Sechstes Capitel.


Sechstes Capitel.

Erste Etappen.

Am 6. Mai mit Tagesanbruch hatte ich das Hotel Spencer, eines der besten in Calcutta, in dem ich seit meiner Ankunft in Indien wohnte, verlassen; die große Stadt hatte mir jetzt nichts mehr zu bieten. Morgenpromenaden zu Fuß, während der ersten Tagesstunden, Abendspaziergänge zu Wagen, am »Strand« bis zur Esplanade des Fort William mitten unter den glänzenden Equipagen der Europäer, welche mit stolzer Verachtung die nicht minder glänzenden Wagen der großen und dicken eingebornen Babous kreuzen; Besuche jener wunderbaren Geschäftsstraßen, die mit Recht den Namen Bazars führen; Ausflüge nach den Verbrennungsstätten der Todten am Ufer des Ganges, nach den botanischen Gärten des Naturforschers Hooker, zur »Madame Kâli«, dem schrecklichen Weibe mit vier Armen, der wilden Todesgöttin, die sich in einem kleinen Tempel einer jener Vorstädte verbirgt, wo die moderne Civilisation und die einheimische Barbarei einander berühren – das war gethan und geschehen. Den Palast des Vicekönigs zu betrachten, der sich dem Hotel Spencer gegenüber erhebt; den merkwürdigen Palast des Chowringhi Road und die Town-Hall, die dem Andenken der großen Männer unserer Zeit gewidmet ist, zu bewundern; die interessante Moschee von Hougly eingehend zu studiren; am Hafen zu flaniren, der von den schönsten Kauffarteischiffen der englischen Marine strotzt; Abschied zu nehmen von den Arghiilas, Adjutanten oder Philosophen – diese Vögel haben gar zu viele Namen – denen es sozusagen obliegt, die Straßen zu reinigen und die Stadt in gutem Gesundheitszustande zu erhalten, das war auch geschehen, und es blieb mir nun nichts Anderes übrig, als abzureisen.

Am erwähnten Morgen nahm mich also ein Palkighari, eine Art schlechter vierrädriger, zweispänniger Wagen – der sich zwischen den bequemen Erzeugnissen der englischen Wagenbaukunst freilich nicht sehen lassen darf – am Gouuernementsplatze auf und hatte mich bald nach dem Bungalow des Oberst Munro befördert.

Hundert Schritte vor der Vorstadt wartete unser Train, Wir brauchten uns nur darin »häuslich einzurichten« – das ist die richtige Bezeichnung,

Selbstverständlich war unser Gepäck schon vorher in dem dafĂĽr bestimmten Raume untergebracht worden. Wir nahmen ĂĽbrigens nichts als das Notwendigste mit. Nur bezĂĽglich der Waffen verblieb Kapitän Hod bei der Anschauung, daĂź das unbedingt Nöthige mindestens aus vier Enfields-BĂĽchsen mit explodirenden Kugeln, vier Jagdgewehren, zwei Entenflinten und noch einer Anzahl anderer Flinten und Revolver zu bestehen habe, womit wir Alle ĂĽberreichlich bewaffnet werden konnten. Dieses groĂźe Kriegsgeräth war gewiĂź mehr zur Erlegung von Bestien ausgewählt, als zur Jagd auf eĂźbares Wild, doch der Nimrod der Expedition lieĂź sich in dieser Beziehung nichts d’reinreden.

Kapitän Hod schwelgte übrigens vor Entzücken! Das Vergnügen, den Obersten der Einsamkeit seiner Klause zu entreißen, die Freude, die nördlichen Provinzen Indiens in einem Fuhrwerk ohne Gleichen zu durchstreichen, die Aussicht auf ganz außergewöhnliche Jagdzüge und Ausflüge in die Himalaya-Berge, alles das belebte und reizte ihn mehr als gewöhnlich und machte sich in unendlichen Ausrufen und Händedrücken Luft, bei denen er dem Anderen fast die Knochen zerbrach.

Die Stunde der Abfahrt kam heran. Der Kessel hatte Dampf, die Maschine war bereit zu arbeiten. Der Maschinist stand auf seinem Posten, die Hand am Regulator. Der gewöhnliche schrille Pfiff erschallte.

»Vorwärts, rief Kapitän Hod, den Hut schwenkend, Stahlriese, vorwärts!«

Der Name Stahlriese, den unser enthusiastischer Freund dem wunderbaren Motor unseres Train gegeben, war gewiĂź ein berechtigter und blieb ihm auch fĂĽr immer.

Hier noch ein Wort ĂĽber das Personal der Expedition, das im zweiten beweglichen Hause wohnte.

Der Maschinist Storr, ein Engländer von Geburt, gehörte frĂĽher zur Compagnie der »Great-Southern of India«, von der er erst vor wenig Monaten ausgeschieden war. Banks, der ihn kannte, wuĂźte, daĂź er sehr tĂĽchtig sei und hatte ihn veranlaĂźt, in Oberst Munro’s Dienste zu treten. Es war ein Mann von vierzig Jahren, ein geschickter Arbeiter und in seinem Fache grĂĽndlich erfahren, der uns sehr wichtige Dienste leisten sollte.

Der Heizer hieß Kâlouth. Er stammte aus jener Classe von Hindus, die von den Eisenbahngesellschaften deshalb so hoch geschätzt werden, weil sie die Tropenhitze Indiens neben der eines Dampfkessels ungestraft auszuhalten vermögen. Dasselbe gilt von den Arabern, denen die Seetransport-Gesellschaften die Besorgung der Kessel bei der Fahrt auf dem Rothen Meere anvertrauen. Diese wackeren Leute begnügen sich, da nur zu sieden, wo Europäer in kurzer Zeit braten würden.

Die Ordonnanz des Oberst Munro war ein Hindu von fünfunddreißig Jahren, der Race nach ein Gourgkah, Namens Goûmi. Er gehörte dem Regiment an, das als Beweis unerschütterlicher Disciplin ohne Murren den Gebrauch der neuen Munition annahm, welche die erste Veranlassung, mindestens den Vorwand für den Aufstand der Sipahis abgab. Klein, flink, wohlgebaut, aber von einer Ergebenheit ohne Gleichen, trug er noch immer die schwarze Uniform der »Rifles-Brigade«, an der er mit Leib und Seele hing.

Der Sergeant Mac Neil und Goûmi waren in Krieg und Frieden die beiden Getreuen des Oberst Munro.

Nachdem sie sich an seiner Seite in allen Kämpfen in Indien geschlagen, ihn bei seinen fruchtlosen Versuchen, Nana Sahib aufzufinden, begleitet, waren sie ihm auch nach seinem Ruhesitze gefolgt, um ihn niemals wieder zu verlassen.

Neben Goûmi, der Ordonnanz des Obersten, ist Fox, ein lustiger, sehr mittheilsamer Vollblut-Engländer zu nennen, als Diener des Kapitän Hod und nicht minder eifriger Jäger als dieser. Um keinen Preis der Welt hätte er seine jetzige Stellung gegen irgend eine andere vertauscht. Seine Schlauheit machte ihn des Namens Fox, d. i. Fuchs, werth; er war aber ein Fuchs, der schon beim siebenunddreißigsten Tiger angelangt war, und damit hinter seinem Herrn nur um drei Stück zurückblieb. Er rechnete jedoch stark darauf, noch weiter vorwärts zu kommen.

Zur vollständigen Aufzählung des Personals der Expedition fehlt nur noch unser schwarzer Koch, der im vorderen Theile des zweiten Hauses zwischen den beiden Vorrathskammern schaltete. Ein Franzose von Geburt, der schon unter allen Breiten gebraten worden war, glaubte »Monsieur Parazard« – so lautete sein Name – nicht ein gewöhnliches Handwerk auszuüben, sondern ein Amt von hoher Bedeutung zu verwalten. Er entfaltete eine beispiellose Würde dabei, wenn er sich an dem einen oder dem anderen Ofen zu schaffen machte, oder mit der peinlichen Genauigkeit eines Chemikers Pfeffer, Salz oder andere Würze, welche seine gelehrten Präparate verlangten, hinzugab. Da Monsieur Parazard übrigens geschickt und sauber war, so verzieh man ihm wohl gern seine culinarische Eitelkeit.

Zehn Personen also, nämlich Sir Edward Munro, Banks, Kapitän Hod und ich einerseits, Mac Neil, Storr, Kâlouth, Goûmi, Fox und Monsieur Parazard anderseits bildeten die Expedition, welche der Stahlriese in zwei beweglichen Häusern nach dem Norden der indischen Halbinsel beförderte. Doch vergessen wir auch nicht die beiden Hunde Phann und Black, die der Kapitän bezüglich ihrer ausgezeichneten Eigenschaften als Gehilfen bei der Jagd auf Wild und Federvieh gar nicht genug zu loben wußte.

Bengalen ist, wenn auch nicht die merkwürdigste, jedenfalls aber die reichste Präsidentschaft von Hindostan. Es ist zwar nicht das eigentliche Land der Rajahs, das mehr den centralen Theil dieses weiten Reiches umfaßt; diese Provinz erstreckt sich dagegen über ein stark bevölkertes Gebiet, welches vielleicht als das wahre Land der Hindus zu betrachten ist. Es reicht nach Norden zu bis zu der unübersteiglichen Grenze, die der Himalaya bildet, und unsere Reiseroute sollte dasselbe schräg durchschneiden.

Nach Feststellung der ersten Etappen der Fahrt hatten wir uns über Folgendes geeinigt: Wir wollten einige Meilen dem Hougly, d. h. dem Arm des Ganges folgen, der an Calcutta vorbeiströmt, dann die französische Stadt Chandernagor rechts liegen lassen, der Eisenbahnlinie, bis Burdwan nachgehen und auf bequemstem Wege durch Behar ziehen, um in Benares wieder an den Ganges zu kommen.

»Meine Freunde, hatte Oberst Munro dabei geäuĂźert, ich ĂĽberlasse Euch vollständig die Bestimmung der Richtung unserer Reise … bestimmt sie nur ohne mich, Alles, was Ihr thut, wird mir genehm sein.

– Lieber Munro, erwiderte Banks darauf, Du wirst doch wohl auch Deine Ansicht zu erkennen geben mĂĽssen …

– Nein, nein, Banks, fiel der Oberst ein, ich ordne mich Dir unter und beanspruche kein Vorrecht, die eine Provinz etwa eher zu besuchen als die andere. Doch möge mir eine einzige Frage gestattet sein: Welche Richtung soll eingeschlagen werden, wenn wir nach Benares gekommen sind?

– Die nach Norden! rief Kapitän Hod bestimmt, der Weg, welcher direct nach den ersten Abhängen des Himalaya führt, also quer durch das Königreich Audh!

– Gut, gut, liebe Freunde, antwortete Oberst Munro, dann werde ich an Euch vielleicht das Ansuchen stellen … Doch davon sprechen wir später. Bis dahin macht nur alles nach Eurem GutdĂĽnken!«

Diese Worte Sir Edward Munro’s muĂźten nothwendig einiges Erstaunen erwecken. Welcher Gedanke lag denselben wohl zu Grunde?

Sollte er dieser Reise nur mit dem Hintergedanken zugestimmt haben, daß der Zufall ihn vielleicht finden ließ, was dem eifrigsten Willen mißglückte? Glaubte er, wenn Nana Sahib noch am Leben war, diesen etwa im Norden von Indien aufzuspüren? Ich für meinen Theil hatte das bestimmte Gefühl, daß sich Oberst Munro von ähnlichen Motiven leiten ließ, und es schien mir sogar, als ob der Sergeant Mac Neil in seines Herrn Geheimnisse eingeweiht sei.

Während der ersten Stunden dieses Morgens hatten wir im Salon von Steam-House Platz genommen. Die Thür und die beiden Fenster nach der Veranda zu standen offen, und die Punka, welche die Luft in Bewegung erhielt, machte die Temperatur recht erträglich.

Der Regulator in den Händen Storr’s zĂĽgelte den Stahlriesen. Nur eine Meile in der Stunde, mehr verlangten fĂĽr jetzt die Reisenden nicht, welche neugierig das Land umher betrachteten.

Von der Vorstadt Calcuttas aus, folgten uns zuerst etwa hundert Europäer, welche unser Fuhrwerk anstaunten, neben einer Unmasse Hindus, die es mit einer Art mit Furcht untermischten Verwunderung anstarrten. Nach und nach verminderte sich die Menge, doch entgingen wir nicht den bewundernden Ausrufen der Passanten, die ihre »Wahs! wahs!« fast verschwendeten. Selbstverständlich galten diese Zeichen der Bewunderung weniger den beiden prächtigen Wagen, als dem gigantischen Elephanten, der diese unter Ausstoßen von Dampfwirbeln dahinschleppte.

Um zehn Uhr wurde im Speisesaale die Tafel gedeckt, und da wir wirklich weniger geschĂĽttelt wurden, als in einem Salonwagen erster Classe, so that Jeder dem FrĂĽhstĂĽck Monsieur Parazard’s alle Ehre an.

Der Weg, welchen unser Zug einhielt, fĂĽhrte am Ufer des Hougly hin, den westlichsten der zahlreichen Arme des Ganges, welche zusammen das unentwirrbare Netz der sogenannten Sunderbunds bilden. Der ganze Landstrich hier besteht aus Alluvialboden.

»Was Sie hier sehen, Lieber Maucler, sagte Banks zu mir, ist das ErzeugniĂź des Wettstreites zwischen dem heiligen Ganges und dem nicht minder geheiligten Golf von Bengalen. Das Ganze ist eine Frage der Zeit. Vielleicht liegt hier kein Bröckchen Erde, das nicht von dem Himalaya herstammt, von wo die Strömung des Ganges dieselbe herabfĂĽhrte. Der FluĂź hat allmälich das Gebirge abgenagt, um den Boden dieser Provinz zu bilden, in dem er fĂĽr sich selbst ein Bett aussparte …

– Das er oft genug gegen ein anderes vertauscht! setzte Kapitän Hod hinzu. O, dieser Ganges ist ein Sonderling, ein Phantast, ein Mondsüchtiger! Man erbaut eine Stadt an einem Ufer, und wenig Jahrhunderte später liegt diese mit trockenen Quais mitten im Lande, da der Strom seine Richtung und Mündung gewechselt hat. So badeten früher Rajmahal und Gaur ihren Fuß in dem ungetreuen Wasserlaufe und sterben jetzt vor Durst inmitten der dürren Reisfelder der Ebene.

– Nun, fragte ich, steht nicht auch zu befürchten, daß Calcutta einst dasselbe Loos trifft?

– Wer weiß?

– Oho, sind wir denn gar nicht da, warf Banks ein. Giebt es denn keine Deiche? Wenn es sich nöthig macht, wird man das Austreten des Ganges schon zu hindern wissen. Man legt ihm eben einfach die Zwangsjacke an!

– Es ist ein Glück für Sie, lieber Banks, bemerkte ich, daß Sie hier keine Hindus in dieser Weise über ihren heiligen Strom sprechen hören; das würden Sie Ihnen niemals verzeihen.

– Freilich, mußte Banks zugestehen, der Ganges gilt ihnen ja als der Sohn der Gottheit, wenn nicht als diese selbst, und was er thut, ist in ihren Augen nie ein Uebel.

– Nicht einmal das Fieber, die Cholera und die Pest, die er niemals ganz ausgehen läßt! rief Kapitän Hod. Die Tiger und Krokodile, von denen es in den Sunderbunds wimmelt, befinden sich freilich nicht schlechter dabei. Im Gegentheil, man möchte sagen, die verderbliche Luft sei für diese Geschöpfe ebenso zuträglich, wie die reine Atmosphäre eines Sanatoriums während der heißen Jahreszeit für die Anglo-Indianer. O, dieses Raubzeug! – Fox! rief Hod, indem er sich zu seinem Diener wandte, der die Tafel abräumte.

– Herr Kapitän? meldete sich Fox.

– Nicht wahr, Du hast den siebenunddreißigsten erlegt?

– Ja, Herr Kapitän, zwei Meilen von Port Canning, antwortete Fox. Es war eines Abends …

– Schon gut! unterbrach ihn Kapitän Hod, der ein tüchtiges Glas Grog ausleerte. Ich kenne die Geschichte Deines siebenunddreißigsten; die des achtunddreißigsten würde mich weit mehr interessiren.

– Der achtunddreißigste ist noch nicht getödtet, Herr Kapitän!

– Du wirst ihn aber tödten, Fox. Ebenso wie ich den einundvierzigsten!«

Im Gespräche zwischen Kapitän Hod und seinem Diener wurde, wie man sieht, das Wort »Tiger« einfach weggelassen. Das war überflüssig. Die beiden Jäger verstanden sich schon.

Je weiter sie vorwärts kamen, desto mehr verengerte sich das Bett des Hougly, der vor Calcutta nahe einen Kilometer breit ist. Stromaufwärts von dieser Stadt begrenzen ihn nur sehr niedrige Ufer. Hier entwickeln sich manchmal furchtbare Cyclonen, die ihre Zerstörung über die ganze Provinz verbreiten. Ganze Stadtviertel werden dabei vernichtet, Hunderte von Häusern eines an dem anderen zertrümmert, ungeheure Anpflanzungen verwüstet, während Tausende von Leichnamen die Stadt und das Land bedecken – das sind die Jammerbilder, welche diese schrecklichen Meteore hinterlassen, unter denen der Cyclon von 1844 die anderen an Heftigkeit besonders übertraf.

Bekanntlich besteht das Klima Indiens aus drei Jahreszeiten: der Regenzeit, der kalten und der heißen Jahreszeit. Die letztere ist zwar die kürzeste, aber auch die beschwerlichste. März, April und Mai sind besonders furchtbare Monate. Unter allen ist der Mai der heißeste. Wer sich zu dieser Zeit mehrere Stunden am Tage der Sonne aussetzt, riskirt dabei das Leben, wenigstens ein Europäer. Es ist nicht so selten, daß das Thermometer selbst im Schatten bis auf 106° Fahrenheit (etwa 41° Celsius) ansteigt.

»Die Menschen, sagt de Balbezen, dampfen dabei wie die Pferde, und während des Krieges zur Unterdrückung des Aufstandes mußten die Soldaten zu Kaltwasser-Douchen über den Kopf ihre Zuflucht nehmen, um dem Blutandrang nach dem Gehirn zu steuern.«

Dank der eigenen Bewegung des Steam-House, dem durch das Schwingen der Punka unterhaltenen Luftwechsel und der feuchten Atmosphäre, welche durch die unausgesetzt benetzten Fenstermatten eindrang, litten wir von der Hitze nicht allzusehr. Uebrigens näherte sich die Regenzeit, welche vom Juni bis zum October dauert, und diese konnte uns vielleicht unangenehmer werden, als die heiße Saison. Unter den Verhältnissen, wie wir reisten, war indeß von keiner Seite etwas Ernstliches zu fürchten.

Gegen ein Uhr Nachmittag kamen wir nach einer köstlichen Promenade, die wir machten, ohne aus dem Hause zu gehen, bei Chandernagor an.

Ich hatte diesen Erdenwinkel, den einzigen, der in der ganzen Präsidentschaft Bengalen noch Frankreich angehört, schon früher besucht. Diese unter dem Schutze der dreifarbigen Fahne stehende Stadt, welche nur das Recht hat, fünfzehn Soldaten zu ihrer eigenen Bewachung zu unterhalten, die alte Rivalin Calcuttas während der Kämpfe des 18. Jahrhunderts, ist jetzt verfallen, ohne Gewerbfleiß, ohne Handel, ihre Bazars sind verlassen, ihre Forts nicht besetzt. Vielleicht hätte Chandernagor einen neuen Impuls bekommen, wenn die Eisenbahn nach Allahabad durch dieselbe oder doch längs ihrer Mauern hingeführt worden wäre; in Folge der Anforderungen der französischen Regierung aber sah die englische Gesellschaft sich genöthigt, eine andere Linie auszuwählen und das französische Gebiet zu umgehen, wodurch Chandernagor die letzte Gelegenheit verloren hat, sich wieder zu einiger Handelsbedeutung aufzuraffen.

Unser Train berührte die Stadt also auch nicht. Er hielt drei Meilen davon auf der Straße, beim Eingang in einen Latanien-Wald an. Als wir uns hier zur Rast einrichteten, sah es aus, als ob der Bau eines Dorfes an der betreffenden Stelle begonnen worden wäre. Das Dorf war freilich beweglich, und am Morgen des 7. Mai nahm es seinen unterbrochenen Marsch wieder auf, nachdem wir eine ruhige Nacht in unseren comfortablen Cabinen zugebracht hatten.

Während des Aufenthaltes sorgte Banks für Erneuerung des Brennmaterials. Obwohl die Maschine nur wenig gebraucht hatte, hielt er doch stets darauf, daß der Tender seine volle Ladung, an Wasser und an Kohlen, führte, um sechzig Stunden den Bedarf decken zu können.

Diesen Grundsatz wendeten der Kapitän Hod und sein getreuer Fox auch redlich auf sich selbst an, und ihr innerer Ofen – ich wollte sagen ihr Magen, der eine sehr große Heizfläche bot – war stets mit reichlichem stickstoffhaltigen Brennmaterial versehen, das ja unentbehrlich ist, um die menschliche Maschine längere Zeit gut in Gang zu erhalten.

Die zunächst zurückzulegende Strecke sollte eine längere sein. Wir wollten zwei Tage lang fahren, zwei Nächte ruhen, um Burdwan zu erreichen – und dieser Stadt einen Besuch abzustatten.

Um sechs Uhr Morgens gab Storr das Abfahrtssignal mit der Dampfpfeife, blies die Cylinder aus, und der Stahlriese setzte sich etwas schneller als vorher in Gang.

Einige Stunden lang hielten wir uns in der Nähe des Schienenweges, der über Burdwan das Gangesthal bei Rajmahal wieder erreicht, dem er dann bis Benares folgt. Eben flog der Zug von Calcutta vorüber. Er schien uns durch die bewundernden Blicke der Passagiere herauszufordern. Wir beachteten diese Herausforderung nicht. Sie mochten schneller fahren als wir, bequemer jedenfalls nicht.

Die Landschaft, durch welche wir in diesen zwei Tagen kamen, war unveränderlich eben und deshalb ziemlich einförmig. Da und dort schaukelten sich einige schlanke Cocospalmen, welche Baumgattung jenseits Burdwan bald ganz verschwindet. Diese zu der großen Familie der Palmen gehörenden Bäume sind nämlich Freunde der Küste und gedeihen nur, wenn ihre Athmungsluft einige Partikelchen Meeresluft enthält. Deshalb begegnet man ihnen auch nicht mehr außerhalb einer ziemlich schmalen Uferzone und würde sie vergeblich im Innern Indiens suchen. Die Flora des Binnenlandes ist jedoch nicht weniger interessant und artenreich.

Zu beiden Seiten des Ganges bildete das Land sozusagen ein riesiges Schachbrett von Reisfeldern, das sich unĂĽbersehbar weit hinaus erstreckte. Der Boden war in Vierecke getheilt und eingedeicht, etwa wie die SalzsĂĽmpfe der Lagunen oder die Austernparks der SeekĂĽste. Hier herrschte jedoch die grĂĽne Farbe vor und die Ernte auf diesem feuchten und warmen Erdreich mit seiner ĂĽppigen Fruchtbarkeit schien sehr ergiebig werden zu sollen.

Am nächsten Abend stieß die Maschine zur festgesetzten Stunde und mit einer Pünktlichkeit, um die sie jeder Eilzug hätte beneiden können, die letzte Dampfwolke aus und hielt vor den Thoren von Burdwan.

In administrativer Hinsicht bildet diese Stadt den Hauptort eines englischen Bezirkes, der aber selbst einem Maharajah unterthan ist, welcher an die Regierung nicht weniger als zehn Millionen Steuern bezahlt. Die Stadt besteht größtenteils aus niedrigen Häusern mit schönen Baumalleen zwischen denselben. Letztere sind breit genug, um unseren Train den Durchgang zu gestatten. Wir sollten diese Nacht also an einem reizenden Punkte voller Schatten und Frische zubringen. An jenem Abend zählte die Residenz des Maharajah ein kleines Stadtviertel mehr, nämlich unseren tragbaren Weiler, unser aus zwei Häusern bestehendes Dörfchen, das wir jedoch nicht gegen das ganze Stadtviertel vertauscht hätten, in dem sich der glänzende Palast des Beherrschers von Burdwan in anglo-indischem Baustyl erhebt.

Unser Elephant brachte natürlich auch hier die gewohnte Wirkung hervor, d.h. einen mit Verwunderung gemischten Schrecken bei allen Bengalen, die von rechts und links im bloßen Kopfe mit einer Haarfrisur à la Titus herzuströmten, die Männer nur bekleidet mit einem Schurz um die Lenden, die Weiber mit dem weißen »Sarri«, (d. i. ein burnusähnliches Hemd), das sie vom Kopf bis zu den Füßen verhüllt.

»Es beschleicht mich hier nur die eine Furcht, begann da Kapitän Hod, daß es dem Maharajah einfallen könnte, unseren Stahlriesen kaufen zu wollen, und, daß er dafür eine Summe böte, die uns nöthigte, ihn Seiner Hoheit zu überlassen.

– Das wird nie geschehen! rief Banks. Wenn er es wünscht, baue ich ihm eher einen neuen Elephanten und von solcher Stärke, daß er seine ganze Hauptstadt von einem Ende des Reichs zum anderen fortziehen könnte. Den unsrigen verkaufen wir jedoch um keinen Preis. Nicht wahr, Munro?

– Um keinen Preis,« bestätigte der Oberst mit der Miene eines Mannes, den auch das Angebot einer Million nicht rühren würde.

Ein etwaiger Verkauf unseres Riesen kam jedoch eigentlich gar nicht in Frage. Der Maharajah befand sich zur Zeit gar nicht in Burdwan. Wir erhielten nur den Besuch seines »Kândar«, eine Art Geheimsekretär, der unser Gefährt in Augenschein nahm. Dafür bot uns der Mann – worauf wir mit Vergnügen eingingen – an, die Gärten des Palastes zu besuchen, welche die schönsten Exemplare von tropischen Pflanzen enthalten, und von lebendem Wasser, das sich in Teichen ansammelt oder in Bächen dahinfließt, benetzt werden; ferner den mit phantastischen Kiosks geschmückten Park zu durchwandern, in dem sich herrliche grüne Rasenplätze, aber auch Ziegen, Hirsche, Damhirsche und Elephanten als Repräsentanten der Hausthiere im Freien, dagegen Tiger, Löwen, Panther, Bären als Vertreter der Raubthiergeschlechter in prachtvollen hausähnlichen Käfigen vorfinden.

»Tiger im Käfig wie Stubenvögel, Herr Kapitän! rief Fox. Es ist doch zum Erbarmen!

– Gewiß, Fox! antwortete der Kapitän. Wenn es nach ihrem Willen ging, würden die letzteren gern frei in den Dschungeln umherschweifen, selbst vor dem Laufe einer Büchse mit explodirenden Geschossen!

– Das mein‘ ich auch!« bestätigte der Diener tief aufseufzend.

Am nächsten Tage, am 10. Mai, verließen wir Burdwan. Das mit Allem wohlversorgte Steam-House kreuzte die Eisenbahn auf einem Niveau-Uebergang, und wandte sich direct nach Ramghur, eine etwa fünfundsiebenzig Meilen entfernt liegende Stadt.

Diese Reiseroute ließ freilich zu unserer Rechten die nicht unbedeutende Stadt Mourchedabad, die weder in ihrem indischen, noch im englischen Quartiere etwas Interessantes bietet; Monghir, eine Art Birmingham Hindostans, gelegen auf einem Vorberge, der das Bett des geheiligten Stromes beherrscht; Patna, die Hauptstadt jenes Königreichs Behar, das wir schräg durchziehen wollten, ein reiches Handelscentrum für den Opium-Export, welches unter den Schlingpflanzen, die hier besonders üppig gedeihen, zu verschwinden Gefahr läuft; doch wir hatten Besseres zu thun: wir mußten einer meridionalen Richtung zwei Grade unterhalb des Gangesthales folgen.

Während dieses Theiles der Fahrt wurde der Stahlriese etwas mehr angetrieben und unterhielt einen leichten Trott, der uns die vortreffliche Einrichtung unserer schwebenden Häuser überzeugend vor Augen führte. Uebrigens war die Straße gut und eignete sich zu dieser Probe. Vielleicht erschraken die Raubthiere vor dem gigantischen Elephanten, der Rauch und Dampf ausathmete. Mindestens sahen wir zum großen Erstaunen des Kapitän Hod in den Dschungeln dieses Landes kein einziges. Doch wollte Jener seiner Jagdleidenschaft ja auch erst in den nördlichen Gebieten Indiens, und nicht schon hier in Bengalen nachgehen, so daß er sich vorläufig nicht beklagte.

Am 15. Mai befanden wir uns in der Nähe von Ramghur, gegen fünfzig Meilen von Burdwan. Die mittlere Fahrgeschwindigkeit betrug bisher fünfzehn Meilen in zwölf Stunden, nicht mehr.

Drei Tage später, am 18., hielt der Zug, hundert Kilometer weiter, bei der kleinen Stadt Chittra an.

Dieser erste Theil der Reise war ohne jeden Zwischenfall verlaufen. Die Tage waren warm, die Siesta unter dem Schutze der Veranda dagegen desto angenehmer. Da brachten wir diese heißesten Stunden unter köstlichem Farniente zu.

Abends reinigten Storr und Kâlouth unter den Augen Banks‘ den Kessel und revidirten die Maschine.

Unterdeß gingen wir, Kapitän Hod und ich, begleitet von Fox und Goûmi und den beiden Vorstehhunden, in der Nachbarschaft des Halteplatzes jagen. Noch gab es nur kleines Wild und Federvieh; wenn der Kapitän das als Jäger auch verachtete, so schätzte er es doch als Feinschmecker, und am nächsten Tage enthielt der Speisezettel des Monsieur Parazard zu seiner größten Befriedigung einige saftige Gerichte mehr, wobei wir unsere Vorräthe schonen konnten.

Zuweilen blieben Goûmi und Fox wohl auch zurück, um Holz zu fällen und Wasser zu tragen. Es mußte ja der Tender für den ganzen nächsten Tag gefüllt werden. Banks wählte deshalb auch den Halteplatz mit Vorliebe am Ufer eines Baches und in der Nähe eines Gehölzes. Die Versorgung mit dem nöthigen Material geschah stets unter der Aufsicht des Ingenieurs, der sich selbst um Alles bekümmerte.

War das Alles vollbracht, so zündeten wir uns die Cigarren an – ausgezeichnete »Cherouts« aus Manilla – und rauchten während eines Gespräches über dieses Land, das Hod und Banks ja gründlich kannten. Der Kapitän verachtete die gewöhnliche Cigarre und sog mit seinen kräftigen Lungen durch einen zwanzig Fuß langen Schlauch den aromatischen Duft aus einem »Houkah«, den sein Diener mit aller Sorgfalt gestopft hatte.

Unser größtes Vergnügen wäre es gewesen, wenn Oberst Munro sich einmal diesen kurzen Ausflügen in die nächsten Umgebungen angeschlossen hätte. Stets machten wir ihm vor dem Aufbruch diesen Vorschlag, doch ebenso oft lehnte er unser Angebot ab und blieb mit Sergeant Neil zurück. Beide gingen dann nur auf der Straße je hundert Schritt hin und her. Sie sprachen wenig, schienen sich aber vollkommen zu verstehen, und hatten es nicht nöthig, viel Worte zu wechseln, um ihre Gedanken auszutauschen. Beide schienen ganz von den furchtbaren Erinnerungen erfüllt zu sein, die nichts verlöschen konnte. Wer weiß, ob sich diese Erinnerungen nicht noch mehr belebten, je mehr Oberst Munro und der Sergeant sich dem Schauplatz des schrecklichen Aufstandes näherten.

Offenbar hatte den Obersten eine fixe Idee, die wir erst später erfahren sollten, und nicht der einfache Wunsch, sich nicht von uns zu trennen, zum Anschluß an diese Fahrt nach Norden von Indien veranlaßt. Banks und Kapitän Hod theilten hierüber meine eigenen Anschauungen, und wir legten uns unwillkürlich und mit einiger Sorge vor der Zukunft die Frage vor, ob dieser Elephant, während er durch die Ebenen der Halbinsel schritt, nicht ein ganzes Drama zur Entwicklung bringen werde.

Siebentes Capitel.


Siebentes Capitel.

Die Pilger am Phalgon.

Behar, das ehemalige Magadha, war zur Zeit der Buddhisten ein geheiligter Bezirk und ist noch jetzt von Tempeln und Klöstern erfĂĽllt. Seit vielen Jahrhunderten schon sind aber die Brahmanen an die Stelle der Priester Buddha’s getreten. Sie haben die »Biharas« (d. s. Klöster, von welcher Bezeichnung auch der Name »Behar« abstammen soll) in Besitz genommen, nutzen dieselben aus und leben von den Erträgnissen des Cultus; Gläubige strömen ihnen von allen Seiten zu; sie machen dem heiligen Wasser des Ganges, den Pilgerfahrten von Benares und den religiösen Feierlichkeiten von Jaggernaut merkbare Concurrenz; mit einem Wort, der ganze Bezirk gehört ihnen an.

Ein reiches Land mit endlosen, smaragdgrünen Reisfeldern, ungeheueren Mohnplantagen und zahlreichen, in üppigem Grün versteckten Flecken, beschattet von Palmen, Mango-, Dattelbäumen und Taras, über welche die Hand der Natur ein kaum entwirrbares Netz von Lianen gebreitet hat. Die Wege, denen das Steam-House folgt, bilden lauter dichtbelaubte Bogengänge, deren feuchter Boden eine erquickende Frische erhält. Die Karte vor den Augen, dringen wir, ohne Furcht, uns zu verirren, immer weiter vor. Das Sausen und Brausen unseres Elephanten mischt sich mit dem betäubendem Lärmen des gefiederten Geschlechtes und mit dem unharmonischen Geschrei des Affenvolkes. Sein Dampf wälzt sich in dichten Wirbeln zwischen dem Phönix des Landes, dem Bananenbaum hindurch, dessen goldige Früchte gleich Sternen in leichten Wolken hervorglänzen. Wo er hinkommt, fliegen ganze Schwärme zarter Reisvögel, auf deren weißes Gefieder in den weißen Dampfwirbeln verschwindet. Da und dort heben sich Gruppen von Vanianen und Pampelpomeranzen kräftig ab, oder kleinere Feldstücke von »Dahls«, d.i. eine Art buschig wachsender Erbsen mit etwa meterhohen Stengeln, die in den Dörfern des Hinterlandes zu Einzäunungen verwendet werden.

Aber welche Hitze! Kaum dringt ein wenig feuchte Luft durch die Matten vor unseren Fenstern! Die »Hot winds« – die warmen Winde – welche sich, während sie die weiten Ebenen im Westen bestreichen, mit Hitze überladen, bedecken das Land mit ihrem feurigen Athem. Es wird hohe Zeit, daß der Juni-Mousson in diesen Zustand der Atmosphäre eine Aenderung bringt. Niemand vermöchte, ohne Gefahr der Erstickung, diese Gluthsonne auf die Dauer zu ertragen.

Das Land ist auch ganz menschenleer. Selbst die an diese feurigen Sonnenstrahlen gewöhnten »Raiots« müssen von jeder Feldarbeit abstehen. Nur die schattige Straße ist noch zu benutzen, und auch das nur, da wir sie unter dem Schutze unseres rollenden Bungalow durchlaufen. Der Heizer Kâlouth muß, ich sage nicht aus Platin bestehen, denn Platin würde schmelzen, sondern aus reinem Kohlenstoff, um vor seinem glühenden Kesselroste nicht in flüssigen Zustand überzugehen. Doch nein! Der brave Hindu hält aus! Er besitzt gewiß eine andere, wärmerückstrahlende Natur, die er sich auf der Plattform der Locomotiven, auf den Schienenwegen Central-Indiens erworben!

Im Laufe des 19. Mai zeigte das an der Wand des Speisesaales hängende Thermometer eine Temperatur von 106° Fahrenheit (41,11° Celsius). An demselben Abend mußten wir auf unsere hygienische »Hawakana-Promenade« verzichten. Dieses Wort bedeutet eigentlich »Luft essen«, d.h. man athmet dabei nach der erdrückenden Hitze des Tropensommertages ein wenig laue, reine Abendluft ein. Diesmal hätte die Atmosphäre im Gegentheil uns aufgezehrt.

