Elftes Capitel


Elftes Capitel

»Der Südstern«

Die Nachricht von der Rückkehr Jacobus Vandergaart’s hatte sich natürlich schnell verbreitet. Alle Welt kam nun nach der Farm gelaufen, um das Wunder der Kopje wenigstens zu sehen. Man vernahm dabei auch sehr bald, daß der Diamant der Miß Watkins gehöre, daß aber ihr Vater viel mehr als sie selbst der Inhaber desselben sei.

Die allgemeine Neugier wendete sich also diesem Diamanten zu, einem Werk der Menschenhand und nicht der schöpferischen Natur.

Es muß hier bemerkt werden, daß von dem künstlichen Ursprung des Diamanten noch nichts in die Oeffentlichkeit gedrungen war. Einestheils wären die Steingräber des Griqualandes nicht so unverständig gewesen, ein Geheimniß auszuplaudern, welches ihren unmittelbaren Ruin herbeiführen mußte; andererseits hütete sich Cyprien, dem Zufall zu sehr zu vertrauen, hatte noch nichts in dieser Beziehung ausgesprochen und sich vorgenommen, seinen Bericht über den »Südstern« nicht eher abzusenden, als bis er den Erfolg seines Verfahrens durch einen zweiten Versuch bestätigt hatte. Was er ein erstes Mal vollbracht, das wollte er auch ein zweites Mal im Stande sein.

Die allgemeine Aufmerksamkeit war also außerordentlich erregt, und John Watkins hätte sich schon anstandshalber nicht weigern können, dieselbe zu befriedigen, ganz abgesehen davon, daß sie ja seiner Eitelkeit schmeichelte. Er brachte den »Südstern« auf leichter weißer Unterlage auf einer kleinen weißen Marmorsäule an, die sich in der Mitte über dem Kamin seines Besuchszimmers erhob, und den ganzen Tag lang blieb er davor in seinem Lehnstuhl sitzen, wachte über das unvergleichliche Juwel und zeigte dasselbe Jedem, der da kam.

James Hilton war der Erste, der ihn darauf aufmerksam machte, wie unklug ein solches Benehmen sei. Bedachte er wohl, welche Gefahren er über sein Haupt heraufbeschwor, wenn er so Aller Augen den enormen Werth, den er unter seinem Dache barg, preisgab? Nach Hilton’s Ansicht war es unumgänglich nöthig, von Kimberley eine specielle Polizeiwache zu erbitten, oder es könnte vielleicht schon die nächste Nacht nicht ohne ein Unglück verlaufen.

Erschrocken über diese Möglichkeit, beeilte sich Mr. Watkins, dem weisen Rathe seines Gastes zu folgen, und athmete erst wieder auf, als er gegen Abend einen Trupp berittener Policemen ankommen sah. Diese vierundzwanzig Mann wurden in den Nebengebäuden der Farm untergebracht.

Der Zufluß von Neugierigen nahm in den nächsten Tagen nur noch mehr zu, und der Ruhm des »Südsterns« hatte bald die Grenzen des Bezirks überschritten, um sich bis nach den entferntesten Städten zu verbreiten. Die Tagesblätter der Colonie widmeten spaltenlange Artikel der Beschreibung seiner Größenverhältnisse, seiner Form und Farbe, sowie seines Glanzes. Das Telegraphenkabel von Durban übernahm es, diese Einzelheiten über Zanzibar und Aden zuerst nach Europa und Asien, und dann nach Nord- und Süd-Amerika und nach Oceanien zu übermitteln. Photographen rissen sich um die Ehre, ein Bild des wunderbaren Diamanten aufzunehmen. Im Auftrage illustrirter Journale kamen Zeichner angereist, denselben für ihre Blätter darzustellen. Endlich wurde die Sache für die ganze Welt zu einem wirklichen Ereigniß.

Jetzt mischte sich auch die Fabel mit hinein. Unter den Steingräbern circulirten phantastische Geschichten über die geheimnißvollen Eigenschaften, die ihm zugeschrieben wurden. Man raunte einander zu, daß ein schwarzer Stein unbedingt »Unglück bringen müsse.« Erfahrene Leute schüttelten den Kopf und erklärten, daß sie diesen Feuerstein viel lieber bei Watkins, als im eigenen Hause sähen. Kurz, üble Nachreden und selbst Verleumdungen, welche von jeder Berühmtheit unzertrennlich sind, fehlten auch dem »Südstern« nicht – der sich ganz natürlich darum nicht im Mindesten kümmerte, denn er goß wie zuvor

… Ströme von Licht
Auf jeden obscuren Bösewicht!

Mit John Watkins lag das freilich ganz anders, da diesen jenes Geschwätz bald zur Verzweiflung brachte. Es erschien ihm, als würde der Werth des Steines dadurch einigermaßen herabgesetzt, und er empfand das als eine Art persönliche Beleidigung. Nachdem der Gouverneur der Colonie und die Officiere der benachbarten Garnisonen, die Stadtcommandanten, die Beamten und alle Volksvertretungen herbeigekommen waren, seinem Edelsteine ihre Huldigungen darzubringen, erblickte er in den mehr als freimüthigen Aeußerungen, die man sich über seinen Besitz erlaubte, fast eine Gotteslästerung.

Ebenso um diesen Alfanzereien ein Ende zu machen, wie seinen von jeher etwas lüsternen Gaumen einmal wieder zufrieden zu stellen, beschloß er einen großen Schmaus zu geben, zu Ehren des ihm so an’s Herz gewachsenen Diamanten, den er noch immer in klingende Münze umzusetzen hoffte, was Cyprien auch dagegen sagen und so sehr seine Tochter wünschen mochte, ihn wie er war zu behalten.

So stark ist der Einfluß des Magens auf eine große Zahl Menschen, daß schon die Anzeige von dieser Mahlzeit hinreichte, von diesem Tage zum anderen die öffentliche Meinung in dem Vandergaart-Lager völlig umzuwandeln. Da hörte man die Leute, welche sich früher am mißliebigsten über den »Südstern« ausgesprochen hatten, plötzlich einen anderen Ton anschlagen und aussprechen, daß dieser Stein doch an der ihm zugeschriebenen schlechten Wirkung ganz unschuldig sei, und darauf nahmen sie die Einladung zu John Watkins mit großem Vergnügen an.

Von diesem Feste im Becken des Vaal sollte sehr lange die Rede sein. An dem betreffenden Tage fanden sich achtzig Gäste zur Tafel unter einem großen Zelte ein, das an die Wand des Empfangszimmers, welche man gleich entfernt hatte, angebaut wurde.

Ein »Baron voyal«, ein gewaltiger Braten, bestehend aus einem ganzen Ochsenrücken, nahm die Mitte des Tisches ein und wurde von ganzen Lämmern und Vertretern aller Arten Wild des Landes umringt. Berge von Gemüse und Früchten, zahlreiche Biertonnen und Weinfässer, welche an verschiedenen Stellen übereinandergelagert und schon mit Abzapfhähnen versehen waren, vervollständigten die Anordnung dieser wahrhaft üppigen Tafel.

Auf seinem Sockel und umgeben von brennenden Kerzen stand der »Südstern« gleich hinter dem Rücken John Watkins‘ bei dem Festmahle, das ja zu seiner Ehre gegeben wurde.

Die Bedienung bildeten zwanzig, für diese Gelegenheit engagirte Kaffern unter der Anführung Matakit’s, der sich erboten hatte, diese – mit Erlaubniß seines Herrn – zu commandiren.

Hier befanden sich außer der Polizeimannschaft, welcher Mr. Watkins auf diese Weise seinen Dank abstatten wollte, alle hervorragenden Persönlichkeiten des Lagers und der Umgebung, Mathys Pretorius, Nathan, James Hilton, Annibal Pantalacci, Friedel, Thomas Steel und fünfzig Andere.

Selbst die Thiere der Farm, die Büffel, Hunde und vorzüglich die Strauße der Miß Watkins erhielten ihren Theil von dem Feste, indem sie herankamen, einige Brosamen von der Tafel zu erbetteln.

Alice saß ihrem Vater gegenüber am anderen Ende des Tisches und machte mit der ihr angeborenen Grazie die Honneurs, doch nicht ohne einen geheimen Kummer, obgleich sie völlig den Grund der Abwesenheit von zwei gewissen Personen begriff; weder Cyprien Méré, noch Jacobus Vandergaart nahmen an dem Festgelage Theil.

Der junge Ingenieur hatte immer soviel als möglich die Gesellschaft Friedel’s, Pantalacci’s und der Genossen dieser Leute gemieden. Außerdem kannte er seit seiner Entdeckung deren wenig wohlwollende Gesinnung gegen ihn und sogar ihre Drohung gegen den Erfinder der künstlichen Herstellung von Diamanten, wodurch sie vollständig zu Grunde gerichtet zu werden fürchten mußten. Er hatte sich also zurückgehalten und war der Einladung zur Tafel nicht gefolgt. Jacobus Vandergaart, dem gegenüber John Watkins nicht unversucht ließ, ihn gegen sich freundlich zu stimmen, hatte Alles von Anfang her glatt zurückgewiesen.

Das Bankett ging allmählich zu Ende. Wenn es in guter Ordnung verlief, kam das daher, daß die Anwesenheit der Miß Watkins selbst den rohesten Gästen einen gewissen Zwang zu äußerer Wohlanständigkeit auferlegte, obwohl Mathys Pretorius wie immer als Zielscheibe für schlechte Witze Annibal Pantalacci’s dienen mußte, indem dieser dem unglücklichen Boer die unsinnigsten Bären aufband. So sollte unter dem Tische plötzlich ein Feuerwerk abgebrannt werden! … Man erwarte nur, daß Miß Watkins sich zurückziehe, um den dicksten Mann der Gesellschaft zu verurtheilen, zwölf Flaschen Gin in einem Zuge zu trinken! … Oder es sei beabsichtigt, das Gelage mit einem großen Faustkampfe und einem allgemeinen Gefechte mit Revolvern zu beschließen.

Er wurde dabei aber unterbrochen von John Watkins, der in seiner Eigenschaft als Präsident des Banketts mit dem Messergriffe auf den Tisch klopfte, um die herkömmlichen Toaste auszubringen. Sofort ward es still. Der Gastgeber erhob sich in ganzer Länge, stützte beide Daumen auf das Tischtuch und begann seinen Speech mit einer durch reichliches Trinken etwas unsicher gewordenen Stimme.

Er sagte unter Anderem, daß dieser Tag die wichtigste Erinnerung aus seinem Leben als Steingräber und Ansiedler bleiben werde.

Nachdem er geschildert, wie hart es ihm in der Jugend gegangen, und wie er sich jetzt hier im reichen Griqualand von achtzig Freunden umgeben sähe, um den größten Diamanten der Welt zu feiern, sei das für ihn eine Freude, die er nimmermehr vergessen könne! … Vielleicht könne ja morgen einer der ehrenwerthen Gäste eben so gut einen noch größeren Stein finden! … Das sei eben das Interessante, die Poesie des Diamantengrabens! (Lebhafte Zustimmung.) Dieses Glück wünschte er vor Allem seinen Freunden und Gästen! … (Lächeln, Beifall.) Er glaube sogar versichern zu können, daß Derjenige nur sehr schwer zu befriedigen sein müsse, der sich jetzt an seiner Stelle nicht zufriedengestellt fühlte! … Zum Schlusse lud er die Tischgenossen ein, auf das Gedeihen des Griqualands, auf die Beständigkeit des Marktpreises der Diamanten – wie stark sich auch die Concurrenz darin entwickeln möchte – zu trinken, endlich aber auch auf die glückliche Reise des »Südsterns«, der nun hinaus solle in die Welt, zuerst nach dem Cap und dann nach England, um seinen Glanz bewundern zu lassen.

»Aber, sagte Thomas Steele, ist es nicht mit einiger Gefahr verknüpft, einen Stein von so großem Werthe nach dem Cap zu senden?

– O, er wird natürlich sichere Begleiter haben, erwiderte Mr. Watkins. Es sind schon viele Diamanten in solcher Weise befördert worden und glücklich an’s Ziel gekommen.

– Sogar der des Herrn Dueurix de Sancy, sagte Alice, und doch möchte er ohne die Opferwilligkeit eines einfachen Dieners …

– Nun, was ist ihm denn so Außerordentliches zugestoßen? fragte James Hilton.

– So hören Sie die Anekdote, antwortete Alice, ohne sich erst darum bitten zu lassen.

»Herr de Sancy war ein französischer Edelmann am Hofe Heinrichs III. Er besaß einen berühmten Diamanten, der noch heute nach seinem Namen genannt wird. Nebenbei gesagt hatte dieser Edelstein schon vorher zahlreiche Abenteuer erlebt. Er gehörte nämlich anfänglich Karl dem Furchtsamen, der ihn bei sich trug, als er unter den Mauern von Nancy getödtet wurde. Ein Schweizersoldat fand später den Stein auf der Leiche des Herzogs von Burgund und verkaufte ihn für einen Gulden an einen armen Geistlichen, der ihn für fünf oder sechs Gulden wieder an einen Juden abtrat. Zur Zeit, als er sich im Besitz des Herrn de Sancy befand, war der königliche Schatz einmal stark in Geldverlegenheit und Herr de Sancy ließ sich dazu herbei, seinen Diamanten als Pfand herzugeben, um dem König den Geldwerth desselben zu verschaffen. Der Darleiher befand sich aber in Metz. Der Edelstein mußte also einem Diener anvertraut werden, der ihn diesem hinschaffte.

