Achtes Capitel


Achtes Capitel

Das große Experiment

Bei Gelegenheit der schönen Untersuchungen über die Löslichkeit fester Körper in Gasen – Untersuchungen, mit denen er sich das ganze vorausgegangene Jahr beschäftigt hatte – war Cyprien natürlich aufgefallen, daß gewisse Substanzen, wie Kieselsäure und Thonerde zum Beispiel, welche an sich in Wasser nicht löslich sind, das doch in Wasserdampf unter starkem Druck und hoher Temperatur werden können.

Diese Erfahrung führte ihn auf den Gedanken, zuerst zu prüfen, ob er nicht ein gasartiges Lösungsmittel des Kohlenstoffes entdecken könne, um diesen dann zur Krystallisation zu bringen.

Aber alle seine Versuche in dieser Hinsicht blieben erfolglos, und nach mehreren Wochen vergeblicher Bemühungen sah er sich genöthigt, seine Angriffsbatterien zu verändern.

»Batterien« ist wirklich das richtige Wort, denn wie sich aus dem Folgenden ergiebt, sollte eine Kanone darin eine Rolle spielen.

Verschiedene Analogien führten den jungen Ingenieur zu der Annahme, daß der Diamant sich in den Kopjen vielleicht auf ganz gleiche Weise bilden könne, wie der Schwefel in den Solfataren. Nun weiß man aber, daß der Schwefel hier durch eine halbe Oxydation des Schwefelwasserstoffes entsteht, aus dem sich, während ein Theil in Schwefelsäure übergeführt wird, ein anderer Theil in Form von Krystallen an den Wänden der Solfataren niederschlägt.

»Wer weiß, sagte sich Cyprien, ob die Diamantfundstätten nicht wirkliche Carbonataren sind? Denn offenbar gelangt eine Mischung von Wasserstoff und Kohlenstoff nothwendig dahin mit dem Wasser und den alluvialen Ablagerungen, und zwar in Form von Sumpfgas. Warum könnte es nicht die Oxydation des Wasserstoffes in Verbindung mit der theilweisen Oxydation des Kohlenstoffes sein, welche die Auskrystallisirung des Kohlenstoffes veranlaßte?«

Von diesem Gedanken bis zu dem Versuche, irgend einen Körper in analoger, aber künstlicher Reaction die theoretische Function des Sauerstoffes spielen zu lassen, war es für einen Chemiker natürlich nicht weit.

Cyprien ging denn auch sofort daran, diesen Vorsatz zur Ausführung zu bringen. Zunächst handelte es sich darum, für das Experiment eine Anordnung zu treffen, die sich so weit als möglich den bei der natürlichen Erzeugung des Diamants vermutheten Verhältnissen näherte. Diese Anordnung mußte auch eine sehr einfache sein. Alles, was Natur oder Kunst nur Großes leisten, trägt diesen Charakter. Giebt es etwas weniger complicirtes, als gerade die schönsten von den Menschen gemachten Entdeckungen und Erfindungen, die Gravitation, der Compaß, die Buchdruckerkunst, die Dampfmaschine, der elektrische Telegraph?

Cyprien holte selbst aus dem Grunde der Mine einigen Vorrath an Erde jener Art, die er für sein Experiment am geeignetsten hielt. Dann vermengte er mit dieser Erde ein ziemlich fettes Material, mit dem er das Innere eines Stahlrohres von einem halben Meter Länge, bei einer Wanddicke von fünf Centimetern und einem inneren Durchmesser von acht Centimetern, sorgfältig ausfüllte.

Dieses Rohr aber bestand aus nichts Anderem, als dem abgeschnittenen Stücke einer nicht mehr gebrauchten Kanone, die er zufällig im Kimberley erkaufen konnte, wo eine freiwillige Schaar, welche in einem Feldzuge gegen benachbarte Kaffernstämme Dienste geleistet hatte, eben aufgelöst wurde. In der Werkstätte des Jacobus Vandergaart passend zurechtgeschnitten, lieferte diese Kanone genau den Apparat, dessen er bedurfte, das heißt einen Recipienten von hinreichender Widerstandsfähigkeit, um einen enormen inneren Druck auszuhalten.

Nachdem er in das vorläufig an einem Ende verstopfte Rohr Kupferbruchstücke und etwa zwei Liter Wasser gebracht, füllte es Cyprien vollständig mit Sumpfgas an. Dann verkittete er diesen Satz sorgfältig und ließ nun beide Enden mit Metallpfropfen von zweifelloser Festigkeit abschließen. Der Apparat war nun fertig und es galt nur noch, denselben einer höchst intensiven Hitze auszusetzen.

Er wurde also in einer Art großen Reverberirofens untergebracht, in dem das Feuer Tag und Nacht unterhalten werden sollte, um eine, auf die Dauer von zwei vollen Wochen berechnete Weißglühhitze zu erzeugen.

Rohr und Ofen wurden außerdem noch mit feuerbeständigem Thon umgeben, der nur eine möglichst große Wärme halten und dann eine sehr langsame Abkühlung zulassen sollte, wenn die Zeit dazu herankam.

Das Ganze glich mehr einem ungeheuren Bienenkorbe oder etwa einer Eskimohütte.

Matakit war jetzt schon in der Lage, seinem Herrn einige Dienste zu leisten. Er hatte alle Vorbereitungen zu dem Experiment mit äußerster Aufmerksamkeit verfolgt, und als er erfuhr, daß es sich um die Darstellung von Diamanten handelte, zeigte er sich nicht wenig eifrig, zu dem Gelingen des Unternehmens nach Kräften beizutragen. Er hatte bald gelernt, das Feuer so zu unterhalten, daß man ihm diese Arbeit getrost allein überlassen konnte.

Es möchte sich übrigens kaum Jemand vorstellen, wie viel Zeit und Mühe es in Anspruch nahm, diese Vorbereitungen zu treffen. In jedem größeren Laboratorium würde man im Stande gewesen sein, dieses Experiment zwei Stunden, nachdem es beschlossen worden, zur Ausführung zu bringen, während Cyprien in diesem wilden Lande nicht weniger als drei Wochen brauchte, um seine Idee nur unvollkommen zu verwirklichen. Dabei hatten ihn noch besondere Glücksumstände begünstigt, indem er in genannter Stadt nicht nur die alte Kanone fand, sondern auch die ihm so nothwendige Kohle bekam. Dieses Material war sonst in Kimberley so selten, daß man sich, um eine Tonne desselben zu erhalten, wohl an mindestens drei Händler wenden mußte.

Endlich waren alle Schwierigkeiten überwunden, und nachdem das Feuer einmal in Brand gesetzt war, übernahm es Matakit, dasselbe nicht wieder verlöschen zu lassen. Der junge Kaffer war übrigens sehr stolz auf seine Function. Diese konnte ihm jedoch kaum eine neue sein, denn ohne Zweifel hatte er zu Hause bei seinem Stamme schon häufig in einer Art Höllenküche hantirt.

Cyprien hatte sich einmal bei verschiedenen Gelegenheiten überzeugt, daß Matakit, seit er in seine Dienste getreten war, bei den übrigen Kaffern das Ansehen eines Zauberers genoß. Einige Kenntnisse elementarer Chirurgie und zwei oder drei Taschenspielerkunststückchen, die er von seinem Vater gelernt haben mochte, bildeten seine ganzen Zauberkünste, Trotzdem kamen die Leute, um ihn wegen wirklicher oder eingebildeter Krankheiten zu befragen, um sich Träume deuten, Prophezeiungen vorsagen oder ein Urtheil fällen zu lassen. Seine Vorschriften waren meist ebenso unsinnig, wie seine Aussprüche albern, die nackten Landsleute schienen mit denselben jedoch zufrieden zu sein. Was brauchte es mehr?

Wir müssen hier auch bemerken, daß die Retorten und Flaschen, von denen er jetzt im Laboratorium des jungen Ingenieurs umgeben war, ohne die geheimnißvollen Arbeiten zu rechnen, an welchen er mitwirkte, nicht wenig dazu beitrugen, sein Ansehen noch zu erhöhen.

Cyprien konnte sich oft des Lachens nicht enthalten, sobald er die feierliche Miene sah, welche der brave Bursche annahm, wenn er seine bescheidene Arbeit als Heizer verrichtete, entweder die Kohlen aus dem Rost erneuerte, das Feuer schürte oder gar ein Probirgläschen und einen Schmelztiegel abstäubte. Immerhin lag etwas Einnehmendes in dieser Ernsthaftigkeit. Sie war der naive Ausdruck des Respects, den die Wissenschaft einer rohen, aber intelligenten und wissensdurstigen Natur einflößte.

Matakit hatte daneben auch seine lustigen, fast übermüthigen Stunden. Vorzüglich, wenn er sich in Gesellschaft Lî’s befand. Zwischen diesen beiden Wesen von so verschiedener Abstammung hatte sich eine wirklich innige Freundschaft entwickelt, in Folge der jetzt ziemlich häufigen Besuche, welche der Chinese in der Farm Watkins abstattete. Beide sprachen nothdürftig französisch, Beide waren durch Cyprien vom drohenden Tode gerettet worden und bewahrten ihm eine lebhafte Erkenntlichkeit. Es erschien also natürlich, daß sie sich durch aufrichtige Antheilnahme zu einander hingezogen fühlten, und diese Theilnahme hatte sich allmählich in Zuneigung verwandelt.

Wenn sie unter sich waren, gaben Lî und Matakit dem jungen Ingenieur einen ebenso einfachen, wie rührenden Namen, der recht gut die Natur der Gefühle ausdrückte, die sie für seine Person hegten, sie nannten ihn »das Väterchen« und sprachen von ihm nur mit hoher Bewunderung und fast übertriebener Hingebung.

Diese Ergebenheit trat seitens Lî’s in der peinlichen Aufmerksamkeit zu Tage, die er beim Waschen und Bügeln der Leibwäsche Cypriens beobachtete; seitens Matakit’s in der wahrhaft religiösen Sorgfalt, mit der er sich bemühte, allen Anordnungen seines Herrn gewissenhaft zu entsprechen.

Zuweilen ließen sich die beiden Kameraden, in ihrem Eifer, »das Väterchen« zu erfreuen, etwas zu weit gehen. So kam es, daß Cyprien zum Beispiel auf seinem Tische – er aß jetzt zu Hause – Früchte oder Leckereien vorfand, die er gar nicht verlangt und deren Ursprung ihm unerklärlich blieb, denn auf den Rechnungen der Lieferanten fanden sie sich nicht wieder. Oder es kam auch vor, daß in seinen Hemden, wenn dieselben aus der Wäsche zurückkamen, goldene Knöpfchen unbekannten Herkommens steckten. Ebenso vervollständigten von Zeit zu Zeit ein eleganter, bequemer Stuhl, ein gesticktes Kissen, ein Pantherfell oder sonst eine werthvolle Kleinigkeit auf geheimnißvolle Weise die Ausstattung seines Hauses.

Nahm Cyprien Lî oder Matakit in’s Gebet, so konnte er von Beiden nur ausweichende Antworten erlangen.

»Ich weiß es nicht! … Ich bin es nicht gewesen! … Mich geht das nichts an!«

Cyprien fand ja diese kleinen Überraschungen an sich recht angenehm, nur belästigte ihn der Gedanke, daß ihre Quelle doch nicht ganz rein sein mochte. Hatten diese Geschenke etwa nichts gekostet, als die Mühe, sie sich anzueignen? Immerhin bestätigte nichts diese Vermuthungen, und so peinliche Untersuchungen er deshalb auch vornahm, so lieferten diese doch hinsichtlich dieser Erwerbungen niemals ein greifbares Ergebniß.

Hinter seinem Rücken wechselten dann Matakit und Lî wohl flüchtige Blicke, lächelten und machten sich allerhand geheimnißvolle Zeichen, welche etwa sagen sollten:

»Ach, das Väterchen! … Er sieht immer nur Feuer und Flammen!«

Uebrigens beschäftigten Cyprien gleichzeitig ganz andere und weit ernstere Sorgen. John Watkins schien entschlossen, Alice nun unter die Haube zu bringen, und in Folge dessen bildete sein Haus schon seit einiger Zeit ein wirkliches Museum von Brautwerbern.

Nicht allein James Hilton verkehrte jetzt hier regelmäßig jeden Abend, sondern auch alle unverheirateten Steingräber, deren glückliche Erfolge in der Mine ihnen die seitens des Farmers für einen Schwiegersohn unumgänglich nöthigen Eigenschaften verliehen hatten, wurden von ihm eingeladen, zu Tische behalten und schließlich seiner Tochter zur Auswahl vorgestellt.

Der Deutsche Friedel und der Neapolitaner Pantalacci gehörten auch zu dieser gewählten Gesellschaft. Beide galten jetzt für die glücklichsten Steingräber auf dem Vandergaartfelde. Das allgemeine Ansehen, welches überall den Erfolg begleitet, fehlte ihnen weder in der Kopje, noch in der Farm. Friedel war pedantischer und absprechender als je zuvor, seit sein Dogmatismus sich auf einige Tausend Pfund Sterling stützte. Annibal Pantalacci, der sich in letzter Zeit zum Colonial-Dandy umgewandelt hatte und im Glanze goldener Ketten und Ringe, wie in dem von Diamantnadeln einherging, trug jetzt eine Kleidung von weißer Leinwand, die seinen gelben, erdfarbenen Teint nur noch mehr hervortreten ließ.

Freilich suchte der lächerliche Mensch mit seinen Scherzen, seinen italienischen Gassenhauern und seinen Bemühungen, den Geistreichen zu spielen, vergeblich einen Eindruck auf Alice zu machen. Mindestens behandelte diese gerade ihn fast verächtlich und schien über das Motiv, welches ihn nach der Farm führte, keineswegs im Zweifel zu sein. Sie begnügte sich, niemals freiwillig auf seine Worte zu hören, und lachte nie, weder über seine Lazzi, noch über seine komisch sein sollenden Bewegungen. Nur zu unwissend bezüglich seiner moralischen Mängel, um ihn ganz zu durchschauen, sah sie in ihm nur einen gewöhnlichen Passanten, der nicht mehr und nicht weniger langweilig war, als die meisten Anderen. So erschien es wenigstens Cyprien, und er litt oft grausam davon, sie, die er so hochachtete und so innig verehrte, mit jenem verächtlichen Menschen in Unterhaltung zu sehen.

Es schmerzte ihn um so mehr, als sein Stolz ihm verbot, etwas davon merken zu lassen, und er es unter seiner Würde fand, selbst einen so erbärmlichen Rivalen in den Augen der Miß Watkins noch weiter herabzusetzen. Welches Recht hatte er auch dazu?

Worauf sollte er auch sein Urtheil gründen? Er wußte ja eigentlich nichts von Annibal Pantalacci und ließ sich bei seiner Geringschätzung des Mannes doch nur durch eine Art instinctiven Widerwillens leiten. Ihn in tragischem Lichte darzustellen, das hätte nur Gelächter hervorrufen können. Das sah Cyprien vollständig ein, und es hätte ihn gewiß zur Verzweiflung getrieben, wenn Alice einem solchen Manne irgendwie Aufmerksamkeit schenkte.

Außerdem war er ja eifrig mit einer Arbeit beschäftigt, die ihn fast Tag und Nacht in Anspruch nahm. Es handelte sich nicht um ein einziges Verfahren, Diamanten herzustellen, sondern um zehn und zwanzig verschiedene Methoden, die er sich zurechtgelegt und welche er prüfen wollte, wenn der erste Versuch beendigt wäre. Er begnügte sich nicht mehr mit theoretischen Lehrsätzen und den Formeln, mit denen er während ganzer Stunden seine Notizhefte bedeckte. Jeden Augenblick eilte er nach der Kopje, holte von da neue Fels- und Erdproben und wiederholte seine Analysen hundertmal, aber mit so peinlicher Genauigkeit, daß jeder Fehler dabei ausgeschlossen schien. Je ärger die Gefahr, Miß Watkins sich entgehen zu lassen, ihn bedrohte, desto fester war er entschlossen, nichts unversucht zu lassen, diese abzuwenden.

Dabei hegte er aber gegen sich selbst ein solches Mißtrauen, daß er es vorzog, dem jungen Mädchen von den Experimenten, die er eben ausführte, lieber nichts zu erwähnen. Miß Watkins wußte nur, daß er, ihrem Rathe folgend, sich wieder chemischen Studien hingegeben habe, und schon darüber fühlte sie sich glücklich.

Neuntes Capitel.


Neuntes Capitel.

Eine Ueberraschung.

Der Tag, an dem das Experiment der Berechnung nach beendigt sein sollte, war natürlich ein großer, wichtiger Tag.

Schon seit zwei vollen Wochen brannte das Feuer nicht mehr, so daß sich der ganze Apparat langsam hatte abkühlen können. In der Meinung, daß die Krystallisation des Kohlenstoffes nun vor sich gegangen sein müsse, wenn sie überhaupt durch die hier gegebenen Bedingungen zu erzielen war, ging nun Cyprien daran, die Thonschichten zu entfernen, welche rund um und über den Ofen aufgeschüttet worden war.

Hiezu mußte indeß die Spitzhacke angewendet werden, denn dieser Thon war ebenso verhärtet, wie ein Ziegelstein im Brennofen. Endlich gab die Hülle den Anstrengungen Matakit’s nach und ließ zunächst den oberen Theil des Ofens – die sogenannte Haube desselben – und dann den großen Ofen wahrnehmen.

Das Herz des jungen Ingenieurs schlug hundertzwanzigmal in der Minute, als der junge Kaffer mit Lî’s und Bardik’s Hilfe diese Haube abnahm. Daß das Experiment geglückt sei, glaubte er selbst am wenigsten, denn Cyprien gehörte zu den Leuten, die am meisten an sich selbst zweifeln. Und doch war das ja möglich! Welcher Jubel, wenn das der Fall wäre! Verbarg doch dieser große, geschwärzte Cylinder, der ihm jetzt nach mehrwöchentlichem Harren wieder vor Augen trat, alle seine Hoffnungen auf Glück, auf Ruhm und Reichthum!

O weh! … Die Kanone war gesprungen!

Unter dem ungeheuren Druck des sehr hoch erhitzten Wasserdampfes und des Sumpfgases hatte selbst der Stahl nicht Widerstand zu leisten vermocht. Obwohl das Rohr volle fünf Centimeter Wandstärke hatte, war es doch wie ein einfaches Probirglas geborsten. Es zeigte an der einen Seite und ziemlich genau in der Mitte einen offenen Sprung gleich einem geschwärzten, von den Flammen verzogenen Mund, der den höchlichst enttäuschten jungen Ingenieur boshaft anzugrinsen schien.

Das hieß doch Unglück haben! So viel‘ Mühe, um zu solch‘ negativem Resultate zu kommen! Cyprien hätte sich gewiß weit weniger gedemüthigt gefühlt, wenn sein Apparat in Folge besserer Vorsichtsmaßregeln wenigstens die Feuerprobe ordentlich ausgehalten hätte. Daß sich in dem Cylinder kein krystallisirter Kohlenstoff vorfand, auf diese Enttäuschung war er mehr als hinreichend vorbereitet. Aber diesen alten Stahlschlauch einen ganzen Monat lang erhitzt und wieder abgekühlt, ja geradezu zärtlich gepflegt und gehütet zu haben, um ihn nun in’s alte Eisen werfen zu können, das war denn doch zu viel. Am liebsten hätte er das Rohr gleich mit einem Fußtritte zur Seite geschleudert, wenn dasselbe nicht so schwer gewesen wäre, sich in dieser zwanglosen Art und Weise behandeln zu lassen.

Schon wollte Cyprien dasselbe einfach im Ofen zurücklassen und traf eben Anstalt, ziemlich betrübt wegzuschleichen und Alice seine kläglichen Erfolge mitzuteilen, als die Wißbegierde des Chemikers, die doch noch in ihm lebte, ihn veranlaßte, mittelst eines angezündeten Streichhölzchens durch die entstandene Oeffnung des Rohres dessen Inneres zu überblicken.

»Jedenfalls, so dachte er, hat sich der feuerbeständige Thon, mit dem ich dasselbe innerlich und äußerlich umkleidet habe, ganz in Backstein umgewandelt.«

Diese Voraussetzung erwies sich als begründet, Indeß hatte sich auf Cyprien zunächst unerklärliche Weise von der Wandauskleidung eine Thonkugel abgelöst, welche für sich allein im Rohre verhärtet war.

Die schwarzrothe Kugel von etwa Orangegröße konnte er durch den Sprung bequem herausholen. Cyprien ergriff sie also nur aus Neugier, um sie oberflächlich zu besichtigen. Da erkannte er erst, daß sie wirklich aus einem von der Innenwand abgelösten Thonfragment bestand, welches isolirt hart gebrannt war, und eben wollte er sie bei Seite werfen, als er bemerkte, daß sie, gleich einem Topfe, einen hohlen Klang hatte.

Sie bildete eine Art geschlossenen Krug, in welchem ein anderes, ziemlich schweres Stück frei herumtanzte.

»Die reine Sparbüchse!« sagte Cyprien für sich. Doch selbst wenn er bei Todesstrafe hätte eine Erklärung dieses Geheimnisses geben sollen, wäre er das nicht im Stande gewesen.

Jedenfalls wollte er über die Sache in’s Klare kommen. Er ergriff also einen Hammer und zertrümmerte die Sparbüchse.

Es war in der That eine solche, und noch dazu eine, welche einen ganz unschätzbaren Werth enthielt. Nein, er konnte sich über die Natur des Steines, der sich jetzt den erstaunten Augen des jungen Ingenieurs zeigte, keinen Moment täuschen! Dieser Stein war ein in seine Gangart eingeschlossener Diamant, der den hier gewöhnlich gefundenen vollkommen glich, aber ein Diamant von colossalen, fast unglaublichen und jedenfalls nie vorher gesehenen Dimensionen.

Man urtheile selbst. Der Diamant erschien größer als ein Hühnerei, glich äußerlich etwa einer Kartoffel und mußte mindestens dreihundert Gramm wiegen.

»Ein Diamant! … Ein künstlicher Diamant! wiederholte halblaut der erstaunte Cyprien. Ich habe also die Lösung des Problems der Herstellung solcher entdeckt, trotz des Mißgeschickes mit dem Rohre! … Ich bin also reich! … Alice, meine geliebte Alice ist mein!«

Dann aber wollte er wieder nicht an das glauben, was er sah.

»Doch nein, das ist unmöglich! … Ist eine Illusion, eine Täuschung! … wiederholte er, von bangem Zweifel gequält. O, ich werde ja bald wissen woran ich bin!«

Und ohne sich Zeit zu nehmen, den Hut aufzusetzen, lief Cyprien außer sich vor Freude, wie es ehemals Archimedes war, als er aus dem Bade stieg, in welchem er gelegen hatte, als er seinen berühmten Lehrsatz entdeckte, in aller Eile hinaus und platzte gleich einer Bombe in die Hütte Jacobus Vandergaart’s hinein.

Hier fand er den alten Steinschneider eben beschäftigt, von Nathan aufgekaufte Diamanten zu prüfen, welche dieser ihm zum Schleifen übergeben hatte.

»Ah, Herr Nathan, Sie sind hier gerade am Platze! rief Cyprien. Sehen Sie einmal! Und Sie auch, Herr Vandergaart, sehen Sie, was ich bringe, und sagen Sie mir, was das ist!«

Er hatte seinen Stein auf den Tisch gelegt und blieb mit gekreuzten Armen davor stehen.

Nathan griff zuerst nach dem Stein, erblaßte vor Verwunderung und übergab jenen mit weit aufgerissenen Augen und offenstehendem Munde Jacobus Vandergaart. Dieser führte den betreffenden Gegenstand dicht vor die Augen, ging damit an’s Fenster und betrachtete ihn sorgsam mit dem Vergrößerungsglase. Dann legte er ihn wieder auf den Tisch und starrte Cyprien an.

»Das ist der größte Diamant, den es auf Gottes Erdboden giebt, sagte er ruhig.

– Ja, der allergrößte, wiederholte Nathan. Vier- oder fünfmal so groß, wie der Koh-i-noor, der »Berg des Lichts«, der Stolz des englischen Königsschatzes, der hundertsiebenzig Karat wiegt!

– Zwei- oder dreimal so groß, wie der »Großmogul«, der größte bisher bekannte Stein, der ein Gewicht von zweihundertachtzig Karat hat! fuhr der Steinschneider fort.

– Vier- oder fünfmal so groß, wie der Diamant des Czaren, der dreiundneunzig Karat wiegt! fügte Nathan immer verwunderter hinzu.

– Sieben- oder achtmal so groß, wie der »Regent«, der mit hundertsechsunddreißig Karat angegeben worden ist! vervollständigte Jacobus Vandergaart.

– Zwanzig- oder dreißigmal so groß wie der Diamant in Dresden, der nur einunddreißig wiegt!« rief Nathan.

Dann setzte er hinzu:

»Ich schätze ihn nach dem Schliffe noch mindestens auf vierhundert Karat! Aber, wer wäre im Stande, nur annähernd seinen Werth zu taxiren! Das entzieht sich jeder Berechnung!

– Warum? erwiderte Jacobus Vandergaart, der von den beiden Männern am ruhigsten geblieben war. Der Koh-i-noor wird auf dreißig Millionen Francs geschätzt, der »Großmogul« auf zwölf Millionen, der Diamant des Czaren auf acht und der »Regent« auf sechs Millionen! Danach müßte dieser hier einen Werth von, gering angeschlagen, hundert Millionen haben!

– O, da hängt doch noch sehr viel von seiner Farbe und Qualität ab! warf Nathan ein, der sich nach und nach wieder sammelte und im Hinblick auf ein später mögliches Kaufgeschäft einige Vorbemerkungen anbringen zu müssen glaubte. Wenn er farblos und von ganz reinem Wasser ist, ist sein Werth freilich ganz unschätzbar. Ist er aber gelblich, wie die meisten Diamanten des Griqualandes, so vermindert sich sein Preis damit ganz bedeutend! … Ich weiß übrigens kaum, ob mir für einen Krystall von solcher Größe nicht ein hübscher saphirblauer Schein, wie der des Diamanten Hoges, oder ein röthlicher, wie der des »Großmogul«, oder auch ein smaragdgrüner, wie der des Dresdner lieber wäre.

– Nein, nimmermehr! rief der alte Steinschneider eifrig. Ich für meinen Theil stelle die farblosen Diamanten stets über alle anderen! Ja, sprechen Sie vom Koh-i-noor oder vom »Regent«! Das sind mir richtige Edelsteine! … Neben diesen erscheinen die übrigen nur noch als Phantasie, als einfache Schmucksteine!«

Cyprien hörte schon gar nicht mehr.

»Sie werden entschuldigen, meine Herren, sagte er plötzlich, aber ich bin genöthigt, Sie augenblicklich zu verlassen!«

Mit diesen Worten ergriff er seinen kostbaren Stein und stürmte wieder den Weg nach der Farm zu hinauf. Ohne daran zu denken, daß er doch eigentlich anklopfen müsse, öffnete er die Thür des gewöhnlichen Besuchszimmers, traf hier Alice und hatte diese, ohne sich über sein Benehmen Rechenschaft zu geben, in die Arme geschlossen und auf beide Wangen geküßt.

»Halloh! Was ist denn das?« rief Mr. Watkins, dem diese unverschämten Zärtlichkeiten das Blut zu Kopfe trieben.

Der Farmer saß an einem Tische gegenüber Annibal Pantalacci, mit dem er eben eine Partie Piquet angefangen hatte.

»Entschuldigen Sie, Miß Watkins! stammelte Cyprien ganz erschrocken über seine Kühnheit, aber doch noch vor Freude strahlend. Ich bin allzuglücklich! … Ich bin ein Narr des Glücks! … Da sehen Sie, was ich hier bringe!«

Und er warf mehr, als daß er ihn legte, seinen Diamanten auf den Tisch zwischen die beiden Kartenspieler.

Ebenso wie Nathan und Jacobus Vandergaart begriffen auch diese sehr schnell, um was es sich handle. Mr. Watkins, der von seiner täglichen Portion Gin bis jetzt nur einen sehr bescheidenen Theil verzehrt hatte, war noch in völlig klarem Zustande.

»Das haben Sie gefunden … Sie selbst … in Ihrem Claim?« fragte er sehr lebhaft.

