Drittes Capitel.


Drittes Capitel.

Ein wenig, in aller Freundschaft gelehrte Wissenschaft.

Der junge Ingenieur, zu seiner Ehre sei es gleich hier gesagt, war nicht nach dem Griqualande gekommen, um seine Zeit in dieser Atmosphäre von Habgier, Trunksucht und Tabaksrauch zu vergeuden. Er war beauftragt, in gewissen Theilen des Landes topographische und geologische Aufnahmen vorzunehmen, Proben von diamantartigem Gestein und Erdarten zu sammeln und gleich an Ort und Stelle eingehende Untersuchungen derselben vorzunehmen. Seine erste Sorge bestand also darin, sich eine ruhige Wohnung zu verschaffen, wo er sein Laboratorium einrichten konnte, welches sozusagen als Mittelpunkt für die vorzunehmenden Ausflüge in dem Minendistricte dienen sollte.

Der kleine Hügel, aus dem sich die Farm Mr. Watkins‘ erhob, erregte bald seine Aufmerksamkeit als eine Stelle, welche für seine Arbeiten besonders günstig gelegen war. Hinreichend entfernt von dem Lagerplatze, um von dieser lärmenden Nachbarschaft nicht zu sehr gestört zu werden, befand sich Cyprien hier etwa eine Stunde von den entfernten Kopjen – denn der ganze Diamantenbezirk hatte nur einen, zehn bis zwölf Kilometer nicht übersteigenden Umfang. So genügte dem jungen Ingenieur denn ein halber Tag, um eines der verlassenen Häuser von John Watkins auszuwählen, sich mit Letzterem über den Miethpreis zu einigen und sich daselbst einzurichten.

Der Farmer selbst kam ihm dabei ziemlich wohlwollend entgegen. Eigentlich langweilte er sich doch recht stark in seiner Einsamkeit und sah es mit großem Vergnügen, daß sich ganz in seiner Nähe ein junger Mann niederließ, durch den er einige Abwechslung in dem alltäglichen Treiben erwarten zu können hoffte.

Wenn Mr. Watkins darauf gerechnet hatte, in ihm einen Tischgenossen und Liebhaber der Ginflasche zu finden, so hatte er sich freilich arg getäuscht. Kaum fertig mit der Aufstellung seiner Retorten, Oefen und Reagenzgläser in dem verlassenen Häuschen, und selbst noch bevor die wichtigsten Stücke seines Laboratoriums eingetroffen waren, begann Cyprien schon seine geologischen Ausflüge in die Umgebung. Auch des Abends, wenn er gänzlich erschöpft und beladen mit Felsenbruchstücken in seiner Zinktrommel, in der Jagdtasche, in den übrigen Taschen und oft selbst im Hute heimkam, empfand er natürlich weit mehr Verlangen, sich niederzulegen und auszuschlafen, als auf die alten Erzählungen und das Geschwätz des Mr. Watkins zu lauschen. Uebrigens rauchte er sehr wenig und trank noch weniger. Das entsprach aber gar nicht der Vorstellung von einem lustigen Genossen, die sich der Farmer vorher zurecht gelegt hatte.

Nichtsdestoweniger benahm sich Cyprien so gefällig und gutmüthig, war er so einfach im Auftreten und trotz seiner reichen Kenntnisse bescheiden im Urtheil, daß es unmöglich wurde, ihn täglich zu sehen, ohne ihn lieb zu gewinnen. Mr. Watkins empfand also – vielleicht gab er sich darüber selbst gar keine Rechenschaft – weit mehr Achtung vor dem jungen Ingenieur, als er je vorher gegen Jemand gehegt hatte. Wenn der Bursche nur auch tüchtig getrunken hätte! Was soll einer aber anfangen mit einem Menschen, der seine Kehle niemals mit einem Tropfen Gin anfeuchtet? So lautete gewöhnlich der Schluß des Urtheils, welches der Farmer gelegentlich über seinen Miethsmann abgab.

Die Miß Watkins hatte sich sehr schnell mit dem jungen Gelehrten auf guten, freundschaftlichen Fuß zu stellen gewußt. Da sie an ihm ebenso sein feines Benehmen, wie eine geistige Ueberlegenheit erkannte, die ihrem gewöhnlichen Umgang völlig fehlte, ergriff sie eifrig die sich bietende Gelegenheit, durch Aneignung gründlicher Kenntnisse in der Experimentalchemie ihre übrigens nicht schlechte und ziemlich vielseitige Bildung zu bereichern, welche sie durch eigenen Fleiß aus verschiedenen wissenschaftlichen Werken geschöpft hatte.

Das Laboratorium des jungen Ingenieurs mit seinen merkwürdigen Apparaten interessirte sie ganz mächtig. Bezüglich alles dessen, was die Natur des Diamanten betraf, dieses kostbaren Steines, der in der Unterhaltung, wie in dem Handel des Landes eine so hervorragende Rolle spielte, herrschte zwischen ihr und ihm eine merkwürdige Übereinstimmung. Im Grunde war Alice nämlich geneigt, diesen Stein kaum höher als einen gewöhnlichen Kiesel zu schätzen. Cyprien – das bemerkte sie sehr bald – theilte nach dieser Seite offenbar ihre eigenen Anschauungen. Die gegenseitige Mittheilung dieser Ansichten trug natürlich noch dazu bei, das schnell geknüpfte Freundschaftsband zwischen ihnen nur zu befestigen.

Man darf wohl sagen, daß sie im Griqualande wohl die einzigen Wesen waren, welche den Endzweck des Lebens nicht allein darin erkannten, die kleinen Steine zu suchen, zu schleifen und zu verkaufen, die überall in der Welt so warm begehrt werden.

»Der Diamant, sagte eines Tages der junge Ingenieur, ist im Grunde weiter nichts, als eine reine Kohle; er besteht nur aus krystallisirtem Kohlenstoff, man kann ihn durch Feuer vernichten, wie jedes andere Brennmaterial, und eben diese Eigenschaft der Verbrennlichkeit hat zuerst zu einer Muthmaßung über seine eigentliche Natur geführt. Newton, der so Vieles scharf beobachtete, hatte wahrgenommen, daß der geschnittene Diamant das Licht stärker als alle anderen transparenten Körper zurückwarf. Da er nun wußte, daß dieser Charakter vor allem den brennbaren Substanzen zukommt, schloß er mit dem ihm eigenen Scharfsinn aus dieser Thatsache, daß der Diamant auch brennbar sein »müsse«, und das Experiment bestätigte völlig seine Annahme.

– Doch, Herr Méré, wenn der Diamant nichts Anderes als Kohle ist, warum wird er so theuer verkauft? fragte das junge Mädchen.

– Weil er sehr selten vorkommt, Fräulein Alice, antwortete Cyprien, und in der Natur bisher nur in ganz geringen Mengen gefunden wurde. Lange Zeit erhielt man denselben nur aus Indien, Brasilien und von der Insel Borneo. Ohne Zweifel entsinnen Sie sich, denn Sie mögen damals sieben bis acht Jahre alt gewesen sein, auch der Zeit, wo zum ersten Male auf das Vorkommen des geschätzten Edelsteins in dieser Südprovinz Afrikas hingewiesen wurde.

– Gewiß erinnere ich mich dessen, sagte Miß Watkins. Hier im Griqualande waren die Leute rein toll geworden. Man sah gar nichts mehr, als Männer mit Schaufeln und Hacken, welche den Boden untersuchten, den Bächen ein anderes Bett gaben, um darin den Grund zu besichtigen, und die nur noch von Diamanten träumten und von diesen sprachen. So klein ich damals auch war, Herr Méré, kann ich mich doch noch daran erinnern, daß ich manchmal nicht wußte, wo mir der Kopf stand. Sie sagten jedoch, der Diamant sei so theuer, weil er selten vorkommt Ist das seine einzige schätzenswerthe Eigenschaft?

– Nein, sicherlich nicht. Miß Watkins. Seine Durchsichtigkeit, sein Feuer, wenn er kunstgerecht geschnitten ist, um das Licht zurückzuwerfen, die Schwierigkeit dieser Bearbeitung selbst und endlich seine Alles übertreffende Härte machen ihn zu einem Körper, der auch für den Gelehrten hohes Interesse bietet und, nicht zu vergessen, ihn für die Industrie nützlich erscheinen läßt. Sie wissen, daß man ihn nur mit seinem eigenen Staube poliren kann, und eben seine Härte ist es, die seit einigen Jahren seine Verwendung beim Durchbohren von Felsen veranlaßte. Ohne Mithilfe dieses Steines würde es nicht allein sehr schwierig sein, Glas und andere harte Substanzen zu bearbeiten, sondern auch die Durchbohrung von Tunnels, von Bergwerksstollen, artesischen Brunnen und dergleichen würde sehr bedeutend erschwert sein.

– Ah, nun wird mir’s klar, sagte Alice, welche plötzlich eine gewisse Hochachtung vor den armen Diamanten, die sie früher kaum geschätzt hatte, bekam. Doch, Herr Méré, diese Kohle, von der Sie sagen, daß sie sich in krystallisirtem Zustande befindet, – nicht wahr, so ist es wohl richtig ausgedrückt – was ist diese Kohle im Grunde?

– Das ist ein sogenannter einfacher, nicht metallischer Körper, der sonst ungemein häufig in der Natur vorkommt, antwortete Cyprien. Alle organischen Verbindungen ohne jede Ausnahme, das Holz ebenso wie das Fleisch und Brot, enthalten davon eine gewisse Menge. Sie verdanken sogar der Gegenwart der Kohle oder des »Kohlenstoffes« unter ihren Elementen den Grad der Verwandtschaft, welche man zwischen ihnen beobachtet. – Wie merkwürdig! rief Miß Watkins. Also das Gebüsch da, das Gras dieser Weide, der Baum, der uns beschützt, das Fleisch meiner Dada, des Straußes, und ich selbst, auch Sie, Herr Méré, wir bestehen zum Theil aus Kohle … wie die Diamanten? In der Welt ist wohl Alles aus Kohle?

– Wahrhaftig, Fräulein Alice, schon lange Zeit hat man das sozusagen vorausgefühlt, die heutige Wissenschaft aber bringt Tag für Tag neue Beweise dafür bei; oder mit anderen Worten, sie verkleinert immer mehr und mehr die Zahl der einfachen Elementarkörper, an der früher Niemand zu rütteln wagte. Die Errungenschaften der Spectralanalyse haben in dieser Beziehung auf dem Gebiete der Chemie ganz neues Licht verbreitet. Es könnten vielleicht sogar die zweiundsechzig Substanzen, welche bisher als einfache Elemente oder Fundamental-Körper betrachtet wurden, nur auf einen einzigen Stoff zurückzuführen sein – z. B. auf Wasserstoff – der nur in Folge verschiedener elektrischer, dynamischer und calorischer Verhältnisse in wechselnder Gestalt erschiene.

– O, Sie machen mir Angst, mit so vielen hochtönenden Worten, rief Miß Watkins, erzählen Sie mir lieber mehr von der Kohle. Könnten die Herrn Chemiker diese denn nicht ebenso künstlich zum Krystallisiren bringen, wie zum Beispiel den Schwefel, von dem Sie mir kürzlich so hübsche Exemplare zeigten? Das wäre doch weit bequemer, als erst tiefe steile Löcher in die Erde zu graben, um darin Diamanten zu finden.

– Wohl hat man häufig versucht auszuführen, was Sie da erwähnen, sagte Cyprien, und sich bemüht, durch Krystallisation ganz reinen Kohlenstoffes künstliche Diamanten herzustellen, und bis zu einer gewissen Grenze ist das sogar als gelungen zu betrachten. Im Jahre 1853 haben Despretz, und ganz neuerdings ein anderer Gelehrter in England, wirklichen Diamantstaub erzeugt, indem sie ganz reine, von allen Mineralbestandtheilen befreite und übrigens aus Zucker gewonnene Kohle im luftleeren Raum einem sehr starken elektrischen Strome aussetzten. Das Problem ist jedoch noch nicht so weit gelöst, um schon eine gewerbliche Ausnützung desselben in Aussicht zu stellen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit freilich darf man das aber wohl nur als eine Frage der Zeit betrachten. Heute oder morgen, vielleicht in der Stunde, wo wir darüber sprechen, Miß Watkins, kann die künstliche Erzeugung von Diamanten recht wohl entdeckt worden sein.

So plauderten sie lustwandelnd auf der sandigen Terrasse, welche längs der Farm hinlief, oder saßen auch gegen Abend auf der luftigen Veranda und bewunderten die glänzenden Sterne des südlichen Himmels.

Dann verließ Alice den jungen Ingenieur, wenn sie ihn nicht mitnahm, um ihre kleine Straußheerde anzusehen, welche in einem Gehege, am Fuße der kleinen Anhöhe – auf der John Watkins‘ Wohnung sich befand – gehalten wurde. Der kleine weiße Kopf der Thiere, der den schwarzen Körper so hoch überragt, ihre langen, steifen Beine, die Büschel gelblicher Federn, welche die Flügelenden und den Schwanz zieren, alles das interessirte das junge Mädchen, die es sich seit einem oder zwei Jahren zum Vergnügen machte, ein ganzes Volk dieser riesigen Stelzfüßler aufzuziehen.

Gewöhnlich geht man gar nicht darauf aus, diese Thiere zu zähmen, sondern die Farmer des Caplandes lassen sie meist in halbwildem Zustande aufwachsen. Sie begnügen sich nämlich damit, dieselben in ein möglichst ausgedehntes Gehege einzuschließen, das von einem Zaune aus Messingdraht begrenzt ist – wie man in manchen Ländern solche Drahtwände längs der Eisenbahnstrecken errichtet sieht. Da die Flugfähigkeit der Strauße eine sehr beschränkte ist, vermögen sie nicht über diese ziemlich hohen Zäune zu gelangen. Hier leben sie also das ganze Jahr über in kaum empfundener Gefangenschaft, ernähren sich von dem, was sie finden, und suchen sich verborgene Plätze auf, wo sie ihre Eier ablegen, welche durch sehr strenge Gesetzbestimmungen vor den Händen Unbefugter geschützt sind. Nur zur Zeit der Mauser, wenn die von der Damenwelt Europas so gesuchten Federn eingesammelt werden sollen, treibt man die Strauße durch immer kleiner und kleiner werdende Gehege, bis sie zuletzt so dicht zusammengedrängt sind, daß sie leicht ergriffen und gerupft werden können.

Im Gebiete des Caplandes hat diese Industrie seit einigen Jahren einen bedeutenden Umfang gewonnen, und man darf sich mit Recht darüber wundern, daß sie so zögernd in Algerien eingeführt worden ist, wo sie aller Wahrscheinlichkeit nach den gleichen Erfolg verspricht. Jeder in obiger Weise in Gefangenschaft gehaltene Strauß bringt seinem Eigenthümer, ohne irgend welche nennenswerthe Spesen zu verursachen, ein jährliches Einkommen von hundertsechzig bis zweihundertvierzig Mark. Um das zu begreifen, muß man wissen, daß eine solche Feder von guter Qualität achtundvierzig bis fünfundsiebzig Mark Handelswerth hat, und daß selbst die mittleren und kleinen Federn noch ziemlich hoch bezahlt werden.

Miß Watkins freilich züchtete etwa ein Dutzend dieser großen Vögel nur zu ihrem persönlichen Vergnügen. Es interessirte sie, dieselben ihre ungeheueren Eier ausbrüten, oder sie mit ihren Küchlein ebenso zum Füttern heraneilen zu sehen, wie man das von den Hühnern und Truthühnern kennt. Cyprien begleitete sie zuweilen und streichelte dann gern eines der schönsten Thiere der Heerde, einen Strauß mit schwarzem Kopfe und goldigen Augen, eben jene besonders gepflegte Dada, welche die Elfenbeinkugel verschluckt hatte, die Alice beim Ausbessern von Strümpfen zu benützen pflegte.

Allmählich hatte Cyprien aber doch ein tieferes und wärmeres Gefühl für das junge Mädchen in seinem Herzen erwachen gefühlt, hatte sich gesagt, daß er, um sein Leben voller Arbeit und ernstem Streben zu theilen, keine Genossin von so unschuldigem Herzen, so lebhaftem Geiste und solcher Liebenswürdigkeit im Verein mit vielseitiger Bildung finden könne. Da Miß Watkins ihre Mutter sehr frühzeitig verlor und deshalb den väterlichen Haushalt zu führen genöthigt gewesen war, hatte sie sich dabei ebenso zur erfahrenen Hausfrau, wie zur wirklichen Weltdame ausgebildet, und gerade diese glückliche Mischung ungezwungenen, vornehmen Anstandes und anziehender Einfachheit verlieh ihr einen ganz besonderen Reiz. Ohne die oft thörichten Ansprüche so vieler europäischer Städterinnen, fürchtete sie sich nicht, mit eigener Hand den Teig zu einem Pudding zuzubereiten, den Mittagstisch zu überwachen und sich zu überzeugen, daß die Wäschevorräthe des Hauses immer in gutem Zustande waren. Das hinderte sie aber wieder nicht, Sonaten von Beethoven eben so gut und vielleicht noch besser als manche Andere zu spielen, zwei oder drei Sprachen geläufig zu sprechen, sich an Lectüre zu ergötzen, die Meisterwerke der Literatur aller Culturvölker zu würdigen und endlich bei den kleinen Gesellschaften, welche zuweilen im Hause des einen oder des anderen reichen Farmers der Umgegend abgehalten wurden, mit unzweifelhaftem Erfolge aufzutreten.

Deshalb darf man nicht glauben, daß geistig höher stehende Frauen in jenen Kreisen eine Seltenheit wären. Im Transvaal, wie in Amerika, in Australien und in allen neubesiedelten Ländern, wo die unerläßlichen Arbeiten einer sich überhastet vollziehenden Civilisation alle Thätigkeit der Männer in Anspruch nahmen, ist die Pflege des geistigen Gebiets weit mehr als in Europa fast ausschließliches Vorrecht der Frauen.

So findet man sie auch in allgemeiner Bildung und künstlerischer Fertigkeit ihren Männern und Söhnen meist stark überlegen. Fast alle Reisenden haben Gelegenheit gehabt, nicht ohne Verwunderung bei der Frau eines australischen Goldgräbers oder eines Squatters aus dem fernen Westen musikalische Talente neben gründlichen literarischen und wissenschaftlichen Kenntnissen zu beobachten.

Die Tochter eines Lumpensammlers von Omaha oder eines Fleischwaarenhändlers von Melbourne würde unzweifelhaft erröthen, wenn sie von sich sagen müßte, bezüglich der allgemeinen Bildung, des gesellschaftlichen Anstandes und der Verfeinerung überhaupt unter einer beliebigen Prinzessin des alten Europas zu stehen. In dem Oranje-Freistaate, wo die Erziehung der Mädchen schon längst mit der der Knaben auf gleicher Höhe steht, wo die Letzteren aber die Schulbänke zeitiger verlassen, ist der Unterschied zwischen beiden Geschlechtern noch greller als anderswo. Der Mann ist im Haushalte der »Bread-winner«, der Brodverdiener; er führt mit aller angebornen Rauhheit, mit der Rauhheit, welche ihm seine Beschäftigung in freier Luft aufdrückt, ein Leben voller Anstrengung und Gefahren. Die Frau dagegen erwählt als ihr Gebiet, neben der Erfüllung aller häuslichen Verpflichtungen, die Fortübung in Wissenschaften und Künsten, welche ihr Gatte verachtet oder vernachlässigt.

So ereignet es sich nicht selten, daß eine Blume von Schönheit und vornehmem Reiz gerade am Rande der Wüste aufblüht, und das war der Fall mit der Tochter des Farmers John Watkins.

Alles das hatte Cyprien sich gesagt, und, da er stets gerade auf’s Ziel loszugehen gewohnt war, nicht gezögert, seine Bewerbungen um Alice anzubringen.

Ach! Jetzt fiel er gänzlich aus den Wolken und bemerkte zum ersten Male die weite Kluft, welche unübersteiglich zwischen ihm und dem jungen Mädchen gähnte. Es versteht sich von selbst, daß er nach dieser entscheidenden Verhandlung mit recht schwerem Herzen in die eigene Wohnung zurückkehrte. Er war jedoch nicht der Mann, sich einer leeren Verzweiflung zu überlassen, sondern entschlossen, hier, wo er sich befand, zu arbeiten, und bald hatte er in rastloser Tätigkeit ein geeignetes Ableitungsmittel für seinen Kummer gefunden.

Nachdem er sich an seinen kleinen Tisch gesetzt, vollendete der junge Ingenieur mit rascher und sicherer Schrift einen langen vertraulichen Brief, den er am Morgen begonnen und der an seinen verehrten Lehrer Mr. J…, Mitglied der Akademie der Wissenschaften und Titular-Professor an der Bergwerkschule, gerichtet war.

»… Worauf ich in meinem officiellen Bericht nicht eingehen zu dürfen glaubte, schrieb er, weil es vorläufig nur eine Hypothese von mir betrifft, ist die Anschauung, welche ich mir auf Grund zahlreicher geologischer Beobachtungen über die eigentliche Art der Bildung des Diamanten geschaffen habe. Weder die Hypothese, die ihm einen vulkanischen Ursprung zuschreibt, noch die, welche sein Vorkommen in den mächtigen Schichtenlagern von großen Wasserströmen herleitet, haben mich ebensowenig überzeugen können, wie Sie selbst, hochgeehrter Herr Professor, und ich habe deshalb nicht nöthig, die Gründe zu wiederholen, welche uns zu dieser Ablehnung bestimmten. Die Entstehung des Diamanten an Ort und Stelle, und zwar unter Mitwirkung des Feuers, ist aber eine ebensowenig stichhaltige Erklärung, welche mich kaum mehr befriedigen könnte. Welcher Art sollte dieses Feuer sein, und warum hätte es nicht alle die andern kalkartigen Steine verändert, welche ganz regelmäßig in den Diamantenlagern vorkommen? Das erscheint mir, offen gestanden, etwas kindlich und ganz der Theorie der Wirbelstürme und der hakenförmigen Atome würdig.

»Die einzige Erklärung, welche mir, wenn auch nicht ganz, so doch in gewissem Grade das Richtige zu treffen scheint, läuft darauf hinaus, daß die stofflichen Bestandtheile des Edelsteins durch Wasser zugeführt wurden und daß sich der Krystall nachher an Ort und Stelle bildete. Mir fällt mit Bezug hierauf vorzüglich das Eigenthümliche, man möchte sagen, ganz gleichmäßige Profil der verschiedenen Ablagerungen auf, die ich gesehen und mit möglichster Sorgfalt gemessen habe. Alle bilden mehr oder weniger die Form einer Schale, einer Kapsel oder, noch besser, unter Berücksichtigung der Kruste, welche sie überdeckt, einer auf der Seite liegenden Kürbis-Jagdflasche. Jedes solche Lager bildet ein Reservoir von dreißig- bis vierzigtausend Kubikmeter Inhalt, welches von einem ganzen Conglomerat von Sand, Lehm und überhaupt Alluvialboden ausgefüllt erscheint, und das auf Urgebirge abgesetzt ist und denselben Charakter zeigt. Vorzüglich tritt dieser bei der Vandergaart-Kopje hervor, einer der neuentdeckten Fundstätten, welche, um das nebenbei zu bemerken, dem Eigenthümer des Häuschens gehört, in welchem ich jetzt an Sie schreibe.

»Schüttet man in ein Gefäß eine, verschiedene fremde Körper enthaltende Flüssigkeit, was geht dann vor? Die fremden Körper setzen sich speciell am Boden und längs der Ränder des Gefäßes ab. Nun gut, das ist genau derselbe Vorgang, der sich in einer Kopje abspielt. Diamanten findet man hier vor Allem im Grunde und gegen die Mitte des Bettes, ebenso wie an den äußersten Rändern derselben. Diese Thatsache ist so unzweifelhaft beobachtet, daß die dazwischenliegenden Claims meist schnell im Preise sinken, während die in der Mitte liegenden Claims und diejenigen, welche sich nahe dem Umfange befinden, dagegen schnell einen ungeheuren Werth erhalten, sobald die Gestalt des Fundplatzes hinlänglich bekannt ist. Die Analogie spricht sonach deutlich für die Herbeischaffung des Materials unter Mithilfe von Wasser.

»Außerdem weisen auch noch viele verschiedene Umstände, welche Sie in meinem Bericht aufgezählt finden, auf die Bildung der Krystalle an Ort und Stelle hin, während sie die Zuführung derselben in fertigem Zustande unwahrscheinlich machen. Um davon nur zwei oder drei zu wiederholen, sind die Diamanten fast stets in Gruppen von derselben Natur und der gleichen Farbe vereinigt, was gewiß nicht der Fall sein würde, wenn sie schon fertig von einem Wasserstrom mitgebracht worden wären. Häufig findet man zwei Stücke, die mit einander verklebt sind, so daß sie sich schon durch leichten Anschlag trennen lassen. Wie hätten diese also der Reibung und den sonstigen Zufälligkeiten bei einer Weiterführung durch Wasser widerstehen sollen? Dazu finden sich die großen Diamanten fast nur unterhalb eines Felsstückes, was darauf hinzuweisen scheint, daß gewisse, durch dieses bedingte Einflüsse, seine Wärmeausstrahlung oder irgend eine andere Ursache, die Krystallisation erleichtert haben. Endlich ist es selten, sogar sehr selten, daß große und kleine Diamanten nahe bei einander gefunden werden. Allemal, wenn man einen schönen Stein aufgräbt, liegt dieser isolirt. Es macht den Eindruck, als ob alle Diamanten-Elemente des betreffenden Nestes sich in diesem Falle, unter dem Einflusse unbekannter Ursachen, zu einem einzigen Krystalle vereinigt hätten.

»Diese Gründe, sowie noch mehrere andere, erfüllen mich mit der Ueberzeugung, daß nach Zuführung der Elementarstoffe der Krystallisation durch das Wasser die endliche Bildung der Steine an Ort und Stelle stattgefunden haben müsse.

»Woher aber nehmen diese Wasser den Weg, welche den organischen Detritus, der sich in Diamanten umformen sollte, mit sich führten? Darüber hab‘ ich mir trotz eingehendster Studien der verschiedenen Lagerstätten noch kein Urtheil bilden können.

»Eine weitere Erklärung hierüber würde immerhin von weittragender Bedeutung sein. Wenn man dazu gelangte, den Weg, welchen einst das Wasser genommen, zu erkennen, warum sollte man dann nicht bei Rückverfolgung desselben zu dem Punkte kommen, von dem die Diamanten ausgegangen sind, und wo sich ohne Zweifel eine bedeutend größere Menge derselben finden dürfte, als in den bis heute ausgebeuteten Lagerstätten? Das würde meine Theorie nach allen Seiten bestätigen, und mir eine große Befriedigung gewähren. Ich selbst habe diese Frage freilich ihrer Lösung kaum entgegenzuführen vermocht, denn ich stehe bereits nahe dem Ende meiner Mission, und es ist mir, wie erwähnt, bisher unmöglich gewesen, über jenen unaufgeklärten Punkt weiteres Licht zu verbreiten.

»Mit mehr Erfolg habe ich viele Analysen der Felsarten ausgeführt…«

In seinem vertraulichen Berichte ging der junge Ingenieur nun bezüglich seiner Arbeiten in technische Details ein, welche zweifellos für ihn und den Adressaten von großem Interesse waren, über die jedoch der profane Leser nicht das gleiche Urtheil fällen möchte. Es erscheint uns deshalb rathsam, ihn damit gänzlich zu verschonen.

Um Mitternacht, nachdem er seinen langen Bericht beendet, löschte Cyprien die Lampe, streckte sich in seinen Hamac, und schlief den Schlaf des Gerechten.

Arbeit überwindet jeden Kummer – wenigstens für einige Stunden – aber ein reizendes Trugbild drängte sich mehrmals in die Träume des jungen Gelehrten und schien ihm zuzuflüstern, daß er noch nicht ganz verzweifeln solle.

Zweites Capitel.


Zweites Capitel.

Im Diamantenfelde.

Was dem jungen Ingenieur in der ihm von Mr. Watkins zutheil gewordenen Erwiderung auf seinen Antrag am meisten zu Herzen ging, war der Umstand, daß dieselbe – von der Rauhheit ihrer Form einmal abgesehen – im Grunde gar nicht so ungerechtfertigt erschien. Bei näherer Ueberlegung erstaunte er jetzt selbst, nicht schon vorher die Einwendungen erwogen zu haben, die ihm der Farmer fast nothwendig machen würde, und wunderte sich, wie er sich überhaupt einer solchen Zurückweisung auszusetzen vermocht hatte.

In der That hatte er freilich bis zum jetzigen Augenblicke niemals an die Kluft gedacht, die ihn wegen des Unterschiedes in Vermögensverhältnissen, Abstammung, Erziehung und Umgang von dem jungen Mädchen trennte. Schon seit fünf bis sechs Jahren gewöhnt, die Mineralien nur von rein wissenschaftlichem Standpunkte zu betrachten, besaßen z. B. Diamanten in seinen Augen nur den Werth eigenthümlicher Exemplare von Kohlenstoffkörpern, die nur dazu geschaffen schienen, in den Sammlungen der Bergwerksschule ihren Platz auszufüllen. Da er in Frankreich überdem eine, die der Familie Watkins weit überragende sociale Stellung einnahm, hatte er den kaufmännischen Werth der im Besitz des reichen Farmers befindlichen Fundstätte ganz aus den Augen verloren. In Folge dessen war ihm auch niemals in den Sinn gekommen, daß zwischen der Tochter des Eigenthümers der Vandergaart-Kopje und ihm als französischem Ingenieur ein trennendes Mißverhältniß herrschen könne. Selbst wenn diese Frage vor ihm aufgetaucht wäre, würde er, in seinem gewohnten Vorstellungsgange als Pariser und ehemaliger Zögling der berühmten polytechnischen Schule daselbst wahrscheinlich zu dem Schlusse gelangt sein, daß vielmehr er mit jener Bewerbung einen Schritt thue, der ihn nahe an eine »Mißheirat« führte.

Die ganz unverblümte Strafpredigt des Mr. Watkins riß ihn jetzt sehr schmerzlich ans seinen Träumen. Cyprien besaß jedoch viel zu viel nüchternen Menschenverstand, um die sachlichen Einwürfe derselben nicht gebührend zu würdigen, und viel zu viel Ehrenhaftigkeit, um sich durch eine Entscheidung, die er im Grunde für richtig anerkannte, beleidigt zu fühlen.

Der Schlag, den ihm jene versetzte, wurde deshalb freilich nicht minder empfindlich, und gerade jetzt, wo er auf Alice verzichten sollte, bemerkte er plötzlich desto deutlicher, wie lieb und werth ihm diese während der verflossenen drei Monate geworden war.

In der That kannte Cyprien Méré das junge Mädchen seit kaum drei Monaten, d. h. seit seiner Ankunft im Griqualand.

Wie fern lag ihm das jetzt schon Alles! Er sah sich noch, nach einer durch Hitze und Staub höchst beschwerlichen Landreise am Ziele seiner langen Fahrt von einer Erdhalbkugel zur andern eintreffen.

Nachdem er mit seinem Freunde Pharamond Barthès – einem alten Studiengenossen, der nun schon zum dritten Male einen Jagdausflug nach dem südlichen Afrika unternahm – gelandet, hatte sich Cyprien bereits am Cap von diesem getrennt. Pharamond Barthès war nach dem Lande der Bassutos aufgebrochen, um dort eine kleine Schaar bewaffneter Neger anzuwerben, die ihn bei seinen cygenetischen Zügen begleiten sollten. Cyprien dagegen hatte in dem mit sieben Paar Pferden bespannten schwerfälligen Wagen Platz genommen, der auf den Straßen des Veld als Postomnibus dient, und war nach dem eigentlichen Diamantengebiete gereist.