»Fürchten Sie nicht, daß dieser Mensch damit nach Deutschland entfliehen könne? fragte Jemand Herrn de Sancy.

»Ich bin seiner sicher! antwortete dieser.

»Trotz dieser Sicherheit kam weder der Mann, noch der Diamant in Metz an. Auch der Hof fing endlich an, sich über Herrn de Sancy zu moquiren.

»Ich bin meines Dieners sicher, wiederholte dieser. Er muß ermordet worden sein.

»Und wirklich, bei genauer Nachforschung fand sich dessen Leichnam in einem Straßengraben.

»Oeffnet ihn! sagte Herr de Sancy. Der Diamant muß sich in seinem Magen vorfinden!

»Man that, wie er sagte, und seine Voraussage fand sich bestätigt. Der einfache Held, dessen Namen die undankbare Geschichte nicht einmal aufbewahrt hat, war seiner Pflicht und der Ehre treu geblieben bis zum Tode, und verdunkelte durch den Glanz seiner Handlungsweise – darüber meldet ein alter Chronist – den Glanz und den Werth des Juwels, das er beförderte.

»Es sollte mich sehr wundern, setzte Alice als Beendigung ihrer Erzählung hinzu, wenn der »Südstern« im gegebenen Falle während seiner Reise nicht Jemand dieselbe Ergebenheit einzuflößen im Stande wäre!«

Einstimmiger Beifall begrüßte die Worte der Miß Watkins, achtzig Arme erhoben die gleiche Anzahl Gläser und alle Augen wendeten sich unwillkürlich nach dem Kamin, um dem unvergleichlichen Edelstein daselbst ihre Huldigung darzubringen.

Der »Südstern« war nicht mehr auf seinem Sockel, wo er noch kurz vorher hinter dem Rücken John Watkins‘ geflammt hatte.

Das Erstaunen der achtzig Gesichter war ein so sprechendes, daß der Gastgeber sich sofort umdrehte, um dessen Ursache zu ergründen.

Kaum hatte er den Grund desselben wahrgenommen, als man ihn, wie vom Blitze getroffen, bleich in seinen Sessel zurücksinken sah.

Alle drängten sich um ihn, lüfteten ihm die Cravate, spritzten ihm Wasser in’s Gesicht … er erwachte endlich aus seiner Betäubung.

»Der Diamant! kreischte er mit entsetzlicher Stimme. Der Diamant! Wer hat den Diamanten genommen?«

– Daß Niemand hier weggeht, meine Herren!« befahl der Anführer der Polizei-Abtheilung, der schon den Ausgang des Saales besetzen ließ.

Alle Tischgenossen sahen sich erschreckt an und tauschten ihre Meinung mit gedämpfter Stimme gegenseitig aus. Nicht fünf Minuten waren verflossen, als die Meisten von ihnen den Diamanten noch gesehen oder wenigstens noch zu sehen geglaubt hatten. Trotzdem konnte sich Niemand der Thatsache verschließen, daß der Diamant verschwunden war.

»Ich verlange, daß alle Anwesenden visitirt werden, ehe sie weggehen! schlug Thomas Steele mit seiner gewöhnlichen Geradheit vor.

– Ja! .. Ja! ..« antwortete die Versammlung scheinbar einstimmig.

Dieser Vorschlag schien John Watkins einen Schimmer von Hoffnung wiederzugeben.

Der Polizeiofficier ließ also alle Tischgäste längs einer Seite des Raumes aufstellen und begann dieselben nacheinander der peinlichsten Untersuchung zu unterziehen. Er drehte alle ihre Taschen um, ließ sie die Schuhe ausziehen und überall an der Kleidung betasten. Dann verfuhr er ganz ebenso mit seinen eigenen Leuten. Endlich mußten die Gäste einzeln an ihm vorübergehen und wurden dabei noch mehrmals der genauesten Besichtigung unterworfen.

Diese Untersuchungen führten zu keinem Resultate. Alle Ecken und Winkel des Raumes wurden sodann mit größter Gewissenhaftigkeit abgesucht. Nirgends fand sich auch nur eine Spur von dem Diamanten.

»So sind nur noch die Kaffern übrig, welche bei der Tafel aufgewartet haben, sagte der Polizeiofficier, der nicht gern unverrichteter Sache abziehen wollte.

– Das ist klar! … Die Kaffern sind es gewesen! tönte ihm als Antwort entgegen. Sie sind von Natur Diebe genug, um diesen Streich ausgeführt zu haben.«

Die armen Teufel hatten sich indeß schon vorher zurückgezogen, ehe John Watkins seinen Toast ausbrachte, da sie nicht mehr von Nöthen waren. Sie kauerten draußen Alle zusammen um ein großes Feuer, das unter freiem Himmel emporloderte, und nachdem sie von übriggebliebenem Fleisch sich ein Gütchen gethan, begannen sie eben ein Concert, wie es im Kaffernlande Mode ist. Aus einer Kürbisflasche bestehende Guitarren, Flöten, welche mit der Nase angeblasen wurden, hellklingende Tam-tams aller Art intonirten eben das ohrzerreißende Geräusch, welches jeder musikalischen Aufführung der Eingebornen Südafrikas vorhergeht.

Die Kaffern verstanden zuerst gar nicht recht, was man von ihnen wollte, als sie zurückgerufen wurden, um bis auf ihre mangelhafte Bekleidung untersucht zu werden. Sie begriffen nun, daß es sich um den Diebstahl eines Diamanten von hohem Werthe handelte.

Wie die vorhergehenden Untersuchungen, erwies sich auch diese völlig fruchtlos.

»Wenn sich der Dieb unter den Kaffern befindet – und er muß unter diesen zu suchen sein – so hat er zehnmal Zeit genug dazu gehabt, seinen Diebstahl an sicherem Ort zu verbergen! bemerkte sehr richtig einer der Tischgäste.

– Das liegt auf der Hand, stimmte der Polizei-Officier zu, und es giebt vielleicht nur ein Mittel, sie zum Geständniß zu bringen, indem wir ihnen einen Wahrsager aus ihrem eigenen Stamme auf den Hals schicken. Einem solchen gelingt es nicht so selten …

– Wenn Sie gestatten, fiel da Matakit ein, der sich noch bei seinen Landsleuten befand, so will ich den Versuch vornehmen!«

Das Anerbieten wurde ohne Säumen angenommen, und die Gäste bildeten einen Kreis um die Kaffern. Dann ging Matakit, der ja in der Rolle eines Wahrsagers geübt war, daran, seine Vorbereitungen zu treffen.

Zunächst begann er damit, zwei oder drei tüchtige Priesen Tabak aus der Horndose zu nehmen, die ihn niemals verließ.

»Ich werde jetzt zur Ruthenprobe verschreiten!« kündete er nach dieser einleitenden Procedur an.

Er holte darauf von einem nahestehenden Busche zwanzig dünne Zweige, die er genau abmaß und ganz gleichmäßig, nämlich auf zwölf Zoll englisch, zuschnitt. Dann vertheilte er diese unter die Kaffern, welche in Reih‘ und Glied standen, nachdem er für sich selbst eine solche Ruthe bei Seite gelegt hatte.

»Jetzt mögt Ihr eine Viertelstunde hingehen, wohin Ihr wollt, sagte er feierlichen Tones zu seinen Landsleuten, und werdet nicht eher wiederkommen, als bis Ihr einen Tam-tam anschlagen hört. Wenn sich der Dieb unter Euch befindet, so wird seine Ruthe um drei Querfinger länger geworden sein.«

Die Kaffern zerstreuten sich, nicht besonders angenehm berührt von dieser Vorrede, da sie recht wohl wußten, daß man im Griqualand kurzen Processes einen Uebelthäter schnell dingfest machte und ihn auch, selbst ohne eine Frist zu seiner Vertheidigung zu gewähren, kurzer Hand aufhängte.

Die Gäste, welche diesen Vorbereitungen mit erklärlichem Interesse gefolgt waren, sprachen darüber Jeder seine eigene Meinung aus.

»Der Dieb wird sich hüten, wiederzukommen; er befindet sich offenbar unter diesen Kerlen, warf Einer ein.

– Nun, das würde ihn ja gerade als solchen bezeichnen, antwortete ein Anderer.

– Bah! Er wird geriebener als Matakit sein und schneidet sich einfach drei Finger breit ein Stück von seiner Ruthe ab, um das befürchtete Wachsthum derselben auszugleichen.

– Das mag der Wahrsager wohl erwarten und eine so unüberlegte Verkürzung würde ja hinreichen, den Schuldigen zu erkennen zu geben.«

Inzwischen waren die fünfzehn Minuten abgelaufen, und mit einem kräftigen Tamtamschlage rief Matakit die Angeklagten zurück.

Sie erschienen alle bis auf den Letzten, stellten sich vor diesem auf und lieferten ihre Gerten wieder ab.

Matakit nahm diese, bildete daraus ein Bündel und überzeugte sich, daß alle fünfundzwanzig noch gleich lang waren. Er mußte dieselben also bei Seite legen und auf Grund der entscheidenden Probe erklären, daß seine Landsleute alle ehrlich seien, als ihm eben noch einfiel, die Länge der zurückgegebenen Ruthen mit der, welche er zurück behalten, zu vergleichen. Alle waren um drei Fingersbreiten zu kurz.

Die armen Teufel hatten es für gerathen erachtet, diese Vorsicht zu gebrauchen gegen eine Erscheinung, welche ihren abergläubischen Vorstellungen nach recht wohl zu Stande kommen konnte. Das wies nun freilich nicht auf besonders reines Gewissen der Leute hin, und wahrscheinlich hatten schon Alle im Laufe des Tages einen Diamanten gestohlen.

Allgemeines Gelächter begleitete die Constatirung dieses unerwarteten Ereignisses. Matakit senkte die Augen und schien tief beschämt, daß ein Mittel, dessen Zuverlässigkeit ihm in seinem Kraal oft genug nachgewiesen worden war, sich im civilisirten Leben so machtlos erweise.

»Herr Watkins, begann da der Anführer der Polizeimannschaft mit einer Verbeugung gegen den Farmer, der eine Beute der Verzweiflung in seinem Lehnstuhle sitzen geblieben war, wir müssen diesem Vorfall gegenüber unsere Ohnmacht bekennen. Vielleicht sind wir morgen glücklicher, wenn wir Jedem, der uns auf die Spur des Diebes führt, eine hohe Belohnung in Aussicht stellen.

– Der Dieb! rief da Annibal Pantalacci, warum sollte es nicht Der sein, den sie beauftragten, über seine Stammesgenossen abzuurtheilen?

– Was wollen Sie damit sagen? fragte der Polizeiofficier.

– Nun … jener Matakit, der, indem er die Rolle des Wahrsagers übernahm, hoffen durfte, jeden Verdacht von sich fernzuhalten!«

Wer jetzt auf ihn geachtet hätte, müßte haben sehen können, wie Matakit das Gesicht auf eigenthümliche Weise verzog, sofort den Saal verließ und sich seitwärts nach seiner Hütte wandte.

»Ja, fuhr der Neapolitaner fort, er gehört ja auch selbst zu denen, welche bei Tische aufwarteten. Er ist ein Spitzbube, ein Schurke, dem Herr Méré, man begreift nicht warum, seine besondere Zuneigung geschenkt hat.

– Matakit ist ehrlich, dafür stehe ich ein! erklärte Miß Watkins, bereit den Diener Cypriens zu vertheidigen.

– Wie kannst Du das wissen? erwiderte John Watkins. Ja, ja, er wäre wohl im Stande, selbst die Hand nach dem »Südstern« ausgestreckt zu haben.

– Nun, er kann ja nicht weit sein! meinte der Polizeiofficier. Wir werden ihn binnen einer Minute visitirt haben. Findet sich der Diamant in seinem Besitz, so bekommt er so viel Peitschenhiebe, als dieser Karate wog, und wenn er daran nicht stirbt, wird er mit dem vierhundertzweiunddreißigsten aufgehenkt!«

Miß Watkins zitterte vor Furcht. Alle die halbwilden Leute jubelten dem schrecklichen Urtheile des Officiers zu. Doch wie hätte sie diese rohen, gewissen- und mitleidslosen Menschen zu bändigen vermocht?

Einen Augenblick später standen Mr. Watkins und seine Gäste vor Matakit’s Hütte, deren Thür erbrochen wurde.

Matakit war nicht da, und vergeblich suchte man nach ihm die ganze Nacht.

Auch am folgenden Morgen war nichts von ihm zu sehen, und man mußte nun wohl annehmen, daß er die Vandergaart-Kopje verlassen habe.

Zwölftes Capitel.


Zwölftes Capitel.

Vorbereitungen zum Aufbruche.