»Herr Maucler, redete der Sergeant Mac Neil mich da an, das erinnert mich an jene letzten Tage im März, als Sir Hugh Rose mit einer nur aus zwei GeschĂĽtzen bestehenden Batterie eine Bresche in die Umfassungsmauer von Laknau zu legen versuchte. Vor sechzehn Tagen waren wir ĂĽber die Betwa gekommen und hatten seit eben der Zeit die Pferde ein einziges Mal abgesattelt. Wir kämpften zwischen ungeheueren Granitmauern, was hier ebenso viel bedeutet, wie zwischen den Backsteinwänden eines hohen Ofens. In unseren Reihen gingen »Chitsis« auf und ab, welche Wasser in Schläuchen herumtrugen und uns das, während wir feuerten, ĂĽber die Köpfe gossen. Ja, da kommt mir noch etwas in den Sinn! Ich war erschöpft, mein Kopf wollte zerspringen und fast sank ich schon zur Erde… Da bemerkte es Oberst Munro, entreiĂźt einem Chitsi den Schlauch und gieĂźt dessen Inhalt ĂĽber mich aus… und das war der letzte, den die Träger zu beschaffen vermochten! … Sehen Sie, so etwas vergiĂźt sich nicht. Nein! Einen Blutstropfen fĂĽr jeden Wassertropfen! Und wenn ich mein ganzes Blut fĂĽr den Herrn Oberst hingegeben hätte, ich bliebe doch noch sein Schuldner!

– Sergeant, fragte ich, finden Sie den Oberst Munro seit unserer Abreise nicht noch gedankenvoller und stiller als gewöhnlich? Es scheint, daĂź jeder Tag …

– Ganz recht, Herr Maucler, antwortete Mac Neil mich unterbrechend, das geht auch ganz natĂĽrlich zu. Der Herr Oberst nähert sich ja Laknau und Khanpur mehr und mehr, wo Nana Sahib jenes Gemetzel … o, ich kann nicht davon sprechen, ohne daĂź mir das Blut zu Kopfe steigt! Vielleicht wäre es besser gewesen, die Reiseroute zu ändern und nicht durch jene Provinzen zu fahren, in denen der Aufstand am verheerendsten wĂĽthete. Wir stehen jenen entsetzlichen Vorgängen noch zu nahe, als daĂź die Erinnerung daran schon verblaĂźt sein könnte.

– Aendern könnten wir noch jetzt, erwiderte ich. Wenn Sie meinen, Sergeant, sprech‘ ich darĂĽber mit Banks und Kapitän Hod …

– Nein, nein, das ist zu spät, entgegnete Mac Neil. Ich habe sogar Ursache, zu glauben, daß es dem Herrn Oberst am Herzen liegt, den Schauplatz jenes schrecklichen Krieges noch einmal zu sehen, und daß er die Stelle besuchen will, wo Lady Munro den Tod – und welchen Tod! – gefunden.

– Wenn es so steht, erwiderte ich, ist es wohl rathsamer, dem Oberst Munro zu willfahren und an unseren Projecten nichts zu ändern. Oft liegt ja ein Trost und eine Milderung des Schmerzes darin, sich an dem Grabe Derer, die uns theuer waren, auszuweinen…

– An einem Grabe, ja! rief Mac Neil. Ist jener Brunnenschacht von Khanpur aber, in den so viele unglĂĽckliche Opfer bunt durcheinander gestĂĽrzt wurden, wohl noch ein Grab zu nennen? Steht etwa ein Leichenstein daran, ähnlich denen, die von pietätreichen Händen auf unseren schottischen Kirchhöfen gepflegt werden, die mitten unter Blumen und schattigen Bäumen einen Namen enthalten, den einzigen Namen Dessen, der darunter ruht? Ach, mein Herr, ich fĂĽrchte, der Herr Oberst wird entsetzlich leiden! Doch, ich wiederhole, jetzt ist’s zu spät, ihn von diesem Wege noch abzulenken. Wer weiĂź, ob er sich nicht weigerte, uns zu folgen. Nein, lassen wir die Sache gehen, und Gott sei mit uns!«

Offenbar hatte Mac Neil gegrĂĽndete Ursache, so bestimmt ĂĽber die Absichten des Oberst Munro zu sprechen. Sagte er mir aber auch Alles, und war es nur der Zweck, Khanpur wiederzusehen, der den Oberst vermochte, Calcutta zu verlassen? Doch wie dem auch sei, jetzt zog es ihn wie ein Magnet nach dem Platze, wo die Lösung des schauerlichen Dramas erfolgt war! … Jetzt muĂźte die Sache ihren Gang haben.

Da kam mir der Gedanke, den Sergeant zu fragen, ob er fĂĽr seinen Theil jeden Gedanken an Rache aufgegeben, mit einem Worte, ob er glaube, daĂź Nana Sahib todt sei.

»Nein, gab mir Mac Neil schlechtweg zur Antwort. Obwohl ich kein Anzeichen dafĂĽr habe, worauf ich meine Ansicht stĂĽtzen könnte, so kann ich doch nicht glauben, daĂź Nana Sahib gestorben sei, ohne die Strafe fĂĽr seine Schandthaten gefunden zu haben! Nein, nein! Und doch, ich weiĂź nichts und habe auch nichts darĂĽber gehört! … Es ist wie ein Instinct, der mich beherrscht … O, solch‘ wohlberechtigte Rache kĂĽhlen zu können, das mĂĽĂźte dem Herzen wohl thun! Gott gebe, daĂź meine Ahnungen nicht trĂĽgen und wir noch …«

Der Sergeant vollendete den Satz nicht … Seine Bewegungen deuteten an, was die Lippen nicht aussprechen wollten. Der Diener stimmte mit dem Herrn vollkommen ĂĽberein.

Als ich Banks und Kapitän Hod den Sinn dieses Gespräches mittheilte, sprachen sich Beide dahin aus, daß die Reiseroute weder verändert werden sollte noch könnte. Uebrigens war niemals davon die Rede gewesen, durch Khanpur selbst zu gehen, denn wir beabsichtigten nach Ueberschreitung des Ganges bei Benares durch die Ostprovinzen der Königreiche Audh und Rohilkande direct nach Norden zu ziehen. Was Mac Neil auch denken mochte, so stand es doch nicht fest, daß Oberst Munro Laknau oder Khanpur, für ihn die Stätten der entsetzlichsten Erinnerungen, wiedersehen wolle; doch würde man auch im letzteren Falle seinem Wunsche nicht entgegentreten.

Nana Sahib endlich war eine so allgemein bekannte Persönlichkeit, daß wir, wenn sich die, sein Wiederauftreten in der Präsidentschaft Bombay meldende Anzeige bestätigte, unterwegs wohl von ihm hätten sprechen hören. Zur Zeit unserer Abfahrt von Calcutta war von dem Nabab aber kaum noch die Rede, und die von uns gelegentlich eingezogenen Erkundigungen ließen eher den Gedanken aufkommen, daß die Behörden falsch berichtet gewesen seien.

Bargen die GerĂĽchte aber wider Erwarten doch einen wahren Kern und leitete auch den Oberst Munro jetzt wirklich eine geheime Absicht, so hätte es verwundern können, daĂź er an Stelle Mac Neil’s nicht Banks, seinem vertrautesten Freunde, davon Mittheilung gemacht hatte. Eine Erklärung dafĂĽr lag jedoch, wie auch Banks selbst sagte, darin, daĂź er Alles aufgeboten hatte, den Oberst von gefährlichen und nutzlosen Unternehmungen abzuhalten, während der Sergeant Jenen vielmehr dazu antrieb.

Am 19. Mai gegen Mittag hatten wir den Flecken Chittra passirt. Das Steam-House befand sich jetzt 450 Kilometer von seinem Ausgangspunkte entfernt.

Mit einbrechender Nacht des nächsten Tages, des 20. Mai, kam der Stahlriese nach einem brennend heißen Tage in der Nähe von Gaya an. Wir hielten am Ufer eines geheiligten Flusses, des Phalgou, der durch die dahin gerichteten Pilgerfahrten weit und breit bekannt ist. Die beiden Häuser nahmen an einem hübschen, von prächtigen Bäumen beschatteten Uferabhange, zwei Meilen von der Stadt, Platz.

Wir gedachten hier 36 Stunden, nämlich zwei Nächte und einen Tag zu rasten, denn dieser Ort ist, wie ich oben andeutete, einer genaueren Betrachtung werth.

Am folgenden Morgen, und zwar, um der Mittagshitze zu entgehen, schon um vier Uhr, verabschiedeten wir, d. h. Banks, Kapitän Hod und ich, uns bei Oberst Munro und wanderten nach Gaya.

Man versichert, daß nach diesen Mittelpunkt des brahmanischen Cultus jährlich mindestens 500.000 Andächtige zusammenströmen. Bei Annäherung an die Stadt sahen wir die Wege auch von einer unendlichen Menge von Männern, Frauen und Kindern bedeckt. In langem, feierlichem Zuge schritten sie Alle dahin, die den Mühsalen einer langen Pilgerfahrt getrotzt hatten, um ihre religiösen Pflichten zu erfüllen.

Banks hatte das Gebiet von Behar schon früher einmal, bei Gelegenheit der Vorarbeiten für eine noch nicht zur Ausführung gekommene Eisenbahn kennen gelernt, wir konnten also einen besseren Führer nicht leicht finden. Den Kapitän Hod hatte er übrigens zur Zurücklassung jedes Jagdgeräthes zu bestimmen gewußt, so daß wir auch nicht zu befürchten brauchten, daß unser Nimrod uns unterwegs im Stiche ließe.

Kurz vor dem Orte, den man mit Recht die »heilige Stadt« nennen könnte, machte Banks uns auf einen geweihten Baum aufmerksam, welchen Pilger jedes Geschlechtes und jedes Alters andachtsvoll umringten.

Es war ein sogenannter »Pipal« mit ungeheurem Stamme; obwohl die meisten Aeste desselben vor Alter schon abgefallen schienen, konnte er doch nicht mehr als zwei- bis dreihundert Jahre zählen, was Louis Rousselet während seiner hochinteressanten Reise durch die indischen Gebiete der Rajahs zwei Jahre später bestätigte.

Dieser letzte Repräsentant der geweihten Pipals, welche eine lange Reihe von Jahrhunderten denselben Platz beschatteten und deren erster fünfhundert Jahre vor der christlichen Zeitrechnung gepflanzt worden sein soll, trug den religiösen Namen »Boddhi«. Wahrscheinlich galt er, im Glauben der um seinen Stamm knieenden Fanatiker, für denselben, den Buddha einst gesegnet haben soll. Er erhebt sich auf einer jetzt halb verfallenen Terrasse, in der Nähe eines Backstein-Tempels aus offenbar uralten Zeiten.

Die Anwesenheit der drei Europäer inmitten der Tausende von Hindus wurde mit ziemlich scheelen Augen betrachtet. Man ließ zwar nichts gegen uns verlauten, doch vermochten wir weder bis zu der Terrasse noch in den alten Tempel durchzudringen. Die Pilger bildeten eben wahre Mauern um jene Heiligthümer, durch welche man sich kaum hätte einen Weg bahnen können.

»Wäre ein Brahmane hier, begann Banks, so hätten wir mehr erreichen und das Bauwerk in allen Theilen besichtigen können.

– Wieso? fragte ich verwundert, sollte ein Priester minder streng sein als die Anhänger seiner Lehre?

– Mein lieber Maucler, belehrte mich Banks, es giebt keine Strenge, die vor dem Angebote einiger Rupien Stand hielte. Alles in Allem ist es sehr nothwendig, daß es Brahmanen giebt.

– Das begreife ich nicht im mindesten!« erwiderte Kapitän Hod, der eine unbezwingliche Abneigung hegte sowohl gegen die Indier, deren Sitten, Vorurtheile und die Objecte ihrer Verehrung, wie gegen die nachgiebige Duldung, welche seine Landsleute jenen gerechter Weise zu Theil werden ließen.

Augenblicklich erschien ihm Indien nur als »reservirtes Jagdgebiet« und für ihn hatten die wilden Raubthiere der Dschungeln mehr Werth als alle Bewohner der Städte und Dörfer zusammen.

Nach genügendem Aufenthalt in der Nähe des geweihten Baumes führte uns Banks in der Richtung nach Gaya weiter. Mit der Annäherung an die heilige Stadt vergrößerte sich die Menge der Pilger gleichmäßig. Bald ward uns durch eine Lichtung des Gebüsches Gaya auf dem Gipfel des Felsens sichtbar, den es mit seinen wunderlichen Baulichkeiten krönt.

Vor Allem ist es der Tempel Wischnu’s, der hier die Aufmerksamkeit der Reisenden erregt. Er erscheint von neuerer Bauart, da ihn die Königin von Holcar erst vor wenigen Jahren neu auffĂĽhren lieĂź. Die größte MerkwĂĽrdigkeit birgt dieser Tempel in den von Wischnu persönlich herrĂĽhenden FuĂźstapfen, als er einst zur Erde hernieder stieg, um gegen den Dämon Maya zu kämpfen. Der Kampf zwischen einem Gotte und einem bösen Geiste konnte nicht lange unentschieden bleiben. Der Teufel unterlag, und ein im Bereiche von Wischnu-Pad selbst sichtbarer Felsblock bezeugt durch die tiefen FuĂźabdrĂĽcke seines Gegners, daĂź dieser Dämon es hier mit einem weit Ueberlegenen zu thun hatte.

Wenn ich sagte, daĂź diese FuĂźstapfen auf dem Stein sichtbar wären, so beeile ich mich jedoch hinzuzufĂĽgen, daĂź das nur fĂĽr Hindus giltig ist. Es wird nämlich kein Europäer zur Betrachtung dieser göttlichen FuĂźspuren zugelassen. Vielleicht gehört zu deren Erkennung auf dem wunderbaren Steine auch ein handfester Glaube, der den Leuten aus dem Abendlande ja meist abgeht. Diesmal vermochte Banks durch das Angebot seiner Rupien doch nichts durchzusetzen. Kein Priester wollte sich fĂĽr irgend einen Preis zu einer Heiligthumsschändung erkaufen lassen. Ob nur die Höhe der Summe die Forderungen eines Brahmanen-Gewissens noch nicht erreichte, wage ich nicht zu entscheiden. Jedenfalls gelang es uns nicht, in den Tempel Zutritt zu erhalten, und ich bin also noch immer ohne KenntniĂź von dem »Eindrucke« jenes sanften und schönen jungen Mannes von Azurfarbe, gekleidet wie ein König der alten Zeit, berĂĽhmt durch seine zehn Fleischwerdungen, den Vertreter des erhaltenden Princips, im Gegensatz zu Siva, der Verkörperung des zerstörenden Princips, den die Vaichnavas, die Verehrer Wischnu’s, als den ersten der dreihundert Millionen Götter betrachten, die in ihrer ungemein polytheistischen Mythologie vorkommen.

Dennoch hatten wir keine Ursache, unseren Ausflug nach der heiligen Stadt und den Weg nach Wischnu-Pad zu bereuen. Freilich erscheint es unmöglich, den Wirrwarr von Tempeln, die Reihe von Höfen und die Mengen von Viharas zu schildern, durch welche oder um welche herum wir uns begeben mußten, um nach dem letzteren zu gelangen. Selbst ein Theseus mit dem Faden der Ariadne in der Hand würde sich in diesem Labyrinth verirrt haben! Wir stiegen also den Felsen von Gaya wieder hinab.

Der Kapitän kochte vor Wuth. Er hatte seinen Zorn an dem Brahmanen, der uns den Eintritt in den Wischnu-Pad verweigerte, auslassen wollen.

»Wo denken Sie hin, Hod? hatte Banks, der jenen zurückhielt, gesagt. Wissen Sie nicht, daß die Hindus ihre Priester, die Brahmanen, nicht nur als ausgezeichnete Personen, sondern gar als Wesen höherer Abkunft verehren?«

Als wir an den Theil des Phalgou gelangt waren, der den Felsen von Gaya bespült, lag weit und breit die ungeheuere Menge von Pilgern vor unseren Blicken. Da drängten sich in einem Wirrwarr ohnegleichen Männer, Frauen, Greise und Kinder, reiche Babous und arme Raiots der untersten Gesellschaftsclassen, Stadt- und Landbewohner, Vaichyas, Kanfleute und Gutsbesitzer, Kchatryas, stolze eingeborne Krieger, Sudras, erbärmliche Künstler der verschiedensten Secten, neben Parias, die außerhalb des Gesetzes stehen und deren Augen die Gegenstände, welche sie ansehen, unrein machen – mit einem Worte, alle Classen oder Kasten Indiens durcheinander, und der kräftige Radjoupt stieß den schwächlichen Bengali mit dem Ellenbogen zur Seite, wie die Leute aus dem Pendjab die Mohammedaner aus Scind. Die Einen waren in Palankins gekommen, die Anderen in Wagen mit einem Gespann von Buckelochsen. Hier lagen Einzelne neben ihren Kameelen, deren Vipernkopf selbst den Boden berührte, auf der Erde, Andere haben den ganzen Weg zu Fuß zurückgelegt, und noch immer mehr strömen aus allen Theilen der Halbinsel herbei. Da und dort erheben sich Zelte, stehen abgespannte Wagen umher oder sieht man Hütten aus Zweigen, die aller Welt als vorübergehende Wohnung dienen.

»Welch‘ wĂĽster Lärm! bemerkte Kapitän Hod.

– Das Wasser des Phalgou wird nach Sonnenuntergang nicht appetitlich zu trinken sein! meinte Banks.

– Und warum nicht? fragte ich.

– Weil dessen Wasser geheiligt ist und diese ganze verdächtige Menge sich darin baden wird, wie die Anwohner des Ganges in dessen Wellen.

– Lagern wir stromabwärts von hier? rief Hod, während er die Hand nach der Richtung ausstreckte, in der unser Zug hielt.

– Nein, Kapitän, beruhigen Sie sich, antwortete der Ingenieur, wir liegen stromaufwärts.

– Das ist ein Glück, Banks; ich möchte nicht, daß unser Stahlriese aus dieser unreinen Quelle getränkt würde!«

Wir wanden uns nun durch die Tausende von Hindus hindurch, die auf einem engen Raume zusammengepfercht waren.

Dabei hörte man zunächst das unharmonische Geräusch von Ketten und Glöckchen, das von Bettlern herrührte, welche die öffentliche Mildthätigkeit erwecken wollten.

Es wimmelt hier geradezu von Vertretern der auf der ganzen indischen Halbinsel so zahlreichen Brüderschaft von Landstreichern. Die Meisten trugen falsche Wunden zur Schau, wie die Clopin-Trouillefou des Mittelalters. Wenn diese Bettler auch sonst von den Meisten als Betrüger angesehen werden, so war das bei den Fanatikern hier, deren Verblendung den höchsten Grad erreichte, doch ganz anders.

Da fanden sich Fakirs, sogenannte Goussaïns, fast nackt und mit Asche überstreut; der Eine hatte sich durch fortgesetzte Dehnung den Arm ausgerenkt, der Andere die Nägel der eigenen Finger durch die Hand wachsen lassen.

Wieder Andere waren auf die hirnverbrannte Idee gekommen, den ganzen Weg bis hierher mit ihrem Körper zu messen. Dazu strecken sie sich auf der Erde aus, erheben sich an der Stelle, werfen sich wieder nieder und legen in dieser Weise Hunderte von Meilen zurück, als hätten sie als Maßketten dienen sollen.

Hier hingen einzelne Gläubige, berauscht vom Hang – das ist eine Art flüssiges Opium mit Hanfaufguß – in Baumzweigen an eisernen Haken, welche in das Fleisch der Schulter eingriffen. Dabei drehten sie sich noch um, bis die Muskeln durchrissen und sie in die Wellen des Phalgou fielen.

Dort lieĂźen Andere, welche zu Ehren Siva’s die Beine durchstochen oder die Zunge durchbohrt hatten, indem sie Pfeile durch diese Theile gestoĂźen hatten, das aus den Wunden träufelnde Blut von Schlangen auflecken.

Das ganze Schauspiel erschien einem europäischen Auge natürlich im höchsten Grade widerlich. Ich beeilte mich, weiter zu kommen, als Banks mich plötzlich aufhielt.

»Jetzt naht die Stunde des Gebets!« sagte er.

Eben erschien ein Brahmane inmitten des MenschengewĂĽhls. Er erhob die rechte Hand und wies damit nach der Sonne, welche der Felsen von Gaya bis jetzt verdeckt hatte.

Der erste von dem Tagesgestirn ausgehende Strahl diente als Signal. Die fast nackte Menge stürzte in das geheiligte Gewässer. Einige begnügten sich mit einer kurzen Untertauchung, wie in den ersten Zeiten der Taufe; Andere dagegen erweiterten das vorgeschriebene Bad zu wirklichen Wasserlustbarkeiten, an denen ein religiöser Charakter wohl kaum noch zu erkennen war. Ich weiß nicht, ob die Eingeweihten, während sie »Slocas« oder Denkverse hermurmelten, die ihnen die Priester gegen eine gewisse Belohnung vorbeteten, mehr daran dachten, ihre Seele oder ihren Leib zu reinigen. Jedenfalls schöpften sie zuerst etwas Wasser mit der hohlen Hand, sprengten dasselbe nach den vier Himmelsgegenden aus und spritzten sich darauf einige Tropfen in das Gesicht, wie die Badenden, die sich am flachen Ufer eines Seebades belustigen. Für jede von ihnen begangene Sünde rauften sie sich übrigens je ein Haar aus. Wie viele hätten da wohl verdient, nur als Kahlköpfe aus den Fluthen des Phalgou hervorzugehen! Der Lärm und Jubel der Badenden, die das Wasser durch das rasche Untertauchen in Bewegung setzten oder wie ein ungeschickter Schwimmer mit der Ferse peitschten, ging so weit, daß selbst die Alligatoren erschreckt nach dem anderen Ufer entflohen. Da saßen sie, starrten mit glotzenden Augen auf die bewegte Menschenmenge, die sie aus ihrem Bereiche vertrieben, und ließen von ihren gewaltigen Kiefern ein drohendes Klappern ertönen. Die Pilger bekümmerten sich um sie übrigens nicht mehr als um unschädliche Eidechsen.

FĂĽr uns wurde es nun die höchste Zeit, diese wunderlichen Heiligen sich selbst zu ĂĽberlassen, um sich zum Eintritt in den KaĂŻlas, d.h. das Paradies Brahma’s, vorzubereiten. Wir wanderten also am Ufer des Phalgou hinauf, um unseren Halteplatz wieder zu erreichen.

Das Frühstück vereinigte uns Alle an der Tafel und der übrige, außerordentlich warme Tag verlief ohne weitere Zwischenfälle. Kapitän Hod durchstreifte gegen Abend noch einmal die nächste Umgebung und brachte etwas Wild mit heim. Inzwischen vervollständigten Storr, Kâlouth und Goûmi den Vorrath an Wasser und Brennmaterial und setzten die Feuerung in Stand, denn wir gedachten am nächsten Tage zeitig aufzubrechen.

Um neun Uhr Abends hatten Alle ihre Zimmer aufgesucht. Eine ruhige, aber sehr warme Nacht verhüllte Alles ringsumher. Dicke Wolken verdeckten die Sterne und machten die Atmosphäre noch schwerer. Auch nach Sonnenuntergang nahm die Hitze nicht merkbar ab.

Die Temperatur war so erstickend, daß ich Mühe hatte einzuschlafen. Durch das offen gelassene Fenster drang nur eine glühende Luft ein, die mir für die Thätigkeit der Lungen sehr ungeeignet schien.

Mitternacht kam heran, ohne daß ich einen Augenblick Ruhe gefunden hätte. Dennoch wollte ich vor der Abreise drei bis vier Stunden geschlafen haben, ich täuschte mich aber in dem Glauben, dem Schlafe befehlen zu können. Der Schlummer floh mich. Der feste Wille vermochte nichts, sondern bewirkte eher das Gegentheil.

Es mochte gegen ein Uhr Morgens sein, als ich ein dumpfes Geräusch vernahm, das sich längs des Phalgou-Ufers fortzusetzen schien.

Ich glaubte zuerst, daß bei der mit Elektricität überladenen Atmosphäre ein Sturm aus Westen auftreten würde. Ein solcher konnte wohl heiß sein, mußte aber wenigstens die Luftschichten verschieben und das Athmen leichter machen.

Ich irrte. Die über unserer Haltestelle herabhängenden Baumzweige blieben vollkommen unbewegt.

Ich steckte den Kopf durch das Fenster und lauschte. Wohl ließ sich entferntes Geräusch vernehmen, doch nirgends war etwas zu sehen. Die Wasserfläche des Phalgou breitete sich tief dunkel vor mir aus, ohne jene zitternden Reflexe, welche jede Bewegung derselben erzeugt haben würde. Das Geräusch kam also weder aus der Luft noch vom Wasser her.

Etwas Verdächtiges vermochte ich jedoch nicht zu entdecken. Ich legte mich also nieder und begann, von ErmĂĽdung ĂĽberwältigt, einzuschlummern. Dann und wann drang mir jenes Geräusch noch einmal in’s Ohr, endlich schlief ich aber trotzdem fest ein.

Zwei Stunden später, eben als der erste Morgenschimmer graute, wurde ich plötzlich erweckt.

Man rief nach dem Ingenieur.

»Herr Banks!

– Was giebt es?

– Kommen Sie schnell!«

Ich hatte die Stimme Banks‘ und die des Mechanikers erkannt, der in den Gang vor unseren Zimmern getreten war.

Ich erhob mich sofort und verließ meine Cabine. Banks und Storr befanden sich schon auf der vorderen Veranda. Oberst Munro kam mir noch zuvor und Kapitän Hod erschien bald darauf.

»Was ist geschehen? fragte der Ingenieur.

– Sehen Sie selbst!« antwortete Storr.

Das Licht des anbrechenden Tages gestattete die Ufer des Phalgou und einen Theil der sich an demselben hinaufziehenden Straße einige Meilen weit zu erkennen. Unser Erstaunen war nicht gering, als wir mehrere Hundert von Hindus erblickten, welche truppweise an den Uferabhängen und auf der Straße lagerten.

»Das sind ja unsere Pilger von gestern! meinte Kapitän Hod.

– Was machen sie aber hier? fragte ich.

– Sie erwarten ohne Zweifel den Aufgang der Sonne, erwiderte der Kapitän, um sich in die heiligen Wellen zu stürzen.

– Nein, entgegnete Banks. Ihre Abwaschungen können sie ja in Gaya selbst vornehmen. Wenn sie hierher gekommen sind, so …

– Rührt das daher, daß der Stahlriese die gewohnte Wirkung hervorgebracht hat! fiel Kapitän Hod ein. Sie werden gehört haben, daß ein gigantischer Elephant, ein Koloß, wie sie nie einen ähnlichen gesehen, sich in der Nähe befinde, und sind in hellen Haufen hergezogen, ihn zu bewundern!

– Wenn es bei der einfachen Bewunderung bleibt, bemerkte der Ingenieur kopfschüttelnd.

– Was fürchtest Du sonst, Banks? fragte Oberst Munro.

– O, nichts weiter … als daĂź diese Fanatiker den Weg versperren und uns aufhalten könnten.

– Sei in jedem Falle vorsichtig! Mit derartigen Heiligen kann man nicht zart genug umgehen.

– Gewiß!« stimmte Banks ihm bei. Dann rief er den Heizer.

»Sind die Feuer bereit, Kalouth?

– Ja wohl!

– So zünde an!

– Ja, ja, zĂĽnd‘ an, Kâlouth, wiederholte Kapitän Hod; heize darauf zu, daĂź unser Elephant seinen Athem von Dampf und Rauch den Pilgern in’s Gesicht speie!«

Es war jetzt ein halb vier Uhr Morgens. Die Maschine bedurfte nur einer halben Stunde, um Dampf zu haben. Die Feuer wurden also entzündet, das Holz knisterte auf dem Roste, und aus dem Rüssel des riesigen Elephanten, der bis in das Gezweig der hohen Bäume reichte, wirbelten schwarze Rauchwolken empor.

Da kamen einzelne Gruppen von Hindus näher heran. Unter der Menge entstand eine allgemeine Bewegung. Bald sahen wir uns dicht umdrängt. Die ersten Reihen der Pilger hoben die Arme empor oder streckten sie nach dem Elephanten aus, Viele beugten sich nieder, fielen auf die Kniee oder warfen sich ganz zu Boden, jedenfalls als Ausdruck der Verehrung und Anbetung.

Oberst Munro, Kapitän Hod und ich befanden uns inzwischen auf der Veranda, einigermaßen beunruhigt, wie weit dieser Fanatismus gehen werde. Auch Mac Neil war hinzugekommen und blickte schweigend hinaus. Banks hatte mit Storr in dem Thürmchen, welches das ungeheuere Thier trug, Platz genommen, von wo aus sie dasselbe nach Belieben in Gang setzen oder halten konnten.

Um vier Uhr schon brodelte und schnaubte der Kessel. Dieses dumpfe Geräusch konnte von den Hindus wohl als das Grollen eines überirdischen Elephanten aufgefaßt werden. Der Manometer zeigte jetzt eine Spannung von fünf Atmosphären, und Storr ließ etwas Dampf durch die Ventile abblasen, was sich etwa so ausnahm, als dränge der letztere durch die Haut der gigantischen Pachyderme.

»Wir haben vollen Dampf, Munro! rief Banks herab.

– So fahr‘ zu, Banks, aber vorsichtig und verletze Niemand!«

Es war nun fast tageshell. Den längs des Phalgou hinauflaufenden Weg bedeckte die andächtige Menge, welche wenig Lust zeigte, uns Platz zu machen. Es erschien unter solchen Umständen freilich nicht so leicht, vorwärts zu fahren und Niemand zu beschädigen.

Banks ließ einige Male die Dampfpfeife ertönen, worauf die Pilger mit wahrhaft höllischem Geheul antworteten.

»Platz da! Aufgepaßt!« rief Banks laut, und befahl dem Mechaniker, den Regulator ein wenig zu öffnen.

Man hörte das Zischen des Dampfes, der in die Cylinder eindrang. Die Maschine machte eine halbe Radumdrehung, eine mächtige weiße Dampfwolke stieg aus dem Rüssel auf.

Die Menge war einen Augenblick zurückgewichen. Der Regulator wurde nun zur Hälfte geöffnet. Das Schnaufen des Stahlriesen nahm an Stärke zu und unser Zug begann sich durch die dichte Reihe der Hindus zu bewegen, die uns Platz zu machen nicht gewillt schienen.

»Nehmen Sie sich in Acht, Banks!« rief ich da aus.

Beim Herabbeugen über das Geländer der Veranda hatte ich gesehen, wie sich wohl ein Dutzend Fanatiker auf den Weg offenbar in der Absicht niederwarfen, sich von den Rädern der schweren Maschine zermalmen zu lassen.

»Diese Dummköpfe! rief Kapitän Hod, sie sehen unseren Zug für den Wagen Jaggernauts an! Sie wollen sich von den Füßen des heiligen Elephanten zertreten lassen!«

Auf ein Zeichen des Ingenieurs sperrte der Mechaniker den DampfzufluĂź ab. Die quer ĂĽber den Weg liegenden Pilger machten keine Miene, sich zu erheben. Rings um sie schrie und heulte die erregte Menge und ermuthigte sie durch allerlei Gesten.

Die Maschine stand still. Banks wuĂźte nicht, was er thun solle, und befand sich offenbar in Verlegenheit.

Plötzlich kam ihm ein Gedanke.

»Wir wollen doch sehen … !« sagte er.

Er öffnete den Hahn, der zum Reinigen und Ausblasen der Cylinder diente. Sofort zischten mächtige Dampfstrahlen über den Boden hin, daß die Luft von dem Brausen erzitterte.

»Hurrah! Hurrah! Hurrah! brach Kapitän Hod aus. Drauf los, Freund Banks, drauf los!«

Dieses Mittel wirkte. Schreiend sprangen die freiwilligen Opfer auf, als der heiĂźe Dampf sie traf. Zermalmen lassen wollten sie sich wohl, aber verbrĂĽhen nicht.

Die Menge wich zurĂĽck und der Weg ward frei.

Der Regulator wurde weit geöffnet und die Räder griffen tief in den Boden ein,

»Vorwärts! Vorwärts!« drängte Kapitän Hod in die Hände klatschend und aus vollem Herzen lachend.

In schnellem Tempo eilte der Stahlriese des Wegs dahin und verschwand bald den Blicken der vor Erstaunen sprachlosen Menschenmenge, wie ein Märchenwesen in einer Wolke von Dampf.

Achtes Capitel.


Achtes Capitel.

Einige Stunden in Benares.

Nun lag die Landstraße also für das Steam-House offen – jene Straße, die uns über Sasseram am rechten Ufer des Ganges bis nach Benares führen sollte.

Eine Meile von der letzten Haltestelle nahm die Maschine wieder einen gemäßigteren Gang an und legte etwa zweiundeinehalbe Meile in der Stunde zurück. Banks beabsichtigte denselben Abend fünfundzwanzig Meilen von Gaya zu rasten und die Nacht in Ruhe nahe der kleinen Stadt Sasseram zu verbringen.

Im Allgemeinen vermeiden die Landstraßen Indiens soweit als möglich die Wasserläufe, welche Brücken nothwendig machen, deren Herstellung auf dem Alluvialboden des Landes große Kosten bedingt. Selbst an solchen Stellen, wo man einem Flusse oder Strome nicht aus dem Wege gehen konnte, fehlen sie doch noch häufig. Zwar findet man dann wenigstens eine Fähre, das altertümliche unzureichende Auskunftsmittel, das zur Ueberführung unseres Zuges sicherlich nicht genügt hätte. Glücklicher Weise konnten wir desselben entbehren.

Gerade an diesem Tage mußten wir nun einen bedeutenden Fluß, die Sone, überschreiten. Oberhalb Rhotas aus seinen Quellflüssen Coput und Coyle entspringend, mündet derselbe etwa in der Mitte zwischen Arrah und Dinapore in den Ganges. Die Ueberfahrt ging außerordentlich leicht von Statten, Der Elephant verwandelte sich ganz von selbst in einen Wasser-Motor. Er stieg den sanft geneigten Uferrand hinab bis in den Fluß, schwamm auf dessen Fläche und die breiten Füße peitschten das Wasser wie die Schaufeln eines Rades, wobei er den Zug, der hinter ihm schwamm, nachschleppte.

Kapitän Hod wußte sich vor Jubel kaum zu fassen.

»Ein rollendes Haus! rief er einmal über das andere, ein Haus, das gleichzeitig ein Wagen und ein Dampfschiff ist! Nun fehlen ihm nur noch Flügel, um es in einen Fliegapparat zu verwandeln und den Luftraum zu durchmessen!

– Das wird auch noch einmal kommen, Freund Hod, sagte der Ingenieur ganz ernsthaft.

– Ja, ich weiĂź, Freund Banks, antwortete ebenso ernsthaft der Kapitän, es wird noch Alles werden! Nur Eines nicht, nämlich, daĂź wir in zweihundert Jahren noch einmal unter den Lebenden weilen, um all‘ diese Wunder zu schauen! Das Leben ist gar nicht alle Tage so angenehm, und doch wäre ich dabei, zehn Jahrhunderte zu leben – aus reiner Neugier!«

Gegen Abend, zwölf Stunden nach der Abfahrt von Gaya, nachdem wir unter der stolzen Röhrenbrücke der Eisenbahn, welche vierundzwanzig Fuß über dem Spiegel der Sone liegt, hinweggeglitten waren, hielten wir in der Nähe von Sasseram. Wir wollten hier nur eine Nacht über bleiben, um Holz und Wasser zu fassen, und mit Tagesanbruch wieder aufbrechen.

Dieses Programm wurde in allen Punkten eingehalten, und bevor die Sonne ihre brennenden Strahlen, welche uns fĂĽr den Mittag gespart blieben, aussandte, fuhren wir am frĂĽhen Morgen des 22. Mai wieder ab.

Die Landschaft war immer dieselbe, d. h. reich und fleißig angebaut, so wie sie längs der Ufer des herrlichen Ganges-Thales erscheint. Ich erwähne hier die zahlreichen Dörfer nicht, die inmitten unendlicher Reisfelder zerstreut oder unter Palmengruppen mit dichter Blätterkrone, unter dem Schatten von Mango- oder anderen edlen Bäumen versteckt liegen. Wir hielten übrigens bei denselben nicht an. Sperrte dann und wann ein von Zebus langsam dahingezogener Karren den Weg, so genügte ein schriller Pfiff mit der Dampfpfeife, ihn zum Ausweichen zu veranlassen, und unser Zug rollte zur größten Verwunderung der Bauern vorüber.

Im Laufe dieses Tages hatte ich auch das herrliche Vergnügen, sehr viele Rosenfelder zu sehen. Wir befanden uns jetzt nämlich nicht mehr fern von Ghazipore, dem Mittelpunkte für die Darstellung des Rosenwassers oder vielmehr der Rosenessenz.

Ich fragte Banks, ob er mir über diesen so gesuchten Artikel, den wichtigsten in der Kunst der Zusammenstellung von Wohlgerüchen, Näheres mittheilen könne.

