Vierundvierzigstes Capitel.


Vierundvierzigstes Capitel.

Stromboli.

Als ich wieder die Augen aufschlug, fühlte ich mich von der kräftigen Hand unsers Führers am Gürtel gefaßt. Mit der andern stützte er meinen Oheim. Ich war nicht schwer verwundet, sondern mehr am ganzen Körper zerschlagen und gelähmt. Ich lag auf dem Abhang eines Berges, zwei Schritte von einem Schlund, in welchen die geringste Bewegung mich hinabgestürzt hätte. Hans hatte mich vom Tode gerettet, während ich über die Seitenwand des Kraters rollte.

»Wo sind wir?« fragte mein Oheim, welcher mir aufgebracht vorkam, daß er wieder auf die Erde zurück gekommen sei.

Der Jäger zuckte mit den Achseln, um kund zu geben, daß er’s nicht wisse.

»In Island, sagte ich.

– Nej, erwiderte Hans.

– Wie? Nein? rief der Professor.

– Hans irrt«, sagte ich; und stand auf.

Nach den unzähligen Ueberraschungen dieser Reise war uns eine erstaunliche noch vorbehalten. Ich war darauf gefaßt, einen mit ewigem Schnee bedeckten Kegel zu sehen, mitten in den dürren Wüsteneien der nördlichen Gegenden, und ganz dem entgegen lagen wir am Abhange eines Berges, der von den glühenden Strahlen einer versengenden Sonne ausgetrocknet war.

Ich wollte nicht meinen Augen trauen; aber der Sonnenbrand, den mein Körper wirklich zu erleiden hatte, benahm allen Zweifel. Wir waren halbnackt aus dem Krater herausgekommen, und das strahlende Gestirn, welches uns seit zwei Monaten nichts gespendet hatte, zeigte sich gegen uns freigebig mit Licht und Wärme.

Als sich meine Augen an diesen Glanz wieder gewöhnt hatten, war ich bemüht, unseren Irrthum zu berichtigen.

Der Professor ergriff zuerst das Wort, und sprach:

»Wirklich, das sieht nicht aus wie Island.

– Aber doch wie die Insel Mayen? erwiderte ich.

– Auch das nicht, lieber Junge; es ist kein Vulkan des Nordens mit einer Schneekoppe.

– Doch …

– Sieh! Axel, sieh nur!«

Höchstens fünfhundert Fuß über unserm Kopf öffnete sich der Krater eines Vulkans, aus welchem von Viertel- zu Viertelstunde mit starkem Donnergetöse eine hohe Flammensäule, vermischt mit Bimsstein, Asche und Lava hervordrang. Nach unten, über einen ziemlich steilen Abhang, ergossen sich ausgeworfene Stoffe in Streifen sieben- bis achthundert Fuß hinab, woraus sich für den Vulkan eine Gesammthöhe von dreihundert Klafter ergab. Sein Fuß verlor sich in einem wahren Garten grüner Bäume, unter denen ich Oelbäume, Feigen und mit rothen Trauben reich beladene Reben unterschied.

So sehen nicht nordische Länder aus, das mußte man zugeben.

Wenn der Blick über diese grüne Umgebung hinausschweifte, verlor er sich gleich in den Gewässern eines wunderlichen Meers oder See’s, der dieses Zauberland zu einer großen Insel von kaum einigen Meilen machte. Oestlich sah man hinter einigen Häusern einen kleinen Hafen, worin eigenthümlich geformte Schiffe auf azurblauen Wogen schaukelten. Weiter hinaus ragten Inselgruppen aus der Wasserfläche hervor, so zahlreich, daß sie wimmelten wie ein Ameisenhaufen. Westlich begrenzte fernes Küstenland den Horizont; auf der einen war in harmonisch geformten Umrissen blaues Gebirg gezeichnet; auf den anderen, die ferner waren, sah man einen erstaunlich hohen Bergkegel, aus dessen Spitze eine Rauchsäule aufstieg. Nördlich schimmerte in den Sonnenstrahlen eine unendlich weite Wasserfläche, woraus hier und dort ein Mast oder ein schwellendes Segel hervorglänzte.

Das Ueberraschende eines solchen Anblicks erhöhte noch hundertfach die wunderbare Schönheit desselben.

»Wo sind wir? wo sind wir?« wiederholte ich leise. Hans schloß gleichgiltig seine Augen, und mein Oheim schaute das zauberhafte Bild, ohne es zu begreifen.

»Wie auch dieser Berg heißen mag, sagte er endlich, es ist hier ein wenig heiß; die Explosionen dauern ununterbrochen fort, und es verlohnte wahrhaftig nicht der Mühe, einem Ausbruch glücklich entronnen zu sein, um einen Felsblock auf den Kopf zu bekommen. Wir wollen hinabsteigen, da werden wir erfahren, woran wir sind. Uebrigens hab‘ ich Hunger und Durst zum Sterben.«

Gewiß, der Professor war kein schwärmerischer Kopf. Ich meinerseits hätte Bedürfniß und Strapazen vergessen, und wäre noch Stunden lang an dieser Stelle geblieben, aber ich mußte mich meinen Gefährten anschließen.

Der Abhang des Vulkans war sehr steil; wir glitten in Schluchten voll Asche, indem wir den Lavaströmen auswichen, welche gleich feurigen Schlangen hinabflossen. Beim Hinabsteigen plauderte ich geschwätzig, denn meine volle Phantasie mußte sich aussprechen.

»Wir sind in Asien, rief ich aus, an Indiens Küsten, auf den Malaischen Inseln, in Oceanien! Wir sind durch die Hälfte des Erdballs gefahren, um bei den Antipoden Europa’s herauszukommen.

– Aber die Magnetnadel? erwiderte mein Oheim.

– Ja, die Magnetnadel! sagte ich verlegen. Sollten wir ihr glauben, so sind wir stets nordwärts gefahren.

– Also hat sie gelogen?

– O! Gelogen!

– Sofern nicht hier der Nordpol liegt!

– Der Pol nicht; aber …«

Es lag hier eine unerklärliche Thatsache vor.

Indessen näherten wir uns der grünen Ebene, welche einen so freundlichen Anblick gewährte. Hunger und Durst quälten mich. Zum Glück bot sich, nachdem wir zwei Stunden gegangen, unsern Blicken ein hübsches Feldstück dar, das ganz mit Oliven- und Granatbäumen und Reben bedeckt war, welche aussahen, als seien sie Jedermanns Eigenthum. Uebrigens nahmen wir’s, in unserem entblößten Zustand, damit nicht so genau. Wie erquickten uns da die saftigen Früchte und die rothen Trauben, womit wir zur Sättigung uns labten! Nicht weit entfernt entdeckte ich im Grase unter köstlichem Baumschatten eine kalte, sprudelnde Quelle, womit wir uns Angesicht und Hände erfrischten.

Während wir so in diesen Labungen uns erholten, zeigte sich ein Knabe zwischen dem Olivengebüsch.

»Ah! rief ich, ein Bewohner dieser glücklichen Landschaft!« Es war ein armer, elend gekleideter Junge, den offenbar unser Anblick in Schrecken setzte; und wirklich, halb bekleidet mit wilden Bärten, hatten wir wohl ein schlimmes Aussehen, und wäre dies Land nicht eine Räuberheimat, so waren wir geeignet, seinen Bewohnern Schrecken einzujagen.

Sowie der Junge entfliehen wollte, lief ihm Hans nach und brachte ihn trotz alles Schreiens und Sträubens zurück. Mein Oheim, um ihn auf’s beste zu beruhigen, redete ihn zuerst auf gut Deutsch an:

»Wie heißt dieser Berg, lieber Kleiner?«

Keine Antwort.

»Gut, sagte mein Oheim, in Deutschland sind wir nicht.«

Er that dieselbe Frage auf Englisch.

Der Knabe antwortete auch darauf nicht. Ich war sehr verlegen.

»Ist er denn stumm?« rief der Professor, und da er auf seine Sprachenkenntniß sich etwas einbildete, stellte er ihm dieselbe Frage im Französischen.

Wieder keine Antwort.

»So versuchen wir Italienisch«, fuhr mein Oheim fort, und fragte in dieser Sprache:

»Wo sind wir?«

Gleiches Schweigen. Nun aber ward mein Oheim zornig, und zupfte den Knaben bei den Ohren und rief: »Ei was! wirst Du reden? Wie heißt diese Insel?«.

– Stromboli, erwiderte der Hirtenknabe, machte sich von Hans los und lief querfeldein durch den Olivengarten.

Wir dachten nicht mehr an ihn. Stromboli! Wie regte dieses unerwartete Wort meine Phantasie an! Wir befanden uns in der Mitte des Mittelländischen Meeres, auf der Insel, wo einst Aeolus die Winde und Stürme gefesselt hielt. Und diese blauen Berge im Osten waren die Berge Calabriens! und dieser am südlichen Horizont ragende Vulkan der fürchterliche Aetna.

»Stromboli! Stromboli!« rief ich wiederholt, und stimmte ein Loblied an, wobei mein Oheim mich begleitete:

O! wundervolle Reise! Hinabgefahren durch einen Vulkan in den Schoß der Erde, kamen wir durch einen anderen wieder heraus, und dieser lag über zwölfhundert Meilen vom Snäfields entfernt, von dem öden Island an den Grenzmarken der Erde! Die Wechselfälle dieser Fahrt haben uns unter den lieblichsten Gegenden des Erdbodens hergeführt. Wir verließen die Region des ewigen Schnees gegen die des ewigen Grün, und den grauen Nebel der Eiszonen über unseren Köpfen gegen den lasurblauen Himmel Siciliens!

Nach einem köstlichen Mahl aus Obst und frischem Wasser machten wir uns wieder auf den Weg nach dem Hafen von Stromboli. Es schien uns nicht klug, offen zu sagen, wie wir auf die Insel gekommen waren; der abergläubische Sinn der Italiener würde uns für Teufel, welche die Hölle ausgespien, angesehen haben; es war daher gerathen, daß wie uns für Schiffbrüchige ausgeben.

Unterwegs hörte ich meinen Oheim murmeln:

»Aber die Magnetnadel! Die Magnetnadel, die Norden zeigte! wie ist dies zu erklären?

– Wahrhaftig! sagte ich mit vornehmer Verachtung, man braucht gar nicht zu erklären, das ist leichter!

– Das wäre! ein Professor am Johanneum sollte den Grund einer kosmischen Naturerscheinung nicht anzugeben wissen! Das wäre eine Schande!«

Bei diesen Worten ward mein Oheim, halb bekleidet, den Ledergürtel um die Hüften und die Brille über der Nase wieder der fürchterliche Professor der Mineralogie.

Eine Stunde, nachdem wir das Olivenwäldchen verlassen, kamen wir im Hafen S. Vicenzo an, wo Hans den Lohn für seine dreizehnte Woche forderte, der ihm auch mit wärmstem Handschlag verabfolgt wurde.

Er fühlte einige besondere Rührung, drückte mit seinen Fingern leise unsere Hände und lächelte.

Fünfundvierzigstes Capitel.


Fünfundvierzigstes Capitel.

Schluß.

Nun komme ich zum Schluß meines Berichts, welchem Manche, so sehr sie sich auch gewöhnt haben über nichts zu erstaunen, den Glauben versagen werden. Aber ich bin zum Voraus gegen den Unglauben der Menschen gerüstet.

Die Fischer zu Stromboli nahmen uns mit allen Rücksichten auf, welche man Schiffbrüchigen zollt. Sie beschenkten uns mit Kleidung und Lebensmitteln. Nachdem wir achtundvierzig Stunden gewartet, brachte uns eine kleine Barke nach Messina, wo wir uns in einigen Tagen völlig ausruhten und erholten.

Freitags, 4. September, gingen wir auf dem Volturno, einem Post-Packetboot der kaiserlichen Messagerien, unter Segel, und landeten nach drei Tagen zu Marseille, ohne weitere Sorge, als über die verdammte Magnetnadel, denn diese unerklärliche Thatsache quälte mich ernstlich. Am 9. September Abends langten mir zu Hamburg an. Unbeschreiblich war das Erstaunen Martha’s, Gretchen’s Jubel.

»Nun, da Du ein Held bist, sagte meine liebe Braut, brauchst Du mich nicht mehr zu verlassen, Axel!«

Ich sah ihr in’s Auge. Sie weinte lächelnd.

Daß des Professors Lidenbrock Rückkehr zu Hamburg Aufsehen machte, versteht sich von selbst. Durch Martha’s Redseligkeit war die Nachricht von seiner Abreise nach dem Mittelpunkt der Erde überall verbreitet worden. Man glaubte nicht daran, und als man ihn wiedersah, glaubte man’s noch weniger.

Jedoch durch die Anwesenheit unsers Hans, und einige Nachrichten, die man aus Island erhielt, änderte sich allmälig die öffentliche Meinung. Nun wurde mein Oheim ein großer Mann, und ich der Neffe eines großen Mannes, und das ist schon Etwas. Hamburg gab uns zu Ehren ein Fest. Im Johanneum fand eine öffentliche Sitzung statt, worin der Professor einen Bericht über seine Unternehmung vortrug. An demselben Tage legte er Saknussemm’s Document im Archiv der Stadt nieder, und erklärte sein lebhaftes Bedauern, daß ihm die Umstände nicht erlaubt hätten, die Spuren des isländischen Reisenden bis zum Mittelpunkt der Erde weiter zu verfolgen.