Fünf oder sechs große Kisten und Koffer – ein vollständiges chemisches und mineralogisches Laboratorium bergend, von dem er sich nicht gern hatte trennen wollen – bildeten das Reisegepäck des jungen Gelehrten. Die Postkutsche gestattet jedem Reisenden aber nicht mehr als fünfzig Kilo an Effecten mit sich zu führen, und so war er gezwungen gewesen, seine kostbaren Koffer einem Büffelfuhrwerk anzuvertrauen, das dieselben jedenfalls mit ganz merovingischer Langsamkeit nach dem Griqualande befördern sollte.

Der Postwagen, wie gesagt eine Art zwölfsitziger Omnibus mit Leinwandplane, war auf einem rohen Gestell mit vier ungeheuren Rädern aufgebaut, welche immer von dem Wasser der Flußläufe, die durch eine Furth passirt wurden, naß blieben. Die paarweise vorgespannten Pferde, welche im Nothfall noch durch Maulthiere Unterstützung fanden, wurden von zwei, auf dem Bocke neben einander sitzenden Kutschern mit großer Geschicklichkeit geleitet; der eine Kutscher führt dabei die Zügel, während der andere mit Hilfe einer sehr langen, mehr einer Angelruthe mit Schnur gleichenden Bambuspeitsche das Gespann nicht nur nachhaltig antreibt, sondern es auch gleichzeitig mit lenken hilft.

Die Straße verläuft über Beaufort, eine hübsche, am Fuße der Nieuweld-Berge erbaute Stadt, über den Kamm der letzteren, wendet sich dann nach Victoria und führt endlich nach Hopetown – der Stadt der Hoffnung – am Ufer des Oranjeflusses, und von da nach Kimberley und nach den bedeutendsten Diamantenfundstätten, welche nur wenige Meilen davon entfernt sind.

Durch den öden Veld hat man eine traurige, höchst einförmige Fahrt von acht bis neun Tagen. Die Landschaft bietet fast überall einen geradezu trostlosen Anblick – röthliche Ebenen, mit ähnlich wie Moränen darauf verstreuten Steinen, graue Felsmassen im Niveau des Erdbodens, gelbliches, spärliches Gras und halbverhungerte Gesträuche, das ist Alles! Nirgends eine Spur von Cultur oder natürlichem Reiz. In weiteren Zwischenräumen eine elende Farm, deren Inhaber, wenn er von der Regierung die Landesconcession erhält, auch die Verpflichtung übernimmt, Reisende zu verpflegen. Das geschieht freilich nur in der primitivsten Weise. In diesen eigentümlichen Herbergen giebt es weder Betten für die Menschen, noch Lagerstätten für die Pferde; höchstens einige Büchsen mit conservirten Nahrungsmitteln, die womöglich schon ein paar Mal die Fahrt um die Erde mitgemacht haben, und die man fast mit Gold aufwiegen muß.

In Folge dessen werden die Zugthiere in den Ebenen freigelassen, um sich selbst Futter zu suchen, wovon sie indeß nur magere Grasbüschel zwischen den Feldsteinen finden. Wenn die Fahrt dann weiter gehen soll, macht es nicht geringe und mit ziemlichem Zeitverlust verknüpfte Mühe, jene wieder einzufangen.

Und welche Stöße giebt es in dem höchst primitiven Wagen auf den noch primitiveren Wegen! Die Sitze werden einfach von den Kastendecken gebildet, welche zur Unterbringung der Gepäckstücke dienen und auf denen der unglückliche Insasse eine endlos lange Woche lang die Rolle einer Mörserkeule spielt. Wie zur Wiedervergeltung rauchen die Reisenden Tag und Nacht wie Fabriksschlote, trinken unmäßig und speien nach Belieben aus. An ein erquickendes Schlafen ist unter solchen Umständen natürlich nicht zu denken.

Cyprien Méré befand sich also hier in Gesellschaft einer ausreichenden Musterkarte jener flottirenden Bevölkerung, welche aus allen Enden der Welt nach Gold- oder Diamantfundstätten zusammenströmt, sobald von solchen etwas verlautet. Hier war ein lendenlahmer großer Neapolitaner mit rabenschwarzem Haar, lederbraunem Gesicht und wenig Gutes versprechenden Augen, der Annibal Pantalacci zu heißen vorgab; ein portugiesischer Jude, Namens Nathan, der sich als Aufkäufer von Diamanten in seiner Ecke immer sehr still verhielt und die Menschheit als Philosoph betrachtete, ein Bergmann aus Lancashire, Thomas Steel, ein großer Kerl mit rothem Barte und mächtigen Hüften, der von der Steinkohle desectirte, um sein Glück im Griqualand zu versuchen; ein Deutscher, Herr Friedel, der gleich einem Orakel sprach und offenbar sehr bewandert in der Diamantengräberei war, ohne jemals einen solchen Stein in seiner Gangart gesehen zu haben; ferner ein Yankee mit sehr dünnen Lippen, der nie mit jemand Anderem als mit seiner Lederflasche sprach und auf den Concessionen jedenfalls eine jener Cantinen errichten wollte, wo die Steinesucher einen Löwenantheil ihrer Beute sitzen zu lassen pflegen; ein Farmer vom Ufer der Hart; ein Boer aus dem Oranje-Freistaate; ein Elfenbeinhändler, der nach dem Lande der Namaquas ging; zwei Ansiedler aus dem Transvaal-Gebiete, und endlich ein Chinese Namens Lî – wie es einem Sohne des Himmlischen Reiches zukommt, – vervollständigte die höchst scheckige nacktbrustige, zusammengelaufene und lärmende Gesellschaft, mit der ein, andern Umgang gewöhnter Mann nur je in die Lage kommen konnte, sich abfinden zu müssen.

Nachdem sich Cyprien eine Zeit lang mit den Gesichtern und dem Benehmen der Leute beschäftigt, wurde er dessen doch bald müde. Es blieben ihm nur Thomas Steel mit seiner mächtigen Gestalt und dem erschütternden Lachen, und der Chinese Lî mit seinen geschmeidigen, katzenartigen Bewegungen übrig, für die ihn einiges Interesse erfüllte. Der Neapolitaner dagegen mit seinen Narrenspossen und der Galgenphysiognomie machte auf ihn einen völlig widerwärtigen Eindruck.

Seit zwei oder drei Tagen schon lief einer der Lieblingsspäße des Kerls darauf hinaus, dem Chinesen an seinen, längs des Rückens hinabfallenden Zopf, den er entsprechend den Sitten seines Landes trug, eine Menge nichtsnutziger Gegenstände zu knüpfen, wie Grasbüschel, Krautstrünke, einen Kuhschweif oder ein vom Erdboden aufgelesenes Pferdeschulterblatt.

Ohne sich zu erhitzen, löste Lî den seiner langen Flechte heimlich hinzugefügten Appendix ab, gab aber weder durch ein Wort, noch durch eine Bewegung zu erkennen, daß der ihm gespielte Scherz die erlaubten Grenzen überschreite. Sein gelbes Gesicht wie die kleinen geschlitzten Augen bewahrten eine unerschütterliche Ruhe, als ständ‘ er dem, was um ihn her vorging, gänzlich fremd gegenüber. Man hätte glauben können, daß er kein Wort von dem verstand, was in dieser Arche Noah auf dem Wege nach dem Griqualande gesprochen wurde.

Annibal Pantalacci unterließ auch niemals, seine Späße niederer Ordnung in schlechtem Englisch mit dem nöthigen Commentar zu begleiten.

»Glauben Sie, daß seine gelbe Hautfarbe anstecken könnte?« fragte er seinen Nachbar ganz laut.

Oder auch:

»Wenn ich nur eine Scheere hätte, ihm den Zopf abzuschneiden, da sollten Sie staunen, was er für ein Gesicht dazu machen würde.«

Die meisten Andern lachten herzlich darüber. Die Heiterkeit wurde dadurch noch verdoppelt, daß die Boers immer einige Zeit brauchten, ehe sie verstanden, was der Neapolitaner eigentlich sagen wollte; dann überließen sie sich – gegen die übrige Gesellschaft meist um zwei bis drei Minuten im Rückstand – einer lärmenden, unbändigen Heiterkeit.

Endlich fing Cyprien an sich zu ärgern über diese Hartnäckigkeit, den armen Lî als Zielscheibe fader Späße zu benützen, und sprach sich Pantalacci gegenüber dahin aus, daß sein Betragen nicht besonders wohlanständig sei. Dieser schien zwar schon eine unverschämte Antwort auf der Zunge zu haben, aber ein einziges Wort Thomas Steel’s genügte, ihm den Mund zu schließen und den Stachel seines giftigen Spottes einziehen zu lassen.

»Nein, das ist kein ehrliches Spiel, so mit dem armen Teufel umzuspringen, der nicht einmal versteht, was Sie sagen!« meinte der wackere Bursche, der sich schon Vorwürfe machte, mit den Anderen gelacht zu haben.

Die Sache war damit also vorläufig abgethan. Bald nachher wunderte sich Cyprien einigermaßen, einen leichten ironischen Blick – in dem sich jedenfalls dankbare Anerkennung ausdrücken sollte – zu bemerken, den der Chinese ihm zuwandte, so daß er auf die Vermuthung kam, Lî möge doch vielleicht mehr Englisch verstehen, als er durchblicken zu lassen wünschte.

Vergeblich suchte Cyprien jedoch bei der nächsten Haltestelle ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen. Der Chinese blieb theilnahmlos und stumm. Mehr und mehr reizte der eigenthümliche Mann den Ingenieur, ebenso wie ein Räthsel, dessen Lösung er finden müsse. Cyprien konnte sich in Folge dessen auch nicht enthalten, seine Aufmerksamkeit wiederholt diesem gelblichen, platten Gesicht zuzuwenden, den feingeschnittenen Mund zu betrachten, der sich über einer Reihe sehr weißer Zähne öffnete, sowie die kurze, weit offene Nase, die breite Stirn und die schiefen Augen, welche der Mann fast immer niedergeschlagen hielt, als wolle er einen boshaften Blick verbergen.

Wie alt mochte Lî wohl sein? Fünfzehn Jahre oder sechzig? Das hätte man unmöglich entscheiden können. Wenn seine Zähne, sein Blick, die kohlschwarzen Haare noch auf die Jugend desselben hinzudeuten schienen, so sprachen doch die Falten der Stirn, wie die der Wangen und um den Mund für ein schon vorgeschritteneres Alter. Er war klein und schwach von Gestalt, lebhaft in seinen Bewegungen, hatte aber doch etwas Altmütterliches, überhaupt etwas Weibisches an sich.

War er reich oder arm? Wieder eine zweifelhafte Frage. Seine Beinkleider aus grauer Leinwand, die Blouse aus gelbem Seidenstoff, die Mütze aus geflochtener Schnur, und die Schuhe mit Filzsohlen, welche Strümpfe von untadelhafter Weiße bedeckten, konnten ebensogut einem Mandarin erster Classe, wie einem Manne aus dem Volke angehören. Sein Reisegepäck bestand in einem einzigen Koffer aus rothem Holz mit der schwarz mit Tinte angebrachten Aufschrift:

H. Lî
from Canton to the Cape,

d. h. H. Lî aus Canton, auf der Reise nach dem Cap.

Der Chinese erschien überdies ausgezeichnet reinlich, rauchte nicht, trank nur Wasser, und ließ keine Haltestelle vorübergehen, ohne sich den Kopf mit größter Sorgfalt zu rasiren.

Mehr konnte Cyprien nicht in Erfahrung bringen, und verzichtete also bald darauf, sich mit diesem lebenden Räthsel zu beschäftigen. Inzwischen verfloß Tag um Tag und reihte sich eine Meile an die andere. Manchmal trabten die Pferde ziemlich schnell dahin, ein andermal schien es unmöglich, ihren Schritt nur einigermaßen zu beschleunigen. Immerhin wurde der Weg nach und nach zurückgelegt, und eines schönen Tages kam der Personenwagen in Hope-town an. Noch eine Etappe, dann war Kimberley erreicht. Hinter diesem zeigten sich Holzhütten am Horizonte.

Das war New-Rush.

Der Lagerplatz der Minengräber unterschied sich kaum von den provisorischen Städten, wie sie in allen, der Civilisation unlängst erschlossenen Ländern fast durch Zauberschlag aus der Erde empor zu wachsen scheinen.

Häuser aus sehr dicken Brettern, meist sehr klein und etwa den Hütten entsprechend, wie man sie auf den Flößen europäischer Ströme findet; einige Zelte, ein Dutzend Kaffeehäuser oder Schänken, ein Billardsaal, eine Alhambra oder Tanzsalon, einige »Stores« oder Handelsläden mit den nothwendigsten Lebensbedürfnissen – das war der Anblick, der sich zunächst dem Auge des Fremdlings bot.

In diesen Läden gab es Alles: Kleidungsstücke und Hausgeräthe, Schuhe und Fensterscheiben, Bücher und Sättel, Waffen und Stoffe, Besen und Jagdmunition, Lagerdecken und Cigarren, frische Gemüse und Arzneien, Pflüge und Toiletteseifen, Nagelbürsten und concentrirte Milch, Backöfen und Steindruckbilder – mit einem Worte Alles – nur keine Einkäufer.

Die Insassen des Lagerplatzes waren zur Zeit noch in dem drei- bis vierhundert Meter entfernten New-Rush in den Minen bei der Arbeit.

Wie alle neuen Ankömmlinge, beeilte sich Cyprien Méré dahin zu gehen, während man in der prunkhaft mit dem Schilde »Hôtel Continental« geschmückten Hütte das Essen zurecht machte.

Es war jetzt gegen sechs Uhr Nachmittags. Schon hüllte sich die Sonne am Horizonte in einen feinen, goldigen Dunst. Der junge Ingenieur beobachtete hier noch einmal den besonders großen Durchmesser, den die Sonne und der Mond in südlicheren Breiten zu haben scheinen, ohne daß es bisher gelungen wäre, eine zufriedenstellende Erklärung dieser auffälligen Erscheinung beizubringen Dieser Durchmesser beträgt nämlich mindestens das Doppelte von dem, den man in Europa wahrnimmt.

Cyprien Méré erwartete aber ein noch weit ungewohnteres Schauspiel in der Kopje, das heißt in dem eigentlichen Diamantfelde.

Beim Anfang der Arbeit bildete die Mine einen flachen Hügel, der hier die im übrigen gleich der Meeresfläche glatte Ebene überragte. Jetzt aber erschien sie in Form einer gewaltigen Aushöhlung mit steilen Wänden, einer Art Circus von elliptischer Gestalt und vierhundert Quadratmeter Seitenfläche, der an derselben Stelle ausgehoben war. Auf dieser Fläche vertheilt, lagen nicht weniger als drei- oder vierhundert »Claims« oder Concessionen von je einunddreißig Fuß Breite, welche deren Inhaber ganz nach Belieben ausbeuteten.

Die Arbeit dabei besteht ganz einfach darin, mittelst Spitzhaue und Schaufel den Boden auszuheben, der im Allgemeinen aus rothem Sande mit Kieseln gemischt besteht. An den Rand der Minen befördert, wird diese Erde nach Erzscheidetischen geschafft, um gewaschen, zerkleinert, gesiebt und endlich mit größter Sorgfalt auf ihren etwaigen Gehalt an kostbaren Steinen untersucht zu werden.

Da diese Claims alle unabhängig von einander ausgegraben wurden, bilden sie natürlich Gruben von sehr verschiedener Tiefe. Die einen reichen wohl hundert Meter und noch mehr hinunter, während andere nur fünfzehn, zwanzig oder dreißig Meter tief sind.

Aus Rücksicht auf die Arbeit und den Verkehr ist jeder Concessionär durch amtliche Verordnung streng verpflichtet, an den Seiten seines Loches sieben Fuß Durchmesser unberührt stehen zu lassen. Diese Fläche bildet, im Verein mit einer gleich großen, welche der Nachbar liegen lassen muß, eine Art Straße oder Erdwall im Niveau mit dem eigentlichen Erdboden. Darauf kommt dann dicht aneinander eine Reihe Balken zu liegen, welche auf jeder Seite über den Rand noch einen Meter hinausragen, um dem Gang hinreichende Breite zu geben, daß zwei Karren bequem an einander vorübergelangen können. Zum Schaden der Solidität dieses schwebenden Weges wie der Sicherheit der Minengräber unterlassen es die Concessionäre leider nicht, den Fuß der Mauer allmählich und je weiter sie in die Tiefe dringen, zu untergraben, so daß dieser Wall, der oft die Höhe gewaltiger Kirchthürme übertrifft, endlich eine umgekehrte Pyramide bildet, die auf ihrer Spitze ruht. Die Folgen dieses unverzeihlichen Verfahrens sind leicht vorauszusehen. Die Minen stürzen eben häufig ein, entweder während der Regenzeit oder wenn eine plötzliche Temperaturveränderung die schon vorhandenen Sprünge in der Erdmasse erweitert. Trotz der periodischen Wiederkehr solcher Unfälle lassen sich die Diamantgräber aber nicht abhalten, ihre Wand bis zur äußersten Grenze abzuschachten.

Als Cyprien Méré sich der Mine näherte, sah er zunächst nichts als Karren, welche leer oder beladen auf dem schwebenden Wege dahinrollten. Weiter herangekommen, konnte er jedoch den Blick bis in die Tiefen dieses eigenartigen Steinbruchs fallen lassen und gewahrte nun die große Menge von Leuten jeder Race, Farbe und Tracht, welche eifrig im Grunde der Claims wühlten. Hier gab es Neger und Weiße, Europäer und Afrikaner, Mongolen und Kelten – die Meisten fast ganz nackt oder höchstens bekleidet mit Leinensandalen, Flanellhemden, einem baumwollenen Schurz und auf dem Kopf einen, häufig mit Straußfedern geschmückten Strohhut.

Alle diese Männer füllten die Erde in Ledereimer, welche dann sofort an den Rand der Gruben emporstiegen, indem sie an langen Eisenkabeln, gezogen von aus Kuhhäuten geschnittenen Riemen, welche über durchbrochenen Rollen liefen, dahinglitten. Hier wurden die Eimer ebensoschnell in Karren entleert und gelangten dann nach dem Grunde des Claims zurück, um wieder mit neuer Ladung emporzusteigen.

Diese langen Eisendrahtkabel, welche schräg über die von den Claims gebildeten länglichen Vierecke weggespannt sind, geben den »Drydiggings«, den trockenen Diamantgruben, ein ganz eigenthümliches Ansehen. Man möchte glauben, die Fäden eines riesenhaften Spinnengewebes vor sich zu sehen, dessen Herstellung plötzlich unterbrochen wurde.

Cyprien amüsirte sich einige Zeit mit der Betrachtung dieses menschlichen Ameisenhaufens, dann kehrte er nach New-Rush zurück, wo alsbald eine gewaltige Tischglocke ertönte. Dort fand er im Laufe des Abends Gelegenheit, die Einen von reichen Funden sprechen zu hören, Mineurs, so arm wie Hiob, welche durch einen einzigen Diamanten urplötzlich reiche Leute geworden waren, während wieder Andere sich über erfolglose Bemühungen, über die Habsucht der Unterhändler oder die Unzuverlässigkeit der in den Gruben beschäftigten Kaffern beklagten, welche oft die schönsten Steine stehlen sollten. Ueberhaupt trug das Gespräch einen rein technischen Charakter. Es drehte sich einzig allein um Diamanten, Karatgewicht und gleich um Hunderte von Pfund Sterling.

Im Großen und Ganzen machten die Leute einen elenden Eindruck, und auf einen glücklichen »Digger«, der geräuschvoll eine Flasche Champagner verlangte, um sein Glück anständig zu begießen, sah man zwanzig traurige Gesichter, deren Eigentümer sich mit einem sehr dünnen Bier begnügten.

Gelegentlich ging wohl auch ein Stein an dem Tische von Hand zu Hand, wurde gewogen, geprüft und abgeschätzt, um endlich wieder in dem Gürtel seines Eigenthümers zu verschwinden. Dieser halbgraue, glanzlose Kiesel, der nicht mehr Feuer zeigte, als jeder von einem Bergbache herabgerollte Feldstein, war der Diamant in seiner natürlichen Gangart.

Bei Einbruch der Nacht füllten sich die Kaffeehäuser, und wieder folgten sich die nämlichen Gespräche, welche schon das Mahl gewürzt hatten, jetzt aber begleitet von so manchem Glase Gin oder Brandy.

Cyprien selbst hatte sich bei Zeiten in einem Bette niedergelegt, das ihm unter einem dem »Hôtel« benachbarten Zelte angewiesen worden war. Hier schlief er bald ein, trotz des Geräusches eines Balles unter freiem Himmel, den sich die Kaffern aus der Umgebung gaben, und trotz des Geschmetters eines Klappenhorns, das in einem öffentlichen Salon den choreographischen Uebungen der weißen Herren den Tact angab.

Zwanzigstes Capitel.


Zwanzigstes Capitel.

Die Rückkehr.

John Watkins war nie schlechterer Laune gewesen als seit der Abfahrt der vier, zur Verfolgung Matakit’s ausgezogenen Bewerber. Jeder Tag, jede Woche, welche verstrich, schien in seiner Rechnung einen Querstrich mehr zu machen, indem sich damit die Aussicht, seinen kostbaren Stein wieder zu erlangen, immer mehr verminderte. Außerdem fehlten ihm seine gewohnten Gesellschafter, James Hilton, Friedel, Annibal Pantalacci und selbst Cyprien, den er ja so häufig neben sich sitzen sah. Er vertrieb sich die Zeit also nur mit dem Ginkruge, und wir müssen gestehen, daß die Alkoholzufuhr, welche er sich gestattete, seinen Charakter nicht gerade zu mildern geeignet war.

Dazu hatte man in der Farm alle Ursache, über das Schicksal der Ueberlebenden der Expedition ziemlich unruhig zu sein. Bardik nämlich, der, ganz wie die Andern es vermutheten, von einer Bande Kaffern abgefangen worden war, hatte diesen doch nach wenigen Tagen zu entwischen gewußt und bei der Rückkehr nach dem Griqualande dem Mr. Watkins von dem Tode Friedel’s und James Hilton’s erzählt. Das war doch für die überlebenden Zugtheilnehmer, Cyprien Méré, Annibal Pantalacci und den Chinesen, von ziemlich schlimmer Vorbedeutung.

Auch Alice fühlte sich höchst unglücklich. Sie sang jetzt nicht mehr und ihr Piano blieb völlig stumm. Kaum bewahrte sie noch einiges Interesse für ihre Straußheerde. Selbst Dada brachte es mit ihrer Gefräßigkeit nicht mehr dazu, ihr ein Lächeln abzunöthigen, und verschlang ungestraft, ohne daß Jemand das Thier daran zu hindern suchte, die verschiedenartigsten Gegenstände, die ihm in den Weg kamen.

Miß Watkins litt jetzt unter zweifacher Furcht, welche durch ihre Einbildungskraft noch mehr vergrößert wurde; die erste, daß Cyprien niemals von der unseligen Expedition wieder heimkehren könnte, und die zweite, daß Annibal Pantalacci, den sie von allen Bewerbern am meisten verabscheute, den »Südstern« bringen und den Preis für seinen Erfolg fordern könnte. Der Gedanke, gezwungen die Gattin dieses boshaften, rohen Neapolitaners zu werden, flößte ihr einen unbesiegbaren Widerwillen ein, vorzüglich seitdem sie einen Mann wie Cyprien Méré näher kennen und werthschätzen gelernt hatte. Sie dachte hieran am Tage, träumte davon in der Nacht, und ihre frischen Wangen erbleichten, ihre blauen Augen verhüllten sich unter einem immer dunkler werdenden Schleier.

Jetzt währte es schon drei Monate, daß sie schweigend und kummervoll wartete. Am heutigen Abend saß sie hinter dem Lichtschirme der Lampe neben ihrem Vater, der der Ginflasche besonders kräftig zugesprochen hatte. Den Kopf über eine Stickerei gebeugt, die sie angefangen hatte, um an Stelle der vernachlässigten Musik doch irgend etwas zu treiben, hing sie ihren Gedanken nach.

Da unterbrach ein gelindes Klopfen an der Thür ihre lange Träumerei.

»Herein! rief sie ziemlich verwundert und fragte sich, wer zu dieser Stunde bei ihnen noch vorsprechen könnte.

– O, ich bin’s nur, Miß Watkins!« erklang da eine Stimme, die ihr das Herz vor Freude hüpfen machte – die Stimme Cypriens.

Er war es in der That, der hier heimkehrte, aber bleich, abgezehrt, erschöpft, mit einem Barte, der ihn ganz unkenntlich machte, und in einer Kleidung, welche durch die lange Fahrt stark abgenützt war, aber noch immer lebhaft, immer höflich und zuvorkommend, immer mit leuchtenden Augen und lächelndem Munde.

Alice hatte sich mit einem Aufschrei der Freude und des Erstaunens erhoben. Mit einer Hand suchte sie das laute Klopfen ihres Herzens zu dämpfen, während sie die andre dein jungen Ingenieur entgegenstreckte, der sie warm in den seinigen drückte, als Mr. Watkins aus seinem Halbschlummer erwachte, sich die Augen rieb und fragte, was es denn Neues gäbe.

Der Farmer brauchte einige Minuten, um klar sehen zu lernen. Kaum hatte er aber einiges Verständniß der Sachlage erlangt, als auch ihm ein Schrei – ein Schrei aus der Tiefe des Herzens – entfuhr.

»Und der Diamant?«

Der Diamant war leider nicht mit zurückgekehrt.

Cyprien schilderte kurz die Vorkommnisse auf der Fahrt. Er erwähnte des Todes Friedel’s, Annibal Pantalacci’s und James Hilton’s, der Verfolgung Matakit’s und seiner Gefangenschaft bei Tonaïa – seine Rückkehr nach dem Griqualande natürlich verschwieg er – dagegen ließ er schon durchblicken, daß er von der Schuldlosigkeit des jungen Kaffern vollständig überzeugt sei.

Er vergaß nicht der Ergebenheit Bardik’s und Lî’s, wie der Freundschaft Pharamond Barthès‘ Anerkennung zu zollen, erzählte, was er dem wackren Jäger Alles zu danken habe und daß er nur durch seine Mithilfe von der für seine übrigen Begleiter so mörderischen Fahrt mit den beiden Dienern habe zurückkehren können. Unter der Erregung, welche sich seiner bei Schilderung der vielen tragischen Ereignisse bemächtigte, zog er gern einen Schleier über die verbrecherischen Absichten seiner Rivalen und wollte diese nur als Opfer eines gemeinsam gewagten Unternehmens betrachtet wissen. So erzählte er Alles, außer das Eine, worüber er Schweigen zu bewahren geschworen, das heißt das Vorhandensein jener Wundergrotte mit ihren Mineralschätzen, gegen welche alle Diamanten des Griqualandes nur werthlose Kiesel waren.

»Tonaïa, so schloß er seine Worte, kam seinen Verpflichtungen pünktlich nach. Zwei Tage nach meiner Ankunft in seiner Hauptstadt war Alles zu unserer Rückkehr fertig und besaßen wir außer dem nöthigen Mundvorrath auch Zugthiere und sichere Bedeckung. Unter Anführung des Königs selbst begleiteten uns dreihundert, mit Mehl und geräuchertem Fleische beladene Schwarze bis zum Lagerplatze, wo der Wagen zurückgelassen worden war, den wir unter seiner Laubdecke zum Glück in bestem Zustande antrafen. Dann verabschiedeten wir uns von unserem Gastwirthe, nachdem wir ihm fünf Gewehre, statt der vier, auf welche er rechnete, übergaben – ein Waffenvorrath, der jenen Herrscher in dem ganzen Gebiete zwischen dem Limpopo und dem Laufe des Zambesi so gut wie unüberwindlich macht.

– Doch Ihre Rückfahrt von jenem Lagerplatze aus? fragte Miß Watkins.

– Unsere Rückfahrt ging zwar langsam, aber ziemlich leicht und ohne Unfall von Statten, antwortete Cyprien. Die Begleitmannschaft verließ uns erst an der Grenze des Transvaal, wo auch Pharamond Barthès mit seinen Bassutos sich von uns trennte, um nach Durban zu ziehen. Nach vierzigtägigem Zuge quer durch das Veld, sehen Sie uns nun hier, aber leider um keinen Schritt weiter vorwärts, als bei der Abreise.

– Warum ist aber Matakit überhaupt entflohen? fragte Mr. Watkins, der dieser Erzählung mit großem Interesse gelauscht hatte, ohne übrigens wegen der drei Männer, welche nicht mehr wiederkehren sollten, eine besondere Theilnahme merken zu lassen.

– Matakit floh einfach, weil er an der »Furcht-Krankheit« litt, erwiderte der junge Ingenieur.

– Giebt es denn im Griqualand etwa keine Gerechtigkeit? versetzte der Farmer, die Schultern emporziehend.

– O, zuweilen eine gar zu summarische Justiz, Herr Watkins, und in der That, ich kann den armen, unschuldig angeklagten Kerl nicht allzusehr tadeln, daß er sich den Folgen der ersten, durch das Verschwinden des Diamanten hervorgebrachten Erregung zu entziehen suchte.

– Ich auch nicht, stimmte Alice ihm zu.

– Jedenfalls, das wiederhole ich Ihnen, war er nicht schuldig, und ich hoffe, daß man ihn in Zukunft in Ruhe läßt.

– Hm! brummte John Watkins, der von der Verläßlichkeit dieser Versicherung nicht so vollständig überzeugt schien. Glauben Sie wirklich nicht, daß dieser listige Matakit seinen Schreck nur geheuchelt hat, um sich den Händen der damals anwesenden Polizeibeamten zu entziehen?

– Nein, er ist unschuldig! … Meine Überzeugung steht nach dieser Seite unwandelbar fest, sagte Cyprien etwas trocken, und diese hab‘ ich wohl etwas theuer erkauft, glaub‘ ich!

– O, Sie mögen ja Ihre Ansicht behalten, rief John Watkins; ich werde deshalb doch bei der meinigen bleiben.«

Alice sah, daß das Gespräch eine unangenehme Wendung anzunehmen drohte, und wünschte dem zuvorzukommen.

»Da fällt mir ein, Herr Cyprien Méré, sagte sie, wissen Sie denn schon, daß Ihr Claim während Ihrer Abwesenheit ein ganz ausgezeichneter geworden, und daß Thomas Steele, Ihr Geschäftstheilhaber, auf bestem Wege ist, einer der reichsten Mineurs der Kopje zu werden?

– Nein, wahrhaftig nicht, antwortete Cyprien offenherzig. Mein erster Besuch galt Ihnen, Miß Watkins, und ich weiß überhaupt nichts von Allem, was sich während meines Fernseins ereignet hat.

– Vielleicht haben Sie noch nicht einmal zu Mittag gegessen? rief Alice mit dem ihr eigenen Instinkt der Hausfrau.

– Ich gestehe es! erwiderte Cyprien erröthend, obwohl er dazu ja keine besondere Ursache hatte.

– O, Sie dürfen aber nicht fortgehen, ohne gegessen zu haben, Herr Méré … ein Reconvalescent und nach so beschwerlicher Reise! … Bedenken Sie doch, es ist schon elf Uhr Abends!«

Ohne auf seine weiteren Einreden zu achten, lief sie nach der Speisekammer und brachte auf einem mit weißem Linnen bedeckten Brett mehrere Teller mit kaltem Fleisch nebst einer schönen, selbstgebackenen Pfirsichtorte herein.

