Vierundzwanzigstes Kapitel.

Vierundzwanzigstes Kapitel.

»Doch sag‘ mir, Hal, bist du entsetzlich nicht Erstaunt?« –

Shakespeare.

 

Ein zweiter Blick war hinreichend, um die ganze erstaunte Gesellschaft zu überzeugen, daß der junge Pawnee, auf den sie schon einmal gestoßen, wieder vor ihnen stünde. Verwunderung hielt beide Theile stumm, und mehr als eine Minute ward damit hingebracht, daß sie sich gegenseitig mit großen, wenn nicht mißtrauischen Augen anstarrten. Doch war die Ueberraschung des jungen Kriegers bei weitem gemäßigter und würdevoller als die seiner christlichen Bekanntschaft. Während Middleton und Paul den Schrecken, der ihre zarten Begleiterinnen befiel, durch ihr eignes erregtes Blut durchpricklen fühlten, ging das strahlende Auge des Indianers von einem zum andern, als könne der stärkste Angriff es nimmer zu Boden schlagen. Sein Blick ruhte endlich, nachdem er die Runde an jedem verwunderten Antlitz vorüber gemacht hatte, in einem stolzen, festen Schauen auf den gleich unbeweglichen Zügen des Streifschützen. Das Schweigen wurde zuerst von Doctor Battius mit dem Ausruf unterbrochen:

»Ordnung: primates; Genus: homo; Species: Steppe!«

»Ei, ei, da haben wir das Geheimniß,« sagte der alte Streifschütz, und nickte mit dem Kopf, wie wenn man sich Glück wünscht, daß man endlich hinter die Verstecktheit einer knotenreichen Schwierigkeit gekommen. »Der Bursche hat sich in das Gras versteckt, das Feuer ist im Schlaf über ihn gekommen, und, da er sein Pferd verloren, ist er genöthigt gewesen, unter diese frische Büffelhaut sich zu retten. Keine üble Erfindung, wo Pulver und Feuerstein fehlte, um einen Cirkel abzubrennen. Ich schwöre darauf, es ist ein tüchtiger Junge, einer, mit dem es sicher reisen ist. Ich will gütig mit ihm sprechen, denn Leidenschaft kann auf keinen Fall uns in etwas nützen. Mein Bruder ist nochmals willkommen,« sagte er in der dem andern verständlichen Sprache, »die Teton haben ihn geräuchert, wie sie’s etwa einem Tapir machen würden.«

Der junge Pawnee ließ die Augen über die Steppe rollen, als wolle er die furchtbare Gefahr untersuchen, der er eben entgangen, aber er hielt es für unwürdig, die geringste Rührung wegen ihrer Nähe zu verrathen. Seine Stirn zog sich zusammen, als er auf die Bemerkung des Streifschützen antwortete:

»Ein Teton ist ein Hund. Tönt der Pawnee Kriegsgeschrei in ihre Ohren, dann heult die ganze Nation.«

»So ist’s. Die Schurken sind uns auf der Spur, und ich bin froh, einen Krieger zu treffen, der, die Schlachtaxt in der Hand, sie nicht liebt. Will mein Bruder meine Kinder in sein Dorf führen? Wenn die Sioux uns folgen, werden meine jungen Leute sie ihm schlagen helfen.«

Der junge Pawnee wandte seine Blicke von einem der Fremden zum andern, scharf forschend, ehe er auf so wichtige Frage eine Antwort geben wollte. Seine Untersuchung bei den Männern war kurz, und, wie es schien, befriedigend. Aber seine Beschauung, wie dies auch bei ihrer ersten Zusammenkunft geschehen, hielt sich länger auf, und verrieth Bewunderung, als er die hervorstechende und ungewöhnliche Schönheit eines so reizenden und so seltenen Wesens wie Inez in Augenschein nahm. Obwohl auf Augenblicke sein Anstaunen von ihrem Antlitz zu den faßlicheren und doch ausgezeichneten Reizen Ellens hinüberwanderte, kehrte es bald zu dem Studium eines Geschöpfs zurück, das für sein ungeübtes Auge, und seine unbeschränkte Einbildungskraft mit allen Vorzügen ausgeschmückt war, womit der jugendliche Dichter gern die glühenden Gebilde seines aufgeregten Geistes zu begaben pflegt. Nichts so Schönes, so Idealisches, so in jeder Hinsicht Würdiges, dem Muth, der Hingebung eines Kriegers zu lohnen, war ihm noch in den Steppen begegnet, und der junge Tapfere schien tief und sichtlich von ihrem so seltenen Muster der Lieblichkeit ihres Geschlechts gerührt. Als er jedoch bemerkte, daß sein Staunen den Gegenstand seiner Bewunderung beunruhige, wandt‘ er die Augen weg, legte mit Ausdruck die Hand auf die Brust, und antwortete bescheiden:

»Mein Vater soll willkommen sein; die jungen Leute meines Volks sollen mit seinen Söhnen jagen, die Häupter mit dem Greise rauchen. Die Pawnee-Mädchen werden singen vor den Ohren seiner Töchter.«

»Und wenn wir auf die Teton treffen?« fragte der Streifschütz, der vollkommen die wichtigeren Bedingungen seiner neuen Verbündeten zu vernehmen wünschte.

»Der Feind der Großmesser soll den Arm der Pawnee fühlen!«

»Gut. Nun lasse meinen Bruder und mich uns berathen, damit wir nicht gehen mögen auf krummem Pfad, sondern daß unser Weg nach seinem Dorf gleich sei dem Flug der Tauben.«

Der junge Pawnee machte eine ausdrucksvolle Geberde der Zustimmung, und folgte dem Andern etwas bei Seite, damit sie nicht von dem unruhigen Paul oder dem vertieften Naturforscher unterbrochen werden möchten, Ihre Unterredung dauerte nicht lange, aber da sie auf die sententiöse Weise der Eingebornen vor sich ging, war sie hinreichend, beiden Theilen alle nöthige Belehrung zu geben. Als sie zu den Andern zurückkamen, wollte der Alte, wie folgt, einiges von dem, was zwischen ihnen vorgegangen, mittheilen.

»Ei, ich trog mich nicht,« sagte er, »dieser gutaussehende junge Krieger, – denn gut, edel sieht er aus, obwohl er ein wenig durch Bemalung sich schrecklich gemacht hat, – dieser gutaussehende junge Mann also sagt mir, daß er gerade dieser Teton wegen aus ist. Sein Haufen war nicht stark genug, um die T – l zu schlagen, die herunter sind aus ihren Städten in großer Zahl, Büffel zu jagen, und Flüchtlinge sind in die Pawnee Dörfer gekommen um Hülfe. Es scheint, der Junge kennt keine Furcht, denn er hat ihre Spur allein verfolgt, bis, wie wir, er im Gras ein Lager hat suchen müssen. Aber er sagt mir noch mehr, Leute, und, was mich zu hören sehr betrübt, der listige Mahtoree, statt mit dem Auswanderer handgemein zu werden, ist sein Freund geworden, und beider Brut, roth und weiß, sind uns auf den Fersen, und legten ringsum die Steppe in Asche, unsern Untergang herbeizuführen.«

»Wie kann er all das wissen?« fragte Middleton. »Wie erfuhr er, daß es so sei?«

»Wie? Wie er’s erfuhr? Meint Ihr, Zeitungen und Stadtausrufer brauchte es, um einem Kundschafter zu sagen, was auf den Steppen geschieht, wie dies in den Staaten der Fall ist. Kein Zigeunerweib, das von Haus zu Haus eilt, um das Unglück ihres Nachbars zu verbreiten, kann so schnell mit ihrer Zunge die Neuigkeiten herumbringen, als dieses Volk seine Meinung durch Zeichen und Warnungen, die es allein versteht, kund thut. Das ist ihre Gelehrsamkeit, und was besser ist, sie wird in freier Luft erlangt, nicht innerhalb der Schulwände. Ich versichere Euch, Capitain, was er sagt, ist wahr.«

»Was das anlangt, das will ich beschwören,« sagte Paul. »Es ist vernünftig, und deßwegen muß es wahr sein.«

»Und das könnt Ihr auch, Junge. Er erklärt ferner, daß meine alten Augen mir nochmals treu gewesen, und daß der Fluß hier herum ist, etwa eine halbe Meile entfernt. Ihr seht, das Feuer ist so ziemlich in dieser Gegend fertig, und unser Weg in Wolken von Rauch gehüllt. Er hält es auch für nöthig, unsere Spur im Wasser abzuwaschen. Ja, wir müssen diesen Fluß zwischen uns und die Sioux-Augen setzen, und dann, mit des Herrn Gnade, unsern eigenen Eifer nicht zu vergessen, können wir zum Dorf der Wölfe gelangen.«

»Worte bringen uns keinen Schritt weiter,« sagte Middleton, »laßt uns aufbrechen.«

Der Alte stimmte bei, und die Gesellschaft machte sich nochmals auf den Weg. Der Pawnee warf die Büffelhaut über seine Schulter, und führte an, blickte jedoch oft hinter sich, als er vorwärts schritt, um die ungewöhnliche und für ihn unbegreifliche Lieblichkeit der Inez anzustaunen.

Eine Stunde brachte die Flüchtlinge an die Ufer des Stroms, der einer von den Hunderten war, welche durch das weite Geäder des Missouri und Mississippi die Wasser jenes großen und noch unbewohnten Landes dem Ocean zuführen. Der Fluß war nicht tief, aber sein Lauf trüb und schnell. Die Flammen hatten den Boden bis zu dessen Rande bestrichen, und da die warmen Dämpfe des Wassers sich in der kühleren Luft des Morgens mit dem Rauch des noch wüthenden Brandes mischten, war der größte Theil der Fläche in einen Mantel hinziehender Dünste gehüllt. Der Streifschütz machte auf diesen Umstand mit Vergnügen aufmerksam, und sagte, als er Inez am Rande des Wassers vom Pferd half:

»Die Schelme haben sich selbst hintergangen; ich weiß nicht, ob ich nicht die Steppe auch angezündet hätte, um den Vortheil, daß der Rauch unsere Bewegungen einhülle, zu erlangen; jetzt haben uns die herzlosen Wichte die Mühe erspart. Ich hab’s zu meiner Zeit so gemacht, und mit Erfolg. Kommt, Lady, setzt den zarten Fuß auf den Boden, denn eine furchtbare Zeit ist es gewesen für Jemand von Eurer Erziehung und Zartheit; – ach, was haben nicht zu meiner Zeit die Zarten, Guten, Aengstlichen unter den Schrecken und Nachstellungen des indianischen Kriegs erduldet! Kommt, es ist eine kurze Viertelmeile an das andere Ufer, und dann wenigstens ist unsere Spur unterbrochen.«

Paul hatte unterdeß Ellen bei’m Absteigen unterstützt, und jetzt stand er und betrachtete mit trostlosen Augen die nackten Ufer des Flusses. Kein Baum, kein Gesträuch wuchs an seinem Rand, hier und da verlorenes Gebüsch, unter dem man nicht leicht ein Dutzend Stämme von der Dicke eines gewöhnlichen Spazierstocks hätte finden mögen.