So viel Ehre mußte ihm Neider erwecken. Es fehlte daran nicht, und da seine Theorien, auf zuverlässige Thatsachen gestützt, den wissenschaftlichen Systemen über die Frage des Centralfeuers widersprachen, so hatte er mit den Gelehrten aller Länder merkwürdige Streitigkeiten zu bestehen.

Ich meines Theils kann seine Theorie des Erkaltens nicht gelten lassen, trotzdem, was ich gesehen habe, glaube ich an die Centralwärme, und werde stets daran glauben; doch gebe ich zu, daß gewisse, noch nicht hinlänglich bestimmte Umstände dieses Gesetz unter Einwirkung von Naturerscheinungen modificiren können.

Zur Zeit als diese Fragen lebhaft im Zug waren, erlitt mein Oheim einen herben Kummer. Hans, den das Heimweh befiel, verließ trotz seiner Bitten Hamburg. Der Mann, dem wir Alles verdankten, wollte das nicht gestatten, ihm den Tribut unserer Dankbarkeit zu zollen.

»Farval«, sagte er eines Tages, und nach diesem einfachen Abschied reiste er nach Reykjawik, wo er glücklich ankam.

Wir waren unserem wackeren Eiderjäger sehr anhänglich. Die ihm ihr Leben verdankten, werden seiner stets in Liebe gedenken, und ich werde gewiß vor meinem Ende ihn noch besuchen.

Zum Schluß darf ich beifügen, daß diese Reise nach dem Mittelpunkt der Erde ungeheures Aufsehen in der ganzen Welt erregte. Sie wurde gedruckt und in alle Sprachen übersetzt; die gelesensten Journale eigneten sich ihre wichtigsten Capitel an, und sie wurden dann erläutert, erörtert, angegriffen, vertheidigt mit gleicher Ueberzeugung im Lager der Gläubigen und Ungläubigen. Es wurde meinem Oheim die seltene Gunst des Schicksals zu Theil, daß er noch bei Lebzeiten seinen vollen Ruhm genoß, sodaß sogar Barnum ihm den Antrag machte, ihn für hohen Preis in allen Vereinigten Staaten öffentlich sehen zu lassen.

Aber mitten in diesem Ruhm beschlich ihn ein Unbehagen, quälte ihn eine Pein: die unerklärliche Thatsache der Magnetnadel. Für einen Gelehrten wird eine solche unerklärte Thatsache zu einer Qual des Verstandeslebens. Nun, der Himmel beschied meinem Oheim die Vollständigkeit seines Glückes.

Eines Tages, als ich eine Sammlung Mineralien in seinem Cabinet ordnete, kam mir dieser merkwürdige Compaß unter die Augen, und ich beobachtete ihn.

Seit sechs Monaten befand er sich in seinem Winkel, ohne zu ahnen, welche Unruhe er verursachte.

Auf einmal, welch Erstaunen! Ich schrie laut auf. Der Professor kam eilig herbei.

»Was giebt’s, fragte er.

– Dieser Compaß! …

– Nun?

– Seine Nadel weist auf Süden und nicht auf Norden!

– Was sagst Du?

– Sehen Sie! Die Pole verkehrt.

– Verkehrt!«

Mein Oheim schaute, verglich und sprang auf, daß das Haus erzitterte.

Welches Licht drang auf einmal in seinen und meinen Geist!

»Also, rief er aus, sobald er wieder sprechen konnte, seit unserer Ankunft am Cap Saknussemm zeigte die verdammte Nadel auf Süden anstatt auf Norden?

– Offenbar.

– Dadurch erklärt sich unsere Irrfahrt. Aber welches Ereigniß konnte die Umkehrung der Pole bewirken?

– Ein sehr einfaches.

– Sprich Dich aus, lieber Junge.

– Während des Sturmes auf dem Meer Lidenbrock hat die Kugel, welche das Eisen des Flosses magnetisirte, unsere Nadel ganz einfach irre gemacht.

– So! rief der Professor mit hellem Lachen, da hat also die Elektricität einen Streich gespielt?«

Von diesem Tag an war mein Oheim der glücklichste Gelehrte, und ich der glücklichste Mensch, denn meine hübsche Vierländerin, die mündig geworden, nahm in dem Hause in der Königsstraße die doppelte Stellung an als Nichte und Ehefrau. Dazu kam sodann, daß ihr Oheim der berühmte Professor Otto Lidenbrock war, correspondirendes Mitglied aller wissenschaftlichen, geographischen und mineralogischen Gesellschaften der ganzen Welt.

Einunddreißigstes Capitel.


Einunddreißigstes Capitel.

Zu Schiffe.

Am folgenden Tag wachte ich völlig geheilt auf. Ich dachte, ein Bad würde mir sehr heilsam sein, und tauchte mich einige Minuten lang in die Gewässer dieses mittelländischen Meeres.

Als ich zurückkam, speiste ich mit trefflichem Appetit. Hans verstand sich darauf, ein Frühstück zu bereiten; er war mit Wasser und Feuer versehen, so daß er ein wenig Abwechselung in unser Frühstück bringen konnte. Zum Dessert lieferte er uns einige Tassen Kaffee, und nie hat mir dieses köstliche Gebräu angenehmer geschmeckt.

»Jetzt, sagte mein Oheim, ist die Zeit der Ebbe und Fluth, und wir dürfen die Gelegenheit, diese Erscheinung zu studiren, nicht vorüber gehen lassen.

– Wie? Ebbe und Fluth?

– Allerdings.

– Reicht der Einfluß von Sonne und Mond so weit hinab?

– Warum nicht? Sind die Körper nicht im Ganzen der allgemeinen Anziehung unterworfen? Diese Wassermasse kann sich folglich nicht dem allgemeinen Gesetz entziehen. Daher wirst Du auch sehen, daß sie, trotz des Drucks der Atmosphäre, welcher auf ihre Oberfläche wirkt, steigt, wie das atlantische Meer.«

In diesem Augenblick betraten wir den Sand am Ufer, und sahen die Wellen nach und nach mehr auf dem flachen Boden vordringen.

»Da ist ja die beginnende Fluth, rief ich aus.

– Ja, Axel, und aus dieser Anhäufung von Schaum kannst Du abnehmen, daß das Meer wohl zehn Fuß hoch steigt.

– Wunderbar!

– Nein, es ist natürlich.

– Sie haben gut reden, lieber Oheim, alles dies kommt mir außerordentlich vor, und ich kann kaum meinen Augen trauen. Wer hätte jemals sich in dieser Erdrinde ein wirkliches Meer gedacht, mit Ebbe und Fluth, Seewind und Stürmen!

– Warum nicht? Spricht ein Grund der Physik dagegen?

– Ich sehe nicht, sobald man das System der Central-Wärme aufgeben muß.

– Also bis auf diesen Punkt findet sich Davy’s Theorie gerechtfertigt?

– Offenbar, und dennoch liegt darin kein Widerspruch, daß es Meere oder Landschaften im Innern der Erde giebt.

– Ohne Zweifel, aber unbewohnte.

– Gut! Warum sollten diese Wasser nicht einige Fische von einer unbekannten Gattung enthalten?

– Jedenfalls haben wir bis jetzt noch nicht einen einzigen wahrgenommen.

– Nun, wir können Angeln machen, und sehen, ob der Köder hier unten ebenso anzieht als in den Gewässern unter’m Mond.

– Wir wollen’s versuchen, Axel, denn wir müssen in alle Geheimnisse dieser neuen Gegenden dringen.

– Aber wo befinden wir uns denn? lieber Oheim, denn ich habe noch nicht diese Frage an Sie gerichtet, worauf Ihre Instrumente Ihnen die Antwort schon gegeben haben müssen.

– Horizontal dreihundertundfünfzig Meilen von Island.

– So weit?

– Ich bin überzeugt, daß ich nicht um fünfhundert Klaftern irre.

– Und die Magnetnadel weist fortwährend auf Süd-Ost?

– Ja, mit einer westlichen Abweichung von neunzehn Grad und zweiundvierzig Minuten, gerade wie oben auf der Erde. Was die verticale Richtung betrifft, so ist ein merkwürdiger Fall eingetreten, den ich sorgfältig beobachtet habe.

– Und welcher?

– Die Nadel, anstatt sich, wie sonst auf der nördlichen Hemisphäre, gegen den Pol hin zu richten, hebt sich dagegen.

– Also muß man daraus schließen, daß der magnetische Anziehungspunkt sich zwischen der Erdoberfläche und dem Punkt, wo wir eben sind, findet.

– Ganz richtig, und es ist zu vermuthen, daß, wenn wir in die Polargegenden kämen, zum siebenzigsten Grad, wo James Roß den magnetischen Pol entdeckt hat, die Nadel in senkrechter Richtung stehen würde. Folglich liegt dies geheimnißvolle Centrum der Anziehung nicht sehr tief.

– Wirklich, und das ist eine von der Wissenschaft nicht geahnte Thatsache.

– Die Wissenschaft, lieber Junge, ist voll Irrthümer, die man aber nicht zu scheuen hat, weil sie allmälig der Wahrheit zuführen.

– Und wie tief sind wir jetzt unten?

– Fünfunddreißig Meilen.

– Also, sagte ich mit einem Blick auf die Karte, das schottische Hochland über unserm Kopf, und dort die mit Schnee bedeckten Gipfel der Grampiangebirge sind wunderbar hoch.

– Ja, erwiderte der Professor lachend. Eine etwas schwere Bürde, aber das Gewölbe ist solid; der große Baumeister des Weltalls hat es aus guten Materialien errichtet, und niemals hätte der Mensch ihm eine gleiche Tragfähigkeit zu geben vermocht. Was wollen die Brückenbogen und die Gewölbe der Kathedralen gegen dieses Schiff mit einem Halbmesser von drei Meilen, unter welchem ein Meer und seine Stürme sich bequem entwickeln können?

– O! Ich habe keine Angst, daß mir der Himmel auf den Kopf falle. Jetzt, lieber Oheim, was haben Sie im Plan? Denken Sie nicht auf die Erdoberfläche zurückzukehren?

– Zurückkehren? Das wäre! Im Gegentheil, die Reise fortsetzen, weil Alles bis jetzt so gut gegangen.

– Doch weiß ich nicht, wie wir unter dieser flüssigen Ebene weiter dringen werden.

– O! Ich denke nicht kopfüber mich hinein zu stürzen. Aber wenn die Oceane, richtig benannt, nur Seen sind, weil sie von Land umgeben werden, so ist mit um so mehr Grund anzunehmen, daß dieses innere Meer vom granitenen Bau umgeben ist.

– Kein Zweifel.

– Nun, auf dem jenseitigen Ufer bin ich sicher neue Ausgänge zu finden.

– Wie groß glauben Sie, daß dieser Ocean sei?

– Dreißig bis vierzig Meilen.

– Ah! sagte ich; doch meinte ich, diese Schätzung möchte wohl nicht völlig genau sein.

– Also wir haben keine Zeit zu verlieren, und gleich morgen wollen wir in die See stechen.«

Unwillkürlich sah ich mich um nach dem Fahrzeug, das uns hinüberschaffen sollte.

»Nun, sagte ich, einschiffen werden wir uns. Gut! und auf welchem Boot werden wir Platz nehmen?

– Dafür bedarf’s keines Bootes, lieber Junge, sondern ein gutes und solides Floß wird ausreichen.

– Ein Floß! rief ich aus. Ein Floß ist ebenso schwer zu bauen, und ich sehe nicht …

– Du siehst nicht, Axel, aber wenn Du hören willst, könntest Du hören!

– Hören?

– Ja, die Hammerschläge würden Dir begreiflich machen, daß Hans schon an der Arbeit ist.

– Er errichtet ein Floß?

– Ja.

– Wie! hat er schon Bäume gefällt?

– O! die Bäume waren sämmtlich gefällt. Komm, und Du wirst ihn bei der Arbeit finden.«

Nachdem wir eine Viertelstunde weit gegangen, bemerkte ich jenseits des Vorgebirgs, welches den kleinen Hafen bildete, Hans bei der Arbeit. Nur noch einige Schritte und ich war bei ihm. Zu meiner großen Ueberraschung lag ein halb fertiges Floß auf dem Sand; es war aus Balken einer ganz besonderen Holzart gefertigt, und eine Anzahl Bohlen, Kniestücke, Spante aller Art bedeckten den Boden. Man konnte daraus schon eine Flotte bauen.

»Oheim, rief ich, was ist das für ein Holz?

– Fichten, Tannen, Birken, allerlei zapfentragende Bäume des Nordens, die durch’s Seewasser mineralisirt worden.

– Ist’s möglich?

– Man nennt dies fossile Holz ’surtarbrandur‘.

– Aber dann muß es, als versteinertes Holz und hart wie ein Stein, im Wasser untergehen?

– Das ist zuweilen der Fall; manches Holz der Art ist vollständig Anthracit geworden; anderes aber, wie dieses, hat nur einen Anfang der Umbildung erlitten. Schaue nur«, fuhr mein Oheim fort, und warf eins dieser kostbaren Stücke in’s Meer.

