, deiner scharfen Berechnungen, welche dich fast niemals täuschen. Also nicht mir, sondern eigentlich dir gebührt die Ehre, welche ich ernten werde. Aber du sollst erfahren und erkennen, daß ich dankbar bin. Die größte Dankbarkeit aber könntest du dir erwerben, wenn du mir eine Bitte erfüllest.«

»Welche?«

»Wann mußt du in deiner Heimat eintreffen?«

»Wann es mir beliebt.«

»So bleibe jetzt noch bei mir! Ich will dir etwas sagen; ich werde dir ein Versprechen geben: Wenn du mir hilfst, diesen Ibn Asl zu fangen, so bin ich bereit, dir dann – –«

»Halt, kein Versprechen!« unterbrach ich ihn. »Du hast mir erlaubt, dich als meinen Freund zu betrachten, und ich habe bewiesen, daß ich der deinige bin. Zwischen Freunden aber giebt es keinen Handel, kein Versprechen, keinen Preis und keinen Lohn. Ich habe Zeit. Warum soll ich sie dir nicht zur Verfügung stellen? Ich habe das Spiel mit Ibn Asl angefangen. Warum soll ich es nicht zu Ende führen, um es zu gewinnen? Die Sklavenfrage interessiert mich auf das höchste. Warum soll ich mich nicht praktisch mit ihr beschäftigen, da mir eine so passende Gelegenheit geboten wird! Das, was ich außerdem und früher beabsichtigte, kann ich gerade auf diesem Wege am besten erreichen. Ich bleibe also bei dir.«

»Bis wir den Hund haben!«

»Ja, bis er unschädlich gemacht worden ist.«

»Ich danke dir, Effendi! Nun erst bin ich sicher, daß ich ihn ergreifen werde. Wo denkst du, daß er von jetzt an zu finden sein wird? Wohin wird er sich von heute an wenden?«

Ich erklärte und begründete ihm meine Ansichten, über die ich vorhin schon mit Ben Nil gesprochen hatte. Er hörte aufmerksam zu und sagte, als ich fertig war: »Ich stimme dir vollständig bei. Er ist erst zu seinem Schiffe und wird dann nach Faschodah gehen, um seine dort auf ihn wartenden Freunde aufzusuchen. Was ist da zu thun?«

»Wir müssen ihm nach!«

»Natürlich! Aber leider muß ich erst nach Chartum, um die Gefangenen dort abzuliefern. Da muß ich mich mit Proviant und Munition für eine lange Fahrt versehen, denn es ist möglich, daß wir Ibn Asl bis weit hinauf in den Süden, bis in die Sumpfgegenden der Nilarme verfolgen müssen. Das nimmt mehrere Tage in Anspruch. Dann mußt du bedenken, daß ich eine Woche nilaufwärts bis Faschodah brauche. Wenn wir nach so langer Zeit dort ankommen, ist Ibn Asl bereits fort.«

»Könntest du nicht in Chartum einen Regierungsdampfer nehmen, welcher dich am Schlepptau in viel kürzerer Zeit nach Faschodah bringt?«

»Wenn sich eins dieser kleinen Waburat zufällig dort befindet, so werde ich es allerdings in Beschlag nehmen. Aber selbst dann würde Ibn Asl noch vor meiner Ankunft den Ort verlassen haben.«

»So folgen wir ihm; das ist doch einfach!«

»Für mich nicht so einfach wie wohl für dich. Wäre einer von uns eher oben in Faschodah, so könnte er Erkundigungen einziehen und Vorbereitungen treffen, so daß ich bei meiner Ankunft mich nicht aufzuhalten brauchte und wir sofort hinter ihm her sein könnten.«

»Daran habe auch ich schon gedacht. Ich hatte mir sogar schon einen Plan gemacht, den ich dir vortragen wollte. Unsere Ansichten harmonieren, und unsere Absichten begegnen sich in der glücklichsten Weise. Ich will voranreisen!«

»Hamdullilah! jetzt wird mir das Herz wieder leicht. Einen bessern Beweis deiner Freundschaft könntest du mir nicht geben als durch diesen so wertvollen Dienst. Ich nehme ihn mit Dankbarkeit an und werde dich mit allem, was du bedarfst, versehen. Wie aber willst du diesen Weg zurücklegen?«

»Das deinige natürlich ausgenommen, da dasselbe besser segelt, braucht jedes Schiff von hier aus, wenn es während der Nächte am Ufer liegt, volle elf Tage, bei ungünstigem Winde auch noch länger. Einer solchen Zeitverschwendung dürfen wir uns nicht schuldig machen, wenn wir Ibn Asl erwischen wollen.«

»Er braucht aber doch ebensolange!«

»Meinst du, daß er auf seiner ›Eidechse‹ fahren wird? Gewiß nicht. Er muß sich ja vor deinem ›Falken‹ fürchten. Ich bin vollständig überzeugt, daß er reitet. Er kann ja gar nicht besser thun, da er ein so unübertreffliches Kamel besitzt.«

»Ich gebe dir recht. Und so willst wohl auch du reiten?«

»Ja, vorausgesetzt, daß ich zu einem guten Kamele kommen kann.«

»Du hast ja eins, sogar zwei von ganz gleicher Güte. Oder bist du nicht mehr mit ihnen zufrieden?«

»Sie würden mehr als genügen. Es sind sehr vortreffliche Tiere. Bedenke, welchen Weg sie zurückgelegt haben! Und doch sind sie noch so frisch wie an dem Tage, an welchem ich sie bekam. Freilich sind sie sehr gut behandelt worden und haben bei den Fessarah längere Zeit ausruhen können. Aber du hattest sie requiriert. Mußt du sie nicht abliefern?«

»Ganz nach meinem Belieben. Der Vicekönig braucht sie; das ist für den Besitzer genug. Du kannst sie also getrost behalten.«

»Gut! Dann bin ich überzeugt, daß Ibn Asl keinen allzu großen Vorsprung vor uns erlangen wird.«

»Und wie nun, willst du allein reiten?«

»Das wäre freilich das beste. Ein Begleiter würde mir nur hinderlich sein. Darum denke ich, daß – –«

Ich wurde unterbrochen, und das hatte ich erwartet. Nämlich Ben Nil hatte sich mit zu uns setzen dürfen und also alles gehört. Jetzt fiel er mir in die Rede-

»Unzuverlässig ist nicht jeder, Effendi! Es giebt einen, der bereit ist, sein Leben für dich zu geben, und der dir nachlaufen wird, wenn du ihn nicht mitnimmst. Du hast zwei gleichschnelle Kamele. Wenn ich mich auf eins derselben setze, wirst du nicht zurückgehalten. Und wenn ich dir auch in Gefahren nicht viel nützen kann, so wirst du doch an mir einen Diener haben, welcher wenigstens zu den gewöhnlichen Handreichungen zu gebrauchen ist. Ich bitte dich inständig, nimm mich mit! Wirst du deinen Ben Nil zurückweisen?«

»Ich würde dich mitnehmen, wenn ich nicht an Abu en Nil, deinen Großvater, dächte.«

»Hindert dich dieser, mir die Erlaubnis zu geben?«

»Willst du dich denn abermals von ihm trennen, nachdem ihr euch ebenso unerwartet wie glücklich gefunden habt?«

»Ben Nil braucht sich nur kurze Zeit von ihm zu trennen,« sagte der Reïs Effendina. »Während ich von der Dschesireh Hassanieh bis hier herab fuhr, habe ich erkannt, welch ein brauchbarer Steuermann dieser Abu en Nil ist. Ich habe ihm alles Frühere verziehen und bin bereit, ihn bei mir anzustellen. Er wird dann mit mir nach Faschodah kommen und dort mit seinem Enkel vereinigt werden.«

Der alte Abu en Nil war nämlich ebenso wie Selim, der Aufschneider, nicht mit hierher nach dem Dschebel Arasch Qol gekommen, sondern auf dem Schiffe zurückgeblieben. Ben Nil wäre dem Emir vor Freude über dessen Worte am liebsten um den Hals gefallen. Er erging sich in den lebhaftesten und aufrichtigsten Dankesworten, und wenn ich nicht weniger freundlich als der Emir sein wollte, so mußte ich versprechen, ihn mitzunehmen. Dies hatte übrigens schon vorher in meiner Absicht gelegen. Ben Nil war trotz seiner Jugend zuverlässiger als jeder andere, und einen so langen Ritt in einem fremden Lande ganz allein zu unternehmen, ist auch nicht jedermanns Sache. Es war also ausgemacht, daß wir beide wie bisher zusammenhalten würden.

Nachdem dies besprochen war, sagte der Reïs Effendina:

»Ich weiß, daß du am liebsten gleich jetzt aufbrechen würdest, aber du wirst mich vorher doch bis an das Schiff begleiten müssen. Auf demselben befindet sich einiges, was ich dir mitzugeben habe, und dort findest du auch Munition und frischen Proviant, während du hier nur schlechte Reste bekommen könntest.«

»Dann würde es mir aber lieb sein, wenn wir uns hier nicht lange verweilten, Emir.«

»Wir werden sogleich abmarschieren, wenn ich einige Akte der Gerechtigkeit vollzogen habe.«

»Willst du hier Gericht halten?«

»Ja.«

»Wer sind die Betreffenden?«

Mir grauste schon, denn ich dachte an das Wadi el Berd und die Sklavenhändler, welche er dort so prima vista hatte erschießen lassen.

»Zunächst die beiden Asaker dort,« antwortete er. »Sie haben den Tod verdient.«

»Den Tod?« fragte ich, ganz erschrocken über diese Strenge. »Ihre kleinen Vergehen sind doch nicht schwere Verbrechen, welche man mit dem Tode bestraft!«

»Ungehorsam, zumal wenn er solche Folgen hat, wird mit dem Tode bestraft, wenigstens bei mir.«

»Der andere, welcher keinen Befehl zu führen hatte und nur Posten stand, ist aber jedenfalls nicht so strafbar.«

»Ebenso! Er hat ohne Erlaubnis alles ausgeplaudert; seine Dummheit hat ebenso den Tod seiner Kameraden wie das Entkommen Ibn Asls verschuldet. Bedenke, was für Menschen ich unter mir stehen habe! Die sind nur durch Strenge zu regieren.«

»Ich bin in Milde ganz gut mit ihnen ausgekommen!«

»Für so kurze Zeit, ja, da ist es möglich. Bald aber würden sie dir über den Kopf wachsen. Meine Asaker kennen mich, und diese beiden Missethäter wissen ganz genau, was ihrer wartet.«

»Also wirklich der Tod?«

»Ja; ich werde sie jetzt erschießen lassen.«

Vielleicht hatte er recht, vielleicht auch nicht; ich aber konnte mich nicht zwingen, eine solche Strenge für nötig zu halten. Die beiden armen Teufel dauerten mich; darum ließ ich mich nicht irre machen, sondern sprach solange auf ihn ein, bis er sagte:

»Gut, ich schenke dir das Leben dieser Kerle. Sie mögen laufen und mir nie wieder vor die Augen kommen!«

»Halt, Emir, so hatte ich es nicht gemeint! Was man thut, das soll man ganz und richtig thun. Schenkst du ihnen die Strafe und jagst sie fort, so ist das keine vollkommene Begnadigung.«

»Soll ich sie etwa gar im Dienste behalten?«

»Ja; ich bitte dich ganz besonders darum.«

»Ganz besonders? Daß du dir ihr Leben erbeten hast, war wohl gar nichts Besonderes?«

Ich lachte ihn an, hielt ihm die Hand hin und antwortete:

»Schlag ein; sie bleiben bei dir! Du bist kein so finsterer Barbar, obwohl du ein solcher scheinen willst. Ich sage dir, daß ein Gehorsam aus Liebe tausendmal mehr wert ist als ein Gehorsam aus Furcht und Angst. Ich kenne dich besser als du denkst und weiß genau, daß deine Asaker dich trotz deiner Strenge lieb haben.«

»So? Hast du das erfahren?« fragte er in sehr mildem Tone und indem ein beinahe sonniges Lächeln über seine Züge glitt.

»Nicht nur einmal, sondern oft. Also, Emir, wirst du mir meinen Wunsch erfüllen?«

»Du sollst es sogleich sehen und hören.«

Er befahl, die beiden Männer loszubinden und zu ihm zu bringen. Als sie dann vor uns standen, war es ihren Armesündergesichtern anzusehen, daß sie die strengste Strafe erwarteten. Er sagte ihnen:

»Ich wollte euch jetzt erschießen lassen, ihr Söhne des Ungehorsams; aber dieser Effendi bat für euch um Gnade, und da ich ihm seinen Wunsch erfüllte, verlangte er sogar, daß ich euch bei mir behalten soll. Ich habe ihm auch dies gewährt. Kniet vor ihm nieder, ihr Hunde, und dankt ihm im Staube! Denn seine barmherzige Hand hat euch vor der Pforte des Todes ergriffen und ins Leben zurückgeführt.«

Sie warfen sich wirklich vor mir nieder und küßten mir die Hände, zwei Muhammedaner einem Christen! Als sie sich dann entfernt und zu ihren Kameraden gesetzt hatten, sah ich die Blicke dieser sonst so gefühllosen Menschen mit dem Ausdrucke liebevoller Dankbarkeit auf mich gerichtet. Ich behaupte doch immer und immer wieder, daß die Liebe, die christliche Liebe, die größte Macht im Himmel und auf Erden ist, und daß es keinen einzigen Menschen giebt, dessen Herz sie sich nicht früher oder später zu öffnen vermöchte!

»Eigentlich freue ich mich, dir deinen Wunsch erfüllt zu haben,« meinte der Reïs Effendina, »denn das giebt mir die Sicherheit, daß du mich nun jetzt nach meinem Ermessen handeln lässest. Trotzdem sage ich dir jetzt vorher, daß meine Dankbarkeit und meine Freundschaft für dich, so groß auch beide sind, mich nicht veranlassen könnten, dir eine ähnliche zweite Bitte zu erfüllen. Ich ersuche dich also dringend, mich nicht in Verlegenheit zu bringen! Schafft den Fakir el Fukara herbei!«

Der Genannte wurde hergebracht. Er stand, an den Händen gefesselt, zwischen zwei Asakern als seinen Wächtern. Sein Blick ruhte trotzig auf dem Emir, welcher ihn verächtlich musterte und dann fragte:

»Wie ist dein Name?«

»Man nennt mich den Fakir el Fukara,« antwortete der Gefragte.

»Ich habe nach deinem Namen gefragt, aber nicht, wie man dich nennt! Also antworte!«

»Fakir el Fukara,« wiederholte der andere jetzt trotzig.

»Aziz, öffne ihm den Mund!«

Man wird sich erinnern, daß Aziz, der Liebling des Emirs, der junge Mann war, welcher die Nilpeitsche mit solcher Virtuosität zu führen wußte. Er war mit da und saß bei den Soldaten. Auf den Ruf seines Herrn sprang er auf, trat heran, zog die Peitsche aus dem Gürtel und knallte sie ihm so schnell fünf- oder sechsmal über den Rücken, daß der Gezüchtigte die Hiebe hatte, ehe er nur eine Bewegung der Abwehr machen konnte. Dann aber drehte er sich nach Aziz um, spuckte ihm in das Gesicht und schrie, indem sein dunkles Negergesicht sich zu einer wütenden Fratze verzog.

»Hund, du wagst es, mich zu schlagen, mich, den Heiligen der Heiligen, den Fakir el Fukara, vor welchem Millionen niederknieen werden, um ––«

»Aziz,« unterbrach der Emir mit donnernder Stimme diese Strafrede, »die Bastonnade!«

Der Fakir fuhr schnell zu ihm herum und rief:

»Mir die Bastonnade? Hat Allah sich denn soweit von dir abgewendet, daß du der Gottlosigkeit fähig bist, seinen Liebling–«

»Aziz, einen Knebel!« unterbrach ihn der Emir wieder.

Die Asaker, welche mit mir bei den Fessarah gewesen waren und sich so oft über diesen Mann geärgert hatten, freuten sich darüber, daß er jetzt endlich seinen Meister fand. Sie traten herbei und sorgten dafür, daß die Befehle des Emir auf das schnellste ausgeführt wurden. Der Fakir el Fukara wurde niedergerissen und erhielt, als er den Mund zum Schreien und Fluchen aufriß, den Zipfel seines eigenen Gewandes als Knebel in denselben. All sein Sträuben half nichts; es hielten ihn so viele Hände fest, daß er sich schließlich gar nicht mehr bewegen konnte. Man legte ihn auf den Bauch. Mehrere Männer setzten sich ihm auf die Oberschenkel, die Arme, den Leib und den Kopf. Noch andere hielten ihm die Unterschenkel empor, so daß seine entblößten Fußsohlen eine waagerechte Lage bekamen.

»Wieviel Hiebe, Emir?« fragte Aziz.

»Zwanzig auf jede Sohle,« lautete die Antwort.

Die vierzig Streiche wurden gewissenhaft aufgezählt, und als der letzte gefallen war, bildeten die Füße zwei geschwollene, hochrot gefärbte und aufgeplatzte Fleischmassen. jetzt nahm man ihm den Knebel wieder aus dem Munde und ließ ihn los. Er richtete sich stöhnend in sitzende Stellung auf und sah den Emir an, mit welchem Ausdrucke, das war bei seinen jetzt mit Blut unterlaufenen Augen nicht eigentlich zu bestimmen.

»Jetzt noch einmal: Wie ist dein Name?« fragte der Reïs Effendina.

»Mohammed Achmed,« gurgelte der Gefragte hervor.

»Hättest du das gleich gesagt, so wäre dir die Bastonnade erspart geblieben. Ich verlange Gehorsam. Daß du dich den Fakir el Fukara nennst, flößt mir nicht den geringsten Respekt ein. Dieser Effendi hat dir das Leben gerettet, indem er den Löwen tötete; du aber hast ihm mit Undank gelohnt. Du hast meine Asaker an Ibn Asl verraten wollen. Eigentlich sollte ich dich töten; aber ich verachte dich und will dir gar nicht die Ehre anthun, von mir gerichtet zu werden. Man schleife diesen Enkel der Undankbarkeit hinüber nach dem Sumpfe und lasse ihn an dem Rande desselben liegen! Dort mag er dem Ungeziefer, welches seinesgleichen ist, vom Mahdi erzählen, der er werden will, und stinkendes Wasser trinken, bis seine Füße es ihm erlauben, über die Steppe nach Hause zu wanken!«

Dieser Befehl wurde buchstäblich ausgeführt. Zwei Männer ergriffen den Fakir el Fukara und schleiften ihn nach dem Sumpfe. Mit welchen Gefühlen mag er später, als er es wirklich, wenigstens auf einem bestimmten Raume, zum Beherrscher der Gläubigen gebracht hatte, an diese nichts weniger als ehrenvolle Episode seines Lebens zurückgedacht haben!

Mir war es nicht eingefallen, ein gutes Wort für ihn einzulegen. Mir schien, daß er die Züchtigung mehr als reichlich verdient habe. Mit dieser letzteren war der heutige Gerichtsakt noch nicht zu Ende, denn der Emir befahl, nun den alten Abd Asl vorzuführen.

Dieser hatte vorhin gewünscht, Allah möge mich zerreißen und in alle Winde streuen. Jetzt hätte er vielleicht gern ganz anders zu mir gesprochen. Wenigstens nahm ich dies an, obgleich er festen Schrittes und trotzigen Gesichtes dahergegangen kam. Ich dachte an die Höhle von Maabdah, bei welcher ich ihn zum erstenmal gesehen hatte. Wie fromm und ehrwürdig war er mir da erschienen! Und als wie einen ganz andern hatte ich ihn dann kennen gelernt! Er hatte mir ja gleich am nächsten Tage schon nach dem Leben getrachtet und mich von damals an bis heute mit einer geradezu diabolischen Feindschaft verfolgt. Man soll das Alter ehren, aber ein Mensch, welcher mit einer wahren Wollust die schwersten Verbrechen begeht, obgleich er schon mit einem Fuße im Grabe steht, ist doppelt strafbar. Das mochte auch der Emir denken und fühlen, denn sein Auge ruhte mit dem Ausdrucke des Ekels, des Abscheues auf dem Alten, als er ihm im strengsten Tone sagte:

»Dich habe ich lange gesucht, du heiligster aller Fakire. Du bist mir immer entwischt, nun aber werde ich Gericht über dich halten.«

»Ich verlange einen andern Richter!« antwortete Abd. Asl.

»Es giebt keinen, der dich streng genug zu verurteilen vermag. Sei ich’s oder sei’s ein anderer, keiner kann dich so bestrafen, wie du es verdient hast! Deine Schandthaten zählen nach hunderten; tausende von Menschen verdanken dir die Sklaverei, den Tod oder die Verarmung der Ihrigen. Wie viele Dörfer hast du ausmorden und ausbrennen lassen! Und dabei zeigtest du das Gesicht eines Heiligen, ließest die Gebete eines Ehrwürdigen hören und gabst dich für einen anbetungswürdigen Marabut aus. Diese Rolle ist zu Ende, und ich schicke dich dahin, wo du hingehörst, nämlich in die Hölle.«

»Du hast nicht das Recht, mich zu töten!« kreischte der Alte auf.

»Viele, sehr viele hatten es und haben es noch heute! Daß sie es nicht übten, war eine große Sünde, denn sie ließen dir dadurch Zeit zu immer neuen Missethaten. Ich will und darf nicht dieselbe Sünde begehen. Ich habe die heilige Pflicht, dich auszurotten, damit dein Hirn endlich einmal aufhört, Blutthat nach Blutthat zu gebären. Ich spreche dir das Urteil, und es lautet auf den Tod.«

Das waren Worte wie Hammerschläge. Hatte der Alte bisher auf Befreiung gehofft – und das hatte er ganz gewiß – so mußte er diese Hoffnung jetzt aufgeben. Er versuchte aber doch noch ein Mittel, sich zu retten, indem er, seine frömmste, ehrwürdigste Miene annehmend, drohte:

»Ich bin dennoch ein Heiliger, ein Marabut! Wenn du dich an mir vergreifst, verfluche ich dich. Dann werden dich alle Gläubigen meiden, und du wirst sein wie die Hyäne in der Wüste, welche verfolgt wird und das Aas fressen muß, bis sie vor Hunger stirbt.«

»Fluche immer zu! Der Fluch eines solchen Ungeheuers wird zum Segen. Deine Drohung kann dich nicht retten; sie ist lächerlich. Du mußt und wirst sterben. Aber wie? Es giebt keinen Tod, welcher gerecht genug für dich ist. Du und dein Sohn, ihr wolltet diesem Effendi die Zunge und jedes Glied seines Körpers einzeln ausreißen. Eigentlich sollte ich dich dieses Todes sterben lassen; aber du sollst von deinesgleichen sterben. Du bist ein Ungeheuer, und Ungeheuer werden dich verschlingen. Ich lasse dich in den Maijeh unter die Krokodile werfen.«

»O Allah!« schrie da der Alte auf. »Das darfst du nicht thun! Schone mich, Reïs Effendina!«

»Schonen? Denke doch zurück! Dieser Effendi schonte dich, dieser Ben Nil schenkte dir das Leben; dafür hat du immer von neuem nach dem ihrigen getrachtet. Du bist ein Teufel, in dessen Natur es liegt, Wohlthat mit Missethat zu vergelten. Es bleibt bei meinem Spruche: Du wirst den Krokodilen vorgeworfen!«

Es war der absoluteste Ernst, mit dem der Emir gesprochen hatte. Dennoch blickte Abd Asl ihn forschend an, ob er es doch vielleicht anders meine. Als er aber an den wie steinernen Zügen des Richters erkannte, daß dieser einen festen, unerschütterlichen Entschluß ausgesprochen habe, heulte er auf.

»Das ist nicht möglich! Das ist unmenschlich!«

»Schweig! Dir geschieht nur dein Recht. Wann hast du einmal menschlich gehandelt? Wehe dem, der wehe thut! Das ist mein Wahlspruch, an welchem du sterben wirst. Und dein Sohn wird auch an demselben untergehen. Bindet ihm auch die Füße zusammen und schafft ihn dann in den Sumpf! Sein Freund, der große Fakir el Fukara, mag Zeuge sein, wie er von den Krokodilen verschlungen wird.«

»Gnade, Gnade! Nur noch ein Wort!« zeterte der Alte, als man ihn ergreifen wollte.

»Was?« fragte der Emir, indem er mit der Hand ein Zeichen gab, noch zu warten. Abd Asl wendete sich an mich anstatt an ihn:

»Effendi, du bist ein Christ. Du darfst nicht dulden, daß man mich eines so schrecklichen Todes sterben läßt! Bitte mich frei; laß mich begnadigen! Ich weiß, daß der Emir auf deine Stimme hören wird.«

»Du hast es nicht verdient,« antwortete ich in der Überzeugung, daß mir der Emir eine solche Bitte nicht erfüllen werde.

»Muß ich es verdient haben? Ist deine Lehre nicht die Lehre der Liebe, Gnade und Barmherzigkeit? Du hast mir das gesagt und erklärt, als wir in Siut waren.«

»Ja, und nachdem ich es dir erklärt hatte, locktest du mich unter die Erde, wo ich elend verschmachten sollte!«

»Denke nicht daran, sondern denke jetzt nur an die Gebote deines Glaubens, damit dein Jesus, wenn er einst als Richter kommt, gnädig auch mit dir verfahre!«

»Schweig!« gebot ihm der Emir, welcher wohl glaubte, daß ich mich doch noch zu einer Fürbitte bewegen lassen werde. »Der Effendi kann nichts für dich thun, denn ich werde nicht auf seine Stimme hören. Bindet ihn!«

Der Alte wehrte sich mit den gebundenen Händen und mit beiden Füßen gegen die Ausführung dieses Befehles. Er brüllte dabei nicht wie ein Mensch, sondern wie ein wildes Tier. Man kann sich denken, daß diese Scene keineswegs meinen Beifall hatte. Der Unhold hatte den Tod verdient, und dieser mochte ihm auch werden; aber ihn den Krokodilen vorwerfen, das war nicht nötig: das konnte unterbleiben; das wenigstens wollte ich verhüten.

Dabei kam mir ein Gedanke. Ich dachte an den Führer in der Höhle von Maabdah, welchem ich versprochen hatte, nach seinem verschollenen Bruder zu forschen. Was ich seit damals erfahren hatte, ließ mich vermuten, daß Abd Asl das Schicksal kannte. Darum gebot ich jetzt: »Laßt noch einmal ab von ihm! Ich habe mit ihm zu sprechen.«

Man gehorchte mir, und der Alte rief mir zu:

»Ich danke dir, Effendi! Das war Hilfe in der größten Not. Du bist entschlossen, für mich zu bitten?«

»Vielleicht. Beantworte mir einige Fragen!«

»Frage mich, Effendi! Kann ich dir Auskunft geben, so soll es geschehen.«

»Du kennst Ben Wasak, den Führer in der Höhle zu Maabdah?«

»Ja. Du hast mich doch mit ihm sprechen sehen.«

»Hast du auch Hafid Sichar, seinen Bruder, gekannt?«

»Auch,« nickte er.

»Kennst du seinen jetzigen Aufenthalt?«

Er sah, anstatt zu antworten, mich eine kleine Weile forschend an und fragte dann: »Warum willst du das wissen?«

»Ich suche ihn, denn ich will ihn seinem Bruder zurückbringen.«

»Ja, ich kann dir sagen, wo er ist. Ich sage es dir, wenn ich dafür mit allen Gefangenen hier freigelassen werde.«

»Mensch, bist du toll!« rief der Reïs Effendina. »Das ist ein Verlangen, welches nur ein Wahnsinniger aussprechen kann.«

»Ich habe es aber gestellt und bleibe dabei!«

»So sage mir, Effendi, welche Bewandtnis es mit diesem verschollenen Hafid Sichar hat!«

Diese Aufforderung war an mich gerichtet. Ich antwortete:

»Er ist nach Chartum gereist, um sich dort von dem Kaufmanne Barjad el Amin eine große Summe Geldes auszahlen zu lassen. Er hat das Geld auch wirklich erhalten, ist aber seit jener Zeit verschwunden. Damals befand sich Ibn Asl im Geschäfte jenes Kaufmannes; er war arm, wurde aber nach dem Verschwinden Hafid Sichars plötzlich reich und begann den Sklavenhandel.«

»So hat er Hafid Sichar ermordet und ihm das Geld abgenommen.«

»Nein, Hafid Sichar ist nicht ermordet worden!« rief der Alte. »Ich sage dir, wo er lebt, wenn du uns frei giebst!«

»Das kann nicht geschehen. Aber aus Freundschaft für diesen Effendi will ich dir einen Vorschlag machen. Du giebst den Ort an, wo jener Verschollene lebt, und dafür will ich dich nicht den Krokodilen vorwerfen lassen. Du wirst erschossen.«

Da schlug der Alte ein hämisches Gelächter auf und antwortete:

»Wie gnädig du bist, o Emir! Meinst du, daß der Tod durch die Kugel kein Tod sei? Leben will ich, leben! Und soll das nicht sein, so erfahrt ihr auch mein Geheimnis nicht. Für die Verkürzung meines Todeskampfes um eine oder höchstens zwei Sekunden verlangt ihr die Befreiung dieses Hafid Sichar, den mein Sohn eigentlich hätte umbringen sollen? Dieser Preis ist mir zu teuer, viel zu teuer.«

»Nun wohl, so schafft ihn endlich fort!«

Jetzt wurde der Alte an den Beinen gebunden und fortgetragen; er verhielt sich dabei ganz ruhig. Auch wir waren still. Kein Mensch im Lager sprach ein Wort, bis vom Sumpfe her mehrere Rufe, ein jammerndes Winseln und endlich ein Schrei, welcher mir durch Mark und Bein ging, zu hören war. Der Alte hatte geendet. Als die Männer, die ihn fortgeschafft hatten, zurückkamen, sagte einer von ihnen:

»Erst that er, als ob er fest und furchtlos sei; als er die Bestien aber liegen sah, da heulte er. Die Teufel des Sumpfes haben ihn sofort zerrissen.«

Es schauderte mir. Und doch war es mir, als ob auch diese Strafe nicht zu hart bemessen gewesen sei. Der Reïs Effendina aber meinte sogar zu mir:

»Schade, daß es so schnell gegangen ist! Er hat einen viel, viel längeren Todeskampf verdient; aber wir müssen leider fort. Du wirst mir zürnen, Effendi, daß ich nicht auf sein Verlangen eingegangen bin.«

»Nein, das habe ich dir nicht übelnehmen können, denn was er forderte, war wirklich wahnsinnig. Er und alle frei! Und schließlich hätte er mich doch belogen. Aber ich habe doch wenigstens ein Resultat gehabt. Bis jetzt besaß ich nicht die mindeste Spur von dem Verschollenen; da sich aber der Alte zu den Worten hinreißen ließ: ›diesen Hafid Sichar, den mein Sohn hätte töten sollen‹, so weiß ich jetzt, wo ich volle Auskunft erlangen kann, nämlich bei Ibn Asl, welcher den Verschollenen jedenfalls ausgeraubt hat. Kennst du den Kaufmann Barjad el Amin in Chartum?«

»Ja. Ich bin oft bei ihm gewesen.«

»Ist er ehrlich oder nicht?«

»Die Ehrlichkeit selbst könnte nicht anders handeln als er.«

»Sollte mir lieb sein. Auch der Führer von Maabdah beschrieb ihn mir als einen ehrlichen Mann; aber es gab in dieser Beschreibung doch einige Punkte, welche noch der Aufklärung bedürfen. Wenn er eine Maske trägt, werde ich sie ihm vom Gesichte reißen, sobald ich nach Chartum komme, was leider nun nicht sobald geschehen wird. Wann brechen wir von hier auf?«

»Wir können es jetzt gleich thun.«

»Bist du heute fertig mit dem Gericht?«

»Ja. Es galt eigentlich nur dem Alten, welcher auf alle Fälle unschädlich gemacht werden mußte. Das mußte hier geschehen, und ich konnte es thun, weil ich glücklicherweise die Macht dazu besitze. In Chartum habe ich nicht Zeit, mich lange mit dem Schicksale dieser Leute zu befassen; ich muß sie dem dortigen Gerichte übergeben, und da war es sehr leicht möglich, daß man diesen Abd Asl gegen eine tüchtige Summe entkommen ließ.«

»Man sollte doch meinen, daß, besonders wenn es sich um einen solchen Fall handelt, von der Bestechung der Richter keine Rede sein kann!«

»Ja, meinen sollte man es, und was mich betrifft, so ließe ich mir die Gerechtigkeit meines Urteiles nicht für Millionen abkaufen; aber ich habe einmal gehört, daß es ein christliches Land giebt, in welchem die Göttin der Gerechtigkeit als blindes Weib dargestellt wird –«

»Das war ein heidnisches Land, nämlich Griechenland.«

»Ob christlich oder heidnisch – oder muhammedanisch, das bleibt sich gleich; es ist bei uns ganz dasselbe. Hast du vielleicht von dem Mudir von Faschodah gehört?«

»Ja. Er heißt Ali Effendi el Kurdi und ist auch in weiteren Kreisen bekannt durch die grausige Niederwerfung der Militärrevolte in Kassala.«

»Dort hat er zu viel Gerechtigkeit walten lassen, später desto weniger. Es war eine Schande! Man kannte unter ihm in Faschodah zwar das strenge Verbot des Sklavenhandels, aber man sah nichts davon. Die Sklavenjäger gingen ganz offen in seinem Hause ein und aus. Sie zahlten ihm für jeden Sklaven heimlich eine Kopfsteuer und fanden dafür bei ihm Schutz gegen das Gesetz. Ich kannte sie alle, konnte aber keinen fassen. Wenn ich kam, um einmal die Schlinge über einem solchen Schurken zuzuziehen, wurde sie mir von ihm zerschnitten. Wenn das der oberste Regent einer Provinz, der Mudir, thut, was kann man dann von den unteren und untersten Beamten erwarten! Faschodah war geradezu der Ausgangspunkt aller Sklavenraubzüge geworden. Die Sklavenjäger versammelten sich dort, um sich vorzubereiten, und wenn ich ein Wort darüber fallen ließ, wurde ich von dem Mudir entweder angebrüllt oder ausgelacht. Das durfte ich nicht länger dulden. Ich ging direkt zum Vicekönige, sagte es ihm, legte ihm die Beweise vor, und der Erfolg ist nun dieser Tage bekannt geworden. Ali Effendi el Kurdi ist ab- und ein neuer Mudir eingesetzt worden.«

»Wird dieser gerechter sein als der vorige?«

»Ja; ich bin überzeugt davon, denn ich kenne ihn; ich bin es, dem er dieses Amt zu verdanken hat, denn ich habe ihn zu demselben vorgeschlagen und freue mich außerordentlich, daß der Vicekönig dieser meiner Empfehlung Folge geleistet hat. Der neue Mudir heißt Ali Effendi und wurde von seinen bisherigen Unterthanen stets nur Abu Hamsah miah genannt.«

»Welchem Umstande hat er diesen Namen zu verdanken?«

»Einer sehr löblichen Gepflogenheit, durch welche er sich in großen Respekt gesetzt hat. Er ist nämlich der allgemeinen Bestechlichkeit und andern derartigen Schwächen vollständig unzugänglich und pflegt, wenn er zu Gerichte sitzt, jedem, den er für schuldig hält, fünfhundert Hiebe zu diktieren. Da er diese Gabe mit ganz derselben Güte an Arme und Reiche, Geringe und Vornehme austeilt, hat man eine heillose Angst vor ihm, und ich traue es ihm zu, daß er auch in Faschodah sehr bald reine Wirtschaft machen wird. Er ist mein Freund, und ich habe dich meist nur deshalb ersucht, jetzt mit nach dem Schiffe zu gehen, weil ich dir ein Empfehlungsschreiben an ihn mitgeben will, damit du auch während meiner Abwesenheit die nötige Unterstützung findest.«

»Ein solches Schreiben muß mir natürlich höchst willkommen sein, da es mir sehr wahrscheinlich manches erleichtern oder auch ermöglichen wird, was mir sonst schwer fallen oder gar unmöglich sein würde.«

Wir hatten während dieses ernsten, in unterdrücktem Tone geführten Gespräches natürlich auch ernste Gesichter gemacht; dies schien in den Gefangenen den Glauben erweckt zu haben, daß die Gerichtssitzung noch nicht vorüber sei und wir uns über die Bestrafung der übrigen unterhielten. In diesem angenommenen Falle wären natürlich die beiden Offiziere des Sklavenjägers zunächst an die Reihe gekommen. Dies schien sie in große Besorgnis zu versetzen, denn der »Oberlieutenant« sandte uns einen der Wächter her, um anfragen zu lassen, ob er mit uns sprechen dürfe, er habe uns eine sehr wichtige Mitteilung zu machen. Es wurde ihm natürlich gestattet. Als ihn zwei Asaker zu uns gebracht hatten und der Reïs Effendina ihn fragte, was er vorzubringen habe, antwortete er:

»Du hast das Urteil an Abd Asl vollstrecken lassen, o Emir. Wirst du nun auch über uns zu Gericht sitzen?«

»Erwartest du vielleicht, daß ich euch laufen lasse?«

»Nein. Wir kennen dich. Wir befinden uns in deinen Händen und dürfen also nicht hoffen, straflos auszugehen, aber wir bitten dich um die Gnade, mit uns zu machen, was dir gefällt, aber uns nur nicht auch den Krokodilen vorwerfen zu lassen. Wir kann der Erzengel Dschibraïl am Tage der Auferstehung unsere Gebeine finden, wenn sie von diesen Ungeheuern zermalmt und aufgefressen worden sind!«

»Schurke! jetzt, in der Todesangst, berufst du dich auf die Verheißungen des Kuran. Hast du auch bei deinen Missethaten an die Gebote der Religion gedacht?«

»Emir, der Sklavenfang war seit Jahrhunderten gestattet. Was hat die Religion damit zu thun, daß diese Erlaubnis von Menschen aufgehoben wurde?«

»Und was hat der Islam mit deinen Gebeinen zu thun? Wenn sie im Magen eines Krokodils schmoren, brauchen sie nicht später in der Hölle gebraten zu werden. Du mußt mir also dankbar dafür sein, daß ich dich Abd Asl jetzt unverzüglich folgen lassen werde.«

»Um Allahs willen, thue das nicht! Ich werde dir beweisen, daß ich nicht so schlimm bin, wie du denkst, und keinen solchen Tod verdiene.«

»So? Ich möchte wissen, wie du, der Anführer dieser tollen Hunde, einen solchen Beweis zu führen gedenkst.«

»Erlaube mir, ihn vorzubringen. Ich hörte vorhin, daß dieser Effendi sich nach einem Manne erkundigte, welcher verschwunden ist. Wenn ich über denselben Auskunft gebe, wirst du mich dann mit den Krokodilen verschonen?«

»Nein, denn du wirst irgend eine Lüge vorbringen, um dich zu retten.«

»Nein, Emir. Allah weiß es, daß ich die Wahrheit sagen werde! Nimm mich mit dir und halte mich gefangen, bis du dich überzeugt hast! Wenn du findest, daß ich dich belogen habe, so magst du mich den Krokodilen zu fressen geben oder, wenn es dir beliebt, eine noch entsetzlichere Todesart für mich erdenken.«

»Voraus kann ich dir nichts versprechen. Wir werden deine Worte prüfen. Finden wir sie wahr, so bin ich vielleicht bereit, dich nicht fressen zu lassen. Weißt du, wo jener Hafid Sichar sich befindet?«

»Ja, aber das Land und das Dorf weiß ich nicht.«

»Wie? Du kennst seinen Aufenthalt, weißt aber weder das Land noch das Dorf? Mensch, du redest ja Unsinn!«

»Es ist wirklich so, Emir.«

»Hast du etwa mit Ibn Asl oder seinem Vater darüber gesprochen? Haben sie dich in das Geheimnis gezogen?«

»Nein. In so vertraulicher Weise haben diese beiden nie mit uns verkehrt; aber ich hörte einmal, daß sie von diesem Hafid Sichar sprachen, und sie wußten nicht, daß ich mich in der Nähe befand.«

»Was sagten sie von ihm?«

»Die einzelnen Worte kann ich dir nicht mehr sagen, aber den Inhalt habe ich mir gemerkt. Du sollst ihn jetzt erfahren. Ibn Asl war früher arm und ist nur durch Hafid Sichar reich geworden. Er hat ihm eine große Summe abgenommen und sie mit einem andern geteilt.«

»Wer ist der andere?«

»Das weiß ich nicht; ich konnte es aus dem, was ich hörte, nicht entnehmen; es wurde weder sein Name noch sein Stand genannt. Ibn Asl hat Hafid Sichar töten wollen, um den Zeugen des Diebstahles aus der Welt zu bringen; dieser andere aber hat es nicht zugegeben. Mit dem geraubten Gelde wurde eine Ghasuah unternommen, und um Hafid Sichar unschädlich zu machen, schleppte man ihn mit und hat ihn tief im Süden an den Anführer eines wilden Stammes verkauft.«

»Welcher Stamm ist das?«

»Das eben weiß ich nicht, Emir. Du hast jetzt alles erfahren, was ich dir sagen konnte. Wirst du nun die Barmherzigkeit üben, mir meine Bitte zu erfüllen?«

»Wende dich an den Effendi, den diese Sache angeht! Vielleicht ist er geneigt, Fürbitte für dich einzulegen.«

Der Gefangene folgte dieser Weisung, indem er mich bat, für ihn zu sprechen. Ich mußte seine Todes- oder vielmehr Krokodilangst für meine Zwecke möglichst ausnutzen und antwortete ihm daher:

»Ob ich etwas für dich thue, hängt ganz von deiner weiteren Aufrichtigkeit ab. Hast du einmal den Namen Barjad el Amin gehört?«

»Ja. Dieser Mann ist Kaufmann in Chartum. Du hast vorhin schon Abd Asl nach ihm gefragt.«

»Steht Ibn Asl noch in Geschäftsverbindung mit ihm?«

»Nein. Wenigstens weiß ich nicht das Geringste davon.«

»So ist diese Sache erledigt. Aber weiter-. Hat Ibn Asl jetzt viel Geld bei sich?«

»Ja, fast sein ganzes Vermögen. Er wollte eine Sklavenjagd unternehmen, wie so groß es noch keine gegeben hat. Wo aber, das ist selbst für mich ein Geheimnis geblieben. Er behandelte diesen Zug sehr geheimnisvoll. Wohin er gerichtet sein werde, sollte ich erst in Faschodah erfahren.«

»Wolltet ihr lange dort bleiben?«

»Solange, bis unsere Ausrüstung beendet sein würde.«

»Wie ich gesehen habe, war euer Schiff, die ›Eidechse‹, leer. Sollte sie in Faschodah die nötigen Tauschwaren aufnehmen?«

»Ja, und die andern Schiffe auch.«

»Was? – Es sollten mehrere Schiffe ausgerüstet werden?«

»Ja. Wie viele aber, auch das wurde mir vorher nicht gesagt.«

»Ibn Asl muß in Faschodah sehr vertraute Geschäftsfreunde besitzen. Kennst du sie?«

»Er pflegt selbst gegen seine nächsten Untergebenen stets sehr vorsichtig und verschwiegen zu sein. In seine Freundschaften und Verbindungen hat er mich nie blicken lassen. Darum kenne ich in Faschodah nur einen einzigen Mann, von dem ich mit Sicherheit sagen kann, daß Ibn Asl mit ihm verkehrt, er heißt Ibn Mulei und ist Major der Arnauten, welche in Faschodah stehen.«

»Das genügt. Nun nur noch eins: Wo habt ihr euer Schiff gelassen, als ihr euch auf den Weg nach hier machtet?«

»Es liegt im rechten Arm des Niles bei der Dschesireh Mohabileh. Zehn Mann blieben zurück, um es zu bewachen.«

»Genug! Ich sehe dir an, daß du mir die Wahrheit gesagt hast, und bin mit dir zufrieden.«

»Ich danke dir, Effendi! Wirst du nun die Gnade haben, Fürbitte bei dem Emir einzulegen?«

Der letztere antwortete anstatt meiner:

»Da du uns nicht belogen hast, will ich dir hiermit versprechen, daß du vor den Krokodilen sicher bist; aber mehr kann ich nicht thun. Wehe dem, der wehe thut! Straflos könnet ihr unmöglich bleiben. Es ist gut!«

Der Oberlieutenant kehrte, wenigstens nun für den Augenblick beruhigt, an seinen Platz zurück, und es wurden jetzt die Vorbereitungen zum Abmarsche getroffen. Meine Erkundigungen hatten Erfolg gehabt, aber einen solchen, daß ich mir sagte, es werde wohl außerordentlich schwierig, wo nicht gar unmöglich sein, den Bruder des Führers von Maabdah aufzufinden. Es gab nur eine einzige Person, von der ich den Aufenthaltsort dieses unglücklichen Mannes erfahren konnte, nämlich Ibn Asl selbst. Und vorausgesetzt, daß es mir gelang, diesen zu ergreifen, so war es doch sehr zweifelhaft, ob es mir gelingen werde, ihm die gewünschte Auskunft abzuzwingen. Ich mußte mich eben auch in dieser Angelegenheit auf meinen guten Stern verlassen.

Der »Falke«, das Schiff des Reh Effendina, lag in gleicher Höhe mit dem Sumpfe am linken Ufer des Niles. Um es zu erreichen, mußte ein Fußgänger vielleicht zwei Stunden lang marschieren. Das konnten die Gefangenen sehr wohl aushalten. Sie sollten unter Deck gebracht werden. Da man die vorhandenen Kamele nicht verladen konnte, sollten dieselben auf dem Landwege nach Chartum transportiert werden, wozu zehn oder zwölf Asaker vollständig genügten.

Es war kurz vor Mittag, als wir aufbrachen. Der Emir hatte sich an die Spitze des Zuges gesetzt, und ich stieg mit Absicht zu allerletzt in den Sattel. Das geschah des Fakir el Fukara wegen. Er lag hilflos am Sumpfe, den Miriaden Stechfliegen, dem Hunger und dem Durste preisgegeben. Das erregte mein Mitleid, obgleich er es nicht verdiente. Ich besaß zwar einen Wasserschlauch, wollte ihn aber nicht opfern; darum hatte ich einen andern, ohne daß man darauf achtete, an mich genommen und an den Sattel gehängt; er war noch halb voll.

Als die letzten des Zuges sich schon eine Strecke entfernt hatten, ritt auch ich fort, aber nicht ihnen nach, sondern zum Maijeh. Ich wußte die Stelle nicht, wo der Fakir el Fukara sich befand und bei welcher man jedenfalls auch Abd. Asl in den Sumpf geworfen hatte, konnte sie aber gar nicht fehlen, weil eine sehr deutliche Spur zu ihr führte. Man hatte den Fakir ja nicht getragen, sondern über das Gras geschleift.

Ich sah ihn neben einem häßlichen Oscherbusche liegen, welcher ganz hart am Ufer stand. Der Sumpf war hier mit stinkendem Grün bedeckt, auf und in welchem riesige Krokodile in träger Ruhe lagen. Das waren die Totengräber und auch – die Gräber des Abd Asl!

Als der Fakir mich kommen hörte, wendete er den Kopf nach mir und stierte mich mit seinen blutunterlaufenen Augen an. Über sein tiefdunkles Gesicht ging ein beinahe tierisch zu nennendes Grinsen. Seinen Lippen entfuhren einige röchelnde Silben, jedenfalls Schimpfwörter, welche ich nicht verstand. Die Hände wahren ihm noch gebunden, und an den aufgesprungenen Füßen wimmelte es bereits von Insekten, welche seine Schmerzen vermehrten. Ich stieg ab und durchschnitt die Schnur, so daß er nun die Hände frei hatte; dann legte ich ihm den Wasserschlauch hin und fügte schließlich den Mundvorrat hinzu, den ich in dem Sattelbeutel bei mir führte. Es war genug für einige Tage. Er sah mir dabei zu, ohne ein Wort zu sagen.

»Hier hast du, damit du nicht verschmachtest,« bedeutete ich ihm. »Mehr kann ich nicht für dich thun.«

Er antwortete mir nur mit einem giftigen Zischen.

»Hast du einen Wunsch?«

Er schwieg.

»Nicht? Dann lebe wohl! Zwei Stunden von hier, gerade gegen Osten, liegt der Nil. Du wirst ihn, noch ehe der Proviant ausgeht, erreichen können.«

Ich stieg wieder auf. Als mein Kamel zu schreiten begann, ertönten hinter mit die dankbaren Worte:

»Allah verdamme dich. Fürchte die Rache, die Rache!«

Bald hatte ich den Zug erreicht und gesellte mich zu dem voranreitenden Emir. Es war gar nicht notwendig, daß wir bei dem ersteren blieben, da ein Unfall nicht zu befürchten stand. Wir waren nicht nötig und ritten darum voraus, um Zeit zu ersparen und eher bei dem Schiffe anzukommen. Dort begaben wir uns in die Kajüte, wo der Emir das erwähnte Empfehlungsschreiben anfertigte. Dann drückte er mir einen Beutel in die Hand, indem er sagte:

»Du wirst in Faschodah Ausgaben für mich zu machen haben. Verfüge über dieses Geld, als ob es dein Eigentum wäre! Ich nehme nichts davon wieder.«

Als der Zug anlangte, bekümmerte ich mich um nichts als um die Vorbereitungen, welche wir zu dem bevorstehenden Ritte zu treffen hatten. Wir wurden mit allem Nötigen reichlich versehen und verabschiedeten uns kurz nach dem Nachmittagsgebete, da wir heute noch eine tüchtige Strecke zurücklegen wollten.

Meine Löwenhaut nahm der Emir nach Chartum mit, wo sie zubereitet werden sollte und ich sie später abholen wollte. Unser Weg führte nicht am Nile hin, dessen Krümmungen wir vermeiden mußten, sondern wir suchten die freie Ebene auf, welche uns ein viel schnelleres Fortkommen bot. Um das, was wir erleben würden, sorgten wir uns nicht. – – –

Beim »Vater der Fünfhundert«


Beim »Vater der Fünfhundert«

Zwei Menschen, ganz allein in der weiten Wüste! Die Sonne brennt so glühend hernieder, daß man sich wie gebraten fühlt und, um nicht geblendet zu werden, die Kapuze des Haïk weit über das Gesicht ziehen muß. Zu sprechen giebt es nichts; man hat sich ja längst ausgesprochen. Zudem liegt die Zunge zu schwer in dem trockenen Munde, daß man, auch wenn Unterhaltungsstoff vorhanden wäre, doch lieber schweigen würde. Vorn, hinten, rechts und links Sand! Die Kamele gehen ihren Schritt, mechanisch wie aufgezogene Maschinen. Sie besitzen nicht das Temperament des edlen Rosses, welches dem Reiter zeigt, daß es sich mit ihm freut und auch mit ihm leidet. Der Herr kann mit seinem Rosse eins sein, mit dem Kamele aber nie, selbst wenn es das kostbarste Hedschihn wäre. Dies spricht sich schon äußerlich durch die Art und Weise aus, wie er auf dem ersteren und wie auf dem letzteren sitzt.

Der Reisige umarmt den Leib seines Rosses mit den Beinen; er hat »Schluß« und macht dadurch die Sage vom Centauren wahr. Diese Umschlingung bringt die Glieder, die Muskeln und Nerven des Mannes mit denen des Pferdes in innige Berührung. Das Roß fühlt die Absichten des Reiters, noch ehe dieser sie äußerlich zur Andeutung bringt. Es gewinnt ihn lieb; es wagt mit ihm; es fliegt mit ihm, und es geht mit vollem Bewußtsein dessen, was es thut, mit ihm in den Tod.

Ganz anders beim Kamele. Auf hohem Höcker im Sattel sitzend, berührt der Reiter das Tier nur, indem er seine Füße über den Hals kreuzt. Es giebt nicht den mindesten »Schluß«, keine äußere und also auch keine innere Vereinigung. So hoch er auf oder über ihm thront, so tief bleibt es im geistigen Verständnisse für ihn zurück. Ist es gutmütig, so gehorcht es ihm wie ein Sklave, ohne die Spur einer eigenen Individualität zu zeigen; ist es aber bösartig und störrisch, wie die meisten sind, so steht es mit ihm in einem immerwährenden Kampfe, welcher ihn ermüden und endlich gar mit Widerwillen erfüllen muß. Wirkliche Liebe für seinen Herrn wird man bei einem Kamele nur äußerst selten beobachten.

Das ist es, was einen einsamen Ritt durch die Wüste noch einsamer macht. Man fühlt ein lebendes Wesen unter sich und kann sich doch nicht mit ihm beschäftigen. Das Pferd giebt durch Wiehern, Schnauben, durch die Bewegung der Ohren und des Schwanzes, durch verschiedene Modulationen des Ganges seine Gefühle zu erkennen; es spricht mit dem Reiter; es teilt sich ihm mit. Das Kamel schreitet gleichmäßig weiter und weiter; es trägt seinen Herrn tage- und wochenlang, lernt ihn aber trotzdem nicht kennen.

Dann wird ein solcher Ritt durch die Einöde zur wahren Pein, und mit Freuden begrüßt man die kleinste Unterbrechung, welche einem ein günstiger Zufall entgegenschickt.

Unsere beiden Hedschihn gehörten zur Klasse der gutwilligen Kamele. Hatten wir uns aufgesetzt, so begannen sie zu laufen »wie die Schneider«, sagt der Deutsche, und sie liefen wie die Schneider und immer weiter, immer in einem und demselben Tempo, ohne sich zu weigern, ohne einmal anzuhalten, ohne die leiseste Spur irgend einer selbständigen Willensregung zu zeigen. Das war entsetzlich langweilig; man verlor zuletzt selbst den Willen; man schlief innerlich ein und behielt nichts als nur das öde Bewußtsein, daß man in einer endlosen geraden Linie durch den Sand getragen werde.

Da weckte mich ein scharfer Schrei aus dem Zustande der seelischen Erschlaffung, in welchen ich gesunken war. Auch Ben Nil fuhr auf und blickte empor in die Luft, in welcher der Schrei erklungen war.

»Schahin!« sagte er, mit der Hand nach oben deutend; dann sank er wieder in sich selbst zusammen. Ja, es war ein Schahin, ein Falke, dessen Schrei wir gehört hatten. Er kreiste hoch über uns. Das Erscheinen dieses Vogels schien für Ben Nil gar nicht beachtenswert zu sein; ich aber hatte sofort meine ganze Energie wieder gewonnen.

»Aufpassen! Es kommt jemand!« sagte ich.

Ben Nil richtete sich wieder empor und sah sich um. Als er innerhalb des Gesichtskreises keinen Menschen erblickte, meinte er:

»Hat mir denn die Sonne die Sehkraft geraubt! Ich sehe niemand, Effendi.«

»Ich auch nicht; aber wir werden jedenfalls bald eine Begegnung haben. Ein Falke schlägt nur lebende Beute; er frißt niemals Aas. Wenn er sich hier in der Wüste befindet, welche keine Lebewesen beherbergt, so muß er einer Karawane gefolgt sein.«

»Oder er hat sich verflogen oder befindet sich auf der Reise.«

»Ein Falke, hier, sich verfliegen? Nein. Passen wir auf, wie dieser Vogel sich verhält.«

Die Blicke auf den Falken gerichtet, beobachteten wir ihn. Er schwebte noch immer über uns, um uns zu beobachten. Da hörten wir wieder einen Schrei, und ein zweiter Falke kam geflogen, von Westen her, und gesellte sich zu dem ersten; sie kreisten miteinander einigemale über uns und flogen dann wieder fort, der Richtung entgegen, aus welcher sie gekommen waren.

»Das war wohl Männchen und Weibchen,« meinte Ben Nil.

»Ja,« antwortete ich, indem ich mein Kamel anhielt und das Fernrohr ergriff, um mit demselben den Flug der Vögel zu verfolgen. »Bleib‘ auch halten! Es ist immer gut, zu wissen, was geschehen wird.«

»Hier kannst du doch nicht eher etwas wissen, als bis du es siehst.«

»Ich habe es ja schon gesehen, nämlich die Falken. Sie sind in gerade westlicher Richtung fort; ich sehe sie deutlich – – jetzt beginnen sie wieder im Bogen zu fliegen; sie kreisen.« Und nachdem ich die Vögel vielleicht zwei Minuten lang beobachtet hatte, fuhr ich fort: »Sie ziehen noch immer ihre Kreise, bewegen sich aber dabei nach Süden. Daraus ziehe ich den Schluß: Da drüben bewegt sich eine Karawane. Sie kommt von nordwärts her und bewegt sich nach Süden, und zwar so langsam, daß ich fast vermuten möchte, daß Fußgänger dabei sind!«

»Woher weißt du, daß sie sich so langsam bewegt?«

»Die Falken schweben über der Karawane; das Tempo der Vögel ist auch dasjenige der Menschen.«

»Effendi, du weißt wirklich Dinge aus Gedanken hervorzuzaubern! Werden wir auf diese Leute treffen?«

»Ja, wenn wir sie nicht absichtlich vermeiden wollen. Sie sind so weit von uns entfernt, daß ein Fußgänger den Weg in einer Stunde zurücklegen kann.«

»W’allah! Wie kannst du das denn so genau wissen? Das haben dir die Falken doch jedenfalls nicht gesagt!«

»Wer sonst als sie! Man weiß doch wohl, wie schnell ein Falke fliegt; ich weiß auch, wie lange diese beiden brauchten, um von uns wieder dort hinüberzukommen; aus diesen beiden Zahlen ist die Entfernung sehr leicht zu berechnen.«

»Ist es möglich, sie zu beobachten, ohne daß sie uns sehen können?«

»Durch das Fernrohr allerdings. Wollen einmal hinüber. In einer Viertelstunde werden wir sie erblicken.«

Es war mit unserer geistigen Müdigkeit vorbei. Der Schrei des Falken hatte uns wachgerufen. Wir lenkten nach Südwest, und ich behielt, indem wir dieser Richtung folgten, die Falken scharf im Auge. Dies that ich, um die Entfernung abzuschätzen und der Karawane nicht etwa so nahe zu kommen, daß wir von ihr aus mit dem unbewaffneten Auge gesehen werden konnten. Der Boden war nämlich eben; wir konnten uns nicht verstecken. Der Charakter der Wüste mußte sich erst gegen Abend verändern, um welche Zeit wir an das Nid en Nil zu gelangen dachten, ein langes und stellenweise sehr breites Regenbette, welches um diese Jahreszeit viel Wasser enthielt. Ich hatte von diesem Nid en Nil sagen hören, daß es sogar in der trockensten Jahreszeit Wasser enthalte und, da es eigentlich niemals austrockne, den Aufenthalt von Nilpferden bilde. Daß diese Tiere soweit nördlich vorkommen könnten, hatte ich bisher nicht gedacht.