»Hört, alter Streifschütz,« rief der muthwillige Bienenjäger, »da kann man schon von der andern Seite dieses Zwergs von einem Fluß oder Bach, oder wie Ihr ihn nennen wollt, reden; es müßte in der That eine tüchtige Büchse sein, die ihr Blei hinüberbringen könnte, daß es einen Indianer oder ein Reh verletze.«

»Freilich, freilich. Obwohl ich hier eine führe, die zur Noth ihre Pflicht in eben so großer Entfernung gethan hat.«

»Und wollt Ihr Ellen und des Capitains Lady hinüberschießen, oder sollen sie unter’m Wasser nach Art der Forellen hinüber?«

»Ist der Fluß zum Durchwaden zu tief?« fragte Middleton, der wie Paul die Unmöglichkeit zu bedenken begann, sie, deren Rettung er mehr als seine eigene schätzte, auf das andere Ufer zu bringen.

»Wenn die Berge ihn mit ihren Bächen nähren, ist es, Ihr seht’s, ein schneller und mächtiger Strom, und doch bin ich über sein sandiges Bett gegangen, ohne ein Knie zu benetzen. Aber wir haben die Siouxpferde, ich wette, die pfiffigen Schelme schwimmen Euch wie Rehe.«

»Alter Streifschütz,« sagte Paul, und fuhr mit den Händen in seine Haare, wie er zu thun pflegte, wenn eine Schwierigkeit seinen Scharfsinn verwirrte. »Ich habe zu meiner Zeit wie ein Fisch geschwommen, und kann es noch, wenn es die Noth erfordert, auch kümmere ich mich nicht sehr um das Wetter, aber ich frage, ob Ihr Nelly auf ein Pferd bringen könnt, während das Wasser so stürmisch vor ihr hinrollt, außerdem ist es augenscheinlich, das Ding geht nicht trocken ab.«

»Ei, der Junge hat Recht. Also zu unserer Erfindung, oder wir kommen nicht hinüber.« Dann schnell die Unterredung abbrechend, wandte er sich zu dem Pawnee, und machte ihn mit der Schwierigkeit bekannt, die sich bei den Frauen zeigte. Der junge Krieger hörte ernst zu, warf die Büffelhaut von der Schulter, und fing sogleich, gelegentlich von dem Alten unterstützt, an, die nöthigen Vorkehrungen zu dem gewünschten Zweck zu treffen.

Die Haut war bald mit Hülfe von Rehstriemen, womit beide gut versehen waren, in die Gestalt eines Regenschirmes oder umgekehrten Schutzdaches zusammengezogen. Einige leichte Stöcke dienten dazu, die Theile am Zusammenfallen zu hindern, und als dies einfache und natürliche Mittel vorbereitet war, ward es aufs Wasser gesetzt, und der Indianer gab durch Zeichen zu verstehen, es sei bereit, seine Ladung einzunehmen. Inez und Ellen zögerten, sich einer Barke von so leichter Bauart anzuvertrauen, und auch Middleton und Paul wollten es nicht zugeben, bis sie sich durch wirklichen Versuch versichert, daß das Fahrzeug selbst eine weit schwerere Last tragen könne. Da endlich wurden ihre Anstände wiewohl mit Widerstreben besiegt, und die Haut nahm die kostbare Fracht auf.

»Nun laßt den Pawnee Lootsen sein,« sagte der Streifschütz, »meine Hand ist nicht so fest wie vormals, aber er hat Glieder wie gehärtetes Eisenholz. Ueberlaßt alles der Weisheit des Pawnee.«

Der Gemahl und der Liebende konnten nicht gut anders, und wurden sehr theilnehmende aber leidende Zuschauer bei dieser uranfänglichen Art von Färcherei. Der Pawnee wählte sich Mahtoree’s Thier aus den drei Pferden, und das mit einer Schnelligkeit, welche bewies, daß er gar nicht unbekannt mit den Eigenschaften des edeln Rosses sei, warf sich darauf und ritt an den Rand des Flusses. Das eine Ende seiner Lanze in die Haut steckend, zog er das leichte Fahrzeug den Strom hinauf, ließ dem Pferde die Zügel schießen und drang kühn in die Fluth. Middleton und Paul folgten und hielten sich so nahe an der Barke, als es Klugheit rathsam machte. Auf diese Weise brachte der junge Krieger seine kostbare Ladung in vollkommener Wohlbehaltenheit an das andere Ufer, ohne die geringste Beschwerlichkeit für die Reisenden und mit einer Sicherheit und Schnelligkeit, welche verrieth, daß beide, Pferd und Reiter, in dem Werk nicht ungeübt seien. Als das Ufer gewonnen war, machte der junge Indianer seine Arbeit auseinander, warf die Haut über die Schulter, nahm die Stöcke unter den Arm, und ging ohne etwas zu sagen, wieder hinüber, um die Uebrigen auf ähnliche Art an das Ufer zu bringen, welches sehr mit Recht als das sichere betrachtet ward.

»Nun, Freund Doctor,« sagte der Alte, als er den Indianer wieder in den Fluß gehen sah, »nun weiß ich, daß in jener Rothhaut Treue ist. Er ist ein gut aussehender, ja und ein ehrlich aussehender Junge; aber die Winde des Himmels sind nicht betrügerischer als diese Wilden, wenn der T –l sie so recht besessen hat. Wäre der Pawnee ein Teton oder einer von jenen herzlosen Mingo gewesen, die durch die Wälder von York zu streifen pflegten, es mögen etwa sechszig Jahre zurück sein, dann hätten wir sehen können, wie er uns den Rücken und nicht das Gesicht zugewendet. Mein Herz hatte schon seinen Verdacht, als ich den Jungen das bessere Pferd wählen sah, denn mit dem Thier könnte er uns eben so leicht verlassen, als eine gewandte Taube sich von einer Heerde lärmender, schwerfliegender Raben absondern möchte. Aber Ihr seht, Wahrheit ist in dem Jungen, und macht einmal eine Rothhaut Euch zum Freund, und er ist der Eurige, so lange Ihr ihn ehrlich behandelt.«

»Wie weit mag’s bis zur Quelle dieses Stroms sein?« fragte der Doctor, dessen Augen über die kräuselnden Wellen mit sehr zweifelvollem Ausdruck hinstrichen; »in wie weiter Entfernung könnte man sein verborgenes Entspringen auffinden?«

»Je nachdem es Wetter ist. Ich wette, Eure Beine würden müde werden, eh‘ Ihr seinen Lauf bis in die Felsgebirge verfolgt hättet; aber dann gibt’s Jahreszeiten, wo es, ohne einen Fuß naß zu machen, geschehen kann.«

»Und wann ist diese Zeit?«

»Wer diese Stelle einige Monate von jetzt an betritt, wird diesen brausenden Wasserspiegel als eine Wüste von Treibsand wiederfinden.«

Der Naturforscher sann tief nach. Wie viele Andere, die nicht überreichlich mit physischer Kraft versehen sind, hatte sich der Würdige die Gefahr, über den Fluß zu setzen, plötzlich um so größer vorbestellt, als jetzt der Augenblick der Ausführung herankam, daß er wirklich an den verzweifelten Versuch dachte, den Fluß zu umgehen, um die Zufälle bei der Ueberfahrt zu vermeiden. Es ist unnöthig, sich bei dem unglaublichen Scharfsinn aufzuhalten, womit der Schrecken zu jeder Zeit einen wankenden Beweis zu stützen pflegt. Der würdige Obed hatte den ganzen Plan mit löblichem Eifer überdacht, und war eben zu dem tröstlichen Schluß gekommen, daß es fast eben so großer Ruhm sei, die verborgenen Quellen eines so beträchtlichen Stromes aufzusuchen, als eine Pflanze oder ein Insect den Verzeichnissen der Gelehrten einzufügen, – da stieß der Pawnee wieder an’s Ufer. Der Alte nahm mit der größten Ueberlegung seinen Sitz in dem Hauptfahrzeug ein, sobald es nur zu seiner Aufnahme vorbereitet worden, und winkte nachdem er sorgsam den Hektor unter seine Beine untergebracht, dem Gefährten, den dritten Platz zu besetzen.

Der Naturforscher setzte den einen Fuß in das gebrechliche Fahrzeug, wie etwa der Elephant eine Brücke untersucht, oder wie man ein Pferd oft ähnliche Untersuchungen anstellen sieht, ehe es seinen ganzen körperlichen Werth den gefürchteten Dielen anvertrauen will, und zog dann in dem Augenblick wieder zurück, wo der Alte ihn sitzen glaubte.

»Verehrungswürdiger Jäger,« sagte er düster, »das ist eine unwissenschaftliche Barke; ein innerer Mahner verbietet mir auch, ihr meine Sicherheit zu vertrauen.«

»Ei!« sagte der Alte, der mit den Ohren des Hundes spielte, wie es etwa ein Vater mit einem begünstigten Kinde thut.