Das Stück kam, nachdem es untergesunken, wieder an die Oberfläche des Wassers und schwankte auf den Wellen.

»Hast Du Dich überzeugt? sagte mein Oheim.

– Um so mehr, als es unglaublich ist!«

Am folgenden Abend war, Dank der Geschicklichkeit des Führers, das Floß fertig; es war zehn Fuß lang und fünf breit. Die mit starken Stricken zusammengeschnürten Balken von Surtarbrandur gewährten eine solide Fläche, und als dieses improvisirte Fahrzeug in’s Wasser gelassen war, schwamm es ruhig auf den Wogen des Meeres Lidenbrock.

Zweiunddreißigstes Capitel.


Zweiunddreißigstes Capitel.

Eine Wasserpartie.

Am 13. August standen wir frühzeitig auf. Es handelte sich darum, eine neue Art von Transportmittel einzuweihen.

Ein aus zwei mit Schalen verstärkten Stäben verfertigter Mast, eine aus einem dritten gebildete Raa, ein unseren Decken entliehenes Segel – dies war das Takelwerk des Flosses. An Stricken mangelte es nicht. Alles war solid.

Um sechs Uhr gab der Professor das Zeichen zum Einschiffen. Die Lebensmittel, Bagage, Instrumente, die Waffen und ein ansehnlicher Vorrath süßen Wassers, welcher in den Felsen gesammelt worden war, befanden sich an der Stelle. Hans hatte ein Steuerruder eingerichtet, womit er seinen schwimmenden Apparat leiten konnte. Er stellte sich an die Barre. Ich machte das Ankertau, womit wir am Ufer befestigt waren, los. Das Segel wurde gerichtet, und wir stießen rasch vom Ufer ab.

Im Augenblick, als wir den Hafen verließen, wollte mein Oheim demselben einen Namen geben, etwa den meinigen.

»Wahrhaftig, sagt‘ ich, ich habe Ihnen einen anderen vorzuschlagen.

– Welchen?

– Den Namen Gretchen’s. Hafen Gretchen wird sich gut auf der Karte ausnehmen.

– Richtig: Hafen Gretchen.«

So hat sich das Andenken an meine liebe Vierländerin mit unserer abenteuerlichen Fahrt verknüpft.

Der Wind wehte aus Nord-Ost. Wir fuhren von ihm getrieben äußerst schnell. Die dichte Atmosphäre hatte bedeutende Treibkraft und wirkte auf das Segel wie ein starker Blasebalg.

Nach Verlauf einer Stunde konnte mein Oheim unsere Schnelligkeit ziemlich genau schätzen.

»Wenn es so fort geht, sagte er, machen wir in vierundzwanzig Stunden mindestens dreißig Meilen, und werden bald das jenseitige Ufer erkennen.«

Ich erwiderte nichts und nahm meinen Platz vornen auf dem Floß. Bereits sank das nördliche Ufer zum Horizont herab. Vor meinen Augen erstreckte sich ein unermeßliches Meer. Große Wolken breiteten rasch ihre grauen Schatten über seine Oberfläche. Die silbernen Strahlen des elektrischen Lichtes, hie und da von einigen Tröpfchen reflectirt, ließen in den von dem Fahrzeug aufgeregten Wirbeln leuchtende Punkte hervorglänzen. Bald war alles Land aus dem Gesicht verloren, jedes Merkzeichen verschwunden, und wäre nicht das schäumende Fahrwasser des Flosses gewesen, so hätte ich meinen können, dasselbe sei vollständig unbeweglich.

Gegen Mittag sah man ungeheure Seegrasmassen auf der Oberfläche der Wellen treiben. Ich kannte die vegetative Kraft dieser Pflanzen, welche in einer Tiefe von mehr als zwölftausend Fuß auf dem Meeresgrund kriechen, sich unter’m Druck von vierhundert Atmosphären fortpflanzen, und oft sehr ansehnliche Bänke bilden, um den Lauf der Schiffe zu hemmen; aber niemals, glaub‘ ich, gab’s riesenhafteres Seegras, als im Meer Lidenbrock.

Unser Floß fuhr an drei- bis viertausend Fuß langem Fucus vorüber, ungeheure Schlangengewinde, die sich über die Weite des Gesichtskreises hinauszogen; es machte mir Vergnügen, ihre unendlichen Bänder mit dem Blick zu verfolgen, ohne ihr Ende zu erreichen, und meine Geduld, wo nicht meine Erwartung, wurde Stunden lang getäuscht.

Was war dies für eine Naturkraft, welche solche Pflanzen hervorbrachte, und wie muß das Aussehen der Erde in den ersten Jahrhunderten ihrer Bildung gewesen sein, als unter Zusammenwirken von Wärme und Feuchtigkeit das Pflanzenreich allein auf seiner Oberfläche zur Entwickelung kam!

Der Abend kam, und wie ich Tags zuvor bemerkt hatte, die Helle der Luft blieb unvermindert. Es war eine dauernde Naturerscheinung, auf deren Fortbestehen man rechnen konnte.

Nach dem Abendessen legte ich mich am Fuße des Masts nieder und schlief unverzüglich ein inmitten sorgloser Träume.

Hans, unbeweglich am Steuer, ließ dem Floß seinen Lauf, das übrigens, vom Winde getrieben, einer Leitung nicht bedurfte.

Seit unserer Abfahrt aus Gretchen-Hafen hatte mich der Professor Lidenbrock beauftragt, das Tagebuch der Fahrt zu führen, die geringsten Wahrnehmungen darin zu verzeichnen, die interessanten Erscheinungen einzutragen, die Richtung des Windes, die erlangte Schnelligkeit, den durchlaufenen Weg, kurz, alle Ereignisse dieser merkwürdigen Fahrt.

Ich beschränke mich nun darauf, diese täglichen, sozusagen von den Ereignissen dictirten Bemerkungen hier wiederzugeben, um einen desto genaueren Bericht von unserer Ueberfahrt zu geben.

Freitag, 14. August. – Gleichmäßig. N.-O.- Wind. Das Floß fährt rasch geradeaus. Die Küste bleibt 30 Meilen unter dem Wind. Nichts am Horizont. Die Stärke des Lichts unverändert. Schönes Wetter, d.h. die Wolken sehr hoch, wenig dicht und in einer Atmosphäre, die weiß ist wie geschmolzenes Silber.

Thermometer +32° hundertth.

Um Mittag fügt Hans eine Angel an eine Schnur, und wirft sie mit einem Bröckchen Fleisch als Köder in’s Meer. Binnen zwei Stunden fängt er nichts. Also sind diese Gewässer ohne Bewohner? Nein. Man spürt eine Erschütterung. Hans zieht die Schnur heraus und hebt einen Fisch aus dem Wasser, der gewaltig zappelt.

»Ein Fisch! rief mein Oheim.

– Es ist ein Stör! rief ich, ein kleiner Stör!«

Der Professor betrachtet das Thier achtsam und ist nicht meiner Ansicht. Dieser Fisch hat einen platten zugerundeten Kopf und den vorderen Theil des Leibes mit knochenartigen Plättchen besetzt; sein Maul ist ohne Zähne; am schwanzlosen Körper befinden sich ziemlich entwickelte Brustflossen. Dies Thier gehört wohl zu einer Klasse, welcher die Naturforscher den Stör zugewiesen haben, aber es unterscheidet sich auch in wesentlichen Punkten von diesem.

Mein Oheim irrt sich nicht und äußert nach kurzer Untersuchung:

»Dieser Fisch gehört zu einer seit Jahrhunderten ausgestorbenen Familie, wovon man nur fossile Reste im Terrain der Uebergangsepoche findet.

– Wie? sagte ich, wir hätten einen solchen Bewohner der Meere der Urzeit gefangen?

– Ja, erwiderte der Professor, indem er zu beobachten fortfuhr, und Du siehst, daß diese fossilen Fische keineswegs mit den gegenwärtigen Gattungen einerlei sind. Ein solches Wesen lebend zu besitzen, ist für einen Naturforscher ein wahres Glück.

– Aber zu welcher Familie gehört er?

– Zur Ordnung der Ganoiden, Familie der Cephalaspiden, Gattung …

– Nun?

– Gattung Pterychtis, wollt‘ ich beschwören! Aber dieser zeigt eine Eigenthümlichkeit, welche, wie man sagt, nur bei den Fischen der unterirdischen Gewässer angetroffen wird.

– Welche?

– Er ist blind!

– Blind!

– Nicht allein blind, sondern es fehlt das Sehorgan gänzlich.«

Ich schaue, völlig richtig. Aber das kann wohl ein besonderer Fall sein. Man wirft die Angel von Neuem aus. Dies Meer ist allerdings sehr fischreich, denn binnen zwei Stunden fangen wir eine Menge Pterychtis, sowie von der gleichfalls ausgestorbenen Familie der Dipieriden, deren Gattung jedoch mein Oheim nicht erkennen kann. Alle sind ohne Gesichtsorgan. Dieser unverhoffte Fischfang ergänzt reichlich unseren Lebensmittelvorrath.

Also dies scheint ausgemacht, dieses Meer enthält nur fossile Gattungen, worunter die Fische wie Reptilien um so vollkommener sind, als ihre Schöpfung älter ist.

Vielleicht stoßen wir auch auf einige von den Sauriern, welche die Wissenschaft mit einem Stück Knochen oder Knorpel zu ergänzen verstanden hat?

Ich ergreife das Fernrohr und untersuche das Meer. Es ist öde. Ohne Zweifel sind wir noch zu nahe bei den Küsten.

Ich richte meine Blicke in die Lüfte. Warum sollten nicht einige von den Vögeln, welche der unsterbliche Cuvier wieder hergestellt hat, diese schwere Luft mit ihren Flügeln schlagen? An den Fischen fänden sie reichlich Nahrung. Ich beobachte, aber die Lüfte sind ohne Bewohner, wie die Gestade.

Inzwischen führt mich meine Phantasie in die wundervollen Hypothesen der Paläontologie hinein. Ich träume im vollen Wachen. Es dünkt mir, ich sehe auf der Oberfläche der Gewässer jene enormen vorsündfluthigen Schildkröten gleich schwimmenden Inselchen. Am düsteren Strande wandeln die großen Säugethiere der Urzeit, das Leptotherium, das man in den Höhlen Brasiliens fand, das Mericotherium aus den Eisgegenden Sibiriens. Weiterhin der Dickhäuter Lophiodon, dieser Riesentapir versteckt sich hinter den Felsen, bereit, dem Anoplotherium seine Beute streitig zu machen: dieses seltsame Thier hat etwas mit dem Rhinoceros, dem Pferd, dem Flußpferd und dem Kameel gemein, als hätte der Schöpfer eilfertig mehrere Thiergattungen in einer vereinigt. Das riesige Mastodon windet seinen Rüssel und zerbröckelt mit seinen Hauern die Felsen, während das Megatherium mit seinen enormen Tatzen die Erde aufwühlt und mit seinem Gebrüll das hallende Echo der Granite wachruft. Oben erklettert das Urbild des Affen, der Protopitheke, die steilen Gipfel. Weiter oben gleitet der Pterodaktylus mit der geflügelten Hand, wie eine große Fledermaus über der dichten Luft. Endlich, in den höchsten Schichten, entfalten ungeheure Vögel, stärker als der Kasuar, größer als der Strauß, ihre weitgebreiteten Flügel, um mit dem Kopf wider das Granitgewölbe zu stoßen.

Diese ganze fossile Welt kommt mir in der Phantasie wieder zum Bewußtsein. Ich versetze mich in die Schöpfungsepochen der Bibel, welche weit über die Schaffung des Menschen hinausreichen, als die noch unvollständig entwickelte Erde für den Menschen noch nicht genügend war, ja noch ehe lebende Wesen darauf erschienen. Die Säugethiere, dann die Vögel, hierauf die Reptilien der zweiten Epoche verschwanden, endlich die Fische, Schalthiere, Mollusken. Auch die Zoophyten der Uebergangsepoche kehren wieder in ihr Nichts zurück. Es giebt keine Jahreszeiten, kein Klima; die dem Erdkörper eigenthümliche Wärme wächst unaufhörlich und wiegt die der Sonne auf. Die Vegetation überbietet sich. Ich wandle wie ein Schatten unter baumartigen Farrenkräutern, betrete mit schwankendem Schritt die bunten Märgel und Sandsteine des Bodens; ich lehne mich wider einen Stamm ungeheurer Zapfenbäume, und schlafe unter’m Schatten hundert Fuß hoher Lykopodien.

Die Jahrhunderte verfließen wie Jahre! Ich steige die Reihe der Umbildungen der Erde aufwärts. Die Pflanzen verschwinden; die Granitfelsen verlieren ihre Härte; der feste Zustand geht unter Einwirkung einer stärkeren Hitze in den flüssigen über; die Gewässer fließen auf der Oberfläche des Erdballs; sie sieden, verflüchtigen sich; Dünste umhüllen die Erde, die allmälig nur eine gasartige Masse bildet, so groß und glänzend wie die Sonne.