– Das gefunden? antwortete Cyprien triumphirend. Ich hab’s vielmehr gemacht! … Ich selbst hab’s von Anfang an hergestellt! … O, Herr Watkins, Alles in Allem hat die Chemie doch ihren großen Werth!«

Er lachte und drückte mit den Händen die feinen Finger Alices, welche über diese leidenschaftlichen Mittheilungen, aber ganz entzückt über das Glück ihres Freundes, freundlich lächelte.

»Ihnen, nur Ihnen, Fräulein Alice, verdanke ich diese wichtige Entdeckung! fuhr Cyprien fort. Wer hat mir gerathen, mich wieder der Chemie in die Arme zu werfen? Wer hat mich darauf hingewiesen, die Herstellung künstlicher Diamanten zu versuchen? .. Ihre anbetungswürdige Tochter, Herr Watkins! – O, ich muß ihr wohl alle Ehre anthun, wie die alten Ritter ihren Damen, und öffentlich erklären, daß ihr alles Verdienst bei dieser Entdeckung zukommt! … Hätt‘ ich ohne Sie jemals daran gedacht?«

Mr Watkins und Annibal Pantalacci betrachteten den Diamanten, sahen sich dann an und schüttelten die Köpfe. Sie wußten offenbar nicht, woran sie eigentlich waren.

»Sie sagen, daß Sie das gemacht haben … Sie selbst? fuhr John Watkins fort. Das wäre also ein unechter Stein?

– Ein unechter Stein? … rief Cyprien. Nun ja, zugegeben, ein unechter Stein! Jacobus Vandergaart und Nathan schätzten ihn freilich, niedrig veranschlagt, auf fünfzig Millionen, vielleicht auf hundert. Wenn das auch nur ein künstlicher Diamant ist, erzeugt durch ein neues Verfahren, dessen Erfinder ich bin, so ist er darum nicht minder echt! Sie sehen, daß ihm gar nichts fehlt, nicht einmal die Gangart!

– Und Sie würden sich auch getrauen, noch mehr solche Diamanten zu machen? fragte John Watkins etwas gereizt.

– Ob ich mir das getraue, Herr Watkins? Selbstverständlich! Ich will sie Ihnen schaufelweise liefern, diese Diamanten! Will sie Ihnen zehn- oder hundertmal so groß herstellen, wie dieser hier, falls Sie es wünschen. Ich mache Ihnen eine hinreichend große Zahl derselben, um Ihre Terrasse damit zu pflastern, um die Wege des Griqualandes damit zu macadamisiren, wenn Sie danach verlangen … Nur der erste Schritt kostet Mühe; nachdem ich aber den ersten Stein erhalten habe, ist alles Andere sehr einfach und läuft nur auf die richtige Anordnung der chemischen Maßnahmen hinaus.

– Doch wenn es so ist, fuhr der Farmer kreidebleich fort, so bedeutet es das Verderben aller Mineneigenthümer, mein eigenes, wie das des ganzen Griqualandes.

– Ja, freilich! rief Cyprien. Welches Interesse könnte man da noch haben, die Eingeweide der Erde zu durchwühlen, um ein paar kleine, fast werthlose Diamanten zu finden, sobald die Möglichkeit gegeben ist, diese auf künstlichem Wege ebenso leicht herzustellen, wie ein Vierpfundbrot?

– Aber das ist abscheulich! … wetterte John Watkins los. Das ist eine Schändlichkeit, ein Greuel! Wenn das, was Sie sagen, auf Wahrheit beruht, wenn Sie wirklich das Geheimniß besitzen … Er schwieg außer Athem.

– Sie sehen, sagte Cyprien sehr kühl, daß ich nicht grundlos rede, da ich Ihnen mein erstes Erzeugniß vorgelegt habe … Es ist wohl auch groß und werthvoll genug, Sie zu überzeugen!

– Nun gut, antwortete endlich Mr. Watkins, nachdem er wieder ein wenig zu Athem gekommen, wenn das wahr ist … müßte man Sie, Herr Méré, müßte man Sie sofort in der Hauptstraße des Lagers standrechtlich erschießen! … Das ist meine Meinung!

– Und die meinige ebenfalls!« glaubte Annibal Pantalacci mit drohender Geberde hinzusetzen zu müssen.

Ganz bleich war Miß Watkins aufgestanden.

»Mich standrechtlich erschießen, weil ich ein seit fünfzig Jahren aufgestelltes chemisches Problem zu lösen unternommen hätte? antwortete der junge Ingenieur, die Achseln zuckend. Wahrhaftig, das wäre ein etwas vorschnelles Verfahren!

– Hierbei ist gar nichts zu lachen! versetzte der Farmer wüthend. Haben Sie an die unausbleiblichen Folgen Ihrer sogenannten Entdeckung gedacht … an das Aufhören jeder Thätigkeit in den Minen … an die Lahmlegung der wichtigsten Industrie des Griqualandes … an mich, der dadurch an den Bettelstab gebracht würde?

– Meiner Treu, ich muß Ihnen freilich gestehen, daß mir Alles das kaum in den Sinn gekommen ist! antwortete Cyprien offenherzig. Das sind eben unvermeidliche Folgen des industriellen Fortschrittes, und die Wissenschaft hat keinerlei Ursache, sich um diese zu kümmern! Was Sie übrigens persönlich angeht, Herr Watkins, so seien Sie außer Sorge! Was mir gehört, gehört auch Ihnen, und Sie wissen ja recht gut, welche Veranlassung mich dazu gedrängt hat, Untersuchungen in dieser Richtung anzustellen!«

John Watkins begriff plötzlich, welchen Vortheil er selbst aus der Entdeckung des jungen Ingenieurs ziehen könne, und was der Neapolitaner auch davon halten mochte, zögerte er doch gar nicht, wie man sagt, die Flinte umzukehren.

»Wenn ich mir’s recht überlege«, fuhr er fort, »so können Sie ja recht haben und sprechen als braver, junger Mann, als den ich Sie kenne. Ja, ich denke, es könnten sich Mittel und Wege zu einem Übereinkommen finden lassen! Warum sollten Sie eine zu große Menge Diamanten fabriciren? Das wäre das sicherste Mittel, Ihre Erfindung zu entwerthen. Jedenfalls erscheint es weit klüger, das Geheimniß sorgfältig zu wahren, dasselbe nur in weiser Beschränkung auszunutzen und vielleicht nur noch ein oder zwei Exemplare solcher Steine wie diese hier herzustellen oder sich sogar mit diesem ersten Erfolge zufrieden zu geben, der Ihnen ja mit einem Schlage ein beträchtliches Capital sichert und den reichsten Mann im Lande aus Ihnen macht. Auf diese Weise würden Alle zufriedengestellt; die Dinge hier nehmen ihren Lauf wie früher, und Sie vermeiden die Gefahr, mit ganz ansehnlichen fremden Interessen in feindliche Berührung zu kommen!«

Das war eine neue Anschauung der Sachlage, an welche Cyprien bisher noch nicht gedacht hatte. Da trat ihm auch schon mit unerbittlicher Strenge das Dilemma vor Augen, entweder das Geheimniß seiner Entdeckung für sich zu behalten, es der Welt nicht mitzutheilen und es zur eigenen Bereicherung auszunützen, oder mit einem Schlage, wie John Watkins mit Recht sagte, alle natürlichen und künstlichen Diamanten der Welt völlig zu entwerthen und folglich auf jeden Vermögensvortheil zu verzichten um des einen Zweckes willen … die Steingräber von Griqualand, von Brasilien und Indien zu ruiniren!

Vor diese Alternative gestellt, zauderte Cyprien vielleicht ein wenig, aber doch nur einen Augenblick. Und doch sah er ein, daß er, wenn er sich voll Offenheit für die Ehre und die Treue gegenüber der selbstlosen Wissenschaft entschied, für immer auf die Hoffnung verzichten müsse, welche doch der erste Beweggrund zu seiner Entdeckung gewesen war.

Die peinliche Empfindung war für ihn eben so bitter, ebenso schmerzlich und unerwartet, weil er ja plötzlich ans dem schönsten Traume gerissen wurde.

»Herr Watkins, sagte er sehr ernst, wenn ich meine Entdeckung als Geheimniß behandelte, wär‘ ich doch nichts als ein Fälscher! Ich verkaufte dann nach falschem Gewicht, ich würde Andere über die Qualität der Waare täuschen! Erfolge, welche ein Gelehrter erzielt, gehören ihm niemals allein! Sie sind stets ein Theil des geistigen Eigenthums Aller! Davon nur den kleinsten Theil für sich aus egoistischem, persönlichem Interesse zurückzubehalten, wäre das schändlichste Verbrechen, dessen ein Mann sich schuldig machen könnte. Ich werde es nicht thun! … Nein! … Ich denke keine Woche, keinen Tag zu warten, um das Verfahren, auf welches ich neben einiger Berechnung zum großen Theil doch durch glücklichen Zufall gekommen bin, zum Gemeingut zu machen! Dabei habe ich mir nur die eine, ich glaube, gerechtfertigte Beschränkung aufzuerlegen, daß ich die Art und Weise zuerst Frankreich, meinem Vaterlande, mittheile, welches mir die Gelegenheit geboten hat, ihm dienstbar zu sein! Schon morgen werde ich der Akademie der Wissenschaften mein Geheimniß schriftlich übermitteln! Adieu, Herr Watkins, Ihnen verdanke ich es wenigstens, auf eine Verpflichtung hingewiesen worden zu sein, an die ich zunächst gar nicht dachte … Miß Watkins … ich hatte wohl einen herrlichen Traum … ach, daß ich auf seine Verwirklichung verzichten muß!«

Noch ehe das junge Mädchen eine Bewegung auf ihn zumachen konnte, hatte Cyprien seinen Diamanten ergriffen, grüßte artig Miß Watkins, sowie deren Vater, und verschwand.

Viertes Capitel.


Viertes Capitel.

Vandergaart-Kopje.

»Ich muß entschieden abreisen, sagte sich am anderen Morgen Cyprien, als er noch mit dem Ankleiden beschäftigt war, muß das Griqualand unbedingt verlassen! Nachdem, was ich mir von dem kranken Mann da drüben habe sagen lassen müssen, wäre es Schwäche, noch länger zu verweilen. Er will mir seine Tochter nicht geben. Vielleicht hat er ja Recht, jedenfalls zeigt er keine besondere Geneigtheit, mildernde Umstände anzuerkennen. Ich muß schon seinen Ausspruch, so schmerzlich es mir auch ankommt, mit männlichem Stolze hinnehmen, und darf meine Hoffnung nur auf die freundlichere Zukunft setzen.«

Ohne weitere Zögerung ging Cyprien daran, jene Apparate in die Koffer und Kisten zu verpacken, die er inzwischen als Tische und Schränke benützt hatte. Mit vollem Eifer beginnend, arbeitete er jetzt schon ganz tüchtig während einer oder zwei Stunden, als ihn durch das offenstehende Fenster, durch welches die erquickende Morgenluft hereinzog, eine frische, reine Stimme, welche gleich dem Liede der Lerche jauchzend emporstieg, erreichte und eines der reizendsten Lieder des Dichters Moore sang:

It is the last rose of summer,
Left blooming alone 3

All her lovely companions
Are faded and gone, etc.

Cyprien eilte an’s Fenster und bemerkte Alice, welche sich nach ihrem Straußgehege begab und eine Schüssel mit geeigneten Leckerbissen für ihre Lieblinge trug. Sie war es, die ihre schmelzende Stimme schon mit aufgehender Sonne ertönen ließ.

I will not leave thee, thou lone one!
To pine on the stern,
Since the lovely are sleeping,
Go sleep with them …

Der junge Ingenieur hatte sich niemals für besonders empfänglich für die Poesie gehalten, und doch ergriff ihn dieses Lied so tief. Er trat dicht an’s Fenster, hielt den Athem an und lauschte diesen Tönen, oder er trank vielmehr die süßen Worte.

Die Stimme schwieg eine Zeit lang. Miß Watkins vertheilte die Vorräthe an ihre Strauße, und es war wirklich ein Vergnügen zuzusehen, wie diese die schlanken Hälse noch verlängerten und mit geschicktem Schnabel nach der kleinen Hand pickten. Nach beendigter Vertheilung kehrte sie um und sang wieder:

It is the last rose of summer,
Left blooming alone
Oh! who would inhabit
This black world alone?

4

Mit feuchtem Auge und wie festgewurzelt stand Cyprien noch immer an der nämlichen Stelle.

Die Stimme entfernte sich, Alice ging offenbar nach der Farm zurück, und sie hatte bis dahin wohl kaum noch zwanzig Meter zurückzulegen, als der Schall eiliger Schritte sie veranlaßte, sich umzuwenden und stehen zu bleiben.

Getrieben von unüberlegter, aber auch unwiderstehlicher Bewegung, war Cyprien im bloßen Kopfe aus seinem Häuschen geeilt und lief jetzt auf sie zu.

»Fräulein Alice!…

– Herr Méré?…«

Im vollen Glanze der Morgensonne standen sie sich auf dem Wege an der Grenze des Grundstückes Aug‘ in Auge gegenüber. Ihre Schattenbilder hoben sich deutlich von der weißen Bretterumzäunung der Farm ab. Jetzt aber, als Cyprien sich dicht bei dem jungen Mädchen befand, schien er selbst erstaunt über sein Benehmen und schwieg halb verlegen still.

»Sie hatten mir etwas zu sagen, Herr Méré, sagte sie mit Interesse.

– Ich wollte von Ihnen Abschied nehmen, Fräulein Alice!… Ich reise noch heute ab!« antwortete er mit ziemlich unsicherer Stimme.

Das leichte Roth, welches den zarten Teint der Miß Watkins belebte, war urplötzlich verschwunden.

»Abreisen?… Sie wollen fortgehen … nach? … fragte sie ganz verwirrt.

– Nach meiner Heimat … nach Frankreich, erwiderte Cyprien. Meine hiesigen Arbeiten sind vollendet … meine Mission ist damit erfüllt. Ich habe im Griqualande nichts mehr zu schaffen und bin deshalb verpflichtet, nach Paris zurückzukehren…«

Während er so mit zögernder Stimme sprach, nahm er schon mehr den Ton eines Angeklagten an, der sich zu entschuldigen sucht.

»Ah … Ja …! Ganz richtig!… Das geht ja nicht anders!…« stammelte Alice, ohne recht zu wissen, was sie sagte.

Das junge Mädchen war wie vom Donner gerührt, diese Nachricht traf sie in ihrem unbewußten Glücke gleich einem Keulenschlage. Bald sammelten sich große schwere Thränen in ihren Augen und perlten an den langen, diese umschattenden Wimpern herab. Aber als ob dieser plötzliche Schmerz sie zur Wirklichkeit zurückführte, fand sie doch die Kraft, lächelnd zu sagen:

»Also abreisen wollen Sie? … Nun, und Ihre ergebene Schülerin wollen Sie einfach verlassen, bevor diese den angefangenen Cursus in der Chemie vollendet hat? Sie wollen, daß ich beim Sauerstoff stehen bleibe und mir die Geheimnisse des Stickstoffes ein Buch mit sieben Siegeln bleiben sollen? … Das ist nicht hübsch von Ihnen, Herr Méré!«

Wohl versuchte sie ihre Worte in scherzhaftes Gebilde zu kleiden, nur strafte sie der Ton ihrer Stimme Lügen. Unter diesem Scherze verbarg sich ein schwerer Vorwurf, der dem jungen Mann tief zu Herzen ging. In gewöhnlicher Sprache lautete derselbe nämlich:

»Nun, und ich? … Mich rechnen Sie also für nichts? … Sie werfen mich einfach in die frühere Unwissenheit zurück! … Sie wären nur hierhergekommen, um sich unter den Boers und den habgierigen Minengräbern als höheres, bevorzugtes, stolzes, interesseloses Wesen zu zeigen! Sie hätten mich in Ihre Studien und Arbeiten eingeweiht, hätten mir Ihr Herz und sein ehrgeiziges Streben eröffnet, Ihre wissenschaftlichen Schatzkammern und Ihre künstlerischen Keime gewiesen; Sie hätten mir nur die Entfernung hervorheben wollen, die sich zwischen einem Denker wie Sie und den anderen Zweihändern, die mich umgeben, aufthut! … Das Alles hätten Sie gethan, um sich bewundern und lieben zu lassen, und wenn Ihnen das gelungen, dann erklären Sie ohne alle Umstände, daß Sie wieder weggehen, daß Alles zu Ende ist, daß Sie nach Paris zurückkehren und sich beeilen wollen, mich ganz zu vergessen? Und Sie glauben auch, daß ich eine solche Lösung bestehender Verhältnisse mit philosophischem Gleichmuth hinnehmen werde?«

Ja, das Alles lag in Alices Worten, und ihr feuchtes Auge unterstützte es noch so deutlich, daß Cyprien sich fast versucht fühlte, auf diesen nicht ausgesprochenen und doch so beredten Vorwurf zu antworten. Es fehlte nicht viel, daß er ausgerufen hätte:

»Es muß sein! … Gestern hab‘ ich bei Ihrem Vater um Ihre Hand angehalten! … Er hat mich zurückgewiesen, ohne mir nur ein Fünkchen Hoffnung zu lassen. Begreifen Sie nun, weshalb ich fortgehe?«

Noch zur rechten Zeit erinnerte er sich aber seines gegebenen Versprechens. Er hatte sich ja verpflichtet, der Tochter des John Watkins niemals von dem schönen Traum zu reden, den er sich gewebt, und er hätte sich für verächtlich gehalten, wenn er ein gegebenes Wort brach.

Gleichzeitig empfand er freilich, wie dieser Plan einer überstürzten Abreise, den er unter dem Drucke des erlebten Mißgeschicks gefaßt, doch etwas rücksichtslos erscheinen mußte. Es schien ihm nun unmöglich, das reizende Kind, welches er liebte, und das ihm – sah er’s jetzt doch allzu deutlich – ebenfalls eine aufrichtige, tiefe Zuneigung entgegenbrachte, so ohne alle Vorbereitung, ohne Aufschub zu verlassen.

Der Beschluß, welcher sich ihm zwei Stunden früher mit dem Charakter unbedingter Notwendigkeit aufgedrängt hatte, erschreckte ihn jetzt selbst, und er wagte nicht, ihn ganz auszusprechen. Ja, er verleugnete seine eigentliche Absicht jetzt gleich gänzlich.

»Wenn ich vom Abreisen sprach, Fräulein Alice, so meine ich damit nicht diesen Morgen, auch nicht den heutigen Tag. Ich habe noch Verschiedenes aufzuzeichnen … noch Vorbereitungen zu treffen … jedenfalls werd‘ ich noch die Ehre haben, Sie wieder zu sehen und mit Ihnen über einen weiteren Studienplan zu sprechen!«

Sich schnell auf den Fersen umdrehend, entfloh Cyprien nach diesen Worten wie ein Irrsinniger, stürmte in seine Hütte und warf sich hier in einen hölzernen Stuhl, wo er in tiefes Nachdenken versank.

Sein Gedankengang hatte jetzt eine ganz andere Richtung angenommen.

»Auf soviel Schönheit und Liebreiz verzichten, wegen Mangels an ein wenig Geld! murmelte er für sich. Den Kampf schon beim ersten Hinderniß aufgeben! Zeigt das soviel Muth, wie ich’s mir dachte? Wär’s nicht besser, einige Vorurtheile zu opfern und danach zu streben, ihrer würdig zu werden? … So viele Leute erwarben schon durch Diamantgräberei binnen wenigen Monaten ein hübsches Vermögen; warum sollt‘ ich selbst das nicht versuchen? Wer hindert mich daran, auch einen Stein von hundert Karat zu finden, wie es Anderen geglückt ist, oder noch besser, gleich eine neue Fundstätte zu entdecken? Ohne Zweifel besitze ich mehr theoretische und praktische Kenntnisse, als die Mehrzahl jener Leute. Warum sollte mir die Wissenschaft nicht erreichen lassen, was Anderen durch rauhe Arbeit mit ein wenig Zufall geglückt ist? Alles in Allem wage ich ja bei dem Versuche nicht besonders viel! Selbst mit Rücksicht auf meine Sendung hierher erscheint es am Ende nicht nutzlos, selbst die Hacke zur Hand zu nehmen und das Geschäft als Minengräber zu versuchen. Und wenn es mir gelingt, wenn ich durch dieses einfache Mittel gar reich würde, wer weiß, ob John Watkins dann nicht mit sich reden und zum Widerrufe seiner ersten Entscheidung bewegen ließe. Der Preis verdient es wahrlich, das Abenteuer zu wagen! …«

Cyprien begann wieder in seinem Laboratorium auf und ab zu gehen; diesesmal aber blieben seine Hände unthätig – seine Gedanken allein waren in Bewegung.

Plötzlich blieb er stehen, ergriff seinen Hut und ging hinaus. Nachdem er den Fußstieg erreicht, der nach der Ebene hinunterführte, wandte er sich schnellen Schrittes der Vandergaart-Kopje zu. In kaum einer Stunde traf er bei dieser ein.

Eben jetzt strömten die Gräber in hellen Haufen nach dem eigentlichen Lagerplatz zum zweiten Frühstück zurück.

Als Cyprien die vielen sonnverbrannten Gesichter an sich vorüberkommen sah, legte er sich die Frage vor, wer wohl im Stande sein möchte, die ihm nöthige Auskunft auf das, was er zu wissen wünschte, zu ertheilen. Da erkannte er unter einer Gruppe Männer das ehrliche Gesicht Thomas Steel’s, des früheren Bergmanns von Lancashire. Zwei- oder dreimal schon hatte er, seit ihrer gemeinschaftlichen Ankunft im Griqualand, Gelegenheit gehabt, ihm zu begegnen und sich zu überzeugen, daß der wackere Mann sichtlich wohl gedieh, wie das seine heiteren Züge, der ganz neue Anzug und vor Allem der breite Ledergürtel bewies, den er um die Hüften geschlungen trug.

Cyprien beschloß sich an diesen zu wenden und ihm seine Absichten mitzutheilen, was denn auch bald mit wenigen Worten geschehen war.

»Einen Claim pachten? Nichts leichter als das, wenn Sie das dazu nöthige Geld haben, antwortete ihm der Bergmann. Gerade neben dem meinigen ist jetzt einer frei. Vierhundert Pfund Sterling (Zehntausend Francs = achttausend Mark) ist er unter Brüdern werth. Mit fünf bis sechs Negern, die ihn für Ihre Rechnung bearbeiten, können Sie sich darauf verlassen, per Woche sieben- bis achthundert Francs Diamanten zu »machen!«

– Ich habe aber nicht zehntausend Francs und auch nicht den kleinsten Negerjungen, antwortete Cyprien.

– Nun gut, so kaufen Sie einen Claimantheil – ein Achtel oder nur ein Zehntel – und bearbeiten diesen selbst. Hier genügen schon tausend Francs als Anlagecapital.

– Das vertrüge sich eher mit meinen Mitteln, erwiderte der junge Ingenieur. Aber – wenn Sie diese Frage nicht zu unbescheiden finden – wie haben Sie es denn angefangen, Herr Steel, sind Sie denn mit einem solchen Capital hierher gekommen?

– Ich kam hierher mit meinen Armen und drei Stückchen Gold in der Tasche, erklärte der Andere. Aber ich habe freilich Glück gehabt. Zuerst bearbeitete ich auf halben Gewinn ein Achtel, dessen Besitzer lieber im Kaffeehause auf der Bärenhaut lag, als sich um seine Geschäfte zu kümmern. Wir waren übereingekommen, unsere Funde zu theilen, und ich habe deren recht schöne gemacht – vorzüglich einen Stein von fünf Karat, den wir für zweihundert Pfund Sterling verkauften. Dann wurde ich müde, für diesen Tagedieb zu arbeiten und kaufte mir ein Sechzehntel, das ich allein ausbeutete. Da ich hier nur sehr kleine Steine fand, gab ich dasselbe bald und zwar vor nun zehn Tagen auf. Jetzt grabe ich auf’s Neue für halbe Rechnung mit einem Manne aus Australien in dessen Claim; in der ersten Woche freilich haben wir für Beide nicht mehr als fünf Pfund gemacht.

– Wenn ich einen Theil eines guten Claims nicht zu theuer zu kaufen fände, wären Sie dann vielleicht geneigt, denselben mit mir auszubeuten? fragte der junge Ingenieur.

– Das versteht sich, antwortete Thomas Steel – jedoch unter einer Bedingung, daß Jeder von uns für sich behält, was er eben findet; das sage ich nicht etwa aus Mißtrauen gegen Sie, Herr Méré! Aber sehen Sie, seit ich hier bin, hab‘ ich bemerkt, daß ich beim Theilen allemal einbüße, weil ich mich auf Spitzaxt und Haue verstehe und zwei oder drei Mal soviel Gesteinmenge losschlage, als die Anderen.

– Das scheint mir dann nicht mehr als billig, antwortete Méré.

– Ah, rief da plötzlich der Lancashiremann, ihn unterbrechend, ein Gedanke, vielleicht ein ganz guter. Wenn wir nun zusammen einen der Claims von John Watkins annähmen?

– Wie? Einen von seinen Claims? Gehört ihm denn der Grund und Boden der Kopje nicht ganz allein?

– Gewiß, Herr Méré; Sie wissen aber doch, daß die Colonialregierung denselben sofort mit Beschlag belegt, sobald in einem Stück Land ein Diamantenlager entdeckt wird. Dann verwaltet dasselbe die Regierung, catastrirt und zerstückelt es in Claims, bezieht auch den größten Theil der Concessionsgelder und zahlt an den Eigenthümer nur eine bestimmte Rente. Die Letztere bildet, wenn die Kopje so ausgedehnt ist wie hier, immerhin ein beträchtliches Einkommen, außerdem bleibt dem Bodenbesitzer noch das Vorkaufsrecht auf so viel Claims, wie er bearbeiten zu lassen im Stande ist. So liegt die Sache auch mit John Watkins. Außer seinem Eigenthumsrecht an der ganzen Mine läßt er mehrere Theile derselben für eigene Rechnung ausbeuten. Er kann das aber nicht so eifrig betreiben, wie er’s wohl wünschte, weil ihn die Gicht hindert, selbst an Ort und Stelle zu erscheinen, und ich glaube, er würde ganz annehmbare Bedingungen stellen, wenn Sie ihm vorschlügen, einen solchen Claim zu übernehmen.

– Ich würde es lieber sehen, wenn der Abschluß des Geschäftes nur zwischen ihm und Ihnen erfolgte, entgegnete Cyprien.

– Darauf soll mir’s auch nicht ankommen, meinte Thomas Steel; die Geschichte soll sehr bald im Reinen sein!«

Drei Stunden später war der halbe Claim Nummer 942, der mit Pfählen abgesteckt und auf einer Karte eingezeichnet war, in vorschriftsmäßiger Form an Herrn Méré und Thomas Steel gegen Zahlung einer Summe von neunzig Pfund Sterling (1800 Mark) überlassen, wofür jene das Patentrecht auf denselben erwarben. Außerdem stellte der Vertrag fest, daß die Concessionäre mit John Watkins die Ausbeute ihrer Arbeit zu theilen und ihm, unter dem Titel der »Royalty«, die drei ersten Diamanten von über sechs Karat Rohgewicht auszuliefern hätten. Nichts wies zwar von vornherein darauf hin, daß dieser Fall eintreten würde, indeß er konnte sich ja doch ereignen – wie ja eben Alles möglich ist.

Alles in Allem verdiente das Geschäft für Cyprien ein sehr Vortheilhaftes genannt zu werden, und Mr. Watkins erklärte ihm das auch, nach Unterzeichnung des Contractes und während er ihm darauf zutrank, in seiner gewöhnlichen offenherzigen Weise.

»Sie haben da einen glücklichen Griff gethan, junger Freund, sagte er, ihm auf die Schulter klopfend. In Ihnen steckt ein gesunder Kern! Ich würde mich nicht im Geringsten wundern, Sie zum besten unserer Diamantengräber im Griqualand werden zu sehen!«

Cyprien konnte in diesen Worten nur eine glückverheißende Prophezeiung bezüglich seiner Zukunft erkennen.

Und Miß Watkins, welche der Verhandlung beiwohnte, hatte einen so sonnenhellen Blick in ihren blauen Augen! Nein, kein Mensch hätte geglaubt, daß diese den lieben langen Morgen lang geweint hatten.