»Ich habe keine Neigung, auf diese unregelmäßige Art die Fluthen zu versuchen. Das Schiff hat weder Gestalt noch Verhältnisse.«

»Es ist nicht so schön gedrechselt, wie ich ein Canoe von Birkenrinde gesehen, aber Trost ist im Wigwam wie im Palast.«

»Es ist unmöglich, daß ein, auf so sehr aller Wissenschaft widerstrebende Grundsätze gebautes Fahrzeug, sicher sein kann; diese Schüssel, ehrwürdiger Jäger, wird nie sicher das andere Ufer erreichen.«

»Ihr waret ja Zeuge von dem, was sie eben ausgerichtet.«

»Ei, das war eine Anomalie im Glück. Wenn man Ausnahmen für Regeln im Verhalten der Dinge annehmen wollte, würde das Menschengeschlecht bald in die Abgründe der Unwissenheit gestürzt werden. Ehrwürdiger Jäger, dies Werkzeug, auf das Ihr Eure Sicherheit setzen wollt, ist in den Annalen regelmäßiger Erfindungen, was ein lusus naturae (Naturspiel) in den Verzeichnissen der Naturgeschichte heißt, – eine Mißgeburt.«

Wie weit noch Doctor Battius die Rede hinausgesponnen hätte, ist schwer zu sagen; denn außer den mächtigen persönlichen Rücksichten, die ihn bewogen, ein Experiment aufzuschieben, was sicherlich nicht ohne seine Gefahren war, begann der Stolz der Vernunft ihn in seiner Erörterung zu unterstützen. Aber zum Glück für des Alten Geduld erhob sich, als der Naturalist zu dem Wort gekommen, womit er seine Rede endete, ein Ton in der Luft, der eine Art übernatürlichen Widerhalls für des Doctors Ausspruch schien. Der junge Pawnee, welcher das Ende der unbegreiflichen Unterredung mit ernster und charakteristischer Geduld abgewartet, erhob das Haupt und hörte auf den unbekannten Schrei, wie ein Hirsch, dessen geheimnißvolle Fähigkeit die Fußtritte der fernen Hunde entdeckt hat. Doch war der Streifschütz und der Doctor nicht ganz so unerfahren, von welcher Art die ungewöhnlichen Töne seien. Der letztere erkannte in ihnen die wohlbekannte Stimme seines eigenen Thieres, und er wollte die kleine Erhöhung die den Fluß einschloß, mit all dem Bangen zärtlicher Zuneigung hinauseilen, als Asinus selbst in nicht großer Entfernung auf ihn zu galoppirte, zu diesem unnatürlichen Gange durch den ungeduldigen und groben Weucha getrieben, der ihn bestiegen hatte.

Des Tetons Augen und die der Flüchtlinge begegneten sich. Der erstere erhob einen langen, lauten, durchdringenden Schrei, worin die Töne des Jauchzens furchtbar mit denen der Warnung zerschmolzen. Dies Signal machte dem Streit über die Vorzüge der Barke ein Ende, indem der Doctor so schnell an des Alten Seite eilte, als wenn ein geistiger Nebel aus wunderbare Weise von seinen Augen weggenommen worden. Im nächsten Augenblick kämpfte des jungen Pawnee’s Stute kräftig mit der Fluth.

Die äußerste Anstrengung des Pferdes war nöthig, um die Flüchtlinge aus dem Bereich der Pfeile zu bringen, die alsbald durch die Luft segelten. Weucha’s Geschrei hatte fünfzig der Gefährten an’s Ufer gebracht, aber zum Glück war unter ihnen allen keiner von hinlänglichem Rang, um ihm das Privilegium zu geben, eine Flinte zu tragen. Die Hälfte des Stromes jedoch war noch nicht zurückgelegt, als man Mahtoree’s Gestalt selbst an dessen Ufer sah, und eine unwirksame Ladung von den Feuerwaffen zeugte von der Wuth und getäuschten Hoffnung des Anführers. Mehr als einmal hatte der Streifschütz seine Flinte erhoben, als wolle er ihre Kraft gegen seine Feinde versuchen, aber eben so oft ließ er sie nieder, ohne zu feuern. Die Augen des Pawnee-Kriegers glänzten wie jene des Cougars, bei’m Anblick so vieler von dem feindlichen Stamme, und er beantwortete die unmächtigen Anstrengungen ihres Anführers, indem er eine Hand verachtungsvoll in die Luft reckte und das Kriegsgeschrei seiner Nation ausstieß. Die Aufforderung war zu empörend, um geduldet zu werden. Die Teton sprangen in den Fluß alle zusammen, und die Fluth erfüllte sich mit den dunkeln Gestalten von Thieren und ihren Reitern.

Jetzt entstand ein furchtbarer Kampf um die freundliche Küste, da die Dahcotah mit Thieren vordrangen, welche nicht, wie die der Pawnee, ihre Kräfte in früheren Anstrengungen erschöpft hatten, und da sie unbelästigt von allem, nur ihre Reiter trugen, übertraf die Schnelligkeit der Verfolger gar sehr die der Flüchtlinge. Der Streifschütz, der klar die ganze Gefahr ihrer Lage begriff, wandte ruhig die Augen von den Teton auf seinen jungen indianischen Gefährten, um zu untersuchen, ob die Entschlossenheit des letztem zu wanken anfinge, je mehr die ersteren den Zwischenraum zwischen ihnen verringerten. Statt aber Furcht zu verrathen, oder etwas von der Besorgnis zu sagen, die so natürlich aus seinem sonderbaren Wagniß hervorzugehen schien, war die Stirn des jungen Kriegers zu einem Blick zusammengezogen, der hohe, tödtliche Feindschaft aussprach.

»Schätzt Ihr, Freund Doctor, das Leben sehr?« fragte der Alte, mit einer Art philosophischem Gleichmuth, der die Frage für seinen Gefährten doppelt entsetzlich machte.

»Nicht um seiner, selbst willen entgegnete der Naturforscher und schlürfte aus der hohlen Hand etwas Wasser aus dem Fluß, um seine heiße Kehle zu klären. »Nicht um seiner selbst willen, aber ganz außerordentlich, in soweit die Naturgeschichte so tiefes Interesse an meinem Leben nehmen muß, deßwegen –«

»Ei,« erwiederte der Andere, der zu sehr in Gedanken war, um des Doctor’s Ideen mit seinem gewöhnlichen Scharfsinn zu zergliedern. »Das ist freilich eine ganz natürliche Geschichte, und ein tiefes und eingewurzeltes Gefühl ist es; aber das Leben ist dem jungen Pawnee von eben so großem Werth als dem Statthalter der Staaten, und er könnte es retten, oder es wäre wenigstens möglich, daß er es rettete, wenn er uns dem Strom hinabgleiten ließe, und doch seht Ihr hält er sein Wort männlich, und wie ein indianischer Krieger. Ich, ich bin alt, und bereit, das Geschick zu nehmen, wie es der Herr mir verhängen will, auch sehe ich nicht, daß Ihr der Menschheit von großem Nutzen seid. Dagegen ist es eine schreiende Schande, ja eine Sünde, wenn solch ein schöner Junge, wie der, seinen Schädel um zwei so unnütze Wesen wie wir verlieren sollte. Ich bin daher geneigt, vorausgesetzt, daß es Euch recht ist, dem Burschen zu sagen, daß er für sich forteile, und uns der Gnade der Teton überlasse.«

»Ich bestreite den Vorschlag als der Natur widerstrebend, als Verrath an der Wissenschaft,« rief der bestürzte Naturforscher. »Unsere Eile ist bewunderungswürdig, und da die herrliche Erfindung mit so erstaunlicher Leichtigkeit sich bewegt, werden einige Minuten uns ans Land bringen.«

Der Alte betrachtete ihn einen Augenblick ernst, schüttelte den Kopf und sagte: »Himmel was ist Furcht! sie verwandelt die Geschöpfe der Welt und die Werke des Menschen, läßt, was häßlich ist, unsern Augen schön erscheinen, was schön, unansehnlich. Himmel was thut die Furcht!

Doch ward durch das wachsende Interesse der Verfolgung dem Gespräch ein Ende gemacht. Der Dahcotah Pferde hatten jetzt die Mitte des Stroms erreicht, und ihre Reiter erfüllten schon die Luft mit Triumphgeschrei. In diesem Augenblick erschienen Middleton und Paul, welche die Damen in ein kleines Dickicht geführt hatten, wieder am Rand des Stroms und drohten ihren Feinden mit der Büchse.

»Sitzt auf, sitzt auf,« rief der Streifschütz, sobald er sie sah, »sitzt auf und flieht, wenn Ihr die schätzt, die Eurer Hülfe vertrauen. Sitzt auf, und laßt uns in den Händen des Herrn.«

»Nieder mit dem Kopf, alter Streifschütz,« erwiederte Paul’s Stimme, »nieder mit euch Beiden in euer Nest. Der Teton-T–l ist in gerader Linie mit euch, macht einer Kentucky-Kugel Platz.«

Der Alte wandte das Haupt, und sah, daß der eifrige Mahtoree, der seinen Begleitern etwas voraus war, fast in gerade Linie mit der Barke und dem Bienenjager gekommen, der ganz bereit war, seine gefährliche Drohung auszuführen. Er beugte sich, die Büchse ging los, und das schnelle Blei pfiff harmlos an ihm vorüber nach seinem entfernteren Ziel. Aber des Tetonhäuptlings Auge war nicht weniger schnell und sicher als das seines Feindes. Er warf sich einen Augenblick vor dem Schuß vom Pferde und versank in’s Wasser. Das Thier schnaufte vor Schreck und Angst, und erhob sich halb in dem Fluß, dann trieb es fort in der Strömung und färbte die wilden Wasser mit seinem Blut.

Der Tetonhäuptling erschien bald wieder auf der Oberfläche, und schwamm, als er seinen Verlust gewahrte, mit kräftigen Zügen auf den nächsten seiner Leute zu, der als etwas, was sich von selbst versteht, so einem berühmten Krieger seine Stute überließ. Doch veranlaßte der Vorfall eine Verwirrung in der ganzen Dahcotah-Bande, welche den Willen ihres Führers abzuwarten schien, ehe sie ihre Anstrengungen, die Küste zu erreichen, erneuerte. Indeß hatte das, Hauptfahrzeug das Land gewonnen, und die Flüchtlinge vereinten sich nochmals am Rand des Flusses.

Die Wilden schwammen ungewiß herum, wir man etwa Heerde Tauben verwirrt fliegen sieht, wenn sie eine schwere Ladung in ihre Vordercolonne bekommen. Sie zögerten augenscheinlich, ein Ufer zu erstürmen, das so furchtbar vertheidigt ward. Die wohlbekannte Vorsicht der indianischen Kriegskunst trug endlich das Uebergewicht davon, und Mahtoree, durch den vorigen Vorfall gewitzigt, führte seine Krieger zurück an das Ufer, das sie verlassen, um die Pferde zu beruhigen, die scheu zu werden anfingen.