Alles das wurde dem ziemlich verlegenen Cyprien vorgesetzt, und da er etwas zögerte, von dem vortrefflichen »Biltong,« eine Art Straußenconserve, zuzulangen, sagte Miß Watkins:

»Soll ich Ihnen vorschneiden?« Dabei lachte sie den jungen Mann mit heiterem Jugendmuthe an.

Bald verlangte auch der Farmer, dem die aufgestellten Leckereien selbst Appetit gemacht, einen Teller und eine Schnitte Biltong, Alice beeilte sich, ihn nicht warten zu lassen, und nur um den Herren Gesellschaft zu leisten, wie sie sagte, fing sie an einige Mandeln zu kosten.

Das improvisirte Mahl war vorzüglich. Niemals hatte der junge Ingenieur einen so unbezwinglichen Appetit empfunden. Er legte sich dreimal von der Pfirsichtorte vor, trank zwei Gläser Constancia-Wein und setzte seinen Uebungen dadurch die Krone auf, daß er zustimmte, den Gin des Mr. Watkins zu kosten, welch‘ Letzterer übrigens bald sanft einschlief.

»Und was haben Sie während dieser drei Monate begonnen? fragte Cyprien Alice. Ich fürchte, Sie werden Ihre Chemie völlig vergessen haben.

– O nein, darin irren Sie doch! antwortete Miß Watkins in etwas vorwurfsvollem Tone … Im Gegentheil, ich habe tüchtig studirt und mir sogar erlaubt, in Ihrem Laboratorium einige Experimente anzustellen. Doch seien Sie ruhig, ich habe nichts zerbrochen, und Alles wieder bestens geordnet. Offen gestanden, ich liebe die Chemie sehr und begreife kaum, wie Sie eine so schöne Wissenschaft hatten aufgeben können, um Minengräber oder Veldläufer zu werden!

– Aber Sie wissen doch, grausame Miß Watkins, aus welchem Grunde ich zeitweilig auf die Chemie verzichtete?

– Ich weiß davon gar nichts, erwiderte Alice roth werdend, und finde nur, daß das nicht recht ist! An Ihrer Stelle würde ich versuchen, Diamanten zu erzeugen; das ziemt Ihnen jedenfalls mehr, als solche unter der Erde zu suchen.

– Ist das ein Befehl, den Sie mir ertheilen? fragte Cyprien mit leise zitternder Stimme.

– O nein, antwortete Miß Watkins, höchstens eine Bitte! … Ach, Herr Méré, fuhr sie fort, wie um den leichten Ton ihrer ersten Worte zu verwischen, wenn Sie wüßten, wie unglücklich ich gewesen bin, Sie so vielen Anstrengungen und Gefahren ausgesetzt zu wissen. Wohl kannte ich sie im Einzelnen nicht, kann mir aber eine Vorstellung von dem Ganzen machen. Mußte ein Mann, wie Sie, sagte ich mir, der so gelehrt, so geeignet ist, die schönsten Arbeiten zu liefern, die wichtigsten Entdeckungen zu machen, mußte dieser der Gefahr ausgesetzt werden, in der Wüste vielleicht elend umzukommen, ohne Nutzen für die Wissenschaft und für die Menschheit vielleicht dem Bisse einer Schlange oder dem Tatzenschlage eines Tigers zu erliegen? … Wahrlich, es ist ein Verbrechen, daß man Sie abreisen ließ! … Und wie sehr hatte ich recht! Ist es nicht ein wahres Wunder zu nennen, daß Sie überhaupt zurückgekommen sind? Und ohne Ihren Freund Pharamond Barthès, den der Himmel dafür segnen möge … Sie beendete den Satz nicht, aber zwei große Thränen, die ihr in die Augen traten, vollendeten ihre Gedanken.

Auch Cyprien fühlte sich tief bewegt.

»O, zwei Thränen, die mir mehr werth sind, als alle Diamanten der Welt, und die mich noch ganz andere Anstrengungen vergessen machen würden!« sagte er einfach.

Jetzt entstand ein Stillschweigen, welches erst das junge Mädchen mit dem ihr eigenen Tacte dadurch unterbrach, daß sie das Gespräch wieder auf chemische Fragen lenkte.

Es war schon Mitternacht vorüber, als Cyprien sich entschließen konnte, nach seiner Wohnung zu gehen, wo ihn eine Anzahl Briefe aus der Heimat erwartete, welche Miß Watkins sorglich auf seinen Arbeitstisch gelegt hatte.

Wie es nach längerem Abwesendsein öfter vorkommt, wagte er diese Briefe kaum zu erbrechen. Wenn sie ihm nun Nachricht von einem Unglücksfalle brachten … sein Vater, seine Mutter, seine kleine Schwester Jeanne … Was hatte sich binnen drei Monaten nicht Alles ereignen können! …

Als sich der junge Ingenieur durch eine flüchtige Durchsicht seiner Briefe im Voraus überzeugt, daß sie ihm nur gute und erfreuliche Mitheilungen brachten, seufzte er erleichtert tief auf. Alle seine Lieben befanden sich wohl. Seine vorgesetzte Behörde ertheilte ihm warmes Lob für seine sinnreiche Theorie der Diamantbildung, und gestattete ihm gleichzeitig, noch ein halbes Jahr im Griqualand zu verweilen, wenn er das für die Wissenschaft für nutzbringend hielt. Alles gestaltete sich also nach Wunsch, und Cyprien schlief diesen Abend mit einem so leichten Herzen ein, wie er es lange Zeit nicht gekonnt.

Der folgende Vormittag verging mit Besuchen bei seinen Freunden, vorzüglich bei Thomas Steele, der in dem gemeinsamen Claim wirklich vorzügliche Funde gemacht hatte. Der brave Lancashireman empfing seinen Theilhaber deshalb mit nicht minderer Herzlichkeit. Cyprien verabredete mit ihm, daß Bardik und Lî ihre Arbeiten wieder aufnehmen sollten wie vorher. Er behielt sich vor, ihnen, wenn sie gute Erfolge erzielten, einen Theil abzutreten, um für sie allmählich ein kleines Capital zu sammeln.

Er selbst war freilich entschlossen, in der Mine das Glück nicht wieder zu versuchen, das ihm immer so ungünstig gewesen war, dagegen nahm er sich vor, nach dem Wunsche Alices wieder chemische Untersuchungen zu beginnen. Das Gespräch mit dem jungen Mädchen hatte überhaupt nur seine eigenen Absichten und Gedanken bestätigt; schon lange hatte er sich gesagt, daß weder die rauhe Handarbeit, noch abenteuerliche Züge für ihn der richtige Weg wären. Viel zu ehrenwerth und worthaltend, um nur einen Augenblick an einen Mißbrauch des Vertrauens Tonaïa’s zu denken und sich die Kenntniß zu Nutze zu machen, die er von der mit Krystallgebilden erfüllten Höhle besaß, erblickte er in dieser tatsächlichen Gewißheit nur eine höchst schätzenswerthe Bekräftigung seiner Theorie von der Entstehungsweise der edlen Steine, die seinen Forschungseifer nur weiter anzufeuern vermochte.

Cyprien nahm also das frühere Leben im Laboratorium wieder auf, er wollte aber nicht von dem Wege abweichen, auf dem er schon einmal Erfolg gehabt hatte, und entschied sich dahin, die früheren Untersuchungen wieder von vorn anzufangen. Dazu hatte er nicht nur einen Grund, sondern einen sehr zwingenden Grund, wie man leicht durchschauen wird. Seit der künstliche Diamant nämlich als unwiederbringlich verloren zu betrachten schien, sprach Mr. Watkins, wenn er vorher einer Verbindung Cypriens und Alices geneigt gewesen war, jetzt davon kein Wort mehr. Dagegen war ja anzunehmen, daß er, wenn es dem jungen Ingenieur gelang, noch einmal einen Stein von außerordentlichem, vielleicht Millionen betragendem Werthe herzustellen, doch auch zu der früheren Sinnesart zurückkehren könnte.

Cyprien entschloß sich daher, sofort an die Arbeit zu gehen, und machte gegenüber den Minengräbern der Vandergaart-Kopje daraus kein Geheimniß, wenigstens bemühte er sich in dieser Richtung nicht besonders.

Nachdem er sich ein neues und widerstandsfähigeres Rohr verschafft, begann er seine Arbeiten ganz in der früher geübten Art und Weise.

»Was mir jedoch fehlt, den Kohlenstoff in Krystallform zu erhalten, sagte er zu Alice, ist ein geeignetes Lösungsmittel desselben, welches durch Verdunstung oder durch Abkühlung die Erzeugung des Diamanten gestatten könnte. Für das Aluminium hat man dieses Lösungsmittel im Schwefelkohlenstoff, oder auch für dem ähnliche Körper, wie das Boron und das Silber, zu entdecken vermocht.«

Obwohl er indeß nicht im Besitz dieses Lösungsmittels war, betrieb Cyprien doch sein Werk mit allem Eifer. In Ermangelung Matakit’s, der sich aus Vorsicht im Lager noch nicht wieder sehen ließ, fiel es jetzt Bardik zu, das Feuer Tag und Nacht zu unterhalten. Dieses Auftrags entledigte derselbe sich übrigens mit gleichem Eifer wie sein Vorgänger.

Inzwischen und in der Voraussicht, daß er nach der, für seinen Aufenthalt im Griqualand jetzt festgestellten Frist doch wohl nach Europa zurückreisen müsse, wollte Cyprien auch noch eine, in seinem Bericht schon erwähnte Arbeit vornehmen, die er noch nicht hatte beendigen können; er gedachte nämlich, die ganz genaue Lage einer Bodendepression im Nordosten der Ebene zu bestimmen, eine Depression, welche er für den Ausflußort der Gewässer ansah, von denen in weit entlegener Zeit die Diamantbildungen des Distriktes überhaupt ausgegangen sein mochten.

Fünf oder sechs Tage nach seiner Heimkehr aus dem Transvaal beschäftigte er sich also mit dieser Bestimmung, der er, wie allen Arbeiten, die peinlichste Genauigkeit widmete. Schon seit einer Stunde hatte er mehrfach Stangen in die Erde gesteckt und trug die gefundenen Punkte in einen sehr speciellen Plan ein, den er sich in Kimberley verschafft hatte. Merkwürdiger Weise fand er aber bei allen Ziffern scheinbar starke Irrthümer und wenigstens keine Uebereinstimmung mit jenem Plane. Endlich konnte er sich der Einsicht nicht verschließen, daß der Plan falsch aufgenommen und Längen- und Breitengrade auf demselben nicht richtig eingetragen seien.

Um die Länge des Ortes zu bestimmen, bediente sich Cyprien genau zu Mittag eines ganz vorzüglichen, auf der Pariser Sternwarte regulirten Chronometers. Da er ferner von der Verläßlichkeit seines Compasses und seines Declinationsinstrumentes völlig überzeugt sein konnte, war es ihm leicht, bezüglich des Planes nachzuweisen, daß derselbe wirklich ziemlich grobe Orientationsfehler zeigte, wenigstens so weit das seine eigenen Aufnahmen erkennen ließen.

Der auf dieser Karte nach englischer Gewohnheit durch einen Pfeil mit verschobenem Kreuze bezeichnete Endpunkt lag thatsächlich im Nordnordwest oder doch ziemlich so weit seitwärts. In Folge dessen litten natürlich alle darauf gegründeten Angaben der Karte an entsprechender Ungenauigkeit.

»Aha, ich sehe, wie das gekommen ist! rief plötzlich der junge Ingenieur. Die gesattelten Esel, welche einst dieses Meisterwerk schufen, haben ganz einfach die Abweichung der Magnetnadel außer Acht gelassen. Hier beträgt dieselbe aber nicht weniger als neunundzwanzig Grad nach Westen … Daraus ergiebt sich, daß alle ihre Längen- und Breitenangaben, um richtig zu sein, gleichsam um ein Bogenstück von neunundzwanzig Graden in der Richtung von West nach Ost um den Mittelpunkt der Karte gedreht werden müssen! Man muß wahrlich glauben, daß England, um diese Aufnahmen zu machen, nicht seine geschicktesten Geometer hierher gesandt habe!«

Er lachte für sich über diesen Schnitzer.

»Gut! Errare humanum est! Möge Der den ersten Stein auf diese wackeren Leute werfen, der sich nie in seinem Leben, und wär’s auch nur ein einziges Mal, geirrt hätte!«

Cyprien hatte übrigens keine Ursache, die Richtigstellung, welche ihm eben bezüglich der Lage der Diamantengebiete gelungen war, zu verheimlichen. Als er an demselben Tage auf dem Wege nach der Farm Jacobus Vandergaart begegnete, machte er diesem also davon Mittheilung.

»Es ist wirklich merkwürdig, fügte er hinzu, daß ein so starker geodätischer 8 Fehler, welcher natürlich alle Pläne des Districts beeinflußt, nicht früher schon bemerkt worden ist. Er erheischt doch eine sehr bedeutende Berichtigung auf allen Karten des Landes.«

Der alte Steinschneider sah Cyprien mit eigenthümlichem Blicke an.

»Sprechen Sie die Wahrheit? fragte er voll Interesse.

– Gewiß!

– Und Sie wären bereit, diese Thatsache auch vor den zuständigen Behörden zu vertreten?

– Vor zehn Behörden, wenn es nöthig wäre!

– Es wird auch nicht möglich sein, Ihre Aussage zu widerlegen?

– Offenbar nicht, weil es schon hinreichen dürfte, auf die Ursache des Fehlers hinzuweisen. Er liegt doch wahrlich klar genug auf der Hand! Die magnetischen Abweichungen außer Acht zu lassen, das ist denn doch stark!«

Jacobus Vandergaart zog sich zurück, ohne etwas Weiteres zu sagen, und Cyprien hatte bald vergessen, mit welch besonderer Aufmerksamkeit dieser die Mittheilung aufgenommen, daß alle Karten des Districts einen bedeutenden Fehler enthielten.

Zwei oder drei Tage später aber, als Cyprien den alten Steinschneider wieder einmal aufsuchen wollte, fand er dessen Thür verschlossen

Auf der Füllung derselben las man nur die, erst kürzlich mit Kreide geschriebenen Worte:

»In Geschäften abwesend.«

  1. Historisch.

Fünfzehntes Capitel.


Fünfzehntes Capitel.

Ein Complot.

Nach Verlauf einer Woche kam die Expedition in eine Gegend, welche dem von der Grenze des Griqualandes her durchzogenen Gebiete in keiner Weise mehr ähnelte. Jetzt näherte man sich der Bergkette, welche nach allen vorher eingezogenen Erkundigungen Matakit als das wünschenswertheste Ziel erscheinen mußte. Die Nachbarschaft des Hochlandes ebenso wie die zahlreichen Wasserläufe, welche von demselben herabrinnen, kündigen sich hier durch eine, von der ebenen Gegend gänzlich verschiedene Flora und Fauna an.

Eines der ersten Thäler, welches sich hier vor den Reisenden aufthat, bot ihnen, es war kurz vor Sonnenuntergang, einen wirklich erquickenden und lachenden Anblick.

Zwischen zwei smaragdgrünen Wiesenflächen schlängelte sich ein Fluß mit so krystallklarem Wasser hin, daß der Grund seines Bettes überall sichtbar war. Obstbäume mit verschiedenfarbigem Laub bedeckten die Abhänge der das Thalbecken umrahmenden Hügel. Auf dem noch von der Sonne beschienenen Grund weideten Heerden von rothen Antilopen, Zebras und Büffeln friedlich unter dem Schatten gewaltiger Baobabs; in geringer Entfernung schleppte sich ein weißes Rhinoceros mit schwerem Schritte durch eine Waldlichtung nach dem Flußufer und grunzte schon vor Vergnügen, seine Fleischmasse in demselben umherzuwälzen. Hinter Gebüsche versteckt, gähnte ein nicht sichtbares Raubthier vor Langweile. Ein Waldesel ließ seine häßliche Stimme hören und Tausende von Affen jagten sich durch die Bäume.

Cyprien und seine Gefährten waren auf dem Gipfel des Hügels stehen geblieben, um das ihnen so neuartige Schauspiel zu betrachten. Sie sahen sich jetzt endlich in jenen jungfräulichen Gebieten, wo die wilden Thiere – noch immer die unbestreitbaren Herren des Landes – so glücklich und frei leben, daß sie von einer ihnen drohenden Gefahr nicht einmal eine Ahnung haben. Ueberraschend erschien hier nicht allein die Anzahl und die gemächliche Ruhe dieser Thiere, sondern auch die erstaunliche Abwechslung, welche die Fauna dieses Theils von Afrika kennzeichnet. Man erhält hier den Eindruck, als müßte man vor einem jener Bilder, auf welche ein Maler zum Vergnügen alle Hauptvertreter des gesammten Thierreichs vereinigt hat, stehen.

Einwohner gab es nur wenige. Inmitten dieses ausgedehnten Länderstriches können die Kaffern sicherlich nur ganz verstreut wohnen. Er gleicht einer Wüste, oder nähert sich einer solchen doch schon sehr. Obwohl befriedigt bezüglich seiner Wünsche als Gelehrter und Künstler, hätte sich Cyprien doch gern zurückversetzt gesehen in die prähistorische Zeit des Megatheriums und anderer antediluvianischer Thierriesen.

»Nur Elephanten fehlen noch, um das Fest vollständig zu machen!« rief er.

Da streckte Lî aber schon die Arme aus und zeigte inmitten einer größeren Waldblöße mehrere graue Massen. Von ferne hätte man sie, nicht allein wegen ihrer Unbeweglichkeit, sondern auch wegen ihrer Farbe, für Felsen ansehen können. In Wirklichkeit war es eine Heerde Elephanten. Die weite Ebene erschien davon auf eine Strecke von mehreren Meilen bevölkert.

»Du verstehst Dich also auf Elephanten?« fragte Cyprien den Chinesen, während der Halteplatz für die Nacht zurecht gemacht wurde.

Lî blinzelte mit den schiefen Augen.

»Ich habe zwei Jahre lang auf der Insel Ceylon als Jagdgehilfe gewohnt, antwortete er einfach, aber immer mit der Zurückhaltung, die er sich bei Allem, was ihn selbst betraf, aufzuerlegen pflegte.

– O, wenn wir davon einen oder zwei erlegen könnten! rief James Hilton, das wäre ein vortreffliches Jagdvergnügen …

– Ja, und eines, bei dem das Wild schon das Pulver werth ist, das seine Erlegung kostet! setzte Annibal Pantalacci hinzu. Zwei Elephantenstoßzähne geben eine hübsche Beute, und wir können ja leicht zwei- bis vier Dutzend solcher im Hintertheile des Wagens unterbringen! … Wißt Ihr, Kameraden, daß das allein hinreichte, alle Kosten unserer Fahrt zu ersetzen!

– Eine herrliche Idee, ließ sich James Hilton vernehmen. Warum sollten wir morgen vor der Weiterreise nicht den Versuch unternehmen?«

Die Frage wurde weiter besprochen und beschlossen, vor Aufhebung des Lagers beim ersten Tagesgrauen das Glück in dem Thale zu versuchen, wo jene Elephanten sich aufhielten.

Nachdem das abgemacht und das Abendessen rasch verzehrt war, zogen sich Alle, mit Ausnahme James Hilton’s, der die Nacht über als Wache bei dem angezündeten Feuer bleiben sollte, unter die Decke des Wagens zurück.

Zwei Stunden saß er schon allein und fing an, etwas schläfrig zu werden, als er sich leicht an den Ellenbogen gestoßen fühlte. Er schlug die Äugen wieder auf und bemerkte Annibal Pantalacci, der sich schon neben ihn gesetzt hatte.

»Ich kann nämlich nicht schlafen und meinte, es wäre dann besser, Ihnen ein wenig Gesellschaft zu leisten, sagte der Neapolitaner.

– Das ist sehr hübsch von Ihnen, sagte James Hilton, die Arme ausstreckend, mir würden aber ein paar Stunden Schlaf sehr angenehm sein. Wenn es Ihnen recht ist, können wir ja tauschen. Ich nehme Ihren Platz unter der Decke ein und Sie bleiben für mich hier.

– Nein, halt, ich habe mit Ihnen zu sprechen!« erwiderte Annibal Pantalacci mit gedämpfter Stimme.

Er warf einen scheuen Blick ringsumher, um sich zu überzeugen, ob sie wirklich allein seien, und fuhr fort:

»Haben Sie schon Elephanten gejagt?

– Ja, sagte James Hilton, zweimal.

– Nun gut, dann wissen Sie auch, wie gefährlich eine solche Jagd ist. Der Elephant ist gar so gescheidt, so listig und zur Verteidigung gut ausgerüstet. Es ist sehr selten, daß der Mensch im Kampfe gegen ihn nicht unterliegt.

– Zugegeben, das heißt, wenn Sie von ungeschickten Jägern reden, antwortete James Hilton. Mit einer guten, mit explodirenden Kugeln geladenen Büchse aber ist nicht so besonders viel zu fürchten.

– Das weiß ich wohl auch, erwiderte der Neapolitaner; immerhin kommen zuweilen Unfälle vor. Nehmen Sie an, ein solcher stieße morgen dem Frenchman zu, das wäre doch ein wirklicher Verlust für die Wissenschaft!

– Ein wirkliches Unglück!« bestätigte James Hilton.

Dazu lachte er ziemlich boshaft auf.

»Für uns freilich wäre das Unglück nicht allzu groß, meinte Annibal Pantalacci, ermuthigt durch das Lachen seines Gefährten. Wir wären dann eben nur noch Zwei, um Matakit und seinen Diamanten zu verfolgen, und unter Zweien fällt es ja nicht so schwer, ein freundschaftliches Übereinkommen zu treffen …«

Die beiden Männer blieben schweigend sitzen, ihre Blicke hefteten sich auf das knisternde Reisig und ihre Gedanken beschäftigten sich mit verbrecherischen Plänen.

»Ja unter Zweien kann man sich allemal verständigen! wiederholte der Neapolitaner, unter Dreien ist’s schon weit schwieriger!«

Noch einen Augenblick dauerte das Stillschweigen fort.

Plötzlich erhob Annibal Pantalacci den Kopf und bemühte sich, in der Finsterniß ringsum etwas zu erkennen.

»Haben Sie nichts gesehen? fragte er heimlich. Ich glaubte einen Schatten dort hinter dem Baobab zu bemerken.«

James Hilton blickte in der bezeichneten Richtung hin, so scharf sein Gesichtssinn aber auch war, konnte er in der Umgebung des Lagerplatzes doch nichts wahrnehmen.

»Es ist nichts, höchstens Wäsche, welche der Chinese zum Bleichen in den Morgenthau gelegt hat.«

Bald wurde das Gespräch zwischen den beiden Leuten, aber sehr gedämpft, wieder aufgenommen.

»Ich könnte die Patronen aus seiner Büchse nehmen, ohne daß er davon etwas bemerkt, sagte Annibal Pantalacci. Wenn er dann einen Elephanten angreift, feuere ich einen Gewehrschuß hinter ihm ab, so daß das Thier ihn unbedingt bemerken muß … das kann nicht lange dauern.

– ’s ist doch eine kitzliche Sache, die Sie da vorschlagen! warf James Hilton mit schwachem Widerspruche ein.

– Bah, lassen Sie mich nur machen, und Sie werden sehen, daß das ganz allein geht!« erwiderte der Neapolitaner.

Eine Stunde später, als er seinen Platz unter der Wagenplane wieder neben den Schlafenden einnahm, zündete Annibal Pantalacci vorsichtig ein Streichhölzchen an, um sich zu überzeugen, daß sich Niemand gerührt hatte. Er sah hierbei, daß Cyprien, Bardik und der Chinese in tiefem Schlafe lagen.

Mindestens sahen diese so aus. Wäre der Neapolitaner jedoch etwas schlauer gewesen, so hätte er erkennen müssen, daß Lî’s lautes Schnarchen nur gemacht und auf Täuschung berechnet war.

Mit Tagesanbruch waren Alle auf den Füßen. Annibal Pantalacci wußte die kurze Zeit zu benützen, wo Cyprien nach dem nahen Bache gegangen war, um die übliche Morgenwaschung vorzunehmen, und zog während dessen die Patronen aus der Büchse. Das war das Werk von zwanzig Secunden. Er befand sich dabei allein. Bardik bereitete eben den Kaffee und der Chinese holte die Wäsche zusammen, welche er während des nächtlichen Thaues zwischen zwei Baobabs auf seinen berühmten Strick gehangen hatte.

Nach eingenommenem Kaffee wurden die Pferde bestiegen, während der Wagen und die Zugthiere unter Bardik’s Obhut zurückblieben.

Lî hatte darum nachgesucht, die Reiter begleiten zu dürfen, und sich nur mit dem Jagdmesser seines Herrn bewaffnet.

Nach kaum einer halben Stunde gelangten die Jäger nach der Stelle, wo am vorigen Abend die Elephanten gesehen worden waren. Heute mußte man schon etwas weiter hinaus, um sie wieder zu finden und eine breite Blöße zu erreichen, welche sich zwischen dem Fuße des Berges und dem rechten Flußufer ausbreitete.

In der klaren, frischen, von der aufgehenden Sonne beleuchteten Luft, auf einem ungeheuren Teppich feinen Grases, der vom Thau noch ganz feucht war, befanden sich die Elephanten – wenigstens zwei- bis dreihundert – eben beim Frühstück. Die kleineren derselben sprangen munter um ihre Mütter umher oder saugten schweigend ihre Morgenration. Die großen weideten mit gesenktem Kopfe und weit umhersuchendem Rüssel das dichte Gras der Waldwiese ab. Fast alle wedelten mit den großen Ohren, welche etwa ledernen Mänteln ähnelten, die sie gleich indischen Punkas hin und her bewegten.

Die Ruhe dieses häuslichen Friedens hatte wirklich etwas Heiliges, so daß Cyprien sich fast ergriffen fühlte und seinen Gefährten vorschlug, auf den beabsichtigten Mord zu verzichten.

»Wozu diese unschädlichen Thiere tödten? sagte er. Ist es nicht besser, sie in ihrer Einsamkeit in Frieden weiden zu lassen?«

Aus mehr als einem Punkte konnte dieser Vorschlag Annibal Pantalacci jedoch nicht behagen.

»Wozu? erwiderte er höhnisch lächelnd, nun, um unsere Jagdtaschen zu füllen, indem wir uns einige Centner Elfenbein verschaffen. Fürchten Sie sich etwa vor den großen Thieren, Herr Méré?«

Cyprien zuckte die Achseln, ohne auf die Unverschämtheit zu achten; als er aber den Neapolitaner und seinen Gefährten weiter vorwärts nach der Lichtung gehen sah, schloß er sich ihnen an.

Jetzt befanden sich alle Drei kaum noch zweihundert Meter von den Elephanten entfernt. Wenn die mit so scharfem Gehörsinn begabten Thiere, welche schnell jede Gefahr wittern, die Annäherung der Jäger noch nicht bemerkt hatten, so kam das daher, daß diese sich unter dem Wind befanden, und außerdem durch ein Dickicht mächtiger Baobabs gedeckt waren.

Inzwischen begann doch einer der Elephanten Zeichen von Unruhe zu geben und erhob den Rüssel wie ein Fragezeichen.

»Jetzt gilt es, sagte Annibal Pantalacci leise. Wenn wir Erfolg haben wollen, so müssen wir uns trennen und Jeder unser Stück auf’s Korn nehmen, dann auf ein Signal zusammen feuern, denn schon beim ersten Schusse wird die ganze Heerde die Flucht ergreifen.«

Dieser Vorschlag wurde angenommen; James Hilton wandte sich nach rechts, Annibal Pantalacci ging gleichzeitig nach links hin, und Cyprien blieb allein im Centrum. Dann schlichen alle Drei nahe auf die Lichtung zu.

Zu seinem größten Erstaunen fühlte da Cyprien wie zwei Arme sich kräftig um ihn schlossen, während die Stimme Lî’s ihm in’s Ohr flüsterte:

»Ich bins! … Ich kroch hinter Ihnen, Herr! … sprechen Sie nicht … Sie werden gleich erfahren warum!«

Cyprien gelangte eben an die Grenze der Lichtung und befand sich jetzt von den Elephanten kaum noch dreißig Meter entfernt. Schon erhob er die Büchse, um auf jeden Fall bereit zu sein, als der Chinese ihm zuraunte:

»Ihre Büchse ist entladen! … Beunruhigen Sie sich deshalb nicht! Es wird schon Alles gut abgehen! …«

In diesem Augenblick ertönte ein schriller Pfiff, der als Zeichen zum Angriff dienen sollte, und gleichzeitig krachte ein Gewehrschuß – aber nur ein einziger – dicht hinter Cyprien.

Dieser drehte sich rasch um und bemerkte Annibal Pantalacci, der sich hinter dem Stamme eines Baumes zu verbergen suchte.

In demselben Augenblick nahm aber ein weit ernsterer Umstand seine Aufmerksamkeit in Anspruch.

Ein durch den Schuß verwundeter und dadurch wüthend gewordener Elephant stürzte auf ihn zu. Die anderen hatten, ganz wie der Neapolitaner vorausgesehen, die Flucht ergriffen, mit einem Getrappel, welches den Erdboden auf zweitausend Meter im Umkreise erzittern machte.

»Jetzt aufgepaßt! rief Lî, der sich noch immer an Cyprien klammerte. Sobald das Thier sich auf Sie werfen will, drängen Sie Templar zur Seite. Dann reiten Sie schnell um diesen Busch und lassen sich von dem Elephanten verfolgen! … Für das Uebrige werde ich schon sorgen!«

Cyprien gewann kaum die Zeit, dieser Warnung halb maschinenmäßig nachzukommen. Mit erhobenem Rüssel, blutunterlaufenen Augen, mit weitoffenem Maule und die Stoßzähne drohend auf ihn gerichtet, sprang die gewaltige Pachyderme mit unglaublicher Schnelligkeit auf ihn zu.

Templar erwies sich als erprobter Gaul. Mit wunderbarer Sicherheit folgte er dem Schenkeldruck seines Reiters und machte pfeilschnell einen Satz nach rechts. Der Elephant stürmte in der angenommenen Richtung genau über die Stelle weg, welche Pferd und Reiter noch den Augenblick vorher eingenommen hatten.

Der Chinese, der, ohne ein Wort zu sagen, blank gezogen, glitt jetzt zur Erde herab und sprang eiligst hinter den Busch, den er seinem Herrn gezeigt hatte.

»Dort … dorthin! … Wenden Sie um diesen Busch! … Lassen Sie sich verfolgen!« rief er noch einmal.

Der Elephant wendete sich, wüthend über den Mißerfolg seines ersten Angriffs, auf sie zurück. Ohne die Gründe Lî’s vollständig zu durchschauen, folgte Cyprien doch dessen Anweisung. Er sprengte um den Busch, gefolgt von dem keuchenden Thiere, und vereitelte noch zweimal dessen Angriff durch schnelle Wendung seines Pferdes. Konnte diese Taktik aber lange von Erfolg sein? Hoffte Lî auf diese Weise das Thier zu ermüden?

Ohne befriedigende Antwort zu finden, legte sich Cyprien eben diese Frage vor, als der Elephant zu seiner größten Verwunderung sich auf die Kniee niederließ.

Mit unvergleichlicher Gewandtheit den richtigen Moment abpassend, war Lî in dem hohen Grase dem Thiere unter die Füße geschlichen und hatte diesem mit einem einzigen Hiebe die Sehne an der Ferse, die man beim Menschen Achillessehne nennt, durchschnitten.