Unter stillschweigender Uebereinkunft wurde des peinlichen Auftrittes vom gestrigen Morgen mit keiner Silbe Erwähnung gethan. Cyprien blieb eben da, das lag auf der Hand, und das war ja im Grunde die Hauptsache.

Der junge Ingenieur ging also mit weit leichterem Herzen fort, um seinen Auszug vorzubereiten, obgleich er in einer größeren Reisetasche nur einige Kleidungsstücke mitnahm, denn er gedachte wohl bei der Vandergaart-Kopje unter einem Zelte zu wohnen, seine Mußestunden aber wie bisher auf der Farm zuzubringen.

  1. Die englischen Verse entsprechen, wenn nicht ganz wort-, so doch ziemlich sinngetreu unserem:

    Letzte Rose, wie magst du so einsam hier blüh’n,
    Deine freundlichen Schwestern sind längst schon dahin,
    Keine Blüthe haucht Balsam mit liebendem Duft.

  2. Warum blühst du so traurig im Garten allein?
    Sollst im Tode mit den Schwestern vereinigt sein.
    D’rum pflücke, o Rose, vom Stamm ich dich ab,
    Sollst ruh’n mir am Herzen und mit mir im Grab.

Fünftes Capitel.


Fünftes Capitel.

Erste Abbauversuche.

Am frühen Morgen des folgenden Tages begaben sich die beiden Compagnons an die Arbeit. Ihr Claim lag nahe dem Rande der Kopje und mußte, wenn Cyprien Méré’s Theorie sich bestätigte, zu den reicheren gehören. Leider war dieser Claim schon stark abgebaut und reichte bis zur Tiefe von einigen fünfzig Metern in die Erde hinab.

In gewisser Hinsicht durfte das aber wieder als ein Vorzug gelten, weil in Folge seiner, alle Nachbar-Claims übertreffenden Tieflage, nach bestehendem Landesgesetz, alle Erdmassen und folglich die etwa darin befindlichen Diamanten, welche von der Umgebung her hineinfielen, den Inhabern desselben gehörten.

Die Arbeit selbst war höchst einfach. Die beiden Theilhaber lösten zuerst mit Spitzhaue und Hacke einen Theil Erdreich regelrecht los. Darauf begab sich der Eine nach der Mündung der Grube und zog an dem langen Drahtkabel die ihm von unten zugesendeten Ledereimer in die Höhe.

Das Erdreich wurde von hier aus mittelst Karrens nach der Hütte Thomas Steel’s geschafft. Nachdem es hier mit groben Holzscheiten zerkleinert und von werthlosen Kieselsteinen befreit war, gelangte dasselbe in ein Sieb mit Maschen von fünfzehn Millimeter Weite, um davon die kleineren Steine zu trennen, welche nun aufmerksam durchgesehen wurden, um die auf den ersten Blick werthlosen bei Seite zu werfen. Endlich gelangte die Erde in ein feinmaschiges Sieb, durch welches nur der Staub daraus entfernt wurde, und war nun in dem erwünschten Zustande, um einer ganz sorgfältigen Prüfung unterworfen zu werden.

Nachdem dieselbe auf einen Tisch ausgeschüttet worden war, an dem die beiden Steinsucher Platz nahmen, ließen sie jene mittelst eines Art Schabers aus Weißblech mit größter Aufmerksamkeit eine Handvoll nach der andern Revue passiren und warfen sie schließlich unter den Tisch, von wo aus sie später hinausgeschafft und an beliebiger Stelle aufgehäuft wurde.

Alle diese Maßnahmen liefen darauf hinaus, in derselben, wenn sie einen solchen enthielt, einen Diamanten zu finden, wär‘ er auch nicht größer als eine halbe Linse gewesen. Wie glücklich schätzten sich dann die Geschäftstheilhaber, wenn ein Tag nicht ohne Entdeckung eines solchen verlief! Sie wendeten sich ihrer Aufgabe mit wahrem Feuereifer zu und untersuchten das Erdreich ihres Claims mit peinlichster Genauigkeit; Alles in Allem gestalteten sich jedoch während der ersten Tage die Ergebnisse ihrer Mühen fast ganz negativ.

Vorzüglich schien Cyprien das Glück nicht günstig. Wenn sich ein kleiner Diamant fand, so war es fast stets Thomas Steel, der ihn entdeckte. Der erste, den er das Glück hatte herauszufinden, wog, selbst die anhaftende Gangart mitgerechnet, kaum ein Sechstel Karat.

Der Karat ist ein Gewicht von vier Gran und entspricht nahezu einem Fünftel Gramm. 5. Ein Diamant erster Güte, der vollständig rein, durchsichtig und farblos ist, und 1 Karat wiegt, werthet in geschnittenem Zustande etwa 200 Mark oder 100 fl. österr. W. Wenn die weniger wiegenden Steine einen verhältnißmäßig nur sehr geringen Preis bedingen, so steigt dieser dafür sehr schnell bei den größeren und schwereren. Im Allgemeinen rechnet man den Handelswerth eines Steines vom reinsten Wasser gleich dem Quadrate seines in Karaten ausgedrückten Gewichts, multiplicirt mit obigem Karatpreise. Schätzt man demnach den Werth eines Karats fehlerlosen Diamants auf zweihundert Reichsmark, so würde ein Stein von derselben Güte und zehn Karat Gewicht hundertmal so viel oder 20.000 Reichsmark (10.000 fl. Oesterr. Währ.) kosten.

Krystalle von zehn Karat, ja selbst solche von nur einem Karat, sind aber verhältnißmäßig selten und nur deshalb bedingen sie einen so hohen Kaufpreis. Hierbei ist noch zu bemerken, daß die Diamanten aus dem Griqualand meist einen gelblichen Schein haben; ein Umstand, der ihren Handelswerth nicht unbeträchtlich herabmindert.

Die Auffindung eines Steinchens von einem Sechstel Karat nach sieben- oder achttägiger Arbeit bildete gewiß eine sehr dürftige Entschädigung für die darauf verwendete Mühe und Arbeit. Bei einem solchen Lohne wäre es einträglicher gewesen, das Feld zu bearbeiten, Heerden zu hüten, oder auf den Landstraßen Steine zu klopfen. Dieser Gedanke kam auch Cyprien wiederholt in den Sinn. Indeß erhielt die Hoffnung, einmal einen schönen Diamanten zu finden, der mit einem Schlage die Arbeit mehrerer Wochen, selbst mehrerer Monate aufwiegen könnte, ihn ebenso aufrecht, wie andere, und selbst die wenigst vertrauensseligen Steingräber. Thomas Steel machte sich, wenigstens dem äußeren Anscheine nach, über so etwas gar keine Gedanken und arbeitete mit der einmal angenommenen Geschwindigkeit mehr maschinenmäßig weiter.

Die beiden Geschäftsgenossen frühstückten meist zusammen, wobei sie sich mit Sandwichbrötchen und Bier begnügten, was an einem Büffet unter freiem Himmel verkauft wurde, zu Mittag aßen sie dagegen an einer der gemeinsamen Tafeln, an welche sich die Insassen des ganzen Lagers vertheilten. Am Abend, wenn sie sich trennten, um jeder seines Weges zu gehen, begab sich Thomas Steel gewöhnlich nach einer Billardstube, während Cyprien für eine oder zwei Stunden die Farm aufsuchte.

Hier hatte der junge Ingenieur öfter das Mißvergnügen, seinen Rivalen, James Hilton, zu treffen, einen großen Burschen mit röthlichem Haar, sehr weißem Teint, dessen Gesicht mit den kleinen Fleckchen übersäet war, die man Epheliden (d. h. Sommersprossen) nennt. Daß dieser Wettbewerber offenbar große Fortschritte in der Gunst John Watkins‘ machte, indem er noch tapferer Gin trank und noch mehr Hamburger Knaster rauchte als jener, lag ihm deutlich genug auf der Hand.

Alice schien freilich die bäuerischen Artigkeiten und die sehr platten Reden des jungen Hilton nur mit großem Widerwillen entgegenzunehmen. Seine Gegenwart wurde Cyprien darum jedoch nicht minder unerträglich. Wenn’s ihm dann zuweilen zu arg wurde und er fürchten mußte, sich nicht genügend beherrschen zu können, sagte er der Gesellschaft schnell Gute Nacht, und lief aus der Farm davon.

»Der Franzose ist nicht bei guter Laune, meinte dann John Watkins, seinem Trinkgenossen mit den Augen zublinzelnd. Es scheint, als ob die Diamanten nicht von allein unter seine Hacke kämen.« James Hilton schlug darüber ein rohes, lärmendes Gelächter auf.

An solchen Abenden verbrachte dann Cyprien gewöhnlich die noch übrige Zeit bei einem alten, grundehrlichen Boer, Namens Jacobus Vandergaart, der ganz in der Nähe des Lagers wohnte.

Eben von seinem Namen rührte die Bezeichnung der Kopje her, deren Grund und Boden er zur ersten Zeit der Concessionen besessen hatte. Man durfte wohl seiner Behauptung glauben, daß er nur durch Verweigerung der Rechtspflege zu Gunsten John Watkins‘ um sein Eigenthum gekommen war. Jetzt so gut wie ruinirt, lebte er in einer alten Lehmhütte und betrieb sein Geschäft als Diamantenschneider wie früher in Amsterdam, seiner Vaterstadt, von Neuem.

Es kam nämlich ziemlich häufig vor, daß die Minengräber, begierig, das wirkliche Gewicht ihrer Steine nach dem Schnitte zu erfahren, ihm dieselben brachten, entweder, um sie nur zu spalten, oder sie auch noch feinerer Bearbeitung zu unterziehen. Solche Arbeiten verlangen aber eine sichere Hand und ein scharfes Auge, und der alte Jacobus Vandergaart, früher ein ausgezeichneter Diamantenschneider und Schleifer, hatte jetzt oft große Mühe, den an ihn gestellten Anforderungen zu entsprechen.

Cyprien, der ihm seinen ersten Diamanten zur Fassung in einen Ring übergeben hatte, empfand bald eine herzliche Zuneigung zu dem Alten. Er saß gern in der bescheidenen Werkstätte, um ein Stündchen zu verplaudern, oder allein um dem Insassen Gesellschaft zu leisten, während dieser an seinem Steinschneidertische thätig blieb. Mit seinem weißen Barte, der kahlen Stirn, auf der ein schwarzes Sammetkäpsel thronte, mit der langen Nase und der großen rundglasigen Brille darauf, bot Jacobus Vandergaart ganz den Anblick eines Alchemisten des fünfzehnten Jahrhunderts mitten unter seinen wunderlichen Werkzeugen und geheimnißvollen Flaschen.

In einer nahe dem Fenster angebrachten Mulde befanden sich die rohen Diamanten, welche Jacobus Vandergaart anvertraut worden waren, und die zuweilen einen sehr beträchtlichen Werth darstellten. Wollte er einen solchen spalten, dessen Krystallisation seiner Ansicht nach zu wünschen übrig ließ, so begann er damit, mit Hilfe eines Vergrößerungsglases die Spaltflächen aufzusuchen, welche alle Krystalle in Lamellen mit parallelen Seiten theilen; dann machte er mit der Schneide eines schon gespaltenen Diamanten in gewünschter Richtung einen Ritz, setzte eine feine Stahlklinge in diesen ein und führte einen kurzen Schlag darauf.

Damit war der Diamant an einer Fläche gespalten, und dieses Verfahren wurde nachher bezüglich der anderen wiederholt.

Wollte Jacobus Vandergaart dagegen den Stein schneiden oder, um es deutlicher auszudrücken, nach bestimmter Form schleifen, so zeichnete er zunächst dessen Gestalt auf die umgebende Gangart, und deutete darauf die beabsichtigten Facetten an. Dann brachte er jeden dieser Steine in Berührung mit einem zweiten Diamanten und setzte einen gegen den anderen einer langen Reibung aus. Die beiden Steine schliffen sich dabei gegenseitig ab und nach und nach trat die eigentliche Facette zu Tage.

Auf diese Weise gab Jacobus Vandergaart dem Edelstein eine der jetzt durch langen Gebrauch eingeführten Formen, welche alle unter die folgenden Abtheilungen fallen: Der »Brillant von doppeltem Gut«, der »Brillant von einfachem Gut« und die »Rosette«.

Der doppelte Brillant besteht aus vierundsechzig Facetten, einer Tafel und der Culasse.

Der Brillant von einfachem Gut bildet oben nur die Hälfte des vorigen. Die Rosette hat nur einen flachen Untertheil und einen kuppelartig von Facetten unterbrochenen Obertheil.

Ausnahmsweise hatte Jacobus Vandergaart wohl auch eine »Briolette«, d. h. einen Diamant zu schneiden, der ohne ein eigentliches Ober- und Untertheil mehr die Gestalt einer Birne hat. In Indien versieht man die Brioletten mit einem Loche in der Nähe des dünneren Endes, um eine Schnur hindurch zu ziehen.

»Pendeloques« dagegen, welche der alte Steinschneider weit häufiger unter die Hände bekam, bilden nur Halbbirnen mit Tafel and Culasse, die an der Vorderseite Facetten tragen.

Wenn der Diamant geschnitten ist, muß er, um vollkommen zu sein, noch polirt werden. Das geschieht mittelst einer Art Schleifscheibe aus hartem Stahl von etwa achtundzwanzig Centimeter Durchmesser, welche parallel mit der Tischplatte läuft und sich, getrieben von einem großen Schwungrad mit Handgriff, zwei- bis dreitausendmal in der Minute dreht. Gegen diese eingeölte und mit, von früheren Schliffen herrührendem Diamantstaub überpuderte Scheibe drückte Jacobus Vandergaart eine nach der anderen die Seiten seines Steines, bis dieselben eine hinreichende Politur angenommen hatten. Das Schwungrad wurde bald von einem kleinen Hottentotten in Bewegung gesetzt, den er tageweise miethete, bald von einem Freunde wie Cyprien, der sich nicht nehmen ließ, ihm diesen Dienst gelegentlich aus Gefälligkeit zu erweisen. Während der Arbeit wurde dann munter geplaudert. Oft schob Jambus Vandergaart die Brille auf die Stirn und hielt kurze Zeit inne, um irgend eine Geschichte aus vergangener Zeit zu erzählen.

Von Südafrika, das er seit vierzig Jahren bewohnte, wußte er sehr viel zu berichten. Daß seine Unterhaltung einen eigenen Reiz hatte, lag darin, daß sie die Überlieferungen des Landes wiederspiegelte, welche noch heute frisch im Andenken sind.

Vor Allem wurde der alte Steinschneider niemals müde, seinen patriotischen und persönlichen Kummer zu schildern. Die Engländer waren in seinen Augen die abscheulichsten Diebe, welche die Erde je gesehen. Die Verantwortlichkeit für seine wohl etwas übertriebenen Anschauungen muß auf ihm ruhen bleiben, doch kann man ihm dieselben wohl einigermaßen verzeihen.

»Das ist nicht zu verwundern, wiederholte er gern, daß die Vereinigten Staaten von Nordamerika sich für unabhängig erklärt haben, ebenso wie Indien und Australien bald dasselbe thun dürften. Welches Volk möchte eine solche Tyrannei ertragen? … O, Herr Méré, wenn der Welt alle die Ungerechtigkeiten bekannt wären, welche diese auf ihre Geldsäcke und ihre Macht zur See so stolzen Engländer verübt haben, dann hätte die menschliche Sprache nicht harte Ausdrücke genug, sie ihnen in’s Gesicht zu schleudern.

»Soll ich Ihnen erzählen, was sie mir, mir, der ich mit Ihnen spreche, angethan haben? fuhr Jacobus Vandergaart fort. Hören Sie mich an und dann werden Sie ja urtheilen können, ob man darüber zweierlei Meinung sein kann.«

Da Cyprien ihm versicherte, daß ihm das große Freude machen werde, fuhr das Männchen fort wie folgt: »Ich bin in Amsterdam im Jahre 1806 auf einer Reise, die meine Eltern dahin gemacht hatten, geboren. Später kam ich dahin zurück, um mein Geschäft zu erlernen; meine ganze Kindheit verlief dagegen am Cap, wohin meine Familie schon vor fünfzig Jahren ausgewandert war. Wir waren Holländer und stolz darauf es zu sein, als Großbritannien sich plötzlich der Colonie – provisorisch, wie es hieß – bemächtigte. John Bull läßt aber nicht wieder los, was er einmal gepackt, und 1815 wurden wir durch das auf einem Congreß versammelte Europa feierlich für Unterthanen des Vereinigten Königreichs erklärt.

»Ich frage Sie, was hatte Europa sich in die Angelegenheiten unserer afrikanischen Provinzen einzumischen?

»Ja, für englische Unterthanen, aber wir wollten das nicht sein, Herr Méré! In der Ueberzeugung, daß Afrika groß genug sei, uns ein Vaterland zu geben, das uns, uns allein gehörte, verließen wir die Capcolonie und wanderten nach den noch wilden Ländereien aus, welche jenes Land im Norden begrenzen. Man nannte uns »Boers,« d. h. Bauern oder auch »Voortrekkers,« das heißt etwa Pioniere oder Vorzügler.

»Kaum hatten wir das neue Land gepflügt, kaum uns durch schwere Arbeit eine unabhängige Existenz geschaffen, da kam die britische Regierung und nahm uns als die ihrigen in Anspruch – immer unter dem Vorwande, daß wir englische Unterthanen seien!

»Das gab Anlaß zu unserem großen Auszuge im Jahre 1833. Auf’s Neue verließen wir das Land in Masse. Nachdem wir auf die mit Ochsen bespannten Wagen unsere Hausgeräthe, Werkzeuge und die Getreidevorräthe verladen hatten, drangen wir noch weiter in die Wüstenei ein. »Zu jener Zeit war das Gebiet von Natal fast ganz entvölkert. Ein blutdürstiger Eroberer, Namens Tchaka, ein wirklicher Neger-Attila aus dem Zuluvolke, hatte hier von l812 bis 1828 fast eine Million Menschen hingeschlachtet. Auch sein Nachfolger Dingaan herrschte daselbst noch durch Schrecken. Dieser wilde König war es jedoch, der uns gestattete, in dem Lande Niederlassungen zu gründen, da wo sich heute die Städte Durban und Port-Natal erheben.

»Der schurkische Dingaan hatte dabei jedoch stets den Hintergedanken gehabt, uns zu überfallen, wenn unsere Gemeinde einigermaßen gediehen wäre. Deshalb bewaffnete sich Jeder, um Widerstand zu leisten, und es war nur unter unerhörten Anstrengungen und, ich darf wohl sagen, durch wahre Wunder von Tapferkeit möglich, daß wir in über hundert Gefechten, in denen unsere Frauen und Kinder an unserer Seite kämpften, im Besitz des Landes bleiben konnten, das wir mit unserem Schweiße, mit unserem Blute gedüngt hatten.

»Kaum war jedoch der schwarze Despot überwunden und seine Macht zertrümmert, als der Gouverneur des Caps britische Truppen sandte mit dem Auftrage, das Gebiet von Natal im Namen ihrer Majestät der Königin von England zu besetzen! … Sie sehen, wir waren noch immer englische Unterthanen! Das geschah im Jahre 1842.

»Andere ausgewanderte Landsleute hatten inzwischen den Transvaal erobert und aus dem Oranjeflusse die Macht des Tyrannen Moselekatze gebrochen. Auch sie mußten sich gefallen lassen, durch einfachen Tagesbefehl das neue Vaterland confiscirt zu sehen, das sie mit so viel Leid und Ungemach erworben hatten.

»Ich übergehe alle Einzelheiten. Der Kampf währte zwanzig Jahre lang. Wir zogen immer weiter, und immer streckte Großbritannien seine gierige Hand nach uns aus, wie über ebensoviele Leibeigene, die noch immer der Scholle angehörten, selbst wenn sie diese verlassen hatten.

»Endlich nach unendlicher Mühe und blutigen Kämpfen gelang es, die Anerkennung unserer Unabhängigkeit in dem Oranje-Freistaate durchzusetzen. Eine von der Königin Victoria unterzeichnete und vom 8. April 1854 datirte Proklamation sicherte uns den freien Besitz des Landes und das Recht beliebiger Selbstregierung zu. Wir bildeten uns endgiltig zur Republik um, und Niemand könnte behaupten, daß unser auf peinliche Beobachtung der Gesetze begründeter Staat, in welchem jedes individuelle Vermögen sich nach Gutdünken entwickeln kann und wo allen Classen ein möglichst gründlichen Unterricht zugänglich gemacht ist, nicht vielen anderen Nationen, die sich vielleicht für weit civilisirter halten, als unser kleiner Staat in Südafrika, als Muster dienen könnte.

»Das Griqualand war ein Theil desselben. Hier hatte ich mich niedergelassen und zwar in demselben Häuschen, in dem wir uns augenblicklich befinden, hier wohnte ich mit meinem Weibe und meinen beiden Kindern. Meinen Kraal oder das Gehege errichtete ich an der Stelle der Mine, wo Sie jetzt arbeiten. Zehn Jahre später kam John Watkins in das Land und erbaute hier seine erste Hütte. Damals wußte man noch nicht, daß diese Terrains Diamanten enthielten, und was mich angeht, hatte ich seit mehr als zwanzig Jahren so wenig Gelegenheit gehabt, mein altes Gewerbe zu betreiben, daß ich mich kaum des Vorhandenseins jener kostbaren Steine entsann.

»Plötzlich, gegen 1867, verbreitete sich das Gerücht, daß unser Gebiet Diamanten enthalte. Ein Boer von den Ufern des Haart hatte Diamanten selbst im Kothe von Straußen und sogar in den Lehmmauern seiner Farm aufgefunden. 6

»Treu ihrem Raubsystem und alle Verträge und Rechte mißachtend, erklärte die englische Regierung gleich darauf, daß das Griqualand ihr gehöre.

»Vergeblich erhob unsere Republik Einspruch. Vergeblich erbot sie sich, die Meinungsverschiedenheiten dem Schiedsspruche eines europäischen Fürsten zu unterbreiten … England wies eine solche Entscheidung zurück und besetzte einfach unser Gebiet.

»Nun hätte man wenigstens noch erwarten sollen, daß von unseren ungerechten Herren die Rechte der Privatpersonen geachtet werden würden! Ich, der ich Wittwer geworden war und bei der furchtbaren Epidemie des Jahres 1870 meine Kinder verloren hatte, fühlte nicht mehr den Muth, noch einmal ein neues Vaterland aufzusuchen und mir noch einmal einen Herd zu gründen, den sechsten oder siebenten während meiner langen Lebensbahn. Ich blieb also im Griqualand.

»Fast den Einzigen hier, ließ mich das Diamantenfieber, das alle Welt befiel, ganz unberührt, und nach wie vor baute ich meinen Gemüsegarten, als ob die Fundstätte des Du Toits Pan, einen Büchsenschuß von meinem Hause, gar nicht entdeckt worden wäre.

»Wie groß aber war eines Tages mein Erstaunen, als ich die nach Landessitte aus trockenen Steinen errichtete Mauer meines Kraals während einer Nacht zerstört und dreihundert Meter weiter nach der Ebene zu fortgeschafft sah. An Stelle der meinigen hatte John Watkins mit Hilfe von hundert Kaffern eine andere errichtet, welche sich direct an die seinige anschloß und seinem Grund und Boden das Stück sandige, röthliche Land hinzufügte, welches bis zur Stunde mein unbestrittenes Eigenthum gewesen war.

»Ich beklagte mich gegen diesen Räuber … er lachte nur darüber. Ich drohte ihm, eine gerichtliche Klage anhängig zu machen … Er meinte, ich solle es nur thun!

»Drei Tage später erhielt ich die Erklärung dieses Räthsels. Die mir gehörige Bodenausbuchtung war eine Diamantenmine. Nachdem John Watkins diese Ueberzeugung gewonnen, hatte er sich beeilt, meine Mauer zu rücken. Dann war er nach Kimberley gegangen, um officiell die Mine auf seinen Namen anzumelden.

»Ich erhob Klage … Möchten Sie nie erfahren, Herr Méré, was es in englischem Lande kostet, eine Klage zu führen! Nach und nach verlor ich darüber meine Ochsen, meine Pferde, meine Schafe! Ich verkaufte das ganze Hausgeräth, bis auf die Kleidermotten, um diese menschlichen Blutegel, welche man Solicitors, Attorneys, Sherifs und Gerichtsdiener nennt, zu mästen … Kurz, nach einem Jahre voller Winkelzüge, voller Erwartung, immer getäuschter Hoffnung, voll Angst und innerlicher Empörung wurde schließlich die Frage meines Eigenthumsrechts endgiltig geregelt, ohne daß ich dagegen Einspruch erheben oder die Entscheidung cassiren lassen konnte.

»Ich verlor meinen Proceß und zu Grunde gerichtet war ich obendrein! Ein Urtheil in aller Form erklärte meine Ansprüche als unbegründet, wies meine Klage ab und erklärte, daß es dem Gerichtshofe unmöglich sei, die antheiligen Rechte der Parteien zu erkennen, daß es sich dagegen empfehle, für die Zukunft eine bestimmte Grenze festzustellen. So bestimmte man den 25. Grad östlicher Länge von Greenwich als die Linie, welche beide Besitzungen trennen sollte. Das westlich von diesem Meridian gelegene Terrain sollte John Watkins verbleiben, das östlich desselben befindliche Jacobus Vandergaart angehören. Diese auf den ersten Blick eigentümliche Entscheidung war den Richtern durch den Umstand nahegelegt, daß jener 25. Grad über das Gebiet des Bezirks und quer durch den Grund und Boden verläuft, auf dem sich früher mein Kraal befunden hatte.

»Die Mine lag aber leider mehr nach Westen zu. Sie ging damit natürlich in das Eigenthum John Watkins‘ über.

»Trotzdem, und wie um die Ansicht des Landes durch einen unauslöschlichen Flecken zu verewigen, wird dieselbe im Gegensatz zu dem richterlichen Ausspruche noch heute die Vandergaart-Kopje genannt!

»Nun sagen Sie, Herr Méré, hab‘ ich nicht das volle Recht, zu sagen, daß die Engländer Spitzbuben sind?« fragte der alte Boer, als er seine nur zu wahrheitsgetreue Erzählung beendigte.

  1. Genau, d. h. für die dortige Gegend, 0.2052 Gramm, während er an anderen Orten von 0.197 (Amboina) bis 0.2159 Gramm (Livorno) differirt. Amsterdam selbst rechnet 1 Karat = 0.2057 Gramm.
  2. Dieser Boer hieß Jacobs. Ein gewisser Niekirk, ein holländischer Händler, der hier in Gesellschaft eines Straußjägers, Namens O’Reilly, hindurchkam, erkannte in den Händen der Kinder des Boers als Spielzeug einen Diamanten, den er für wenig Sous kaufte und für 12.500 Francs an Sir Philipp Wordehouse, den Gouverneur der Capcolonie, wieder veräußerte. Der betreffende Stein wurde sofort kunstgerecht bearbeitet und nach Paris geschickt, wo er in der Weltausstellung auf dem Marsfelde im Jahre 1867 eine Stelle fand. Seit dieser Zeit ist dem Boden im Griqualande alljährlich an Diamanten ein Werth von 32 Millionen Mark entnommen worden. Als merkwürdiger Umstand verdient angeführt zu werden, daß das Vorkommen von Diamantlagerstätten in diesem Lande früher einmal bekannt gewesen und später wieder vergessen worden ist. Alte Landkarten aus dem fünfzehnten Jahrhundert tragen an solchen Stellen die Bemerkung: »Here Diomonds« = »Hier giebt es Diamanten.«

Sechstes Capitel


Sechstes Capitel

Lagergebräuche

Man wird gerne zugestehen, daß der Inhalt dieses Gesprächs für den jungen Ingenieur nicht besonders angenehm war. Er konnte einer solchen Bemäkelung der Ehrenhaftigkeit des Mannes, den er noch immer heimlich als zukünftigen Schwiegervater betrachtete, keinen Geschmack abgewinnen. Deshalb gewöhnte er sich auch bald, die Ansichten des Jacobus Vandergaart über die Angelegenheit mit der Kopje als einer fixen Idee entsprungen zu betrachten, von der man gewiß Vieles abziehen müsse.