»Nun sitzt auf mit euren Schönen, und eilt nach jenem Hügel,« sagte der Streifschütz, »hinter ihm findet ihr einen andern Strom, über den müßt ihr setzen, euch gegen die Sonne richten, und seinem Lauf eine Meile folgen, bis ihr eine hohe, sandige Ebene erreicht, dort will ich euch treffen. Geht, sitzt auf, dieser Pawnee-Jüngling und ich, und mein tapferer Freund, der Physiker, der ein verzweifelter Held ist, sind Mann genug, das Ufer zu vertheidigen, da, wie wir sehen, Schau nicht, sondern That hier nöthig ist.«

Middleton und Paul wollten gegen diesen Vorschlag nicht vergebens ihre Lungen in Vorstellungen anstrengen. Froh, daß ihr Rücken gedeckt war, wenn auch nur unvollkommen, setzten sie schnell ihre Pferde in Bewegung, und verschwanden bald in der verlangten Richtung, Zwanzig bis dreißig Minuten vergingen, ehe die Teton auf dem andern Ufer geneigt schienen, etwas Neues zu unternehmen. Mahtoree war deutlich in der Mitte seiner Krieger zu sehen, wie er Befehle ausgab, und seine Rachbegierde verrieth, indem er gelegentlich seinen Arm nach den Flüchtlingen ausreckte, aber kein Schritt geschah, der eine unmittelbare Feindseligkeit zu drohen schien. Endlich erhob sich ein Geschrei unter den Wilden, das einen neuen Vorfall andeutete. Dann sah man Ismael und seine lässigen Söhne in der Entfernung, und bald trat die ganze vereinigte Macht an den Rand des Stroms. Der Auswanderer untersuchte die Stellung seiner Feinde mit seiner gewöhnlichen Ruhe, und gleichsam die Kraft seiner Büchse zu versuchen, sandte er eine Kugel unter sie, mit hinlänglicher Kraft, selbst in dieser Entfernung Tod zu bringen.

»Nun laßt uns fort!« rief Obed, und versuchte, das Blei zu erblicken, das, wie er sich einbildete, an seinem Ohr nahe vorbeigepfiffen. »Wir haben das Ufer tapfer vertheidigt, und lange genug, eben so große militärische Kunst zeigt sich im Rückzug als im Vordringen.«

Der Alte warf einen Blick hinter sich, und da er sah, daß die Reiter den Schutz des Hügels gewonnen, machte er gegen den Vorschlag keine weiteren Schwierigkeiten, Das noch übrige Pferd bekam der Doctor mit dem Befehl, dieselbe Richtung wie Middleton und Paul zu verfolgen. Als der Naturforscher saß, und in voller Flucht war, stahl der Streifschütz und der junge Pawnee sich auf eine Weise von der Stelle, die ihre Feinde noch einige Zeit in Zweifel über ihre Bewegungen ließ. Statt jedoch gerade über die Ebene nach dem Hügel zu gehen, was sie zu sehr ausgesetzt hätte, nahmen sie einen kürzeren Weg, der durch die Bildung des Bodens gedeckt war, und setzten über das kleine Wasser an dem Punct, wo Middleton geheißen worden, es zu verlassen, und gerade zu rechter Zeit, sich mit ihm zu vereinigen. Der Doctor hatte so großen Eifer auf der Flucht bewiesen, daß er schon seinen Freunden voraus war, und folglich waren alle Flüchtlinge wieder beisammen.

Der Streifschütz sah sich jetzt nach einer passenden Stelle um, wo der ganze Haufen fünf oder sechs Stunden, wie er sich ausdrückte, Halt machen könnte.

»Halt!« rief der Doctor, als der beunruhigende Vorschlag sein Ohr erreichte; »ehrwürdiger Jäger, es möchte scheinen, daß im Gegentheil wir mehrere Tage lang fliehen sollten!«

Middleton und Paul waren beide dieser Meinung, und jeder sagte es auch auf seine Art.

Der Alte hörte sie mit Geduld, schüttelte aber, nicht überzeugt, den Kopf, und beantwortete dann alle ihre Gründe zugleich und mit einem Worte.

»Warum sollten wir fliehen?« fragte er. »Können die Beine sterblicher Menschen Pferde überflügeln? Meint Ihr, die Teton werden niederliegen und schlafen, ohne über das Wasser zu setzen und nach unserer Spur zu forschen? Dank sei Gott, wir haben unsere Fährte gut im Wasser gewaschen, und wenn wir die Stelle mit Vorsicht und Weisheit verlassen, können wir sie noch von unserer Spur abbringen. Aber Steppe ist nicht Wald. Da kann man lange Reisen machen und braucht sich nur um die Fußtapfen des Moccasins zu bekümmern, während in jenen offenen Ebenen ein Späher, auf jenen Hügel gestellt, so weit nach jeder Seite hinsehen kann, wie ein streichender Habicht, der auf Raub aus ist. Nein, nein, die Nacht muß kommen, Dunkelheit über uns sein, ehe wir diese Stelle verlassen. Aber hört auf das Wort des Pawnee’s, er ist ein Bursche von Geist, und ich schwöre, er hat manchen harten Strauß mit den Sioux-Banden gehabt. Meint mein Bruder, seine Spur sei lang genug?« fragte er ihn dann auf Indianisch.

»Ist ein Teton ein Fisch, daß er sie im Fluß sehen kann?«

»Aber meine Leute meinen, wir sollten sie verlängern, bis sie über die Steppe reicht.«

»Mahtoree hat Augen, er wird es sehen.«

»Was räth mein Bruder?«

»Der junge Krieger studirte einen Augenblick den Himmel, und schien ungewiß. Er überlegte einige Zeit und antwortete dann, wie wenn man fest entschlossen ist:

»Die Dahcotah schlafen nicht, wir müssen in’s Gras uns verstecken.«

»Ah, der Junge ist meiner Meinung,« sagte der Alte und erklärte kurz die Meinung seines Gefährten seinen weißen Freunden. Middleton war genöthigt beizustimmen, und da es offenbar gefährlich war, stehen zu bleiben, machte Jeder Vorkehrungen zu seiner Sicherheit. Inez und Ellen wurden schnell unter die warmen und nicht unbequemen Büffelhäute gebracht, die eine dichte Decke bildeten, und hohes Gras ward über die Stelle gestreut, so daß das Ganze jeder Untersuchung eines gewöhnlichen Auges entging. Paul und der Pawnee banden die Thiere und warfen sie zu Boden, wo man sie, nachdem sie mit Futter versehen worden, auch in dem Nebel der Steppe versteckt ließ. Man verlor keine Zeit; als dies fertig war, suchte Jeder eine Stelle der Ruhe und Verstecktheit für sich selbst, und dann schien die Ebene wieder ihrer Einsamkeit überlassen.

Der Alte hatte seinen Gefährten die Nothwendigkeit bedeutet, Stunden lang in ihrem Versteck zu bleiben. Alle ihre Hoffnung zu entrinnen, hing von dem Gelingen dieser List ab. Wenn sie die Klugheit ihrer Verfolger durch dies einfache und deßwegen weniger vermuthete Mittel hintergehen konnten, mochten sie ihre Flucht, sobald der Abend kam, fortsetzen, und indem sie ihre Richtung änderten, würde die Vermuthung des Erfolgs noch erhöht. Durch diese wichtigen Betrachtungen bewogen, lag der ganze Haufen, über seinen Zustand brütend, bis die Gedanken wirrer wurden, und der Schlaf endlich über alle nach und nach kam.

Das tiefste Schweigen hatte stundenlang geherrscht, als die seinen Ohren des Streifschützen und des Pawnee’s durch einen hellen Schrei des Erstaunens von Inez aufgeregt wurden. Aufspringend wie Leute, welche für ihr Leben kämpfen, fanden sie die weite Ebene, die wellenförmigen Erhöhungen, den kleinen Hügel, und das zerstreute Gebüsch alles in ein weißes, blendendes Schneegewand gehüllt.

»Der Herr hab‘ Mitleid mit euch allen!« rief der Alte und betrachtete den Auftritt mit ängstlichem Auge; »nun Pawnee weiß ich die Ursache, warum Ihr so scharf die Wolken untersuchtet; aber es ist zu spät, zu spät! Ein Eichhörnchen ließe auf dieser leichten Decke eine Spur hinter sich. Ha, nun bekommen die Schurken Gewißheit!

Nieder mit euch, nieder! Unsere Aussichten sind gering, und doch darf man sie nicht übermüthig wegwerfen.«

Der ganze Haufen war sogleich wieder verborgen, obwohl mancher ängstliche und verstohlene Blick durch das Gras nach den Bewegungen der Feinde drang. Eine halbe Meile entfernt sah man die Teton-Bande in einem Kreis herumreiten, der sich allmählig zusammenzog und augenscheinlich auf derselben Stelle endete, wo die Flüchtlinge lagen. Es war nicht schwer, das Geheimnis, dieser Bewegung zu lösen. Der Schnee war früh genug gefallen, um sie zu versichern, daß die Gesuchten hinter ihnen wären und sie beschäftigten sich nun mit der unermüdlichen Ausdauer und Geduld indianischer Krieger damit, die sichern Grenzen ihres Verstecks zu umzingeln.

Jeder Augenblick vergrößerte die Gefahr der Flüchtlinge. Paul und Middleton setzten bedachtsam ihre Büchsen in Stand, und als der ernstlich beschäftigte Mahtoree endlich ihnen auf fünfzig Fuß nahe kam und seine Augen immer auf das Gras geheftet hielt, durch das er ritt, schlugen sie zugleich an und drückten los. Ihre Bemühung ward nur durch das Knappen des Hahns erwiedert.

»Genug,« sagte der Alte und erhob sich mit Würde. »Ich habe die Steine weggeworfen, denn plötzlicher Tod würde auf eure Raschheit folgen. Nun laßt uns unserm Geschick wie Männer begegnen. Weinen und Klagen finden nicht Gnade in indianischen Augen.«

Sein Erscheinen ward durch ein Geschrei begrüßt, das weit und breit über die Ebene drang und in einem Augenblick sah man Hunderte von Wilden wie toll auf die Stätte reiten. Mahtoree empfing, seine Gefangenen mit großer Selbstbezwingung, obwohl ein Strahl stolzer Freude durch sein düsteres Auge brach, und Middleton durchdrang Eiseskälte, als er diesen Ausdruck seines Auges gewahrte, wie er ihn aus die fast unempfindliche, aber noch liebliche Inez richtete.