So gehen bei ihren Elephantenjagden die Hindus gewöhnlich zu Werke, und der Chinese hatte dieses Verfahren auf Ceylon gewiß oft genug nachgeahmt, denn er führte dasselbe mit einer Sicherheit und Kaltblütigkeit ohne Gleichen aus.

Niedergeworfen und ohnmächtig, rührte sich der Elephant kaum noch und wälzte nur den Kopf in dem dichten Grase. Ein aus seiner Wunde hervorquellender Blutstrom raubte ihm sichtlich mehr und mehr die Kräfte.

»Hurrah! … Bravo! … riefen gleichzeitig Annibal Pantalacci und James Hilton, welche jetzt auf dem Kampfplatz erschienen.

– Wir müssen ihm durch eine Kugel in’s Auge den Garaus machen!« erklärte James Hilton, der ein unwiderstehliches Bedürfniß zu fühlen schien, in diesem Drama eine thätige Rolle zu spielen.

Mit diesen Worten schlug er schon an und gab Feuer.

Sofort hörte man, wie die Explosionskugel im Körper des riesigen Vierfüßlers zersprang. Er zuckte noch einmal krampfhaft zusammen und lag dann unbeweglich da, gleich einem grauen, zur Erde gestürzten Felsblock.

»Es ist zu Ende! rief James Hilton, der sein Pferd ganz nahe an das Thier herantrieb, um dieses besser zu sehen.

– Abwarten! … Abwarten! …« schien der listige Blick des Chinesen, den er auf seinen Herrn richtete, zu sagen.

Das schreckliche und unvermeidliche Nachspiel dieser Scene ließ denn auch nicht lange auf sich warten.

Kaum war James Hilton nahe an den Elephanten herangekommen, als er sich im Steigbügel niederbeugte, um jenem, wie zum Spott, eines der großen Ohren aufzuheben. Mit plötzlicher Bewegung erhob das Thier aber noch einmal den Rüssel, schlug diesen auf den vorwitzigen Jäger nieder, und zertrümmerte ihm dabei die Wirbelsäule und die Hirnschale, ehe die entsetzten Zuschauer nur Zeit hatten, ihm hilfreich beizuspringen.

James Hilton stieß noch einen letzten Schrei aus. Binnen drei Secunden war er nichts mehr, als eine blutige Fleischmasse, auf welche der Elephant theilweise niedersank, um sich nicht wieder zu erheben.

»Ich wußte, daß es ihm an den Kragen gehen würde! sagte der Chinese, und hob dazu den Kopf in die Höhe. Wenn sie irgend Gelegenheit finden, versehen es die Elephanten niemals, ihren Feind noch in den letzten Todeszuckungen zu vernichten!«

Das war die ganze Leichenrede für James Hilton. Noch immer unter dem Eindrucke des Verrathes, dem er hatte zum Opfer fallen sollen, erkannte der junge Ingenieur in diesem plötzlichen Ende die gerechte Vergeltung der Vorsehung, geübt an einem Schurken, der ihn hatte wehrlos der Wuth eines so furchtbaren Thieres preisgeben wollen.

Die Gedanken, welche dem Neapolitaner jetzt aufsteigen mochten, hütete dieser sich weislich, Andern zu erkennen zu geben.

Inzwischen hatte der Chinese schon begonnen, in dem Rasen der Prairie mit dem Jagdmesser eine Grube auszuheben, in welcher mit Hilfe Cypriens bald die unförmlichen Reste seines Freundes für immer gebettet wurden

Alles das nahm einige Zeit in Anspruch, und die Sonne stand schon hoch am Horizonte, als die drei Männer den Weg nach dem Halteplatze wieder einschlugen.

Wie groß war aber ihr Erstaunen, als sie daselbst anlangten! … Bardik war hier nicht mehr zu finden.

Sechzehntes Capitel.


Sechzehntes Capitel.

Verrätherei.

Was mochte also während der Abwesenheit Cypriens und seiner zwei Gefährten hier vorgefallen sein? Es wäre schwer zu sagen gewesen, wenn der junge Kaffer nicht vielleicht wieder erschien.

Man erwartete zunächst Bardik, rief nach ihm und suchte ihn überall, aber ohne daß eine Spur von demselben zu entdecken war. Das noch bei dem schon erloschenen Feuer stehende Frühstück, welches er zu bereiten begonnen hatte, schien darauf hinzudeuten, daß er vor zwei oder drei Stunden verschwunden sein konnte.

Cyprien sah sich also auf reine Muthmaßungen beschränkt, was die Abwesenheit seines Dieners veranlaßt haben könne, ohne daß er jedoch dadurch zu einer Erklärung derselben gelangte.

Daß der junge Kaffer etwa von einem Raubthiere überfallen worden wäre, war kaum anzunehmen, denn es fand sich keine Spur eines stattgehabten blutigen Kampfes, nicht einmal eine Unordnung in den Reiseeffecten u. s. w. Daß er davon gelaufen sei, um nach seiner Heimat zurückzukehren, wie das die Kaffern allerdings nicht selten thun, hatte ebenso wenig Wahrscheinlichkeit für sich gegenüber einem sonst so treu ergebenen Burschen, und der junge Ingenieur wies auch diese, zuerst von Annibal Pantalacci angedeutete Annahme mit aller Entschiedenheit zurück.

Kurz, nach halbtägiger Nachforschung wurde der junge Kaffer noch immer nicht wiedergefunden, und sein Verschwinden blieb ein vollkommen unerklärliches Vorkommniß.

Annibal Pantalacci und Cyprien berathschlagten also mit einander und beschlossen darauf, mit der Aufhebung des Lagers jedenfalls noch bis zum anderen Tage zu warten. Vielleicht erschien Bardik bis dahin wieder, da er sich ja bei Verfolgung eines Wildes verirrt haben konnte, das seine Jagdleidenschaft erregt haben mochte.

Erinnerte man sich freilich an den unliebsamen Besuch, den eine Abtheilung Kaffern an einem der früheren Lagerplätze abgestattet, und vergegenwärtigte man sich die Fragen, welche jene an Bardik und Lî gestellt hatten, sowie ihre Furcht, hier Fremdlinge anzutreffen, vielleicht gar Spione, welche sich in das Gebiet Tonaïa’s begaben, so lag wohl die Frage nahe, ob Bardik nicht in die Hände solcher Eingebornen gefallen und von diesen gewaltsam bis nach der Hauptstadt geschleppt worden sein könne.

Der Tag verlief ziemlich trübe und der Abend eher noch trauriger. Es war, als ob das Unglück die Expedition jetzt auf Tritt und Schritt verfolgte. Annibal Pantalacci war wüthend, aber stumm. Seine beiden näheren Genossen, Friedel und James Hilton, waren todt, und jetzt stand er allein seinem jungen Rivalen gegenüber, den er sich jedoch eher mit größerer Hartnäckigkeit als vorher vom Halse zu schaffen bestrebt blieb, da er ihm ebenso bezüglich der Aufsuchung des Diamanten gefährlich, wie bezüglich der als Preis dafür winkenden Heirat lästig erschien. Für ihn war ja das Ganze eine reine Geschäftsangelegenheit.

Cyprien, dem Lî inzwischen mitgetheilt hatte, was er von der Entfernung der Patrone aus der Büchse wußte, sah sich genöthigt, jetzt seinen Reisegefährten Tag und Nacht zu überwachen, obwohl der Chinese freiwillig einen Theil dieser beschwerlichen und widerlichen Aufgabe übernahm.

Schweigend und mit den Pfeifen am Feuer sitzend, verbrachten Cyprien und Annibal Pantalacci den Abend und zogen sich endlich unter die Wagenplane zurück, ohne sich eine gute Nacht zu wünschen. Lî blieb es nun überlassen, beim Feuer zu wachen, um etwaige Raubthiere fern zu halten.

Auch mit Anbruch des folgenden Tages war der junge Kaffer noch nicht nach dem Lagerplatz zurückgekehrt.

Cyprien hätte gerne noch vierundzwanzig Stunden zugegeben, um seinem Diener eine weitere Möglichkeit, zurückzukehren, zu gewähren. Der Neapolitaner bestand aber darauf, nun sofort aufzubrechen.

»Wir werden wohl auch ohne Bardik auskommen, sagte er, und hier länger zu zögern, setzt uns der Gefahr aus, Matakit überhaupt nicht zu finden.«

Cyprien gab nach und der Chinese ging daran, die Büffel zusammen zu treiben, um weiter fahren zu können.

Da traf sie aber eine neue Enttäuschung. Auch die Büffel waren nicht mehr aufzufinden. Noch am Vorabend hatten sie bestimmt im hohen Grase der Umgebung des Lagerplatzes geweidet … jetzt war es unmöglich, auch nur einen derselben zu entdecken.

Erst jetzt konnte man die Tragweite des Verlustes ermessen, den die Expedition durch das Verschwinden Bardik’s erlitten hatte! Wäre der intelligente Diener noch an seiner Stelle gewesen, so würde er bei seiner Bekanntschaft mit den Gewohnheiten der Büffel des südlichen Afrikas gewiß nicht versäumt haben, diese, nachdem sie einen ganzen Tag gerastet, an Bäume oder irgend welche feste Pfähle zu binden. Nach langen Marschtagen ist diese Vorsicht gewöhnlich unnöthig; bei ihrer Ermüdung denken die Thiere an gar nichts Anderes, als in der Nähe zu weiden, legen sich darauf behaglich nieder und werden am nächsten Morgen kaum in der Entfernung von hundert Metern von den Lagerplätzen wiedergefunden. Das gestaltet sich aber anders, wenn sie einen Tag lang geruht und sich durch reichliches Futter gekräftigt haben.

Beim Erwachen hatten die Thiere offenbar zunächst schmackhaftere Nahrung gesucht, als sie vielleicht am Abend vorher fanden. Dabei mochten sie sich immer weiter entfernt und den Lagerplatz ganz aus den Augen verloren haben, und jedenfalls waren sie dann, getrieben durch einen gewissen Instinct, der sie nach dem gewohnten Stalle zurückzieht, ganz einfach den Weg nach dem Transvaal zurückgetrabt.

Das war ein Unglück, welches, wenn es bei den Zügen durch das innere Afrika auch nicht so selten vorkommt, darum nicht minder ernst erscheint, denn ohne Zugthiere wurde der Wagen natürlich nutzlos, und für den afrikanischen Reisenden bildet der Wagen gleichzeitig das Haus, das Magazin und die Festung.

Cyprien und Annibal Pantalacci fühlten sich also stark enttäuscht, als sie, nachdem sie zwei oder drei Stunden die Thiere eifrig gesucht, einsahen, daß sie hier auf jede Hoffnung, dieselben wiederzufinden, verzichten mußten.

Ihre Lage wurde dadurch eine ausnehmend schwierige und sie traten noch einmal zur Beratschlagung zusammen. Unter den gegebenen Umständen gab es nur einen Entschluß, den Wagen zurückzulassen, sich mit soviel Mundvorrath und Munition zu beladen, als es möglich war, und die Reise nur zu Pferde fortzusetzen. Trafen sich die Verhältnisse glücklich, so konnten sie vielleicht mit einem Kaffernhäuptling über den Ankauf neuer Zugochsen einig werden, wenn sie ihm ein Gewehr und einige Patronen abtraten. Lî sollte nun das Pferd James Hilton’s, das jetzt ja keinen Herrn mehr hatte, besteigen.

Alle gingen also daran, eine Menge harziger Aeste abzuschlagen, um damit den Wagen wie unter einem Strauche zu verbergen. Darauf belud sich Jeder, was er in den Taschen und in einem Quersacke unterbringen konnte, so daß sie wenigstens einige Vorräthe an Leibwäsche, Conservebüchsen und Schießbedarf hatten. Der Chinese mußte freilich zu seinem größten Leidwesen darauf verzichten, seinen rothen Kasten, weil derselbe zu schwer war, mitzunehmen; er ließ sich aber nicht überreden, auch den Strick aufzugeben, sondern band sich denselben als Gürtel unter seine Kutte.

Nach Vollendung dieser Vorbereitungen und nachdem sie einen letzten Blick durch das Thal geworfen, das für sie so verhängnißvoll geworden war, schlugen die drei Reiter den Weg nach den Bergen wieder ein, Dieser Weg bestand übrigens, wie alle anderen im Lande, nur aus einem von wilden Thieren getretenen Fußpfade, welcher gewöhnlich in kürzester Linie nach den Stellen führt, wo diese ihren Durst zu löschen pflegen.

Schon war die Mittagsstunde vorüber und unter brennender Sonnengluth trabten Cyprien, Annibal Pantalacci und Lî ziemlich schnell bis zum Anbruch des Abends weiter; nachdem sie dann in einer tiefe Schlucht unter dem Schutze eines großen Felsblocks Halt gemacht und sich um ein tüchtiges Feuer aus trockenem Holz gelagert, sagten sie sich, daß Alles in Allem der Verlust des Wagens doch kein so unersetzliches Unglück sei.

Zwei Tage hindurch reisten sie in dieser Weise weiter, ohne einen Zweifel daran zu hegen, daß sie sich auf der richtigen Fährte des Flüchtlings befänden. Am Abende des zweiten Tages, als sie sich, schon langsamer reitend, einer Gruppe von Bäumen näherten, unter denen sie die Nacht zu verbringen gedachten, stieß Lî plötzlich einen ganz eigentümlichen Gaumenlaut aus.

»Hugh!« rief er und zeigte mit dem Finger nach einem kleinen schwarzen Punkte, der sich beim letzten Scheine der Abenddämmerung am Horizonte fortbewegte.

Cypriens und Annibal Pantalacci’s Blicke folgten selbstverständlich der von dem Chinesen angedeuteten Richtung.

»Ein Reisender! rief der Neapolitaner.

– Das ist Matakit selbst! erklärte Cyprien, welcher sofort ein Fernrohr vor die Augen gesetzt hatte. Ganz deutlich erkenne ich seinen Wagen mit einem vorgespannten Strauße! … Er ist es sicherlich!« Nachdem er das Fernrohr Pantalacci gereicht, konnte auch dieser sich von der Richtigkeit der Thatsache überzeugen.

»Wie weit mag er sich, Ihrer Schätzung nach, jetzt von uns entfernt befinden? fragte Cyprien.

– Mindestens sieben bis acht Meilen; es können aber auch zehn sein, antwortete der Neapolitaner.

– Sonach müssen wir darauf verzichten, ihn noch heute, bevor wir Halt machen, einzuholen?

– Unzweifelhaft, versicherte Annibal Pantalacci. Binnen einer halben Stunde ist’s tiefdunkle Nacht, und wir können gar nicht mehr daran denken, in jener Richtung einen Schritt weiter vorwärts zu dringen.

– Nun gut, so haben wir, einen recht frühzeitigen Aufbruch vorausgesetzt, doch morgen die sichere Aussicht, ihn zu erreichen.

– Das ist ganz meine Ansicht!«

Die Reiter waren damit nach der Baumgruppe gelangt und stiegen nun aus dem Sattel. Hergebrachter Gewohnheit folgend, gingen sie zuerst daran, die Pferde mit Stroh abzureiben und zu striegeln, ehe diese an eingeschlagene kurze Pfähle gebunden wurden, um in deren Umgebung zu weiden. Inzwischen hatte der Chinese schon ein Feuer angezündet.

Unter diesen Vorarbeiten war es Nacht geworden. Heute verlief das Abendessen vielleicht bei etwas heiterer Stimmung, als an den letztvergangenen drei Tagen. Kaum war es indeß verzehrt, da wickelten die drei Reisenden sich schon in ihre Decken und streckten sich neben dem, für die ganze Nacht mit genügendem Brennmaterial beschickten Feuer, den Kopf auf die Sättel gestützt, zum Schlummer nieder. Es galt ja, morgen zeitig auf den Füßen zu sein, einen doppelten Marsch zu machen und Matakit einzuholen.

Cyprien und der Chinese waren bald fest eingeschlafen, was ihrerseits vielleicht etwas unklug erschien.

Nicht so der Neapolitaner. Zwei oder drei Stunden wälzte er sich, wie von einer fixen Idee besessen, unter seiner Decke umher. Wiederum führten ihn seine schurkischen Gelüste in Versuchung.

Endlich erhob er sich, wie zu einem Entschlusse gelangt, schlich nach den Pferden hin und sattelte sein eigenes; dann band er Templar und das des Chinesen los, packte sie an der Halfter und führte sie mit weg. Das den Erdboden bedeckende feine Gras erstickte vollständig den Laut der Tritte der drei Thiere, die, wahrscheinlich auch verwundert über die ungewohnte Unterbrechung ihrer Nachtruhe, Alles ruhig mit sich machen ließen. Annibal Pantalacci stieg mit ihnen nach der Sohle des Thals hinunter, an dessen oberem Hange Rast gemacht worden war, band sie hier an einen Baum und kehrte nach dem Lagerplatze zurück. Von den hier Schlafenden hatte keiner auch nur ein Glied bewegt.

Der Neapolitaner raffte nun schweigend seine Decke, ein gezogenes Gewehr, die nöthige Munition nebst etwas Mundvorrath zusammen und ließ kalt und herzlos seine beiden Gefährten inmitten der Wüstenei zurück.

Schon seit Sonnenuntergang hatte ihm der Gedanke vorgeschwebt, mit Entfernung der Pferde Cyprien und Lî außer Stand zu setzen, Matakit einzuholen. Damit aber sicherte er sich selbst den Sieg. Weder der Schurkenstreich, den er damit eigentlich schon beging, noch die Gemeinheit, seine Gefährten so der wichtigsten Hilfsmittel für ihr Fortkommen zu berauben, vermochten den Elenden zurückzuhalten. Er schwang sich in den Sattel, nahm von dem Versteck, wo er sie zurückgelassen, die ungeduldig schnaubenden Pferde mit fort, und trabte beim Scheine des Mondes, dessen Rand eben über den Kamm der Hügelkette emporstieg, schweigend in’s Land.

Cyprien und Lî schliefen noch immer. Gegen drei Uhr Morgens erwachte der Chinese und betrachtete die Sterne, welche am östlichen Horizonte schon erbleichten.

»Es ist wohl Zeit, den Kaffee zu bereiten,« sagte er für sich.

Ohne weiteres Zögern warf er die ihn umhüllende Decke ab, sprang in die Höhe und begann seine Morgentoilette, die er in der Wüste ebensowenig wie in der Stadt vernachlässigte.

»Wo steckt denn der Pantalacci?« fragte er sich plötzlich.

Schon stieg die Morgenröthe höher empor und die nächste Umgebung des Lagerplatzes wurde deutlicher erkennbar.

»Auch die Pferde sind nicht mehr zur Stelle! fuhr er in seinem Selbstgespräch fort. Sollte dieser wack’re Kumpan etwa …«

Mit dem aufkeimenden Verdachte, was hier vorgefallen sein möge, eilte er nach den Pfählen, an welche die Pferde am Abend vorher gebunden worden waren, überblickte sorgsam den ganzen Lagerplatz und gewahrte, daß auch das ganze Gepäck des Neapolitaners verschwunden war.

Die Sache lag nun klar.

Ein Mann von weißer Race hätte gewiß dem sehr natürlichen Bedürfnis, Cyprien zu wecken und ihm sofort das neue schwere Unglück mitzutheilen, nicht widerstehen können. Der Chinese gehörte aber zur gelben Menschenrace und meinte, daß es mit der Ankündigung eines Unfalls niemals so große Eile habe. Er beschäftigte sich also ruhig mit der Bereitung des Morgenlabsals.

»Es ist noch recht liebenswürdig von dem Spitzbuben, daß er uns wenigstens den nöthigen Mundvorrath zurückließ!« sagte er für sich.

Nachdem der Kaffee sorgsam durch ein zu diesem Zwecke angefertigtes Leinensäckchen gegossen war, füllte Lî damit zwei Tassen – wenn man die Gefäße so nennen darf, denn sie bestanden aus je einer Hälfte von Straußeneierschalen, die er gewöhnlich an einem Knopfloch hängend trug – und näherte sich dann Cyprien, der noch immer schlafend dalag.

»Ihr Kaffee ist fertig, Väterchen,« sagte er höflich, während er dem jungen Ingenieur leise auf die Schulter klopfte.

Cyprien schlug die Augen auf, dehnte und streckte die Glieder, lächelte den Chinesen an und verzehrte halb aufgerichtet das dampfende Getränk.

Erst dann bemerkte er die Abwesenheit des Neapolitaners, dessen Platz ja leer war.

»Wo ist denn Pantalacci? fragte er.

– Auf und davon gegangen, Väterchen! antwortete Lî in so gleichgiltigem Tone, als ob es sich um die gewöhnlichste Sache von der Welt gehandelt hätte.

– Wie? … Von uns fortgegangen?

– Ja, Väterchen, und mit den drei Pferden obendrein!«

Cyprien befreite sich schnell aus der ihn noch halb umschließenden Decke und warf einen Blick umher, der ihn über Alles belehrte.

Er besaß jedoch ein zu stolzes Herz, um seine Unruhe und Entrüstung über das Vorgefallene merken zu lassen.

»Das ist ja recht erbaulich, sagte er, aber der Elende mag sich nur nicht einbilden, daß er bei unserer Angelegenheit das letzte Wort haben wird!«

In Gedanken versunken, machte Cyprien fünf bis sechs Schritte hin und her, wobei er überlegte, was nun am besten zu thun sei.

»Wir müssen zur Stunde aufbrechen, kündigte er dem Chinesen an. Sattel und Zaumzeug, so wie Alles was zu umfänglich oder zu schwer ist, lassen wir hier zurück und nehmen nur die Gewehre und die noch übrigen Nahrungsmittel mit. Bei schnellem Gehen kommen wir vielleicht fast ebenso schnell vorwärts und können wohl gar gelegentlich noch directere Wege benützen.«

Lî ließ sich nicht zweimal auffordern. Binnen wenigen Minuten waren die Decken eingerollt und der Quersack über die Schulter geworfen; dann wurde noch Alles, was hier zurückgelassen werden mußte, mit einem dichten Haufen von Zweigen und Laubwerk überdeckt, und die beiden Männer zogen ihres Weges.

Cyprien hatte Recht gehabt, daß es unter gewissen Verhältnissen fast bequemer sei, zu Fuß weiter zu ziehen. Er konnte so die kürzesten Wege wählen und zuweilen steile Abhänge ersteigen, die ein Pferd niemals zu erklimmen vermocht hätte, wenn das natürlich auch schwere Anstrengung kostete.

Etwa um ein Uhr Mittags gelangten die beiden Wanderer nach dem Nordabhange der Hügelkette, der sie seit drei Tagen gefolgt waren. Nach den von Lopepe erhaltenen Mitteilungen konnte die Hauptstadt Tonaïa’s jetzt nicht mehr weit entfernt sein. Unglücklicherweise waren freilich dessen Angaben über den einzuhaltenden Weg so unbestimmter Art und die Bezeichnung der Entfernung in der Betchuanasprache so verwirrend, daß es sehr schwer erschien, vorher darüber klar zu werden, ob noch zwei oder fünf Tage darüber hingehen würden, bevor jene Stadt zu erreichen war.

Als Cyprien und Lî den ersten Abhang des Thales, das sich vor ihnen nach Uebersteigung des Bergkammes geöffnet, hinunter stiegen, ließ Letzterer ein kurzes Lachen hören.

»Ah, Giraffen!« sagte er.

Cyprien richtete den Blick nach abwärts und bemerkte wirklich gegen zwanzig jener Thiere, welche friedlich im Thalgrunde grasten. Man kann kaum, wenigstens aus einiger Entfernung, etwas Graziöseres sehen, als ihre langen Hälse, die sie gleich Mastbäumen aufgerichtet tragen oder gleich langen Schlangen im Grase umherbewegen, und welche von dem mit gelben Flecken übersäeten Leibe drei bis vier Meter weit reichen.

»Es ließe sich so eine Giraffe vielleicht einfangen, um Templars Stelle zu ersetzen, bemerkte Lî trocken.

– Auf einer Giraffe reiten? O, wer hat das schon jemals gesehen? rief Cyprien.

– Ich weiß nicht, ob es Jemand schon gesehen hat, aber es wird doch nur von Ihnen abhängen, es zu sehen, wenn Sie mir nur freie Hand lassen wollen,« erwiderte der Chinese.

Cyprien, der niemals etwas nur deshalb für unmöglich zu halten pflegte, weil es für ihn noch neu war, erklärte sich bereit, Lî bei seinem Vorhaben zu unterstützen.

»Wir befinden uns gegenüber den Giraffen unter dem Winde, meinte der Chinese, was sich sehr glücklich trifft, denn sie haben eine sehr feine Nase und hätten uns im andern Falle gewiß schon gewittert. Wenn Sie sich also nach rechtshin wenden wollen, um jene durch einen Gewehrschuß zu erschrecken und nach meiner Seite zuzutreiben, so brauch‘ ich nichts weiter und werde das Uebrige allein besorgen.«

Cyprien legte sofort Alles zur Erde, was ihn in seinen Bewegungen hätte hinderlich sein können, und mit der Büchse bewaffnet ging er daran, das von seinem Diener angedeutete Manöver auszuführen.

Letzterer verlor ebenfalls keine Zeit. Er kletterte behende den steilen Abhang hinunter, bis er im Grunde des Thales einen daselbst befindlichen Wildpfad erreichte. Die unzähligen Hufabdrücke darauf verriethen, daß dies der gewöhnliche Weg der Giraffen war. Hier nahm der Chinese hinter einem Baume Stellung, entrollte den langen Strick, der ihn niemals verließ, zerschnitt ihn und bildete so aus demselben zwei Stücke von je dreißig Meter Länge. Nachdem er dann ein Ende von jedem mittelst eines ziemlich großen Steines beschwert hatte, knüpfte er das andere fest um die unteren Zweige eines Baumes, und als er endlich die freien Enden dieser urwüchsigen Wurfgeschosse sorgsam um seinen linken Ellenbogen gewickelt, verbarg er sich hinter dem Baumstamme und wartete der weiteren Entwickelung der Dinge.

Fünf Minuten waren noch nicht verstrichen, als in einiger Entfernung ein Gewehrschuß durch die öde Gegend donnerte. Gleich darauf verrieth ein rasches Getrappel, das dem von einer Schwadron Reitern ähnelte und von Secunde zu Secunde mehr anschwoll, daß die Giraffen, ganz wie Lî vorausgesetzt, sich zur Flucht gewendet hatten. Sie kamen, ihrem gewohnten Pfade folgend, gerade auf ihn zu, ohne die Anwesenheit eines vor ihnen unter dem Winde lauernden Feindes zu argwöhnen.

Mit den hoch aufgerichteten Nasen, den kleinen, ihre Bestürzung verrathenden Köpfen und den herabhängenden Zungen sahen die Giraffen wirklich prächtig aus. Lî ließ sich jedoch nicht hinreißen, sie bewundernd zu betrachten. Sein Posten war vorsorglich nahe einer Verengerung des Weges gewählt, wo die Thiere nur zu je zweien neben einander vorüberziehen konnten, und er erwartete dieselben in gewohnter Ruhe.

Erst ließ er drei oder vier vorüberlaufen, dann faßte er eines von besonders hohem Wuchse in’s Auge und schleuderte seinen ersten Lasso. Das Seil pfiff durch die Luft, wickelte sich um den Hals des Thieres, das noch einige Schritte that, bald aber spannte sich das Seil an, schnürte jenem die Luftröhre halb zu, und es machte entsetzt Halt.

Der Chinese ließ sich jedoch keine Zeit, das zu beobachten. Kaum hatte der erste Lasso das Ziel erreicht, als er schon den zweiten ergriff und nach einer andern Giraffe schleuderte.

Dieser Wurf fiel nicht minder glücklich aus. Alles war in weniger als einer halben Minute abgethan. Schon hatte sich die erschrockene Heerde nach allen Richtungen hin zerstreut; die beiden Giraffen aber blieben, halb erdrosselt und nach Luft schnappend, als Gefangene zurück.

»Kommen Sie nur heran, Väterchen!« rief der Chinese Cyprien zu, der ohne zu viel Vertrauen auf das Manöver auf ihn zukam.

Bald mußte er jedoch jeden Zweifel schwinden lassen. Hier sah er zwei prächtige, große, starke Thiere mit feinen Beinen und glänzenden Rücken vor sich. Doch wie er auch deren äußere Erscheinung bewunderte, erschien ihm der Gedanke, dieselben als Reitthiere zu benutzen, doch ebenso wenig ausführbar.

»Wahrhaftig, wie soll man sich auf einem solchen Rückgrat halten, das bei seiner verhältnißmäßig geringen Länge nach hinten zu um wenigstens sechzig Centimeter abfällt? fragte er lachend.

– O, man setzt sich eben rittlings auf die Schultern und nicht auf die Seiten des Thieres, erklärte Lî. Ist es denn übrigens so schwierig, unter dem Hintertheil des Sattels eine zusammengerollte Decke anzubringen?

– Wir haben ja gar keinen Sattel.

– Ich werde den Ihrigen sofort herbeiholen.

– Und welchen Zaum sollen die Thiere in’s Maul bekommen?

– Das werden Sie bald sehen!«

Der Chinese hatte auf Alles eine Antwort, und wie man von ihm nicht anders gewöhnt war, folgte die That dem Worte immer auf dem Fuße.

Die Stunde zum Essen war noch nicht herangekommen, als er aus einem Theile seines Strickes schon ein Paar starke Halftern hergestellt hatte, die er den Giraffen über den Kopf zog. Die armen Thiere waren durch ihr Mißgeschick so betroffen und außerdem von so sanftem Charakter, daß sie nicht den mindesten Widerstand leisteten. Andere Stücke Stricke wurden zu eigentlichen Zügeln hergerichtet.

Nach Vollendung dieser Vorbereitungen war es ganz leicht, die beiden Gefangenen wegzuführen. Cyprien und Lî wandten sich rückwärts und suchten den gestrigen Halteplatz auf, um die Sättel, und was sie sonst hatten zurücklassen müssen, nachzuholen.

Der Abend reichte hin, um Alles vollends in Ordnung zu bringen. Lî legte eine wirklich wunderbare Anstelligkeit an den Tag. Er hatte nicht allein Cypriens Sattel sehr bald in der Weise abgeändert, daß derselbe auf dem Rücken einer der Giraffen horizontal befestigt werden konnte, sondern auch für sich selbst einen Sattel aus Zweiggeflecht hergestellt. Aus übergroßer Vorsicht verwendete er noch die halbe Nacht dazu, etwaige Widerstandsgelüste der Giraffen zu brechen, indem er sie nach einander bestieg und ihnen durch recht merkbare Mittel die Ueberzeugung beibrachte, daß sie ihm zu gehorchen hätten.

Siebzehntes Capitel.


Siebzehntes Capitel.

Eine afrikanische Steeple-Chase.

Das Bild, welches die beiden Reiter boten, als sie am folgenden Tage aufbrachen, war natürlich ein ziemlich sonderbares. Es bleibt sehr zu bezweifeln, ob Cyprien sich in einem solchen Aufzuge gern vor den Augen der Miß Watkins auf der Hauptstraße des Lagers von Vandergaart gezeigt hätte. Doch Noth bricht ja Eisen. Hier befanden sie sich ja in der Wüste, und die Giraffen bildeten gewiß kaum merkwürdigere Reitthiere als etwa Dromedare. Ihre Gangart hatte übrigens eine gewisse Aehnlichkeit mit der jener »Schiffe der Wüste«. Sie war entsetzlich hart und gleichzeitig von einem solchen Schwanken begleitet, daß die beiden Reisegefährten zuerst fast eine ganz gleiche Uebelkeit wie von der Seekrankheit verspürten.