John Watkins, dem gegenüber er diese Sache einmal mit zwei Worten erwähnte, hatte erst statt jeder Antwort laut aufgelacht und dann den Zeigefinger unter Kopfschütteln an die Stirne gelegt, wie um auszudrücken, daß es mit dem Verstand des alten Vandergaart nicht mehr ganz richtig sei.

War es denn nicht wirklich möglich, daß der Greis unter dem Eindruck der Entdeckung der Diamantenmine sich ohne hinreichenden Grund nur in den Kopf gesetzt hatte, dieselbe sei eigentlich sein Eigenthum? Jedenfalls hatte doch das Gericht ihm allseitig Unrecht gegeben, und man durfte doch als unwahrscheinlich ausschließen, daß die Richter absichtlich Recht für Unrecht angesehen hatten. Das sagte sich der junge Ingenieur zur Selbstentschuldigung, wenn er noch ferner mit John Watkins Umgang pflog, nachdem er erfahren, was Jacobus Vandergaart über diesen dachte.

Ein anderer Lagernachbar, bei dem Cyprien gelegentlich einmal gern vorsprach, weil er bei diesem das Leben des Boers in seiner ursprünglichen Färbung antraf, war ein Farmer Namens Mathys Pretorius, der unter allen Diamantengräbern des Griqualandes wohl bekannt war.

Obgleich erst vierzig Jahre alt, war doch Mathys Pretorius schon lange am weiten Becken des Oranjeflusses umhergeirrt, ehe er sich in diesem Lande ansiedelte. Das Nomadenleben hatte auf ihn aber nicht, wie auf Jacobus Vandergaart, die Wirkung, ihn magerer und reizbarer zu machen. Er war dabei vielmehr dick und fett und das in solchem Maße geworden, daß er sich kaum auf den Füßen bewegen konnte. Man hätte ihn mit einem Elephanten vergleichen können.

Fast stets in einem ungeheuren Holzlehnstuhle sitzend, der ganz eigens für ihn gebaut war, um seine gewaltigen Körperformen aufzunehmen, verließ Mathys Pretorius das Haus nur im Wagen, in einer Art Preschwagen aus Weidengeflecht, vor den ein riesiger Strauß gespannt war. Die Leichtigkeit, mit welcher der Stelzfüßler die enorme Masse hinter sich herzog, lieferte einen sprechenden Beweis für die gewaltige Kraft seiner Muskeln.

Mathys Pretorius kam gewöhnlich nur nach dem Lager, um mit den Cantinenwirthen einen Handel in Gemüse abzuschließen. Er war höchst populär, leider von wenig beneidenswerther Popularität, weil diese sich auf seine ganz außergewöhnliche Verzagtheit gründete. Die Steingräber machten sich’s auch häufig zum Vergnügen, ihm durch Erzählungen von tausend Dummheiten einen entsetzlichen Schrecken einzujagen.

Bald wurde ihm ein bevorstehender Einfall von Bassutos oder Zulus gemeldet; bald wieder stellte man sich in seiner Gegenwart so, als lese man in einer Zeitung einen Gesetzvorschlag, wonach in den englischen Besitzungen jedes Individuum von über dreihundert Pfund Gewicht den Tod erleiden sollte. Oder man ließ ihn auch hören, daß sich ein toller Hund auf der Straße von Driesfontein gezeigt habe, und der arme Mathys Pretorius, der diesen Weg einschlagen mußte, um nach Hause zu gelangen, erfand dann tausend Ausflüchte, um im Lager zurückzubleiben.

Seine eingebildeten Befürchtungen verschwanden jedoch noch immer gegenüber der ernsthaften Angst, die ihn wegen etwaiger Entdeckung einer Diamantenmine auf seinem Grund und Boden plagte.

Er entwarf sich schon im Voraus ein entsetzliches Gemälde von dem, was dann geschehen müsse, wenn die habgierigen Menschen über seinen Gemüsegarten herfielen, seine Beete umwühlten und ihn dann gar an die Luft setzten! Die Engländer würden schon Anhaltspunkte finden, um nachzuweisen, daß das Land eigentlich ihnen gehöre.

Wenn sich solche düstere Vorstellungen seines Gehirns bemächtigten, schnürten sie ihm fast die Kehle zu. Wenn er unglücklicher Weise einen »Prospecteur« 7 sah, der um sein Gehöft umherirrte, so konnte er weder essen noch trinken! Und dennoch wurde der Mann alle Tage dicker.

Einer seiner hartnäckigsten Verfolger war jetzt Annibal Pantalacci. Der boshafte Neapolitaner – der nebenbei sehr gut zu gedeihen schien, denn er ließ drei Kaffern in seinem Claim arbeiten und trug einen sehr großen Diamanten im Brustlatze des Hemdes – hatte bald die Schwäche des unglücklichen Boers herausgefunden. So machte er sich wenigstens einmal jede Woche das ziemlich zweifelhafte Vergnügen, in der Umgebung der Farm Pretorius Bodenuntersuchungen anzustellen oder wenigstens die Erde oberflächlich aufzugraben.

Das Gebiet dieser Farm erstreckte sich am linken Ufer des Vaal etwa zwei Meilen über das Lager hinaus und enthielt Alluvialboden, der in der That recht wohl Diamanten bergen konnte, obwohl bis auf den heutigen Tag dafür kein weiterer Beweis erbracht worden war.

Um diese alberne Komödie desto wirksamer zu machen, hielt Annibal Pantalacci darauf, stets in Sicht und vor den Fenstern Mathys Pretorius‘ Aufstellung zu nehmen, und meist schleppte er auch mehrere Kameraden mit, um denselben durch seine Neckereien einen Spaß zu bereiten.

Dann konnte man sehen, wie der, hinter den Baumwollenvorhängen halb erstarrte Mann ängstlich ihren Bewegungen folgte, jede Miene der Leute belauschte und sich immer bereit hielt, nach dem Stall zu laufen, um seinen Strauß einzuspannen und zu entfliehen, wenn er einen feindlichen Einfall in sein Gebiet befürchten zu müssen glaubte.

Warum hatte er aber auch das Unglück gehabt, einem seiner Freunde anzuvertrauen, daß er Tag und Nacht seinen Zugvogel angezäumt halte und die Sitzkasten seines Wagens schon mit Mundvorrath versehen habe, um bei den ersten entscheidenden Erscheinungen Reißaus nehmen zu können?

»Dann gehe ich zu den Buschmännern! sagte er. Schon vor zehn Jahren trieb ich mit ihnen Elfenbeinhandel, und ich versichere Ihnen, es ist hundertmal besser, inmitten der Wilden und der Löwen und Schakals zu leben, als unter diesen unersättlichen Engländern zu wohnen!«

Der Vertraute des unglücklichen Farmers hatte aber – nach unveränderlicher Gewohnheit aller Vertrauten – nichts Eiligeres zu thun, als diese seine Projecte aller Welt auszuschwatzen. Es braucht also wohl kaum darauf hingewiesen zu werden, daß Annibal Pantalacci sich das zu Nutze machte, die Leute in der Kopje weidlich zu amüsiren.

Ein anderes gewöhnliches Opferlamm der schlechten Späße des Neapolitaners war und blieb der Chinese Lî.

Auch dieser hatte sich bei der Vandergaart-Kopje niedergelassen und daselbst eine Waschanstalt gegründet. Es ist ja bekannt, daß die Kinder des Himmlischen Reiches sich auf das Geschäft als Wäscher besonders verstehen.

Der berüchtigte rothe Kasten, der Cyprien so viel Kopfzerbrechen verursacht hatte, als er sich in den ersten Tagen auf der Reise nach dem Griqualande befand, enthielt nichts als Bürsten, Soda, Seifenriegel und Neublau. Für einen intelligenten Chinesen reichte das schon aus, um hier zu Lande sein Glück zu machen.

Cyprien konnte sich wirklich nicht enthalten, aufzulachen, wenn er Lî ganz ernsthaft und schweigend und beladen mit einem großen Korbe begegnete, in welchem dieser seinen Kunden die Wäsche überbrachte.

Dagegen ärgerte es ihn zu sehen, wie wahrhaft roh sich Annibal Pantalacci gegen den armen Teufel benahm. Er warf ihm Tintenflaschen in seinen Waschzuber, spannte vor seiner Thür Seile aus, um ihn zu Falle zu bringen, und befestigte ihn an seiner Bank, indem er einen Nagel durch seine Blouse trieb. Vor Allem verfehlte er niemals, ihn, wenn sich irgend die Gelegenheit bot, mit einem Fußtritte zu regaliren und ihn »Hund von einem Heiden« zu schimpfen. Und wenn er ihm die eigene Kundschaft aufgenöthigt hatte, so geschah das nur, um wenigstens wöchentlich einmal solche Rohheiten ausführen zu können. Niemals fand er seine Wäsche in gutem Zustande, obgleich Lî sie mit größter Sorgfalt wusch und bügelte. Das kleinste falsche Fältchen setzte ihn in wildesten Zorn und er behandelte den bedauernswerthen Chinesen, als ob dieser sein Sclave gewesen wäre.

Solcher Art waren die groben Vergnügungen des Lagerlebens. Sie nahmen jedoch zuweilen auch einen noch ernsteren Charakter an. Wenn es zum Beispiel vorkam, daß ein in der Mine beschäftigter Neger eines Diamantendiebstahls beschuldigt wurde, so hielten es gleich Alle für ihre Pflicht, ihn zum Richter zu begleiten, und ließen es schon im Voraus an gehörigen Faustschlägen nicht fehlen.

Wurde der Angeklagte dann auch völlig frei gesprochen, so hatte er wenigstens seine Tracht Prügel weg. Uebrigens erfolgten in solchen Fällen Freisprechungen nur sehr selten. Der Richter war mit einem verdammenden Urtheile meist schneller fertig, als er ein Orangenviertel mit Salz – ein Lieblingsgericht des Landes – hätte aufessen können. Das Urtheil lautete gewöhnlich auf vierzehn Tage Zwangsarbeit und zwanzig Hiebe mit der cat of nine tails, »der neunschwänzigen Katze«, einer Art Geißel mit Knoten in den Riemen, deren man sich noch in Großbritannien und den englischen Besitzungen bedient, um die Gefangenen auszupeitschen.

Es gab auch noch ein anderes Verbrechen, welches die Diamantengräber noch weniger zu vergeben geneigt waren, als den Diebstahl – die Hehlerei.

Ward, der Yankee, der zu gleicher Zeit mit dem jungen Ingenieur nach dem Griqualande gekommen war, machte darin eines Tages eine traurige Erfahrung, weil er von einem Kaffern Diamanten gekauft hatte. Ein Kaffer darf nach gesetzlicher Vorschrift überhaupt keine Diamanten besitzen, denn es ist ihm verboten, diese in einem Claim zu kaufen, oder gar einen solchen auf eigene Rechnung auszubeuten.

Kaum war die Thatsache bekannt geworden – es war des Abends und zur Stunde, wo gewöhnlich das ganze Lager in Aufruhr ist – als sich schon eine wüthende Menge nach der Cantine des Schuldigen wälzte, hier Alles durcheinander warf und sie dann anzündete; jedenfalls wäre der Yankee an den Galgen geknüpft worden, den schon einige dienstwillige Leute aufrichteten, als zu seinem Glücke ein Dutzend berittene Policemen dazu kamen, die ihn dadurch retteten, daß sie ihn in’s Gefängniß abführten.

Inmitten dieser gemischten, jähzornigen und halbwilden Gesellschaft gehörten natürlich gewaltthätige Auftritte nicht zu den Seltenheiten. Hier vermengten sich alle Racen zur buntscheckigen, lärmenden Versammlung! Hier trugen der Durst nach Gold, der Einfluß eines ausdörrenden Klimas, sowie Enttäuschungen und Ekel an der Arbeit dazu bei, die Köpfe zu erhitzen und die Gewissen zu erweitern. Hätten alle die Leute in ihren Erdlöchern Erfolge erzielt, so hätten sie sich vielleicht ruhiger und duldsamer benommen. Aber auf Einen, welchem es in langen Zwischenräumen glückte, einen Stein von großem Werthe zu finden, gab es wohl Hunderte, welche nur mühsam ihr Leben fristeten und kaum so viel gewannen, um die nöthigsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen, wenn sie nicht gar in das größte Elend geriethen. Die Mine glich eben einem grünen Tische, auf dem man aber nicht allein sein Geld, sondern auch seine Zeit, seine Arbeit und die Gesundheit auf eine Karte setzte.

Die Anzahl glücklicher Spieler, denen der Zufall die Haue bei der Ausbeutung ihrer Claims in der Vandergaart-Kopje führte, war von jeher eine sehr beschränkte.

Cyprien sah das Tag für Tag mehr und er legte sich die Frage vor, ob er ein so wenig ergiebiges Geschäft noch fortsetzen solle oder nicht, als ein Zufall zu einer Aenderung seiner Arbeitsmethode führte.

Eines Morgens traf er von ungefähr auf eine Gesellschaft von etwa einem Dutzend Kaffern, die nach dem Lager gekommen waren, um hier Beschäftigung zu suchen. Die Armen stammten aus dem Bergdistricte, der das eigentliche Kaffernland von dem Lande der Bassutos trennt. Sie hatten längs des Oranjeflusses in indischem Gänsemarsche über hundertfünfzig Lienes zu Fuße zurückgelegt und dabei von dem gezehrt, was sie unterwegs finden konnten, das heißt von Wurzeln, Beeren und Heuschrecken. Jetzt erschienen sie ungeheuer mager und glichen eher Skeletten als lebenden Wesen. Mit ihren abgezehrten Beinen, dem langen, nackten Oberkörper mit lederbrauner Haut, die ein leeres Gerippe zu umschließen schien, mit vorspringenden Hüften und den hohlen Wangen, sahen sie mehr aus, als lüsterten sie nach einem Beefsteak von Menschenfleisch, als danach, schwere Arbeit zu leisten. Niemand schien auch geneigt dazu, sie anzuwerben, und so hockten sie beisammen an der Seite des Weges, ohne zu wissen, was sie in ihrem Elend beginnen sollten.

Cyprien war durch ihren Anblick ordentlich gerührt. Er verständigte sie durch Zeichen, ein wenig zu warten, und begab sich nach dem Wirthshause, wo er gewöhnlich aß. Hier bestellte er einen tüchtigen Kessel voll mit Wasser angerührtem Maismehl und ließ diesen nebst einigen Büchsen mit conservirtem Fleisch und zwei Flaschen Rum den armen Teufeln hinbringen.

Dann machte er sich’s zum Vergnügen, zuzusehen, wie diese sich über das Mehl hermachten, das für sie noch ganz neu schien.

Wahrlich, man hätte glauben können, Schiffbrüchige vor sich zu sehen, die nach vierzehntägigem Fasten und schweren Entbehrungen von einem Floße gerettet worden wären. Sie verschlangen Alles mit einer Gier, daß sie nach Verlauf einer Viertelstunde wie eine Bombe hätten platzen können. Aus Rücksicht auf ihre Gesundheit mußte diesem Liebesmahle ein Ziel gesetzt werden, sonst wäre wahrscheinlich die ganze Gesellschaft einfach erstickt.

Nur einer der Neger, ein Bursche von intelligentem Aussehen und seiner Erscheinung nach der Jüngste von Allen, hatte sich bei der Stillung seines Heißhungers doch einige Zurückhaltung auferlegt; und was noch auffallender ist, er versuchte auch, seinem Wohlthäter zu danken, woran die Anderen gar nicht dachten. So näherte er sich Cyprien, ergriff mit ungekünstelter und nicht ungraziöser Bewegung dessen Hand und legte diese auf seinen Krauskopf.

»Wie heißt Du? fragte ihn auf gut Glück der junge Ingenieur, dem dieser Zug von Erkenntlichkeit wohlgefiel.

Der Kaffer, welcher zufällig einige englische Worte verstand, antwortete sofort:

»Matakit!«

Sein offener, vertrauenerweckender Blick machte auf Cyprien einen recht guten Eindruck, deshalb kam ihm auch der Gedanke, den wohlgewachsenen jungen Mann in seinem Claim arbeiten zu lassen, und diese Idee konnte nur gut sein.

»Es ist ja weiter nichts, sagte er für sich, als was alle Welt hier im Districte thut. Für den armen Kaffer ist es jedenfalls besser, mich zum Herrn zu haben, als einem Pantalacci in die Hände zu fallen.«

Dann fuhr er fort:

»Nun, Matakit, Du kamst doch wohl hierher, um Arbeit zu suchen?« fragte er diesen.

Der Kaffer bejahte das durch ein Zeichen.

»Willst Du bei mir arbeiten? Ich werde für Deine Nahrung sorgen, Dir die Werkzeuge liefern und noch zwanzig Schilling den Monat geben.«

Das war der gewöhnliche Tarif, und Cyprien wußte, daß er nicht mehr anbieten durfte, ohne den Zorn des ganzen Lagers auf sich zu laden. Im Stillen behielt er sich aber vor, diesen geringfügigen Lohn durch Geschenke an Kleidungsstücken, Eßgeschirr und was sonst in den Augen eines Kaffern von Werth erscheint, aufzubessern.

Statt aller Antwort zeigte Matakit lachend die zwei Reihen seiner weißen Zähne und legte nochmals die Hand seines Beschützers auf den Kopf. Der Contract war damit abgeschlossen.

Cyprien führte also seinen neuen Diener sogleich mit sich fort. Er nahm aus seinem Koffer ein leinenes Beinkleid, ein Flanellhemd und einen alten Hut und gab das Matakit, der kaum seinen Augen trauen mochte. Sich gleich bei seiner Ankunft im Lager auf so kostbare Art bekleidet zu sehen, das überstieg weit die kühnsten Träume des armen Teufels. Er wußte seine Erkenntlichkeit und Freude gar nicht auszudrücken und hüpfte, lachte und weinte gleichzeitig.

»Matakit, Du scheinst mir ein guter Bursche zu sein, sagte Cyprien. Ich sehe wohl, daß Du ein wenig Englisch verstehst. Kannst Du denn kein einziges Wort sprechen?«

Der Kaffer verneinte durch ein Zeichen.

»Nun, wenn es so steht, werd‘ ich es unternehmen, Dich Französisch zu lehren!« erklärte Cyprien.

Ohne Zögern begann er mit seinem Schüler die erste Lection, indem er ihm die Namen der gewöhnlichsten Gegenstände nannte und diese wiederholen ließ.

Matakit erwies sich dabei nicht nur als ein braver Bursche, sondern auch als recht guter Kopf, der ein außergewöhnliches Gedächtniß besaß.

Binnen kaum zwei Stunden hatte er mehr als hundert Worte gelernt und sprach diese auch ziemlich richtig aus.

Erstaunt über eine solche Fassungsgabe, beschloß der junge Ingenieur, sich diese ehrlich zu Nutze zu machen.

Der junge Kaffer brauchte sieben bis acht Tage Ruhe und stärkende Nahrung, um sich von den Strapazen seiner Reise zu erholen und in den Stand zu kommen, arbeiten zu können. Diese acht Tage wurden indeß von seinem Lehrer ebenso wie von ihm so vortrefflich angewendet, daß Matakit am Ende der ersten Woche schon im Stande war, seine Gedanken, wenn auch noch uncorrect, doch jedenfalls genügend verständlich französisch auszudrücken.

Cyprien veranlaßte ihn nun, seine Lebensgeschichte zu erzählen. Diese war sehr einfach.

Matakit kannte nicht einmal den Namen seines Heimatlandes, das an der Seite der Berge lag, wo die Sonne aufgeht. Er konnte nur mittheilen, daß die Menschen dort ein sehr elendes Dasein fristeten. Dann hatte er, dem Beispiele einiger ausgewanderter Krieger seines Stammes folgend, sein Glück versuchen wollen, und war wie sie nach den Diamantenfeldern gewandert.

Was hoffte er wohl hier zu gewinnen? Nichts als einen rothen Mantel und zehnmal zehn Silberstücke.

Die Kaffern verachten nämlich das Gold. Das rührt von einem unausrottbaren Vorurtheile her, welches die ersten mit ihnen Handel treibenden Europäer den rohen Naturkindern beigebracht haben.

Und was dachte der ehrgeizige Matakit mit seinen Silberstücken anzufangen? Nun, er wollte sich einen rothen Mantel, eine Flinte und Pulver verschaffen und dann nach seinem Kraal zurückkehren. Hier würde er sich eine Frau kaufen, die für ihn arbeiten und sein Maisfeld bestellen müßte. Unter solchen Verhältnissen wäre er dann ein hervorragender Mann, fast ein Häuptling. Alle würden ihn um seine Flinte und sein großes Vermögen beneiden, bis er einst, hoch an Jahren und Ansehen, zu seinen Vätern heimging. Das war Alles ziemlich einfach.

Cyprien verfiel bei Anhörung dieses bescheidenen Programms doch in Nachdenken. Sollte er dasselbe zu ändern versuchen, den Horizont des armen Wilden erweitern, ihm würdigere Ziele des Strebens zeigen als einen rothen Mantel und ein altes Steinschloßgewehr? Oder war es nicht besser, ihn seiner unschuldigen Unwissenheit zu überlassen, um in seinem Kraal in Frieden das Leben, welches er sich wünschte, zu beschließen? Das war eine schwierige Frage, welche der junge Ingenieur nicht so leicht zu lösen wagte, die aber Matakit selbst sehr bald ganz verschwinden ließ.

Kaum nämlich der ersten Elemente der französischen Sprache mächtig, zeigte der junge Kaffer einen geradezu außerordentlichen Drang zum Lernen. Er fragte ohne Unterlaß, wollte Alles wissen, den Namen jedes Gegenstandes, seine Anwendung und seinen Ursprung. Dann betrieb er wieder leidenschaftlich Lesen, Schreiben und Rechnen. Er war mit einem Worte unersättlich.

Cyprien kam auch bald zu einem Entschlusse. Gegenüber einer so unleugbaren Beanlagung durfte er nicht zaudern. Er entschloß sich also, Matakit jeden Abend eine Stunde Unterricht zu ertheilen, da Letzterer wirklich, außer seinen Arbeiten in der Mine, jede Minute seiner weiteren geistigen Ausbildung widmete.

Erfreut über diesen merkwürdigen Eifer, übernahm es Miß Watkins, mit dem jungen Kaffern seine Lectionen zu wiederholen. Dieser sagte sie übrigens stets für sich selbst her, ob er nun im Grunde des Claims mit der Hacke arbeitete, die Eimer emporwand oder die Kiesel aussonderte. Die Beharrlichkeit bei seinem Werke war so ansteckend, daß sie auf das ganze Personal gleich einer wohlthätigen Epidemie überging, und die Arbeit in der Mine jetzt mit weit mehr Sorgfalt als früher betrieben zu werden schien.

Auf Empfehlung Matakit’s hatte Cyprien nämlich noch einen anderen Kaffer aus demselben Stamme, Namens Bardik gemiethet, dessen Eifer und Intelligenz ebenso alle Achtung verdienten.

Da ereignete sich für den Ingenieur ein glücklicher Umstand, der ihm bisher noch nie widerfahren war; er fand einen Stein von sieben Karat, den er sofort für fünftausend Francs an den Händler Nathan verkaufte.

Das war in der That ein recht gutes Geschäft. Ein Diamantgräber, der von seiner Arbeit nur einen normalen Ertrag erwartet, hätte sich damit recht wohl befriedigt erklären können. Ja, gewiß. Cyprien freilich konnte das nicht.

»Wenn ich alle zwei oder drei Monate ein solches Glück habe, sagte er, bin ich damit etwa einen Schritt weiter gekommen? Es ist nicht ein Diamant von sieben Karat, was ich brauche, sondern tausend oder fünfzehnhundert solcher Steine … wenn mir nicht Miß Watkins entgehen soll, um jenem James Hilton oder einem anderen Bewerber von gleich geringem Werthe in die Hände zu fallen.«

Cyprien überließ sich gerade eines Tages solchen Gedanken, als er nach dem Frühstück bei drückender Hitze und quälendem Staube – jenem röthlichen, blendenden Staube, der die Atmosphäre der Diamantlager unausgesetzt erfüllt – nach der Kopje zurückkehrte, und, um eine Hütte biegend, vor Schreck zurückwankte. Hier bot sich seinen Augen ein klägliches Schauspiel.

Ein Mann hing an der Deichsel eines Büffelkarrens, der vor der Mauer aufgerichtet stand, mit dem Hintertheil auf der Erde und der Deichsel in der Luft. Unbeweglich, mit ausgestreckten Füßen und Händen, hing der Körper wie ein Senkblei im schwindenden Tageslichte und bildete mit der Deichsel einen Winkel von etwa zwanzig Graden.

Es war ein schauerlicher Anblick.

Zuerst verblüfft, empfand Cyprien doch ein warmes Gefühl von Mitleid, als er den Chinesen Lî erkannte, der mit dem um den Hals geschlungenen langen Zopfe hier zwischen Himmel und Erde schwebte.

Der junge Ingenieur harte nicht lange zu überlegen, was hier zunächst zu thun war; das Ende der Deichsel zu erklimmen, den Körper des armen Wichtes in die Arme zu nehmen und etwas zu heben, um die Wirkung der Strangulation aufzuheben – das war für ihn das Werk einer halben Minute. Als das geschehen, ließ er sich vorsichtig niedergleiten und legte seine Bürde im Schatten der Hütte nieder. Es war die höchste Zeit, obgleich Lî noch nicht ganz erkaltet schien. Sein Herz schlug schwach, aber es schlug doch. Bald hatte er auch die Augen wieder geöffnet und schien sonderbarer Weise auch gleichzeitig die Besinnung wieder zu bekommen, als er das Licht erblickte.

Die immer gleichgiltige Physiognomie des armen Teufels ließ auch jetzt, wo er dieser entsetzlichen Lage entronnen war, weder ein Zeichen von Schrecken, noch von Verwunderung erkennen. Er sah vielmehr aus, als ob er nur aus leichtem Schlummer erwachte.

Cyprien reichte ihm ein paar Tropfen mit Essig versetzten Wassers, das er in seiner Feldflasche bei sich trug.

»Können Sie nun sprechen?« fragte er mechanisch, ganz uneingedenk, daß Lî ihn wahrscheinlich nicht einmal verstand.

Der Andere nickte jedoch mit dem Kopfe.

»Wer hat Sie hier gehenkt?«

– Ich selbst, antwortete der Chinese, als habe er gar kein Bewußtsein davon, damit etwas Außergewöhnliches und Verbrecherisches gethan zu haben.

»Sie? .. Sie wollten also einen Selbstmord begehen, Unglücklicher … Und warum?«

– Es war Lî zu warm! .. Lî war mißgestimmt!« erklärte der Chinese. Dann schloß er wieder die Augen, als wolle er ferneren Fragen enthoben sein.

Da bemerkte Cyprien erst zu seiner Verwunderung, daß diese Worte in französischer Sprache gewechselt worden waren.

»Sie sprechen wohl auch Englisch?« fuhr er fort.

– Ja,« bestätigte Lî, die Augenlider aufschlagend.

Man hätte jetzt zwei schiefe Knopflöcher zu sehen geglaubt, die sich an beiden Seiten seiner kleinen Stumpfnase befanden.

Cyprien kam es vor, als läge in diesem Blicke wieder etwas von jener Ironie, die er schon während der Fahrt vom Cap nach Kimberley bemerkt hatte.

»Ihre Gründe sind thöricht! sagte er ernst. Man begeht keinen Selbstmord, weil’s einem zu warm ist! … »Sprechen Sie offen! … Ich wette darauf, hier steckt doch wieder ein boshafter Streich jenes Pantalacci dahinter?«

Der Chinese senkte den Kopf.

»Er wollte mir den Zopf abschneiden, sagte er mit gedämpfter Stimme, und ich weiß, daß er es doch nach wenigen Tagen zur Ausführung gebracht hätte.«

Gleichzeitig gewahrte aber Lî jenen berühmten Zopf in der Hand Cypriens und überzeugte sich, daß das Unheil, welches er vor allem Anderen fürchtete, schon über ihn hereingebrochen war.

»O, Herr! … Wie? .. Sie … Sie haben mir ihn abgeschnitten?« .. rief er mit herzzerreißendem Tone.