Die Freude, daß er die weißen Gefangenen wieder habe, war so groß, daß sie für einige Zeit die dunkle unbewegliche Gestalt des Indianers, der sie begleitete, fast ganz bei ihm in Vergessenheit brachte. Dieser stand allein, nicht würdigend sein Auge auf seine Feinde zu werfen, so regungslos, als sei er in dieser würdigen, festen Stellung erfroren. Aber als einige Zeit vorübergegangen, zog selbst dieser Nebengegenstand die Aufmerksamkeit der Teton auf sich. Da erst erfuhr der Streifschütz, durch das Triumphgeschrei und das lange fortgesetzte Rufen, das mit einem Mal aus hundert Kehlen hervorkam, so wie auch durch den furchtbaren Namen selbst, der die Luft erfüllte, daß sein jugendlicher Freund Niemand anders als jener gefürchtete und bisher unbesiegte Krieger, der mächtige Hartherz sei.

Zwölftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

O, daß der Herzog von York sich könnt‘ entschuldigen.

König Heinrich VI.

 

Die Zusammenkunft der Grenzwohner am folgenden Morgen war still, dumpf und traurig. Das Mahl zu dieser Tageszeit entbehrte der unharmonischen Begleitung, womit Esther gewöhnlich ihre Gerichte würzte; denn die Wirkungen des mächtigen Schlaftrunks, welchen der Doctor ihr beigebracht, umnebelten noch ihren sonst so lebhaften Geist. Die jungen Leute machten sich über die Abwesenheit ihres ältern Bruders Gedanken, und selbst Ismael’s Braunen waren ernst zusammengezogen, als er seine forschenden Augen von einem zum andern warf, als rüste er sich, einem erwarteten Angriff auf sein Ansehen zu begegnen und ihn zurückzuschlagen. Mitten unter diesem Familienhader nahm Ellen und ihr mitternächtiger Cumpan jeder seinen gewöhnlichen Sitz unter den Kindern ein, ohne Verdacht zu erregen, ohne zu einer Bemerkung Veranlassung zu geben. Die einzige sichtbare Folge des Abenteuers, welches sie bestanden hatten, war ein gelegentliches Aufblicken von Seiten des Doctors, welches von den Beobachtern für eine von seinen gelehrten Betrachtungen des Himmels gehalten ward, aber in der That nichts weiter war, als ein verstohlenes Hinsehen nach den flatternden Wänden des verbotenen Zeltes.

Endlich entschloß sich der Auswanderer, der vergebens sich auf eine entschiedenere Darlegung des erwarteten Aufruhrs unter seinen Söhnen gefaßt gemacht hatte, seinen eigenen Plan ihnen zu erkennen zu geben.

»Asa soll mir dies ungebührliche Betragen entgelten!« bemerkte er kalt. »Da ist die liebe lange Nacht vorübergegangen, und er hat draußen gelegen in der Steppe, während sein Arm und seine Büchse uns sehr nöthig hätten sein können in einem Kampf mit den Sioux; denn was könnte er vom Gegentheil wissen?«

»Spare den Athem, Guter,« entgegnete sein Weib, denn du möchtest lange nach deinem Sohn rufen müssen, ehe er dir antwortet.«

»Es ist wahr, manche Männer sind so weibisch, daß sie die Jungen die Alten meistern lassen, aber du, Esther, solltest’s doch besser wissen, solltest nicht meinen, daß je so etwas in Ismael Busch’s Familie geschehen könnte.«

»Ei, du bist ein Tyrann gegen die Jungen, wenn es sich trifft, ich weiß es wohl, Ismael, und jetzt hast du einen von deinen Söhnen durch deinen Zorn fortgetrieben, gerade wenn du ihn am nöthigsten brauchst.«

»Vater,« sagte Abner, dessen schläfrige Natur sich allmählig zu der Kraftäußerung hinaufgewunden hatte, um so was Kühnes zu wagen, »die Jungen und ich haben einmüthig beschlossen, Asa aufzusuchen. Uns gefällt gar nicht, daß er in der Steppe campirt, statt in sein Bett zu kommen, was, wie wir wissen, er sonst gerne that.«

»Psah,« murmelte Abiram, »der Junge hat einen Bock getödet, oder vielleicht einen Büffel, und schlief bei der Beute, um die Wölfe bis zu Tage abzuhalten. Wir werden ihn bald sehen oder nach Hülfe rufen hören, um die Last hereinzubringen.«

»Ein Sohn wie meiner braucht wenig Hülfe, um einen Bock aufzuschultern oder wildes Rind zu vierteln!« entgegnete die Mutter. »Und du, Abiram, du magst so Unwahrscheinliches vorbringen, du, der selbst sagte, die Rothhäute seien noch gestern um diese Stelle herumgestreift?«

»Ich!« rief ihr Bruder hastig, als möchte er gerne seinen Irrthum zurücknehmen, »ich sagte es damals und sag‘ es noch, und so wirst du es finden. Die Teton sind in unserer Nähe, und es ist noch ein Glück für den Jungen, wenn sie ihn gut getroffen haben!«

»Mir scheint es,« sagte Doctor Battius, und sprach mit der Ueberlegung und Würde, wie man sie anzunehmen pflegt, wenn man seine Meinung durch hinlängliches Nachdenken gehörig hat reisen lassen; »mir scheint es, mir, einem Mann, der sich nur wenig auf die Zeichen und Eigenheiten der indianischen Kriegskunst versteht, besonders wie sie in diesen entfernten Ebenen ausgeübt wird, obwohl ich ohne Ruhmredigkeit sagen darf, daß ich einige Einsicht in die Geheimnisse der Natur habe; mir scheint es also, mir, der nur so wenig hierüber zu urtheilen im Stande ist, daß wenn Zweifel über eine Sache von so großer Wichtigkeit bestehen, es immer das Weiseste sein würde, sich zu vergewissern.«

Mir nichts weiter von Eurem doctern!« rief Esther grimmig, »nichts weiter von Euren Siebenfachen in einer gesunden Familie, sag‘ ich; da war ich ganz gesund, nur etwas abgespannt durch das viele Wehren unter den Kleinen, und Ihr gabt mir einen Trunk, der mir noch auf der Zunge hängt, wie ein Pfundgewicht an dem Flügel eines Sommervogels!«

»Ist die Medizin vorüber,« fragte Ismael trocken, »es muß ein rarer Verschreiber sein, der, – wenn es der Zunge der alten Esther ein schweres Gefühl macht!«

»Freund!« fuhr der Doctor fort, und winkte dem erbosten Weibe mit der Hand, stille zu bleiben, »daß sie nicht Alles wirkt, was man von ihr rühmt, davon ist gerade die Anklage der guten Frau Busch ein hinlänglicher Beweis. Aber um von dem abwesenden Asa zu sprechen. Es besteht ein Zweifel über sein Schicksal, und auch ein Vorschlag ist da, ihn zu heben. Nun, in den Naturwissenschaften ist die Wahrheit immer ein Desideratum, und ich gestehe, es möchte auch so im gegenwärtigen Fall scheinen, den man ein Vacuum wo? nennen könnte, da nach den Gesetzen der Physik einige tastbare Beweise von der Materialität da sein sollten.«

»Hört ihn nicht, hört ihn nicht!« rief Esther, als sie bemerkte, daß die Uebrigen mit einer Aufmerksamkeit ihm zuhörten, die eben sowohl von Hingebung zu seinen Vorschlägen, als von der Unverständlichkeit seines Vortrags herrühren mochte. »In jedem Wort, das er ausspricht, ist ein Schlaftrunk!«

»Doctor Battius wünschte zu sagen,« bemerkte Ellen bescheiden, »daß, da Einige von uns meinen, Asa sei in Gefahr, und Andere anders denken, die ganze Familie eine oder zwei Stunden ihn suchen sollte!«

»So, meint er das?« fiel das Weib ein, »dann hat Doctor Battius mehr Verstand, als ich geglaubt hatte. Sie hat Recht, Ismael, und was sie sagt, soll geschehen. Ich will selbst eine Büchse auf die Schulter nehmen; und wehe dem Rothhäutigen, der mir in den Weg kommt. Ich habe schon eher den Hahn losgedrückt, und zu meiner Pein schon genug den Lärm der Indianer gehört!«

Esther’s Muth theilte sich, wie der Antrieb, der ein siegreiches Kriegsgeschrei begleitet, ihren trägen Söhnen mit. Sie erhoben sich alle zugleich, und erklärten ihre Bereitwilligkeit, so kühnen Anschlag zu unterstützen. Ismael gab klüglicher Weise einem Eifer nach, dem er nicht widerstehen konnte, und in wenigen Augenblicken erschien das Weib, ihre Waffe auf der Schulter, und bereit, in Person die von ihren Nachkommen anzuführen, welche ihr folgen wollten.

»Laßt bei den Kindern zurückbleiben, wem es gefällt, und mitgehn mag, wer nicht feigherzig ist!« –

»Abiram, es geht nicht, die Hütten ohne Wache zu lassen,« lispelte Ismael, und warf seinen Blick nach oben. Der Mann, zu dem er sprach, stand, und verrieth ungewöhnlichen Eifer in seiner Antwort:

»Ich will bleiben und das Lager bewachen.«

Ein Dutzend Stimmen erhoben sich sogleich gegen diesen Vorschlag. Man brauchte ihn, um den Ort anzuzeigen, wo die feindlichen Spuren gesehen worden, und seine mannhafte Schwester tadelte offen den Gedanken als eines Mannes unwürdig. Der widerstrebende Abiram mußte nachgeben, und Ismael traf eine neue Anordnung zur Vertheidigung des Orts, der von Allen als sehr wichtig für ihre Sicherheit und Bequemlichkeit angesehen ward.