Am folgenden Morgen, als Cyprien Méré erfuhr, was sich bei Gelegenheit des Gastmahls ereignet, war es sein Erstes, gegen die schwere Beschuldigung seines Dieners Einspruch zu erheben. Er konnte nicht zugeben, daß Matakit der Urheber eines so schweren Diebstahls sei, und traf also in seiner Auffassung der Sachlage nicht mit Annibal Pantalacci zusammen. In der That hätte er eher auf Annibal Pantalacci, auf Herrn Friedel, Nathan oder jeden Anderen seinen Verdacht gerichtet.

Immerhin war es wenig wahrscheinlich, daß ein Europäer sich jenes Verbrechens schuldig gemacht haben könne. Für alle diejenigen, welche seinen Ursprung nicht kannten, war der »Südstern« ein natürlicher Diamant und hatte deshalb einen so hohen Werth, daß sich Niemand desselben hätte ohne großes Aufsehen entäußern können.

»Und doch, wiederholte sich Cyprien, ist es ja nicht unmöglich, daß Matakit es gewesen wäre!«

Dann aber erinnerte er sich wieder seiner eigenen Zweifel bezüglich verschiedener kleiner Diebereien, deren sich der Kaffer selbst in seinem Dienste schuldig gemacht hatte. Trotz aller Ermahnungen seines Herrn hatte dieser, dem Triebe der Natur gehorchend, und von weitem Gewissen – bezüglich des Mein und Dein – diese beklagenswerthe Gewohnheit nicht abzulegen vermocht. Immerhin handelte es sich dabei zwar nur um geringwertige Gegenstände, indeß bedurfte es ja nicht mehr, um über Matakit ein Vorurtheil aufkommen zu lassen, das eben nicht zu seiner Ehre sprach.

Eine weitere Bekräftigung fand jener Verdacht auch in dem Umstand, daß der Kaffer im Festsaale anwesend gewesen war, als der Diamant wie durch Zauberei verschwand, und noch mehr dadurch, daß man ihn ganz kurz darauf in seiner Hütte nicht mehr angetroffen hatte; endlich durch seine ganz unerklärliche Flucht, denn es konnte jetzt kein Zweifel mehr darüber aufkommen, daß er das Land verlassen habe.

Vergeblich wartete Cyprien noch während des Morgens auf sein Wiedererscheinen, da er an die Schuld seines Dieners nun einmal nicht glauben mochte; der Diener kam aber nicht. Es zeigte sich dazu noch, daß ein Quersack mit seinen Ersparnissen, einigen Werkzeugen und Geräthen, die Jemand nothwendig brauchen kann, der sich in diese fast ganz öden Gebiete Südafrikas begiebt, aus seiner Hütte mit verschwunden waren. Alles – Alles sprach also für seine Schuld!

Gegen zehn Uhr begab sich der junge Ingenieur, dem gewiß die Aufführung Matakit’s weit mehr als der Verlust des Diamanten betrübte, nach der Farm seines Wirthes John Watkins.

Da fand er den Farmer selbst, Annibal Pantalacci, James Hilton und Friedel zu ernster Verhandlung versammelt. Eben als er erschien, trat Alice, die ihn hatte kommen sehen, gleichfalls in’s Zimmer, wo ihr Vater und die drei Anderen lebhaft darüber sprachen, was wohl zu beginnen sei, um wieder in den Besitz des gestohlenen Diamanten zu gelangen.

»Wir müssen ihn verfolgen, den schurkischen Matakit! rief John Watkins in voller Wuth. Wir müssen ihn einfangen, und wenn er den Diamanten nicht bei sich führt, den Bauch aufschlitzen, um nachzusehen, ob er ihn nicht verschluckt hat.

»Ah, meine liebe Tochter! Du hast wohl daran gethan, gestern jene Geschichte zu erzählen! … Man wird ihn durchsuchen bis auf die Eingeweide, den Erzbösewicht!

– Aber, ich bitte Sie, wandte Cyprien besänftigend ein, in einem Tone, der freilich dem Farmer nicht besonders gefiel, um einen Stein von solcher Größe zu verschlucken, müßte Matakit wenigstens den Magen eines Straußes haben!

– Ist einem Kaffermagen nicht etwa Alles möglich, Herr Méré? entgegnete John Watkins. Wie, und Sie können in diesem Augenblicke und bei so ernsten Dingen auch noch lachen?

– Ich lache ja nicht, antwortete Cyprien ernsthaft. Doch wenn ich das Abhandenkommen jenes Diamanten bedaure, so ist das allein deshalb der Fall, weil ich mir erlaubt hatte, denselben Fräulein Alice anzubieten …

– Und ich bin Ihnen dafür so dankbar, Herr Cyprien, bemerkte Miß Watkins, als ob ich ihn noch jetzt im Besitz hätte.

– Da sieht man, was Frauengehirne leisten! wetterte der Farmer. Ebenso dankbar, als wenn sie ihn noch besäße, diesen Diamanten, der auf Gottes Erdboden nicht seines Gleichen findet!

– Na, das ist freilich nicht ganz dasselbe! ließ sich James Hilton vernehmen.

– O, gewiß nicht! setzte Friedel hinzu.

– Im Gegentheil, das ist ganz dasselbe! erwiderte Cyprien; denn da ich diesen Diamant selbst gemacht habe, werd‘ ich wohl auch im Stande sein, einen andern herzustellen!

– Herr Ingenieur, sagte da Annibal Pantalacci in einem Tone, der eine schwere Drohung gegenüber dem jungen Manne enthielt, ich meine, Sie würden gut thun, Ihr Experiment nicht noch einmal zu wiederholen … im Interesse des Griqualandes ebenso wie in dem Ihrigem.

– Wahrlich, Herr, versetzte Cyprien, mir scheint, ich habe keine Veranlassung, Sie deshalb erst zu fragen.

– O, das ist wohl die rechte Zeit, darüber zu streiten! rief Mr. Watkins. Ist Herr Méré denn seiner Sache so gewiß, daß ihm ein zweiter Versuch gelingt? Würde ein zweiter Diamant, der aus seinem Apparate hervorging, auch die Farbe, das Gewicht und folglich den Werth des ersten haben? Kann er mir dafür einstehen, einen anderen Stein, wenn auch von geringerem Werthe, herzustellen? Oder wird er ehrlicher Weise zugestehen, daß ihn ein besonders glücklicher Zufall begünstigt hat?«

Was John Watkins da sagte, klang zu vernünftig, als daß sich der junge Ingenieur davon nicht hätte getroffen fühlen sollen; es entsprach auch allen jenen Einwürfen, die er sich schon selbst gemacht hatte. Ohne Zweifel fand sein Experiment durch die bekannten Gesetze der modernen Chemie eine hinreichende Erklärung, doch war bei seinem ersten Versuche wirklich der Zufall gar nicht mit im Spiel gewesen? Und wenn er jenen wiederholte, konnte er sicher sein, wieder denselben Erfolg zu erzielen?

Unter solchen Umständen erschien es also von großer Wichtigkeit, den Dieb um jeden Preis zu erwischen und, was noch von größerer Bedeutung schien, den gestohlenen Gegenstand zurückzuerhalten.

»Es ist bis jetzt wohl noch keine Spur von Matakit entdeckt worden? fragte John Watkins.

– Keine, antwortete Cyprien.

– Man hat alle Umgebungen des Lagers durchsucht?

– Ja, mit größter Sorgfalt, versicherte Friedel. Der Spitzbube ist, wahrscheinlich im Laufe der Nacht, verschwunden, und es ist schwierig, um nicht zu sagen, unmöglich, zu wissen, nach welcher Seite er sich gewendet haben mag.

– Hat der Polizei-Officier eine Untersuchung seiner Hütte vorgenommen? fragte der Farmer.

– Ja, erklärte Cyprien, er hat dabei aber nichts entdeckt, was ihn auf die Spuren des Flüchtlings leiten könnte.

– Ah, rief Mr. Watkins, ich gebe gleich fünfhundert und tausend Pfund, wenn man ihn wieder erlangt.

– Das begreif‘ ich, Herr Watkins, meinte Annibal Pantalacci; aber ich fürchte leider, daß wir niemals wieder Ihren Diamanten, noch den, der ihn geraubt hat, entdecken werden.

– Und warum?

– Weil Matakit, wenn er einmal über alle Berge ist, nicht ein solcher Thor sein wird, unterwegs liegen zu bleiben. Er geht wahrscheinlich nach dem Limpopo, begiebt sich dann in die Wüste, nach dem Zambesi oder bis zum Tanganyka-See, und wenn’s sein muß, bis zu den Buschmännern!«

Redete der arglistige Neapolitaner, wenn er so sprach, wohl auch die Wahrheit? Wollte er vielleicht nicht einfach verhindern, daß eine Verfolgung Matakit’s eingeleitet wurde, um diese womöglich selbst zu unternehmen? Dieser Gedanke stieg wenigstens in Cyprien auf, als er den Mann beobachtete.

Mr. Watkins war aber nicht der Mann dazu, von einer Sache deshalb, weil sie nur schwierig durchzuführen sei, abzulassen. Er hätte gewiß sein ganzes Vermögen geopfert, um wieder in den Besitz des unvergleichlichen Steines zu kommen, und seine ungeduldigen, flammenden Blicke schweiften schon durch das Fenster hinüber nach den grünenden Ufern des Vaal, als ob er die Hoffnung hegte, den Flüchtigen an dessen Rande zu sehen.

»Nein, rief er, so ist die Sache nicht abgemacht! … Ich muß meinen Diamanten haben! … Ich muß den Hallunken erwischen! … Ah, wenn ich nur nicht an der Gicht litte, sollte das nicht so lange dauern, dafür stehe ich ein!«

– Lieber Vater! mischte sich Alice ein, um ihn zu beruhigen.

– Wohlan, wer unternimmt es? rief John Watkins im Kreise umherblickend. Wer will sich zur Verfolgung des Kaffern aufmachen? … Die Belohnung soll der Mühe entsprechen, auf mein Wort!«

Da Niemand ein Wort sagte, fuhr er fort:

»Halt, meine Herren, Sie sind hier nun Vier, welche sich um meiner Tochter Hand bewerben! Nun gut, schaffen Sie mir den Mann mit meinem Diamanten wieder zur Stelle! – Er sagte »meinem Diamanten« – und auf Watkins‘ Ehrenwort, meine Tochter gehört Dem, der Beide bringt!

– Angenommen! erklärte James Hilton.

– Ich bin dabei! versicherte Friedel.

– Wer sollte nicht wünschen, einen so kostbaren Preis zu erringen?« murmelte Annibal Pantalacci mit listigem Lächeln.

Tief erröthend und verletzt vor Scham, sich bei einer solchen Gelegenheit als Preisgabe ausgeboten zu sehen, und das gar in Anwesenheit des jungen Ingenieurs, versuchte Alice vergeblich ihre Verwirrung zu verbergen.

»Miß Watkins, sagte Cyprien halblaut, indem er sich höflich vor ihr verneigte, auch ich würde an der Verfolgung theilnehmen, aber darf ich das ohne Ihre Erlaubniß?

– Sie haben dieselbe und meine besten Wünsche obendrein, Herr Cyprien! antwortete sie lebhaft.

– Dann bin ich bereit, bis an’s Ende der Welt zu gehen! rief Cyprien, sich jetzt John Watkins wieder zuwendend.

– Daß wir die Rechnung nur nicht ohne den Wirth machen, warf Annibal Pantalacci ein, denn ich glaube, daß Matakit uns hübsch zu laufen geben wird. So wie er jedenfalls entflohen ist, wird er schon morgen in Potchefstrom sein und das Gebirgsgebiet erreicht haben können, ehe wir noch dazu kommen, unsere Hütten zu verlassen.

– Wer hindert uns denn, noch heute, noch in dieser Stunde aufzubrechen? fragte Cyprien.

– O, ich gewiß nicht, wenn es Sie so drängt! entgegnete der Neapolitaner. Ich für meinen Theil mag mich aber nicht ohne etwas zu beißen, einschiffen. Ein guter Wagen mit einem Dutzend Zugochsen und zwei Reitpferden, das ist das Mindeste, was wir zu einer Expedition brauchen, wie ich mir diese hier vorstelle. Und Alles das findet sich höchstens erst in Potchefstrom!«

Sprach denn Annibal Pantalacci jetzt im Ernste? Ging seine Absicht nicht vielmehr nur darauf hinaus, seine Rivalen auszuschließen? Die Antwort hierauf wäre wohl zweifelhaft gewesen.

Zweifelhaft war aber nicht, daß er vollkommen Recht hatte. Ohne derartige Beförderungsmittel und ohne Vorrath an Nahrung und dergleichen, wäre es entschieden Thorheit gewesen, sich in den nördlichen Theil des Griqualandes hineinzuwagen.

Ein Wagen mit Ochsengespann – das wußte Cyprien recht wohl – kostete mindestens acht- bis zehntausend Francs, und er für seinen Theil besaß höchstens viertausend.

»Halt! Ein Gedanke! rief plötzlich Thomas Hilton, der in seiner Eigenschaft als »Afrikander« von schottischem Ursprung immer die Sparsamkeit in den Vordergrund zu stellen pflegte, weshalb sollten wir nicht alle Vier zur Ausführung dieser Expedition zusammentreten? Die Aussichten auf Gewinn blieben deshalb für Jeden dieselben und die Unkosten würden sich ebenso vertheilen.