Im Centrum dieses Nebelgestirns, vierzehnhunderttausendmal ansehnlicher, als die Erdkugel, welche es einst bilden soll, fühle ich mich in die Planetenräume fortgezogen!

Was für ein Traum? Wohin führt er mich? Meine fieberhafte Hand bringt diese seltsamen Details zu Papier! Ich habe Alles vergessen, den Professor, den Führer und das Floß.

»Was ist Dir denn?« sagte mein Oheim.

Meine offenen Augen starren ihn an, ohne ihn zu sehen.

»Gieb Acht, Axel, Du wirst in’s Meer fallen!«

Zugleich faßte mich Hans mit kräftiger Hand, sonst wäre ich in meinem Traum in die Wellen hinabgestürzt.

»Ist er ein Narr geworden? schrie der Professor.

– Was giebt’s denn? sagte ich endlich, als ich wieder zu mir kam.

– Bist Du krank?

– Nein, ich war einen Augenblick in Traumgesichte verloren, jetzt ist’s vorüber. Sonst geht Alles gut?

– Ja! Guter Wind, gutes Meer! Wir gleiten rasch voran, und irre ich nicht in meiner Schätzung, so müssen wir bald landen.«

Bei diesen Worten stand ich auf, forschte am Horizont; aber die Linie des Wassers vermischte sich stets mit der des Gewölbes.

Dreiunddreißigstes Capitel.


Dreiunddreißigstes Capitel.

Ein Riesenkampf.

Samstag, 15. August. – Das Meer ist fortwährend einförmig. Kein Land in Sicht. Der Horizont scheint sehr zurückgewichen.

Der Kopf ist mir noch schwer von meinem gewaltigen Traum.

Mein Oheim hat nicht geträumt, aber er ist übler Laune. Er blickt mit seinem Fernrohr in allen Richtungen und kreuzt die Arme mit verdrießlicher Miene.

Ich bemerke, daß der Professor Lidenbrock dazu neigt, wieder der ungeduldige Mann, wie vormals, zu werden, und zeichne die Thatsache auf. Es hatte meiner Gefahren und Leiden bedurft, um ihm einige Funken Menschlichkeit zu entlocken; aber seit meiner Genesung ist er wieder der Alte.

»Sie scheinen unruhig, lieber Oheim? sagte ich, da ich ihn oft das Fernrohr vor die Augen halten sah.

– Unruhig? Nein.

– Also ungeduldig.

– Man könnte es wenigstens sein.

– Doch fahren wir so schnell …

– Gleichviel. Nicht die Schnelligkeit ist zu gering, sondern das Meer zu groß!«

Nun erinnerte ich mich, daß der Professor vor unserer Abfahrt die Länge dieses unterirdischen Meeres auf dreißig Meilen geschätzt hatte. Aber wir hatten bereits einen dreimal so langen Weg gemacht, und die südlichen Ufer waren noch nicht zu sehen.

»Wir kommen damit nicht abwärts! fuhr der Professor fort. Das ist nur Zeit verloren, und, kurz, ich bin nicht so weit hergekommen, um eine Vergnügungsfahrt auf einem Teich zu machen!«

Er nannte also diese Ueberfahrt eine Vergnügungspartie und dies Meer einen Teich.

»Aber, sagte ich, da wir den von Saknussemm angegebenen Weg eingeschlagen haben …

– Das ist die Frage. Sind wir auf diesem Weg geblieben? hat Saknussemm diese Wasserfläche angetroffen? Ist er darüber gefahren? Hat uns nicht der Bach, welchen wir zum Führer nahmen, völlig irre geführt?

– Jedenfalls haben wir nicht zu bedauern, daß wir so weit gekommen sind. Das ist ein prachtvolles Schauspiel, und …

– Um das Schauen handelt sich’s nicht. Ich habe mir einen Zweck vorgesteckt, und ich will ihn erreichen! Also sprich mir nicht von bewundern!«

Ich ließ mir’s gesagt sein, und kümmerte mich nicht darum, daß der Professor sich vor Ungeduld die Lippen zerbiß. Um sechs Uhr Abends forderte Hans seinen Lohn, und seine drei Reichsthaler wurden ihm ausgezahlt.

Sonntag, 16. August. – Nichts Neues. Gleiches Wetter. Der Wind wird etwas frischer. Beim Erwachen ist meine erste Sorge, die Stärke des Lichtes zu constatiren. Ich besorge stets, die elektrische Erscheinung möge dunkler werden, dann verlöschen. Kein Grund dazu. Der Schatten des Flosses ist auf der Wasserfläche klar gezeichnet.

Wahrhaftig, dieses Meer ist unendlich groß! Es muß so breit als das Mittelländische, oder gar Atlantische sein. Warum nicht?

Mein Oheim sondirt öfters. Er befestigt eine der schwersten Spitzhauen an’s Ende eines Strickes und läßt ihn zweihundert Klafter tief hinab. Kein Grund. Es kostet viel Mühe, die Sonde wieder herauf zu bekommen.

Als die Haue wieder herauskam, macht mir Hans bemerklich, wie sich auf derselben stark eingedrückte Stellen befanden. Man konnte meinen, das Stück Eisen sei zwischen zwei harten Körpern stark eingeklemmt gewesen.

Ich sah den Jäger an.

»Tänder!« sprach er.

Ich verstand ihn nicht, wendete mich an meinen Oheim, der ganz in Betrachtungen versunken war. Ich mochte ihn nicht stören, wendete mich daher wieder zu dem Isländer. Dieser machte mir durch wiederholtes Oeffnen und Schließen seines Mundes begreiflich, was er meinte.

»Zähne!« sagte ich mit Bestürzung, als ich achtsamer das Stück Eisen betrachtete.

Ja wohl! es sind die Spuren von Zähnen dem Metall eingedrückt! Die Kinnbacken, worin dieselben stecken, müssen ausnehmend stark sein! Tief unten da treibt sich wohl ein Ungeheuer von den untergegangenen Gattungen um, gefräßiger als der Haifisch, fürchterlicher als der Wallfisch. Ich kann meinen Blick von dem halb zerfressenen Stück Eisen nicht wegwenden. Soll mein Traum der letzten Nacht sich verwirklichen?

Diese Gedanken peinigen mich den ganzen Tag, und meine Phantasie kann sich kaum in einem mehrstündigen Schlaf beruhigen.

Montag, 17. August. Ich suche mir die eigenthümlichen Instincte dieser vorsündfluthigen Thiere wieder zum Bewußtsein zu bringen, welche auf die Weichthiere, Schalthiere und Fische folgend, dem Auftreten der Säugethiere vorausgingen. Die Welt gehörte damals den Reptilien. Diese Ungeheuer beherrschten die Meere der zweiten Epoche. Die Natur hatte ihnen die vollständigste Organisation verliehen. Welch‘ riesenhafter Bau! welche wunderhafte Kraft! Die größten und furchtbarsten der gegenwärtigen Saurier, Alligatore oder Krokodile sind doch nur schwache Nachbilder ihrer Ahnen der Urzeit!

Ich schaudere bei dem Gedanken, daß ich diese Ungeheuer heraufbeschwöre. Kein menschliches Auge hat sie lebend gesehen. Sie erscheinen tausend Jahrhunderte vor dem Menschen auf der Erde; aber aus ihren fossilen Knochen, die man in dem thonigen Kalkstein, welchen die Engländer Lias nennen, wieder auffand, ist es möglich gewesen, sie anatomisch wieder herzustellen und ihren riesenhaften Bau kennen zu lernen.

Ich habe im Museum zu Hamburg das Skelet eines dieser Saurier gesehen, welches dreißig Fuß lang war. Trifft etwa mich, den Erdbewohner, das Loos, einen der Repräsentanten einer vorsündfluthigen Familie vor mir zu sehen? Nein, unmöglich! Doch sind die starken Zähne desselben auf das Eisen eingegraben, und an ihrem Abdruck erkenne ich, daß sie konisch sind, gleich denen des Krokodils.

Mit Schrecken sind meine Augen auf das Meer gerichtet. Ich habe Angst, es möge ein solcher Bewohner der unterseeischen Höhlen aus demselben hervortauchen.

Ich vermuthe, daß der Professor Lidenbrock meine Gedanken, wenn auch nicht meine Besorgnisse theilt, denn nachdem er die Haue untersucht, schweift sein Blick über den Ocean.

»Verflucht, sagte ich bei mir selbst, daß er den Gedanken hatte, zu sondiren! Er hat ein oder das andere Thier aus seiner Ruhestätte aufgestört, und wenn wir nicht während der Fahrt angegriffen werden! …«

Mit einem Blick auf die Waffen versichere ich mich, daß sie in gutem Zustand sind. Mein Oheim sieht’s und giebt seine Billigung zu erkennen.

Bereits zeigen weit reichende Bewegungen der Oberfläche des Wassers, daß die tieferen Schichten beunruhigt sind. Die Gefahr ist nahe. Es gilt zu wachen.

Dienstag, 18. August. Es naht der Abend, oder vielmehr die Zeit, wo der Schlaf auf unsere Augenlider drückt, denn auf diesem Ocean giebt’s keine Nacht, und das unversöhnliche Licht ermüdet unablässig unsere Augen, als wenn wir unter der Sonne des nördlichen Eismeeres führen. Hans steht am Steuer, und während er wacht, schlafe ich.

Zwei Stunden hernach weckt mich eine fürchterliche Erschütterung. Das Floß wird mit unbeschreiblicher Gewalt emporgehoben und zwanzig Klaftern weggeschleudert.

»Was giebt’s? rief mein Oheim. Sind wir aufgefahren?«

Hans weist mit dem Finger auf eine zweihundert Klaftern entfernte schwärzliche Masse, die abwechselnd auf- und niedertaucht. Ich blicke hin und schreie auf:

»Es ist ein riesenmäßiges Meerschwein …

– Ja, versetzte mein Oheim, und dort eine Meereidechse von seltener Größe.

– Und weiter hinaus ein ungeheuerliches Krokodil! Sehen Sie seine große Kinnlade und die Reihen Zähne, womit es gewaffnet ist! Ah! es verschwindet!

– Ein Wallfisch! ein Wallfisch! rief darauf der Professor. Ich sehe seine ungeheuren Flossen! Sieh den Strahl von Wasser und Luft, den er ausstößt!«

Wirklich, man sah zwei Strahlen zu beträchtlicher Höhe über’s Meer emporschießen. Staunen, Bestürzung, Entsetzen ergriff uns beim Anblick dieser Heerde Seeungeheuer. Sie sind von übernatürlicher Größe und das kleinste derselben würde mit einem Biß das ganze Floß zertrümmern.

Hans will das Segel zur schleunigen Flucht aus der gefährlichen Gegend richten; aber er sieht auf der andern Seite nicht minder furchtbare Feinde: eine vierzig Fuß große Schildkröte und eine dreißig Fuß lange Schlange, die den Kopf aus den Wogen emporstreckt.

Flucht ist unmöglich. Die Ungethüme kommen nahe, kreisen um das Floß mit einer Schnelligkeit daß ein Eilzug der Eisenbahn ihnen nicht gleich käme; sie ziehen concentrische Kreise um dasselbe. Ich ergreife meinen Karabiner. Aber was könnte eine Kugel für eine Wirkung auf die Schuppen machen, womit der Körper dieser Thiere gedeckt ist?

Wir sind stumm vor Schrecken. Da kommen sie schon heran! Auf der einen Seite das Krokodil, auf der anderen die Schlange. Die übrigen sind verschwunden. Ich will Feuer geben. Hans hält mich durch ein Zeichen zurück. Die beiden Ungeheuer schießen fünfzig Klaftern vom Floß entfernt vorüber, stürzen sich aufeinander, so daß sie in ihrer Wuth des Kampfes uns nicht gewahren.

Hundert Klaftern vom Floß entfernt entspinnt sich der Kampf. Wir sehen deutlich die beiden Ungeheuer mit einander ringen.

Aber mir kommt’s vor, als kämen jetzt die anderen Thiere herbei, um Theil an dem Kampf zu nehmen, das Meerschwein, der Wallfisch, die Eidechse, die Schildkröte. Ich sehe sie jeden Augenblick dabei, zeige sie dem Hans. Der schüttelt aber den Kopf verneinend.

»Tva, sprach er.

– Was! Zwei? Er behauptet, nur zwei …

– Er hat Recht, rief mein Oheim, der das Fernrohr stets vor den Augen hatte.

– Das wäre!

– Ja! Das erste dieser beiden Ungeheuer hat die Schnauze eines Meerschweins, den Kopf einer Eidechse; die Zähne eines Krokodils, das hat uns getäuscht. Es ist das fürchterlichste der vorsündfluthigen Reptilien, der Ichthyosaurus!

– Und das andere?