Nach ungefähr einer Viertelstunde waren mir die Falken im Fernrohre so nahe gekommen, daß ich es für gut fand, anzuhalten und das Rohr nun gegen die Erde zu richten. Ich versuchte es erst mit dem bloßen Auge; da war nichts zu sehen. Aber durch das Perspektiv – wirklich, da ritten und da liefen sie, eine lange Reihe von Tieren und Menschen. Ich hatte mich also nicht geirrt. Als ich genug gesehen hatte, gab ich Ben Nil das Rohr. Er mußte lange suchen, ehe er die Karawane fand; dann beobachtete er sie ebenso lange und sagte endlich:

»Effendi, du hattest Recht. Es ist eine Karawane. Ich hätte das nicht erraten und wenn noch so viele Falken gekommen wären. Es sind zwanzig Reiter und fünfundvierzig Fußgänger. Was für eine Karawane mag dies sein? Man geht doch nicht zu Fuß durch die Wüste! Es wird doch nicht etwa eine Sklavenkarawane sein!«

»Beinahe undenkbar! Wo sollen hier die Sklaven herkommen? Und eine Sklavenkarawane am weißen Nile, welche von Nord nach Süd zieht, das wäre jedenfalls höchst sonderbar. Die entgegengesetzte Richtung ist die gewöhnliche: die Sklavenjäger holen ihre Ware aus dem Süden und schaffen sie nordwärts.«

»Was für ein Land liegt denn in der Gegend, aus welcher diese Leute zu kommen scheinen?«

»Das Land der Takaleh. Doch warte! Bei der Nennung dieses Namens fällt mir ein, daß die Takaleh, trotzdem sie Muhammedaner sind, die verwerfliche Gewohnheit haben, ihre Kinder zu verkaufen.«

»Allah! Welch eine Sünde und welch eine Schande! Wer wird seinen Sohn oder seine Tochter um Geld verschachern! Diese Takaleh sind gewiß Neger!«

»Sie sind nicht ganz schwarz, und man darf sie nicht etwa für tiefstehende und unbefähigte Menschen halten. Als Ägypten den Sudan eroberte, haben die Takaleh am längsten widerstanden. Sie sind tapfere Krieger und durch den Kampf mit den Ägyptern sehr berühmt geworden. Das Land Takaleh zeichnet sich aus durch seine reichen Kupferminen und durch die Gastfreundschaft, welche seine Bewohner gegen jeden Fremden, welcher bei ihnen einkehrt, üben. Dies letztere darf aber nicht dazu verleiten, ihnen außerhalb der Gastverhältnisse eine allzu große Freundlichkeit zuzutrauen. Sie stehen unter einem Mek, welcher das Recht hat, diejenigen Unterthanen, welche ihm nicht gehorchen oder ihm sonst aus irgend einem Grunde mißliebig geworden sind, als Sklaven zu verkaufen. Kriegsgefangene können auch, wenn sie nicht, wie der alte Gebrauch vorschreibt, alle niedergemetzelt werden, verkauft werden.«

»Dann ist es sehr leicht möglich, daß diese Karawane aus solchen Verkauften besteht. Meinst du, daß wir, wenn wir diesen Leuten begegnen, etwas von ihnen zu befürchten haben?«

»Wohl nicht. Es giebt ja weder bei uns noch bei ihnen ein Interesse, sich an dem andern zu reiben.«

»Wollen wir hinüber zu ihnen?«

»Nein. Wenn wir sie auch nicht zu scheuen haben, so giebt es auch keinen Grund, sie gerade aufzusuchen. Wir wollen noch vor Abend am Nid en Nil sein und machen dort Lager. Treffen sie da auf uns, nun so sind sie eben da; aber geradezu aufzusuchen brauchen wir sie nicht.«

Wir schwenkten wieder nach Süden ein. Die Monotonie des Rittes war glücklich unterbrochen worden, und die Erwartung, ob wir eine Begegnung mit der Karawane haben würden oder nicht, ließ es nicht wieder zu dem Zustande innerlicher Versenktheit kommen, in welchem wir uns vorher befunden hatten.

Der Nachmittag verging, und gegen Abend bemerkten wir, daß wir uns dem heutigen Ziele näherten. Der südliche Horizont, welcher bis dahin mit dem Himmel verschwommen gewesen war, stach jetzt dunkel gegen denselben ab, und da diese dunkle Linie hier in dieser Gegend unmöglich einen Bergzug bedeuten konnte, mußten wir sie als das Anzeichen eines Waldes nehmen.

Wir erreichten denselben an einer Stelle, wo er nur schmal war, weil das Nid en Nil hier eine so tiefe Einsenkung bildete, daß das Wasser desselben die hohen Ufer fast nie berühren und befruchten konnte. Die Steilung, hüben hinab und drüben wieder hinauf, war so bedeutend, daß wir sie unmöglich mit unsern Kamelen passieren konnten. Darum mußten wir solange am Ufer hinreiten, bis wir eine zum Übergange geeignete Stelle fanden.

Dieses Nid en Nil ist ein Regenbette, welches im Charif jedenfalls eine reiche Menge Wassers führt; jetzt aber war die Stelle, an welcher wir auf dieses Bett gestoßen waren, schon vollständig trocken. Nach einer Viertelstunde jedoch verflachten sich die Ufer und bildeten einen Maijeh oder vielmehr eine Art See, dessen Wasser so hell und klar war, daß er nicht wohl ein Sumpf genannt werden konnte. Er war so breit, daß man das andere Ufer nicht sehen konnte. Das unsrige war mit hohen Bäumen besetzt.

Da wir hier nicht hinüber konnten, mußten wir weiter reiten. Der See machte bald eine Krümmung nach links und ging dann in einen schmalen Arm stehenden Gewässers Über, welcher ihn mit einem zweiten, noch größern See verband. Das Wasser dieses Armes konnte nicht tief sein, denn es ragten zahlreiche, stark bewipfelte Bäume aus demselben empor; jedenfalls trocknete es noch vor der heißen Jahreszeit vollständig aus. Hier war es wohl nicht schwer, hinüberzukommen; darum beschloß ich, an dieser Stelle Halt und Lager zu machen.

Wir stiegen also ab, ließen die Kamele von dem ziemlich reinen Wasser trinken und banden sie dann an die Sträucher, welche am Ufer unter den Bäumen standen. So konnten sie von den saftigen Zweigen derselben fressen. Als wir nachher beschäftigt waren, dürres Geäst für ein Feuer zu suchen, um uns gegen die am Wasser stets vorhandenen Stechmücken zu schützen, sahen wir die Karawane kommen, welche wir vorhin beobachtet hatten. Die voranreitenden Männer, bei denen sich ein wahrer Goliath befand, hielten an und betrachteten uns von weitem. Dann kam der Riese auf uns zu, musterte uns aufmerksam und mit finstern Blicken, ritt auch an die Sträucher, um zwischen dieselben hinein- und über sie hinwegzublicken, und fragte dann, ohne vorher zu grüßen:

»Was thut ihr hier an der Mahada ed Dill?«

Dieser Name bedeutet Furt des Schattens, schattige Furt; wir hatten also richtig eine Stelle getroffen, an welcher man über das Nid en Nil kommen konnte. Wenn im Oriente jemand bei irgend einer Begegnung nicht grüßt, so ist das stets ein schlechtes Zeichen. Dieser Mann machte überhaupt keinen Vertrauen erweckenden Eindruck. Darum antwortete ich kurz:

»Wir ruhen aus, wie du siehst.«

»Werdet ihr des Nachts hier bleiben?«

»Das kommt darauf an, ob es uns hier gefällt und ob wir ungestört sein werden.«

»Seid ihr allein?«

»Frage nicht uns, sondern deine Augen!«

»Dir scheint man die Vorzüge der Höflichkeit nicht beigebracht zu haben!«

»Ich besitze sie; aber ich pflege sie nur dann zu zeigen, wenn man auch gegen mich höflich ist. Du hast uns den Gruß versagt.«

»Ich kenne euch nicht; sage, wer du bist!«

»Erst dann, wenn ich deinen Namen und Stand erfahren habe.«

»Ich stehe höher als du, folglich mußt du mir zuerst Auskunft geben. Wisse, ich bin Schedid, der tapferste Krieger des Königs der Takaleh!«

»Und ich bin der Mudir von Dscharabub. Hoffentlich kennst du diesen Ort!«

Wie mir dieser Name auf die Zunge kam, das hätte ich damals ebensowenig sagen können, wie ich es heute sagen kann.

Der Ort ist bekannt, weil der berühmteste muhammedanische Orden der Neuzeit dort gegründet wurde; aber einen Mudir giebt es da nicht und hat es nie gegeben. Ich legte mir diesen Rang bei, um dem Takaleh zu imponieren. Wer und was ich war, wollte und durfte ich ihm aus naheliegenden Gründen nicht sagen. Eine Unwahrheit ist wohl ein geringeres Verbrechen als eine Aufrichtigkeit, durch welche man nicht nur zum Selbstmörder wird, sondern auch das Wohl oder gar das Leben Anderer auf das Spiel setzt.

»Ich habe von diesem Orte noch nie etwas gehört,« antwortete er in wegwerfendem Tone. »Deine Mudirieh wird wohl eine von den Termiten zernagte sein!«

»Allah verzeihe dir diese Unwissenheit! Hast du denn noch nie von Sihdi Senussi gehört?«

»Allah durchbohre dich! Wie kannst du einen frommen Gläubigen mit dieser Frage beleidigen! Alles, was auf der Erde lebt, weiß, daß Sihdi Senussi der größte Prophet ist, welcher das Wort des Islam predigt. Kennst du die Orte Siwah und Farafrah?«

»Natürlich!«

»Sie leuchten wie die Sterne vor allen Orten der Erde, denn dort befinden sich die Universitäten, in denen die Schüler und jünger von Sihdi Senussi gebildet werden.«

»Das weißt du und kennst doch Dscharabub nicht, welches noch viel heller leuchtet? ja, in Dscharabub residiert Sihdi Senussi; in Siwah und Farafrah befinden sich nur seine Schulen. Alle drei Orte aber gehören zu meiner Mudirieh. Von ihnen geht das reinste Licht des Islam aus, vor welchem die Schatten aller Irrlehrer weichen müssen. Mein Haus und dasienige des Sihdi haben miteinander ein einziges Thor; wir leben unter einem Dache und trinken aus demselben Schlauche. Nun sage mir, wer höher steht, du oder ich? Wehe dem, der mir den Gruß verweigert! Es wird ihm ergehen wie dem Lästerer, von welchem die hundertvierte Sure spricht: ›Er wird hinabgeworfen in Hutama. El Hutama aber ist das angezündete Feuer Allahs, welches über die Frevler zusammenschlägt!‹ Jetzt brüste dich weiter, o Schedid, der du nichts als nur der Diener eines Menschen bist!«

Da ließ er sein Kamel vor mir niederknieen, stieg ab, verneigte sich tief und sagte:

»Laß die Sonne deiner Verzeihung über mir aufgehen, o Mudir! Ich konnte doch nicht ahnen, daß du der Freund und Gefährte dieses heiligen Senussi bist. Euer Orden wird die ganze Welt umfassen, und vor eurer Macht werden sich beugen alle Menschen, welche leben und noch leben werden. Wie soll ich deinen jungen Gefährten nennen?«

»Die Zahl seiner Jahre beträgt nicht viel, aber die Vorzüge seines Geistes haben ihn schon berühmt gemacht. Er wurde auf der Universität von Farafrah gebildet und ist mit mir ausgezogen, um den Glanz unsers Ordens auch in diesem Lande hier leuchten zu lassen. Er ist Chatib. Nenne ihn so!«

Das wäre etwas für Selim, den Aufschneider, gewesen! Dieser hätte gewiß sofort eine fulminante Rede gehalten, welche von Eigenlob übergeflossen wäre. Ben Nil aber sagte nur, und zwar im würdevollsten Tone, der ihm möglich war:

»Du hast dich gegen uns vergangen, weil du uns nicht kanntest. Wir verzeihen dir.«

Daß er als Muhammedaner die Unwahrheiten, deren ich mich schuldig gemacht hatte, bestätigte, war ein Zeichen, wie lieb er mich hatte. Der Takaleh befand sich in einer sichtbaren Verlegenheit. Ich sah es ihm an, daß er gern in unserer Nähe lagern wollte, dies aber mit der Hochachtung, welche er uns schuldig zu sein glaubte, nicht für vereinbarlich hielt. Er blickte nach seiner Karawane, welche halten geblieben war, zurück und sagte:

»Wir wollten bis morgen hier an dieser Stelle bleiben; nun aber werden wir uns wohl einen andern Ort suchen müssen, weil wir es doch nicht wagen können, in der Nähe so heiliger Männer zu lagern.«

»Vor Allah sind alle Menschen gleich. Ich erlaube euch also, hier bei uns Platz zu nehmen,« antwortete ich.

»Ich danke dir, o Mudir, und gebe dir die Versicherung, daß meine Leute sehr andachtsvolle Zuhörer eurer Reden sein werden.«

»Glaube nicht, daß wir euch Predigten halten. Alles zu seiner Zeit und am rechten Orte. Das Wort darf nur dann vom Munde fließen, wenn der Geist im Innern mächtig wird.«

Es konnte mir natürlich nicht einfallen, hier als muhammedanischer Missionar aufzutreten. Ich hatte imponieren wollen und weiter nichts, und das war mir gelungen, wie das völlig veränderte Benehmen dieses Takaleh bewies. Aber trotz seiner gezeigten tiefen Ehrerbietung stieß er mich in einer Weise ab, daß ich ihn am liebsten weit von mir fort gewünscht hätte. Seine Züge waren regelmäßig, und seine Stimme hatte einen kräftigen, wohllautenden Klang; daß er mir trotzdem so sehr unsympathisch war, hatte keine äußeren, sondern innere Gründe, über welche ich mir freilich selbst keine Rechenschaft zu geben vermochte.

Er winkte seinen Leuten, herbeizukommen. Wir hatten uns nicht geirrt; es waren gerade so viele Personen, wie wir gezählt hatten. Jetzt konnten wir, was vorhin durch das Rohr nicht möglich gewesen war, auch die beiden Geschlechter unterscheiden. Die Hälfte der Fußgänger waren nämlich eigentlich Fußgängerinnen; allen aber waren, was wir erst jetzt bemerkten, die gefesselten Hände an einem langen Seile befestigt; sie waren also Gefangene.

Die Reiter brachten sie getrieben. Schedid rief ihnen einige Worte zu, auf welche hin man uns mit großer Demut grüßte. Nachdem die ersteren abgestiegen waren, versorgten sie erst ihre Tiere und führten dann die Gefangenen zum Wasser, damit auch sie trinken sollten. Dann mußten die letzteren, welche gar nicht losgebunden wurden, sich in unserer unmittelbaren Nähe niederlegen. Sie gehorchten in einer Weise, daß man sah, sie hatten sich in ihr Schicksal vollständig ergeben.

Was mir auffiel, war, daß zwischen den Gefangenen und ihren Begleitern nicht der geringste Unterschied im Typus zu entdecken war; sie schienen zu demselben Volke und Stamme zu gehören. Ihre Farbe war nicht schwarz, sondern schwärzlich braun, ihr Bart schwach und ihr Haar nicht gekräuselt, sondern starr. Der Anführer erteilte fünf von seinen Leuten die besondere Aufgabe, auf die Gefangenen zu achten, und sagte zu den übrigen:

»Öffnet eure Augen, ihr Leute, und seht hier zwei Männer, deren Gebete euch den Himmel zu öffnen vermögen! Hier sitzt der berühmte und heilige Mudir von Dscharabub, welcher ein Oberster der Senussi ist und mit Sihdi Senussi in einem Hause wohnt, und neben ihm erblickt ihr einen frommen Jüngling, dem trotz seiner Jugend die Gabe gegeben ist, die reinen Lehren des Kuran zu verkündigen. Beugt euch vor ihnen, und laßt es euch nicht einfallen, ihnen durch unbedachte Worte lästig zu werden!«

Diese letztere Mahnung konnte auch in andern Worten lauten: »Seid klug und vorsichtig, und verratet nicht durch unbedachte Reden, daß wir schlechte Kerle sind!« Sie verschlangen die Arme über der Brust und beugten sich dann fast bis zur Erde nieder. Nachher setzten sie sich so nahe zu uns, daß sie uns zwar nicht lästig fielen, aber alles, was wir sprachen, hören konnten. Sie nahmen ihre Speisevorräte aus den Säcken, um einen Imbiß zu halten, aber die Gefangenen bekamen nichts. Darum fragte ich Schedid:

»Meinst du nicht, daß die andern auch Hunger haben?«

»Was geht es mich an, wenn sie hungern?« antwortete er. »Sie bekommen täglich einmal zu essen und zu trinken. Wenn sie jetzt Hunger haben, so mögen sie schlafen. Sie sind Requiq und haben übrigens heute schon mehr erhalten, als sie erwarten können, denn sie haben hier getrunken.«

»Wasser aus dem See, während ihr aus den Schläuchen nahmt!«

»Für Requiq ist Wasser Wasser. Wenn es ihnen nicht schmeckt, so kann ich es nicht ändern.«

»Sie sind also Sklaven. Wo hast du sie gekauft?«

»Gekauft? O Mudir, wie sind die Heiligen, welche alle Himmel kennen, doch so unerfahren auf der Erde! Ein Takaleh kauft niemals Requiq, sondern er macht sie sich.«

»So sind diese Sklaven deine Stammesgenossen?«

»Natürlich!«

»Was haben sie gethan, daß man sie zu Requiq gemacht hat?«

»Gethan? Eigentlich nichts. Der Mek braucht Geld; darum verkauft er sie.«

»Kann er alle seine Unterthanen verkaufen?«

»Alle, welche ihm ungehorsam sind oder ihm aus sonst einem Grunde nicht mehr gefallen. Jeder Vater kann seine Kinder, jeder Mann seine Weiber und jeder Mächtige diejenigen verkaufen, über welche er zu gebieten hat.«

»Was würdest du dazu sagen, wenn der Mek auch dich verkaufte?«

»Ich müßte mich fügen.« Aber so leise, daß nur ich es hörte, fügte er hinzu: »Ich würde es nicht dulden, sondern ihn erwürgen!«

Der Umstand, daß er mich für einen Heiligen hielt, hinderte ihn gar nicht, mir diese Wahrheit anzuvertrauen. Entweder galt ihm selbst ein Oberster der Senussi weniger, als er sich vorhin den Anschein gegeben hatte, oder es war ihm überhaupt nichts heilig. Daß dieses letztere der Fall war, zeigte sich Sofort, als ich ihn fragte:

»Hast du auch schon Requiq verkauft?«

»Schon oft. Auch bei diesen hier sind ein Weib und zwei Töchter von mir.«

»Warum verkaufst du sie?«

»Weil ich mir ein anderes Weib genommen habe, und weil es besser ist, man bekommt die Töchter bezahlt, als daß man sie ernähren muß.«

Er sagte das mit einer vollständig unbegreiflichen Gefühllosigkeit und in einem Tone, als ob er mit seinen Worten ganz selbstverständlich nicht nur seine eigene, sondern die Ansicht aller Menschen überhaupt ausgesprochen habe.

»Haben sie sich gutwillig gefügt?« erkundigte ich mich.

»Was wollten sie dagegen thun? Sie haben gefleht und geweint; aber was bedeutet die Thräne einer Frau? Das Weib hat keine Seele und kann also auch nicht in den Himmel kommen.«

»Wohin führst du diese Sklaven?«

»Nach Faschodah zu einem Manne, weicher mir meine Requiq regelmäßig abnimmt.«

Er hatte mir eine andere Antwort, vielleicht eine genaue Auskunft geben wollen, sich aber unterbrochen. Er traute mir also doch nicht ganz.

»Warst du schon oft in Faschodah?« fragte ich weiter.

»Ich ziehe nach jedem sechsten Monate hin, um Requiq zu verkaufen. Wohin wird denn dich deine jetzige Reise führen, o Mudir?«

»Zunächst nach Makhadat el Kelb, wo ich über den weißen Nil setzen werde, um das Volk der Fungi, dem ich predigen will, aufzusuchen.«

»Wirst du auch nach Faschodah kommen?«

»Jetzt nicht, vielleicht aber später.«

Nun hatte die Sonne scheinbar den Horizont berührt, und also war die Zeit des Mogreb-Gebetes gekommen. Die Leute, welche gesessen hatten, selbst auch die aneinander gebundenen Gefangenen, erhoben sich auf die Kniee, und aller Augen richteten sich auf mich. Der Vornehmste hat nämlich stets das Gebet zu sprechen, und die andern fallen nur an gewissen Stellen ein. Das war ein kritischer Augenblick für mich. Ich hatte schon sehr oft mit Muhammedanern gebetet, aber natürlich nicht laut und nicht zu Allah und den Propheten; aber jetzt so vielen Leuten die verschiedenen Verbeugungen vorschreiben und die Fathha, die vorgeschriebenen Kuranverse, den Gruß an Muhammed und den Erzengel vorbeten, das war unmöglich; das wäre eine große, große Sünde gewesen. Aus dieser Verlegenheit zog mich Ben Nil, indem er sagte:

»Mudir, du hast stets nur die drei Tagesgebete gesprochen und mir die beiden Gebete des Abends überlassen. Erlaubst du, daß es auch heute so geschieht?«

»Ja, bete vor, o Chatib, du Liebling des Propheten,« antwortete ich. »Deine Worte gehen denselben Weg wie die meinigen und werden das Ziel, nach welchem jedes Gebet gerichtet ist, ebenso erreichen, als ob sie aus meinem eigenen Munde kämen.«

Als das Mogreb gesprochen war, aß ich mit Ben Nil. Die Takaleh wendeten dabei ihre Gesichter zur Seite, um mich nicht essen zu sehen, wie es einem vornehmen oder frommen Manne gegenüber die Höflichkeit vorschreibt. Da ich mich darauf schweigsam verhielt, wagte Schedid es nicht, zu sprechen; auch die andern waren vollständig still, denn sie hielten mich und meinen jungen »Prediger« für in fromme Gedanken versunken, in denen man uns nicht stören dürfe.

Dann ging der Mond auf und warf die Schatten der Baumwipfel über uns. Zu meiner Rechten lag die sterile, erbarmungslose Wüste, und zu meiner Linken glänzten wie winzige Elfenleiber die Blüten jener ewig ruhelosen Pflanze auf dem Wasser, welche nicht im Boden wurzelt und deshalb immerwährend ihren Standort ändert. Sie kommt besonders im Tsadsee in großen Mengen vor, und die Bewohner von Bornu und Baghirmi singen ein Ruderlied, eine allerliebste Gondeliera von ihr, welche deutlich beweist, daß auch jene Völker poesiereich sind. Das Lied würde, frei ins Deutsche übersetzt, lauten:

»Es treibt die Fanna heimatlos
Auf der bewegten Flut,
Wenn auf dem See gigantisch groß
Der Talha Schatten ruht.
Er breitete die Netze aus
Im klaren Mondesschein,
Sang in die stille Nacht hinaus
Und träumte sich allein.
Da rauscht es aus den Fluten auf,
So geisterbleich und schön;
Er hielt den Kahn in seinem Lauf
Und ward nicht mehr gesehn.
Nun treibt die Fanna heimatlos
Auf der bewegten Flut,
Wenn auf dem See gigantisch groß
Der Talha Schatten ruht.«

Anstatt in die Tiefe des Islam versunken zu sein, dachte ich beim Anblicke der hellen Blüten der »heimatlosen Fanna« an dieses Lied und den Schauplatz desselben, wo nächtlicherweile Löwen, Elefanten, Nashörner und Nilpferde, die Riesen der Tierwelt, friedlich einander am Ufer begegnen; friedlich, aber nur aus Furcht, dem gewaltigen Gegner unterliegen zu müssen. Da unterbrach einer der Takaleh die Stille, indem er, hinaus in die Wüste deutend, rief.-

»Ein Mann, ein Reiter; wer mag er sein?«

Es kam wirklich jemand geritten, und zwar gerade auf die »Furt des Schattens« zu. Er mußte sie genau kennen. Er schien aus Nordost, also vom Nile herzukommen, während unsere Richtung eine nordwestliche gewesen war. Sein heller Burnus glänzte im Mondesscheine. Unser Feuer brannte; er mußte es sehen. Daraus, daß er trotzdem so unbedenklich näher kam, ließ sich vieles schließen. Erst als er sich ganz nahe befand, hielt er sein Kamel an und grüßte:

»Allah gebe euch hunderttausend solche Nächte! Erlaubt ihr mir, meine Ruhe bei euch zu halten?«

Da ich schwieg und Ben Nil ebenso, antwortete Schedid, der Anführer der Takaleh:

»Steig ab und setze dich! Du bist willkommen.«

Der Mann sprang aus dem Sattel, ließ sein Kamel ans Wasser laufen und trat an unser Feuer, um sich zwischen Schedid und Ben Nil niederzusetzen. Da die Gefangenen nicht so nahe am Feuer, sondern mehr im Schatten lagen, hatte er sie nicht deutlich erkennen können; jetzt aber sah er, daß diese Personen an ein Seil gebunden waren. Sein Gesicht nahm sofort einen merklich befriedigten Ausdruck an, und sein Ton klang wie erleichtert, als er sagte:

»Allah hat mich gerade zur richtigen Zeit nach der Furt des Schattens geführt, denn ich vermute, daß diese Gefangenen zum Volke der Takaleh gehören. Habe ich richtig geraten?«

»Ja,« antwortete der Anführer.

»So muß sich auch Schedid, der oberste Diener des Königs, hier befinden. Welcher von euch ist es?«

»Ich selbst bin es. Wer aber bist du, daß du meinen Namen kennst?«

»Ich bin ein Ben Baqquara und wohne an der Mischrah Omm Oschrin. Ich bin der Freund eines Mannes, den auch du kennst, Ibn Asl.«

»Hat deine Bekanntschaft mit ihm etwas mit deinem jetzigen Ritte zu thun?«

»Ja, denn ich bin als sein Bote an dich gesandt.«

»Er sendet dich zu mir? Nicht dahin, wo ich wohne, sondern hierher an diese Stelle, wo es so sehr zweifelhaft ist, ob und wann ich da angetroffen werden kann? Das muß einen ganz außerordentlichen Grund haben!«

»Den hat es auch. Er war aber gar nicht ungewiß darüber, daß ich dich hier finden würde. Er sagte, daß du jährlich zweimal dein Land verließest, um nach Faschodah zu gehen, und daß diese Reisen zu ganz bestimmten Zeiten von dir unternommen werden.«

»Das ist wahr.«

»Er kennt die Tage deiner Abreise und deiner Ankunft genau und kann also ziemlich leicht berechnen, wo du dich an einem gewissen Tage befindest. Er sagte, daß ich dich ganz sicher morgen oder übermorgen hier an der Furt treffen würde.«

»Er hat sich um einen Tag geirrt, weil ich diesmal um einen Tag eher aufgebrochen bin. Welche Botschaft ist es, die du mir bringen sollst?«

»Es ist eine Warnung. Du sollst dich während des Marsches nicht dem Nile zu weit nähern und die Requiq diesmal nicht direkt nach Faschodah bringen, sondern die Leute in der Nähe verstecken und dann zu Ibn Mulei, dem Sangak der Arnauten, gehen, um ihm zu sagen, wo sie zu finden sind.«

»Wozu diese Umstände?«

»Weil es einen fremden Effendi giebt, welcher sich in dieser Gegend umhertreibt, um die Sklavenhändler zu fangen und an den Reïs Effendina abzuliefern.«

»Allah vernichte diesen Hund!«

»Er ist noch dazu ein Christ!«

»So möge Allah ihn nicht vernichten, sondern ihn in alle Ewigkeit im schrecklichsten Winkel der Hölle aufbewahren! Was hat dieser Christenhund sich um die Sklavenhändler zu kümmern!«

»Ich soll dir sagen, daß er sich jetzt höchst wahrscheinlich mit dem Reïs Effendina auf der Nilfahrt nach Faschodah befinden wird. Da diese Leute öfters an das Land steigen, könnten sie dich leicht entdecken und ergreifen, falls du dich dem Strome zu nahe hältst. Aus diesem Grunde sendet mich Ibn Asl, um dich zu warnen.«

»Das war nicht nötig. Was gehen mich die Gesetze des Vicekönigs an! Ich diene meinem Könige. Unser Gesetz erlaubt es, Menschen zu verkaufen. Wenn ich darnach handle, kann kein Mensch mir etwas thun. Zudem haben wir einen mächtigen Beschützer in Ali Effendi el Kurdi, dem Mudir von Faschodah, welcher dem Reïs Effendina schon manchen Fang vor der Nase weggeschnappt hat. Was hätten wir also zu fürchten? Ich werde meinen gewöhnlichen Weg nicht ändern, eines verfluchten Christen wegen erst recht nicht. Es sollte mich im Gegenteile freuen, auf ihn zu treffen; ich würde ihn hier zwischen meinen Fäusten zermalmen!«

Er rieb die gewaltigen Hände gegeneinander, wobei der Ausdruck seiner sonst nicht unangenehmen Züge ein ganz anderer geworden war. Man kann sich leicht denken, mit welchem Interesse ich Zeuge dieses Gespräches war. Dabei freute es mich, zu hören, daß weder Schedid noch der Bote etwas von der kürzlichen Absetzung des Mudirs Ali Effendi el Kurdi zu wissen schien; ebenso froh war ich, zu erfahren, daß der Sangak der Arnauten wirklich derjenige war, als welchen ihn uns der Oberlieutenant des Sklavenjägers bezeichnet hatte. Ich wußte nun mit Sicherheit, an welche Person ich mich wenden mußte. Die Worte Schedids bewiesen ein großes Selbstvertrauen; dies konnte mir nur lieb sein, denn je sicherer er sich fühlte, desto mehr arbeitete er mir in die Hände. Und doch ahnte ich jetzt noch nicht, was ich alles noch hören würde! Der Bote eiferte gegen dieses Selbstvertrauen, indem er warnte:

»Fühle dich da nicht so sicher! Meinst du, daß Ibn Asl mich zu dir gesandt hätte, wenn er nicht vollständig überzeugt wäre, daß dies notwendig sei? jener christliche Effendi soll viel gefährlicher sein, als der Reïs Effendina selbst!«

Da stand Schedid auf, reckte seine mächtige Gestalt in die Länge und Breite und rief:

»Schweig lieber davon, und schau mich einmal an! Sehe ich aus, als ob ich mich vor einem Menschen, noch dazu vor einem Christen zu fürchten hätte? Ich schlage fünf oder zehn solche Hunde auf einmal nieder!«

»Ja, du bist stark; das sagte mir Ibn Asl; aber er meinte dennoch, daß dieser Christ ebenso stark, vielleicht noch stärker sei als du.«

»Als ich?! Wie kann Ibn Asl mich auf diese Weise beleidigen wollen! Ich bin noch von keinem Menschen besiegt worden!«

»Er hat dich nicht beleidigen wollen, denn er meinte wohl nicht nur die Körperkraft, sondern auch diejenige Stärke oder denjenigen Vorteil, welchen ein listiger Mann vor seinem Gegner besitzt. Dieser Giaur soll nämlich ein Ausbund von Verschlagenheit sein. Er vermag alles, selbst das Geheimnisvollste, zu erraten, und stets ist derjenige, der ihm eine Falle stellte, selbst hineingefallen. Ibn Asl hat mir einiges erzählt. Er hatte nicht viel Zeit; aber das wenige, was er mir über den Christen berichtete, müßte dich zur größten Vorsicht bewegen.«

»So erzähle einmal! Ich möchte mit meinen eigenen Ohren hören, warum ein gläubiger Moslem sich vor einem ungläubigen Hunde fürchten soll.«

Er setzte sich wieder nieder, und der Bote erzählte unsere Abenteuer. Obgleich dies nur in kurzen Umrissen geschah, meinte, als er geendet hatte, doch der Takaleh:

»Dieser Hund scheint wirklich äußerst gefährlich zu sein. Man hat sich vor ihm in acht zu nehmen. Da er mich aber nicht kennt und auch ganz und gar nichts von mir weiß, so habe ich ihn nicht zu fürchten.«

»Kannst du behaupten, daß er nichts von dir weiß? Er hat die Leute Ibn Asls gefangen. Wenn es ihm nun gelungen ist, einen dieser Leute zum Sprechen zu bewegen!«

»Das ist wahr!«

»Und selbst wenn er nichts von dir erfahren hätte, er würde dich doch anhalten, wenn du ihm mit deinen Requiq begegnetest.«

»Ich würde ihn besiegen!«

»Vielleicht, ja, wenn es ihm einfiele, dich offen anzugreifen; aber du hast ja gehört, wie vorsichtig und listig er ist. Weiche ihm also aus, so sehr du kannst!«

»Gut, ich werde dies thun, aber nicht, weil ich mich fürchte, sondern weil Ibn Asl es wünscht. Wo befindet sich dieser jetzt?«

»Es war gestern mittag, als er auf seiner Kamelstute nach der Mischrah Omm Oschrin kam. Ich bin dann sofort aufgebrochen und jetzt hier angekommen. Da kannst du rechnen, daß er heute abend schon weit über Makhadat el Kelb hinaus ist.«

»Will er ganz bis Faschodah reiten?«

»Ja.«

»Und, da alle seine Leute gefangen sind, wo will er neue Männer für den Sklavenfang hernehmen?«

»Er will Schilluks und Nuehrs anwerben, vielleicht auch Dinkas, ganz wie er die Gelegenheit findet. Das muß aber bald geschehen, denn der Reïs Effendina ist hinter ihm her. Er muß sich in Faschodah verstecken, weil er auf dich warten will. Und da fällt mir ein, daß er mich beauftragt hat, dir besonders einen dieser Sklaven an das Herz zu legen. Ich soll dir sagen, es sei derjenige, den er vor sechs Monaten bei deiner letzten Reise bestellt hat.«

»Also Hafid Sichar! Dort liegt er. Er ist der erste am Seile.«

»Es war Ibn Asl ganz besonders darum zu thun, diesen Mann wieder zu bekommen. Du sollst ihn auf das strengste beaufsichtigen lassen.«

»Ich werde auf ihn achten und nicht unvorsichtig sein. Aber gerade die Hauptsache hat Ibn Asl vergessen. Das, worauf es am meisten ankommt, hat er mir nicht sagen lassen. Wie nun, wenn ich diesem christlichen Effendi begegne?! Ich kenne ihn nicht und kann also sehr leicht, wenn nicht seiner Stärke, so doch seiner List verfallen. Ibn Asl hat ihn gesehen und sogar mit ihm gesprochen. Wie konnte er vergessen, mir durch dich eine Beschreibung dieses Hundes zu senden!«

»Allah! Was bin ich für ein Bote!« rief der Mann, indem er sich mit der Hand gegen die Stirn schlug. »Nicht er hat, sondern ich habe es vergessen. Er gab mir sogar eine sehr genaue Beschreibung und fügte auch noch einen Namen bei, welcher Ben Nil lautet.«

O wehe! Ich griff unwillkürlich mit der Hand nach dem Revolver, denn das Gespräch begann eine für mich unerquickliche Wendung zu nehmen. Wenn dieser Mann unser Signalement genau behalten hatte, so war ich verraten. Ben Nil hatte ganz denselben Gedanken und warf mir einen besorgt forschenden Blick zu.

»Ben Nil?« fragte Schedid. »Wer ist das?«

»Ein junger Mensch, welcher, obgleich er Moslem ist, sich stets an der Seite dieses Effendi befindet. Allah zerreiße ihn! Nie ist der eine ohne den andern zu sehen. Darum hat Ibn Asl mir eine Beschreibung von beiden gegeben.«

»So gieb sie nun mir!«

»Dieser Ben Nil ist ungefähr achtzehn Jahre alt und ohne Bart, von schmächtiger Gestalt, besitzt aber bedeutende Körperkraft. Haare und Augen sind dunkel, die Wangen voll. Die Kleidung, welche er zuletzt trug, bestand aus – –«

Er hielt inne, musterte Ben Nil mit erstaunten Augen und rief dann aus:

»Welch ein Wunder! Die Beschreibung, welche ich von diesem abtrünnigen jungen Moslem erhalten habe, paßt ganz und genau auf diesen Jüngling, welcher da an meiner Seite sitzt!«

»Du irrst, oder es ist ein Zufall.«

»Ich sage dir aber, es stimmt genau, sehr genau.«

»Das ist möglich, da du jenen Ben Nil nicht gesehen hast. Dunkle Haare und Augen, schmächtige Gestalt und volle Wangen besitzen tausend junge Leute. Dieser Jüngling aber ist über jeden Zweifel erhaben, denn er ist ein berühmter Chatib, vom heiligen Orden des Sihdi Senussi.«

Der Bote kreuzte die Arme über die Brust, verneigte sich gegen Ben Nil und sagte:

»Dann irre ich mich allerdings; aber ich habe diesen frommen Chatib, den Allah segnen wird, nicht beleidigen wollen.«

Gott sei Dank! Die kleinere Hälfte der Gefahr war überstanden! Wie würde es aber mit der anderen, größeren Hälfte werden! Um dies zu erfahren, hatte ich gar nicht lange zu warten, denn Schedid sagte:

»Dieser Ben Nil ist überhaupt eine Nebenperson für mich. Die Hauptsache ist doch die Beschreibung des Effendi. Du wirst sie mir so genau wie möglich geben.«

Ich wünschte im stillen, daß sie so ungenau wie möglich ausfallen möge; aber leider war dies keineswegs der Fall. Ibn Asl hatte seinem Boten meinen »Steckbrief« auf das sorgfältigste eingeprägt. Kaum war meine Gestalt, mein Gesicht und ein Teil meiner Kleidung beschrieben, so erging es dem Sprecher wie vorhin bei der Beschreibung Ben Nils: Er hielt inne, fixierte mich betroffen und fuhr dann fort:

»Allah ist groß! Sollte man es für möglich halten! Da sitzt ja derjenige, den ich beschreiben soll, in eigener Person! Er ist’s, er ist’s! Da ist gar kein Zweifel möglich!« – Man kann sich denken, welches Aufsehen diese Worte erregten. Alle blickten auf mich; sogar die Gefangenen erhoben ihre Köpfe, und einer von ihnen rief.

»Hamdulillah! Vielleicht bin ich nun gerettet!«

Glücklicherweise schenkte niemand diesen Worten Aufmerksamkeit, weil die letztere ausschließlich auf mich gerichtet war. Nur ich allein achtete auf sie, weil ich mich mit dem, der sie gesprochen hatte, schon seit einiger Zeit eingehend beschäftigt hatte. Er war nämlich von Schedid Hafid Sichar genannt worden, und so hieß der, den ich eifrig suchte, nämlich der verschollene Bruder des Führers von Maabdah. Sollte es dieser sein? Ibn Asl hatte durch seinen Boten sagen lassen, daß man auf ihn ganz besonders aufmerksam sein sollte. Er mußte ihm also wichtig sein. Ich neigte mich sehr der Ansicht zu, daß ich, so vieles auch dagegen sprach, den Gesuchten hier gefunden hatte. Und in dieser Ansicht wurde ich durch den Ausruf bestärkt, den ich jetzt von ihm gehört hatte. Die Erzählung des Boten war von ihm verstanden worden; er mußte mich für einen unternehmenden und unerschrockenen Menschen halten; er glaubte, wenn ich der gefürchtete fremde Effendi sei, könne mich nur die Absicht, die Gefangenen zu befreien, hierher geführt haben, und darum entführen seinen unvorsichtigen Lippen die Worte, daß er nun vielleicht gerettet sei. Ich hatte jetzt natürlich nicht mehr Zeit, auf ihn zu achten, sondern ich mußte meinen äußern und innern Menschen ausschließlich der Gefahr widmen, in welche ich selbst geraten war.

Ein kurzer Blick auf Ben Nil beruhigte mich. Dieser zeigte sich keineswegs erschrocken, sondern auf seinem Gesichte lag ein so überlegen lächelndes Staunen, als sei er ganz gewiß und sicher derjenige, für den ich ihn ausgegeben hatte, und wundere sich nun über die Möglichkeit, für einen andern gehalten zu werden. Ich konnte mich auf ihn verlassen und in Beziehung auf sein Verhalten vollständig ruhig sein.

Was nun mich selbst betraf, so blickte ich dem Boten wie fragend in sein erregtes Gesicht und sagte kein Wort. Ich that so, als ob ich nicht imstande sei, das, was er gesagt hatte, zu verstehen. Schedid sah bald ihn und bald mich an. Er war überzeugt worden, daß meine Person genau mit dem Signalement stimme; aber die würdevolle Ruhe, welche ich bewahrte, machte ihn irre.

»Was sagst du?« fragte er den Boten. »Dieser Mann, welcher hier an meiner rechten Seite sitzt, soll jener ungläubige Effendi sein?«

»Ja, er ist’s! Er kann kein anderer sein.«

»Du irrst dich abermals. Dieser heilige Mann ist der Mudir von Dscharabub, der Vertraute und beste Freund des Sihdi Senussi.«

»Ist das wahr? Kannst du das beweisen?« fragte der Bote.

»Ich weiß es von ihm selbst.«

»Von ihm selbst, von ihm selbst!« lachte der Baqquara-Araber. »Wenn du es von keinem andern, von keinem sicherern Manne weißt, so ist es um deinen Beweis sehr schlecht bestellt. Habe ich dir nicht erzählt, daß der Giaur sich schon öfters einen falschen Namen gegeben hat?«

»Allah! Ich habe es gehört. Sollte – – !«

Er sah mich mit Augen an, in denen das Vertrauen mit dem Mißtrauen um den Sieg rang. Ich antwortete mit einem festen, verwunderten Blicke und fragte:

»Was sagt dieser Mann? Spricht er von mir?«

»Natürlich meint er dich!« antwortete Schedid. »Hast du denn nicht verstanden?«

»Hätte ich ihn verstanden, so müßte ich ihn für toll halten; lieber will ich annehmen, daß ich falsch gehört habe.«

»Er behauptet, du seist der christliche Effendi, von welchem er gesprochen hat.«

»Allah sei ihm gnädig! Also hat er es wirklich gesagt! Sein Geist ist krank. Er mag Tücher ins Wasser tauchen und sie sich um die Stirne legen, dann wird ihn das Fieber verlassen.«

»Ich bin nicht krank; ich weiß, was ich sage!« rief der Baqquara. »In einer einzelnen Person mag man sich irren, aber in zwei Menschen zugleich, das ist unmöglich. Der junge Mann stimmt ganz genau auf Ben Nil und der andere genau auf den Effendi. Sie sind es! Was haben sie für Kamele? Ihn Asl sagte, daß sie auf grauen Hedschihn reiten.«

»Das ist richtig,« antwortete Schedid.

»Richtig? Also ein neuer Beweis, daß ich mich nicht irre! Laß dich nicht betrügen, o Schedid! Untersuche den Fall genau!«

Schedid war jetzt doppelt bedenklich geworden. Er meinte zu mir:

»Du hörst, was er sagt. Ich hege alle Ehrerbietung für deine Heiligkeit; aber ich habe keinen Beweis, daß sie richtig ist. Also bitte ich dich, mir dazu zu verhelfen, daß ich dir vertrauen kann.«

»Also du mißtraust mir wirklich?« fragte ich in scheinbar maßlosem Erstaunen. »Ich soll beweisen, daß ich der bin, der ich bin! Sage mir doch, wo wir uns befinden!«

»Nun, hier an der Machada ed Dill.«

»Und wo ist jener Effendi, wie Ibn Asl selbst gesagt hat?«

»Unterwegs auf dem Nil.«

»Kann ich also er sein?«

»Das, was Ibn Asl gesagt hat, ist ja nur eine Vermutung. Wenn nur einer von euch mit der Beschreibung übereinstimmte, so wäre ein Irrtum denkbar, da aber euere beiden Personen stimmen, so steht es sehr schlimm um dich. Wenn du jener Effendi bist, muß ich dich töten.«

»Aber ich bin es nicht!«

»Das ist nicht erwiesen. Hast du einen Beweis bei dir, daß du die Wahrheit sagst?«

»Der einzige und beste Beweis bin ich selbst.«

»Dann muß ich dich festnehmen und bei mir behalten, um dich Ibn Asl zu zeigen!«

»Das wirst du nicht thun, denn dadurch würde unser heiliges Werk gestört werden.«

»Wenn du mich nicht in den Stand setzest, an dieses heilige Werk glauben zu können, kann ich es nicht berücksichtigen.«

»Du wirst es berücksichtigen, denn ich bin überzeugt, daß du weißt, im Besitze welcher Mächte und Geheimnisse mein Orden sich befindet. Ich würde dieselben gegen dich in Anwendung bringen.«

In der Bevölkerung jener Gegend herrscht der finsterste Aberglaube; darum riefen diese Worte den heilsamen Schreck hervor, den ich beabsichtigt hatte. Schedid befand sich in einer schlimmen Lage. War ich der Effendi, so mußte er mich töten oder wenigstens festnehmen; war ich aber wirklich der Senussi, für den ich mich ausgab, so war ich nicht nur ein heiliger Mann, sondern auch ein Zauberer, welcher, um sich zu rächen, alle guten und alle bösen Geister auf die Beine bringen konnte. Vor diesen meinen Zauberkräften hatte er eine heillose Angst, doch hetzte ihn der Bote durch weitere Bemerkungen immer mehr gegen mich auf, daß er endlich zu mir sagte:

»Ich weiß nicht, was ich thun soll. Ich möchte dir nicht Mißtrauen, und du kannst dich doch nicht legitimieren. Aber du kannst auf zweierlei Art meine Zweifel beseitigen. Wirst du darauf eingehen?«

»Sprich zuerst!«

»Du hast gehört, daß dieser Effendi ein sehr starker Mann sein soll. Kämpfe mit mir, damit ich erfahre, ob du die Kraft besitzest, welche er haben soll.«

Das war nun freilich eine Pfiffigkeit und Findigkeit von ihm, die ihm keine Prämie eintragen konnte. Der gute Mann schien es gar nicht für möglich zu halten, daß ein Starker sich verstellen könne. Ich wäre sofort auf seine Forderung eingegangen, wenn ich nicht die Ehre meines angenommenen geistlichen Standes zu wahren gehabt hätte; darum antwortete ich:

»Du sagst, ich könne mich doppelt legitimieren, zunächst durch den Zweikampf mit dir. Wir sind ausgezogen, um zu predigen, nicht aber um zu kämpfen. Vergleiche deine Gestalt mit der meinigen! Wollte ich mit dir kämpfen, so müßte ich unterliegen; das ist sicher.«

»Es kommt nicht immer nur auf die Gestalt an.«

»Ja,« stimmte der Bote des Sklavenjägers bei. »Der fremde Effendi besitzt, wie ich von Ibn Asl vernommen habe, auch nicht die Figur eines Riesen, und doch hat er eine Körperkraft, welcher kein anderer, kein einzelner gewachsen ist. Bist du dieser Giaur, so kannst du Schedid hier wohl überwinden. Besiegst du ihn nicht, so ist dies dann ein Beweis, daß du der Effendi nicht bist.«

»So ist es,« nickte Schedid. »Hast du ein gutes Gewissen, so ringe mit mir. Thust du dies nicht, so nehme ich an, daß du befürchtest, dich durch deine Körperstärke zu verraten. Also entscheide dich!«

Der Rolle, welche ich spielen mußte, getreu, stand ich zwar auf, als ob ich bereit sei, sagte aber in bedenklichem Tone:

»Wenn man in Dscharabub erführe, daß ich mit dir gerungen habe und besiegt worden sei, würde die Achtung, welche ich zu fordern habe, zum größten Teile verloren sein.«

Da kam mir mein pfiffiger Ben Nil sehr klug zu Hilfe, indem er meinte:

»Wer soll es verraten, o Mudir? Von diesen Männern hier wird wohl keiner jemals in unsere Heimat kommen, und meiner Verschwiegenheit kannst du, wie du weißt, vollständig sicher sein.«

»Du hörst es,« sagte jetzt Schedid. »Falls ich dich überwinde, wird deine Würde keinen Schaden nehmen. Dieses dein Bedenken ist also gegenstandslos geworden, und ich fordere dich noch einmal auf, dich zu entscheiden.«

»Nun wohl, es mag geschehen. Unter welchen Bedingungen soll der Kampf vor sich gehen?«

»Wir legen die Oberkleider ab und umarmen uns. Derjenige, welcher den andern in dieser Stellung emporhebt und dann niederwirft, ist der Sieger. Bist du einverstanden?«

»Ja, ich habe nichts dagegen,« antwortete ich, indem ich ebenso wie er den seinigen, meinen Haïk auszog.

Natürlich nahm ich mir vor, mich von ihm werfen zu lassen. Doch durfte ich ihm auch nicht zu wenig Widerstand entgegensetzen, da dies seinen Verdacht hätte erregen müssen. Aufrichtig gestanden, hätte ich mich sehr gern im Ernste mit diesem Goliath gemessen, um zu erfahren, ob es mir möglich sei, ihn niederzuringen; leider aber durfte ich nicht.

Wir standen bereit. Er trat auf mich zu und legte seine gewaltigen Arme um mich, ich die meinigen um ihn. Nun versuchte er, mich emporzuheben. Ich setzte ihm den Widerstand eines kräftigen Mannes entgegen. Zweimal hob er mir die Füße aus, doch wurde es mir nicht schwer, den Boden wieder zu gewinnen. Beim drittenmale aber nahm er alle seine Kraft zusammen, hob mich empor, griff, während er den linken Arm an meinem Oberkörper ließ, mit der Rechten nach meinen Schenkeln, so daß er mich nun wagrecht an sich hatte, und legte mich dann auf die Erde nieder. Indem ich dies geschehen ließ, hegte ich die Überzeugung, daß ich) wenn ich nur wollte, ganz dasselbe mit ihm thun konnte.

»Er ist nicht schwach,« sagte er; »sondern er hat ganz gute Kräfte; aber außergewöhnlich sind sie nicht.«

»Ich wußte, daß ich besiegt werden würde,« meinte ich, indem ich aufstand. »Einem Manne wie dir kann ich unmöglich gewachsen sein. Ich habe verspielt.«

Dabei that ich, als ob ich vor Anstrengung außer Atem sei.

»Ja, zweimal gelang es dir, die Erde wieder zu erreichen; aber dafür geht nun auch deine Brust auf und nieder, als ob du lange Zeit Galopp gelaufen seist. Du bist kein Riese. Die erste Probe hast du bestanden. Jetzt werden wir die zweite vornehmen.«

»Welche?«

»Es soll Christen geben, welche den Kuran kennen, so vollständig auswendig aber wie ein Moslem kann kein Giaur ihn lernen. Ich bin überzeugt, daß wenn man einem Ungläubigen die Sure EI Kuiffar vorbetet, er sie nicht richtig nachsprechen kann. Kennst du sie?«

»Ja.«

»Kannst du sie auch ohne Fehler hersagen?«

»Vielleicht, wenn du sie mir richtig und deutlich vorsprichst.«

Ich brauchte sie mir nicht vorsagen zu lassen, denn ich konnte und kann sie auswendig. Sie ist die hundertneunte Sure und soll Muhammed geoffenbart worden sein, als einige Araber von ihm verlangten, er solle ein Jahr lang ihre Götter verehren, dann wollten sie ebensolang seinen Gott anbeten. Sie ist sehr kurz, nur einige Zeilen lang, aber ihrer eigenartigen Wortstellung wegen selbst für einen Araber nicht leicht fehlerfrei zu recitieren. Darum wird sie besonders dann angewendet, wenn man einen im Verdacht hat, betrunken zu sein, da es einem Betrunkenen geradezu unmöglich ist, sie ohne Anstoß zu Ende zu bringen. Ganz dasselbe setzte Schedid auch bei einem Christen voraus.

»Wollen sehen!« meinte er mit einem überlegenen Lächeln. »Ich werde sie dir also vorbeten. Übrigens hast du dich schon verraten, indem du verlangst, daß ich sie vorsagen soll. Ein guter Senussi, und noch dazu ein Mudir, ein hervorragendes Glied dieser heiligen Bruderschaft, muß diese Sure unbedingt, ohne sie vorher zu hören, aufsagen können.«

Er stellte sich in Positur, neigte den Kopf, faltete die Hände und begann:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Sprich: O ihr Ungläubigen, ich verehre nicht das, was ihr verehret, und ihr verehret nicht, was ich nicht verehre, und ich werde auch nie verehren das, was ihr nicht verehret, und ihr werdet verehren – – nicht verehren das, was ich nicht – – was ich verehre, denn ihr habt meine Religion, und ich – ich – ich habe – – ich habe nicht – nicht – – nicht ––«

Er hielt inne, denn er sah jetzt ein, daß er sich verfahren hatte. Die falsche Satzstellung abgerechnet, hatte er schon zweimal das Wort »nicht« und einmal das Wort »meine« gebraucht, ohne daß sie in der Sure enthalten sind.

»Nun!« lächelte ich. »Bist du kein Moslem oder bist du betrunken?«

»Keins von beiden!« rief er ärgerlich. »Diese Sure ist wirklich die schwierigste, welche es giebt. Du aber als Senussi mußt sie unbedingt ohne Anstoß sagen können!«

»Wenn ich mich nur ein einziges Mal verspreche, sollst du alles erhalten, was ich besitze!«

»Wirklich? Ich nehme dich beim Wort. Übrigens brauchst du mir dieses Versprechen gar nicht zu machen, denn wenn du nur den geringsten Fehler begehst, nehme ich an, daß du ein Christ oder gar jener Effendi bist. Dann hast du das Leben verwirkt, und alles, was du bei dir hast, ist mein Eigentum.«

»Wirst du denn beurteilen können, ob ich Fehler mache oder nicht? Du hast es ja selbst nicht fertig gebracht, und was man begutachten will, muß man doch wohl auch selbst können und verstehen.«

»Ich kenne die Sure, wenn ich sie auch nicht ohne Anstoß aufsagen konnte. Also sprich!«

Ich kam dieser Aufforderung nach, indem ich so schnell, daß sein Ohr wohl kaum zu folgen vermochte, recitierte:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Sprich: O ihr Ungläubigen, ich verehre nicht das, was ihr verehret, und ihr verehret nicht, was ich verehre, und ich werde auch nie verehren das, was ihr verehret, und ihr werdet nie verehren das, was ich verehre. Ihr habt eure Religion, und ich habe die meinige.«

In der deutschen Übersetzung klingt diese Sure nur schwülstig; im Arabischen aber ist es noch ganz anders. Die Beugung des Wortes »ihtaram« = verehren, ist da eine so eigenartige, daß es wirklich schwierig ist, die Affirmation nicht mit der Negation und die erste Person der Einzahl nicht mit der zweiten Person der Mehrzahl zu verwechseln. Als ich geendet hatte, sagte Schedid:

»Wahrhaftig, er kann es, so schnell und ohne den geringsten Anstoß! Er kann kein Ungläubiger sein!«

»Aber,« fiel der Bote ein, »ich erinnere mich, von Ibn Asl gehört zu haben, daß der ungläubige Effendi die arabische Sprache und den Kuran so genau kennt, als ob er hier bei uns geboren sei und beim besten Muderri in Kahira studiert habe. Nimm dich in acht! Fälle dein Urteil nicht zu früh, denn du könntest dich leicht irren!«

»Meinst du? Wie sollte ich ihn denn noch auf die Probe stellen?«

Das klang für mich gefährlich. Dieser Bote war wirklich der festen Meinung, daß ich der Effendi sei; unter seinem Einflusse konnte die gute Ansicht, welche Schedid jetzt von mir zu haben schien, sich leicht in ihr Gegenteil verwandeln.

Es war geraten, dies nicht abzuwarten; darum sagte ich, indem ich mich stellte, als ob ich zornig sei:

»Noch mehr auf Probe? Das fällt mir nicht ein! Weißt du, was ein Mudir von Dscharabub zu bedeuten hat? Dennoch habe ich mich herbeigelassen, nicht nur mit dir zu ringen, sondern auch die Sure EI Kuiffar herzusagen. Das war mehr als genug. Soll ich mich noch weiter vor euch demütigen? Nein! Wer einen Mudir der Senussi und einen Chatib dieser frommen Brüderschaft in solcher Weise beleidigt, der darf nicht erwarten, längere Zeit in die Angesichter solcher Leute schauen zu dürfen. Wir sind gastfreundlich gegen euch gewesen und haben euch erlaubt, in unserer Nähe zu sein; nun aber verlassen wir diesen Ort und kehren euch den Rücken, um – –«

»Nein, das dürft ihr nicht!« rief der Bote, indem er mich unterbrach. »Wir lassen euch nicht fort!«

»Nicht?« fragte ich, indem ich ihn stolz und von oben herab fixierte. »Wie willst du uns hindern, von hier zu gehen?«

»Ich halte euch mit Gewalt zurück!«

»Du willst dich an uns, an den Männern Allahs vergreifen?«

»Ja; setze dich!«

Er streckte die Hand nach mir aus, um mich niederzudrücken; ich trat einen Schritt zurück und donnerte ihn an:

»Halt, Unvorsichtiger! Soll ich dir den Fluch entgegenschleudern, unter welchem dein Körper vertrocknen und deine Seele verschmachten würde? Wenn du versuchen willst, ob der Lani Allah in unsere Hände gegeben ist oder nicht, so habe ich nichts dagegen; aber ich sage dir, daß dein Leben dann ein entsetzliches und dein Ende voller Schrecken sein wird. Wer uns zurückhalten will, der halte uns! Wessen Hand wagt es, uns zu berühren?!«

Ich blickte rundum. Alle schwiegen; sie standen oder saßen unbeweglich, erschrocken nicht nur über meine Worte, sondern wohl noch mehr über den Ton, in welchem ich sie gesprochen hatte. Ich ging an das Gesträuch und band mein Kamel los. Ben Nil that dasselbe mit dem seinigen. Wir stiegen auf und trieben die Tiere in das Wasser, ohne daß es nur einem einfiel, uns zu hindern oder auch in gutem zu bitten, dazubleiben. Kein Wort wurde gesprochen; kein Ruf des Abschiedes scholl hinter uns her. Ich war froh darüber.

Das Wasser war, wie ich vermutet hatte, an dieser Stelle nicht tief, es reichte den Kamelen noch nicht einmal an den Leib. Drüben am andern Ufer gab es zunächst einiges Gesträuch, dann folgte Graswuchs, jedenfalls soweit, wie die Feuchtigkeit des Nid en Nil zu dringen vermochte.