Nach zwei bis drei Stunden hatte sich jedoch Cyprien so gut wie der Chinese an diese Schaukelbewegung gewöhnt. Da die Giraffen nun einen sehr schnellen Schritt einhielten und sich nach einiger, schnell unterdrückter Widerspenstigkeit auch sehr gelehrig erwiesen, so gestaltete sich Alles ganz nach Wunsch.

Es kam jetzt vor Allem darauf an, durch vermehrte Geschwindigkeit die während der letzten drei oder vier Tage verlorene Zeit wieder einzuholen. Matakit mußte jetzt schon ein gutes Stück Weges vorausgekommen sein. Oder sollte Annibal Pantalacci ihn gar schon erreicht haben? Mochte dem sein, wie es wollte, jedenfalls blieb Cyprien entschlossen, nichts zu unterlassen, um an sein Ziel zu gelangen.

Drei Reisetage hatten die Reiter oder vielmehr die »Giraffenhocker« in ein ebenes Land gebracht. Sie hielten sich jetzt längs des rechten Ufers eines ziemlich windungsreichen Wasserlaufes, der genau in der Richtung nach Norden strömte – ohne Zweifel einer der Nebenzuflüsse des Zambesi.

Die jetzt vollständig gezähmten und nebenbei durch anstrengende Tagemärsche nicht weniger wie durch Lî’s streng eingehaltene magere Fütterung derselben etwas abgematteten Giraffen ließen sich nun mit vollkommener Leichtigkeit regieren. Cyprien konnte sogar die langen Zügel seines Thieres gänzlich loslassen und dasselbe durch einfachen Schenkeldruck nach Belieben leiten.

Befreit von der früheren Beschwerlichkeit und Unsicherheit, gewährte es ihm jetzt ein förmliches Vergnügen, aus den eben durchmessenen wilden und verlassenen Gegenden herauszukommen und von allen Seiten Spuren einer schon etwas vorgeschrittenen Civilisation zu bemerken. Hier fanden sich von Strecke zu Strecke Manioc- oder Tarofelder von sehr regelmäßiger Anlage und bewässert durch ein System aneinander gefügter Bambusrohre, welche das Wasser vom Flusse her zuführten, breite und gut erhaltene Wege – kurz, das allgemeine Bild fröhlichen Gedeihens; auf den den Horizont umgebenden Hügeln erhoben sich weiße, bienenstockähnliche Hütten, welche eine, übrigens ziemlich dünne Einwohnerschaft bargen.

Dennoch wies hier Verschiedenes darauf hin, daß man sich an der Grenze der Wüste befand, und wäre es nur die erstaunliche Menge Raubthiere, Wiederkäuer und Andere gewesen, welche die Ebene bevölkerten. Da und dort verdunkelten ungeheure Schwärme von Geflügel jeder Art und Größe die Luft. Man sah ganze Gesellschaften von Gazellen oder Antilopen, welche über den Weg hineilten; dann wieder erhob ein riesenhaftes Flußpferd den plumpen Kopf aus dem Wasser, schnaufte geräuschvoll und verschwand darauf mit dem Toben eines Wasserfalls in den wirbelnden Wellen.

Ganz eingenommen von diesem Schauspiele, versah sich Cyprien sehr wenig dessen, was der Zufall ihm hinter der Ecke des kleinen Hügels aufgespart hatte, den er eben mit seinem Begleiter überschritt.

Es bestand in nichts Geringerem als in der Person Annibal Pantalacci’s, der, noch immer zu Pferde, Matakit mit verhängtem Zügel verfolgte! Nur eine Meile lag etwa noch zwischen Beiden, während sie wenigstens vier Meilen von Cyprien und dem Chinesen trennten.

Bei der hellen Sonne, welche ihre Strahlen fast senkrecht herabsandte, und in dieser von einer Fülle von Licht übergossenen Ebene, nebst der durch einen frischen, noch immer anhaltenden Ostwind gereinigten Atmosphäre konnte ein Zweifel an dem Gesehenen gar nicht aufkommen.

Beide waren von dieser Wahrnehmung so entzückt, daß es ihre erste Bewegung war, dieselbe durch eine wirkliche arabische Fantasie zu feiern! Cyprien stieß sein Hurrah hervor und Lî sein Hugh, welches dieselbe Bedeutung hatte, dann setzten sie ihre Giraffen in scharfen Trab.

Offenbar hatte Matakit den Neapolitaner bemerkt, der gegen ihn an Distanz zu gewinnen schien; seinen alten Herrn und seinen Kopje-Kameraden konnte er jedoch, wegen der zu weiten Entfernung am Rande der Ebene, gewiß noch nicht wahrnehmen.

Der junge Kaffer trieb auch beim Erblicken Pantalacci’s, der nicht der Mann dazu war, lange Umstände zu machen, und der ihn gewiß wie einen Hund niederschießen würde, ohne erst weitere Erklärungen abzuwarten, seinen von einem Strauße gezogenen Karren so schnell als möglich vorwärts.

Das schnellfüßige Thier flog nur so dahin und sauste weiter wie der Wind, bis es sich plötzlich an einem großen Stein heftig stieß. Das veranlaßte einen so starken Stoß, daß die durch die lange und beschwerliche Fahrt mitgenommene Achse des Karrens glatt abbrach. Da sich gleichzeitig ein Rad aus seinem Lager löste, blieb Matakit mit dem Gefährt, das ihn bisher getragen, mitten auf dem Wege unerwartet sitzen.

Der unglückliche Kaffer mochte durch den dabei erlittenen Sturz stark beschädigt sein. Der Schreck aber, der ihm einmal in den Gliedern saß, widerstand auch einem solchen Stoße, oder wurde vielmehr durch denselben verdoppelt. Fest überzeugt, daß es um ihn geschehen sei, wenn er sich von dem grausamen Neapolitaner fangen ließ, erhob er sich eiligst, spannte den Strauß aus und setzte diesen, indem er sich auf seinen Rücken schwang, in schnellsten Galopp.

Jetzt begann eine halsbrecherische Steeple-chase, wie die Welt seit den römischen Kampfspielen wohl noch keine gesehen, in welchen ebenfalls Strauße und Giraffen verschiedene Programm-Nummern ausfüllten.

Während nämlich Annibal Pantalacci den flüchtigen Matakit verfolgte, eilten Cyprien und Lî nun den Spuren des Einen wie des Andern nach. Sie hatten ja ein lebhaftes Interesse daran, Beide zu erreichen, den jungen Kaffer, um die Frage wegen des gestohlenen Diamanten zum Austrag zu bringen, und den schurkischen Neapolitaner, um ihn zu züchtigen, wie er es verdiente.

Die von ihren Reitern angetriebenen Giraffen flogen denn auch, als jene den eingetretenen Unfall bemerkt, bald die langen Hälse weit vorgestreckt, das Maul geöffnet und die Ohren zurückgeschlagen, angespornt und gepeitscht, so daß sie ihr Möglichstes an Geschwindigkeit leisten mußten, fast ebenso schnell wie die besten Vollbluthengste dahin.

Matakit’s Strauß leistete wirklich Wunder an Schnelligkeit. Kein Sieger im Derby-Rennen oder in dem um den großen Preis der Stadt Paris hätte mit ihm in die Schranken treten können. Seine zum Fliegen zwar zu kurzen Schwingen unterstützen ihn doch, seinen Lauf zu beschleunigen. Alles das ging so schnell vor sich, daß der junge Kaffer schon binnen wenigen Minuten über den, der ihn verfolgte, einen ganz beträchtlichen Vorsprung gewonnen hatte.

O, Matakit hatte sich, als er einen Strauß dazu wählte, ein vortreffliches Reitthier zugelegt. Wenn er sich nur eine Viertelstunde in dieser Gangart halten konnte, so mußte er unzweifelhaft aus dem Bereiche jeden Angriffs und aus den Klauen des Neapolitaners gerettet sein.

Annibal Pantalacci begriff recht wohl, daß die geringste Verzögerung ihn um all‘ seinen Vortheil bringen mußte. Schon vergrößerte sich die Entfernung zwischen dem Flüchtling und ihm selbst. Jenseits des Maisfeldes, durch welches diese wilde Jagd ging, erstreckte sich über Sehweite hinaus dichtes Buschwerk von Mastixbüschen und indischen Feigenbäumen. Wenn Matakit diese erreichte, war es so gut wie unmöglich, ihn wiederzufinden, da er damit den Augen völlig verschwand.

Dahingaloppirend verfolgten Cyprien und der Chinese den Wettstreit mit leicht erklärlichem Interesse. Endlich waren sie an dem Fuß des Hügels angelangt, und jagten nun auch durch das ausgedehnte Feld, aber immer noch trennten sie drei Meilen ebenso von dem Jäger wie von dem Gejagten.

Dennoch konnten sie sehen, daß der Neapolitaner durch übermenschliche Anstrengung zuletzt ein wenig über den Flüchtling an Wegstrecke gewonnen hatte. Ob der Strauß nun erschöpft war, oder sich an einem Baumstumpf oder einem Felsstück verletzt hatte, jedenfalls erschien seine Schnelligkeit jetzt wenigstens vermindert. Annibal Pantalacci befand sich bald nur noch dreihundert Fuß von dem Kaffern entfernt.

Da erreichte Matakit aber den Saum des Dickichts; sofort verschwand er in demselben; im nächsten Augenblick stürzte Annibal Pantalacci, mit Gewalt aus dem Sattel geschleudert, zu Boden, während sein Pferd querfeldein entfloh.

»Matakit entwischt uns! rief Lî.

– Ja, aber Pantalacci, der Schurke ist in unsere Hand gegeben!« antwortete Cyprien. Beide trieben ihre Giraffen schneller vorwärts.

Eine halbe Stunde später, nachdem sie das Maisfeld fast vollständig durchmessen, waren sie nicht weiter als höchstens noch fünfhundert Fuß von der Stelle entfernt, wo der Neapolitaner zum Stürzen gekommen war. Für sie entstand nun die Frage, ob Annibal Pantalacci sich hatte erheben und das Mastixdickicht erreichen können, oder ob er noch, schwer verletzt von dem Falle – vielleicht gar todt – dort am Boden lag.

Der Bube war noch immer da. Hundert Schritt vor ihm hielten Cyprien und Lî. Der Grund seines Unfalls erwies sich als folgender:

In der Hitze der Verfolgung hatte der Neapolitaner ein ungeheures Netz nicht bemerkt, welches hier von Kaffern ausgespannt war, um die Vögel zu fangen, welche deren Ernten unaufhörlich berauben. In dieses Netz hatte Annibal Pantalacci sich verwickelt.

Das war aber kein Netz von geringen Verhältnissen! Es maß mindestens fünfhundert Meter auf jeder Seite und enthielt schon mehrere tausend Vögel jeder Art, Größe und Gefieders, unter anderen auch ein halbes Dutzend jener riesigen Gypaëten mit einer Flügelspannweite von einundeinhalb Meter, welche zuweilen in diesen Gegenden des südlichen Afrikas vorkommen.

Das plötzliche Hineinstürzen des Neapolitaners in diese Welt von Vögeln brachte letztere natürlich in ungeheure Aufregung.

Zuerst von dem Falle etwas betäubt, hatte Annibal Pantalacci fast sofort versucht, sich wieder zu erheben. Seine Füße, Beine und Hände waren aber in den Maschen des Netzes so fest gefangen, daß es ihm auf den ersten Anlauf nicht gelang, sich daraus zu befreien.

Dennoch hatte er keine Zeit zu verlieren. Er stieß und schlug um sich herum, zerrte aus Leibeskräften an dem Netze, hob es theilweise auf und suchte es von den Pfählen am Erdboden, die dasselbe hielten, abzureißen, während die großen und kleinen Vögel dasselbe thaten, um ihre Freiheit wieder zu erlangen.

Je mehr der Neapolitaner aber sich abmarterte, desto mehr verwickelte er sich in die festen Maschen des gewaltigen Netzes.

Da sollte ihm auch noch die schlimmste Erniedrigung bevorstehen. Eine der Giraffen hatte ihn erreicht, und der Reiter derselben war kein anderer als der Chinese. Lî war mit kalter Bosheit zur Erde gesprungen und hatte, in der Meinung, sich des Gefangenen gar nicht besser versichern zu können, nichts Eiligeres zu thun, als die entgegengesetzte Seite des Netzes theilweise abzulösen und dessen Maschenwerk auch noch um Jenen herumzuschlagen.

In diesem Augenblick aber ereignete sich ein höchst unerwarteter Theatercoup.

Es erhob sich nämlich urplötzlich ein so heftiger Wind, daß er die Bäume in der Umgebung niederbog, fast als wenn eine Windhose über den Erdboden wegstriche.

Durch verzweifelte Anstrengung war es Annibal Pantalacci inzwischen gelungen, schon eine ziemliche Anzahl Pfähle aus der Erde zu zerren, welche den unteren Rand des Netzes festgehalten hatten.

Jetzt, wo er seine bevorstehende Gefangennehmung vor sich sah, verdoppelte er nur seine fruchtlosen Versuche. Plötzlich, als der Sturm mit erneuter Wuth einsetzte, wurde das Netz zerrissen, die letzten Fesseln, welche dieses ungeheure Schnurgespinnst noch am Boden gehalten, wurden gebrochen und der Vogelschwarm darin flatterte mit ohrzerreißendem Geschrei nach aufwärts. Den kleinen Vögeln gelang es zu entkommen; den größeren aber, deren Krallen noch in den Maschen verwickelt saßen, als ihre Flügel frei wurden, [Zeile fehlt im Buch. Re.] zusammen zu arbeiten. Die Vereinigung aller dieser Windflügel und die vielen Brustmuskeln, deren Bewegung gleichzeitig vor sich ging, bildeten, unterstützt von dem wüthenden Sturme, eine so gewaltige Kraft, daß hundert Kilogramm gegenüber derselben nicht mehr als eine Feder wogen.

Das ausgerissene, halb zusammengerollte, in sich selbst verwickelte Netz, das dem Winde immerhin einen ziemlich großen Angriffspunkt darbot, wurde denn auch plötzlich mit dem an Händen und Füßen gefesselten Annibal Pantalacci wenigstens dreißig Meter hoch emporgehoben.

Cyprien kam in diesem Augenblicke hinzu, konnte aber nur der Entführung seines Feindes nach der Region der Wolken noch zusehen.

Jetzt zeigte das gefiederte Volk der Gypaëten, vielleicht erschöpft von der ersten Anstrengung, offenbar Neigung, unter Beschreibung eines weiten Bogens wieder herunterzukommen. Binnen drei Secunden erreichte dasselbe den Saum der Mastix- und Feigenbäume, welcher sich westlich von dem Maisfelde hinzog. Nachdem die Thiere drei oder vier Meter über dem Erdboden deren Gipfel gestreift, erhoben sie sich noch einmal in die Lüfte.

Mit Schrecken sahen Cyprien und Lî den Unglückseligen in dem Netze hängen, mit dem er jetzt durch die gewaltige Anstrengung der Vögel und mit Hilfe des Sturmwindes mehr als hundertfünfzig Fuß über der Erdboden erhoben wurde.

Plötzlich gaben einige Maschen den Angriffen des Neapolitaners nach. Man sah ihn einen Moment an den Händen hängen und nach den Stricken des Netzes greifen … Da öffneten sich aber seine Hände, er ließ los, fiel, eine schwere Masse nieder, und zerschmetterte sich auf dem Erdboden.

Das um sein Gewicht erleichterte Netz flog jetzt noch einmal höher, wurde noch einige Meilen mit fortgerissen, und sank dann hinab, als die Gypaëten ihre Krallen befreit hatten und nun hoch hinauf entflohen.

Als Cyprien hinzugelaufen kam, um ihm Hilfe zu bringen, war sein Feind schon todt … todt unter diesen entsetzlichen Umständen!

Jetzt war er also allein noch übrig von den vier Rivalen, welche zur Erreichung desselben Zieles durch die Ebenen des Transvaal ausgezogen waren.

Achtzehntes Capitel


Achtzehntes Capitel

Ein sprechender Strauß

Nach dieser erschreckenden Katastrophe hatten Cyprien und Lî nur noch einen Gedanken: die Stelle derselben schnellstens zu verlassen.

Sie beschlossen also, längs des Dickichts nach Norden hinzuziehen, ritten so eine Stunde lang weiter und kamen endlich an ein fast ausgetrocknetes Flußbett, welches einen Durchgang in dem Mastix- und Feigenwald bildete, den sie bequem benützen konnten.

Hier wartete ihrer aber eine neue Ueberraschung. Der Strom ergoß sich nämlich in einen geräumigen See, an dessen Ufer sich eine Wand von üppigstem Grün erhob, die dem Auge bis jetzt verdeckt gewesen war.

Cyprien wäre gerne umgekehrt, um längs des Seeufers hinzugehen, das Ufer war aber so abschüssig, daß er bald darauf verzichten mußte. Eine Rückkehr auf dem eben zurückgelegten Wege beraubte ihn andererseits auch fast jeder Hoffnung, Matakit wiederzufinden.

Am jenseitigen Ufer erhob sich nun eine Hügelreihe, welche sich durch eine Strecke wellenförmigen Landes an ziemlich hohe Berge anschloß. Cyprien hoffte durch Erklimmung eines Gipfels einen allgemeineren Ueberblick gewinnen und dann einen bestimmten Plan entwerfen zu können.

Lî und er brachen also auf, um den See zu umkreisen. Der Mangel jedes eigentlichen Weges machte das sehr schwierig, vorzüglich, da sie zuweilen genöthigt waren, die beiden Giraffen am Zügel nachzuführen. Deshalb brauchten sie wohl über drei Stunden, um eine Entfernung von sieben bis acht Kilometern in der Luftlinie zurückzulegen.

Als sie dann endlich auf dem Wege rund um den See etwa an einer, ihrem ersten Ausgangspunkt ziemlich genau gegenüberliegenden Stelle anlangten, wurde es schon finster. Erschöpft von der Anstrengung, beschlossen sie zu übernachten. Bei den wenigen ihnen gebliebenen Hilfsmitteln konnte das Lager freilich nur sehr nothdürftig ausgestattet werden. Lî ließ sich das jedoch mit gewohntem Eifer angelegen sein, und als er damit fertig war, trat er an seinen Herrn heran.

»Väterchen, begann er mit seiner schmeichelnden und gleichzeitig tröstenden Stimme, ich sehe, daß Sie sehr ermattet sind. Unser Proviant ist fast gänzlich erschöpft. Lassen Sie mich nach einem Dorfe auf Kundschaft gehen, wo man mir Hilfe gewiß nicht verweigern wird.

– Mich verlassen, Lî? rief zuerst Cyprien.

– Es muß sein, Väterchen! antwortete der Chinese. Ich nehme die eine Giraffe und reite nach Norden zu hinauf … Tonaïa’s Hauptstadt, von der Lopepe uns sprach, kann nun nicht mehr weit sein, und ich werde Alles vorbereiten, daß Sie dort einen guten Empfang finden. Dann kehren wir nach dem Griqualande zurück, wo Sie nichts mehr von solchen Schurken zu fürchten haben werden, wie von den Dreien, welche im Laufe unserer Reise alle zu Grunde gegangen sind!«

Der junge Ingenieur überlegte den Vorschlag, den ihm der ergebene Chinese machte. Er sah einerseits ein, daß, wenn der junge Kaffer wieder gefunden werden könnte, es bestimmt in der hiesigen Gegend sein mußte, wo man ihn am Tage vorher gesehen, und daß es von Bedeutung war, diese nicht zu verlassen. Andererseits erschien es höchst nothwendig, die allmählich unzureichend werdenden Vorräthe zu erneuern. Cyprien entschied sich also, wenn auch zu seinem großen Leidwesen, dafür, sich von Lî zeitweilig zu trennen und es wurde dabei abgemacht, daß er diesen achtundvierzig Stunden lang an der nämlichen Stelle erwarten werde. In achtundvierzig Stunden konnte der auf seiner schnellen Giraffe reitende Chinese eine ziemlich große Wegstrecke zurückgelegt haben und nach dem Lagerplatz zurückgekehrt sein. Nachdem dieser Beschluß gefaßt, wollte Lî auch keine Minute verlieren. Ob er ausruhen konnte oder nicht, das machte ihm keine besondere Sorge. Er war schon im Stande, einmal eine Nacht den Schlaf zu übergehen. Er nahm also Abschied von Cyprien, indem er diesem die Hand küßte, holte seine Giraffe, sprang auf dieselbe und verschwand in der Finsterniß.

Zum ersten Male seit seinem Aufbruche aus der Vandergaart-Kopje sah Cyprien sich nun allein in der weiten Wüste. Er fühlte sich recht traurig und konnte nicht umhin, sich, nachdem er seine Decke umgeschlagen, den traurigsten Ahnungen zu überlassen. Vereinsamt, fast am Ende mit allen Nahrungsmitteln und mit dem Schießbedarf, was sollte hier im unbekannten Lande, mehrere Hundert Meilen von jeder civilisirten Gegend wohl noch aus ihm werden? Matakit wieder zu treffen, war ja nur eine ziemlich schwache Aussicht. Konnte dieser sich nicht vielleicht einen halben Kilometer von ihm entfernt befinden, ohne daß er dessen Nähe zu muthmaßen vermochte? Wahrhaftig, dieser Zug wurde schwer vom Unglück verfolgt und war schon durch so viele traurige Vorkommnisse ausgezeichnet. Fast jedes Hundert zurückgelegter Meilen hatte einem seiner Mitglieder das Leben gekostet. Nur ein Einziger war noch übrig! … Er selbst! … War vielleicht auch ihm ein ebenso elender Tod beschieden, wie den Uebrigen?

Solcher Art waren die trüben Reflexionen Cypriens, der aber doch zuletzt dabei einschlief.

Die Morgenfrische und die Ruhe, welche er eben genossen, verliehen seinen Gedanken, als er wieder erwachte, eine mehr Hoffnung erweckende Richtung. In Erwartung der Rückkehr des Chinesen beschloß er, den höchsten Hügel zu besteigen, an dessen Fuße sie Halt gemacht hatten. Dort konnte er voraussichtlich eine größere Strecke der Umgebung überblicken und vielleicht mit Hilfe seines Fernrohres gar irgend eine Spur von Matakit entdecken. Um das auszuführen, mußte er sich freilich unbedingt von seiner Giraffe trennen, da bekanntlich noch kein Naturforscher diese Vierfüßler in die Ordnung der Kletterthiere versetzt hat.

Cyprien begann also damit, jener die von Lî so sinnreich hergestellte Halfter abzunehmen, dann band er einen Stock an das Knie des Thieres und an einen mit dichtem feinen Grase umgebenen Baum, wobei er den Strick so lang hängen ließ, daß jenes nach Belieben Futter suchen konnte. Wenn man die Länge seines Halses der des Stockes hinzurechnete, so ließ gewiß der Umkreis der dem graziösen Thiere gelassenen Weidefläche nichts zu wünschen übrig.

Nach Vollendung dieser Vorbereitungen nahm Cyprien die Büchse auf die eine Schulter, seine Decke auf die andere, und nachdem er sich von der Giraffe mit einem freundlichen Streicheln verabschiedet, begann er die Besteigung des Berges.

Dieser Aufstieg wurde lang und beschwerlich. Der ganze Tag verlief damit, steile Abhänge emporzuklimmen, Felsen oder unübersteigliche Spitzen zu umgehen und von Osten oder Süden her einen von Norden oder Westen fruchtlos gebliebenen Versuch auf’s Neue anzufangen.

Bei Anbruch der Nacht befand sich Cyprien erst in halber Höhe und mußte die weitere Besteigung bis zum nächsten Tage verschieben.

Mit Tagesanbruch, und nachdem er sich durch scharfes Heruntersehen überzeugt, daß Lî noch nicht nach dem Lager zurückgekehrt war, gelangte er endlich gegen elf Uhr Vormittags auf den Gipfel des Berges.

Hier erwartete ihn eine grausame Enttäuschung. Der Himmel hatte sich mit Wolken bedeckt. Dichte Nebelmassen wallten um die unteren Bergwände, und vergeblich bemühte sich Cyprien die Schleier zu durchschauen, um die benachbarten Thalmulden zu überblicken. Das ganze Land ringsum verschwand unter dieser Anhäufung unförmlicher Dunstmassen, welche unter sich nicht das mindeste erkennen ließen.

Cyprien ließ sich nicht abschrecken; er wartete und hoffte noch immer, daß eine Aufklärung ihm gestatten würde, den fernen Horizont, wie er wünschte, absuchen zu können – vergeblich! Je mehr der Tag vorschritt, desto mehr schienen die Wolken an Dichtheit zuzunehmen, und als die Nacht herankam, schlug das Wetter gar noch in Regen um.

Der junge Mann sah sich also von dieser höchst prosaischen Naturerscheinung gerade auf der Höhe dieser kahlen Hochfläche überrascht, welche keinen einzigen Baum trug und kein Felsstück zeigte, das einigen Schutz hätte gewähren können. Nichts als der nackte, ausgetrocknete Erdboden und alles ringsum von herabsinkendem Regen verhüllt, der nach und nach Decken, Kleidung und Alles bis auf die Haut durchtränkte.

Die Lage war in der That eine kritische, und doch mußte er sich wohl oder übel mit derselben abfinden. Unter jetzigen Verhältnissen einen Abstieg zu versuchen, wäre die reine Tollheit gewesen. Cyprien ließ sich denn auch ruhig bis auf die Knochen durchnässen, indem er darauf rechnete, sich am Morgen in der warmen Sonne wieder zu trocknen.

Nachdem die erste Unannehmlichkeit überwunden, sagte sich Cyprien, daß dieser Regen – eine erfrischende Douche nach der Trockenheit der vorhergehenden Tage – wie um sich über sein Mißgeschick zu trösten, eigentlich etwas recht wünschenswerthes sei, eine der peinlichsten Folgen bestand aber darin, daß er sein Essen, wenn auch nicht ganz roh, so doch ganz kalt genießen mußte. Ein Feuer anzuzünden oder selbst nur ein Streichhölzchen bei solchem Wetter in Brand zu setzen, daran war gar nicht zu denken. Er begnügte sich also, eine Büchse mit conservirtem Fleisch zu essen, und dasselbe zu verzehren, wie es eben war.

Eine oder zwei Stunden später gelang es dem jungen Ingenieur, der von dem Regen halb erstarrt war, doch einzuschlafen, wobei er den Kopf auf einen großen, mit seiner tropfenden Decke belegten Stein stützte.

Als er mit dem Morgenrothe erwachte, war er – die Beute eines hitzigen Fiebers geworden.

Unter der Einsicht, daß er verloren sei, wenn er einer solchen Douche noch länger ausgesetzt blieb – denn der Regen fiel noch immer in Strömen herab, raffte sich Cyprien mit aller Anstrengung auf, erhob sich auf die Füße und begann, auf seine Büchse wie auf einen Stock gestützt, den Berg wieder hinabzuklettern.

Wie er unten ankommen würde, das hätte er sich freilich selbst nur schwer sagen können. Bald auf den erweichten Lehnen halb rollend, bald über das nasse Felsgestein gleitend, erschöpft, keuchend, halb erblindet und vom Fieber geschüttelt, vermochte er doch seinen Weg fortzusetzen, und gelangte gegen Mittag nach dem Lagerplatze, wo er seine Giraffe zurückgelassen hatte.

Das Thier war jedenfalls ungeduldig, weil es sich so allein befand, oder vielleicht auch getrieben durch den Hunger, denn in dem großen Kreise, dessen Radius sein Stock gebildet hatte, war das Gras abgefressen, davon gelaufen. Jedenfalls hatte es zuletzt den Strick, der dasselbe hielt, angenagt und war, nachdem es diesen durchbissen, frei geworden.

Cyprien hätte diesen neuen Schlag des Mißgeschickes gewiß viel schwerer empfunden, wenn er sich in normalem Zustande befunden hätte. Die unendliche Schlaffheit und die Erschöpfung ließen ihm dazu jedoch kaum die Kraft. Als er ankam, konnte er sich nur noch auf seinen Reisesack werfen, der keinen Regen durchließ und den er zum Glücke wieder fand, warf sich dann schnell noch in trockene Kleider und brach dann aber unter dem Schutze eines Baumes, der das Lager beschattete, zusammen.

Nun begann für ihn eine Periode wunderlichen Halbschlafes, von Fieber und Delirien, in der sich alle Wahrnehmungen vermischten, wo Zeit, Raum und Entfernung für ihn keine Bedeutung mehr hatten. War es Nacht oder Tag? Herrschte Regen oder Sonnenschein? Befand er sich hier seit zwölf oder sechzig Stunden? Lebte er noch oder war er todt? Er wußte sich über nichts Rechenschaft zu geben. Liebliche Träume und peinliches Alpdrücken lösten einander auf der Bühne seiner Einbildung ab. Paris, die Bergwerksschule, der väterliche Herd, die Farm der Vandergaart-Kopje, Miß Watkins, Annibal Pantalacci, Hilton, Friedel, Legionen von Elephanten, Matakit und große Vogelschwärme, die einen grenzenlosen Himmel bedeckten, alle Empfindungen, alle Antipathien, Alles, was er liebte und haßte, prallte in seinem Gehirn, wie in unzusammenhängendem Kampfe, gegen einander. An diese Fiebergestalten schlossen sich dann noch zuweilen äußere Eindrücke. Wahrhaft schrecklich war vorzüglich ein solcher, als der Kranke inmitten eines vollen Ungewitters von bellenden Schakals, vom Geschrei von Tigerkatzen und dem Grinsen von Hyänen ängstlich diese Bilder seines Deliriums verfolgte und einen Flintenschuß zu hören glaubte, auf den es dann merkwürdig still wurde.

Bald darauf begann aber das Höllenconcert von Neuem, um bis zum Tagesgrauen fortzudauern.

Unter diesen Bildern wäre Cyprien sicherlich, ohne eine Empfindung davon zu haben, zur ewigen Ruhe eingegangen, wenn nicht ein höchst eigentümlicher Zwischenfall, auf den hier gewiß kein Mensch gerechnet hätte, dem natürlichen Laufe der Dinge Einhalt that.

Als der Morgen kam, regnete es nicht mehr und die Sonne stand schon ziemlich hoch am Himmel, als Cyprien die Augen aufschlug. Da bemerkte er, ohne besondere Ueberraschung, einen sehr großen Strauß, der auf ihn zukam und zwei oder drei Schritte vor ihm stehen blieb.

»Sollte das vielleicht der Strauß Matakit’s sein?« fragte er sich, noch immer seiner fixen Idee nachhängend.

Der Stelzfüßler selbst übernahm es da, ihm Antwort, und was gewiß noch merkwürdiger war, in französischer Sprache zu geben.

»Ich täusche mich nicht! … Cyprien Méré! … Mein armer Kamerad, was zum Teufel machst denn Du hier?«

Ein Strauß, der seine Muttersprache redete, ein Strauß, der seinen Namen kannte, das hätte gewiß jeden Mann mit gesundem Verstande in das größte Erstaunen versetzt. Cyprien wurde durch dieses so unwahrscheinliche Phänomen dagegen nicht im Geringsten erregt, und fand es vielmehr ganz natürlich. Er hatte im Laufe der letzten Nacht in seinen Träumen noch ganz Anderes gesehen! Das Ganze erschien ihm höchstens als eine Folge seiner augenblicklichen geistigen Verwirrung.

»Sie sind nicht besonders höflich, Madame Strauß!« antwortete er »Wer giebt Ihnen das Recht, mich zu dutzen?«

Er sprach mit dem trockenen, kurz abgebrochenen Tone, der Fieberkranken eigen ist und keinen Zweifel über deren Zustand aufkommen läßt, was dem Strauße hier sehr zu Herzen zu gehen schien.

»Cyprien! … Alter Freund!… Du bist krank und allein in dieser Einöde!« rief das Thier und sank neben ihm in die Knie.