– Das erscheint mir ganz richtig, bemerkte Friedel.

– Und ich nehme den Vorschlag an, erklärte Cyprien ohne Zögern.

– Für diesen Fall, meinte Annibal Pantalacci, hätten wir nur dahin übereinzukommen, daß Jedem seine Unabhängigkeit gesichert und ihm überlassen bleibt, sich von den Andern zu trennen, wenn er es für geboten erachtet, die Einfangung des Flüchtlings allein zu versuchen!

– Das versteht sich von selbst, antwortete James Hilton, wir vereinigen uns nur zum Ankauf des Wagens, der Büffel und des Proviants, doch bleibt es Jedem überlassen, allein weiter zu ziehen, wenn er das für angezeigt hält. Desto besser für den, dem es zuerst gelingt, das Ziel zu erreichen!

– Einverstanden! erklärten Cyprien, Annibal Pantalacci und Friedel.

– Wann werden Sie aufbrechen? fragte John Watkins, dem diese Vereinigung von Kräften vierfache Hoffnung auf Wiedererlangung seines Diamanten eröffnete.

– Morgen mit dem Eilwagen von Potchefstrom, antwortete Friedel. Es ist auf keine Weise daran zu denken, vor diesem dorthin zu kommen.

– Einverstanden!«

Inzwischen hatte Alice Cyprien bei Seite genommen und ihn gefragt, ob er wirklich glaube, daß Matakit der Urheber eines solchen Diebstahls sein könne.

»Miß Watkins, antwortete der junge Ingenieur, ich muß wohl zugestehen, daß alle Anzeichen gegen ihn sprechen, vorzüglich da er die Flucht ergriffen hat. Was mir aber ebenso gewiß scheint, ist, daß Annibal Pantalacci ganz das Aussehen hat, als könnte er so Manches über das Verschwinden des Diamanten sagen! Welche Galgenphysiognomie! … Und einen solchen Mann als Theilhaber anzunehmen! Doch Noth bricht ja Eisen! Es däucht mir immer noch besser, ihn unter der Hand zu haben und überwachen zu können, als ihn allein und ganz nach Gefallen schalten zu lassen!«

Die vier Bewerber nahmen bald Abschied von John Watkins und dessen Tochter. Wie es unter solchen Verhältnissen natürlich erscheint, gestaltete sich die Verabschiedung ziemlich kurz und beschränkte sich nur auf einen gegenseitigen Händedruck. Was hätten sie auch sprechen sollen, diese Rivalen, die zwar miteinander aufbrachen und sich doch im Grunde gegenseitig zum Teufel wünschten.

Nach Hause zurückgekehrt, fand Cyprien Lî und Bardik. Seit seinem Dienstantritte bei ihm, hatte der junge Kaffer sich stets voller Eifer gezeigt. Der Chinese und er schwatzten eben ein wenig auf der Schwelle der Thür und der junge Ingenieur kündigte ihnen an, daß er in Gesellschaft Friedel’s, James Hilton’s und Annibal Pantalacci’s abreisen werde, um die Verfolgung des davongegangenen Matakit aufzunehmen.

Da wechselten Beide einen Blick – nur einen einzigen; dann traten sie näher heran, ohne ein Wort über den Flüchtling selbst fallen zu lassen.

»Väterchen, sagten sie zusammen, nimm uns auch mit, wir bitten Dich inständig darum!

– Euch mitnehmen? … Und wozu?

– Um Dir den Kaffee, das Essen zu bereiten, antwortete Bardik.

– Und um Deine Wäsche in Stand zu halten, ließ sich Lî vernehmen.

– Um Uebelthäter zu hindern, daß sie Dir Schaden zufügen!« schlossen Beide, als ob sie sich verabredet hätten.

Cyprien betrachtete sie, mit einem dankbaren Blicke.

»Gut, erklärte er, ich nehme Euch, da Ihr es ausdrücklich wünscht, Beide mit!«

Hierauf suchte er noch den alten Jacobus Vandergaart auf, dem er ein Lebewohl sagte und der es weder billigte noch mißbilligte, daß Cyprien sich dieser Expedition anschloß, aber ihm noch die Hand drückte und glückliche Reise wünschte.

Am folgenden Morgen, als er sich in Begleitung seiner beiden treuen Diener nach dem Lager von Vandergaart begab, um den Eilwagen nach Potchefstrom zu besteigen, richtete der junge Ingenieur noch einmal die Augen nach der Farm Watkins, welche noch in tiefem Schlummer zu liegen schien.

War es eine Täuschung? Er glaubte hinter dem weißen Mousselin eines der Fenster eine leichte Gestalt wahrzunehmen, die im Augenblicke, als der Wagen fortrollte, ihm noch ein letztes Lebewohl zuwinkte.

Dreizehntes Capitel.


Dreizehntes Capitel.

Durch den Transvaal.

In Potchefstrom hörten die vier Reisenden, daß ein junger Kaffer, dessen Personalbeschreibung auf Matakit vollkommen paßte, am Vortage durch die Stadt gekommen war. Das durfte als glückliches Vorzeichen für den Erfolg ihres Zuges angesehen werden. Dieser drohte freilich sich sehr in die Länge zu ziehen, weil der Flüchtling sich hier einen leichten zweirädrigen Wagen zugelegt hatte, der mit einem Strauße bespannt und aus diesem Grunde gewiß nur sehr schwer einzuholen war.

Es giebt nämlich wirklich keine besseren Läufer, als diese Thiere, und gleichzeitig keine ausdauernderen und schnelleren. Zum Ziehen brauchbare Strauße sind übrigens, selbst im Griqualand, etwas sehr seltenes, da sie sich nur schwierig abrichten lassen. Aus eben diesem Grunde konnten sich auch Cyprien und seine Genossen ein ähnliches Gefährt in Potchefstrom nicht zulegen.

Unter so günstigen Umständen – das war als ziemlich feststehend zu betrachten – eilte Matakit also auf dem Wege nach Norden hin, und das mit einem so schnellen Wagen, daß er zehn Wechselpferde außer Athem gebracht hätte.

Es blieb also nichts übrig, als der Versuch, ihm so schnell als möglich zu folgen. Freilich hatte der Flüchtling außer seinem nicht unbedeutenden Vorsprung auch noch den Vortheil einer Schnelligkeit, welche die, auf die seine Verfolger sich verwiesen sahen, weit übertraf.

Am Ende haben jedoch auch die Kräfte eines Straußes ihre Grenzen. Matakit mußte gelegentlich wohl oder übel einmal Rast machen und dabei vielleicht Zeit verlieren. Im schlimmsten Fall hoffte man ihn jedoch wenigstens am Ende seiner Fahrt zu erlangen.

Cyprien hatte bald Ursache, sich zu beglückwünschen, daß er Lî und Bardik mitgenommen, als es sich darum handelte, die für den Zug nöthige Ausrüstung zu besorgen. Es ist in solchen Fällen kein so leichtes Ding, diejenigen Dinge auszuwählen, welche in Wahrheit als nützlich zu bezeichnen sind. Die eigenen Erfahrungen in der Wüste vermag nichts zu ersetzen. Cyprien mochte noch so bewandert in der Differential- und Integral-Rechnung sein, vom Leben im Veld, von dem auf dem Trek oder »auf den Spuren der Wagenräder«, wie man da unten sich ausdrückt, verstand er nicht das A-B-C. Seine Gefährten schienen auch gar nicht geneigt, ihn mit Rath und That zu unterstützen, sondern zeigten vielmehr einen gewissen Hang, ihn irre zu führen.

Was den mit regensicherer Plane bedeckten Wagen, das Büffelgespann und den mitzunehmenden Proviant betraf, ging die Sache ziemlich leicht und glatt ab. Hierbei zwang schon das allgemeine Interesse diese verständig auszuwählen, und James Hilton besorgte das völlig tadellos; Eines und das Andere blieb aber doch der persönlichen Entscheidung jedes Einzelnen überlassen – zum Beispiel der Ankauf eines Pferdes.

Cyprien hatte sich beinahe auf dem Marktplatze für ein hübsches dreijähriges Thier entschieden, das ebenso voller Feuer schien, wie er es um mäßigen Preis erhalten sollte. Bei einem kurzen Proberitt erwies es sich als gut dressirt, und schon wollte er dem Käufer die ausbedungene Summe zahlen, als ihn Bardik bei Seite nahm und zu ihm sagte:

»Wie, Väterchen, dieses Pferd willst Du kaufen?

– Gewiß, Bardik! Es ist das schönste, welches ich je zu so niedrigem Preise gefunden habe.

– Das solltest Du nicht nehmen, selbst wenn man es Dir schenken wollte, sagte der junge Kaffer. Einer Reise durch den Transvaal würde dieses Pferd nicht acht Tage gewachsen sein.

– Was willst Du damit sagen? erwiderte Cyprien. Fällt es Dir jetzt etwa ein, mir gegenüber den Wahrsager zu spielen?

– Nein, Väterchen, aber Bardik kennt die Wüste, und versichert Dir, daß dieses Pferd nicht »gesalzen« ist.

– Nicht »gesalzen«? Willst Du mir einreden, daß ich ein Pferd aus dem Pöckelfasse kaufen soll?

– Nein, Väterchen; das bedeutet, daß es die Krankheit des Veld noch nicht durchgemacht hat. Die würde es unbedingt sehr bald bekommen, und wenn es nicht daran zu Grunde geht, würd‘ es Dir doch nichts mehr nützen können.

– Ah so, erwiderte Cyprien, betroffen von der Erklärung, die ihm sein Diener gab. Und worin besteht diese Krankheit?

– Sie tritt als hitziges, mit starkem Husten begleitetes Fieber auf, antwortete Bardik. Es ist unumgänglich nothwendig, nur Pferde zu kaufen, welche dasselbe schon durchgemacht haben – was man an deren äußerem Ansehen leicht erkennt – weil es nur sehr selten vorkommt, daß solche jener Krankheit zum zweiten Male verfallen.«

Einer solchen Aussicht gegenüber war kein Schwanken möglich. Cyprien unterbrach sofort die Kaufsverhandlungen und zog weitere Erkundigungen ein. Jedermann bestätigte ihm die Ansichten Bardik’s. Es war das eine im Lande so allbekannte Thatsache, daß man derselben gar nicht mehr zu erwähnen pflegte.

Als er sich hierdurch von seiner mangelnden Erfahrung überzeugt, wurde der junge Ingenieur klüger und sicherte sich die Mithilfe eines alten Thierarztes von Potchefstrom. Dank der Mitwirkung jenes Fachkenners gelang es ihm binnen wenigen Stunden, sich ein für eine solche Reise geeignetes Pferd zu verschaffen. Es war schon alt, von grauer Farbe, hatte eigentlich nur Haut und Knochen und besaß auch nur ein Ueberbleibsel von Schweif. Der Thierarzt bedurfte nur eines Blickes, um sich zu überzeugen, daß dieses Exemplar mindestens »gesalzen« war, und obwohl es einen etwas harten Gang hatte, war es offenbar im Ganzen weit mehr werth, als es äußerlich versprach. Templar – das war sein Name – genoß im Lande allgemein das Ansehen eines Pferdes von großer Leistungsfähigkeit, und auch Bardik, dessen Rath wohl gehört zu werden verdiente, erklärte sich nach Besichtigung desselben für vollkommen befriedigt.

Gerade er sollte übrigens mit der Führung des Wagens und des Büffelgespannes betraut werden, eine Function, in der sein Kamerad Lî ihn zu unterstützen bestimmt war.

Cyprien brauchte sich also nicht darum zu sorgen, weder den Einen noch den Anderen beritten zu machen, was er auch, nach Aufwendung des verhältnißmäßig hohen Preises für Anschaffung seines eigenen Pferdes, jetzt gar nicht im Stande gewesen wäre.

Die Frage der Beschaffung von Waffen war ebenfalls nicht so leichter Hand zu lösen. Cyprien hatte für sich Flinten gewählt, eine vortreffliche Martini-Henry-Büchse und einen Remington-Carabiner, welche sich zwar beide nicht durch besondere Eleganz auszeichneten, aber sicher schossen und leicht und genau zu laden waren.

Niemals hätte er jedoch, wenn ihn der Chinese nicht darauf aufmerksam machte, daran gedacht, sich mit einem Vorrathe von Sprenggeschossen zu versehen. Er hielt sich für hinreichend ausgerüstet, wenn er Pulver und Blei für fünf- bis sechshundert Schuß mitnahm, und war nicht wenig überrascht zu hören, daß viertausend Gewehrschüsse das Mindeste seien, was man bei einer Fahrt durch diese Gegend voll wilder Thiere und kaum weniger wilder Einwohner als nothwendig erachtete.

Cyprien mußte sich also noch zwei Revolver zu Sprengkugelschuß anschaffen und er vervollständigte seine Bewaffnung ferner durch den Ankauf eines vorzüglichen Jagdmessers oder Hirschfängers, der schon seit fünf Jahren im Schaufenster des Waffenhändlers in Potchefstrom geprangt hatte, ohne daß sich Jemand entschlossen hätte, denselben zu erwählen.