Sobald ich annehmen konnte, daß man uns nicht mehr zu sehen vermochte, wendete ich mich nach links nach dem See. Ben Nil war bis jetzt still gewesen, nun aber sagte er:

»Du reitest ja nach Osten, Effendi! Unser Weg führt uns ja nach Süden! Warum weichest du von ihm ab?«

»Aus zwei Gründen. Erstens sollen die Takaleh unsere Fährte nicht sehen. Wären wir weiter geritten bis dahin, wo das Gras aufhört und der Sand wieder beginnt, so würden in dem letzteren unsere Spuren morgen früh zu finden sein, im Grase aber nicht, denn dieses wird sich bis zum Morgen wieder aufgerichtet haben. Es giebt Wasser in der Nähe, auch wird Tau fallen, und infolge dieser Feuchtigkeit richtet sich das von unsern Kamelen niedergetretene Gras schon nach einigen Stunden auf.«

»Hast du die Takaleh im Verdachte, daß sie uns verfolgen wollen.«

»Nicht nur im Verdachte, sondern ich weiß es ganz genau. Sie werden uns Hafid Sichar wieder abnehmen wollen.«

»Hafid Sichar? ja, dieser Name wurde genannt. Er fiel mir auf. Er ist der Name des Bruders des Führers in der Höhle von Maabdah. Denkst du etwa, daß er sich hier bei den Takaleh befindet?«

»Ich bin fast überzeugt davon.«

»Und du willst ihn befreien?«

»Ja. Und das ist der zweite Grund, weshalb ich jetzt ostwärts nach dem See einbiege.«

»Allah! Das giebt wieder ein Abenteuer! Effendi, wer mit dir reitet, darf um Ereignisse, Unterbrechungen und sogar Gefahren keine Sorge tragen. Fast wurde es mir angst um uns, als man vorhin erriet, wer wir sind. Warum hast du dich erniedrigt und dich prüfen lassen!«

»Weil dies das klügste war. Wüßte Schedid bestimmt, daß ich der christliche Effendi bin, so würde er nicht nach Faschodah gehen und überdies einen Eilboten dorthin senden, Ibn Asl und auch den Sangak der Arnauten warnen zu lassen. Unser Ritt nach Faschodah würde dann umsonst und erfolglos sein. Wir haben ja soviel gehört; das weiß und das überlegt sich Schedid ebensogut wie wir.«

»Das ist wahr, Effendi. Also wir reiten jetzt ostwärts, um die Takaleh irre zu führen, und biegen dann aber nach Süden ein?«

»Nein. Wir reiten am diesseitigen Ufer des Sees zurück, bis wir an die schmale und steile Vertiefung kommen, über welche wir vorhin die Kamele nicht hätten bringen können. Dann bleibst du hüben bei den Tieren zurück, und ich klettere hinüber, um Hafid Sichar zu holen.«

»Was willst du mit ihm anfangen?«

»Er muß natürlich mit nach Faschodah.«

»Dazu bedarf er eines Kameles!«

»Ich werde den Takaleh eines abnehmen.«

»Hm! Hafid Sichar vom Seile losmachen, ohne daß jemand es bemerkt, und dann auch noch die kostbare Zeit auf die Habhaftwerdung eines Kamels verwenden, das ist zu viel für eine Person.«

»Ich hätte nichts dagegen, dich bei mir zu haben, wenn nicht der wilden Tiere wegen jemand bei den Kamelen bleiben müßte.«

»Glaubst du, daß es hier welche giebt?«

»Wo Wasser ist, da giebt es Leben, und wo es hier Leben giebt, findet man auch sicher reißende Tiere.«

»Glaubst du, daß ich die Kamele gegen Löwen zu verteidigen vermag? Wenn du mit ja antwortest, werde ich dir sehr dankbar für das Vertrauen sein, welches du mir dadurch erweisest; aber ich glaube nicht, daß ich demselben entsprechen könnte. Daß ich mich nicht fürchte, daß weißt du ja; aber einen Löwen zu erlegen, dazu gehört mehr als bloße Furchtlosigkeit. Du würdest bei deiner Rückkehr mich und auch die Tiere zerrissen vorfinden. Darum ist es auf alle Fälle besser, du nimmst mich mit.«

Er hatte recht, und darum zeigte ich mich bereit, seinen Wunsch zu erfüllen. Es war ja richtig, daß ich in die Lage kommen konnte, einen Gehilfen zu brauchen.

Wie schon bereits beschrieben, hatte das Nid en Nil an der Stelle, an welcher wir es erreicht hatten, aus einer schmalen, wasserleeren Schlucht bestanden. Dann hatten wir uns rechts gewendet und waren an zwei seeartigen Erweiterungen des Nid vorübergekommen, worauf wir erst dann die Furt erreicht hatten. Wir waren da an der Nordseite hingeritten. Jetzt aber ritten wir an der Südseite des einen Sees zurück, kamen dann an den zweiten und langten nachher an der trockenen Schlucht an, gerade gegenüber der Stelle, an welcher wir auf das Nid en Nil gestoßen waren. Der Weg war gar nicht schwierig, denn es schien der Mond. Dennoch wäre es mir lieber gewesen, wenn wir Finsternis gehabt hätten. Mein Vorhaben war derart, daß der Mondschein mir gefährlich werden konnte.

Wir hielten an, stiegen ab und banden die Kamele an Baumstämme fest. Die Gewehre hätte ich gern zurückgelassen; aber wir konnten leicht einem größeren Raubtiere begegnen, gegen welches mit Messern und Revolvern nichts zu machen war; darum nahmen wir sie mit.

Nun kletterten wir diesseits in die Schlucht hinab und jenseits wieder hinauf. Dann verfolgten wir denselben Weg, auf welchem wir bei unserem Kommen die Furt erreicht hatten. Natürlich ging dies jetzt langsamer als vorher, wo wir zu Kamele gesessen hatten.

In der Nähe der Furt bemerkten wir, daß dort kein Feuer mehr brannte. Das war mir lieb, denn es bewies, daß die Takaleh nun schliefen. Ich ließ Ben Nil unter einem Baume zurück und schlich nun allein weiter. Ungefähr hundert Schritte vom Lagerplatz entfernt, legte ich mich nieder, um zu kriechen.

Der Mond stand schon tief und ließ die Schatten der Bäume auf den Platz fallen, was mir außerordentlich nützlich war. Die Takaleh hatten aber einen Wächter ausgestellt, wohl nur ihrer Sklaven wegen, denn er schritt da, wo diese lagen, langsam auf und ab. Ich sah ihn zwar nicht, aber ich hörte seine leisen Schritte. Bevor ich etwas Direktes unternehmen konnte, mußte ich mich ganz genau orientieren; darum umkroch ich das ganze Lager in einem Bogen. Ich fand alles so, wie ich es verlassen hatte. Die Gefangenen lagen da, wo sie vorher lagen; die andern ebenso. Um zu demjenigen zu kommen, den ich für Hafid Sichar hielt, mußte ich den Wächter unschädlich machen. Die Sättel lagen in zwei Haufen nebeneinander. Die Kamele lagen teils an der Erde, teils standen sie mit gefesselten Vorderbeinen am Wasser hin bei den Büschen oder im Grase, um zu fressen. Nach dieser Lage der Dinge galt es zu handeln. Ich kehrte also zunächst zu Ben Nil zurück, um diesen zu holen. Er schlich sich dann mit mir so nahe heran, wie es bei seinem Mangel an Übung geraten war; dann mußte er das Lager umgehen, um jenseits desselben, wo sich die Kamele befanden, auf mich zuwarten. Ich bezeichnete ihm einen Baum, hinter dessen Stamm er sich zu verstecken hatte. Dann kroch ich wieder zu den Gefangenen hin.

Als mich höchstens noch zehn Schritte von denselben trennten, hielt ich an und lauschte. Sie schienen alle zu schlafen, was freilich kein Wunder war, da sie, schlecht genährt und schlecht getränkt, während des ganzen Tages im Sonnenbrande marschiert waren. Nichts regte sich, und nichts bewegte sich; nur der Wachtposten schritt noch immer hin und her. Er bewegte sich immer auf einer und derselben Linie. Ich näherte mich derselben soweit wie möglich, ließ ihn an mir vorüber, sprang dann auf, packte seine Kehle von hinten mit der linken und gab ihm mit der rechten Faust einen Hieb auf den Kopf. Er breitete die Arme aus und sank nieder. Auffälliges Geräusch war dabei nicht zu hören gewesen. Ich ließ die Linke vorsichtig locker. Er blieb still; er war besinnungslos. Ich hob ihn auf und trug ihn zu Ben Nil, der ihn bewachen sollte. Als ich dabei über eine vom Monde beschienene Stelle kam, fiel das Licht für einen Augenblick auf sein Gesicht, und ich sah zu meiner Verwunderung, daß es kein Takaleh, sondern der Baqquara-Araber war, der Bote, den Ibn Asl an Schedid gesandt hatte. Das war mir aus mehreren Gründen außerordentlich lieb.

»Wen bringst du da?« fragte Ben Nil leise, als ich zu ihm kam. »Ist es Hafid Sichar?«

»Noch nicht. Es ist der Baqquara, welchen die Takaleh als Wächter zu den Gefangenen gestellt haben.«

»Er war schlimm gegen uns und muß zum Schweigen gezwungen werden. Soll ich ihn erstechen?«

»Nein. Wir nehmen ihn mit. Er ist ein Verbündeter Ibn Asls. Indem wir ihn an den Reïs Effendina ausliefern, erfüllen wir unsere Pflicht.«

»Wenn wir ihn erstechen, erfüllen wir sie noch weit besser.«

»Dann aber kann Schedid sich leicht sagen, wer hier gewesen ist. Nehmen wir ihn aber mit, so kommt er in den Verdacht, Hafid Sichar befreit und mit sich fortgenommen zu haben.«

»Das ist sehr wahr, Effendi. Aber dann müssen wir auch gerade seinen Sattel und gerade sein Kamel haben!«

»Das ist nicht nötig. Je besser die Kamele und die Sättel sind, welche wir mitnehmen, desto größer ist gegen ihn der Verdacht, sein geringes Eigentum mit Absicht gegen besseres vertauscht zu haben. Laß mich nur machen. Wir können uns Zeit nehmen; die Takaleh schlafen fest.«

Der Baqquara wurde gebunden und bekam einen Knebel in den Mund. Dann kroch ich wieder zu den Gefangenen. Hafid Sichar, den ich suchte, war der vorderste am Seile gewesen, ein Umstand, welcher mir sehr günstig war. Ich hatte mir die Stelle, wo er lag, genau gemerkt und fand sie sehr leicht. Die Gefangenen lagen, noch immer an das Seil gefesselt, im Kreise. Sie schliefen, als wären sie tot. Nur einer schlief nicht, nämlich gerade derjenige, den ich suchte. Als ich, mit meinem Kopfe bei dem seinigen angekommen, ihn mit dem Finger leise berührte, flüsterte er:

»Effendi, bist du es?«

»Ja.«

»Allah! Ich habe dich erwartet. Mein Herz hämmerte vor Sorge, daß du vielleicht nicht derjenige seist, von dem ich Rettung erwarten kann.«

Der Kreis der Gefangenen war so gebildet, daß sie mit den Füßen nach innen und mit den Köpfen nach außen lagen. Da ich mich, wie selbstverständlich, außerhalb dieses Ringes befand, lag ich, wie schon erwähnt, mit meinem Kopfe vor dem seinigen, und er konnte mich nicht sehen. Ich erhob den Oberkörper, schob mein Gesicht über das seinige und raunte ihm zu:

»Wie heißest du?«

»Hafid Sichar aus Maabdah.«

»Wie heißt dein Bruder?«

»Ben Wasak.«

»So bist du wirklich derjenige, den ich haben will. Ich grüße dich von deinem Bruder!«

»O Himmel, o Allah! Was will – –!«

»Pst, still! Nicht so laut! Schlafen deine beiden Nachbarn?«

»So fest, wie du es nur wünschen kannst.«

»So liege still; ich werde machen.«

Ich untersuchte mit den tastenden Fingern, auf welche Weise er gefesselt und dann an das Seil gebunden war; darauf gab es einige Schnitte mit meinem Messer, und er war los. Aber frei noch nicht. Falls er versuchte, aufzustehen, konnte er leicht einen seiner Nachbarn wecken. Ich ergriff ihn also unter den Armen und zog ihn aus dem Kreise heraus, langsam und vorsichtig, so daß er weder rechts noch links anstieß. Dann mußte er hinter mir her zu Ben Nil kriechen. Dort angekommen, wollte er sich in Danksagungen ergehen, ich aber schnitt ihm das Wort ab:

»Jetzt still! Später kannst du sprechen, soviel es dir beliebt. Wir müssen uns beeilen.«

Ich untersuchte den Araber. Er kam eben jetzt zu sich. Er versuchte, seine Fesseln zu zerreißen und zu schreien; es gelang ihm aber weder das eine noch das andere. Die ersteren hielten fest, und das, was ein Schrei, ein Hilferuf sein sollte, kam als leises, röchelndes Stöhnen aus der Nase. Ben Nil setzte ihm das Messer auf die Brust und drohte:

»Noch einen solchen Laut, und ich stoße dir die Klinge in das Herz!«

Das half; der Baqquara blieb still und bewegte sich von jetzt an nicht wieder, als bis wir ihn später in Sicherheit hatten.

»Nun zwei Kamele, Effendi,« meinte Ben Nil. »Für jeden eins.«

»Wir brauchen drei,« antwortete ich. »Da wir jetzt mehr Wasser haben müssen als vorher, so müssen wir ein Tier haben, welches die Schläuche trägt. Auch einige Schläuche müssen wir von hier mitnehmen, denn wir haben jetzt nur zwei.«

»Erlaube mir, die Kamele auszusuchen, Effendi! Ich kenne unsere Tiere,« sagte Hafid Sichar. »Ich werde die drei besten wählen.«

Er huschte, ehe ich ihn halten konnte, fort, und so blieb uns freilich nichts anderes übrig, als zu warten, bis er zurückkehren würde. Natürlich war ich mit seiner Entfernung ganz und gar nicht einverstanden; er konnte uns alles verderben. Glücklicherweise aber war dies nicht der Fall. Nach ungefähr einer Viertelstunde, welche mir aber wie eine ganze Stunde vorkam, kehrte er zurück und sagte:

»Ich bin fertig, Effendi. Wir können aufbrechen.«

»Fertig? – Womit?«

»Ich habe nach und nach drei Sättel und auch drei Schläuche über die Furt getragen. Hast du es nicht gesehen?«

»Nein. Du mußt sehr vorsichtig gewesen sein.«

»Das war notwendig. Und die drei besten Kamele stehen auch bereit. Wir können gehen.«

»Hast du nicht bemerkt, ob einer der Schläfer aufgewacht ist?«

»Sie schlafen alle. Kommt, und folgt mir getrost.«

»Nimm zuvor dieses Messer und diese Flinte! Ich habe beides dem Baqquara abgenommen. Du mußt ja nun auch Waffen haben.«

Ich warf den Baqquara über die Schulter, um ihn zu tragen. Hafid Sichar führte uns nach der Furt. Dort hatte er die drei Kamele angebunden. Wir durften sie nicht besteigen, da sie dabei geschrieen hätten. Ben Nil und Hafid führten die Tiere; ich trug den Baqquara, und so stiegen wir in das Wasser, welches mir bis an den Gürtel ging.

Als wir drüben ankamen, löste ich dem Baqquara die Beinfesseln, damit er laufen könne. Die Sättel wurden den Kamelen im Stehen nur lose aufgelegt, was sie sich ruhig gefallen ließen; dann ging es vorwärts, an der Südseite des größeren Sees hin. Jeder von uns führte ein Tier, ich auch noch den Baqquara, während Ben Nil und Hafid die Wasserschläuche trugen.

Als wir die geeignete Strecke zurückgelegt hatten, hielten wir an, um die Kamele richtig zu satteln. Jetzt mochten sie Lärm machen, sie konnten von den Takaleh nicht mehr gehört werden. Sie mußten niederknieen. Ich stieg auf und nahm den Baqquara quer vor mir über; als auch die beiden andern saßen, ging es im scharfen Schritte fort, auch an dem andern See vorüber und dann nach links, wo wir unsere Tiere gelassen hatten.

Würden wir sie noch finden? ja, sie waren noch da. Wir stiegen ab und banden die mitgebrachten drei Tiere in der Nähe an, nachdem wir sie von den Sätteln befreit hatten. Wir lagerten uns unter einem Baum, an welchen der Baqquara befestigt wurde. Ich nahm ihm den Knebel aus dem Munde und fragte ihn dann:

»Ben Baqquara, weißt du nun genau, wer ich bin?«

Er gab keine Antwort.

»Ich weiß, daß du nicht taub bist, und bin gewöhnt, eine Antwort zu bekommen, wenn ich frage. Ist dir der Mund jetzt geschlossen, so kann er mit der Peitsche wohl leicht geöffnet werden. Also antworte!«

»Ja, ich weiß es!« stieß er zornig hervor. »Du bist der Effendi und dein Begleiter ist Ben Nil.«

»Der Effendi soll doch aber so ungeheure Körperkräfte besitzen, und ich bin von Schedid besiegt worden?«

»Du hast dich verstellt. Ich ahnte es.«

»Aber ich habe doch die Sure Kuiffar ohne Anstoß hersagen können! Wir kann ich da jener christliche Effendi sein!«

»Du kannst alles!«

»Nicht alles, aber viel. So kann ich zum Beispiel sehr leicht einen Baqquara-Araber unter einer Schar Takaleh herausholen, um ihn nach Faschodah zu schaffen und dort dem Reïs Effendina zur Bestrafung auszuliefern.«

»Weshalb sollte man mich bestrafen? Was habe ich gethan?«

»Du besitzest noch weniger Gedanken, als das Krokodil Federn hat; aber ich werde dafür sorgen, daß du Gedanken bekommst! Der Reïs Effendina – –«

»Den fürchte ich nicht!« fiel er mir in höhnischem Tone in die Rede.

»Ich weiß wohl, warum. Du meinst, daß der Mudir von Faschodah dir gegen ihn beistehen wird.«

Er gab dies, wenn auch nicht direkt aber doch indirekt zu, indem er antwortete:

»Was ist ein Effendi gegen einen Mudir! Welche Macht besitzt ein Effendi?«

»So kann nur ein Dummkopf, ein Mensch fragen, welcher nichts gelernt hat, nichts weiß und nichts versteht. Dein Kopf gleicht einem ausgelaufenen Ei, von weichem nur noch die Schale übrig geblieben ist. Ich sage dir, daß die großherrlichen Prinzen, die Söhne des Sultans, Effendi tituliert werden. Die Minister nennen sich Effendi, und auch der Vicekönig von Ägypten sieht es gern, wenn man ihn Effendi nennt. Was aber ist der Mudir von Faschodah gegen diese mächtigen Herren! Kennst du denn überhaupt diesen Mudir?«

»Ja.«

»So sage mir seinen Namen!«

»Er ist auch ein Effendi, denn er heißt Ali Effendi el Kurdi.«

»Das ist nicht wahr.«

»Wie kannst du mich der Lüge strafen, du, ein Fremder, der dieses Land und seine Verhältnisse unmöglich kennen kann!«

»Es scheint, daß ich das alles doch besser kenne als du, denn der Mudir von Faschodah heißt anders. Ist dir vielleicht der Name Ali Effendi Abu Hamsah Miah bekannt?«

»Ja.«

»So höre weiter. Der berühmte General Musah Pascha ist infolge der Wünsche des Reïs Effendina jetzt in Faschodah gewesen, um el Kurdi ab- und Abu Hamsah Miah einzusetzen. EI Kurdi wurde als Gefangener nach Chartum geschafft. Das ist auf Veranlassung des Reïs Effendina geschehen. Nun leugne noch, daß dieser nicht so mächtig sei als dein untreuer und verräterischer Mudir el Kurdi!«

Er schwieg. Jedenfalls erschreckte ihn das, was er von mir hörte. Ich fuhr fort:

»Jetzt weißt du, wie sehr du dich auf deinen el Kurdi verlassen kannst. Diesem ist es nun nicht mehr möglich, ausgesprochene Verbrecher in seinen Schutz zu nehmen; er würde jetzt Allah danken, wenn er selbst jemand hätte, der für ihn sprechen wollte. Wenn ich dich dem Reïs Effendina überantworte, wird er dich zum neuen Mudir bringen, und dann wirst du erfahren, daß dieser seinen Namen mit vollstem Rechte trägt. Das soll heißen: Der Vater der Fünfhundert wird dir sofort als Einleitung zum ersten Verhöre fünfhundert Hiebe geben lassen.«

»Mir, einem freien Araber!«

»Dir, einem Boten des Sklavenjägers! Was oder wer du sonst noch bist, das geht uns nichts an.«

»Da will ich dich darauf aufmerksam machen, daß dich die Rache aller Stämme der Baqquara treffen wird! Werde ich geschlagen, so ist das noch viel schlimmer, als wenn man mich tötet. Das merke dir!«

»Deine Stämme, und wären es ihrer hundert oder tausend, können mir nichts thun. Sie haben ebensowenig Macht über mich, wie sie dich jetzt beschützen können. Dennoch, und obgleich ich sie nicht im geringsten fürchte, bin ich bereit, dich morgen freizugeben, doch knüpfe ich eine Bedingung daran.«

»Welche?«

»Du sagst mir der Wahrheit gemäß, auf welche Weise du Ibn Asl kennen gelernt hast. Auch beantwortest du mir alle Fragen, welche ich in Beziehung auf ihn sonst noch an dich richten werde.«

»Das thue ich nicht!«

»So sind wir miteinander fertig. Wenn du jetzt, wo ich dich mit der Freiheit dafür belohnen würde, nicht reden willst, so wird dir später der ›Vater der Fünfhundert‹ den Mund öffnen.«

Da fiel Hafid Sichar ein:

»Effendi, wenn du die Bosheit dieses Ibn Asl kennen lernen willst, so bin ich der richtige Mann, dir ein Beispiel von derselben zu erzählen.«

»Ich möchte dich allerdings darum bitten. Vorher aber mußt du ein weniges über mich erfahren, denn –«

»O, Effendi,« unterbrach er mich, »ich kenne dich schon; ich habe genug über dich gehört von dem Baqquara, als vorhin Schedid von dir erzählte. Ich lag in der Nähe und hörte alles. Ich hatte keine Ahnung davon, daß du meinen Bruder kennst, aber es war mir, als ob Allah mir eine Stimme sende, welche mir heimlich zuflüsterte: Dieser Effendi hat schon soviele andere befreit; wenn er und der Mann, welcher dort sitzt, einer und derselbe ist, so ist er wohl gekommen, um auch dich zu retten. Darum war ich so unbedacht, meinen Namen zu nennen und dazu Worte der Hoffnung auszusprechen. Hätte Schedid sie gehört, so wäre es mir schlimm ergangen.«

»Es war sehr gut, daß du deinen Namen nanntest, denn nur dadurch wurde meine Aufmerksamkeit auf dich gelenkt und du bist schon jetzt frei. Übrigens wärest du später in Faschodah auch in den Besitz der Freiheit gelangt, denn ich hatte mir vorgenommen, dort den Mudir auf euch aufmerksam zu machen. Du kennst mich aus der Erzählung dieses Baqquara einigermaßen, und ich habe nur weniges hinzuzufügen. Ich kam nach Maabdah, um die dortige berühmte Krokodilhöhle zu sehen. Dein Bruder führte mich in derselben herum und schenkte mir dann die Hand einer weiblichen Mumie – –«

»Die Hand einer weiblichen Mumie?« fiel er rasch ein. »Beschreibe sie mir!«

Als ich dieser Aufforderung nachgekommen war, rief er aus.

»Effendi, da mußt du ihm einen sehr großen Dienst erwiesen haben!«

»Gar nicht!«

»Nicht? Nun, so hast du einen so guten Eindruck wie noch kein anderer auf ihn gemacht. Es ist die Hand einer Pharaonentochter, einer altägyptischen Prinzessin. Ich weiß, welchen Wert mein Bruder auf dieselbe legte, und freue mich außerordentlich darüber, daß es dir so schnell gelungen ist, sein Wohlwollen zu erwerben.«

»Dieses Wohlwollen ist ein gegenseitiges, wie ich dir versichern kann. Ich habe die Hand noch bei mir und kann sie dir zeigen, sobald es hell geworden ist. Sie befindet sich in meiner Satteltasche. Als dein Bruder hörte, daß ich nach Chartum wollte, erzählte er mir von deinem Verschwinden, welches er sich nicht zu erklären vermochte, und bat mich, nach dir zu forschen.«

»Hatte er dies denn nicht auch schon vorher gethan?«

»Natürlich hat er sich alle Mühe gegeben, dich zu finden, leider aber vergeblich. Wir mir schien, hat er dabei einen sehr großen Fehler begangen, indem er dem Kaufmanne Barjad el Amin, eurem Geschäftsfreunde, zu viel Vertrauen geschenkt hat. Dieser durfte gar nicht wissen, daß man nach dir suchte. Ich habe ihn sehr stark im Verdachte, daß er mit deinem plötzlichen Verschwinden in Verbindung steht.«

»Natürlich, ganz natürlich!« rief Hafid Sichar aus. »Er ist es ja, welcher mich an Ibn Asl ausgeliefert hat!«

»Ah, dachte es mir! Als dein Bruder mir von ihm erzählte, kam mir einiges nicht recht sauber vor. Barjad führt zwar den Beinamen el Amin, der ehrliche, kam mir aber nicht sehr ehrlich vor. Er wollte dir das viele Geld ausgezahlt haben, behauptete aber, weiter gar nichts von dir und über dich zu wissen. Das erschien mir als eine Unmöglichkeit. Ich nahm diesen Menschen sofort aufs Korn; ich wollte ihn heimlich beobachten, ihn, ohne daß er es merkte, ausforschen. Leider aber drängten mich dann meine Reiseerlebnisse so seitwärts, daß ich bis heute noch nicht nach Chartum gekommen bin.«

»Und zwar zu meinem Glücke! Wärest du uns heute nicht begegnet, so hätte ich die Freiheit niemals wiedererhalten.«

»Diese Voraussetzung ist vielleicht doch trügerisch. Ibn Asl war in dem Geschäft von Barjad el Amin thätig gewesen. Als ich das hörte, vermutete ich sofort, daß dein Aufenthalt oder Schicksal bei ihm am sichersten zu erfahren sei. Dann kamen weitere Gründe dazu, diesen Menschen zu verfolgen, um seiner habhaft zu werden. Dies mußte uns früher oder später gelingen, und dann hätte er mir unbedingt und unter allen Umständen gestehen müssen, was aus dir geworden war.«

»Dennoch preise ich Allah, daß ich es dir schon jetzt und selbst erzählen kann. Ich hätte nie geglaubt, daß mir ein solches Unglück widerfahren könne, und weiß wirklich nicht, wie ich es verdient habe.«

»Was dieses letztere betrifft, so sind alle Menschen, auch du und ich, Sünder, welche nur von Allahs Gnade und Barmherzigkeit leben. Jedes Ereignis, wenn wir es ein Unheil nennen, haben wir reichlich verdient, und dennoch fügt es Allah, daß dieses Unheil, wenn wir es in der rechten Weise auf uns wirken lassen, uns zum Heile und Segen wird. Sprich also nicht vom Verdienen! Es war eine Prüfung, von Allah gesandt, vielleicht um dein Herz zu läutern, deinen Sinn nach innen und nach oben zu lenken.«

Er antwortete nicht; es entstand eine längere Pause. Dann ergriff er meine Hand und sagte, indem er sie mir herzlich drückte:

»Effendi, du hast mit deinen Worten das Richtige getroffen. Ich habe im Elende mit Allah gehadert; ich habe mein Leben verflucht und die Menschheit verwünscht. Zuweilen kamen bessere, lichtere Gedanken, doch verschloß ich ihnen die Thüre meines Herzens. Jetzt aber, wo ich wieder in das Leben trete und mein Inneres vor Wonne bebt, wo du von Läuterung redest und von dem Gerichtetsein des Sinnes nach innen und oben, da überkommt mich wie ein heller Blitzstrahl die leuchtende Erkenntnis, daß du recht hast. Wer und wie ich früher gewesen bin, davon werde ich dir später erzählen. Heute stehe ich plötzlich, ohne daß ich selbst eine Vorahnung davon hatte, als ein Neuer auf. Ja, ich habe nicht umsonst gelitten. Allah sei gelobt dafür!«

»Es freut mich aufrichtig, solche Worte aus deinem Munde zu hören. Du hast Monate und Jahre deines Lebens verloren, dafür aber innere Schätze gefunden, deren Wert nicht wie die Zeit vergänglich ist. Und was dir an Hab und Gut genommen wurde, das, hoffe ich, werde ich dir später zurückgeben können.«

»Du?« fragte er verwundert. »Bist du so reich, Effendi?«

»O nein; ich bin sogar arm. Aber ich weiß, daß Ibn Asl sehr viel Geld bei sich führt. Erwische ich ihn, ehe er es ausgegeben hat, so muß er dir und deinem Bruder alle eure Verluste ersetzen.«

»Dazu bedarf es Ibn Asls nicht. Er ist mir nicht so sicher wie Barjad el Amin.«

»So hat auch dieser von dem Verbrechen profitiert?«

»Natürlich! Barjad war arm, aber brav. Mein Bruder wußte dies und gab ihm das Geld, welches zur Errichtung eines Geschäftes in Chartum gehörte. Später lieh er ihm eine noch höhere Summe, um sein Geschäft zu vergrößern. Dann, als die Zeit kam, in welcher diese Beträge zurückzuzahlen waren, reiste ich nach Chartum, um sie in Empfang zu nehmen. Ich kam zu Barjad el Amin. Er war ein anderer geworden. Er hatte einen Gehilfen, welcher Ibn Asl hieß, in sein Geschäft genommen und war von diesem auf die hohe Erträglichkeit des Sklavenfanges aufmerksam gemacht worden. Es gelüstete ihn nach den Reichtümern, welche auf diesem Wege zu erlangen sind; die Habgier hatte in seinem Herzen Einzug gehalten. Aber zum Sklavenfange gehört, wenn er kaufmännisch betrieben werden soll, Geld, sehr viel Geld. Wenn er soviel an mich zu zahlen hatte, blieb ihm nicht genug. Da raunte ihm der Teufel zu: Gieb es ihm nicht, oder noch besser, gieb es ihm, verlange Quittung, und nimm es ihm dann wieder! Er gehorchte dieser Teufelsstimme. Ich hatte keine Ahnung davon. Ich wurde freundlich empfangen, bekam das Geld und quittierte. Ich wohnte dann noch einige Tage bei ihm. Am Tage vor meiner Abreise verabschiedete ich mich von den andern Bekannten in Chartum, denn die Dahabijeh, mit welcher ich nilabwärts zu fahren beabsichtigte, sollte schon beim Morgengrauen ihre Fahrt beginnen. Ich legte mich zeitig schlafen und erwachte von einem Schlage, den ich auf den Kopf erhielt; ich sage, erwachte, um aber die Besinnung sogleich wieder zu verlieren. Als ich dann wieder zu mir kam, fühlte ich schaukelnde Bewegungen unter mir. Lag ich in einem Schiffe? Nein, denn in dieser Weise schaukelt höchstens ein kleiner Kahn, aber kein Schiff. Ich öffnete die Augen; es war dunkel. Ich wollte aufstehen, mich bewegen; ich war gebunden. Da rief ich laut um Hilfe, aber nur, um eine drohende Stimme unfern von mir sagen zu hören, daß man mich peitschen werde, falls ich nicht vollständig ruhig sei.«

»Du befandest dich wohl auf einem Kamele?«

»Ja. Es war Nacht, aber ich sah keine Sterne, denn ich lag, wie ich beim Anbruch des Morgens sah, in einem Tachtirwahn, einer Frauensänfte, welche von einem Kamele getragen wurde und mit dicken Decken verhangen war. Denke dir, man hatte mir, wie ich später bemerkte, Frauenkleider angezogen und sogar einen mehrfachen Schleier über das Gesicht befestigt. Ich sollte bei einer etwaigen Begegnung als Weib gelten. Du weißt ja, daß sich niemand um die Insassin eines Tachtirwahn kümmern darf. Am Vormittage wurde Halt gemacht. Das Kamel kniete nieder, und man nahm mich aus der Sänfte. Wir befanden uns in der Steppe. Fünf Reiter waren meine Begleiter. Vier davon kannte ich nicht; den fünften aber kannte ich desto besser; es war – – Ibn Asl.«

»Wie? Er wagte es, vor dein Angesicht zu treten?«

»O, er wagte noch viel mehr. Er hatte die Stirn, mir alles zu sagen. Ohne diese geradezu unvergleichliche Frechheit und ohne seine Anwesenheit damals wüßte ich heute noch nicht, wie damals alles gekommen ist. Er erzählte mir mit lachendem Munde, daß man meines Geldes zum Sklavenfange bedürfe, daß er und Barjad el Amin Compagnons seien und den Ertrag der Jagden teilen würden. Er selbst sei dafür gewesen, daß ich getötet würde, aber Barjad habe die Schwachheit besessen, dies nicht zuzugeben, weil er meinem Bruder große Gefälligkeiten zu verdanken habe. Da ich aber unschädlich gemacht werden müsse, wolle man dafür sorgen, daß ich niemals einem Bekannten begegnen und auch nie zurückkehren könne. Was man damit meinte, erfuhr ich erst am Ende der Reise, als wir in das Land der Takaleh kamen und ich dem Mek dieses Volkes als Sklave übergeben wurde. Er brauchte nichts für mich zu bezahlen, hatte aber dafür zu sorgen, daß mich niemand, dem ich vielleicht bekannt sei, sehen könne. Ich hörte noch, daß Ibn Asl mit dem Mek den Vertrag abschloß, daß der letztere ihm jährlich zweimal an ganz bestimmten Terminen Sklaven nach Faschodah zu senden habe, welche sofort mit gewissen Waren zu bezahlen seien. Dann wurde ich fortgeschafft.«

»Wohin?«

»An einen schrecklichen Ort, welchen ich seit jenem Tage nur verlassen habe, um jetzt nach Faschodah transportiert und Ibn Asl wieder ausgeliefert zu werden. Weißt du vielleicht, daß es bei den Takaleh berühmte Kupferbergwerke giebt?«

»Das ist mir allerdings bekannt.«

»Nun, in eine solche Grube wurde ich geschafft, um, angefesselt, in derselben zu arbeiten. Ich habe von jenem Tage an die Sonne nicht mehr gesehen. Und als man mich vor kurzem von der Kette löste, sagte mir einer, der wenig Erbarmen mit mir hatte, daß man mich jetzt dem Tode entgegenführe.«

»Wieso dem Tode?«

»Beim letzten Sklaventransporte hat Ibn Asl mich zurückverlangt. Er ist mit Barjad el Amin uneinig geworden und führt nun sein Geschäft auf seine eigene Rechnung fort. Er hat auf die Wünsche seines frühern Compagnons nicht mehr Rücksicht zu nehmen und glaubt sich sicherer, wenn ich nicht mehr lebe. Er könnte zwar dem Mek sagen, daß derselbe mich töten lasse, traut ihm aber nicht. Darum hat er meine Auslieferung verlangt, welche für mich mit dem Tode gleichbedeutend ist. Soll ich dir erzählen, was ich erlitten und ausgestanden habe? jetzt nicht, aber vielleicht später einmal. Und soll ich dir nun sagen, welche Wonne ich jetzt empfinde, da ich gewiß bin, der bisherigen Sklaverei und dem auf mich wartenden sicheren Tode entgangen zu sein? Ich sehe in dir einen Engel, von Allah gesandt, welchem ich – –«

»Sprich nicht so!« fiel ich ihm in die Rede. »Allah hat es gefügt. Ihm allein hast du zu danken. Fühlst du dich stark genug, den Ritt nach Faschodah auszuhalten?«

»Ja. Hätte ich doch sonst durch die Wüste dahinmarschieren müssen! Die schwere Arbeit hat meine Muskeln gestählt. Du brauchst um mich keine Sorge zu tragen. Wann werden wir in Faschodah sein?«

»Ich hoffe, in vier Tagen dort anzukommen.«

»Und Ibn Asl ist dort?«

»Sehr wahrscheinlich.«

»Dann wehe ihm! Ich werde mich rächen. Ich werde ihn nicht etwa dem Mudir übergeben, sondern ich will – –«

»Erlaube, daß ich dich unterbreche! Zerbrich dir nicht den Kopf mit dem Gedanken, wie du dich an ihm rächen willst. Du bist nicht der einzige, der mit ihm abzurechnen hat. Ich werde dir davon erzählen. Jetzt wollen wir ruhen. Wir haben einen weiten Ritt vor uns, und ich denke, daß besonders du des Schlafes nicht entbehren darfst.«

»Ich schlafen? Effendi, welch ein Gedanke! Einer, der tot war und wieder lebend wurde, soll im Augenblicke des Erwachens an den Schlaf denken! Nein, nein! Wenn ich auch wollte, ich könnte nicht schlafen. Schlaft aber ihr. Ich will hier sitzen, still und ohne mich zu regen, und die Seligkeit durchkosten, das Firmament und den Himmel Allahs über mir zu haben und tausend und abertausend Sterne in mir aufgehen zu fühlen.«

»Nun wohl, ich sehe allerdings ein, daß du viel, viel lieber wachen als schlafen willst. So wache; aber wecke uns beide, kurz ehe der Tag zu grauen beginnt, später ja nicht, damit wir die Takaleh beobachten können. Und paß gut auf diesen Baqquara auf; er darf uns ja nicht etwa entkommen.«

»Effendi, was das betrifft, so kannst du dich auf mich verlassen. Er ist der Gesandte Ibn Asls, der mein Teufel war. Wer von diesem Menschen kommt, der hat von mir keine Nachsicht und kein Erbarmen zu erwarten. Ich würde mich eher töten als ihm die Freiheit geben.«

Nach dem, was er durchgemacht hatte, mußte ich freilich überzeugt sein, daß ich für den Baqquara keinen bessern Wächter haben könne; darum legte ich mich nieder, hüllte mich in meinen Haïk und schlief ohne Sorgen ein. Er war sehr pflichtgetreu, denn als er mich und Ben Nil weckte, war es noch nicht Morgen, sondern die Sterne begannen eben erst zu erbleichen.

Im Einschlafen war mir ein Gedanke gekommen, den ich jetzt zur Ausführung brachte. Ich wünschte, die Takaleh zu belauschen, um zu wissen, was ich von ihnen zu denken und zu erwarten hatte. Zu Lande war dies, wenn vielleicht auch möglich, aber doch höchst gefährlich; es mußte also zu Wasser geschehen. Aber wie? Selbst wenn es einen Kahn hier gegeben hätte, hätten wir uns desselben nicht bedienen dürfen, also mußte ein Floß gewählt werden, aber ein solches, welches die Augen nicht auf sich zog. Es durfte keine künstliche, sondern es mußte eine natürliche Gestalt haben. Ich beschloß, eine kleine, schwimmende Insel zu bauen, was gar nicht schwer war, denn Material dazu war mehr als genug vorhanden. Um mir dasselbe auszuwählen, ging ich mit Ben Nil näher an das Wasser.

Da sah ich die borstig behaarten Triebe und gefiederten Blätter zahlreicher Ambagsträucher emporragen. Dieser Ambag giebt das vortrefflichste Material zu Flößen. Das Holz ist so leicht, daß ein Floß, welches drei Männer hält, sehr leicht von einer Person getragen werden kann. Da das Wasser mit der Zeit in das Mark, welches sehr schwammig ist, eindringt und dann das Floß zum Sinken bringt, ist ein solches Fahrzeug für eine längere Fahrt freilich nicht zu gebrauchen; für kürzere Zeit aber oder gar für meinen Zweck konnte ich gar nichts Geeigneteres finden. Eine Eigentümlichkeit dieses Ambag ist übrigens, daß er stets die Papyrusstaude begleitet.

Daneben stand zähgrasiges Andropogon giganteus und auch Hibiscus cannabinus, beides ganz vortrefflich, die drei bis vier Meter langen Ambagstämme zu verbinden. Um dem Floße ein inselartiges Aussehen zu verleihen, besetzten wir es rundum mit hohen Omm-Sufah-Büscheln. Einige starke Äste, an welche wir Schilf breit banden, mußten als Ruder dienen. Diese Arbeit war so leicht und ging so schnell, daß wir fertig waren und das Floß im Wasser hatten, noch ehe es völlig Tag geworden war. Dieses Fahrzeug trug mich und Ben Nil mit Leichtigkeit. Hafid Sichar mußte bei den Kamelen und dem Baqquara bleiben.

Beim Grauen des Tages konnte ich mich zu meiner Freude davon überzeugen, daß sich auf unserer Fährte das Gras vollständig wieder aufgerichtet hatte. Der Platz, an welchem wir geschlafen hatten, lag hinter Büschen gut versteckt, und so konnte ich überzeugt sein, daß die Takaleh, selbst wenn sie nach uns suchen würden, uns nur durch einen bloßen Zufall finden konnten.

Wir bestiegen das Floß und ruderten es zunächst über den kleinen See, der eigentlich nur ein Teich zu nennen war. Als wir den größeren erreichten, mußten wir vorsichtig sein, denn wir näherten uns dem Lagerplatze der Takaleh. Wir ruderten das Floß so langsam vorwärts, daß es schien, als ob es nur von dem Morgenwinde getrieben werde. Wer nicht besonders und sehr scharf acht auf dasselbe gab, bemerkte gar nicht, daß es sich bewegte. Auch die Ruder waren nicht zu sehen, denn wir hatten die Omm-Sufah-Büschel so angebracht, daß sie dieselben verdeckten.

Die Takaleh schienen eine sehr schlafsüchtige Gesellschaft zu sein. Wir näherten uns ihrem Lagerplatze mehr und mehr und hörten doch nicht das mindeste von ihnen. Es war schon ganz hell. Dennoch wagten wir es, uns bis an das Ende des Sees zu rudern, wo der Nid en Nil, plötzlich enger werdend, die Furt des Schattens bildete. Dort legten wir an. Wären wir hier ausgestiegen, so hätten wir mit fünfzig oder sechzig Schritten das Lager erreichen können, und dennoch war es, die verschiedenen Tierstimmen natürlich nicht in Mitrechnung gezogen, rundum so still, als ob kein Mensch vorhanden sei. Wir lugten zwischen den Schilfbündeln hindurch, vergeblich; es war auch niemand zu sehen. Eben wollte ich aufstehen, um einen besseren Überblick zu bekommen, da wurde es plötzlich laut und lebendig. Ich hörte eine Stimme erschrocken rufen:

»Erwacht, ihr Schläfer, erwacht; es ist ein Unglück geschehen!«

Einige Augenblicke der Stille traten ein; dann folgte ein Gewirr von vielen Stimmen; man lief fort, nach allen Richtungen; man kehrte zurück; man rief, schrie, fluchte, fragte und antwortete. Es war schwer, das, was einzelne sagten, deutlich zu unterscheiden; ich konnte nur soviel entnehmen, daß man die Flucht Hafid Sichars, das Fehlen des Baqquara und das Nichtvorhandensein der drei Kamele bemerkt hatte. Jeder schien eine andere Meinung darüber zu haben und gerade diese zur Geltung bringen zu wollen. Der Lärm, welcher dadurch entstand, konnte mit nichts besser als mit einer Spatzenkirmes verglichen werden, welcher nur dadurch ein Ende gemacht wurde, daß der Hauptspatz, nämlich Schedid, in donnerndem Tone rief.

»Still, ruhig, ihr Schwätzer! Redet keine Dummheiten, sondern laßt uns diesen sonderbaren Fall mit Scharfsinn und Ruhe untersuchen.«

Nun, ich war neugierig, zu welchem Resultate es der Scharfsinn dieser Leute bringen werde. Der Baqquara war fort; man rief nach ihm, aber er kam nicht. Hafid Sichar war fort; man rief nach ihm, aber er kam nicht. Die drei Kamele waren fort; man suchte nach ihnen, aber man fand sie nicht. Da diese beiden Menschen und diese drei Tiere zu gleicher Zeit als abwesend entdeckt worden waren, so war man der Ansicht, daß sie auch zu gleicher Zeit miteinander fortgegangen seien. Da aber Kamele Menschen nicht zu entführen pflegen, sondern gewöhnlich der umgekehrte Fall stattfindet, so nahm man auch hier an, daß die Kamele von den beiden fehlenden Männern fortgeschafft worden seien. Der eine von diesen zweien war frei, der andere gefangen, angebunden gewesen. Dieser letztere hatte ohne die Hilfe des ersteren nicht fortgekonnt, folglich mußte der Baqquara Hafid Sichar losgebunden haben, um ihn zu befreien und mit Hilfe der Kamele fortzubringen.

»Dieser Verräter, dieser Hund!« schrie Schedid zornig. »Darum bot er sich selbst und freiwillig an, Wache zu halten!«

»Er ist vielleicht gleich in der Absicht, Hafid Sichar zu befreien, hierher gekommen,« meinte ein anderer.

»Natürlich!« stimmte ein dritter bei. »Was er gesagt hat, war alles Lüge, alles Flunkerei.«

»Er war ein Schurke,« behauptete ein vierter; »die beiden Senussi aber waren brave Leute.«

»Sie waren sogar heilige Männer!« schrie ein fünfter. »Wie haben wir den frommen und gelehrten Mudir beleidigt, und zwar um eines solchen Schuftes willen! Er wird die Strafe Allahs auf uns herniederrufen.«

»Das hat er schon gethan,« ließ sich eine sechste Stimme hören, »und eben darum hat Allah uns diesen schweren Verlust gesandt. Hätten wir diesen heiligen Männern geglaubt, so wäre das Unglück nicht geschehen.«

»Mir fehlt mein Schlauch!« schrie plötzlich einer.

»Seht nach, ob noch andere Sachen fehlen!« gebot Schedid.

»Mein Schlauch fehlt auch!« rief ein anderer.

»Auch meiner, und mein Kamel dazu!«

»Mein Kamel ist auch fort, und das deinige ebenso, o Schedid!« brüllte es zornig von weiter her.

»Was?« fragte der Anführer. »Mein Kamel soll fehlen, mein teures Abu Havas-Hedschihn?«

»Ja. Da haben wir die Tiere alle zusammengetrieben. Sieh her! Du kannst sehen, daß du gerade die drei besten Kamele nicht siehst.«

»O Allah, o Hölle, o Teufel! Das Verderben über diesen verfluchten Baqquara! Seine Spur müssen wir zu entdecken suchen.«

»Ja, lauft, sucht, ihr Männer!« befahl Schedid. »Sucht nach allen Seiten, diesseits und jenseits der Furt! Nur drei oder vier mögen da bleiben, um die Sklaven zu bewachen!«

Man gehorchte diesem Befehle, und darum wurde es für einige Zeit still.

»Effendi,« kicherte Ben Nil mir zu, »wenn wir das gewußt hätten, so hätten wir alle Gefangenen und alle Kamele entführen können. Wir sind viel, viel zu vorsichtig gewesen.«

»Ja, wir hätten alles fortschaffen können. Aber warum uns damit schleppen, da Schedid es uns gewiß nach Faschodah bringen wird! Es ist uns alles über Erwarten geglückt. Nun bin ich neugierig, ob sie, wenn sie mit Suchen fertig sind, ihre irrige Ansicht ändern werden.«

»O nein, denn diese Leute scheinen mit Blindheit geschlagen zu sein.«

Er hatte Recht. Die nach allen Richtungen ausgesandten Männer kehrten zurück, und das Resultat war, daß keiner etwas gefunden hatte. Nördlich vom Wasser, welche Richtung der Baqquara, falls er wirklich an der Mischrah Omm Oschrin wohnte, eingeschlagen haben mußte, war keine Spur von ihm zu finden gewesen. Er mußte also nach Süden geritten sein. Aber diejenigen, welche nach dieser Richtung gesucht hatten, behaupteten, daß auch dort keine Fährte zu entdecken sei. Darum watete Schedid selbst durch die Furt, um darüber nachzuforschen. Er kehrte nach einiger Zeit wetternd und fluchend zurück und erklärte:

»Es ist wirklich nichts zu finden. Was wird der Mek und was wird In Asl sagen, wenn wir ihnen sagen müssen, daß gerade dieser Hafid Sichar entkommen ist! O Allah, wie werden wir von diesen beiden empfangen werden!«

Da meinte einer, der jedenfalls der klügste von allen war.

»Während so kurzer Zeit verwischt sich keine Spur; das solltest du bedenken, o Schedid!«

»Was willst du damit sagen?« fragte der Genannte.

»Wo keine Spur ist, da ritt kein Kamel. Ist rundum keine Fährte zu sehen, so ist der Baqquara noch gar nicht fort, sondern irgendwo versteckt mit Hafid Sichar und den Kamelen. Du wirst doch zugeben, daß er sehr schlau gehandelt hat. Die Frömmigkeit und Heiligkeit der beiden Senussi war ihm im Wege; er hielt sie für gefährlich für sich; darum klagte er sie an; darum erfand er ein Märchen, um sie für sich unschädlich zu machen. War das nicht klug, nicht schlau?«

»Sehr listig sogar!«

»Nun, so darfst du ihm zutrauen, daß er später ebenso schlau gehandelt hat. Er mußte sich sagen, daß wir seine Spur entdecken würden; darum machte er lieber keine, indem er in der Nähe blieb und sich versteckte, um zu warten, bis wir fort seien.«

»Allah akbar! Daran habe ich gar nicht gedacht. Du kannst sehr recht haben. Auf, ihr Männer, um nach dem Verborgenen zu suchen. Forscht überall, aufwärts und abwärts, rechts und links, hüben und drüben vom Wasser!«

Jetzt wurde die Sache für uns etwas weniger angenehm. Blieben wir mit unserem Floße hier liegen, so konnte ein kleiner Zufall uns verraten. Wir hatten übrigens genug gehört; darum stießen wir ab und ruderten zurück, aber so langsam, daß nur einer, welcher den Blick minutenlang auf uns gerichtet hielt, bemerken konnte, daß unsere Insel sich bewegte. Und daß man derselben eine so scharfe Aufmerksamkeit widmen werde, das stand nicht zu erwarten, denn es gab in dem See mehrere wirkliche, mit Schilf bewachsene Inseln, wodurch das Dasein der unserigen weniger auffällig wurde.

Wir sahen mehrere Takaleh wieder durch die Furt gehen. Man suchte an beiden Ufern. Wenn man die Nachforschung auch nach dem andern See, an dessen Ende unser Lagerplatz war, hin erstreckte, konnte dieser letztere noch entdeckt werden. Aber zu fürchten brauchten wir diesen Fall ganz und gar nicht. Wurden wir bemerkt, dann doch jedenfalls nur von einigen wenigen Männern, vor denen sich zu fürchten die reine Lächerlichkeit gewesen wäre. Ehe sie die übrigen herbeibrachten, waren wir auf unseren Tieren schon soweit fort, daß wir uns in vollster Sicherheit befanden. Lieber freilich war es mir, wir wurden nicht entdeckt. Es paßte sehr gut in meinen Plan, daß man der Geschichte von dem fremden Effendi keinen Glauben mehr schenkte; dies mußte aber sofort anders werden, wenn man erkannte, daß der Baqquara nicht unehrlich gehandelt habe, sondern mit Hafid und den Kamelen selbst entführt worden sei.

Unsere Fahrt ging über den größeren See nur langsam von statten; aber als wir den kleineren erreicht hatten, waren wir den Takaleh aus den Augen und ruderten schneller. Bald legten wir bei dem Lagerplatze an und stiegen aus. Wir waren lange fort gewesen; darum hatte Hafid Sichar sich in Unruhe wegen uns befunden; er war froh, als er uns jetzt zurückkehren sah. Wir erzählten ihm, was wir gesehen und gehört hatten, und dann stieg ich, um eine etwaige Annäherung zeitig bemerken zu können, auf einen nahen Baum, dessen dichtes Blätterwerk mich vollständig verbarg und mir aber doch den Ausguck nach allen Richtungen erlaubte.

Nach einiger Zeit sah ich drüben am nördlichen Ufer zwei Takaleh, welche suchend an demselben hinschritten. Sie konnten nicht herüber, uns also nicht gefährlich werden. Aber bald darauf kamen diesseits drei andere, welche von Busch zu Busch, von Baum zu Baum schritten und hinter jedes Strauchwerk blickten. Wenn sie nur noch zwei Minuten in dieser Weise fortsuchten, mußten sie uns finden. Ich glitt schnell vom Baume herunter, verließ unsern Lagerplatz und ging ihnen, natürlich ohne mich sehen zu lassen, eine kurze Strecke entgegen. Es gab da ein dichtes Gebüsch, bis zu dessen Spitzen sich scharfes Dornwerk rankte. Aller Erwartung zufolge mußten sie da vorüberkommen; ich kroch also hinein.

Es dauerte nicht lange, so kamen sie, sahen erst in ein benachbartes Gesträuch und wendeten sich dann nach meinem Versteck.

»Es ist vergebens,« sagte einer von ihnen. »Hier hüben sind sie nicht. Kehren wir wieder um!«

»Nur noch einige Schritte, bis dort zu der Ecke, an welcher der Subakh steht!« lautete die Antwort.

O weh! Auf jenem Subakh hatte ich soeben gesessen, und hinter dieser Ecke befand sich unser Lagerplatz! Jetzt waren sie nur noch fünf Schritte von meinem Buschwerk entfernt. Ich griff in die schwachen Stämmchen, bewegte sie, als ob ein Tier sich da, wo ich mich befand, vom Boden erhebe, und versuchte, jenes knurrende Pfauchen nachzuahmen, welches ein in seiner Ruhe gestörtes Raubtier hören läßt. Dann rollte ich mit der Zunge in möglichst tiefem Tone, röchelte dazu durch die Nase und stieß darauf einen kurzen, heiseren Schrei aus, bei welchem der Wüstenbewohner, wenn er ihn hört, in den Stoßseufzer ausbricht:

»Der Löwe ist erwacht. Allah beschirme uns vor dem Würger der Herden!«

Ich hatte auf einsamen Ritten aus Langeweile oft versucht, das Gebrüll des Löwen nachzuahmen. Es richtig wiederzugeben, dazu sind die menschlichen Stimmwerkzeuge unfähig, aber eine Ähnlichkeit läßt sich doch erreichen. Das war auch jetzt der Fall. Die drei Takaleh prallten, als sie mich hörten, ganz entsetzt zurück.

»Eine Löwe, ein Löwe!« schrie einer von ihnen. »O Allah, o Beschützer, o Erhalter des Lebens, bewahre uns vor – –«

Die Fortsetzung dieser Worte konnte ich nicht hören, weil der Kerl, während er in dieser Weise zeterte, so schnell davon rannte, daß er bei dem letzten Worte schon nicht mehr zu sehen war. Und seine beiden Gefährten, welche noch flinkere Beine besaßen, waren ihm sogar schon weit voran. Da hörte ich hinter unserer Ecke Ben Nils lachende Stimme:

»Effendi, die kommen nicht wieder! Was bringst du doch alles fertig! jetzt hast du dich sogar in einen Löwen verwandelt! Das zornige Knurren und Pfauchen voran war vortrefflich. Es klang ganz genau so, als ob ein Löwe aus dem Schlafe gestört worden sei. Aber dann das Brüllen war weniger gut. Man hörte, daß es aus keinem Löwenrachen kam.«

»Weil du wußtest, wer dieser Löwe war!«

»Jawohl. Den Takaleh aber ist es ganz naturgetreu erschienen. Sie werden sich nun hüten, den Subakh und unsere Ecke zu untersuchen. Als du fortgingst und dort in das Loch krochst, dachte ich, daß uns dies gerade verraten könnte. Ich wußte ja nicht, daß du den ›Herrn mit dem dicken Kopfe‹ spielen wolltest. Nun aber bin ich froh, daß du es gethan hast. Wie bist du denn auf diesen Gedanken gekommen, Effendi?«

»So, wie einem in der richtigen Lage der richtige Gedanke kommen muß: ganz unerwartet und ohne langes Suchen.«

Ich war inzwischen zurückgekehrt und sah, daß Ben Nil sein Messer in der Hand hatte. Auf meinen fragenden Blick erklärte er:

»Als die Takaleh kamen, sagte ich diesem Baqquara, daß ich ihn, falls er den leisesten Laut hören lasse, sofort erstechen werde. Nun sind sie fort. Wollen wir nicht aufbrechen?«

»Nein. Ich will sie erst fortlassen.«

»Aber wir versäumen damit eine kostbare Zeit. Du weißt, wie eilig wir es haben, nach Faschodah zu kommen!«

»Diesen Zeitverlust holen wir mit unseren guten Kamelen bald wieder ein. Ich muß wissen, wie wir zu reiten haben, damit diese Takaleh nicht auf unsere Fährte stoßen. Da sie einen Löwen in ihrer Nähe vermuten, werden sie sich nicht lange mehr an der Furt aufhalten, denn sie müssen annehmen, daß das Raubtier diese Furt als Wechsel benutzt. Ich werde sie beobachten.«

Um dies zu thun, stieg ich wieder auf den Baum und nahm dieses Mal mein Fernrohr mit. Ich konnte mit Hilfe desselben über beide Seen hinwegblicken; aber die Bäume und Sträucher der Ufer, hinter denen sich die Karawane befand, verhinderten mich, zu beobachten, was die Leute thaten.

Nach vielleicht einer halben Stunde bemerkte ich eine Bewegung oben an der Furt, und dann sah ich den Zug am diesseitigen Ufer unter den Bäumen hervorkommen und sich südwärts hinaus in die Wüste wenden. Eine Abteilung der Reiter war voran, die andern hinterdrein; die Gefangenen marschierten in der Mitte. Ich verfolgte die Karawane mit dem Rohre, bis sie am Horizonte verschwunden war. Dann richtete ich das Teleskop ohne eine bestimmte Absicht, ganz unwillkürlich, nach Norden und nach Osten. Dort, in letzterer Richtung, bewegten sich einige Punkte. Waren das Tiere oder Menschen? Sie näherten sich, aber nicht gerade auf uns zu, sondern in südwestlicher Richtung, so daß dieselbe mit derjenigen der Karawane im Süden von uns zusammenstoßen mußte. Die Gestalten waren selbst durch das Rohr zu klein, als daß ich hätte bestimmen können, wer oder was sie seien. Und sie wurden noch kleiner und immer kleiner, bis ich sie gar nicht mehr sehen konnte. Jetzt stieg ich vom Baume herab.

Gestern abend hatte ich die Züge Hafid Sichars nicht deutlich erkennen können; jetzt am Tage sah ich, daß er eine große Ähnlichkeit mit seinem Bruder besaß. Er bat mich, ihm die Mumienhand zu zeigen, und als ich dieser Aufforderung nachgekommen war, erklärte er, daß er sie erkenne, und daß sie wirklich die Hand der Pharaonentochter sei, die er gemeint habe. Darauf öffnete ich meinen wasserdichten Gürtel, nahm die beiden unadressierten Briefe heraus, welche sein Bruder mir in Siut gegeben hatte, und sagte:

»Diese Briefe brachte mir Ben Wasak in den Palast des Pascha nach Siut. Er sagte mir, daß ich sie nach meiner Ankunft in Chartum öffnen solle.«

»So sind sie dein Eigentum,« sagte er, indem er sie in die Hand nahm, um sie zu betrachten. »Stecke sie wieder ein, und öffne sie, wenn du nach Chartum kommst!«

»Ich hätte lieber Lust, sie dir jetzt zum Öffnen zu übergeben. Ich glaubte damals, und infolgedessen dein Bruder auch, daß ich direkt nach Chartum gehen würde. Es ist aber anders gekommen. Ich mußte nach dem Lande der Fessarah; es ist inzwischen eine nicht unbedeutende Zeit vergangen, und wer weiß, welchen wichtigen Inhalt diese Briefe haben. Es ist vielleicht besser, wenn wir ihn kennen lernen.«

»So öffne sie jetzt!«

»Nein, du! Ich bin noch nicht in Chartum.«

»So werde ich sie aufmachen. Es könnte doch etwas darin stehen, was uns zu wissen Vorteil bringt.«

Er öffnete die Umschläge. Sie enthielten je einen offenen Empfehlungsbrief und eine Anweisung auf ein Chartumer Haus.

»Hat mein Bruder dich gekannt, ehe du zu ihm nach Maabdah kamst?« fragte Hafid Sichar.

»Nein.«

Er sah mich mit einem langen, großen Blicke an, und seine Augen glänzten feucht, als er dann sagte:

»Das, das that mein Bruder für mich, und ich glaubte, er habe mich ganz aufgegeben. Diese Anweisungen sagen Mehr, als du denkst. Sie sind von hohem Betrage. Er muß vorher alles mögliche, mich zu entdecken, aufgeboten haben. Er sah dich zum erstenmale und gab dir solche Briefe mit! Du mußt ihm als ein sehr ehrlicher und vertrauenswerter Mann erschienen sein. Bedenke, daß du ein Christ und ihm vollständig Fremder warst! Was hättest du mit dem vielen Gelde gemacht?«

»Dir gegeben, sobald ich dich fand. Stecke die Empfehlungen und Anweisungen ein; sie gehören dir! Wir werden zusammen bleiben, bis du zu deinem Bruder kommst, und falls ich etwas bedarf, werde ich es dir sagen.«

»Gut! Unter dieser Bedingung werde ich die Papiere behalten. Aber wohin soll ich sie stecken, da ich keine Taschen habe?«

Es war wahr; er hatte keine einzige Tasche, da er, der reiche Mann, nur mit einem, noch dazu ziemlich defekten Lendenschurze bekleidet war.