Das war eine nicht minder abnorme physiologische Erscheinung, wie die Sprachfähigkeit eines Stelzfüßlers, denn die Kniebeuge ist eine Bewegung, die ihnen gewöhnlich von der Natur versagt ist. In seinem Fieber erstaunte Cyprien auch hierüber nicht weiter. Er fand es sogar ganz einfach, daß der Strauß unter seinem linken Flügel eine Art Lederflasche mit frischem, mit etwas Cognac vermischtem Wasser hervorlangte und ihm die Oeffnung derselben an den Mund brachte.

Das Einzige, was ihn doch zu verwundern anfing, war, daß das merkwürdige Thier plötzlich aufstand, dann eine Art mit Marabuts bedeckten Pelzes zur Erde warf, der sein natürliches Gefieder zu bilden schien, und nachher ebenso einen langen Hals, auf dem ein Vogelkopf saß. Dieser erborgten Zieraten entkleidet, zeigte er sich ihm dann als ein großer, kräftiger Bursche, der kein Anderer war, als Pharamond Barthès, der große Jäger vor dem Herrn und den Menschen.

»Nun ja, ich bin es!« rief Pharamond. »Hast Du mich denn nicht bei den ersten Worten, die ich an Dich richtete, erkannt? … Du erstaunst über meine Vermummung? … Das ist eine Kriegslist, die ich den Kaffern nachgeahmt habe, um richtige Strauße aufzusuchen und sie mit dem Wurfspieße zu erlegen. Doch reden wir jetzt von Dir, armer Freund! … Wie kommst Du krank und verlassen hierher? … Nur infolge großen Zufalls hab‘ ich Dich aufgefunden, als ich diese Seite des Berges umwanderte, und wußte ja nicht einmal, daß Du hier im Lande warst.«

Cyprien, der ja kaum sprechen konnte, vermochte seinem Freunde natürlich nur sehr dürftige Auskunft über sich selbst zu geben. Pharamond sah auch zeitig genug ein, was hier am nöthigsten zu thun sei, das heißt, dem Kranken mußte die Hilfe werden, die er bis jetzt entbehrt, und er ging denn sofort daran, ihn so gut wie er konnte in Behandlung zu nehmen.

Der kühne Jäger hatte in der Wüste schon hinreichende Erfahrungen gesammelt und von den Kaffern eine sehr wirksame Heilmethode des Sumpffiebers, von dem sein armer Freund befallen war, kennen gelernt.

Pharamond Barthès begann also in der Erde eine Grube auszuheben, die er mit Holz anfüllte, wobei er eine Röhre aussparte, um der freien Luft den Eingang zu gestatten. Als das Holz entzündet und verbrannt war, hatte es die Grube zu einem wirklichen Backofen umgewandelt. Pharamond Barthès steckte den sorgfältig eingewickelten Cyprien dann so hinein, daß nur dessen Kopf noch frei blieb. Zehn Minuten waren noch nicht verflossen, als sich schon reichlicher Schweiß zeigte, eine Absonderung, welche der improvisirte Doctor noch mit fünf bis sechs Tassen eines Aufgusses zu verstärken suchte, welchen er aus mehreren ihm bekannten Kräutern hergestellt hatte.

Cyprien verfiel in diesem Backtrog bald in tiefen erquickenden Schlaf.

Als er bei Sonnenuntergang die Augen wieder öffnete, fühlte der Kranke sich so bemerkbar erleichtert, daß er zu essen verlangte. Sein erfinderischer Freund wußte allemal zu helfen; er bereitete ihm sofort eine kräftige Suppe, die er aus den besten Erzeugnissen der Jagd und verschiedenem Wurzelwerk hergestellt hatte. Ein gebratener Trappenflügel, eine Tasse heißes Wasser mit Cognac vervollständigten diese Mahlzeit, welche Cyprien einige Kräfte wiedergab und sein Gehirn von dem dasselbe noch umhüllenden Dunste befreite.

Eine Stunde nach diesem Wiedergenesungs-Diner saß Pharamond Barthès, der auch selbst tüchtig gegessen hatte, neben dem jungen Ingenieur und erzählte, wie es gekommen, daß er sich hier allein und in dieser seltsamen Vermummung befunden hatte.

»Du weißt, sagte er, wessen ich fähig bin, wenn sich’s darum handelt, eine neue Art der Jagd zu versuchen. Seit sechs Monaten hab‘ ich nun soviel Elephanten, Zebras, Giraffen, Löwen und anderes Haar- und Federwild – einen Kannibalen-Adler, den Stolz meiner Sammlung, nicht zu übergehen – erlegt, daß mich vor einigen Tagen die Lust anging, einmal meine Jagdbelustigungen zu verändern. Bis hierher zog ich in Begleitung meiner dreißig Bassutos, einer Heerde entschlossener Gesellen, die ich per Monat mit einem Säckchen Glaskügelchen bezahle und die für ihren Herrn und Meister durch’s Feuer gehen würden. Kürzlich hab‘ ich aber die Gastfreundschaft Tonaïa’s, des großen Häuptlings des Landes, genossen, und in der Absicht, von ihm die Berechtigung zur Jagd auf seinem Gebiete zu erhalten – ein Recht, auf das er ebenso eifersüchtig ist, wie ein schottischer Lord – stimmte ich zu, ihm meine Bassutos nebst vier Flinten zu einem Zuge gegen seine Nachbarn zu leihen. Diese Bewaffnung machte ihn natürlich unbesiegbar, und er hat auch über seine Feinde den erhofften Triumph davon getragen. Daraus entstand eine innige Freundschaft zwischen ihm und mir, die durch einen Blutsaustausch besiegelt wurde, das heißt, wir brachten uns gegenseitig einen kleinen Stich am Vorderarm bei. Seitdem bin ich also mit Tonaïa auf Leben und Tod verbündet. Vor jeder Belästigung in seinem ganzen Gebiete sicher, zog ich nun vorgestern aus, um Tiger und Strauße zu jagen. Einen Tiger hatte ich das Glück vergangene Nacht zu erlegen, und es sollte mich wundern, wenn Du den Lärm, der jenem Zweikampfe voranging, nicht vernommen hättest. Stelle Dir vor, daß ich neben dem Körper eines vorher getödteten Büffels eine Schutzhütte errichtet hatte, in der gegründeten Hoffnung, einen Tiger im Laufe der Nacht heranschleichen zu sehen. Und wahrlich, der Bursche ließ nicht auf sich warten, da ihn der Geruch des frischen Fleisches anziehen mochte; das Unglück wollte aber, daß zwei- bis dreihundert Schakals, Hyänen und Tigerkatzen den nämlichen Gedanken wie er gehabt hatten. Daraus entstand denn ein Höllenconcert, das wohl bis zu Dir hierher hörbar gewesen sein muß.

– Ja, ich glaube es vernommen zu haben, antwortete Cyprien. Ich glaubte sogar, dasselbe würde mir zu Ehren gegeben!

– Keineswegs, wackerer Freund! rief Pharamond Barthès. Es ertönte zu Ehren eines todten Büffels, dort in dem Thale, das Du zur rechten Hand sich öffnen siehst. Als der Tag graute, hatte ich von dem gewaltigen Wiederkäuer nur noch die Knochen übrig. Ich werde Dir’s zeigen. Es ist ein hübsches anatomisches Präparat! Du wirst auch meinen Tiger sehen, das schönste Thier, welches ich seit meiner Ankunft in Afrika erlegt habe. Ich habe es schon abgehäutet und sein Fell hängt nun zum Trocknen an einem Baume.

– Warum aber die seltsame Verkleidung, welche Du heute Morgen trugst? fragte Cyprien.

– Ja, das war ein Straußcostüm. Wie ich Dir sagte, gebrauchen die Kaffern oft diese List, um sich den Stelzfüßlern zu nähern, welche sonst sehr scheu und nur schwer zu schießen sind. Du wirst mir antworten, ich hätte ja meine vorzügliche Büchse. Das ist wohl wahr, doch … ich hatte nun einmal Lust bekommen, auf Kaffernweise zu jagen, und das hat mir außerdem den Vortheil gewährt, Dich gerade zur rechten Zeit aufzufinden, nicht wahr?

– Wahrhaftig, zur rechten Zeit, Pharamond! … Ich glaube, ohne Dich gehörte ich dieser Welt jetzt wohl nicht mehr an!« antwortete Cyprien, indem er die Hand des Freundes herzlich drückte.

Er befand sich jetzt nicht mehr im Backofen, sondern lag gemächlich ausgestreckt auf einem Bette von Blättern, das sein Gefährte ihm am Fuße des Baobab hergerichtet hatte.

Der wackere junge Mann begnügte sich aber hiermit noch nicht. Er wollte aus dem benachbarten Thale das Schutzzelt holen, welches er bei allen Ausflügen mit sich zu führen pflegte, und eine Viertelstunde später hatte er es schon über dem ihm theuren Kranken aufgestellt.

»Und nun lass‘ mich Deine Geschichte hören, Freund Cyprien, sagte er, vorausgesetzt, daß Dich die Erzählung nicht zu sehr anstrengt.«

Cyprien fühlte sich kräftig genug, den so natürlichen Wunsch Pharamond Barthès‘ zu erfüllen. Immerhin nur ziemlich kurz, schilderte er ihm die Ereignisse, welche sich im Griqualande zugetragen; warum er dasselbe in der Verfolgung Matakit’s und seines Diamanten verlassen, ferner die Hauptvorkommnisse des Zuges, den dreifachen Tod Annibal Pantalacci’s, Friedel’s und James Hilton’s, das Verschwinden Bardik’s und endlich, daß er hier die Wiederkehr seines Dieners Lî erwarte, welcher ihn an eben dieser Stelle wieder aufsuchen sollte.

Pharamond Barthès lauschte dem allen mit gespannter Aufmerksamkeit. Auf die Frage, ob er einem jungen Kaffer begegnet sei, dessen äußere Erscheinung Cyprien ihm möglichst genau beschrieb – er meinte Bardik – antwortete er verneinend.

»Aber, setzte er hinzu, ich habe doch ein herrenloses Pferd aufgefunden, welches vielleicht das Deinige sein könnte.

So erzählte er denn in einem Athem, unter welchen Umständen das betreffende Pferd in seine Hände gefallen sei.

»Es ist genau zwei Tage her, sagte er, ich jagte mit meinen Bassutos in den Bergen des Südens, als ich plötzlich aus einem Hohlwege ein sehr schönes graues Pferd hervorbrechen sah, das nur noch eine Halfter hatte und eine Leine hinter sich herzog. Das Thier wußte offenbar nicht, was es beginnen sollte. Da rief ich es an, wies ihm eine Hand voll Zucker und – es kam zu mir heran. Damit war genanntes Pferd also gefangen, ein herrliches Thier voll Feuer und Muth, und »gesalzen« wie der beste Schinken.

– Das ist das meinige! … Das ist Templar! rief Cyprien.

– Natürlich, lieber Freund, Templar gehört Dir, antwortete Pharamond Barthès, und es wird mir ein besonderes Vergnügen gewähren, Dir denselben zurückzugeben. Doch nun, gute Nacht! Schlaf ordentlich aus! Morgen mit Tagesanbruch machen wir uns auf den Weg!«

Um dem Freunde mit gutem Beispiele voranzugehen, wickelte sich auch Pharamond in seine Decke und schlief neben Cyprien ein.

Am folgenden Morgen kehrte der Chinese pünktlich mit einigem Mundvorrath nach dem Lagerplatz zurück. Nachdem Pharamond Barthès ihn, noch ehe Cyprien erwachte, über Alles unterrichtet, empfahl er ihm, über seinen Herrn zu wachen, während er das Pferd holen wollte, dessen Verlust dem jungen Ingenieur so schmerzlich gewesen war.

Neunzehntes Capitel.


Neunzehntes Capitel.

Die Wundergrotte.

Es war wirklich Templar, den Cyprien am folgenden Morgen vor sich sah, als er aufwachte. Das Wiedersehen gestaltete sich fast zärtlich. Man hätte wohl sagen können, daß das Pferd ein ebenso großes Vergnügen empfand, wie der Reiter, als er den treuen Reisebegleiter wiederfand.

Cyprien fühlte sich nach dem Frühstück kräftig genug, um sich in den Sattel zu schwingen und sofort aufzubrechen. Pharamond Barthès packte dabei alle seine Habseligkeiten auf Templars Rücken, faßte das Thier am Zügel und man machte sich nun auf den Weg nach der Hauptstadt Tonaïa’s.

Unterwegs erzählte Cyprien seinem Freunde die merkwürdigsten Vorkommnisse der Expedition seit dem Verlassen des Griqualandes. Als er auf das letzte Verschwinden Matakit’s, von dem er eine Personalbeschreibung lieferte, zu sprechen kam, fing Pharamond Barthès laut zu lachen an.

»Ah, halt einmal, das ist ja noch etwas Neues, und ich glaube im Stande zu sein, Dir einige Neuigkeiten über Deinen Dieb, wenn auch nicht über Deinen Diamanten, mittheilen zu können.

– Was willst Du damit sagen? fragte Cyprien verwundert.

– Nun, daß meine Bassutos vor kaum vierundzwanzig Stunden einen Gefangenen, einen jungen, im Lande umherschweifenden Kaffern gefangen und an Händen und Füßen gefesselt meinem Freund Tonaïa eingeliefert haben. Ich bin überzeugt, daß diesem recht übel mitgespielt werden möchte, denn Tonaïa hat große Furcht vor Spionen, und der, einem mit dem seinigen verfeindeten Stamme angehörige junge Kaffer mußte von Anfang an der Spionage verdächtig erscheinen. Bisher hat man sein Leben noch geschont. Zum Glück für den armen Teufel ergab sich, daß er ein paar Zauberkunststückchen kannte und auf den Rang eines Propheten Anspruch machen konnte …

– Jetzt zweifle ich keinen Augenblick mehr, daß das Matakit ist! rief Cyprien.

– Nun, er kann sich Glück wünschen, so mit blauem Auge davongekommen zu sein, antwortete der Jäger.

Tonaïa hat für seine Feinde eine große Musterkarte von Strafen ersonnen, die wahrlich nichts zu wünschen übrig lassen. Doch ich wiederhole Dir, Du darfst wegen Deines alten Dieners ganz ruhig sein. Ihn schützt seine Eigenschaft als Zauberer, und wir werden ihn noch heute Abend heil und gesund antreffen.«

Wir brauchen wohl nicht hervorzuheben, daß diese Mittheilung Cyprien zur größten Befriedigung gereichte.

Jetzt war sein Ziel so gut wie erreicht, denn er zweifelte gar nicht, daß Matakit, wenn er sich noch im Besitz des Diamanten John Watkins‘ befand, denselben ohne Widerstand herausgeben werde.

So plauderten die beiden Freunde im Laufe des Tages weiter, während sie die Ebene durchmaßen, welche Cyprien einige Tage früher auf dem Rücken der Giraffe durchzogen hatte.

Gegen Abend wurde die Hauptstadt Tonaïa’s sichtbar, welche halbkreisförmig auf einer Bodenerhöhung lag, die den Horizont im Norden abschloß. Es war das eine wirkliche Stadt von zehn- bis fünfzehntausend Einwohnern, mit guten Straßen und geräumigen, fast eleganten Hütten darin, und verrieth einen gewissen, hier herrschenden Wohlstand. Das von hohen Pfahlwänden umschlossene und von schwarzen Kriegern bewachte Palais des Königs nahm selbst ein Viertel von der ganzen Oberfläche des städtischen Gebiets ein.

Pharamond Barthès brauchte sich nur zu zeigen, da senkten sich schon alle Barrieren vor ihm und er wurde sofort mit Cyprien durch eine Reihe geräumiger Höfe geführt bis zu dem Ceremonien-Saale, in dem sich der »unbesiegliche Eroberer« inmitten zahlreicher Gesellschaft, in der es an Officieren und Wachen nicht fehlte, gewöhnlich aufhielt.

Tonaïa mochte etwa vierzig Jahre zählen. Er war groß und stark. Bedeckt mit einer Art Diadem aus Eberzähnen, bestand seine Kleidung aus einem Ueberwurfe von rothem Stoffe ohne Aermel, und aus einem reich mit Glasperlen gestickten Schurze von der nämlichen Farbe. An Armen und Beinen trug er viele Spangen aus Kupfer. Sein Gesichtsausdruck war geistvoll und fein, aber auch herrisch und hart.

Pharamond Barthès, den er seit mehreren Tagen nicht gesehen, wurde höchst feierlich empfangen, und, da er einmal mit ihm kam, auch Cyprien als der Freund seines getreuen Verbündeten.

»Die Freunde unserer Freunde sind auch die unseren!« sagte er, wie es jeder Spießbürger auch gethan hätte.

Und als er hörte, daß sein neuer Gast leidend sei, beeilte sich Tanaïa, ihm eines der besten Zimmer seines Palastes einzuräumen und ein vortreffliches Abendessen auftragen zu lassen.

Auf Pharmonds Rath hin wurde die Frage wegen Matakit’s nicht sofort berührt, sondern für den nächsten Tag aufgeschoben.

Am nächsten Morgen hatte Cyprien seine Gesundheit vollständig wieder erlangt und war im Stande, vor dem Könige zu erscheinen. Im großen Saale des Palastes war jetzt der ganze Hof versammelt; Tonaïa und seine beiden Gäste befanden sich in der Mitte des Kreises. Pharamond Barthès führte in der ihm schon ziemlich geläufigen Landessprache die Verhandlungen.

»Meine Bassutos, sagte er zu dem Könige, haben Dir kürzlich einen jungen, von ihnen gefangenen Kaffern gebracht. Nun hat sich herausgestellt, daß dieser Kaffer der Diener meines Begleiters, des großen weisen Cyprien Méré ist, der von Deinem Edelmuthe erwartet, daß Du ihm denselben auslieferst. Aus diesem Grunde nahe ich, sein Freund und der Deinige, mich Dir mit dieser Bitte.«

Bei den ersten Worten hatte Tonaïa geglaubt, sich ein diplomatisches Ansehen geben zu müssen.

»Der große Weise ist mir willkommen! antwortete er. Doch was bietet er für den Austausch meines Gefangenen?

– Eine vortreffliche Flinte, zehnmal zehn Patronen und ein Säckchen mit Glasperlen,« erklärte Pharmond Barthès.

Ein zustimmendes Murmeln lief durch den Kreis der Zuhörer, welche dieses freigebige Angebot in Erstaunen setzte. Nur Tonaïa allein hielt noch immer an sich und schien davon gar nicht besonders berührt.

»Tonaïa ist ein großer Fürst, fuhr er, sich auf seinem Königssessel aufrichtend, fort, und die Götter beschützen ihn! Erst vor einem Monat haben sie ihm Pharamond Barthès mit wackeren Kriegern und Gewehren gesendet, ihm zu helfen, seine Gegner zu überwinden. Deshalb soll, wenn Pharamond Barthès darauf besteht, jener Diener seinem Herrn heil und gesund wieder gegeben werden.

– Und wo befindet er sich jetzt? fragte der Jäger.

– In der heiligen Grotte, wo er Tag und Nacht bewacht wird,« antwortete Tonaïa mit der Feierlichkeit, welche einem der mächtigsten Herrscher des ganzen Kaffernlandes zukam.

Pharamond Barthès beeilte sich, Cyprien diese Antwort mitzutheilen, und erbat sich vom Könige die Begünstigung, mit seinem Freunde nach der bezeichneten Grotte zur Aufsuchung des Gefangenen gehen zu dürfen.

Bei diesen Worten erhob sich aber ein mißbilligendes Gemurmel in der Versammlung. Das Verlangen dieser Europäer überstieg doch Alles. Noch niemals war ein Fremder unter irgend einem Vorwande in diese geheimnißvolle Grotte zugelassen worden. Eine Ueberlieferung drohte, daß an dem Tage, wo einst weiße Männer dieses Geheimniß kennen lernten, das Reich Tonaïa’s zu Staub zerfallen werde.

Der König aber liebte es nicht, daß sein Hof sich zustimmend oder mißbilligend über seine Entscheidungen äußerte, und gerade jenes Murmeln brachte ihn, in Folge tyrannischer Launen dahin, zuzugestehen, was er ohne jene öffentliche Meinungsäußerung vielleicht doch abgeschlagen hätte.

»Tonaïa hat mit seinem Verbündeten Pharamond Barthès Blut getauscht, antwortete er in befehlerischem Tone, und er braucht vor ihm nichts mehr zu verbergen. Du und Dein Freund, versteht Ihr einen Eid zu halten?«

Pharamond Barthès machte ein bejahendes Zeichen.

»Nun wohl, fuhr der König fort, so schwört, Nichts anzurühren, was Ihr in jener Grotte sehen werdet! Schwört, daß Ihr, wenn Ihr die Grotte wieder verlassen habt, Euch stets so halten werdet, als wenn Euch deren Vorhandensein gänzlich unbekannt geblieben wäre! Schwört, daß Ihr nie versucht, noch einmal in dieselbe einzudringen, noch auch nur deren Eingang aufzuspüren! Schwört endlich, daß Ihr niemals Jemandem ein Wort von dem sagt, was Ihr gesehen haben werdet!«

Mit emporgehobener Hand wiederholten Cyprien und Pharamond Barthès jedes Wort der ihnen auferlegten Eidesformel.

Als Tonaïa dann mit gedämpfter Stimme einige Befehle ertheilte, erhob sich der ganze Hof, und die Krieger bildeten zwei Reihen. Einige Diener brachten leinene Streifen her, um den beiden Fremdlingen die Augen zu verbinden; dann setzte sich der König selbst in einen großen Palanquin, den ein Dutzend Kaffern auf den Schultern trugen, zu ihnen, und der Zug setzte sich in Bewegung.

Der Weg war ein ziemlich weiter; er nahm wohl zwei Stunden in Anspruch. Aus den Stößen, die sie selbst im Palanquin empfingen, schlossen Pharamond Barthès und Cyprien sehr bald, daß sie nach einer bergigen Stelle geführt wurden.

Dann verrieth die auffallende Frische der Luft und der laute Widerhall der Schritte des Gefolges, der sich an einander offenbar ziemlich nahe stehenden Wänden brach, daß man einen unterirdischen Raum betreten hatte. Endlich belehrte sie auch noch der Rauch von brennendem Harze, der ihnen in’s Gesicht kam, daß wohl Fackeln angezündet worden waren, um dem ganzen Zuge voranzuleuchten.

Noch dauerte der Weg etwa eine halbe Stunde; nachher wurde der Palanquin auf die Erde niedergesetzt. Tonaïa ließ seine Gäste aussteigen und befahl, ihnen die Binde von den Augen abzunehmen.

Unter dem Einflusse jener Blendung, welche durch die plötzliche Rückkehr zum Lichte dann entsteht, wenn die Function der Sehorgane längere Zeit unterbrochen gewesen war, glaubten Pharamond Barthès und Cyprien zunächst, die Beute einer außerordentlichen Hallucination geworden zu sein, so glänzend und unerwartet gestaltete sich das Schauspiel, welches sich jetzt ihren Augen darbot.

Beide befanden sich nämlich im Mittelpunkte einer ungeheuren Grotte, deren Boden mit feinem, mit goldigen Flimmern übersäeten Sande überdeckt war. Ihre Wölbung, welche der eines gothischen Domes gleichkam, verlor sich doch in für den Blick unerreichbarer Tiefe. Die Wände dieses unterirdischen Baues zeigten sich ausgekleidet mit Stalactiten von unvergleichlicher Verschiedenheit des Tons, von welchen die zurückstrahlenden Fackeln farbige Regenbogen bildeten, die halb gebrochen wurden und halb unter dem ersten Schein des hereinstrahlenden Morgenrothes verschwanden. Die schimmernden Färbungen, die merkwürdigsten Formen und auffallendsten Schnittwinkel charakterisirten diese zahllosen Kristallisationen. Hier sah man, nicht wie in den meisten Grotten, nur einfache Anhäufungen von Quarz in Säulen, die sich einförmig immer wiederholen; die Natur schien vielmehr ihrer Phantasie völlig freien Spielraum gelassen zu haben, alle Zusammenstellungen von Farben und Effecten zu erschöpfen, wozu sich ja die Verglasung ihrer Mineralienschätze – wenn man so sagen darf – vorzüglich eignete.

Felsen von Amethysten, Mauern von Sardonix, Bänke von Rubinen, Nadeln von Smaragden, Säulengänge von Saphir, welche wie Weidenbäume tiefe Wälder bildeten, Eisberge von Aquamarin, Girandolen von Türkisen, Spiegel von Opalen, Gänge von rosa Gips, und Lapis lazuli mit Goldadern – Alles, was das Mineralreich nur Kostbares, Seltenes, Durchsichtiges und Glänzendes bieten konnte, hatte als Material zu diesem bezaubernden Bauwerke gedient. Allerlei Formen, sogar solche aus dem Pflanzenreiche, schienen bei diesem, die menschliche Einbildungskraft weit hinter sich lassenden Werke verwendet zu sein. Tapeten aus mineralischem Moose von derselben Sammetweiche wie der feinste Rasen, krystallinische Baumgeflechte mit Blumen und Früchten aus edlem Gestein erinnerten stellenweise an die Feengärten, welche die Japanesen zuweilen so naiv bei ihren Illuminationen nachzuahmen suchen.

Weiterhin bot ein See, bestehend aus einem einzigen Diamanten von zwanzig Meter Länge, der in dem Sande versenkt lag, offenbar Schlittschuhläufern seine Spiegelfläche an. Luftige Paläste aus Chalcedon, Kioske und Glockenthürmchen aus Beryl und Topas, erhoben sich Stockwerk über Stockwerk so hoch, bis das durch ihren Glanz ermüdete Auge ihnen weiter zu folgen versagte. Endlich bildeten die Spalten der Lichtstrahlen durch diese ungezählten Tausende von Prismen das Funkenfeuerwerk, welches von allen Seiten aufschoß und in Garben wieder niederfiel, die erstaunlichste Symphonie von Licht und Farben, welche mehr als hinreichend war, das Auge des Menschen vollkommen zu blenden.

Cyprien Méré konnte jetzt nicht länger in Zweifel sein. Er sah sich in eines jener geheimnißvollen Becken versetzt, deren Vorkommen er schon so lange geahnt, in welchen die Natur die kostbaren Edelsteine anhäufen und krystallisiren lassen konnte, welche sie den Menschen auch in den reichsten Fundstätten nur als vereinzelte unzusammenhängende Bruchstücke zukommen läßt. Zuerst versucht, an der Wirklichkeit dessen, was er vor sich sah, zu zweifeln, hatte es doch, als er beim Vorüberkommen an der ungeheuren Krystallbank über dieselbe mit seinem Ring strich, hingereicht, ihm zu beweisen, daß dieselbe dem Geritztwerden vollständig widerstand.

Das war hier also Diamant, Saphir und Rubin, was diese ausgedehnte Höhlung barg, und das in so enormer Menge, daß der Preis des Ganzen, wenn man an denselben den für jene Mineralstoffe gebräuchlichen Maßstab anlegte, sich jeder Berechnung entzog. Nur astronomische Zahlen hätten davon eine annähernde, wenn auch nur unsichere Vorstellung gewähren können. Hier lagen unbekannt und unbenützt wirklich Trillionen und Quadrillionen an Werth begraben.

Daß Tonaïa von dem ungeheuren Reichthum, der hier zu seiner Verfügung stand, etwas wüßte, war kaum anzunehmen, denn auch Pharamond Barthès, der in solchen Dingen freilich unbewandert war, schien keinen Augenblick zu ahnen, daß diese Krystalle alle die edelsten Gesteine waren.

Der Negerkönig hielt sich ohne Zweifel nur für den Herrn und Besitzer einer ziemlich merkwürdigen Höhle, deren Geheimniß zu bewahren ihn ein Orakelspruch oder irgend eine Art Ueberlieferung zu bestimmen schien.

Diese Anschauung fand noch dadurch weitere Bestätigung, daß Cyprien bald eine ziemlich bedeutende Anhäufung menschlicher Gebeine fand, welche da und dort in Winkeln der Grotte lagen. Bildete dieselbe den Begräbnißplatz des Stammes oder – freilich eine schrecklichere aber wahrscheinlichere Annahme – diente dieselbe früher oder vielleicht auch noch jetzt zur Abhaltung schauerlicher Feste, bei denen Menschenblut, vielleicht zu kannibalischen Zwecken, in Menge vergossen wurde?

Pharamond Barthès neigte der letzteren Anschauung zu und sagte das auch heimlich seinem Freunde.

»Uebrigens hat Tanaïa mir versichert, daß eine solche Ceremonie seit seiner Uebernahme der Herrschaft niemals stattgefunden habe, setzte er hinzu. Ich gestehe aber, daß der Anblick diese Gerippe mich in meinem bisherigen Zutrauen erschüttert hat.«

Er wies dabei auf einen gewaltigen Knochenhaufen, der erst kürzlich aufgeschüttet schien und an dem man noch Spuren davon bemerkte, daß das frühere Fleisch daran gekocht worden war.

Dieser Eindruck sollte nur wenige Augenblicke später noch mehr bekräftigt werden.

Der König und seine beiden Gäste waren nach dem Grunde der Grotte gelangt, bis vor den Eingang einer Wandvertiefung, welche etwa den Seitencapellen ähnelte, die man öfter in Domkirchen findet. Hinter dem Gitter von sehr festem Holze, welches den Eingang abschloß, sah man in einem hölzernen Käfig einen Gefangenen, der nur Raum hatte, um darin zusammenkauern zu können, und offenbar bestimmt war, durch erzwungene Ruhe etwas – gemästet zu werden.

Das war Matakit!

»Sie! Sie! Väterchen! rief der unglückliche Kaffer, sobald er Cyprien bemerkt und erkannt hatte. Ach, nehmen Sie mich mit fort von hier! Befreien Sie mich! … Ich will lieber nach dem Griqualande zurückkehren und wenn ich dort gehangen werden sollte, als länger in diesem Hühnerbaue zu schmachten und den schrecklichen Tod zu erwarten, den der grausame Tonaïa mir aufgespart hat, ehe ich verzehrt werde!«

Diese Worte sprach er mit so kläglicher Stimme, daß Cyprien sich, als er den armen Teufel hörte, ganz ergriffen fühlte.

»Gut, Matakit! antwortete er ihm. Ich kann Dir die Freiheit wieder verschaffen, aber ehe Du den Diamanten nicht herausgegeben, wirst Du diesen Käfig nicht verlassen.

– Den Diamanten, Väterchen! rief Matakit. Den Diamanten! Den hab‘ ich nicht! … Den hab‘ ich niemals gehabt! … Ich schwöre es Ihnen!«

Das sagte er mit einem solchen Accente der Wahrheit, daß Cyprien an seiner Aufrichtigkeit nicht wohl zweifeln konnte. Wir wissen übrigens, daß es ihm von Anfang an schwer gewesen war, Matakit für den Urheber eines solchen Verbrechens zu halten.

»Wenn Du es aber nicht warst, fragte er weiter, der jenen Diamanten entwendet hat, warum ergriffst Du überhaupt die Flucht?

– Warum, Väterchen? erwiderte Matakit. Weil man, wenn meine Kameraden die Probe mit der Gerte bestanden hätten, sicher gesagt haben würde, ich selbst sei der Dieb und habe durch List den Verdacht nur auf falsche Fährte lenken wollen. Im Griqualande, das wissen Sie ja selbst nur zu gut, henkt man, wenn es sich um einen Kaffern handelt, einen Angeschuldigten noch bevor man ihn verhört und verurtheilt … das flößte mir Angst ein, und ich floh gleich einem Schuldbelasteten durch den Transvaal.