»Ich will Ihnen Ziffern anführen, antwortete mir Banks, die den Beweis liefern, wie kostspielig die Fabrikation ist. Vierzig Pfund Rosen werden zuerst bei mäßigem Feuer einer Art langsamer Destillation unterworfen und liefern etwa dreißig Pfund Rosenwasser. Dieses Wasser gießt man auf eine neue Quantität von vierzig Pfund Blumen und setzt die Destillation so lange fort, bis die Flüssigkeit noch zwanzig Pfund beträgt. Dieselbe wird nun zwölf Stunden lang der kalten Nachtluft ausgesetzt, und am anderen Morgen findet man auf deren Oberfläche – eine Unze wohlriechendes Oel. Aus achtzig Pfund Rosen – eine Quantität, welche mindestens zweimalhunderttausend Blumen enthält – gewinnt man am Ende also eine Unze ätherisches Oel. Es ist ein wirklicher Massenmord! Es ist also nicht zu verwundern, daß die Rosenessenz selbst im Productionsland die Unze mit vierzig Rupien, gleich hundert Francs bezahlt wird.

– Ah, meinte Kapitän Hod, wenn man zur Gewinnung einer Unze Alkohols achtzig Pfund Weintrauben brauchte, da würde der Grog verwünscht theuer werden!«

An diesem Tage hatten wir noch die Karamnaca, einen der Nebenflüsse des Ganges, zu überschreiten. Die Hindus haben aus diesem unschuldigen Flusse eine Art Styx gemacht, auf dem zu fahren nicht gerathen sei. Sein Ufer ist nicht minder in üblem Ruf als das des Jordans oder die Küste des Todten Meeres. Die Cadaver, welche in denselben geworfen werden, führt er direct in die brahmanische Hölle. Ich gehe auf diese Glaubensfragen hier nicht ein; wenn aber behauptet wird, das Wasser dieses Höllenflusses sei von unangenehmem Geschmack und der Gesundheit schädlich, so muß ich dem widersprechen, da es im Gegentheil ausgezeichnet ist.

Am Abend, nachdem wir durch ein wenig hĂĽgeliges Land mit unĂĽbersehbaren Mohnfeldern und weiten Reisplantagen gekommen, lagerten wir am rechten Ufer des Ganges, gegenĂĽber dem uralten Jerusalem der Hindus, der heiligen Stadt Benares.

»Vierundzwanzig Stunden Aufenthalt! rief Banks.

– Wie weit sind wir jetzt von Calcutta? fragte ich den Ingenieur.

– Etwa dreihundertfünfzig Meilen, erklärte er mir, und Sie werden zugeben, lieber Freund, daß wir weder von der Länge des Weges noch von Beschwerden der Reise etwas bemerkt haben!«

Der Ganges! Giebt es einen Fluß, dessen bloßer Name mehr poetische Legenden in uns wachruft, und scheint sich nicht ganz Indien in ihm zu vereinen? Findet sich auf der weiten Erde ein dem seinigen vergleichbares Thal, das sich, um seinen stolzen Lauf zu regeln, über eine Strecke von fünfhundert Meilen fortsetzt und nicht weniger als hundert Millionen Einwohner zählt? Giebt es einen zweiten Ort, wo seit dem Auftreten der asiatischen Racen mehr Wunder zusammengehäuft worden wären? Was würde Victor Hugo, der die Donau so erhaben besang, von dem Ganges gesagt haben? Ja, man kann es laut von sich verkündigen, wenn man

. . wie ein Meer seine hohle See hat,
Wenn man ĂĽber die Erde dahinzieht
Wie eine Schlange, und wenn man strömt
Vom Abendlande bis zum Morgenland!

Der Ganges aber hat seinen gefährlichen Seegang, seine Cyclonen, die schlimmer auftreten, als die Stürme des europäischen Stromes! Er windet sich, einer Schlange gleich, durch die paradiesischsten Gegenden der Welt! Auch er stießt vom Abend nach Morgen. Aber seine Quelle entspringt nicht auf mittelmäßigen Hügeln – die höchste Bergkette der Erde ist es, in den Gebirgsriesen von Thibet, von der sie herabstürzt, alle Nebenflüsse verschlingend! Vom Himalaya steigt er zur Erde herab!

Am folgenden Tage, am 23. Mai, lag bei Sonnenaufgang der breite Wasserspiegel vor unseren Blicken da. Auf dem weißen Sand lagen einige Gesellschaften gewaltiger Alligatoren, welche die ersten Strahlen der Sonne zu trinken schienen. Sie verhielten sich ruhig dem glänzenden Gestirn zugewendet, als wären sie die gewissenhaftesten Anhänger Brahmas. Einige vorüberschwimmende Leichen störten sie jedoch bald aus ihrer Andacht auf. Von den Cadavern, welche der Strom mit hinabführt, hat man gesagt, daß sie auf dem Rücken schwimmen, wenn es solche von Männern, auf der Brust aber, wenn es solche von Frauen wären. Ich kann versichern, daß an dieser Beobachtung nichts Wahres ist. Schnell stürzten sich die Ungeheuer auf die willkommene Beute, welche ihnen die Ströme der Halbinsel täglich liefern, und schleppten dieselben in die Tiefe.

Die Eisenbahn von Calcutta verläuft vor ihrer Gabelung bei Allahabad, von wo aus sie nordwestlich nach Delhi und südwestlich nach Bombay führt, stets am rechten Ufer des Ganges, dessen Krümmungen sie nur abschneidet. Bei der Station Mogul Seraï, von der wir nur wenige Meilen entfernt waren, zweigt sich eine kleinere Strecke ab, die nach Ueberschreitung des Stromes Benares berührt und durch das Gounti-Thal sechzig Kilometer weit bis Jaunpore reicht.

Benares liegt demnach am linken Ufer. Hier wollten wir indeß nicht über den Ganges gehen, sondern erst bei Allahabad. Der Stahlriese blieb also an dem am Vorabend des 22. Mai gewählten Halteplatze. Am Flußufer lagen Gondeln bereit, uns nach der heiligen Stadt zu bringen, die ich etwas eingehender zu besichtigen wünschte.

Oberst Munro hatte in der oft von ihm besuchten Stadt nichts mehr zu lernen, nichts mehr zu sehen. An jenem Tage kam ihm zwar einmal der Gedanke, sich uns anzuschlieĂźen, nach reiflicher Ueberlegung aber entschied er sich fĂĽr einen in Gesellschaft Mac Neil’s längs des Flusses zu unternehmenden Ausflug. Beide verlieĂźen auch das Steam-House, bevor wir aufgebrochen waren. Kapitän Hod, der frĂĽher in Benares in Garnison gelegen hatte, wollte einige Kameraden besuchen. Banks und ich – der Ingenieur wollte mir als FĂĽhrer dienen – wir waren also die Einzigen, welche ein GefĂĽhl von Neugierde nach der Stadt verlockte.

Wenn ich sagte, daß Kapitän Hod in Benares garnisonirt habe, so darf man nicht vergessen, daß die Truppen der königlichen Armee gewöhnlich nicht in den Hindustädten selbst untergebracht sind. Ihre Kasernen liegen in den sogenannten »Cantonnements«, welche gleich an und für sich englische Städte darstellen. So ist es in Allahabad, in Benares und an anderen Punkten des Reiches, wo sich nicht allein die Soldaten, sondern auch die Beamten, Kaufleute und Rentiers mit Vorliebe ansiedeln. Jede von jenen großen Städten besteht also eigentlich aus zwei Theilen, dem einen, in dem man allen modernen Luxus Europas wiederfindet, und dem anderen, der die Landessitte und die Gebräuche der Hindus mit der ganzen Localfarbe bewahrt hat.

Die an Benares anliegende englische Stadt ist Secrole, deren Bungalows und christliche Kirchen nichts Interessantes bieten. Hier befanden sich auch von Touristen frequentirte bessere Hotels. Secrole ist eine ganz und gar »gemachte« Stadt, welche die Fabrikanten des Vereinigten Königreiches in Kisten versenden könnten, um sie sofort wieder aufzustellen. Hier giebt es also etwas Merkwürdiges nicht zu sehen. Nachdem Banks und ich in einer Gondel Platz genommen, fuhren wir in schräger Richtung über den Ganges, um zunächst einen Ueberblick über das prächtige Amphitheater zu gewinnen, das Benares oberhalb des hohen Ufers bildet.

»Benares, sagte Banks zu mir, ist vor allen anderen die heilige Stadt Indiens, das Mekka der Hindus, und Jeder, der sich daselbst, wenn auch nur vierundzwanzig Stunden aufgehalten hat, versichert sich damit eines Theiles der ewigen GlĂĽckseligkeiten. Es erscheint begreiflich, welchen ZufluĂź von Pilgern ein solches Dogma herbeilocken und welch‘ groĂźe Anzahl Bewohner eine Stadt haben muĂź, der Brahma so hochwichtige Vorrechte verliehen hat.«

Benares soll schon über dreißig Jahrhunderte alt sein. Es wäre also etwa zu der Zeit gegründet worden, als Troja von Erdboden verschwand. Nachdem es von jeher einen großen, nicht politischen, aber geistigen Einfluß auf ganz Hindostan ausgeübt, wurde es bis zum 9. Jahrhundert der anerkannte Mittelpunkt der buddhistischen Religion. Da vollzog sich eine religiöse Umwälzung. Der Brahmanismus verdrängte den alten Cultus. Benares wurde die Hauptstadt der Brahmanen, der Brennpunkt für die Fahrten der Gläubigen, und man behauptet, daß hier jährlich 300.000 Pilger zusammenströmen.

Die heilige Stadt hat noch immer ihren eigenen Rajah. Dieser von England nur kärglich besoldete Fürst bewohnt einen prächtigen Palast in Ramnagur am Ganges. Er ist ein wirklicher Nachkomme der Könige von Kazi (der alte Name für Benares), hat aber keinerlei Einfluß, und würde sich darüber wohl hinwegsetzen, hätte man seinen Ruhegehalt nicht auf ein Lakh Rupien vermindert, d. h. also auf 100.000 Rupien, gleich 200.000 Mark, eine Summe, die einem früheren Nabob kaum als Taschengeld ausreichte.

Der Aufstand von 1857 berührte, wie überhaupt alle Städte des Ganges-Thales, auch Benares. Jener Zeit bestand dessen Garnison aus dem 37. Regiment eingeborner Infanterie, einem Corps regulärer Cavallerie und einem halben Regiment Sikhs. An königlichen Truppen besaß es nur eine halbe Batterie europäischer Artillerie. Diese Handvoll Menschen konnte es nicht wagen, die eingebornen Soldaten zu entwaffnen. Die Regierungsbehörden erwarteten daher auch mit Verlangen die Ankunft des Oberst Neil, der mit dem 10. Regiment der königlichen Armee auf Allahabad marschirte. Oberst Neil zog in Benares nur mit zweihundertfünfzig Mann ein und ordnete sofort eine Parade auf dem Exercirplatze an.

Als die Sipahis versammelt waren, erhielten sie den Befehl, die Waffen niederzulegen. Das verweigerten dieselben. Damit kam es zwischen ihnen und der Infanterie des Oberst Neil zum Kampf. Die reguläre Cavallerie schloß sich sofort den Empörern an, ebenso wie später die Sikhs, welche sich verrathen glaubten. Jetzt eröffnete die halbe Batterie das Feuer mit einem Hagel von Kartätschen, der die Aufrührer trotz ihrer Uebermacht und Erbitterung völlig auflöste.

Das Gefecht fand außerhalb der bewohnten Quartiere statt. Im Gebiete der Stadt selbst kam es nur zu einer ohnmächtigen Erhebung der Muselmanen, welche die grüne Fahne aufzogen – ein Versuch, der gänzlich fehlschlug. Von diesem Tage ab wurde Benares während des ganzen Aufstandes nicht wieder gestört, nicht einmal als die Empörung in den Provinzen des Westens siegreich zu sein schien.

Banks machte mir diese Mittheilungen, während unser Boot über die Fluthen des Ganges glitt.

»Lieber Freund, sagte er, wir wollen also Benares besuchen; gut! So alt diese Stadt auch ist, so werden Sie selbst kein Bauwerk finden, das mehr als dreihundert Jahre zählte. Wundern Sie sich darüber nicht. Es ist das die Folge der Religions-Streitigkeiten, bei denen Eisen und Feuer stets eine nur zu bedauerliche Rolle spielten. Nichtsdestoweniger bleibt Benares eine merkwürdige Stadt, und Sie werden keine Ursache haben, ihren Ausflug zu bereuen!«

Bald darauf lag unsere Gondel in geeigneter Entfernung still, um uns am Grunde eines Golfes, ähnlich dem von Neapel, das pittoreske Amphitheater von Häusern erkennen zu lassen, die auf einem Hügel übereinanderliegen, und die Menge Paläste, von denen ein ganzer Complex in Folge einer Senkung des Bodens, den die Wellen des Stromes fort und fort unterwühlen, vom Einstürzen bedroht ist. Eine nepalesische Pagode von chinesischer Architektur, welche Buddha geweiht ist, ein Wald von Thürmen, Spitzen, Minarets und kleinen Pyramiden, die von Tempeln und Moscheen emporstreben, überragt von dem goldenen Lingam-Pfeile Sivas und den beiden unscheinbaren Pfeilen der Moschee Aurung Zebs, krönt das wunderbare Panorama.

Statt unmittelbar an einer der »Ghâts« oder Treppen, die vom Wasser zu den Uferstraßen hinaufführen, zu halten, ließ Banks die Gondel längs der Quais weiter fahren, deren unterste Mauerschichten bis zum Strome hinabreichen.

Ich sah hier eine Wiederholung der Auftritte von Gaya, nur in anderer Landschaft. An Stelle der grünen Wälder des Phalgou trat hier als Hintergrund das Bild der heiligen Stadt.

Das Schauspiel selbst war nahezu das gleiche.

Auch hier bedeckten Tausende von Pilgern den Uferabhang, die Terrassen und Treppen, und stürzten sich voller Andacht zu Dreien und Vieren in den Strom. Man darf aber nicht etwa glauben, daß dieses Bad unentgeltlich zu haben wäre. Wächter mit rothem Turban und den Säbel an der Seite erhoben auf den untersten Stufen der Ghâts das Eintrittsgeld im Verein mit geschäftigen Brahmanen, welche Rosenkränze, Amulette und andere fromme Bedürfnisse verkauften.

Übrigens drängten sich hier nicht nur Pilger, welche nur selbst zu baden gekommen waren, sondern auch Händler, deren einziges Geschäft darin bestand, heiliges, geweihtes Wasser zu schöpfen, das bis in die entlegensten Theile der Halbinsel vertrieben wird. Als Garantie ward jeder Flasche das Siegel der Brahmanen aufgedrückt. Immerhin darf man annehmen, daß hierbei Betrügereien im größten Maßstabe mit unterlaufen, denn der Export der wunderbaren Flüssigkeit hat eine gar zu beträchtliche Höhe erreicht.

»Vielleicht, meinte Banks, genügte der ganze Inhalt des Ganges noch nicht für den Bedarf der Gläubigen!«

Ich fragte ihn darauf, ob bei dieser »Baderei« nicht zuweilen Unfälle vorkämen, da man von Sicherheitsmaßregeln nichts bemerkte. Denn Schwimmmeister gab es z. B. hier nicht, um Unvorsichtige abzuhalten, die sich in die schnelle Strömung des Flusses verirrten.

»Unfälle kommen häufig genug vor, antwortete mir Banks, doch, wenn der Körper des Gläubigen verloren ist, so ist wenigstens seine Seele gerettet. Deshalb macht man nicht viel Aufheben darum.

– Und die Krokodile? forschte ich weiter.

– Die Krokodile halten sich meist beiseite. Der Lärm im Wasser erschreckt und verscheucht sie. Diese Ungeheuer sind weit weniger zu fürchten, als die Bösewichte, welche untertauchen, unter dem Wasser hingleiten, Frauen und Kinder herabzerren und ihnen das Geschmeide rauben. Man erzählt auch von einem Schurken, der mit einem künstlichen Kopfe bedeckt, lange Zeit die Rolle eines falschen Krokodils gespielt und bei diesem einträglichen und gefährlichen Geschäfte sich ein ganz nettes Vermögen erworben haben soll. Eines Tages ward dieser Eindringling von einem wirklichen Alligator aufgefressen und man fand von ihm nichts als den Kopf von lohgarer Haut, der noch auf dem Strome hinabtrieb.«

Außerdem giebt es auch genug überspannte Gläubige, welche freiwillig den Tod im Ganges suchen und dabei sogar mit Raffinement zu Werke gehen. Um ihren Körper befestigen sie dann z. B. einen Rosenkranz von leeren, aber unverschlossenen urnenartigen Gefäßen. Allmälich dringt das Wasser in dieselben ein und zieht sie unter dem beifälligen Jubel der andächtigen Menge langsam hinunter.

Die Gondel hatte uns bald an die Manmenka Ghat gebracht. Hier erhoben sich die Scheiterhaufen, denen die Leichen aller Derjenigen ĂĽbergeben werden, welche wegen des zukĂĽnftigen Lebens etwas in BesorgniĂź sind. Die Gläubigen halten viel auf die Einäscherung an dieser Stelle, und die Scheiterhaufen lodern deshalb Tag und Nacht. Aus weiter Ferne her lassen sich die reichen Babous nach Benares bringen, sobald sie sich von einer unheilbaren Krankheit ergriffen fĂĽhlen. Benares gilt ohne Zweifel fĂĽr den besten Abfahrtsplatz bei »der Reise in die andere Welt«. Hat der Verstorbene sich nur verzeihliche SĂĽnden vorzuwerfen, so geht seine Seele auf den Rauchwolken der Manmenka sofort zur ewigen GlĂĽckseligkeit ein. War er ein groĂźer SĂĽnder, so muĂź sich seine Seele dagegen erst in dem Körper eines eben gebornen Brahmanen läutern. Er darf dann hoffen, daĂź, wenn sein Leben während dieser zweiten Fleischwerdung ein tadelloses gewesen ist, ihm keine dritte »Avatâra« (eine dritte Menschwerdung) auferlegt wird, bevor er fĂĽr immer zum GenuĂź der Seligkeiten in Brahma’s Himmel zugelassen wird.

Den Rest des Tages benutzten wir zu einem Besuche der Stadt, ihrer hauptsächlichsten Bauwerke und der von düsteren Läden nach arabischer Sitte eingefaßten Bazars. Hier bringt man vorzüglich seine Mousselins zum Verkaufe, neben dem »Kinkôb«, einer Art goldbroschirten Seidenstoffs und das wichtigste Erzeugniß der Industrie von Benares. Die Straßen waren gut erhalten, aber eng, eine Anlage, die man in allen von den Strahlen der Tropensonne fast senkrecht getroffenen Städten wiederfindet. Empfindet man doch im Schatten hier noch eine unausstehliche Hitze. Ich bedauerte die Träger unseres Palankins aufrichtig, obgleich diese sich nicht selbst zu beklagen schienen.

Die armen Teufel fanden hierbei ja Gelegenheit, einige Rupien zu verdienen, das genügte, ihnen Kräfte und Muth einzuflößen. Ganz anders erschien dagegen ein Hindu, oder vielmehr ein Bengali, mit lebhaften Augen und verschlagenem Ausdruck im Gesicht, der uns ohne Scheu auf Tritt und Schritt verfolgte.

Beim Aussteigen am Quai der Manmenka Ghât hatte ich im Gespräch mit Banks den Namen des Oberst Munro laut fallen lassen. Der Bengali, der unsere Gondel anlegen sah, schien dabei unwillkürlich zu erzittern. Ich beachtete das zwar nicht weiter, doch kam es mir in den Sinn, als ich diesen Spion immer an unsere Fersen geheftet sah. Er verließ uns nur, um wenige Augenblicke später vor oder hinter uns wieder aufzutauchen. War es ein Freund oder ein Feind? Ich wußte es nicht; jedenfalls erregte der Name des Oberst Munro bei ihm ein mehr als gewöhnliches Interesse.

Unser Palankin hielt bald am FuĂźe der groĂźen Treppe von hundert Stufen, die vom Quai nach der Moschee Aureng Zebs hinauffĂĽhrt.

Früher klommen die Gläubigen, so wie die in Rom, diese Art Santa Scala nur auf den Knieen empor. Damals erhob sich der Tempel Wischnus an derselben Stelle, die später die Moschee des Eroberers einnahm.

Ich hätte Benares gern von der Höhe der Minarets in Augenschein genommen, die für ein architektonisches Meisterwerk gehalten werden. Bei einer Höhe von hundertzweiunddreißig Fuß haben sie doch nur den Durchmesser einer gewöhnlichen Küchenesse, und dennoch windet sich in ihrem cylindrischen Schafte noch eine Treppe empor; es ist aber, und zwar mit Recht, verboten, dieselben zu besteigen. Schon jetzt weichen die beiden Minarets nicht wenig von der lothrechten Linie ab und werden, da sie nicht so stabil sind wie der schiefe Thurm zu Pisa, über kurz oder lang einmal umstürzen.

Als wir die Moschee Aureng Zebs verlieĂźen, sah ich den Bengali wieder, der uns am Thore derselben erwartete. Jetzt faĂźte ich ihn scharf in’s Auge und er sah dabei zur Erde. Bevor ich Banks‘ Aufmerksamkeit wach rief, wollte ich mich ĂĽberzeugen, ob die verdächtige Persönlichkeit uns immer nachfolgen werde, und schwieg deshalb.

Die Pagoden und Moscheen der Wunderstadt Benares zählen nach Hunderten. Ebenso die glänzenden Paläste, deren ohne Zweifel schönster dem Könige von Nagpore gehört. Es versagt sich nämlich kein Rajah, ein Stück Boden in der heiligen Stadt zu erwerben, nach der sich Alle zur Zeit der großen religiösen Feste von Mela begeben.

Ich konnte nicht daran denken, in der kurzen uns zu Gebote stehenden Zeit alle diese Gebäude zu besuchen, und beschränkte mich also darauf, den Tempel Bicheschwar’s, wo sich der Lingam Siva’s befindet, kennen zu lernen. Dieser unförmige Stein, der als ein Theil des Körpers vom wildesten der Götter der Hindu-Mythologie betrachtet wird, bedeckt einen Brunnen, dessen modriges Wasser der Sage nach Wunderkräfte besitzen soll. Ich sah auch die Mankarnika oder den heiligen Springbrunnen, in dem sich die Gläubigen zum groĂźen Vortheile der Brahmamen baden, ferner den Mân Mundir, ein vor zwei Jahrhunderten durch den Kaiser Akbar errichtetes Observatorium, dessen Instrumente alle aus – Stein hergestellt sind.

Auch von einem Palaste der Affen, den alle Reisenden in Benares aufsuchen, hatte ich reden hören. Ein Pariser würde dabei natürlich erwarten, das berühmte Affenhaus aus dem Jardin des Plantes wiederzufinden. Weit gefehlt!

Der Palast ist nichts als ein Tempel, der Dourga Khound, etwas außerhalb der Vorstädte gelegen. Er stammt aus dem 9. Jahrhundert und gehört zu den ältesten Bauwerken der Stadt. Die Affen sind hier nicht in einem vergitterten Käfig eingesperrt. Sie schweifen frei durch die Höfe, springen von einer Mauer zur anderen, klettern in die Gipfel der riesigen Mango-Bämne und zanken sich mit lautem Geschrei um geröstete Körner, nach denen sie so lüstern sind und welche die Besucher ihnen mitzubringen pflegen. Hier, wie überall erheben die Brahmanen, als Wächter des Dourga Khound, eine kleine Steuer, welche diesen Stand zu dem einträglichsten in ganz Indien macht.

Selbstverständlich fühlten wir uns von der Hitze nicht wenig erschöpft, als wir gegen Abend daran dachten, nach dem Steam-House zurückzukehren. Wir hatten in Secrole, in einem der besten Hotels der englischen Stadt, gefrühstückt und zu Mittag gespeist, doch gestehe ich, daß wir dabei die Küche des Monsieur Parazard doch vermißten.

Als die Gondel an den Fuß der Ghât zurückkam, um uns nach dem rechten Gangesufer überzusetzen, sah ich jenen Bengali dicht bei unserem Boote zum letzten Male wieder. Ein von einem Hindu geführtes Boot schien ihn zu erwarten. Wollte er wohl ebenfalls über den Fluß setzen und bis zu unserem Haltepunkt folgen? Die Sache ward allmälich verdächtig.

»Banks, begann ich da mit leiser Stimme, auf den Bengali zeigend, das ist ein Spion, der uns auf jedem Schritte folgte.

– Ich hab‘ ihn wohl bemerkt, erwiderte Banks, und auch gesehen, daĂź der von Ihnen ausgesprochene Name des Oberst Munro seine Aufmerksamkeit erweckte.

– Sollten wir ihn also nicht …?

– Nein, nein, lassen wir ihn gehen, fiel mir Banks in’s Wort. Besser er hält sich fĂĽr unbeachtet … ĂĽbrigens ist er ja gar nicht mehr da.«

Wirklich war das Canot des Bengali schon unter der Menge von Fahrzeugen verschwunden, welche jetzt die dunklen Wellen des Ganges durchschnitten.

Da wandte sich Banks an unseren Bootsmann.

»Kennst Du jenen Mann? fragte er mit möglichst gleichgiltiger Stimme.

– Nein, ich sah ihn zum ersten Male!« antwortete der Bootsführer.

Die Nacht sank herab. Hunderte von beflaggten, mit bunten Laternen geschmückte Boote, besetzt mit Sängern und Musikanten, kreuzten sich in allen Richtungen auf dem Strome. Vom linken Ufer leuchteten verschiedene Feuerwerke auf und erinnerten mich an die Nähe des Himmlischen Reiches, wo dieselben so hoch in Ansehen stehen. Es wäre schwierig, dieses Schauspiel zu beschreiben, das wirklich kaum seinesgleichen finden dürfte. Aus welcher Veranlassung dieses scheinbar improvisirte Nachtfest gefeiert wurde, an dem Hindus aller Klassen theilnahmen, konnte ich nicht erfahren. Als es zu Ende ging, hatte unsere Gondel das linke Stromufer wieder erreicht.

Das Ganze erschien wie eine Vision. Es dauerte kaum länger, als der aufblitzende Lichtschein, der den Himmel auf Augenblicke erleuchtet und dann erlischt. Doch wie gesagt, Indien verehrt dreihundert Millionen Gottheiten, Untergottheiten, Heilige und Halbheilige jeder Sorte, und das Jahr hat nicht so viel Stunden, Minuten und Secunden, als daß jeder dieser Gottheiten eine einzige gewidmet werden könnte.

Bei unserer Rückkehr nach dem Halteplatz waren Oberst Munro und Mac Neil daselbst schon wieder eingetroffen. Banks fragte den Sergeanten, ob während unserer Abwesenheit etwas vorgefallen sei.

»Nichts, antwortete Mac Neil.

– Sie sahen keine verdächtige Persönlichkeit hier herumschleichen?

– Nein, Herr Banks. Haben Sie Veranlassung zu irgend einem Verdachte? …

– Wir wurden bei unserem Ausfluge nach Benares fortwährend beobachtet, erwiderte der Ingenieur, und das gefällt mir nicht.

– Und dieser Spion war …

– Ein Bengali, den der Name des Oberst Munro erst aufmerksam zu machen schien.

– Was kann der Mann von uns wollen?

– Das weiß ich nicht. Mac Neil. Jedenfalls heißt es aufzupassen.

– Ich werde auf dem Posten sein!« versicherte der Sergeant.

Dreizehntes Capitel.


Dreizehntes Capitel.

Kapitän Hod’s Heldenthaten.

Die Hälfte des 5. Juni und die darauf folgende Nacht brachten wir ruhig lagernd zu. Nach so viel Strapazen und ausgestandenen Gefahren that uns diese Erholung sehr noth.

Jetzt war es nicht mehr das Königreich Audh, das seine reichen Ebenen vor uns entfaltete. Das Steam-House dampfte nun durch das zwar noch fruchtbare, aber von sogenannten »Nullas« oder tiefen Hohlwegen durchschnittene Gebiet von Rohilkande. Bareille ist die Hauptstadt dieses gewaltigen Vierecks von hundertfünfundfünfzig Meilen Seite, das zahlreiche Neben- und Zuflüsse der Cogra bewässern und in dem sich da und dort Gruppen prächtiger Mangobäume neben einzelnen dichten Dschungeln erheben, welche vor der fortschreitenden Cultur zu verschwinden scheinen.

Hier lag nach der Einnahme von Delhi der Mittelpunkt der Empörung, gegen welche der eine Feldzug Sir John Campbell’s gerichtet war; hier erzielte die Colonne des Brigadiers Walpole anfänglich keine glĂĽcklichen Erfolge; endlich kam hier ein Freund Sir Edward Munro’s, der Oberst des 93 Regimentes der Schottländer um, der sich am 14. April bei dem Sturme auf Laknau besonders ausgezeichnet hatte.

Abgesehen von dem ganzen Charakter der Landschaft, konnte kein anderes Gebiet der Fahrt unseres Zuges günstiger sein. Schöne, gut geebnete Straßen, leicht zu überschreitende Wasseradern zwischen den beiden von Norden herabfließenden Hauptarterien, Alles wirkte zur Erleichterung unserer Reise günstig zusammen. Jetzt hatten wir nur noch wenige hundert Kilometer zurückzulegen, dann mußten sich schon die ersten Bodenwellen bemerkbar machen, welche die Ebene mit den Bergen von Nepal verknüpfen.

Freilich durfte die nun eingetretene Regenzeit nicht auĂźer Rechnung gelassen werden.

Der in den ersten Monaten des Jahres herrschende Nordost-Mousson hatte jetzt gewechselt. Die Regenzeit ist an der Küste schlimmer als im Innern der Halbinsel und tritt hier auch etwas verzögert auf, weil die Wolken sich schon zum Theile erschöpfen, bevor sie die mittleren Theile Indiens erreichen. Außerdem wird ihre Richtung durch hohe Bergwände verändert, welche eine Art atmosphärischen Wirbels erzeugen. So tritt der Mousson-Wechsel an der Malabar-Küste schon Anfang Mai ein, in der Mitte der Central- und der Nordprovinzen macht er sich erst einige Wochen später, also im Juni, bemerkbar.

Wir waren jetzt im Juni, und unsere weitere Reise sollte nun unter jenen veränderten, aber wohl vorhergesehenen Verhältnissen vor sich gehen.

Unserem wackeren Goûmi, den der Blitz so jämmerlich entwaffnet hatte, ging es vom folgenden Tage ab besser. Die linksseitige Lähmung des Beines erwies sich nur als vorübergehend. Er behielt davon nichts zurück als – einen Groll gegen das Feuer des Himmels.

Im Laufe des 6. und 7. Juni hatte Hod mit Hilfe Phanns und Blacks mehr Jagdglück. Er erlegte ein Paar jener Antilopen, die man hierzulande »Nilgaus« nennt. Es sind das die blauen Ochsen der Hindus, die man richtiger als Hirsche bezeichnen sollte, denn den letzteren gleichen sie weit mehr als den Verwandten des Gottes Apis. Auch sollte man sie eigentlich perlgraue Hirsche nennen, denn ihre Farbe erinnert mehr an die des wolkenbedeckten, als an die des azurnen Himmels. Man behauptet jedoch, daß einzelne Exemplare dieser prächtigen Thiere mit spitzen, geraden Hörnern und langem, wenig gebogenem Kopfe wirklich ein blaues Fell hätten – eine Farbe, welche die Natur den Vierfüßlern völlig verweigert zu haben scheint, selbst dem blauen Fuchse, dessen Fell vielmehr schwarz ist.

Wilde Thiere, von denen Kapitän Hod immer schwärmte, waren das freilich noch nicht. Immerhin ist der Nilgau ziemlich gefährlich, wenn er sich, leicht verwundet, auf den Jäger stürzt. Eine erste Kugel vom Kapitän und eine zweite von Fox unterbrachen sofort den Lauf der beiden schönen Thiere. Sie wurden gleichsam im Fluge erlegt. Fox schätzte sie indeß nicht höher als Federwild!

Monsieur Parazard vertrat dagegen eine andere Ansicht, und die auf der Stelle gebratenen Keulen, welche er uns am nämlichen Tage auftischte, brachten auch uns auf seine Seite.

Mit Tagesanbruch, am 8. Juni, verließen wir unseren Halteplatz, der unweit eines kleinen Dorfes von Rohilkande lag und den wir am vergangenen Abend nach einer Fahrt von vierzig Kilometern von Rewah aus erreichten. Unser Zug hatte sich also auf den vom Regen mehr und mehr durchweichten Straßen nur mit sehr mäßiger Geschwindigkeit fortbewegt. Dazu begannen die Bäche anzuschwellen, und manchmal hielt uns eine überschwemmte Strecke mehrere Stunden lang auf. Trotzdem blieben wir hinter unserem Programme kaum einen bis zwei Tage zurück. Jedenfalls mußte die Berggegend, in der das Steam-House während einiger Sommermonate wie in einem Sanatorium verbleiben sollte, gegen Ende des Juni erreicht werden. Hier lag also kein Grund zur Beunruhigung vor.

An jenem 8. Juni entging dem Kapitän Hod ein recht interessanter Büchsenschuß.

Neben unserem Wege verliefen dichte Bambus-Dschungeln, wie das in der Nähe von Dörfern, welche wie in einem Blumenkorb gebaut scheinen, öfter vorkommt. Es waren das noch nicht die eigentlichen Dschungeln im Sinne der Hindus, welche die nackte unfruchtbare Ebene begrenzen, über die das aschgraue Buschwerk emporragte. Noch befanden wir uns in angebautem Lande und fruchtbarem Gebiete, das meist von sumpfigen Reisplantagen eingenommen wurde.

Von Storr’s Hand geleitet, trabte der Stahlriese ruhig dahin und stieĂź seine sauberen Dampfwölkchen aus, die er unter die Bambus der StraĂźe verstreute.

Plötzlich sprang ein Thier mit überraschender Gewandheit auf und stürzte sich unserem Elephanten an den Hals.

»Ein Tchita! Ein Tchita!« rief der Mechaniker.

Sofort eilte Kapitän Hod nach dem vorderen Balkon und ergriff die Büchse, die er immer gleich bei der Hand hatte.

»Ein Tchita! rief er nun auch selbst.

– So schießen Sie ihn doch! drängte ich.

– Ich habe ja noch Zeit!« antwortete Kapitän Hod, der sich begnügte, auf das Thier im Anschlag zu liegen.

Der Tchita bildet eine in Indien eigenthümliche Art von Leoparden, die nicht ganz so groß wie der Tiger, doch der Gewandtheit und der Kräfte ihrer Glieder wegen nicht minder furchtbar sind.

Oberst Munro, Banks und ich standen auf der Veranda und warteten auf den Schuß des Kapitäns.

Offenbar hatte sich der Leopard beim Anblick unseres Elephanten getäuscht; da, wo er lebendes Fleisch zu finden hoffte, in das er seine Zähne und Krallen einschlagen konnte, fand er eine Haut von Stahl, die seinen Angriffen trotzte. Wüthend über die Enttäuschung, klammerte er sich an die Ohren des falschen Thieres und wollte sich von demselben offenbar schon wegwenden, als er unserer ansichtig wurde.

Kapitän Hod hielt noch immer den Gewehrlauf auf jenen gerichtet, wie ein seines Schusses sicherer Jäger, der seine Beute im richtigen Augenblick und an der rechten Stelle treffen will.

Knurrend richtete der Tchita sich auf. Jedenfalls fĂĽhlte er die Gefahr, wollte aber nicht entfliehen. Vielleicht erwartete er nur den richtigen Augenblick, um auf die Veranda zu stĂĽrzen.

Er kletterte wirklich auf den Kopf des Elephanten, dessen als Rauchfang dienenden RĂĽssel er mit den Pranken umschlang, und stieg dann bis zum Ende desselben hinauf, aus dem der Dampf hervordrang.

»So schießen Sie doch, Hod! mahnte ich noch einmal.

– Dazu hab‘ ich ja noch Zeit!« antwortete der Kapitän.

Dann wandte er sich, ohne den Leoparden, der uns anglotzte, aus den Augen zu lassen, an mich.

»Sie haben wohl noch niemals einen Tchita geschossen, Maucler? fragte er.

– Niemals.

– Wollen Sie einen erlegen?

– Kapitän, gab ich zur Antwort, ich will Ihnen nicht diesen herrlichen SchuĂź rauben …

– Pah! stieß Hod hervor, das ist kein Schuß für einen Jäger! Nehmen Sie eine Büchse. Zielen Sie der Bestie nach der Schulter. Wenn Sie fehlen, schieße ich sie im Fluge!

– Meinetwegen!«

Fox, der inzwischen herbeigekommen war, reichte mir eine Doppelflinte, die er in der Hand hielt. Ich ergriff dieselbe, spannte den Hahn, zielte nach der Schulter des Leoparden und gab Feuer.