»Du wirst gleich Taschen haben,« antwortete ich. »Dieser Baqquara ist von deiner Statur. Ihr werdet eure Anzüge wechseln. Du nimmst den seinigen, und er bekommt den deinigen.«

»Wage das!« fuhr mich der Baqquara an. »Ich bin ein freier Ben Arab und gehe nicht nackt!«

»Vorher war er gefangen, und du warst frei; darum ging er nackt, und du trugst Kleider. Jetzt bist du gefangen, und er ist frei; folglich wechselt auch die Kleidung.«

»Ich dulde es nicht!«

»Ben Nil, schneide Stöcke ab zur Bastonnade!«

»Schlagen, mich schlagen?« schrie der Baqquara auf. »Mir die Bastonnade, mir? Wer giebt dir das Recht dazu?«

»Der Vicekönig. Ich stehe hier an Stelle des Reïs Effendina. Aber selbst wenn dies nicht der Fall wäre, würde ich thun, was mir beliebt. Du bist ein Verbündeter meines Todfeindes, der mir nach dem Leben trachtet. Du selbst hast gestern abend direkt gegen mich gesprochen und gehandelt. Mit welchem Rechte? So frage ich dich ebenso, wie du nach meinem Rechte fragst. Mit dem Rechte des Stärkern! Nach dem Gesetze der Wüste und Steppe. Ich rate dir: Wenn dir deine Fußsohlen lieb sind, so füge dich freiwillig meinem Befehle! Ich habe dir die Freiheit gegen ein offenes Geständnis geben wollen; du bist nicht auf meinen Vorschlag eingegangen und hast es dir also nur selbst zuzuschreiben, wenn die Folgen davon dich nicht gerade in Entzücken versetzen. Herunter mit dem Anzuge!«

Ben Nil wollte ihm den Haïk ausziehen, aber er wehrte sich. Da machte ich nun Ernst. Er wurde vor dem Baume auf den Bauch gelegt und mußte die Unterschenkel von den Knieen an aufwärts heben. Sie wurden an den Stamm gebunden, so daß er sich nicht bewegen konnte. Dann setzte Hafid Sichar sich ihm auf den Rücken, damit er liegen bleiben mußte, und Ben Nil schnitt einen fingerstarken Stock vom Busche. Gleich beim ersten Hiebe schrie der Gezüchtigte grell auf; beim zweiten jammerte er:

»Laß ab, laß ab, Effendi! Ich will gehorchen. Diese Bastonnade kann kein freier Arab Baqquara aushalten!«

»Du konntest sie dir ersparen. Laß dir die beiden Streiche zur Lehre dienen!«

Er wurde losgebunden, und nun ging der Kleiderwechsel ohne weiteres von statten. Dann rüsteten wir uns zum Aufbruche. Für die Menschen war noch Wasser vorhanden; für die Kamele wurden die Schläuche aus dem Nid en Nil gefüllt. Dann stiegen wir auf und verließen den Ort, von welchem ich nicht geahnt hätte, daß ich an demselben den von seinem Bruder so lange vergeblich gesuchten Hafid Sichar finden würde.

Wie schon erwähnt, sollten die Takaleh unsere Fährte nicht sehen; deshalb hatte ich sie voranziehen lassen. Dennoch folgten wir zunächst der ihrigen, um später von derselben abzubiegen. Als wir ungefähr eine Viertelstunde geritten waren, sahen wir von links her eine zweite Fährte kommen. Sie stammte jedenfalls von denjenigen Wesen, welche ich als kleine Punkte durch das Fernrohr am östlichen Horizonte gesehen hatte, und hier war der Punkt, an welchem sie auf die Spuren der Takaleh gestoßen war.

»Wer mag das gewesen sein?« meinte Ben Nil. »Es sind so kleine Stapfen.«

Ich stieg ab und hieß auch ihn absteigen, denn er sollte sich im Fährtelesen üben. Was er von und bei mir lernte, konnte ihm später wohl von Nutzen sein. Ich wußte gleich beim ersten Blicke, woran ich war, doch forderte ich ihn auf:

»Sieh dir diese Spuren genau an! Von weichen Tieren können sie eingetreten worden sein?«

»Das – das sind wohl Esel gewesen?« sagte er, mich fragend anblickend.

»Ja, Esel,« nickte ich ihm befriedigt zu. »Und wie viele?«

»Vier oder fünf.«

»Nein, sondern nur drei. Wenn man die Zahl der Tiere wissen will, muß man sein Augenmerk nur auf die Summe der Eindrücke eines bestimmten Beines richten. Wer die Spuren aller Hufe zählt, wird irre. Nehmen wir zum Beispiel den rechten Vorderhuf. Du erkennst den Eindruck an mehreren Zeichen, vor allen Dingen daran, daß er nach außen, also nach rechts, mehr konvex ist als nach innen, nach links. Zieh dann die Verschiedenheit der Eindrücke dieser rechten Vorderhufe zu Rate, so wirst du die Zahl der Tiere haben.«

»Ja, es waren nur drei Esel,« sagte er, nachdem er die Spur von den gegebenen Gesichtspunkten aus noch einmal genau betrachtet hatte.

»Was trugen die Esel? Reiter oder Lasten? Oder ging einer von ihnen vielleicht frei?«

»Woran erkennt man es?«

»An der Tiefe der Eindrücke, an der Regelmäßigkeit des Ganges und aus andern, mehr durch den Zufall gegebenen Zeichen. je schwerer ein Tier beladen ist, desto tiefer drückt sich sein Fuß in den Sand. Ein Lasttier wird meistenteils vorn leichter als hinten gehen. Ein Reittier hat einen unregelmäßigeren Gang als ein Saumtier, weil es mehr von dem Willen seines Reiters abhängig ist, während das Lasttier ruhig seinen Gang fortgeht. Komm ein Stück auf dieser Fährte weiter, so siehst du, daß jeder der Esel einmal rechts, einmal links, einmal in der Mitte gegangen ist. Das kommt bei Saumtieren nicht oder nur höchst selten vor; sie haben also Reiter getragen. Was für Reiter mögen das gewesen sein?«

»Wie kann ich das wissen! Ich habe sie nicht gesehen, und da sie im Sattel saßen, konnten sie von sich keine Spuren zurücklassen.«

»Und doch ist nichts leichter als das. Auf Eseln reitet hier nur eine ganz bestimmte Art von Leuten.«

»Meinst du, es seien Dschellab gewesen?«

»Ja, da nur ein Dschellabi, ein Händler, sich in dieser Gegend des Esels bedient. Also soviel wissen wir. Wo kamen sie her? Das interessiert uns nicht; aber wohin sie wollen, das möchten wir wissen, da wir sie vor uns haben und sie vielleicht einholen werden.«

»Kannst du auch das aus den Spuren lesen?«

»Nein, wenigstens jetzt noch nicht, da ihre Fährte sich von hier aus mit derjenigen der Takaleh vereinigt hat. Gehen wir weiter!«

Wir nahmen unsere Kamele bei den Halftern und führten sie; die beiden andern waren im Sattel geblieben und folgten uns. Nach einiger Zeit erweiterte sich die Spur zu einer breiten, sehr zertretenen Stelle, um dann in der bisherigen Schmalheit und Weise wieder fortzugehen.

»Hier haben die Dschellab die Takaleh eingeholt,« erklärte ich, »und die letzteren sind eine Weile halten geblieben, um die ersteren zu empfangen und auszufragen. Vielleicht erzählt uns diese breite Stelle noch mehr. Ich will sie einmal genauer untersuchen.«

Mir schien nämlich, als ob die Mehrzahl der Takaleh nicht halten geblieben, sondern ohne Unterbrechung fortgeritten sei. Ich zählte und verglich die einzelnen Eindrücke, fand sogar die Spuren mehrerer menschlicher Füße und erklärte dann den andern:

»Es sind nur fünf Takaleh halten geblieben; die andern ritten weiter. Diese fünf sprachen längere Zeit mit den Dschellab, wobei die letzteren von ihren Eseln gestiegen sind. Dann ritt man in Gemeinschaft den Vorausgegangenen nach. Diesen Halt hier nahm man vor, um sich gegenseitig zu begrüßen und auszufragen.«

»Werden die Dschellab nicht von den Takaleh feindlich behandelt werden?« fragte Ben Nil.

»Bis jetzt giebt es. noch keinen Anhaltspunkt, welcher uns veranlassen könnte, auf Feindseligkeit zu schließen; aber die Takaleh befinden sich jedenfalls in keiner guten Stimmung, und so haben die Händler, wenn es nicht noch andere Gründe geben sollte, wenigstens deshalb wohl Ursache, vorsichtig zu sein. Gehen wir noch ein Stück weiter, ehe wir aufsteigen.«

Eben wendete ich mich wieder vorwärts, als Ben Nil, mit der Hand nach derselben Richtung deutend, sagte:

»Schau, Effendi, da vorne, seitwärts von der Fährte, sitzt eine Hyäne.«

»Und daneben haben zwei andere sich in den Sand gelegt,« fügte Hafid Sichar hinzu.

Ich beschattete die Augen mit der Hand, um besser sehen zu können, und rief, ein Unglück ahnend, im nächsten Augenblicke:

»Das sind keine Hyänen, sondern Menschen. Die fünf Takaleh werden doch nicht etwa über die Händler hergefallen sein! Kommt schnell fort von hier und mit hin!«

Wir eilten weiter, die beiden Reiter im Schritte und wir zwei Fußgänger im Trabe. Derjenige, welchen Ben Nil von weitem für eine sitzende Hyäne gehalten hatte, kehrte uns den Rücken zu. Es war kein Wunder, daß mein junger Begleiter sich aus einer solchen Entfernung hatte täuschen können, denn der Mann hatte die Ellbogen auf die Kniee gestemmt und den Kopf in die beiden Hände gelegt, als ob er Kopfschmerzen habe. Als er das Geräusch, welches wir bei unserer Annäherung verursachten, hörte, wendete er das Haupt nach uns um. Uns sehend, machte er eine Anstrengung, sich zu erheben, was ihm aber nicht gelang. Sein Auge fiel, da die beiden Reiter uns um einige Schritte voran waren, zunächst auf den Baqquara; da nahm sein Gesicht den Ausdruck des Schreckens an, und er rief:

»Ich bin verloren! Das ist ja Amr el Makaschef, der Scheik der Baqquara!«

Ich hatte diesen Namen schon einigemale gehört. Es war derjenige eines Baqquarahäuptlinges, welcher als außerordentlich kriegerisch und gewaltthätig bezeichnet wurde. Damals spielte er seine Rolle noch innerhalb engerer Grenzen, später aber trat er aus denselben heraus. Er war ein Verwandter des Mahdi, und am 6. April 1882 sandte der Mudir von Sennaar an den Vicegouverneur eine Depesche, welche lautete: »Der Baqquara-Scheik Amr el Makaschef, ein Vetter des Mahdi, nähert sich mit mehreren tausend Baqquarakriegern meiner Stadt, um dieselbe für den Mahdi einzunehmen. Sende mir so schnell wie möglich Hilfe!« Dieser Mann war also jetzt mein Gefangener. Es mußte mich stutzig machen, daß ein Häuptling sich zu Botendiensten hergegeben hatte. Sein Verhältnis zu Ibn Asl konnte nicht eine bloße Bekanntschaft, sondern mußte ein festeres, tieferes sein. Dies bestätigte sich durch die Antwort, welche er gab; denn kaum hatte er die Worte des Mannes gehört, so rief er in abwehrendem Tone aus:

»Du irrst. Ich gehöre zwar zu den Baqquara, bin aber nicht ein Scheik derselben.«

»Warum verleugnest du dich?« fragte der Händler. »Wie oft bin ich bei euch, bei dir gewesen! Du kennst mich und weißt, daß auch ich dich sehr genau kenne.«

»Schweig! Du redest irre. Ich sehe, daß du verwundet bist, und da wird das Fieber dir die irrigen Worte eingegeben haben.«

Daß er während dieser Worte seinen Blick mit einem besorgten Ausdrucke auf mich warf, gab mir die Überzeugung, daß er die Unwahrheit sagte. Er wollte für einen gewöhnlichen Mann gelten, um in Faschodah eine möglichst milde Behandlung zu finden. Der Händler aber blieb bei seiner Überzeugung, indem er behauptete:

»Ich weiß nicht, aus welchem Grunde du dich verleugnest; ja, ich bin verletzt, aber das Fieber hat mich noch nicht ergriffen, und ich weiß, was ich sage. Wir haben diesen sklavenhandelnden Takaleh nichts gethan, und ich bitte dich um Allahs willen, nicht zu glauben, daß ich ein Gegner der Leute bin, welche Sklaven fangen. Schone mich, o Scheik!«

Da fragte ich ihn:

»Warum hältst du diese Erklärung für notwendig? Meinst du, daß dieser Scheik Amr el Makaschef auch ein Sklavenfänger ist?«

Er hatte mich noch nicht beachtet. Jetzt musterte er mich mit verwundertem Blicke und antwortete:

»Wie kannst du eine solche Frage an mich richten! Du gehörst jedenfalls zum Scheik und mußt also noch besser wissen als ich, daß er ein Freund und Abnehmer von Ibn Asl, dem berühmtesten Sklavenjäger, ist.«

»Das ist nicht wahr; das ist eine Lüge!« rief der Baqquara. »Ich bin ja gar nicht derjenige, für den er mich hält!«

»Sei still!« gebot ich ihm. »Ich weiß sehr genau, was ich von dir zu denken habe, und alle Mühe, mein Urteil irre zu leiten, ist vergeblich. Du bist viel zu dumm, mich zu hintergehen.«

Und mich zu dem Händler wendend, fuhr ich fort:

»Ich gehöre nicht zu ihm. Ich bin ein Fremder, kein Moslem, sondern ein Christ. Siehe dir den Scheik doch besser an! Hast du noch nicht bemerkt, daß er keine Waffen trägt? Hast du die Leine noch nicht bemerkt, mit welcher er an das Kamel gebunden ist?«

Der Mann hatte bisher den Kopf noch stets in den beiden Händen gehalten; jetzt hob er ihn, um den Scheik genauer zu betrachten, und rief dann verwundert aus:

»Allah thut Wunder! Er ist gefesselt! Habt ihr etwa mit ihm gekämpft, ihn gefangen genommen?«

»Du sollst es erfahren. Vor allen Dingen aber will ich dich und deine beiden Gefährten, welche für tot daliegen, untersuchen.«

»Sie sind tot; man hat sie erschossen. Du siehst ja die große Pfütze des Blutes, in welcher sie liegen.«

»Hat man auch auf dich geschossen?«

»Nein. Ich war der erste, an dem sie sich vergriffen. Sie schlugen mich mit dem Kolben des Gewehres auf den Kopf. Als ich erwachte, sah ich meine Gefährten tot. Wir sind beraubt worden, und man hat uns alles genommen und auch unsere Esel fortgeführt.«

»Nein; dieses letztere ist nicht geschehen. Die Esel sind noch da. Ich werde sie holen. Vorher aber zeige mir deinen Kopf!«

Dieser war stark angeschwollen, doch zeigte sich zum Glücke für den Verletzten kein Schädelbruch. Man hatte nicht mit der Schärfe, sondern mit der Breite des Kolbens zugeschlagen. Die beiden andern waren allerdings tot, durch die Brust geschossen. Ich nahm ihnen die Kopftücher ab, um dem noch Lebenden einen nassen Umschlag aufzulegen, welcher ihm so wohlthat, daß er aufstehen und mit weniger Anstrengung als vorher sprechen konnte. Er schien noch immer Angst vor dem Scheik zu haben; darum beruhigte ich ihn:

»Du befindest dich bei Freunden und dieser Häuptling der Baqquara kann dir nichts thun. Er ist ein Freund der Takaleh, welche euch überfallen haben; er war am Nid en Nil bei ihnen, und ich sage dir, daß du gar keinen Grund hast, dich vor ihm zu fürchten oder ihn zu schonen. Hast du vielleicht von dem Reïs Effendina gehört?«

»Ja, o Herr.«

»Nun, ich bin ein Freund desselben und habe diesen Baqquara gefangen genommen, um ihn zum Reïs Effendina nach Faschodah zu bringen. Du kannst also ruhig sein und offen mit mir sprechen. Aus welcher Gegend seid ihr gekommen, und wo wolltet ihr hin?«

»Wir waren drüben im Dar Famaka, wo wir alle unsere Waren verkauften und nur Thibr dafür bekamen. Dann gingen wir über den weißen Nil, um nach Gojak am Bahr el Arab zu reiten, wo wir unser Thibr gegen Straußfedern umtauschen wollten, welche wir dann nach Chartum gebracht hätten. Wir wären eines großen Gewinnes sicher gewesen, wenn uns die Takaleh nicht hier beraubt hätten. Nun bin ich ärmer als jemals vorher. Allah verfluche sie!«

Der erwähnte Thibr ist Gold, welches in der Gegend, von welcher er gesprochen hatte, in Gestalt von Körnern oder als Staub in kleinen Blättchen aus dem Alluvium gewonnen wird. Dieser Thibr dient dort als fast alleiniges Tauschmittel, so daß die sonst überall gangbaren Maria-Theresienthaler wenig beliebt sind. Er wird zur besseren Handhabung in Ringe eingeschmolzen oder in ganz kleinen Quantitäten, als Scheidemünze, in Zeug- oder Lederstückchen eingebunden.

»Ich vermute, daß ihr von den Takaleh nicht gleich von vorne herein feindselig behandelt worden seid?« fragte ich.

»Sie waren sogar sehr freundlich,« antwortete er. »Als wir auf sie stießen, ließ der Anführer die Karawane weitergehen, bis wir sie nicht mehr sehen konnten, und blieb mit noch vier anderen bei uns halten, um uns auszufragen. Er that dies in einer Weise, daß es ganz unmöglich war, Mißtrauen zu hegen, und gab uns dann die Erlaubnis, uns ihm anzuschließen. Wir ritten fort, der Karawane nach; aber als wir hier diese Stelle erreichten, wurde ich plötzlich niedergeschlagen. Das übrige weißt du schon.«

»Hast du den Thibr erwähnt, den ihr bei euch hattet?«

»Ja. Sie fragten uns, womit wir die Straußfedern bezahlen wollten, und da mußte ich von dem Goldstaube sprechen!«

»Das hättest du unterlassen sollen. Du siehst, welche Früchte diese Vertrauensseligkeit getragen hat. Die fünf Takaleh sind nach dem Goldstaube begierig geworden, und um denselben nicht mit ihren Kameraden teilen zu müssen, haben sie die Karawane bis außer Sichtweite fortgelassen und sind dann über euch hergefallen. Aus ganz demselben Grunde haben sie euch alles andere gelassen, sonst hätten sie euch alles bis auf den bloßen Leib genommen. Dadurch wäre der Raub verraten worden, und sie hätten teilen müssen. Infolgedessen nahmen sie auch eure Esel nicht mit, sondern jagten sie fort, wie ich da aus den Spuren ersehe.«

»Warum ließ man sie nicht da? Warum gab man sich die überflüssige Mühe, sie so weit fortzutreiben, daß man sie nicht sehen kann?«

»Aus Vorsicht. Die Mühe war gar nicht so überflüssig, wie du meinst. Ihr drei lagt, platt am Boden und waret also aus der Ferne nicht zu entdecken. Hätte man die Esel bei euch stehen lassen, so konnten dieselben von weitem gesehen werden und irgend jemand herbeiziehen, durch welchen die Mordthat entdeckt worden wäre. Du bist zwar nicht tot, wärest aber jedenfalls zu Grunde gegangen, wenn wir nicht gekommen wären und dich nur deshalb gefunden hätten, weil wir mit Absicht den Spuren der Takaleh folgten.«

»Was aber soll nun geschehen, Herr? Wir müssen den Mördern nach. Ich will mich rächen und ihnen ihren Raub abnehmen.«

»Du wirst erhalten, was sie euch abgenommen haben; das verspreche ich dir. Dazu aber bedarf es gar nicht der Verfolgung der Karawane und des Kampfes mit derselben. Meinst du etwa, du seist in deinem Zustande fähig, es mit ihnen aufzunehmen? Ich werde jetzt nach den Eseln suchen, und dann schließest du dich uns an.«

»Wohin reitet ihr?«

»Nach Faschodah, wie ich dir bereits gesagt habe. Die Takaleh wollten auch dorthin, und da sie Fußgänger bei sich haben, werden wir eher dort sein als sie und sie gleich bei ihrer Ankunft durch die Polizei des Mudirs in Empfang nehmen lassen.«

Die Spuren der Esel führten gerade ins Weite hinaus; einer war dem andern nachgelaufen. Nach einer Viertelstunde fand ich sie nebeneinander liegend, die Sättel auf dem Rücken. Ich bestieg den einen, um zurückzureiten; die beiden andern folgten mir freiwillig, ohne daß ich sie zu führen brauchte.

Wir begruben die beiden Toten so gut, wie es uns möglich war; dann wurde der Verletzte auf das Kamel, welches die Wasserschläuche getragen hatte, gesetzt, und wir ritten weiter. Die hinter uns hertrabenden Esel waren ledig und konnten uns also leicht folgen.

Wir befanden uns ungefähr dreißig geographische Meilen von Faschodah entfernt. Wäre ich mit Ben Nil allein gewesen, so hätten wir diese Strecke mittels eines beschleunigten Rittes in zwei Tagen zurückgelegt, unter den gegenwärtigen Verhältnissen aber war dies nicht möglich. Hafid Sichar hatte zu lange Zeit in der Kupfergrube unter der Erde gesteckt; zum Gehen war er kräftig genug gewesen; nun aber zeigte es sich ‚ daß ihn das schnelle Reiten, das Schaukeln auf dem Rücken des Kameles mehr angriff, als er erwartet hatte. Der Händler kühlte seinen Kopf fortwährend mit Wasser, doch fühlte er in demselben jeden Schritt des Kameles so schmerzlich, daß wir gezwungen waren, unsere bisherige Schnelligkeit zu mäßigen. Der Fährte der Takaleh wurde nicht weiter gefolgt. Wir hielten uns weit östlicher als sie, überholten sie schon im Laufe des ersten Vormittages und kamen am Morgen des vierten Tages bei Faschodah an, welches eigentlich nichts als ein großes Hüttendorf ist, das sich jedoch infolge der mit Mauern umgebenen Regierungsgebäude, der Kaserne und der Wohnung des Mudir, von außen ziemlich stattlich ausnimmt. Doch verschwindet der gute Eindruck sofort, wenn man den Ort betritt.

Auf den Mauern stehen Kanonen und des Nachts zahlreiche Wachtposten, eine Vorsichtsmaßregel, welche wegen der rebellisch gesinnten Schilluk keine ganz überflüssige ist.

Um die Regierungsgebäude liegen armselige Häuser und zahlreiche Tukul, welche auf einer Ziegelunterlage errichtet sind, weil es wegen der früheren vielen Verheerungen, welche das Feuer anrichtete, jetzt verboten ist, diese dürftigen Hütten ganz aus Stroh zu bauen. Diese Tukul wurden teils von Schilluk, teils von Soldaten, welche ihre Weiber und Kinder bei sich haben, bewohnt. Die Straßen und Gassen, falls man sich ja dieser Ausdrücke bedienen will, bestehen aus Löchern, Schmutzlachen, Unrathaufen und Schlammgebirgen, zwischen, durch und über welche man, um nicht stecken zu bleiben, wie ein Seiltänzer sich bewegen muß.

Faschodah ist ein Verbannungsort, gerade so wie früher Dschebel Gasan und Fassoql, doch wächst die Zahl der Verbrecher nie stark an, da die Fremden an dem ungesunden Klima schnell zu Grunde gehen.

Da dieser Platz der letzte befestigte Grenzposten am weißen Nile ist, so hat er eine Besatzung von fast tausend Soldaten; das sind schwarze Fußtruppen und eine Anzahl Arnauten, die unter ihrem Sangak stehen und wegen ihrer bekannten Unbotmäßigkeit und Gewaltthätigkeit außerordentlich schwer zu regieren sind. Daß ihr Sangak ein heimlicher Verbündeter von Ibn Asl war, ist bereits erwähnt worden.

Man darf ja nicht denken, daß wir so mir nichts dir nichts gleich unsern Einzug gehalten hätten; das wäre geradezu unverantwortlich gewesen. ich konnte annehmen, daß Ibn Asl bereits angekommen sei. Auch der Türke Murad Nassyr mit seiner Schwester, der Muza’bir und der Mokkadem der heiligen Kadirine, meine rachsüchtigen Feinde, waren hier zu suchen. Dazu kam, daß ich mich vor dem Obersten der Arnauten in acht zu nehmen hatte, da demselben von den andern Genannten jedenfalls schon alles von mir erzählt worden war. Sie kannten mich persönlich: ich durfte mich nicht sehen lassen, wenn ich meinen Zweck ganz und voll erreichen wollte. Darum sagte ich nicht, daß wir in, sondern daß wir bei Faschodah angekommen seien.

Wir hüteten uns nämlich, uns der Stadt allzuweit zu nähern, sondern hielten ungefähr eine Stunde vor derselben an einem Orte an, welcher zu einem einstweiligen Verstecke sehr geeignet war. Es gab da nämlich eine aus Sunut-, Hegelik- und anderen Hochbäumen bestehende Waldung, zwischen deren Stämmen Kittr- und Vabaqbüsche standen, welche durch die Ranken des Cyssus quadrangularis dicht verwoben waren. In diesem Walde machten wir Halt und suchten uns einen Platz, an welchem wir nur durch den reinen Zufall aufgefunden werden konnten.

Von hier aus wollte ich dem Mudir einen Boten senden. Am liebsten hätte ich meinen Ben Nil geschickt, was ich aber nicht wagen konnte, da derselbe einigen, denen er in Faschodah leicht begegnen konnte, bekannt war. Darum vertraute ich Hafid Sichar die Botschaft an und gab ihm den Empfehlungsbrief des Reïs Effendina mit. Natürlich unterrichtete ich ihn sehr genau darüber, wie er sich zu verhalten und was er zu sagen hatte. Nach seiner Entfernung warteten wir volle vier Stunden; dann kehrte er zurück und brachte einen Mann mit, der die hierzulande übliche Kleidung eines gewöhnlichen Mannes trug. Ich hatte erwartet, daß der »Vater der Fünfhundert« mir einen seiner vertrauten Beamten senden werde, und vernahm jetzt zu meiner Überraschung, daß dieser so einfach gekleidete Mann der Mudir selbst sei. Der strenge Mann charakterisierte sich gleich im ersten Augenblicke der Begegnung:

»Du hast lange warten müssen, Effendi,« sagte Hafid Sichar zu mir. »Dieser hohe Herr ist – –«

»Schweig!« donnerte ihn der andere zornig an. »Ich habe dich freundlich behandelt, weil mich dein trauriges Schicksal erbarmte, aber du darfst deshalb nicht denken, daß ich deinesgleichen bin. Wie kannst du es wagen, mich dem Effendi vorstellen zu wollen! Und wie darfst du dich erdreisten, dich zu entschuldigen, daß er gewartet hat! Bin ich ein Hund, der immer da sein muß, wenn ihm gepfiffen wird, du Halunke?«

»Na,« dachte ich im stillen, »das kann gut werden! Das ist der ›Vater der Fünfhundert‹ selbst. Wenn er gegen euch sich in dieser Weise benimmt, wie mag er da erst mit Verbrechern umspringen!«

Jetzt wendete er sich zu mir und musterte mich mit neugierigem Blick, wobei sein Gesicht nicht die geringste Spur eines freundlichen Zuges entdecken ließ. Ich war aufgestanden, hielt seinen forschenden Blick gelassen aus und fragte:

»Wer bist du? jedenfalls Ali Effendi selbst?«

»Ali Effendi?« meinte er streng. »Weißt du nicht, wie man einen Mudir zu titulieren hat?«

»Ich weiß es und werde die Pflicht der Höflichkeit erfüllen, sobald ich mit einem Mudir zu sprechen komme.«

»Das ist schon jetzt der Fall, denn ich bin der Mudir von Faschodah.«

Ein Orientale hätte die Arme gekreuzt und sich zur Erde gebeugt, ich aber senkte nur den Kopf, reichte ihm die Hand und sagte, allerdings im höflichsten Tone:

»Allah gebe dir tausend Jahre, o Mudir! Ich freue mich, dein Angesicht zu sehen, denn es ist dasjenige eines gerechten Mannes, unter dessen Verwaltung sich diese Provinz erheben und von allem schlimmen Gesindel reinigen wird.«

Er zögerte, meine Hand anzunehmen, gab mir einen verwunderten Blick in das Gesicht und antwortete:

»Nach dem, was ich von dir gelesen und gehört habe, bist du ein ganz tüchtiger Kerl; aber ein Freund von großen Komplimenten scheinst du nicht zu sein?«

»Jeder Mensch hat seine eigene Art und Weise und ist nach derselben zu nehmen, o Mudir.«

»So habe ich meine Diener auch nach ihrer Art und Weise zu nehmen! Allah erbarme sich! Da würde ich weit kommen! Ihr Christen seid sonderbare Menschen, und da will ich dich nun freilich so nehmen, wie du bist, nämlich sehr wacker und sehr grob. Setzen wir uns!«

Ich lächelte in mich hinein, von ihm, der verkörperten Grobheit, als grob bezeichnet zu werden. Wir setzten uns. Er zog ein Streichholzkästchen und eine Ledertasche voller Cigaretten hervor, brannte sich, ohne mir eine anzubieten, eine derselben an, blies den Rauch behaglich durch die Nase, legte Cigaretten und Zündhölzer zum weiteren bequemen Gebrauche neben sich und begann:

»Also du bist ein Diener des Reïs Effendina. Wo und wie hat er dich denn eigentlich kennen gelernt?«

»Ob er mich kennen gelernt hat oder ob ich ihn kennen lernte, das ist ein Unterschied, mit dem wir uns jetzt freilich nicht zu beschäftigen haben; aber wenn du meinst, daß ich sein Diener sei, so irrst du dich.«

»Nun ja, er nennt dich in dem Briefe seinen Freund; aber ich kenne das. Es ist nur eine Form und gehört zur Empfehlung. Du bist ein mutiger, ja ein verwegener Mann, auch nicht dumm scheinst du zu sein, aber als Christ kannst du doch niemals der Freund eines Moslem werden.«

»Warum nicht? Wenn ich einen Menschen so achte und so liebe, daß ich ihn meiner Freundschaft für würdig halte, so hindert mich der Umstand, daß er Moslem ist, nicht, sie ihm anzutragen.«

»Ah!« machte er erstaunt. »So hast du, du sie ihm angetragen und nicht er sie dir?«

»Von wem das erste Wort ausgegangen ist, das ist Nebensache; es genügt und muß auch dir genügen, daß wir eben wirkliche Freunde sind. Willst du es nicht glauben, nun, so ist es mir auch egal.«

»Wie? Es ist dir gleichgültig, ob dir der Mudir von Faschodah Glauben schenkt oder nicht? So ein Mann ist mir noch nicht vorgekommen!«

»Es giebt in meinem Vaterlande ein Sprichwort, welches lautet: Wie du mir, so ich dir. Ich befolge es gern.«

»Das ist stark, sehr stark! Höre, wenn das ein anderer wagte, bei Allah, ich ließe ihm auf der Stelle fünfhundert aufzählen!«

»Ja, das ist das gewöhnliche Deputat, und darum pflegt man dich Abu Hamsa Miah zu nennen. Ich aber bin vor dem Empfange dieser allerliebsten Liebesgabe sicher.«

»Sicher? Das glaube ja nicht! Wenn ich wollte, wer oder was könnte mich abhalten, auch dir fünfhundert geben zu lassen?«

»Meine Nationalität und mein Konsul.«

»Auf die pfeife ich auch.«

»Nun, dann diese hier. Auf die würdest du gewiß nicht pfeifen.«

Ich hielt ihm bei diesen Worten die Faust so nahe vor die Nase, daß er, mit dem Gesicht schnell zurückweichend, ausrief.

»Mann, willst du etwa zuschlagen?«

»Nein, solange nämlich auch du nicht zuschlagen willst. Doch, wir haben nun genug gescherzt und wollen von nötigeren Dingen sprechen. Wir sind – –«

»Wer hat hier zu bestimmen, wovon gesprochen werden soll, du oder ich?« unterbrach er mich.

»Ich, denn du bist bei m i r. Hast du keine Lust, dich nach mir zu richten, so kannst du gehen. Ich komme auch ohne dich durch die Welt und durch diese Gegend.«

Da blickte, nein, starrte er mich förmlich an, warf den Rest der Cigarette fort und rief:

»Allah ist groß, nein, er ist größer, nein, er ist noch viel größer, er ist am allergrößten; du aber bist der größte Grobsack, der mir vorgekommen ist! Welche Wonne, wenn ich dir fünfhundert aufzählen lassen könnte! Aber ich denke, daß ich noch dazu komme!«

»Und ich hoffe es auch, um dir nämlich beweisen zu können, daß dir meine Kugel durch das Gehirn fahren würde, noch ehe du den betreffenden Befehl vollständig ausgesprochen hättest.«

»Fresse dich der Teufel! Ich glaube, mit dir kommt man am allerbesten aus, wenn man höflich ist.«

Er brannte sich wieder eine Cigarette an. Ich antwortete.

»So mache den Anfang, indem du mir erlaubst, auch eine Cigarre zu rauchen.«

Ich griff zu, nahm mir eine, brannte sie an und fügte, als ich sah, daß er darüber zornig werden wollte, schnell hinzu:

»Das war schon vorhin deine Pflicht, als du die erste anbranntest. Du hast das unterlassen und doch mich ermahnt, höflich zu sein. Was soll ich von dir denken? Mir ist es gleichgültig, ob du mich grob oder freundlich behandelst. Ich habe nicht die geringste Gefälligkeit für mich von dir zu erbitten; ich komme vielmehr, um dir zu helfen, deine Pflicht zu erfüllen. Gleiches gegen gleiches; das ist das Gesetz der Wüste: Leben gegen Leben, Blut gegen Blut und – Grobheit gegen Grobheit. Lerne mich kennen, dann wirst du anders von mir denken. Du hast mir sogar deine Hand verweigert. Ich habe mit noch höheren Männern gesprochen, als du bist, und bin von jedem höflich behandelt worden.«

Er warf die kaum angebrannte Cigarette wieder fort, ballte die Faust und wollte zornig losbrechen, doch beherrschte er sich; die Zornesfalten seiner Stirn glätteten sich; sein Blick wurde milder und milder; dann aber kehrte der Grimm plötzlich zurück; er warf einen wütenden Blick auf die Umgebung, deutete auf den am Boden liegenden Scheik Amr el Makaschef und fuhr diesen an:

»Ich sehe, daß du gefesselt bist. Bist du der Baqquara, welcher die Botschaft von Ibn Asl nach dem Nid en Nil gebracht hat?«

»Ja,« bekannte der Gefragte.

»Du Hund und siebenfacher Hundesohn, du verkehrst mit den Sklavenjägern? Ich werde dir fünfhundert aufzählen lassen; so sicher fünfhundert, wie ich fünf Finger an jeder Hand habe. Du bekommst wöchentlich hundert und kannst dann laufen, wohin es dir beliebt, um zu erzählen, wie dir dein Besuch bei Abu Hamsah Miah gefallen hat. Leider kann ich dich nicht köpfen, du Schuft, da du nur dieses Botenganges zu überführen bist; aber habe keine Sorge! jeder einzelne Hieb von den fünfhundert soll dir im Gedächtnisse flimmern, bis dir der Teufel ein ganzes Feuerwerk in der Hölle abbrennen läßt!«

Mit diese ‚ m Ausbruche schien sein Zorn verflogen zu sein, denn er wendete sich jetzt mit plötzlich ganz freundlicher Miene zu mir, gab mir endlich die Hand und sagte:

»Effendi, du mußt mit dabei sein, wenn dieser Hund seine Hiebe erhält. Es wird deine Seele erquicken und dein Herz stärken, deinen Sinn erleichtern und deinen Geist erfrischen. O, es giebt keine größere Lust, als solche Übertreter unserer guten und gerechten Gesetze heulen, jammern und wimmern zu hören! Nun aber erzähle mir vor allen Dingen, was alles geschehen ist, seit dich der Reïs Effendina kennen lernte – oder,« fügte er sich verbessernd mit einem Lächeln hinzu, »oder seit du ihn kennen gelernt hast!«

»Das würde eine lange Geschichte werden, welche anzuhören man viel Zeit haben muß.«

»Es gehört zu meinem Amte, diesen Bericht zu hören, und für die Erfüllung meiner Pflichten habe ich immer Zeit genug.«

»So erlaube, daß Ben Nil erzählt!«

»Warum nicht du selbst?«

»Du wirst, wenn er fertig ist, meinen Grund wissen, ohne daß ich ihn dir zu sagen brauche.«

»Gut, so mag er reden!«

Ben Nil erzählte. Ich griff in die Cigarettentasche und nahm mir eine zweite heraus.

Dann legte ich mich lang hintenüber, hielt die Hände unter den Kopf und ließ Ben Nil sprechen. Er that dies kurz und doch ausführlich genug. Man hörte aus jedem seiner Worte, wie sehr und aufrichtig er mich liebte. Der Mudir mochte schon einiges von Hafid Sichar gehört haben; verschiedenes war jedenfalls auch in dem Empfehlungsbriefe des Reïs Effendina angedeutet worden; nun aber vernahm er Dinge, von denen er keine Ahnung gehabt hatte und die sein ganzes und vollstes Interesse, welches sich von Zeit zu Zeit in den lebhaftesten, originellsten Ausrufen äußerte, beanspruchten. Dann griff er, als Ben Nil fertig war, nach dem Streichholzkästchen und der Cigarettentasche, schüttelte den Inhalt beider über mich aus und rief:

»Rauche, rauche, Effendi, rauche nur zu! Du hast es verdient, ja, bei Allah und dem Propheten, du hast es verdient! Und wenn du zu mir kommst, sollst du noch mehr haben, eine ganze große Kiste voll, obgleich sie schändlich teuer sind, jawohl, schändlich teuer!«

»Wieviel zahltest du?« fragte ich, neugierig nach dem Preise dieser Cigaretten, die sich auf irgend eine Weise nach dem Sudan verirrt hatten.

»Einen ganzen Piaster für das Stück.«

»Das ist zu teuer. Hast du nichts abgehandelt?«

»Abgehandelt?« fragte er in grimmigem Tone. »Ist mir gar nicht eingefallen! Ich pflege nicht zu handeln; ich bezahle ehrlich, voll und gleich: jeder Piaster ein Hieb. Als der Kerl fünfzig Hiebe hatte, lief er davon, ließ mir die Ware und erklärte heulend, er sei bezahlt und verzichte auf das übrige. Also rauche, Effendi; laß es dir schmecken! Du bist ein Teufelskerl, und der Reïs Effendi muß ganz entzückt sein, dich kennen gelernt zu haben. Ihr Christen seid eigentlich doch nicht so ganz übel, und ich will nun glauben, daß er dich in Wirklichkeit als seinen Freund betrachtet. Ich bin Mudir, und das ist, bei Allah, nichts Geringes, aber ich bitte dir dennoch meine frühere Geradheit ab. Aber dafür mußt du mir nun auch einen Gefallen thun. Du darfst ihn mir nicht abschlagen!«

»Ich weiß doch noch nicht, ob ich im stande sein werde, deinen Wunsch zu erfüllen?«

»Du kannst es!«

»Nun, in diesem Falle – – ja!«

Da drückte er mir beide Hände und rief freudig aus-

»Hamdulillah! Das giebt Hiebe, Hiebe, fünf- oder sechstausend Hiebe oder gar noch mehr! Du sollst Ibn Asl fangen, aber nicht für den Reïs Effendina, sondern für mich.«

»Gut!«

»Und diesen dicken Türken, welcher Murad Nassyr heißt.«

»Schön!«

»Und den Muza’bir mit dem allerliebsten Mokkadem der heiligen Kadirine.«

»Auch diese beiden!« nickte ich.

»Ich danke dir; ich danke dir! Das wird ein Fest, wie ich noch keines erlebt habe. Ich lasse sie alle hängen; vorher aber bekommt jeder seine wohlgezählten fünfhundert auf die Fußsohlen, auch die Schwester des Türken, ja, bei Allah, auch sie!«

»Sie ist ein Mädchen, o Mudir! Welches Verbrechens willst du sie denn zeihen?«

»Des allergrößten, welches es giebt. Sie hat Ibn As], den Sklavenjäger, heiraten wollen.«

»Wollen? Davon ist keine Rede. Sie hat gemußt. Diese Verheiratung ist nichts weiter als die Besiegelung einer Geschäftsverbindung.«

»Rede mir nicht darein!« gebot er eifrig. »Hier hat niemand zu besiegeln als nur ich allein, und ich besiegle stets mit fünfhundert. Aber fangen mußt du sie mir alle; du hast es mir versprochen.«

»Ich werde Wort halten. Einen aber brauche ich nicht zu fangen, weil er sich bereits in deinen Händen befindet, den Sangak deiner Arnauten.«

»Ibn Mulei? Er hat mein Vertrauen bis zu diesem Augenblicke besessen. Glaubst du wirklich, daß er Ibn Asl kennt?«

Ach bin überzeugt davon.«

»Dann, dann soll er auch seine fünfhundert – –«

Er hielt inne. Es war ihm ein Gedanke gekommen. Er sann demselben nach und fuhr dann fort:

»Der also, der ist der Adressat! Darum also habe ich mir fast den Kopf zerbrochen und mich vergeblich angestrengt! Effendi, ich möchte fast glauben, daß du recht hast und daß ich mein Vertrauen einem Unwürdigen geschenkt habe.«

»Ich könnte darauf schwören, daß dieser Ibn Mulei ein Verbündeter des Sklavenjägers ist.«

»Das ist allerdings sehr wahrscheinlich, denn die Stellen des Briefes, welche mir dunkel waren, passen nur auf ihn, wie ich jetzt erst erkenne.«

»Darf ich wissen, von welchem Briefe du sprichst?«

»Ja. Du mußt es sogar wissen. Meine Leute fingen gestern oben an der Bringhi Seribah einen Nuehr-Neger auf, welcher ihnen verdächtig vorkam. Als sie ihn untersuchten, fanden sie einen Brief in seinem Haarschopfe. Der Mann riß sich los und wollte entspringen; da schossen sie ihn tot. Heute früh brachten sie mir den Brief. Er ist aus der Seribah Aliab, welche oben am Bahr el Dschebel liegt. Derjenige, der ihn empfangen sollte, hatte ihn zu lesen und an Ibn Asl zu geben.«

»Ah! Sollte diese Seribah In Asl gehören?«

»Das weiß ich nicht, da ich mich erst seit kurzer Zeit hier befinde.«

»Fast möchte ich es annehmen. Darf ich den Brief sehen und lesen?«

»Ja, natürlich! Und, Effendi, da kommt mir ein Gedanke, ein kostbarer Gedanke! Der Arnaute muß den Brief bekommen.«

»Ganz richtig! Dadurch überführen wir ihn auf die leichteste Weise. Aber wer soll ihm denselben bringen?«

»Du.«

»Ich? Ich darf mich bei dem Sangak und überhaupt in Faschodah jetzt noch nicht sehen lassen.«

»Warum nicht? Diejenigen, vor denen du dich jetzt noch verbergen willst, sind doch nicht da!«

»Wenn nun aber einer heimlich kommt und geht?«

»Das ist unmöglich. Es stehen Tag und Nacht Wachen an den Ufern. Du giebst dich für den Boten von der Seribah Aliab aus, und wenn er den Brief behält, ist er überführt, und ich lasse ihn solange peitschen, bis er alles gesteht und wir von ihm erfahren, wie wir die andern fangen können.«

»Aber ich bin kein Neger. Und selbst wenn ich mich färbte, würde der Schnitt meines Gesichtes verraten, daß ich nicht zu den Nuehr gehöre. Ist der Bote in dem Briefe erwähnt?«

»Mit keinem Worte.«

»Dann wäre es vielleicht auszuführen; besser aber er scheint es mir, ihm den Brief durch einen andern, aber sichern Mann zuzustellen.«

»Und ich mag eben keinen andern als nur dich damit beauftragen. Erstens ist diese Sache so gefährlich, daß nur ein Mutiger sie zu stande bringt, und zweitens handelt es sich doch nicht nur darum, den Brief zu übergeben, sondern der Arnaute muß von dem Boten ausgehorcht werden. Nur du allein kannst das zu stande bringen.«

Ich hätte auf diesen seinen Plan nicht eingehen sollen. Er kam mir nicht nur unpraktisch, sondern sogar gefährlich vor, und es zeigte sich dann später, daß er dies wirklich auch war. Aber der Mudir war mir, schon ehe ich ihn gesehen hatte, wegen seiner Gerechtigkeitsliebe sympathisch gewesen, und daß er so rasch nach einer so unfreundlichen Begrüßung, wie die unserige gewesen war, ein solches Vertrauen zu mir äußerte, das schmeichelte mir; die liebe, alberne Eitelkeit trübte meinen Blick, und ich griff eine Sache, die gar nicht zu verderben war, gerade bei derjenigen Seite an, wo ich sie mit hoher Wahrscheinlichkeit verderben konnte. Nur »ich allein« konnte es zu stande bringen! War ich es da nicht ihm und auch mir schuldig, ihm zu beweisen, daß er sich nicht in mir täuschte? Ich antwortete:

»Gut, ich werde es übernehmen. Wo und wann bekomme ich den Brief?«

»Wo und wann du willst.«

»Wo wohnt der Arnaute?«

»Er bewohnt ein ganzes Haus neben der Kaserne. Willst du dir den Brief holen, oder soll ich ihn dir schicken?«

»Nicht holen. Ich darf mich am Tage nicht sehen lassen, kann also erst nach Einbruch der Dunkelheit kommen, und wenn ich da erst noch zu dir gehen müßte, würde mir eine Zeit verstreichen, die ich anders anzuwenden habe. Schicken aber auch nicht, da du einen Boten haben müßtest, welcher mich hier aufzusuchen hätte, wo ich verborgen bleiben will. Ich werde dir diesen meinen Hafid Sichar wieder mitgeben, dem du den Brief anvertrauen kannst.«

»Er soll ihn bekommen, und ich sende dir durch ihn auch einigen frischen Proviant, damit ihr essen könnt.«

»Bis wir die Stadt betreten dürfen, sind wir noch mit Proviant versehen. Nötiger wäre mir ein Anzug, welcher für meine Gestalt paßt. Ich bin dem Arnauten jedenfalls beschrieben worden, und dabei sind auch die Kleidungsstücke, welche ich trage, in Erwähnung gekommen. Er würde mich sofort erkennen, und darum muß ich mich anders kleiden. Auch meine Waffen darf ich nicht mitnehmen.«

»Es ist aber doch hier jedermann bewaffnet!«

»So sende mir eine alte, lange Flinte, ein altes Messer und eine alte Pistole! Für was ich mich ausgebe, weiß ich noch nicht, auf keinen Fall aber für einen reichen oder gar hochgestellten Mann. Darum müssen Anzug und Bewaffnung so einfach wie möglich sein.«

»Dein Wunsch soll erfüllt werden. Was aber thun die andern, während du in der Stadt bist?«

»Sie warten hier.«

»Warum. das? Sie mögen zu mir kommen. Am Abende ist es dunkel, so daß niemand sie sehen kann. Und vom Arnauten weg begiebst auch du dich sogleich zu mir.«

»Es soll aber doch verborgen bleiben, wer wir sind und was wir beabsichtigen. Ich gebe mich für einen Sklavenfänger aus und kann als solcher unmöglich bei dir wohnen.«

»Dein Bedenken ist hinfällig. Wir haben es jetzt zunächst nur mit dem Arnauten zu thun, mit dem du heute fertig wirst, worauf du keinen Grund mehr hast, dich zu verstecken. Nein, ihr werdet bei mir wohnen. Ich freue mich darauf und sage dir, daß ich viel, sehr viel mit dir zu reden habe. Ich möchte mich bei dir nach den Verhältnissen und Einrichtungen des Abendlandes und nach vielem anderen erkundigen und mag dich also nicht hier im Walde stecken lassen. Übrigens hast du den Gefangenen, diesen Hund von Baqquara bei dir. Warum sollst du dich mit ihm quälen? Du nimmst ihn mit, und während du bei eurer Ankunft sogleich zu dem Arnauten gehst, bringen ihn die andern zu mir. Ich lasse ihn einsperren, und sobald du dann erscheinst, will ich dir das Vergnügen machen, dabei zu sein, wenn er die ersten hundert bekommt.«

»Wie du willst, Mudir. Du bist hier der Gebieter, und ich thue, was du für richtig hältst. Wie aber kommen wir über das Wasser?«

»Ich werde, sobald es dunkel ist, zwei verschwiegene Diener an das Ufer postieren; dem einen übergebt ihr die Kamele, die er einem zuverlässigen Schilluk in Pflege giebt, und der andere rudert euch nach der Stadt und zeigt euch in derselben den Weg zu mir. Wenn du dann vom Arnauten zu mir kommst, können wir alles weitere ausführlicher besprechen als hier. Ich bin jetzt länger bei dir geblieben, als ich vermuten konnte, und muß aufbrechen, weil ich mich heimlich und verkleidet entfernt habe und meine Leute, wenn sie mich vermissen, in Sorge kommen und einen Lärm verursachen würden.«

»So habe ich nur noch die Takaleh zu erwähnen. Du bist doch bereit, dich ihrer zu bemächtigen?«

»Allah! Welche Frage! Natürlich werden sie gepackt! Die Sklaven erhalten ihre Freiheit, und die andern bekommen ihre Strafe; die fünf Mörder sogar mit dem Tode. Denke dir, daß jeder fünfhundert bekommt, und rechne dir aus, wieviel Hiebe das in Summa macht. Ein solches Gaudium hat Faschodah noch nicht erlebt. Welch ein warnendes Exempel wird das für den ganzen ägyptischen Sudan sein! Ein Entzücken aller Gerechten und ein Zittern aller Ungerechten! Ich habe dir sehr zu danken, Effendi, denn nur du bist es, der mich in den Stand setzt, ein solches Beispiel zu statuieren. So etwas konnte ich nicht erwarten. Ich habe mich in dir geirrt, was du mir aber nicht nachtragen darfst. Wann denkst du, daß die Takaleh hier ankommen werden?«

»Vor übermorgen nicht; dann aber sind sie zu jeder Stunde zu erwarten.«

»Sie sollen empfangen werden, wie es sich gebührt. Dieser ihr Freund aber soll die Bastonnade noch eher schmecken als sie. Ich lasse ihn hauen, daß man sein Geheul unten in Kahira und oben bei Emin Pascha hören wird.«

Er war aufgestanden und versetzte dem Scheik einen Fußtritt, daß dieser auf die Seite flog. Darauf entfernte er sich mit Hafid Sichar, kehrte aber nach wenigen Augenblicken wieder zurück und sagte:

»Ich nehme keine Sigara mit; rauche sie, und laß sie dir schmecken, Das Täschchen und Kästchen behalte als einstweiliges Andenken an mich. Allah behüte dich, bis wir uns abends wiedersehen!«

Natürlich teilte ich die Cigaretten mit Ben Nil. Wir saßen einige Zeit rauchend und schweigsam da. Das Unternehmen, zu welchem ich mich verpflichtet hatte, kam mir jetzt, da der Mudir fort war, gar nicht mehr so geheuer vor wie vorher; ich begann zu bereuen, mich darauf eingelassen zu haben, konnte aber leider nun nicht mehr zurück. Der Baqquara wälzte sich von einer Seite auf die andere; der Fußtritt des Mudirs hatte ihn so getroffen, daß er Schmerzen fühlte. War er vorher vielleicht der Ansicht gewesen, daß man ihn schonen werde, weil er die Würde eines Scheikes trug, so hatte er jetzt erkannt, daß dies nicht der Fall sei. Er sah ein, daß ihm die bekannten fünfhundert sicher seien. Fünfhundert Hiebe auf die Fußsohlen! Und nicht auf einmal, sondern wöchentlich hundert! Wenn die aufgeplatzten Sohlen zu heilen beginnen, hundert neue Streiche darauf! Und dabei also fünf Wochen lang eingesperrt, wer weiß, in was für einem Loche! Es wurde ihm angst und bange. Man sah es ihm im Gesichte an. Er begann nachzudenken, wie er wohl dieses Unheil von sich abwenden könne, und kam zu dem Resultate, daß dies nur durch mich zu erreichen sei. Er mußte versuchen, mich zu gewinnen. Dieser Gedankengang offenbarte sich dadurch, daß er sich mit einem Vorschlage an mich wendete:

»Effendi, darf ich mit dir sprechen?«

Ich hatte ihn während des Rittes möglichst wenig beachtet und that auch jetzt so, als ob ich seine Worte nicht gehört hätte.

»Effendi, ich habe dir etwas zu sagen!«

»Schweig!« gebot ich ihm, obgleich ich ahnte, daß das, was er vorbringen wollte, für mich von Interesse sein werde. Er verstummte für eine Weile, begann aber bald von neuem:

»Du wirst es bereuen, wenn du mich nicht sprechen lässest. Das, was ich dir zu sagen habe, ist wichtig für dich.«

»Ich mag nichts hören. Du willst von den fünfhundert loskommen, eine Sache, welche jedenfalls von ungeheurer Wichtigkeit für deine Fußsohlen ist.«

»Aber ich biete dir auch viel dafür.«

»Was denn?« begann ich einzulenken.

»Nachrichten über die Seribah Aliab, von welcher ihr vorhin gesprochen habt. Ich habe alles gehört und denke mir, daß es dir willkommen sein muß, über die dortigen Verhältnisse unterrichtet zu werden.«

»Das ist allerdings der Fall. Sind dir diese Verhältnisse vielleicht bekannt?«

»Vielleicht? Ganz gewiß sogar, und sehr genau.«

»Wem gehört die Seribah?«

»Soll ich diese Frage wirklich beantworten? Meinst du, daß ich es ohne Gegenleistung thun werde?«

»Ja. Ich denke, daß du für fünfzig oder sechzig Hiebe diese Geheimnisse gern verkaufen wirst.«

»Nein, nein! Effendi, nur nicht die Bastonnade! Bitte mich beim Mudir von den fünfhundert los, so teile ich dir alles mit, was ich über die Seribah Aliab weiß.«

»Du wirst nicht viel wissen.«

»Nicht viel? Alles, alles weiß ich. Ich bin ja selbst dort gewesen.«

»In welcher Absicht? Bei welcher Gelegenheit?«

»Das kann ich dir nur dann sagen, wenn du mir versprichst, beim Mudir für mich zu bitten. Auch darf das, was ich dir jetzt sage, mir keinen Schaden bringen.«

»Dies Versprechen kann ich dir geben. Ob aber das erstere von Erfolg sein würde, ist sehr zu bezweifeln.«

»Ich zweifle nicht. Ich habe gehört, was von dir erzählt wurde und was infolgedessen der Mudir von dir denkt. Er hält so viel von dir, daß deine Fürbitte ganz gewiß von Erfolg sein wird.«

»Wahrscheinlich irrst du dich, doch will ich dir versprechen, ein gutes Wort für dich einzulegen. Ich mache dich aber darauf aufmerksam, daß ich mich nicht betrügen lasse. Wenn du etwa meinst, durch eine bloße Flunkerei von der Bastonnade loszukommen, so befindest du dich in einem gewaltigen Irrtume. Was weißt du über diese Seribah?«

»Sie gehört Ibn Asl.«

»Dachte es mir! Das, was ich jetzt wissen will, soll dir, wie ich versprochen habe, in keiner Weise schaden; also sage mir aufrichtig: du hast mit diesem Manne Sklavenraub getrieben?«

»Ja, Effendi. Das mußt du aber dem Mudir verschweigen.«

»Ich glaube nicht, daß ich diesen Umstand mit Stillschweigen zu übergehen vermag, aber ich verspreche dir, daß er dir auf keinen Fall angerechnet werden wird. Ich kann mich in deine Lage denken. Du hast als Moslem die Sklaverei für erlaubt und das Verbot derselben für einen Eingriff in eure uralten, angestammten Rechte gehalten.«

»So ist es, so ist es, Effendi! Denke, daß wir Baqquara nur von unsern Herden leben, und daß eine einzige Seuche, welche unter denselben ausbricht, uns leicht zu Grunde richtet. Da war es der Sklavenhandel, welcher uns bei solchen Fällen die Mittel gab, zu leben und, bis unsere Herden wieder gewachsen waren, nicht zu darben. Wir gaben den Sklavenjägern unsere Krieger als Asaker mit und bekamen für jeden gefangenen Schwarzen einen bestimmten, festgesetzten Lohn. Dieser wurde uns in Sklaven ausgezahlt, die man uns billig berechnete, wir aber verkauften sie zu einem weit höheren Preis. Das gab einen Gewinn, welcher uns willkommen war.«

»Und du hast nicht nur deine Krieger hergegeben, sondern bist persönlich mitgewesen?«

»Ja. Wir fuhren nach der Seribah Aliab, von weicher aus dann die Jagd unternommen wurde.«

»Wer gebietet dort, wenn Ibn Asl abwesend ist?«

»Ein Feldwebel, welcher Ben Ifram heißt. Ein Schuß hat ihm ein steifes Bein gebracht. Deshalb kann er an der Jagd nicht mehr teilnehmen. Daheim aber ist er sehr tüchtig, und da Ibn Asl sich auf seine Treue verlassen kann, so hat er ihm das Kommando anvertraut.«

»Für jetzt weiß ich genug. Es kann aber leicht möglich sein, daß ich später mehr von dir erfahren muß.«

»Später? Ich hoffe, daß der Mudir mich auf deine Fürbitte hin freigiebt und ich zu den Meinen zurückkehren kann.«

»Auch ich denke das. Aber du weißt ja, was wir wollen. Es ist möglich, daß Ibn Asl sich schon nicht mehr hier befindet. In diesem Falle müssen wir ihm nach. Jedenfalls ist diese Seribah Aliab sein Ziel, und da du dieselbe so genau kennst, würdest du uns als Führer dienen müssen.«

»Allah mag das verhüten! Was sollen meine Leute denken, wenn ich monatelang fern bleibe! Und soll ich euern Führer gegen Ibn Asl machen, welcher mein Freund ist und mir ein so großes Vertrauen schenkt!«

»Das ist ein Bedenken, welches uns jetzt noch gar nicht zu beschäftigen braucht. Ich habe diesen Fall nicht als sicher vorauszusehen betrachtet, sondern von ihm nur als von einer Möglichkeit gesprochen. Schweigen wir jetzt, und warten wir das Kommende ruhig ab!«

»Ruhig!« seufzte er. »Ja, du kannst ruhig sein. aber ich – ich – –!!«

Er hatte recht gehabt; seine Mitteilung war von großer Wichtigkeit für uns, da wir nun wußten, wo Ibn Asl auf alle Fälle zu finden sein werde. Zunächst aber hoffte ich, daß er noch in Faschodah sei.

Nach ungefähr drei Stunden kehrte Hafid Sichar zurück. Er war schwer bepackt; brachte einen Anzug, die verlangten Waffen, zwei gebratene Hühner, anderes Fleisch, Teigkuchen und eine volle Flasche Raki. Wir aßen und ließen auch dem Baqquara sein Teil zukommen, wie er auch schon während des Rittes in jeder Beziehung, die Freiheit natürlich ausgenommen, uns vollständig gleichgestellt gewesen war.

Dabei war es Nachmittag geworden, vier Uhr nach unserer Zeit. Eine Stunde hatten wir bis zum Nile; um sechs Uhr wurde es Abend, also bereiteten wir uns vor, das Versteck zu verlassen. Ich hatte es in guter Absicht aufgesucht, ahnte nun aber, daß dies sehr wahrscheinlich vergeblich gewesen sei. Nach einer Stunde brachen wir auf. Ich hatte mich umgekleidet und sah nun in dem Anzuge und mit dem sonnverbrannten Gesicht und den ebenso braunen Händen wie ein echter Sklavenjäger aus. Freilich, das Gesicht war nicht in ein anderes zu verwandeln; es konnte mich verraten.