– Ich mußte es, um Sie loszumachen, armer Freund! antwortete Cyprien. Aber zum Kuckuk, deshalb sind Sie hier zu Lande nicht einen Sou weniger Werth! … Beruhigen Sie sich getrost!..«

Der Chinese erschien so verzweifelt über diese Amputation, daß Cyprien aus Furcht, jener könne einen neuen Selbstmordversuch machen, sich entschloß, nach seiner Hütte zurückzukehren und ihn mitzunehmen.

Lî folgte ihm ohne Widerspruch, nahm neben seinem Retter Platz, ließ sich geduldig eine Strafpredigt halten und versprach, keinen weiteren Versuch zu unternehmen. Unter der Wirkung einer Tasse dampfenden Thees ließ er sich sogar zur Mittheilung einiger Einzelnheiten aus seinem Leben herbei.

Geboren zu Canton, war Lî in einem englischen Hause für den Handel erzogen worden. Dann hatte er sich nach Ceylon, von da nach Australien und schließlich nach Afrika gewendet. Nirgends aber wollte das Glück ihm lachen. Das Wäschegeschäft im Minenbezirke ging nicht besser als zwanzig andere Beschäftigungen, die er schon versucht hatte. Sein hauptsächlichster Quälgeist war und blieb aber Annibal Pantalacci. Dieser Mensch verschuldete sein ganzes Elend, und ohne ihn hätte er sich vielleicht mit der immerhin zweifelhaften Existenz im Griqualand ausgesöhnt. Nur um dessen ewigen Quälereien zu entgehen, war in ihm der Entschluß gereift, sich das Leben zu nehmen.

Cyprien stärkte den armen Kerl, versprach ihm, ihn gegen den Neapolitaner zu schützen, gab ihm alle Leibwäsche zum Waschen, die er nur finden konnte, und schickte ihn nicht allein getröstet, sondern auch geheilt von dem Aberglauben seines Haaranhängsels nach Hause.

Und auf welche Weise war das dem jungen Ingenieur gelungen? Er hatte Lî einfach, aber sehr ernst erklärt, der Strick eines Gehenkten bringe Glück und daß sein Pech jetzt, wo er seinen Zopf in der Tasche tragen könne, jedenfalls sein Ende nehmen werde.

»Nun, wenigstens kann Pantalacci ihn mir nicht mehr abschneiden!«

Diese echt chinesische Betrachtung vollendete dann die Cur.

  1. So nennt man die Leute, welche zur Aufsuchung eines Lagers von Mineralien oder werthvollen Steinen ausziehen, indem sie sich entweder rein auf den Zufall verlassen, solche zu entdecken, oder auch in mehr systematischer Weise dabei zu Werke gehen.

Siebentes Capitel.


Siebentes Capitel.

Der Einsturz.

Fünfzig Tage waren verflossen, ohne daß Cyprien einen einzigen Diamanten in seiner Grube gefunden hätte. Mehr und mehr wurde ihm das Geschäft als Minengräber zuwider; es erschien ihm als albernes Glücksspiel, so lange Einer nicht Capital genug besaß, um einen Claim erster Güte zu kaufen und gleich ein Dutzend Kaffern anzustellen, die diesen bearbeiteten.

Eines Morgens ließ Cyprien Matakit und Bardik allein mit Thomas Steel nach der Grube gehen und blieb allein im Zelte zurück. Er wollte noch auf einen Brief seines Freundes Pharamond Barthès antworten, der ihm durch einen auf der Rückreise nach dem Cap befindlichen Elfenbeinhändler von sich hatte Nachricht zugehen lassen.

Pharamond Barthès war höchst befriedigt von seinem Jägerleben und dessen Abenteuern. Er hatte schon drei Löwen, sechzehn Elephanten, sieben Tiger und eine Unzahl Giraffen und Antilopen erlegt, ohne das eßbare Wild zu rechnen.

»Wie die historischen Eroberer, schrieb er, ernährte er den Krieg durch den Krieg. Er erhielt von der Jagdbeute nicht allein das ganze kleine Expeditionscorps, das er mitgenommen, sondern es wäre ihm auch ein Leichtes gewesen, wenn er nur gewollt hätte, durch den Verkauf von Fellen und Elfenbein oder durch Tauschhandel mit den Kaffernstämmen, bei denen er sich befand, einen recht ansehnlichen Gewinn zu erzielen.«

Sein Brief schloß mit den Worten:

»Solltest Du nicht Lust verspüren, mit mir einen Ausflug nach dem Limpopo zu unternehmen? Dort werd‘ ich Ende kommenden Monats eintreffen und denke längs desselben bis zur Delagoa-Bai hinabzuziehen, um mich zur See nach Durban zu begeben, wohin ich mich verpflichtet habe, meine Bassutos zurückzuführen … Verlasse also Dein schreckliches Griqualand für einige Wochen und stelle Dich baldigst bei mir ein …«

Cyprien durchlas diesen Brief eben noch einmal, als eine furchtbare Detonation, der ein gewaltiger Lärm im Lager folgte, ihn eiligst aus dem Zelte heraustrieb.

Eine Menge Diamantengräber stürmte in großer Unordnung und Erregung nach der Mine zu.

»Ein Einsturz!« schrie man von allen Seiten.

Die letzte Nacht war nämlich sehr frisch, fast eisig kalt gewesen, während der vorhergegangene Tag zu den wärmsten gezählt werden konnte, die man hier seit langer Zeit erlebt hatte. Gewöhnlich haben solche schroffe Temperaturveränderungen in den frei zu Tage liegenden Erdschichten Zusammenziehungen zur Folge, welche nicht selten mit solchen entsetzlichen Zusammenbrüchen endigen.

Cyprien beeilte sich natürlich ebenfalls nach der Kopje zu kommen. Hier übersah er mit einem Blick, was vorgegangen war.

Eine ganz gewaltige Erdwand von wenigstens sechzig Meter Höhe und zweihundert Meter Länge hatte sich horizontal gespalten und zeigte nun einen Riß, wie die Bresche einer niedergelegten Befestigung. Mehrere hundert Centner Kies hatten sich dabei losgelöst und waren in die Claims hinabgerutscht, welche sie mit Sand, Trümmern und Kieselsteinen erfüllten. Alles, was sich in jenem Augenblicke auf dem Kamme der Wand befand, Menschen, Büffel und Karren, war mit einem Male hinuntergeschleudert und lag nun im Grunde.

Zum Glück hatten die meisten Arbeiter ihr Tagewerk auf dem Grunde der Mine noch nicht begonnen – sonst wäre die halbe Bewohnerzahl des Lagers begraben gewesen unter diesen Riesentrümmern.

Cypriens erster Gedanke galt seinem Theilhaber Thomas Steele. Er hatte aber bald die Freude, diesen unter einer Gruppe Männer zu bemerken, welche sich über die Ursache des Zusammensturzes Rechnung zu geben suchten. Sofort lief er auf ihn zu und redete ihn an.

»Ja, da wären wir mit blauem Auge davon gekommen! sagte der Lancashireman und drückte ihm herzhaft die Hand.

– Und Matakit?« fragte Cyprien.

– Der arme Kerl liegt unten! antwortete Thomas Steele, nach dem Haufen zeigend, der sich über ihrem gemeinschaftlichen Eigenthum gebildet hatte. Ich ließ ihn kaum hinabsteigen und wartete nur, bis er den ersten Eimer gefüllt hatte, als der Einsturz vor sich ging.

– Wir können hier aber nicht unthätig stehen bleiben, ohne den Versuch zu seiner Rettung zu machen! rief Cyprien. Vielleicht lebt er doch noch!…«

Thomas Steele schüttelte den Kopf. »Daß er unter fünfzehn bis zwanzig Tonnen Erdreich noch leben sollte, ist doch sehr unwahrscheinlich, meinte er. Uebrigens müßten wenigstens zehn Mann zwei bis drei Tage arbeiten, um die Mine zu entleeren.

– Das thut nichts! erwiderte entschlossen der junge Ingenieur. Es soll Niemand sagen, wir hätten ein menschliches Wesen in seinem Grabe verschüttet gelassen, ohne den Versuch, es daraus zu befreien!«

Dann wandte er sich durch Vermittlung Bardik’s an einen der Kaffern, der sich in ihrer Nähe befand, versprach diesem den hohen Lohn von fünf Schilling für den Tag und sicherte denselben auch allen Anderen zu, die sich verpflichten würden, seinen Claim unter seiner Anführung wieder freizulegen.

Etwa dreißig Neger erklärten sich sofort dazu bereit, und nun ging es, ohne eine Minute zu verlieren, an die Arbeit. An Hacken, Spitzäxten und Schaufeln fehlte es nicht; Eimer und Taue waren genug zur Hand und Schubkarren ebenfalls. Eine ganze Anzahl Weißer erbot sich, als sie vernahmen, daß es sich darum handle, einen unter der Schuttmasse begrabenen armen Teufel zu erlösen, zur freiwilligen Hilfsleistung. Elektrisirt durch den Feuereifer Cypriens, zeigte sich auch Thomas Steele nicht lässig, diese Rettungsversuche zu leiten.

Gegen Mittag waren schon mehrere Tonnen über dem Claim abgelagerten Sandes und Gesteins herausgeschafft.

Um drei Uhr stieß Bardik einen heiseren Schrei aus; er hatte unter seiner Hacke einen schwarzen, aus der Erde vorstehenden Fuß bemerkt.

Jetzt wurden die Anstrengungen verdoppelt, und wenige Minuten später war der ganze Körper Matakit’s ausgegraben. Der unglückliche Kaffer lag auf dem Rücken, regte sich nicht und war allem Anscheine nach todt. Durch merkwürdigen Zufall hatte sich einer der Ledereimer, die er bei der Arbeit brauchte, ihm über das Gesicht gestürzt und bedeckte dieses wie eine Larve.

Dieser Umstand, der Cyprien sogleich auffiel, weckte in ihm den Gedanken, daß es doch möglich sei, den Verunglückten in’s Leben zurückzurufen; in der That erschien diese Hoffnung nur schwach, denn das Herz schlug nicht mehr, die Haut fühlte sich ganz kalt an, die Glieder waren ziemlich steif, die Hände wie im Todeskampfe zusammengeballt – und das Gesicht – mit seiner bläulichen Blässe, welche man an todten Negern beobachtet – war durch den Erstickungstod entsetzlich verzerrt.

Cyprien verlor deshalb den Muth noch nicht. Er ließ Matakit in die Hütte Thomas Steeles schaffen, welche der Unglücksstätte am nächsten lag. Hier legte man ihn auf den Tisch, der gewöhnlich zum Auslesen der Kiesel diente, und nun wurde der Körper systematischen Reibungen und jenen passiven Bewegungen des Brustkastens unterworfen, welche eine Art künstliche Athmung erzeugen und die man gewöhnlich anwendet, um Ertrunkene wieder zu beleben. Cyprien wußte, daß diese Behandlungsweise sich überhaupt für alle Arten der Erstickung eignet, und im vorliegenden Falle hatte er auf nichts Anderes zu achten, da weder eine Verwundung, noch ein Knochenbruch, ja nicht einmal eine ernsthafte Erschütterung nachzuweisen war.

»Da sehen Sie, Herr Méré, er hat noch einen Erdkloß in der Hand!« bemerkte Thomas Steele, der sein Möglichstes that, den großen schwarzen Körper zu frottieren.

Und wie ging er dabei in’s Zeug, der wackere Sohn von Lancashire! Und wenn er die Pleuelstange einer zwölfpferdigen Dampfmaschine hätte mit »Armöl« poliren wollen, konnte er dazu keinen größeren Kraftaufwand brauchen.

Seine Bemühungen führten denn auch bald einen guten Erfolg herbei. Die Leichenstarre des jungen Kaffern schien allmählich nachzulassen, die Temperatur der Haut hob sich ein wenig. Cyprien, der am Herzen auf das erste Zeichen wiedererwachenden Lebens lauschte, glaubte unter seiner Hand ein leises Zittern von guter Vorbedeutung zu verspüren.

Bald wurden diese Symptome deutlicher. Der Puls fing an zu schlagen; ein leichter Athemzug hob kaum fühlbar die Brust Matakit’s. Diesem folgte eine schon kräftigere Ausathmung und ließ nun auf vollständiges Gelingen dieser Bemühungen hoffen. Plötzlich wurde der schwarze Körper vom Kopf bis zu den Füßen durch zweimaliges herzhaftes Niesen erschüttert. Bis dahin noch bewegungslos, öffnete jetzt Matakit plötzlich die Augen, athmete und kam auch wieder zum Bewußtsein.

»Hurrah! Hurrah! Der arme Teufel ist gerettet! rief Thomas Steele, der schweißtriefend nun seine Reibungen einstellte. Aber sehen Sie nur, Herr Méré, er läßt den Erdkloß noch immer nicht los, den er in den zusammengedrückten Fingern hält!«

Der junge Ingenieur hatte noch ganz andere Sorge, als sich um einen so bedeutungslosen Umstand zu kümmern. Er flößte seinem Patienten einen Löffel voll Rum ein und richtete ihn auf, um ihm das Athmen zu erleichtern. Endlich, als dieser ganz wieder zum Leben gekommen war, wickelte er ihn in seine Decken und trug ihn mit Hilfe von zwei oder drei gutmüthigen Männern nach seiner eigenen Wohnung in der Farm Watkins.

Hier wurde der arme Kaffer in sein Bett gelegt. Bardik reichte ihm eine Tasse heißen Thee. Nach Verlauf einer Viertelstunde verfiel Matakit in ruhigen, friedlichen Schlaf: er war gerettet.

Cyprien empfand im Herzen eine so unvergleichliche Leichtigkeit, die dem Menschen zu Theil wird, der ein Menschenleben den Klauen des Todes entrissen hat. Wenn nun Thomas Steele und die anderen Helfer, welche sich von ihren therapeutischen Uebungen stark angegriffen fühlten, ihren Erfolg in der nächstgelegenen Cantine feierten und denselben mit einem Strom Bier begossen, blieb Cyprien bei Matakit zurück, nahm ein Buch zur Hand und unterbrach nur seine Lectüre, um Jenen noch schlafen zu sehen, wie ein Vater, der den Schlummer seines wiedergenesenden Sohnes überwacht.

Seit den sechs Wochen, welche Matakit nun in Cypriens Diensten stand, hatte dieser nur Veranlassung gehabt, mit Jenem zufrieden, ja über ihn erstaunt zu sein. Seine Intelligenz und Gelehrigkeit, sein Arbeitseifer waren gar nicht zu übertreffen. Er war verläßlich, gutmüthig, gefällig und von besonders sanftem und heiterem Charakter. Keine Arbeit wies er zurück, keine Schwierigkeit erschien seinem Muthe unüberwindlich. Zuweilen sagte sich wohl der junge Mann, daß kaum ein Franzose, wenn er dieselben Fähigkeiten besaß, soviel hätte leisten können, wie dieses wilde Kind der Natur. Und hier wohnten so kostbare Gaben unter der schwarzen Haut und dem Wollkopfe eines armen Kaffern!

Dennoch hatte Matakit einen Fehler – sogar einen recht schlimmen Fehler – der offenbar auf seine frühere Erziehung und auf die gar zu laxen Sitten zurückzuführen sein mochte, die in seinem Kraal jedenfalls herrschten. Sollen wir ihn verrathen? Matakit wurde zuweilen, fast unbewußt, zum Diebe. Sah er einen Gegenstand, der ihm gefiel, so hielt er es für ganz natürlich, sich denselben anzueignen. Vergeblich machte ihm sein Herr wegen dieser lasterhaften Neigung sehr ernsthafte Vorwürfe. Vergeblich drohte er ihn wegzujagen, wenn er sich wieder bei solchen Diebereien ertappen ließe. Matakit versprach davon abzulassen, er weinte, er bat um Verzeihung, und wenn er am nächsten Tage Gelegenheit dazu fand, fing er’s doch von Neuem an.

Seine Neigung verführte ihn keineswegs zur Entwendung besonders werthvoller Dinge; im Gegentheil, im Allgemeinen beschränkte er sich auf Kleinigkeiten, auf ein Messer, eine Cravate, einen Bleistift oder irgend eine ähnliche Lappalie. Cyprien aber schmerzte es darum nicht minder, einen solchen Fehler bei einer sonst so gut angelegten Natur zu entdecken.

»Warten wir! … Hoffen wir das Beste! sagte er für sich. Vielleicht gelingt es mir, ihm klar zu machen, daß es Unrecht ist, zu stehlen!«

Und während er den Schläfer betrachtete, dachte er an diese auffälligen Contraste, die er sich nur durch die Vergangenheit Matakit’s inmitten seines wilden Stammes erklären konnte.

Als die Nacht herankam, erwachte der Kaffer ebenso frisch, ebenso munter, als ob seine Athembewegungen nicht zwei oder drei Stunden fast vollständig unterdrückt gewesen wären. Er konnte jetzt erzählen, was bei jenem Unfall vorgegangen war.

Der Eimer, der sich ihm zufällig auf das Gesicht gestürzt und eine lange Leiter, welche schräg über ihn wegfiel, hatten ihn zunächst gegen die mechanische Einwirkung des Einsturzes gesichert, und dann längere Zeit vor der Erstickung geschützt, da ihm ebendadurch in seinem entsetzlichen Gefängniß ein kleiner Luftvorrath übrig blieb.

Ueber diesen glücklichen Umstand hatte er sich Wohl Rechenschaft gegeben und Alles gethan, daraus Nutzen zu ziehen, indem er nur in langen Zwischenräumen Athem holte. Nach und nach freilich hatte sich die Luft verändert und Matakit gefühlt, daß sein Bewußtsein sich allmählich trübte. Endlich war er in eine Art schweren ängstlichen Schlummers verfallen, aus dem er nur zeitweise erwachte, um mit äußerster Anstrengung ein wenig Luft zu schöpfen. Von dem, was ihm sonst widerfahren, hatte er kein Bewußtsein; er war todt – denn er war wirklich vom Tode wieder auferstanden.

Cyprien ließ ihn kurze Zeit plaudern, gab ihm dann zu trinken und zu essen und nöthigte ihn trotz seines Widerspruches, die Nacht über in dem Bett zu bleiben, in das er ihn geschafft hatte. Nachdem er sich endlich überzeugt, daß hier nichts mehr zu fürchten war, ließ er ihn allein, um seinen gewöhnlichen Besuch im Watkins’schen Hause zu machen.

Den jungen Ingenieur drängte es, Alice die Erlebnisse des Tages mitzutheilen, wie seinen Widerwillen gegen die Minenarbeit, ein Widerwillen, der durch den beklagenswerthen Unfall des heutigen Morgens nur genährt werden konnte. Es schnitt ihm in’s Herz, täglich das Leben Matakit’s auf’s Spiel zu setzen wegen der sehr fraglichen Chance, einige schlechte Diamanten zu gewinnen.

»Die Sache mit eigener Hand zu betreiben, das möchte noch hingehen! sagte er sich. Dieselbe aber für jämmerlichen Lohn einen unglücklichen Kaffern ausführen zu lassen, das ist einfach erbärmlich.«

Er vertraute dem jungen Mädchen also seine Empfindungen und seinen Widerwillen an, und sprach ihr auch von dem Briefe, den er von Pharamond Barthès erhalten. Thäte er wirklich nicht besser, dem Rathe seines Freundes zu folgen? Was konnte er dabei verlieren, wenn er einmal nach dem Ufer des Limpopo reiste, um dort das Jagdglück zu versuchen? Das wäre sicherlich anständiger, als hier gleich einem Geizhalse die Erde zu durchwühlen, oder diese für seine Rechnung von anderen armen Teufeln durchwühlen zu lassen.

»Was meinen Sie, Miß Watkins? Da Sie so viel Feingefühl und praktischen Verstand haben, geben Sie mir einen Rath! Ich bedarf dessen sehr! Ich habe das moralische Gleichgewicht eingebüßt! Ich brauche eine befreundete Hand, mich wieder aufzurichten!«

So sprach er mit voller Offenherzigkeit und fand ein besonderes Vergnügen, das er sich gar nicht weiter erklärte, gerade darin, trotz seiner gewöhnlichen Zurückhaltung gegenüber dieser sanften und reizenden Vertrauten das Mißgeschick seiner Unentschlossenheit zu enthüllen.

Das Gespräch wurde in französischer Sprache geführt und nahm schon nach Verlauf von wenig Minuten infolge dieses einfachen Umstandes einen recht vertraulichen Charakter an, obgleich John Watkins, der seit kurzer Zeit bei der dritten Pfeife eingeschlafen war, sich auch nicht darum gekümmert hätte, wenn die jungen Leute etwa Englisch oder irgend ein anderes Idiom gesprochen hätten.

Alice hörte Cyprien mit inniger Theilnahme zu.

»Alles, was Sie mir da sagen, antwortete sie, hab‘ ich bezüglich Ihrer, Herr Méré, schon längst hin und her überlegt. Ich habe kaum begreifen können, wie Sie als Ingenieur und Gelehrter sich haben scheinbar fröhlichen Herzens entschließen können, ein derartiges Leben zu führen. Ist das nicht ein Verbrechen gegen Sie, wie gegen die Wissenschaft? Ihre kostbare Zeit an eine Handarbeit zu verschwenden, welche jeder Kaffer, jeder gewöhnliche Hottentott vielleicht besser als Sie verrichten könnte, das finde ich unerhört!«

Cyprien hätte freilich nur ein Wörtchen zu sagen gebraucht, um dem jungen Mädchen diesen ihr so auffälligen und peinlichen Umstand zu erklären. Und wer weiß, ob sie ihre Entrüstung nicht ein wenig übertrieb, um ihm ein Geständniß zu entlocken. Er hatte sich jedoch geschworen, dieses Geheimniß für sich zu bewahren, und hätte sich selbst verachten müssen, wenn er es dennoch verrieth. So hielt er also jede weitere Erklärung darüber auf den Lippen zurück.

Miß Watkins fuhr fort:

»Wenn Sie so begierig sind, Diamanten zu finden, Herr Méré, warum suchen Sie dieselben nicht da, wo Sie weit größere Aussicht haben, solche zu entdecken – in Ihrem Schmelztiegel? Wie, Sie sind Chemiker, Sie kennen besser als tausend Andere die Natur dieser elenden Steine, denen man so hohen Werth beilegt, und Sie suchen dieselben durch eine so undankbare, maschinenmäßige Arbeit zu erlangen? Ich für meinen Theil beharre bei dem Gedanken: Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würd‘ ich vielmehr Diamanten herzustellen, als solche in fertigem Zustande aufzufinden suchen!«

Alice sprach mit einem solchen Feuer, mit einem solchen Vertrauen zu seiner Wissenschaft und zu Cyprien selbst, daß das Herz des jungen Mannes wie von einem erquickenden Morgenthau gebadet war.

Leider erwachte Mr. Watkins eben aus seinem Halbschlummer und fragte nach Neuigkeiten aus der Vandergaart-Kopje. Die beiden jungen Leute mußten sich also wieder der englischen Sprache bedienen und dieses vertrauliche Zwiegespräch abbrechen. Der Reiz desselben war erloschen.

Das Samenkorn war jedoch auf günstigen Boden gefallen und sollte Wurzel schlagen. Als der junge Ingenieur nach Hause ging, überdachte er jene eindringlichen und vielleicht die Wahrheit treffenden Worte, die er von Miß Watkins gehört hatte. Was an denselben vielleicht Chimärisches war, das verschwand vor seinen Augen, um diesen nur noch das ehrenvolle und wirklich zärtliche Zutrauen sehen zu lassen.

»Ja, und warum denn nicht? fragte er sich selbst. Die Herstellung von Diamanten, welche noch vor einem Jahrhundert als reine Utopie zu betrachten war, ist heute eigentlich schon vollendete Thatsache. Frémy und Peil in Paris haben Rubinen, Smaragde und Saphire erzeugt, das sind verschieden gefärbte Krystalle der Thonerde. Max Tear in Glasgow und J. Ballantine Hannay ebenda haben schon 1880 Kohlenstoffkrystalle erhalten, welche alle Eigenschaften des echten Diamanten aufwiesen und nur den einzigen Fehler hatten, ungeheuer viel mehr zu kosten, als die natürlichen Diamanten aus Brasilien, Indien oder dem Griqualand, und damit also den Bedürfnissen des Händlers von vornherein nicht zu entsprechen.

»Wenn indeß die wissenschaftliche Lösung eines Problems gefunden ist, kann die industrielle Lösung desselben nicht mehr ferne sein. Warum sollte man diese nicht suchen? … Alle Gelehrten, welche bisher an der gleichen Aufgabe scheiterten, waren nur Theoretiker, Männer vom grünen Tisch und aus dem Laboratorium! Sie haben den Diamanten nicht an Ort und Stelle in seinem ursprünglichen Terrain, sozusagen in seiner Wiege studirt. Ich kann mir ihre Arbeiten, ihre Erfahrungen zu Nutze machen und sie mit den meinigen verknüpfen. Ich habe den Diamanten mit eigener Hand ausgegraben, habe die Lagerstätte, wo er sich vorfindet, mit größter Sorgfalt untersucht und studirt. Wenn es bei nur einigem Glück irgend Jemand gelingen kann, die letzten Schwierigkeiten zu überwinden, so bin ich’s … so muß ich es sein!«

Das wiederholte sich Cyprien des Oefteren und das trat ihm während des größten Theiles der Nacht immer und immer wieder vor das geistige Auge.

Sein Entschluß war bald gefaßt. Am nächsten Morgen schon benachrichtigte er Thomas Steele, daß er, wenigstens vorläufig, die Arbeit in seinem Claim nicht fortzusetzen denke. Er kam mit ihm sogar dahin überein, daß es ihm freistehen solle, seinen Antheil weiter zu verheuern. Dann verschloß er sich in sein Laboratorium, um über die neuen Projecte nachzudenken.

Dreiundzwanzigstes Capitel.


Dreiundzwanzigstes Capitel.

Unterbrochene Festfreuden.

Der überglückliche John Watkins, jetzt der reichste Farmer des ganzen Griqualandes, konnte, nachdem er früher die Geburt des »Südsterns« gefeiert, nichts Besseres thun, als nun ein zweites Festmahl zur Feier seiner Auferstehung anzustellen. Diesmal verstand es sich indeß von selbst, daß alle Vorsichtsmaßregeln, ein nochmaliges Verschwinden desselben zu verhüten, getroffen waren – und Dada wurde auch nicht zum Schmause eingeladen.

Am Nachmittage des folgenden Tages war denn die Festlichkeit schon im vollsten Gange.

Schon vom frühen Morgen an hatte John Watkins den Vor- und Nachbann seiner Tischfreunde aufgeboten, von den Schlächtern des Districts Fleischvorräthe beziehen lassen, welche eine ganze Infanterie-Compagnie zu sättigen hingereicht hätten, und dafür gesorgt, daß in seiner Küche alle Victualien, Conservebüchsen, Wein- und Liqueurflaschen, welche die Cantinen der Umgebung nur zu liefern vermochten, aufgespeichert wurden.

Um vier Uhr stand die Tafel im Saale fix und fertig, die Flaschenbatterie auf dem Schänktisch in musterhafter Ordnung und draußen dufteten die Rinderviertel und Lammbraten aus dem heißen Ofen.

Um sechs Uhr erschienen die Eingeladenen im Festanzuge. Um sieben Uhr hatte die Lebhaftigkeit der Unterhaltung schon einen so hohen Grad erreicht, daß es selbst einem Hornisten schwer geworden wäre, den Trubel zu übertönen.

Hier befanden sich Matthis Pretorius – jetzt viel ruhiger, da er die schlechten Scherze Annibal Pantalacci’s nicht mehr zu fürchten brauchte; Thomas Steel, ein Muster strotzender Kraft und strahlender Gesundheit, der Händler Nathan, und daneben Farmer, Minengräber, Kaufleute und Polizeibeamte.

Auf Ansuchen Alices hatte auch Cyprien nicht abschlagen können, dem Festmahle beizuwohnen, da das junge Mädchen ebenfalls bei demselben zu erscheinen gezwungen war. Beide spielten aber recht traurige Figuren, denn – das leuchtete aus Allem hervor – der fünfzigfache Millionär Watkins konnte gar nicht mehr daran denken, seine Tochter einem einfachen Ingenieur zu geben, »der nicht einmal Diamanten zu fabriciren verstand«. Ja, der egoistische Mann ließ das dem jungen Manne, dem er sein Vermögen doch erst verdankte, deutlich genug aus seinem Benehmen gegen ihn merken. Das Gastmahl nahm also unter dem wenig in Schranken gehaltenen Enthusiasmus der Tafelrunde seinen weiteren Fortgang.