Getroffen, aber offenbar nur leicht verwundet, machte das Thier einen gewaltigen Sprung ĂĽber das ThĂĽrmchen des Mechanikers hinweg und fiel auf dem ersten Dache des Steam-Houses nieder.

Ein so guter Schütze Kapitän Hod auch war, so hätte er jetzt doch nicht auf das Thier schießen können.

»Hierher, Fox! Mitkommen!« rief er.

Beide verlieĂźen die Veranda und nahmen in dem ThĂĽrmchen Platz.

Der Leopard begab sich nach dem Dache des zweiten Hauses, wobei er die VerbindungsbrĂĽcke leicht ĂĽbersprang.

Eben als der Kapitän feuern wollte, sprang das Thier zur Erde hinab, erhob sich stolz und verschwand in der Dschungel.

»Stopp! Stopp!« rief Banks laut dem Mechaniker zu, der den Dampf absperrte und die Räder durch die Luftbremse sofort zum Stillstande brachte.

Der Kapitän und Fox sprangen auf die Straße hinab und eilten in das Dickicht, um den Tchita womöglich einzuholen.

Einige Minuten verstrichen. Wir lauschten nicht ohne einige Ungeduld. Vergebens. Kein Schuß krachte. Die beiden Jäger kamen mit leeren Händen zurück.

»Verschwunden! Entwischt! meldete Kapitän Hod. Und nicht einmal eine Blutspur im Grase.

– Das ist mein Fehler! sagte ich zum Kapitän. Sie hätten den Tchita an meiner Statt schießen sollen, Sie würden ihn nicht gefehlt haben!

– Mag sein, doch Sie haben auch getroffen, meinte Hod, das weiß ich, vielleicht nur nicht an der richtigen Stelle!

– Das war also weder mein achtunddreißigster, noch Ihr vierzigster, Herr Kapitän! sagte Fox sehr kleinlaut.

– Ei was, entgegnete Hod mit etwas erheuchelter Gleichgiltigkeit, ein Tchita ist kein Tiger! Sonst, Herr Maucler, hätte ich es nicht über mich gebracht, Ihnen den Schuß abzutreten.

– Zu Tisch, meine Herren, fiel da Oberst Munro ein. Das FrĂĽhstĂĽck erwartet uns und wird Sie trösten …

– Um so eher, setzte Mac Neil hinzu. Da nur Fox an allem Unglück schuld ist!

– Ich? erwiderte der Diener, dem diese Anschuldigung sehr unerwartet erschien.

– Gewiß, Fox, fuhr der Sergeant fort, das Gewehr, das Du Herrn Maucler gegeben hast, war ja nur mit Hühnerschrot geladen!«

Mac Neil zeigte dabei die andere Patrone vor, die er aus der Waffe, die ich benutzt, herausgenommen hatte. Sie enthielt wirklich nur kleinkörniges Schrot.

»Fox! begann der Kapitän.

– Herr Kapitän!

– Zwei Tage Stubenarrest!

– Zu Befehl, Herr Kapitän!«

Fox begab sich nach seiner Cabine, mit dem Vorsatze, sich achtundvierzig Stunden über nicht wieder blicken zu lassen. Er schämte sich seines Fehlers und wollte seine Schande verbergen.

Am nächsten Tage, am 9. Juni, durchstreiften wir, Hod, Goûmi und ich, die Ebene längs der Straße während der halbtägigen Rast, welche Banks zugestanden hatte. Der ganze Morgen war regnerisch gewesen, gegen Mittag heiterte sich der Himmel indeß ein wenig auf und ließ auf einige Stunden bessere Witterung hoffen. Hod zog diesmal übrigens nicht als Raubthierjäger, sondern als Jäger auf eßbares Wild hinaus. Im Interesse der Küche sollten wir in Gesellschaft Blacks und Phanns ruhig am Rande der Reisfelder hinwandern. Monsieur Parazard hatte dem Kapitän gemeldet, daß die Speisekammer leer sei, und daß er von seiner Ehrwürden erwarte, Se. Ehrwürden werde »die geeigneten Maßregeln ergreifen«, dieselbe wieder zu füllen.

Kapitän Hod gab nach, und wir brachen, mit einfachen Jagdflinten ausgerüstet, auf. Zwei Stunden lang erzielten wir keinen anderen Erfolg, als daß wir einige Rebhühner und Hasen aufjagten, immer aber in solcher Entfernung, daß gar nicht daran zu denken war, sie zu erlangen.

Kapitän Hod verlor bald alle gute Laune. Inmitten dieser ausgedehnten Ebene ohne Dschungeln und GebĂĽsch, dagegen mit vielen Dörfern und Farmen, konnte er ja kaum erwarten, ein Raubthier zu treffen, das ihn fĂĽr den gestern entwischten Leoparden entschädigt hätte. Er spielte ja nur die Rolle eines Lieferanten und dachte ĂĽber den bevorstehenden Empfang seitens Monsieur Parazard’s nach, wenn er mit leerer Jagdtasche heimkehrte.

An uns lag die Schuld ĂĽbrigens nicht. Um vier Uhr hatten wir noch niemals Gelegenheit gefunden, ein Gewehr abzufeuern. Es wehte ein trockener Wind und alles Wild erhob sich, wie gesagt, auĂźer SchuĂźweite.

»Lieber Freund, redete Kapitän Hod mich da an, so kann’s entschieden nicht weiter gehen! Als wir Calcutta verlieĂźen, habe ich Ihnen die schönsten JagdzĂĽge versprochen, und nun hindert mich ein UnglĂĽck ohne Gleichen, ein ewiges Pech, das ich nicht begreife, mein Versprechen zu erfĂĽllen.

– Ach, bester Kapitän, antwortete ich, nur nicht vorzeitig verzweifeln. Wenn ich dieses Malheur bedauere, so geschieht das weniger um meinet- als um Ihretwillen! …

Wir werden das Versäumte in den Bergen von Nepal wieder einholen!

– Ja dort, bestätigte Kapitän Hod, auf den ersten Abhängen des Himalaya liegen die Verhältnisse günstiger. Sehen Sie, Maucler, ich möchte darauf wetten, daß unser Zug mit Allem, was dazu gehört, das Zischen des Dampfes und vorzüglich der riesenhafte Elephant selbst, die Raubthiere erschreckt, vielleicht noch mehr als eine Eisenbahn, und das wird immer der Fall sein, so lange er in Bewegung bleibt. Liegen wir erst ruhig, so dürfen wir hoffen, glücklicher zu sein. Wahrhaftig, jener Leopard war ein Narr! Er mußte wohl dem Hungertode nahe sein, daß er sich auf unseren Stahlriesen stürzte, und verdiente wahrlich mit einer hübschen Kugel begrüßt zu werden. Der verteufelte Fox! Ich werde ihm nie vergessen, was er da angerichtet hat! – Um wie viel Uhr ist es jetzt?

– Bald um fünf Uhr.

– Schon um Fünf und wir haben noch keine Patrone verplatzt?

– Vor sieben Uhr erwartet man uns nicht zurĂĽck. Vielleicht glĂĽckt es noch bis dahin …

– Nein, das Glück ist einmal gegen uns, versetzte Kapitän Hod, und glauben Sie, das Glück ist der halbe Erfolg.

– Die Ausdauer aber nicht minder, antwortete ich. Nehmen wir uns vor, nicht mit leeren Händen heimzukehren. Ist’s Ihnen recht, Kapitän?

– Ob mir das recht ist! entgegnete Hod. Tod Allem, was sich blicken läßt!

– Einverstanden!

– Maucler, ich bringe lieber einen Maulesel oder ein Eichhörnchen mit, als daß ich als Schneider nach Hause gehe!«

Kapitän Hod, Goûmi und ich, wir befanden uns in der Gemüthsstimmung, wo uns Alles gute Beute schien. Die Jagd wurde also mit einem, einer besseren Sache würdigen Eifer fortgesetzt; doch auch die unschuldigsten Vögel mußten unsere Absicht errathen haben, denn es ließ sich keine Feder sehen.

So durchstreiften wir die Reisfelder, bald auf der einen, bald auf der anderen Seite der Straße, und kehrten wieder zurück, um uns nicht zu weit vom Halteplatz zu entfernen. Verlorene Mühe! Noch um ein halb sieben Uhr waren unsere Patronen intact. Wenn wir mit einem Spazierstocke in der Hand ausgegangen wären, hätten wir genau dasselbe erzielt.

Ich sah den Kapitän an. Er ging mit aufeinander gebissenen Zähnen dahin. Eine zwischen den Augenbrauen verlaufende lange und tiefe Furche der Stirn verrieth seinen stummen Groll. Er murmelte etwas zwischen den gepreßten Lippen und bedrohte alles Feder- und Pelzvieh, von dem sich noch kein einziges Exemplar zeigte, mit dem Tode. Allem Anschein nach hätte er seine Flinte auf jeden beliebigen Gegenstand, auf einen Felsen oder einen Baum, abgefeuert – eine bekannte Jägermanier, um dem Zorne Luft zu machen. Das Gewehr brannte ihm in den Händen, das sah man deutlich. Er warf es einmal in den Arm, trug es dann am Riemen oder schulterte damit, scheinbar ganz wider Willen.

Goûmi betrachtete ihn verwundert.

»Der Kapitän wird noch ganz rasend, wenn das so fortgeht, sagte er kopfschüttelnd.

– Gewiß, ich gäbe gern dreißig Schillinge für die simpelste Haustaube, die eine barmherzige Hand ihm in den Weg triebe. Das würde ihn beruhigen!«

Doch nicht für dreißig Schillinge, nicht für den doppelten oder dreifachen Preis hätte man sich hier das billigste und gewöhnlichste Stück Jagdwild verschaffen können. Das Feld ringsum war menschenleer und wir erblickten weder eine Farm noch ein Dorf.

Wahrlich, wenn es möglich gewesen wäre, hätte ich Goûmi weggeschickt, um jeden Preis ein Stück Geflügel zu kaufen, und wenn es ein gerupftes Huhn war, um es als Sühnopfer unserem unwilligen Kapitän darbieten zu lassen.

Jetzt kam die Nacht allmälich heran. Nach einer Stunde war es nicht mehr hell genug, unsere nutzlose Expedition noch länger fortzusetzen. Obwohl wir übereingekommen waren, nicht mit leerer Jagdtasche nach dem Halteplatz zurückzukehren, so schien uns doch nichts Anderes übrig zu bleiben, wenn wir nicht die Nacht unter freiem Himmel zubringen wollten. Doch ohne Rücksicht darauf, daß für die Nacht Regen drohte, so wären Oberst Munro und Banks über unser Ausbleiben gewiß unruhig geworden, was ihnen doch erspart bleiben mußte.

Mit weit aufgerissenen Augen warf Kapitän Hod den Blick von der Rechten zur Linken und von der Linken zur Rechten mit der Schnelligkeit eines Vogels, und ging immer zehn Schritte voraus, doch in einer Richtung, die uns dem Steam-House nicht gerade näher brachte.

Ich beeilte meine Schritte, um ihn einzuholen, und ihn endlich zum Aufgeben dieser vergeblichen Versuche zu veranlassen, als ich zu meiner Rechten ein starkes Rauschen von Flügeln hörte. Ich blickte auf.

Eine schillernde Masse erhob sich langsam in einem Dickicht.

Ohne Kapitän Hod Zeit zu lassen, sich umzukehren, schlug ich an, und die beiden Schüsse der Flinte krachten.

Langsam fiel ein mir unbekannter Vogel am Rande des Reisfeldes nieder.

Phann sprang darauf zu und brachte dem Kapitän die Beute.

»Endlich, rief Hod, wenn Monsieur Parazard nun nicht zufrieden gestellt ist, mag er selbst, mit dem Kopfe voraus in seinen Kochtopf springen.

– Sind das aber auch eßbare Vögel, auf die ich geschossen habe?

– NatĂĽrlich …, wenigstens wenn man keine anderen hat! meinte der Kapitän.

– Zum Glück hat Sie Niemand gesehen, Herr Maucler! bemerkte da Goûmi.

– Zum GlĂĽck? … Was hab‘ ich denn verbrochen?

– Ei, Sie haben einen Pfau getödtet, das ist verboten, da der Pfau ein in ganz Indien geheiligter Vogel ist.

– Der Kuckuck hole alle heiligen Vögel und die, welche sie heilig sprechen, rief Kapitän Hod. Der hier ist nun einmal geschossen und wird verspeist werden, meinetwegen mit aller Ehrfurcht, aber gegessen wird er doch!«

In der That, ist der Pfau schon seit dem Zuge Alexander’s, zu welcher Zeit er sich in Indien verbreitete, ĂĽberall im Lande der Brahmanen geheiligt. Die Hindus betrachten ihn als Symbol der Göttin Saravasti, der BeschĂĽtzerin der Geburt und Ehe. Auf die Tödtung dieses Vogels sind schwere, auch vom englischen Gesetz anerkannte Strafen festgestellt.

Das Exemplar aus der Hühnerfamilie, das Kapitän Hod so sehr erfreute, war mit seinen grünen, metallisch glänzenden Flügeln, welche ein Goldrand umgab, wirklich prächtig anzusehen. Der wohlausgebildete Schweif erschien wie ein Fächer aus feinstem Seidenhaar.

»Nun vorwärts, drängte der Kapitän. Morgen wird Monsieur Parazard uns Pfauenbraten vorsetzen, was auch alle Brahmanen Indiens dazu sagen mögen. Wenn der Pfau an und für sich nichts Anderes als ein anspruchsvolles Huhn ist, so werden doch die künstlerisch angeordneten Federn von diesem hier uns einen hübschen Tafelschmuck liefern.

– Sind Sie nun zufrieden, Herr Kapitän?

– Mit Ihnen, lieber Freund, gewiß; mit mir leider nicht. Mein Pech ist noch nicht vorüber, ich werde das also noch abwarten müssen. Nun vorwärts!«

Wir schlugen die Richtung nach dem Lagerplatz ein, von dem wir gegen drei Meilen entfernt sein mochten. Auf dem Wege, der sich durch die vielen Krümmungen der dichten Bambus-Dschungeln wand, gingen wir, Kapitän Hod und ich, nebeneinander, Goûmi, der die Jagdbeute trug, kam wenige Schritte hinter uns. Noch war die Sonne nicht verschwunden, aber durch große Wolken verschleiert, so daß man den Weg im Halbdunkel nur mühsam erkannte.

Plötzlich ertönte aus dem Dickicht neben uns ein gewaltiges Brüllen. Mir erschien es so entsetzlich, daß ich wider Willen auf der Stelle stehen blieb.

Kapitän Hod ergriff meine Hand.

»Ein Tiger!« sagte er.

Dann kam ein Fluch ĂĽber seine Lippen.

»Alle Donnerwetter Indiens! rief er, nun haben wir blos Hühnerschrot in den Flinten!«

Das war leider nur zu richtig, denn wir Alle besaĂźen keine einzige Kugelpatrone.

Uebrigens wĂĽrden wir kaum Zeit gehabt haben, die Gewehre damit zu laden. Schon zehn Secunden nach dem GebrĂĽll erschien das Thier vor dem Dickicht und stand mit einem einzigen Sprung zwanzig Schritte vor uns auf der StraĂźe.

Es war ein prächtiger Tiger von der Art, welchen die Hindus »Eater men« (Menschenfresser) nennen, und deren Wuth jährlich noch Hunderte zum Opfer fallen.

Unsere Lage war schrecklich.

Ich sah den Tiger an, ich verschlang ihn mit den Augen, und ich gestehe, daß mir die Flinte in den Händen zitterte. Jener maß etwa zehn Fuß in der Länge und hatte ein orangefarbenes Fell mit abwechselnd weißen und schwarzen Streifen.

Er beobachtete uns ebenfalls. Sein Katzenauge leuchtete durch das Halbdunkel und mit dem Schweife peitschte er den Boden. Er duckte und erhob sich wieder wie zum Sprunge.

Hod bewahrte seine gewöhnliche Kaltblütigkeit. Er hielt das Gewehr auf das Thier angelegt und murmelte nur mit einem gar nicht wieder zu gebenden Ausdruck:

»Schrot Numero sechs! Einen Tiger mit HĂĽhnerschrot zu schieĂźen! Wenn ich ihn nicht in beide Augen treffe, sind wir …«

Er kam nicht dazu den Satz zu vollenden. Der Tiger näherte sich, nicht in Sprüngen, sondern schleichenden Schrittes.

Goûmi, der hinter uns kauerte, zielte ebenfalls auf denselben, seine Flinte enthielt aber nur Vogeldunst. Die meinige war gar nicht geladen.

Ich wollte eine Patrone aus der Tasche holen.

»Nicht rühren!« flüsterte mir der Kapitän zu; der Tiger würde springen, und dazu darf es nicht kommen!«

Wir verhielten uns also alle Drei stumm und still.

Langsam kam der Tiger heran. Den Kopf, den er früher bewegte, hielt er jetzt völlig still. Seine Augen starrten voraus, doch scheinbar mehr nach unten. Mit dem weit offenen Rachen, den er nahe der Erde hielt, schien er deren Ausdünstung aufzusaugen.

Bald stand das furchtbare Thier kaum noch zehn Schritte vom Kapitän entfernt.

Fest auf den FĂĽĂźen und unbeweglich wie eine Statue, concentrirte Hod seine ganze Lebenskraft in den Augen. Der bevorstehende grauenhafte Kampf, dessen Ausgang Niemand vorhersagen konnte, machte ihm sicher kaum das Herz schneller schlagen.

In diesem Augenblick glaubte ich, der Tiger werde auf uns zuspringen.

Er machte noch fünf Schritte. Ich mußte mich stark bezwingen, um nicht dem Kapitän zuzurufen:

»So schießen Sie doch! Schießen Sie!«

Doch nein, der Kapitän hatte es gesagt – und das war wohl auch unser einziges Rettungsmittel – er wollte dem Thier die Augen verbrennen; dazu mußte er es jedoch sehr nahe haben.

Der Tiger machte noch drei Schritte und erhob sich zum Sprunge …

Da ertönte ein gewaltiger Krach, dem fast augenblicklich ein zweiter Knall folgte.

Die zweite Detonation kam aus dem Leibe des Thieres selbst her, das nach einigem Zucken und SchmerzgebrĂĽll todt niedersank.

»Wunder über Wunder! rief Kapitän Hod. Mein Gewehr ist also mit einer Kugel, und noch dazu mit einer explodirenden, geladen! O, dieses Mal danke ich Dir, Fox!

– Ist es möglich?

– Da, sehen Sie selbst!«

Kapitän Hob schlug die Flintenläufe zurück und holte aus dem linken die Patrone heraus.

Das war eine Kugelpatrone.

Jetzt erklärte sich Alles.

Kapitän Hod besaß eine Doppelbüchse und eine Doppelflinte, beide von demselben Kaliber. Aus Irrthum hatte Fox gleichzeitig die Büchse mit Jagdpatronen und die Flinte mit Explosionskugel-Patronen geladen. Wenn dieser Mißgriff gestern Abend dem Leoparden das Leben gerettet hatte, so rettete er heute das unsere.

»Ja wohl, sagte der Kapitän Hod, als ich das aussprach, und so nahe dem Tode bin ich fast noch nie gewesen!«

Eine halbe Stunde später waren wir am Halteplatz zurück. Hod ließ Fox rufen und berichtete das erlebte Abenteuer.

»Herr Kapitän, erwiderte der Diener, daraus geht hervor, daß ich vier Tage Arrest verdiene, da ich mich zweimal geirrt habe!

– Das mein‘ ich auch, antwortete Hod, doch da mir Dein Irrthum den einundvierzigsten eingebracht hat, so ist es meine Absicht, Dir diese Guinee dafĂĽr anzubieten …

– Und die meinige, dieselbe anzunehmen!« fiel Fox ein, der das Goldstück in der Tasche verschwinden ließ.

So verlief also das erste Zusammentreffen des Kapitän Hod mit seinem einundvierzigsten Tiger.

Am Abend des 12. Juni hielten wir nahe einem unbedeutenden Flecken und fuhren am nächsten Morgen wieder weiter, um die hundertfünfzig Kilometer zurückzulegen, die uns noch von den Bergen Nepals trennten.

Vierzehntes Capitel.


Vierzehntes Capitel.

Einer gegen Drei.

Noch wenige Tage, und wir gelangten zu den ersten Abhängen jener nördlichen Gebiete Indiens, die sich von Stufe zu Stufe, Hügel auf Hügel, Berg auf Berg bis zu den höchsten Spitzen der Erdkugel aufthürmen. Bisher zeigte der Boden eine leichte Unebenheit und eine so allmäliche Steigung, daß unser Stahlriese diese gar nicht zu bemerken schien.

Das Wetter blieb stĂĽrmisch, vorzĂĽglich regnerisch, die Temperatur aber hielt sich in erträglichen Grenzen. Die Wege waren noch nicht schlecht, und die breiten Radkränze der Räder unseres Zuges rollten trotz dessen hohen Gewichtes bequem darĂĽber hin. Zeigte sich irgendwo eine gar zu tiefe Spur, so genĂĽgte ein leichter Druck von Bank’s Hand auf den Regulator, durch den er etwas mehr von dem gehorsamen Fluidum zuströmen lieĂź, zur Bewältigung des Hindernisses. An Kraft fehlte es unserer Maschine ja bekanntlich nicht, und eine Vierteldrehung des EinlaĂźventils vermehrte ihre Stärke sofort um mehrere Dutzend Pferdekräfte.

Bis jetzt hatten wir in der That, sowohl die Art der Fortbewegung als auch den von Banks gewählten Motor nur zu loben, ebenso wie den Comfort unserer rollenden Häuser, vor denen immer ein neuer Horizont aufstieg, der sich vor unseren Augen veränderte.

Allmälich verschwand die grenzenlose Ebene, die sich vom Gangesthale aus bis nach den Gebieten von Audh und Rohilkande hin erstreckt. Im Norden bildeten die Riesengipfel des Himalaya einen Rahmen, gegen den die vom Südwestwind getriebenen Wolken anzukämpfen schienen. Noch vermochten wir zwar das pittoreske Profil jener Bergkette, die sich bis zur mittleren Höhe von achttausend Metern über das Meer erhebt, nicht zu erkennen; mit der Annäherung an die tibetanische Grenze wurde das Land aber nach und nach wilder und an Stelle der cultivirten Felder bedeckten nun dichte Dschungeln die Erde.

Auch die Flora dieses Theiles des Hindugebietes gewann einen anderen Charakter. Schon waren die Palmen verschwunden, um prächtigen Banianen und dichtbelaubten Mangobäumen, welche die schönste Frucht in ganz Indien liefern, Platz zu machen, und vor Allem den Bambusgruppen, deren Stengel sich garbenartig verbreitet bis hundert Fuß über den Erdboden erheben. Hier traten auch Magnolien auf, die mit ihren großen Blumen die Luft mit erquickendem Wohlgeruche erfüllten, herrliche Ahornbäume, verschiedene Arten von Eichen, Maronenbäume mit ihren gleich den Seeigeln spitzenbesäeten Früchten, Gummibäume, deren Milchsaft aus den geöffneten Gefäßen strömte, großblättrige Pinien aus der Gattung der Pandaneen und daneben, zwar bescheidener an Wuchs, aber leuchtender an Farbe, Geraniums, Rhododendrons und Lorbeerbäume, welche gleich einem Gartenbeete die Straße einfaßten.

Noch zeigten sich da und dort ein Dorf mit Stroh- oder Bambushütten, zwei bis drei inmitten größerer Bäume versteckte Farmen, aber schon durch meilenweite Zwischenräume von einander getrennt. Auch die Bevölkerung nahm mit der Annäherung an das Hochland merkbar ab.

Ein grauer, dunstiger Himmel bildete den Hintergrund des ausgedehnten Landschaftsbildes, und fast unausgesetzt strömte ein heftiger Regen herab. Während der vier Tage vom 13. bis 17. Juni verschonte er uns kaum einen halben Tag. Wir mußten uns also im Salon des Steamhauses aufhalten und die langen Stunden hinwegzutäuschen suchen, wie man das rauchend, plaudernd und Whist spielend in jeder festen Wohnung zu thun pflegt.

Während dieser Zeit hatten auch die Gewehre, zum Aerger des Kapitän Hod, vollkommen Ruhe; zwei »Schlems« aber, die er an einem Abend machte, gaben ihm den verlorenen Humor wieder.

»Man kann wohl jeden Tag einen Tiger erlegen, sagte er, aber nicht jeden Tag einen »Schlem machen!«

Gegen diese so richtige und klar formulirte Behauptung lieĂź sich fĂĽglich nichts einwenden.

Am 17. Juni errichteten wir unser Lager nahe einem SeraĂŻ, wie man die speciell fĂĽr die Reisenden bestimmten Bungalows bezeichnet. Das Wetter hatte sich ein wenig gebessert, und der Stahlriese, der im Laufe der vier letzten Tage hart gearbeitet hatte, bedurfte, wenn auch nicht der Ruhe, doch einiger Pflege. Wir kamen also ĂĽberein, einen halben Tag und die folgende Nacht an dieser Stelle zu verbringen.

Der Seraï ist die Karawanserei, das öffentliche Gasthaus an den Straßen Indiens, ein Viereck niedriger Gebäude, welche einen Hof umschließen und deren Ecken meist vier Thürmchen überragen, was dem Ganzen einen völlig orientalischen Charakter verleiht. In diesen Seraïs fungirt ein ausschließlich für den Dienst in denselben bestimmtes Personal, der »Bhisti« oder Wasserträger, der Koch, die Vorsehung der anspruchslosen Reisenden, welche sich mit Eiern und jungen Hühnchen zu begnügen wissen, und der »Khansama«, d. h. der Lebensmittel-Lieferant, mit dem man unmittelbar und meist zu sehr niedrigen Preisen ein Abkommen trifft.

Der Wächter des Seraï, der »Peon«, ist ein einfacher Agent der ehrenwerthen Compagnie, welcher fast alle diese Etablissements gehören und die sie durch den Chef-Ingenieur des Bezirks beaufsichtigen läßt.

Eine merkwürdige, aber in aller Strenge erhaltene Vorschrift in diesen Herbergen lautet dahin, daß jeder Reisende den Seraï vierundzwanzig Stunden lang benutzen darf; für einen längeren Aufenthalt daselbst braucht er die Erlaubniß des Inspectors. In Ermanglung einer solchen kann der erste Beste, Engländer oder Hindu, verlangen, daß er ihm seinen Platz räume.

Selbstverständlich brachte unser Stahlriese, sobald wir Halt gemacht hatten, seine gewöhnliche Wirkung hervor, d. h. er wurde angestaunt, vielleicht mit neidischen Augen betrachtet. Ich muß indeß erwähnen, daß die dermaligen Bewohner des Seraï denselben mit einer Art Verachtung betrachteten – eine Verachtung jedoch, die viel zu gemacht erschien, um wahr sein zu können.

Freilich hatten wir es nicht mit gewöhnlichen Sterblichen zu thun, die in Geschäften oder zum Vergnügen reisten; auch nicht mit einem englischen Officier, der sich nach dem Cantonnements an der Grenze von Nepal begab, noch mit einem Hindu-Kaufmann, der seine Karawane nach den Steppen von Afghanistan, jenseits Cahore und Peschawar, führte.

Es rastete hier nämlich kein Geringerer als der Prinz Gourou Singh in höchst eigener Person, der Sohn eines unabhängigen Rajah, der mit großem Pomp durch das nördliche Indien reiste.

Dieser Fürst nahm allein die drei oder vier Säle des Seraï ein, sogar alle Zugänge und Nebenräumlichkeiten, welche für die Leute seines Gefolges eingerichtet worden waren.

Ich hatte noch keinen Rajah auf Reisen gesehen. Gleich nachdem wir uns, eine Viertelmeile von dem SeraĂŻ, an einer reizenden Stelle neben einem kleinen Wasserlaufe unter dem Schutze prächtiger Pandanen eingerichtet hatten, ging ich also, in Begleitung Banks‘ und des Capitän Hod aus, um das Lager des Prinzen Gourou Singh in Augenschein zu nehmen.

Der Sohn des Rajah, der eine Ortsveränderung vornimmt, thut das natĂĽrlich nicht allein. Wenn ich irgend Jemand nicht beneide, so sind es Diejenigen, welche keinen FuĂź bewegen können, ohne gleichzeitig mehrere hundert Menschen in Bewegung zu bringen! Wahrlich, es ist doch besser, ein einfacher FuĂźgänger zu sein mit dem Quersack auf dem RĂĽcken, den Stock in der Hand und die Flinte im Arme, als ein in Indien reisender Prinz mit all‘ dem Ceremoniell, das sein Rang ihm auferlegt.

»Da reist nicht ein einzelner Mann von einer Stadt zur anderen, meinte Banks, sondern es wechselt ein ganzer Flecken seine geographischen Coordinaten!

– Ich lobe mir das Steam-House, erwiderte ich, und möchte nicht mit jenem Rajahsohne tauschen!

– Wer weiß, bemerkte Kapitän Hod, ob dieser Fürst nicht selbst unser rollendes Haus seinem schwerfälligen Reise-Apparat vorzöge?

– Er braucht nur ein Wort zu sagen, rief Banks, und ich baue ihm einen vollständigen Dampfpalast, wenn er die Kosten tragen will. Doch in Erwartung seines Auftrages wollen wir uns einstweilen, wenn sich’s der MĂĽhe lohnt, das Lager ein wenig ansehen!«

Das Gefolge des Prinzen bestand aus nicht weniger als fünfhundert Personen. Unter großen Bäumen der Umgebung des Seraï waren gegen zweihundert Wagen, symmetrisch wie die Zelte eines Feldlagers, aufgestellt, für welche theils Zebus, theils Büffel als Zugthiere dienten, während drei große Elephanten reichgeschmückte Palankins auf dem Rücken trugen; daneben fanden sich auch noch gegen zwanzig, aus den Ländern westlich des Indus herstammende Kameele. Der Karawane fehlte wirklich nichts, weder Musiker, welche die Ohren Seiner Hoheit ergötzten, und Bajaderen, die seine Angen entzückten, noch Künstler, um die Stunden der Muße zu verkürzen. Dreihundert Träger und zweihundert Hellebardiere vervollständigten dieses große Personal, dessen Sold jede andere Börse als die eines unabhängigen indischen Rajah erschöpft hätte.

Die Musiker, Tamburin-, Cymbal- und Tamtamspieler gehörten theils der Sippe an, welche den Lärmen an Stelle der Töne setzt, theils kratzten sie auf Guitarren und viersaitigen Geigen, welche offenbar kaum jemals richtig gestimmt gewesen waren.

Unter den Künstlern befanden sich einige »Sapwallahs« oder Schlangenbändiger, welche die Reptilien durch ihre Beschwörungen anlocken oder vertreiben; ferner »Slutuis«, sehr geschickt in Uebungen mit dem Säbel; Akrobaten, die mit einer Pyramide von irdenen Gefäßen auf dem Kopfe und Büffelhörnern an den Füßen auf schlaffem Seile tanzen, und endlich Taschenspieler, welche nach Belieben des Zuschauers alte Schlangenhäute in giftige »Cobras« oder umgekehrt verwandeln.

Die Bajaderen gehörten zu der Classe jener hübschen »Boundelis«, die für »Nautchs« oder Abendgesellschaften so gesucht sind, wo sie die doppelte Rolle der Sängerinnen und Tänzerinnen vertreten. Diese Ballerinen gingen sehr prächtig gekleidet, die Einen in goldgesticktem Mousselin, die Anderen in faltigen Röcken mit Schärpen, die sie bei ihren graziösen Bewegungen ausspannten, und Alle waren geschmückt mit reichen Kostbarkeiten, prächtigen Spangen an den Armen, mit goldenen Ringen an den Fingern und Zehen und silbernen Schellen an den Knöcheln. So aufgeputzt, führten sie den berühmten Eiertanz mit außerordentlicher Grazie und Gewandtheit aus, und ich hoffte stark, Gelegenheit zu erhalten, Jene auf besondere Einladung des Rajah einmal bewundern zu können.

Außerdem figurirten, ich weiß nicht unter welchem Titel, noch eine Anzahl Männer, Frauen und Kinder unter dem Personal der Karawane. Die Männer gingen in lange Streifen Stoff gehüllt, den man »Dhoti« nannte, oder waren mit einer Art Hemd, der »Angarkah«, und langem, weißem Rocke, der »Jamah«, bekleidet, was ihnen ein sehr bizarres Aussehen verlieh.

Die Frauen trugen den »Choli«, etwa eine Jacke mit kurzen Aermeln, und den »Sari«, entsprechend dem Dhoti der Männer, den sie um die Hüften schlangen und dessen Ende sie kokett rückwärts über den Kopf warfen.

Träge unter den Bäumen ausgestreckt liegend, erwarteten diese Hindus die Stunde der Mahlzeiten und rauchten inzwischen in ein grünes Blatt gewickelte Cigarretten oder den »Gargouli«, in dem der »Gurago«, eine schwärzliche Mischung aus Tabak, Melasse und Opium, eingeäschert wird. Andere kauten das bekannte Gemisch aus Betelblättern, Arecanuß und gelöschtem Kalk, das der Verdauung förderlich sein soll, eine Eigenschaft von großem Werthe in dem brennenden Klima Indiens.

Gewöhnt an den Aufenthalt in Karawanen, lebten Alle im besten Einvernehmen und legten nur zur Zeit eines Festes die gewohnte Ruhe ab. Man hätte sie für Mitglieder einer reisenden Schauspielergesellschaft halten können, welche auch in vollständige Apathie zu versinken pflegen, wenn sie nicht auf der Bühne beschäftigt sind.

Als wir jedoch an der Lagerstelle ankamen, beeilten sich die Hindus, uns mit einigen »Salams« und tiefen Verbeugungen zu begrüßen. Die Meisten riefen »Sahib! Sahib!« was »Herr! O Herr!« bedeutet, und wir antworteten ihnen durch freundschaftliche Zeichen.

Ich erwähnte, daß mir der Gedanke kam, Gourou Singh werde uns zu Ehren ein Fest geben, womit die Rajahs sonst nicht zu geizen pflegen. Der für eine derartige Ceremonie hinreichende Hof des Bungalow schien mir wie geschaffen für die Tänze der Bajaderen, die Beschwörungen der Zauberer und für die Kunststücke der Akrobaten. Ich gestehe gern, daß es mich entzückt hätte, einem solchen Schauspiele in einem Seraï, unter prächtigen Bäumen und mit der natürlichen, vom Personal der Karawane gebildeten Scenerie beizuwohnen. Wie weit mußte eine solche jede Bühne eines beschränkten Theaters mit seinen Mauern aus gemalter Leinwand, dem unechten Laubwerk und der geringen Zahl Mitwirkender übertreffen!

Ich theilte diesen Gedanken meinen Gefährten mit, welche ihn zwar theilten, aber an die Erfüllung dieses Wunsches nicht glaubten.

»Der Rajah von Guzarate, belehrte mich Banks, ist ein Unabhängiger, der sich kaum nach dem Aufstand der Sipahis unterworfen hat, während dessen sein Verhalten mindestens ein sehr zweideutiges war. Er liebt die Engländer nicht, und sein Sohn wird nichts thun, sich ihnen zuvorkommend zu erweisen.

– Nun gut, was kümmern uns auch seine Nautchs!« erwiderte Kapitän Hod mit verächtlichem Achselzucken.

Es kam, wie wir dachten, ja, es wurde uns nicht einmal gestattet, das Innere des Seraï zu besichtigen. Vielleicht erwartete Prinz Gourou Singh einen officiellen Besuch von Oberst Munro. Dieser hatte mit jener Persönlichkeit ja nichts zu schaffen und ließ sich also nicht im mindesten stören.

Nach unserem Halteplatz zurückgekehrt, erwiesen wir dem von Monsieur Parazard bereiteten Diner alle Ehre. Der Speisezettel bestand in der Hauptsache freilich nur aus Conserven. Seit mehreren Tagen hatte uns das schlechte Wetter am Jagen verhindert; unser Koch war aber ein solcher Meister seines Faches, daß conservirtes Fleisch und Gemüse unter seinen kundigen Händen ihre Frische und natürlichen Geschmack wieder annahmen.

Trotz Banks‘ Erklärung erhielt ein GefĂĽhl von Neugierde in mir während des ganzen Abends noch immer einige Hoffnung, die erwĂĽnschte Einladung eintreffen zu sehen. Kapitän Hod spottete ĂĽber meine Vorliebe fĂĽr das Ballet unter freiem Himmel und behauptete, daĂź sich das im Opernhause doch weit schöner ausnähme. Ich glaubte zwar nicht daran, konnte jedoch, angesichts der UnliebenswĂĽrdigkeit des Prinzen, keinen Beweis dafĂĽr beibringen.