Wiederum war es Lî, der auf dieser Erwerbung bestand, indem er versicherte, daß sich kaum etwas nützlicher erweisen werde, als ein solches Messer. Die Sorgfalt, mit der er es sich später angelegen sein ließ, die kurze und breite Klinge desselben scharf und blank zu erhalten, bewies sein Vertrautsein mit blanken Waffen, welches er übrigens mit seinen Stammesgenossen im Allgemeinen theilte.

Ueberdies begleitete der berüchtigte rothe Kasten allezeit den vorsorglichen Chinesen. Er verwahrte darin neben einer Menge kleiner Kästchen und geheimnißvoller Ingredienzen etwa sechzig Meter jenes biegsamen und dünnen, aber stark gedrehten Strickes, den die Matrosen speciell Leine nennen. Und als er gefragt wurde, was er damit beginnen wolle, erklärte er:

»Nun, muß man denn in der Wüste nicht ebenso wie anderwärts gelegentlich eine Leine ziehen?«

Binnen wenigen Stunden waren alle Einkäufe abgemacht! Wasserdichte Tücher, wollene Decken, Speisegeschirr und Geräthe, reichlicher Mundvorrath in verlötheten Büchsen, Joche, Ketten, Zügel zum Wechseln u. s. w. füllten am hinteren Theile des Wagens das allgemeine Magazin, der mit Stroh ausgelegte vordere Theil sollte als Lagerstätte und Obdach für Cyprien und seine Reisegefährten dienen.

James Hilton hatte sich seines Auftrages sehr gut entledigt und schien mit großem Verständniß ausgewählt zu haben, was der Genossenschaft von Nöthen sein könnte. Er war aber auch auf seine Erfahrungen als Ansiedler nicht wenig stolz. So ließ er sich auch weit mehr durch das Gefühl seiner Ueberlegenheit in diesem Fache als durch kameradschaftliche Rücksichten bestimmt herbei, seine Geführten über die Sitten und Gebräuche des Veld aufzuklären.

Annibal Pantalacci freilich unterließ es nicht, ihn zu unterbrechen und ihm gelegentlich das Wort abzuschneiden.

»Welches Bedürfniß drängt sie, Ihre Kenntnisse auch dem Franzosen mitzutheilen? sagte er zu ihm leise. Liegt Ihnen denn gar so viel daran, daß gerade er den Preis erringt? An Ihrer Stelle würde ich, was ich weiß, allein für mich behalten und Niemand ein Wort davon hören lassen!«

James Hilton sah den Neapolitaner mit unverholener Verwunderung an.

»Das ist wirklich wahr, was Sie mir da sagen … sehr wahr! Ein solcher Gedanke war mir eben noch gar nicht gekommen!«

Cyprien hatte es nicht unterlassen, auch Friedel davon zu unterrichten, was er bezüglich der Pferde des Landes erfahren hatte, fand bei diesem aber kein Gehör; der Deutsche dagegen – unterließ es nicht sich mit Angelgeräthschaften auszustatten, da er behauptete, daß man des Wildes bald überdrüssig sein werde.

Nach Vollendung aller Vorbereitungen ging es nun fort, und die Caravane trat in der vorherbestimmten Ordnung zusammen.

Der von zwölf röthlichen und schwarzen Büffeln gezogene Wagen voran, unter der hohen Führung Bardik’s, der bald mit der langen Peitsche in der Hand neben den kräftigen Thieren herschritt, bald, um auszuruhen, den Vordertheil des Wagens bestieg. Dort auf seinem Sitze thronend, war er freilich den Stößen durch die unebene Straße stark ausgesetzt, schien sich daraus aber nicht viel zu machen, sondern war vielmehr entzückt von dieser Art der Beförderung! Die vier Reiter folgten nebeneinander dicht hinterher. Außer für den Fall, wo sie Veranlassung hatten, sich zu entfernen, um ein Rebhuhn zu schießen oder den Weg auszukundschaften, bildete Obiges die für eine lange Reihe von Tagen unveränderliche Zugordnung der kleinen Caravane.

Nach kurzer Ueberlegung wurde beschlossen, nächsten Weges nach der Quelle des Limpopo zu ziehen. In der That wies Alles darauf hin, daß Matakit auch dieser Richtung gefolgt sein werde. Er konnte übrigens eine andere gar nicht einschlagen, da es ihm darauf ankommen mußte, die britischen Besitzungen so bald als möglich im Rücken zu haben. Der Vortheil, den der Kaffer voraus hatte, bestand gleichzeitig in seiner gründlichen Landeskenntniß, wie in der Leichtigkeit seines Gefährts. So wußte er natürlich stets, wo er sich befand und wohin er sich auf nächstem Wege begab; in Folge seiner Bekanntschaft im Norden war er aber auch sicher, überall Unterstützung und Schutz, Nahrung und Unterkommen zu finden, sogar Helfershelfer, wenn sich das als nothwendig herausstellte. Und konnte man sicher sein, daß er seinen Einfluß auf die Eingebornen nicht benützte, um sich mit Gewalt Denen zu widersetzen, die ihm auf dem Fuße folgten und ihn vielleicht mit bewaffneter Hand anzugreifen drohten? Cyprien und seine Gefährten ersahen daraus mehr und mehr die Nothwendigkeit, sich zusammenzuhalten und bei dieser Expedition gegenseitig zu unterstützen, wenn sie überhaupt beabsichtigten, daß irgend einer von ihnen die Frucht von derselben einheimsen sollte.

Der Transvaal, der in der Richtung von Süden nach Norden durchzogen werden sollte, bildet ein sehr ausgedehntes Gebiet Südafrikas – von etwa dreißig Millionen Hektaren – das sich zwischen dem Vaal und dem Limpopo ausdehnt und westlich von den Drakenbergen, der englischen Colonie Natal, dem Lande der Zulus und den portugiesischen Besitzungen gelegen ist.

Vollkommen besiedelt von den Boers, das sind die früheren holländischen Bürger des Caps der Guten Hoffnung, welche sich hier binnen fünfzehn bis zwanzig Jahren zu einer landbauenden Bevölkerung von über hunderttausend Weißen vermehrt haben, erregte der Transvaal natürlich die Habgier Großbritanniens, welches das Land 1877 auch seinem Besitzstand hinzufügte. Die ungemein häufige Empörung der Boers, welche mit Aufgebot aller Mittel unabhängig bleiben wollen, läßt die Zukunft dieses schönen Landstriches noch immer in Ungewißheit. Es ist einer der lachendsten und fruchtbarsten von Afrika und gleichzeitig einer der gesündesten, und das erklärt wohl hinlänglich – wenn es sie auch nicht rechtfertigt – die Anziehung, welche dieses Gebiet auf die stets zu fürchtenden Nachbarn ausübt. Auch die Goldlager, welche hier entdeckt wurden, haben natürlich einen nicht minder großen Einfluß auf die politische Handlungsweise Englands gegenüber dem Transvaal gehabt.

Geographisch trennt man das Land, in Uebereinstimmung mit den Boers selbst, in drei Hauptregionen: Das Hochland oder Hooge-Veld, das Hügelland oder Banken-Veld und das Buschland oder Bush-Veld.

Das Hochland bildet den südlichsten Theil. Es besteht aus Gebirgsketten, die sich von den Drakenbergen nach Westen und Süden hin fortsetzen. Hier ist der eigentliche Minendistrict des Transvaal zu suchen und hier herrscht ein kaltes, trockenes Klima, etwa wie im Berner Oberland.

Das Hügelland ist speciell die Gegend des Landbaues. Im Norden des ersteren gelegen, beherbergt es in seinen tiefen, von zahlreichen Wasserläufen getrennten und von immergrünen Bäumen beschatteten Thälern den größten Theil der holländischen Bewohnerschaft.

Der Bush-Veld oder das Buschland, gleichzeitig das reichste Jagdgebiet, erstreckt sich dann in weiten Ebenen bis zu den Ufern des Limpopo nach Norden und grenzt im Westen an das Land der Betchuana-Kaffern.

Von Potchefstrom, das im Banken-Veld liegt, ausgehend, hatten die Reisenden erst in schräger Richtung den größten Theil dieses Gebietes zu durchziehen, bevor sie den Banken-Veld und von da, weiter im Norden, die Ufer des Limpopo erreichten.

Dieser erste Theil des Transvaal war natürlich am leichtesten zu bereisen. Hier befand man sich noch immer in halbcivilisirtem Lande. Die größten Schwierigkeiten und Unfälle beschränkten sich auf eine ziemlich morastige Straße und einen erkrankten Büffel. Wilde Enten, Rebhühner und Ziegen gab es längs des Weges in Menge, und die Flinten lieferten alltäglich den Bedarf für das Frühstück, wie für das Mittagsbrot. Die Nacht wurde gewöhnlich in einer Farm zugebracht, deren von dem übrigen Theil der Welt jährlich neun Monate abgeschlossene Bewohner die unerwartet ankommenden Gäste stets mit froher Herzlichkeit aufnehmen.

Gastfreundlich, zuvorkommend und uninteressirt erwiesen sich die Boers hier wie überall. Die Landessitte verlangt zwar, daß man ihnen für die Unterkunft der Menschen und Thiere eine Entschädigung anbietet, sie schlagen diese jedoch so gut wie immer aus und bestehen sogar noch meist darauf, daß der Fremde bei der Weiterreise von ihnen Mehl, Orangen und eingemachte Pfirsiche annimmt. Ueberläßt man ihnen dafür irgend einen für die Pferdezucht oder die Jagd anwendbaren Gegenstand, vielleicht eine Peitsche, eine Kinnkette oder einen Pulversack, so sind sie ganz entzückt darüber, so gering der eigentliche Werth desselben auch sein mochte.

Die braven Leute führen in ihren ausgedehnten Einöden ein stilles und friedlich verlaufendes Leben; sie ernähren sich ohne große Mühe mit ihren Familien von den Erzeugnissen, welche ihnen ihre Heerden liefern, und bebauen mit Hilfe von Kaffern und Hottentotten das Land, um ohne großen Aufwand Getreide und Gemüse in Hülle und Fülle zu ernten.

Ihre Häuser sind sehr einfach aus Lehm errichtet und mit dicken Strohdächern überdeckt. Macht der Regen einmal eine Bresche in die Mauern – was freilich zuweilen vorkommt – so haben sie das Heilmittel bei der Hand. Die ganze Familie beschäftigt sich damit, Lehm zu kneten, von dem ein großer Haufen hergestellt wird; dann nehmen Sohn und Tochter diesen handweise und eröffnen ein Bombardement auf die Bresche, welche in dieser Weise bald geschlossen wird.

Im Innern der Wohnung findet man kaum einige Möbel, höchstens Holzschemel, grobe Tische und Betten für erwachsene Personen; die Kinder nehmen mit einem Lager auf Schaffell vorlieb.

Trotzdem findet noch die Kunst eine Stätte unter diesen urwüchsigen Verhältnissen. Fast alle Boers sind musikalisch und spielen Geige oder Flöte. Sie tanzen mit wahrhafter Begeisterung und kennen weder Hindernisse noch Anstrengung, wenn es gilt – manchmal auf eine Entfernung von zwanzig Lieues – sich zu versammeln, um diesem Lieblingszeitvertreib obzuliegen.

Die Töchter des Landes sind sehr bescheiden und sehen in der schmucken holländischen Bauerntracht oft sehr hübsch aus. Sie treten sehr zeitig in die Ehe, bringen ihren Gatten aber nichts anders mit, als ein Dutzend Ochsen oder Ziegen, einen Karren oder einen anderen Schatz dieser Art. Der Ehemann übernimmt die Einrichtung des Wohnhauses, besorgt die Urbarmachung mehrerer Morgen Landes in der nächsten Umgebung, und damit ist der neue Hausstand gegründet.

Die Boers werden sehr alt, und nirgends auf der Erde begegnet man soviel Hundertjährigen wie hier.

Eine eigenthümliche und bisher unaufgeklärte Erscheinung ist die Fettsucht, welcher fast Alle im reiferen Alter verfallen, und die bei ihnen ganz erstaunliche Grade erreicht. Sie sind übrigens von sehr hohem Wuchse, und das trifft ebenso bei den Ansiedlern von französischem Ursprung, wie bei denen von deutscher oder holländischer Abstammung zu.

Die Reise ging inzwischen ohne Unfall von Statten. Nur selten erhielt die Expedition in jeder Farm, wo sie des Abends einkehrte, keine weiteren Nachrichten über Matakit. Ueberall war er, von seinem Strauße schnell dahingezogen, anfänglich zwei oder drei, später fünf bis sechs, endlich sieben bis acht Tage vorher durchgekommen. Offenbar also waren sie auf seiner Spur; aber ebenso offenbar gewann er täglich mehr Vorsprung gegen Die, welche auf seine Einholung ausgezogen waren.

Die vier Verfolger betrachteten es nichtsdestoweniger als ausgemacht, daß sie ihn erlangen würden. Der Flüchtling mußte ja schließlich Halt machen. Seine Gefangennahme erschien also lediglich als eine Frage der Zeit.

Cyprien und seine Genossen machten sich also darum auch keine besondere Sorge, sondern fingen im Gegentheil an, sich allmählich ihren Lieblingsbeschäftigungen hinzugeben.