Vor dem glücklichen Farmer – heute also nicht hinter ihm – glitzerte der »Südstern« auf kleinem blausammtenen Kissen, aber unter dem Doppelschutze eines befestigten Metalldrahtgewebes und eines Glassturzes, im Scheine zahlreicher Kerzen.

Man hatte schon zehn Toaste auf sein Wohlergehen, auf seine unvergleichliche Klarheit und seinen bisher unerreichten Strahlenglanz ausgebracht.

Allmählich wurde es drückend warm.

Einsam und wie in sich selbst zurückgezogen, schien Miß Watkins inmitten des Tumults gar nichts zu hören. Ihre Augen ruhten auf dem gleich ihr selbst verstimmten Cyprien und drohten sich immer mit Thränen zu füllen.

Drei kräftig gegen die Thür des Saales geführte Schläge unterbrachen plötzlich das Geräusch der Unterhaltung und das Klingen und Klirren der Gläser.

»Herein! rief John Watkins mit heiserer Stimme. Wer es auch sei, er kommt zur rechten Stunde, wenn er nur Durst mitbringt!«

Die Thür öffnete sich.

Auf der Schwelle erhob sich die lange hagere Gestalt Jacobus Vandergaart’s.

Alle Tischgäste sahen sich bei dieser unerwarteten Erscheinung verwundert an. Ringsum im Lande kannte ja Jedermann zu gut die Gründe der Feindschaft, welche die beiden Nachbarn, John Watkins und Jacobus Vandergaart, von einander entfernt hielten, so daß sofort ein dumpfes Gemurmel um den Tisch lief. Alle erwarteten einen mehr oder weniger ernsten Auftritt.

Jetzt herrschte Todtenstille. Aller Augen waren auf den alten silberhaarigen Steinschneider gerichtet. Dieser erschien, als er so mit gekreuzten Armen, den Hut auf dem Kopfe und in langem schwarzen Ueberrocke aus besseren Tagen dastand, wie ein Ebenbild der personificirten Vergeltung.

Mr. Watkins fühlte sich von unerklärlichem Schrecken und geheimem Schauer gepackt. Er erbleichte unter der kupferrothen Hautschicht, welche ein langandauernder Alkoholmißbrauch auf seinen Backen erzeugt hatte.

Der Farmer suchte jedoch die unbehaglichen Empfindungen niederzukämpfen, von denen er sich keine Rechenschaft zu geben vermochte.

»He, das hat aber lange gedauert, Nachbar Vandergaart, sagte er, sich als der Erste an Jacobus wendend, bis Sie mir das Vergnügen bereiten, sich in meinen vier Wänden sehen zu lassen! Welcher günstige Wind führt Sie denn heute zu mir?

– Der Wind der – Gerechtigkeit, Nachbar Watkins, antwortete der Greis sehr kühl. Ich komme nur, Ihnen anzumelden, daß das gute Recht nach einem Zeitraume von sieben Jahren doch endlich triumphirt und zum Durchbruche gelangt; komme Ihnen zu verkünden, daß die Stunde der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geschlagen und daß die Kopje, der ja von jeher mein Name verblieben ist, in Zukunft auch gesetzlich wieder mein Eigenthum ist, wie sie das vor dem Richterstuhle der Billigkeit immerfort war … John Watkins, Sie haben einst fast geraubt, was mir gehörte … heute ist es das Gesetz, welches Sie wieder aus dem Besitze setzt und Sie verurtheilt, mir wieder zu erstatten, was Sie mir vor langer Zeit genommen!«

So sehr John Watkins sich zunächst bei der plötzlichen Erscheinung Jacobus Vandergaart’s und bei der noch gleichsam nebelhaften Gefahr, welche diese zu verkündigen schien, versteinert gefühlt hatte, ebenso entsprach es seinem heftigen, gewaltthätigen Charakter, einer ihn unmittelbar bedrohenden und deutlich erkennbaren Gefahr trotzig die Stirne zu bieten.

Nachdem er sich sicher gegen die Rückenlehne seines Armsessels gestützt, fing er jetzt in höchst verächtlicher Weise zu lachen an.

»Der gute Mann ist übergeschnappt! sagte er, sich an seine Gäste wendend. Ich hab’s zwar schon lange gewußt, daß bei ihm eine Schraube locker war … seit einiger Zeit scheint aber sein Oberstübchen ganz aus den Fugen zu gehen!«

Die ganze Tafelrunde beklatschte den plumpen Witz. Jacobus Vandergaart verzog dabei keine Miene.

»Wer zuletzt lacht, lacht am besten! sagte er ernsthaft und zog dabei ein Papier aus der Tasche. Sie wissen, John Watkins, daß ein oberstes und nicht mehr anzufechtendes Urtheil, welches selbst die Königin nicht mehr umzustoßen vermöchte, Ihnen den westlich vom fünfundzwanzigsten Breitengrade östlich von Greenwich gelegenen Landstrich dieser Gegend, und mir das Land zugesprochen hat, welches östlich von genannter Linie liegt?

– Gewiß, mein ehrenwerther Faselhans! rief John Watkins. Und deshalb eben thäten Sie besser, nach Hause zu gehen und sich in’s Bett zu legen, wenn Sie krank sind, als hier Ehrenmänner, welche Niemandem etwas schuldig sind, bei ihrer Mahlzeit zu stören!«

Jacobus Vandergaart hatte sein Papier entfaltet.

»Hier ist eine Erklärung, nahm er in mildestem Tone wieder das Wort, eine vom Gouverneur gegengezeichnete und in Victoria unter dem gestrigen Datum registrirte Erklärung des Kataster-Amtes, welche einen bis heute in allen Karten des Griqualandes vorkommenden Irrthum betrifft. Dieser Irrthum, den die mit der Vermessung des Landes betrauten Geometer vor zehn Jahren dadurch begingen, daß sie die Abweichung der Magnetnadel von dem richtigen Nordpunkte unberücksichtigt ließen, dieser Irrthum, sage ich, fälscht nun alle Karten und alle auf Grund jener Vermessungen eingezeichneten Grundpläne. In Folge der eben stattgefundenen Richtigstellung verschiebt sich in unserer Breitenlage die früher als fünfundzwanzigster Längengrad angenommene Linie um etwa drei Meilen weiter nach Westen. Diese von jetzt ab officielle Berichtigung ferner überweist mir wieder das Eigenthum an der früher Ihnen zugefallenen Kopje, denn nach Ansicht der Regierungsanwälte und des Chefs der Justizverwaltung selbst bleibt die frühere Entscheidung unbedingt zu Recht bestehen. Das war es, John Watkins, was ich Ihnen sagen wollte!«

Ob der Farmer diese Auseinandersetzung nicht richtig aufgefaßt hatte oder es nur vorzog, dieselbe absichtlich nicht zu verstehen, jedenfalls versuchte er noch einmal den alten Steinschneider als Antwort mit verächtlichem Lachen abzufertigen.

Diesmal klang dieses Lachen aber doch etwas gezwungen und fand auch keinen rechten Widerhall an der Tafel.

Verblüfft hielten alle Zeugen dieses Auftritts ihre Augen auf Jacobus Vandergaart gerichtet und schienen von seinem würdevollen Ernste, von der Sicherheit, mit der er sprach, wie von der unerschütterlichen Siegesgewißheit, die sich in seiner ganzen Erscheinung ausdrückte, gleichmäßig betroffen.

Zuerst war es der Händler Nathan, der als Dolmetsch der allgemeinen Empfindungen hierbei auftrat.

»Was da der Herr Vandergaart anführt, begann er, sich an John Watkins wendend, ist von vornherein nicht als sinnlos zurückzuweisen. Jener Irrthum bezüglich Feststellung des Längengrades kann ja tatsächlich vorgekommen sein, und vielleicht erscheint es, ehe man sich weiter darüber ausspricht, räthlicher, eingehendere Erklärungen abzuwarten.

– Erklärungen abwarten! fuhr Mr. Watkins auf und hämmerte mit der geballten Faust wüthend auf den Tisch. Hier hab‘ nur ich Erklärungen abzugeben. Ich kümmere mich den Teufel um Erklärungen von Anderen! Bin ich hier bei mir zu Hause oder bin ich es nicht? … Ist mir nicht das Besitzrecht an der Kopje ordnungsgemäß zugesprochen worden durch eine letztinstanzliche Entscheidung, deren Rechtsgiltigkeit das alte Krokodil jetzt anzutasten wagt? Ach, was kümmert mich die ganze Geschichte! Will mich Jemand im friedlichen Besitz meines Eigenthums stören, so thu‘ ich, was schon einmal geschah, ich wende mich an das zuständige Gericht, und dann wird sich’s ja zeigen, wer bei der Sache den Kürzeren zieht.

– Ein ferneres Eingreifen der Gerichte ist jetzt ausgeschlossen, entgegnete Jacobus Vandergaart mit unerschütterlicher Mäßigung. Alles liefe nur auf die festzustellende Thatsache hinaus, gelegentlich der Frage, ob der fünfundzwanzigste Breitegrad wirklich längs der Linie verläuft, welche die Katasterpläne dafür enthalten. Nun ist aber schon officiell anerkannt, daß hier ein Irrthum untergelaufen war, und daraus ergiebt sich als nothwendige Schlußfolgerung, daß die Kopje wieder in meinen Besitz zurückgeht.«

Bei diesen Worten zeigte Jacobus Vandergaart die officielle, mit allen Stempeln und Siegeln beglaubigte Bestätigung vor, die er in der Hand hielt.

John Watkins‘ Unbehagen nahm sichtlich zu. Er rückte auf seinem Stuhle hin und her, versuchte höhnisch zu lachen, aber es gelang ihm nur schlecht. Da fielen seine Blicke zufällig auf den »Südstern«. Dieser Anblick schien ihm das Vertrauen wieder zu geben, das ihn schon verlassen wollte.

»Und wenn’s an dem wäre, rief er, wenn ich aller Gerechtigkeit zum Hohne auf dieses Besitzthum verzichten müßte, welches mir auf gesetzlichem Wege zugesprochen wurde, und das ich seit sieben Jahren in Frieden genoß, was kann mir das schaden? Hab‘ ich nicht Etwas, mich darüber zu trösten, und wär’s nur dieser einzige Juwel, den ich in der Westentasche mit forttragen kann und vor jeder wiederholten Fährlichkeit zu schützen wissen werde?

– Das ist wiederum ein Irrthum, John Watkins, bemerkte Jacobus Vandergaart sehr trocken. Der »Südstern« gehört in Zukunft auf Grund desselben Titels nur mir an, wie alle Producte der Kopje, die sich in Ihrem persönlichen Besitz vorfinden, wie das Mobiliar dieses Hauses, der Wein in diesen Flaschen oder das Fleisch, das dort noch auf den Schüsseln liegt. Alles hier ist mein rechtmäßiges Eigenthum, da es von der arglistigen Uebervortheilung herrührt, die mich einst traf … Sorgen Sie sich darum nicht weiter, setzte er hinzu, meine Vorsichtsmaßregeln sind getroffen.«

Jacobus Vandergaart klatschte gleichzeitig in die fleischlosen Hände.

Sofort erschienen Constabler in schwarzer Uniform in der Thür, und ihnen folgte ein Officier des Sherif, der raschen Schrittes eintrat und die Hand auf einen Stuhl legte.

»Im Namen des Gesetzes, begann er, verkünde ich hiermit die vorläufige Beschlagnahme aller Mobilien und Werthgegenstände jeder Art, welche sich in diesem Hause vorfinden!«

Alle, mit Ausnahme John Watkins‘, waren plötzlich aufgestanden. Verwirrt und in seinem weiten hölzernen Lehnstuhl zusammengesunken, erschien der Farmer wie vom Blitze getroffen.

Alice hatte sich an seinen Hals geworfen und suchte ihn durch tröstlichen Zuspruch wieder aufzurichten.

Jacobus Vandergaart verlor seinen Gegner inzwischen nicht aus dem Gesicht. Er betrachtete ihn, während er auch auf den »Südstern« ein wachsames Auge hatte, mit mehr Mitleid als Haß. Der Stein schien inmitten des hereingebrochenen Unglücks nur noch feuriger zu glänzen.

»Ruinirt! … Ruinirt! …«

Das waren die einzigen Worte, welche sich den zitternden Lippen des Mr. Watkins entrangen.

Da trat auch Cyprien an ihn heran und sagte mit ernster Stimme:

»Herr Watkins, da Ihr bisheriges Eigenthum von einem nicht wieder auszugleichenden Schlage bedroht ist, so gestatten Sie mir in diesem Ereigniß nur die Möglichkeit zu sehen, mich Ihrem Fräulein Tochter zu nähern … Ich habe die Ehre, Sie um die Hand der Miß Alice Watkins zu bitten!«

Vierundzwanzigstes Capitel.


Vierundzwanzigstes Capitel.

Ein verlöschender Stern.

Dieses Gesuch des jungen Ingenieurs brachte die Wirkung eines Theatercoups hervor. Trotz der geringen Empfindsamkeit ihrer halbverwilderten Natur konnten die Tischgäste John Watkins‘ doch nicht umhin, ihren lebhaftesten Beifall zu erkennen zu geben. So viele Uninteressirtheit ging ihnen doch zu Herzen.

Gesenkten Auges und hochklopfenden Herzens, so wie vielleicht die Einzige, welche die Aeußerung des jungen Mannes nicht in Erstaunen setzte, hielt sich Alice an der Seite ihres Vaters.

Noch völlig niedergeschmettert von dem Schlage, der ihn eben getroffen, hatte der unglückliche Farmer jetzt doch den Kopf erhoben. Er kannte ja Cyprien gut genug, um zu wissen, daß er, wenn er diesem seine Tochter gab, gleichzeitig die Zukunft und das Glück Alices sicherte, er wollte jedoch, jetzt wenigstens, noch durch kein Zeichen verrathen, daß er keine Einwendungen gegen die beabsichtigte Verbindung bereit habe.

Etwas verlegen wegen des öffentlichen Schrittes, zu dem ihn die auflodernde Wärme tiefinniger Liebe hingerissen, fühlte er nun auch selbst die Merkwürdigkeit seines Auftretens und machte sich Vorwürfe, seiner selbst einmal nicht mehr Herr gewesen zu sein.

Inmitten dieser allgemeinen und leicht begreiflichen Unbehaglichkeit that Jacobus Vandergaart einen Schritt auf den Farmer zu.

»John Watkins, begann er, ich mag meinen Sieg nicht mißbrauchen und gehöre nicht zu denen, welche den überwundenen Feind noch mit Füßen treten. Wenn ich auf meinem guten Rechte bestand, so that ich damit nicht mehr, als was jeder brave Mann sich selbst schuldig ist. Ich weiß aber auch aus Erfahrung, und mein Advocat wies noch besonders darauf hin, daß das strenge Recht zuweilen an Ungerechtigkeit grenzt, und ich möchte auf Unschuldige nicht die Folgen von Fehlern fallen lassen, welche sie nicht begangen haben. Nun denn, ich stehe allein in der Welt und vielleicht schon mit einem Fuße im Grabe. Was sollten mir so viele Schätze nützen, wenn ich sie nicht mit Andern theilen könnte? … Wenn Sie, John Watkins, zustimmen, diese beiden jungen Leute zu vereinigen, so bitte ich dieselben, den »Südstern« von mir als Angebinde entgegenzunehmen, da jener für mich ja doch nutzlos ist. – Ich verpflichte mich überdies, sie als meine Erben einzusetzen, um, so weit es in meiner Macht steht, das unbeabsichtigte Unrecht wieder gut zu machen, das ich Ihrer liebenswürdigen Tochter zufüge!«

Auf diese Worte folgte unter den Zuhörern das, was die Parlamentsberichte als »Lebhafter Beifall und Zustimmung« bezeichnen. Alle Blicke richteten sich auf John Watkins. Dessen Augen zeigten plötzlich einen feuchten Schimmer und er bedeckte sie mit zitternden Händen.

»Jacobus Vandergaart! rief er endlich, außer Stande, die ihn bewegenden stürmischen Gefühle zu bändigen, ja … Sie sind ein Ehrenmann und rächen sich edelmüthig für das Unrecht, das ich Ihnen zugefügt, durch die Begründung des Glückes dieser beiden Kinder!«

Weder Alice noch Cyprien vermochten, wenigstens nicht mit vernehmlichen Lauten, zu antworten, ihre Blicke aber übernahmen das für sie.

Der Greis streckte dem früheren Gegner die Hand entgegen und John Watkins ergriff dieselbe voller Wärme.

Alle Augen der Umstehenden waren feucht geworden, selbst die eines alten grauköpfigen Constablers, der sonst so trocken aussah wie ein Schiffszwieback.

John Watkins selbst erschien jetzt ganz umgewandelt. Seine Gesichtszüge drückten ebenso viel Wohlwollen und Sanftmuth aus, wie vorher Härte und Bosheit. Auch das bis dahin ernste, strenge Antlitz Jacobus Vandergaart’s nahm wieder den gewohnten Charakter heiterer Gutmüthigkeit an.

»Vergessen wir Alles, rief er, und trinken wir auf das Wohlergehen des jungen Paares – wenn der Herr Officier des Sherifs es gestatten will – von dem Weine, den er beschlagnahmt hat.

– Ein Officier des Sherifs hat zuweilen die Verpflichtung, sich dem Verkauf steuerpflichtiger Getränke zu widersetzen, nicht aber der Verzehrung derselben.«

Nach dieser frohlaunigen Entscheidung kreisten die Flaschen von Neuem, und bald herrschte wieder die unbeschränkteste Heiterkeit im Speisesaale.

Jacobus Vandergaart saß zur Rechten John Watkins‘ und entwarf mit ihm Pläne für die Zukunft.

»Wir verkaufen Alles und folgen unsern Kindern nach Europa, sagte er. Dort gründen wir uns auf dem Lande ein Heim in ihrer Nähe, und werden hoffentlich noch manche schöne Tage mit ihnen verleben!«

Seite an Seite sitzend hatten sich Alice und Cyprien in eine leise, französisch geführte Plauderei versenkt – eine Plauderei, die wegen der Alice ungewohnteren Sprache nicht minder interessant erschien, wenn man das nach der Lebhaftigkeit der beiden Teilnehmer abschätzen durfte.

Jetzt war es ungemein warm geworden. Eine schwüle, drückende Hitze trocknete die Lippen schon am Rande der Gläser und verwandelte alle Tischgenossen in eben so viele Elektrisirmaschinen, welche bis zum Funkengeben geladen waren. Vergeblich hatte man Thüren und Fenster weit offen stehen lassen. Nicht der mindeste Luftzug bewegte die Flammen der Kerzen.

Jedermann empfand, daß die bedrückenden atmosphärischen Verhältnisse nur eine einzige Art der Lösung finden könnten – einen tüchtigen Sturm mit Gewitter und Platzregen – wie solche im südlichen Afrika nicht selten, einer Empörung aller Elemente der Natur vergleichbar, auftreten. Ein derartiges Ungewitter erwartete, ja erhoffte man jetzt als eine Erleichterung.

Plötzlich verbreitete ein greller Blitz einen grünlichen Schein über alle Gesichter, und fast gleichzeitig verkündete der über die weite Ebene hinrollende Donner, daß das Concert begonnen habe.

In demselben Augenblicke fegte durch den Raum ein heftiger Luftstrom, der alle Kerzen verlöschte. Dann öffneten sich ohne Uebergang alle Schleusen des Himmels und die Sintfluth strömte herab.

»Hörten Sie unmittelbar nach dem starken Donnerschlage nicht ein kurzdauerndes trockenes Geräusch?« fragte Thomas Steel, während sich Mehrere bemühten, Fenster und Thüren schnell zu schließen, und die Kerzen wieder angezündet wurden; man hätte dabei an das Zerspringen einer Glaskugel denken können.«

Wie instinctiv wendeten sich alle Blicke sofort nach dem »Südstern« hin.

Der Diamant war verschwunden.

Uebrigens standen der Gitterkäfig und die Glasglocke, welche denselben bedeckten, noch auf derselben Stelle, und es war unbedingt auszuschließen, daß Jemand den Stein berührt habe.

Die Erscheinung glich fast einem Wunder.

Cyprien, der sich schnell nach dem Diamanten hingeneigt hatte, erkannte an dessen Stelle auf dem blausammetnen Kissen sofort einen feinen grauen Staub. Er stieß einen Schrei der Verwunderung aus, erklärte aber mit vier Worten den hier stattgehabten Vorgang:

»Der »Südstern« ist zersprungen!« sagte er.

Im Griqualande weiß Jedermann, daß das sozusagen eine Krankheit ist, an welcher die Capdiamanten leiden, doch spricht absichtlich Niemand davon, um deren Handelswerth nicht zu vermindern. Thatsache bleibt es immerhin, daß gerade die kostbarsten Steine, wohl infolge zunächst unerklärlicher Molekularverschiebung, öfter wie einfache Schlagsätze zerplatzen. In solchen Fällen bleibt von ihnen kein anderer Rückstand als ein wenig Staub, der höchstens noch als Schleifmaterial benutzbar ist.

Den jungen Ingenieur beschäftigte augenblicklich die wissenschaftliche Begründung jener Erscheinung offenbar weit mehr, als der enorme Verlust, den er durch dieselbe erlitt.

»Es ist besonders auffallend, erklärte er inmitten der allgemeinen Bestürzung, nicht daß der Stein unter den jetzigen Verhältnissen zersprang, sondern daß er damit bis zum heutigen Tage gewartet hat. Gewöhnlich ereignet sich ein solcher Zufall – »Unfall« sagte er nicht einmal – nach weit kürzerer Zeit und höchstens zehn Tage nach dem Schliffe, nicht wahr, Herr Vandergaart?

– Vollkommen richtig! Es ist wirklich zum ersten Male in meinem Leben, daß ich einen Diamanten habe drei Monate nach seiner Bearbeitung noch springen sehen! erklärte der Greis seufzend … Indeß, es stand geschrieben, daß der »Südstern« keinem Menschen angehören sollte! setzte er hinzu. Und wenn ich bedenke, daß es zur Vermeidung dieses Unglücks hingereicht hätte, den Stein mit einer leichten Fettschicht zu überziehen! …

– Wirklich? unterbrach ihn Cyprien mit der Befriedigung eines Mannes, der endlich die Lösung eines Räthsels gefunden hat. In diesem Falle erklärt sich ja Alles! Der gebrechliche Stern entlehnte diese Schutzdecke offenbar Dadas Kropfmageninhalte, und das hat bis heute seinen Untergang verhindert. Wahrlich, er hätte besser daran gethan, vor vier Monaten zu zerspringen und uns die beschwerliche Fahrt durch den ganzen Transvaal zu ersparen!«

Da bemerkten Alle, daß John Watkins, der seine frohe Laune wieder völlig eingebüßt, heftig auf seinem Stuhle hin und her rückte.

»Wie können Sie ein so entsetzliches Unheil nur so auf die leichte Achsel nehmen? sagte er, geröthet von innerer Empörung. Auf Ehrenwort, Sie besprechen da jene fünfzig in Rauch aufgegangenen Millionen, als ob sich’s um eine Cigarrette handelte!

– Das beweist eben, daß wir Philosophen sind! meinte Cyprien. Ist der Fall nicht ganz dazu angethan, sich weise zu benehmen, wo die Weisheit zur Nothwendigkeit geworden ist?

– Meinetwegen seien Sie Philosophen, so viel Sie wollen, erwiderte der Farmer. Fünfzig Millionen sind aber fünfzig Millionen, und die findet man nicht im Handumdrehen wieder. Ah, Jacobus, Sie haben mir heute, ohne daran zu denken, einen höchst wichtigen Dienst erwiesen. Ich glaube, ich, ich selbst, ich wäre vor Stolz noch ebenso wie eine Marone zersprungen, wenn der »Südstern« noch mir gehörte.

– Ja, was wollen Sie mir Vorwürfe machen? sagte Cyprien, der der neben ihm sitzenden Miß Watkins in das liebliche frische Gesichtchen schaute. Ich habe heute Abend einen so köstlichen Edelstein gewonnen, daß der Verlust eines Diamanten mich nicht besonders bekümmern kann!«

So endigte durch einen Theatercoup die seiner Geschichte würdige kurze und wechselvolle Laufbahn des größten geschnittenen Diamanten, den die Welt je gesehen.

Ein solches Ende trug, wie sich leicht denken läßt, natürlich nicht wenig dazu bei, die im Griqualande in Bezug auf denselben umlaufenden abergläubischen Ansichten zu bestätigen. Mehr als je hielten Kaffern und Minengräber sich überzeugt, daß so sehr große Steine nur Unglück bringen können.

Jacobus Vandergaart, der stolz darauf war, den »Südstern« geschnitten zu haben, und Cyprien, der ihn dem Museum der Bergwerksschule anzubieten gedachte, fühlten sich im Grunde doch mehr, als sie eingestehen wollten, enttäuscht über diese unerwartete Lösung. Im Ganzen ging die Welt deshalb doch im alten Geleise weiter, und man kann eben nicht sagen, daß sie bei der ganzen Geschichte so viel verloren habe.

Die sich überstürzenden Vorkommnisse, die schmerzlichen Erregungen, der Verlust seines Vermögens, dem auch der Verlust des »Südsterns« auf dem Fuße folgte, hatten John Watkins indeß tief angegriffen. Er wurde bettlägerig, siechte einige Zeit hin, und – verlosch.

Weder die zärtliche Pflege Alices noch die Cypriens, so wenig wie der mannhafte Zuspruch Jacobus Vandergaart’s, der kaum von seinem Kopfkissen wich und sich bemühte, dem Kranken neuen Lebensmuth einzuflößen, vermochten den traurigen Ausgang abzuwenden.

Vergeblich unterhielt ihn dieser vortreffliche Mann von seinen Plänen für die Zukunft, erwähnte der Kopje nur als ihres gemeinschaftlichen Eigenthums und erbat sich seine Rathschläge über alle, dieselbe betreffenden Maßnahmen, um sein Interesse wach zu halten. Der alte Farmer war einmal in seinem Stolze verletzt, in seiner Monomanie als Eigenthümer, in seinem Egoismus, in allen seinen Gewohnheiten – er fühlte seine Auflösung herannahen.

Eines Abends zog er Alice und Cyprien zu sich heran, legte ihre Hände in einander, und hauchte, ohne ein Wort zu sprechen, den letzten Seufzer aus. Seinen geliebten Stern hatte er nicht um vierzehn Tage überlebt.

Es schien in der That eine innige Verbindung zwischen dem Glück dieses Mannes und dem Schicksal des merkwürdigen Steines bestanden zu haben. Mindestens wiesen Beide so viel Übereinstimmendes auf, daß das, wenn auch nicht vor dem Richterstuhle der Vernunft, doch in gewisser Hinsicht die abergläubischen Voraussetzungen erklärte, welche im Griqualande darüber herrschten. Der »Südstern« hatte seinem Besitzer unzweifelhaft »Unglück gebracht«, mindestens in dem Sinne, daß das Auftreten des unvergleichlichen Edelsteins auf dem Schauplatze der Erde den Zeitpunkt bezeichnete, von dem aus das Wohlergehen des alten Farmers sich seinem Niedergange zuneigte.

Was die Schwätzer im Lager aber nicht durchschauten, war der Umstand, daß die Ursache dieses Verfalls in John Watkins‘ eigenen Fehlern zu suchen war – Fehler, welche, wie eine Schicksalsbestimmung, die Keime des Verdrusses und des Niedergangs in sich trugen.

So viele Unglückliche hier auf Erden werden als die Opfer eines geheimnißvollen Unsterns betrachtet, und doch findet man in der Handlungsweise der Betroffenen, wenn man dieser tiefer auf den Grund geht, die ausreichende Erklärung ihres Mißgeschicks. Es mag auch unverschuldetes Unglück vorkommen, zugegeben: weit häufiger sind jedoch die Fälle, wo dasselbe, ein Ergebniß unerbittlicher Logik, aus den von dem Subject selbst gelieferten Grundlagen erwächst. Wäre John Watkins minder gewinnsüchtig gewesen, hätte er den kleinen Kohlenkrystallen, welche man Diamanten nennt, nicht eine so ungeheure, fast strafwürdige Bedeutung beigelegt, so würde das Auftauchen wie das Verschwinden des »Südsterns« ihn kalt gelassen haben – wie sie Cyprien kalt ließen – und sein physisches und moralisches Wohlbefinden wäre nicht der Gnade eines derartigen Ereignisses preisgegeben gewesen. Er hatte den Diamanten sein ganzes Herz geweiht; durch die Diamanten mußte er untergehen.