– Das andere ist eine Schlange unter der hüllenden Schale einer Schildkröte, des ersteren furchtbarer Feind, der Plesiosaurus!«

Hans hatte Recht. Nur zwei Ungeheuer sind’s, welche so die Oberfläche des Meeres beunruhigen, und ich habe vor den Augen zwei Seereptile der Urzeit. Ich sehe das blutige Auge des Ichthyosaurus, so groß wie ein Menschenkopf, das von der Natur mit einem äußerst starken optischen Apparat versehen ist, so daß es dem Druck der Wasserschichten in der Tiefe widerstehen kann. Man hat dieses Thier mit Recht den Wallfisch der Saurier genannt, denn es ist eben so rasch und groß. Es mißt nicht weniger als hundert Fuß, und ich kann auf seine Größe schließen, wenn es seine Schwanzflossen vertikal über die Wellen herausstreckt. Seine enorme Kinnlade zählt, nach Angabe der Naturforscher, nicht minder als hundertzweiundachtzig Zähne.

Der Plesiosaurus, eine Schlange mit cylinderförmigem Leib und kurzem Schwanz, hat Tatzen, die wie Ruder geformt sind. Sein Leib ist ganz mit einer Schildkrötenschale bekleidet, und seinen biegsamen Schwanenhals kann er dreißig Fuß aus dem Wasser herausstrecken.

Diese beiden Thiere bekämpfen sich einander mit unbeschreiblicher Wuth. Sie regen das Wasser berghoch auf bis zu unserem Floß hin, so daß wir zwanzigmal in Gefahr kommen umzuschlagen. Man hört ein wunderhaft starkes Zischen. Die beiden Thiere verwickeln sich in einander, so daß man sie nicht unterscheiden kann. Von der Wuth des Siegers ist Alles zu fürchten.

Eine, zwei Stunden verlaufen, und der Kampf dauert mit gleicher Hitze fort. Die Kämpfenden kommen dem Floß bald näher, bald entfernen sie sich. Wir halten uns unbeweglich, zum Feuern fertig.

Plötzlich verschwinden sie beide im Schooße der Wellen. Wird der Kampf in der Tiefe beendigt werden?

Auf ein Mal schießt ein ungeheurer Kopf aus dem Wasser empor, der Kopf des Plesiosaurus. Das Ungeheuer ist tödtlich verwundet. Ich sehe nicht mehr seine ungeheure Schildhülle. Nur sein langer Hals ragt empor, duckt sich, richtet sich wieder auf, krümmt sich, geißelt die Wogen wie eine riesige Peitsche und windet sich, wie ein zerschnittener Wurm. Das Wasser spritzt weit ab, benimmt uns die Aussicht. Aber bald geht der Todeskampf des Reptils zu Ende, seine Bewegungen werden schwächer, seine krampfhaften Verdrehungen hören auf, und das lange Stück der verstümmelten Schlange ragt wie eine träge Masse über den ruhigen Fluthen.

Hat sich der Ichthyosaurus wieder in seine Höhle in der Tiefe zurückgezogen, oder wird er wieder auf der Oberfläche des Meeres zum Vorschein kommen?

Vierunddreißigstes Capitel.


Vierunddreißigstes Capitel.

Ein Geyser.

Mittwoch, 19. August. – Zum Glück hat der kräftig wehende Wind uns gestattet, rasch vom Kriegstheater weg zu fliehen. Hans ist stets beim Steuer. Mein Oheim, den das Ereigniß des Kampfes aus seinen Gedanken, worin er versunken war, herausgezogen, sank wieder in seine ungeduldige Betrachtung des Meeres zurück.

Die Reise bekam wieder ihre monotone Einförmigkeit, die ich um den Preis der gestrigen Gefahren nicht aufgeben möchte.

Donnerstag, 20. August. – Wind N.-N.-O., ziemlich ungleich. Temperatur warm. Wir fahren mit einer Geschwindigkeit von dreieinhalb Meilen in der Stunde.

Gegen Mittag vernimmt man aus weiter Entfernung ein Getöse. Ich zeichne hier nur die Thatsache auf, ohne sie zu erklären. Es ist ein anhaltendes Rauschen.

»Es muß in der Ferne, sagte der Professor, ein Felsen oder Inselchen sein, woran das Meer sich bricht.«

Hans klettert auf den Mast, kann aber keine Klippe wahrnehmen. Der Ocean ist eben bis zur Linie des Horizonts.

Drei Stunden verlaufen. Das Rauschen scheint von einem fernen Wasserfall herzurühren.

Ich bemerke dies meinem Oheim, der schüttelt aber den Kopf. Doch bin ich überzeugt, daß ich nicht irre. Fahren wir wohl einem Wasserfall zu, der uns in den Abgrund stürzen wird? Mag diese Art abwärts zu kommen dem Professor zusagen, weil sie der senkrechten Richtung näher kommt, möglich, aber ich …

Jedenfalls muß einige Meilen entfernt in der Richtung des Windes ein Ereigniß sein, wodurch das Getöse verursacht wird, denn jetzt läßt sich das Rauschen sehr heftig vernehmen. Kommt es vom Himmel oder dem Ocean her?

Ich blicke auf zu den in der Atmosphäre schwebenden Dünsten und suche ihre Tiefe zu ergründen. Der Himmel ist ruhig. Das Gewölk, welches sich ganz oben an’s Gewölbe gezogen hat, scheint unbeweglich und verliert sich in der starken Lichtstrahlung. Die Ursache der Erscheinung ist also anderwärts zu suchen.

Ich frage darauf den reinen, durchaus nebelfreien Horizont. Sein Aussehen hat sich nicht geändert. Aber wenn das Getöse von einem Wasserfall herrührt, wenn dieses ganze Meer in ein tieferes Becken hinabstürzt, wenn das Brausen von einer herabfallenden Wassermasse kommt, so muß der Strom lebhafter werden, und seine zunehmende Schnelligkeit kann mir den Maßstab der Gefahr geben, wovon wir bedroht sind. Ich untersuche die Strömung. Es ist keine vorhanden.

Gegen vier Uhr kletterte Hans den Mast hinan, überblickt oben den ganzen Kreis, welchen der Ocean vor dem Floß beschreibt, und hält an einem Punkte an. Sein Angesicht zeigt nichts von Ueberraschung, aber sein Auge haftet da fest.

»Er hat etwas gesehen, sagte mein Oheim.

– Ich glaube.«

Hans steigt wieder herab, streckt seinen Arm südlich und sagt:

»Der nere!

– Dort unten?« wiederholte mein Oheim.

Und er ergriff sein Fernrohr, blickte achtsam eine Minute lang, die mir sehr lange dauerte.

»Ja, ja! rief er aus.

– Was sehen Sie?

– Einen ungeheuren Wasserstrahl, der aus dem Wasser aufsteigt.

– Noch ein Seeungeheuer?

– Vielleicht.

– Also richten wir das Vordertheil mehr westlich, denn wir wissen, wie wir daran sind mit der Gefahr, diesen Ungeheuern der Urzeit zu begegnen.

– Lassen wir’s gehen«, erwiderte mein Oheim.

Ich begebe mich wieder zu Hans, der mit unbeugsamer Strenge sein Steuer handhabt.

Jedoch, wenn man von so weiter Entfernung aus – sie ließ sich mindestens auf zwölf Meilen schätzen – den emporgeworfenen Wasserstrahl wahrnehmen kann, so muß es ein Thier von übernatürlicher Größe sein. Zu fliehen verlangte die ganz gewöhnliche Vorsicht. Aber wir sind nicht gekommen, um vorsichtig zu sein.

Also fahren wir voran. Je näher wir kommen, desto größer der Strahl. Was für ein Ungeheuer muß das sein, das eine solche Menge Wasser in sich aufnehmen und unaufhörlich wieder ausstoßen kann!

Um acht Uhr Abends sind wir weniger als zwei Meilen von demselben entfernt. Sein schwärzlicher, enormer, bergähnlicher Körper streckt sich gleich einem Inselchen in’s Meer hin. Ist’s Täuschung, ist’s Schrecken? es scheint über tausend Klaftern lang zu sein! Was für eine Gattung von Wallfischgeschlecht ist das, die weder von Cuvier noch von Blumenbach vorgesehen wurde? Unbeweglich, wie schlafend liegt es da; das Meer scheint es nicht emporheben zu können, und die Wogen umspielen seine Seiten. Die fünfhundert Fuß hohe Wassersäule fällt mit betäubendem Getöse als Regen nieder. Unsinnig, auf eine solche Masse, die hundert Wallfische nur einen Tag nicht sättigen könnten, loszufahren.

Der Schrecken befällt mich. Ich will nicht weiter! Ich werde nöthigenfalls das Segeltau zerhauen! Ich empöre mich gegen den Professor, der mir keine Antwort giebt.

Plötzlich steht Hans auf, zeigt mit dem Finger auf den drohenden Punkt und spricht:

»Holme.

– Eine Insel, rief mein Oheim.

– Eine Insel! sagte auch ich mit Achselzucken.

– Offenbar, versetzte der Professor und lachte laut auf.

– Aber diese Wassersäule?

– Geyser, sprach Hans.

– Ja wohl, Geyser! erwiderte mein Oheim, ein Geyser gleich denen, wie sie auf Island vorkommen.«

Anfangs sträubte ich mich dagegen, mich so gröblich getäuscht zu haben. Ein Inselchen für ein Seeungeheuer zu halten! Aber der Augenschein zeigt es, und ich muß endlich meinen Irrthum eingestehen. Es ist hier nur eine Naturerscheinung.

Je näher wir kommen, zeigen sich die Verhältnisse des Wasserstrahls großartiger. Das Inselchen ist wirklich einem Wallfisch täuschend ähnlich, einem riesenhaften Thier, dessen Kopf zehn Klaftern hoch das Meer überragt. Der Geyser erhebt sich majestätisch am einen Ende. Von Zeit zu Zeit hört man dumpfes Getöse, und der enorme Wasserstrahl, vom heftigsten Zorn getrieben, schüttelt seine Dunstbüschel, bis zur obersten Wolkenschichte empordringend. Er ist vereinzelt; keine Rauchsäulen, keine heißen Quellen umgeben ihn, die gesammte vulkanische Kraft concentrirt sich in ihm. Die Strahlen des elektrischen Lichtes mischen sich mit diesem blendenden Strahlenbüschel, dessen Tropfen in allen Farben des Prisma’s spielen.

»Landen wir«, sagte der Professor.

Aber man muß sorgfältig dieser Wassersäule ausweichen, welche in einem Moment das Floß versenken würde. Hans bringt uns durch geschickte Wendungen an das äußerste Ende der Insel.

Ich springe heraus auf den Felsen. Mein Oheim folgt mir flink nach, während der Jäger auf seinem Posten bleibt, als ein Mensch, der über solches Erstaunen hinaus ist.

Wir schreiten über einen mit Kieseltuff vermischten Granit; der Boden erzittert unter unseren Füßen; er ist brennend. Wir gelangen zu einem kleinen Central-Becken, woraus der Geyser sich erhebt. Ich halte in das siedende Wasser ein Thermometer, welcher eine Hitze von hundertdreiundsechzig Grad nachweist.

Also dieses Wasser kommt aus einem Herde der Gluth. Dies widerspricht auffallend den Theorien des Professors Lidenbrock. Ich konnte mich nicht enthalten, dieses bemerklich zu machen.

»Wie nun, entgegnete er, was beweist dies gegen meine Lehre?

– Nichts«, sagte ich trocken, denn ich sah, daß ich wider vollendete Hartnäckigkeit stieß.

Demungeachtet muß ich gestehen, daß wir bis jetzt ausnehmend begünstigt sind, und daß, aus einem mir unbekannten Grunde, diese Reise besonderen Bedingungen der Temperatur unterliegt; aber es scheint mir klar, gewiß, daß wir früher oder später in solche Regionen kommen werden, wo die Centralwärme den höchsten Grad erreicht und über alle Thermometermessungen hinausgeht.

»Nun, wir werden sehen«, sprach der Professor. Er benannte das vulkanische Inselchen nach seinem Neffen, dann gab er das Zeichen zum Einschiffen.

Einige Minuten noch betrachte ich den Geyser. Ich bemerke, daß sein Strahl unregelmäßig im Aufsprudeln ist, daß er manchmal an Stärke abnimmt, dann mit erneuter Kraft fortfährt, was ich der wechselnden Stärke des Drucks der in seinem Vorrathsbehälter gesammelten Dünste zuschreibe.

Endlich fahren wir ab um die sehr steilen Felsen des Südens herum. Hans hatte während unseres Aufenthaltes das Floß wieder in guten Stand gesetzt.

Aber ehe wir abstachen, mache ich einige Bemerkungen, um die durchlaufene Entfernung zu berechnen, und verzeichne sie in meinem Tagebuch. Wir haben seit unserer Abfahrt aus Gretchen-Hafen zur See zweihundertundsiebenzig Meilen zurückgelegt, und befinden uns sechshundertundzwanzig Meilen von Island entfernt, unter England.

Fünfunddreißigstes Capitel.


Fünfunddreißigstes Capitel.

Ein Gewitter.

Freitag, 21. August. – Am folgenden Tag verschwand der prachtvolle Geyser. Der frische Wind trieb uns rasch vom Inselchen Axel weg. Das Brausen wurde nach und nach unvernehmlich.

Dies Wetter, wenn man sich so ausdrücken darf, wird sich bald ändern. Die Atmosphäre wird mit Dünsten erfüllt, welche alle durch die Verdunstung der Salzwasser gebildete Elektricität in sich aufnehmen; die Wolken senken sich merklich und nehmen eine gleichförmig olivenartige Färbung an; die elektrischen Strahlen können durch diesen dunkeln Vorhang kaum dringen, welcher vor das Theater herabgelassen ist, worauf ein Sturmdrama aufgeführt werden soll.