Hafid Sichar hatte von dem Mudir die Uferstelle bezeichnet erhalten, an welcher wir die beiden auf uns wartenden Diener treffen sollten. Zugleich hatte mir der letztere die größte Vorsicht gegen den Sangak der Arnauten anraten lassen, da dieser ein sehr starker und gewaltthätiger Mensch sei.

Natürlich hatte ich den Brief aufmerksam durchgelesen und die Überzeugung gewonnen, daß derselbe von dem Feldwebel auf der Seribah Aliab geschrieben worden sei. Er war nicht versiegelt, sondern mit einem Mehlteige verklebt gewesen, was es mir ermöglichte, ihn wieder so zu verschließen, daß es, wenigstens am Abende, schwer zu erkennen war, daß man ihn geöffnet hatte.

Es wurde dunkel, noch ehe wir an das Ufer kamen.

Wir fanden die Diener; der eine nahm die Kamele in Empfang und führte sie fort; der andere trug die Satteltaschen in das Boot und ruderte uns hinüber nach der Stadt. Zu bemerken ist der Vollständigkeit wegen, daß der Händler noch bei uns war und seine drei Esel sich bei unsern Kamelen befanden.

Als wir drüben ausgestiegen waren, führte uns der Diener zunächst nach der Kaserne, um mir dort das Haus des Arnauten zu zeigen; dann brachte er die andern nach der Wohnung des Mudirs weiter. Meine Aufgabe, die ich mir als nicht leicht vorstellte, begann.

Soviel ich in der Dunkelheit bemerken konnte, bestand das Gebäude nur aus dem Erdgeschosse und hatte nur zwei kleine, schießschartenähnliche Fenster, zwischen denen sich die schmale, niedrige Thüre befand. Dieselbe war mit Eisenblech beschlagen. Einen Thürdrücker, ein Schloß schien es nicht zu geben, sondern ich fühlte das aus der Thüre zwei Zoll hervorragende Ende eines kleinen Hebels, mit dessen Hilfe man die jenseits befindliche Klinke emporheben konnte. Ich versuchte dies und fühlte, daß die Klinke sich hob; aber die Thüre ließ sich dennoch nicht öffnen. jedenfalls hatte man noch einen Riegel vorgeschoben. Ich klopfte also. Nach kurzer Zeit hörte ich zunächst Schritte und dann eine fragende Stimme:

»Wer ist draußen?«

»Ein Bote an den Sangak von Bahr el Dschebel.«

»Komm wieder! Er ist nicht da.«

»Ich bin hier fremd. Laß mich ein! Ich will warten, bis er kommt.«

Es blieb still. Der Mann schien sich zu besinnen; dann sagte er:

»Bleib stehen! Ich will fragen.«

Er entfernte sich. Nach einiger Zeit hörte ich wieder Schritte, und eine andere Stimme fragte:

»Ist deine Botschaft denn so notwendig?«

»Ja. Ich habe einen Brief.«

»So gieb ihn mir! Ich werde die Luke aufmachen.«

»Das kann ich nicht. Ich darf den Brief nur an Ibn Mulai, den Sangak der Arnauten, übergeben.«

»So komm herein!«

Ein schwerer, eiserner Riegel klirrte; dann wurde die Thüre geöffnet. Ich sah in einen schmalen, stubenartigen Flur, welcher von einer Öllampe erleuchtet wurde. Der Mann, welcher dieselbe in der Hand hielt, trug den bekannten Anzug der Arnauten. Seine Bewaffnung bestand selbst jetzt im Innern des Hauses aus zwei Pistolen, zwei dolchähnlichen Messern und einem krummen Säbel. Aus seinem bösartigen Gesichte blitzten mich zwei dunkle Augen scharfforschend an, und in mißmutigem Tone forderte er mich auf:

»Näher herbei mit dir! Warum kommst du bei Nacht? Hättest du nicht früher kommen können?«

»Niemand kann eher kommen, als er da ist. Ich muß noch in dieser Nacht wieder fort, und übrigens ist mir anbefohlen worden, den Brief sofort abzugeben.«

»Du bedienst dich eines sehr kurzen Tones, Bursche. Ich bin ein Arnaut, und meine Messer stecken niemals fest. Verstanden! Folge mir!«

Ich war eingetreten, und er verriegelte die Thüre. An den Wänden rechts und links hingen Gewehre, was dem kleinen Raume das Aussehen einer Wachtstube gab. Gegenüber dem Eingange gab es eine zweite, jetzt offen stehende Thüre, durch welche er mich führte. Dahinter lag ein größeres Zimmer, von dessen Decke ein vierarmiger, thönerner Leuchter herniederhing, welcher mit seinen qualmenden Ölflammen den Raum nur spärlich beleuchtete. Jede der vier Wände hatte eine Thüre. Ein Fenster gab es nicht. Unter dem Leuchter lag eine Schilfmatte, auf welcher vier wilde Gesellen hockten, die mich mit höchst unfreundlichen Blicken neugierig betrachteten. Sie würfelten. Mein Führer kauerte sich zu ihnen nieder, um das unterbrochene Spiel fortzusetzen, und warf mir dabei die Worte zu:

»Hier wartest du, bis unser Gebieter kommt. Aber schweig, und störe uns nicht, sonst schließen wir dir das Maul!«

Man kann sich denken, daß ich von meiner Lage nicht allzusehr erbaut war. Ich befand mich an dem Orte, welcher sehr wahrscheinlich der Versammlungsort aller meiner Todfeinde war, hinter lauter eisenbeschlagenen Thüren und von fünf Kerlen bewacht, welche zur denkbar wildesten Soldateska gehörten, dazu mit so armseligen Waffen, daß ich geradezu wehrlos war und mich vorkommenden Falles nur auf meine Körperkraft verlassen konnte. Meine eigenen Waffen, meinen Anzug, die Uhr, kurz mein ganzes Eigentum hatte ich Ben Nil in Verwahrung gegeben.

Daß diese Arnauten unendlich roh waren, hörte ich aus einem jedem Worte, welches sie sprachen. Ihre Ausdrücke waren mit Flüchen gespickt, und bei jedem Wurfe gerieten sie in Streit und dabei wiederholt in eine solche Aufregung, daß ich oft glaubte, daß sie die Entscheidung ihren Messern oder Pistolen anheimstellen würden. Ich wurde gar nicht beachtet, was mir freilich sehr lieb war. So verging die Zeit, eine viertel, eine halbe Stunde nach der andern. Da ich keine Uhr bei mir hatte, so wußte ich nicht genau, wie spät es war, aber ich hatte ganz gewiß drei volle Stunden in dieser Höhle gesessen, als endlich donnernd an die Thüre geklopft wurde.

»Der Sangak!« rief der Arnaute, welcher mir geöffnet hatte und Unteroffizier zu sein schien, da ihm mein Anliegen von dem andern gemeldet worden war.

Er stand auf, um seinem Vorgesetzten zu öffnen; auch seine Kameraden erhoben Sich, ließen aber die am Boden liegenden Würfel liegen. Der Sangak durfte sehen, was sie getrieben hatten.

Der Riegel wurde zurück- und dann wieder vorgeschoben; dann hörte ich eine leise Stimme. Der Unteroffizier meldete meine Anwesenheit; dann traten sie ein, der Sangak natürlich voran. Es giebt menschliche Gesichter, welche mit gewissen Tiertypen eine täuschende Ähnlichkeit haben; der Betreffende besitzt dann gewöhnlich die hervorragenden Eigenschaften des bezüglichen Tieres. Als ich in das Gesicht des Sangak sah, mußte ich unwillkürlich an einen Stier denken, welcher mit gesenkten Hörnern und heimtückisch blickenden Augen zum Angriffe schreitet. Er warf mir nur einen kurzen Blick zu und befahl mir:

»Komm!«

Er schritt geradeaus durch die Thüre, welche ihm der Unteroffizier aufstieß, und ich folgte ihm. Wir befanden uns im Dunkeln. Er öffnete eine andere Thüre, rechts, aus welcher Lichtschein drang, und rief mit dröhnender Baßstimme hinein:

»Heda, aufgepaßt! Als ich kam, schien es mir, es stände ein Kerl draußen vor dem Eingange, um zu horchen. Steigt doch einmal über die hintere Mauer, und geht in zwei Abteilungen rechts und links um das Haus nach vorn. Er verschwand, als er mich kommen hörte. Sollte er wieder zurückgekehrt sein, so nehmt ihr ihn fest und bringt ihn mir herein!«

Dann wendete er sich links, wo wir in ein sehr gut erleuchtetes Zimmer traten, welches sein Semalük zu sein schien.

Ein Polstergestell zog sich an drei Wänden entlang, und in der Mitte lag ein Teppich. Er blieb auf demselben stehen, drehte sich nach mir um und fragte:

»Einen Brief hast du?«

»Ja. Von dem Feldwebel Ben Ifram.«

»Her damit!«

Er bekam den Brief, behielt ihn in der Hand, ohne ihn anzusehen, betrachtete mich prüfenden Auges und fragte dann:

»Dein Name?«

»Iskander Patras.«

Ich wählte diesen griechischen Namen, weil ich europäische Gesichtszüge hatte und sich unter den im Sudan verwendeten Soldaten und den sich dort herumtreibenden Zivilisten viele Levantiner, also Leute auch griechischer Abkunft befanden.

»Also ein Grieche!« sagte er. »Wo her?«

»Ich wurde griechischen Eltern in Kahira geboren.«

»Christ?«

»Ja.«

»Ist mir gleichgültig. Was treibst du in der Seribah Aliab?«

»Ich bin Dolmetscher. Habe mich lange bei den Negern herumgetrieben und verstehe ihre Mundarten.«

»Das bringt Geld ein, ohne daß du Pulver zu riechen brauchst,« meinte er verächtlich. »Will sehen, was mir dieser Ben Ifram zu sagen hat.«

Jetzt erst warf er einen Blick auf den Brief. Mir klopfte das Herz. Das Zimmer war sehr gut erleuchtet. Wenn er sah, daß er schon geöffnet worden war, so durfte ich Schlimmes erwarten. Glücklicherweise war seine Neugierde größer als seine Bedachtsamkeit; er riß den Umschlag auf, und mir wurde leichter. Er las, von mir abgewendet, steckte den Brief in die Tasche, drehte sich wieder zu mir um und fragte:

»Kennst du den Inhalt des Schreibens?«

»Der Feldwebel hat ihn mir nicht mitgeteilt.«

»Aber du weißt, wer ihn bekommen soll?«

»Doch du!«

»Aber ich soll ihn Ibn Asl, deinem Herrn, geben. Der Feldwebel scheint, da er dir dies verschwiegen hat, kein großes Vertrauen zu dir zu haben!«

»Wäre dies wahr, so hätte er mich nicht nach Faschodah gesandt.«

»Hm! Aber für eine Plaudertasche hält er dich gewiß. Auf welche Weise hast du die Reise gemacht?«

»Bis in den See No in einem kleinen Boote. Dort traf ich auf einen Noker aus Diakin, welcher nach Chartum will und mich mitgenommen hat.«

»Wann kam er hier an?«

»Gleich nach Sonnenuntergang.«

»Sonderbar! Ich war doch oben im Flusse und habe von einem Noker nichts gemerkt!«

»Man wollte mich hier nicht einlassen,« fiel ich schnell ein, um ihn von diesem für mich gefährlichen Gedanken abzubringen. »Ich wartete drei Stunden auf dich.«

»So wirst du Hunger haben. Du sollst zu essen bekommen und mir dabei von der Seribah erzählen.«

Er ging hinaus, indem er mir winkte, mich niederzusetzen. Hätte er mir doch lieber gewinkt, fortzugehen! Ich wußte ja genug, ich hatte nun erfahren, daß er die Seribah und den Feldwebel kannte und also zweifellos mit Ibn Asl in Beziehung stand. Aber konnte, durfte ich gehen? Nein; ohne seine Erlaubnis war es auch ganz unmöglich, aus dem Hause zu kommen. Ich mußte mich fügen und das Kommende meinem guten Glücke überlassen.

Freilich verursachten seine letzten Worte mir jenes Gefühl, welches einen zwingt, sich mit der Hand hinter dem Ohre zu kratzen. Ich sollte »essen und ihm dabei von der Seribah erzählen«. Essen, nun, davor war es mir nicht im geringsten angst; diesen Gefallen konnte ich ihm ganz nach Wunsch erweisen; aber das Erzählen, das leidige Erzählen! Was wußte ich von der Seribah! Der Scheik der Baqquara hatte sie mir beschreiben wollen. Hätte ich ihn doch nicht gehindert! Aber auch das wäre nicht hinreichend gewesen. Dieser Arnaut konnte hundert Fragen an mich richten, zu deren Beantwortung man notwendig selbst dort gewesen sein mußte.

Nach kurzer Zeit kehrte der Sangak zurück, eine brennende Pfeife im Munde. Ihm folgte ein Arnaut, welcher auf einem Brette einen riesigen Knochen brachte, um welchen noch einige Fleischfetzen hingen. Das waren die Reste eines »rindernen« Hinterviertels. Sie sahen aus, als ob Hunde sich um dieselben gestritten hatten. Der Mann legte das Brett auf die Mitte des Teppichs und entfernte sich dann; der Sangak befahl mir:

»Setz dich, und laß es dir schmecken!«

In Beziehung auf das Setzen konnte ich ihm gehorchen; aber die zweite Hälfte seines Befehles war nicht so leicht auszuführen; dennoch versuchte ich es, indem ich mein Messer zog und mich über den Knochen hermachte. Indem ich denselben zunächst an allen Seiten betrachtete, um zu erforschen, in welcher Richtung und Weise seinen sehnigen Anhängseln am besten beizukommen sei, fragte der Arnaut:

»Seit wann befindest du dich auf der Seribah?«

»Seit zwei Jahren,« antwortete ich, indem ich mit Anstrengung aller Kräfte arbeitete, um eine verdauliche Flechse loszubringen.

»Wer engagierte dich?«

»Ibn Asl selbst in der Mischrah Omm Oschrin. – Amr el Makaschef, der Scheik der Baqquara, hatte mich ihm gelegentlich warm empfohlen.«

»Dieser? Das spricht für dich, denn der Scheik ist ein zuverlässiger Bekannter von uns. Wie geht es dem Feldwebel?«

»Nicht gut. Die Wunde seines Beines ist aufgebrochene,

»Allah! Da wird er wohl sterben müssen! Was habt ihr unternommen, während In Asl jetzt so lange Zeit abwesend war?«

»Die Asaker haben fleißig geübt; ich aber war nicht da.«

»Nicht? Du gehörst als Dolmetscher doch auf die Seribah! Wo befandest du dich denn?«

»Ein Dolmetscher ist besser zu verwenden als nur zum Exerzieren. Ich war oben bei den schwarzen Völkern der Rohl und Schur, um einen guten Fang vorzubereiten. Ich habe dabei sehr schöne Erfolge gehabt. Der Feldwebel hat mir jetzt schon wieder einen ähnlichen Auftrag überwiesen.«

»Jetzt? Wohin sendet er dich?«

»Zu den Takaleh.«

»Das ist ja die entgegengesetzte Richtung! Allerdings bekommen wir von dort jährlich zweimal Sklaven. Getraust du dich denn zu diesen Leuten?«

»Getrauen? Ich war schon mehrere Male dort. Der Mek will mir wohl, und sein Vertrauter, den du ja auch kennst, ich meine nämlich Schedid, hat. sogar innige Freundschaft mit mir geschlossen.«

»Wie? Du kennst auch Schedid, den Starken, und bist sogar sein Freund? Dann bist du allerdings ein für uns sehr brauchbarer Mann. Wie lange bleibst du hier?«

»Ich darf mich gar nicht verweilen, denn der Noker, mit dem ich bis zur Insel Metarieh fahren will, geht noch vor Mitternacht von hier ab.«

»So iß schnell, damit du nicht zurückbleibst! Nimm dich aber unterwegs vor dem Schiffe des Reïs Effendina in acht, und weiche ganz besonders einem christlichen Hunde, einem fremden Effendi aus, welcher von hier bis hinab nach Chartum jetzt sein Wesen treibt.«

»Ein Christ? Ich bin ja auch Christ und habe also keine Ursache, ihm auszuweichen.«

»Alle, alle Ursache hast du dazu, alle! Er ist ein Verbündeter des Reïs Effendina und scheint es nur auf unsere Leute abgesehen zu haben. Du scheinst noch nichts von ihm gehört zu haben, und so muß ich dir von ihm erzählen.«

Wie froh war ich über diese Wendung des Gespräches! Es war mir gelungen, dem Arnauten Vertrauen zu mir einzuflößen; er glaubte mir. Ich hatte auch erreicht, daß er mich selbst aufforderte, schnell zu essen und dann zu gehen, um nicht die Abfahrt zu versäumen. Jetzt wollte er selbst erzählen, und ich war also der Gefahr enthoben, nach Dingen gefragt zu werden, von denen ich nichts wußte. Konnte es besser gehen? Nein! Bis zu diesem Augenblicke hatte mich das Glück begünstigt; nun aber drehte es mir plötzlich den Rücken.

Es erhob sich nämlich vorn vom Eingange her ein großer Lärm. Stimmen schrieen; Thüren wurden auf- und zugeschlagen; dann trat ein Arnaut herein und meldete:

»Herr, wir haben den Kerl, welcher draußen lauschte.«

»Bringt ihn herein!«

»Als wir ihn ergriffen, kam gerade der fromme Herr mit seinem Freunde dazu; sie wollten zu dir und scheinen ihn zu kennen.«

Er ging nach seinen Worten hinaus. Es beschlich mich eine böse Ahnung. Ein »frommer« Herr war da? Hm! Und wer war der Fremde, den man ergriffen hatte und den der »Fromme« kannte? Doch nicht etwa gar mein Ben Nil? Es war ja möglich, daß ihn wegen meines langen Ausbleibens die Sorge um mich hierher getrieben hatte und –

Dann wurde die Thüre geöffnet, und man brachte – ihn, den eben Genannten, Ben Nil, den armen Teufel!

Ich war aufgestanden und in die Ecke getreten, wo ich von der Thüre aus nicht sogleich bemerkt wurde. Vier, fünf Kerle hatten Ben Nil gepackt; acht, neun andere folgten. Hinter diesen trat – der Mokkadem der heiligen Kadirine mit dem Muza’bir ein. Beide hatten uns bisher vergeblich nach dem Leben getrachtet; nun aber stand es schlimm um uns. Was war zu thun?

Fünf Arnauten hielten Ben Nil; er konnte nicht los; neun andere, dazu den Sangak, den Muza’bir und den Mokkadem, also zwölf Personen, mußte ich auf mich nehmen, wenn ich durchkommen wollte. Draußen in den andern Zimmern und Räumen gab es jedenfalls noch mehr Arnauten. Dazu die eisernen Thüren, meine Unbekanntschaft mit dem Innern des Hauses und die Unbrauchbarkeit meiner Waffen. Indem ich in einem einzigen Augenblicke dies alles genau abwog, wußte ich, was ich zu thun hatte.

»Wer bist du, Hund?« schnauzte der Sangak Ben Nil an. »Warum treibst du dich bei meinem Hause herum?«

Der Gefragte hatte mich noch nicht gesehen. Vielleicht glaubte er, sich durch eine einfache Lüge retten zu können, denn er antwortete:

»Herr, ich hatte nichts Unrechtes vor. Ich bin Matrose auf einem hier ankernden Schiffe und – –«

»Lüge, Lüge!« fiel ihm der Mokkadem in die Rede. »Glaube es ihm nicht, o Mudir! Wir kennen ihn.«

»So? Dann sagt, wer er ist.«

»Herr, wie frohlockt unser Herz, und wie wirst du staunen! Wir haben den Freund und Genossen unseres grimmigsten Gegners, den Allah verfluchen möge, gefangen.«

»Welches Gegners?«

»Des Effendi, des Christenhundes! Dieser junge Mensch ist nämlich Ben Nil, von dem wir dir erzählt haben, Ben Nil, der treue Begleiter des Effendi. Wo der eine ist, ist auch der andere, und da wir Ben Nil hier gefunden haben, so steht mit Sicherheit zu erwarten, daß auch sein Herr in Faschodah ist.«

»lst’s möglich? Ben Nil soll das sein?« rief der Sangak im Tone des Zweifels aus.

»Ja, ja! Wir irren uns nicht; wir kennen ihn ganz genau. Laß ihn hauen, laß ihn peitschen, bis er uns sagt, wo sich sein Herr befindet!«

»Das ist nicht nötig,« sagte ich, indem ich aus der Ecke hervortrat. »Ich kann es euch selbst sagen, wo ich bin.«

Der Eindruck, den diese Worte machten, war ein ganz anderer, als ich erwartet hatte. Ich wollte mich ohne Gegenwehr ergeben, da ich dieselbe für unsinnig hielt; ich rechnete dabei auf spätere bessere Umstände. Ich glaubte, man würde sich sogleich auf mich werfen und mich niederreißen; aber es fand das gerade Gegenteil statt.

»Der Effendi, der Effendi selbst!« schrie der Muza’bir. »Er ist mitten unter uns! Allah beschütze uns! O Allah, Allah!«

Die erschrockenen Menschen standen steif wie die Marmorbilder. Einige sperrten die Mäuler auf; keiner aber machte eine Bewegung, sich an mir zu vergreifen. Das mußte ich benutzen. Zwei Sprünge brachten mich zu Ben Nil. Ich riß ihn los und schleuderte ihn zur Thüre hinaus, so daß die Arnauten nach links und rechts zurückflogen. Nun auch mir mit Fausthieben und -stößen Bahn brechend, drang ich ihm nach. Ich kam hinaus. Hinter mir hatte man sich gefaßt.

»Heraus, Arnauten, heraus!« rief die gewaltige Baßstimme des Sangak. »Haltet die Flüchtlinge, haltet sie!«

Ben Nil war vor der Thüre niedergestürzt und hatte sich noch nicht erhoben. Ich stolperte über ihn. Uns gegenüber wurde die Thüre aufgestoßen und mir an den Kopf geschlagen. Arnauten kämen heraus. Hinter uns drängten die andern. Mir flimmerte es vor den Augen; der Schlag der Thüre hatte mich an einer empfindlichen Stelle getroffen. Ich fühlte mich ergriffen; ich rang mit zehn, mit zwanzig Fäusten; ich stieß und schlug um mich; ich trat mit den Füßen nach rechts und links, nach hinten und vorn – vergeblich. Wir wurden niedergerungen und in das Empfangszimmer geschleift, wo man uns fesselte.

Der Auftritt ließ sich unmöglich beschreiben. Ich kochte vor Anstrengung, Ben Nil ebenso; aber auch die Arnauten standen keuchend und mit fliegendem Atem um uns herum. Der Sangak schob sie auseinander, so daß er zu uns konnte, wirbelte mit den Händen seinen langen Schnurrbart rechts und links in die Luft hinaus und rief in höhnischem und zugleich triumphierendem Tone:

»Welch ein Tag! Welch eine glückliche Stunde! Welch eine Überraschung! Haben meine Ohren denn recht gehört? ja, denn dieser Mann würde nicht versucht haben, zu entfliehen, wenn er nicht derjenige wäre, als welcher er bezeichnet wurde.«

»Pah!« antwortete ich ihm. »Ich habe ja selbst zugegeben, daß ich es bin.«

»Also doch! Und welch eine Frechheit, welch eine Unverschämtheit, es auch noch zuzugeben! Hebt die Kerle auf und stellt sie an die Wand! Ich muß sie mir jetzt einmal näher betrachten.«

Man folgte diesem Gebote. Als wir nun wie Schaustücke an der Mauer lehnten, stellte sich der Sangak vor mich hin und sagte schließlich, nachdem er, wie um sich zur Rache anzuspornen, alles, was er von mir gehört hatte, der Reihe nach, wie es geschehen war, aufgezählt hatte:

»Und was wolltest du jetzt bei mir? Du bist doch jedenfalls nicht ohne Absicht zu mir gekommen?«

»Allerdings nicht.«

»So antworte! Was führtest du gegen mich im Schilde?«

»Vielleicht sage ich es dir nachher, jetzt aber noch nicht.«

Da wendete er sich an den Mokkadem und den Muza’bir:

»Dieser verfluchteste der Giaurs ist noch viel schlimmer und gefährlicher, als ihr ihn mir beschrieben habt. Denkt euch nur, er kam vorhin zu mir, nannte sich Iskander Patras und gab sich für den Dolmetscher der Seribah Aliab aus. Er brachte mir einen Brief, den er wahrscheinlich selbst geschrieben hat, und nun frage ich euch, welche Absicht er dabei wohl gehabt haben mag!.«

»Eine schlimme jedenfalls,« antwortete der Mokkadem. »Wenn er es dir nicht sagen will, so laß ihn prügeln, bis er es vor Schmerzen gesteht.«

»Das werde ich allerdings thun, und zwar sofort.«

»Dann lieferst du ihn uns aus. Wir bringen ihn zu Ibn Asl, wo ihn das Schicksal ereilen wird, welches ihm schon wiederholt vorhergesagt worden ist.«

»Ja,« fiel ich ein. »Es sollen mir alle Glieder einzeln vom Leibe gerissen werden. Aber damit hat es noch gute Weile. Um zu erfahren, was ich bei dir wollte, o Sangak, brauchst du mich nicht peitschen zu lassen. Du hast ja gehört, daß ich es dir sagen will. Ich kam zu dir, um dich zu warnen vor Ibn Asl und seinen Leuten.«

»Welch eine Warnung!« lachte er höhnisch auf. »Bist du toll!«

»Dann müßte der Mudir es auch sein, denn er ist es, der mich zu dir geschickt hat.«

»Der? Lüge, dreifache Lüge!«

»Frage Ben Nil, meinen Begleiter! Wir wohnen bei dem Mudir, und er hat mich zu dir geschickt, um von Ibn Asl mit dir zu reden.«

Ich sah, daß er erschrak, denn er veränderte die Farbe.

»Hund, sage die Wahrheit!« gebot er Ben Nil. »Wo wohnet ihr?«

»Beim Mudir,« antwortete der Genannte.

»Hat er von mir gesprochen?«

»Ja, wie mein Effendi bereits gesagt hat.«

»Ihr habt euch besprochen; ihr lügt!«

»Denke, was du Willst; ich aber will die Reihe meiner Thaten, welche du vorhin aufzähltest, um noch eine verlängern. Du wirst von Ibn Asl erfahren haben, daß er Amr el Makaschef, den Häuptling der Baqquara, in die Wüste gesandt hat. Ich habe den Häuptling ergriffen und mit nach Faschodah gebracht, um ihn dem Mudir zu übergeben. Das ist geschehen, ehe ich zu dir kam. Der Scheik steckt nun im Gefängnisse und wird seine berühmten ›fünfhundert‹ erhalten, wenn ihm nicht noch Schlimmeres bevorsteht.«

»Mensch, was thust du uns für Schaden! Ich möchte dich zermalmen!«

»Das wirst du bleiben lassen, denn wenn ich nicht bis Mitternacht zum Mudir zurückgekehrt bin, wirst du eingesperrt. Darauf kannst du dich verlassen.«

»Glaube ihm nicht! Er lügt, um sich zu retten!« warnte ihn der Mokkadem.

»Ich werde binnen wenig Minuten wissen, woran ich bin.«

Bei diesen Worten ging der Sangak hinaus. Als er zurückkam, zog er sich mit dem Mokkadem und dem Muza’bir in die entfernteste Ecke zurück, wo sie leise, aber äußerst lebhaft miteinander verhandelten. Dies dauerte solange, bis ein Arnaut eintrat.

»Nun?« fragte ihn der Sangak laut.

»Der Scheik der Baqquara steckt an Ketten im Gefängnisse. Ich habe ihn gesehen,« meldete der Mann.

»Legt die Gefangenen wieder nieder, und packt euch dann alle hinaus!«

Wir wurden wieder glatt auf den Boden gelegt. Die drei standen in der Ecke und stritten sich. Wir konnten zwar nichts verstehen, sahen aber ihre äußerst lebhaften Gesten und Gebärden. Endlich gingen auch sie hinaus. Vorher aber trat der Sangak zu mir und sagte:

»Das hast du sehr fein angelegt, aber es soll dir doch nichts helfen. Wir sehen uns niemals wieder. Der Scheitan fresse euch, ihr Hunde!«

Er spuckte uns an und ging. Wir lagen für kurze Zeit allein in dem Zimmer. Was sollte ich thun? Meinem braven Ben Nil dafür, daß ihn die Sorge um mich zu einer Dummheit getrieben hatte, Vorwürfe machen? Das fiel mir nicht ein. Ich hätte übrigens dadurch unsere Lage nicht zu ändern vermocht. Er fing selbst davon an, indem er in gepreßtem Tone sagte:

»Effendi, ich habe eine große Unvorsichtigkeit begangen, die du mir unmöglich verzeihen kannst. Gieße deinen Zorn über mich aus! Das ist mir lieber als dieses Schweigen, welches meine Seele bedrückt.«

»Ich zürne dir nicht,« antwortete ich. »Du hast nur dich selbst in Schaden gebracht, nicht aber mich.«

»Nein, auch dich! Wäre ich nicht gekommen und ergriffen worden, so befändest du dich jetzt in Freiheit und könntest zu uns zurückkehren.«

»Du irrst. Ich wäre auch ohne deine Anwesenheit erkannt worden.«

»Aber du hättest allein leichter fliehen können als zu zweien.«

»Schwerlich. Wie die Verhältnisse hier liegen, war ein Entkommen mit dir nicht schwerer, als wenn ich mich allein befunden hätte.«

»Wenn dies wirklich deine Ansicht ist, so bin ich wenigstens in Beziehung auf deinen Zorn beruhigt, wenn auch nicht betreffs dessen, was uns nun erwartet. Man wird uns ganz gewiß töten; auf keinen Fall dürfen wir hoffen, diesen Leuten, welche einen so grimmigen Haß gegen uns hegen, diesesmal zu entkommen.«

»Ich hege diese Hoffnung und habe keine Lust, sie aufzugeben. Ich habe mich in noch viel schlimmern Lagen befunden, ohne den Mut zu verlieren, und auch du; als du so verlassen im tiefen Brunnen bei Siut stecktest, um elend zu verhungern, hattest du eigentlich weniger Veranlassung als jetzt, auf Rettung zu hoffen. Ich bin überzeugt, daß uns hier in Faschodah nichts geschieht. Man wird uns jedenfalls dorthin schaffen, wo Ibn Asl sich befindet. Wir müssen es abwarten. Ich bin froh, daß ich meine Waffen und mein sonstiges Eigentum nicht bei mir hatte. Es wäre mir abgenommen worden, und ich hätte im Falle einer heimlichen Flucht darauf verzichten müssen und alles verloren. Wie steht es denn mit deiner Habe?«

»Ich besitze nichts. Die Flinte und meine Pistolen hatte ich bei dem Mudir abgelegt, und da er von meinem Vorhaben nichts wissen durfte und ich mich unbemerkt fortschleichen mußte, so habe ich nur das Messer bei mir gehabt, und dieses allein ist mir abgenommen worden.«

Jetzt kamen vier Männer herein, welche lange und breite Bastmatten und Stricke trugen. Wir erhielten Knebel in den Mund; man verband uns die Augen, und dann wurden wir in die Matten gewickelt, welche man darauf mit den Stricken umschlang. So bildeten wir zwei steife, walzenförmige Pakete, welche aufgenommen und fortgetragen wurden. Unsere Köpfe ragten über die Matten heraus, so daß wir wenigstens an Luft keinen Mangel litten.

Natürlich konnten wir nicht sehen, wohin man uns schaffte. Ich fühlte, daß es über Schmutzhaufen und Schlammlöcher ging; dann hörte ich Wasser plätschern und man ließ uns auf eine harte Unterlage nieder.

»Jetzt fort, schnell und vorsichtig!« hörte ich eine befehlende Stimme sagen.

Dann vernahm ich das Geräusch der in das Wasser getauchten Ruder, wir lagen also jedenfalls in einem Boote. Tiefe Stille herrschte um uns. Sie wurde nur von Zeit zu Zeit durch eine flüsternde Stimme unterbrochen, deren Worte ich nicht verstehen konnte. Später, als man Faschodah im Rücken hatte, wurde lauter gesprochen, doch nichts, was uns über das Ziel unserer Fahrt Aufklärung geben konnte. Was ich vernahm, waren nur kurze Kommandoworte, welche sich auf das Rudern und den Gebrauch des Steuers bezogen.

Es verging eine lange, lange Zeit. Wie viele Stunden es waren, das nur zu raten, war mir unmöglich. Als man endlich anlegte, war es mir, als ob die Fahrt einen ganzen Tag gedauert hätte.

»Wer ist da?« rief eine Stimme, aus der Höhe, wie mir schien.

»Leute des Sangak,« lautete die Antwort.

»Ist Ibn Asl da?«

»Nein. Doch kommt herauf!«

Wieder verging eine Weile, während welcher man über uns leise sprach. Auch jetzt konnte ich nichts verstehen, aber es waren Töne freudiger Verwunderung, die sich in das Geflüster mischten. Dann band man uns an Seile, um uns emporzuziehen. Wir wurden hart niedergeworfen und dann aus unsern Hüllen gewickelt. Man nahm uns die Knebel und die Augenbinden weg, und nun sah ich, daß wir auf dem Decke eines Schiffes lagen. Ungefähr zwanzig Männer standen um uns. Ich konnte ihre Gesichter deutlich sehen, denn der Mond schien hell. Man hatte also nicht einen ganzen Tag, sondern noch nicht einmal bis zum Anbruche des Morgens gerudert. Freilich war es kein Wunder, daß mir diese Zeit so lang geworden war.

Derjenige, welcher mir am nächsten stand, war Murad Nassyr, der dicke Türke, mit welchem ich hatte reisen sollen, um sein Compagnon im Sklavenhandel zu werden. Als ich ihn jetzt vor mir stehen sah, mußte ich an die Abschiedsworte denken, welche er mir in Korosko zugerufen hatte. Sie waren drohend genug, doch hatte ich vor diesem dicken Türken weit weniger Respekt als vor seinen Verbündeten, welche viel mehr Energie besaßen und weit gefährlicher waren als er. Er sprach mit einem Manne, welcher wohl zu denen gehörte, die mich auf das Schiff gebracht hatten. Ich hörte, daß er ihn fragte:

»Wo sind der Muza’bir und der Mokkadem? Konnten sie nicht gleich mitkommen?«

»Sie haben Faschodah auf dem Landwege verlassen, um zu den Dinka zu gehen, bei denen sich Ibn Asl befindet. Sie wollen ihn von der Gefangennahme der beiden Männer benachrichtigen.«

»Dann werden sie ihn vielleicht nicht mehr dort antreffen. Ich erwarte ihn in jedem Augenblicke mit den angeworbenen Dinka. Kommt er eher als sie, so müssen wir ihretwegen hier liegen bleiben und die kostbare Zeit versäumen.«

Diese Worte bewiesen, daß Murad Nassyr kein Übermaß von Klugheit besaß. Es war ein Fehler von ihm, in meiner Gegenwart hören zu lassen, daß Ibn Asl im Begriff stand, eine Schar von Dinka zum Sklavenfange anzuwerben. Er war dazu gezwungen, weil wir alle seine Leute ergriffen hatten. Jetzt wendete sich Murad Nassyr zu mir, indem er mich in giftigem Tone fragte:

»Kennst du mich noch, du Hund? Reichen deine Gedanken soweit, jetzt noch zu wissen, wer ich bin?«

Da ich nicht antwortete, fuhr er fort:

»Denke an Korosko und an die Worte, welche ich dir dort zurückließ!«

Und als ich auch jetzt nichts sagte, fügte er hinzu:

»Ich drohte dir damals: Sollte ich dich wiedersehen, so zerschmettere ich dich! Dieses Wiedersehen findet jetzt statt. Bereite dich auf den Tod vor. Du bist verloren und hast bei uns keine Barmherzigkeit zu erwarten.«

Er mochte denken, daß ich nun antworten werde. Als dies nicht geschah, trat er mich in die Seite und fuhr mich an.

»Willst du wohl dein Maul öffnen, du schmutzige Kröte! Hat der Schreck, die Angst dich stumm gemacht?«

Da lachte ich laut auf und antwortete:

»Die Angst? Etwa vor dir? Lieber Dicker, laß dich doch nicht auslachen! Vor dir erschrickt kein Mensch, ich aber am allerwenigsten. Du kannst wohl Pillau mit Schafschwanz verschlingen, mich aber nicht.«

»Hund, verhöhnst du mich auch noch! Ich werde dafür deine Qualen verdoppeln!«

»Laß mich in Ruh‘! Du spielst mit dieser Drohung eine so lächerliche Figur, daß man dich nur auslachen kann. Du kennst mich schon von Algier her und mußt doch wissen, daß deine Prahlerei auf mich keinen Eindruck macht. Lege dich also aufs Ohr und schlafe; das ist jedenfalls besser als ein so verunglückter Versuch, mich bange vor dir zu machen!«

Da versetzte er mir einen zweiten Fußtritt und rief:

»Das will ich dir gedenken! Ich weiß, daß du bereits erfahren hast, welche Qualen dir beschieden sind; sie sollen nun noch entsetzlicher werden, als du bisher wußtest. Glaube ja nicht, auch diesmal zu entkommen! Ich selbst werde dich bewachen und dich, bis Ibn Asl kommt, nicht aus meinen Augen lassen. Hebt die Hunde auf und folgt mir mit ihnen!«

Er begab sich nach dem Vorderteile des Verdeckes, und man trug uns hinter ihm drein, öffnete eine von zwei Thüren, welche ich nebeneinander sah, trat in einen Raum, der jedenfalls seine Wohnung bildete, und untersuchte da unsere Fesseln. Dies geschah beim Scheine einer Lampe, welche hier brannte. Als er sich überzeugt hatte, daß wir festgebunden waren und nicht loskommen konnten, gab er die zu unserer Unterkunft nötigen Befehle.

Der Raum, in welchem wir uns befanden, hatte nicht etwa Holzwände; er glich vielmehr einem Zelte. Man hatte Stangen über dem Vorderteil des Schiffes angebracht und Matten auf dieselben gebreitet. Das war ein Sonnendach, von welchem mehrere Stücke Leinwand, welche als Wände dienten, herniederhingen. Die vordere Wand bestand aus zwei Stücken; das waren die von mir erwähnten beiden Thüren. Eine Querwand schied den Raum in zwei Teile. In demjenigen rechter Hand befanden wir uns. Aus dem links liegenden Teile hörte ich weibliche Flüsterstimmen klingen, was mich auf die Vermutung brachte, daß dort die Schwester des Türken mit ihren Dienerinnen untergebracht sei. Hinten gab es wieder eine Querleinwand, welche jetzt aufgehoben wurde. Dort war das Innere der Schiffsspitze, ein sechs Fuß langer, vier Fuß schmaler Raum, in welchem verschiedenes Gepäck und Gerümpel lag. Man schaffte dieses letztere fort, um Platz für uns zu bekommen. Dann wurden starke Eisennägel in die Diele geschlagen, an welche man uns festband, eine Vorsicht, die gar nicht überflüssig war, denn falls es uns gelang, uns unserer Fesseln zu entledigen, brauchten wir nur die Matte, welche die Decke bildete, emporzuheben, um über Bord kommen zu können.

Als wir in dieser Weise befestigt waren, sagte Murad Nassyr.

»Jetzt könnt ihr euch nicht rühren. Nun versucht doch einmal, mir zu entfliehen! Ibn Asl kommt jedenfalls bis Nachmittag zurück; dann wird euer Schicksal entschieden. Ich wohne gleich nebenan und kann jedes eurer Worte hören. Vernehme ich das Geringste, was mir nicht gefällt, so erhaltet ihr die Peitsche. jetzt gebe euch Allah eine angenehme Ruhe und noch angenehmere Träume!«

Er sprach diesen Wunsch in höhnischem Tone aus und entfernte sich dann mit seinen Leuten. Wir sahen das Licht durch die dünne Leinwand scheinen und seinen Schatten sich an derselben bewegen. Dadurch wurde uns verraten, was er that. Er hob die Seitenleinwand auf und verschwand hinter derselben. Dann hörten wir flüstern und erkannten seine und die Stimme eines weiblichen Wesens, welches, wie ich vermutet hatte und dann bald erfuhr, seine Schwester war.

Bald darauf kam er in sein Gemach zurück und setzte sich nieder. Nach abermals einem Weilchen zeichnete sich ein weiblicher Schatten an der Leinwand ab. Die Schwester war zu ihm getreten. Sie flüsterten miteinander; dann stand er auf und ging mit ihr hinaus auf das Deck.

Kaum war dies geschehen, so wurde wieder eine weibliche Gestalt sichtbar, welche aus der Seitenabteilung trat. Sie näherte sich der Leinwand, hinter welcher wir lagen, hob dieselbe ein wenig empor und sagte leise:

»Effendi, wo bist du?«

»Hier!« antwortete ich. »Wer bist du?«

»Ich bin Fatma, die du kennst.«

Also Fatma, die Lieblingsdienerin der Schwester des Türken! In welcher Absicht kam sie? jedenfalls in keiner schlechten.

»Was wünschest du von mir?« fragte ich sie.

»Meine Herrin sendet mich. Sie hat von dem Herrn erfahren, daß du gefangen bist und zu Tode gemartert werden sollst. Das thut ihrem Herzen weh.«

»Allah segne sie für das Mitgefühl!«

»Ja, sie ist gut, Effendi. Sie will dich retten.«

»Hamdulillah! In welcher Weise?«

»Leider kann sie gar nicht viel thun; aber was sie kann, das soll geschehen. Du hast, als ihr Haar zu schwinden begann, ihr die Zierde ihres Hauptes wiedergegeben. Das kann sie nicht vergessen. Sie will dir dafür danken, und ich soll dich bitten, mir zu sagen, welch einen Wunsch du hast.«

»Wo ist sie?«

»Draußen auf dem Deck. Sie hat ihren Bruder beredet, mit hinaus zu gehen, damit ich mit dir reden kann.«

»Aber wenn er nun plötzlich zurückkehrt und sieht, was du thust!«

»Sie will ihn draußen festhalten, bis ich ihr ein Zeichen gebe, daß ich ihren Auftrag ausgerichtet habe.«

»Das ist gut. Bringe mir schnell ein scharfes Messer.«

Sie ging, brachte das Messer und reichte es mir zu.

»Ich kann es nicht fassen, denn meine Hände sind gefesselt. Du mußt mir die Liebe erweisen, sie loszuschneiden.«

»Allah, was verlangst du von mir! Meine Hände zittern vor Angst; aber ich werde es dennoch thun, da du der Wohlthäter meiner Herrin bist.«

Ich fühlte allerdings, daß ihre Hände zitterten, als sie den Strick durchschnitt. Dann nahm ich das Messer, drückte ihr die Hand und sagte:

»Ich danke dir, Fatma, du Lieblichste unter den Töchtern; Allah möge es dir vergelten! Weißt du, wie viel Männer sich auf diesem Schiffe befinden?«

»Zwanzig und ein paar. Sie liegen draußen und schlafen.«

»Wo sind die Leute, welche uns gebracht haben? Wieder nach Faschodah zurück?«

»Nein. Sie liegen bei unsern Leuten.«

»So hängt also ihr Boot noch an dem Schiffe?«

»Ja.«

»Das ist es, was ich wissen will. Du kannst nun gehen und brauchst das Zeichen gar nicht zu geben, denn deine Herrin wird ohne dasselbe in einigen Minuten erfahren, daß du deinen Auftrag gut ausgeführt hast. Wahrscheinlich sehen wir uns wieder. Dann werde ich dir ausführlicher danken, als es jetzt geschehen kann.«

Sie zog sich zurück.

»Welche Wonne, Effendi!« sagte Ben Nil. »Du hattest doch recht. Man soll die Hoffnung niemals aufgeben. Wir sind gerettet, wenn man uns nicht aufhält!«

»Aufhält? Wenn ich im freien Besitze meiner Glieder bin und ein Messer in meiner Hand habe, lasse ich mich von zwanzig und einigen Männern nicht aufhalten. Darauf kannst du dich verlassen. Es ist ganz so, als ob wir schon frei wären.«

Da ich die Hände frei hatte, war es nicht schwer, mir auch die Füße frei zu machen und mich von dem Nagel loszuschneiden. Dasselbe that ich dann auch mit Ben Nil. Wir standen jetzt aufrecht. Ich hob die Matte, welche die Decke bildete, ein wenig in die Höhe und sah hinaus.

Noch schien der Mond. Wir lagen am rechten Ufer des Flusses. Unweit vom Schiffe sah ich die phantastischen Gestalten von drei nebeneinander stehenden Armleuchtereuphorbien. Das mußte mir später als Merkmal dienen. Auf dem Deck lagen die Schläfer. Der Türke stand mit seiner Schwester hinten am Steuer und blickte mit ihr, über das Geländer gebeugt, in die Flut hinab. Das Boot mußte auf der Wasserseite hängen. Das Schiff war mit einem Bug- und einem Quarteranker befestigt. Die Kette des ersteren hing an einem starken Eisenringe, welcher an der innern Bugwand, also an unserm Gefängnisse angebracht war.

»Es steht alles sehr gut,« sagte ich. »Wir klettern an dieser Kette über Bord. Kein Mensch achtet auf uns. Haben wir das Wasser erreicht, so schwimmen wir nach dem Boote.«

Ich schob die Matte über uns ganz weg und schwang mich über die Brüstung, um jenseits an der Kette hinabzuklettern. Ben Nil folgte mir. Es war gar keine Kunst, hinunter zu kommen. Daß wir naß wurden, konnte uns in diesem Klima nur lieb sein.

Wir hielten uns im Schwimmen natürlich so nahe wie möglich an die Schiffswand, damit man uns nicht von oben sehen könne. Auch hüteten wir uns, zu plätschern. Das Boot, welches wir suchten, hing hinten an der dem Wasser zugekehrten Seite des Schiffes. Nun fragte es sich, ob man die Ruder liegen gelassen hatte. Als wir es erreichten, sahen wir zu unserer Freude, daß sie darin lagen. Wir stiegen ein.

»Nun schnell fort, Effendi!« meinte Ben Nil. »Wir sind wieder frei und wollen uns keinen Augenblick hier aufhalten.«

Er setzte sich auf die Ruderbank und wollte den Riemen gegen die Schiffswand stemmen, um von dem Schiffe abzukommen, als man uns bemerkte.

»Der Effendi ist los!« schrie Murad, »er will entkommen! Da unten ist er im Boote. Auf, ihr Männer, zur Verfolgung! Tausend Piaster jedem, der ihn mir bringt!«

Vom Deck ertönten wirre Stimmen. Man beeilte sich, in das Boot zu kommen, welches zum Schiffe gehörte und jedenfalls hinten am Steuer hing, so daß wir es nicht gesehen hatten.

»Schnell, schnell!« schrie er. »Zweitausend, dreitausend Piaster, wenn ihr ihn wieder fangt!«

»Zehntausend Piaster demjenigen, der mich ergreift!« lachte ich als Antwort. Dann tauchte ich die Ruder ein, Ben Nil folgte meinem Beispiele, und unser Boot flog, wie von einer Sehne geschnellt, flußabwärts. Es verstand sich ganz von selbst, daß man uns flußaufwärts geschafft hatte. Also mußten wir, um nach Faschodah zu kommen, die entgegengesetzte Richtung einschlagen. Wir konnten schon nach kurzer Zeit das Schiff nicht mehr sehen.

Ben Nil war ein ausgezeichneter Ruderer; auch ich hatte gelernt, einen Riemen zu gebrauchen, und so hatten wir keine Sorge, daß man uns einholen werde. Schon nach einer Viertelstunde ließen wir in unserer Anstrengung nach, da es gar nicht nötig war, eine solche Schnelligkeit zu entfalten.

Nach meiner Ansicht war es, als man uns bei dem Sangak gefangen nahm, ungefähr zehn Uhr abends gewesen. Ein Blick nach dem Himmel zeigte, daß es jetzt vielleicht morgens drei Uhr sei. Waren wir eine Stunde auf dem Schiffe gewesen, so hatte die Fahrt nach demselben vier Stunden gedauert, eine Zeit, welche mir wie eine Ewigkeit vorgekommen war. Da man flußabwärts schneller vorwärts kommt, rechnete ich drei Stunden auf unsere Fahrt; also mußten wir Faschodah gegen sechs Uhr erreichen.

Man kann sich leicht denken, in welcher Stimmung wir uns befanden. Ben Nil jubelte zuweilen laut auf. Ich blieb zwar still, doch war meine Freude nicht geringer als die seinige. Und wem hatten wir unsere Rettung zu verdanken? Der Auflösung eines einfachen, wohlbekannten Salzes, mit welcher ich einst die kahle Stelle auf dem Kopfe der Schwester des Türken befeuchtet hatte. Damals dachte ich nicht, daß mich dieses später aus solcher Not erlösen werde. Die Schwester war doch ein gutes, dankbares Mädchen. Ich nahm mir vor, alles aufzubieten, um zu verhindern, daß sie Ibn Asls Frau werde.

Als der Morgen graute, hatten wir uns Faschodah soweit genähert, daß wir es liegen sahen. Ein kleines Segelboot kreuzte auf dem Flusse hin und her, welches nur einen Mann trug. Als dieser uns bemerkte, hielt er auf uns zu, ließ das Segel fallen und fragte:

»Woher kommt ihr?«

»Von da oben,« antwortete ich, indem ich rückwärts deutete. »Wir wollen nach Faschodah.«

»Wer seid ihr?«

»Warum fragst du? Bist du ein Beamter des Mudir?«

»Nein. Aber ich suche einen fremden Effendi und einen jungen Mann, welcher Ben Nil heißt, die seit gestern abend spurlos verschwunden sind. Der Mudir läßt nach ihnen suchen. Da ihr zwei seid und ich euch nicht kenne, auch die Beschreibung stimmt, so glaube ich, die Gesuchten gefunden zu haben.«

»Kennst du den Sangak der Arnauten?«

»Ich habe ihn gesehen, aber noch nie mit ihm gesprochen.«

»Hassest oder liebest du ihn?«

»Herr, diese Frage ist gefährlich; da ich aber weder etwas Gutes noch etwas Böses von ihm zu erwarten habe, so will ich sie beantworten. Ich hasse ihn nicht, und liebe ihn nicht; er ist mir gleichgültig, obgleich er viel Einfluß und Macht besitzt.«

»So will auch ich aufrichtig sein, obgleich ich eigentlich Grund habe, dir die Wahrheit zu verschweigen. Wir sind diejenigen, welche du suchst.«

»Wirklich? Ist’s wahr?« fragte er in freudigem Tone. »Hamdulillah! So bin ich es, der sich das viele Geld verdient!«

»Welches Geld?«

»Die hundert Piaster, welche der Mudir für dich zahlen will.«

»Du sollst sie bekommen, obgleich er uns auch ohne dich wiedergesehen hätte.«

»Hätte er das?« fragte er enttäuscht. »Allah! So erhalte ich das Geld nicht!«

»Er wird es dir geben. Verlange es nur!«

»Fällt mir nicht ein, Effendi. Ich würde an Stelle der Piaster fünfhundert Hiebe erhalten.«

»Du bekommst das Geld. Ich gebe dir mein Wort. Und wenn er sich weigert, so werde ich es dir geben. Aber ich knüpfe die Bedingung daran, daß du uns zu dem Mudir bringst, ohne daß wir von dem Sangak oder einem seiner Arnauten gesehen werden.«

Er blickte mich verwundert an und fragte:

»Effendi, sind diese Arnauten an euerm Verschwinden schuld?«

»Das kann ich dir nicht sagen, weil ich dich nicht kenne.«

»O, du darfst mir vertrauen. Ich bin ein armer Fischer und liefere das, was ich fange, nur in die Küche des Mudirs, welcher mich dafür bezahlt, während ich von dem Sangak nichts bekommen würde.«

»Wo wohnest du?«

»Hier vor der Stadt. Du siehst meine Hütte dort links am Ufer. Sie steht weit entfernt von allen andern Hütten und Häusern.«

Ich erzählte ihm, was uns geschehen war, und fuhr dann fort:

»Erfährt der Sangak, daß wir wieder da sind, so findet er vielleicht Zeit zur Flucht, ehe der Befehl, ihn zu ergreifen, gegeben werden kann.«

»Effendi, ich würde über das, was ich da höre, staunen, wenn ich nicht wüßte, was für ein gewaltthätiger Mann dieser Sangak ist. Wenn es so ist, so hast du recht. Du mußt unbemerkt zum Mudir kommen. Ich werde dich jetzt nach meiner Hütte bringen, wo ihr wartet, bis ich beim Mudir gewesen bin, dem ich sagen will, was du mir anbefiehlst.«

»Gut, ich bin einverstanden.«

»Aber ihr dürft mir jetzt nicht im Boote folgen, denn das würde auffallen. Man darf nicht sehen, daß ich zwei Männer bei mir habe, denn man würde sogleich ahnen, daß ihr es seid. Steig zu mir herein. Ich werde dich erst allein nach meiner Hütte rudern. Dann hole ich auch Ben Nil ab, der hier ans Ufer legen und da auf mich warten mag.«

Ich sprang zu ihm hinüber und wurde von ihm nach der Hütte gebracht, welche die äußerste der Stadt war. Sein Weib, eine Negerin, war daheim und erhielt von ihm den Befehl, uns verborgen zu halten und keinen Menschen in die Hütte zu lassen. Dann holte er Ben Nil. Als dieses geschehen war und er von mir genaue Instruktion erhalten hatte, begab er sich zum Mudir. Es dauerte fast eine Stunde, bis er zurückkehrte. Er brachte Anzüge, einen weiblichen für Ben Nil und den eines Eunuchen für mich. Ich hatte mir das Gesicht zu schwärzen. Zwar hätte ich in weiblicher Kleidung viel weniger erkannt werden können, als in derjenigen eines Haremwächters, aber meine Figur paßte nicht zu einer solchen Maskerade.

Als wir diese Anzüge angelegt hatten, bestiegen wir das Boot wieder und der Fischer ruderte uns, nachdem er seinem Weibe die strengste Verschwiegenheit anbefohlen hatte.

Ben Nil war tief eingehüllt. Ein Schleier bedeckte sein Gesicht, so daß er vollständig einer Frau glich. Die Verkleidung belustigte ihn außerordentlich und er kicherte in einem fort vor sich hin, weniger über sich als über mein schwarzes Gesicht, zu welchem der Bart gar nicht passen wollte.

Als wir ausstiegen, war kein Mensch zu sehen. Vielleicht aus Zufall, vielleicht auch deshalb, weil so viele Leute auf der Suche nach uns waren, um sich die hundert Piaster zu verdienen. Wir erreichten sogar das Regierungsgebäude, ohne von jemandem beobachtet worden zu sein, und wurden dort von einem Bediensteten, welcher auf uns gewartet hatte, zu seinem Herrn geführt. Dieser hatte dafür sorgen lassen, daß uns im Innern des Gebäudes niemand begegnete.

Er saß rauchend auf einem seidenen Diwan. Über sein ernstes, ja strenges Gesicht ging, als wir eintraten und sein Auge auf uns fiel, ein heiteres Lächeln. Ja, es schien, als ob er sich Mühe geben müsse, nicht laut aufzulachen.

»Allah thut Wunder!« rief er aus. »Wer hat schon einmal einen Neger, einen Hüter der Frauen, mit einem solchen Barte gesehen! Hat man dich erkannt, Effendi?«

»Nein. Wir sind von keinem Menschen beachtet worden.«

»Das ist gut. Setzt euch, und nehmt die Pfeifen, welche ich für euch bereit legen ließ. Du aber wartest draußen vor der Thür, um zu erfahren, ob ich dir das Geld geben werde oder nicht!«

Die letzten Worte waren an den Fischer gerichtet, welcher dem Befehle nicht sofort gehorchte, sondern in bittendem Tone antwortete:

»Verzeihe meine Kühnheit, o Mudir, und erlaube mir, dir

ZU – –

»Schweig, sonst bekommst du sofort fünfhundert!« unterbrach ihn der Mudir mit Donnerstimme. »Hinaus mit dir!«

Ich hatte mich mit Ben Nil zu ihm gesetzt. Wir steckten unsere Pfeifen an, und dann mußte ich erzählen. Der Statthalter verzog während meines Berichtes keine Miene und ließ auch kein Wort hören. Als ich geendet hatte, schwieg er immer noch eine Weile; dann brach er los, aber nicht so, wie ich erwartet hatte, sondern beinahe leise und in sehr ruhigem Tone. Aber gerade diese Ruhe ließ auf die Größe seines Grimmes, den er gewaltsam niederzwang, schließen.

»Gestern,« sagte er, »als du mir mitteiltest, daß dieser Hundesohn ein Verbündeter des Sklavenjägers sei, wollte ich es nicht glauben. Jetzt hast du mir die Wahrheit deiner Worte bewiesen. Er soll – –«

Er hielt mitten im Satze inne und blickte vor sich nieder. Er war empört und tief aufgeregt und hielt es nicht für seiner Würde angemessen, dies so merken zu lassen. Nach einer Weile klatschte er in die Hände. Ein Diener trat herein und erhielt den Befehl:

»Gehe zum Sangak der Arnauten und sage ihm, daß ich mit ihm zu sprechen wünsche. Es betrifft ein Geheimnis; er soll also keinen Menschen wissen lassen, zu wem er geht. Da versteht es sich von selbst, daß du diesen Auftrag so ausrichtest, daß nur er allein deine Worte hört. Sende mir den Abu Chabit herein!«

Der Mann entfernte sich, und kurze Zeit darauf trat ein schwarzer, außerordentlich robuster Kerl herein, welcher beide Hände auf die Brust legte und sich fast bis auf den Boden verneigte.

»Es giebt zu thun,« sagte der Mudir zu ihm. »Ein Hund aller Hunde soll fünfhundert erhalten und dann nicht wieder gesehen werden. Besorge das Nötige!«

»Wo?« fragte der Schwarze, wobei ein Grinsen über sein Gesicht ging. Er freute sich auf die Ausübung seines Amtes.

»Da,« antwortete der Mudir, indem er mit dem Daumen über die Achsel nach einer Thüre zeigte, welche sich hinter ihm befand. Der »Vater der Prügel« verbeugte sich abermals und ging dann rückwärts wieder hinaus. Als wir uns allein befanden, sagte der Mudir:

»Weißt du, warum der Sangak heimlich kommen soll?«

Ach denke es mir. Wegen deiner Sicherheit.«

»Allah! Du hast es erraten!« rief er erstaunt.