Er bot den Posten eines Commandanten dem Doctor Battius an, der jedoch peremtorisch und etwas stolz die zweifelvolle Ehre ausschlug, und dabei Blicke von ganz eigener Bedeutung mit Ellen wechselte. In dieser Verlegenheit mußte der Wanderer das Mädchen selbst zum Castellan machen, trug jedoch Sorge, als er ihr dies wichtige Amt übergab, es nicht an Ermahnungen zur Vorsicht und an Lehren fehlen zu lassen. Als diese vorgängigen Einrichtungen getroffen waren, machten die jungen Leute einige Vorkehrungen zur Vertheidigung und stellten Lärmzeichen fest, die der Schwäche und dem Charakter der Garnison angemessen waren. Mehrere Felsenmassen wurden an den Abhang der oberen Plattform gebracht und so hingelegt, daß es dem Gutdünken der schwachen Ellen und ihren Gefährten überlassen blieb, sie, wie es ihnen beliebte, auf die Häupter jedes Angreifers, der nothwendig die Anhöhe auf dem schwierigen, engen Weg, den wir schon oft erwähnt haben, hätte ersteigen müssen, hinunter zu wälzen oder nicht. Außer dieser furchtbaren Verschanzung wurden die Eingänge verstärkt und fast unzugänglich gemacht. Kleinere Wurfgeschosse, die selbst von den Händen der jüngern Kinder regiert werden mochten, die aber von der Höhe des Orts herab außerordentlich gefährlich werden konnten, wurden in Menge herbeigeschafft. Ein Haufen dürrer Blätter und Scheiter wurde wie ein Leuchthurm auf dem oberen Felsen aufgethürmt, und so ward, selbst nach dem vorsichtigen Urtheil des Wanderers, der Posten für stark genug gehalten, eine ziemliche Belagerung zu ertragen.

Sobald man den Felsen hinlänglich gesichert glaubte, machte sich der Theil, den man als den Ausfall bildend betrachten konnte, auf seinen gefährlichen Zug. Er ward von Esther in Person angeführt, die in einem halb männlichen Anzuge und eine Waffe wie die übrigen tragend, kein unpassender Häuptling für einen Haufen wilder Grenzleute schien, der ihr langsam folgte.

»Nun Abiram!« schrie die Amazone mit einer Stimme, die rauh und heiser war, aus dem einfachen Grunde, weil sie zu oft in einem zu hohen unnatürlichen Schlüssel angestrengt wurde; »nun Abiram lauf, die Nase am Boden; zeig dich als ein Hund von guter Race, und mach‘ deiner Zucht Ehre. Du sahst die Spur des indianischen Stiefels, und du mußt Andere auch so gelehrt machen. Komm, komm an die Spitze, Mann, und führ‘ uns tapfer!«

Der Bruder, welcher zu jeder Zeit eine heilsame Ehrfurcht gegen seiner Schwester Ansehen zu hegen schien, folgte, obwohl es mit so offenbarem Widerstreben geschah, daß es selbst unter den wenig beobachtenden und schläfrigen Söhnen des Auswanderers Spott erregte. Ismael selbst schritt unter seinen schlanken Kindern daher, als erwarte er nichts von dem Suchen, und sei gleichgültig für den Erfolg und das Mißlingen. Auf diese Weise marschirte der Haufen, bis die entfernte Feste so niedrig geworden war, daß sie keine größere Höhe darstellte, als irgend ein dunkler Punct am Rande der Steppe. Bisher war ihr Zug still und etwas schnell gewesen, denn da Anhöhe auf Anhöhe erstiegen und zurückgelassen wurde, ohne daß eine Abwechslung sich zeigte, oder etwas Lebendiges entdeckt ward, die Einöde zu beleben, so hatte die Eintönigkeit der Aussicht selbst Esther’s Zunge mit stets wachsender Erwartung gefesselt. Hier jedoch wollte Ismael stehen bleiben, und den Kolben seiner Büchse von der Schulter auf den Boden stoßend, bemerkte er:

»Es ist genug. Büffelspur und Wildfährte sieht man genug, aber wo sind der Indianer Fußtapfen, die du gesehen hast, Abiram?«

»Noch weiter gen Westen,« entgegnete dieser, und deutete nach der genannten Gegend. »Das war der Ort, wo ich die Fährte des Bocks traf, den ich tödtete; erst nachdem ich das Thier gejagt, kam ich auf die Tetonspur.«

»Und ein blutiges Werk hast du daraus gemacht, Mann,« rief der Auswanderer, und deutete erstaunt auf das besudelte Kleid seines Verwandten, worauf er die Aufmerksamkeit der Zuschauer, über den Gegensatz triumphirend, auf sein eigenes richtete. »Hier habe ich zwei Ziegen die Kehle abgeschnitten und einem herumstreichenden Pfau, ohne Flecken und Mackel, während du, Ungeschickter, du der Esther und den Mädchen so viele Arbeit gemacht hast, als wäre die Schlächterei dein gewöhnliches Geschäft. Kommt, Jungen; ich sage, es ist genug. Ich bin zu alt, um die Zeichen der Grenze nicht zu kennen; kein Indianer ist hier gewesen, seit dem letzten Fallen des Wassers. Folgt mir, und ich will eine Richtung einschlagen, die uns wenigstens für unsere Mühe das Fleisch einer fahlen Kuh geben soll!«

»Folgt mir,« rief Esther, und schritt unaufhaltsam vorwärts. »Ich bin heute der Anführer, und verlange Gehorsam. Wer ist auch so geschickt dazu als eine Mutter, bei einem Zug, um ihr Kind zu suchen, sich an die Spitze zu stellen.«

Ismael sah seine schwer zu behandelnde Ehehälfte mit einem nachsichtigen Lächeln an. Als er bemerkte, daß sie schon selbst einen Weg eingeschlagen hatte, der von dem Abiram’s und dem, welchen er selbst wählen wollte, verschieden war, und da er es nicht für gut hielt, gerade in diesem Augenblick die Zügel seines Ansehens zu straff anzuziehen, gab er wieder düster ihrem Willen nach. Aber Doctor Battius, der bis jetzt das Weib schweigend und gedankenvoll begleitet hatte, wollte jetzt eine schwache Stimme in einer Vorstellung erheben.

»Ich stimme mit Eurem Lebensgefährten überein, würdige, liebe Frau Busch,« sagte er, »und glaube, daß ein ignis fatuus (Irrwisch) der Einbildungskraft Abiram bei den Zeichen oder Symptomen betrogen hat, von welchen er gesprochen.«

»Symptomen, selbst Symptomen!« unterbrach ihn das Mannweib. »Das ist keine Zeit für Bücherwörter, auch kein Ort, still zu stehen, und Medizin zu verschlucken. Wenn Euch die Beine matt sind, so sagt’s wie ein aufrichtiger Mann, setzt Euch in die Steppe, wie ein lahmer Hund, und überlaßt Euch der Ruhe.«

»Das bin ich zufrieden,« entgegnete der Naturforscher ruhig, und folgte buchstäblich dem Rath der spottenden Esther, indem er kalt seinen Sitz an der Seite eines inländischen Strauchs nahm, und sogleich die Untersuchung damit begann, auf daß die Wissenschaft in keinem von ihren gerechten und wichtigen Ansprüchen zu kurz käme. »Ich ehre, wie Ihr seht, Euren kostbaren Rath, Mrs. Esther. Geht, sucht Euren Sohn auf, während ich hier weile, und das, was besser ist, verfolge, nämlich die Einsicht in die Geheimnisse des Buchs der Natur.«

Das Weib antwortete durch ein hohles, unnatürliches, verächtliches Lachen, und selbst ihre schwerfälligen Söhne, als sie langsam an dem Sitz des schon ganz vertieften Naturforschers vorüber gingen, ermangelten nicht, ihre Verachtung in bedeutendem Lächeln zu erkennen zu geben. In wenigen Augenblicken hatte der Zug die nächste Anhöhe erstiegen, und als er sich dem Abhang hinabwandte, war der Doctor allein, und seinen nützlichen Untersuchungen in gänzlicher Einsamkeit überlassen.

Noch eine halbe Stunde ging vorüber, während welcher Esther in ihrem, dem Anschein nach fruchtlosen, Suchen fortfuhr. Die Pausen wurden jedoch häufiger, ihre Blicke unsteter und ungewisser, als man Tritte durch die Gegend ertönen hörte, und einen Bock im nächsten Augenblick die Anhöhe heraufspringen. uns vor ihren Augen vorbei nach der Seite des Naturforschers hinschießen sah. So plötzlich und unerwartet war das Vorübereilen des Thiers gewesen, und so sehr war es durch die Natur des Bodens begünstigt worden, daß, ehe noch einer von den Waldleuten Zeit hatte, seine Büchse an die Wange zu bringen, es schon außer dem Bereich einer Kugel war.

»Sieh‘ dort den Wolf!« rief Abner und schüttelte unwillig den Kopf, daß er einen Augenblick zu spät gekommen. »Eine Wolfshaut wird nichts Geringes für eine Winternacht sein; ach, dort kommt der hungrige Teufel.«

»Halt,« schrie Ismael, und schlug die angeschlagene Büchse seines zu eifrigen Sohnes weg. »Das ist kein Wolf, sondern ein Hund und das von guter Race. Ah, wir haben Jäger in der Nähe; dort sind deren zwei.«

Er sprach noch, als die genannten Thiere auf der Fährte des Wildes hineilten, und sich im edlen Eifer einander zu übertreffen suchten. Der eine war ein altes Thier, dessen Kräfte nur noch durch seine Anstrengung aufrecht gehalten zu werden schienen, und der andere noch jung, welcher, während er eifrig die Jagd betrieb, mancherlei Sprünge machte. Beide liefen jedoch in großer Eile hin, und trugen die Nase hoch, ganz wie Thiere von scharfer, feiner Spürkraft. Sie waren vorüber, und würden im nächsten Augenblick mit offener Schnauze dem ansichtig gewordenen Wild nachgeeilt sein, wäre nicht der jüngere Hund plötzlich von seinem Lauf abgesprungen und in einen Schrei des Entsetzens ausgebrochen. Sein bejahrter Gefährte hielt ebenfalls und kehrte tiefathmend und erschöpft nach dem Ort zurück, wo der andere in schnellen und fast tollen Umkreisen die Stelle umlief, und sein Schreien mit kurzem, heisern Bellen fortsetzte. Aber als der ältere angelangt war, setzte er sich, erhob die Nase hoch in die Luft, und brach in ein langes, lautes, schmerzvolles Geheul aus.