Es machte dies auf mich einen ganz besonderen Eindruck, so wie auf der Erde ein bevorstehender Wolkenbruch auf jedes Geschöpf wirkt. Das im Süden aufsteigende Gewölk gewährt einen unheimlichen Anblick; es sieht so unbarmherzig aus, wie oft beim Ausbruch eines Gewitters. Die Luft ist schwül, das Meer ruhig.

In der Ferne häufen sich die Wolken gleich dicken Baumwollballen in malerischer Unordnung; allmälig schwellen sie an, sind minder zahlreich, dagegen größer und so schwer, daß sie nicht vom Horizont sich losmachen können; aber ein stärkerer Wind treibt sie in die Höhe, daß sie allmälig zusammenfließen, dunkel werden und bald eine einzige Schichte von drohendem Aussehen bilden.

Offenbar ist die Atmosphäre vom elektrischen Fluidum gesättigt; ich bin davon ganz durchdrungen; meine Haare auf dem Kopf sträuben sich, wie wenn man einer Elektrisirmaschine nahe kommt. Es dünkt mir, wenn meine Gefährten mich in diesem Augenblick anrührten, würden sie einen starken Stoß bekommen.

Um zehn Uhr sind die Anzeichen des Sturmes entschiedener. Ich will zwar noch nicht den Drohungen des Himmels glauben, doch kann ich nicht umhin zu sagen:

»Ein Unwetter bereitet sich vor.«

Der Professor bleibt die Antwort schuldig. Er ist sehr übel gelaunt, da er den Ocean vor seinen Augen sich unendlich ausdehnen sieht. Er zuckt nur die Achseln.

»Wir werden ein Gewitter bekommen, sagte ich, indem ich die Hand nach dem Horizont ausstreckte. Diese Wolken senken sich auf’s Meer, als wollten sie’s erdrücken!«

Allgemeine Stille. Auch der Wind ist stille. Die Natur sieht wie erstorben aus, und kein Lüftchen weht. Am Mast, worauf ich schon ein leichtes St. Elmsfeuer glänzen sehe, fällt das gespannte Segel in Falten herab. Das Floß ist unbeweglich auf einem Meer ohne Wellenschlag. Aber, wenn wir nicht mehr vorwärts kommen, wozu dann dieses Segel, das uns beim ersten Stoß des Sturms in Verderben bringen kann?

»Nehmen wir’s herab, sagt‘ ich, senken wir den Mast nieder! Das wäre vorsichtig!

– Nein, zum Teufel! schrie mein Oheim, hundertmal nein! Mag der Wind uns fassen! der Sturm uns fortreißen! aber ich muß endlich die Felsen eines Ufers sehen, wenn auch unser Schiff daran in tausend Splitter zerschellen sollte.«

Unverzüglich bekommt der Horizont im Süden ein anderes Aussehen. Die gesammelten Dünste lösen sich in Wasser auf, und da die Luft, um den durch die Verdichtung entstandenen leeren Raum zu füllen, in heftigem Zug dorthin strömt, so entsteht ein Orkan. Er kommt aus den entferntesten Enden der Höhle. Es wird dunkler; kaum kann ich noch einige unvollständige Notizen machen.

Das Floß wird in die Höhe gehoben, hüpft auf den Wellen. Mein Oheim wird vom oberen Theil herabgeworfen. Ich schleppe mich zu ihm hin. Er hat sich an ein Stück Tau festgeklammert und scheint dem Schauspiel der entfesselten Elemente mit Vergnügen zuzusehen.

Hans rührt sich nicht, seine vom Sturm rückwärts getriebenen langen Haare umhüllen sein unbewegliches Angesicht, und dies giebt ihm eine seltsame Physiognomie, denn alle Haarspitzen sind mit kleinen leuchtenden Strahlenbüscheln geziert. Er sieht aus wie ein verkleideter Mensch der Urzeit.

Indessen der Mast widersteht. Das Segel ist gespannt, wie eine zum Bersten gefüllte Blase. Das Floß treibt mit einer Schnelligkeit, die ich nicht schätzen kann.

»Das Segel! das Segel! rief ich, mit einem Wink, es abzunehmen.

– Nein! erwidert mein Oheim.

– Nej«, sagt Hans und schüttelt sanft den Kopf.

Der Regen bildet inzwischen einen brausenden Katarakt vor dem Horizont, auf welchen wir unsinnig zufahren. Aber ehe er noch bis zu uns gelangt, zerreißt das Gewölk, das Meer geräth in Wallung, und die durch eine umfassende chemische Thätigkeit in den oberen Schichten entwickelte Elektricität kommt mit in’s Spiel. Unzählige Blitze durchkreuzen sich, und der Donner folgt Schlag auf Schlag; die ganze Dunstmasse glüht; hellleuchtender Hagel schlägt wider unsere Geräthe, und die aufgeregten Wogen scheinen Feuer zu sprühen.

Meine Augen sind geblendet, meine Ohren betäubt! Ich muß mich am Mast festhalten, der wie ein Rohr von der Gewalt des Sturms gebeugt wird!

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(Hier werden meine Reisenotizen sehr unvollständig. Ich habe nur einige flüchtige Bemerkungen wiedergefunden, die in ihrer Kürze, selbst in ihrer Dunkelheit das Gepräge meiner Gemüthsbewegung an sich tragen, und besser als meine Erinnerung von der Lage einen Begriff geben.)

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Sonntag, 23. August. – Wo sind wir? Wohin hat uns die unberechenbare Fahrt verschlagen?

Es war eine fürchterliche Nacht. Der Sturm will sich nicht legen. Inmitten des Tobens und Brausens unablässiges Donnergeroll. Unsere Ohren sind wund. Unmöglich ist’s, ein Wort mit einander zu reden.

Unaufhörliche Blitze. Ich sehe rückwärtsgehende Zickzackstrahlen, die, von oben geschleudert, wieder rückwärts wider das Granitgewölbe schlagen. Wenn es zusammenbräche! Andere Blitze spalten sich oder nehmen die Gestalt von Feuerkugeln an, die wie Bomben zerplatzen. Das allgemeine Getöse scheint nicht zuzunehmen; es hat den Höhepunkt erreicht, welchen das menschliche Ohr fassen kann. Unablässig ist die Strömung des Lichts aus der Oberfläche der Wolken, der elektrische Stoff entladet sich unaufhörlich; unzählige Wassersäulen thürmen sich in der Atmosphäre und sinken schäumend wieder zurück.

Wohin treiben wir? … Mein Oheim liegt der Länge nach am Ende des Flosses.

Verdoppelte Wärme. Ich sehe auf das Thermometer; es zeigt … (die Ziffer ist ausgelöscht).

Montag, 24. August. – Das nimmt kein Ende! Warum sollte der Zustand dieser dichten Atmosphäre, wenn er einmal sich ändert, nicht ein definitiver werden.

Wir sind von Strapazen erschöpft. Hans, wie gewöhnlich. Das Floß läuft unverändert südöstlich. Wir haben vom Inselchen Axel aus über zweihundert Meilen zurückgelegt.

Zu Mittag verdoppelt sich die Gewalt des Sturmes. Man ist genöthigt, alle Gegenstände der Ladung festzubinden. Jeder von uns bindet sich ebenfalls an. Die Wellen gehen uns über den Kopf.

Seit drei Tagen ist’s nicht möglich, ein Wort mit einander zu reden. Wir öffnen den Mund, bewegen die Lippen, ein verständlicher Ton kommt nicht zum Vorschein. Selbst wenn man sich in’s Ohr spricht, kann man sich nicht verstehen.

Mein Oheim nähert sich mir, artikulirt einige Worte. Ich glaube, er sagte: »Wir sind verloren«. Doch weiß ich’s nicht gewiß.

Ich schreibe ihm die Worte auf: »Weg mit unserm Segel!«

Er giebt durch ein Zeichen seine Zustimmung.

Auf einmal fällt eine feurige Kugel auf das Floß. Mast und Segel sind augenblicklich entfernt und flattern hoch in den Lüften, wie ein urweltlicher Vogel.

Wir sind starr vor Schrecken. Die Kugel, halb weiß, halb lazurblau, von der Größe einer sechszölligen Bombe, rollt langsam, hier und dorthin, springt auf den Lebensmittelsack, gleitet langsam wieder herunter, hüpft, streift an die Pulverkiste. Grauenhaft! Wir alle in die Luft springen! Nein. Die schreckliche Kugel entfernt sich, nähert sich Hans, der sie fest anstarrt; meinem Oheim, der, um auszuweichen, auf die Kniee fällt; mir, der todtenblaß zurückschaudert vor dem Glanz und der Hitze; sie kreiselt neben meinem Fuß, den ich zurückziehen will, was aber nicht möglich ist.

Ein Geruch von Salpetergas füllt die Luft, dringt in die Kehle, die Lungen – zum Ersticken.

Weshalb kann ich meinen Fuß nicht zurückziehen? Die elektrische Kugel hat alles Eisen an Bord magnetisirt; die Instrumente, Geräthe, Waffen gerathen in Bewegung und stoßen mit hellem Klang an einander; die Nägel an meinen Schuhen hängen fest an einer Eisenplatte, die in Holz eingelassen ist. Darum kann ich meinen Fuß nicht wegziehen! Endlich gelingt mir’s mit höchster Anstrengung, als eben die Kugel in ihrer Kreisbewegung ihn erreichen will …

Da zerspringt sie mit hellem Lichtglanz; wir sind mit Flammenströmen übergossen! Darauf erlischt Alles. Ich hatte eben nur Zeit, meinen Oheim auf dem Floß hingestreckt zu sehen, und Hans, getreulich an seinem Steuer, »Feuer speiend«, da er von Elektricität durchdrungen ist!

Wohin fahren wir? Wohin?

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Dienstag, 25. August. – Ich erwache aus langer Ohnmacht. Das Gewitter dauert fort; die Blitze zischen entfesselt, wie eine Brut Schlangen.

Sind wir noch immer auf dem Meer? Ja, fortgerissen mit unberechenbarer Schnelligkeit. Wir sind unter England hergefahren, dem Kanal, Frankreich, vielleicht ganz Europa!

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Abermals wird ein Getöse vernehmbar! Offenbar bricht sich das Meer an Felsen! Aber dann …

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Sechsunddreißigstes Capitel.


Sechsunddreißigstes Capitel.

Verschlagen.

Hier endigt mein Tagebuch, wie ich’s oben nannte, das ich glücklich aus dem Schiffbruch gerettet habe. Ich fahre in meiner Erzählung fort, wie oben.

Was beim Scheitern des Flosses an den Felsen der Küste vorging, kann ich nicht sagen. Ich fühlte, daß ich in die Wogen stürzte; daß ich aber dem Tod entrann, daß nicht mein Körper an den spitzen Felsen zerrissen ward, verdanke ich dem starken Arm unseres Hans.

Der muthige Isländer trug mich aus dem Bereich der Wellen auf glühenden Sand, wo ich mich an der Seite meines Oheims fand.

Darauf begab er sich wieder zu den Felsen, in die tobenden Wellen, um etwas von der Habe aus dem Schiffbruch zu retten. Ich vermochte nicht zu reden; ich war von Gemüthsbewegungen und Strapazen gebrochen; ich bedurfte eine volle Stunde, um mich zu erholen.

Inzwischen regnete es fortwährend, wie bei der Sündfluth. Einige überhängende Felsen boten uns Schutz gegen diese Ströme. Hans bereitete ein Mahl, das ich nicht anrühren konnte, dann verfielen wir alle, erschöpft vom Wachen durch drei Nächte, in einen schmerzvollen Schlaf.

Am folgenden Tag war prachtvolles Wetter. Himmel und Meer hatten sich friedlich geeinigt. Jede Spur von Gewitter war verschwunden. Der Professor begrüßte mich beim Erwachen. Er war fürchterlich munter.

»Nun, lieber Junge, hast Du gut geschlafen?«

Hätte man nicht denken sollen, wir befänden uns in dem Hause der Königsstraße, ich käme da ruhig zum Frühstück herab, meine Hochzeit mit Gretchen solle heute gefeiert werden?

Ach! wäre das Floß vom Sturm nach Osten verschlagen worden, so wären wir unter Deutschland gefahren, unter meine Vaterstadt Hamburg, unter die Straße, wo mein Liebstes auf der Welt weilt. Dann wären wir kaum vierzig Meilen von einander! aber vertikal durch eine Granitwand, und in Wirklichkeit mehr als tausend Meilen getrennt!

Alle diese schmerzlichen Gedanken durchliefen meinen Geist, bevor ich auf meines Oheims Fragen antworten konnte.

»Nun, wiederholte er, Du hast wohl nicht Lust zu antworten, ob Du gut geschlafen hast?

– Sehr gut, erwiderte ich; ich bin noch ganz zerschlagen; aber das thut nichts.

– Gar nichts, ein wenig Ermüdung, das ist Alles.

– Aber Sie scheinen recht lustig diesen Morgen, lieber Oheim.