Nach wenigen Wochen wurde die Vermählung Cyprien Méré’s und Alice Watkins‘ zu großer Freude Aller in größter Einfachheit gefeiert. Alice ist jetzt die Gattin Cypriens – was konnte sie auf Erden mehr verlangen?

Der junge Ingenieur besaß übrigens auch weit mehr irdische Schätze, als sie gewähnt und er selbst geglaubt hatte.

Infolge der Auffindung des »Südsterns« hatte sein Claim nämlich, ohne sein Zuthun, eine sehr beträchtliche Werthvermehrung erfahren. Während seiner Fahrt durch den Transvaal, wo Thomas Steel inzwischen die Ausbeutung desselben weiter betrieb, hatte sich dieses Theilstückchen der Kopje als ungemein ertragsreich erwiesen, und darauf hin überboten sich viele Käufer, um dasselbe zu erlangen. Vor seiner Abreise nach Europa veräußerte er den Claim auch noch für mehr als hunderttausend Francs, die ihm in klingender Münze erlegt wurden.

Alice und Cyprien zögerten nun nicht mehr, das Griqualand zu verlassen, um nach Frankreich zurückzukehren; sie thaten das aber nicht, ohne vorher die Zukunft Lî’s, Bardik’s und Matakit’s zu sichern – ein gutes Werk, an dem sich auch Jacobus Vandergaart seinen Antheil nicht nehmen ließ.

Der alte Steinschneider verkaufte seine Kopje an eine, von dem früheren Händler Nathan gegründete Gesellschaft. Nach glücklicher Durchführung der Liquidation beeilte er sich, in Frankreich seine Adoptivkinder aufzusuchen, welche, Dank der Arbeitslust Cypriens, seiner gern anerkannten Verdienste und dem Empfange, den ihm die gelehrte Welt bei seiner Heimkehr bereitete, auch in günstigen Vermögensverhältnissen leben, nachdem sie das Glück des Herzens vorher an sich zu fesseln gewußt hatten.

Thomas Steele kehrte mit zwanzigtausend Pfund Sterling nach seinem Lancashire zurück, ist jetzt verheiratet, hetzt den Fuchs trotz jedes Edelmanns und leert jeden Abend seine Flasche Portwein; etwas Besseres kann er sich einmal nicht vorstellen.

Die Vandergaart-Kopje ist noch nicht erschöpft, sondern liefert alljährlich im Mittel den fünften Theil der vom Cap ausgeführten Diamanten; kein Minengräber daselbst hat aber je wieder den glücklichen oder unglücklichen Zufall erlebt, einen andern »Südstern« zu finden.

Drittes Capitel.


Drittes Capitel.

Ein wenig, in aller Freundschaft gelehrte Wissenschaft.

Der junge Ingenieur, zu seiner Ehre sei es gleich hier gesagt, war nicht nach dem Griqualande gekommen, um seine Zeit in dieser Atmosphäre von Habgier, Trunksucht und Tabaksrauch zu vergeuden. Er war beauftragt, in gewissen Theilen des Landes topographische und geologische Aufnahmen vorzunehmen, Proben von diamantartigem Gestein und Erdarten zu sammeln und gleich an Ort und Stelle eingehende Untersuchungen derselben vorzunehmen. Seine erste Sorge bestand also darin, sich eine ruhige Wohnung zu verschaffen, wo er sein Laboratorium einrichten konnte, welches sozusagen als Mittelpunkt für die vorzunehmenden Ausflüge in dem Minendistricte dienen sollte.

Der kleine Hügel, aus dem sich die Farm Mr. Watkins‘ erhob, erregte bald seine Aufmerksamkeit als eine Stelle, welche für seine Arbeiten besonders günstig gelegen war. Hinreichend entfernt von dem Lagerplatze, um von dieser lärmenden Nachbarschaft nicht zu sehr gestört zu werden, befand sich Cyprien hier etwa eine Stunde von den entfernten Kopjen – denn der ganze Diamantenbezirk hatte nur einen, zehn bis zwölf Kilometer nicht übersteigenden Umfang. So genügte dem jungen Ingenieur denn ein halber Tag, um eines der verlassenen Häuser von John Watkins auszuwählen, sich mit Letzterem über den Miethpreis zu einigen und sich daselbst einzurichten.

Der Farmer selbst kam ihm dabei ziemlich wohlwollend entgegen. Eigentlich langweilte er sich doch recht stark in seiner Einsamkeit und sah es mit großem Vergnügen, daß sich ganz in seiner Nähe ein junger Mann niederließ, durch den er einige Abwechslung in dem alltäglichen Treiben erwarten zu können hoffte.

Wenn Mr. Watkins darauf gerechnet hatte, in ihm einen Tischgenossen und Liebhaber der Ginflasche zu finden, so hatte er sich freilich arg getäuscht. Kaum fertig mit der Aufstellung seiner Retorten, Oefen und Reagenzgläser in dem verlassenen Häuschen, und selbst noch bevor die wichtigsten Stücke seines Laboratoriums eingetroffen waren, begann Cyprien schon seine geologischen Ausflüge in die Umgebung. Auch des Abends, wenn er gänzlich erschöpft und beladen mit Felsenbruchstücken in seiner Zinktrommel, in der Jagdtasche, in den übrigen Taschen und oft selbst im Hute heimkam, empfand er natürlich weit mehr Verlangen, sich niederzulegen und auszuschlafen, als auf die alten Erzählungen und das Geschwätz des Mr. Watkins zu lauschen. Uebrigens rauchte er sehr wenig und trank noch weniger. Das entsprach aber gar nicht der Vorstellung von einem lustigen Genossen, die sich der Farmer vorher zurecht gelegt hatte.

Nichtsdestoweniger benahm sich Cyprien so gefällig und gutmüthig, war er so einfach im Auftreten und trotz seiner reichen Kenntnisse bescheiden im Urtheil, daß es unmöglich wurde, ihn täglich zu sehen, ohne ihn lieb zu gewinnen. Mr. Watkins empfand also – vielleicht gab er sich darüber selbst gar keine Rechenschaft – weit mehr Achtung vor dem jungen Ingenieur, als er je vorher gegen Jemand gehegt hatte. Wenn der Bursche nur auch tüchtig getrunken hätte! Was soll einer aber anfangen mit einem Menschen, der seine Kehle niemals mit einem Tropfen Gin anfeuchtet? So lautete gewöhnlich der Schluß des Urtheils, welches der Farmer gelegentlich über seinen Miethsmann abgab.

Die Miß Watkins hatte sich sehr schnell mit dem jungen Gelehrten auf guten, freundschaftlichen Fuß zu stellen gewußt. Da sie an ihm ebenso sein feines Benehmen, wie eine geistige Ueberlegenheit erkannte, die ihrem gewöhnlichen Umgang völlig fehlte, ergriff sie eifrig die sich bietende Gelegenheit, durch Aneignung gründlicher Kenntnisse in der Experimentalchemie ihre übrigens nicht schlechte und ziemlich vielseitige Bildung zu bereichern, welche sie durch eigenen Fleiß aus verschiedenen wissenschaftlichen Werken geschöpft hatte.

Das Laboratorium des jungen Ingenieurs mit seinen merkwürdigen Apparaten interessirte sie ganz mächtig. Bezüglich alles dessen, was die Natur des Diamanten betraf, dieses kostbaren Steines, der in der Unterhaltung, wie in dem Handel des Landes eine so hervorragende Rolle spielte, herrschte zwischen ihr und ihm eine merkwürdige Übereinstimmung. Im Grunde war Alice nämlich geneigt, diesen Stein kaum höher als einen gewöhnlichen Kiesel zu schätzen. Cyprien – das bemerkte sie sehr bald – theilte nach dieser Seite offenbar ihre eigenen Anschauungen. Die gegenseitige Mittheilung dieser Ansichten trug natürlich noch dazu bei, das schnell geknüpfte Freundschaftsband zwischen ihnen nur zu befestigen.

Man darf wohl sagen, daß sie im Griqualande wohl die einzigen Wesen waren, welche den Endzweck des Lebens nicht allein darin erkannten, die kleinen Steine zu suchen, zu schleifen und zu verkaufen, die überall in der Welt so warm begehrt werden.

»Der Diamant, sagte eines Tages der junge Ingenieur, ist im Grunde weiter nichts, als eine reine Kohle; er besteht nur aus krystallisirtem Kohlenstoff, man kann ihn durch Feuer vernichten, wie jedes andere Brennmaterial, und eben diese Eigenschaft der Verbrennlichkeit hat zuerst zu einer Muthmaßung über seine eigentliche Natur geführt. Newton, der so Vieles scharf beobachtete, hatte wahrgenommen, daß der geschnittene Diamant das Licht stärker als alle anderen transparenten Körper zurückwarf. Da er nun wußte, daß dieser Charakter vor allem den brennbaren Substanzen zukommt, schloß er mit dem ihm eigenen Scharfsinn aus dieser Thatsache, daß der Diamant auch brennbar sein »müsse«, und das Experiment bestätigte völlig seine Annahme.

– Doch, Herr Méré, wenn der Diamant nichts Anderes als Kohle ist, warum wird er so theuer verkauft? fragte das junge Mädchen.

– Weil er sehr selten vorkommt, Fräulein Alice, antwortete Cyprien, und in der Natur bisher nur in ganz geringen Mengen gefunden wurde. Lange Zeit erhielt man denselben nur aus Indien, Brasilien und von der Insel Borneo. Ohne Zweifel entsinnen Sie sich, denn Sie mögen damals sieben bis acht Jahre alt gewesen sein, auch der Zeit, wo zum ersten Male auf das Vorkommen des geschätzten Edelsteins in dieser Südprovinz Afrikas hingewiesen wurde.

– Gewiß erinnere ich mich dessen, sagte Miß Watkins. Hier im Griqualande waren die Leute rein toll geworden. Man sah gar nichts mehr, als Männer mit Schaufeln und Hacken, welche den Boden untersuchten, den Bächen ein anderes Bett gaben, um darin den Grund zu besichtigen, und die nur noch von Diamanten träumten und von diesen sprachen. So klein ich damals auch war, Herr Méré, kann ich mich doch noch daran erinnern, daß ich manchmal nicht wußte, wo mir der Kopf stand. Sie sagten jedoch, der Diamant sei so theuer, weil er selten vorkommt Ist das seine einzige schätzenswerthe Eigenschaft?

– Nein, sicherlich nicht. Miß Watkins. Seine Durchsichtigkeit, sein Feuer, wenn er kunstgerecht geschnitten ist, um das Licht zurückzuwerfen, die Schwierigkeit dieser Bearbeitung selbst und endlich seine Alles übertreffende Härte machen ihn zu einem Körper, der auch für den Gelehrten hohes Interesse bietet und, nicht zu vergessen, ihn für die Industrie nützlich erscheinen läßt. Sie wissen, daß man ihn nur mit seinem eigenen Staube poliren kann, und eben seine Härte ist es, die seit einigen Jahren seine Verwendung beim Durchbohren von Felsen veranlaßte. Ohne Mithilfe dieses Steines würde es nicht allein sehr schwierig sein, Glas und andere harte Substanzen zu bearbeiten, sondern auch die Durchbohrung von Tunnels, von Bergwerksstollen, artesischen Brunnen und dergleichen würde sehr bedeutend erschwert sein.

– Ah, nun wird mir’s klar, sagte Alice, welche plötzlich eine gewisse Hochachtung vor den armen Diamanten, die sie früher kaum geschätzt hatte, bekam. Doch, Herr Méré, diese Kohle, von der Sie sagen, daß sie sich in krystallisirtem Zustande befindet, – nicht wahr, so ist es wohl richtig ausgedrückt – was ist diese Kohle im Grunde?

– Das ist ein sogenannter einfacher, nicht metallischer Körper, der sonst ungemein häufig in der Natur vorkommt, antwortete Cyprien. Alle organischen Verbindungen ohne jede Ausnahme, das Holz ebenso wie das Fleisch und Brot, enthalten davon eine gewisse Menge. Sie verdanken sogar der Gegenwart der Kohle oder des »Kohlenstoffes« unter ihren Elementen den Grad der Verwandtschaft, welche man zwischen ihnen beobachtet. – Wie merkwürdig! rief Miß Watkins. Also das Gebüsch da, das Gras dieser Weide, der Baum, der uns beschützt, das Fleisch meiner Dada, des Straußes, und ich selbst, auch Sie, Herr Méré, wir bestehen zum Theil aus Kohle … wie die Diamanten? In der Welt ist wohl Alles aus Kohle?

– Wahrhaftig, Fräulein Alice, schon lange Zeit hat man das sozusagen vorausgefühlt, die heutige Wissenschaft aber bringt Tag für Tag neue Beweise dafür bei; oder mit anderen Worten, sie verkleinert immer mehr und mehr die Zahl der einfachen Elementarkörper, an der früher Niemand zu rütteln wagte. Die Errungenschaften der Spectralanalyse haben in dieser Beziehung auf dem Gebiete der Chemie ganz neues Licht verbreitet. Es könnten vielleicht sogar die zweiundsechzig Substanzen, welche bisher als einfache Elemente oder Fundamental-Körper betrachtet wurden, nur auf einen einzigen Stoff zurückzuführen sein – z. B. auf Wasserstoff – der nur in Folge verschiedener elektrischer, dynamischer und calorischer Verhältnisse in wechselnder Gestalt erschiene.

– O, Sie machen mir Angst, mit so vielen hochtönenden Worten, rief Miß Watkins, erzählen Sie mir lieber mehr von der Kohle. Könnten die Herrn Chemiker diese denn nicht ebenso künstlich zum Krystallisiren bringen, wie zum Beispiel den Schwefel, von dem Sie mir kürzlich so hübsche Exemplare zeigten? Das wäre doch weit bequemer, als erst tiefe steile Löcher in die Erde zu graben, um darin Diamanten zu finden.

– Wohl hat man häufig versucht auszuführen, was Sie da erwähnen, sagte Cyprien, und sich bemüht, durch Krystallisation ganz reinen Kohlenstoffes künstliche Diamanten herzustellen, und bis zu einer gewissen Grenze ist das sogar als gelungen zu betrachten. Im Jahre 1853 haben Despretz, und ganz neuerdings ein anderer Gelehrter in England, wirklichen Diamantstaub erzeugt, indem sie ganz reine, von allen Mineralbestandtheilen befreite und übrigens aus Zucker gewonnene Kohle im luftleeren Raum einem sehr starken elektrischen Strome aussetzten. Das Problem ist jedoch noch nicht so weit gelöst, um schon eine gewerbliche Ausnützung desselben in Aussicht zu stellen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit freilich darf man das aber wohl nur als eine Frage der Zeit betrachten. Heute oder morgen, vielleicht in der Stunde, wo wir darüber sprechen, Miß Watkins, kann die künstliche Erzeugung von Diamanten recht wohl entdeckt worden sein.

So plauderten sie lustwandelnd auf der sandigen Terrasse, welche längs der Farm hinlief, oder saßen auch gegen Abend auf der luftigen Veranda und bewunderten die glänzenden Sterne des südlichen Himmels.

Dann verließ Alice den jungen Ingenieur, wenn sie ihn nicht mitnahm, um ihre kleine Straußheerde anzusehen, welche in einem Gehege, am Fuße der kleinen Anhöhe – auf der John Watkins‘ Wohnung sich befand – gehalten wurde. Der kleine weiße Kopf der Thiere, der den schwarzen Körper so hoch überragt, ihre langen, steifen Beine, die Büschel gelblicher Federn, welche die Flügelenden und den Schwanz zieren, alles das interessirte das junge Mädchen, die es sich seit einem oder zwei Jahren zum Vergnügen machte, ein ganzes Volk dieser riesigen Stelzfüßler aufzuziehen.

Gewöhnlich geht man gar nicht darauf aus, diese Thiere zu zähmen, sondern die Farmer des Caplandes lassen sie meist in halbwildem Zustande aufwachsen. Sie begnügen sich nämlich damit, dieselben in ein möglichst ausgedehntes Gehege einzuschließen, das von einem Zaune aus Messingdraht begrenzt ist – wie man in manchen Ländern solche Drahtwände längs der Eisenbahnstrecken errichtet sieht. Da die Flugfähigkeit der Strauße eine sehr beschränkte ist, vermögen sie nicht über diese ziemlich hohen Zäune zu gelangen. Hier leben sie also das ganze Jahr über in kaum empfundener Gefangenschaft, ernähren sich von dem, was sie finden, und suchen sich verborgene Plätze auf, wo sie ihre Eier ablegen, welche durch sehr strenge Gesetzbestimmungen vor den Händen Unbefugter geschützt sind. Nur zur Zeit der Mauser, wenn die von der Damenwelt Europas so gesuchten Federn eingesammelt werden sollen, treibt man die Strauße durch immer kleiner und kleiner werdende Gehege, bis sie zuletzt so dicht zusammengedrängt sind, daß sie leicht ergriffen und gerupft werden können.

Im Gebiete des Caplandes hat diese Industrie seit einigen Jahren einen bedeutenden Umfang gewonnen, und man darf sich mit Recht darüber wundern, daß sie so zögernd in Algerien eingeführt worden ist, wo sie aller Wahrscheinlichkeit nach den gleichen Erfolg verspricht. Jeder in obiger Weise in Gefangenschaft gehaltene Strauß bringt seinem Eigenthümer, ohne irgend welche nennenswerthe Spesen zu verursachen, ein jährliches Einkommen von hundertsechzig bis zweihundertvierzig Mark. Um das zu begreifen, muß man wissen, daß eine solche Feder von guter Qualität achtundvierzig bis fünfundsiebzig Mark Handelswerth hat, und daß selbst die mittleren und kleinen Federn noch ziemlich hoch bezahlt werden.

Miß Watkins freilich züchtete etwa ein Dutzend dieser großen Vögel nur zu ihrem persönlichen Vergnügen. Es interessirte sie, dieselben ihre ungeheueren Eier ausbrüten, oder sie mit ihren Küchlein ebenso zum Füttern heraneilen zu sehen, wie man das von den Hühnern und Truthühnern kennt. Cyprien begleitete sie zuweilen und streichelte dann gern eines der schönsten Thiere der Heerde, einen Strauß mit schwarzem Kopfe und goldigen Augen, eben jene besonders gepflegte Dada, welche die Elfenbeinkugel verschluckt hatte, die Alice beim Ausbessern von Strümpfen zu benützen pflegte.

Allmählich hatte Cyprien aber doch ein tieferes und wärmeres Gefühl für das junge Mädchen in seinem Herzen erwachen gefühlt, hatte sich gesagt, daß er, um sein Leben voller Arbeit und ernstem Streben zu theilen, keine Genossin von so unschuldigem Herzen, so lebhaftem Geiste und solcher Liebenswürdigkeit im Verein mit vielseitiger Bildung finden könne. Da Miß Watkins ihre Mutter sehr frühzeitig verlor und deshalb den väterlichen Haushalt zu führen genöthigt gewesen war, hatte sie sich dabei ebenso zur erfahrenen Hausfrau, wie zur wirklichen Weltdame ausgebildet, und gerade diese glückliche Mischung ungezwungenen, vornehmen Anstandes und anziehender Einfachheit verlieh ihr einen ganz besonderen Reiz. Ohne die oft thörichten Ansprüche so vieler europäischer Städterinnen, fürchtete sie sich nicht, mit eigener Hand den Teig zu einem Pudding zuzubereiten, den Mittagstisch zu überwachen und sich zu überzeugen, daß die Wäschevorräthe des Hauses immer in gutem Zustande waren. Das hinderte sie aber wieder nicht, Sonaten von Beethoven eben so gut und vielleicht noch besser als manche Andere zu spielen, zwei oder drei Sprachen geläufig zu sprechen, sich an Lectüre zu ergötzen, die Meisterwerke der Literatur aller Culturvölker zu würdigen und endlich bei den kleinen Gesellschaften, welche zuweilen im Hause des einen oder des anderen reichen Farmers der Umgegend abgehalten wurden, mit unzweifelhaftem Erfolge aufzutreten.

Deshalb darf man nicht glauben, daß geistig höher stehende Frauen in jenen Kreisen eine Seltenheit wären. Im Transvaal, wie in Amerika, in Australien und in allen neubesiedelten Ländern, wo die unerläßlichen Arbeiten einer sich überhastet vollziehenden Civilisation alle Thätigkeit der Männer in Anspruch nahmen, ist die Pflege des geistigen Gebiets weit mehr als in Europa fast ausschließliches Vorrecht der Frauen.

So findet man sie auch in allgemeiner Bildung und künstlerischer Fertigkeit ihren Männern und Söhnen meist stark überlegen. Fast alle Reisenden haben Gelegenheit gehabt, nicht ohne Verwunderung bei der Frau eines australischen Goldgräbers oder eines Squatters aus dem fernen Westen musikalische Talente neben gründlichen literarischen und wissenschaftlichen Kenntnissen zu beobachten.

Die Tochter eines Lumpensammlers von Omaha oder eines Fleischwaarenhändlers von Melbourne würde unzweifelhaft erröthen, wenn sie von sich sagen müßte, bezüglich der allgemeinen Bildung, des gesellschaftlichen Anstandes und der Verfeinerung überhaupt unter einer beliebigen Prinzessin des alten Europas zu stehen. In dem Oranje-Freistaate, wo die Erziehung der Mädchen schon längst mit der der Knaben auf gleicher Höhe steht, wo die Letzteren aber die Schulbänke zeitiger verlassen, ist der Unterschied zwischen beiden Geschlechtern noch greller als anderswo. Der Mann ist im Haushalte der »Bread-winner«, der Brodverdiener; er führt mit aller angebornen Rauhheit, mit der Rauhheit, welche ihm seine Beschäftigung in freier Luft aufdrückt, ein Leben voller Anstrengung und Gefahren. Die Frau dagegen erwählt als ihr Gebiet, neben der Erfüllung aller häuslichen Verpflichtungen, die Fortübung in Wissenschaften und Künsten, welche ihr Gatte verachtet oder vernachlässigt.

So ereignet es sich nicht selten, daß eine Blume von Schönheit und vornehmem Reiz gerade am Rande der Wüste aufblüht, und das war der Fall mit der Tochter des Farmers John Watkins.

Alles das hatte Cyprien sich gesagt, und, da er stets gerade auf’s Ziel loszugehen gewohnt war, nicht gezögert, seine Bewerbungen um Alice anzubringen.

Ach! Jetzt fiel er gänzlich aus den Wolken und bemerkte zum ersten Male die weite Kluft, welche unübersteiglich zwischen ihm und dem jungen Mädchen gähnte. Es versteht sich von selbst, daß er nach dieser entscheidenden Verhandlung mit recht schwerem Herzen in die eigene Wohnung zurückkehrte. Er war jedoch nicht der Mann, sich einer leeren Verzweiflung zu überlassen, sondern entschlossen, hier, wo er sich befand, zu arbeiten, und bald hatte er in rastloser Tätigkeit ein geeignetes Ableitungsmittel für seinen Kummer gefunden.

Nachdem er sich an seinen kleinen Tisch gesetzt, vollendete der junge Ingenieur mit rascher und sicherer Schrift einen langen vertraulichen Brief, den er am Morgen begonnen und der an seinen verehrten Lehrer Mr. J…, Mitglied der Akademie der Wissenschaften und Titular-Professor an der Bergwerkschule, gerichtet war.

»… Worauf ich in meinem officiellen Bericht nicht eingehen zu dürfen glaubte, schrieb er, weil es vorläufig nur eine Hypothese von mir betrifft, ist die Anschauung, welche ich mir auf Grund zahlreicher geologischer Beobachtungen über die eigentliche Art der Bildung des Diamanten geschaffen habe. Weder die Hypothese, die ihm einen vulkanischen Ursprung zuschreibt, noch die, welche sein Vorkommen in den mächtigen Schichtenlagern von großen Wasserströmen herleitet, haben mich ebensowenig überzeugen können, wie Sie selbst, hochgeehrter Herr Professor, und ich habe deshalb nicht nöthig, die Gründe zu wiederholen, welche uns zu dieser Ablehnung bestimmten. Die Entstehung des Diamanten an Ort und Stelle, und zwar unter Mitwirkung des Feuers, ist aber eine ebensowenig stichhaltige Erklärung, welche mich kaum mehr befriedigen könnte. Welcher Art sollte dieses Feuer sein, und warum hätte es nicht alle die andern kalkartigen Steine verändert, welche ganz regelmäßig in den Diamantenlagern vorkommen? Das erscheint mir, offen gestanden, etwas kindlich und ganz der Theorie der Wirbelstürme und der hakenförmigen Atome würdig.

»Die einzige Erklärung, welche mir, wenn auch nicht ganz, so doch in gewissem Grade das Richtige zu treffen scheint, läuft darauf hinaus, daß die stofflichen Bestandtheile des Edelsteins durch Wasser zugeführt wurden und daß sich der Krystall nachher an Ort und Stelle bildete. Mir fällt mit Bezug hierauf vorzüglich das Eigenthümliche, man möchte sagen, ganz gleichmäßige Profil der verschiedenen Ablagerungen auf, die ich gesehen und mit möglichster Sorgfalt gemessen habe. Alle bilden mehr oder weniger die Form einer Schale, einer Kapsel oder, noch besser, unter Berücksichtigung der Kruste, welche sie überdeckt, einer auf der Seite liegenden Kürbis-Jagdflasche. Jedes solche Lager bildet ein Reservoir von dreißig- bis vierzigtausend Kubikmeter Inhalt, welches von einem ganzen Conglomerat von Sand, Lehm und überhaupt Alluvialboden ausgefüllt erscheint, und das auf Urgebirge abgesetzt ist und denselben Charakter zeigt. Vorzüglich tritt dieser bei der Vandergaart-Kopje hervor, einer der neuentdeckten Fundstätten, welche, um das nebenbei zu bemerken, dem Eigenthümer des Häuschens gehört, in welchem ich jetzt an Sie schreibe.

»Schüttet man in ein Gefäß eine, verschiedene fremde Körper enthaltende Flüssigkeit, was geht dann vor? Die fremden Körper setzen sich speciell am Boden und längs der Ränder des Gefäßes ab. Nun gut, das ist genau derselbe Vorgang, der sich in einer Kopje abspielt. Diamanten findet man hier vor Allem im Grunde und gegen die Mitte des Bettes, ebenso wie an den äußersten Rändern derselben. Diese Thatsache ist so unzweifelhaft beobachtet, daß die dazwischenliegenden Claims meist schnell im Preise sinken, während die in der Mitte liegenden Claims und diejenigen, welche sich nahe dem Umfange befinden, dagegen schnell einen ungeheuren Werth erhalten, sobald die Gestalt des Fundplatzes hinlänglich bekannt ist. Die Analogie spricht sonach deutlich für die Herbeischaffung des Materials unter Mithilfe von Wasser.

»Außerdem weisen auch noch viele verschiedene Umstände, welche Sie in meinem Bericht aufgezählt finden, auf die Bildung der Krystalle an Ort und Stelle hin, während sie die Zuführung derselben in fertigem Zustande unwahrscheinlich machen. Um davon nur zwei oder drei zu wiederholen, sind die Diamanten fast stets in Gruppen von derselben Natur und der gleichen Farbe vereinigt, was gewiß nicht der Fall sein würde, wenn sie schon fertig von einem Wasserstrom mitgebracht worden wären. Häufig findet man zwei Stücke, die mit einander verklebt sind, so daß sie sich schon durch leichten Anschlag trennen lassen. Wie hätten diese also der Reibung und den sonstigen Zufälligkeiten bei einer Weiterführung durch Wasser widerstehen sollen? Dazu finden sich die großen Diamanten fast nur unterhalb eines Felsstückes, was darauf hinzuweisen scheint, daß gewisse, durch dieses bedingte Einflüsse, seine Wärmeausstrahlung oder irgend eine andere Ursache, die Krystallisation erleichtert haben. Endlich ist es selten, sogar sehr selten, daß große und kleine Diamanten nahe bei einander gefunden werden. Allemal, wenn man einen schönen Stein aufgräbt, liegt dieser isolirt. Es macht den Eindruck, als ob alle Diamanten-Elemente des betreffenden Nestes sich in diesem Falle, unter dem Einflusse unbekannter Ursachen, zu einem einzigen Krystalle vereinigt hätten.