»Das ist ja nicht schwer. Ich kenne die Arnauten zur Genüge. Sie sind äußerst schwer im Zaume zu halten. Wenn du den Sangak richtest und seine Soldaten erfahren es, so hast du eine Empörung zu erwarten.«

»So ist es! Er soll seine Strafe erhalten, ohne daß man es ahnt. Als du gestern nicht kamst, sandte ich zu ihm. Er ließ mir sagen, daß niemand bei ihm gewesen sei. Später ging ich selbst zu ihm und bekam dieselbe Behauptung zu hören. Dann erfuhr ich gar, daß auch Ben Nil verschwunden sei, und erteilte sofort den Befehl, daß überall nach euch gesucht werde. Dieser Hund hat mich an der Nase führen wollen; er ist ein Begünstiger des Sklavenhandels, ein Verräter und Mörder. Du wirst hören und sehen, was ich mit ihm spreche und mit ihm thue. Begebt euch jetzt dort hinein, wo ihr alles findet, was ihr braucht. Ihr werdet die Aussage des Sangak vernehmen und im geeigneten Augenblick hereinkommen.«

Er hatte nach einer zweiten Thür gedeutet. Wir folgten seiner Aufforderung und kamen in ein Zimmer, wo ich mein ganzes Eigentum liegen sah. Es gab da auch alles Nötige, mich von der schwarzen Farbe zu befreien, was ich natürlich schleunigst that. Dann kleidete ich mich um. Ben Nil mußte den Frauenanzug noch anbehalten, weil der seinige sich in den Händen des Fischers befand. Eben war ich mit der Toilette fertig, als ich Schritte hörte. Der Sangak trat bei dem Mudir ein. Wir konnten alles hören, denn das, was ich eine Thüre genannt habe, bestand aus einem die Thüröffnung bedeckenden Teppiche.

»Du hast mich rufen lassen, o Mudir!« hörte ich den Arnauten sagen.

»Ja, heimlich. Wer weiß noch von deinem Kommen?«

»Kein Mensch.«

»Setz‘ dich!« antwortete der Mudir. »Hast du gehört, ob man von den verschwundenen Männern vielleicht eine Spur gefunden hat?«

»Man hat bis jetzt nichts entdeckt.«

»Das ist schlimm! Ich werde nicht eher ruhen, als bis ich sie gefunden habe.«

»Auch ich habe alles gethan, was möglich ist. Meine Arnauten sind alle fort, um zu suchen, obgleich sie nicht begreifen können, wie ich von ihnen verlangen kann, daß sie, die Rechtgläubigen, der stinkenden Fährte eines Christen nachforschen sollen.«

»Ich will diesen Christen haben; das muß dir und ihnen genügen. Hast du bei dir selbst aufmerksam gesucht?«

»Ja, doch vergebens.«

»Sonderbar! Der Effendi ist zu dir gegangen und seine Begleiter haben ganz deutlich gehört, daß er bei dir klopfte.«

»Das mag sein. Es ist auch geöffnet worden, aber man hat niemand gesehen. Später hat der Wächter bemerkt, daß fremde Gestalten um die Thüren geschlichen sind. Wer weiß, in welcher Absicht der Christ gekommen und warum er so plötzlich wieder verschwunden ist.«

»Er hat mir seine Absichten mitgeteilt. Es gab für ihn keinen Grund, zu verschwinden. Wohl aber gab es für einige hiesige Personen Grund, ihn verschwinden zu lassen!«

»So rate ich dir, diese Personen zu fragen!«

»Das habe ich gethan, aber sie leugnen, etwas zu wissen.«

»Laß ihnen fünfhundert aufzählen; dann werden sie gestehen!«

»Da du es mir rätst, werde ich es thun, und du sollst dabei sein dürfen.«

»Ich danke dir, o Gebieter! Du weißt, daß ich die Gerechtigkeit liebe und stets gern dabei bin, wenn du sie an denen, welche gegen sie gesündigt haben, übest. Es wird mir eine Wonne sein, das Geheul dieser Hunde zu hören. Nun aber möchte ich dich nach dem Geheimnisse fragen, welches der Grund ist, daß du mich zu dir kommen ließest.«

»Du sollst es sofort hören. Ja, es ist ein Geheimnis, dessen Aufklärung mir sehr am Herzen liegt, und du bist der richtige Mann, mir dabei behilflich zu sein. Ist dir vielleicht ein Muza’bir, ein Gaukler aus Kahira, bekannt?«

»Nein.«

»So kennst du aber vielleicht einen gewissen Abd el Barak, welcher Mokkadem der heiligen Kadirine ist?«

»Auch nicht.«

»Diese beiden Männer befinden sich jetzt in Faschodah. Ich will und muß sie finden, weil sie Verbündete des Sklavenjägers Ibn Asl sind.«

»Soll ich nach ihnen suchen? Wenn sie wirklich hier sind, werde ich sie ganz gewiß entdecken.«

»Sie sind hier. Man hat sie noch gestern abend gesehen. Sie sollen an deiner Thüre geklopft haben.«

»Allah! Was könnten sie bei mir gewollt haben? Das muß ein Irrtum sein. Solche Leute werden doch nicht so wahnsinnig sein, sich zu mir zu wagen!«

»Es giebt Wahnsinnige, welche zuweilen sehr gut bei Sinnen sind. Noch eine Frage. Hast du vielleicht einmal mit einem Türken gesprochen, welcher Murad Nassyr heißt?«

»Nie. Was ist’s mit ihm?«

»Davon nachher. Ich muß dich noch nach einer andern Person fragen. Es ist dies ein Takaleh, welcher Schedid heißt.«

»Ich kenne ihn nicht. Wie kommt es, daß du mir so viele unbekannte Namen nennst?«

»Ich thue es, um dir die Entdeckung des Geheimnisses zu erleichtern. Ich habe dir bereits ein wenig vorgearbeitet, und du sollst die Sache zum Schlusse führen. Es liegt nämlich vier Ruderstunden aufwärts von hier ein Schiff, welches Ibn Asl gehört.«

»Allah, Allah!«

Der Sangak hatte bis jetzt schnell und unbefangen geantwortet; den letzten Ausruf that er in erschrockenem Tone.

»Auf diesem Schiffe,« fuhr der Mudir fort, »befindet sich jener Türke, nach welchem ich dich fragte. Er hat eine Schwester mit, welche das Weib Ibn Asls werden soll.«

»Woher weißt du das?« erklang es in gepreßtem Tone.

»Nachher, nachher! Vorher mußt du wissen, daß Ibn Asl sich jetzt bei den Dinka befindet, um eine Schar ihrer Krieger zu einem Sklavenzuge anzuwerben. Man hat dieses Schiff bewacht und heute früh bemerkt, daß ein Boot anlegte, in welchem zwei lange runde Pakete lagen, die an Bord geschafft wurden. Kannst du vielleicht erraten, was sich in diesen Paketen befunden hat?«

»Wie könnte ich das wissen!«

»So suche es zu erfahren. Das eben ist das Geheimnis, welches ich so gerne aufgeklärt wissen möchte. Du bist schlau, sehr schlau, und ich denke, daß es dir nicht schwer fallen wird, das Richtige zu entdecken.«

Während dieses Gespräches hatte ich den Teppich ein wenig zur Seite geschoben, um die beiden zu beobachten. Der Mudir saß mit dem Gesichte, der Sangak mit dem Rücken nach uns gerichtet. Jetzt glaubte ich den richtigen Augenblick gekommen und flüsterte Ben Nil zu:

»Geh leise hinein, und bleib neben der Thüre stehen!«

Ich schob ihn hinein und sah, daß über das Gesicht des Mudirs beim Anblicke meines verkleideten Gefährten ein Lächeln der Befriedigung glitt. Der Sangak fühlte sich jedenfalls nicht übermäßig behaglich. Er schien nachzudenken, was er in diesem Augenblicke von dem Mudir zu halten habe, denn es dauerte eine kleine Weile, ehe er antwortete:

»Ich werde es entdecken, Herr. Ich werde sofort aufbrechen und das Schiff ausfindig machen. Die Pakete müssen doch noch vorhanden sein.«

»Vielleicht auch nicht, doch kommt es nicht darauf an; ich will aber erfahren, was sie enthalten haben. Dies ist mir außerordentlich wichtig, so wichtig, daß ich dir für die Entdeckung dieses Geheimnisses eine Belohnung zugedacht habe, von deren Größe du jetzt keine Ahnung hast.«

»Mudir, ich bin der treueste deiner Diener,« versicherte der Arnaut geschmeichelt. »Mein Glück besteht nur in deiner Güte und Gnade!«

»Ja, du bist der treueste von allen. Darum habe ich dir als Beweis meiner Huld ein Weib ausersehen, ein Weib, mit dem sich keine Houri des Paradieses vergleichen kann.«

»Ein Weib?!« rief der Sangak erstaunt und enttäuscht.

»Ja, ein Weib; ein Vorbild der Schönheit und Tugend, ein Muster der Lieblichkeit. Damit du schon jetzt erkennst, welchen großen Schatz du erhalten wirst, sollst du diesen Engel aller Engel schon jetzt sehen dürfen. Tritt herbei, du Einzige, und enthülle dein Angesicht, damit dieser brave Sangak der Arnauten, hingerissen von dem Glanze deiner Augen und den Wundern deiner Seele, dir zu Füßen sinke!«

Er winkte Ben Nil, und dieser ging langsam näher. Der Sangak sprang auf. Er hatte schon ein Weib. Daß ihm noch ein zweites angeboten wurde, befremdete ihn, zumal er dasselbe sehen sollte, was doch eigentlich verboten ist. Er starrte die tief verhüllte Gestalt mit großen Augen an und sagte:

»Ein Weib, wahrhaftig ein Weib! Welche Überraschung! War sie schon die Frau eines anderen, oder ist sie noch ein Mädchen? Welche Farbe hat sie? Weiß oder schwarz?«

»Beantworte dir diese Fragen selbst. Sieh und staune!«

Der Mudir stand auch auf und entfernte den Schleier. Der Erfolg war ganz derselbe, den ich erwartet hatte: Der Arnaut stieß einen unartikulierten, heiseren Schrei des Schreckens aus.

»Nun, wie gefällt sie dir? Bist du nicht entzückt?« fragte der Mudir, indem er mit Bedacht eine solche Stellung annahm, daß der Sangak, der sich umgedreht hatte, mir wieder den Rücken zukehren mußte.

Dies benutzte ich, um auch unbemerkt von dem letztern einzutreten. Er antwortete nicht. Sein Gesicht war fahl geworden. Es schien, als ob er sich gar nicht bewegen könne.

»Du bist sprachlos vor Wonne,« höhnte der Mudir. »Wenn das bei dem Anblicke des einen Paketes geschieht, wie groß wird deine Seligkeit erst sein, wenn du auch das andere erblickst. Siehe dich um!«

Der Arnaut gehorchte wie mechanisch dieser Aufforderung. Sein Auge fiel auf mich, und mein Anblick gab ihm sofort seine Fassung zurück.

»Bei der Hölle!« schrie er auf. »Man hat mit mir gespielt, aber man soll nicht weiterspielen. Der Scheitan vernichte euch alle drei!«

Er wendete sich nach der Thüre, um schleunigst zu entkommen; aber ich vertrat ihm den Weg.

»Fort mit dir, Hund!« fuhr er mich an. »Du bist mir widerlich.«

»Vielleicht darum sagtest du mir gestern abend, daß wir uns nicht wiedersehen würden,« antwortete ich ihm. »Ich aber war überzeugt, dich wiederzufinden, da ich mit dir abzurechnen hatte.«

»Fort! Zur Seite, oder ich mache mir den Weg!.«

Er zog das Messer und zückte es zum Stoße. Da schlug ich ihm von unten herauf an den Ellbogen, daß er es fallen ließ, packte ihn, hob ihn empor und warf ihn zu Boden, daß ich glaubte, er habe das Genick gebrochen. Er hatte die Augen offen, rührte sich aber nicht.

»Allah, Allah!« rief der Mudir. »So verfährst du mit diesem Riesen! Das ist es, was mir der Reïs Effendina berichtet hat, und was ich nicht glauben wollte. Ist er tot?«

»Nein,« antwortete ich. »Er wird sich sogleich bewegen, ganz plötzlich, um – –«

Ich sprach nicht weiter, denn was ich erwartet hatte, das geschah: der Sangak fuhr plötzlich mit der Hand in den Gürtel und riß eine Pistole heraus, um sie auf mich zu richten, wobei er den Oberkörper aufschnellte. Seine Unbeweglichkeit war eine Finte gewesen. Ben Nil stand hinter ihm, bückte sich rasch nieder und ergriff die Hand, welche die Pistole hielt; zugleich versetzte ich ihm einen Fußtritt gegen den Magen, daß er wieder hintenüberflog und die Waffe fallen ließ. Er wollte sich aufrichten, um die Gegenwehr fortzusetzen; der Fußtritt aber hatte ihn unfähig dazu gemacht. Mit halberhobenem Körper streckte er mir die geballte Faust entgegen und stieß dabei einen Fluch aus, welcher unmöglich wiedergegeben werden kann.

»Laßt ihn!« gebot der Mudir. »Der Schurke ist nicht wert, von euern Händen berührt zu werden. Effendi, du hast gehört, was ich meinem ›Vater der Prügel‹ geboten habe. Ist einmal ein solcher Befehl gegeben, so ist auch dafür gesorgt, daß wir den Betreffenden sicher haben. Ihr braucht euch nicht mit ihm zu bemühen.«

Er klatschte in die Hände, und auf dieses Zeichen traten von zwei Seiten Schwarze herein, welche den Sangak ergriffen und vom Boden aufzogen. Er sah den »Vater der Prügel« und ahnte, was man mit ihm vorhatte.

»Willst du mich etwa schlagen lassen?« brüllte er den Mudir an.

»Ich beabsichtige nur, deinen eigenen Willen an dir zu erfüllen,« antwortete dieser. »Du hast mir vorhin den vortrefflichen Rat der Bastonnade gegeben, und er wird nun an dir selbst ausgeführt.«

»Weißt du, was das bedeutet?«

»Nichts weiter, als daß ein Hund geprügelt wird.«

»Aber dieser Hund hat Zähne! Nur ein kleiner Wink von mir, und meine Arnauten fallen über dich her! Du kennst mich noch nicht!«

»Ich kenne dich genau. Ich habe dir vorhin die Namen deiner Freunde genannt; das überhebt mich der Mühe, dir dein Sündenregister vorzuhalten. Wenn du meinst, daß ich dich noch nicht kenne, so weiß ich um so sicherer, daß du mich kennst. Man nennt mich Abu Hamsah Miah. Du bekommst fünfhundert!»

»Fünf-hun-dert!« schrie der Arnaute. »Das kostet dein Leben!«

»Drohe nicht noch! Bitte Allah, daß er dich sicher über die Brücke des Todes geleite, damit du nicht hinab in die Feuer der Dschehenna stürzest!«

Der Arnaut zuckte zusammen, warf einen unbeschreiblichen Blick auf den Mudir und fragte stockend:

»Brücke – des – Todes! So willst – du mich – totpeitschen –- lassen?!«

»Du bekommst fünfhundert und wirst nicht mehr gesehen. So habe ich dem ›Vater der Prügel‹ befohlen, und was ich gesagt habe, das geschieht!«

»Noch nicht, noch nicht! Noch habe ich Arme und Hände, um mich zu wehren und dich zu zerreißen!«

Er wollte sich von den Schwarzen losmachen) um sich auf den Mudir zu werfen. Die Gehilfen des »Vaters der Prügel« aber besaßen Übung. Sie drückten ihn nieder, hielten ihn fest, und im Handumdrehen wurde ihm ein Leder um Kopf und Kinn geschnallt, durch welches der untere Kiefer so fest gegen den oberen gezogen wurde, daß er ihn nicht bewegen und also auch nicht schreien konnte. Dann trugen sie ihn hinaus.

»Er bekommt, was er verdient,« meinte der unerbittliche Statthalter. »Wir werden als Zeugen dabeistehen.«

»Ich nicht,« antwortete ich. »Ich verzichte darauf, bei einem solchen Auftritt zugegen zu sein.«

»Besitzest du schwache Nerven? Die darf ein Beamter hier nicht haben, wenn er der Gerechtigkeit die Wege bahnen will. Ich zwinge dich nicht, zugegen zu sein. Warte hier, bis ich zurückkehre.«

»Bleib‘ noch einen Augenblick, O Mudir! Ich habe dir noch Wichtiges zu sagen.«

»Was?«

»Vertraue mir eine Schar Asaker und einige schnelle Boote an! Wir müssen uns beeilen, das Schiff Ibn Asls wegzunehmen, sonst entkommt er uns.«

»Ich habe nichts dagegen, doch mußt du der Arnauten wegen, die dich nicht sehen dürfen, noch einige Stunden warten. Wenn sie dich bemerken und dann ihren Sangak vermissen, ahnen sie den Zusammenhang. Ich befinde mich zu kurze Zeit hier, um kräftig genug gegen sie sein zu können. Nicht der Mudir hatte bisher hier zu befehlen, sondern sie waren es, welche durch die Angst, die sie einflößten, regierten. Ich werde sie zähmen, doch geht das nicht so schnell, wie ich es wünsche.«

»Aber wie willst du es anfangen, daß ich mit Militär absegele, ohne daß die Arnauten es bemerken?«

»Ich schicke sie fort. Flußabwärts, um Steuer einzutreiben, wozu sie sich mit großen Freuden bereitfinden lassen werden. Ich will den Befehl dazu sofort erteilen.«

Er entfernte sich durch die Thüre, durch welche der Sangak geschafft worden war. Ich ging zu der anderen, wo der Fischer noch stand, mit Ben Nils Anzug auf dem Arm. Mein Gefährte nahm denselben, um sich umzukleiden. Dann setzten wir uns wieder zu den Pfeifen, um rauchend die Rückkehr des Mudir zu erwarten.

Während wir so still dasaßen, hörten wir ganz deutlich die Hiebe, welche genau nach dem Takte im Nebenzimmer fielen. Sie wurden erst von einem Stöhnen begleitet, welches nach und nach leiser wurde und dann ganz aufhörte. Das Gefühl, welches ich dabei hatte, ist nicht zu beschreiben. Ich hätte den Mudir hassen mögen und mußte doch einsehen, daß seine eiserne Strenge hier ganz am Platz sei.

Als er zurückkehrte, nahm er bei uns Platz und brannte sich auch seine Pfeife an. Gesprochen wurde nicht. Er lauschte mit seitwärts gebogenem Kopfe auf das klatschende Geräusch, welches mir durch Mark und Bein fuhr. Endlich wurde die Thüre geöffnet; der »Vater der Prügel« steckte den Kopf herein und meldete:

»Fünfhundert!«

»Und der Sangak?« fragte der Mudir.

»Wird nicht mehr gesehen, o Gebieter.«

»Fort mit ihm!«

Der Kopf des Schwarzen verschwand, und ich fragte:

»So ist der Arnaut tot?«

»Ja.«

»Wo wird er begraben?«

»Im Magen der Krokodile; die plaudern nichts aus. Jetzt wird der Baqquara an die Reihe kommen. Ich habe nach ihm geschickt. Ich versprach dir, ihn in deiner Gegenwart peitschen zu lassen. Dieses Mal bist du doch dabei?«

»Nein, ich danke.«

»Es ist nicht so schlimm, wie du denkst, Effendi. Nur dann, wenn der Betreffende nicht wiedergesehen werden soll, wird er so geschlagen, daß er daran sterben muß. Der Baqquara wird seine Hiebe in fünf Raten erhalten und dann zu seinem Stamm zurückkehren.«

»Ich bitte dennoch um Erlaubnis, fern bleiben zu dürfen!«

»Zwingen kann ich dich nicht. Horch, es beginnt bereits!« Die Schläge waren wieder zu hören. Da niemand sprach, mußte ich sie unwillkürlich zählen. Wie lange, wie unendlich lange dauerte es, bis der »Vater der Hiebe« seine »hundert« meldete! Und die hatte ein freier Baqquara, ein Verwandter des späteren Mahdi, bekommen! Er wurde in den Kerker zurückgeschafft, um die übrigen vierhundert in vier wöchentlichen Raten ehrlich verabreicht zu erhalten.

Nun erinnerte ich den Mudir an den Fischer, welcher noch immer auf seine hundert Piaster wartete. Er ließ ihn hereinkommen und fragte ihn:

»Erwartest du vielleicht, die Prämie zu bekommen, welche ich bekannt machen ließ?«

»Wenn deine Güte mir erlaubt, diese Hoffnung zu hegen, so thue ich es, o Gebieter,« antwortete der Mann in demütigem Tone.

»Meine Güte erlaubt dir nichts. Du hast nichts zu hoffen.«

»Aber ich habe dir doch den Effendi und auch Ben Nil gebracht!«

»Sie wären auch ohne dich gekommen. Ich stelle dir die Wahl: Entweder erklärst du, bezahlt zu sein, oder du bekommst fünfhundert. Was ist dir angenehmer?«

»Herr, ich bin bezahlt!«

»So kannst du gehen!«

Der »Vater der Fünfhundert« war ein Freund der Gerechtigkeit selbst auf die Gefahr hin, unmenschlich zu sein, aber den Beutel zu ziehen, das schien nicht zu seinen Passionen zu gehören! Der beste Mensch hat seine Schwächen! Der Fischer wendete sich zum Gehen, drehte aber unter dem Eingange den Kopf noch einmal um und fragte mich:

»Effendi, wirst du Wort halten? Ich bin ein armer Mann.«

»Was ist’s? – Welches Wort sollst du halten?« fragte mich der Mudir.

»Ich versprach ihm, daß er die hundert Piaster bekommen werde,« antwortete ich, indem ich in die Tasche griff.

»Und da willst du sie ihm geben? Was fällt dir ein! Du bist mein Gast und hast nichts zu bezahlen. Hörtest du nicht, daß er sie erhalten hat?«

»Gehört habe ich es, aber nicht gesehen. Erlaube mir, sie ihm zu geben!«

»Nein! Wenn du darauf bestehst, so soll er sie von mir bekommen. Aber Geld habe ich nicht. Die Steuern werden in Gestalt von Tieren und Früchten entrichtet, und so kann ich auch nur in dieser Weise bezahlen. Er mag zu meinem Schäfer gehen und sich drei Schafe geben lassen. Und nun fort mit ihm!«

Als ich mich am nächsten Tage erkundigte, erfuhr ich zu meiner Befriedigung, daß der Mann die Schafe wirklich erhalten hatte. Er schien dessen auch jetzt schon ganz sicher zu sein, denn er bedankte sich durch drei tiefe Verneigungen, wobei sein Gesicht vor Freude glänzte.

Kaum war er fort, so wurde gemeldet, daß die Arnauten abgezogen seien. Ihr Ziel war die Gegend von Kuek. Wehe den armen Menschen, bei denen diese Soldaten einzogen, um die Steuer zu erheben! Es war nicht nur diese zu zahlen, sondern auch der ganze Unterhalt für die Arnauten zu liefern, und den hatten diese selbst zu bestimmen. Was da für Ungerechtigkeiten vorkommen, kann man sich denken. Gewöhnlich ergreifen die Bewohner, sobald sie hören, daß sich die Steuersoldaten nahen, mit Weib und Kind, mit Hab und Gut die Flucht, um erst dann wieder zurückzukehren, wenn sie erfahren, daß die Asaker wieder fort sind.

Nun wurde eine Anzahl von Segelbooten aufgetrieben, welche fünfzig wohlbewaffnete Soldaten aufnahmen. Natürlich schloß ich mich mit Ben Nil dieser ebenfalls verspäteten Expedition an. Als wir aufbrachen, war der Mittag schon vorüber. Gegen fünf Uhr langten wir bei den drei Armleuchtereuphorbien an – das Schiff war fort.

Ich ging an das Ufer, um dasselbe zu untersuchen, und fand die Spuren vieler Menschen, welche an Bord gegangen waren. Sie waren alle barfuß gewesen; ihre Anzahl war unmöglich zu bestimmen; die Zeit aber konnte ich mit ziemlicher Sicherheit erraten. Die Eindrücke waren wenigstens fünf Stunden alt. Das Schiff konnte nicht eingeholt werden, und wir mußten unverrichteter Sache nach Faschodah zurückkehren.

Nach diesem Fehlschlag hoffte ich wenigstens, daß mir etwas anderes gelingen werde, nämlich die Ergreifung der fünf Takaleh, welche die drei Händler überfallen und zwei von ihnen ermordet hatten. Der dritte war wieder hergestellt.

Schedid, ihr Anführer, war mit dem Sangak der Arnauten bekannt. Es stand zu erwarten, daß er sich in der Nähe von Faschodah verbergen und dann einen Boten an den Arnauten senden werde. Da dieser Bote jedenfalls sich direkt nach der ihm bekannten Wohnung des Arnauten begab, so konnte er am besten dort erwartet und ergriffen werden. Darum ersuchte ich den Mudir um die Erlaubnis, die Wohnung mit Ben Nil und dem dritten Händler beziehen zu dürfen, was mir auch sehr gern gewährt wurde. Hafid Sichar, den wir von den Takaleh befreit hatten, zog auch zu uns, da er sich von mir nicht trennen wollte. Dazu kamen einige Soldaten zu unserer Bedienung. Sie hatten den Eingang zu bewachen und erhielten den Befehl, jeden, der nach dem Sangak fragen werde, sofort zu mir zu bringen.

Es war am Spätabende des ersten Tages, als wir einzogen. Der nächste Tag verging, ohne daß der erwartete Bote eintraf, kaum aber war der dritte Tag angebrochen, so hörten wir es draußen klopfen, und der Erwartete kam. Er wurde zu mir geführt und war nicht wenig betroffen, anstatt den Sangak mich zu sehen. Ich sagte ihm, daß ich allerdings der fremde Effendi, keineswegs aber der Mudir von Dscharabub, noch viel weniger ein Senussi sei. Auch teilte ich ihm mit, daß ich es gewesen sei, der ihnen Hafid Sichar und den Scheik der Baqquara entführt hatte. Das machte ihn noch viel ängstlicher, und er wollte nicht mit der Sprache heraus. Als ich ihm aber mit der Bastonnade drohte und, da auch das nicht half, die Vorbereitung dazu treffen ließ, bequemte er sich, mir den Ort zu sagen, an welchem sich Schedid mit seiner Karawane befand. Es war derselbe, etwa eine Stunde von Faschodah liegende Wald, in welchem wir die Rückkehr unseres Boten erwartet hatten. Als ich dies dem Mudir meldete, stellte er mir fünfzig Soldaten seiner Garnison, keine Arnauten, zur Verfügung, um die Karawane aufzuheben. Wir marschierten ab und nahmen den Boten mit, damit er uns die betreffende Stelle, welche er uns nicht genau hatte beschreiben können, zeigen solle. Er hatte zwischen Ben Nil und Hafid Sichar zu gehen, welche ihm bedeuteten, daß sie ihn beim geringsten Versuch eines Verrates töten würden.

Die Vorsicht veranlaßte uns, einen Umweg zu machen. Es war anzunehmen, daß Schedid in der Richtung nach Faschodah aufpassen werde und also unsere Annäherung bemerken müsse, falls dieselbe in gerader Richtung geschehe. Wir schlugen also einen Bogen, um anstatt von Osten her von Süden auf den Wald zu treffen.

Als wir denselben erreichten, drangen wir unter den Bäumen langsam vor. Da zeigte es sich, daß es dem Boten, eben weil wir aus anderer Richtung kamen, unmöglich war, die Stelle, an welcher seine Genossen lagerten, zu finden. Wir blieben also halten, und ich allein ging rekognoscieren.

Der Zufall führte mich schnell nach dem richtigen Orte. Hinter Bäumen wohl versteckt, konnte ich die Karawane beobachten. Sie lagerte auf einem Platze, welcher für uns sehr günstig war, denn er wurde auf zwei Seiten von Büschen eingefaßt, welche uns eine unbemerkte Annäherung gestatteten. Ich holte meine Soldaten herbei und stellte sie hinter diesen Sträuchern auf. Dann machte ich mir den Spaß, allein eine kurze Strecke zurückzukehren und mich dann von der andern Seite offen der Karawane zu nähern. Die Takaleh sprangen, als sie mich sahen und erkannten, überrascht auf.

»Der Senussi, der Senussi, der Mudir von Dscharabub!« riefen sie aus.

Ich trat so furchtlos, als ob es keine Differenzen zwischen uns gegeben hätte, zu ihnen heran und grüßte sie.

»Du bist hier, hier in der Gegend von Faschodah?« fragte der Schedid mit finsterer Miene. »Wie kommst du denn hierher?«

»Auf meinem Kamele.«

»Wo ist dein Begleiter, der junge Chatib der Senussi?«

»In der Nähe.«

»Was wollt ihr denn in Faschodah? Du kommst mir verdächtig vor. Warum habt ihr uns nicht gesagt, daß ihr nach Faschodah wollet?«

»Weil ihr uns zwar nach unserer Herkunft, nicht aber nach dem Ziele unserer Reise fragtet.«

»Seid ihr erst jetzt hier im Walde angekommen?«

»Nein. Wir waren schon früher hier. Wir wohnen in der Stadt bei dem Sangak der Arnauten, oder vielmehr in seinem Hause.«

»Bei diesem? Du weißt, daß ich ihn kenne. Ich habe einen Boten an ihn gesandt. Ist er zu Hause?«

»Jetzt nicht mehr. Er befindet sich im Himmel oder in der Hölle.«

»Allah w‘ Allah! So ist er wohl gar gestorben?«

»Ja, gestern.«

»An welcher Krankheit?«

»An der Bastonnade.«

»O Allah, O Muhammed, o Prophet! Willst du mit deinen Worten sagen, daß er totgeprügelt worden sei?«

»Allerdings.«

»Ein Sangak der Arnauten! Totgeprügelt! Das kann doch nur auf Befehl des Mudirs geschehen sein, und der war ja sein Gönner – sein Freund!«

»Der frühere, ja, nicht aber der jetzige.«

»Giebt es denn jetzt einen andern?«

»Ja. Ali Effendi el Kurdi wurde abgesetzt, weil er den Sklavenhandel begünstigte. Der neue Mudir heißt zwar auch Ali Effendi, ist aber ein ganz anderer Mann. Er rottet die Sklavenhändler aus und wird Abu Hamsah Miah genannt, weil er jedem Sklavenfänger, den er ergreift, fünfhundert aufzählen läßt.«

»So stehe uns Allah bei! Unsere Berechnung ist zu schanden. Unser Bote müßte längst zurück sein. Es wird mir angst um ihn. Wenn der Mudir ihn ergreift, wird er sagen müssen, weshalb er nach Faschodah gekommen ist.«

»Das schadet nichts.«

»Nichts? Soeben sagtest du, daß jeder Sklavenfänger fünfhundert Hiebe bekomme, und wir sind doch hier, um Sklaven zu verkaufen.«

»Die habt ihr aber nicht gefangen, sondern sie sind das Eigentum eures Mek, der dich mit ihnen nach Faschodah sandte. Du mußt die Befehle deines Gebieters erfüllen. Übrigens ist bei euch das Sklavenmachen ein Recht des Königs, welches der Mudir ihm nicht nehmen kann. Der letztere kann dich also nicht bestrafen, aber er wird dir verbieten, die Sklaven zu verkaufen.«

»Allah sei Dank, denn diese Worte erleichtern mein Herz; ich brauche nicht so um mich besorgt zu sein wie du um dich.«

»Ich um mich? – Wieso?«

»Du bist nicht derjenige, für den du dich ausgabst. Erst als du fort warst, kamen mir verschiedene Punkte deiner Aussagen verdächtig vor, und je länger ich über dieselben nachdachte, desto sicherer erschien es mir, daß du nicht aus Dscharabub bist. Jetzt läufst du mir wieder in die Hände, und ich will die Wahrheit wissen. Belüge uns nicht abermals, sonst kenne ich genug Mittel, die Wahrheit aus dir heraus zu bringen!«

»Pah! Was kann dir daran liegen, genau zu wissen, wer ich bin!«

»Viel liegt mir daran, denn ich habe dir in meiner Leichtgläubigkeit, in meinem vorschnellen Vertrauen, Dinge mitgeteilt, welche eigentlich niemand außer uns wissen darf. Wenn du jener verdammte fremde Effendi wärst!«

»Hm! Das ist wahr; aber du kannst es nun nicht ändern.«

»Nicht ändern?« fragte er, mich mit einem betroffenen Blicke musternd. »Was soll das heißen?«

»Es heißt, daß ich allerdings jener ›verdammte‹ Effendi bin.«

»Hund! Das wagst du mir zu sagen?!«

»Warum nicht! Ich sehe kein Wagnis dabei. Ich will dir sogar noch mehr sagen. Als wir von euch fort waren, verschwand der Baqquara, und auch ein Sklave Namens Hafid Sichar kam euch abhanden?«

»So ist es.«

»Diesen Hafid Sichar habe ich, während ihr schliefet, befreit; ich schnitt ihn von dem Seile los. Und den Baqquara nahm ich gefangen, um ihn in Faschodah bestrafen zu lassen. Er ist zu fünfhundert Hieben verurteilt, von denen er bereits hundert erhalten hat.«

»Welche Verwegenheit, mir das zu sagen!« rief Schedid aus, indem er beide Hände nach mir ausstreckte, als ob er mich ergreifen wolle. Er ließ sie aber wieder sinken, so perplex war er über meine vermeintliche Kühnheit. Ich fuhr unbeirrt fort:

»Das, was du mir über den Sangak mitteiltest, ist ihm freilich verderblich geworden, denn ich habe ihn angezeigt, worauf er die Bastonnade erhielt, an welcher er gestorben ist.«

»Du, also du bist schuld an seinem Tode! Und dessen rühmst du dich auch noch! Das soll auf der Stelle gerochen werden. Ich zermalme dich mit diesen meinen Fäusten!«

Er wollte mich jetzt in Wirklichkeit packen. Ich wich zurück und warnte ihn:

»Wage es nicht, mich zu berühren! Ich habe mich am Nid en Nil nur zum Scheine von dir besiegen lassen; im Ernste aber würdest du den kürzeren ziehen!«

»Es ist Ernst, vollständiger Ernst. Nun zeige mir den kürzeren, den ich ziehen soll!« schrie er, indem er auf mich eindrang.

»Ben Nil, herbei!« rief ich, indem ich dem riesigen Takaleh in raschen Wendungen auswich. Er drang mir immer ungestümer nach und achtete weder auf meine Worte noch auf das, was darauf geschah. Er hatte nur Augen für mich. Er hörte das Geschrei seiner Leute, bezog dasselbe aber auf seinen Kampf mit mir. Ich wich in der Weise vor ihm zurück, daß er den Seinen den Rücken zukehrte. Dabei stolperte er über eine Wurzel, und ich benutzte das, ihn zu packen und vollends niederzuwerfen. Er wollte wieder auf; ich hielt ihn aber fest, bis Ben Nil mit einigen Asakern herbeikam und ihn band.

Er knirschte vor Grimm. Seine Augen waren rot unterlaufen. Er hatte immer noch nur mich im Sinne und schrie mit heiserer Stimme: »Hund, du wagst es, mich zu binden! Der Tod des Sangak soll zehnfach über dich kommen!«

»Bist du denn plötzlich erblindete« antwortete ich ihm. »Sieh doch um dich, was geschehen ist! Wer soll dich denn frei machen? Etwa deine Leute?«

Die Takaleh waren vollständig überrumpelt worden. Unser Angriff war natürlich nicht auf die an das Seil befestigten Sklaven gerichtet, und es fiel diesen auch gar nicht ein, sich an dem kurzen Kampfe zu beteiligen. Und was die freien Krieger betraf, so hatten sie sich so wenig eines Überfalles versehen, daß sie leicht und schnell niedergerissen und entwaffnet worden waren. Sie bildeten jetzt eine enge Gruppe, um welche die Soldaten mit schußfertigen Gewehren standen. Als Schedid das sah, schrie er auf:

»Soldaten hier! Wir sind überfallen worden?! Lügner, Verräter, Betrüger! Ich glaubte, du seiest allein im Walde.«

»Das war sehr unklug von dir. Du wirst mir nach Faschodah zu dem Mudir folgen.«

»Was soll ich bei ihm? Du selbst hast mir ja soeben versichert, daß er mir nichts anhaben könne!«

»In Beziehung auf deine Absicht, diese Sklaven zu verkaufen, kann er dir allerdings nichts thun; aber es giebt einen anderen, weit triftigeren Grund, welcher mich veranlaßt hat, euch hier so freudig zu überraschen. Giebt es vielleicht einen oder mehrere unter euch, welche Goldstaub aus dem Dar Famaka bei sich tragen?«

»Goldstaub? Aus Famaka? Wir sind ja nie in jenem Lande gewesen,« antwortete er, indem er sichtlich verlegen wurde.

»O man kann Thibr von dorther besitzen, ohne jene Gegend jemals gesehen zu haben. Man kann durch Tausch und auch durch Diebstahl oder durch Raub in seinen Besitz gekommen sein.«

»Was willst du damit sagen? – Ich verstehe dich nicht.«

»Ich will damit meine Ansicht aussprechen, daß fünf von euch solchen Staub bei sich tragen.«

Er erschrak, schwieg eine Weile und behauptete dann:

Ach weiß nichts davon.«

»So weiß ich mehr als du und werde dir diese fünf genau bezeichnen. Sind euch nicht nördlich vom Nid en Nil drei Händler begegnet, welche auf Eseln ritten?«

»Nein,« würgte er mühsam hervor.

»Lüge nicht! Du hast sie begrüßt und ausgefragt. Dann ließest du die Karawane vorausgehen und bliebst mit noch vieren bei den Händlern zurück, um sie zu ermorden, und wegen dieses Mordes bist du jetzt festgenommen worden.«

Und mich an seine Leute wendend, fuhr ich fort:

»Euer Anführer hat euch betrogen, ihr müßt zugeben, daß euch die drei Händler begegnet sind. Schedid erfuhr, daß sie viel Goldstaub besaßen, und beschloß, ihnen denselben abzunehmen. Er schickte euch voran und behielt nur vier bei sich, mit deren Hilfe er die Händler überfiel. Die fünf nahmen den Goldstaub an sich und haben euch jedenfalls die That verschwiegen, um nicht mit euch teilen zu müssen. War das kameradschaftlich gehandelt? Konnte nicht jeder von euch einen Anteil beanspruchen? Ihr wißt, wer die vier, welche mit dem Anführer zurückblieben, gewesen sind, und ich fordere euch auf, sie mir zu bezeichnen. Nur die Thäter trifft die Strafe; die andern können unbehelligt in ihre Heimat zurückkehren. Schweigt ihr aber, so macht ihr euch der That mit schuldig. Das gebe ich euch zu bedenken.«

Schedid versuchte den Folgen meiner Worte vorzubeugen, indem er in befehlendem Tone ausrief:

»Wir sind keine Räuber, keine Mörder. Wir haben keinen Händler getötet und besitzen keinen Goldstaub. Meine Leute sind mutige Takaleh, und keiner von ihnen wird sich erniedrigen, dir, dem Ungläubigen, eine Antwort zu geben.«

Die Takaleh waren vorhin bei meiner Rede unruhig geworden; sie hatten gegeneinander gemurrt; die Unschuldigen hatten im Begriffe gestanden, sich von den Schuldigen zu scheiden, das hatte ich wohl bemerkt. Jetzt aber gaben sie diese Absicht auf; sie sagten nichts und bewegten sich auch nicht von ihren Plätzen. Ich hatte den von uns geretteten Händler mitgenommen und ihm verboten, sich zunächst sehen zu lassen. Er stand noch hinter dem Gebüsch, und ich rief ihn jetzt herbei. Er erhob seine Stimme schon ehe er mich erreicht hatte:

»Effendi, sie sind da, alle fünf. Ich habe sie sogleich erkannt.«

Er deutete auf den Schedid und noch vier andere, die ich sofort auch binden ließ. Wir untersuchten ihre Taschen, fanden aber nichts. Da ließ ich mir ihre Kamele zeigen, um die Decken, Sättel und Sattelsäcke zu durchsuchen. Das war von Erfolg. Jeder hatte seinen Anteil auf schlaue Weise versteckt, doch wurde alles gefunden. Erst nun hielten die Unschuldigen es an der Zeit, sich zu erklären. Einer von ihnen nahm das Wort:

»Effendi, Allah weiß es, daß wir unschuldig sind. Verlange jeden Eid; wir sind bereit, ihn zu leisten. Wir wissen nichts von der That. Wir sind betrogen worden!«

»Ich glaube dir und wiederhole meine Versicherung, daß euch nichts geschehen wird. Zwar muß ich auch euch zum Mudir bringen, doch wird er euch nicht festhalten. Nur wenn ihr euch weigert, mitzugehen, wird euch Strafe treffen.«

Ich hatte einen guten Grund, schon hier im Walde nach dem Goldstaube zu suchen und dies nicht später in Faschodah geschehen zu lasen. Wenn nämlich der Mudir den Staub in die Hände bekam, so stand zu erwarten, daß ein Teil davon, vielleicht gar alles in denselben kleben bleiben werde. Das wollte ich mit Rücksicht auf den armen Händler verhüten. Ich nahm denselben also, während zum Aufbruche gerüstet wurde, beiseite und fragte ihn:

»Kennst du vielleicht die Familien deiner beiden ermordeten Gefährten?«

»Natürlich kenne ich sie. Wir drei waren nahe verwandt und sind stets nur miteinander gereist. Du hast den Staub gefunden, Effendi. Was wird mit demselben geschehen? Besinnst du dich, daß du die Gnade hattest, mir zu sagen, daß ich wahrscheinlich wieder zu meinem Eigentum kommen werde?«

»Ja, ich weiß es. Ich halte dich für einen ehrlichen Mann, der seine Verwandten nicht betrügen wird. Hier hast du den Staub. Du wirst erfahren haben, wo eure drei Esel sich befinden; hole sie dir, und mache dich auf und davon, damit dir nichts genommen werde!«

Er hielt die fünf Päckchen in den Händen, blickte bald sie, bald mich an und fragte mit vor Glück zitternder Stimme:

Ast es möglich? Meinst du das wirklich so! Ich soll alles haben? Du willst nichts für dich behalten?«

»Nein. Ich habe kein Recht dazu, und wenn ich es hätte, würde ich nichts behalten.«

»O, Effendi! Da sind die fünf Pakete; nimm wenigstens eins, nimm zwei!«

Er hielt sie mir hin.

»Ich wiederhole, daß ich nichts nehme.«

»Aber wie soll ich dir deine Güte vergelten? Ich weiß, daß der Mudir sehr zornig auf dich sein wird.«

»Mag er; ich mache mir nichts draus. Sorge nur dafür, daß er nicht etwa deiner habhaft wird!«

»O, er wird mich nicht zu sehen bekommen. Ich werde laufen, gleich jetzt laufen und nicht eher ausruhen, als bis ich weit, sehr weit von Faschodah entfernt bin. Allah segne dich! Du bist ein Christ, Effendi; wären doch alle Moslemim solche Christen!«

Er drückte meine Hand an seine Lippen und eilte fort. Es fiel ihm nicht ein, mit uns zurück zu marschieren, und ich nahm ihm das auch gar nicht übel.

Der Aufbruch verursachte dadurch einige Schwierigkeiten, daß Schedid sich sträubte, mitzugehen oder sich fortschaffen zu lassen. Er war zwar gefesselt, besaß aber eine so ungewöhnliche Körperstärke, daß er uns selbst in diesem Zustande zu schaffen machte. Er konnte nur durch Ben Nils Peitsche zur bessern Einsicht gebracht werden; dann gaben wir ihm die Füße frei und banden ihn mittels eines Strickes an den Schwanz eines Kameles. Wollte er sich nun nicht schleppen lassen, so mußte er wohl oder übel laufen.

Seine vier Mitthäter waren klug genug, sich fügsamer zu zeigen. Die übrigen folgten freiwillig, wie sie es versprochen hatten.

Unser Zug erregte, als wir in Faschodah ankamen, kein geringes Aufsehen. Alt und jung lief uns nach, bis wir hinter der Thüre des Mudirgebäudes verschwanden. Als ich dem »Vater der Fünfhundert« meine Meldung machte, war seine erste Frage nach dem Goldstaube, ganz so, wie ich es erwartet hatte. Wie fuhr er auf, und wie blickte er mich an, als ich ihm mitteilte, wem ich denselben gegeben hatte. Er wurde grob, ja sehr grob und beehrte mich mit verschiedenen Namen, für deren Wiedergabe ich kein Bedürfnis besitze; er rannte gestikulierend im Zimmer umher, blieb endlich vor mir stehen und schnaubte mich an:

»Ich werde diesen Händler holen lassen. Er ist ganz gewiß noch da, wo eure Kamele und Esel untergebracht wurden, zu finden. Ich lasse ihn arretieren; ich sperre ihn ein; er bekommt die Peitsche; ich muß den Goldstaub haben, – ich muß! Verstehst du mich!«

»Wenn der Mann aber schon fort ist?«

»So laß ich ihn verfolgen, und wenn ich ihm meine ganze Garnison nachschicken sollte.«

»Und wenn auch das vergeblich ist?«

»So jage ich dich zum Teufel; hörst du, dich!«

»Kommst du dadurch zu dem Golde?«

»Nein, leider nein! Aber ich habe dann doch wenigstens eine Rache, eine – – ah, Rache! Dabei fallen mir die fünf raubmordenden Takaleh ein. Wehe ihnen, wenn der Goldstaub nicht zu erlangen ist! Sie sollen es mir büßen, schwer büßen!«

Damit war sein Zorn von mir ab und auf Personen gelenkt, denen es mehr als mir zu gönnen war. Er befahl, die ganze Sippschaft, Schuldige und Unschuldige, einzusperren und auf das strengste zu bewachen, und sandte dann Boten aus, welche den Händler samt seinem Golde herbeischaffen sollten. Ich zog mich in das mir zugewiesene Gemach zurück und ließ mich nicht eher sehen, als bis er mich gegen Abend zu sich rufen ließ. Er war noch immer sehr erregt und knurrte mich an:

»Er ist fort, über alle Berge, dieser Hund, und mit ihm der Goldstaub, welcher in die Kasse der Regierung gehört. Kein Mensch kann erfahren, wohin er sich gewendet hat. Er hat die Esel abgeholt und ist dann verschwunden wie ein Tropfen, welcher in das Wasser fällt. Allah vernichte ihn! Ich werde aber eine Entschädigung haben. Was ich an Goldstaub eingebüßt habe, werden die Takaleh an Schlägen mehr erhalten; das wird mein Herz erquicken und meine Seele beruhigen. Ich habe nach diesen Hunden gesandt, um sie holen zu lassen. Ich will jetzt Gericht halten und du mußt als Zeuge dabei sein. Komm!«

Er führte mich hinab in den Hof, wo sämtliche Takaleh unter militärischer Bewachung aufgestellt waren. Ben Nil und Hafid Sichar waren auch schon da. In einer Ecke stand ein barrenartiges Gestell, dessen Seitenteile durch breite Gurte und schmale Riemen mit Schnallen verbunden waren. Neben demselben lag ein Haufen fingerdicker Stöcke, und daneben saß der »Vater der Prügel«. Dies sagte mir, welchem freundlichen Zwecke das Gestell gewidmet sei. Das zahlreich anwesende Publikum nahm über die Hälfte des Hofes ein.

Es würde überflüssig sein, die »Gerichtsverhandlung« zu beschreiben. Schedid wurde mit seinen vier Mitschuldigen verurteilt zu »fünfhundert Hieben und dann nicht mehr sehen zu sein«. Die übrigen wurden freigesprochen, erhielten aber dafür, daß sie mit den Raubmördern eines Stammes waren, durch die Bank weg jeder zehn Hiebe zudiktiert, auch die Sklaven nicht ausgenommen. Diese letzteren wollten auf keinen Fall in ihre Heimat zurückkehren, wo sie die Gewißheit erwartete, doch noch einmal verkauft zu werden. Sie fragten mich um Rat, und ich verwies sie auf den Reïs Effendina, dessen Ankunft bald zu erwarten war. Er brauchte Leute zur Aufbringung der Sklavenjäger, und da die Takaleh den Ruhm tapferer Leute besitzen, so hegte ich die Überzeugung, daß er sie engagieren werde.

Als der Richterspruch gefällt worden war, begann der »Vater der Prügel« seine Arbeit. Die Takaleh wurden, einer nach dem andern, auf die erwähnte Stellage geschnallt, und jeder bekam seine zehn Streiche aufgezählt. Die dabei nötige Arbeit wurde so fabrikmäßig vollführt, und die Delinquenten nahmen ihre zehn mit – wie Uhland sagen würde – einem so schlichten Heldentume hin, daß mir das Zusehen beinahe eine spaßhafte Unterhaltung war. Als dann aber der erste Raubmörder eingeschnallt wurde, entfernte ich mich. Zehn oder fünfhundert Hiebe, das ist ein Unterschied. –

Der Reïs Effendina war wider Erwarten in Chartum und auch unterwegs aufgehalten worden. Er hatte sich so verspätet, daß er erst am sechsten Tage meines Aufenthaltes in Faschoda ankam. Er engagierte die Takaleh und versah sein Schiff mit Munition und frischen Vorräten. Dann begannen wir die Fahrt, von der wir erwarteten, daß sie uns sicher zum Ziele führen werde. Leider war der Vorsprung von sechs Tagen, welchen Ibn Asl vor uns hatte, nicht so leicht und schnell, wie wir gern wünschten, einzuholen. – – –

Die Seribah Aliab


Die Seribah Aliab

Eine Fahrt auf dem weißen Nile wird bis zur Eimündung des Sobat, wenn man aufwärts segelt, dadurch erleichtert, daß bei Anbruch des Tages sich regelmäßig ein guter Nordwind erhebt, welcher während des ganzen Tages kräftig in den Segeln liegt und erst am Abend einschläft, um am nächsten Morgen seine Arbeit von neuem zu beginnen. Hat man aber den erwähnten Fluß erreicht, so verliert sich der Wind entweder, oder man kann ihn wegen der unzähligen Krümmungen des Flusses nicht mehr recht benutzen. Man segelt dann nur, wenn der Nil die dazu geeignete Richtung hat, und muß in den Zwischenzeiten versuchen, mit Hilfe des Zugseiles und der Stoßstangen vorwärts zu kommen. Das ist eine schwere und mühselige Arbeit. Ist das Ufer so fest und trocken, daß die am Seite ziehenden Leute dort gehen können, dann ist man schon zufrieden. Bildet es aber Sümpfe, in denen man versinken würde, so müssen die Boote vorgespannt werden, welche das Schiff zu ziehen haben. Selbst dies ist dann nicht möglich, wenn die ganze Oberfläche des Flusses, was sehr häufig vorkommt, mit Omm Sufah-Strecken bedeckt ist, durch welche man nicht zu rudern vermag. Dann kann man nur bei den Stoßstangen Hilfe suchen. Oft bedarf man eines ganzen Tages, um das Fahrzeug durch ein einziges Omm Sufah-Feld zu bringen. Dann segelt man eine halbe Stunde lang über eine freie, offene Stelle des Stromes, um nachher auf eine noch längere und dichtere Schilfstrecke zu stoßen. Das ist außerordentlich, ja fast unausstehlich langweilig.

Dazu kommt die veränderte Scenerie der Ufer. Der Nil ist hier nicht der durch dürres Wüstenland gehende Fluß, dessen Feuchtigkeit nur dem nahen Ufergelände erlaubt, eine allerdings reiche Vegetation zu tragen, sondern er greift in vielen Haupt- und Nebenarmen über ein weites, niedriges, sumpfiges und meist dicht bewaldetes Gebiet. Dort herrscht das Fieber; dort werden die Stechfliegen zur entsetzlichen Plage; dort liegen riesige Krokodile zu hunderten im Schlamme; Nilpferde weiden auf dem Grunde des Flusses, und zahlreiche größere und kleinere Raubtiere bevölkern die dichten, oft undurchdringlichen Wälder. Man kann tagelang fahren, ohne einen einzigen freien Ausblick zu genießen. Das Wasser ist fast ungenießbar; das erlegte Wildbret fault schon nach zwei Stunden; der mitgenommene Proviant verdirbt, man möchte bezweifeln, daß Menschen hier zu existieren vermögen, und doch leben sie da, in ganzen Völkern, ganzen Stämmen, oft streng voneinander getrennt, oft eng vermischt und dennoch ihre charakteristischen Eigenschaften treu bewahrend.

Diese Menschen, die Bewohner, keineswegs aber die Herren des »schwarzen« Erdteils, sind alle mehr oder weniger von dunkler Farbe – Neger – – das vielgesuchte Wild der Sklavenjagden.

Der Weiße kommt, befreundet sich mit einem Negerstamme, erhält durch List oder für einen lumpigen Preis ein Gebiet abgetreten und errichtet auf demselben eine Niederlassung, Seribah genannt. Er ist im Besitze größerer Kenntnisse und überlegener Waffen; seine anfängliche Freundlichkeit verwandelt sich bald in Strenge; die Schwarzen fürchten ihn, während sie ihn vorher liebten.

Er läßt andere Weiße kommen, die er angeworben hat, Auswürfe aller Gegenden und Bevölkerungsklassen des Orients. Sie bringen Flinten und Pulver mit, suchen nebenbei durch schlechtes Baumwollenzeug, Branntwein, Tabak, Glasperlen die Schwarzen zu ködern. Sie sind gekommen, um Elfenbein zu suchen, weißes in Gestalt von Elefantenzähnen und schwarzes in – menschlicher Gestalt.

Der Scheik des schwarzen Stammes wird mit seinen Leuten gewonnen, indem man einen Anteil der Beute verspricht. Der Raubzug beginnt. Die weißen Teilnehmer nennen sich Asaker; sie sind Offiziere, Unteroffiziere und gewöhnliche Asaker; sie wagen am wenigsten und nehmen den Löwenanteil des Raubertrages für sich. Die Schwarzen sind nicht Soldaten; sie müssen die schwersten Arbeiten verrichten, Kundschafterdienste thun, sich den größten Gefahren aussetzen, die vordersten beim Angriffe sein und erhalten so viel oder so wenig, daß die ihnen gewährten armseligen Vorschüsse sich mit dem ihnen zufallenden Anteile gewöhnlich aufheben oder gar der Rest in Schulden besteht.

Bei größeren und besser organisierten Jagdgesellschaften giebt es auch schwarze Soldaten, die aber gegen die Weißen immer im Nachteile sind. Der Besitzer einer Seribah zahlt den Sold vom Raube aus, mag derselbe nun in Menschen oder Rinderherden bestehen. Die schwarzen Asaker bekommen die alten oder kranken Sklaven und Kühe, von denen sie keinen Nutzen haben.

Und wie wird eine solche Ghasuah, eine solche Sklavenjagd arrangiert und ausgeführt? Nun, ganz genau in derselben Weise, wie ein Einbrecher verfährt, welcher sich mit fremdem Gute bereichert und früher oder später dem Zuchthause verfällt. Nur ist der Sklavenjäger ein ganz klein wenig schlimmer als der Einbrecher, da er Menschen stiehlt, ganze, große Dörfer verheert und entvölkert, und während er hundert Sklaven macht, wenigstens ebensoviel Greise und Kinder als für sich unbrauchbar umbringt. –

Seit unserer Abfahrt von Faschodah waren drei Wochen vergangen, und wir lagen am Einflusse des Rohl in den Bahr el Dschebel. Den Verhältnissen Rechnung tragend, konnten wir mit unserer Fahrt zufrieden sein. Der »Falke« war scharf gebaut; er gehorchte dem Winde, dem Zugseile und den Stoßstangen viel williger als ein schwerfälliger Noquer und ging leichter als ein solcher durch die vielen Schilffelder, welche wir zu durchschneiden hatten. Seine innere Einrichtung bot mehr Bequemlichkeit als diejenige eines Sklavenschiffes. Unsere Vorräte hatten sich gut erhalten. Wir fingen Fische, schossen täglich Wild, hatten eine gute Schiffsapotheke und besaßen Mosquitonetze für alle Mannen. Unser Gesundheitszustand war darum ein verhältnismäßig ganz vortrefflicher.

Leider hatten wir im See No eine kleine Havarie erlitten, welche uns drei volle Tage aufgehalten hatte, und es fehlte uns ein Lotse, welcher die Gegend kannte. Der eigentliche Steuermann des »Falken« und der alte Abu en Nil, sie kannten beide den Fluß nur bis zu dem See No. Seit wir aus demselben in den Bahr el Dschebel eingebogen waren, befanden wir uns in beinahe vollständiger Unkenntnis derjenigen Flußverhältnisse, mit denen wir in Betracht unserer Aufgabe wenigstens ebenso vertraut wie Ibn Asl hätten sein müssen.

Wir suchten die Seribah Aliab. Wo lag dieselbe? Mehrere unserer Leute hatten behauptet, sie leicht finden zu können; aber jetzt zeigte es sich, daß sie sich zu viel zugemutet hatten. Da, wo wir jetzt lagen, begann die Landschaft Aliab. Die daselbst wohnenden Nuehr-Neger nennen sich Aliab; eine Seribah Aliab aber war schlechterdings nicht zu entdecken. Hier und da war uns ein einsam rudernder Neger begegnet, und wir hatten uns erkundigt, leider aber nichts erfahren.

Unsere Bemannung bestand aus den eigentlichen Matrosen, den gemieteten Takaleh und hundert Soldaten, welche unter einem Hauptmann standen. Mochte die Mannschaft Ibn Asls noch so stark sein, wir fürchteten uns nicht.

Der Strom war hier am Einflusse des Rohl sehr breit. Die Sonne brannte förmlich nieder, und kein bewaldetes Ufer bot Schatten. Es gab nur Schilf und nichts als Schilf. Die Leute hatten sich mit den Stoßstangen anstrengen müssen und waren ermüdet; darum hatten wir Anker geworfen, um auszuruhen und die größte Hitze vorüber zu lassen. Das war mir zu langweilig, und ich beschloß, das kleine Boot zu besteigen, um irgend etwas Eßbares zu schießen. Ich wurde nämlich als Proviantmacher des Schiffes betrachtet, da ich meist im Boote voraus war, um zu jagen.

Ben Nil begleitete mich wie gewöhnlich. Ich nahm ihn gern mit, da man nicht gut stets schußfertig sein kann, wenn man das Ruder zu führen hat. Zuweilen bat mich der kleine Djangeh-Knabe, ihn mitzunehmen, und ich erfüllte ihm dann und wann die Bitte, weil er sich kindlich über alles freute, was ich schoß. Dieser Knabe und seine Schwester waren, wie bereits früher erwähnt, ihrem Djangeh-Stamm geraubt und nach Kairo gebracht worden, wo sie im Dienste des Mokkadem arbeiten, ihm alles Geld abliefern mußten und dafür Hunger zu leiden hatten und Prügel bekamen. Ich hatte sie aus dieser Sklaverei befreit und auf den »Falken« gebracht, wo sie sich jetzt noch befanden. Sie wurden ihren Kräften angemessen beschäftigt, gut verpflegt und mit Liebe behandelt. Da sie mir ihre Befreiung zu verdanken hatten, war es kein Wunder, daß sie mir eine ganz besondere Zuneigung erwiesen. Wir hegten die Absicht, sie ihrem Stamme zurückzubringen, hatten aber noch keine Gelegenheit dazu gefunden.

Jetzt schlief der Knabe, weshalb ich nur Ben Nil aufforderte, mich zu begleiten. Wir stiegen in das Boot und stießen vom Schiffe ab. Der Bahr el Dschebel hatte mir schon viele Beute geliefert, darum steuerte ich jetzt dem Rohl entgegen, um zu sehen, ob ich auf diesem Nebenflusse ebenso glücklich sein werde.

Leider war die Zeit nicht günstig. Die Hitze war zu groß und die Tierwelt lag wie zum Tode erschöpft. Um die Glut ohne Schaden auszuhalten, mußten wir uns von Zeit zu Zeit Kopf und Brust befeuchten. So glitten wir wohl eine Stunde lang zwischen Omm Sufah-Inseln aufwärts; dann meinte Ben Nil, daß es wohl geraten sei, nun umzukehren. Ich wollte aber nicht ohne Beute zurückkommen und stand im Boote auf, um besser Umschau halten zu können. Da sah ich oberhalb der Stelle, an welcher wir uns befanden, einen Gegenstand, welcher sich abwärts auf uns zu bewegte. Oben hell und unten dunkel, konnte er aus solcher Entfernung für einen großen Schwimmvogel mit dunklern Körper und weißem Kopf und Hals gehalten werden. Ich setzte mich schnell wieder nieder, um nicht gesehen zu werden, und gebot Ben Nil, das Boot an eine Schilfinsel anzulehnen, wo wir hinter den hohen Stengeln versteckt waren.