– Voll Freude, mein Junge! entzückt! Wir sind angelangt.

– Am Ziel unserer Reise?

– Nein, aber am Ende dieses Meeres, das kein Ende nehmen wollte. Jetzt werden wir wieder den Landweg einschlagen, daß wir wirklich in’s Innere der Erde dringen.

– Lieber Oheim, erlauben Sie mir eine Frage.

– Das Fragen ist Dir vergönnt, Axel.

– Und die Rückreise?

– Die Rückreise! Denkst Du an Rückkehr, ehe wir angekommen sind?

– Nein, ich will nur fragen, wie sie ausgeführt werden soll.

– Auf die einfachste Weise, die es giebt. Sind wir einmal im Centrum unseres Erdballs angekommen, so finden wir entweder einen neuen Weg, um auf seine Oberfläche zurückzukehren, oder wir gehen ganz ruhig den Weg, welchen wir gekommen sind, wieder zurück. Ich denke wohl, man wird nicht hinter uns die Pforten schließen.

– Dann muß man das Floß wieder in guten Stand setzen.

– Nothwendig.

– Aber werden die Lebensmittel ausreichen, um alles dies Große zu vollenden?

– Ja, gewiß. Hans ist ein tüchtiger Bursche, der hat gewiß den größten Theil der Ladung gerettet. Uebrigens wollen wir uns dessen versichern.«

Wir verließen diese, jedem Luftzug ausgesetzte Grotte. Ich hatte eine Hoffnung, die zugleich eine Besorgniß war; es schien mir unmöglich, daß nicht bei dem fürchterlichen Anprallen des Flosses die ganze Ladung zu Grunde ging. Ich irrte mich. Bei meiner Ankunft am Ufer bemerkte ich Hans mitten in einem Haufen von Gegenständen, die er hübsch geordnet hatte. Mein Oheim drückte ihm die Hand mit lebhaftem Bezeugen seiner Erkenntlichkeit. Dieser Mensch, von übermenschlicher Hingebung beseelt, wie man nicht leicht einen anderen finden würde, hatte, während wir schliefen, gearbeitet, und mit Lebensgefahr die werthvollsten Gegenstände gerettet.

Wir hatten zwar ziemlich erhebliche Verluste erlitten, z.B. unserer Waffen; aber schließlich konnte man dieselben entbehren. Der Pulvervorrath war unversehrt geblieben, nachdem wir während des Gewitters beinahe wären in die Luft gesprengt worden.

»Nun, rief der Professor, da die Gewehre mangeln, so brauchen wir nicht mehr zu jagen.

– Gut; aber die Instrumente?

– Hier ist der Manometer, das nützlichste von allen, für welches ich die anderen sämmtlich hingegeben haben würde. Mit seiner Hilfe kann ich die Tiefe berechnen, und wissen, wann wir das Centrum erreicht haben werden. Ohne dasselbe würden wir riskiren, drüber hinaus zu dringen und bei den Antipoden wieder herauszukommen!«

Diese Heiterkeit war arg.

»Aber der Compaß? fragte ich.

– Da ist er, auf diesem Felsen, in vollkommenem Zustand, sowie der Chronometer und die Thermometer. Ja, der Jäger ist ein werthvoller Mensch!«

Das mußte man wohl anerkennen; in Hinsicht der Instrumente fehlte nichts. An Werkzeug und Geräthen bemerkte ich auf dem Sande auseinander gelegt, Leitern, Stricke, Hauen, Hacken u.s.w.

Doch waren auch noch die Lebensmittel in Betracht zu nehmen.

»Und die Provision? sagte ich.

– Sehen wir nach«, erwiderte mein Oheim.

Die Kisten, welche sie enthielten, befanden sich am Ufer in wohl erhaltenem Zustand; das Meer hatte sie zum größten Theile verschont, und im Ganzen konnte man an Zwieback, Fleisch, Branntwein und Fischen noch auf vier Monate zu leben haben.

»Vier Monate! rief der Professor. Wir haben daran Zeit genug, hin und zurück zu kommen, und mit dem Reste will ich allen meinen Collegen am Johanneum ein großes Diner geben!«

Ich hätte seit langer Zeit an das Temperament meines Oheims gewöhnt sein können; und dennoch setzte mich dieser Mann stets in Erstaunen.

»Jetzt, sagte er, wollen wir unseren Wasservorrath mit dem Regen ergänzen, welcher bei dem Gewitter in alle Granitbassins gefallen ist; demnach haben wir nicht zu besorgen, Durst leiden zu müssen. Das Floß mag Hans auf’s Beste wieder herstellen, obgleich wir, denk‘ ich, es nicht mehr gebrauchen werden.

– Wie so? rief ich aus.

– Es ist so meine Idee. Ich denke, wir werden nicht denselben Weg, den wir gekommen sind, zur Rückkehr brauchen.«

Ich betrachtete den Professor mit einigem Mißtrauen. Ich fragte mich, ob er nicht ein Narr geworden sei.

»Jetzt wollen wir frühstücken«, fuhr er fort.

Nachdem er dem Jäger seine Anweisung gegeben, begleitete ich ihn auf ein hohes Cap. Hier nahmen wir eine treffliche Mahlzeit ein, die aus getrocknetem Fleisch, Zwieback und Thee bestand, und, ich muß gestehen, die beste war, welche ich je in meinem Leben genossen habe. Das Bedürfniß, die frische Luft, die Ruhe nach den Erschütterungen, Alles trug dazu bei, mir Appetit zu machen.

Während des Frühstücks richtete ich an meinen Oheim die Frage, wo wir uns eben befänden.

»Es scheint mir dies, sagte ich, schwer zu berechnen.

– Genau zu berechnen, ja, erwiderte er; das ist wohl nicht möglich, weil ich während der drei Gewittertage nicht im Stande war, die Schnelligkeit und die Richtung unseres Fahrzeugs zu notiren; doch können wir durch Schätzung unsere Lage aufnehmen.

In der That war die letzte Beobachtung am Inselchen des Geyser angestellt worden.

– Am Eiland Axel, lieber Junge. Lehne die Ehre nicht ab, der ersten im Innern des Erdbaues entdeckten Insel Deinen Namen zu geben.

– Meinetwegen! auf dem Eiland Axel hatten wir ungefähr zweihundertundsiebzig Meilen zur See gemacht, und wir befanden uns über sechshundert Meilen von Island entfernt.

– Gut! Von diesem Punkt ausgehend wollen wir vier Tage Sturm rechnen, während dessen unsere Geschwindigkeit nicht geringer sein konnte, als achtzig Meilen in vierundzwanzig Stunden.

– Ich denke. Das gäbe also dreihundert Meilen weiter.

– Ja, und das Meer Lidenbrock mäße also fast sechshundert Meilen von einem Ufer zum andern! Verstehst Du wohl, Axel, daß es an Größe sich mit dem Mittelländischen messen kann?

– Ja! zumal wenn wir’s nur der Breite nach gemessen haben!

– Das ist wohl möglich!

– Und, merkwürdiger Umstand, fügte ich bei, sind unsere Berechnungen genau, so haben wir jetzt dieses Mittelländische Meer über unserm Kopf.

– Wirklich!

– Wirklich, denn wir sind bei neunhundert Meilen von Rykjawik entfernt!

– Das ist ein hübsches Stück Wegs, lieber Junge; doch ob wir nun vielmehr unter’m Mittelländischen Meer sind, als unter der Türkei oder dem Atlantischen, darüber läßt sich nur dann eine Behauptung aussprechen, wenn wir von unserer Richtung nicht abgekommen sind.

– Nein, der Wind schien sich gleich zu bleiben; ich denke also, dieses Uferland müsse südöstlich von Gretchen-Hafen liegen.

– Gut, es ist leicht, sich durch den Compaß davon zu überzeugen. So wollen wir ihn befragen.«

Der Professor ging zu den Felsen, worauf Hans die Instrumente niedergelegt hatte. Er war heiter, lustig, rieb sich die Hände! wahrhaftig wie ein Jüngling! Ich folgte ihm, sehr begierig zu wissen, ob ich in meiner Schätzung nicht irre.

Als wir an dem Felsen ankamen, nahm mein Oheim den Compaß, legte ihn horizontal und beobachtete die Nadel, die nach einigem Schwanken in fester Stellung blieb nach Maßgabe des magnetischen Einflusses.

Mein Oheim schaute, dann rieb er sich die Augen und schaute von Neuem. Endlich wendete er sich voll Erstaunen nach mir hin.

»Was ist los?« fragte ich.

Er deutete mir an, das Instrument zu untersuchen. Es entfuhr mir ein Ausdruck der Ueberraschung. Die Nadel zeigte Norden da, wo wir Süden vermutheten! Sie drehte sich nach dem Ufer zu, anstatt auf’s volle Meer hinzuweisen!

Ich schüttelte den Compaß, untersuchte ihn; er war in vollkommenem Zustand. In welche Lage man die Nadel bringen mochte, sie nahm hartnäckig die unerwartete Richtung.

Also, es war kein Zweifel mehr – während des Sturms war der Wind umgeschlagen, was wir nicht bemerkt hatten, und hatte das Floß nach dem Ufer zurückgeführt, welches mein Oheim hinter sich zu lassen meinte.

Siebenunddreißigstes Capitel.


Siebenunddreißigstes Capitel.

Ein Gebeinfeld.

Die wechselnden Gefühle, welche den Professor Lidenbrock peinigten, Bestürzung, Unglauben und endlich Zorn, kann ich unmöglich schildern. Nie hab‘ ich einen Menschen so haltungslos anfangs, dann so gereizt gesehen. Die Beschwerden der Ueberfahrt, die bestandenen Gefahren, Alles war von Neuem vorzunehmen! Wir waren rückwärts, anstatt voran gekommen.

Aber mein Oheim gewann rasch wieder die Oberhand.

»Ah! was für einen Streich hat mir das Verhängniß gespielt! Die Elemente verschwören sich wider mich! die Luft, das Feuer und Wasser vereinigen ihre Kräfte, meine Fahrt zu hindern! Nun gut! Man soll erfahren, was meine Willenskraft vermag. Ich werde nicht nachgeben, nicht eine Linie weit zurückweichen, und wir werden sehen, wer die Oberhand bekommen wird, der Mensch oder die Natur!«

Auf dem Felsen stehend, gereizt, drohend schien Otto Lidenbrock gleich dem wilden Ajax die Götter herauszufordern. Aber ich hielt für angemessen mich in’s Mittel zu legen, um den unsinnigen Jähzorn zu zügeln.

»Hören Sie mich an, sagte ich zu ihm in festem Ton. Jeder Ehrgeiz hat hienieden seine Grenzen; gegen das Unmögliche soll man nicht ankämpfen; für eine Seereise sind wir zu schlecht ausgerüstet; fünfhundert Meilen macht man nicht auf einem schlechten Gebund Balken mit einer Bettdecke anstatt Segel, einer Stange anstatt des Masts, und den entfesselten Winden gegenüber. Wir können nicht das Fahrzeug lenken, sind ein Spielball der Stürme: es wäre Narrheit zum zweiten Male diese unmögliche Ueberfahrt zu versuchen!«

Zehn Minuten lang konnte ich solche unwiderlegbare Gründe der Reihe nach anführen, ohne unterbrochen zu werden, aber das kam einzig von der Unaufmerksamkeit des Professors, der kein Wort meiner Beweisführung hörte.

»Zum Floß!« rief er.

Dies war seine Antwort. Ich mochte thun, was ich wollte, bitten, zornig werden, ich stieß wider einen Willen, der härter war als Granit.

Hans war eben mit der Ausbesserung des Flosses fertig geworden. Man hätte meinen können, der seltsame Mensch habe eine Ahnung von den Projecten meines Oheims. Mit einigen Stücken Surtarbrandur hatte er das Fahrzeug wieder fest gemacht. Ein Segel war schon wieder aufgesteckt und der Wind spielte in seinen wallenden Falten.

Der Professor sagte dem Führer einige Worte, und sogleich brachte dieser das Gepäck an Bord und machte Alles zur Abfahrt fertig. Die Atmosphäre war ziemlich rein und der Wind hielt sich gut aus Nordwest.

Was konnte ich machen? Allein mich zweien widersetzen? Unmöglich. Wäre nur Hans auf meiner Seite gewesen. Aber nein. Es schien, als habe der Isländer allen persönlichen Willen aufgegeben und ein Gelübde der Selbstverleugnung gethan. Von einem Diener, der so seinem Herrn leibeigen war, konnte ich nichts erlangen. Ich mußte mit vorwärts.

Ich war also im Begriff meinen gewohnten Platz auf dem Floß einzunehmen, als mein Oheim mich mit der Hand anhielt.

»Wir fahren erst morgen ab«, sagte er.

Ich machte eine Bewegung, wie Einer, der sich in Alles ergiebt.

»Ich darf nichts versäumen, fuhr er fort, und weil das Verhängniß mich auf diese Seite der Küste getrieben hat, so will ich sie erst untersuchen, ehe ich sie verlasse.«

Diese Bemerkung wird man verstehen, wenn man weiß, daß wir zwar an die Nordküste zurückgekommen waren, aber nicht an die nämliche Stelle, wo wir früher abfuhren. Gretchen-Hafen mußte westlicher liegen. Also nichts natürlicher, als die Umgebung, wo wir an’s Land getrieben waren, sorgfältig zu untersuchen.