Der junge Ingenieur suchte Steinproben, Friedel botanisirte und behauptete, er vermöge die Eigenschaften der von ihm gesammelten Pflanzen schon aus deren äußeren Erscheinung zu erkennen. Annibal Pantalacci machte sich rücksichtslos lustig auf Kosten Bardik’s oder Lî’s, und bemühte sich, für seine schlechten Späße dadurch Verzeihung zu erhalten, daß er auf den Haltestellen meist vorzügliche Maccaronis zubereitete. James Hilton übernahm es, die Caravane mit eßbarem Wild zu versehen, und es verging kaum ein halber Tag, ohne daß er ein Dutzend Rebhühner, Wachteln in Ueberfluß und zuweilen einen Eber oder eine Antilope erlegte.

Etappe nach Etappe gelangte man auf diese Weise nach dem Bush-Veld. Bald wurden nun die Farmen immer seltener und hörten endlich ganz auf. Man hatte die äußersten Grenzen der Civilisation erreicht.

Von hier aus mußte man nun jeden Abend selbst ein Lager zurecht machen und ein großes Feuer anzünden, rings um welches Menschen und Thiere sich niederstreckten, um zu schlafen, wobei natürlich immer Einer oder der Andere auf die Umgebung Acht haben mußte.

Die Landschaft hatte schon ein mehr und mehr wildes Aussehen angenommen. Ebenen mit gelblichem Sande, Dickichte mit Dornengebüsch, dann und wann ein von Sümpfen umgebener Bach traten jetzt an die Stelle der grünen Thäler des Banken-Veld. Manchmal mußte auch ein Umweg eingeschlagen werden, um einen wirklichen Wald von »thorn trees« oder Dornenbäumen zu umgehen. Es sind das nämlich Gesträuche von drei bis fünf Meter Höhe mit ungemein vielen wagrecht stehenden Aesten, welche zahlreiche zwei bis vier Zoll lange, harte und dolchähnliche spitze Dornen tragen.

Diese äußere Zone des Bush-Veld, welche gewöhnlich mit dem Namen Lion-Veld oder Löwen-Veld bezeichnet wird, schien kaum ihrem schlimmen Namen zu entsprechen, denn auch nach drei- bis viertägiger Reise hatte sich noch keines dieser furchtbaren Raubthiere sehen lassen.

»Das beruht ohne Zweifel nur auf Überlieferungen, sagte sich Cyprien, und die Löwen werden weiter nach der Wüste zurückgewichen sein!«

Als er diesem Gedanken aber James Hilton gegenüber Worte verlieh, fing dieser geradewegs an zu lachen.

»Sie meinen, daß es hier keine Löwen gäbe? sagte er; das kommt einfach daher, daß Sie dieselben nicht zu sehen verstehen!

– Sehr schön, einen Löwen inmitten einer nackten Ebene nicht einmal zu sehen! erwiderte Cyprien in etwas ironischem Tone.

– Nun, ich wette um zehn Pfund, erklärte James Hilton, daß ich Ihnen vor Ablauf einer Stunde noch einen zeige, den Sie nicht vorher gesehen hatten.

– Ich wette aus Princip niemals, antwortete Cyprien, aber es würde mich sehr freuen, meine Erfahrungen zu erweitern.«

Man zog noch fünfundzwanzig bis dreißig Minuten weiter, ohne daß Jemand an die Löwen gedacht hätte, als James Hilton plötzlich rief:

»Meine Herren, betrachten Sie dort den Ameisenbau, der sich da unten zur Rechten erhebt.

– Das ist ‚was Rechtes! meinte Friedel. Seit zwei bis drei Tagen sehen wir gar nichts Anderes!«

Im Bush-Veld giebt es in der That kaum eine häufigere Erscheinung als diese großen Haufen von gelbem Lehm, welche von zahllosen Ameisen zusammengetragen sind und in größerer Entfernung abwechselnd mit einigem Buschwerk oder einer Gruppe magerer Mimosen die Einförmigkeit dieser weiten Ebenen unterbrechen.

James Hilton lachte für sich.

»Herr Méré, wenn Sie sich ein wenig in Galopp setzen wollen, um sich jenem Ameisenbau zu nähern – da, am Ende meines Fingers – so verspreche ich Ihnen, daß Sie, was Sie wünschten, zu sehen bekommen werden. Gehen Sie aber nicht zu nahe heran, denn die Sache könnte schlecht ablaufen.«

Cyprien gab seinem Pferde beide Sporen und ritt schnell nach dem Hügel zu, den ihm James Hilton als einen Ameisenbau bezeichnet hatte.

»Da nistet natürlich eine Löwenfamilie! sagte er, als Cyprien sich entfernt hatte. Ich setze gleich Eins gegen Zehn, daß jene gelben Haufen, die er für Ameisenbauten hält, nichts anderes sind.

– Per Bacco! Da hätten Sie freilich alle Ursache gehabt, ihm jede Annäherung zu Widerrathen!«

Als er aber bemerkte, daß Bardik und Lî ihn hörten, gab er seinen Worten eine andere Wendung.

»Der Frenchman wird einen schönen Schreck haben und uns viel zu lachen geben.«

Der Neapolitaner täuschte sich. Cyprien war nicht der Mann dazu, gleich »einen schönen Schreck zu haben«, wie er sagte. Zweihundert Schritt vor dem ihm gewiesenen Ziele erkannte er, um welch‘ schreckliches Ameisennest es sich hier handelte. Dasselbe entpuppte sich nämlich als ein ungeheurer Löwe, eine Löwin und drei junge Löwen, welche im Kreise an der Erde lagen und friedlich in der Sonne schliefen. Bei den Hufschlägen Templars öffnete der Löwe die Augen, erhob den gewaltigen Kopf, gähnte, wobei er zwischen zwei Reihen ungeheurer Zähne einen Rachen zeigte, in dem ein zehnjähriges Kind hätte mit Haut und Haar verschwinden können. Dann starrte er den Reiter an, der bis auf zwanzig Schritte an ihn herangekommen war.

Zum Glück mochte die Bestie keinen Hunger haben, sonst wäre sie nicht so gleichgiltig geblieben.

Cyprien hielt schon die Hand am Carabiner und wartete zwei bis drei Minuten, was seine Majestät der Löwe zu thun beschließen würde. Da er sich aber überzeugte, daß dieser keine Lust zum Beginn von Feindseligkeiten zu haben schien, fühlte auch er sich nicht aufgelegt, das Glück dieser interessanten Familie zu stören, sondern warf sein Pferd herum und sprengte mit verhängtem Zügel wieder seinen Genossen entgegen.

In gezwungener Anerkennung seiner Kaltblütigkeit und bewiesenen Muthes, empfingen ihn diese mit lauten Beifallsrufen.

»Ich würde meine Wette verloren haben, Herr Hilton,« gab Cyprien darauf allein Antwort.

Am nämlichen Abend gelangte man noch so weit, um am Ufer des Limpopo selbst zu rasten. Obwohl James Hilton ihm davon abrieth, bestand doch Friedel darauf, heute eine Schüssel Fische zu fangen.

»Das ist höchst ungesund, Kamerad! sagte dieser. Vergessen Sie niemals, daß es im Bush-Veld nicht rathsam ist, weder am Ufer der Flüsse zu verweilen, noch …

– Bah! Bah! Ich habe schon manchen Anderen angeln sehen! antwortete der Deutsche mit der seiner Nation eigenthümlichen Hartnäckigkeit.

– Oho, meinte Annibal Pantalacci, was kann wohl Schlimmes dabei sein, eine oder zwei Stunden am Wasserrande zu sitzen? Habe ich nicht auf der Entenjagd, durchnäßt bis zu den Achseln, halbe Tage lang so ausharren müssen?

– Das ist nicht ganz dieselbe Sache! erwiderte James Hilton.

– Ah was, es ist doch alles Eins! … entgegnete der Neapolitaner. Mein lieber Hilton, Sie thäten weit besser, den Kasten mit dem Käse zu meinen Maccaronis zu holen, als daß Sie unseren Kameraden abhalten wollen, eine Schüssel Fische zu fangen. Das wird unserem Speisezettel eine wünschenswerthe Abwechslung verleihen!«

Ohne noch Lehre anzunehmen, ging Friede! weg und trieb seine Angelei so lange fort, daß es schon völlig Nacht war, als er nach dem Lagerplatz zurückkehrte.

Der starrköpfige Angler schmauste mit bestem Appetit, ließ sich ebenso wie die Anderen die gefangenen Fische vortrefflich munden, aber er klagte schon über heftiges Frösteln, als er sich am Wege neben seinen Kameraden zur Ruhe niederlegte.

Mit Anbruch des folgenden Tages, als sich Alle zur Weiterreise rüsteten, war Friedel die Beute eines hitzigen Fiebers und unmöglich im Stande, ein Pferd zu besteigen. Er verlangte nichtsdestoweniger, daß man ohne Zögern aufbrechen möge, da er sich auf dem Stroh im Wagen ganz wohl befinden werde. Man that also, wie er wünschte.

Zu Mittag begann er zu deliriren.

Um drei Uhr war er verschieden.

Seine Krankheit bestand in einem Sumpffieber der gefährlichsten Art.

Angesichts dieses plötzlichen Endes konnte Cyprien sich nicht enthalten, zu denken, daß Annibal Pantalucci durch seine schlechten Rathschläge bei diesem Vorfalle eine schwere Verantwortlichkeit auf sich geladen habe. Außer ihm schien freilich Niemand daran zu denken.

»Sie sehen, wie sehr ich Recht hatte, daß man bei anbrechender Nacht nicht am Flußufer verweilen soll!« begnügte sich James Hilton mit philosophischer Gelassenheit zu wiederholen.

Die Gesellschaft machte kurze Zeit Halt, um den Leichnam, der doch nicht den wilden Thieren preisgegeben werden sollte, zu beerdigen.

Er war ein Rivale, fast ein Feind, und doch fühlte Cyprien sich tief erregt, als er ihm die letzten Ehren erwies. Der Anblick des Todes, der ja immer ein erhabener und feierlicher ist, scheint inmitten der Wüste nur noch eindrucksvoller zu werden. Allein im Angesichte der Natur, erkennt der Mensch noch deutlicher dieses unvermeidliche Ende. Fern von seiner Familie, fern von Allen, die er liebt, fliegt sein Gedanke desto sehnlicher zu ihnen. Er sagt sich, daß morgen vielleicht auch er auf der unendlichen Ebene umsinkt, um sich nicht wieder zu erheben, daß auch er einen Fuß tief unter dem Sande vergraben werde, daß ein nackter Stein die Stelle bezeichnet, und daß ihm auf dem letzten Wege weder die Thränen einer Mutter oder Schwester, noch die Klagen eines Freundes das Geleit geben werden. Und indem er einen Theil des Mitgefühls, welches er für das Loos seines Kameraden empfindet, auf seine eigene Lage überträgt, erscheint es ihm, als ob ein Stück von ihm selbst in dem einfachen Grabe bestattet worden wäre.

Schon an dem, dieser traurigen Feierlichkeit folgenden Tage wurde auch Friedel’s Pferd, das an den Wagen gebunden worden war, von dem Veld-Fieber befallen, und mußte seinem Schicksale überlassen werden.

Das arme Thier hatte seinen Herrn nur um wenige Tage überlebt.

Erstes Capitel.


Erstes Capitel.

Rein toll, diese Franzosen!

»Reden Sie, mein Herr, ich höre!

– Ich erlaube mir um die Hand Ihrer Fräulein Tochter, der Miß Watkins anzuhalten.

– Um die Hand Alices?

– Ja, mein Herr. Meine Bitte scheint Sie zu überraschen, doch werden Sie verzeihen, wenn ich nur schwer begreife, warum Ihnen diese so außerordentlich erscheinen kann. Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt und heiße Cyprien Méré. Meines Standes Minen-Ingenieur, ging ich mit Nummer zwei aus der polytechnischen Schule ab. Meine Familie genießt ein verdientes Ansehen, wenn dieselbe auch nicht reich ist. Der französische Consul in der Capstadt würde das, wenn Sie es wünschen, bezeugen, er und mein Freund Pharamond Barthès, der Ihnen wohlbekannte unerschrockene Jäger, dessen Namen ganz Griqualand nennt, würde es bekräftigen können. Ich befand mich jetzt hier im Auftrage der Akademie der Wissenschaften und der Regierung Frankreichs. Letztes Jahr hab‘ ich vom Institut den Preis Houdart für meine Arbeiten über die chemische Zusammensetzung der vulkanischen Felsen der Auvergne errungen. Meine Abhandlung über das Diamantengebiet des Vaal, welche nahezu beendet ist, wird von der gelehrten Welt jedenfalls mit Freuden begrüßt werden. Nach der Heimkehr von meiner Mission werd‘ ich zum Hilfslehrer an der Bergwerksschule von Paris ernannt werden und habe mir schon eine Wohnung, Universitätsstraße Nr. 104 drei Treppen, vorbehalten. Meine Einkünfte belaufen sich vom nächsten ersten Januar ab auf 4800 Francs. Ich weiß, daß das kein Reichthum ist; doch durch Privatarbeiten, Untersuchungen, akademische Preise und Mitarbeiterschaft an wissenschaftlichen Zeitungen wird sich dieses Einkommen bequem verdoppeln. Ich füge hinzu, daß ich bei meiner bescheidenen Lebensweise nicht mehr brauche, um glücklich zu sein. Ich erlaube mir also, um die Hand Ihrer Fräulein Tochter, der Miß Watkins anzuhalten.«

Schon aus dem sicheren und entschlossenen Tone dieser Anrede war leicht zu entnehmen, daß Cyprien Méré die Gewohnheit hatte, in allen Dingen gerade auf’s Ziel loszusteuern und frei von der Leber weg zu reden.