Ich nahm das Gewehr in die Hand, bereit, dem Vogel einen Schuß zu geben, ganz gleich, zu welcher Art er gehöre.

Nach einiger Zeit hörten wir ein schnell sich näherndes Plätschern. Ich legte an. Der Vogel erschien, und zwar gerade in Schußlinie. Herrgott, fast hätte ich abgedrückt! Es war kein Vogel, sondern ein Mensch, ein Schwarzer. Der Neger saß in einem leichten, dunklen Kahne und war nur mit einer westenartigen Leinwand bekleidet, welche seine schwarzen, muskulösen Arme frei ließ. Den Kopf hatte er in ein weißes Tuch gehüllt. Darum hatte er in seinem Kahne, von vorn gesehen, einem Vogel mit weißem Kopfe und Hals geglichen.

»Ein Mensch, ein Neger!« flüsterte Ben Nil. »Wollen wir ihm nach?«

»Natürlich! Vielleicht erfahren wir von ihm etwas über die Seribah Aliab. Lege dich in das Zeug! Er rudert schnell, und wir müssen ihn einholen.«

Ben Nil griff in die Riemen. Wir schossen hinter der Schilfinsel hervor und dann im Fahrwasser des Schwarzen dahin. Ben Nil war, wie bereits erwähnt, ein tüchtiger Ruderer; wir näherten uns dem Neger so schnell, daß er bald das Geräusch hörte. Er drehte sich um, sah uns, erschrak und begann nun, zu rudern, als ob er fliehen wolle. Er wollte uns entkommen. Das war verdächtig.

Von jetzt an kamen wir ihm nicht näher. Wir vertauschten daher die Plätze. Ich nahm die Ruder, und Ben Nil setzte sich an das Steuer. Ich war kräftiger als er. Die Ruder bogen sich unter meinem Drucke.

»Wir holen ihn, Effendi, wir holen ihn! Mach‘ so fort!« meinte Ben Nil.

Nach einer Minute sagte er, daß die Entfernung nur noch die Hälfte betrage. Darauf aber rief er:

»Er will zur Seite entkommen, zwischen die Schilfinseln hinein!«

»Nimm mein Gewehr, und schieß den rechten Lauf ab! Aber triff ihn nicht etwa!«

Der Schuß krachte und fast gleichzeitig hörte ich einen Schrei vor uns. Ben Nil hielt das Gewehr noch angelegt und berichtete mir, da ich mit dem Rücken nach vorn saß:

»Er hält an; er sieht mich schußbereit; er hat Angst und zieht die Ruder ein.«

»So laß mich wieder an das Steuer! Ich will selbst mit ihm sprechen.«

Wir wechselten die Plätze wieder. Der Neger hatte die Ruder im Boote liegen und erwartete uns. Sein nicht unhübsches Gesicht drückte halb Furcht, halb Trotz aus.

»Zu welchem Volke oder Stamme gehörst du?«

»Ich bin ein Bongo,« antwortete er.

»Wo willst du hin?«

»Nach Faschodah. Ich möchte gern Soldat werden und habe gehört, daß man dort Asaker braucht.«

»Das ist sehr wahr. Du wirst wohl angenommen werden.«

»Denkst du, o Herr? – Kennst du vielleicht diese Stadt?«

»Ja. Ich komme von dort her.«

Er wollte etwas sagen, verschluckte es, öffnete aber doch noch den Mund, um es hören zu lassen:

»Kennst du den Sangak der Arnauten?«

»Sehr gut.«

»Lebt er noch?«

»Warum sollte er tot sein?«

»Weil – weil – weil – –!«

Er stockte. Ich nahm das Steuer in die rechte, das Gewehr in die linke Hand und sagte ihm in strengem Tone:

»Bursche, du belügst uns. Du bist kein Bongo, denn da würdest du eine braunere Farbe haben; du aber bist tiefschwarz. Auch hat ein Bongo die Stirne niemals so tätowiert wie du. Wir werden uns näher kennen lernen. Da unten liegt unser Schiff. Du kannst es von hier aus nicht sehen. Rudere langsam vor uns her; wir folgen dir. Sobald du einen Versuch machst, uns zu entweichen, schieße ich dich durch den Kopf.«

Der Mann sah ein, daß Widerstand vergeblich sei, tauchte sein Ruder in das Wasser und bewegte sich langsam stromabwärts. Wir folgten ihm in demselben Tempo. Als wir den »Falken« erreichten, mußte er, so wie wir mit dem unsrigen thaten, sein Boot anbinden und dann mit uns das Deck besteigen. Er that dies mit der Miene eines Mannes, der sich seiner Unschuld bewußt ist, doch bemerkte ich gar wohl die besorgten Blicke, welche er um sich warf. Er war keineswegs so unbefangen, wie er sich den Anschein geben wollte. Der Reis Effendina, welcher bekanntlich von seinen Untergebenen Emir genannt wurde, erkundigte sich, warum ich ihn an Bord gebracht habe. Ich teilte es ihm mit. Er musterte den Neger und meinte dann:

»Er hat ein ganz harmloses Aussehen. Warum sollte er sich für einen Bongo ausgeben, wenn er keiner ist?«

»Aus irgend einem Grunde, den wir gewiß erfahren werden. Betrachte sein Gesicht! Die Tätowierung ist ganz eigenartig: in der Mitte der Stirn ein senkrechter Schnitt, von welchem nach beiden Seiten Linien, welche aus lauter Punkten bestehen, sich bogenförmig nach dem Scheitel und den Schläfen ziehen. In dieser Weise tätowieren sich, wenn ich mich nicht irre, die Dinka, aber niemals die Bongo. Er hat mich belogen, und das muß natürlich einen Grund haben. Daß er Soldat werden will, ist nicht wahr, und daß er mich nach dem Sangak der Arnauten fragte, muß den Verdacht natürlich nur noch erhöhen. Ich habe große Lust, ihn für einen Boten zu halten, welchen irgend jemand zu dem Sangak sendet.«

»Doch nicht etwa Ibn Asl?!«

»Entweder dieser oder ein anderer Sklavenhändler.«

»Wäre das richtig, so hätte dieser Schwarze für uns einen hohen Wert. Wollen ihn doch noch einmal vornehmen.«

Er gebot dem Neger, die Wahrheit zu sagen, und bedrohte ihn für den entgegengesetzten Fall mit schwerer Strafe, bekam aber ganz dieselben Antworten, welche ich vorher erhalten hatte. Nun wurde der Mann untersucht. Man fand nichts bei ihm, obgleich sich die Nachforschung sogar auf sein Haar erstreckte. Dasselbe war bis auf einen dünnen Büschel auf dem Scheitel glatt geschoren, was man auch nur bei den Dinkastämmen findet. Auch in seinem Boote fand man nichts.

Was war zu thun? Der Verdacht, welchen ich gegen diesen Neger hegte, war meiner vollsten Überzeugung nach ein sehr wohlbegründeter, aber wir konnten ihm nichts beweisen und hatten also kein Recht, ihn festzuhalten. Als ihm eröffnet war, daß er seine Kahnfahrt fortsetzen könne, fragte ich ihn, ob er wisse, wo die Seribah Aliab liege. Da überflog er mit einem forschenden Blicke unser Schiff, den Emir und mich und antwortete:

»Ja, ich weiß es.«

Dieser sein Blick war sehr beredt gewesen: ich schloß aus demselben, daß der Schwarze wußte, auf welchem Fahrzeuge er sich befand und welche Personen er vor sich hatte. Wenn ich mich damit nicht in einem Irrtume befand, mußte er auf uns aufmerksam gemacht worden sein, und zwar von wem? Doch nur von Ibn Asl. Daraus war die Veranlassung zu ziehen, seine Aussagen nur mit Vorsicht aufzunehmen.

»Nun, wo liegt sie?« fragte ich.

»Da oben,« meinte er, indem er mit der Hand den Hauptfluß aufwärts deutete, »in der Gegend, welche Bahita genannt wird, vier Tagereisen weit.«

»Was für Leute wohnen dort?«

»Ein Stamm des Schur-Volkes.«

Er gab diese Antworten langsam. Man sah und hörte, daß er sich jedes Wort, ehe er es aussprach, überlegte. Dabei besaß er nicht die nötige Gewalt über sein Gesicht, einen Zug wohlgefälliger Pfiffigkeit zu unterdrücken. Er freute sich innerlich über den Bären, welchen er uns aufzubinden meinte. Ich that so, als ob ich ihm glaube und fragte:

»Weißt du das genau? Bist du vielleicht dort gewesen?«

»Ich war dort,« behauptete er, indem er in die Falle ging, welche ich ihm mit meiner letzten Frage gestellt hatte.

»So! Dann weißt du also ganz bestimmt, was du sagst. Wie aber kommt es denn, daß nicht die Schur, sondern die Tuitsch jene Gegend bewohnen?«

»Die Tuitsch?« sagte er verlegen. »Die sind nicht dort.«

»O doch! Sie sind am rechten Ufer des Flusses, während am linken die Kytsch ihre Hütten haben. Das Gebiet der Schur beginnt viel, viel weiter westlich. Und die Entfernung soll nur vier Tagesfahrten betragen? Das sagst du, um uns bereitwilliger zu machen, nach Bahita zu segeln. Ich aber kenne die richtige Entfernung. Wir würden Bahita, selbst wenn wir stets günstigen Wind hätten, nicht unter fünfundzwanzig Tagen erreichen. Du bist unvorsichtig gewesen, denn deine Lüge war zu grob, zu handgreiflich.«

»Ich lüge nicht, Effendi!« beteuerte er.

»Effendi? Du gibst mir diesen Titel? Also kennst du mich?«

Seine Verlegenheit wuchs, doch antwortete er schnell:

Ach nenne jeden vornehmen Weißen so.«

»Also hältst du mich für einen vornehmen Mann und bildest dir dennoch ein, klüger zu sein als ich? Du irrst. Du willst uns in die Irre führen; wir aber werden uns hüten, uns nach deinen Unwahrheiten zu richten.«

»Herr,« rief er aus, »ich habe nichts als die Wahrheit gesagt!«

»Von allem, was du gesagt hast, ist nur das Eine wahr, daß du die Seribah kennst. Du willst haben, daß wir sie nicht finden, und hast daher eine falsche Richtung angegeben. Ich nehme gerade das Gegenteil für wahr an. Die Seribah liegt nicht am Haupt-, sondern am Nebenflusse, nicht am Bahr el Dschebel, sondern am Rohl, welchen du herabgerudert kamst. Sage mir doch, wem die Seribah Aliab gehört! Da du dort gewesen bist, mußt du es wissen.«

»Sie gehört – gehört – –« stotterte er verlegen – – »einem Weißen, dessen Namen ich vergessen habe.«

»Sage lieber, dessen Namen du nicht nennen willst, weil du nicht wünschest, von uns für einen Bekannten von ihm gehalten zu werden. Er heißt Ibn Asl. Erinnerst du dich?«

»Ja,« gab er zögernd zu.

»Schön! Du kennst diesen Mann. Du warst bei ihm. Du gehörst zu den Dinka, welche er unten am weißen Nile angeworben hat. Er sandte dich mit einer Botschaft an den Sangak der Arnauten in Faschodah und hat dich darauf aufmerksam gemacht, daß du uns möglicherweise unterwegs begegnen wirst. Er hat dir unser Schiff, den Reis Effendina und auch mich beschrieben und dir gesagt, wie du dich verhalten sollst, falls du mit uns zu sprechen kommst. Willst du so frech sein, dies abzuleugnen?«

Sein Verstand reichte nicht zu, einzusehen, daß ich nur durch eine ganz einfache, natürliche Logik zu diesen Behauptungen gekommen war. Er sah mir betroffen in das Gesicht, blickte dann zu Boden und – schwieg.

»Antworte!« forderte ich ihn im scharfen Tone auf.

»Es ist nicht so, wie du denkst,« versicherte er. »Ich bin ein Bongo und will nach Faschodah, um Soldat zu werden. Das habe ich dir schon gesagt und kann auch jetzt nichts anderes sagen.«

Diese Hartnäckigkeit hätte mich wohl in einige Verlegenheit gebracht, wenn nicht in diesem Augenblicke etwas ganz Unerwartetes geschehen wäre. Der Djangeh-Knabe, welcher, wie bereits erwähnt, geschlafen hatte, war erwacht und kam mit seiner Schwester auf die Gruppe zu, welche sich um den Emir, mich und den Neger gebildet hatte. Als sein Blick auf diesen letzteren fiel, blieb er wie versteinert stehen, starrte ihn mit großen, weitgeöffneten Augen an und schrie dann mit gellender Stimme auf:

»Agadi, Aba-charang!«

Diese Worte waren nicht arabisch, sondern aus dem Dialekte des Stammes, welchem die beiden Negergeschwister angehörten. Sie bedeuteten: Agadi, mein Vatersbruder! also: mein Oheim. Der Angeredete hatte die Kinder nicht bemerkt. Als er seinen Namen hörte, wendete er sich schnell zu ihnen um. Sie eilten auf ihn zu und er erkannte sie. Seine Überraschung war so groß, daß er sich, ohne sich zu bewegen, von ihnen umschlingen ließ. Sie weinten, nein, sie heulten vor Freude und kletterten an ihm empor. Da löste sich seine Erstarrung in einem schrillen Schrei des Entzücken. Er drückte sie an sich; er tanzte mit ihnen über das ganze Deck und brüllte dazu Worte, welche ich nicht verstand, weil sie nicht der arabischen, sondern der Dinkasprache angehörten, von welcher mir nur einige Worte und Redensarten bekannt waren. Nach einiger Zeit wurde er ruhiger und setzte sich mit ihnen nieder. Sie führten ein buntes, sehr lebhaftes Gespräch, welches wohl eine halbe Stunde währte.

Wir störten sie natürlich nicht und warteten das Ergebnis dieser Unterredung ruhig ab. Als er alles erfahren hatte, stand er auf, kam mit freudestrahlendem Angesichte auf mich zu, machte mir eine tiefe, sehr ehrerbietige Verbeugung und sagte, jetzt natürlich in arabischer Sprache:

»Effendi, verzeihe mir! Ich wußte nicht, daß diese Kinder hier seien und was du an ihnen gethan hast. Du bist ein guter, ein sehr guter Herr und kein so schlechter, böser Mann, wie ich vorher dachte.«

»Ah, also hast du mich doch gekannt?«

»Ja. Als ich euch da oben auf dem Flusse begegnete, wußte ich nicht, wer du warst; aber als ich das Schiff sah, erkannte ich, wen ich vor mir hatte.«

»Ich habe also vorhin richtig vermutet, wir sind dir beschrieben worden?«

»Ja, und zwar so genau, daß ich mich jetzt wundere, dich nicht sogleich erkannt zu haben. Ibn Asl that es.«

Zu dessen Kriegern du gehörst?«

»Ja, ich gehöre zu den Djangeh, welche er gemietet hat, ich bin sogar der Anführer derselben.«

»Du sollst eine Botschaft nach Faschodah bringen?«

»So ist es. Einen Brief an den Sangak der Arnauten, welcher Ibn Mulei heißt.«

»Wir haben ihn nicht gefunden. Du mußt ihn sehr gut versteckt haben. Wo ist er?«

»Effendi, ich habe Ibn Asl mein Wort gegeben, ihn nur an den Sangak abzuliefern.«

»Du bist ein ehrlicher Mann; Ibn Asl ist aber ein Schurke, der dich wahrscheinlich betrügen will.«

»Mich betrügen? – Wieso?«

»Du bist der Anführer der Djangeh-Krieger, und er kann dich als solchen unmöglich missen. Wenn er dich dennoch entfernt hat, so ist zu vermuten, daß er gegen deine Leute Absichten hegt, welche keine ehrlichen sind. Hatte er keinen andern, keinen Weißen, den er senden konnte? Deine Leute sollen führerlos sein. Verstanden?«

Er blickte sinnend und finster vor sich nieder. Dann sagte er:

»Ibn Asl sagte, daß es gerade ein großer Beweis seines Vertrauens sei. Er kann nichts Schlimmes gegen meine Djangeh vorhaben, denn er bedarf ihrer; ohne sie kann er keine Sklaven jagen.«

»Das ist wahr. Er wird mit ihrer Hilfe Sklaven fangen. Aber dann, wenn er sie nicht mehr braucht – –?! Wie nun, wenn er ihnen dann nicht nur ihren Lohn nicht auszahlt, sondern sie selbst zu Sklaven macht?«

Er sah mich erschrocken an. Er brauchte Zeit, sich ein solches Verhalten als möglich zu denken. Dann rief er aus:

»Effendi, kann denn so etwas überhaupt geschehen?«

»Ibn Asl ist jede, auch die größte Schlechtigkeit zuzutrauen. Und was für Menschen hat er bei sich? Frage deine jungen Verwandten, den Knaben und das Mädchen!«

»Sie haben mir alles, alles gesagt. Du hast sie errettet. Du hast schon viele andere Sklaven erlöst. Du weißt alles vorher. Dein Auge schaut in die Zeit, welche erst später kommt. Solltest du auch hier richtig gesehen haben! Dann wehe Ibn Asl! Wenn ich nur erfahren könnte, ob du recht hast!«

»Das ist sehr leicht zu erfahren. Es steht jedenfalls in dem Briefe geschrieben. Gieb ihn mir.«

»Aber – aber – –!«

Seine Ehrlichkeit sträubte sich, das ihm Anvertraute in unsere Hände gelangen zu lassen. Er kämpfte mit sich. Endlich entschied die Sorge um sich und die Seinen, und er entschied:

»Effendi, der Mensch darf nicht nur ehrlich sein, sondern er muß auch klug sein. Hat Ibn Asl Schlimmes gegen uns vor, so hilft meine Ehrlichkeit nichts dagegen.«

»So sage, wo du den Brief hast!«

Ich war neugierig, das Versteck zu erfahren, da wir ihn und sein Boot auf das genaueste durchsucht hatten, ohne etwas zu finden. Er antwortete:

»Das Schreiben steckt in einem kleinen Thongefäße, welches unten am Boden meines Bootes befestigt ist.«

Das Boot, welches sehr leicht war, wurde an Bord gezogen. Am Kiele desselben hing ein kleines, phiolenartiges Thonfläschchen, dessen Öffnung mit Harz verschlossen war. Wir schnitten es ab und zerbrachen es. Der Inhalt bestand in einem beschriebenen Papierblatte. Der Emir nahm das letztere, um es zu lesen, schüttelte den Kopf, betrachtete es abermals, schüttelte wieder den Kopf und fragte mich dann.

»Verstehst du persisch, Effendi?«

»Ja. Aber wie käme Ibn Asl zur Kenntnis dieser Sprache? Und auch der Sangak, welcher den Brief doch lesen soll, müßte sie verstehen. Ist der Brief denn persisch geschrieben? Zeig her!«

Er gab mir den Brief. Ich betrachtete die Zeilen, welche mit Tinte und Feder geschrieben waren; aber das war weder arabisch noch persisch. Ich konnte die Worte zwar lesen, fand sie aber vollständig unverständlich, bis ich auf die Idee kam, daß Ibn Asl sich wahrscheinlich einer bekannten Vorsichtsmaßregel bedient habe, damit der Brief, falls er in falsche Hände kommen sollte, nicht gelesen werden könne.

Das Arabisch wird bekanntlich von rechts nach links geschrieben; ich versuchte also, von links nach rechts zu lesen, und siehe da, es ging. Der Brief lautete:

»Ich sende dir Agadi, den Anführer meiner Dinkakrieger. Ich habe ihm gesagt, daß wir zu den Rohl ziehen, um sie zu Sklaven zu machen. Mein Zug ist aber gegen die Gohk gerichtet, was er jetzt noch nicht wissen darf, da dieselben zu den Dinkavölkern gehören. Sende mir sofort fünfzig oder mehr Asaker, welche weiß sein müssen, nach. Sie mögen mich auf der Seribah Aliab erwarten. Wenn ich von meinem Zuge dorthin zurückkehre, so werde ich mit Hilfe dieser Weißen die hundertfünfzig Dinkakrieger auch zu Sklaven machen. Dann brauche ich sie nicht zu bezahlen und werde noch Geld für sie bekommen. Ich entfernte den Anführer, damit sie nur mir zu gehorchen haben, und beauftrage dich, dafür zu sorgen, daß er nicht zu mir zurückkehrt. Ich erfuhr, daß der christliche Effendi bei dir war, und konnte doch nicht kommen, weil er uns entfloh und wir deshalb sehr schnell fort mußten. Da ich deine Klugheit kenne, bin ich überzeugt, daß dir sein Entkommen keinen Schaden bereitet hat. Er weiß nichts von der Seribah Aliab und wird uns also nicht finden, so viel er auch nach uns sucht. Und falls er davon erfahren hat, wird er diesem Dinka Agadi begegnen, dem ich Unterricht gegeben haben, ihn irre zu führen.«

Das war der Inhalt des Briefes, welcher weder Auf- noch Unterschrift hatte. Ich las ihn dem Emir vor. Der Djangeh hörte es und fragte, als ich fertig war:

»Wer ist der Dinka, von welchem die Rede ist?«

»Du selbst bist es und mit den Dinkakriegern sind deine Leute gemeint. Hast du hundertfünfzig Mann bei dir?«

»Ja. Wir sollen mit gegen die Rohl ziehen, um sie zu Sklaven zu machen.«

»Du hast aber gehört, daß der Zug nicht gegen diese, sondern gegen die Gohk gerichtet ist.«

»Das sind unsere Brüder. ich gebe es nicht zu!«

»Du bist doch nicht mehr dort und kannst also nichts dagegen thun. Seit du fort bist, haben deine Leute Ibn Asl zu gehorchen, und er wird ihnen sagen, daß du mit dem Zuge gegen die Gohk einverstanden bist. Kommen sie dann zurück, so werden sie zu Sklaven gemacht und verkauft, anstatt ihren Lohn zu erhalten. Und du, nun, du wirst in Faschodah sterben, falls du hingehst und diesen Brief abgiebst.«

Er sah mich mit ungläubigen Augen an. Er, der Neger, der Heide, konnte eine solche Schlechtigkeit nicht begreifen. Ich kam ihm zu Hilfe, indem ich ihm in kurzen Worten erzählte, was ich von Ibn Asl wußte, und das war mehr als genug, dem Manne zu zeigen, in welche Hände er geraten war. Als ich zu Ende gesprochen hatte, rief er aus:

»Effendi, erlaube mir, das Schiff zu verlassen! Ich muß fort, augenblicklich nach der Seribah zurück, um meine Leute zu warnen und mich an Ibn Asl zu rächen!«

Er wendete sich hastig von mir ab; ich hielt ihn am Arme zurück und antwortete:

»Bleib! Du kannst zwar gehen, wenn es dir beliebt, denn du bist frei und nicht mehr unser Gefangener, aber ich rate dir, bei uns zu bleiben. Du vermagst nun wohl nichts mehr zu ändern und gehst dem sichern Tode entgegen.«

»Ich werde Ibn Asl töten, nicht aber er mich!<

»Du kennst ihn nicht. Was bist du gegen ihn! Und – würdest du ihn denn noch auf der Seribah treffen?«

»Nein, denn er wollte die Ghasuah sofort beginnen. Ich muß ihm nach. Den Weg, den er eingeschlagen hat, werde ich auf der Seribah erfahren.«

»Du irrst. Man würde dich dort festnehmen und ermorden. Du allein vermagst nichts, gar nichts. Darum rate ich dir eben, bei uns zu bleiben. Mit uns kommst du wohl noch schneller nach der Seribah, als wenn du dich auf deine Ruderkraft verlassen mußt. Dann stehst du unter unserm Schutze. Wir eilen Ibn Asl nach und nehmen ihn und alle Weißen gefangen. Dann sind deine Djangeh gerettet.«

»Du hast recht, Effendi. Wenn ihr es erlaubt, werde ich bei euch bleiben. Wer hätte das gedacht! Ihr wurdet uns als die größten Feinde der schwarzen Völker beschrieben, und ich nahm mit Freuden den Auftrag, euch im Falle der Begegnung zu täuschen, an. Jetzt sind die Feinde zu Freunden und die Freunde zu Feinden geworden. Ich gab euch einen falschen Weg an. Ihr solltet den Bahr el Dschebel aufwärts segeln. Nun aber werde ich euch den Rohl aufwärts führen, um euch nach der Seribah Aliab zu bringen.«

»Wieweit liegt sie von hier?«

»Wir werden wahrscheinlich fünf oder sechs Tage brauchen.«

»Kennst du die Lage der Seribah genau?«

»Natürlich! Sie liegt am rechten Ufer des Flusses, uns also, wenn wir kommen, zur linken Hand.«

»Giebt es dort Berge?«

»Nein. Die Gegend ist vollständig eben. Wald und nichts als Wald. Die Seribah ist ganz von einem Dickicht umgeben, durch welches kein Mensch dringen kann. Als sie von Ibn Asl angelegt wurde, hat er viele Bäume umhauen lassen, die noch am Boden liegen. Zwischen ihnen sind andere emporgewachsen, dazwischen Sträucher und Schlinggewächse, wodurch der Wald um die Seribah einer Mauer gleicht, durch die man nicht zu kommen vermag.«

»Doch nur auf drei Seiten. Die Flußseite muß offen sein.«

»Sie ist ebenso verschlossen, und nur an einer einzigen Stelle befindet sich ein Eingang, welcher mit Balken und Dornen versetzt werden kann.«

»So ist diese Seribah ja die reine Festung!«

»Ja. Ibn Asl behauptet, daß sie von zehn Männern leicht gegen mehrere Hundert verteidigt werden könne.«

»Wenn die letzteren kein Geschick haben, ja. Wie ist das Innere beschaffen?«

»Es ist ein großer, viereckiger Platz, auf welchem wohl zwanzig runde Tokuls aus Schlamm und Schilf stehen. Sie sind sehr fest. Einen Tokul bewohnt Ibn Asl selbst, in zweien befinden sich die Vorräte, und in den übrigen halten sich die Asaker auf.«

»Natürlich wohnen die jetzigen Gäste Ibn Asls auch in solchen Hütten. Du hast diese Personen doch gesehen?«

»Alle. Sie befanden sich ja mit auf dem Schiffe, welches uns nach der Seribah brachte. Da gab es einen Weißen, welcher Abd el Barak hieß – –«

»Das ist der Mokkadem der Kadirine, aus dessen Händen ich die Kinder deines Bruders befreite. Weiter!«

»Ein anderer wurde Muza’bir genannt, und ein dritter war ein Türke, ein sehr dicker Mann. Bei ihm befand sich seine Schwester, welche von zwei weißen und zwei schwarzen Mädchen bedient wurde.«

»Weißt du, weshalb diese Türkin mitgekommen ist?«

»Um das Weib In Asls zu werden.«

»Die Hochzeit sollte auf der Seribah gefeiert werden. Ist sie schon vorbei?«

»Nein. Man will damit warten bis nach der Rückkehr von dem Sklavenzuge.«

»Weißt du, wer und wie viele sich an demselben beteiligen?«

»Alle, außer dem Türken, welcher seine Schwester nicht verlassen wollte, und zehn weißen Asakern, über welche ein alter, lahmer Feldwebel das Kommando führt. Aber Effendi, das könnte ich euch alles unterwegs sagen. Warum verliert ihr die Zeit, indem ihr hier liegen bleibt? Seht ihr nicht, daß der Wind die Wasser des Nils kräuselt?«

»Du hast recht, wir müssen den Anker lichten. Aber gut war es, daß wir hier liegen blieben, sonst wären wir den Bahr el Dschebel hinaufgesegelt und hätten dich nicht getroffen.«

Man lichtete den Anker, raaete die Segel in den Wind, und dann ging der »Falke« von seinem bisherigen Kurse rechts ab und in den Rohl hinein.

Dieser Nebenfluß war nicht so breit wie der Bahr el Dschebel, führte aber doch eine Wassermenge, welche weit größere Schiffe, als das unsere war, zu tragen vermochte. Ich habe schon gesagt, daß es in dieser Gegend nur Schilf und nichts als Schilf gab. Wir fuhren bis gegen Abend immer nur zwischen Omm Sufah-Inseln hin. Dann besäumten sich die Ufer mit grünen Büschen; der Baumwuchs stellte sich wieder ein, und dann gab es rechts und links nur Wald, dichten, geschlossenen Wald. Dabei wurde der Strom frei vom Schilfe, und wir hatten eine leichtere Fahrt. Nach Sonnenuntergang leuchteten die Sterne. Wir konnten weit sehen, und so war es uns möglich, die ganze Nacht hindurch zu fahren.

Dieses Glück begünstigte uns auch in den nächsten Tagen, sodaß wir eine außergewöhnlich rasche Fahrt machten und unser Ziel eher erreichten, als zu vermuten gewesen war. Schon am Abende des vierten Tages erklärte uns der Djangeh, die Seribah liege uns so nahe, daß wir sie in einer Stunde zu erreichen vermöchten. Wir mußten also stoppen und legten am rechten Ufer des Flusses an.

Jetzt galt es die Frage, was gethan werden solle. Sollten wir morgen, am hellen Tage, offen bei der Seribah anlegen? Das war nicht geraten, weil der Zugang zu derselben so leicht zu verteidigen war. Die Besatzung konnte uns trotz ihrer lächerlich geringen Zahl sehr zu schaffen machen. Übrigens war es doch noch nicht so sehr gewiß, ob Ibn Asl die Niederlassung schon verlassen hatte; es konnte sehr leicht ein Grund zur Verzögerung eingetreten sein. Darum hielt ich es für geraten, noch während dieses Abends eine Rekognoscierung vorzunehmen, und der Emir stimmte mir bei. Er hätte sich gern daran beteiligt, hielt es aber für seine Pflicht, auf dem Schiffe zu bleiben.

Ich brauchte zwei auf dem Wasser erfahrene Leute und suchte mir infolgedessen Ben Nil und seinen Großvater Abu en Nil aus. Natürlich mußte uns der Djangeh begleiten, da nur er wußte, wo die Seribah lag. Es war vielleicht neun Uhr abends, als wir vom Schiffe stießen.

Ben Nil und sein Großvater ruderten. Ich saß am Steuer, und der Djangeh hatte sich am Buge des Bootes niedergekauert. Die Sterne funkelten am Himmel und die Wasser strahlten ihre leuchtenden Bilder wider. In einer halben Stunde hatten wir den Aufgang des Mondes zu erwarten.

Wir hielten uns zunächst auf der Mitte des Flusses. Als wir aber eine halbe Stunde gerudert waren und uns der Seribah näherten, hielten wir auf das Ufer zu, um in den Schatten der Bäume zu kommen. Der Djangeh versicherte zwar, daß während seiner Anwesenheit kein Posten den Eingang bewacht habe, aber jetzt, wo sich nur noch zehn Mann da befanden, stand zu erwarten, daß der alte Feldwebel vorsichtiger sein werde. Wir mußten uns also so nähern, daß wir von einem etwaigen Wächter nicht bemerkt werden konnten.

Jetzt wurden die Sterne bleicher, denn der Mond ging auf, war aber noch nicht zu sehen, da er hinter dem Walde stand, der, indem wir leise an ihm vorüberglitten, einer dunklen Mauer glich, in welcher es keine wenn auch noch so kleine Lücke gab. Der Djangeh machte den Kommandanten des Bootes. Er deutete im leisesten Tone an, wie gerudert und wie gesteuert werden sollte. Die Ruder wurden dabei so vorsichtig eingetaucht und bewegt, daß sie kein hörbares Geräusch verursachten. Endlich flüsterte der Neger:

»Hier ist die Mischrah. Wir müssen anlegen.«

»Aber nicht an der Mischrah selbst, sondern vorher, an einem Baume!« verbesserte ich ihn.

Mischrah ist Landeplatz. Dorthin durfte das Boot nicht kommen, da es in diesem Falle von einem etwaigen Posten gesehen werden mußte. Wir konnten in der dichten Wand des Waldes eine Lücke bemerken, welche ungefähr zwanzig Schritte breit war. Das war der Landeplatz. Er stieg vom Wasser, immer schmäler werdend, zur Höhe des Ufers empor und endete an den Balken und Dornen, mit denen der Eingang zur Seribah verschlossen war.

Ich steuerte das Boot nach einem Baume, welcher halb im Wasser, halb am Ufer stand. Der Djangeh erhob sich vorn im Boote, um dasselbe am Baume zu befestigen, welcher aber eine lange, starke Wurzel in das Wasser herausstreckte. Sie war, vorzüglich hier im Schatten, nicht zu sehen; das Boot streifte auf und legte sich auf die Seite; der Djangeh verlor das Gleichgewicht, stürzte in den Fluß und stieß dabei einen sehr lauten Schreckensruf aus, da er wußte, daß es an dieser Stelle des Flusses Krokodile gab. Er ging unter, kam wieder empor und wurde von Ben Nil beim Arme ergriffen und festgehalten. Weiter oben gab es einige Sand- oder Schlammbänke. Ein dunkler Streifen zog sich von dort her schnell auf uns zu. Der Djangeh, weicher ängstlich um sich blickte, sah denselben und rief, im höchsten Grade erschrocken:

»Ein Krokodil, ein Krokodil! Hebt mich hinein!«

Er befand sich allerdings in größter Gefahr. Ich sprang vom Steuer auf, faßte ihn beim andern Arme, ein Ruck von mir und Ben Nil, und der Bedrohte flog herein in das Boot, welches dabei so ins Schwanken kam, daß es zu kentern drohte. Schon verschwand der Rand unter dem Wasser; da stieß das Krokodil mit dem Kopfe gegen denselben, zu unserm Glücke, denn das Boot wurde dadurch wieder aufgerichtet. Ben Nil versetzte der Bestie einen Ruderhieb auf die Schnauze, daß es unter der Oberfläche verschwand.

Nun wurde das Boot an dem Stamme befestigt, und wir blieben wohl zehn Minuten lang still sitzen, um zu lauschen. Als sich nichts regte, nahmen wir an, daß der Schrei und die Worte des Negers nicht gehört worden seien, und ich schickte mich an, auszusteigen.

»Nicht du allein!« flüsterte Ben Nil mir zu. »Nimm mich mit, Effendi!«

Da wir einen solchen Lärm verursacht hatten, hielt ich es für besser, zu zweien zu sein, und erteilte ihm also die erbetene Erlaubnis. Wir stiegen aus, da wo die Ecke des Waldes an das Wasser und an die Mischrah stieß. Ich hatte kein Gewehr mitgenommen und war nur mit dem Messer und den beiden Revolvern versehen.

Sobald unsere Füße den Boden berührten, kauerten wir uns nieder, um abermals eine Weile zu lauschen. Es herrschte das tiefste Schweigen um uns her, und nichts Verdächtiges war zu hören. Eben stieg der Mond über den Bäumen empor und ergoß sein Licht über den freien Raum der Mischrah. Wir konnten dieselbe überblicken. Sie lag so hell vor uns, daß selbst eine darüber hinweghuschende Maus unsern Blicken nicht zu entgehen vermocht hätte. Wir standen also auf, um hinaufzusteigen und zu untersuchen, in welcher Weise der Eingang zur Seribah verschlossen war. Der Verschluß bestand aus starken Pfählen, welche durch sehr dichtes Dorngeflecht verbunden waren, und hatte eine Höhe von gewiß zwölf Fuß.

»Da ist nicht durchzukommen, Effendi,« flüsterte Ben Nil mir zu. »Wir müssen umkehren.«

»Es war auch gar nicht meine Absicht, in die Seribah einzudringen,« antwortete ich ihm ebenso leise. »Laß uns sehen, ob diese Pfähle in die Erde gerammt sind. Die Leute müssen doch einen bequemen Durchgang haben, falls dieser Verhau sich als gar zu fest erweist, muß ich annehmen, daß hier irgendwo ein Schlupfloch vorhanden ist.«

Ich bückte mich nieder, um den unteren Teil der Pfähle zu untersuchen. Da ertönte neben mir ein Schrei von Ben Nils Stimme. Ich wollte mich rasch aufrichten, bekam aber einen Hieb auf den Kopf, daß ich die Besinnung verlor. – –

Als ich wieder zu mir kam, war ich mit Stricken geschnürt wie eine ägyptische Mumie mit Leinwandbinden und lag in einem Tokul, in welchem ein Feuer brannte, dessen Rauch durch eine im Dache gelassene Öffnung zog. Neben mir lag Ben Nil, ebenso gefesselt wie ich. Als er sah, daß ich die Augen öffnete, sagte er:

»Allah sei Dank, daß du erwachst! Ich hielt dich für tot, Effendi.«

Mein Kopf schmerzte mich. Es flimmerte mir vor den Augen, und um die Ohren summte es wie ein Bienenschwarm. Ich sah, daß wir uns allein befanden, und antwortete:

»Hat man dich auch niedergeschlagen wie mich?«

»Nein.«

»So kannst du erzählen, wie es zugegangen ist, daß wir uns hier befinden, wahrscheinlich in einem Tokul der Seribah.«

»Leider ja. Wir befinden uns da, trotzdem du sagtest, daß es gar nicht deine Absicht sei, hier einzudringen. Nun, eingedrungen sind wir freilich nicht, aber eingedrungen worden. Du hattest diese Worte eben ausgesprochen, als ich von hinten gepackt wurde. Ich schrie laut auf, denn ich wendete den Kopf und sah hinter dir einen Menschen stehen, welcher mit einem Ruder ausholte, um dich auf den Kopf zu schlagen. Der Hieb fiel, und du brachst wie tot zusammen. Es waren drei oder vier starke Kerle, welche mich hielten; sie wollten mich niederreißen; ich wehrte mich aus Leibeskräften, doch vergeblich.«

»Hoffentlich haben unsere beiden Genossen bemerkt, was geschehen ist.«

»Ich habe dafür gesorgt, daß sie es hörten, denn während ich mit den Angreifern rang, bin ich nicht still gewesen, sondern habe sie angeschrieen, damit mein Großvater es hören sollte.«

»Er wird mit dem Djangeh sofort nach dem Schiffe zurückgekehrt sein, um Hilfe zu bringen. Erzähle weiter.«

»Du hattest von einem Schlupfloche gesprochen, Effendi, und mit dieser Vermutung das richtige getroffen. Als man mich niedergerungen und einstweilen mit einer Schnur gebunden hatte, wurde ein Strauch zur Seite geschoben, und es entstand dadurch eine Lücke, durch welche ein Mann in gebückter Stellung kriechen konnte. Wir wurden durch diese Öffnung gebracht und hierher getragen, wo man mich noch besser fesselte und auch dich mit Stricken ganz umwickelte.«

»War Murad Nassyr, der dicke Türke, dabei?«

»Nein. Ich sah lauter unbekannte Gesichter.«

»Gut. Zunächst möchte ich wissen, was die Leute, welche uns überfielen, eigentlich da draußen zu thun hatten. Standen sie etwa Posten? Das thut nur einer.«

»Ich weiß es, Effendi. Ich entnahm es aus ihren Reden. Sie haben Fische stechen wollen. Du weißt, daß dies nur des Nachts geschieht. Man brennt am Ufer, oder auf einem Boote ein Feuer an, dessen Schein die Fische anlockt. Sie werden mit der Lanze gestochen. Die Männer waren eben durch das Schlupfloch gekrochen, um sich an das Wasser zu begeben, als sie unsern Djangeh schreien hörten. Sie blieben stehen, horchten und sahen uns beide kommen. Wir kamen an der linken Seite der Mischrah herauf, sie zogen sich in den tiefen Schatten der rechten Seite zurück und ließen uns ganz herankommen, um uns dann festzunehmen. Einer von ihnen hatte ein Ruder. Er war es, der dich mit demselben schlug. Meinst du, daß wir wieder loskommen werden?«

»Ich hoffe stets, also auch jetzt. Der Emir ist ja da.«

»Aber wenn man uns umbringt, noch ehe er kommt!«

»Mit diesem Gedanken haben wir allerdings zu rechnen. Wir sind unsern Feinden schon wiederholt entkommen, und um dies jetzt zu verhüten, können sie leicht auf den Gedanken geraten, uns sofort das Leben zu nehmen. Es ist zu verwundern, daß sie uns so allein lassen und keinen Wächter herstellen. Still, man kommt!«

Wir hörten Schritte. Die Matte, welche die Thüre bildete, wurde entfernt, und dann traten einige Männer ein, voran der dicke Murad Nassyr, hinter ihm der alte Feldwebel, wie ich an seinem hinkenden Gange erkannte. Der erstere stellte sich vor mich hin, strich sich behaglich den Bart und sagte in höhnischem Tone:

»Bist du wieder da? Hoffentlich wirst du uns deinen Besuch jetzt länger schenken. Oder beabsichtigst du auch heute, so schnell wieder zu verschwinden?«

Ich antwortete nicht; er wendete sich an den Feldwebel:

»Sieh, das ist der Christenhund, von welchem wir euch erzählt haben. Diese verdammte Kreatur setzt uns sogar bis hierher nach. Dies soll aber der letzte Weg sein, den er in seinem Leben macht. Ich schwöre bei Allah, daß er von hier nicht fortkommen soll! Er und sein Gefährte müssen sterben!«

»Ich habe nichts dagegen,« antwortete der Feldwebel. »Du bist an Ibn Asls Stelle jetzt Gebieter hier, und so bin ich dir Gehorsam schuldig. Wollen wir sie sofort hinausführen und erschießen?«

»Erschießen? Das wäre ein viel zu schneller Tod. Sie sollen langsam, sehr langsam sterben und mehrere Todesarten zu gleicher Zeit erleiden. Das ist eine längst beschlossene Sache. Wir müssen Todesarten finden, an denen noch niemand gestorben ist, Todesarten, bei denen es Schmerzen giebt, welche noch kein Mensch erduldet hat. Jetzt ist es Nacht. Ich will ihre Qualen sehen; ich will jeden Zug ihrer heulenden Gesichter beobachten. Das kann erst am Tage geschehen. Warten wir also, bis es licht geworden ist.«

»Sollen sie bis dahin hier liegen bleiben?«

»Nein, sondern wir werfen sie in die Dschura ed dschaza, wo sie so tief und sicher liegen, daß wir sie gar nicht zu bewachen brauchen. Indessen können wir den unterbrochenen Fischfang wieder aufnehmen. Unser Fleisch ist zu Ende; wir müssen Fische haben. ist das Boot der beiden Hunde in Sicherheit gebracht worden?«

»Ja. Es hing am äußersten Baume der Mischrah. Wir zogen es an das Ufer und können es nun gleich mit zum Fischestechen benutzen.«

»Das ist gut. Zwei Boote geben doppelten Fang. Wir sind zehn Asaker, der Feldwebel und ich. In jedes Boot fünf Männer, können zwei in der Seribah bleiben, um sie zu bewachen, was übrigens gar nicht nötig ist.«

»Ich halte es im Gegenteile für sehr nötig,« meinte der Feldwebel. »Meinst du, daß die beiden Feinde sich allein hier befinden? Könnten sie nicht auf dem Schiffe des Reis Effendina gekommen sein?«

»Ich werde sie fragen, und wehe ihnen, wenn sie mir nicht antworten, oder mir gar die Unwahrheit sagen!«

Er wendete sich jetzt wieder mir zu, trat mich mit dem Fuß auf den Leib und erklärte mir, indem er sein Messer zog.-

»Jedes Schweigen auf meine Fragen kostet dir einen Finger. Das merke dir. Ich scherze nicht. Sieh hier das Messer! Giebst du nicht sofort Antwort, so schneide ich. Du hast, als ihr bei Faschodah uns entkamt, mich laut verhöhnt; das wird dir nun vergolten. Ich werde dir beweisen, daß ich Herr über dich, über dein Leben und über alle deine Glieder bin! Bist du allein hierher gekommen?«

Dieser Türke machte Ernst. Es konnte mir nicht einfallen, zu schweigen; aber noch viel weniger fiel es mir ein, ihm die Wahrheit zu sagen, da es mein Leben galt. Eins war mir noch unerklärlich. Man hatte unser Boot gefunden und sich desselben bemächtigt; aber man sprach nicht von Abu en Nil und dem Djangeh, welche sich doch darin befunden hatten. Wohin waren die beiden geraten? Sie hatten des Boot verlassen. Zu welchem Zwecke? Um uns zu retten? Ich traute dem alten Steuermann keinen so männlichen Entschluß zu. Auch war er wohl kaum der Mann, denselben auszuführen. Es wäre für die beiden am klügsten gewesen, sofort nach dem Schiffe zurückzukehren und dasselbe noch während der Nacht herbeizuholen.

Daß der Türke in unserer Gegenwart vom Fischfange sprach, war eine Dummheit von ihm. Wir wurden dadurch mit der Situation bekannt, und es konnte sich uns doch immerhin eine Gelegenheit bieten, dieselbe auszunützen. Ich antwortete auf seine Frage:

Ach bin nur mit Ben Nil hier.«

»Wo ist der Reis Effendina?«

Ich that, als ob ich mit der Sprache nicht gern heraus wollte, da bückte er sich zu mir nieder, ergriff meinen linken Daumen, setzte das Messer an denselben und drohte:

»Antworte, sonst schneide ich! Wo ist er?«

»Er ist drüben im Bahr el Dschebel und sucht nach euch.<,

»Warum bist du nicht bei ihm?«

»Weil ich nicht glaubte, daß eure Seribah da drüben sei.«

»Wer es hat euch denn gesagt, daß sie drüben am Bahr el Dschebel liegt?«

»Ein Bongo-Krieger, Agadi.«

»Ah, also doch! Wohin wollte er?«

»Nach Faschodah, um Soldat zu werden.«

»Ihr habt ihn wohl auf euer Schiff genommen und ihn durchsucht?«

»Ja. Aber wir fanden nichts.«

»Fragtet ihr nach unserer Seribah?«

»Nein, denn wir kannten deren Namen nicht; aber wir fragten ihn nach Ibn Asl, und da sagte er, daß er ihn kenne, Ibn Asl habe eine Seribah Aliab droben in der Gegend, welche Bahita heißt.«

»Ihr glaubtet es?«

»Der Reis Effendina glaubte es, ich aber traute dem Manne nicht; darum nahm ich, als der Reis Effendina im Bahr el Dschebel aufwärts segelte, das Boot und ruderte mit Ben Nil den Rohl empor, um nach euch zu suchen.«

»Ich habe gehört, daß du bei Ibn Mulai, dem Sangak der Arnauten, warst. Wie geht es diesem?«

»Gut. Dieser Kerl ist schuld, daß ich Faschodah verlassen mußte. Ich hatte entdeckt, daß er es mit den Sklavenjägern hält; er hatte mich gefangen genommen und zu euch schaffen lassen. Es gelang mir, zu entkommen. Ich zeigte ihn in Faschodah an; aber er besaß das Vertrauen des Mudir in einem solchen Grade, daß dieser nicht mir, sondern ihm glaubte. Ich mußte fort und war froh, daß ich nicht die Bastonnade bekam.«

»Dir ist sehr recht geschehen,« lachte der Türke. »Wenn es dir leid thut, dort keine Prügel bekommen zu haben, so kannst du dich trösten, denn wir werden das hier nachholen. Also der Bongo-Krieger Agadi wollte in Faschodah Soldat werden? Hatte er Hoffnung, angenommen zu werden?«

»Ja. Er wollte sich direkt an den Sangak der Arnauten wenden.«

»Ihr seid albern, außerordentlich albern! Ihr seid die Söhne und Enkel der Dummheit und des Unverstandes. Ihr dünkt euch klug und weise zu sein und seid doch so albern, daß es einen erbarmen möchte. Weißt du, wer dieser Bongo eigentlich war?«

»Nun?«

Der dicke Türke hatte einen sehr überlegenen, triumphierenden Ton angenommen. Er glaubte, daß wir überlistet worden seien, und das that ihm, den Allah nicht mit einem hervorragenden Verstand begabt hatte, außerordentlich wohl. Er antwortete in stolzem Tone auf meine kurze Frage:

»Er ist gar kein Bongo, sondern ein Dinka. Wir haben hundertfünfzig Dinka gemietet, und er ist der Anführer dieser Krieger.«

»Alle Teufel!« rief ich aus, indem ich mich überrascht stellte.

»Ja,« lachte er. »Ihr seid in eine prächtige Falle gegangen. Er hatte einen sehr wichtigen Brief bei sich. Hättet ihr diesen erwischt, so hätte es uns schlimm ergehen können. Ihr seid aber viel zu dumm, hinter so etwas zu kommen. Er war auch angestellt, euch irre zu leiten. Er sollte euch in den Bahr el Dschebel schicken.«

»Nun, mich hat er doch nicht irre geführt!«

»Aber die andern!«

»Ich habe euch gefunden!«

»Was nützt euch das? ihr beide werdet morgen früh hingerichtet. Der Reis Effendina braucht einen ganzen Monat, um hinauf nach Bahita zu kommen. Es sind von heute an wenigstens fünfzig Tage nötig, bevor er, nachdem er seinen Irrtum eingesehen hat, uns hier finden kann. Dann ist Ibn Asl längst zurück und wird ihn so willkommen heißen) daß er das Fortgehen für alle Zeiten vergißt.«

»Allah, Allah!« rief ich aus. »Dieser Dinka ist ein großer Schurke gewesen!«

»Ein gescheiter Kerl war er, zehnmal klüger als ihr alle zusammengenommen! Du bist so verrückt gewesen, die Tollkühnheit zu besitzen, zu zweien eine feindliche Seribah aufzusuchen. Jetzt kommt der Lohn; jetzt kommt die Strafe. Du bist in den sichern Tod gelaufen. Und nun sage mir doch einmal, wie war es dir denn auf dem Schiffe der Faschodah möglich, aus meiner Kajüte hinunter in das Boot zu kommen?«

»Ich hatte zwei Messer mit,« log ich, da ich seine Schwester nicht verraten durfte. »Ihr hattet das eine nicht gefunden. Es fiel mir aus der Tasche, und so war es uns Möglich, einander die Fesseln zu durchschneiden. Dann kletterten wir an der Ankerkette hinab in das Wasser und schwammen nach dem Boote, welches noch am Schiffe hing.«

»So, also so ist es zugegangen! Nun, da wollen wir uns heute doch besser vorsehen. Man sagte mir zwar, daß euch alles abgenommen worden sei, aber ich werde euch doch lieber noch einmal durchsuchen lassen, und dann werdet ihr in die Dschura ed dschaza geworfen, welche ihr erst früh verlassen werdet, um in den Tod zu gehen.«

Dschura ed dschaza heißt zu deutsch Grube der Strafe. Die Asaker bei den Sklavenfängern sind nämlich sehr unbotmäßige, verwilderte Menschen, denen es nicht darauf ankommt, sich zuweilen gegen ihre Herren aufzulehnen. Aus diesem Grunde sind Gefängnisse nötig. Da sich aber ein Tokul, ein so leichtes Bauwerk, wie es in jenen Gegenden ganz ausschließlich giebt, nicht dazu eignen würde, so gräbt man einfach fünf oder mehr Meter tiefe senkrechte Gruben, in welche die Verbrecher geworfen werden. Sie können da nicht entfliehen, weil die glatten, senkrechten Wände unmöglich zu erklettern sind. Eine solche Grube wird Dschura ed dschaza, Grube der Strafe, genannt.

Da die Seriben fast alle am Nil liegen und die Gruben tief sind, so kann man sich denken, daß der Grund derselben feucht, moderig, ja schlammig ist, daß allerhand Unrat da abgeworfen wird, allerhand Ungeziefer dort sein Wesen treibt und ich mich nicht gerade begeistert fühlte, als ich hörte, daß ein solches Loch uns zum Aufenthalte dienen sollte.

Wir wurden noch einmal sehr genau durchsucht und dann hinaus ins Freie und nach der Grube geschleift, neben der eine Art Leiter lag. Die Länge derselben ließ erraten, daß das Loch ungewöhnlich tief sei. Man legte diese Leiter hinein, ließ uns auf derselben hinabgleiten und zog sie dann empor.

»Schlaft wohl!« rief uns von oben herab der Türke noch höhnisch zu. »Allah gebe euch angenehme Ruhe und noch angenehmere Träume!«

Das waren dieselben Worte, welche mich schon einmal hatten ärgern sollen und die ich dann wieder zurückgegeben hatte. Würde ich sie auch heute ihm wiedergeben können? Wohl schwerlich! ja, wenn der alte Steuermann mit dem Dinka auf das Schiff zurückgekehrt wäre, dann hätten wir auf Rettung hoffen können. Doch gab ich den Mut nicht ganz auf.

Die Sklavenjäger hatten sich entfernt. Die Sterne leuchteten zu uns herab, und um uns raschelte und kribbelte und krabbelte es. Wir waren nicht die einzigen lebenden Wesen in diesem nächtlichen Aufenthalte, was aber leider kein Trost für uns war.

Wir glaubten, ohne Beaufsichtigung zu sein; aber nach einiger Zeit rief uns eine Stimme von oben zu:

»Wie befindet ihr euch, ihr Hunde? Habt ihr mit den Skorpionen und Ratten schon Brüderschaft gemacht?«

Wir antworteten nicht. Es war Unsinn, uns einen Wächter zu geben, denn selbst wenn wir ungefesselt gewesen wären, hätten wir nicht hinauf gekonnt. Wir hatten gehört, daß zehn Personen fischen gehen wollten. Zwei waren zurückgeblieben. Einer saß hier bei uns; der andere befand sich jedenfalls vorn am Eingange der Seribah. Nach wenigen Minuten hörten wir unsern Wächter wieder sprechen.

»Wer kommt da?« fragte er.

Er erhielt eine Antwort; wir vernahmen sie zwar, konnten aber die Worte nicht verstehen.

»Habt ihr euch denn anders angezogen?« fragte er dann. »Ich kenne euch doch nicht. Es ist ein Schwarzer dabei. Bleibt stehen, sonst – – o Allah, Allah!«

Dieser letztere Ruf erstickte in einem Röcheln. Wir hörten ein Stampfen und Strampeln; es wurde still; dann fragte eine halblaute Stimme in die Grube herab:

»Effendi, seid ihr da unten?«

»Ja,« antwortete ich. »Wer ist’s?«

»Ich, der Steuermann, Abu en Nil. Allah sei Dank, daß wir dich haben! Ist mein Enkel bei dir?«

»Ja. Leg die Leiter an und komme herab, um uns die Stricke loszuschneiden!«

»Gleich, gleich!«

Er schob die Leiter herein und kam herabgestiegen. In wenigen Sekunden befanden wir uns wieder in dem Besitze unserer Freiheit.

»Wunderst du dich nicht, mich hier zu sehen?« fragte er. »Wir sind – –«

»Jetzt nicht erzählen!« unterbrach ich ihn. »Erst hinauf! Eher fühle ich mich nicht sicher.<,

Ich stieg hinan. Großvater und Enkel folgten mir. Oben angekommen, sah ich unsern Wächter am Boden liegen. Der Dinka kniete bei ihm und hatte beide Hände um seinen Hals geschlungen.

»Ist er tot?« fragte ich.

»Nein,« antwortete der Schwarze. »Er bewegt noch die Beine.«

Und der Steuermann fügte hinzu:

»Wir wollten ihn nicht ganz erwürgen, weil er uns sonst keine Auskunft erteilen kann.«

»Das war sehr klug von euch. Laßt ihn los! Wollen sehen, ob wir ihn zum Sprechen bringen.«

Der Dinka nahm seine Hände weg, und ich kniete bei dem Manne nieder, nur seinen Arm ergreifend, damit er nicht plötzlich aufspringen und fortlaufen könne. Er holte wieder frei Atem, bewegte den Kopf, öffnete die Augen und sah mich an.

»Weißt du, wer ich bin?« fragte ich.

»Der Effendi,« stieß er, noch mühsam sprechend, hervor.

»Wo ist der Murad Nassyr, der Türke?«

»Fischen, unten gleich an der Mischrah.«

»Wo ist der Feldwebel?«

»Auch fischen mit acht Asakern.«

»So ist noch ein Askari hier in der Seribah. Wo befindet er sich?«

»Am Eingange. Wenn ich pfeife, so kommt er.«

»Wo sind die Sachen, welche man uns abgenommen hat?«

»Im Tokul des Türken, da rechts, der zweite von hier.«

»Der Tokul ist sehr groß. Wohnt die Schwester des Türken mit bei ihm?«

»Ja, mit ihren Dienerinnen.«

»Sind die Männer, welche fischen gegangen sind, mit Pistolen und Flinten bewaffnet?«

»Nein. Sie haben nur ihre Messer und die Fischlanzen mit. Gewehre und Pistolen befinden sich in dem Tokul, den wir zehn bewohnen. Es ist die erste Hütte links hier.«

Ich hatte den Mann gar nicht darauf aufmerksam gemacht, uns nur die Wahrheit zu sagen, Er antwortete in solcher Angst, daß man seinem Tone anhörte, er getraue sich nicht, eine Lüge zu ersinnen. Ich nahm ihm alles, was er bei sich hatte, ab, gebot meinen drei Gefährten, sich einstweilen hinter die nächste Hütte zu verstecken, und befahl dem Askari, als sie fort waren:

»Nun pfeif deinem Kameraden!«

Er that es und bekam vom Eingange her einen Pfiff zur Antwort.

»Jetzt schnell hinab in die Grube mit dir!« gebot ich ihm. »Schnell, sonst werfe ich dich hinunter! Und wenn du einen Laut von dir giebst, ist es um dich geschehen!«

Er stieg eiligst hinab. Ich glaubte, die Leiter noch emporziehen zu können, fand aber keine Zeit mehr dazu, denn ich sah den zweiten Askari schon kommen. Ich setzte mich nieder, damit er nicht meine ganze Gestalt sehen und an derselben erkennen könne, daß er es mit einem andern zu thun habe.

Er sah das Ende der Leiter aus der Grube ragen, was seine Aufmerksamkeit von mir ablenkte. Er war noch fünfzehn Schritte entfernt, da rief er schon:

»Was ist das? Du hast ja die Leiter angelegt! Sollen die Gefangenen entkommen? Heraus damit!«

Er sprang herbei und faßte die Leiter an. Da schnellte ich auf und nahm ihn bei der Kehle, riß ihn nieder und gebot ihm:

»Schweig! Keinen Laut, sonst bist du des Todes!«

Der Schreck war ihm in die Glieder gefahren; er bewegte sich nicht. Als ich ihm den Hals frei gab, starrte er mich an und murmelte.

»Der Effendi! O Allah, Allah!«

Ich winkte meinem Gefährten herbei. Wir leerten dem Manne den Gürtel und die Taschen; dann mußte auch er in die famose Dschura ed dschaza hinab und wir zogen die Leiter heraus.

Jetzt galt es zunächst, uns der Waffen der Asaker zu versichern, weshalb wir uns in den uns bezeichneten Tokul begaben. Der Dinka war hier bekannt. Er suchte im Finstern nach der Stelle, an weicher, wie er wußte, kienene Späne lagen, und eilte dann nach dem Tokul, in welchem ich von meiner Betäubung erwacht war. Dort brannte das Feuer wahrscheinlich noch. Er kehrte mit dem brennenden Spane zurück, und wir hatten also die nötige Beleuchtung. Außerdem fanden wir eine thönerne Lampe, welche mit Palmöl gefüllt war.