– Was der arme Teufel da ausgesagt, scheint mir wirklich auf Wahrheit zu beruhen, bemerkte Pharamond Barthès.

– Ich zweifle daran auch nicht, antwortete Cyprien, und vielleicht hat er gar nicht so unrecht daran gethan, sich der griqualändischen Justiz gleich ganz zu entziehen.«

Dann wendete er sich wieder an Matakit.

»Nun gut, sagte er zu ihm, ich bezweifle nicht, daß Du an dem Diamanten-Diebstahl, dessen man Dich angeklagt hat, unschuldig bist. Doch wenn wir auch betheuern, daß Du keinen Antheil daran hattest, wird man das in der Vandergaart-Kopje schwerlich glauben. Willst Du Dich dennoch der Gefahr aussetzen, dahin zurückzukehren?

– Ja … ich will Alles wagen … um nicht noch länger hier zu bleiben! versicherte Matakit, dem der Schrecken alle Glieder zu lähmen schien.

– Wir werden das Nöthige ordnen, antwortete Cyprien, und hier mein Freund Pharamond Barthès wird die Verhandlungen führen.«

Der Jäger zögerte keinen Augenblick, dem großen Tonaïa die Angelegenheit vorzutragen.

»Sprich offenherzig! … Was verlangst Du im Austausch gegen Deinen Gefangenen?« fragte er den Negerkönig.

Dieser besann sich kurze Zeit und erklärte schließlich:

»Ich verlange vier Flinten; zehnmal zehn Patronen für jede Waffe und vier Säckchen mit Glasperlen. Das ist noch nicht zu viel, nicht wahr?

– Das ist zwanzigmal zu viel; doch Pharamond Barthès ist Dein Freund und wird Alles thun, Dir gefällig zu sein!«

Dann schwieg auch er ein Weilchen und fuhr nachher fort:

»Höre mich an, Tonaïa! Du sollst die vier Gewehre, die vierhundert Patronen und die vier Säckchen Perlen erhalten. Du aber lieferst uns dafür das nöthige Ochsengespann nebst Nahrungsmitteln und ein Ehrengeleit, um alle diese Männer durch das Transvaalgebiet zu schaffen.

– Abgemacht!« erklärte Tonaïa mit höchst befriedigter Stimme.

Dann schlug er einen mehr vertraulichen Ton an und sagte, sich zu Pharamond Barthès‘ Ohr neigend:

»Die Ochsen wären schon vorhanden. Sie sind von den Leuten, welche meine Krieger im Begriffe fanden, nach den Ställen heimzukehren, und die sie in meinen Kraal trieben … O, das war ein schöner Kriegszug, nicht wahr?«

Der Gefangene wurde nun in Freiheit gesetzt, und nachdem sie noch einen letzten Blick auf die Wunderherrlichkeiten der Höhle geworfen, ließen sich Cyprien, Pharamond Barthès und Matakit ohne Widerspruch die Augen verbinden und gelangten so zurück nach dem »Palaste« Tonaïa’s, wo zur Feier des abgeschlossenen Vertrags ein großes Fest gegeben wurde.

Man einigte sich schließlich dahin, daß Matakit nicht sofort in der Vandergaart-Kopie erscheinen, sondern in deren Nähe nur zum Dienste bei dem jungen Ingenieur bereit bleiben solle, bis dieser es für sicher genug ansehen würde, ihn wirklich zurückzurufen. Der Gang der Ereignisse wird lehren, daß das keine unnütze Vorsichtsmaßregel war.

Am folgenden Tage brachen Pharmond Barthès, Cyprien, Lî und Matakit unter zahlreicher Bedeckung wieder nach dem Griqualande auf. Jetzt konnte man sich freilich keiner Selbsttäuschung mehr hingeben. Der »Südstern« war unwiderbringlich verloren, und Mr. Watkins konnte ihn nicht nach dem Londoner Tower senden, um dort inmitten der prächtigsten Edelsteine Englands deren Glanz zu überstrahlen.

Zehntes Capitel.


Zehntes Capitel.

Worin John Watkins nachdenkt.

Mit gebrochenem Herzen hatte Cyprien die Farm verlassen und begab sich, fest entschlossen, zu thun, was er für Ehrenpflicht hielt, von Neuem zu Jacobus Vandergaart, den er jetzt allein traf; der Händler Nathan hatte alle Eile gehabt, ihn zu verlassen, um als der Erste im Lager die Neuigkeit zu verbreiten, welche die Lebensinteressen aller Insassen desselben so tief berührte.

Seine Mittheilung erregte hier natürlich ein ungewöhnliches Aufsehen, obwohl die Leute noch nicht einmal wußten, daß der Diamant des »Monsieur«, wie man Cyprien zu nennen pflegte, ein Kunstproduct war. Der »Monsieur« kümmerte sich freilich blutwenig um das Geschwätz in der Kopje. Ihm lag es nur am Herzen, mit Hilfe des alten Vandergaart die Qualität und Farbe seines Steines festzustellen, ehe er einen Bericht über die ganze Angelegenheit aufsetzte, und aus diesem Grunde begab er sich eben zu dem alten Manne.

»Mein lieber Jacobus, begann er, neben diesem Platze nehmend, erweisen Sie mir doch den Gefallen, an diesen Kloß eine Facette zu schleifen, damit wir einigermaßen erkennen können, was sich unter seiner Gangart verbirgt.

– Das soll bald geschehen sein, erklärte der alte Steinschleifer, den Stein aus der Hand seines jungen Freundes entgegennehmend. Sie haben da übrigens eine recht passende Stelle bezeichnet, fügte er hinzu, als ihm eine Ausbuchtung an einer Seite des Steines auffiel, nach welcher Cyprien gewiesen hatte. Letzterer bildete nämlich bis auf diese Unregelmäßigkeit ein ganz vollständiges Oval. Wenn wir ihn hier anschleifen, kann seine zukünftige Gestalt nicht beeinträchtigt werden.«

Jacobus Vandergaart ging ohne Zögern an’s Werk; und nachdem er aus seiner Kommode einen rohen Stein von vier bis fünf Karat entnommen und diesen an einer Art eisernem Griffe sorgfältig befestigt hatte, begann er die beiden äußeren Schichten kräftig gegeneinander zu reiben.

»Es wäre schneller geschehen, wenn ich eine Spaltung vornähme, sagte er. Wer möchte aber wagen, auf einen Stein von solchem Werthe einen Hammerschlag zu führen!«

Die lange und sehr einförmige Arbeit nahm nicht weniger als zwei Stunden in Anspruch. Als die Facette breit genug erschien, um die Natur des Steines beurtheilen zu lassen, mußte sie noch auf der Mühle polirt werden, was wiederum zwei Stunden Zeit erforderte.

Bei Beendigung dieser Vorarbeiten war es indeß noch immer voller Tag. Jetzt konnten nun Cyprien und Jacobus Vandergaart ihre gespannte Neugier befriedigen und sahen sich das Ergebniß der vorherigen Operationen an.

Eine schöne Facette von Gagathfarbe, aber vollkommenster Durchsichtigkeit und unvergleichlichem Glanze bot sich ihren Blicken.

Der Diamant war schwarz! Eine merkwürdige Eigenthümlichkeit, welche nur selten gefunden wird, und seinen Werth womöglich noch weiter erhöht.

Jacobus Vandergaart’s Hände zitterten, als er den Krystall in den Strahlen der Abendsonne funkeln ließ.

»Das ist der merkwürdigste und schönste Edelstein, der jemals das Licht des Tages wiedergestrahlt hat! rief er mit wirklich religiöser Ehrfurcht. Wie wird er erst aussehen, wenn seine Facetten alle kunstgerecht geschliffen sind!

– Würden Sie zustimmen, diese Arbeit zu übernehmen? fragte Cyprien eifrig.

– Ja, gewiß, liebes Kind! Das wäre der höchste Ruhm, die Krone meiner langen Lebensbahn! … Vielleicht aber möchten Sie lieber eine jüngere und sicherere Hand dazu wählen, als die meinige?

– Nein, antwortete Cyprien mit Wärme. Ich hege die Ueberzeugung, daß Niemand dieser Aufgabe mehr Sorgfalt und Geschick widmen wird, als Sie. Bewahren Sie diesen Diamanten, lieber Jacobus, und schneiden ihn, wie Sie es für gut finden. Sie werden ein Meisterstück liefern. Die Sache ist hiermit abgemacht!«

Der Greis drehte und wendete den Stein zwischen den Fingern und schien unschlüssig zu sein, was er thun solle.

»Es beunruhigt mich nur eins, sagte er endlich. Wissen Sie, daß ich mich nicht recht mit dem Gedanken befreunden kann, ein Juwel von solchem Werthe in meiner Behausung zu haben? Das sind mindestens fünfzig Millionen, vielleicht noch mehr, was ich hier in der hohlen Hand halte. Es scheint mir nicht rathsam, eine solche Verantwortlichkeit auf mich zu nehmen.

– Wenn Sie nichts davon sagen, wird es ja kein Mensch wissen, Herr Vandergaart, und was mich angeht, so verpflichte ich mich zur Wahrung des strengsten Stillschweigens.

– Hm! Vermuthungen werden deshalb nicht ausbleiben! Es kann Ihnen Jemand gefolgt sein, als Sie zu mir gingen! … Man wird die Veranlassung annehmen, wenn sie auch Keiner sicher kennt! Den Leuten hier ist nicht über den Weg zu trauen! Nein, ich könnte keine Nacht ruhig schlafen!

– Vielleicht haben Sie recht, erwiederte Cyprien, der die Einwendung des alten Mannes sehr wohl begriff. Doch was ist da zu thun?

– Das überleg‘ ich eben!« antwortete Jacobus Vandergaart, der einige Augenblicke still schwieg.

Dann nahm er wieder das Wort:

»Hören Sie mich an, liebes Kind, sagte er. Was ich Ihnen vorzuschlagen gedenke, ist sehr delicater Natur und ich setze dabei voraus, daß Sie unbegrenztes Vertrauen zu mir haben. Sie kennen mich jedoch zu gut, um es auffällig zu finden, daß ich in diesem Falle alle nur denkbare Vorsicht walten lassen möchte. Ich muß sofort mit meinen Werkzeugen und dem Stein von hier fort, um mich in einen Winkel zu verkriechen, wo mich Niemand kennt – vielleicht in Bloemfontein oder in Hope-Town. Da werd‘ ich mir ein bescheidenes Zimmer wählen, mich einschließen, um ganz im Geheimen und ungestört zu arbeiten und erst nach Vollendung dieser Aufgabe zurückkehren. Vielleicht gelingt es mir auf diese Weise, gewisse Leute, die gelegentlich zu Allem fähig sind, fern zu halten … Doch ich wiederhole Ihnen, ich schäme mich fast, Ihnen einen solchen Vorschlag zu unterbreiten.

– Einen Vorschlag, den ich völlig gerechtfertigt finde, erwiderte Cyprien, und ich bitte Sie nur inständigst, denselben ohne Zögern auszuführen.

– Rechnen Sie darauf, daß die Sache ziemlich lange dauern kann, daß ich wenigstens einen Monat dazu brauche, und vergessen Sie nicht, daß mir auch unterwegs ein Unfall zustoßen könnte.

– Das schadet Alles nichts, Herr Vandergaart, wenn Sie glauben, daß das der beste Weg ist, zum gewünschten Ziele zu gelangen. Und wenn der Diamant ja verloren ginge, ist ja das Unglück nicht gar so groß!«

Jacobus Vandergaart betrachtete seinen jungen Freund mit seltsamem Erstaunen.

»Sollte ihn ein solcher Glücksfall um den Verstand gebracht haben?« fragte er sich.

Cyprien verstand seine Gedanken und begann zu lächeln. Nun erst erklärte er ihm, woher der Diamant stamme und daß er deren in Zukunft so viel herstellen könne, als ihm beliebte. Ob der alte Steinschneider dieser Mittheilung nur halben Glauben schenkte oder ob ihn persönliche Gründe bestimmten, jetzt nicht in der allein liegenden Hütte bleiben zu wollen, wo ihm ein Edelstein von fünfzig Millionen an Werth als gefährlicher Hausgenosse erschien – kurz, er bestand darauf, noch zur Stunde abzureisen.

Nachdem er also in einem alten Ledersack seine Werkzeuge und die nöthigsten Habseligkeiten untergebracht, befestigte er an der Hausthür einen Zettel mit der Aufschrift: »In Geschäftsangelegenheiten abwesend,« steckte den Schlüssel in die Tasche, verbarg den Diamanten unter seiner Weste und brach unverzüglich auf.

Cyprien begleitete ihn zwei bis drei Meilen weit auf der Landstraße nach Bloemfontein und verließ ihn nur erst auf seine ernstliche Bitte.

Es war schon dunkle Nacht, als der junge Ingenieur nach seiner Wohnung zurückkehrte, während er dabei sicherlich mehr an Miß Watkins, als an seine berühmte Entdeckung dachte.

Ohne sich bei dem von Matakit bereiteten und schon zurecht gestellten Abendessen aufzuhalten, verfügte er sich an seinen Arbeitstisch und begann den Bericht aufzusetzen, den er mit dem nächsten Courier an den ständigen Secretär der Akademie der Wissenschaften abzusenden dachte. Dieser enthielt eine ganz genaue und vollständige Beschreibung seines Experimentes, welche er mit einer höchst geistreichen Theorie über die Reaction, durch die jener prächtige Kohlenstoffkrystall entstanden sein mochte, begleitete.

»Die bemerkenswertheste Eigentümlichkeit dieses Erzeugnisses, schrieb er unter Anderem, liegt offenbar in seiner unzweifelhaften Identität desselben mit dem natürlichen Diamanten und vor Allem in dem gleichzeitigen Vorhandensein der äußerlichen Gesteinsgangart.«

Cyprien hegte die feste Ueberzeugung, daß dieser merkwürdige Erfolg nur der sorgfältigen Auskleidung des Rohres mit der Erde zu verdanken sei, die er der Vandergaart-Kopje entnommen hatte. Der Vorgang, durch welchen ein Theil dieser Erde sich von der Wand losgelöst, um rings um den Krystall eine wirkliche Schale zu bilden, war freilich nicht leicht zu erklären und blieb ein Punkt, über den spätere Experimente jedenfalls weitere Aufklärung bringen würden. So lag zum Beispiel der Gedanke nahe, daß hier eine ganz neue Bethätigung einer chemischen Verwandtschaft anzunehmen sei, und der Autor nahm sich vor, diesen Gegenstand später gründlich zu studiren. Er maßte sich übrigens keineswegs an, in dieser Zuschrift schon eine vollständige und abgeschlossene Theorie geben zu wollen. Die Veranlassung zu derselben bildete vielmehr der Wunsch, dieselbe ohne Verzug der ganzen gelehrten Welt vorzulegen, die Priorität Frankreichs zu sichern und Andere zu Studien anzuregen, welche geeignet wären, das, was ihm bisher selbst noch dunkel geblieben war, aufzuhellen und zu erklären.

Nachdem er diese Abhandlung aufgesetzt und seine wissenschaftliche Befähigung nachgewiesen hatte, während er noch immer darauf hoffte, dieselbe durch weitere Erfahrung zu vervollständigen, ehe er sie an die richtige Adresse absandte, aß der junge Ingenieur ein wenig zu Abend und legte sich dann ruhig nieder.

Am folgenden Morgen verließ Cyprien seine Wohnung und lustwandelte nachsinnend durch die verschiedenen Theile der Mine. Gewisse und wahrlich nicht besonders freundliche Blicke trafen ihn, wo er auch vorüberkam. Wenn er diese kaum beachtete, kam das daher, daß er alle möglichen Folgen seiner wichtigen Entdeckung fast ganz vergessen hatte, obgleich sie John Watkins ihm so handgreiflich vor Augen führte, nämlich den mehr oder weniger nahe bevorstehenden Ruin aller concessionirten Inhaber und aller Concessionen des Griqualandes. Immer war das ganz dazu angethan, ihm in einem halbwilden Lande einige Besorgniß einzuflößen, hier, wo man gar nicht zögerte, sich mit eigener Hand Recht zu verschaffen, und die Sicherheit der Arbeit und demgemäß den daraus hervorgehenden Handel füglich als allererstes Gesetz betrachtete. Sobald die Herstellung künstlicher Diamanten sich zur praktischen Industrie fortentwickelte, waren alle jene Bergwerke Brasiliens, wie die in denen des südlichen Afrika festgelegten Millionen, ohne von der Unzahl Existenzen zu reden, welche davon lebten, unwiderbringlich verloren. Der junge Ingenieur konnte zwar sein Geheimniß für sich behalten; in dieser Beziehung aber lautete seine abgegebene Erklärung zu bestimmt und zu bindend; er war entschlossen, das nicht zu thun.

Auf der anderen Seite konnte der Vater Alices während der Nacht – eine Nacht quälender Unruhe – in der John Watkins von nichts Anderem als von noch gar nicht dagewesenen Diamanten im Werthe von so und so vielen Milliarden träumte – wohl folgenden Gedankengang haben. Jedenfalls erschien es ganz natürlich, daß Annibal Pantalacci und die übrigen Steingräber mit grollender Unruhe die Umwälzung betrachteten, welche Cypriens Entdeckung bezüglich der Ausbeutung der Diamantendistricte herbeiführen mußte, da sie solche ja für eigene Rechnung bearbeiteten. Für ihn aber, als einfachen Eigentümer der Farm Watkins, gestaltete sich die Sachlage noch anders. Wenn die Claims infolge der Werthverminderung der Edelsteine verlassen wurden, wenn die ganze jetzt hierher zusammengeströmte Bevölkerung das Gebiet des Griqualandes wieder verließ, so sank natürlich auch der Werth seiner Farm in beträchtlichem Maße, seine Felderzeugnisse fanden nicht mehr so bequemen Absatz, seine Häuschen und Hütten mußten wegen Mangels an Abmiethern leer stehen bleiben, und schlimmsten Falls konnte er sogar in die Lage kommen, ein Land zu verlassen, in welchem alle Quellen seiner bisherigen Einkünfte versiegt waren.

»Schön, sagte John Watkins, bis dahin werden schon ein paar Jahre vergehen! Die Herstellung künstlicher Diamanten ist selbst durch den von Herrn Méré angegebenen Proceß noch nicht so weit gediehen, um von praktisch einschneidender Bedeutung zu sein. Vielleicht hat ihn bei der ganzen Geschichte nur ein besonders glücklicher Zufall begünstigt. Doch ob Zufall oder nicht, jedenfalls hat er einen Stein von ungeheurem Werthe erzeugt, und wenn dieser, den Maßstab für natürliche Diamanten zu Grunde gelegt, schon einige fünfzig Millionen Werth ist, so wird er gerade wegen seiner Erzeugung auf künstlichem Wege einen weit höheren Preis bedingen. Ja, der junge Mann muß um jeden Preis zurückgehalten werden, eine Zeit lang wenigstens müssen wir ihn hindern, seine hochwichtige Entdeckung von allen Dächern hinauszuposaunen! Der Stein muß endgiltig in der Familie Watkins bleiben und wird von dieser nur gegen eine beträchtliche Anzahl Millionen abgegeben werden. Was den jungen Mann betrifft, der ihn hergestellt hat, so lasse ich mir darüber kein graues Haar wachsen, das wird sich leicht genug bewerkstelligen lassen. Ich habe ja Alice, und mit deren Hilfe wird mir’s schon gelingen, seine Abreise nach Europa zu verzögern … Ja, und wenn ich sie ihm zur Frau versprechen … selbst wenn ich sie ihm zur Frau geben sollte!«

Ja, unter dem Drange einer wahrhaft verzehrenden Begierde wäre John Watkins sogar dazu entschlossen gewesen. Bei der ganzen Angelegenheit hatte er nur sein Ich im Auge und dachte er nur allein an sich! Und wenn der alte Egoist an seine Tochter dachte, so geschah es einzig und allein, um sich zu sagen:

»Nun, Alles in Allem wird Alice sich nicht zu beklagen haben. Der junge gelehrte Narr ist eigentlich ganz gut. Er liebt sie, und mir scheint, sie ist gegen seine warme Zuneigung nicht unempfindlich geblieben. Was kann’s nun Besseres geben, als zwei für einander geschaffene Herzen zu vereinigen … oder ihnen die Vereinigung wenigstens bis zur vollständigen Klärung der Sachlage in Aussicht zu stellen. Ah, beim heiligen John, meinem Schutzpatron, zum Teufel mit Annibal Pantalacci und seinen Spießgesellen! Jeder ist sich selbst der Nächste, auch hier im Griqualande!«

So räsonnirte John Watkins, und wenn er die ideale Wage betrachtete, auf der er die Zukunft seiner Tochter mit einem Stück krystallisirter Kohle in’s Gleichgewicht gebracht, war er ganz glücklich in der Vorstellung, daß beide Schalen derselben sich vortrefflich in einer horizontalen Linie hielten.

Am folgenden Morgen stand sein Entschluß fest; er wollte nichts vom Zaune brechen, sondern die Dinge an sich herankommen lassen, ohne sich viel um den Weg zu kümmern, den sie dabei nehmen möchten.

Zunächst lag es ihm am Herzen, seinen Abmiether einmal wiederzusehen – was ja bei den täglichen, auf der Farm abgestatteten Besuchen ziemlich leicht war – aber auch den berühmten Diamanten, der in seinen Träumen schon zu fabelhaften Größenverhältnissen angewachsen war, sehnte er sich noch einmal zu betrachten.

Mr. Watkins begab sich also nach dem Häuschen Cypriens, der in dieser frühen Morgenstunde noch hier anwesend war.

»Nun, mein junger Freund, begann er im Tone guter Laune, wie haben Sie denn die Nacht hingebracht, diese erste Nacht nach Ihrer hochwichtigen Entdeckung?

– O, sehr gut, Herr Watkins, sehr gut, erklärte der junge Mann frostig.

– Wie, Sie haben schlafen können?

– Ganz wie gewöhnlich!

– Alle die Millionen, welche aus diesem Ofen hervorgequollen sind, fuhr Mr. Watkins fort, haben nicht einmal Ihren Schlaf gestört?

– In keiner Weise! versicherte Cyprien. Vergessen Sie überhaupt nicht, Herr Watkins, daß der fragliche Diamant einen Werth von Millionen nur besäße, wenn er das Werk der Natur wäre, nicht aber das Erzeugniß eines Chemikers …

– Ja … ja freilich, Herr Cyprien! Doch sind Sie sicher, noch einen oder gar noch mehrere machen zu können? … Würden Sie dafür einstehen können?«

In der Ueberzeugung, daß ein derartiges Experiment wohl auch auf einen Mißerfolg hinauslaufen könne, zögerte Cyprien mit der Antwort.

»Da haben wir’s ja, fuhr John Watkins fort, Sie getrauen sich das nicht! Bis auf weitere Versuche und Erfolge bleibt also Ihrem Diamanten sein ungeheurer Werth! … Nun, warum wollen Sie’s dann, wenigstens gleich jetzt, Jedermann predigen, daß es nur ein künstlicher ist?

– Ich wiederhole Ihnen, erwiderte Cyprien, daß ich ein wissenschaftliches Geheimniß von solcher Tragweite nicht für mich behalten darf!

– Ja … ja … weiß schon! erwiderte John Watkins, indem er dem jungen Manne durch ein Zeichen bedeutete, zu schweigen, um nicht draußen gehört zu werden. Ganz richtig! … Davon sprechen wir später. Jedenfalls sorgen Sie sich nicht wegen Pantalacci’s und der Uebrigen; die werden bezüglich Ihrer Entdeckung gewiß reinen Mund halten, denn das liegt in ihrem eigenen Interesse. Seien Sie überzeugt und – nun ja – glauben Sie vorzüglich von meiner Tochter und von mir, daß wir uns über Ihre Erfolge ganz besonders freuen. Ja gewiß, wir sind ganz glücklich darüber! … Aber könnt‘ ich den wunderbaren Diamanten denn nicht noch einmal sehen? … Gestern hatt‘ ich ja kaum Zeit, ihn aufmerksamer zu betrachten. Würden Sie wohl gestatten …

– Ja, ich hab‘ ihn leider nicht mehr, antwortete Cyprien.

– Sie haben ihn schon nach Frankreich geschickt? rief Mr. Watkins, fast vernichtet von diesem Gedanken.

– Nein … das noch nicht! … Im jetzigen Rohzustande würde man seine Schönheit nicht zu beurtheilen vermögen; deshalb also beruhigen Sie sich.

– Wem haben Sie ihn aber dann übergeben? Bei allen Schutzheiligen Alt-Englands, wem?

– Ich übergab ihn dem Jacobus Vandergaart zum Schleifen und weiß nicht, wo dieser ihn mit hingenommen hat.

– Sie hätten dem alten Narren einen Diamanten von solch ungeheurem Werthe anvertraut? rief John Watkins wirklich wüthend. Aber das ist wahnwitzig, Herr Ingenieur, rein wahnwitzig.

– Bah! erwiderte Cyprien sehr gleichmüthig, was, meinen Sie, könnte Jacobus oder ein beliebiger Anderer beginnen mit einem Diamanten, dessen Werth für Die, welche seinen Ursprung nicht kennen, mindestens fünfzig Millionen beträgt? Glauben Sie etwa, es ginge so leicht, denselben heimlich zu verkaufen?«

Mr. Watkins schien über dieses Argument einigermaßen betroffen. Ein Diamant von so hohem Preise konnte offenbar nicht so leicht aus einer Hand in die andere übergehen. Trotzdem fühlte sich der Farmer beunruhigt; er hätte viel – ja, viel darum gegeben, wenn der unvorsichtige Cyprien jenen nicht dem alten Steinschneider anvertraut hätte, oder wenn dieser wenigstens mit dem überaus kostbaren Juwel nach dem Griqualande zurückgekehrt gewesen wäre.

Jacobus Vandergaart hatte jedoch einen Monat Zeit verlangt, und trotz seiner brennenden Ungeduld mußte John Watkins sich wohl oder übel fügen.

Natürlich säumten im Laufe der folgenden Tage seine gewöhnlichen Tischgenossen Annibal Pantalacci, Herr Friedel und der Jude Nathan nicht, über den ehrbaren Steinschneider herzufallen. In Abwesenheit Cypriens sprachen sie sehr häufig von ihm und gaben John Watkins dabei jedesmal zu hören, daß die Zeit verstreiche und Jacobus Vandergaart doch nicht wieder erscheine.

»Und warum sollte er eigentlich nach dem Griqualande zurückkehren, bemerkte Friedel, da es ihm ja leicht genug gemacht ist, den unermeßlich kostbaren Diamanten, dessen künstlichen Ursprung bis jetzt doch nichts verräth, einfach für sich zu behalten?

– Weil er keine Gelegenheit finden dürfte, ihn zu verkaufen, entgegnete Mr. Watkins unter Anführung des Argumentes, welches der junge Ingenieur beigebracht hatte, obgleich ihn das jetzt nicht mehr vollständig beruhigte.

– Ein recht triftiger Grund! meinte Nathan.

– Ja, ein recht triftiger Grund! wiederholte Annibal Pantalacci, und glauben Sie mir, das alte Krokodil ist damit in dieser Stunde schon über alle Berge. Es wird ihm wohl besonders schwer fallen, den Stein äußerlich zu verändern und unkenntlich zu machen! Sie wissen ja nicht einmal, welche Färbung er hat. Wer hindert ihn, denselben in vier oder fünf Stücke zu theilen, oder durch Spaltung daraus auch noch mehr Diamanten von immerhin beträchtlichem Werthe herzustellen?«

Solche hingeworfene Andeutungen senkten schwere Zweifel in die Seele des Mr. Watkins, und er gab sich schon dem Glauben hin, daß Jacobus Vandergaart niemals wiedererscheinen werde.

Nur Cyprien glaubte fest an die Ehrbarkeit des alten Steinschneiders und erklärte unentwegt, daß dieser sich schon am vorherbestimmten Tage einstellen würde. Er sollte damit Recht behalten.

Jacobus Vandergaart traf achtundvierzig Stunden später wirklich ein. Sein Fleiß und Eifer für die Arbeit hatten es ermöglicht, den Schliff des Diamanten schon in siebenundzwanzig Tagen zu vollenden. Er schlüpfte des Nachts wieder in sein Haus, um dem Juwel auf der Mühle die letzte Politur zu geben, und am neunundzwanzigsten Tage sah Cyprien den Greis wieder bei sich erscheinen.

»Hier ist der Stein!« sagte er einfach und setzte bei diesen Worten einen kleinen Holzkasten auf den Tisch.

Cyprien öffnete das Etui und stand wie versteinert da.

Auf einer Unterlage von weißer Baumwolle ruhte, in Form eines dodecaëdrischen, das ist zwölfflächigen Rhomboïds ein ungeheurer schwarzer Krystall, der seine prismatischen Strahlen mit solchem Feuer aussandte, daß das ganze Laboratorium davon erleuchtet schien. Dieses Kunstproduct von tintenschwarzer Farbe, diamantener Durchsichtigkeit und unerreichtem Brechungsvermögen brachte einen wunderbaren, wirklich aufregenden Effect hervor. Man empfand es, daß man hier einer einzig dastehenden Erscheinung, einem Naturspiel, das wahrscheinlich seines Gleichen nicht hatte, gegenüberstand. Von dem Werthe desselben ganz abgesehen, nahm der Glanz des Edelsteins schon allein alle Sinne gefangen.

»Das ist nicht bloß der größte, sondern auch der schönste Diamant, den es auf Erden giebt! sagte Jacobus Vandergaart in ernstem Tone, dem sich ein gewisser Vaterstolz beimischte. Er wiegt vierhundertzweiunddreißig Karat! Sie dürfen sich also schmeicheln, ein Prachtstück erster Ordnung geschaffen zu haben, liebes Kind, und Ihr einfacher Versuch hat gleich ein Meisterwerk geliefert!«

Cyprien hatte auf die Lobpreisung des alten Steinschneiders nicht geantwortet. Er betrachtete sich eben nur als den Urheber einer merkwürdigen Entdeckung. Ohne Zweifel hatten schon Viele sich auf dem Gebiete der anorganischen Chemie nach gleichem Zwecke strebend vergeblich abgemüht, wo er so unerwartet leicht zum Ziele gekommen war. Doch welche nützliche Folgen konnte die Herstellung künstlicher Diamanten für die menschliche Gesellschaft haben? Denn unvermeidlicher Weise mußte diese in gewisser Zeit alle Diejenigen welche vom Edelsteinhandel lebten, zu Grunde richten, und würde deshalb doch Niemand bereichern.

Mit dieser Vorstellung verfiel der junge Ingenieur wieder in die Berauschung, der er sich während der ersten Stunden nach seiner Entdeckung hingegeben hatte. Ja, jetzt, wo dieser Diamant in vollem Glanze aus den Händen Jacobus Vandergaart’s wiederkam, erschien er auch ihm selbst nicht mehr als werthloser Krystall, dem vielleicht in naher Zeit nicht einmal mehr der Vorzug der Seltenheit zukam.

Cyprien hatte das Kästchen wieder ergriffen, in welchem der unvergleichliche Edelstein funkelte, und nachdem er noch die Hand des Greises warm gedrückt, begab er sich geraden Weges nach der Farm des Mr. Watkins. Der Farmer saß noch immer unruhig, noch immer erregt wegen der für ihn so unwahrscheinlichen Rückkehr des Jacobus Vandergaart in seinem Zimmer zu ebener Erde. Seine Tochter befand sich bei ihm und suchte ihn nach Kräften zu besänftigen.

Cyprien stieß die Thür auf und blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen.

»Nun? … fragte John Watkins lebhaft, während er sich überraschend schnell erhob.