Am folgenden Tage, am 18. Juni, wurde Alles zurecht gemacht, um mit Anbruch des nächsten Tages aufzubrechen.

Um fünf Uhr begann Kâlouth zu heizen. Unser, jetzt übrigens abgespannter Elephant, stand gegen fünfzig Fuß von den Häusern entfernt, wo der Maschinist noch mit der Zuführung des nöthigen Wasservorraths beschäftigt war.

Wir gingen inzwischen am Ufer des kleinen Flusses spazieren.

Vierzig Minuten später hatte der Kessel genügenden Druck und Storr wollte eben rückwärts fahren, als sich eine Truppe Hindus näherte.

Es waren fünf bis sechs Männer in weißen Röcken und seidenen Ueberwürfen, die Turbans mit Goldstickereien verziert. Ein Dutzend, mit Flinten und Säbeln bewaffnete Soldaten begleiteten dieselben. Einer dieser Soldaten trug eine grüne Laubkrone – ein Zeichen, daß irgend welche hohe Person mit im Zuge sei.

Diese hohe Person war der Prinz Gourou Singh selbst, ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, von ziemlich stolzer Erscheinung – der Typus aller Nachkommen jener sagenhaften Rajahs, in dem sich der Maharatten-Charakter noch immer wiederspiegelt.

Der Prinz schien unsere Anwesenheit nicht zu bemerken. Er trat einige Schritte vor und näherte sich dem riesigen Elephanten, den Storr’s Hand eben in Bewegung setzen wollte. Als er jenen mit einiger, nur schlecht verhehlten Bewunderung betrachtet hatte, fragte er Storr:

»Wer hat diese Maschine gebaut?«

Der Mechaniker zeigte auf den Ingenieur, der jetzt herankam und in kurzer Entfernung stehen blieb.

Prinz Gourou Singh sprach ziemlich geläufig englisch und wendete sich nun an Banks:

»Sie haben das …? sagte er kaum die Lippen bewegend.

– Ja, das ist mein Werk! antwortete Banks.

– Hat man mir nicht gesagt, es sei das eine Phantasie des verstorbenen Rajah von Bouthan gewesen?«

Banks nickte bejahend mit dem Kopfe.

»Wozu dient es, fuhr Seine Hoheit, nachlässig mit den Achseln zuckend fort, wozu dient es, sich von einem mechanischen Elephanten ziehen zu lassen, wenn man deren von Fleisch und Bein zur Verfügung hat?

– Nun, antwortete Banks, dieser Elephant ist weit stärker als alle, welche der verstorbene Rajah je besaß.

– O, versetzte Gourou Singh, der verächtlich den Mund spitzte, o … stärker! …

– Gewiß und ganz bedeutend! behauptete Banks.

– Keiner der Ihrigen, fiel der Kapitän Hod ein, den dies prahlerische Auftreten verletzte, keiner der Ihrigen wäre im Stande, jenem einen Fuß zu biegen, wenn er es nicht selbst will.

– Sie sagten? … schnarrte der Prinz.

– Mein Freund behauptet, erwiderte der Ingenieur, und ich bestätige es, daß dieses künstliche Thier dem Zuge von zehn Paar Pferden Widerstand leisten könne, und daß Ihre drei zusammengespannten Elephanten es nicht um einen Fuß breit fortbewegen würden.

– Das glaube ich unbedingt nicht, antwortete der Prinz.

– Sie thun sehr unrecht, das unbedingt nicht zu glauben, gab ihm Kapitän Hod zurück.

– Und wenn Eure Hoheit den Preis dafür zahlen wollen, fuhr Banks fort, so verpflichte ich mich gern einen zu liefern, der die Kraft von zwanzig, unter den besten Exemplaren Ihrer Ställe ausgewählten Elephanten besitzt.

– Das ließe sich hören, erwiderte sehr trocken Gourou Singh.

– Und läßt sich auch ausführen!« versicherte Banks.

Der Prinz wurde allmälich lebhafter. Man sah, daß er Widerspruch nicht gern ertrug.

»Man könnte ja hier auf der Stelle eine Probe anstellen, sagte er nach kurzem Besinnen.

– Das kann man, antwortete der Ingenieur.

– Und sogar diese Probe, fuhr Gourou Singh fort, zum Gegenstand einer ansehnlichen Wette machen – im Falle Sie nicht die Furcht von dem Verluste schreckt, so wie Ihr Elephant erschrecken würde, könnte er sehen, daß er sich mit meinen Elephanten messen soll!

– Der Stahlriese, erschrecken, zurückweichen? rief Kapitän Hod. Wer wagt zu behaupten, daß der Stahlriese zurückweichen würde?

– Ich, erwiderte Gourou Singh.

– Und was würden Eure Hoheit einsetzen? fragte der Ingenieur die Arme kreuzend.

– Viertausend Rupien, erklärte der Prinz, wenn Sie viertausend Rupien zu verlieren haben!«

Diese Summe entsprach etwa zehntausend Francs. Der Einsatz war ziemlich hoch, und ich sah, wie Banks, so zuversichtlich er auch war, doch eine so groĂźe Summe nicht auf’s Spiel setzen wollte.

Kapitän Hod hätte sofort das Doppelte gehalten, wenn sein bescheidener Sold ihm das erlaubte.

»Sie schlagen nicht ein? sagte da Seine Hoheit, für den viertausend Rupien nur eine verschwindende Kleinigkeit waren. Sie fürchten, viertausend Rupien daran zu wagen?

– Ich halte sie, fiel jetzt Oberst Munro ein, der herangekommen war und sich mit den wenigen, aber wichtigen Worten einmischte.

– Oberst Munro hält gegen mich viertausend Rupien? fragte Prinz Gourou Singh.

– Auch zehntausend, erwiderte Sir Edward Munro, wenn es Eurer Hoheit beliebt!

– Wie Sie wünschen!« antwortete Gourou Singh.

Die Sache wurde interessant. Der Ingenieur hatte des Obersten Hand gedrĂĽckt, wie um zu danken, daĂź er ihn gegenĂĽber diesem prahlerischen Rajah nicht im Stiche gelassen habe, doch zog eine Wolke ĂĽber seine Stirn, die mir die Frage nahe legte, ob er der mechanischen Kraft seines Elephanten nicht etwas zuviel zugemuthet habe.

Kapitän Hod strahlte vor Vergnügen, rieb sich die Hände und schritt auf den Elephanten zu.

»Nun Achtung, Stahlriese, rief er, es gilt für die Ehre Altenglands einzutreten!«

Alle unsere Leute standen auf der einen Seite der StraĂźe. Auch von dem SeraĂŻ her war eine Anzahl Hindus herzugelaufen, dem bevorstehenden Wettkampf beizuwohnen.

Banks hatte sich nach dem ThĂĽrmchen zu Storr begeben, der durch kĂĽnstlich vermehrten Zug das Feuer noch mehr schĂĽrte, indem er durch den RĂĽssel des Stahlriesen einen Dampfstrom abblasen lieĂź.

Inzwischen waren einige von Gourou Singh’s Dienern nach dem SeraĂŻ zurĂĽckgekehrt und holten von dort drei Elephanten, die man von Allem, was sie sonst trugen, befreit hatte. Die drei prächtigen, aus Bengalen stammenden Thiere ĂĽbertrafen an Größe weit die, welche im sĂĽdlichen Indien vorkommen. Als diese Riesen im kräftigsten Alter herankamen, bemächtigte sich meiner doch eine gewisse Unruhe.

Auf deren gewaltigen Rücken sitzende »Mahouts« leiteten sie mit den Händen und reizten sie durch Zurufe.

Als die Elephanten vor Seiner Hoheit vorüberschritten, blieb der größte derselben – ein wahrer Riese seines Geschlechtes – stehen, beugte beide Kniee, warf den Rüssel in die Höhe und begrüßte so den Prinzen als wohlerzogener Höfling. Dann führte man ihn und die beiden anderen näher an den Stahlriesen heran, den sie verwundert, und offenbar etwas erschreckt, zu betrachten schienen.

An dem Querriegel des Tendergestelles, das der hintere Theil unseres Elephanten verbarg, wurden nun starke Ketten befestigt.

Ich gestehe, daß mir das Herz da lauter pochte. Kapitän Hod kaute an seinem Schnurrbarte und konnte kaum am Platze aushalten.

Oberst Munro erschien ruhig, ich möchte sagen, noch ruhiger als Prinz Gourou Singh.

»Wir sind fertig, meldete der Ingenieur. Wenn es Eurer Hoheit gefällig ist …

– Mir ist’s recht!« antwortete der Prinz.

Gourou Singh gab ein Zeichen; die Mahouts ließen einen eigenthümlichen Pfiff ertönen und die drei Elephanten zogen, die mächtigen Beine gegen den Boden stemmend, gleichzeitig an. Die Maschine rollte einige Schritte rückwärts.

Mir entfuhr ein Schrei. Hod stampfte mit den FĂĽĂźen.

»Bremse die Räder!« befahl einfach der Ingenieur, indem er sich nach dem Maschinisten zurückwandte.

Ein schneller Handgriff, ein Brausen und Zischen ausströmenden Dampfes, und die atmosphärische Bremse that ihre Schuldigkeit.

Der Stahlriese stand und rĂĽhrte sich nicht vom Flecke.

Die Mahouts trieben ihre drei Elephanten hitziger an und diese versuchten eine neue Anstrengung.

Vergeblich! Unser Elephant schien im Boden festgewurzelt zu sein.

Prinz Gourou Singh biĂź sich in die Lippen.

»Vorwärts!« commandirte Banks.

Der Regulator wurde voll geöffnet; dichte Dampfwolken wirbelten stoßweise aus dem Rüssel empor; die freigelassenen Räder drehten sich langsam, in den Macadam eingreifend, und trotz ihres verzweifelten Widerstandes wurden die drei Elephanten rückwärts geschleppt, wobei sie tiefe Furchen in den Boden rissen.

» Go a head! Go a head!« rief der Kapitän.

Der Stahlriese marschirte unaufgehalten vorwärts, die drei gewaltigen Thiere fielen dabei auf die Seite und wurden zwanzig Fuß weit fortgeschleppt, ohne daß unser Elephant etwas davon zu bemerken schien.

»Hurrah! Hurrah! rief Kapitän Hod, der sich nicht mehr bemeistern konnte. Man könnte noch das ganze Seraï Seiner Hoheit hinter seine Elephanten anhängen; für unseren Stahlriesen wöge es doch nicht mehr als eine Heidelbeere!«

Oberst Munro gab mit der Hand ein Zeichen. Banks schloĂź das EinlaĂźventil und die Maschine stand.

Die drei Elephanten Seiner Hoheit, die mit den in der Luft schwankenden Rüsseln und den zappelnden Beinen fast riesigen, auf den Rücken liegenden Scarabäen (Rüsselkäfern) glichen, boten wirklich einen jämmerlichen Anblick.

Der Prinz hatte aus Aerger und Scham schon den Platz geräumt, ohne das Ende der Probe abzuwarten.

Die drei Elephanten wurden abgespannt. Sie erhoben sich, offenbar sehr gedemüthigt durch ihre Niederlage. Als sie an dem Stahlriesen vorüber kamen, konnte der größte derselben, obwohl ihn kein Cornac leitete, nicht umhin, vor diesem das Knie zu beugen und mit dem Rüssel zu salutiren, wie er das vor Prinz Gourou Singh zu thun gewohnt war.

Eine Viertelstunde später traf ein Hindu, der »Kâmdar« oder Secretär Seiner Hoheit bei uns ein und übergab dem Oberst einen Sack mit zehntausend Rupien, den Betrag der Wette.

Oberst Munro ergriff den Sack und warf ihn verächtlich von sich.

»Für die Leute Seiner Hoheit!« sagte er.

Darauf begab er sich ruhig nach dem Steam-House.

GewiĂź konnte man an dem arroganten Prinzen, der uns so wegwerfend herausgefordert hatte, kaum eine bessere Vergeltung ĂĽben.

Banks gab inzwischen, da der Stahlriese wieder vorgespannt worden war, das Zeichen zur Abfahrt, und unser Zug entfernte sich, inmitten einer großen Menge höchst erstaunter Hindus, mit großer Geschwindigkeit.

Wo er vorüber kam, ertönten laute Ausrufe, und bald hatten wir, hinter einer Biegung der Straße, den Seraï des Prinzen Gourou Singh aus dem Gesichte verloren.

Am nächsten Tag erstieg das Steam-House die ersten mäßigen Erhebungen, welche das ebene Land mit dem Fuße der Himalayagrenze verknüpfen. Für unseren Stahlriesen war das nur ein Spiel: die vierundzwanzig in seine Weichen eingeschlossenen Pferde hatten ja hingereicht, mit den drei Elephanten des Prinzen Gourou Singh siegreich zu wetteifern. Er trabte also mit Leichtigkeit über die allmälich ansteigende Straße dieser Gegend hin, ohne das es nöthig geworden wäre, die normale Dampfspannung zu überschreiten.

Es bot wirklich einen merkwürdigen Anblick, den funkenspeienden Koloß unter nicht etwa schnellerem, aber tieferem Schnaufen die beiden Wagen längs der Straße dahinschleppen zu sehen. Die gerieften Radkränze drückten Streifen in den Boden, dessen Macadam zerbröckelnd knirschte. Unser gar zu schweres Zugthier ließ nämlich tiefe Furchen hinter sich und beschädigte die schon von dem unaufhörlichen Regen erweichte Straße nicht wenig.

Jedenfalls gelangte das Steam-House dabei aber höher hinauf, das Panorama erweiterte sich, die Ebene hinter uns sank langsam tiefer und nach Süden zog sich der mehr und mehr umfassende Horizont schon bis über Sehweite zurück.

Diese Erscheinung wurde noch merkbarer, als wir einige Stunden lang unter den Bäumen eines dichten Waldes dahingezogen waren. Oeffnete sich dann eine weitere Lichtung, gleich einem ungeheuren Fenster, in der Richtung nach dem Gebirge, so hielt der Zug an – einen Augenblick nur, wenn gerade ein feuchter Nebel das Landschaftsbild verschleierte – einen halben Tag, wenn das großartige Panorama klar vor unseren Augen lag.

Dieses Emporklimmen dauerte, in Anbetracht der je nach Umständen längeren oder kürzeren Pausen und der Unterbrechungen durch das Halten während der Nacht, nicht weniger als sieben Tage, von 19. bis 25. Juni.

»Bei einiger Geduld, ließ sich Kapitän Hod vernehmen, gelangten wir mit unserem Zug bis nach den höchsten Spitzen des Himalaya!

– Trauen Sie ihm nicht zuviel zu, lieber Kapitän, entgegnete der Ingenieur.

– Er vollbrächte es doch, Banks!

– Ja, Hod, aber nur unter der Bedingung, daß ihm nicht eine fahrbare Straße mangelte, daß er genügend Feuerungsmaterial, welches in den Höhen nicht mehr zu finden ist, und athembare Luft mit sich führen könnte, die in der Höhe von zweitausend Toisen allmälich ausgeht. Wir wollen ja aber auch nur die bewohnbare Zone des Himalaya passiren. Hat der Stahlriese die mittlere Höhe der Sanatorien erklommen, so macht er an einem reizenden Plätzchen, am Rande eines Gebirgswaldes Halt, wo wir die frischere Luft der höheren Regionen genießen. Dann hat Oberst Munro seinen Bungalow aus Calcutta nach den Bergen von Nepal verlegt – das ist der ganze Zweck – und wir verweilen daselbst, so lange es ihm beliebt!«

Die Stelle, an der wir endlich für mehrere Monate rasten sollten, wurde im Laufe des 25. glücklich gefunden. Schon während der letzten vierundzwanzig Stunden bot die Straße mehr und mehr Schwierigkeiten, indem sie entweder nicht mehr so gut angelegt, oder durch die Regenzeit ausgewaschen und holprig geworden war. Der Stahlriese hätte hier wohl ein Schleppseil gebrauchen können, doch entging er dem durch einen etwas erhöhten Verbrauch an Brennmaterial. Kâlouth warf nur einige Scheit Holz mehr unter den Kessel, das genügte, die Spannung der Dämpfe zu steigern. Dennoch ward es nicht nöthig, die Sicherheitsventile zu belasten, welche erst bei einem Drucke von sieben Atmosphären abbliesen, und diese Spannung wurde niemals überschritten.

Seit achtundvierzig Stunden schon bewegte sich unser Zug durch nahezu verlassene Gebiete. Flecken und Dörfer gab es hier nicht mehr, höchstens einzelne Ansiedlungen und dann und wann eine in den ausgedehnten Fichtenwäldern des mittleren Gebirgskammes verlorene Farm. Drei- bis viermal begrüßten uns wenige Bergbewohner durch ihre verwunderten Zurufe. Wenn sie diesen eigentümlichen Zug sich bergauf bewegen sahen, mußten sie nicht auf den Gedanken kommen, Brahma selbst mache sich das Vergnügen, eine große Pagode nach den unnahbaren Höhen der Grenze von Nepal zu versetzen?

Am 25. Juni endlich rief Banks zum letzten Male Halt! – am Schlusse des ersten Theiles unserer Reise durch das nördliche Indien! Der Zug stand inmitten einer ausgedehnten Waldblöße, nahe einem Gebirgsbache, dessen klares Wasser allen Bedarf während eines Aufenthaltes von mehreren Monaten decken mußte. Von hier aus erblickten wir die Ebene hinter uns auf eine Strecke von fünfzig bis sechzig Meilen.

Das Steam-House befand sich jetzt dreihundertfünfundzwanzig Meilen von seinem Abfahrtspunkte entfernt, und etwa zweitausend Meter über dem Meere und am Fuße des Dhawalagiri, dessen Gipfel sich in der Höhe von 25.000 Fuß in der Luft verlor.

FĂĽnfzehntes Capitel.


FĂĽnfzehntes Capitel.

Der Pal von Tandit.

Wir verlassen nun einstweilen den Oberst Munro und seine Gefährten, den Ingenieur Banks, Kapitän Hod und den Franzosen Maucler, und unterbrechen für einige Seiten den Bericht über die Reise, deren ersten Theil, der Zug von Calcutta bis zur indochinesischen Grenze, am Fuße der Bergkette von Thibet schließt.

Der Leser erinnert sich des Zwischenfalles, der sich damals zutrug, als das Steam-House bei Allahabad lag. Das Journal dieser Stadt meldete dem Oberst Munro, in der Nummer vom 25. Mai, den Tod Nana Sahib’s. Sollte sich diese so oft verbreitete und eben so oft widerrufene Nachricht diesmal bestätigen? Konnte Sir Edward Munro nach den eingehenden Details derselben noch immer zweifeln, oder muĂźte er nicht vielmehr darauf verzichten, an den Empörer von 1857 Gerechtigkeit zu ĂĽben?

Das Weitere wird über diese Fragen Aufklärung geben.

Wir erzählen hier, was sich seit jener Nacht vom 7. zum 8. März ereignete, als Nana Sahib in Begleitung seines Bruders Balao Rao und seiner getreuesten Waffengefährten, nebst dem Hindu Kâlagani die Höhlenstadt von Adjuntah verließ.

Sechzig Stunden später erreichte der Nabab die Schluchten der Sautpourraberge, nachdem er die Tapi überschritten, die an der Westküste der Halbinsel, nahe bei Surate mündet. Er befand sich jetzt hundert Meilen von Adjuntah, in einem nur dünn bevölkerten Theile der Provinz, was ihm für den Augenblick wenigstens einige Sicherheit gewährleistete.

Der Ort war in der That gut gewählt.

Die nur mittelhohen Sautpourraberge beherrschen das Thal der Nerbudda, dessen Nordgrenze von den Vindhyabergen gekrönt wird. Diese beiden fast parallel verlaufenden Gebirgsketten verzweigen sich vielfach und bilden in dem unebenen Lande schwer zugängliche Schlupfwinkel. Wenn die Vindhyas aber, etwa unter dem 23. Breitengrade, fast ganz Indien von Westen nach Osten durchschneiden und dadurch eine der großen Seiten des Dreiecks von Central-Indien bilden, so erstrecken sich die Soutpourraberge dagegen nicht über den 75. Längengrad hinaus und schließen sich da an den Berg Kaligong an.

Hier verweilte Nana Sahib nun in dem Lande der Gounds, jener gefürchteten Stämme alt angesessener, kaum unterjochter Völkerschaften, die er zum Aufstande verleiten wollte.

Das Gebiet von Goudwana umfaßt ein Viereck von zweihundert Meilen Seite, mit über drei Millionen Einwohnern, welche Rousselet als Landeingeborne betrachtet und unter denen die Keime der Empörung niemals absterben.

Es bildet jenes Gebiet einen beträchtlichen Theil von Hindostan und steht in der That nur dem Namen nach unter Englands Herrschaft. Die Eisenbahn von Bombay nach Allahabad durchschneidet zwar diese Gegend von Südwesten nach Nordosten und entsendet auch einen Zweig nach Nagpore, dem Mittelpunkt der Provinz, das eigentliche Volk beharrt aber in seinem halbwilden Zustand, verschließt sich jeder Civilisation, trägt das Joch der Europäer nur mit Groll, und dazu ist ihm in seinen Bergen nur schwer beizukommen, was Nana Sahib recht wohl wußte.

Hier wollte er zunächst Zuflucht suchen, um den Nachforschungen der englischen Polizei zu entgehen, bis die Stunde schlagen würde, wo er wieder die Fackel der Empörung schwingen konnte.

Gelang dem Nabab dieses sein Vorhaben, gehorchten die Gounds seinem Rufe und marschirten sie an seiner Seite, so konnte der Aufstand schnell einen bedeutenden Umfang gewinnen.

Im Norden von Goudwana nämlich liegt Bundelkund, welches das ganze Berggebiet zwischen dem oberen Plateau der Vindhyas und dem mächtigen Wasserlaufe der Jumna einschließt. In diesem, mit den schönsten Urwäldern Hindostans bedeckten Lande leben die Boundelas, ein hinterlistiges, grausames Volk, bei dem alle Verbrecher, politische und andere, mit Vorliebe Zuflucht suchen und finden; hier drängt sich eine Bevölkerung von zweiundeinhalb Millionen auf einer Fläche von achtundzwanzigtausend Quadratkilometern zusammen, unter der noch völlige Wildheit herrscht; hier leben noch alte Parteigänger, welche unter Tippo Sahib gegen die Eindringlinge kämpften; von hier stammen die berühmten Würger, die Thugs, lange Zeit der Schrecken Indiens und fanatische Mörder, welche ohne einen Tropfen Blut zu vergießen, doch unzählige Opfer hinschlachteten; ebenso wie die Banden der Pinderris fast ungestraft die scheußlichsten Mordthaten begingen; hier schweifen noch die entsetzlichen Dacoits umher, eine Gesellschaft von Giftmischern, welche gern den Fußspuren der Thugs nachzogen; hierher endlich hatte auch Nana Sahib schon früher sich geflüchtet, als er den königlichen Truppen nach der Einnahme von Jansie entwischte; hier vereitelte er damals alle Nachforschungen, bis er ein noch sichereres Asyl in den unzugänglichen Schluchten der indo-chinesischen Grenze aufsuchte.

Im Osten von Goudwana liegt Khondistan, oder das Land der Khounds. So nennen sich die wilden Anhänger Tado Pennoe’s, des Gottes der Erde, und Mannek Soro’s, des rothen Gottes der Kämpfe, jene blutigen Adepten der »Meriahs« oder Menschenopfer, welche die Engländer nur mit größter Anstrengung auszurotten vermögen, jene Wilden, welche mit den barbarischesten Bewohnern der polynesischen Inseln auf ganz gleicher Stufe stehen, und gegen die der Ober-General John Campbell und die Kapitäne Macpherson, Marviccar und Feye von 1840 bis 1854 beschwerliche und langwierige FeldzĂĽge fĂĽhrten, – Fanatiker, welche bereit sind, Alles zu wagen, wenn sie nur eine mächtige Hand unter einem religiösen Vorwand antreibt. Westlich von Goudwana befindet sich ein Land mit einundeinhalb bis zwei Millionen Seelen, das die BhĂ®les bewohnen, ehemals die Herren von Malwa und Rajpoutana; jetzt sind dieselben in einzelne Clans zerfallen, ĂĽber das ganze Gebiet der Vindhyas zerstreut, und fast stets berauscht von dem Branntwein, den ihnen der »Mhowah-Baum« liefert, aber von kĂĽhnem entschlossenen Charakter, gewandt, und immer des »Kisri«, d. i. des Rufes zum Kampf und zur PlĂĽnderung gewärtig.

Man sieht, daß Nana Sahib eine gute Wahl getroffen hatte. In diesen Centralgebieten der Halbinsel hoffte er jetzt, anstatt eines gewöhnlichen Militäraufstandes, eine nationale Erhebung zu erregen, an der sich die Hindus jeder Kaste betheiligen sollten.

Bevor er jedoch etwas unternehmen konnte, mußte er in dem Lande selbst Aufenthalt nehmen, um auf die Bevölkerung je nach Lage der Umstände erfolgreich wirken zu können. Er brauchte einen sicheren Schlupfwinkel, wenigstens für die erste Zeit, den er aufgeben konnte, wenn sich ein Verdacht erhob.

Das war also Nana Sahib’s erste Sorge. Die Hindus, welche ihm von Adjuntah aus gefolgt waren, konnten in der ganzen Präsidentschaft frei umhergehen. Auch Balao Rao, auf den die Bekanntmachung des Gouverneurs nicht zu beziehen war, hätte der vollständigen Freiheit genieĂźen können, wäre nur nicht die Aehnlichkeit mit seinem Bruder gewesen. Seit seiner Flucht von Nepal hatte sich die öffentliche Aufmerksamkeit nicht mit seiner Person beschäftigt, vielmehr hatte man alle Ursache, ihn fĂĽr todt zu halten. Er wäre aber doch verhaftet worden, da man ihn zu leicht fĂĽr Nana Sahib selbst ansehen konnte; das muĂźte um jeden Preis vermieden werden.

Die beiden, in einem Gedanken vereinigten und auf ein und dasselbe Ziel lossteuernden Brüder brauchten demnach auch ein gemeinsames Asyl. Es konnte nicht schwer fallen und nicht lange dauern, ein solches in den Enggässen der Sautpourraberge aufzufinden.

Gleich anfangs wies einer der Hindus der Truppe, ein Gound, der das Thal in allen Winkeln kannte, auf eine geeignete Stelle hin.

Am rechten Ufer eines kleinen Nebenflusses der Nerbudda befand sich ein verlassener Pal, der Pal von Tandit.

Ein Pal ist weniger als ein Dorf, kaum ein Weiler, eine Vereinigung von Hütten, oft eine isolirte Wohnung. Jede Nomadenfamilie, die einen solchen bewohnt, verweilt hier nur eine Zeit lang. Nach dem Abbrennen einiger Bäume, deren Asche für kurze Zeit den Boden düngt, erbaut der Gound für sich und die Seinigen die Wohnung. Da das Land aber nichts weniger als sicher ist, so nimmt das Haus das Ansehen einer kleinen Befestigung an. Ein Ring von Palissaden umschließt dasselbe und sichert es gegen einen Ueberfall. Uebrigens ist es an und für sich schwierig, dasselbe, wie es meist im Dickicht versteckt, unter üppigen Cactus und Buschwerk vergraben liegt, aufzufinden. Gewöhnlich nimmt der Pal den Gipfel eines kleinen Hügels ein, der im Grunde eines engen Thales inmitten undurchdringlichen Gebüsches zwischen zwei Bergwänden gelegen ist. Nichts verräth, daß Menschen hier je ein Unterkommen gesucht hätten. Dahinführende Straßen giebt es nicht, selbst von Fußwegen entdeckt man keine Spur. Um den Platz zu erreichen, muß man gewöhnlich dem tiefen Bett eines Bergstromes folgen, dessen Wasser jede Fußspur verwischt. Wer diesen Weg benutzte, hinterläßt kein Zeichen davon. Während der heißen Jahreszeit geht man bis an die Knöchel, während der kalten bis zum Knie im Wasser, und nichts deutet daraus hin, daß hier ein lebendes Wesen vorübergekommen sei. Dazu würde eine Lawine von Felsstücken, zu deren Ablösung schon die Hand eines Kindes hinreichte, Jeden zermalmen, der gegen den Willen der Bewohner des Pals hinaufzudringen versuchte.

So isolirt die Gounds auch in ihren Bergnestern sitzen, so können sie einander doch leicht genug von Pal zu Pal mittheilen. Von den Höhen der ungleichen Kämme der Sautpourraberge ließen sich die gewohnten Signale binnen wenigen Minuten über eine Strecke von zwanzig Meilen durch das Land verbreiten. Man pflegt dann auf den Gipfel eines spitzen Felsens Feuer anzuzünden, gebraucht wohl gleich einen Baum als Riesenfackel oder läßt von einem Berge nur eine Rauchsäule aufsteigen. Die Bedeutung dieser Zeichen kennt Jedermann. Der Feind, d. h. eine Abtheilung königlicher Soldaten, ein Schwarm Agenten der englischen Polizei ist in das Thal eingedrungen, folgt dem Laufe der Nerbudda, durchsucht die Schluchten der Bergketten, vielleicht auf der Fährte eines Uebelthäters, dem das Land gern Schutz bietet. Der dem Ohre der Bergbewohner so gewohnte Kriegsruf verwandelt sich in ein Alarmzeichen. Ein Fremder würde ihn mit dem Heulen der Nachtvögel oder dem Pfeifen von Reptilien verwechseln. Der Gound kann sich dabei nicht täuschen; er ist auf der Hut, wenn das genügt, er flieht, wenn er fliehen muß. Die verdächtigen Pals stehen verlassen, oder werden selbst abgebrannt. Die Nomaden verkriechen sich in andere Verstecke, wenn man ihnen zu nahe auf den Fersen ist, und an den mit Asche bedeckten Wohnplätzen finden die Agenten der Behörden nichts als Ruinen.

In einem dieser Pals – dem Pal von Tandit – hatten Nana Sahib und die Seinigen ihr Unterkommen gewählt. Der, der Person des Nabab mit Leib und Seele ergebene Gound hatte sie hierher geführt, wo sie sich am 12. März dann häuslich einrichteten.

Sobald die beiden Brüder von dem Pal von Tandit Besitz genommen, war es ihre erste Sorge, die Umgebungen in Augenschein zu nehmen. Sie überzeugten sich, nach welcher Richtung und wie weit ihnen die Aussicht offen stand; erkundigten sich nach den nächstgelegenen Wohnungen und nach den Leuten, welche jene inne hatten. Sie durchforschten sorgfältig die Lage des isolirten Hügels, den der Pal von Tandit krönte, streiften durch das dichte Gebüsch ringsum und überzeugten sich schließlich, daß Niemand dahin gelangen könne, außer indem er dem Bette eines Sturzbaches, des Wazzur, nachging, in dem sie selbst heraufgekommen waren.

Der Pal von Tandit bot also nach allen Seiten die gewünschte Sicherheit, vorzüglich weil er auf einem Untergrund stand, dessen geheime Ausgänge sich an der Seite eines Nebenberges öffneten und im schlimmsten Falle noch ein Entfliehen ermöglichten.

Nana Sahib und sein Bruder hätten ein besseres Versteck nicht finden können.

Balao Rao genügte es aber nicht, zu wissen, daß das der Pal von Tandit sei, er wollte auch von seiner Vergangenheit etwas hören, und fragte deshalb, während der Nabab das Innere der kleinen Festung besichtigte, den Gound weiter aus.

»Noch einige Fragen, begann er zu diesem. Seit wann steht der Pal verlassen?

– Seit einem Jahre, antwortete der Gound.

– Wer bewohnte ihn früher?

– Eine Nomadenfamilie, welche sich nur wenige Monate hier aufhielt.

– Warum haben die Leute ihn verlassen?

– Weil der Boden, der sie ernähren sollte, ihren Bedarf nicht lieferte.

– Und seit ihrem Abzug hat Deines Wissens Niemand hier Zuflucht gesucht?

– Niemand.

– In den Bereich des Pals hat noch kein Soldat der königlichen Armee, kein Polizeispion den Fuß gesetzt?

– Niemals.

– Kein Fremder hat ihn besucht?

– Keiner … erwiderte der Gound, höchstens eine Frau.

– Eine Frau? wiederholte lebhaft Balao Rao.

– Ja, eine Frau, die seit drei Jahren schon im Nerbuddathale umherirrt.

– Wer ist diese Frau?

– Wer sie ist, weiß ich nicht, erklärte der Gound, kann auch nicht sagen, woher sie kommt, und kein Mensch im Thale weiß überhaupt Näheres von ihr. Man hat nie erfahren können, ob sie eine Fremde, oder ein Hinduweib ist!«

Balao Rao sann einen Augenblick nach; dann fuhr er fort:

»Was beginnt das Weib?

– Sie kommt und geht, erwiderte der Gound; sie lebt nur allein von Almosen. Man bringt ihr im ganzen Thale eine Art abergläubischer Verehrung entgegen. In meinem eigenen Pal habe ich sie wiederholt aufgenommen. Sie spricht niemals. Man könnte sie für stumm halten, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn sie das wirklich wäre. Während der Nacht sieht man sie mit einem brennenden harzigen Zweige umherirren. Deshalb nennt man sie allgemein nur »die wandelnde Flamme!«

– Doch, wenn diese Frau den Pal von Tandit kennt, sagte Balao Rao, sollte sie nicht vielleicht während unserer Anwesenheit zurückkehren und haben wir nichts von ihr zu fürchten?

– Ganz und gar nichts, versicherte der Gound, die Person hat den Verstand verloren. Ihr Kopf gehört ihr nicht mehr, die Augen verstehen nicht, was sie sehen, die Ohren nicht, was sie hören! Sie ist für alle Dinge der Außenwelt so gut wie blind, taub und stumm. Sie ist eine Närrin, und eine Geisteskranke ist eine Todte, die nur noch fortathmet!«

In der gewöhnlichen Sprache der Hindus der Gebirge hatte der Gound das Bild der eigenthümlichen Persönlichkeit entworfen, die im ganzen Thale bekannt war, das der »wandelnden Flamme« der Nerbudda.

Es war eine Frau, deren blasses, noch schönes Gesicht alt und wiederum nicht alt aussah, das aber jedes Ausdrucks entbehrte und weder Abstammung noch Alter erkennen ließ. Man hätte sagen können, ihre unsteten Augen hätten sich vor dem Anblick einer Schreckensscene, die ihr noch immer vorschwebte, für das Leben des Geistes verschlossen.

Dieser harmlosen und des Verstandes beraubten Creatur kamen die Bergbewohner stets freundlich entgegen. Geisteskranke gelten bei den Gounds, sowie überhaupt bei wilden Völkern, als geweihte Wesen, denen man mit abergläubischer Ehrfurcht begegnet. Ueberall, wo sie sich zeigte, nahm man die wandelnde Flamme gastfreundlich auf. Kein Pal schloß vor ihr seine Pforte. Man speiste sie, wenn sie hungerte, bot ihr ein Lager, wenn sie müde war, ohne von ihr einen Dank zu erwarten, den ihr Mund ja nicht auszusprechen vermochte.

Wie lange führte sie schon dieses Leben? Woher kam das Weib? Wann erschien sie zuerst in Goudwana? Solche Fragen wären schwer zu beantworten gewesen. Warum durchirrte sie die Nächte mit einer Fackel in der Hand? Wollte sie sich dadurch nur leuchten? Dachte sie die Raubthiere damit abzuwehren? Niemand hätte das sagen können. Manchmal blieb sie ganze Monate lang aus. Was wurde dann aus ihr? Vertauschte sie die Engpässe der Sautpourraberge mit den Schluchten der Vindhyas? Streifte sie jenseits der Nerbudda, in Malwa oder Bundelkund umher? Keiner wußte es. Oefter, wenn ihre Abwesenheit länger dauerte, hätte man glauben können, dieses traurige Leben habe ein Ende gefunden. Doch nein! Sie kam immer wieder, wie früher, ohne daß Anstrengung, Krankheit oder Entbehrungen ihren scheinbar so gebrechlichen Körper zerstören zu können schienen.

Balao Rao hatte dem Hindu mit größter Aufmerksamkeit zugehört. Er legte sich die Frage vor, ob in dem Umstand, daß die wandelnde Flamme den Pal von Tandit kannte, daß sie daselbst schon Zuflucht gesucht und vielleicht auch wiederkehren könnte, eine Gefahr zu erblicken sei.

Er fragte also Gound, ob er oder die Seinigen wĂĽĂźten, wo sich die Wahnsinnige jetzt aufhielt.