»So wollen wir auf Entdeckungen ausgehen!« sagte ich. Wir ließen Hans bei seiner Arbeit und machten einen Ausflug. Der Raum zwischen unserem Ruheplatz am Meer und dem Fuß der Vorberge war sehr weit; man konnte eine halbe Stunde gehen, bis man an die Felsenwand kam. Unsere Füße zertraten unzählige Muscheln von allen Formen und Größen, worin die Thiere der ersten Epoche gelebt hatten. Ich bemerkte auch enorme Schildkrötendecken, deren Durchmesser oft über fünfzehn Fuß betrug. Sie gehörten den riesenhaften Glyptodons der Urzeit an. Außerdem war der Boden mit einer großen Menge von Steintrümmern bedeckt, eine Art Steinkiesel, die von den Wellen abgerundet und reihenweise an’s Ufer geschichtet waren. Ich wurde dadurch auf die Bemerkung geleitet, daß das Meer ehemals diesen Raum bedeckt haben müsse. Auf den zerstreuten Felsen, welche jetzt außer Berührung mit dem Meere sind, hatten die Fluthen deutliche Spuren gelassen.

Dies konnte bis auf einen gewissen Punkt das Dasein dieses Meeres vierzig Meilen unter der Erdoberfläche erklären. Aber, meiner Ansicht nach, mußte diese Masse sich allmälig im Innern der Erde verlieren, und sie kam offenbar aus den Gewässern des Oceans her, welche durch irgend eine Spalte eindrangen. Doch mußte man annehmen, daß diese Spalte gegenwärtig verstopft sei, denn sonst würde diese Höhle, oder besser dieser ungeheure Behälter, in ziemlich kurzer Zeit angefüllt worden sein. Vielleicht auch ist dieses Wasser, indem es gegen unterirdische Feuer zu kämpfen hatte, zum Theil verdünstet. Daher die über unserem Kopf schwebenden Wolken und die Entwickelung der Elektricität, welche im Innern des Erdkerns Gewitter erzeugte.

Diese Theorie der Erscheinungen, die wir erlebten, schien mir befriedigend; denn so groß auch die Wunder der Natur sein mögen, sie sind immer durch physische Gründe erklärbar.

Wir gingen also auf einer Art von Niederschlagboden, der, wie alle Erdarten dieser Periode, welche so reichlich auf der Oberfläche des Erdballs verbreitet sind, durch Wasser gebildet wurden. Der Professor untersuchte genau jede Ritze im Felsen. Fand sich eine Oeffnung, so war sie ihm wichtig, ihre Tiefe zu erforschen.

Wir waren eine Meile weit längs dem Ufer des Meeres Lidenbrock gegangen, als der Boden plötzlich ein anderes Aussehen hatte. Er schien durch eine gewaltsame Erhöhung der unteren Schichten umgestürzt und durcheinander geworfen. An manchen Stellen bezeugten Einsenkungen oder Erhebungen eine starke Verrenkung des Grundbaus der Erde.

Wir kamen mit Mühe über diese Granitbrocken, vermischt mit Kiesel, Quarz und Niederschlag aus Anschwemmungen, hinaus, als ein Feld, oder vielmehr eine Ebene mit Gebeinen vor unseren Augen lag. Man konnte es eine ungeheure Todtenstätte nennen, wo die Generationen von zwanzig Jahrhunderten ihren ewig dauernden Staub vermischten. In der Ferne sah man hohe Trümmerhaufen aufgeschichtet, welche bis an die Grenzen des Horizonts reichten, und sich dann in einen zerfließenden Nebel verloren. Hier, auf einer Fläche von etwa drei Quadratmeilen, lag die ganze Geschichte des Thierlebens, welche in dem zu neuen Boden der bewohnten Erde kaum verzeichnet ist, zusammengehäuft.

Doch eine ungeduldige Neugierde riß uns fort. Unsere Füße zertraten geräuschvoll die Reste dieser vorhistorischen Thiere und diese Fossilien, deren seltene und interessante Trümmer die Museen der großen Städte sich streitig machen. Tausend Cuvier hätten nicht ausgereicht, die Skelette der organischen Wesen, welche auf diesem prachtvollen Todtenfeld lagen, wieder zusammenzusetzen.

Ich war bestürzt. Mein Oheim hob seine großen Arme zu dem dichten Gewölk empor, das uns den Himmel vertrat. Sein weit geöffneter Mund, seine unter der Brille hervorleuchtenden Augen, sein Kopfschütteln von oben nach unten, von der Rechten zur Linken, seine ganze Stellung gab ein grenzenloses Erstaunen kund. Er sah vor seinen Augen eine unschätzbare Sammlung von Leptotherium, Mericotherium, Mastodon, Megatherium, Lophodion, und wie alle die urweltlichen Ungeheuer heißen, aufgehäuft zu seinem persönlichen Vergnügen.

Aber wie war sein Erstaunen noch weit größer, als er unter dem Moder organischer Reste einen nackten Hirnschädel fand! Mit zitternder Stimme rief er; »Axel, Axel, ein Menschenkopf!

– Ein Menschenkopf! mein Oheim, erwiderte ich eben so sehr erstaunt.

– Ja, Neffe! Ah! Milne-Edwards! Ah, Quatrefages! Warum seid Ihr nicht, wo ich bin, Otto Lidenbrock!«

Achtunddreißigstes Capitel.


Achtunddreißigstes Capitel.

Ein fossiler Mensch.

Um meines Oheims Anrufung dieser berühmten französischen Gelehrten zu verstehen, muß ich bemerken, daß kurz vor unserer Abreise eine für die Paläontologie höchst wichtige Thatsache vorgefallen war.

Am 28. März 1863 wurde von den Grabarbeitern, welche unter Leitung des H. Boucher de Perches in den Steinbrüchen zu Moulin-Quignon bei Abbeville arbeiteten, vierzehn Fuß unter der Erdoberfläche ein menschlicher Kinnbacken aufgefunden. Es war dies das erste Fossil dieser Art, welches an’s Tageslicht gefördert wurde. Neben demselben fand man steinerne Hacken und behauene Kiesel, bemalt und mit der Zeit von einförmiger Patina überzogen.

Diese Entdeckung erregte großes Aufsehen, nicht allein in Frankreich, sondern auch in England und Deutschland. Einige Gelehrte vom Institut français, unter anderen die Herren Milne-Edwards und de Quatrefages, nahmen sich lebhaft der Sache an, bewiesen die unbestreitbare Aechtheit des fraglichen Knochens, und traten als die eifrigsten Verfechter desselben bei diesem »Kinnbackenproceß«, wie die Engländer sich ausdrückten, auf.

Zu den Geologen des Vereinigten Königreichs, welche die Thatsache für zuverlässig hielten, Falconer, Busk, Carpenter u.s.w. gesellten sich deutsche Gelehrte, und unter ihnen in vorderster Reihe der enthusiastischste, mein Oheim Lidenbrock.

Die Echtheit eines fossilen Menschen in der vierten Epoche schien also unbestreitbar bewiesen und zugegeben.

Dieses System hatte zwar einen hitzigen Gegner in dem Herrn Elie de Beaumont. Dieser Gelehrte von so großer Autorität behauptete, das Terrain von Moulin- Quignon gehöre nicht dem »Diluvium«, sondern einer minder alten Schichte an, und in diesem Punkt mit Cuvier einig, gab er nicht zu, daß das Menschengeschlecht aus gleicher Zeit mit den Thieren der vierten Epoche stammte. Mein Oheim Lidenbrock, in Uebereinstimmung mit der großen Majorität der Geologen, hatte sich wacker gehalten, disputirt, discutirt, und Herr E. de Beaumont war fast der einzige Mann seiner Partei.

Wir kannten alle Einzelheiten der Sache, aber wir wußten nicht, daß seit unserer Abreise die Frage neue Fortschritte gemacht hatte. Andere Kinnbacken derselben Art, obwohl Individuen verschiedener Typen und von verschiedenen Nationen, wurden in lockerem und grauem Erdreich gewisser Grotten in Frankreich, der Schweiz, Belgien gefunden, sowie Waffen, Geräthe, Werkzeuge, Gebeine von Kindern, jungen Leuten, Männern, Greisen. Die Existenz des quaternären Menschen wurde täglich mehr bestätigt.

Nicht genug dies. Weitere, im tertiären Boden ausgegrabene Reste hatten kühneren Gelehrten gestattet, dem Menschengeschlecht ein noch höheres Alter zuzuschreiben. Diese Reste waren zwar nicht Menschengebeine, sondern nur Gegenstände seiner Industrie, Bein- und Hüftknochen fossiler Thiere, regelmäßig gestreift, sozusagen vom Bildhauer gemacht, und das Gepräge menschlicher Arbeit an sich tragend.

Also ist der Mensch mit einem Male die Stufenleiter einer größeren Zahl von Jahrhunderten hinaufgestiegen; er ging dem Mastodon voraus, wurde Zeitgenosse des südlichen Elephanten; seine Existenz berechnete sich auf hunderttausend Jahre.

Bei diesem Stand der paläontologischen Wissenschaft wird das Staunen und die Freude meines Oheims begreiflich, zumal da er, zwanzig Schritte weiter, auf ein Exemplar des quaternären Menschen stieß.

Es war ein völlig kenntlicher Menschenkörper. Hatte ein Boden von besonderer Beschaffenheit, wie der des Friedhofs St. Michael zu Bordeaux, ihn so wohl erhalten Jahrhunderte lang bewahrt? Ich könnte es nicht sagen. Aber dieser Leichnam, die pergamentartige Haut, die – dem Anschein nach – noch markigen Glieder, die noch erhaltenen Zähne, das reiche Haar, die erschrecklich langen Nägel an Händen und Zehen – das Alles zeigte sich unseren Augen, so wie es bei Leben gewesen.

Ich war stumm bei dieser Erscheinung aus einem anderen Zeitalter. Mein Oheim, der sonst so geschwätzig ist, schwieg ebenfalls. Wir hoben den Körper auf, betasteten seinen Rumpf, er blickte uns aus seinen Augenhöhlen an. Nach einer kleinen Pause machte sich der Professor in dem Oheim geltend. Er vergaß die Umstände, worin wir uns befanden, glaubte ohne Zweifel vor seinen Zuhörern am Johanneum zu stehen. Denn er sprach im Ton des Docenten, wie vor einem Auditorium:

»Meine Herren, ich habe die Ehre, Ihnen einen Menschen aus der quaternären Epoche vorzustellen. Große Gelehrte haben seine Existenz in Abrede gestellt; nun kann auch der Ungläubigste sich überzeugen, wenn er mit den Fingern ihn berührt und seinen Irrthum inne wird. Ich weiß nun wohl, daß die Wissenschaft bei Entdeckungen dieser Art vorsichtig sein muß! Ich weiß wohl, was die Barnum und andere Charlatane mit fossilen Menschen für ein Unwesen getrieben haben. Ich kenne alle Geschichten der Art, weiß auch, daß Cuvier und Blumenbach solche Gebeine für bloße Mammuthknochen erklärt haben. Aber hier ist kein Zweifel statthaft. Der Cadaver ist da! Sie können ihn sehen, berühren; es ist ein unversehrter Körper, ein Skelet.

Sie sehen, er ist nicht völlig sechs Fuß groß; gehört unstreitig der kaukasischen Race an, ja ich wage zu behaupten, er gehört zur japhelischen Familie, welche von Indien bis zu den Grenzen West-Europas verbreitet ist. Ja, es ist ein fossiler Mensch, ein Zeitgenosse des Mastodon. Aber auf welchem Wege er hieher gekommen ist in diese enorme Höhlung, das wage ich nicht zu bestimmen. Doch das weiß ich zu sagen, der Mensch ist da, umgeben von Werken seiner Hand, und ich kann nicht die Echtheit seines Ursprungs aus der Urzeit in Zweifel ziehen.«

Als der Professor geendigt hatte, klatschte ich Beifall. Uebrigens hätten viel gelehrtere Leute, als sein Neffe ist, Mühe gehabt, mit ihm zu streiten.

Hiezu kommt weiter. Der fossile Körper war nicht der einzige auf dem großen Gebeinfeld; bei jedem Schritt stießen wir noch auf andere, so daß mein Oheim die Wahl hatte, um für die Ueberzeugung der Ungläubigen ein Musterstück zu haben.

Eine wichtige Frage drängte sich dabei auf, welche wir nicht zu entscheiden uns getrauen. Sind diese Geschöpfe zu einer Zeit, als sie schon vermodert waren, durch eine gewaltsame Erschütterung des Bodens an’s Ufer des Meeres Lidenbrock hinabgerutscht, oder haben sie in dieser unterirdischen Welt, unter diesem künstlichen Himmel gelebt, wurden geboren und starben gleich unseren Erdbewohnern?

Bis jetzt hatten wir nur Seeungeheuer und Fische lebendig angetroffen! Sollte wohl auch ein Mensch an diesem öden Gestade der Unterwelt vorhanden sein?