An der kreisrunden Wand hingen zehn Gewehre und noch mehr Pistolen, alle geladen. Wir nahmen diese Waffen an uns und gingen dann nach dem Tokul, welcher uns als Wohnung des Türken bezeichnet worden war. Ich freute mich darauf, dort seine Schwester zu sehen. Als wir in die vordere Abteilung traten, war es in derselben finster; aber durch den Mattenvorhang schimmerte aus der zweiten, hintern Abteilung Licht. Ich schob ihn zurück und trat hinein. Die »Damen« saßen beim Kaffee. Kumra, zu deutsch die Turteltaube, die Schwester des Türken, saß in der Mitte der Abteilung auf einem Teppiche; daneben kauerten die vier Dienerinnen um einen thönernen Topf, in welchem Holzkohlen brannten. Auf demselben stand ein zweiter Topf mit kochendem Wasser, in welchen Fatma soeben die zerstampften Bohnen schüttete. Alle fünf starrten mich wortlos an, so erschrocken waren sie über mein Erscheinen.

Ich bin sonst gern so rücksichtsvoll wie möglich gegen Damen, jetzt aber war ich äußerst rücksichtslos, was mir aber, wie ich aufrichtig gestehe, selbst heutigen Tages noch keine Gewissensbisse macht. Erstens kam ich nicht zur vorgeschriebenen »Visitenzeit«; zweitens betrat ich einen Harem, was bekanntlich streng verboten ist, und drittens war meine Erscheinung so wenig salonfähig, daß ich jetzt, wo ich dies niederschreibe, die Augen, allerdings nur für zwei Sekunden, niederschlage. Hatte mein Anzug schon während der langen Fahrt und der vorherigen Erlebnisse bedeutend gelitten, so war ihm nun vorhin in der schlammigen Grube der »letzte Rest« gegeben. Mein Aussehen war nichts weniger als gentlemanlike. Dazu meine Bewaffnung! Ich hatte nämlich von den Waffen, welche wir an uns genommen hatten, drei Flinten überhängen und vier Pistolen im Gürtel stecken – ein Rinaldini in Lehm! Trotz dieser für einen Damenbesuch wenig geeigneten Äußerlichkeiten kreuzte ich die Hände auf der Brust, verbeugte mich und sagte:

»Muhammed, der Prophet der Propheten, verleihe eurem Tranke die Wohlgerüche des Paradieses! Meine Seele dürstet nach Erquickung. Darf ich euch um einen Findschahn bitten?«

Da bekam die Turteltaube ihre Sprache.

»Der Effendi!« rief sie, indem sie aufsprang. »Ich denke, du liegst im Loche gefangen!«

»Wie du siehst, ist dies nicht mehr der Fall.«

»Ich wollte – wollte – – wollte dich gern befreien, wußte aber nicht, wie ich es dieses Mal anfangen könne.«

»Ich danke dir, du lieblichste und beste unter den Jungfrauen! Du hast mir schon einmal die größte der Wohlthaten erwiesen; heute durfte ich nicht wieder auf dich rechnen. Ich bin gekommen, um eine andere Bitte an dich zu richten, die nämlich, diesen Harem nicht eher zu verlassen, bis ich dir gesagt habe, daß du die vordere Abteilung des Tokuls wieder betreten darfst.«

»Warum?«

»Es könnte dich oder deine Dienerinnen eine Kugel treffen.«

»Allah, eine Kugel! Du willst kämpfen? Mit wem?«

»Mit dem Feldwebel und seinen Asakern.«

»Also auch mit meinem Bruder?«

»Ja, wenn er sich wehren sollte.«

»Allah, Allah! Du bist ein starker und ein kühner Mann. Du wirst ihn sicher besiegen; du wirst ihn töten!«

»Nein. Meine Dankbarkeit verbietet mir, dein Herz zu betrüben. Ich werde deinen Bruder schonen. Das kann ich aber nur dann, wenn ihr euch vollständig ruhig verhaltet.«

»Wir werden es, Effendi, wir werden es! Wir werden hier bleiben. Wir gehorchen. Ich verspreche es dir, Effendi!«

Sie hob die Hände beteuernd zu mir empor. Sie vergaß, daß sie unverschleiert war, und so hatte ich zum zweitenmal die »Wonne«, ihr Angesicht schauen zu dürfen, dies wunderlich verkniffene Gesicht, welches mich, wie bereits einmal gesagt, so lebhaft an die sächsische Löffelhändlerin aus Beierfeld bei Schwarzenberg erinnerte. Selbst heute noch muß ich, wenn von orientalischer Frauenschönheit die Rede ist, ganz unwillkürlich an die Züge jener Turteltaube denken.

Auf dem Serir, einem überzogenen Holzgestell, welches zum Sitzen, Liegen und zu anderen Zwecken dient, stand eine brennende Thonlampe, ganz derjenigen ähnlich, welche wir vorhin im Tokul der Asaker gefunden hatten. Ich ergriff sie und trat in die vordere Abteilung zurück, wo zu meiner Freude alles lag, was man mir und Ben Nil abgenommen hatte. An der Wand hingen einige gute Gewehre, mehrere Pistolen und zwei Säbel. Wir nahmen auch diese Waffen an uns und begaben uns, nachdem ich die Lampe zurückgetragen hatte, wieder hinaus in das Freie.

»Bis jetzt ist alles gut gegangen,« meinte Ben Nil. »Jetzt fragt es sich, wie wir die zehn Menschen in unsere Gewalt bekommen, ohne daß wir uns in große Gefahr begeben.«

»Das allerbeste ist, wir schießen sie nieder,« antwortete sein Großvater. »Waffen haben wir genug dazu.«

»Das werden wir nur im Notfalle thun,« entgegnete ich. »Ihr wißt, daß ich nicht gern Blut vergieße. Begeben wir uns zunächst nach dem Eingange, um zu sehen, was die Leute machen.«

Als wir an die erwähnte Stelle kamen, zeigte mir der Steuermann den Busch, welcher das Schlupfloch verbarg. Ich schob ihn zur Seite und sah hinaus. Die beiden Boote, dasjenige, welches zur Seribah gehörte, und jenes, welches man uns weggenommen hatte, hingen gerade vor mir unten an der Mischrah. Man hatte sie durch einige Querhölzer verbunden, auf denen ein Feuer brannte, welches seinen Schein eine Strecke über das Wasser hinwarf und die Fische anlockte. In den Booten standen die Männer, um die Beute mit den Speeren, welche mit Widerhaken versehen waren, anzustechen.

»Wir haben Zeit zum Überlegen,« sagte ich. »Jetzt, da wir sicher sind, wenigstens nicht wieder in die Hände dieser Menschen zu geraten, könnt ihr uns nun sagen, wie es euch gelungen ist, in die Seribah zu dringen und uns aus der ›Grube der Strafe‹ zu holen. Ihr hattet natürlich das Geschrei Ben Nils gehört?«

»Ja,« antwortete der alte Steuermann. »Wir hörten nicht nur, sondern wir sahen auch. Der Mond war heraufgekommen und schien so hell, daß wir alles genau beobachten konnten. Die Kerle krochen mit euch durch das Loch. Als wir das sahen, besann sich Agadi auf dieses Schlupfloch. Er hatte es, als er hier war, gesehen, und auch oft benutzt, uns aber nichts davon gesagt. Er forderte mich auf, mich durch dieses Loch mit ihm in die Seribah zu schleichen, um zu versuchen, euch zu befreien. Er behauptete, daß nur ganz wenig Asaker in die Seribah seien, und so stimmte ich bei. Wir stiegen aus dem Boote, huschten die helle Mischrah hinauf und krochen durch das Loch. Als wir uns jenseits derselben befanden, schien der Mond uns gerade in das Gesicht. Wir eilten also weiter, um in den Schatten der Bäume zu kommen. Wir sahen, daß man euch aus einem Tokul brachte und in die Grube gleiten ließ. Dann sahen wir zehn Personen die Seribah verlassen. Ein elfter setzte sich bei der Grube nieder, um euch zu bewachen. Da verloren wir keine Zeit und gingen auf den Kerl zu. Er rief uns an; er befahl uns, stehen zu bleiben; aber der Dinka schnellte auf ihn zu, drückte ihn nieder und preßte ihm, die Gurgel zusammen. Was nachher geschah, das wißt ihr ja selbst. Jedenfalls giebst du zu, daß wir unsere Sache ziemlich gut gemacht haben, Effendi?«

»Ja, ich erkenne es dankbar an und werde es euch nie vergessen.«

Wir hatten während dieses Gespräches hinter dem Busche gesessen, und ich schob denselben von Zeit zu Zeit mit dem Gewehre zur Seite, um die Fischenden zu beobachten. Der Türke besaß keine Übung, stieß stets fehl und hatte deshalb sein Boot verlassen, um sich am Ufer niederzusetzen und dem Fange zuzusehen. Das schien ihm nach und nach langweilig zu werden, denn er stand auf und kam langsam die Mischrah emporgestiegen.

»Vielleicht kommt er herein!« flüsterte Ben Nil.

»Wahrscheinlich,« antwortete ich. »Lauf schnell nach der Grube! Dort liegen noch die Stricke, mit denen wir gebunden waren. Und in dem Tokul der Asaker liegen, wie ich gesehen habe, auch welche. Ihr andern weicht zur Seite, damit er euch nicht gleich sieht, wenn er den Kopf in die Öffnung steckt.«

Sie gehorchten dieser Aufforderung. Ich selbst drückte mich neben dem Busche hart an die natürliche Umfriedung und legte die Flinten, welche mich hinderten, weg.

Der Türke kam, bog das Gezweig weg und schob sich herein, was nur in gebückter Haltung geschehen konnte. Noch ehe er sich aufrichtete, hatte ich ihn gepackt, zog ihn vollends herein und drückte ihn auf den Boden nieder. Er konnte nicht schreien, wollte sich aber wehren, doch griffen Abu en Nil und der Dinka schnell mit zu und hielten ihm die Arme und Beine fest.

»Ein Laut von dir, und ich töte dich!« raunte ich ihm zu, indem ich, ihn mit der Linken noch haltend, mit der Rechten das Messer zog und es ihm auf die Brust setzte. Dann wagte ich es, ihm die Kehle frei zu geben. Er holte tief Atem, sah mich mit Entsetzen an und – schwieg. Er hatte Angst. Die beiden andern kauerten neben ihm und hielten auch die Messer in den Händen.

»Wenn du still bist, geschieht dir nichts,« versicherte ich ihm mit leiser Stimme. »Gehorchst du aber nicht, so fährst du augenblicklich in die Dschehenna!«

Bald kam Ben Nil mit den Stricken, und der Türke wurde gebunden. Kaum war das geschehen, so hörte ich wieder Schritte und ein kurzer Blick hinaus belehrte mich, daß zwei Asaker kamen. Sie trugen ein größeres Thongefäß, welches einen Teil des bisherigen Fanges enthielt. Es war gefüllt und sollte in der Seribah geleert werden. Jetzt galt es, die zwei zu ergreifen, ohne daß sie dabei laut werden konnten.

Das war nicht leicht. Das Schlupfloch war zu eng, als daß sie zugleich herein konnten. Ich raffte eine Flinte auf, stellte mich auf die eine Seite des Loches, schob Ben Nil auf die andere und raunte ihm zu:

»Zieh den Mann weg, sobald ich ihn getroffen habe!«

Jetzt waren die beiden Asaker da. Der erste kam herein, und zwar verkehrt, um das Gefäß hinter sich herein zu ziehen. Ich traf ihn mit dem Kolben auf den Kopf, daß er niederstürzte. Ben Nil riß ihn zur Seite, ergriff dann einen Henkel des Gefäßes und zog. Der draußen stehende Askari schob und drängte sich dann nach. Sobald sein Kopf innen erschien, bekam auch er einen Hieb. Er stürzte und blieb in der Öffnung liegen. Wir zogen ihn herein.

Beide waren betäubt. Sie wurden gebunden und neben den Türken gelegt, welcher zugeschaut hatte, ohne zu wagen, die Asaker durch einen Zuruf zu warnen. Wir hatten nun fünf Personen unschädlich gemacht und es noch mit sieben zu thun. Ben Nil fragte:

»Wollen wir die andern in gleicher Weise abfangen, Effendi? Allemal könnte es doch nicht so glücken!«

»Ganz richtig; aber warten wir noch ein bißchen!«

Wir hatten ja Zeit und brauchten uns nicht zu übereilen. Es hatte auf einem jeden Boote ein solches Gefäß gestanden. Das zweite war bald auch gefüllt. Die Träger wurden zurückerwartet. Sie kamen nicht. Ich hörte, daß der Feldwebel einen Befehl gab, auf welchen zwei Asaker das Gefäß aus dem Boote schafften und sich mit demselben dein Eingange näherten. Wir hatten Glück, denn es gelang uns, sie ebenso still zu überwältigen wie die beiden vorigen.

Nun war ich neugierig, was die andern draußen anfangen würden. Sie wußten nicht wohin mit den Fischen. Sie warfen sie in die Boote, konnten es aber nicht vermeiden, darauf zu treten. Sie richteten ihre Blicke wiederholt nach dem Eingange, da sie ihre Kameraden mit dem leeren Kruge zurückerwarteten. Der alte Feldwebel steckte mehreremale die Finger in den Mund, um einige scharfe, schrille Pfiffe hören zu lassen. Als dies keinen Erfolg hatte, verließ er sein Boot und kam fluchend heraufgehinkt. Nachdem er den Busch mit dem Arme zur Seite gedrängt hatte, schob er Kopf und Schultern nach und wurde augenblicklich beim Halse genommen. Ben Nil und sein Großvater hatten bereits Übung bekommen; sie und auch der Dinka unterstützten mich so vortrefflich, daß es eine Lust war, diese sonst so schwierige Arbeit zu verrichten.

»Das geht ja so leicht und ordnungsgemäß wie das Aufrollen eines Taues!“ lachte der Steuermann. »Nun haben wir nur noch vier zu besorgen.«

»Mit denen wir es kürzer machen,« antwortete ich. »Ich gehe jetzt hinaus und stelle mich in den Schatten. Dann rufst du ihnen zu, daß sie schnell heraufkommen sollen.«

»Sie werden hören, daß es eine fremde Stimme ist, Effendi!«

»Nebensache! Sie kommen doch! Ihr drei nehmt die Gewehre in die Hand; da müssen sie sich, sobald sie eingetreten sind, ergeben.«

»Wenn sie nun nicht hereinkommen? Wenn der erste, welcher kommt, uns hier vor sich sieht, wird er die andern warnen.«

»Deshalb gehe ich jetzt hinaus. Ich lasse sie nicht zurück und treibe sie herein.«

Nachdem ich mich mit zwei Flinten versehen hatte, kroch ich hinaus und stellte mich in den Schatten der Bäume, wahrscheinlich gerade da, wo die Asaker auch gestanden hatten, bevor sie mich und Ben Nil gefangen nahmen. Nun steckte der Steuermann den Kopf durch den Busch und forderte die Leute auf, schnell in die Seribah zu kommen. Er hatte nicht nötig, den Ruf zu wiederholen. Daß nun bereits fünf Personen, den Türken nicht gerechnet, davongegangen waren, ohne wiederzukommen, das sagte ihnen, daß da oben irgend etwas geschehen sei. Sie sprangen aus den Booten und kamen herbeigeeilt, an mir vorüber. Der erste kroch hinein; der zweite schob sich sofort nach. Drin gab es einen Schrei. Der dritte folgte, wollte wieder zurück, bekam aber vom vierten einen Stoß, der ihn nach innen brachte. Abermals ein Warnungs- oder Schreckensruf! Der vierte wich zurück. Er hatte gesehen, was drin passierte, und drehte sich um. Da stand ich mit angelegter Flinte vor ihm und befahl:

»Hinein, sonst jage ich dir eine Kugel durch den Kopf!«

»O Himmel! Der Effendi!« rief er aus.

»Ja, der Effendi! Vorwärts, wenn dir dein Leben lieb ist!«

Ich trat näher an ihn heran und setzte ihm die Mündung auf die Brust. Er hätte das Gewehr zur Seite schlagen können; das fiel ihm aber gar nicht ein; er drehte sich um, kroch durch das Loch, und ich folgte ihm. Da standen Ben Nil, der Steuermann und der Dinka mit erhobenen Gewehren und vor ihnen die Asaker in so trauriger Haltung, daß es mir nicht möglich war, den Ernst zu bewahren. Ich lachte lustig auf. Meine Gefährten stimmten ein, und Ben Nil rief:

»Ja, ja, ihr tapfern Männer, hier werden andere Fische gefangen, als da unten im Wasser. Die Fische seid ihr selbst. Werft eure Messer weg, sonst schießen wir!«

Sie gehorchten, und wir banden ihnen die Hände hinten zusammen. Nun untersuchte ich die vier Träger, welche meine Kolbenhiebe empfangen hatten. Sie lagen still, waren aber ganz wohl bei Besinnung. Die letzten vier Asaker waren nicht an den Füßen gebunden, so daß sie nach der »Grube der Strafe,< gehen konnten, die übrigen wurden hingetragen. Wir legten die Leiter an, und ließen einen nach dem andern hinabgleiten. Den Türken und den Feldwebel behielt ich bis zuletzt zurück. Ich zog mein Messer und sagte zu dem ersteren:

»Murad Nassyr, jedes Schweigen auf eine meiner Fragen kostet dich einen Finger. Ich zahle gern mit gleicher Münze heim. Antworte also schnell und der Wahrheit gemäß! Seit wann ist Ihn Asl von hier fort?«

»Seit fünf Tagen,« beeilte er sich zu sagen, »mit über zweihundert Leuten.«

»Kennst du den Dinka, welcher da neben mir steht?«

»Ja.«

»Nun wirst du wohl ahnen, daß ich nicht so dumm war, mich von ihm betrügen zu lassen. Wir haben euern Brief gelesen, und der Reis Effendina befindet sich nicht drüben im Bahr el Dschebel, sondern liegt mit seinem Schiffe in solcher Nähe von hier, daß ich ihn fast mit meiner Stimme herbeirufen könnte. Morgen früh wird er kommen und dann wirst du gerichtet. Du wirst sterben, und zwar eines so qualvollen Todes, wie noch nie ein Mensch gestorben ist.«

»Erbarmen, Effendi, Erbarmen!« rief er aus.

»Sprich nicht von Erbarmen! Du hättest mit mir auch keines gehabt. Leben um Leben, Blut um Blut, Gleiches um Gleiches. Du wirst gerade so behandelt, wie du mich behandeln wolltest.«

»Ich hätte dir verziehen!«

»Verziehen? Was hattest du mir zu verzeihen? Wer ist’s, der zu verzeihen hat? Bist du es, oder bin ich’s? Wie oft hast du geglaubt, über mich triumphieren zu können, und hast doch stets die Übermacht des Guten fühlen und erfahren müssen. Ich hatte Geduld mit dir, nun aber ist meine Nachsicht zu Ende. Mit dir ist’s aus. Sobald es Tag geworden ist, wird die Sonne deinen Tod bescheinen!«

»Sage das nicht! Effendi, sprich nicht solche Worte! Du bist ein Christ!« jammerte er.

»Ein Christenhund! So habt ihr mich und so hast du mich noch vorhin genannt. Erwarte von einem Hunde kein Erbarmen! Ein Hund kämpft gegen seinen Feind, und wenn er stärker ist als dieser, zerreißt er ihn. Ihr beruft euch auf unsere milden Lehren nur dann, wenn sie euch von Nutzen sind. Ich habe mit dir nichts zu schaffen und wiederhole nur: Mit dir ist’s aus!«

»Effendi, denke an meine Schwester! Was soll aus ihr werden, wenn man mich getötet hat!«

»Ihr Los wird jedenfalls ein besseres sein als dasjenige, welches du ihr zugedacht hattest. Ibn Asls Weib zu sein, ist das schrecklichste Schicksal, welches ich mir denken kann. Werft ihn hinab; ich habe nichts mehr mit ihm zu schaffen!«

Ich richtete diese Aufforderung an meine Gefährten, welche ihn auf die Leiter legten und in die Grube gleiten ließen. Der Feldwebel wurde ihm nachgeschickt. Es war nicht Hartherzigkeit, nicht Rachsucht, daß ich in dieser Weise mit ihm redete, sondern ich wurde von der besten Absicht geleitet. Er sollte in sich gehen; er sollte jetzt in der Grube einige böse Stunden verbringen; er sollte Todesangst ausstehen, um dadurch vielleicht zur Erkenntnis zu kommen.

Nun hatten wir sie alle zwölf da unten. Welch ein Unterschied gegen vorhin, als ich mit Ben Nil unten lag! Dieser letztere, welcher trotz seiner Jugend sehr bedächtig, sogar umsichtig war, machte mich aufmerksam:

»Hast du vielleicht vergessen, daß die zwei Asaker, welche wir zuerst hinabschafften, nicht gefesselt waren? Wenn sie nun die andern losbinden, vermögen sie sich zu befreien. Wenn drei sich aufeinander stellen, kann der oberste heraus!«

»Wir halten Wache. Durch jeden Kopf, der hier am Rande der Grube erscheinen sollte, schicken wir eine Kugel. Mögen sie sich losbinden; heraus kommt keiner.«

Es galt nun, den Emir zu benachrichtigen. Ich gab dem Steuermanne den Auftrag, dies zu thun, weil er fahren konnte. Ich begleitete ihn an die Mischrah, wo die Boote noch zusammenhingen; das Feuer war erloschen. Wir warfen die letztgefangenen Fische in das zur Seribah gehörige Boot und machten das unserige von demselben los. Er stieg ein und steuerte auf die im Mondesstrahle glänzende Mitte des Stromes hinaus. Ich ging in die Seribah zurück, um nun die »Turteltaube« wieder aufzusuchen.

Sie empfing mich wie vorhin, unverschleiert. Sie gab mir die Versicherung, daß ihr aus Sorge um den Bruder der Kaffee nicht geschmeckt habe.

»Was hast du mit ihm gemacht?« fragte sie. »Wo ist er? Warum kommt er nicht? Hast du mit ihm gekämpft?«

»Ja, aber ich habe ihn nur niedergeworfen und gebunden. Nun ist er unser Gefangener und wird sehr ruhig schlafen in der Dschura ed dschaza.«

»Dort? Mein Bruder in der Dschura ed dschaza? So ein Mann! So ein vornehmer und hoher Herr!«

»Hältst du mich für einen gewöhnlichen Mann?«

»Nein, Effendi. Das bist du nicht, ganz und gar nicht. Wirst du kein Christ, so würde man dich für noch vornehmer und höher als meinen Bruder halten.«

»Und dennoch warf er mich in dieses Loch! War ich nicht zu vornehm für die Grube, so ist er es nun auch nicht. Ich habe stets getrachtet, auf dem Wege des Gesetzes zu wandeln; er aber ist ein Verbrecher.«

»Ist denn der Sklavenfang wirklich ein Verbrechen?«

»Eines der schrecklichsten, die es giebt.«

»Das habe ich nicht gewußt. Ich habe stets geglaubt, der Weiße habe das Recht, den Schwarzen zu fangen und zu verkaufen. Kann mein Bruder bestraft werden?«

»Er muß sogar bestraft werden.«

»Allah, Allah! Doch nicht etwa mit dem Tode? Ich weiß, daß der Reis Effendina ihn fangen will und daß du ein Freund desselben bist. Ist dieser entsetzliche Mann vielleicht mit da?«

»Er ist da und du wirst ihn am Morgen sehen.«

»So sage mir schnell eins, nur eins! Man hat mir erzählt, daß der Reis Effendina alle Sklavenhändler tötet. Ist das wahr?«

»Ich kann dir nicht verschweigen, daß ich es erlebt habe, daß er eine Schar von Sklavenjägern erschießen ließ.«

»Welch ein Schreck, welch ein Entsetzen für meine Seele! Er wird doch meinen Bruder nicht auch erschießen lassen?«

»Ich befürchte sehr, daß er diese Absicht hat.«

»Dann mußt du ihn retten, Effendi! Hörst du, du mußt! Ich habe dich ja auch gerettet!«

Sie hob, wie vorhin, die Hände flehend zu mir empor.

»Ja, du hast mich aus der Gefangenschaft befreit, und bin kein undankbarer Mann. Ich werde den Emir bitten, ihm das Leben zu schenken.«

»Dann ist ja alles, alles gut! Ich danke dir, Effendi, und ich werde mir nun nochmals Kaffee kochen. Den vorigen verbitterte mir die Angst; diesen aber werde ich mit ruhigem Herzen genießen, und sein Duft wird die Freude, die du mir bereitet hast, erhöhen. Ich erinnere mich, daß du vorhin auch eine Tasse haben wolltest?«

»Ich bat dich allerdings darum, du antwortetest mir aber nicht.«

»Ich war von Angst und Sorge beklemmt; jetzt aber bin ich getröstet. Du sollst Kaffee haben.«

»Koch‘ einen großen Topf voll! Ich habe zwei Gefährten, welche sich geradeso wie ich sehnen, von deiner Güte bedacht zu werden. Fatma, dein Liebling, mag uns den Trank und die Tassen hinaus an die ›Grube der Strafe‹ bringen.«

»Dürfen wir denn jetzt den Harem verlassen?«

»Ja. Ich will mein Verbot zurücknehmen. Nur mußt du mir versprechen, nicht etwa einen Versuch zur Befreiung deines Bruders zu machen. Wenn du dies wagtest, würde der Reis Effendina dich augenblicklich erschießen lassen.«

Ich ging. Eine unverfälschte Orientalin! Ihr Bruder war gefangen; was man mit ihm vornahm, welche Verluste ihn erwarteten, das ging sie nichts an; er durfte leben bleiben und so kochte sie sich noch einen Kaffee! Und die Schwester dieses indolenten Wesens hätte meine Frau werden sollen, falls ich bereit sein würde, Sklavenjäger zu werden!

Dann saß ich mit Ben Nil und dem Dinka draußen, um den arabischen Trank zu erwarten. Als Fatma ihn brachte, folgten ihr die beiden schwarzen Dienerinnen, welche uns Tabak und Pfeifen brachten, natürlich Eigentum des Türken. Wir bekamen den Kaffee nicht fertig zubereitet, sondern kochendes Wasser und die zerstoßenen Bohnen. Ich bereitete mir eine Tasse, trank sie aus, brannte eine Pfeife an und ging dann, um im Mondenschein den Umfang der Seribah kennen zu lernen. Derselbe war bedeutender, als ich gedacht hatte. Der hintere Teil war von dem vordern durch nebeneinander eingerammte Pfähle abgesperrt und zur Aufnahme der Herden bestimmt, weiche bei jedem Sklavenzuge mit den Schwarzen zugleich geraubt und weit fortgetrieben werden. Jetzt war dieser Platz leer.

Die übrigen Stunden der Nacht vergingen schnell. Als der Tag graute, erhob sich der gewöhnliche Morgenwind, welchen der Emir benutzen konnte, um heranzusegeln. Ich ließ den Dinka als Wächter an der Grube zurück und ging mit Ben Nil, um beim Lichte des Tages die Tokuls zu untersuchen.

Die meisten waren leer, da die Bewohner sich auf der Sklavenjagd befanden. Doch entdeckten wir noch Waffen und Munition. Eine Hütte enthielt Vorräte aller Art, auch eine Kiste mit Kleidungsstücken, unter welchen sich ein Anzug befand, welcher mir leidlich zu passen schien. Ben Nil fand auch einen, der ihm behagte. Der Umtausch wurde bewerkstelligt, und als wir die Hütte verließen, hatte ich mich so zu meinem Vorteile verändert, daß mir der Gedanke kam, der Turteltaube einen nun auch in Beziehung auf das Kostüm würdigen Morgenbesuch zu machen, um ihr für den Kaffee und die Pfeifen Dank und Anerkennung auszudrücken. Leider aber belehrte mich, als ich die vordere Abteilung betrat, ein höchst energisches Schnarchquintett, daß wenigstens innerhalb des Tokuls die Sonne noch nicht aufgegangen war. Ich mußte also darauf verzichten, meine neuen äußeren Vorzüge anerkannt und bewundert zu sehen.

Ich hatte mir vorgenommen, noch vor Ankunft des Schiffes den Türken abermals zu vernehmen. Ich gedachte, von ihm manches zu erfahren, was uns wichtig sein mußte. Darum verfügte ich mich wieder zu der Grube. Als ich hinabblickte, sah ich, daß die Gefangenen allerdings von ihren Fesseln sich befreit hatten; aber ein Fluchtversuch war von ihnen nicht gewagt worden. Sie lagen nebeneinander im Schmutze, schliefen jedoch nicht. Murad Nassyr sah mich stehen und rief mir zu-

»Effendi, ich bitte dich um eine Gnade! Laß mich nur für eine Minute zu dir hinauf! Ich habe mit dir zu sprechen.«

»Du bist es nicht wert; aber komm!«

Wir ließen die Leiter hinab, und er kam heraufgestiegen. Er war so angegriffen – wohl mehr innerlich als äußerlich – daß er nicht stehen blieb, sondern sich wie schwer ermüdet niedersetzte.

»Du hast mir böse, böse Stunden bereitet!« seufzte er, indem er den Ellbogen auf das Knie stemmte und den Kopf in die Hand legte.

»Ich? Du selbst bist schuld daran. Du ganz allein! Wir Christen haben ein Sprichwort, welches sagt: Thue nichts Böses, so widerfährt dir nichts Böses!«

»Ich habe doch nichts gethan, was meinen Tod rechtfertigen kann!«

»Ich hatte gar nichts Böses, sondern nur Gutes gethan, und doch seid ihr fest entschlossen gewesen, mich umzubringen.«

»Das ist nun vorüber, vollständig vorüber, Effendi! Ich sehe ein, daß es die größte Dummheit meines Lebens war, mich so tief in den Sudan hineinzuwagen. Wie gerne kehrte ich zurück, augenblicklich zurück!«

»Um dort den Sklavenhandel fortzusetzen!«

»Nein. Es giebt andere Waren, welche man kaufen und verkaufen kann. Effendi, laß mich fort, so schwöre ich dir bei Allah, beim Propheten und bei der Seligkeit aller meiner Ahnen und Nachkommen, daß ich niemals wieder einen Sklaven verkaufen werde!«

»Dieses Versprechen genügt mir nicht, weil es keine hinreichende Bezahlung ist für das, was ich dir vorzuwerfen habe.«

»Was verlangst du denn noch?«

»Eigentlich nichts, gar nichts weiter als dein Leben.«

Er legte das Gesicht in beide Hände und schwieg. Nach einer Weile sah er zu mir auf und sagte:

»So mach es kurz, und schieß mich hier auf der Stelle nieder!«

Was war das für ein Gesicht! Der Mann schien in diesen wenigen Stunden zehn, fünfzehn Jahre älter geworden zu sein. Es sah wirklich aus, als ob Falten in seine vollen Wangen gefallen seien. Das freute mich; das hatte ich gewollt. Darum sagte ich in einem weniger strengen Tone:

»Murad Nassyr, denke an die Stunde, in welcher wir uns in Kahira trafen. Ich kannte dich nicht; du aber hattest mich in Algier gesehen und auch von mir gehört. Du erzähltest mir das und ludst mich zu dir ein. Ich fand Wohlgefallen an dir und zeigte mich bereit, mit dir nach Chartum zu gehen. Wir wurden Freunde. Da erfuhr ich, daß du Sklavenhändler seist, was du mir verschwiegen hattest. Du machtest mir sehr günstige Anträge, die ich aber unmöglich annehmen konnte. Wir mußten scheiden. Eigentlich waren wir nun fertig miteinander, du aber warfst Haß und Rache auf mich und wurdest ein grimmiger Feind von mir. Das war nicht wohlgethan; das war nicht klug. Du kanntest mich als einen Mann, der seine eigenen Wege geht und seine eigene Art und Weise hat, der außer Gott nichts fürchtet und auch vor keiner List die Segel streicht. Eines solchen Mannes Feind hättest du schon aus bloßer Klugheit, aus reiner Berechnung nicht werden sollen. Du bist es trotzdem geworden, hast Karte um Karte verloren und sitzest nun heute mit leeren Händen vor mir, der ich dir sämtliche Trümpfe abgenommen habe. Du dauerst mich. Ich bin dein Freund gewesen und habe das nicht vergessen können; ich kann es auch jetzt, in diesem Augenblicke, nicht vergessen und möchte dir die Hand zur Hilfe reichen. Aber nicht ich, sondern der Reis Effendina hat über dich zu bestimmen. Er wird deinen Tod verlangen. Wenn ich mir dein Leben von ihm erbitte, muß ich ihm dafür mehr bieten können als das Versprechen, welches du mir soeben gabst.«

»So sage, was!«

»Den klaren, sichern Beweis, daß es dir Ernst ist, mit dem Sklavenhandel zu brechen. Sage dich von Ibn Asl los! Das ist der Beweis, welchen ich von dir verlange.«

»Das forderst du? Weiter nichts?« fragte er, indem sein Auge wieder Glanz bekam. »Nichts leichter als das! Ich habe eingesehen, daß dieser Mann mein böser Dämon gewesen ist, daß er mein böser Geist bleiben will. Warum verlangte er meine Schwester? Warum nimmt er sie nicht, da ich sie ihm bringe? Warum lockt er mich mit ihr weiter und immer weiter in die Wildnis hinein? Welchen Zweck kann das haben?«

»Jedenfalls einen für dich und deine Schwester schlimmen.«

»Erst sollte die Hochzeit in Chartum sein, dann in Faschodah, dann hier in Aliab. Und nun wir hier angekommen sind, zieht er wieder weiter fort und läßt uns allein mit Menschen, welche ich nicht kenne und zu denen ich kein Vertrauen fassen kann!«

»Du besitzest nicht den Scharfblick, welcher nötig ist, diesen Teufel zu durchschauen. Ich an deiner Stelle wüßte längst, was er mit mir will. Ich hätte ihm Fallen gestellt, in die er sicherlich geraten wäre. Ich durchschaute dich bereits in Kahira, ohne daß du es ahntest. Du mußtest mir sagen, was ich wissen wollte, ohne daß du wußtest, daß ich dich dazu zwang. Auf ganz dieselbe Weise hätte auch Ibn Asl sich mir mitteilen müssen. Denke an den höllischen Verrat, den er gegen die armen Dinka beabsichtigt! Sie sind seine Verbündeten; er hat ihnen Lohn versprochen, und doch will er sie später, nachdem sie für ihn gearbeitet und ihr Blut vergossen haben, zu Sklaven machen und verkaufen! Ist so ein Mensch nicht fähig, ebenso schlecht und vielleicht gar noch schlechter gegen dich zu handeln? Er hat Hafid Sichar überfallen und verkauft, um zum Vermögen dieses Mannes zu kommen. Auch du bist reich; er hat viel, fast alles verloren; er braucht Geld. Warum zieht er dich hinter sich her? Warum entfernt er dich von den Gegenden und Orten, wo man dein Verschwinden, deinen Tod bemerken würde?«

»Effendi!« schrie er auf. »Meinst du so etwas?«

»Jawohl! Etwas anderes nicht!«

»Vielleicht hast du recht. Ja, je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr will es mir scheinen, daß dein Scharfsinn, wie sonst stets, so auch hier das Richtige trifft.«

»So kehre um! Weißt du, wohin Ibn Asl ist?«

Zu den Gohk.«

»Kannst du mir den Weg, den er eingeschlagen hat, beschreiben?«

»Ich habe ihm geschworen, kein Wort darüber hören zu lassen.«

»Einen solchen Schwur zu halten, ist Sünde. Wir wollen den bedrohten Negern zu Hilfe kommen. Das ist uns nur dadurch möglich, daß du aufrichtig bist. Schweigst du, so kommen alle Mord- und andere Thaten über dich. Ich verlange Offenheit. Dies ist der Beweis, von welchem ich vorhin sprach und an welchem dein Schicksal, dein Leben hängt. Dein Schwur war eine Unvorsichtigkeit und wird zum Verbrechen werden, wenn du ihn hältst.«

»Bedenke doch, Effendi, ich habe beim Barte des Propheten geschworen!«

»Unsinn!« rief ich ärgerlich. »Euer Prophet hat gar keinen Bart gehabt!«

»Wie? Was? Keinen Bart? Muhammed – hat – – kei – –«

Die Worte blieben ihm im Munde stecken; er sah mir wie geistesabwesend in das Gesicht.

»Na, beruhige dich! Vielleicht hat er einen!«

»Vielleicht? Effendi, du weißt so vieles, was andere nicht wissen, und da du gerade behauptest, er habe keinen – kei – o Himmel!«

»Diese Worte sind mir ja nur im Ärger entfahren.«

»Er hat also einen Bart?«

»Wahrscheinlich.«

»Allah sei Dank! Ich habe noch nie eine Person gesehen oder gehört, welche am Barte des Propheten zweifelte.«

»Nun, gesehen hat ihn niemand, wenigstens kein jetzt lebender Mensch, und im Kuran steht auch nichts davon. Wenn du nun bei einer so zweifelhaften Sache schwörst, so hat dieser Eid in meinen Augen gar keinen Wert. Du hast ihn in der Übereilung abgelegt. Nimm ihn zurück! Ich rate es dir. Es ist zu deinem Besten.«

»Kannst du mir nicht eine Bedenkzeit geben?<&

»Auch darauf will ich eingehen; aber nur eine sehr kurze Zeit. Der Reis Effendina wird deine Entscheidung verlangen, und er kann nun jeden Augenblick hier ankommen.«

»Eigentlich habe ich dir schon genug gesagt, Effendi, indem ich dir mitteilte, daß Ibn Asl zu den Gohk will!«

»Das wußte ich schon vorher, aus seinem Briefe. Die Gohk sind das westliche Dinka-Völk. Sie grenzen mit den Schur zusammen, haben ein großes Gebiet inne und besitzen eine Anzahl reicher Dörfer. So ein Sklavenzug ist nun stets gegen ein besonderes, bestimmtes Dorf, gegen einen genau angegebenen Ort gerichtet, und diesen Ort müssen wir unbedingt wissen, wenn wir den beabsichtigten Erfolg haben wollen. Er ist dir doch jedenfalls bekannt und du kennst auch den Weg, welchen Ibn Asl einschlagen will?«

»Ich kenne ihn. Ibn Asl hat Karten über alle Gegenden des oberen Nils, sehr genaue Karten, welche er sich nach den zuverlässigen Angaben seiner Agenten zeichnet. Ich habe mit ihm dieselben studiert und war dabei, als er nach ihnen den Weg bestimmte, den er gegangen ist.«

»So bist du also im stande, uns die beste Auskunft zu geben. Weigerst du dich, das zu thun, so hast du vom Reis Effendina keine Schonung zu erwarten. Kehre jetzt in die Grube zurück. Ich habe dir gesagt, was ich dir zu sagen hatte; was du thun wirst, das ist deine Sache.«

»Vorher noch eins, Effendi! Wie verhältst du dich zu meiner Schwester? Behandelst du sie auch als Feindin?«

»Nein. In dieser Beziehung kannst du ruhig sein. Ich werde so für sie sorgen, daß sie dich nicht vermissen wird. Wie ich weiß, trinkt sie fleißig Kaffee, und solange ein Weib dies thun kann und thut, ist der Einsturz des Himmels nicht zu befürchten.«

Er stieg hinab, und wir zogen die Leiter wieder zurück. Ich stopfte mir eine neue Pfeife, setzte sie in Brand und stieg dann zur Mischrah hinab. Kaum war ich dort angekommen, so erschien der »Falke«, die vollen Segel vor dem Winde blähend. Es war ein prächtiger Anblick, diesen scharfen Segler zu sehen. Vorn am Buge stand der Emir. Er sah mich und rief mir zu: »Holla! Da steht ja der Welteroberer und raucht die Siegespfeife! Die Gefangenschaft scheint dir nicht übel bekommen zu sein!«

»Sie war so kurz,« antwortete ich, »daß sie mich weit mehr unterhalten als belästigt hat.«

»Habe es gehört. Abu en Nil hat es mir erzählt Nun will ich aber auch dich hören. Ich komme gleich!«

Der »Falke« rauschte näher; die Segel sanken. Von der Stetigkeit weiter getrieben, kam das Schiff vollends bis an die Mischrah und ließ da den Anker fallen. Der Landungssteg wurde ausgelegt, und der Reis Effendina eilte als erster an das Ufer, streckte mir die beiden Hände entgegen, schüttelte die meinigen kräftig und sagte mit seinem biedern, treuherzigen Lachen:

»Vier Männer, wobei noch dazu ein Neger, eine ganze, große Seribah erobert, und gar vorher erst gefangen gewesen, das ist schon etwas, worauf man stolz sein kann. Ich gratuliere dir. Nun sollen die Hunde aber über die Klinge springen, alle vom ersten bis zum letzten, den dicken Türken nicht ausgenommen.«

»Langsam, langsam! Ich möchte das nicht so für sicher und gewiß aussprechen hören.«

»Was?« meinte er, indem er die Brauen finster zusammenzog. »Willst du mir wohl wieder mit einer deiner menschenfreundlichen Bitten kommen?«

Sein erst so frohes, heiteres Gesicht hatte einen ganz anderen Ausdruck angenommen, als er jetzt in beinahe barschem Tone fortfuhr:

»Daraus wird nichts. Es ist schon fest beschlossene Sache. Solche Brut darf nicht leben bleiben. Kommt mit hinauf in die Seribah!«

Wir stiegen die Mischrah empor und krochen durch das Schlupfloch. Dann führte ich ihn herum, ohne daß wir zunächst einen Tokul betraten. Dann setzte ich mich auf einen daliegenden Baumstamm und forderte ihn auf.

»Laß dich hier mit nieder! Ich will dir erzählen.«

»Gut. Vorher aber will ich dir sagen, daß Ibn Asl es verstanden hat, eine Seribah anzulegen. Das ist ja eine wahre Festung! Durch diese Waldmauer kann man nicht dringen. Er durfte die Verteidiger nur an die Mischrah stellen, so hätte man sich die Köpfe einlaufen müssen. Zwölf Mann in Summa hast du angetroffen? Selbst diese hätten, wenn sie hinreichend mit Munition versehen waren, meinen hundert Asakern und wenigen Takaleh zu schaffen gemacht.«

»Sie waren versehen. Ich habe einen guten Vorrat von Pulver und Blei vorgefunden.«

»Dann nur ein umsichtiger, aufmerksamer Kommandant, und ich hätte unverrichteter Sache abziehen müssen. Wir hätten Blut, viel Blut gelassen, und zwar vergebens. Und das hast du bekommen ohne einen Schuß, einen einzigen Messerstich! Effendi, du hast ein ungeheures Glück, ein solches Glück, daß es mir angst und bange um dich werden möchte. Wenn es dich einmal verläßt, wird es dir um so trauriger ergehen. Nimm dich in acht und wage in Zukunft nicht mehr so viel wie bisher! Doch erzähle mir nun!«

Die Thatsachen wußte er bereits durch den Bericht des alten Steuermannes, sodaß ich mich kurz fassen konnte und nicht viel hinzuzufügen brauchte. Die Hauptsache war mir, ihn für den Türken günstiger zu stimmen. Ich that mein möglichstes, hielt ihm eine lange Rede und raffte alle möglichen Gründe zusammen, die den Gefangenen zu entschuldigen vermochten. Er hörte mich an, ohne mich nur einmal zu unterbrechen, und blickte, als ich zu Ende war, eine ganze Weile finster und wortlos vor sich hin. Dann sagte er.-

»Ich bin dir zu Dank verpflichtet, und du hast so eine eigene Art, dies für deine falsche Humanität nutzbar zu machen. Einen deiner Gründe will ich gelten lassen, aber auch nur einen einzigen, nämlich den: Er ist ein Sklavenhändler aber kein Sklavenjäger; er hat mit Schwarzen gehandelt, aber noch keinen direkt gefangen. Eigentlich ist der Händler nicht besser als der Jäger, denn wenn es den ersteren nicht gäbe, könnte auch der letztere nicht existieren; aber man nimmt es bei jenem doch nicht so genau wie bei diesem. Und er hat die Schwester mit, die wir dann auf dem Halse hätten. Was würden wir mit dem Mädchen und den vier Dienerinnen thun? Wir können sie doch unmöglich in den Nil werfen, um sie nur los zu werden!«

»Nein,« antwortete ich, auf seine gegenwärtige Laune eingehend. »Wenn wir ihm diese vier Frauenzimmer lassen, ist er bestraft genug.«

»Oho! Soll er sonst ganz frei ausgehen? Und da muß ich dir ein Bedenken, ein schweres Bedenken mitteilen. Die zehn Asaker und ihr Feldwebel müssen doch unbedingt bestraft werden?«

»Dies zu bestimmen ist deine, aber nicht meine Sache.«

»Winde dich mir nicht aus der Hand! Natürlich müssen sie bestraft werden. Ich bin entschlossen, sie erschießen zu lassen. Wie kann ich aber das thun, wenn ich Murad Nassyr freilasse! Du siehst wohl ein, daß mir deine Bitte außerordentlich unbequem sein muß!«

»Ich sehe es ein und werde dir ihre Erfüllung um so höher anrechnen.«

»Sprich nur nicht von Anrechnung! Deine Dankbarkeit wird einfach darin bestehen, daß du mir bei der nächsten Gelegenheit abermals in die Quere kommst. Da kenne ich dich. Wenn dieser Türke wenigstens aufrichtig sein wollte!«

»Ich hoffe es.«

»Er kann uns auch falsch berichten. Ist er dann einmal fort, so können wir uns nicht mehr an ihn halten.«

»Dagegen giebt es ein ausgezeichnetes Mittel: Wir lassen ihn eben nicht fort.«

»So müssen wir seine fünf Frauenzimmer auch behalten.«

»Das läßt sich arrangieren. Stecke sie auf das Schiff, welches wir doch irgendwo zurücklassen müssen! Wir können doch nicht per Schiff über das Land fahren.«

»Das ist wahr. Und ihn nehmen wir mit. Stellt es sich dann heraus, daß er uns belogen hat, so bekommt er die Kugel.«

»Ich meine, daß wir schon jetzt im stande sind, seine Aussagen zu kontrollieren. Der Dinka wollte uns auch irre führen, und es ist ihm nicht gelungen. Ich durchschaute ihn und habe ihm alles, was er uns verheimlichen wollte, auf den Kopf zugesagt. Gerade so ist’s auch mit dem Türken. Erinnerst du dich jenes Malaf, der mir zwischen Bir Murat und dem heimlichen Brunnen begegnete?«

»Ja. Du warst ganz allein und nahmst ihn und seine Begleiter doch gefangen. Er durfte zwar laufen, aber die Kerle mußten dir alles übergeben, was sie bei sich hatten. Er war der Anführer von Ibn Asls Vorhut.«

»Du hast es dir sehr gut gemerkt. Von allen den Waffen und sonstigen Gegenständen, welche ich diesen Leuten abnahm, habe ich nichts für mich beansprucht als einige Karten, welche mich interessierten. Es waren höchst genaue Zeichnungen derjenigen Gegenden, in denen Ibn Asl zu jagen pflegt. Das Land der Gohk ist auch dabei. Ich habe diese Karten noch. Sie befinden sich auf dem Schiffe, und ich werde sie holen. Wenn die Angaben des Türken mit diesen Aufzeichnungen stimmen, dürfen wir ihm getrost Glauben schenken.«

»Das ist freilich wahr.«

»So bist du also bereit, Gnade gegen ihn walten zu lassen?«

»Nicht so schnell! Du hast mich zwar schon fast überredet, aber ich will ihn doch erst selbst hören. Es soll auf sein Verhalten ankommen, was ich über ihn beschließe. Holen wir die Karten. Ich werde meine Asaker ausschiffen und dann die Gefangenen vernehmen.«

Wir kehrten auf das Schiff zurück, wo er den Soldaten die Erlaubnis gab, an das Land zu gehen. Die Pfähle, mit denen der Eingang der Seribah verschlossen war, wurden mit dem daranhängenden, dornigen Flechtwerke aus der Erde gezogen; dann marschierten die Asaker mit übergenommenen Gewehren in geordneter Kolonne ein und bildeten um die »Grube der Strafe« einen Kreis. Die Leiter wurde angelegt, und die Gefangenen mußten heraufkommen.

Wie erschraken sie, als sie die uniformierten Asaker des Vizekönigs erblickten! Sie kannten ihr Schicksal, den fast sicheren Tod, und knickten vor Angst beinahe in die Kniee. Murad Nassyr stand bei ihnen und wagte kaum, aufzusehen. Seine Schwester wartete verschleiert mit ihren Dienerinnen vor dem Tokul. Was sie jetzt dachte und fühlte, weiß ich nicht. Vielleicht interessierte sie der Anblick der Truppen mehr als das Schicksal ihres Bruders, welches jetzt entschieden werden sollte. Es war mir immer, als ob sie kommen und den Emir fragen müsse, ob sie ihm eine Tasse Kaffee kochen dürfe.

Der Reis Effendina musterte den Türken einige Augenblicke und fragte ihn dann: »Weißt du, wer ich bin?«

Der Gefragte verbeugte sich tief und schweigend.

»Und du bist ein Sklavenschinder, dem ich eigentlich das Fell vom Leibe schneiden sollte, ein giftiges Ungeziefer, welches man zertreten und ausrotten muß. Gestehe, handelst du mit Sklaven?«

»Bisher, ja.«

»Du warst mit Ibn Asl verbündet?«

»Ja.«

»Damit hast du dein Todesurteil ausgesprochen.«

»Emir, ich kannte ihn nicht genau!« stammelte der Türke erschrocken.

»Desto schlimmer für dich! Einem Unbekannten läuft man nicht bis in den tiefen Sudan nach! Wohin ist er jetzt?«

Zu den Gohk.«

»Welchen Weg hat er eingeschlagen?«

»Zunächst zu Schiffe bis Aguda.«

Murad Nassyr dachte jetzt nicht an seinen Eid, nicht an den Bart des Propheten. Er zitterte vor Angst. Der Ton, in welchem der Emir zu ihm sprach, ließ keinen Versuch des Widerstandes, kein Bedenken aufkommen. Er beantwortete jede Frage sofort und ohne eine Sekunde verstreichen zu lassen. Ich zog die Karte hervor, um seine Angaben mit derselben zu vergleichen.

»Welchen Ort will er denn überfallen?«

»Wagunda.«

»Warum diesen?«

»Der dortige Gebieter hat bedeutende Elfenbeinvorräte aufgestapelt, und seine Unterthanen besitzen große Herden. Auch sind die Neger jener Gegend als kräftig bekannt.«

»Bringen also, wenn man sie verkauft, einen guten Preis! O, ihr Hundesöhne! Elfenbein, Herden und Neger! Der Scheitan soll euch durch alle Lüfte führen! Giebt es noch andere Orte in der Gegend von Wagunda?«

»Thuat, Agardu, Akoku und Foguda liegen in der Nähe.«

»Wann gedachte Ibn Asl dort einzutreffen? Hat er es sich ausgerechnet?«

»Wir haben alles genau überlegt. Er glaubte nicht länger als zwanzig Tage zuzubringen.«

Der Emir warf mir einen fragenden Blick zu, und ich nickte, um ihm meine Überzeugung anzudeuten, daß der Türke die Wahrheit gesagt habe. Die Folge davon war, daß er in einem bedeutend milderen Tone fortfuhr:

»Ich will dir Glauben schenken. Du hast in deinen Antworten nichts beschönigt; das rettet dich. Der Effendi hat mich um Gnade für dich gebeten, und ich will einmal versuchen, dieser Bitte Folge zu leisten. Kennst du den geraden, kurzen Weg zu den Gohk?«

»Ja. Er geht von hier stromaufwärts bis zum Maijeh Semkat, den man am dritten Tage erreicht. Dort kann man das Schiff lassen und muß von da an sechs Tage lang nach Westen über Land.«

»Kennst du den Landweg? Kannst du uns führen?«

»Leider nein, denn ich war noch niemals dort.«

Da rief einer der gefangenen Asaker, ein noch ziemlich junger Mann, schnell:

»Sei gnädig, o Reis Effendina, und gestatte mir, zu sprechen! Ich kenne diesen Weg. Ibn Asl schickte Malaf hin, um eine Karte zu machen. Dieser nahm mich mit. Wir sind überall herumgewandert, um jeden Wald und jedes Wasser kennen zu lernen.«

Malaf war eben derjenige, von dem ich meine Karten hatte. Der junge Mann war zu gebrauchen. Ich gab dem Emir einen Wink. Er verstand mich und wollte weiter sprechen, doch wurde seine Aufmerksamkeit ab und nach einem Punkte gelenkt, an welchem der Kreis unserer Asaker in Unordnung zu geraten schien. Man sah, daß jemand sich durchdrängen wollte. Er öffnete sich auch wirklich. Und wer erschien?

Hatte ich es mir doch gedacht! Kumra, die Turteltaube, den Schleier vor dem Gesichte und einen rauchenden Wassertopf in den Händen! Hinter ihr kam Fatma, der Liebling, den zerstoßenen Kaffee tragend. Dann die zweite weiße Dienerin mit dem Findschahn aus Porzellan. Und darauf die schwarzen Mädchen, das eine mit der Pfeife und das andere mit dem Tabakskruge. Ich hätte laut auflachen mögen! Der Emir machte ein finsteres Gesicht und rief den Schönen entgegen: »Was wollt ihr hier? Fort mit euch! Ihr gehört in den Harem, nicht aber in diesen Kreis!«

Aber die Demoiselles waren nun einmal losgelassen und nicht zurückzuhalten. Sie ließen sich nicht irre machen, nahten in wackelnder Prozession und hielten vor ihm still.

»Wir gehören wohl hierher, o Gebieter!« sagte die Turteltaube. »Wie bieten dir Erquickung nach der Reise; Kaffee, frisch und warm, wie die Lippen der Mädchen, und Tabak, die Wonne des Geruches, köstlicher Wohlgeschmack des Paradieses. Trinke, rauche und gieb mir dafür meinen Bruder frei, den ich nicht – –«

Sie kam nicht weiter. Ihre Arme hatten gleich von Anbeginn eine ganz eigentümliche Lage, ihre Hände eine ebenso eigenartige Haltung gehabt; der rauchende Topf kippte bald nach rechts, bald nach links; bald ließ sie, während sie sprach, ihn sinken, bald hob sie ihn krampfhaft wieder empor; ihr Oberkörper bückte sich nach vorn, richtete sich wieder auf, wand sich herüber, dann wieder hinüber – man sah die Katastrophe kommen. Die gute Turteltaube entbehrte nämlich jenes wohlthätigen Händeschutzes, den die Araberin Tandscharaja, die Deutsche aber einen Topflappen nennt. Das Wassergefäß war zu heiß für ihre zarten Finger; lange, lange hatte sie den Schmerz ertragen, nun aber ging es beim besten Willen nicht mehr; sie warf den Topf mitsamt dem Wasser dem Emir an die Beine und schrie, indem sie davoneilte:

»Geduld, Geduld, o Herr; ich koche sogleich anderes!«

Ihre vier dienstbaren Geister glaubten, dem Beispiele ihrer Gebieterin folgen zu müssen. Sie warfen ihre Requisiten zu dem nun leeren Topfe und wackelten ihr schleunigst nach. Ich biß mich in die Lippen. Der Türke stieß einen zornigen Fluch aus. Der Emir sah an seinen nassen Beinen nieder, richtete dann seine Augen auf mich, bemerkte das nicht zu unterdrückende, krampfhafte Zucken und Arbeiten meiner Gesichtsmuskeln und – – brach in ein lautes, herzliches Gelächter aus. Ich stimmte sofort ein, denn ich war froh, mir Luft machen zu können. Ben Nil und sein Großvater fielen auch ein, und das wirkte ansteckender und schneller als der gefährlichste Komma-Bacillus: das Gelächter ging rundum; es lachte der ganze Kreis unserer Soldaten.

Nun war es unmöglich, die vorige Strenge wieder aufzunehmen. Der Emir nahm mich beim Arme und zog mich aus dem Kreise. Außerhalb desselben hin und her gehend, besprachen wir uns. Der Wassertopf hatte ihn wohlwollender gestimmt; ich that natürlich mein möglichstes, und das Resultat war, daß er in den Kreis zurückkehrte und mit lauter Stimme sein Urteil verkündete:

»Im Namen und Auftrage des Vicekönigs, welchem Allah tausend Jahre verleihen möge! Diese Seribah Aliab ist seit ihrem Bestehen ein Schauplatz des Verbrechens gewesen; sie soll von der Erde verschwinden, indem noch heute am Vormittage an alle Tokuls Feuer gelegt wird. Murad Nassyr, der bisherige Sklavenhändler, hat zu schwören, daß er diesem Handwerke für immer entsagt. Darauf begleite er uns auf unserm Zuge nach Wagunda. Hat er uns die Wahrheit gesagt, so wird ihm verziehen und all sein Eigentum bleibt unangetastet. Stellt es sich aber heraus, daß er uns belogen hat, so bekommt er die Kugel und alles, was ihm gehört, verfällt der Kasse der Asaker. Während seiner Abwesenheit werden seine Niswan auf meinem Schiffe wohnen. Die elf Soldaten des Sklavenjägers haben den Tod verdient, doch dieser Effendi hat für sie gebeten, und Allah will ihnen Gelegenheit zur Besserung geben. Sie dürfen mit uns ziehen. Kämpfen sie tapfer an unserer Seite, so sei ihnen verziehen und sie mögen, wenn sie wollen, zu uns gehören; zeigt sich aber auch nur einer von ihnen ungehorsam, so werden alle erschossen. Sie mögen darum auf einander Achtung geben.«

Er hatte ausgesprochen. Es entstand fast eine minutenlange, stumme Pause; dann sprang der alte Feldwebel vor, schwang beide Arme hoch in die Luft und rief:

»Allah segne den Reis Effendina heute, immer und ewig.«

»Iljaum, daiman, abadi!« wiederholten im Chore alle Stimmen.

Der Türke kam zum Emir, verbeugte sich und leistete den verlangten Schwur; dann gab er mir die Hand und sagte:

»Das habe ich nur dir zu verdanken und werde es dir nie vergessen. Ich schwöre dir, daß du deine Fürbitte nie bereuen wirst!«

Damit der allgemeinen Freude auch die pikante Würze nicht fehle, kam das Ewigweibliche jetzt wieder gewallfahrtet. Turteltaube hatte einen andern, aber auch dampfenden Topf in den Händen. Die Hände aber waren dieses Mal nicht in Gefahr, verbrannt zu werden, denn sie hatte, – – ihre Pantöffelchen darübergesteckt. Die Not ist zuweilen eine sehr scherzhafte Lehrmeisterin.

Ich eilte hinzu, ergriff sie – nicht etwa am Arme, nein, das durfte ich nicht, sondern bei ihrer Umhüllung und zog sie nach dem Tokul ihres Bruders, in dessen Vorderabteilung sie dem Emir und mir den festlichen Trank kredenzen durfte, wobei es dieses Mal keine nassen Hosen gab.

Nun begann in der Seribah ein sehr lebendiges Regen und Bewegen. Die erst feindlichen Asaker wurden als Freunde behandelt und halfen fleißig bei der Arbeit. Alles Brauchbare, was die Tokuls enthielten, wurde entweder gleich verteilt oder auf das Schiff gebracht, und als sie dann leer waren, wurde die »Hand des Feuers« an sie gelegt. Wir blieben wachend dabei, um zu verhüten, daß der Brand auf den Wald überging. Indessen wurde mit Hilfe von Stangen und Matten für den Harem eine kleine Kajüte auf dem Deck des Schiffes errichtet. Zur Mittagszeit lag die Seribah in rauchenden Trümmern; dann schifften wir uns ein, hoben die Anker und segelten mit geschwellter Leinwand dem Süden zu.

Welche Sorge hatte uns vorher die Seribah Aliab gemacht! Und nun hatte nur die Hälfte eines Tages dazu gehört, sie in unsere Gewalt zu bringen und vollständig zu zerstören! – –