»Ich weiĂź es nicht, erwiderte der Gound. Sechs Monate lang hat sie Niemand im Thale gesehen. Vielleicht ist sie nun doch todt. Doch wenn sie wirklich zu dem Pal von Tandit zurĂĽckkehrte, wäre von ihrer Anwesenheit nicht das Mindeste zu fĂĽrchten. Sie ist nur eine lebende Statue. Sie wĂĽrde Euch nicht sehen, nicht hören, nicht wissen, wer Ihr seid. Sie träte eben ein, setzte sich an Euren Herd, ruhte einen oder zwei Tage, dann wĂĽrde sie einfach ihre Fackel wieder entzĂĽnden, den Pal verlassen und auf’s Neue von Haus zu Haus umherschweifen. So vergeht ihr ganzes Leben. Uebrigens bleibt sie diesesmal so lange aus, daĂź sie wahrscheinlich niemals wieder kommt. Sie, die schon geistig todt war, wird es nun auch leiblich sein!«

Balao Rao hielt es hiernach nicht fĂĽr nothwendig, mit Nana Sahib ĂĽber die Sache zu sprechen, und schenkte ihr auch selbst bald keine besondere Aufmerksamkeit mehr.

Einen Monat nach ihrem Einzug in den Pal von Tandit hatte man von der RĂĽckkehr der wandelnden Flamme im Nerbuddathale noch nicht das Geringste wieder vernommen.

Sechzehntes Capitel.


Sechzehntes Capitel.

Die wandelnde Flamme.

Einen Monat lang, vom 12. März bis 12. April, hielt Nana Sahib sich in dem Pal verborgen. Er wollte den englischen Behörden Zeit lassen, bis sie entweder jede weitere Nachforschung aufgegeben, oder sich auf falsche Fährten verirrt hätten.

Wenn die beiden Brüder am Tage niemals ausgingen, so durchstreiften dafür ihre Getreuen das Thal, besuchten die Dörfer und Weiler desselben, verkündigten durch verhüllte Anspielungen die bevorstehende Erscheinung eines »gewaltigen Moulti«, eines halben Gottes und halben Menschen, und suchten auf diese Weise die Geister zu einer nationalen Erhebung vorzubereiten.

Mit Anbruch der Nacht wagten sich auch Nana Sahib und Balao Rao aus ihrem Versteck hervor. Sie schweiften dann bis zu den Ufern der Nerbudda hinaus, gingen von Dorf zu Dorf, von Pal zu Pal, in Erwartung der Stunde, wo sie auch im Gebiete der den Engländern lehnspflichtigen Rajahs mit einiger Sicherheit auftreten könnten. Nana Sahib wußte übrigens, daß einige halbunabhängige und des fremden Joches müde Fürsten seinem Rufe auf der Stelle folgen würden. Für jetzt galt seine Thätigkeit jedoch nur den wilden Volksstämmen von Goudwana.

Die barbarischen Bhîls, die nomadisirenden Kounds und die Gounds – ein ebenso wenig wie die eingebornen Inselbewohner im großen Ocean civilisirter Stamm – fand Nana bereit, sich zu erheben, erbötig, ihm zu folgen. Gab er sich aus Klugheit auch nur zwei oder drei mächtigen Stammeshäuptlingen zu erkennen, so genügte ihm das doch, sich zu überzeugen, daß sein Name allein mehrere Millionen der auf den inneren Hochebenen Hindostans zerstreut lebenden Hindus heranziehen werde.

Nach der Rückkunft in den Pal von Tandit berichteten die beiden Brüder dann einander, was sie gehört, gesehen und ausgerichtet hatten. Auch ihre Leute sammelten sich um sie und brachten von überall her die Kunde, daß der Geist der Empörung schon wie ein Sturmwind durch das Nerbuddathal wehe. Die Gounds warteten nur darauf, den »Kisri«, den Kriegsruf der Bergbewohner, erschallen zu lassen und sich auf die Militär-Niederlassungen der Präsidentschaft zu stürzen.

Noch war der rechte Zeitpunkt nicht gekommen.

Offenbar genügte es noch nicht, das Gebiet zwischen der Sautpourrabergen und den Vindhyas in Flammen zu setzen. Die Fackel des Aufstandes mußte sich vielmehr von Ort zu Ort weiter verbreiten. Daraus ergab sich die Nothwendigkeit, auch in den, der Botmäßigkeit der Engländer mehr untergebenen Nachbarprovinzen der Nerbudda Brennmaterial aufzuhäufen. Alle jene Städte und Flecken von Rhopal, Malwa und Bundelkund, sowie das ganze Königreich Scindia sollten einen einzigen, entzündungsfertigen Herd bilden. Mit gutem Grunde ließ es Nana Sahib aber seine eigene Sorge sein, die alten Parteigänger aus der Erhebung von 1857 aufzusuchen, die Eingebornen, welche, treu seiner Sache und niemals an seinen Tod glaubend, von Tag zu Tag darauf harrten, ihn wieder auftreten zu sehen.

Einen Monat nach seiner Ankunft im Pal von Tandit glaubte Nana Sahib mit voller Sicherheit vorgehen zu können. Er meinte, die Kunde von seinem Wiedererscheinen in der Provinz werde nun fĂĽr falsch gehalten werden. Vertraute SpieĂźgesellen unterrichteten ihn von allen MaĂźregeln, die der Gouverneur der Präsidentschaft Bombay zu seiner Gefangennehmung getroffen hatte. Er wuĂźte recht gut, daĂź die Behörden während der ersten Tage, freilich vergebens, eifrig thätig gewesen waren. Jener Fischer von Aurungabad, der frĂĽhere Gefangene Nana’s, war unter seinem Dolche gefallen, und Niemand hatte Verdacht geschöpft, daĂź der fliehende Fakir mit dem Nabab Dandou Pant, auf dessen Kopf ein Preis gesetzt war, identisch sei. Eine Woche später legte sich die anfängliche Aufregung, die Bewerber um den Preis von 2000 Pfund gaben alle Hoffnung auf, und Nana Sahib’s Name versank wieder in Vergessenheit.

Der Nabab konnte also wieder persönlich thätig sein und ohne Furcht, erkannt zu werden, seine Aufwiegeleien fortsetzen. Bald in der Kleidung eines Parsi, bald in der eines schlichten Raïot (Bauern), heute allein, morgen in Begleitung seines Bruders, zog er nun von dem Pal von Tandit aus, wandte sich nach Norden, nach der anderen Seite der Nerbudda, und selbst bis über den Westabhang der Vindhyas hinab.

Ein Spion, der ihm auf allen Schlichen und Wegen gefolgt wäre, hätte jenen am 12. April in Indore getroffen.

Von dieser Hauptstadt des Königreiches Holcar aus setzte sich Nana Sahib, unter Einhaltung des strengsten Incognitos, mit der zahlreichen, meist der Cultur von Mohnfeldern obliegenden Landbevölkerung in Verbindung. Diese bestand aus thatenlustigen und fanatischen Rihillas, Mekranis und Valayalis, meist fahnenflüchtige Sipahis aus den Natifs-Regimentern, die sich unter der Verkleidung als Hindubauern verbargen.

Dann ging Nana Sahib über die Betwa, einen Nebenfluß der Jumna, die an der Westgrenze Bundelkunds nach Norden zu verläuft, und kam am 19. April, durch ein herrliches Thal mit zahllosen Dattel- und Mangobäumen, in Souari an.

Hier befinden sich merkwĂĽrdige Baudenkmäler von sehr hohem Alter, nämlich die sogenannten »TĂ´pes«, eine Art Grabmäler mit halbkugeligem Kuppeldache, welche im Norden des Thales die Hauptgruppe von Saldhara bilden. Aus den Grabstätten, diesen Wohnungen der Todten, deren, dem buddhistischen Ritus geweihte Altäre unter steinernen Schirmen geschĂĽtzt stehen, quollen, auf Nana Sahib’s Ruf, Hunderte von FlĂĽchtlingen hervor. Vergraben unter diesen Ruinen, um den schrecklichen Repressalien der Engländer zu entgehen, genĂĽgte ein Wort, ihnen klar zu machen, was der Nabab von ihnen verlangte, eine Andeutung zur rechten Zeit muĂźte hinreichen, sie in Menge auf die Eroberer zu hetzen. Am 24. April weilte Nana in BhĂ®lsa, der Hauptstadt eines mächtigen Bezirks von Malwa, und versammelte in den Ruinen der alten Stadt die Elemente zur Empörung, welche ihm die neue nicht geliefert hätte.

Am 27. April erreichte der Nabab Rayguoh, nahe der Grenze des Königreichs Pannah, und am 30. die Reste der alten Stadt Sangoe, nicht weit von der Stelle, wo General Sir Hugh Rose den Aufständischen eine sehr blutige Schlacht lieferte, die ihm mit dem Engpaß von Maudampore den Schlüssel zu den Schluchten der Vindhyas in die Hände lieferte.

Hier schloĂź sich dem Nabab sein Bruder wieder an, der in Begleitung Kâlagani’s nachgekommen war, und Beide gaben sich den Häuptlingen der hervorragendsten Stämme zu erkennen. In den mit diesen eröffneten Verhandlungen wurden die GrundzĂĽge einer allgemeinen Erhebung besprochen und festgestellt. Während Nana Sahib und Balao Rao im SĂĽden operirten, sollten ihre Bundesgenossen auf dem nördlichen Abhang der Vindhyas das Commando fĂĽhren.

Bevor sie nach dem Nerbuddathale zurückkehrten, wollten die beiden Brüder noch das Königreich Pannah besuchen. Sie begaben sich dahin längs der Keyne, unter dem Dache riesiger Teks, gewaltiger Bambus und unter dem Schutze unzähliger Schlingpflanzen, welche bestimmt scheinen, ganz Indien zu überwuchern. Hier gewannen sie zahlreiche, wilde Anhänger unter dem armseligen Personal, das für den dortigen Rajah die Diamantengruben der Umgegend ausbeutet. »Dieser Rajah, sagt Rousselet, zog, da er einsah, zu welcher Rolle die Herrschaft der Engländer ihn verurtheilte, die eines reichen Grundbesitzers der Rolle eines Schattenfürsten vor. Ein reicher Grundbesitzer war er in der That! Die ihm gehörende Diamantenregion erstreckte sich im Norden von Pannah in einer Länge von dreißig Kilometern hin, und die Bearbeitung seiner Gruben, deren Edelsteine in Benares und Allahabad zu den gesuchtesten zählen, beschäftigte eine große Menge Hindus. Unter diesen Unglücklichen, welche die härtesten Arbeiten auszuführen hatten und die der Rajah einfach köpfen ließ, wenn sich die Ausbeute an Diamanten verminderte, mußte Nana Sahib Tausende von Parteigängern finden, welche entschlossen waren, für die Unabhängigkeit ihres Vaterlandes zu kämpfen und zu sterben – und er fand sie.

Von hier aus begaben sich die zwei Brüder endlich nach der Nerbudda hinab, um sich vorläufig wieder im Pal von Tandit zu verbergen. Bevor der Aufstand nämlich im Süden, gleichzeitig mit dem im Norden losbrechen sollte, gedachten sie erst noch Bhopal aufzuwiegeln. Das ist eine große muselmanische Stadt, die stets der Hauptsitz des Islam in Indien geblieben ist, und deren Begum sich den Engländern während des ganzen großen Aufstandes treu ergeben erwiesen hatte.

In Begleitung von etwa zwölf Gounds kamen Nana Sahib und Balao Rao am 24. Mai in Bhopal, am letzten Tage der Moharum-Feste an, mit denen die Muselmanen Neujahr feiern. Beide trugen die Costüme der »Joguis«, einer unheimlichen Bettlersecte, welche lange Dolche mit abgerundeten Klingen bei sich führen, mit denen sie sich in Verzückung schlagen, ohne sich dabei besonders zu verletzen.

Unkenntlich in dieser Kleidung, folgten die beiden Brüder einer Procession durch die Straßen der Stadt, inmitten zahlreicher Elephanten, die auf dem Rücken sogenannte »Tadzias«, das heißt kleine Tempel von zwanzig Fuß Höhe, trugen; sie mischten sich dabei unter die Muselmanen mit reichen goldgestickten Ueberröcken und hohen Musselin-Mützen, und befanden sich dann wieder unter den Musikern des Zuges oder unter Soldaten, Bajaderen, jungen Leuten in weiblicher Tracht – eine bunte Menge, welche der ganzen Ceremonie einen mehr carnevalistischen Anstrich verlieh. Mit den Hindus aller Classen, unter denen sie viel Getreue zählten, hatten sie dabei unmerkbare, aber den Aufständischen vom Jahre 1857 verständliche Zeichen tauschen können.

Später Abends begab sich die ganze Volksmasse nach dem See, der dicht vor der östlichen Vorstadt liegt.

Unter betäubendem Geschrei, dem Knattern von Feuerwaffen und dem Krachen von Petarden, so wie beim Schein Tausender von Fackeln stürzten die Gläubigen die Tadzias in die Fluthen des Sees. Die Moharum-Feste fanden damit ihren Abschluß.

Da fĂĽhlte Nana Sahib, wie sich eine Hand auf seine Schulter legte. Er drehte sich um. Ein Bengali stand neben ihm.

Nana Sahib erkannte in dem Hindu einen seiner alten Waffengefährten von Laknau. Er blickte den Mann fragend an.

Der Bengali theilte ihm flüsternd das Folgende mit, was Nana Sahib anhörte, ohne seine Erregung auch nur durch eine Miene zu verrathen.

»Der Oberst Munro hat Calcutta verlassen.

– Und wo ist er?

– Er war gestern in Benares.

– Wohin geht er?

– Nach der Grenze von Nepal.

– In welcher Absicht?

– Einige Monate daselbst zu verweilen.

– Und nachher…?

– Nach Bombay zurückzukehren.«

Jetzt erschallte ein leiser Pfiff. Ein Hindu glitt durch die Menge und näherte sich Nana Sahib.

Das war Kâlagani.

»Mach‘ Dich sofort auf den Weg, befahl diesem der Nabab. Suche Munro auf, der jetzt nach Norden zu unterwegs ist. SchlieĂź‘ Dich ihm an. Erweise ihm irgend welche Dienste und setze schlimmsten Falles das Leben auf’s Spiel, aber weiche nicht von seiner Seite, bevor er jenseits der Vindhyas nach dem Nerbuddathale hinabgezogen ist. Dann, aber erst dann, gieb mir von seinem Aufenthalte Nachricht!«

Kâlagani antwortete nur durch ein bestätigendes Zeichen und verschwand wieder unter der Menge. Ein Wink des Nabab galt ihm als Befehl. Zehn Minuten später hatte er Bhopal schon im Rücken.

Jetzt trat Balao Rao an seinen Bruder heran.

»Es ist Zeit, daß wir aufbrechen.

– Ja wohl, erwiderte Nana Sahib, wir müssen vor Tagesanbruch wieder im Pal von Tandit sein.

– Auf den Weg also!«

Beide folgten nun in Begleitung ihrer Gounds dem nördlichen Ufer des Sees bis zu einer verlassenen Farm. Hier erwarteten sie und ihre Escorte die nöthigen Pferde. Diese gehörten zu der flüchtigen Race, denen man ein sehr gewürzreiches Futter verabreicht und welche fünfzig Meilen in einer Nacht zurücklegen können. Um acht Uhr galoppirten sie auf der Straße von Bhopal nach den Vindhyas hin.

Nur aus Vorsicht wollte der Nabab vor Tage im Pal von Tandit eintreffen, da es jedenfalls gerathener erschien, unbemerkt in das Thal zurĂĽckzukehren.

Die kleine Truppe flog also dahin, was die Pferde laufen konnten.

Nana Sahib und Balao Rao sprachen zwar, während sie so nebeneinander ritten, kein Wort, doch erfüllte sie ein und derselbe Gedanke. Von diesem Ausfluge über die Vindhyas brachten sie nicht nur die Hoffnung, nein, die Gewißheit mit heim, daß sich unzählige Anhänger ihrer Sache anschließen würden. Das Hochland von Central-Indien war vollständig in ihrer Hand. Die auf den weiten Gebieten zerstreuten schwachen Militär-Cantonnements konnten unmöglich dem ersten Anprall der Empörer Widerstand leisten. Mit ihrer Vernichtung gewann der Aufstand freien Raum, und bald mußte sich dann von einer Küste zur anderen eine Mauer fanatischer Hindus erheben, an der die königliche Armee voraussichtlich zerschellte.

Gleichzeitig dachte Nana Sahib aber auch an den glĂĽcklichen Zufall, der ihm Munro in den Weg fĂĽhrte. Endlich hatte der Oberst Calcutta, wo ihm nur schwer beizukommen war, einmal verlassen. In der nächsten Zeit konnte ihm keine seiner Bewegungen entgehen. Ohne daĂź er sich dessen versah, wĂĽrde ihn Kâlagani’s Hand ja nach den wildesten Berggegenden der Vindhyas leiten, und dort konnte ihn nichts mehr vor der Rache retten, die Nana Sahib noch immer gegen ihn hegte.

Balao Rao wuĂźte von der Unterredung seines Bruders mit jenem Bengali kein Wort. Erst nahe dem Aufgang zu dem Pal von Tandit, als man die Pferde kurze Zeit verschnaufen lieĂź, machte ihm Nana Sahib eine kurze Mittheilung darĂĽber.

»Munro hat Calcutta verlassen und begiebt sich nach Bombay.

– Die Straße nach Bombay führt bis zum Strande des indischen Oceans!

– Die Straße nach Bombay, entgegnete Nana Sahib mit eigenthümlichem Tone, reicht diesesmal nur bis zu den Vindhyas!«

Diese Antwort sagte Alles.

Die Gesellschaft stieg wieder zu Pferde und verschwand in dem Baumdickicht vor dem Ufer der Nerbudda.

Es war jetzt fĂĽnf Uhr Morgens. Schon graute der Tag. Nana Sahib, Balao Rao und ihre Genossen kamen eben an dem Wildbett der Nazzur an, das den Weg nach dem Pal hinauf bildet.

An diesem Punkte ließ man die Pferde unter der Aufsicht zweier Gounds zurück, die sie nach dem nächsten Dorfe führen sollten.

Die Uebrigen folgten den beiden BrĂĽdern und Alle kletterten die unter dem Wasser des Bergbaches erzitternden Stufen hinan.

Ringsum war es still. Noch unterbrach das Geräusch des Tages nicht die Stille der Nacht.

Plötzlich donnerte ein Schuß durch die Luft, dem mehrere andere nachfolgten. Gleichzeitig hörte man von oben ein dreifaches Hurrah!

Ein Officier, der einen Trupp von fĂĽnfzig Soldaten fĂĽhrte, erschien neben dem Pal.

»Feuer! Daß Keiner entkomme!« rief er noch einmal.

Sofort erfolgte eine neue Salve, welche aus nächster Nähe auf die Nana Sahib und seinen Bruder umgebenden Gounds abgegeben wurde.

FĂĽnf ober sechs Hindus fielen; die Uebrigen sprangen in das Bett des Nazzur zurĂĽck und verschwanden im Walde.

»Nana Sahib! Nana Sahib!« riefen die Engländer, während sie in die enge Schlucht hinabdrangen.

Da erhob ein zu Tode Getroffener noch einmal die Hand gegen sie.

»Tod und Verderben den Eroberern!« preßte er mit schrecklicher Stimme noch hervor und fiel bewegungslos zurück.

Der Officier trat an den Leichnam heran.

»Ist das etwa Nana Sahib? fragte er.

– Ja, er ist es, antworteten zwei Soldaten des Detachements, die den Nabab von ihrem Aufenthalte in Khanpur her genau kannten.

– Nun, dann auf die Anderen!« commandirte der Officier. Die ganze Abtheilung eilte in den Wald zur Verfolgung der Gounds.

Kaum waren Alle verschwunden, als ein Schatten geräuschlos den Abhang vom Pal herunterglitt.

Es war die wandelnde Flamme, eingehĂĽllt in ein langes StĂĽck braunen Stoffes, den ein Strick um die HĂĽften zusammenhielt.

Am Vorabend hatte die Wahnsinnige unbewußt den Officier und seine Leute hierher geführt. Kaum in das Thal zurückgekehrt, suchte sie ganz willenlos den Pal von Tandit auf, nach dem eine Art Instinct sie hinzog. Diesmal aber ließ das sonderbare Wesen, das man sonst für stumm hielt, einen Namen über die Lippen gleiten, nur den einen des Massenmörders von Khanpur!

»Nana Sahib! Nana Sahib!« wiederholte sie immer, als ob das Bild des Nabab durch eine unerklärliche Ahnung wieder vor ihre Seele getreten wäre.

Dieser Name erregte die Aufmerksamkeit des Officiers im höchsten Grade. Er folgte der Wahnsinnigen auf dem Fuße. Sollte hier der Nabab sich versteckt halten, auf dessen Kopf ein Preis ausgesetzt worden war?

Der Officier traf die geeigneten MaĂźregeln und lieĂź das Bett des Nazzur bis zum Anbruch des Tages bewachen. Als Nana Sahib und die Gounds dasselbe betreten hatten, empfing er sie mit einer Salve, welche mehrere zu Boden streckte und unter diesen den AnfĂĽhrer des Aufstandes der Sipahis.

Der Art war das Zusammentreffen, welches der Telegraph noch am nämlichen Tage dem Gouverneur der Präsidentschaft Bombay meldete. Die Nachricht verbreitete sich blitzschnell über die ganze Halbinsel, und so konnte sie Oberst Munro am 26. Mai aus der Zeitung von Allahabad erfahren.

Diesesmal war an dem Tode Nana Sahib’s nicht zu zweifeln. Seine Identität wurde ja festgestellt und das Journal brachte die Worte:

»Das indische Reich hat für die Zukunft nichts mehr zu fürchten von dem unmenschlichen Rajah, der ihm so viel Blut gekostet hat!«

Nachdem die Wahnsinnige den Pal verlassen, stieg auch sie in dem Bette des Nazzur herab. Aus ihren unsteten Augen leuchtete es wie ein inneres Feuer, das plötzlich aufgeflammt schien, und ihre Lippen murmelten den Namen des Nabab.

So kam sie nach der Stelle, wo die Leichen lagen, und stand vor der still, welche die Soldaten von Khanpur erkannt hatten. Das Gesicht des Todten hatte noch einen drohenden Ausdruck.

Die Wahnsinnige kniete nieder und legte ihre Hand auf den von Kugeln durchbohrten Körper, dessen Blut die Falten ihrer Hülle befleckte. Sie sah ihn lange stier an, erhob sich, mit dem Kopfe schüttelnd, und stieg langsam das Bett des Nazzur hinab.

Dann versank die wandelnde Flamme wieder in ihre gewohnte Theilnahmlosigkeit, und der Name des von Allen verwĂĽnschten Nana Sahib kam nicht mehr ĂĽber ihre Lippen.

Zweites Capitel.


Zweites Capitel.

Oberst Munro.

»Aber, lieber Maucler, begann der Ingenieur Banks zu mir, Sie sprechen von Ihrer Reise auch kein Sterbenswörtchen. Man sollte glauben, Sie hätten Paris noch gar nicht verlassen. Wie finden Sie Indien?

– Indien? erwiderte ich, ja, um davon sprechen zu können, müßte ich das Land doch wenigstens gesehen haben.

– Sehr schön! versetzte der Ingenieur. Sind Sie nicht von Bombay nach Calcutta durch die ganze Halbinsel gekommen? Nun, und wenn Sie nicht blind waren …

– Das bin ich nicht, lieber Banks, wohl aber war ich während jener Fahrt geblendet …

– Geblendet? …

– Gewiß! Geblendet durch den Rauch, den Dampf, den Staub, noch mehr aber durch die Schnelligkeit der Fortbewegung. Ich will die Eisenbahnen nicht lästern, es ist ja Ihr Beruf, solche zu bauen, mein bester Banks; aber sich in das Coupé eines Waggons einzupferchen, als Gesichtsfeld nichts als die Scheiben der Wagenthür zu haben, Tag und Nacht mit einer mittleren Geschwindigkeit von zehn Meilen in der Stunde dahin zu jagen, jetzt über hohe Viaducte in Gesellschaft von Adlern und Lämmergeiern, nachher durch Tunnels in Gesellschaft von Ratten und Fledermäusen, nur an den Bahnhöfen anzuhalten, die einer so aussehen wie der andere, von Städten weiter nichts zu sehen als die Außenseite der Mauern und die oberste Spitze der Minarets, und das Alles unter dem unaufhörlichen Lärmen des Pustens der Locomotive, unter dem Pfeifen des Kessels, dem Aechzen der Schienen und dem Knarren der Bremsen – nennen Sie das etwa reisen?

– Sehr richtig! rief der Kapitän Hod. Nun antworteten Sie darauf, Banks, wenn Sie es können. Was meinen Sie dazu, Herr Oberst?«

Der Oberst, an den Kapitän Hod seine Worte richtete, neigte den Kopf ein wenig und sagte nur:

»Ich wäre begierig, zu hören, was Banks unserem Gaste, Herrn Maucler, für eine Antwort geben kann.

– O, das setzt mich keineswegs in Verlegenheit, meinte der Ingenieur, ich gebe ja zu, daß Maucler vollkommen Recht hat.

– Nun, fiel Kapitän Hod ein, wenn dem so ist, warum erbauen Sie Eisenbahnen?

– Um es Ihnen, Kapitän, zu ermöglichen, binnen sechzig Stunden von Calcutta nach Bombay gelangen zu können, wenn Sie Eile haben.

– Ich habe niemals Eile.

– Schön, dann wählen Sie die Great Trunk-Straße, antwortete der Ingenieur. Wählen Sie diese, Hod, und reisen Sie zu Fuß!

– Das beabsichtige ich auch zu thun.

– Wann?

– Sobald der Herr Oberst zustimmt, mich bei einem herrlichen Spaziergange von acht- bis neunhundert Meilen quer durch die Halbinsel zu begleiten!«

Der Oberst lächelte still und verfiel in seine gewohnte lange Träumerei, aus der ihn selbst seine besten Freunde, wie der Ingenieur Banks und Kapitän Hod, nur mit Mühe zu erwecken vermochten.

Seit einem Monate war ich in Indien angelangt, hatte aber, da ich von Bombay ĂĽber Allahabad nach Calcutta die Great Indian Peninsular-Bahnlinie benutzte, von der Halbinsel so gut wie nichts kennen gelernt.

Meine Absicht ging jedoch dahin, zunächst deren nördlichen Theil, jenseit des Ganges, zu durchstreifen, die großen Städte daselbst zu besuchen, die hervorragendsten Denkmäler zu studieren und dieser Untersuchung die erforderliche Zeit zu widmen, um sie gründlich durchzuführen.

Den Ingenieur Banks hatte ich in Paris kennen gelernt. Seit einigen Jahren schon verband uns eine innige Freundschaft, welche der nähere vertraute Umgang nur steigern konnte. Ich versprach ihm seinerzeit nach Indien zu kommen, sobald die Vollendung der Scind Punjab and Delhi-Linie, deren Bau er leitete, ihm einige Muße gönnen würde. Das war nun jetzt der Fall. Banks hatte gerechten Anspruch auf eine mehrmonatliche Erholung, und ich kam nun mit dem Vorschlage, diese Ruhe auf einer anstrengenden Reise durch Indien zu genießen. Es versteht sich von selbst, daß er auf meinen Wunsch mit voller Begeisterung einging. In einigen Wochen schon, wenn die günstigere Jahreszeit eintrat, wollten wir aufbrechen.

Bei meiner Ankunft in Calcutta, im März 1867, hatte Banks mich mit einem seiner ehrenwerthen Kameraden, dem Kapitän Hod, bekannt gemacht, und später mich auch seinem Freunde, dem Oberst Munro vorgestellt, bei dem wir eben die Abendstunden verbracht hatten.

Der damals siebenundvierzigjährige Oberst bewohnte im europäischen Stadtviertel ein etwas vereinsamt liegendes Haus, fern dem Getümmel, das die Handelsstadt und die schwarze Stadt, die beiden Bestandtheile der Hauptstadt Indiens, kennzeichnet. Jenes Quartier wird zuweilen die »Stadt der Paläste« genannt, und wirklich fehlt es demselben an letzteren nicht, wenn man diese Bezeichnung auf Wohnungen anwenden darf, die von Palästen freilich nichts weiter als Hallen, Säulen und Terrassen haben. Calcutta ist der Sammelpunkt aller Baustyle, welche der englische Geschmack in den Städten der Alten und Neuen Welt mit Vorliebe verwendet.

Was die Wohnstätte des Obersten betrifft, so war diese ein sogenannter »Bungalow« in einfachster Form, d. h. ein auf einem Ziegelunterbau errichtetes Haus nur mit Erdgeschoß, dessen Dach pyramidenartig hoch aufstieg. Rings um dasselbe lief eine von leichten Säulen getragene Veranda. An den Seiten bildeten die Küchen, Schuppen und Dienerwohnungen zwei ausspringende Flügel. Das Ganze lag inmitten eines mit schönen Bäumen bestandenen und von niedrigen Mauern umgebenen Gartens.

Das Haus des Obersten verrieth die Wohlhabenheit des Besitzers. Das Dienstpersonal war so zahlreich, wie es die Lebensweise der indo-englischen Familien mit sich bringt. Mobiliar, Stoffe, innere Einrichtung, Alles zeigte in der Auswahl und dem wohl erhaltenen Zustande, daß hier zuerst die Hand einer verständigen Hausfrau gewaltet, aber daneben auch, daß diese Frau hier nicht mehr weilen könne.

Bezüglich der Aufsicht der Dienstleute und der allgemeinen Führung des Hauswesens verließ sich der Oberst vollständig auf einen seiner alten Waffengenossen, einen Schotten, früheren »Conductor« der königlichen Armee, den Sergeanten Mac Neil, mit dem er alle Feldzüge in Indien durchgefochten hatte, eines jener braven Herzen, die in der Brust Derjenigen zu schlagen scheinen, denen sie sich einmal ergeben haben. Es war das ein großer, starker Mann von fünfundvierzig Jahren, mit Vollbart wie alle Bergschotten. Seiner Haltung, dem Gesichtsausdrucke, sowie dem althergebrachten Costüm nach war er mit Leib und Seele Highlander geblieben, obwohl er den Militärdienst gleichzeitig mit Oberst Munro quittirte. Beide hatten seit 1860 ihren Abschied genommen. Statt aber zu den »Glens« der Heimat, in die Mitte der alten »Clans« ihrer Vorfahren zurückzukehren, waren Beide in Indien geblieben und lebten in einer Art Zurückgezogenheit und Einsamkeit, welche eine breitere Erklärung erfordern.

Als Banks mich dem Oberst Munro vorstellte, empfahl er mir nur eines:

»Erwähnen Sie mit keiner Silbe des Sipahi-Aufstandes, sagte er, und vorzüglich sprechen Sie niemals den Namen Nana Sahib aus!«

Der Oberst Edward Munro gehörte einer alten schottischen Familie an, deren Vorfahren sich in der Geschichte des Vereinigten Königreiches einen Namen gemacht hatten. Zu seinen Ahnen zählte er jenen Sir Hector Munro, der im Jahre 1760 die Armee von Bengalen befehligte und eine Empörung niederwarf, welche die Sipahis, fast genau ein Jahrhundert später, wieder erneuern sollten. Major Munro erstickte den Aufstand mit unerbittlicher Energie und scheute nicht davor zurĂĽck, an einem Tage achtundzwanzig Rebellen vor die MĂĽndung von Kanonen binden und in StĂĽcke schieĂźen zu lassen – eine entsetzliche Hinrichtungsart, welche 1857 wiederholt zur Anwendung kam und deren Erfinder vielleicht jener Ahnherr des Obersten war. Zur Zeit, als die Sipahis sich erhoben, befehligte Oberst Munro das 93. Regiment schottischer Infanterie der königlichen Armee. Er wohnte fast dem ganzen Feldzuge unter dem Oberbefehle Sir James Outram’s bei, jenes Helden dieses Krieges, der sich den Namen des »Bayard der indischen Armee« verdiente, wie Sir Charles Napier ihn bezeichnete. Mit diesem befand sich Oberst Munro also in Khanpur; er nahm Theil an dem zweiten Feldzuge Colin Campbell’s in Indien, wohnte der Belagerung von Laknau bei und verlieĂź diesen berĂĽhmten Soldaten erst, als Outram zum Mitgliede des Rathes von Indien in Calcutta ernannt worden war.

Im Jahre 1858 sehen wir den Oberst Sir Edward Munro als Kommandeur des Sternes von Indien, »the Star of India (K. C. S. J.)«. Er war zum Baronet erhoben worden und seine Gattin hätte damit den Titel Lady Munro1 erhalten, wenn die UnglĂĽckliche nicht am 15. Juli 1857 bei dem schauerlichen Gemetzel in Khanvur – eine Blutthat, die sich unter den Augen und auf Befehl Nana Sahib’s vollzog – umgekommen wäre.

Lady Munro – des Obersten Freunde nannten sie niemals anders – wurde von ihrem Gatten angebetet. Sie zählte kaum siebenundzwanzig Jahre, als sie, gleichzeitig mit zweihundert anderen Opfern, bei jener abscheulichen Schlächterei spurlos verschwand. Die nach der Einnahme von Laknau wie durch ein Wunder geretteten Mistreß Orr und Miß Jackson hatten die Eine ihren Gatten, die Andere ihren Vater überlebt.

Lady Munro sollte dem Oberst Munro nicht zurückgegeben werden. Es war sogar unmöglich, ihre, mit denen der zahlreichen Opfer in dem Schachte von Khanpur vermengten Ueberreste wieder aufzufinden und ihr ein christliches Begräbniß zu bereiten.

In seiner Verzweiflung erfĂĽllte Sir Edward Munro nur noch ein Gedanke, der einzige, Nana Sahib, den die englische Regierung allerwärts suchen lieĂź, aufzufinden und den ihn verzehrenden, gerechten Durst nach Rache zu löschen. Um in dieser Richtung minder beschränkt zu sein, hatte er den Abschied genommen. Der Sergeant Mac Neil folgte ihm auf Schritt und Tritt. Von demselben Geiste beseelt, von demselben Gedanken getrieben und ein und dasselbe Ziel im Auge, verfolgten die beiden Männer jede Spur und forschten der geringsten Andeutung weiter nach, waren dabei aber nicht glĂĽcklicher als die englisch-indische Polizei. Nana Sahib entging allen ihren Nachforschungen. Nach drei Jahren fruchtlosen BemĂĽhens muĂźten sich der Oberst und der Sergeant entschlieĂźen, vorläufig von weiteren Schritten abzusehen. Uebrigens verbreitete sich zu eben jener Zeit in Indien das GerĂĽcht von Nana Sahib’s Tode, und zwar diesmal mit einem solchen Grade von GlaubwĂĽrdigkeit, daĂź man es nicht wohl langer bezweifeln durfte.

Sir Edward Munro und Mac Neil kehrten also nach Calcutta zurück, wo sie sich in dem isolirten Bungalow festsetzten. Hier lasen sie weder Bücher noch Journale, welche an die blutige Zeit des Aufruhrs hätten erinnern können, und verließen niemals die Wohnung, in der der Oberst gleich einem Manne mit einem ziel- und zwecklosen Leben dahin vegetirte.

Die Nachricht von dem Wiedererscheinen Nana’s in der Präsidentschaft Bombay – eine Neuigkeit, welche schon mehrere Tage von Mund zu Mund ging – schien nicht zur KenntniĂź des Obersten gekommen zu sein. Und das war ein GlĂĽck zu nennen, denn er hätte den Bungalow sofort verlassen.

Hierin bestanden etwa Bank’s Mittheilungen, bevor er mich in jenes Haus einfĂĽhrte, aus dem die Freude fĂĽr immer verbannt war. Ebendeshalb sollte jede Andeutung an die Empörung der Sipahis und deren grausamsten AnfĂĽhrer Nana Sahib vermieden werden.

Nur zwei Freunde – zwei allseitig erprobte Freunde – besuchten fleißig das Haus des Obersten, der Ingenieur Banks und der Kapitän Hob.

Banks hatte, wie erwähnt, eben die ihm bei der Erbauung der Great Indian Peninsular-Eisenbahn ĂĽbertragenen Arbeiten vollendet. Er war ein Mann von fĂĽnfundvierzig Jahren, in der ganzen Kraft seines Alters. Zwar sollte er nun auch an der, zur Verbindung des arabischen Golfs mit der Bai von Benguela zu errichtenden Madras-Bahn thätigen Antheil nehmen, doch konnten diese Arbeiten vor Ablauf eines Jahres schwerlich beginnen. Er genoĂź diese MuĂźe also in Calcutta, immer beschäftigt mit mechanischen Problemen, denn in ihm wohnte ein rastloser, fruchtbarer Geist, der stets mit irgend einer neuen Erfindung schwanger ging. AuĂźer dieser Thätigkeit widmete er jede Stunde dem Obersten, mit dem ihn eine zwanzigjährige Freundschaft verband. Fast jeden Abend verbrachte er unter der Veranda des Bungalow in Gesellschaft Sir Edward Munro’s und des Kapitän Hod, der eben einen zehnmonatlichen Urlaub erhalten hatte.