»Diese Gründe, sowie noch mehrere andere, erfüllen mich mit der Ueberzeugung, daß nach Zuführung der Elementarstoffe der Krystallisation durch das Wasser die endliche Bildung der Steine an Ort und Stelle stattgefunden haben müsse.

»Woher aber nehmen diese Wasser den Weg, welche den organischen Detritus, der sich in Diamanten umformen sollte, mit sich führten? Darüber hab‘ ich mir trotz eingehendster Studien der verschiedenen Lagerstätten noch kein Urtheil bilden können.

»Eine weitere Erklärung hierüber würde immerhin von weittragender Bedeutung sein. Wenn man dazu gelangte, den Weg, welchen einst das Wasser genommen, zu erkennen, warum sollte man dann nicht bei Rückverfolgung desselben zu dem Punkte kommen, von dem die Diamanten ausgegangen sind, und wo sich ohne Zweifel eine bedeutend größere Menge derselben finden dürfte, als in den bis heute ausgebeuteten Lagerstätten? Das würde meine Theorie nach allen Seiten bestätigen, und mir eine große Befriedigung gewähren. Ich selbst habe diese Frage freilich ihrer Lösung kaum entgegenzuführen vermocht, denn ich stehe bereits nahe dem Ende meiner Mission, und es ist mir, wie erwähnt, bisher unmöglich gewesen, über jenen unaufgeklärten Punkt weiteres Licht zu verbreiten.

»Mit mehr Erfolg habe ich viele Analysen der Felsarten ausgeführt…«

In seinem vertraulichen Berichte ging der junge Ingenieur nun bezüglich seiner Arbeiten in technische Details ein, welche zweifellos für ihn und den Adressaten von großem Interesse waren, über die jedoch der profane Leser nicht das gleiche Urtheil fällen möchte. Es erscheint uns deshalb rathsam, ihn damit gänzlich zu verschonen.

Um Mitternacht, nachdem er seinen langen Bericht beendet, löschte Cyprien die Lampe, streckte sich in seinen Hamac, und schlief den Schlaf des Gerechten.

Arbeit überwindet jeden Kummer – wenigstens für einige Stunden – aber ein reizendes Trugbild drängte sich mehrmals in die Träume des jungen Gelehrten und schien ihm zuzuflüstern, daß er noch nicht ganz verzweifeln solle.

Einundzwanzigstes Capitel


Einundzwanzigstes Capitel

Venetianische Justiz

Im Laufe der folgenden Tage war Cyprien eifrig damit beschäftigt, die fortschreitende Entwicklung seines Experiments zu beobachten. In Folge einer neuen Einrichtung des Schweißofens – er hatte demselben besseren Zug gegeben – hoffte er, daß die Entstehung des Diamants diesmal weniger Zeit in Anspruch nehmen werde, als beim ersten Versuch.

Es versteht sich von selbst, daß Miß Watkins sich für diesen zweiten Versuch lebhaft interessirte, da sie sich ja zum Theil als dessen Urheberin betrachten konnte. Deshalb begleitete sie auch den jungen Ingenieur häufig zum Ofen, den dieser täglich wiederholt besuchte, und vergnügte sich damit, durch die Gucklöcher im Mauerwerk desselben die Intensität des darin lodernden Feuers zu beobachten.

John Watkins interessirte sich, freilich aus ganz anderen Gründen, nicht weniger als seine Tochter für diese Fabrikation. Es verlangte ihn, bald auf’s Neue Besitzer eines Steines zu sein, dessen Werth nach Millionen maß. Seine große Furcht war nur die, daß das Experiment ein zweites Mal nicht gelingen könnte, und daß der Zufall bei dem Gelingen des ersten vielleicht unbemerkt eine sehr große Rolle gespielt habe.

Wenn der Farmer ebenso wie Miß Watkins den jungen Ingenieur aber aufmunterte, die künstliche Herstellung von Diamanten weiter zu verfolgen und zu vervollkommnen, so war das mit den Minengräbern des Griqualandes freilich nicht der Fall. Zwar befanden sich Annibal Pantalacci, James Hilton und Herr Friedel nicht mehr hier, dagegen viele Kameraden derselben, welche in dieser Beziehung ebenso dachten wie sie. Mittels heimlicher Hetzereien suchte auch der Jude Nathan die Inhaber der Claims gegen den jungen Ingenieur einzunehmen. Wenn die künstliche Herstellung von Diamanten einmal praktisch geübt wurde, war es um den Handel mit Diamanten und anderen kostbaren Steinen geschehen. Man hatte ja schon weiße Saphire oder Corindons, Amethyste, Topase und selbst Smaragde fabricirt. Doch waren alle diese Edelsteine nur Thonerdekrystalle und gefärbt durch geringe metallische Beimischungen. Immerhin erschien schon das für den Handelswerth dieser Steine beunruhigend, da derselbe langsam herabging. Wenn nunmehr der Diamant nach Belieben erzeugt werden konnte, so bedeutete das den Ruin der Diamantendistricte des Caps ebenso, wie den der anderen Fundstätten.

Alles das war schon nach dem ersten Versuche des jungen Ingenieurs wiederholt worden und wurde jetzt mit noch mehr Gehässigkeit und mit noch größerem Eifer beobachtet. Die Minengräber traten oft zu vertraulichen Gesprächen zusammen, welche für die Arbeiten Cypriens nichts Gutes vorhersagten. Dieser selbst ließ sich darum freilich kein graues Haar wachsen, und blieb nach wie vor entschlossen, seine Versuche zu Ende zu führen, was man auch sagen oder thun mochte. Nein, er wollte vor der öffentlichen Meinung nicht zurückweichen, und seine Entdeckung, da sie überhaupt Allen zu Gute kommen sollte, jedenfalls nicht etwa geheim halten.

Wenn er aber sein Vorhaben ohne Zögern und ohne Furcht weiter führte, so fing doch Miß Watkins, welche Alles erfuhr, was vor sich ging, an, für ihn zu zittern. Sie machte sich Vorwürfe, ihn zu diesen Versuchen aufgemuntert zu haben. Auf die Polizeigewalt des Griqualandes zu vertrauen, um ihn zu schützen, das hieß auch auf sehr losen Grund gebaut. Ein Schurkenstreich war ja so schnell ausgeführt, und Cyprien konnte vielleicht mit seinem Leben den Schaden zu bezahlen haben, den seine Arbeiten den Minengräbern Afrikas anzudrohen schienen.

Alice war also sehr unruhig und konnte diese Empfindung auch dem jungen Ingenieur gegenüber nicht verhehlen. Dieser beruhigte sie, so gut er konnte, und dankte ihr für die Theilnahme, die sie ihm schenkte. In dem Interesse, welches das junge Mädchen für ihn hegte, erkannte er ja den Ausdruck des wärmeren Gefühls, welches zwischen ihnen kaum ein Geheimniß zu nennen war. Abgesehen von allem Anderen, wünschte Cyprien sich Glück, daß sein Vorhaben seitens der Miß Watkins einen ihm so wohlthätigen Herzenserguß veranlaßte, und fuhr unbeirrt in seiner Arbeit fort.

»Was ich hier thue, Fräulein Alice, geschieht für uns Beide!« wiederholte er ihr.

Wenn Miß Watkins dagegen bedachte, was und wie in den Claims gesprochen wurde, dann lebte sie in immerwährenden Aengsten.

Das war auch wirklich nicht ohne Grund! Gegen Cyprien erhob sich allmählich ein »Tolle«, der sich nicht immer auf bloße Einsprüche oder Drohungen beschränken, sondern gewiß zu handgreiflichen Ausschreitungen führen würde.

Wirklich fand Cyprien, als er eines Abends zu einem Besuche des Ofens kam, die ganze Einrichtung geplündert. Während der Abwesenheit Bardik’s hatte ein Haufen Männer, welche sich die Dunkelheit zu nutze machten, binnen wenig Minuten die Arbeit von vielen Tagen zerstört. Das Mauerwerk war demolirt, die Feuerstätte zertrümmert, das Feuer selbst gelöscht, und die Geräthe zerbrochen und verstreut. Von der ganzen Anlage, die dem jungen Ingenieur so viele Mühe und Sorge gemacht hatte, war rein Nichts mehr übrig – Alles mußte er von Neuem beginnen – wenn er der Mann dazu war, der Gewalt nicht zu weichen, oder er mußte die ganze Sache aufgeben.

»Nein, rief er, nein! Ich gebe nicht nach, und morgen schon führe ich Klage gegen die Buben, welche mein Eigenthum zerstört haben. Ich will doch sehen, ob es im Griqualande keine Gerechtigkeit mehr giebt!«

Es gab zwar eine, aber nicht eine solche, wie der junge Ingenieur sie bedurft hätte.

Ohne gegen Jemand etwas zu äußern, selbst ohne Miß Watkins etwas mitzutheilen, was sich zugetragen hatte, aus Furcht, ihr noch einen neuen Schreck einzujagen, ging Cyprien nach seiner Hütte zurück und legte sich, fest entschlossen, morgen seine Klage anzubringen, und müßte er bis zum Gouverneur des Caplandes gehen, ganz ruhig nieder.

Er mochte zwei oder drei Stunden geschlafen haben, als das Geräusch der sich öffnenden Thür ihn plötzlich weckte.

Fünf schwarz maskirte, mit Revolvern und Gewehren bewaffnete Männer drangen in sein Zimmer. Sie trugen jene Laternen mit grünen Linsengläsern, welche man in englischen Ländern »Bulls eyes« (Ochsenaugen) nennt, und stellten sich stillschweigend an seinem Bette auf.

Cyprien hatte keinen Augenblick den Gedanken, diesem mehr oder weniger tragischen Aufzuge eine zu hohe Bedeutung beizumessen. Er dachte vielmehr an irgend einen Scherz und fing schon fast an zu lachen, obwohl er im Grunde dazu wenig Lust verspürte und den ganzen Spaß etwas ungezogen fand.

Da legte sich aber eine rauhe Hand auf seine Schulter, und einer der maskirten Männer, der ein Papier in der Hand hielt, begann mit einem Tone, in dem gar nichts Scherzhaftes lag, Folgendes laut zu lesen:

»Cyprien Méré!

»Beifolgendes soll Ihnen anzeigen, daß Sie durch das Geheim-Gericht des Vandergaart-Lagers, welches aus zweiundzwanzig Beisitzern besteht und im Namen der allgemeinen Wohlfahrt handelt, am heutigen Tage um Mitternacht und fünfundzwanzig Minuten einstimmig zum Tode verurtheilt worden sind.

»Sie sind beschuldigt und überführt, durch eine unzeitgemäße, ungesetzliche Entdeckung alle Menschen, die, seit sie im Griqualande oder anderswo von der Aufsuchung, der Bearbeitung und dem Verkaufe von Diamanten ihr Leben fristen, in ihrem Interesse und in dem ihrer Familien schwer geschädigt zu haben.

»Das Gericht hat in seiner Weisheit beschlossen, daß eine solche Erfindung vernichtet werden müsse, und daß der Tod eines Einzigen dem Untergange vieler Tausende von menschlichen Wesen weit vorzuziehen sei.

»Es hat ferner festgestellt, daß Ihnen zehn Minuten gegönnt werden, sich zum Tode vorzubereiten, daß Sie die Art desselben selbst wählen dürfen, daß alle Ihre Papiere verbrannt werden sollen, mit Ausnahme der offenen Briefschaften, die Sie etwa für Ihre nächsten Verwandten hinterlassen, und daß Ihre Wohnung endlich dem Erdboden gleichgemacht werde. »So geschehe es mit allen Verräthern!«

Als er sich so verurtheilt hörte, fühlte Cyprien sein voriges Vertrauen doch merklich erschüttert, und er fragte sich, ob diese düstere Comödie, wenn man die wilden Sitten des Landes in Rechnung zog, doch nicht vielleicht ernster gemeint sei, als er anfänglich geglaubt hatte.

Der Mann, welcher ihn an der Schulter hielt, sollte ihm sehr bald die letzten Zweifel rauben.

»Stehen Sie sofort auf, drängte er ihn roh, wir haben keine Zeit zu verlieren.

– Das ist ein Mord!« erwiderte Cyprien, der aus dem Bette entschlossen auf die Füße sprang, um einige Kleider umzuwerfen.

Er war mehr empört als erregt und concentrirte alle Macht seines Denkvermögens über das, was ihm hier widerfuhr, mit derselben Kaltblütigkeit, die er etwa beim Studium eines mathematischen Problems angewandt hätte. Wer waren diese Männer? Er vermochte das, selbst aus dem Tone ihrer Stimme, nicht zu errathen.

Jedenfalls bewahrten diejenigen von ihnen, die er persönlich kannte, kluger Weise Stillschweigen.

»Haben Sie unter den verschiedenen Todesarten Ihre Wahl getroffen? … nahm der maskirte Kerl wieder das Wort.

– Ich habe keine solche Wahl zu treffen, sondern nur Widerspruch zu erheben gegen das schändliche Verbrechen, dessen Ihr Euch schuldig zu machen im Begriffe steht! antwortete Cyprien mit fester Stimme.

– Erheben Sie Widerspruch, aber gehenkt werden Sie deshalb doch! Haben Sie etwa noch eine letzte Willensäußerung niederzuschreiben?

– Keine, die ich meinen Mördern anvertrauen möchte.

– Vorwärts also!« befahl der Anführer.

Zwei Männer stellten sich zu den Seiten des jungen Ingenieurs und der kleine Zug schickte sich an, nach der Thüre zu gehen.

In diesem Augenblick ereignete sich aber ein ganz unerwarteter Zwischenfall. Mitten unter die Henker der Vandergaart-Kopje stürzte sich eben ein Mann herein.

Das war Matakit, der junge Kaffer, der in der Nacht zuweilen in der Umgebung des Lagers umherzuschweifen pflegte; er war den vermummten Männern aus Instinct nachgefolgt, als diese sich eben nach der Hütte des jungen Ingenieurs begaben, um deren Thür zu sprengen. Dort hatte er Alles belauscht, was gesprochen wurde, und auch begriffen, was seinem Herren drohe. Ohne zu zögern und ohne zu bedenken, welche Folgen für ihn selbst dieser Schritt haben könnte, hatte er die Gruppe der Männer getheilt und sich Cyprien zu Füßen geworfen.

»Väterchen, warum wollen diese Männer Dich tödten? rief er, die Kniee seines Herrn umklammernd, trotz der Anstrengung, welche die Anderen machten, ihn von jenem loszureißen.

– Weil ich einen künstlichen Diamanten hergestellt habe, antwortete Cyprien, welcher die Hand Matakit’s, der sich von ihm nicht trennen wollte, bewegt drückte.

– Ach, Väterchen, wie unglücklich und beschämt bin ich wegen dessen, was ich gethan habe, schluchzte der junge Kaffer weinend.

– Was soll das heißen? rief Cyprien.

– Ach, ich will ja Alles gestehen, da man Dich zum Tode führen will! fuhr Matakit fort. Ja … ich verdiene es, getödtet zu werden, denn ich war’s, der den großen Diamanten in den Ofen gesteckt hatte.

– Werft diesen Schwätzer hinaus! rief der Anführer der Bande.

– Ich wiederhole, daß ich es war, der den Diamanten in den Apparat steckte! erklärte Matakit sich wehrend noch einmal. Ja, ja, ich habe das Väterchen getäuscht! … Ich wollte ihm glauben machen, daß sein Experiment geglückt sei! …«

Er geberdete sich bei seiner Erklärung so wild, daß er sich schließlich Gehör erzwang.

»Sprichst Du die Wahrheit? fragte Cyprien, gleichzeitig erstaunt und enttäuscht über das, was er eben hörte.

– Ja doch! … Hundert mal ja! … Ich rede die Wahrheit!«

Er kauerte jetzt auf der Erde, und Alle hörten ihm zu, denn was er hier aussagte, gab der Sache ja eine ganz andere Wendung.

»Am Tage jenes großen Einsturzes, erklärte er, als ich unter dem Gewölbe begraben lag, hatte ich jenen großen Diamanten gefunden! Ich hielt ihn noch in der Hand und dachte an Mittel und Wege, ihn zu verbergen, als die Erdwand neben mir einstürzte, um mich für mein verbrecherisches Vorhaben zu bestrafen … Wieder zum Bewußtsein gekommen, fand ich den Stein in dem Bette, in welches das Väterchen mich hatte schaffen lassen. Ich wollte ihm denselben ausliefern, schämte mich aber zu gestehen, daß ich ein Dieb sei, und beschloß eine günstige Gelegenheit dazu abzuwarten. Nun wollte das Väterchen bald nachher versuchen, selbst einen Diamanten zu machen, und hatte mich beauftragt, das Feuer zu unterhalten. Am zweiten Tage als ich mich allein am Ofen befand, platzte der Apparat mit schrecklichem Krachen und es fehlte nicht viel, so wurde ich von den Bruchstücken erschlagen. Da dachte ich mir, das Väterchen werde sich darüber härmen, daß sein Experiment mißglückt sei. Ich brachte also in das gesprungene Kanonenrohr den mit einer Handvoll Erde umhüllten Diamanten und beeilte mich, alles im Ofen möglichst wieder in Ordnung zu bringen, so daß das Väterchen nichts bemerkte … Dann wartete ich ruhig, ohne ein Wort zu sagen, und als das Väterchen den Diamanten fand, war er hoch erfreut darüber!«

Ein schallendes Gelächter, das die fünf maskirten Männer nicht zurückhalten konnten, begleitete Matakit’s letzte Worte.

Cyprien selbst lachte freilich nicht, sondern biß sich aus Enttäuschung in die Lippen. Der Ton des jungen Kaffern ließ gar keinen Zweifel aufkommen. Seine Erzählung beruhte offenbar auf Wahrheit!

Vergeblich forschte Cyprien in seiner Erinnerung oder Einbildung nach Thatsachen, dieselben anzuzweifeln und Jenen Lügen zu strafen. Vergebens sagte er sich:

»Ein natürlicher Diamant hätte sich, einer Hitze, wie der im Ofen ausgesetzt, verflüchtigen müssen …«

Die einfache gesunde Vernunft gab ihm dagegen ein, daß der von einer Art Lehmhülle umschlossene Stein recht wohl der intensiven Einwirkung der Hitze habe entgehen können, oder daß dieselbe nur teilweise auf ihn gewirkt habe. Vielleicht verdankte er gerade dieser langen Erwärmung seine schwarze Farbe; vielleicht hatte er sich innerhalb seiner Kruste verflüchtigt und war dann erst wieder krystallisirt.

Alle diese Gedanken bestürmten das Hirn des jungen Ingenieurs und verknüpften sich in demselben mit außerordentlicher Geschwindigkeit. Er stand betroffen vor der ihm unerklärlichen Thatsache.

»Ich entsinne mich recht wohl, am Tage jenes Einsturzes in der Hand des Kaffern einen Klumpen Erde gesehen zu haben, bemerkte da einer der Männer, als die allgemeine Heiterkeit sich etwas beruhigt hatte. Er preßte denselben so fest darin zusammen, daß man darauf verzichten mußte, den Erdkloß daraus zu entfernen.

– An der ganzen Sache ist überhaupt nicht mehr zu zweifeln, meinte ein Anderer. Ist’s denn möglich, Diamanten künstlich herzustellen? Wahrlich, wir sind rechte Schwachköpfe, so etwas je haben glauben zu können. Da könnte Einer ebensogut versuchen, einen Stern machen zu wollen!«

Wieder fingen Alle an zu lachen.

Cyprien litt sicher mehr von ihrer jetzigen Ausgelassenheit, als vorher von ihrem rohen Auftreten.

Nachdem die fünf Männer endlich heimlich berathschlagt, nahm ihr Anführer wieder das Wort:

»Wir sind der Ansicht, Cyprien Méré, sagte er, daß wegen des über Sie verhängten Todesurtheils noch eine Berathung stattzufinden habe. Sie gehen vorläufig frei aus! Vergessen Sie aber nicht, daß dieses Urtheil nach wie vor über Ihnen schwebt! Ein Wort, ein Zeichen, davon die Polizei zu benachrichtigen, und Sie sind unrettbar verloren! Wem’s juckt, der kratze sich!«

Mit diesen Worten zog er sich, gefolgt von seinen Begleitern, nach der Thür zurück.

Das Zimmer lag wieder im Dunklen. Cyprien hätte sich fast fragen können, ob er nicht das Spiel eines bloßen Traumes gewesen sei. Das Schluchzen Matakit’s aber, der sich auf dem Boden niedergestreckt hatte und heftig, den Kopf in die Hände stützend, weinte, zwang ihn wohl zu glauben, daß Alles, was hier vor sich gegangen, auch wirklich geschehen war.

Die Wahrheit lag also zutage! Er war zwar dem Tode entgangen, aber um den Preis einer fast vernichtenden Demüthigung. Er, ein Bergwerksingenieur, er, ein Zögling der polytechnischen Schule, ein hervorragender Chemiker und schon namhafter Geolog, er hatte sich durch die plumpe List eines elenden Kaffern betrügen lassen! Oder es war vielmehr seine eigene Eitelkeit, seine lächerliche Voreingenommenheit, welche ihn diesen entsetzlichen Bock hatte schießen lassen. Seine Verblendung war so weit gegangen, eine Theorie für die Entstehung der Krystallbildungen finden zu wollen! … Konnte es etwas noch Lächerlicheres geben? … Ist es nicht die Sache der Natur allein, unter Mithilfe Jahrhunderte überdauernder Zeiträume, derartige Bildungsprocesse zu Ende zu führen? … Und doch, wer hätte sich gegenüber der vor Augen liegenden Thatsachen nicht täuschen lassen? .. Er erhoffte einen Erfolg, hatte Alles zur Sicherung desselben vorbereitet und mußte logischer Weise annehmen, einen solchen errungen zu haben. Sogar die außergewöhnlichen Größenverhältnisse des Diamanten waren ja nur dazu angethan, eine solche Täuschung zu nähren. Auch ein Depretz hätte dieselbe wahrscheinlich getheilt … Kommen denn ähnliche Irrthümer nicht alle Tage vor? … Sieht man z. B. nicht die erfahrensten Numismatiker falsche Münzen häufig genug für echte annehmen?

Cyprien suchte sich durch derartige Vorstellungen einigermaßen zu trösten.

Da machte ihn plötzlich ein Gedanke fast zu Eis erstarren:

»Und mein Bericht an die Akademie! … Wenn ihn jene Schurken nicht mit weggeschleppt haben!«

Er entzündete eine Kerze. Nein, Gott sei Dank, sein Bericht fand sich noch vor. Niemand hatte ihn gesehen. Er athmete erst auf, nachdem er denselben verbrannt hatte.

Das Wehklagen Matakit’s war inzwischen so herzzerreißend, daß er wohl versuchen mußte, diesen zu beruhigen. Das sollte nicht so schwer werden. Auf den ersten wohlwollenden Zuspruch »des Väterchens« schien der arme Kerl wirklich neu aufzuleben. Wenn Cyprien ihm jedoch versicherte, daß er ihm keinen Groll nachtrage und ihm von ganzem Herzen verzeihe, so geschah das nur unter der Bedingung, daß er sich zu ähnlichen heimlichen Handlungen nicht wieder verleiten lasse.

Matakit betheuerte das bei dem Namen dessen, der ihm am heiligsten war, und als sich sein Herr darauf wieder niedergelegt, that er desgleichen.

So endete diese nächtliche Scene, welche erst einen recht traurigen Ausgang zu nehmen drohte.

Wenn sie in dieser Weise für den jungen Ingenieur endigte, sollte das für Matakit nicht ebenso der Fall sein.

Am folgenden Tage nämlich, als man nun wußte, daß der »Südstern« nichts anderes als ein natürlicher Diamant war, daß der junge Kaffer, der seinen Werth genügend erkannte, denselben einfach gefunden hatte, trat die Frage wegen seines Verbleibs mit erneuerter Lebhaftigkeit zutage. John Watkins verlieh seinen Klagen lauten Ausdruck. Nur Matakit konnte der Dieb dieses unschätzbaren Steines sein! Nachdem er schon seinem eignen Geständnisse nach gleich anfangs daran gedacht, ihn für sich zu behalten, lag ja nichts näher, als die Annahme, daß er ihn auch aus dem Festsaale entwendet hatte.

Cyprien konnte dieser Auffassung widersprechen und für die Rechtlichkeit des jungen Kaffern Bürgschaft übernehmen so viel er wollte, man hörte ihn einfach nicht an, was den mehr als hinreichenden Beweis liefert, wie recht Matakit, der seine vollständigste Schuldlosigkeit beschwor, daran gethan hatte, zu flüchten, und wie unrecht, nach dem Griqualande zurückgekehrt zu sein.

Da brachte der junge Ingenieur, der seine Sache nicht verloren geben wollte, ein Argument zur Geltung, dessen sich Niemand erwartete und das seiner Annahme nach Matakit retten mußte.

»Ich selbst glaube an seine Unschuld, sagte er zu John Watkins; doch selbst wenn er schuldig wäre, ginge das im Grunde nur mich an. Ob Natur oder Kunsterzeugniß, jedenfalls gehörte der Diamant mir, bevor ich ihn dem Fräulein Alice angeboten hatte …

– Ah, er gehörte Ihnen? … antwortete Mr. Watkins in eigenthümlich schmerzhaftem Tone.

– Ohne Zweifel! erklärte Cyprien. Ist er nicht von dem, bei mir in Diensten stehenden Matakit in meinem Claim gefunden worden?

– Ganz richtig, erwiderte der Farmer; aber ebendeshalb kommt er mir zu, weil laut Contract die drei ersten, auf Ihrer Concession ausgegrabenen Diamanten in mein ausschließliches Eigenthum überzugehen hatten.«

Cyprien wußte auf diesen Einwurf nichts zu antworten.

»Nun, ist mein Ausspruch wohl ein gerechter? fragte Mr. Watkins.

– Ein ganz gerechter! stammelte Cyprien.

– Ich würde Ihnen sehr dankbar sein für eine ausdrückliche schriftliche Anerkennung meines guten Rechtes, für den Fall, daß wir den Spitzbuben dahin bringen könnten, den auf so unverschämte Weise gestohlenen Diamanten wieder herauszugeben!«

Cyprien nahm ein Stück weißes Papier und schrieb darauf:

»Ich erkenne hiermit an, daß der in meinem Claim von einem in meinen Diensten stehenden Kaffern gefundene Diamant, gemäß dem Concessionscontracte, das Eigenthum des Herrn John Napleton Watkins ist.

»Cyprien Méré.«

Man wird zugeben, daß dieser Umstand alle Träume des jungen Ingenieurs vernichtete. Kam nun der Diamant jemals wieder zum Vorschein, so gehörte er nicht als Geschenk, sondern von Rechtswegen John Watkins, und ein neuer Abgrund, den nur viele Millionen ausfüllen konnten, eröffnete sich zwischen Cyprien und Alice.

Wenn aber die Reclamation des Farmers die Interessen der beiden jungen Leute schädigte, so war das noch mehr bezüglich Matakit’s der Fall. Jetzt war es John Watkins, gegen den er ein Vergehen sich hatte zu schulden kommen lassen … John Watkins war der Bestohlene! … Und John Watkins war nicht der Mann danach, die Verfolgung dieser ihn so tief berührenden Angelegenheit aufzugeben, wenn er den Dieb in Händen zu haben glaubte.

Der arme Teufel wurde also verhaftet, eingesteckt und nach Verlauf von kaum zwölf Stunden, trotz Allem, was Cyprien zu seiner Vertheidigung anführen mochte, verurtheilt gehenkt zu werden… wenn er sich nicht entschloß, oder er nur außer Stande war, den »Südstern« zurückzuerstatten.

Da er ihn nun thatsächlich nicht zurückliefern konnte, weil er ihn ja gar nicht genommen hatte, so lag seine Sache ganz klar, und Cyprien wußte nicht mehr, was er beginnen sollte, um den Unglücklichen zu retten, an dessen Schuld er nun einmal nicht glauben konnte.