Sein Gesichtsausdruck strafte die Wirkung seiner Worte auch nicht Lügen. Es war der eines jungen, gewohnheitsgemäß mit ernsten wissenschaftlichen Fragen beschäftigten Mannes, der den minderwerthigen Dingen dieser Welt nur die unumgänglich nothwendige Zeit opfert.

Seine kastanienbraunen, sehr kurz geschnittenen Haare, sein blonder, aber auch kurz gehaltener Bart, die Einfachheit seines Reisecostüms aus grauem Zwillich, der Strohhut für zehn Sous, den er beim Eintritte höflich auf einen Stuhl abgelegt hatte – während sein Gegenüber mit der gewöhnlichen Ungenirtheit der anglo-sächsischen Race immer den Kopf bedeckt hielt – Alles an Cyprien Méré; deutete auf einen ernsthaften Geist, ebenso wie sein klarer Blick auf ein reines Herz und unbeschwertes Gewissen hinwies.

Hierbei verdient bemerkt zu werden, daß der junge Franzose so vollkommen englisch sprach, als habe er sehr lange Zeit in den innersten Theilen des britannischen Königreichs gewohnt.

In einem Holzlehnstuhle sitzend, das linke Bein auf einen Strohsessel ausgestreckt, den Ellbogen auf die Ecke eines groben Tisches gestemmt und gegenüber einer Flasche mit Gin, nebst einem mit dieser starken alkoholischen Flüssigkeit halbgefüllten Glase, hörte ihn Mr. Watkins, eine lange Pfeife rauchend, gelassen an.

Bekleidet war der Mann mit weißer Hose, einer Weste aus grober blauer Leinwand und einem gelblichen Flanellhemd ohne Brustlatz und Kragen. Unter dem gewaltigen Filzhut, der gleich für immer auf seinem grauschimmernden Schädel festgeschraubt schien, zeigte sich ein ziemlich rothes, etwas aufgedunsenes Gesicht, welches wie mit Johannisbeergelée gefüllt erschien. Dieses wenig einnehmende Gesicht mit einzelnen Bartflocken war von zwei grauen Augen durchbohrt, welche nicht eben Geduld und Wohlwollen verriethen.

Zur Entschuldigung des Mr. Watkins muß freilich angeführt werden, daß derselbe heftig an Gicht litt, was ihn eben zwang, den linken Fuß wohl verpackt zu halten und die Gicht ist – im südlichen Afrika ebenso wie in anderen Ländern – keineswegs dazu angethan, den Charakter der Leute, deren Gelenke sie peinigt, zu mildern.

Der hier geschilderte Auftritt ging im Erdgeschoß der Farm des Mr. Watkins vor sich, etwa unter dem 29. Grade südlicher Breite und den 25. Grade östl. Länge von Greenwich, an der Westgrenze des Oranje-Freistaates, im Norden der englischen Capcolonie, d. h. in der Mitte des südlichen oder englisch-holländischen Afrikas. Dieses Land, dessen Grenze gegen den Südrand der großen Wüste von Kalakari das rechte Ufer des Oranjeflusses bildet, trägt auf älteren Landkarten noch den Namen Griqualand; wird aber seit etwa zehn Jahren richtiger »Diamonds-Field«, das Diamantenfeld, genannt.

Das Zimmer, in welchem diese diplomatische Verhandlung gepflogen wurde, war ebenso bemerkenswerth wegen des auf einzelne Stücke seiner Ausstattung verschwendeten Luxus, wie wegen der Aermlichkeit anderer Theile seiner Einrichtung. Der Fußboden zum Beispiel bestand nur aus festgeschlagenem Lehm, war aber da und dort wieder mit dicken Teppichen und kostbarem Pelzwerk belegt. An den Wänden, welche niemals eine Rolle Tapeten kennen gelernt hatten, hing eine prachtvolle Pendule in ciselirtem Kupfer, reiche Waffen verschiedenen Fabrikats und bunte englische Bilder in theuren Umrahmungen, Ein Sammetsopha stand zur Seite eines weißen, hölzernen Tisches, der mehr für den Gebrauch in einer Küche bestimmt sein mochte. Direct von Europa bezogene Lehnstühle streckten dem Mr. Watkins vergeblich ihre Armlehnen entgegen, da dieser ihnen einen alten, einst von eigener Hand geschnitzten Sessel vorzog. Im Ganzen verlieh diese unverständige Anhäufung von Werthgegenständen, vorzüglich aber das Durcheinander von Panther-, Leoparden- Giraffen- und Tigerkatzenfellen, die über allen Möbeln ausgebreitet lagen, dem Raume den Charakter einer gewissen barbarischen Opulenz.

Die Gestalt der Decke wies deutlich darauf hin, daß das Haus kein weiteres Stockwerk hatte und nur aus dem Erdgeschoß bestand. Wie alle hier zu Lande, war es zum Theil aus Planken, zum Theil aus Lehm errichtet und mit Zinkwellenblech, das auf leichtem Sparrenwerk ruhte, abgedeckt.

Uebrigens sah man, daß diese Wohnung erst vor nicht langer Zeit fertig geworden war. Man brauchte nur durch eines der Fenster zur Rechten hinauszusehen, um zur Rechten und zur Linken fünf oder sechs verlassene Baulichkeiten wahrzunehmen, welche sich alle glichen, aber von ungleichem Alter und offenbar dem raschen gänzlichen Verfall preisgegeben waren. Diese bildeten ebensoviele Häuser, welche Mr. Watkins nacheinander gebaut, bewohnt und verlassen hatte, je nach der Zunahme seines Wohlstandes, und welche also gewissermaßen die Stufen desselben bezeichneten.

Das entlegenste war nur aus Rasenstücken errichtet und verdiente kaum den Namen einer Hütte. Das nächstfolgende bestand aus Lehm, das dritte aus Lehm und Planken; das vierte aus Lehm und Zink. Man ersieht hieraus, wie der Fleiß des Mr. Watkins ihm gestattet hatte, in der Herstellung seiner Wohnung immer höhere Ziele zu verfolgen.

Alle diese mehr oder weniger verfallenen Baulichkeiten erhoben sich auf einem kleinen, nahe dem Zusammenflusse des Vaal und der Modder – dem Hauptarme des Oranjeflusses in diesem Theile Südafrikas – gelegenen Hügels. In der Umgebung sah man, so weit der Blick nur reichte, nach Südwesten und Norden nichts als eine traurige, nackte Ebene. Der Veld – wie man sich im Lande ausdrückt, besteht aus röthlichem, trockenem, unfruchtbarem und staubigem Boden, den nur da und dort etwas mageres Gras bedeckt oder ein Dornengebüsch unterbricht. Das völlige Fehlen von Bäumen ist der entscheidende Zug in diesen Gegenden. Rechnet man hierzu, daß es ebenso an Steinkohle gebricht, daß die Verbindung mit dem Meere eine langsame und beschwerliche ist, so wird man sich nicht wundern, daß es hier sehr an Brennmaterial mangelt und daß man für häusliche Zwecke sich genöthigt sieht, den Mist der Heerden zu verfeuern.

Auf diesem einförmigen Grunde von wirklich jämmerlichem Aussehen verliefen die Betten zweier Flüsse, aber so flach, so wenig eingedämmt, daß man kaum begreift, warum sie sich nicht gleich über die ganze weite Ebene ausbreiten.

Nur nach Osten hin wird der Horizont durch die entfernten Gipfel von zwei Bergen, dem Platberg und Paardeberg, unterbrochen, an deren Fuß ein sehr scharfes Auge vielleicht Rauchsäulen, Staubwirbel, kleine weiße Punkte – nämlich Hütten oder Zelte – und ringsum ein Gewimmel von lebenden Wesen erkennen kann.

Hier in diesem Veld liegen die in Ausbeutung begriffenen Diamantengruben, der Du Toi’s Pan, der New-Rush und, vielleicht der reichste Platz von allen, die Vandergaart-Kopje. Diese verschiedenen, frei zu Tage und fast in gleicher Ebene mit dem Boden liegenden Minen, welche man unter dem Namen Dry-Diggings oder trockene Gruben zusammenfaßt, haben seit 1870 Diamanten und andere kostbare Steine im Werthe von etwa vierhundert Millionen geliefert. Sie liegen alle in einem Umkreise von höchstens zwei bis drei Kilometern, und von den Fenstern der Farm Watkins, welche davon nur vier englische 1 Meilen entfernt ist, konnte man sie mit dem Fernrohre schon recht deutlich erkennen.

»Farm« erscheint hier übrigens als ein recht unpassendes Wort, denn auf diese Niederlassung angewendet, würde man in der Umgebung wenigstens vergeblich nach irgend welcher Cultur gesucht haben. Wie alle sogenannten Farmer in Südafrika war Mr. Watkins vielmehr Schäfer, d. h. Eigenthümer von Ochsen-, Ziegen- und Schafheerden, als wirklicher Leiter eines landwirthschaftlichen Betriebs.

Mr. Watkins hatte inzwischen noch nicht auf die ebenso höfliche, wie bestimmt ausgesprochene Anfrage Cyprien Méré’s geantwortet. Nachdem er sich drei Minuten Zeit zur Ueberlegung gegönnt, kam er endlich dazu, die Pfeife aus dem Mundwinkel zu nehmen, und sprach den folgenden Satz aus, der offenbar mit dem Anliegen des jungen Mannes in sehr zweifelhafter Verbindung stand.

»Ich glaube, die Witterung wird umschlagen, lieber Herr. Noch nie habe ich von meiner Gicht heftiger zu leiden gehabt, als seit heute Morgen!«

Der junge Ingenieur runzelte die Augenbrauen, wandte einen Moment den Kopf ab und mußte sich wirklich zusammennehmen, um seine Enttäuschung nicht gar zu sehr merken zu lassen.

»Sie würden gut thun, auf den Gin zu verzichten, Herr Watkins, antwortete er trocken, und zeigte dabei nach dem Steingutkrug, dessen Inhalt die wiederholten Angriffe des Trinkers schnell verminderten.

– Auf den Gin verzichten? By Jove, da geben Sie mir einen schönen Rath! rief der Farmer. Hat der Gin schon jemals einem ehrlichen Mann Schaden gethan? … Ja, ich weiß schon, wo Sie hinaus wollen! … Sie denken mich mit dem Recepte zu beglücken, das einst einem Lordmajor verordnet wurde. Wie hieß doch gleich der betreffende Arzt? Abernethy glaube ich. »Wollen Sie sich wohl befinden, sagte dieser zu dem an Gicht leidenden Patienten, so leben Sie für einen Schilling täglich und verdienen Sie sich diesen durch körperliche Arbeit!« – Das ist ja ganz gut und schön! Aber bei dem Heile unseres alten England, wenn man, um gesund zu bleiben, für einen Schilling täglich leben sollte, wozu hätte man sich dann überhaupt ein Vermögen erworben? Solche Dummheiten sind eines Mannes von Geist, wie Sie, Herr Méré, unwürdig! … Bitte, sprechen wir nicht mehr davon. Was mich angeht, halten Sie sich überzeugt, daß ich dann lieber gleich in die Grube fahren würde! Gut essen, tüchtig trinken, eine gute Pfeife rauchen, wenn mir die Lust dazu ankommt, eine andere Freude kenne ich auf der Welt nicht, und dieser wollen Sie mich noch berauben!

– O, das lag mir gewiß gänzlich fern, erwiderte Cyprien offenherzig. Ich erinnerte Sie nur an eine gesundheitliche Vorschrift, welche mir richtig erschien. Doch schweigen wir von diesem Thema, wenn Sie es wünschen, Herr Watkins, und kommen wir lieber auf den eigentlichen Grund meines heutigen Besuches zurück.«

So wortreich Mr. Watkins eben noch gewesen war, verfiel er jetzt doch sogleich in merkwürdiges Stillschweigen und blies stumm Rauchwolken in die Luft.

Da öffnete sich die Thür. Mit einem Glase auf silbernem Präsentirteller trat eben ein junges Mädchen in’s Zimmer.

Das hübsche Kind, der die große, auf den Farmen des Veld beliebte Haube ganz reizend stand, war mit einem einfachen, kleingeblümten Leinenkleide angethan. Neunzehn bis zwanzig Jahre alt, von sehr zartem Teint, mit schönem blonden, sehr feinem Haar, großen blauen Augen und sanften aber heiteren Zügen, war sie ein Bild der Gesundheit, der Grazie und des frohen Lebensmuthes.

»Guten Tag, Herr Méré, sagte sie auf Französisch, aber mit leichtem englischen Anklange.

– Guten Tag, Fräulein Alice, antwortete Cyprien Méré, der sich bei dem Eintritte des jungen Mädchens erhoben und vor ihr verneigt hatte.