Hod stand bei der 1. Escadron der Karabiniers der königlichen Armee und hatte den ganzen Feldzug 1857-58 mitgemacht, erst unter Sir Colin Campbell in Audh und Rohilkhaude, dann unter Sir H. Rose in den Centralstaaten – ein Kampf, der mit der Einnahme von Gwalior endigte.

Der in der rauhen Schule Indiens erzogene Kapitän Hod, eines der hervorragenden Mitglieder des Clubs von Madras, rothblond von Bart und Haar, zählte nicht mehr als dreiĂźig Jahre. Obwohl er der königlichen Armee zugehörte, hätte man ihn wohl fĂĽr einen Officier der eingebornen Truppen halten können, so sehr hatte er sich während seines Aufenthaltes auf der Halbinsel »indianisirt«. Auch durch Geburt hätte er nicht noch mehr Hindu werden können. Ihm erschien Indien als das Reich von Gottes Gnaden, das gelobte Land, das einzige, in dem ein Mann leben könnte und sollte. Hier konnte er alle seine Neigungen befriedigen. Soldat von Temperament, bot sich ihm unausgesetzt Gelegenheit, sich zu schlagen. Verweilte er als ausgedienter Jäger nicht in dem Lande, wo die Natur alles Raubgethier der Schöpfung neben allem Pelz- und Federwild der Neuen und Alten Welt vereinigt zu haben schien? Hatte er als leidenschaftlicher Bergsteiger nicht die imposante Kette von Thibet zur Hand, in der die höchsten Gipfel der Erde emporstreben? Was hinderte ihn als unerschrockenen Reisenden den FuĂź dahin zu setzen, wohin vor ihm noch Niemand gedrungen war, in jenen unnahbaren Regionen der Himalaya-Grenze? Fehlten ihm als enthusiasmirten Turfisten die Rennbahnen Indiens, die in seinen Augen denen von Marche und Epsom gleichkamen? In letzterer Beziehung gingen seine und Banks‘ Ansichten allerdings weit auseinander. Als Vollblut-Mechaniker interessirte sich der Ingenieur nur sehr wenig fĂĽr die Pferde-Heldenthaten eines »Gladiator« oder einer »Tochter der Luft«.

Eines Tages, als ihm Kapitän Hod deshalb besonders zusetzte, erwiderte Banks, daß die Wettrennen eigentlich nur unter einer Bedingung ein höheres Interesse erwecken könnten.

»Und diese wäre? fragte Hod.

– Die Aufstellung der Bedingung, erklärte Banks ganz ernsthaft, daß der zuletzt ankommende Jockey am Pfosten sofort füsilirt würde!

– Das nenne ich eine Idee!…« antwortete einfach Hod.

Er wäre auch der Mann dazu gewesen, persönlich auf das Wagstück einzugehen.

Solcher Art waren die beiden fleiĂźigen Gäste in Sir Edward Munro’s Bungalow. Der Oberst hörte sie gern ĂĽber allerlei plaudern, und ihre zäh fortgesetzten Reden und Gegenreden lockten manchmal sogar ein Lächeln auf seine Lippen.

Die beiden wackeren Leute begegneten sich jedoch in dem einen Wunsche, den Oberst zu einer Reise zu bestimmen, die ihm einige Zerstreuung bieten könnte. Schon wiederholt hatten sie den Vorschlag gemacht, nach dem Norden der Halbinsel zu gehen, um mehrere Monate in der Nähe jener »Sanitarien« zuzubringen, in welche sich die reiche anglo-indische Gesellschaft während der heißen Jahreszeit freiwillig flüchtet. Der Oberst war nie darauf eingegangen.

Auch bezüglich der von mir und Banks geplanten Reise hatten wir seine Meinung zu erforschen gesucht: Eben an jenem Abend kam das Gespräch wieder auf dieselbe. Der Leser weiß bereits, daß Kapitän Hod von nichts Geringerem sprach als von einer weitläufigen Fußtour nach dem Norden Indiens. Wenn Banks die Pferde nicht liebte, so war Hod ein Feind der Eisenbahnen. Beide befanden sich also in Widerspruch.

Ein Mittelweg hätte sich damit finden lassen, daß man, wie und wann es eben beliebte, im Wagen oder Palankin reiste, was auf den schönen und wohlerhaltenen Hauptstraßen von Hindostan ohne Schwierigkeit auszuführen ist.

»Reden Sie mir nicht von ihren Geschirren mit Ochsen oder bucklichen Zebus! rief Banks. Ohne uns wären Sie noch heute auf diese primitiven Fuhrwerke beschränkt, von denen man in Europa schon seit fünfhundert Jahren nichts mehr wissen mochte.

– Oho, Banks, erwiderte Kapitän Hod, mit Ihren Waggons und ihren Cramptons können sie sich wohl messen! Solche groĂźe weiĂźe BĂĽffel, welche im tĂĽchtigen Galopp gehen und die man an jeder Poststation von zwei zu zwei Stunden wechselt …

– Und die so eine Art vierrädriger Tartanen ziehen, in denen man mehr umhergeworfen wird, als die Fischer in ihren Booten auf bewegtem Wasser!

– Ich sprach nicht von Tartanen, Banks, antwortete Kapitän Hod. Giebt es denn keine Wagen mit zwei, drei oder vier Pferden, die an Schnelligkeit mit Euern »Convois«, welche diesen traurigen Namen mit Recht fĂĽhren,2 wetteifern. Ich wĂĽrde den einfachen Palankin vorziehen …

– Nun gar Ihre Palankins, Kapitän Hod, wahrhafte Särge von sechs Fuß Länge und vier Fuß Breite, in denen man wie ein Leichnam eingebettet liegt!

– Zugegeben, Banks, aber da giebt es kein Schütteln und kein Stoßen; man kann nach Belieben lesen, schreiben, schlafen, ohne an jeder Station aufgeweckt zu werden. In einem Palankin mit vier bis sechs bengalischen Gamals (Name der Palankinträger in Indien) legt man bequem vier und eine halbe Meile (gegen acht Kilometer) zurück, ohne, wie bei Ihren unbarmherzigen Expreßzügen, Gefahr zu laufen, daß man fast eher am Ziel anlangt, als man abgefahren ist.

– Das Beste, warf ich da ein, wäre doch, gleich sein Haus mitführen zu können!

– Als Schnecke! rief Banks.

– Lieber Freund, antwortete ich, eine Schnecke, die ihr Haus nach Belieben verlassen und auch wieder in dasselbe eintreten könnte, wäre wohl nicht allzu schwer zu beklagen. In seinem Hause zu reisen, das nach Wunsch da oder dorthin rollt, das wäre ja die höchste Potenz des Fortschritts im Reisen!

– Vielleicht, sagte da Oberst Munro; von der Stelle zu kommen, während man immer in seinen vier Pfählen weilt, seine ganze Umgebung und alle Erinnerungen, die daran hängen, mit sich zu nehmen, den Horizont, den Gesichtspunkt, Atmosphäre und Klima mit anderen zu vertauschen, ohne seine gewohnte Lebensweise zu ändern … ja, ja, … vielleicht!

– Da umgeht man die für Reisende bestimmten Bungalows, fuhr Kapitän Hod fort, in denen der Comfort immer zu wünschen übrig läßt, und worin man nur mit Erlaubniß der Ortsbehörden verweilen darf!

– Ebenso wie die abscheulichen Gasthäuser, in denen Einem moralisch und physisch das Fell über die Ohren gezogen wird! bemerkte ich dazu nicht ohne Grund.

– Der Wagen der Quacksalber und Marktschreier! rief Kapitän Hod, aber in modernisirter Façon! Welch‘ schöner Traum! Anzuhalten, wenn man will, abzufahren, wenn es beliebt, zu FuĂź neben her zu gehen, wenn man spazieren will, im Galopp zu fahren, wenn es darauf ankommt, nicht nur ein Schlafzimmer mitzunehmen, sondern auch den Salon, das Speise- und Rauchzimmer und vor Allem KĂĽche und Koch dazu, das wäre ein Fortschritt, Freund Banks! Versuchen Sie, das zu widerlegen, Herr Ingenieur, versuchen Sie es!

– Ei, ei, Freund Hod, antwortete Banks, ich wäre ja vollkommen Ihrer Ansicht, wenn …

– Wenn? … wiederholte der Kapitän achselzuckend.

– Wenn Sie in Ihrem Fortschrittsschnelllauf nur nicht urplötzlich angehalten hätten.

– Es giebt also noch Besseres?

– Nun, hören Sie. Sie erklären das bewegliche Haus für überlegen dem Waggon, dem Salonwagen, sogar den Sleeping-cars der Eisenbahn. Sie haben recht, lieber Kapitän, wenn man Zeit zu verlieren hat, wenn man zum Vergnügen und nicht in Geschäften reist. Ich glaube, hierin stimmen wir Alle überein?

– Alle!« bestätigte man.

Der Oberst Munro nickte mit dem Kopfe als Zeichen seiner Zustimmung.

»Das ist also abgemacht, fuhr Banks fort. Nun weiter. Angenommen, Sie hätten sich an ein Doppelwesen, einen Wagenbauer-Architekten, gewendet und er erbauete Ihnen das gewĂĽnschte rollende Haus. Da steht es nun im besten Chic, allen Anforderungen eines Freundes des Comforts entsprechend. Es ist nicht allzu hoch, wodurch ihm das Umfallen erspart bleibt, nicht zu breit, um auf jedem Wege fort zu können, und sinnreich auf Federn befestigt, um leicht und bequem darin zu fahren. Mit einem Worte, es ist vollkommen. Ich nehme an, es wäre fĂĽr unseren Freund, den Obersten, hergestellt worden. Er ladet uns Alle ein. Wir wollen meinetwegen die nördlichen Theile Indiens besuchen, als Schnecken, aber als solche Schnecken, deren Schwanz nicht untrennbar mit dem Gehäuse verwachsen ist. Alles ist bereit. Man hat nichts vergessen … nicht einmal den Koch und die KĂĽche, die dem Kapitän so sehr am Herzen liegen. Der Tag der Abreise ist gekommen; man schickt sich dazu an. All right! … Ja, wer wird es aber ziehen, Euer rollendes Haus, mein bester Freund?

– Wer? rief Kapitän Hod. Nun, Maulesel, Esel, Pferde, Büffel!

– Gleich zu Dutzenden? fragte Banks.

– Elephanten! versetzte Kapitän Hod, Elephanten! Das wäre herrlich und majestätisch! Ein Haus gezogen von einem Elephantengespann, von wohldressirten, stolzen Thieren, welche davongehen und galoppiren trotz der besten Kutschpferde der Welt!

– Das wäre großartig, Herr Kapitän.

– Ein Rajah-Zug auf dem Lande, Herr Ingenieur.

– GewiĂź! Aber …

– Aber … was? Giebt es noch ein Aber? fiel ihm Kapitän Hod in’s Wort.

– Ein großes Aber!

– O, ĂĽber diese Ingenieurs! Sie taugen zu nichts, als ĂĽberall Schwierigkeiten zu wittern! …

– Und sie zu beseitigen, wenn das überhaupt möglich ist, erwiderte Banks.

– So schaffen Sie sie beiseite!

– Das werde ich, und zwar folgendermaßen. Alle jene bewegenden Kräfte, lieber Munro, welche der Kapitän da aufgezählt hat, sie gehen wohl, sie schleppen, sie ziehen, aber – sie ermüden auch. Sie werden widerspenstig, eigenwillig, vorzüglich aber brauchen alle – Futter. Sobald nun Mangel an Weiden eintritt, da man doch nicht wohl fünfhundert Acker Wiesen mitnehmen kann, so steht das Gespann still, verliert die Kräfte, stürzt, stirbt vor Hunger, das rollende Haus bewegt sich nicht weiter und bleibt ebenso auf demselben Flecke, wie der Bungalow, in in dem wir jetzt darüber sprechen. Daraus folgt, daß besagtes Haus nicht eher praktisch brauchbar werden wird, als bis es in der Gestalt eines Dampfhauses auftritt.

– Das natürlich auf Schienen läuft! rief der Kapitän achselzuckend.

– Nein, auf allen Wegen, entgegnete der Ingenieur, in dem es von einer verbesserten Straßenlocomotive gezogen wird.

– Bravo! jubelte der Kapitän, bravo! Von der Stunde an, wo Ihr Dampfhaus nicht mehr auf einem Schienenwege rollt und gehen kann, wohin es will, ohne jenem gebieterischen Eisenstrang folgen zu müssen, bin ich gern dabei!

– Aber, warf ich Banks noch ein, wenn Maulesel, Esel, Pferde, Büffel und Elephanten fressen, so braucht eine Maschine auch Nahrung, denn wenn es ihr an Brennmaterial fehlt, wird sie ebenso unterwegs stehen bleiben.

– Ein Dampfroß, antwortete Banks, entwickelt die Kräfte von drei bis vier gewöhnlichen Pferden, und diese Leistung kann im Nothfall auch noch gesteigert werden. Das Dampfroß unterliegt keiner Ermüdung, keiner Krankheit. Jederzeit, unter jeder Breite, jeder Sonne, unter Regen und Schnee geht es ohne Erschöpfung weiter. Es braucht nicht einmal die Angriffe wilder Thiere zu fürchten, nicht den Biß der Schlangen, nicht den Stich der Bremsen oder anderer lästiger Insecten. Es bedarf nicht des Stachels des Büffeltreibers, nicht der Peitsche der Wagenführer. Ihm ist ausruhen unnöthig, der Schlaf unbekannt. Das aus der Hand des Menschen hervorgegangene Dampfroß ist, wenn man nur dessen Zweck im Auge behält und nicht auch von ihm erwartet, daß es einmal am Spieße gebraten werden könne, allen Zugthieren überlegen, welche die Vorsehung den Menschen gegeben hat. Etwas Oel oder Fett, ein wenig Kohle oder Holz, das ist Alles, was es verzehrt. Sie wissen aber, meine Freunde, daß auf der indischen Halbinsel an Wäldern kein Mangel ist und das Holz Jedem gehört, der es nimmt.

– Sehr schön, rief Kapitän Hod. Ein Hurrah dem Dampfrosse! Ich sehe schon des Ingenieur Banks‘ rollendes Haus auf den LandstraĂźen Indiens dahingezogen, wie es durch die Dschungeln dringt, schnaubend tief in die Wälder zieht, sich vorwagt bis zu der Höhle des Löwen, des Panthers, Tigers, des Bären, Leoparden und des Guepards; unter dem Schutze seiner Mauern erlegen wir Hekatomben von Raubthieren und stechen die Anderson, GĂ©rard, Pertuiset, Chassaing und alle Nimrods der Welt aus! O, Banks, mir läuft das Wasser im Munde zusammen, Sie lassen es mich bedauern, nicht fĂĽnfzig Jahre später geboren zu sein!

– Und weshalb, Herr Kapitän?

– Weil Ihr Traum in fünfzig Jahren in Erfüllung gehen und das Dampfhaus gebaut sein wird.

– Das ist schon so gut wie geschehen, antwortete einfach der Ingenieur.

– Geschehen und vielleicht durch Sie? …

– Durch mich, und ich fĂĽrchte dabei nur das Eine, daĂź es Ihren Traum noch ĂĽbertreffen dĂĽrfte …

– An’s Werk, Banks, an’s Werk!« rief Kapitän Hod, der wie von einem elektrischen Schlage getroffen aufsprang und zur Abreise schon bereit schien.

Der Ingenieur beruhigte ihn durch eine Handbewegung, dann wendete er sich mit ernster Stimme an Sir Edward Munro.

»Edward, sagte er, wenn ich Dir ein rollendes Haus zur Verfügung stelle, wenn ich nach einem Monat bei Eintritt der besseren Jahreszeit komme und zu Dir sage: Hier ist Dein Zimmer, das sich fortbewegt und geht, wohin Du willst, hier Deine Freunde, Maucler, Kapitän Hod und ich, welche lebhaft wünschen, Dich auf einem Ausfluge nach dem Norden Indiens zu begleiten, wirst Du mir dann antworten: »Brechen wir auf, Banks, brechen wir auf, und möge der Gott der Reisenden uns behüten?«

– Ja, meine Freunde, antwortete Oberst Munro nach kurzer Ueberlegung. Banks, ich stelle Dir die nöthigen Mittel zur VerfĂĽgung. Halte Dein Versprechen! Bring‘ uns das ideale Dampfhaus, das Hod’s Träume noch ĂĽbertrifft, und wir streifen durch ganz Indien!

– Hurrah! Hurrah! Hurrah! rief Kapitän Hod, und wehe dem Raubzeug an den Grenzen von Nepal!«

Da erschien, herbeigelockt durch die Hurrahs des Kapitäns, der Sergeant Mac Neil in der Thür.

»Mac Neil, redete der Oberst ihn an, wir reisen in einem Monat nach dem Norden von Indien ab. Du bist doch dabei?

– Selbstverständlich, Herr Oberst, da Sie ja dabei sind!« antwortete der Sergeant Mac Neil.

  1. Eine Frau ohne Titel, welche einen Baronet oder Ritter heirathet, erhält den Titel Lady vor dem Namen ihres Mannes. Diese Bezeichnung als Lady darf aber nicht dem Taufnamen vorgesetzt werden, was allein den Töchtern der Peers gestattet ist.
  2. Ein unübersetzbares Wortspiel, da »convoi« im Französischen sowohl »Eisenbahnzug«, als auch »Trauergeleite« bezeichnet.

Elftes Capitel.


Elftes Capitel.

Der Wechsel des Moussons.

Um elf Uhr waren wir an unserem Halteplatz zurück und hätten erklärlicherweise Khanpur gern so schnell als möglich verlassen; eine nothwendige Reparatur an der Speisepumpe der Maschine hielt uns jedoch bis zum nächsten Tage zurück.

Es verblieb mir also anderthalb Tag. Ich glaubte diese Zeit nicht besser als durch einen Besuch Laknaus verwerthen zu können.

Banks gedachte diese Stadt nicht zu berühren, in welcher Oberst Munro nur den Schauplatz der furchtbarsten Greuel des Krieges wiedergesehen hätte. Er hatte wohl Recht. Auch dort erwarteten Jenen noch zu peinigende Erinnerungen.

Nachdem ich zu Mittag das Steam-House verlassen, benutzte ich die kurze Zweigbahn, welche Khanpur mit Laknau verbindet. Die Strecke beträgt kaum zwanzig (englische) Meilen, und binnen zwei Stunden langte ich in der bedeutenden Hauptstadt des Königreichs Audh an, von der ich nur einen flüchtigen Ueberblick gewinnen, sozusagen einen Eindruck mitnehmen wollte.

Ich fand übrigens das bestätigt, was ich über die unter der Herrschaft muselmanischer Kaiser im 12. Jahrhundert errichteten Bauwerke Laknaus schon gehört hatte.

Ein Franzose aus Lyon, Martin mit Namen, und gewöhnlicher Soldat in der Armee Lally-Tollendal’s, der sich 1730 zum erklärten GĂĽnstling des Königs zu machen wuĂźte, war der Schöpfer, der Erfinder, man könnte sagen, der Baumeister der sogenannten Wunderwerke der Hauptstadt von Audh gewesen. Die officielle Residenz der Herrscher, der Kaiserbagh, ein sinnloses Gemisch aller Baustyle, das nur dem Gehirn eines Korporals entspringen konnte, ist nichts als ein ȊuĂźerliches« Bauwerk. Darin ist nichts, Alles an der AuĂźenseite, aber diese selbst erscheint gleichzeitig indisch, chinesisch, maurisch und… europäisch. Ebenso verhält es sich mit einem anderen kleineren Palaste, dem Farid Bakh, gleichfalls eine Schöpfung Martin’s. Der Inambara dagegen, erbaut in der Mitte der Citadelle von Kaihiatoulla, einem der ersten Architekten Indiens im 17. Jahrhundert, ist wirklich ein stolzes Denkmal und bringt mit den Tausenden von GlockenthĂĽrmchen, die seine Zinnen krönen, eine wirklich groĂźartige Wirkung hervor.

Ich konnte Laknau nicht verlassen, ohne den Constantin-Palast zu besuchen, wiederum ein persönliches Werk des französischen Korporals, der deshalb auch den Namen »Palais de la Martinière« führt. Ich wollte dabei auch den nahegelegenen Garten, den Secunder Bakh, sehen, wo Hunderte von Sipahis, welche die Grabstätte des einfachen Soldaten beraubt hatten, bevor sie aus der Stadt flüchten konnten, niedergemacht worden waren.

Uebrigens ist der Martin’s nicht der einzige französische Name, der in Laknau in hohem Ansehen steht. Ein alter Unterofficier der französischen Jäger, Namens Duprat, zeichnete sich während des Aufstandes durch seine KĂĽhnheit so aus, daĂź die Empörer ihm anboten, sich an ihre Spitze zu stellen. Trotz der ihm versprochenen Schätze, und trotz der Drohungen fĂĽr den Fall der Weigerung, wies Duprat das Anerbieten ab und blieb den Engländern treu. Da er nun aber den Angriffen der Sipahis, denen es nicht gelang, ihn zum Verräther zu machen, desto mehr ausgesetzt war, fand er auch seinen Tod bei einem Gefecht mit jenen.

»Ungläubiger Hund, hatten sie gerufen, Du wirst auch gegen Deinen Willen der Unsere!«

Er wurde es, aber als – ein todter Mann.

Bei den Repressalien spielten die beiden französischen Soldaten also zusammen eine Rolle: die Sipahis, welche das Grab des einen beraubt und die, durch deren Hand der Andere den Tod fand, wurden ohne Erbarmen niedergemacht.

Nachdem ich noch die prächtigen Parkanlagen, den grünen blumenreichen Rahmen der großen, eine halbe Million Einwohner zählenden Stadt bewundert und auf dem Rücken eines Elephanten deren Hauptstraßen und den großartigen Boulevard Hazrat Gaudj in Augenschein genommen, ging ich wieder zur Bahn und gelangte am nämlichen Abend nach Khanpur zurück.

Am 31. Mai mit Tagesanbruch reisten wir weiter.

»Endlich, rief Kapitän Hod, ist es doch nun aus mit den Allahabad, Khanpur, Laknau und den anderen Städten, um die ich mich gerade soviel bekümmere, wie um eine leere Patrone!

– Ja wohl, das ist zu Ende, Hod, bestätigte Banks, und nun werden wir direct nach Norden ziehen, um den Fuß des Himalaya auf kürzestem Wege zu erreichen.

– Bravo! jubelte der Kapitän. Was ich eigentlich Indien nenne, das sind nicht die Provinzen voller Städte und mit einer zusammengedrängten Bevölkerung von Hindus – nein, das ist das Land, wo meine Freunde, die Elephanten, Löwen, Tiger, Panther, Guepards, Bären, Büffel und Schlangen in der Freiheit hausen! Da ist der einzige bewohnbare Theil der Halbinsel! Sie werden das selbst sehen, Maucler, und werden die Wunder des Gangesthales nicht vermissen.

– In Ihrer Gesellschaft, lieber Kapitän, erwiderte ich, werde ich überhaupt gar nichts vermissen.

– Uebrigens giebt es im Nordwesten, warf Banks ein, noch recht interessante Städte, wie Delhi, Agra, Lahore …

– Aber, bester Banks, unterbrach ihn Hod, wer hat denn je von diesen erbärmlichen Nestern reden hören!

– Erbärmliche Nester! versetzte Banks, nein, Hod, das sind sehr schöne Städte. Doch, beruhigen Sie sich, lieber Freund, fuhr der Ingenieur an mich gewendet fort, wir werden Ihnen das zu zeigen wissen, ohne die Feldzugspläne unseres Kapitäns zu kreuzen.

– Sehr schön, Banks, meinte Hod, aber eigentlich fängt unsere Reise doch erst heute an!«

Dann rief er lauter:

»Fox!«

Der Diener erschien.

»Hier, Herr Kapitän!

– Fox, die Flinten, Carabiner und Revolver sind doch in Ordnung?

– Gewiß!

– Sieh‘ mir die Schlösser nach.

– Ist auch besorgt.

– Fertige Patronen an.

– Ich habe Vorrath …

– Es ist also Alles in Stand?

– Alles!

– Wenn’s möglich ist, so bring‘ es in noch besseren!

– Soll geschehen.

– Der Achtunddreißigste wird bald auf der Liste Deines Ruhmes paradiren, Fox!

– Der Achtunddreißigste! rief der Diener, in dessen Augen ein flüchtiger Blitz aufleuchtete. Ich werde für den Burschen eine hübsche explodirende Kugel zurecht machen, über die er nicht zu klagen haben soll.

– Schon gut, Fox, nun geh‘ nur!«

Fox grüßte militärisch, machte eine halbe Schwenkung und wandte sich nach der Waffenkammer.

Ich verzeichne hier die fĂĽr den zweiten Theil der Reise festgestellte Richtung, von der, auĂźer im Falle des Eintritts unvorzusehender Ereignisse, nicht abgewichen werden sollte.

Diese folgt auf etwa fünfundsiebenzig Kilometer dem Laufe des Ganges nach Nordwesten, von da zweigt sie sich, längs eines Nebenflusses des gewaltigen Stromes und eines anderen bedeutenden Armes der Goutmi nach Norden ab. Damit vermeidet sie viele Wasserläufe, die sich zur rechten und linken Seite verbreiten, und führt in schräger Linie durch das westliche Gebiet der Königreiche Audh und Rohilkande auf die ersten Wellen der Gebirgslandschaften von Nepal zu.

Der Ingenieur hatte diesen Weg, auf dem wir vielen Schwierigkeiten entgingen, vorsorglich ausgewählt. Wurde auch die Beschaffung von Kohle im nördlichen Hindostan etwas beschwerlicher, so konnte uns dafür Holz niemals fehlen. Unser Stahlriese war also in der Lage, auf der so gut gehaltenen Straße durch die schönsten Wälder der indischen Halbinsel in jeder beliebigen Gangart vorwärts zu traben.

Gegen achtzig Kilometer trennten uns noch von der kleinen Stadt Biswah. Wir wollten diese Strecke nur sehr langsam durchreisen, und es wurden dazu sechs Tage bestimmt. Dabei konnten wir nach Belieben anhalten, wo es uns gefiel, und die Jäger der Expedition gewannen hinlänglich Zeit, ihre Heldenthaten auszuführen.

Kapitän Hod mit seinem Diener Fox, denen sich auch Goûmi zuweilen anschloß, vermochten so bequem auf Kundschaft umherzuschweifen, während der Stahlriese langsamen Schrittes weiterzog. Auch mir stand es frei, Jene bei ihren Treibjagden zu begleiten, und obwohl nur ein unerfahrener Waidmann, leistete ich ihnen doch dann und wann Gesellschaft.

Ich muĂź gestehen, daĂź Oberst Munro, seit der Zeit, da unsere Reise gleichsam in eine neue Phase trat, sich weniger zurĂĽckzog. AuĂźerhalb des Bezirkes der Städte wurde er inmitten der Wälder und Ebenen, fern dem eben durchzogenen Thale des Ganges, entschieden umgänglicher. Unter diesen Verhältnissen schien er die Ruhe wieder zu finden, in der er sein Leben in Calcutta verbrachte. Und doch, konnte er wohl je vergessen, daĂź sein rollendes Haus ihn nach dem Norden Indiens fĂĽhrte, wohin ihn ein unwiderstehliches Geschick zog? Wie dem auch sei, jedenfalls gewann seine Unterhaltung an Lebhaftigkeit, während der Mahlzeiten sowohl, wie unter der Siesta, und zuweilen setzte er dieselbe sogar noch weit in die schönen Nächte hinein fort, deren wir uns während der heiĂźen Jahreszeit erfreuten. Mac Neil dagegen erschien seit dem Besuche des Brunnenschachtes in Khanpur finsterer als gewöhnlich. Hatte der Anblick des Bibi-Ghar in seiner Seele vielleicht den Rachedurst, den er noch zu löschen hoffte, auf’s Neue geweckt?

»Nana Sahib, sagte er eines Tages in abgerissenen Sätzen zu mir, … nein … Nein! Es ist unmöglich, daĂź sie ihn uns getödtet hätten!«

Der erste Tag verlief ohne bemerkenswerten Zwischenfall. Weder Kapitän Hod noch Fox fanden Gelegenheit, auch nur auf das winzigste Thier zu feuern. Es war bedauerlich und sogar wunderbar, wenn man es nicht der Erscheinung des Stahlriesen selbst zuschreiben wollte, der die Raubthiere der Umgegend vielleicht verscheuchte. Wir kamen z.B. durch verschiedene Dschungeln, in denen sich Tiger und andere Raubthiere mit Vorliebe aufzuhalten pflegen, aber nicht eines kam zum Vorschein, obwohl die Jäger bis auf ein und zwei Meilen seitwärts von unserem Zuge die Umgebung absuchten. Sie mußten sich also begnügen, Black und Phann auf die Jagd nach eßbarem Wild mitzunehmen, von dem Monsieur Parazard seine gewohnte tägliche Ration beanspruchte. Unser schwarzer Küchenchef nahm einmal keine Vernunft an, und wenn der Diener des Kapitäns ihm von Tigern, Guepards und anderen minder schmackhaften Bestien erzählte, zuckte er verächtlich die Achseln und sagte blos:

»Kann man das Zeug essen?«

An diesem Abend hielten wir unter dem Schutze einer Gruppe riesiger Banianen. Die Nacht war ebenso still wie der Tag ruhig. Nicht einmal das Heulen der Raubthiere unterbrach das Schweigen der Natur. Auch unser Elephant ruhte ja. Das Zischen und Brausen des abblasenden Dampfes hatte aufgehört. Die Feuer waren gelöscht und um dem Kapitän zu willfahren, hatte Banks nicht einmal den elektrischen Strom in Gang gesetzt, der die Augen des Stahlriesen in zwei glänzende Leuchtfeuer verwandelte. Doch auch dieses Mittel erwies sich als fruchtlos.

Ganz ebenso vergingen der 1. und 2. Juni. Es war zum Verzweifeln.

»Man hat mir das Königreich Audh vertauscht! rief der Kapitän wiederholt. Man hat es mitten nach Europa hinein versetzt! Hier giebt’s jetzt ebensowenig Tiger, wie in den schottischen Niederungen!

– Möglicherweise, lieber Hod, erwiderte Oberst Munro, sind in der Gegend Treibjagden abgehalten und die Thiere in Menge verscheucht worden. Doch verzweifeln Sie noch nicht; warten Sie, bis wir am Fuße der Berge von Nepal sind. Dort werden Sie Gelegenheit finden, Ihre Meisterschaft im edlen Waidwerk zu erproben.

– Ich hoffe es, lieber Oberst, antwortete Hod, im anderen Falle müßten wir die Kugeln wahrlich zum Umgießen in die Schrotmühle schicken!«

Im Laufe des 3. Juni herrschte eine bis dahin unbekannte Hitze. Wäre der Weg nicht von großen Bäumen beschattet gewesen, ich glaube, wir wären in unserer beweglichen Wohnung buchstäblich gesotten worden. Der Thermometer stieg im Schatten bis auf 48 Grad, ohne den geringsten Luftzug. Es war also möglich, daß auch die Raubthiere bei so erstickender Gluth selbst in der Nacht gar nicht daran dachten, ihre Höhlen zu verlassen.

Am nächsten Tag bei Sonnenaufgang erschien der westliche Horizont zum erstenmale etwas neblig. Wir genossen da das herrliche Schauspiel einer sogenannten Luftspiegelung, die man in einigen Gegenden Indiens »Seekote«, d.i. Luftschlösser, in anderen »Dessasur«, d.i. Augentäuschung nennt.

Es war jedoch keine scheinbare Wasserfläche mit den wunderbaren Effecten der Strahlenbrechung, die vor unseren Augen lag, sondern eine ganze Kette mäßiger HĂĽgel, besetzt mit den phantastischsten Schlössern, die es nur geben kann, so etwa wie die Ufer des Rheinthales mit ihren alterthĂĽmlichen Burggrafensitzen. Wir sahen uns fĂĽr kurze Zeit nicht nur in das Herz des alten Europa, sondern auch fĂĽnf bis sechs Jahrhunderte zurĂĽck, mitten in’s Mittelalter versetzt.

Die überraschend deutliche Erscheinung machte auf uns völlig den Eindruck der Wirklichkeit. Der Stahlriese mit Allem, was dazu gehörte, erschien mir, als er so auf eine Stadt aus dem 11. Jahrhundert zuzog, noch fremdartiger, als wenn er, in Dampfwolken gehüllt, durch das Land Wischnus und Brahmas trabte.

»Hab‘ Dank, Mutter Natur! rief entzĂĽckt der Kapitän. Nach so vielen Minarets und Kuppeln, so vielen Moscheen und Pagoden doch endlich einmal eine alte Stadt aus der schönen Feudalzeit mit der romanischen und gothischen Pracht, die sie vor meinen Augen entrollt!

– Alle Wetter, scherzte Banks, was unser Freund Hod heute poetisch gestimmt ist. Sollte er vor dem Frühstück schon eine Ballade verzehrt haben?

– Immer lachen Sie, lieber Banks, scherzen und spotten Sie nach Herzenslust, entgegnete Hod; aber blicken Sie nur dorthin! Sehen Sie Alles, wie es im Vordergrund noch größer erscheint; da werden GebĂĽsche zu Bäumen, HĂĽgel wachsen zu Bergen an, und … – Und einfache Katzen wĂĽrden zu Tigern, wenn es hier gerade Katzen gäbe, nicht wahr, Hod?

– O, Banks, das wäre nicht zu verachten! … Ei, rief der Kapitän, da schmelzen ja meine Schlösser am Rhein, die Stadt verschwindet und wir fallen aus dem Himmel auf die Erde, in eine gewöhnliche Landschaft des Königreichs Audh, welches nicht einmal die Tiger mehr bewohnen mögen!«

Die im Osten jetzt mehr heraufgestiegene Sonne hatte das Spiel der Strahlenbrechung plötzlich verwandelt. Die Burgen stürzten gleich Kartenhäusern zusammen und die Hügel sanken zur Ebene herab.

»Wollt Ihr, da die Luftspiegelung verschwunden ist, begann Banks, und mit ihr die ganze dichterische Begeisterung des Kapitän Hod verflogen zu sein scheint, nun vielleicht erfahren, worauf diese Erscheinung hindeutet?

– Sprechen Sie, Ingenieur! antwortete der Kapitän.

– Auf eine demnächstige Veränderung der Witterung, erklärte Banks, wir befinden uns übrigens in den ersten Tagen des Juni, welche stets klimatische Veränderungen herbeiführen. Der Wechsel des Moussons wird die periodische Regenzeit einleiten.

– Nun, lieber Banks, sagte ich darauf, sind wir nicht wohlverwahrt? Mag der Regen immer kommen! Und wenn’s ein diluvianischer wäre, dieser unausstehlichen Hitze ist er allemal vorzuziehen …

– Ihr Wunsch wird in Erfüllung gehen, bester Freund, antwortete Banks. Ich glaube, daß der Regen nicht mehr fern ist und wir bald am Südwesthorizonte die ersten Wolken werden aufsteigen sehen!«

Banks täuschte sich nicht. Gegen Abend belud sich der westliche Horizont mit Dunstmassen, eine Hindeutung, darauf, daß der Mousson, wie es nicht selten zu geschehen pflegt, in der Nacht umspringen werde. Hier sandte uns der indische Ocean über die Halbinsel jene mit Elektricität gesättigten Dünste, gleich großen Schläuchen des Gottes Aeolus, die mit Unwettern und Stürmen gefüllt sind.

Während des Tages zeigten sich auch noch einige andere Erscheinungen, ĂĽber welche kein Anglo-Indianer hatte im Unklaren bleiben können. Längs der StraĂźe wirbelten vor unserem Zug ganze Wolken sehr feinen Staubes her. Zwar muĂźte die jetzt etwas schnellere Bewegung der Räder – sowohl der unseres Motors, wie der beiden rollenden Häuser – Staub aufwirbeln, sicherlich aber nicht in solcher Intensität. Es sah aus wie eine Wolke von Flaumfedern, die eine in Thätigkeit gesetzte Elektrisirmaschine tanzen machte. Wirklich konnte man den Boden fĂĽr einen ungeheueren Receptor ansehen, in dem das elektrische Fluidum sich seit mehreren Tagen schon angehäuft hatte. Uebrigens zeigte jener Staub eine merkwĂĽrdige gelbliche Farbe und in jedem MolekĂĽl desselben glänzte ein leuchtendes PĂĽnktchen. Dann und wann schien unser ganzer Zug sich mitten durch Flammen zu bewegen – freilich Flammen ohne Wärme, die aber weder durch ihre Färbung, noch durch ihre Lebhaftigkeit an das bekannte St. Elmsfeuer erinnerten. Storr erzählte uns, er habe mitunter EisenbahnzĂĽge zwischen einer Doppelwand solch‘ leuchtenden Staubes dahinbrausen gesehen, und Banks bestätigte die Aussagen des Mechanikers. Während einer Viertelstunde konnte ich diese eigenthĂĽmliche Naturerscheinung durch die Lichtpforten des ThĂĽrmchens genau beobachten, von wo aus ich die StraĂźe auf eine Strecke von fĂĽnf bis sechs Kilometer ĂĽberblickte. Der baumlose Weg war staubig und von den senkrechten Sonnenstrahlen grell beleuchtet. Jetzt schien mir die Hitze der Atmosphäre fast die unserer Maschinenfeuerung zu ĂĽbersteigen; jedenfalls war sie geradezu unerträglich, und ich halb erstickt, als ich unter dem FlĂĽgelschlag der Punka einige AthemzĂĽge frischerer Luft schöpfte.