»Es muß eine starke Fährte sein,« sagte Abner, der mit der übrigen Familie ein erstaunter Beobachter von den Bewegungen der Hunde gewesen war, »die zwei solche Burschen so plötzlich von ihrer Spur abbringen kann!«

»Tödte sie!« rief Abiram. »Ich schwöre der alte Hund gehört dem Streifschütz, den wir jetzt als unsern Todtfeind erkannt haben.«

Obwohl Esther’s Bruder einen so feindseligen Rath gab, schien er doch ganz und gar nicht geneigt, ihn selbst in Ausführung zu bringen. Das Erstaunen, welches sich des ganzen Haufens bemächtigt hatte, zeigte sich in seinem leeren, verwunderten Hinstarren eben so stark, als in irgend einem von den andern sich wundernden Gesichtern, die ihn umgaben. Sein Aufruf ward daher trotz seines wilden Gehalts nicht beachtet, und die Hunde ließ man dem Antrieb ihres geheimnißvollen Instinkts folgen, ohne Rückhalt, ohne Hinderniß.

Es dauerte lange, ehe einer der Zuschauer das Schweigen brach; aber der Auswanderer erlangte endlich wieder in soweit sein Ansehen, daß er das Recht erwarb, die Bewegungen seiner Kinder zu lenken.

»Kommt weg, Jungen; kommt, und laßt die Hunde ihre Noten zu ihrer eigenen Belustigung absingen;« sagte Ismael in seiner ruhigsten Weise, »Ich möchte nicht gerne einem Thier das Leben nehmen, weil sein Herr sich zu nahe an meine Ansiedelung festgesetzt hat. Kommt weg, Jungen, kommt, wir haben genug für uns selbst zu thun, ohne uns um die ganze Nachbarschaft zu kümmern.«

»Geht nicht fort!« schrie Esther in Tönen, die wie die Ermahnung einer Sibylle erschallten. »Ich sag Euch, geht nicht, meine Kinder. Das ist ein Wink und eine Warnung, und so wahr ich ein Weib und Mutter bin, will ich Alles erfahren!«

So sagend schwang das gereizte Weib des Auswanderers ihre Waffe, auf eine Art, die nicht ohne wilden geheimen Einfluß war, und ging voran nach der Stelle, wo noch die Hunde zögerten und die Luft mit ihren langgezogenen mitleidigen Klagen erfüllten. Der ganze Haufen folgte ihr, einige zu lässig, zu widerstreben, andere ihrem Willen gehorsam, und alle aufgeregt durch die ungewöhnliche Beschaffenheit des Auftritts.

»Sagt mir, Abner – Abiram – Ismael!« rief das Weib, als sie an einer Stelle stand, wo die Erde zertreten, und zerstampft und mit Blut befleckt war; »sagt mir, ihr seid Jäger, was für ein Thier hat hier seinen Tod gefunden? Sprecht! Ihr seid Männer und versteht euch auf die Zeichen der Steppe, ihr alle! Ist es das Blut eines Wolfs oder Panthers?«

»Ein Büffel, – und ein edles, kräftiges Thier ist’s gewesen!« entgegnete der Wanderer, der ruhig auf die verhängnißvollen Zeichen herab sah, die sein Weib so sonderbar rührten. »Hier sind die Zeichen der Stelle, wo er seine Hufe in die Erde gegraben, als er mit dem Tod rang, und dort hat er mit seinen Hörnern den Boden zerrissen und aufgewühlt. Ah, ein Büffelochse von wunderbarer Stärke und Muth ist es gewesen.«

»Und wer hat ihn erschlagen?« fuhr Esther fort. »Mann, wo sind denn die Stücke? Wölfe? Sie fressen die Haut nicht! Sagt mir ihr Männer und Jäger, ist das das Blut eines Thieres?«

»Der Kerl hat sich der Anhöhe hinabgestürzt,« sagte Abner, der etwas weiter als die übrigen gegangen war. »Ah, dort werdet Ihr ihn finden, in jenem Weidengehölz. Seht ein Tausend Raubvögel fliegen in diesem Augenblicke darüber hin!«

»Das Thier lebt noch,« entgegnete der Wanderer, »sonst würden die Geier auf ihren Raub herabfliegen! Nach dem Verhalten der Hunde muß es etwas von einem Raubthiere sein; ich glaube es ist der weiße Bär von den obern Wasserfällen. Sie sollen ausserordentlich zähes Leben haben.«

»Ach, laßt uns zurück gehen,« sagte Abiram, »es könnte Gefahr dabei sein, und es kann zu nichts dienen, ein Raubthier anzugreifen. Bedenk Ismael, es könnte ein gefährliches Spiel sein, und wenig dabei herauskommen!«

»Die jungen Leute lächelten bei diesem neuen Zeichen von der wohlbekannten Feigherzigkeit ihres zu empfindsamen Oheims. Der Aelteste ging selbst so weit, seine Verachtung durch beleidigende Reden zu erkennen zu geben.

»Man kann es zu dem andern Thier einsperren, das wir mit uns führen, dann können wir, beide Hände voll, in die Ansiedelungen zurückkehren, und sie sehen lassen in den vornehmen Häusern und Plätzen von Kentucky.«

Die finstere, drohende Stirn, die der Vater zusammenzog, ermahnte den jungen Mann abzulassen. Blicke, die halb rebellisch waren, mit seinen Brüdern wechselnd, hielt er’s für gut zu schweigen. Aber statt die von Abiram empfohlene Vorsicht zu beobachten, gingen sie zusammen weiter vor, bis sie wieder eine geringe Strecke von dem verdeckten Dickicht Halt machten.

Die Scene war jetzt in der That wild und schrecklich genug geworden, um einen mächtigen Eindruck selbst auf besser vorbereitete Gemüther zu machen, als es bei der Familie des Auswanderers der Fall war, die wenig solch einem erregenden Anblick zu widerstehen vermochte. Der Himmel war, wie gewöhnlich zu dieser Jahreszeit, mit dunkeln, treibenden Wolken bedeckt, unter denen unermeßliche Schwärme von Wasservögeln wieder auf den Flügeln waren, und ihren mühsamen, schweren Weg nach den fernen Wassern des Südens nahmen. Der Wind hatte sich erhoben, und fuhr wieder über die Steppe in Stürmen, denen oft zu widerstehen vergebens war, und die dann in die obere Luft sich zu versteigen schienen, als wollten sie mit den ziehenden Nebeln spielen, die ungeheure Massen von dumpfen, zerrissenen Dünsten in furchtbarer und doch erhabener Verwirrung übereinander thürmten. Ueber dem kleinen Gehölz setzten immer noch Schaaren von Vögeln ihren Flug fort und umkreisten mit schwerem Flügel die Stelle, bald gegen den Luftstrom ankämpfend, bald von ihrem Standpunkt und der Höhe begünstigt, kühne Angriffe auf das Dickicht machend, doch immer wieder erschreckt und schreiend forteilend, als würden sie durch den Anblick oder ihren Instinct gewarnt, daß die Stunde ihrer gefräßigen Herrschaft noch nicht gekommen.

Ismael stand viele Augenblicke mit Weib und Kindern in eine Gruppe zusammengedrängt voll Staunen da, in das sich auf sonderbare Weise eine gewisse Ehrfurcht gemischt hatte, in todtengleicher Stille auf den furchterregenden Ort hinstarrend. Esthers Stimme brach endlich den Zauber und erinnerte die Schauenden an die Nothwendigkeit, ihre Zweifel auf eine Männern würdigere Weise zu lösen, als durch dumpfes, unthätiges Hinschauen.

»Ruft die Hunde,« sagte sie, »treibt sie in das Dickicht, es sind genug Männer da, wenn ihr nicht den Muth verloren habt, mit dem ich weiß, ihr geboren seid, um die Wuth all‘ der Bären westlich vom großen Strom zu bezähmen! Ruf‘ die Hunde herbei, sag‘ ich, du Enoch! Abner! Gabriel! Hat euch Verwunderung taub und stumm gemacht?«

Einer der jungen Leute folgte; und als es ihm gelungen war, die Hunde von der Stelle wegzubringen, um die sie bis jetzt ohne Unterlaß herumgelaufen waren, führte er sie herunter an den Rand des Dickichts.

»Treib‘ sie hinein, Junge, hinein!« fuhr das Weib fort; »und du, Ismael und Abiram, wenn irgend etwas Gefährliches oder Verletzendes hervorkommt, dann zeigt ihm euere Büchsen, wie Grenzleute. Wenn es euch an Muth fehlt, will ich vor meinen Kindern euch beide beschämen!«

Die Jungen, welche bis jetzt die Hunde gehalten hatten, ließen die Riemen fahren, an welchen sie sie lenkten, und trieben sie durch ihren Zuruf zum Angriff. Aber es wollte scheinen; als wenn der ältere Hund durch ein ganz ungewöhnliches Gefühl zurückgehalten würde, oder als wenn er viel zu erfahren wäre, um rasch ein solches Abenteuer zu bestehen. Nachdem er einige Schritte zum Rand des Gehölzes vorgegangen war, machte er eine plötzliche Pause, und stand an allen seinen alten Gliedern zitternd, offenbar gleich unfähig zurück als vorwärts zu gehen. Die ermuthigende Zusprache der jungen Leute blieb unbeachtet, oder ward nur durch ein dumpfes, klägliches Winseln beantwortet. Für einen Augenblick machte es auch auf den jüngeren einen ähnlichen Eindruck, aber weniger vorsichtig, oder leichter erregt, ward er endlich bewogen vorwärts zu springen und dann in das Dickicht einzudringen. Ein erschrecktes, furchtsames Geheul ward gehört, und im nächsten Augenblick brach er heraus, und fing wieder die Stelle auf dieselbe wilde, unstete Art zu umkreisen an, wie vorher.

»Hab‘ ich einen Mann unter meinen Kindern?« fragte die erregte Esther. »Gebt wir ein sichereres Stück, als eine Kinderflinte, und ich will euch zeigen, was der Muth eines Grenzweibes vermag.«

»Bleibt, Mutter,« rief Abner und Enoch; »wenn du das Ding sehen willst, wollen wir dir’s vortreiben!«

Gerade so viel pflegten die Jungen selbst bei wichtigeren Gelegenheiten zu sprechen; aber als sie so ihren Plan angedeutet hatten, waren sie weit entfernt, in seiner Ausführung zurückzubleiben. Sie setzten ihre Waffen mit der äußersten Sorgfalt in Stand, und schritten dann beherzt auf das Gehölz zu. Weniger geübte Nerven, als die der jungen Grenzwohner, möchten leicht vor den Gefahren einer so ungewissen Unternehmung zurückgeschreckt sein. Als sie vorschritten, ward das Geheul der Hunde greller und klagender. Die Geier und Krähen kamen so weit herab, daß sie mit ihren schweren Flügeln die Büsche bestrichen, und der Wind strich rauh über die nackte Steppe, als wenn die Geister der Luft auch herabgestiegen wären, um bei der nahenden Auflösung zugegen zu sein.