– Ich hatte Sie kommen sehen, Herr Méré, fuhr Miß Watkins fort, wobei sie unter liebenswürdigem Lächeln die schönen weißen Zähne sehen ließ, und da ich weiß, daß Sie den abscheulichen Gin meines Vaters nicht lieben, bringe ich Ihnen ein Glas Orangeade, mit dem Wunsche, daß es schön frisch sein möge.

– Sehr liebenswürdig von Ihnen, mein Fräulein.

– Ah, da fällt mir ein, denken Sie sich, was Dada, mein Strauß, heute verzehrt hat, fuhr sie unbefangen fort. Meine Elfenbeinkugel zum Ausbessern der Strümpfe. Und die war übrigens ziemlich groß. Sie kennen sie ja, Herr Méré, ich erhielt sie erst direct vom Billard in New-Rush … Und dieser Vielfraß, die Dada, hat sie verschluckt, als wenn’s eine Pille wäre! Wahrlich, dieses böse Thier wird mich noch früher oder später vor Aerger umbringen.«

Während sie so sprach, bewahrte Miß Watkins im Winkel ihrer blauen Augen einen kleinen lustigen Strahl, der nicht auf besondere Lust, jene düstere Vorhersage, nicht einmal später, zu rechtfertigen, hinwies. Mit dem den Frauen eigenen Feingefühl bemerkte sie doch sehr bald das Stillschweigen ihres Vaters und des jungen Ingenieurs, sowie deren offenbar in Folge ihrer Gegenwart verlegenen Mienen.

»Es sieht ja aus, als ob ich die Herren belästigte, sagte sie; Sie wissen, daß ich sofort gehe, wenn Sie Geheimnisse haben, die für mein Ohr nicht bestimmt sind. Uebrigens hab‘ ich auch gar keine Zeit übrig Ich muß noch eine Sonate üben, bevor ich das Essen zurecht mache. Ja, ich sehe schon, Sie sind heute zum Plaudern nicht aufgelegt, meine Herren! – Gut, ich überlasse Sie Ihren schwarzen Anschlägen!«

Damit ging sie schon hinaus, kehrte jedoch noch einmal um und sagte gelassen, obwohl sie einen sehr ernsten Gegenstand berührte:

»Wenn Sie mich nun über den Sauerstoff fragen wollen, Herr Méré, stehe ich gern zu Ihrer Verfügung. Das Capitel der Chemie, welches Sie mir zum Lernen aufgaben, hab‘ ich nun dreimal durchgenommen, und jener »gasförmige, farb-, geruch- und geschmacklose Körper« hat für mich kein Geheimniß mehr.«

Dabei machte Miß Watkins eine graziöse Verbeugung und verschwand wie ein lichter Meteor.

Gleich darauf erklangen aus einem entfernten Zimmer her die Accorde eines vortrefflichen Pianos und verriethen, daß das junge Mädchen mit allem Eifer ihren musikalischen Uebungen oblag.

»Nun also, Herr Watkins,« nahm Cyprien, dem diese liebliche Erscheinung seine Frage wieder in Erinnerung gerufen hatte, wenn er sie überhaupt hätte vergessen können, das Wort, »wollen Sie mir gefälligst Antwort geben auf die Frage, welche ich die Ehre hatte, an Sie zu richten?«

Mr. Watkins nahm die Pfeife feierlichst aus dem Mundwinkel, spuckte einmal auf die Erde aus, und warf dann schnell den Kopf zurück, während seine Augen einen forschenden Blick auf den jungen Mann schossen.

»Sollten Sie, Herr Méré,« fragte er, »mit ihr zufällig schon davon gesprochen haben?«

– Gesprochen, worüber? … Gegen wen?

– Ueber das, was Sie eben sagten? … Gegen meine Tochter?

– Für wen halten Sie mich, Herr Watkins! erwiderte der junge Ingenieur mit einer Wärme, die keinen Zweifel aufkommen ließ. Ich bin Franzose, Herr Watkins! … Ich brauche Sie also wohl nicht zu versichern, daß ich mir nie erlaubt haben würde, ohne Ihre Zustimmung gegen Ihr Fräulein Tochter von einer Verheiratung zu sprechen!«

Mr. Watkins Blick wurde wieder sanfter, und damit schien sich auch seine Zunge besser zu lösen.

»Das ist am besten! … Brav, junger Mann! Ich erwartete von Ihrer Discretion gegenüber Alice nichts Anderes! antwortete er in ziemlich trockenem Tone. Und da man zu Ihnen Vertrauen haben kann, werden Sie mir Ihr Wort geben, ihr in Zukunft auch nichts davon zu erwähnen.

– Und warum, mein Herr?

– Weil diese Heirat unmöglich und es am besten ist, wenn Sie dieselbe gänzlich aus Ihren Plänen streichen, antwortete Mr. Watkins. Sie sind ein ehrenwerther junger Mann, Herr Méré, ein vollkommener Gentleman, ein ausgezeichneter Chemiker, ein hervorragender Lehrer Ihres Faches, von großer Zukunft – daran zweifle ich nicht im mindesten – meine Tochter aber werden Sie nicht erhalten, aus dem einfachen Grunde, weil ich bezüglich derselben ganz andere Absichten habe.

– Indeß, Herr Watkins …

– Kommen Sie nicht darauf zurück … Es wäre unnütz! … erwiderte der Farmer. Und wären Sie Herzog und Pair von England, so würden Sie mir doch nicht passen. Nun sind Sie nicht einmal englischer Unterthan und erklären eben mit größter Unbefangenheit, daß Sie auch kein Vermögen besitzen. Nun aufrichtig, glauben Sie, ich hätte meine Alice so erzogen, wie es geschehen ist, hätte ihr die besten Lehrer von Victoria und Bloëmfontain gehalten, um sie mit kaum vollendetem zwanzigsten Jahre aus dem Hause zu schicken, um in Paris, Universitätsstraße, im dritten Stockwerke zu leben, und das mit einem Manne, dessen Sprache ich nicht einmal verstehe? … Ueberlegen Sie sich das, mein Herr Méré, und denken Sie sich an meine Stelle! … Nehmen Sie an, Sie wären der Farmer John Watkins, Eigenthümer der Mine der Vandergaart-Kopje, und ich, ich wäre Herr Cyprien Méré, ein junger französischer Gelehrter, der zu Forschungszwecken nach dem Cap der Guten Hoffnung gekommen wäre. Malen Sie sich’s aus, Sie säßen hier im Zimmer, in meinem Lehnstuhle, und schlürften ihren Gin bei einer Pfeife des besten Hamburger Tabaks; würden Sie dann eine Minute, ja nur eine einzige, daran denken, Ihre Tochter unter diesen Verhältnissen heiraten zu lassen?

– Ganz gewiß, Herr Watkins, antwortete Cyprien, und ohne zu zögern, wenn ich an Ihnen diejenigen Eigenschaften gefunden zu haben glaubte, welche das Lebensglück meines Kindes gewährleisten könnten.

– So! Dann thäten Sie unrecht, mein lieber Herr, sehr unrecht! erwiderte Mr. Watkins. Sie handelten dann wie ein Mensch, der nicht würdig wäre, die Mine von Vandergaart-Kopje zu besitzen, oder Sie könnten diese vielmehr gar nicht besitzen. Denn glauben Sie vielleicht, sie wäre mir als gebratene Taube zugeflogen? Meinen Sie etwa, es hätte keiner Intelligenz, keines eisernen Fleißes bedurft, um sie anzulegen und vorzüglich mir deren Besitz zu sichern? … Nun also, Herr Méré, diese verständige Einsicht, von welcher ich damals, bei jener denkwürdigen und entscheidenden Angelegenheit Beweise an den Tag gelegt habe, ziehe ich gern bei allen Vorkommnissen meines Lebens zu Rathe, und vorzüglich dann, wenn diese auch meine Tochter betreffen. Eben deshalb aber wiederhole ich Ihnen, streichen Sie diese Pläne aus Ihren Papieren. Alice ist nicht für Sie geschaffen!«

Nach diesen mit triumphirendem Tone ausgesprochenen Schlußworten ergriff Mr. Watkins sein Glas und that daraus einen herzhaften Zug.

Der junge Ingenieur war wie vom Donner gerührt und wußte keine Antwort zu finden. Als der Farmer das bemerkte, trieb er ihn noch weiter in die Enge.

»Sie sind doch sonderbare Schwärmer, die Franzosen! fuhr er fort; sie halten wahrlich gar nichts für unmöglich. Sie kommen an, als wenn sie vom Monde herabgefallen wären, erscheinen im Herzen vom Griqualand bei einem grundehrlichen Manne, der bis vor drei Monaten noch kein Sterbenswörtchen von ihnen gehört, und den sie selbst kaum zehn Mal in diesen neunzig Tagen gesehen haben. Sie suchen denselben auf und sagen ohne Umstände zu ihm: John Stapleton Watkins, Sie haben eine reizende, vortrefflich erzogene Tochter, welche allgemein als die Perle des ganzen Landes angesehen wird, und die, was nicht eben schädlich ist, Ihre einzige Erbin zu der reichsten Diamant-Kopje der beiden Welten ist! Ich, ich bin Cyprien Méré, Ingenieur aus Paris, und habe viertausendachthundert Francs jährliches Einkommen! … Sie werden mir also gefälligst diese junge Dame als Gattin überlassen, damit ich sie in meine Heimat entführe, und Sie nichts wieder von ihr hören – höchstens aus der Ferne durch die Post oder den Telegraphen … Und das würden Sie natürlich finden? … Ich, ich halte es für die reine Tollheit!«

Ganz bleich geworden, hatte Cyprien sich erhoben. Er ergriff seinen Hut und bereitete sich, fortzugehen.

»Ja, die reine Tollheit, wiederholte der Farmer. Ah, ich überzuckere die Pille nicht, junger Freund. Ich bin eben Engländer von altem Schrot und Korn. Wie Sie mich hier sehen, bin ich zwar genau so arm gewesen wie Sie, ja, eigentlich noch weit ärmer. Ich habe mich in Allem versucht! … Ich war Schiffsjunge an Bord eines Handelsschiffes; war Büffeljäger in Dakota, Minengräber in Arizona, Schafhirt im Transvaal! … Ich habe Hitze und Kälte, Hunger und Strapazen kennen gelernt! Im Schweiße meines Angesichts habe ich zwanzig lange Jahre hindurch das Bischen Zwieback verdient, das mein Mittagsmahl bildete. Als ich die selige Mistreß Watkins, die Mutter Alices und die Tochter eines Boër von französischer Abstammung wie Sie 2 – um Ihnen das beiläufig mitzutheilen – heiratete, hatten wir beide zusammen nicht so viel, um eine Ziege ernähren zu können! Aber ich habe gearbeitet … habe nie den Muth sinken lassen! Jetzt bin ich reich und denke die Früchte meiner Anstrengungen gemächlich zu genießen. –

Meine Tochter will ich jedenfalls in der Nähe behalten – um mich bei den verteufelten Gichtanfällen zu pflegen und mir des Abends zum Zeitvertreib etwas vorzuspielen! … Wenn sich dieselbe jemals verheiratet, so wird das hier an Ort und Stelle sein, und mit einem Sohne des Landes, der ihr ein entsprechendes Vermögen zubringt, der Farmer oder Diamantengräber ist, wie wir Andere, und der mir nicht davon spricht, fortzugehen, um im dritten Stockwerk am Hungertuche zu nagen in einem Lande, wohin ich doch nimmermehr einen Fuß setzen werde, Sie könnte zum Beispiel den James Hilton oder einen andern Burschen seines Schlages zum Manne nehmen. An Bewerbern fehlt es ihr nicht, das dürfen Sie mir auf’s Wort glauben. Kurz, es muß ein guter Engländer sein, der nicht vor einem Glase Gin Reißaus nimmt und der mir Gesellschaft leistet, wenn ich eine Pfeife Knaster rauche.«

Cyprien hatte schon die Hand auf den Drücker der Thüre gelegt, um diesen Raum zu verlassen, in dem er fast erstickte.

»Na, nichts für ungut! rief ihm Mr. Watkins zu. Ich habe gegen Ihre Person sonst gewiß nicht das Geringste, lieber Méré, und werde Sie immer gern als Abmiether und Freund in meinem Hause sehen. Halt, warten Sie einmal, heut‘ Abend werden gerade einige Personen zu uns zu Tische kommen … wollen Sie uns vielleicht Gesellschaft leisten? …

– Nein, ich danke, Herr Watkins! antwortete Cyprien kühl. Ich muß bis zum Abgange der Post meine Correspondenz fertig stellen.«

Damit verließ er leicht grüßend den gichtbrüchigen Farmer.

»Rein toll, diese Franzosen … rein toll!« wiederholte noch öfter Mr. Watkins, während er mit einem, ihm stets zur Hand liegenden Schwefelfaden seine Pfeife wieder in Brand setzte.

Und mit einem tüchtigen Glase Gin suchte er sich wieder vollständig in Ordnung zu bringen.

  1. Die englische Meile mißt 1609 Meter.
  2. Ein große Anzahl von Boërs oder afrikanischen Holländer-Bauern stammen ursprünglich von Franzosen ab, welche in Folge der Aufhebung des Edicts von Nantes erst nach Holland und dann nach dem Cap auswanderten.