– Nun, der ehrliche Jacobus Vandergaart ist heute Morgen heimgekehrt! antwortete Méré.

– Mit dem Diamanten?

– Mit dem meisterhaft geschnittenen Diamanten, der noch immer vierhundertzweiunddreißig Karat wiegt.

– Vierhundertzweiunddreißig Karat! stieß John Watkins hervor. Und Sie haben ihn mitgebracht?

– Hier ist er.«

Der Farmer hatte das Kästchen hastig ergriffen, hatte es aufgerissen, und seine großen Augen funkelten jetzt fast ebenso stark wie der Diamant, den er mit einer fast stumpfsinnigen Bewunderung, gleich einem Geisteskranken anstarrte. Jetzt, als er denselben in so leichter, tragbarer, körperlicher und doch glänzender Form zwischen den zitternden Fingern hielt, den colossalen Werth, den der Edelstein darstellte, in der Hand fühlte, steigerte sich sein Entzücken zu solchem Grade, daß es beinahe lächerlich erschien. Mr. Watkins hatte Thränen in der Stimme und sprach auf den Diamanten wie auf ein lebendes Wesen.

»O der schöne, der stolze, der köstliche Stein! … rief er. Du bist also wiedergekommen, mein Herzlieb! … Wie prächtig Du aussiehst! … Wie schwer Du bist! … Wie viel magst Du in guten, klingenden Guineen werth sein! … Was soll aus Dir werden, mein Schatz? … Sollen wir Dich nach dem Cap und von da nach London senden, um Dich bewundern zu lassen? … Wer wäre aber reich genug, Dich kaufen zu können? … Die Königin selbst könnte sich einen solchen Luxus nicht gestatten! … Das verzehrte ihre Civilliste für zwei bis drei Jahre! … Es wird sich wohl ein Parlamentsbeschluß, eine nationale Subscription nothwendig machen! … Nun, sei nur ruhig, das wird ja geschehen! … Dann wirst auch Du im Tower zu London ausruhen können, zur Seite des Koh-i-noor, der Dir gegenüber nur noch ein Knabe sein wird! … Was magst Du wohl werth sein, mein Herzensschatz?«

Er rechnete ein Weilchen im Kopfe.

»Der Diamant des Zaren ist von Katharina II. mit einer Million Rubel baar und sechsundneunzigtausend Francs lebenslänglicher Rente bezahlt worden. Es erscheint gewiß nicht übertrieben, für diesen hier eine Million Pfund Sterling und fünfhunderttausend Francs fortlaufende Rente zu verlangen!«

Da fiel ihm plötzlich noch etwas Anderes ein.

»Glauben Sie nicht, Herr Méré, daß der Eigenthümer eines solchen Steines zum Pair erhoben werden müßte? Alle Arten des Verdienstes sollen doch in dem hohen Hause vertreten sein, und einen solchen Diamanten zu besitzen, ist doch kein gewöhnliches Verdienst zu nennen! … Sieh doch, Alice, schau doch her, zwei Augen sind wahrlich nicht genug, einen solchen Stein zu bewundern!«

Zum ersten Male in ihrem Leben betrachtete Miß Watkins einen Diamanten mit Interesse.

»Er ist wirklich ausnehmend schön! Er leuchtet wie ein Stück Kohle, was er ja im Grunde ist, aber wie ein Stück glühende Kohle!« sagte sie, während sie ihn sorgsam aus seinem Baumwollenlager herausnahm.

Darauf näherte sie sich durch eine instinctive Bewegung, welche wohl bei jedem jungen Mädchen aufgetreten wäre, dem Spiegel über dem Kamine und hielt sich das kostbare Juwel an die Stirn, mitten zwischen ihr blondes Haar.

»Ein in Gold gefaßter Stern! sagte Cyprien galant, der sich einmal gegen seine Gewohnheit zu einem Complimente verleiten ließ.

– Das ist wahr! … Einen Stern könnte man ihn nennen! rief Alice freudig in die Hände klatschend.

– Nun gut, lassen wir ihm diesen Namen: nennen wir ihn den Stern des Südens. Wollen Sie, Herr Cyprien? Ist er nicht ebenso schwarz wie die eingebornen Schönheiten dieses Landes und glanzvoll wie die Sternbilder unseres südlichen Himmels?

– Der »Südstern«! meinetwegen, sagte John Watkins, der auf den Namen nur sehr mittelmäßigen Werth legte. Aber hüte Dich, ihn fallen zu lassen! fuhr er bei einer raschen Bewegung seiner Tochter erschrocken fort; er würde wie Glas zerspringen!

– Wirklich? … So zerbrechlich wäre so ein Ding? antwortete Alice, während sie den Edelstein ziemlich verächtlich in das Kästchen zurücklegte. Armer Stern, Du bist also nur ein Gestirn zum Lachen, ein gewöhnlicher Glasflaschenstöpsel!

– Ein Glasflaschenstöpsel! … rief Mr. Watkins halb erstickt. Die Kinder haben doch vor gar nichts Respect.

– Fräulein Alice, sagte da der junge Ingenieur, Sie waren es, die mich zur Herstellung künstlicher, aber echter Diamanten veranlaßt hat. Ihnen allein verdankt der Stein seine heutige Existenz! In meinen Augen ist er freilich ein Spielzeug, das keinen Handelswerth haben wird, wenn man dessen Ursprung erfährt. Ihr Herr Vater wird jedenfalls gestatten, daß ich Ihnen denselben als Erinnerung an Ihre glückliche Beeinflußung meiner Arbeiten als Geschenk anbiete.

– Wie? stieß Mr. Watkins hervor, der nicht verhehlen konnte, was er bei diesem unerwarteten Vorschlage empfand.

– Fräulein Alice, wiederholte Cyprien, dieser Diamant gehört Ihnen. Ich biete Ihnen denselben an … ich schenke ihn Ihnen!«

Statt jeder Antwort reichte Miß Watkins dem jungen Manne die Hand hin, welche dieser zärtlich zwischen den seinen drückte.

Elftes Capitel


Elftes Capitel

»Der Südstern«

Die Nachricht von der Rückkehr Jacobus Vandergaart’s hatte sich natürlich schnell verbreitet. Alle Welt kam nun nach der Farm gelaufen, um das Wunder der Kopje wenigstens zu sehen. Man vernahm dabei auch sehr bald, daß der Diamant der Miß Watkins gehöre, daß aber ihr Vater viel mehr als sie selbst der Inhaber desselben sei.

Die allgemeine Neugier wendete sich also diesem Diamanten zu, einem Werk der Menschenhand und nicht der schöpferischen Natur.

Es muß hier bemerkt werden, daß von dem künstlichen Ursprung des Diamanten noch nichts in die Oeffentlichkeit gedrungen war. Einestheils wären die Steingräber des Griqualandes nicht so unverständig gewesen, ein Geheimniß auszuplaudern, welches ihren unmittelbaren Ruin herbeiführen mußte; andererseits hütete sich Cyprien, dem Zufall zu sehr zu vertrauen, hatte noch nichts in dieser Beziehung ausgesprochen und sich vorgenommen, seinen Bericht über den »Südstern« nicht eher abzusenden, als bis er den Erfolg seines Verfahrens durch einen zweiten Versuch bestätigt hatte. Was er ein erstes Mal vollbracht, das wollte er auch ein zweites Mal im Stande sein.

Die allgemeine Aufmerksamkeit war also außerordentlich erregt, und John Watkins hätte sich schon anstandshalber nicht weigern können, dieselbe zu befriedigen, ganz abgesehen davon, daß sie ja seiner Eitelkeit schmeichelte. Er brachte den »Südstern« auf leichter weißer Unterlage auf einer kleinen weißen Marmorsäule an, die sich in der Mitte über dem Kamin seines Besuchszimmers erhob, und den ganzen Tag lang blieb er davor in seinem Lehnstuhl sitzen, wachte über das unvergleichliche Juwel und zeigte dasselbe Jedem, der da kam.

James Hilton war der Erste, der ihn darauf aufmerksam machte, wie unklug ein solches Benehmen sei. Bedachte er wohl, welche Gefahren er über sein Haupt heraufbeschwor, wenn er so Aller Augen den enormen Werth, den er unter seinem Dache barg, preisgab? Nach Hilton’s Ansicht war es unumgänglich nöthig, von Kimberley eine specielle Polizeiwache zu erbitten, oder es könnte vielleicht schon die nächste Nacht nicht ohne ein Unglück verlaufen.

Erschrocken über diese Möglichkeit, beeilte sich Mr. Watkins, dem weisen Rathe seines Gastes zu folgen, und athmete erst wieder auf, als er gegen Abend einen Trupp berittener Policemen ankommen sah. Diese vierundzwanzig Mann wurden in den Nebengebäuden der Farm untergebracht.

Der Zufluß von Neugierigen nahm in den nächsten Tagen nur noch mehr zu, und der Ruhm des »Südsterns« hatte bald die Grenzen des Bezirks überschritten, um sich bis nach den entferntesten Städten zu verbreiten. Die Tagesblätter der Colonie widmeten spaltenlange Artikel der Beschreibung seiner Größenverhältnisse, seiner Form und Farbe, sowie seines Glanzes. Das Telegraphenkabel von Durban übernahm es, diese Einzelheiten über Zanzibar und Aden zuerst nach Europa und Asien, und dann nach Nord- und Süd-Amerika und nach Oceanien zu übermitteln. Photographen rissen sich um die Ehre, ein Bild des wunderbaren Diamanten aufzunehmen. Im Auftrage illustrirter Journale kamen Zeichner angereist, denselben für ihre Blätter darzustellen. Endlich wurde die Sache für die ganze Welt zu einem wirklichen Ereigniß.

Jetzt mischte sich auch die Fabel mit hinein. Unter den Steingräbern circulirten phantastische Geschichten über die geheimnißvollen Eigenschaften, die ihm zugeschrieben wurden. Man raunte einander zu, daß ein schwarzer Stein unbedingt »Unglück bringen müsse.« Erfahrene Leute schüttelten den Kopf und erklärten, daß sie diesen Feuerstein viel lieber bei Watkins, als im eigenen Hause sähen. Kurz, üble Nachreden und selbst Verleumdungen, welche von jeder Berühmtheit unzertrennlich sind, fehlten auch dem »Südstern« nicht – der sich ganz natürlich darum nicht im Mindesten kümmerte, denn er goß wie zuvor

… Ströme von Licht
Auf jeden obscuren Bösewicht!

Mit John Watkins lag das freilich ganz anders, da diesen jenes Geschwätz bald zur Verzweiflung brachte. Es erschien ihm, als würde der Werth des Steines dadurch einigermaßen herabgesetzt, und er empfand das als eine Art persönliche Beleidigung. Nachdem der Gouverneur der Colonie und die Officiere der benachbarten Garnisonen, die Stadtcommandanten, die Beamten und alle Volksvertretungen herbeigekommen waren, seinem Edelsteine ihre Huldigungen darzubringen, erblickte er in den mehr als freimüthigen Aeußerungen, die man sich über seinen Besitz erlaubte, fast eine Gotteslästerung.

Ebenso um diesen Alfanzereien ein Ende zu machen, wie seinen von jeher etwas lüsternen Gaumen einmal wieder zufrieden zu stellen, beschloß er einen großen Schmaus zu geben, zu Ehren des ihm so an’s Herz gewachsenen Diamanten, den er noch immer in klingende Münze umzusetzen hoffte, was Cyprien auch dagegen sagen und so sehr seine Tochter wünschen mochte, ihn wie er war zu behalten.

So stark ist der Einfluß des Magens auf eine große Zahl Menschen, daß schon die Anzeige von dieser Mahlzeit hinreichte, von diesem Tage zum anderen die öffentliche Meinung in dem Vandergaart-Lager völlig umzuwandeln. Da hörte man die Leute, welche sich früher am mißliebigsten über den »Südstern« ausgesprochen hatten, plötzlich einen anderen Ton anschlagen und aussprechen, daß dieser Stein doch an der ihm zugeschriebenen schlechten Wirkung ganz unschuldig sei, und darauf nahmen sie die Einladung zu John Watkins mit großem Vergnügen an.

Von diesem Feste im Becken des Vaal sollte sehr lange die Rede sein. An dem betreffenden Tage fanden sich achtzig Gäste zur Tafel unter einem großen Zelte ein, das an die Wand des Empfangszimmers, welche man gleich entfernt hatte, angebaut wurde.

Ein »Baron voyal«, ein gewaltiger Braten, bestehend aus einem ganzen Ochsenrücken, nahm die Mitte des Tisches ein und wurde von ganzen Lämmern und Vertretern aller Arten Wild des Landes umringt. Berge von Gemüse und Früchten, zahlreiche Biertonnen und Weinfässer, welche an verschiedenen Stellen übereinandergelagert und schon mit Abzapfhähnen versehen waren, vervollständigten die Anordnung dieser wahrhaft üppigen Tafel.

Auf seinem Sockel und umgeben von brennenden Kerzen stand der »Südstern« gleich hinter dem Rücken John Watkins‘ bei dem Festmahle, das ja zu seiner Ehre gegeben wurde.

Die Bedienung bildeten zwanzig, für diese Gelegenheit engagirte Kaffern unter der Anführung Matakit’s, der sich erboten hatte, diese – mit Erlaubniß seines Herrn – zu commandiren.

Hier befanden sich außer der Polizeimannschaft, welcher Mr. Watkins auf diese Weise seinen Dank abstatten wollte, alle hervorragenden Persönlichkeiten des Lagers und der Umgebung, Mathys Pretorius, Nathan, James Hilton, Annibal Pantalacci, Friedel, Thomas Steel und fünfzig Andere.

Selbst die Thiere der Farm, die Büffel, Hunde und vorzüglich die Strauße der Miß Watkins erhielten ihren Theil von dem Feste, indem sie herankamen, einige Brosamen von der Tafel zu erbetteln.

Alice saß ihrem Vater gegenüber am anderen Ende des Tisches und machte mit der ihr angeborenen Grazie die Honneurs, doch nicht ohne einen geheimen Kummer, obgleich sie völlig den Grund der Abwesenheit von zwei gewissen Personen begriff; weder Cyprien Méré, noch Jacobus Vandergaart nahmen an dem Festgelage Theil.

Der junge Ingenieur hatte immer soviel als möglich die Gesellschaft Friedel’s, Pantalacci’s und der Genossen dieser Leute gemieden. Außerdem kannte er seit seiner Entdeckung deren wenig wohlwollende Gesinnung gegen ihn und sogar ihre Drohung gegen den Erfinder der künstlichen Herstellung von Diamanten, wodurch sie vollständig zu Grunde gerichtet zu werden fürchten mußten. Er hatte sich also zurückgehalten und war der Einladung zur Tafel nicht gefolgt. Jacobus Vandergaart, dem gegenüber John Watkins nicht unversucht ließ, ihn gegen sich freundlich zu stimmen, hatte Alles von Anfang her glatt zurückgewiesen.

Das Bankett ging allmählich zu Ende. Wenn es in guter Ordnung verlief, kam das daher, daß die Anwesenheit der Miß Watkins selbst den rohesten Gästen einen gewissen Zwang zu äußerer Wohlanständigkeit auferlegte, obwohl Mathys Pretorius wie immer als Zielscheibe für schlechte Witze Annibal Pantalacci’s dienen mußte, indem dieser dem unglücklichen Boer die unsinnigsten Bären aufband. So sollte unter dem Tische plötzlich ein Feuerwerk abgebrannt werden! … Man erwarte nur, daß Miß Watkins sich zurückziehe, um den dicksten Mann der Gesellschaft zu verurtheilen, zwölf Flaschen Gin in einem Zuge zu trinken! … Oder es sei beabsichtigt, das Gelage mit einem großen Faustkampfe und einem allgemeinen Gefechte mit Revolvern zu beschließen.

Er wurde dabei aber unterbrochen von John Watkins, der in seiner Eigenschaft als Präsident des Banketts mit dem Messergriffe auf den Tisch klopfte, um die herkömmlichen Toaste auszubringen. Sofort ward es still. Der Gastgeber erhob sich in ganzer Länge, stützte beide Daumen auf das Tischtuch und begann seinen Speech mit einer durch reichliches Trinken etwas unsicher gewordenen Stimme.

Er sagte unter Anderem, daß dieser Tag die wichtigste Erinnerung aus seinem Leben als Steingräber und Ansiedler bleiben werde.

Nachdem er geschildert, wie hart es ihm in der Jugend gegangen, und wie er sich jetzt hier im reichen Griqualand von achtzig Freunden umgeben sähe, um den größten Diamanten der Welt zu feiern, sei das für ihn eine Freude, die er nimmermehr vergessen könne! … Vielleicht könne ja morgen einer der ehrenwerthen Gäste eben so gut einen noch größeren Stein finden! … Das sei eben das Interessante, die Poesie des Diamantengrabens! (Lebhafte Zustimmung.) Dieses Glück wünschte er vor Allem seinen Freunden und Gästen! … (Lächeln, Beifall.) Er glaube sogar versichern zu können, daß Derjenige nur sehr schwer zu befriedigen sein müsse, der sich jetzt an seiner Stelle nicht zufriedengestellt fühlte! … Zum Schlusse lud er die Tischgenossen ein, auf das Gedeihen des Griqualands, auf die Beständigkeit des Marktpreises der Diamanten – wie stark sich auch die Concurrenz darin entwickeln möchte – zu trinken, endlich aber auch auf die glückliche Reise des »Südsterns«, der nun hinaus solle in die Welt, zuerst nach dem Cap und dann nach England, um seinen Glanz bewundern zu lassen.

»Aber, sagte Thomas Steele, ist es nicht mit einiger Gefahr verknüpft, einen Stein von so großem Werthe nach dem Cap zu senden?

– O, er wird natürlich sichere Begleiter haben, erwiderte Mr. Watkins. Es sind schon viele Diamanten in solcher Weise befördert worden und glücklich an’s Ziel gekommen.

– Sogar der des Herrn Dueurix de Sancy, sagte Alice, und doch möchte er ohne die Opferwilligkeit eines einfachen Dieners …

– Nun, was ist ihm denn so Außerordentliches zugestoßen? fragte James Hilton.

– So hören Sie die Anekdote, antwortete Alice, ohne sich erst darum bitten zu lassen.

»Herr de Sancy war ein französischer Edelmann am Hofe Heinrichs III. Er besaß einen berühmten Diamanten, der noch heute nach seinem Namen genannt wird. Nebenbei gesagt hatte dieser Edelstein schon vorher zahlreiche Abenteuer erlebt. Er gehörte nämlich anfänglich Karl dem Furchtsamen, der ihn bei sich trug, als er unter den Mauern von Nancy getödtet wurde. Ein Schweizersoldat fand später den Stein auf der Leiche des Herzogs von Burgund und verkaufte ihn für einen Gulden an einen armen Geistlichen, der ihn für fünf oder sechs Gulden wieder an einen Juden abtrat. Zur Zeit, als er sich im Besitz des Herrn de Sancy befand, war der königliche Schatz einmal stark in Geldverlegenheit und Herr de Sancy ließ sich dazu herbei, seinen Diamanten als Pfand herzugeben, um dem König den Geldwerth desselben zu verschaffen. Der Darleiher befand sich aber in Metz. Der Edelstein mußte also einem Diener anvertraut werden, der ihn diesem hinschaffte.

»Fürchten Sie nicht, daß dieser Mensch damit nach Deutschland entfliehen könne? fragte Jemand Herrn de Sancy.

»Ich bin seiner sicher! antwortete dieser.

»Trotz dieser Sicherheit kam weder der Mann, noch der Diamant in Metz an. Auch der Hof fing endlich an, sich über Herrn de Sancy zu moquiren.

»Ich bin meines Dieners sicher, wiederholte dieser. Er muß ermordet worden sein.

»Und wirklich, bei genauer Nachforschung fand sich dessen Leichnam in einem Straßengraben.

»Oeffnet ihn! sagte Herr de Sancy. Der Diamant muß sich in seinem Magen vorfinden!

»Man that, wie er sagte, und seine Voraussage fand sich bestätigt. Der einfache Held, dessen Namen die undankbare Geschichte nicht einmal aufbewahrt hat, war seiner Pflicht und der Ehre treu geblieben bis zum Tode, und verdunkelte durch den Glanz seiner Handlungsweise – darüber meldet ein alter Chronist – den Glanz und den Werth des Juwels, das er beförderte.

»Es sollte mich sehr wundern, setzte Alice als Beendigung ihrer Erzählung hinzu, wenn der »Südstern« im gegebenen Falle während seiner Reise nicht Jemand dieselbe Ergebenheit einzuflößen im Stande wäre!«

Einstimmiger Beifall begrüßte die Worte der Miß Watkins, achtzig Arme erhoben die gleiche Anzahl Gläser und alle Augen wendeten sich unwillkürlich nach dem Kamin, um dem unvergleichlichen Edelstein daselbst ihre Huldigung darzubringen.

Der »Südstern« war nicht mehr auf seinem Sockel, wo er noch kurz vorher hinter dem Rücken John Watkins‘ geflammt hatte.

Das Erstaunen der achtzig Gesichter war ein so sprechendes, daß der Gastgeber sich sofort umdrehte, um dessen Ursache zu ergründen.

Kaum hatte er den Grund desselben wahrgenommen, als man ihn, wie vom Blitze getroffen, bleich in seinen Sessel zurücksinken sah.

Alle drängten sich um ihn, lüfteten ihm die Cravate, spritzten ihm Wasser in’s Gesicht … er erwachte endlich aus seiner Betäubung.

»Der Diamant! kreischte er mit entsetzlicher Stimme. Der Diamant! Wer hat den Diamanten genommen?«

– Daß Niemand hier weggeht, meine Herren!« befahl der Anführer der Polizei-Abtheilung, der schon den Ausgang des Saales besetzen ließ.

Alle Tischgenossen sahen sich erschreckt an und tauschten ihre Meinung mit gedämpfter Stimme gegenseitig aus. Nicht fünf Minuten waren verflossen, als die Meisten von ihnen den Diamanten noch gesehen oder wenigstens noch zu sehen geglaubt hatten. Trotzdem konnte sich Niemand der Thatsache verschließen, daß der Diamant verschwunden war.

»Ich verlange, daß alle Anwesenden visitirt werden, ehe sie weggehen! schlug Thomas Steele mit seiner gewöhnlichen Geradheit vor.

– Ja! .. Ja! ..« antwortete die Versammlung scheinbar einstimmig.

Dieser Vorschlag schien John Watkins einen Schimmer von Hoffnung wiederzugeben.

Der Polizeiofficier ließ also alle Tischgäste längs einer Seite des Raumes aufstellen und begann dieselben nacheinander der peinlichsten Untersuchung zu unterziehen. Er drehte alle ihre Taschen um, ließ sie die Schuhe ausziehen und überall an der Kleidung betasten. Dann verfuhr er ganz ebenso mit seinen eigenen Leuten. Endlich mußten die Gäste einzeln an ihm vorübergehen und wurden dabei noch mehrmals der genauesten Besichtigung unterworfen.

Diese Untersuchungen führten zu keinem Resultate. Alle Ecken und Winkel des Raumes wurden sodann mit größter Gewissenhaftigkeit abgesucht. Nirgends fand sich auch nur eine Spur von dem Diamanten.

»So sind nur noch die Kaffern übrig, welche bei der Tafel aufgewartet haben, sagte der Polizeiofficier, der nicht gern unverrichteter Sache abziehen wollte.

– Das ist klar! … Die Kaffern sind es gewesen! tönte ihm als Antwort entgegen. Sie sind von Natur Diebe genug, um diesen Streich ausgeführt zu haben.«

Die armen Teufel hatten sich indeß schon vorher zurückgezogen, ehe John Watkins seinen Toast ausbrachte, da sie nicht mehr von Nöthen waren. Sie kauerten draußen Alle zusammen um ein großes Feuer, das unter freiem Himmel emporloderte, und nachdem sie von übriggebliebenem Fleisch sich ein Gütchen gethan, begannen sie eben ein Concert, wie es im Kaffernlande Mode ist. Aus einer Kürbisflasche bestehende Guitarren, Flöten, welche mit der Nase angeblasen wurden, hellklingende Tam-tams aller Art intonirten eben das ohrzerreißende Geräusch, welches jeder musikalischen Aufführung der Eingebornen Südafrikas vorhergeht.

Die Kaffern verstanden zuerst gar nicht recht, was man von ihnen wollte, als sie zurückgerufen wurden, um bis auf ihre mangelhafte Bekleidung untersucht zu werden. Sie begriffen nun, daß es sich um den Diebstahl eines Diamanten von hohem Werthe handelte.

Wie die vorhergehenden Untersuchungen, erwies sich auch diese völlig fruchtlos.

»Wenn sich der Dieb unter den Kaffern befindet – und er muß unter diesen zu suchen sein – so hat er zehnmal Zeit genug dazu gehabt, seinen Diebstahl an sicherem Ort zu verbergen! bemerkte sehr richtig einer der Tischgäste.

– Das liegt auf der Hand, stimmte der Polizei-Officier zu, und es giebt vielleicht nur ein Mittel, sie zum Geständniß zu bringen, indem wir ihnen einen Wahrsager aus ihrem eigenen Stamme auf den Hals schicken. Einem solchen gelingt es nicht so selten …

– Wenn Sie gestatten, fiel da Matakit ein, der sich noch bei seinen Landsleuten befand, so will ich den Versuch vornehmen!«

Das Anerbieten wurde ohne Säumen angenommen, und die Gäste bildeten einen Kreis um die Kaffern. Dann ging Matakit, der ja in der Rolle eines Wahrsagers geübt war, daran, seine Vorbereitungen zu treffen.

Zunächst begann er damit, zwei oder drei tüchtige Priesen Tabak aus der Horndose zu nehmen, die ihn niemals verließ.

»Ich werde jetzt zur Ruthenprobe verschreiten!« kündete er nach dieser einleitenden Procedur an.

Er holte darauf von einem nahestehenden Busche zwanzig dünne Zweige, die er genau abmaß und ganz gleichmäßig, nämlich auf zwölf Zoll englisch, zuschnitt. Dann vertheilte er diese unter die Kaffern, welche in Reih‘ und Glied standen, nachdem er für sich selbst eine solche Ruthe bei Seite gelegt hatte.

»Jetzt mögt Ihr eine Viertelstunde hingehen, wohin Ihr wollt, sagte er feierlichen Tones zu seinen Landsleuten, und werdet nicht eher wiederkommen, als bis Ihr einen Tam-tam anschlagen hört. Wenn sich der Dieb unter Euch befindet, so wird seine Ruthe um drei Querfinger länger geworden sein.«

Die Kaffern zerstreuten sich, nicht besonders angenehm berührt von dieser Vorrede, da sie recht wohl wußten, daß man im Griqualand kurzen Processes einen Uebelthäter schnell dingfest machte und ihn auch, selbst ohne eine Frist zu seiner Vertheidigung zu gewähren, kurzer Hand aufhängte.

Die Gäste, welche diesen Vorbereitungen mit erklärlichem Interesse gefolgt waren, sprachen darüber Jeder seine eigene Meinung aus.

»Der Dieb wird sich hüten, wiederzukommen; er befindet sich offenbar unter diesen Kerlen, warf Einer ein.

– Nun, das würde ihn ja gerade als solchen bezeichnen, antwortete ein Anderer.

– Bah! Er wird geriebener als Matakit sein und schneidet sich einfach drei Finger breit ein Stück von seiner Ruthe ab, um das befürchtete Wachsthum derselben auszugleichen.

– Das mag der Wahrsager wohl erwarten und eine so unüberlegte Verkürzung würde ja hinreichen, den Schuldigen zu erkennen zu geben.«

Inzwischen waren die fünfzehn Minuten abgelaufen, und mit einem kräftigen Tamtamschlage rief Matakit die Angeklagten zurück.

Sie erschienen alle bis auf den Letzten, stellten sich vor diesem auf und lieferten ihre Gerten wieder ab.

Matakit nahm diese, bildete daraus ein Bündel und überzeugte sich, daß alle fünfundzwanzig noch gleich lang waren. Er mußte dieselben also bei Seite legen und auf Grund der entscheidenden Probe erklären, daß seine Landsleute alle ehrlich seien, als ihm eben noch einfiel, die Länge der zurückgegebenen Ruthen mit der, welche er zurück behalten, zu vergleichen. Alle waren um drei Fingersbreiten zu kurz.

Die armen Teufel hatten es für gerathen erachtet, diese Vorsicht zu gebrauchen gegen eine Erscheinung, welche ihren abergläubischen Vorstellungen nach recht wohl zu Stande kommen konnte. Das wies nun freilich nicht auf besonders reines Gewissen der Leute hin, und wahrscheinlich hatten schon Alle im Laufe des Tages einen Diamanten gestohlen.

Allgemeines Gelächter begleitete die Constatirung dieses unerwarteten Ereignisses. Matakit senkte die Augen und schien tief beschämt, daß ein Mittel, dessen Zuverlässigkeit ihm in seinem Kraal oft genug nachgewiesen worden war, sich im civilisirten Leben so machtlos erweise.

»Herr Watkins, begann da der Anführer der Polizeimannschaft mit einer Verbeugung gegen den Farmer, der eine Beute der Verzweiflung in seinem Lehnstuhle sitzen geblieben war, wir müssen diesem Vorfall gegenüber unsere Ohnmacht bekennen. Vielleicht sind wir morgen glücklicher, wenn wir Jedem, der uns auf die Spur des Diebes führt, eine hohe Belohnung in Aussicht stellen.

– Der Dieb! rief da Annibal Pantalacci, warum sollte es nicht Der sein, den sie beauftragten, über seine Stammesgenossen abzuurtheilen?

– Was wollen Sie damit sagen? fragte der Polizeiofficier.

– Nun … jener Matakit, der, indem er die Rolle des Wahrsagers übernahm, hoffen durfte, jeden Verdacht von sich fernzuhalten!«

Wer jetzt auf ihn geachtet hätte, müßte haben sehen können, wie Matakit das Gesicht auf eigenthümliche Weise verzog, sofort den Saal verließ und sich seitwärts nach seiner Hütte wandte.

»Ja, fuhr der Neapolitaner fort, er gehört ja auch selbst zu denen, welche bei Tische aufwarteten. Er ist ein Spitzbube, ein Schurke, dem Herr Méré, man begreift nicht warum, seine besondere Zuneigung geschenkt hat.

– Matakit ist ehrlich, dafür stehe ich ein! erklärte Miß Watkins, bereit den Diener Cypriens zu vertheidigen.

– Wie kannst Du das wissen? erwiderte John Watkins. Ja, ja, er wäre wohl im Stande, selbst die Hand nach dem »Südstern« ausgestreckt zu haben.

– Nun, er kann ja nicht weit sein! meinte der Polizeiofficier. Wir werden ihn binnen einer Minute visitirt haben. Findet sich der Diamant in seinem Besitz, so bekommt er so viel Peitschenhiebe, als dieser Karate wog, und wenn er daran nicht stirbt, wird er mit dem vierhundertzweiunddreißigsten aufgehenkt!«

Miß Watkins zitterte vor Furcht. Alle die halbwilden Leute jubelten dem schrecklichen Urtheile des Officiers zu. Doch wie hätte sie diese rohen, gewissen- und mitleidslosen Menschen zu bändigen vermocht?

Einen Augenblick später standen Mr. Watkins und seine Gäste vor Matakit’s Hütte, deren Thür erbrochen wurde.

Matakit war nicht da, und vergeblich suchte man nach ihm die ganze Nacht.

Auch am folgenden Morgen war nichts von ihm zu sehen, und man mußte nun wohl annehmen, daß er die Vandergaart-Kopje verlassen habe.