Abends gegen sieben Uhr hielt das Steam-House an. Die von Banks ausgewählte Haltestelle lag am Saume eines Waldes von prächtigen Banianen, der sich unübersehbar weit nach Norden zu erstreckte. Eine schöne Straße durchschnitt denselben und versprach uns für den folgenden Tag eine angenehmere Fahrt unter seinem hohen und ausgebreiteten Blätterdache.

Die Banianen, diese Riesen unter der Flora Indiens, sind wirkliche Großväter, man könnte sagen Häupter von Pflanzenfamilien, umringt von ihren Kindern und Kindeskindern. Aus gemeinschaftlicher Wurzel entspringend, erheben sich die letzteren rings um den Hauptstamm, mit dem sie sonst in keinerlei Verbindung stehen, während sie sich in der Höhe wiederum in dem väterlichen Gezweig verlieren. Sie machen unter dem dichten Blattwerke denselben Eindruck wie Küchlein unter den schützenden Flügeln der Glucke. Daher rührt der merkwürdige Anblick, den diese, oft mehrhundertjährigen Wälder darbieten. Die alten Bäume erscheinen wie isolirte Pfeiler, welche das ungeheuere Gewölbe tragen, dessen feinere Rippen sich auf junge Banianen stützen, die einst selbst zu Pfeilern werden sollen.

An diesem Abend richteten wir uns umfassender als gewöhnlich zum Rasten ein. Sollte der nächstfolgende Tag sich ebenso heiß zeigen wie der eben vergangene, so hatte Banks beschlossen, noch zu verweilen und nur während der Nacht zu fahren.

Oberst Munro wünschte nichts mehr, als einige Stunden in dem schönen, stillen und schattenreichen Walde zu verbringen. Alle stimmten ihm bei, die Einen, weil sie wirklich der Erholung bedurften, die Anderen, weil sie versuchen wollten, endlich ein, der Büchse eines Anderson oder eines Gérard würdiges Thier zu entdecken. Man erräth leicht, wer diese Anderen waren.

»Fox, Goûmi, rief Hod, jetzt ist es erst sieben Uhr! Noch einen Streifzug in den Wald, bevor die Nacht hereinbricht. Werden Sie uns begleiten, Maucler?

– Mein lieber Hod, sagte Banks, ehe ich noch antworten konnte, Sie thäten besser, sich nicht mehr von hier zu entfernen. Der Himmel hat ein drohendes Aussehen. Wenn das Unwetter losbricht, wĂĽrden Sie MĂĽhe haben, den RĂĽckweg zu finden. Im Falle, daĂź wir morgen noch hier rasten, könnten Sie ja dann aufbrechen …

– Morgen, o, da ist’s heller Tag, erwiderte Kapitän Hod, jetzt ist die Stunde gĂĽnstiger zu einem Versuche.

– Das weiß ich, Hod, aber die kommende Nacht sieht mir doch zu unsicher aus. Wenn Sie darauf bestehen, noch heute zu jagen, so wagen Sie sich wenigstens nicht zu weit hinaus. Binnen einer Stunde schon dürfte es sehr finster, und dann schwierig sein, die Haltestelle wieder aufzufinden.

– Seien Sie außer Sorge, Banks, es ist erst sieben Uhr, ich werde den Herrn Oberst nur um einen Urlaub von zwei Stunden ersuchen.

– So gehen Sie, lieber Hod, antwortete Sir Edward Munro, doch lassen Sie Banks‘ Warnung nicht auĂźer Acht.

– Gewiß nicht, Herr Oberst!«

Mit prächtigen Jagdgewehren versehen, verließen Kapitän Hob, Fox und Goûmi das Lager und verschwanden unter den hohen Banianen zur Rechten der Straße.

Mich hatte die Hitze des Tages so sehr ermĂĽdet, daĂź ich es vorzog, im Steam-House zurĂĽckzubleiben.

Inzwischen wurde auf Banks‘ Anordnung das Feuer unter dem Kessel nicht ganz gelöscht, sondern nur gedämpft, um stets eine bis zwei Atmosphären Dampf zu behalten. Der Ingenieur wollte fĂĽr jeden Zufall gerĂĽstet sein.

Storr und Kâlouth erneuerten einstweilen den Brennmaterial- und Wasservorrath. Ein kleiner Bach, der zur linken Seite des Weges floß, lieferte ihnen das letztere und die nahen Bäume das nöthige Holz zur Füllung des Tenders. Monsieur Parazard besorgte seine gewöhnlichen Geschäfte und grübelte, während er die Reste des heutigen Diners abtrug, schon über das für den folgenden Tag.

Noch war es ziemlich hell. Oberst Munro, Banks, der Sergeant Mac Neil und ich wollten am Ufer des Baches Siesta halten. Das klare plätschernde Wasser erfrischte einigermaßen die wahrhaft erstickende Luft. Die Sonne stand noch über dem Horizonte. Der Widerschein ihres Lichtes färbte die Dunstmassen, welche man durch Lücken in dem Blätterdache sich im Zenith ansammeln sah, mit blaugrauen Tinten. Es waren das schwere, dichte, gleichsam condensirte Wolken, welche kein Wind bewegte, sondern die ihren Motor in sich selbst zu haben schienen.

Wir plauderten etwa bis acht Uhr. Von Zeit zu Zeit erhob sich Banks, um den Himmel in größerer Ausdehnung übersehen zu können, indem er bis zum Saume des Waldes ging, der ziemlich eine Viertelmeile von unserer Haltestelle, die Ebene scharf begrenzte.

ZurĂĽckkehrend, schĂĽttelte er bedenklich den Kopf.

Das letzte Mal hatten wir ihn begleitet. Schon wurde es unter den Kronen der Banianen allmälich düster. Vom Waldessaume aus erblickte ich nach Westen zu eine weite Ebene, die sich bis zu einer Reihe kleiner, schon mit den Wolken verschwimmender Hügel erstreckte.

Der Anblick des Himmels in seiner Ruhe war wirklich schrecklich. Kein Lufthauch bewegte die Blätter der hohen Bäume. Die Ruhe der eingeschlummerten Natur, von der die Dichter so oft gesungen, war das aber nicht, sondern ein bleischwerer, krankhafter Schlaf. Es schien, als stände die ganze Atmosphäre unter einer gewissen Spannung. Ich kann den Himmelsraum nicht besser vergleichen, als mit dem Dampfraume eines Kessels, wenn der Dampf zu stark comprimirt ist und eine Explosion bevorsteht.

Diese Explosion drohte hier in kĂĽrzester Zeit.

Die Gewitterwolken erschienen, wie es über Ebenen gewöhnlich der Fall ist, hoch übereinander gethürmt und zeigten gebogene, sehr scharf umschriebene Ränder. Sie schienen anzuschwellen, an Zahl ab- und an Ausdehnung zuzunehmen, während sie immer auf derselben Basis ruhten. Offenbar mußten sie bald in eine einzige Masse zusammengeflossen sein, was die Dichtheit der Wolke nur vermehren konnte. Schon verloren sich kleinere Nebenwolken, wie von einer Art Anziehungskraft getrieben und hin und her gestoßen, in der allgemeinen Dunstmasse.

Gegen achteinhalb Uhr zerriß ein Zickzackblitz mit sehr scharfen Winkeln die dunkle Masse in einer Länge von zweitausendfünfhundert bis dreitausend Metern. Fünfundsechzig Secunden später erreichte uns der Donner und rollte lang hin, wie es bei jenen, etwa fünfzehn Secunden dauernden Blitzen stets der Fall ist.

»Einundzwanzig Kilometer, sagte Banks, der seine Uhr beobachtet hatte. Das ist fast die größte Entfernung, auf welche hin der Donner noch hörbar ist. Wenn das Unwetter aber einmal losbrach, wird es schnell heraufziehen, und wir dürfen es hier nicht erwarten. Kehren wir also zurück, meine Freunde.

– Und Kapitän Hod? fragte Mac Neil.

– Der Donner wird ihn wohl zur Heimkehr mahnen, meinte Banks, ich hoffe, daß er dieser Stimme gehorcht.«

Fünf Minuten später langten wir wieder an der Haltestelle an und nahmen unter der Veranda des Salons Platz.

Zwölftes Capitel.


Zwölftes Capitel.

Feuer ringsum.

Indien theilt mit gewissen Gegenden von Brasilien – unter Anderen der von Rio de Janeiro – das Privileg, von allen Ländern der Erde am häufigsten von Gewittern heimgesucht zu werden. Wenn im mittleren Europa, wie in Deutschland, Frankreich, England, etwa an zwanzig Tagen des Jahres die Stimme des Donners zu hören ist, so ist das auf der indischen Halbinsel mindestens fünfzigmal im Jahre der Fall.

Wie die Umstände heute lagen, hatten wir allen Anzeichen nach ein Gewitter von besonderer Heftigkeit zu erwarten.

Nach unserer Rückkehr in das Steam-House, beobachtete ich das Barometer. Die Quecksilbersäule war in kürzester Zeit um zwei Zoll, von 29 auf 27 (etwa 730 Mm.) gefallen.

Ich theilte das dem Oberst mit.

»Mich beunruhigt die Abwesenheit des Kapitän Hod und seiner Begleiter, erwiderte er. Das Unwetter muß gleich zum Ausbruch kommen, die Nacht rückt heran und die Dunkelheit nimmt schneller zu. Jäger entfernen sich stets weiter, als sie versprechen und selbst, als sie gewollt haben. Wie werden Jene in der tiefen Finsterniß den Rückweg finden?

– Die Tollköpfe! fiel Banks ein. Sie wollten auch keine Vernunft annehmen. Besser, sie wären ganz hiergeblieben.

– Gewiß, Banks, doch sie sind einmal weg, entgegnete Oberst Munro, und an uns ist es, Alles zu thun, um ihnen die Rückkehr zu erleichtern.

– Giebt es kein Mittel, ihnen die Stelle, wo wir liegen, zu bezeichnen? wandte ich mich an den Ingenieur.

– O doch, antwortete Banks, wenn wir unser elektrisches Licht anzünden, das sehr mächtig und weithin zu sehen ist. Ich werde den Strom schließen.

– Eine herrliche Idee, Banks!

– Soll ich mich zur Aufsuchung des Kapitän Hod aufmachen? fragte der Sergeant.

– Nein, mein alter Neil, erklärte Oberst Munro, Du würdest ihn nicht finden und Dich nur noch selbst verirren.«

Banks brachte die Elemente der Säule in Stand, schloß den Strom und bald warfen die beiden Augen des Stahlriesen, gleich zwei elektrischen Leuchttürmen, ihre Strahlenbündel durch die Finsterniß unter den Banianen. Bei der besonders dunklen Nacht mußte die Tragweite des Lichtes gewiß eine weite sein und konnte unseren Jägern als Leitstern dienen.

Da erhob sich plötzlich ein Orkan mit entsetzlicher Gewalt. Er zerriß die Gipfel der Bäume, bog die jungen Banianenstämme zu Boden und pfiff durch dieselben wie durch die Pfeifen einer Orgel.

Alles war das Werk eines Augenblickes.

Ein Hagel von vertrockneten Zweigen und ein Regen von abgerissenen Blättern bedeckte die Straße. Die Bedachung des Steam-Houses hallte wider von fortwährendem Rauschen des Stromes, der sich darüber hinwegwälzte.

Wir muĂźten uns in den Salon flĂĽchten und alle Fenster dicht verschlieĂźen.

»Das ist eine Art Tofan,« sagte Banks.

So bezeichnen die Indier die heftigen und urplötzlichen Stürme, welche vorzüglich die Berggegenden verwüsten und im ganzen Lande gefürchtet sind.

»Storr, rief Banks dem Mechaniker zu, hast Du die Fensteröffnung des Thurmes gut verschlossen?

– Gewiß, Herr Banks, erklärte der Mechaniker, von dieser Seite ist nichts zu fürchten.

– Wo ist Kâlouth?

– Er schichtet eben das letzte Brennmaterial in dem Tender auf.

– Morgen werden wir das Holz nur aufzulesen brauchen, meinte der Ingenieur. Der Wind fällt es selbst und erspart uns die MĂĽhe. Pass‘ auf, daĂź wir Druck behalten, Storr, und suche unter Dach und Fach zu bleiben.

– Soll geschehen.

– Sind die Bunker voll, Kâlouth? fragte Banks.

– Ja, Herr Banks, antwortete der Heizer. Auch der Wasservorrath ist ergänzt.

– Gut, so komm herein!«

Maschinist und Heizer hatten bald im zweiten Wagen Platz genommen.

Jetzt leuchteten die Blitze häufiger auf und aus den Wolken hörte man ununterbrochen das dumpfe Rollen. Der Tofan hatte die Luft nicht abgekühlt. Es war ein trockener Wind mit heißem Athem, so als käme er selbst aus der Mündung eines Hochofens her.

Sir Edward Munro, Banks, Mac Neil und ich verließen den Salon, um nach der Veranda zu gehen. Das hohe Geäst der Banianen zeichnete sich gleich einer feinen, schwarzen Spitze auf dem feurigen Hintergrunde des Himmels ab. Auf jeden Blitz folgte schon nach wenigen Secunden ein heftiger Donner. Das Echo davon konnte gar nicht verstummen, weil sich stets schon ein neuer Donnerschlag hineinmischte. So rollte unausgesetzt ein tiefer Baß daher und unter diesen mischten sich noch jene trockenen Detonationen, welche Lucretius so passend mit dem scharfen Schrei zerreißenden Papieres verglichen hat.

»Warum sie nur auch wegen des Unwetters nicht zurückkehren? begann Oberst Munro.

– Vielleicht, meinte der Sergeant, hat Kapitän Hod mit seinen Begleitern ein Obdach im Walde, in der Höhlung eines Baumes oder unter einem Stein gefunden, und sie kommen erst morgen zurück. Wir sind ja dann noch immer zur Stelle!«

Banks schĂĽttelte den Kopf. Er schien Mac Neil’s Ansicht nicht zu theilen.

Jetzt – es mochte gegen neun Uhr sein – begann der Regen in furchtbaren Strömen herabzustürzen. Er war mit großen Hagelkörnern vermischt, welche uns steinigten und auf das klingende Dach des Steam-Houses niederprasselten. Es klang wie ein furchtbarer Trommelwirbel. Einander zu hören, war vollständig unmöglich, auch wenn es nicht unaufhörlich gedonnert hatte. Die von den Schloßen abgeschlagenen Banianenblätter flogen auf allen Seiten umher.

Banks, der sich inmitten dieses betäubenden Lärmens nicht verständlich machen konnte, erhob den Arm und wies uns auf die Schloßen hin, welche die Seiten des Stahlriesen trafen.

Unglaublich! Alles funkelte bei der Berührung mit den harten Eisstücken. Man hätte meinen sollen, daß aus den Wolken wirklich Tropfen geschmolzenen Metalles kämen, die bei Berührung mit dem Stahlpanzer Lichtfunken auswarfen. Diese Erscheinung bewies, wie stark die Atmosphäre mit Elektricität geladen war. Unausgesetzt durchströmte sie die leuchtende Materie, so daß der ganze Himmelsraum ein Feuer zu sein schien.

Banks winkte uns wieder nach dem Salon zurĂĽck und schloĂź die nach der Veranda fĂĽhrende ThĂĽr. GewiĂź konnte man sich in freier Luft diesen elektrischen Entladungen nicht ungestraft aussetzen.

Im Innern des Hauses standen wir fast im Finstern, wodurch die Beleuchtung der Außenwelt nur um so sichtbarer wurde. Wie erstaunten wir aber, sogar den eigenen Speichel leuchten zu sehen! Auch wir mußten von dem umgebenden Fluidum im höchsten Grade imprägnirt sein.

»Wir spieen Feuer,« um den Ausdruck, zu gebrauchen, mit dem man diese selten beobachtete und immer erschreckende Erscheinung charakterisirt hat. In der That mußte unter diesem fortwährenden Aufleuchten, dem Feuer draußen, unter dem Krachen des Donners bei den gewaltigen Blitzen auch das furchtloseste Herz doch etwas schneller schlagen.

»Und sie! sagte bedauernd Oberst Munro.

– Ja, wo mögen sie sein!« antwortete Banks.

Unsere Lage war entsetzlich. Nicht das Geringste konnten wir thun, um den so sehr bedrohten Kapitän Hod und seinen Begleitern zu Hilfe zu kommen.

Wenn sie Schutz gefunden hatten, so konnte das nur unter den Bäumen selbst sein, und man weiß, mit welchen Gefahren das unter schweren Gewittern verbunden ist. Wie hätten sie sich in dem dichten Walde fünf bis sechs Meter von der die äußersten Zweige eines Baumes schneidenden senkrechten Linie aufhalten können – wie man es Denen empfiehlt, die in der Nähe von Bäumen von einem Gewitter überrascht werden?

Alles das ging mir durch den Kopf, als ein furchtbarer Donnerschlag, noch trockener als die anderen, mein Ohr traf, der mit dem Blitze fast zusammenzufallen schien.

Gleichzeitig machte sich ein scharfer Geruch bemerkbar – der durchdringende Geruch von salpetrigen Dämpfen – und gewiß hätte Regenwasser, das während dieses Wetters aufgefangen wurde, große Mengen derselben Säure erkennen lassen.

«Der Blitz hat eingeschlagen … meinte Mac Neil. – Storr, Kâlouth, Parazard!« rief Banks.

Alle Drei erschienen im Salon. Zum GlĂĽck war Keiner von ihnen getroffen.

Der Ingenieur stieĂź die ThĂĽr zur Veranda auf und begab sich nach dem Balkon.

»Dort … seht dort! …« sagte er.

Zehn Schritte von uns an der linken Seite der Straße, war eine große Baniane getroffen worden. Bei dem unausgesetzten elektrischen Scheine sahen wir sie wie am hellen Tage. Der ungeheuere Stamm, den seine Ausläufer nicht mehr zu halten vermochten, lag quer zwischen den anderen Bäumen. In seiner ganzen Länge war die Rinde abgesprengt und frei in der Luft hing ein langer Fetzen derselben, der umhergeworfen wurde wie eine Schlange, die sich von Baumästen herabschlängelt. Die Abschälung mußte von unten nach aufwärts stattgefunden haben, also von einem aufsteigenden Blitz von ungeheuerer Gewalt herrühren.

»Da fehlte nicht viel, daß unser Steam-House getroffen worden wäre! sagte der Ingenieur. Doch bleiben wir hier, es ist immer ein besserer Schutz, als der unter Bäumen!«

Da hörten wir einen lauten Aufschrei. Rührte er vielleicht von unseren heimkehrenden Genossen her?

»Das war Parazard’s Stimme,« sagte Storr.

Wirklich rief uns der Koch, der sich unter der letzten Veranda befand, zu sich hin.

Wir folgten eifrigst seinem Rufe.

Kaum hundert Meter von unserer Haltestelle und rechts von derselben war der Banianenwald entzündet. Schon verschwanden die höchsten Gipfel der Bäume unter den lodernden Flammen. Das Feuer entwickelte sich unglaublich heftig und schritt schneller, als man hätte glauben sollen, auf das Steam-House zu.

Da entstand eine ernste Gefahr. Die lange Dürre und die hohe Temperatur der drei Monate heißer Jahreszeit hatten Bäume, Gebüsche und Gräser ausgetrocknet. An dem leicht entzündbaren Material fand das Feuer vollauf Nahrung. Wie das in Indien wiederholt vorkommt, war der ganze Wald bedroht, von den Flammen verzehrt zu werden.

Unzweifelhaft sah man, wie das Feuer an Umfang gewann und sich nach allen Seiten verbreitete. Erreichte es unsere Haltestelle, so wurden die beiden Wagen sicher binnen wenig Minuten zerstört, denn ihre dünnen Wände konnten nicht den gleichen Widerstand leisten, wie die Stahlblechumhüllung eines feuerfesten Geldschrankes.

Schweigend standen wir der Gefahr gegenĂĽber. Oberst Munro kreuzte die Arme.

»Banks, begann er sehr ruhig, es ist Deine Sache, uns aus dieser Lage zu helfen.

– Ja wohl, Munro, antwortete der Ingenieur, und da wir kein Mittel haben, die Feuersbrunst zu löschen, so werden wir ihr entfliehen müssen.

– Zu Fuße? rief ich erschrocken.

– O nein, mit dem ganzen Zuge.

– Und was wird aus Kapitän Hod und seinen Begleitern? warf Mac Neil ein.

– Wir können nichts für sie thun. Sind sie nicht zurück, bevor wir aufbrechen, so kann ich mir nicht helfen.

– Wir dürfen sie aber nicht im Stiche lassen! erklärte der Oberst.

– Wenn der Train in Sicherheit ist, Munro, erwiderte ihm Banks, wenn ihn die Flammen nicht mehr erreichen können, so kehren wir zurück und durchsuchen den ganzen Wald, bis wir Jene entdeckt haben.

– Thu‘ was Du willst, Banks, sagte Oberst Munro, der sich dem Rathe des Ingenieurs, gewiĂź dem einzigen, der hier am Platze war, fĂĽgen muĂźte.

– Storr, rief Banks, an Deine Maschine, und Du, Kâlouth, an den Kessel und schüre das Feuer! – Welchen Druck zeigt das Manometer?

– Zwei Atmosphären, meldete der Mechaniker.

– Binnen zehn Minuten mĂĽssen wir vier haben. Nun vorwärts, Ihr Leute, an’s Werk!«

Der Mechaniker und der Heizer ließen sich nicht antreiben. Bald wirbelten schwarze Rauchwolken aus dem Rüssel des Elephanten und mischten sich mit den Regenströmen, um die sich der Riese gar nicht zu kümmern schien. Auf die Blitze, welche den Himmel in Feuer hüllten, antwortete er mit einem Sprühregen von Funken. Ein Dampfstrahl pfiff durch den Rauchfang und der künstlich vermehrte Zug beschleunigte die Verbrennung des Holzes, das Kâlouth auf dem Roste aufhäufte.

Sir Edward Munro, Banks und ich waren auf der hinteren Veranda zurückgeblieben und beobachteten die Fortschritte der Feuersbrunst im Walde; die großen Bäume sanken in der gewaltigen Lohe zusammen, die Zweige krachten wie Revolverschüsse, die Lianen schwankten von einem Stamme zum anderen und das Feuer pflanzte sich auf neue und immer neue Herde fort. In fünf Minuten war der Brand auf fünfzig Meter vorgeschritten und die vom Sturmwind zerzausten Flammen züngelten zu einer solchen Höhe auf, daß die Blitze sie in allen Richtungen kreuzten.

»Binnen fünf Minuten müssen wir den Platz verlassen haben, erklärte Banks, oder es fängt Alles Feuer!

– Diese Feuersbrunst greift schnell um sich! bemerkte ich.

– Wir werden noch schneller vorwärts kommen!

– Wenn nur Hod und seine Begleiter da wären! klagte Sir Edward Munro.

– Wir wollen pfeifen, ja, ja, pfeifen, rief Banks, vielleicht hören sie das!«

Er eilte nach dem Thürmchen und bald ertönte die Luft von schrillen Pfiffen, die sich von dem rollenden Donner so auffällig unterschieden, daß sie gewiß weithin vernehmbar sein mußten.

Unsere Lage wird sich Jedermann eher denken können, als man sie schildern kann.

Auf einer Seite die Nothwendigkeit, so schnell als möglich zu entfliehen, auf der anderen die Verpflichtung, die noch nicht Zurückgekehrten zu erwarten.

Banks war nach der hinteren Veranda zurückgekommen. Der Rand des Feuers lag jetzt kaum noch fünfzig Fuß vom Steam-House entfernt. Ringsum verbreitete sich eine unerträgliche Hitze und die glühende Luft wurde nahezu unathembar. Schon fielen eine Menge glühender Holzstücke auf unseren Train nieder. Zum Glück schützte ihn der noch fortdauernde Platzregen, der ihn jedoch gegen das eigentliche Feuer selbst gewiß nicht sichern konnte.

Noch immer dauerte das scharfe Pfeifen der Maschine fort, doch weder Hod, noch Fox oder Goûmi ließen sich sehen.

Da trat der Mechaniker zu Banks heran.

»Wir haben den verlangten Druck, sagte er.

– Nun dann, vorwärts, Storr, erwiderte dieser, doch nicht zu schnell! … Es gilt nur auĂźer dem Bereiche des Waldbrandes zu bleiben.

– Warte noch, Banks, warte noch, bat Oberst Munro, der sich nicht entschließen konnte, den Halteplatz zu verlassen.

– Noch drei Minuten, Munro, antwortete Banks sehr kühl, doch auf keinen Fall länger. In drei Minuten schon kann der Hintertheil des Zuges Feuer fangen!«

Zwei Minuten verstrichen. Das Verweilen auf der Veranda wurde jetzt zur Unmöglichkeit. Man konnte die Hand schon nicht mehr auf das erhitzte Blech legen, welches sich zu krümmen begann. Jetzt noch länger zu warten, wäre die schwerste Thorheit gewesen.

»Vorwärts, Storr! befahl Banks.

– Ach, da! … rief der Sergeant.

– Sie sind es!«

Kapitän Hod und Fox erschienen an der rechten Seite der StraĂźe. In ihren Armen trugen sie GoĂ»mi’s scheinbar leblosen Körper, und gelangten eben an den Auftritt zum zweiten Wagen.

»Todt? fragte Banks.

– Nein, aber vom Blitz getroffen, der ihm das Gewehr in der Hand zertrümmerte, erklärte Kapitän Hod, und auf dem linken Beine gelähmt.

– Gott sei gelobt! brach Oberst Munro aus.

– Meinen Dank auch, Banks, setzte der Kapitän hinzu. Ohne Ihr Pfeifensignal hätten wir die Haltestelle schwerlich wiedergefunden!

– Nun schnell hier weg, drängte Banks, nun vorwärts!«

Hod und Fox waren in den Wagen gesprungen, und Goûmi, der den Gebrauch der Sinne nicht ganz verloren hatte, wurde in seiner Cabine niedergelegt.

»Wie viel Druck haben wir? fragte dieser den Mechaniker.

– Ziemlich fĂĽnf Atmosphären, lautete Storr’s Antwort.

– Nun dann fort!« wiederholte Banks.

Es war jetzt halb elf Uhr. Banks und Storr nahmen in dem Thürmchen Platz. Der Regulator ward geöffnet, der Dampf strömte in die Cylinder, das erste Schnaufen ließ sich vernehmen und der Zug setzte sich langsam in Bewegung, inmitten der dreifachen Beleuchtung, durch den Brand der Banianen, durch die elektrischen Lampen des Elephanten und die flammenden Blitze des Himmels.

Kapitän Hod erzählte uns mit kurzen Worten die Vorgänge während seines Ausfluges, bei dem die Jäger keine Spur eines Thieres angetroffen hatten. Mit dem Aufsteigen des Gewitters kam die Dunkelheit schneller und tiefer, als sie gedacht hatten. Sie wurden von dem ersten Donnerschlage überrascht, als sie etwa drei Meilen weit entfernt waren. Natürlich wollten sie nun sofort umkehren, doch trotz aller Mühe, sich zurecht zu finden, verirrten sie sich unter den großen Banianengruppen, die einander gar zu sehr ähnelten, da ihnen kein Steg die Richtung angab.

Inzwischen brach das Unwetter mit aller Wuth los. Das elektrische Licht konnte bis zu der Stelle, wo sie sich befanden, nicht dringen, so daß sie gewiß nicht in gerader Linie auf das Steam-House zuschritten. Hagel und Regen fiel in Strömen. Ein Obdach gab es nicht, außer dem unzulänglichen des Blätterdaches, das bald genug durchlöchert wurde.

Plötzlich krachte ein furchtbarer Donnerschlag zugleich mit einem blendenden Blitze. Neben dem Kapitän sank GoĂ»mi vor Fox‘ FĂĽĂźen zur Erde. Von dem Gewehre in seiner Hand hielt er nur noch den Schaft. Lauf, SchloĂź, DrĂĽckerbĂĽgel, kurz Alles, was von Metall daran war, hatte die elektrische Entladung zerstreut.

Seine Genossen hielten ihn für todt, was sich glücklicherweise nicht bestätigte; obwohl er aber von dem Fluidum nicht selbst getroffen schien, war doch sein linkes Bein gelähmt, so daß der arme Goûmi keinen Schritt gehen konnte. Er mußte also getragen werden. Vergeblich bat er, ihn vorläufig zurückzulassen und erst später abzuholen. Seine Begleiter gaben nicht nach; der Eine erfaßte ihn an den Schultern, der Andere an den Beinen, und so zogen sie auf gut Glück durch das Dunkel des Waldes weiter.

Zwei volle Stunden lang irrten Hod und Fox auf diese Weise umher, zögerten, hielten einmal an und setzten dann den Weg weiter fort, ohne irgend einen Anhalt, der ihnen die Lage des Halteplatzes hätte andeuten können.

Endlich hörten sie mitten unter dem Wüthen der Elemente und dem Sausen des Sturmes den scharfen Ton der Dampfpfeife, der vernehmlicher war, als es sogar Flintenschüsse gewesen wären. Sie erkannten die Stimme des Stahlriesen.

Eine Viertelstunde später gelangten alle Drei nach der Stelle, die eben verlassen werden sollte. Es war die höchste Zeit!

Während der Zug nun auf der breiten und ebenen Straße im Walde dahinrollte, machte der Brand doch noch schnellere Fortschritte. Daneben wuchs die Gefahr noch mehr, als der Wind umsprang, wie es bei solchen Gewitterstürmen häufig vorkommt. Statt von der Seite zu wehen, blies er jetzt von rückwärts und belebte durch seine Heftigkeit das Feuer wie ein Ventilator, der einem Herde Sauerstoff zuführt. Der Waldbrand nahm rasch weiter zu. Brennende Zweige und glimmende Holzstücke wirbelten in einer Wolke von glühender Asche umher, die sich von der Erde erhob, als ob ein Krater seine vulkanischen Massen gen Himmel schleuderte. Wirklich ließ sich die Feuersbrunst mit nichts besser vergleichen, als mit einem Lavastrome, der sich über das Land wälzt und Alles auf seinem Wege vernichtet.

Banks bemerkte das wohl. Hätte er’s auch nicht gesehen, so muĂźte es ihm der glĂĽhend heiĂźe Luftstrom sagen, der ĂĽber uns dahinstrich.

Die Fahrt wurde also beschleunigt, obgleich das auf dem unbekannten Wege nicht ohne Gefahr war. Die von Regen ĂĽberfluthete StraĂźe hatte aber so tiefe Furchen, daĂź die Maschine nicht so viel leistete, als der Ingenieur gern wollte.

Gegen halb zwölf Uhr erfolgte ein neuer Donnerschlag mit einem furchtbaren Blitze. Unwillkürlich entrang sich unser ein lauter Schrei. Wir glaubten nicht anders, als daß Banks und Storr im Thürmchen, von wo aus sie die Fahrt leiteten, erschlagen worden wären.

Dieses Unglück sollte uns jedoch erspart bleiben. Nur unser Elephant war an der Spitze eines seiner langen, hängenden Ohren von der elektrischen Entladung getroffen worden. Die Maschine hatte dabei zum Glück keinen Schaden erlitten, und der Stahlriese schien dem Wüthen des Unwetters nur durch vermehrtes Brausen und Sausen antworten zu wollen.

»Hurrah! rief Kapitän Hod, Hurrah! Ein Elephant aus Fleisch und Bein wäre auf der Stelle zusammengesunken. Du, Du trotzest dem Blitze, Dich vermag nichts aufzuhalten. Hurrah, Stahlriese! Hurrah!«

Während einer halben Stunde hielt sich unser Zug immer in geeigneter Entfernung. Da er fürchten mußte, zu heftig gegen irgend ein Hinderniß zu stoßen, wollte Banks die Geschwindigkeit nicht weiter steigern, als nothwendig war, um vor dem Feuer geschützt zu bleiben.

Von der Veranda aus, wo Oberst Munro, Hod und ich Platz genommen hatten, sahen wir gewaltige Schatten vor uns her eilen, welche im Lichte des Brandes und der Blitze dahinflogen. Das waren endlich Raubthiere!

Aus Vorsicht ergriff Hod seine Büchse, denn es war ja möglich, daß die entsetzten Bestien sich auf den Train stürzen konnten, um dort Schutz oder ein Obdach zu suchen.

Ein ungeheuerer Tiger machte wirklich diesen Versuch; als er sich aber mit gewaltigem Sprunge erhob, fingen ihn die Ausläufer einer Baniane am Halse. Der Hauptstamm, der sich unter der Wucht des Sturmes bog, zog dieselben an wie zwei lange Stricke, welche das Thier erwürgten.

»Armer Kerl! sagte Fox bedauernd.

– Diese Thiere, fuhr Kapitän Hod entrüstet fort, sind dazu geschaffen, von einer ehrlichen Büchsenkugel erlegt zu werden. Ja, Du armer Teufel!«

Wahrlich, Kapitän Hod hatte Pech! Als er Tiger suchte, fand er keinen, und als er sie sah, stürmten sie im Fluge vorbei, ohne daß er auf sie schießen konnte, oder erwürgten sich wie eine Maus im Drahte der Falle!

Um ein Uhr Morgens verdoppelte sich die Gefahr noch, so groĂź sie auch schon gewesen war.

Unter dem unbeständigen Winde, der von allen Richtungen her wehte, hatte sich der Waldbrand sogar schon vor uns ausgebreitet, und wir waren jetzt vollständig eingeschlossen.

Das Gewitter hatte indessen an Heftigkeit abgenommen, wie das stets geschieht, wenn solche Wetter über einen großen Wald ziehen, wo die Bäume die Elektricität anziehen und nach und nach erschöpfen. Doch, wenn auch die Blitze seltener wurden und der Donner nur in Zwischenräumen ertönte, auch der Regen schwächer fiel, so sauste doch der Sturm noch mit gleicher Gewalt über die Erde hin.

Jetzt mußte die Fahrt unseres Zuges unbedingt, selbst auf die Gefahr, gegen ein Hinderniß anzustoßen oder in einen Abgrund zu stürzen, so viel als möglich beschleunigt werden.

Banks that das auch, und zwar mit erstaunlich kaltem Blute, die Augen an den Linsen des ThĂĽrmchens und die Hand am Regulator, den er nie loslieĂź.

Zwischen zwei Feuerspalieren lag unsere StraĂźe offen. Es gab keine Wahl, wir muĂźten dazwischen hindurch.

Banks drang mit einer Geschwindigkeit von sechs bis sieben Meilen in der Stunde hinein.

Ich glaubte schon unser Ende nahe, als wir auf die Strecke von fĂĽnfzig Metern eine sehr enge Stelle zwischen den Flammen passiren muĂźten. Die Räder des Zuges knirschten auf glĂĽhenden Kohlen, welche die StraĂźe bedeckten, und eine glĂĽhende Atmosphäre umhĂĽllte uns ganz und gar! …

Wir kamen glĂĽcklich hindurch!

Endlich, um zwei Uhr Morgens, erschien der entgegengesetzte Waldessaum unter dem Scheine der schon sehr seltenen Blitze. Hinter uns breitete sich ein grenzenloses Flammenmeer aus. Das Feuer erlosch gewiĂź nicht eher, als es den ausgedehnten Wald bis zur letzten Baniane verzehrt hatte.

Mit Tagesanbruch machte unser Zug Halt; das Gewitter hatte sich vollständig verzogen und wir richteten uns zu einer vorläufigen Rast ein. Unser Elephant, der nun sorgfältig untersucht wurde, zeigte an der Spitze des rechten Ohres einige Löcher, deren Ränder nach innen umgebogen waren.

Gewiß wäre einem solchen Blitzschlage jedes andere Thier als ein Elephant aus Stahl unterlegen, um sich nicht wieder zu erheben, und der Waldbrand würde den ganzen Zug in kurzer Zeit vernichtet haben!

Um sechs Uhr Morgens ging die Fahrt nach kurzer Rast weiter und gegen Mittag langten wir in der Nachbarschaft von Rewah an.