Es war ein athemloser Augenblick, wo selbst das Blut der sonst so unbewegbaren Esther zurück nach ihrem Herzen floß, als sie ihre Söhne an den dürren Zweigen des Dickichts vorbei, sich in sein Labyrinth begeben sah. Eine tiefe, feierliche Pause folgte. Dann hörte man zweimal ein lautes, durchdringendes Geschrei, schnell auf einander, dem dann eine noch schrecklichere, entsetzendere Stille folgte.

»Kommt zurück, meine Kinder, kommt zurück!« rief das Weib, und die Gefühle der Mutter bekamen gänzlich die Oberhand in ihrem Busen.

Aber ihre Stimme versagte ihr, und alle ihre Kräfte schienen starr vor Schreck, als in diesem Augenblick das Gebüsch nochmals sich aufthat und die beiden Abenteurer wieder erschienen und, blaß und fast unempfindlich selbst, zu ihren Füßen niederlegten den steifen, regungslosen Leichnam des verlornen Asa, mit allen Zeichen eines gewaltsamen Todes nur zu deutlich in jedem blassen Gesichtszug.

Die Hunde stießen ein langes, letztes Geheul aus und brachen dann zusammen auf und verschwanden auf der verlassenen Fährte des Wilds. Die Heerde von Vögeln stieg auf gen Himmel und erfüllte die Luft mit Klagen, daß sie eines Opfers beraubt worden, das, schreckbar und entstellt, wie es war, doch noch zuviel von dem Menschenbilde an sich trug, um das Opfer ihres schmutzigen Hungers zu werden.

Dreizehntes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

»Die Pickelhack‘, den Spaten her,
Zum Schuß ’ne Erdeschicht;
Und Schollen dann, nicht braucht es mehr,
Braucht mehr zur Ruh‘ ihm nicht.«

Gesang in Hamlet.

 

»Tretet zurück, zurück ihr Alle!« sagte Esther barsch zu dem Haufen, der sich zu nahe an den Leichnam drängte; »ich bin seine Mutter, und mein ist das Recht vor euch Allen! Wer hat das gethan? Sagt’s mir, Ismael, Abiram, Abner! Oeffnet euern Mund und euer Herz und laßt sie Gottes Wahrheit und nichts Anderes reden! Wer beging diese blutige That?«

Ihr Mann gab keine Antwort; erstand auf seine Buchse gelehnt, düster, doch mit unverändertem Auge, auf die zerrissenen Ueberreste seines Sohns hinblickend. Nicht so die Mutter; sie warf sich zur Erde, nahm das kalte, starrende Haupt des Todten in ihren Schooß auf und saß, viele Augenblicke auf jene muskelvolle Züge schauend, in die der Todeskampf sich eingeprägt, mit einem Schweigen, da? sprechender war, als alle Klagetöne hätten sein können.

Die Stimme des Weibes war wirklich von Gram gefesselt. Vergebens versuchte Ismael einige rauhe Trostworte; sie hörte, sie antwortete nicht. Ihre Söhne standen im Kreis um sie und bewiesen nach ihrer ungeschlachten Weise ihre Theilnahme an ihrem Kummer, so wie ihre Empfänglichkeit für ihren eignen Verlust; aber sie winkte sie ungeduldig weg. Manchmal spielten ihre Finger in dem wirren Haar des Getödteten, und dann versuchte sie leichthin, die furchtbar ausdrucksvollen Muskeln seines geisterhaften Antlitzes zu sänftigen, wie wenn die Hand der Mutter oft freundlich über den Mienen des schlafenden Kindes sich hinbewegt. Dann, aufspringend von ihrem trostlosen Geschäft, waren ihre Hände in rastloser Bewegung, als suchten sie vergeblich ein Mittel gegen den furchtbaren Schlag, der so plötzlich das Kind vernichtet, auf das sie ihre größte Hoffnung, als ihren mütterlichen Stolz gesetzt hatte. Während sie mit dieser unbegreiflichen Bemühung beschäftigt war, wandte der schläfrige Abner sich zur Seite und zerdrückte die ungewohnte Bewegung, die ihn ergriffen durch die Bemerkung: »Die Mutter will, wir sollen nach den Zeichen forschen, um zu entdecken, wie Asa seinen Tod gefunden.«

»Das verdanken wir den verfluchten Sioux!« antwortete Ismael; »zweimal haben sie mich arg zu ihrem Schuldner gemacht; mit dem dritten Male werden wir quitt sein!«

Aber gleichsam nicht zufrieden mit dieser annehmlichen Erklärung, und vielleicht in’s Geheim froh, ihre Augen von einem Schauspiel abwenden zu können, das so außerordentliche und ungewöhnliche Bewegungen in ihrer wilden Brust erweckte, wandten die Söhne des Auswanderers zusammen sich weg von ihrer Mutter und dem Leichnam und machten Anstalten, die Untersuchungen anzustellen, welche die erstere nach ihrer Meinung so wiederholt gefordert hatte. Ismael widerstrebte nicht; aber obgleich er seine Söhne in ihrer Untersuchung begleitete, geschah’s mehr dem Schein nach, um ihren Wünschen nachzugeben zu einer Zeit, wo Widerstand nicht rathsam war, als mit irgend einer sichtlichen Theilnahme an dem Erfolg. Da die Grenzwohner trotz ihres gewöhnlichen Stumpfsinns wohl erfahren waren in den meisten Dingen, die ihre Lebensart betrafen, mußte ein Nachforschen, dessen Erfolg so sehr auf Zeichen und Beweisen beruhte, die alle mit den Verrichtungen der Jagd so große Ähnlichkeit hatten, nothwendig mit Geschicklichkeit und Scharfsinn betrieben werden. So gingen sie an die traurige Aufgabe mit großer Fertigkeit und vielem Geschick.

Abner und Enoch trafen überein in ihrer Erzählung von der Lage, worin sie den Leichnam gefunden. Er saß fast aufrecht, den Rücken mit einer Masse zerknicktem Buschwerk unterstützt, und in der Hand noch einen abgebrochenen Weidenast festhaltend. Wahrscheinlich diesem erstern Umstand mußte man es zuschreiben, daß der Leichnam der Gier der Raubvögel entgangen war, die man über dem Dickicht hatte herumfliegen sehen, und das Letztere bewies, daß das unglückliche Opfer noch nicht ganz ohne Leben war, als er in das Gehölz kam. Die Meinung wurde jetzt allgemein, der Junge habe seine tödtliche Wunde auf der offenen Steppe erhalten und seine schwachen Glieder in das Dickicht geschleppt, um sich zu verbergen; eine Spur durch das Gebüsch bestätigte diese Ansicht. Man fand auch bei näherer Untersuchung, daß ein verzweifeltes Ringen am Rand des Wäldchens selbst stattgefunden. Das zeigte sich deutlich an den zertretenen Zweigen, den tiefen Fußstapfen auf dem nassen Boden und den Blutflecken.

»Er ist aus dem freien Land geschossen worden, und hierher gekommen, des Schutzes wegen« sagte Abiram. »Diese Zeichen würden es klar beweisen. Der Junge ist von einer ganzen Schaar Wilder angegriffen worden und hat wie ein Held gefochten, der er auch war, bis sie seine Kraft übermeistert und ihn in’s Gebüsch gezogen haben.«

Gegen diese wahrscheinliche Meinung war jetzt nur noch Eine abweichende Stimme, die des langsam begreifenden Ismael; er verlangte, der Leichnam solle selbst zu einer genauer Kenntnisse der Verletzungen untersucht werden. Beim Nachforschen fand sich, daß eine Büchsenkugel gerade durch den Leib des Verstorbenen gegangen war, unter einer seiner breiten Schultern hinein, und durch die Brust heraus. Es erforderte einige Kenntnisse von Schusswunden, um diesen schwierigen Punkt zu entscheiden; aber die Erfahrung der Grenzzone war der Aufgabe ganz gewachsen, und ein Lächeln wilder, gewiss sonderbarer Selbstgefälligkeit verbreitete sich unter Israels Söhnen, als Abner fest behauptete, Asa’s Feinde hätten ihn im Rücken angegriffen.

»Es muß so sein,« sagte der finstere aber aufmerksame Wanderer; »er war von zu guter Art, zu gut unterrichtet, um die schwache Seite einem Menschen oder Thier zuzuwenden. Erinnert euch, Jungen, daß so lang ihr die männliche Stirn euerm Feinde bietet, mag er sein, wer er will, ihr sicher seid vor schurkischem Ueberfall. – Ei, Esther, Weib! Du bist ganz außer dir, zupfst an dem Haar, dem Kleid des Kindes! Wenig kannst du ihm jetzt helfen, altes Kind!«

»Sieh!« fiel Enoch ein und brachte aus den Ueberresten von Asa’s Kleidern eine Bleikugel heraus, die die Kraft eines so Starken zu Boden geworfen. »Da ist die Kugel.«

Ismael nahm sie in die Hand und betrachtete sie lang und genau.

»Es kann kein Zweifel sein;« murmelte endlich der Vater zwischen den Zähnen; »die Kugel kommt von dem Stutz des verfluchten Streifschützen. Wie viele Jäger, hat er ein Zeichen an seiner Munition, um die Dienste wieder zu erkennen, die ihm seine Büchse thut; und hier seht Ihr es deutlich, sechs kleine Löcher kreuzweis.«

»Ich will darauf schwören!« rief Abiram triumphirend. »Er zeigte mir das besondere Merkmal selbst, und rühmte sich der Menge Wild, die er eben mit diesen Kugeln auf den Steppen niedergestreckt hatte. Nun, Ismael, werdet Ihr mir glauben, wenn ich Euch sage, daß der alte Schurke ein Spion der Rothhäute ist!«

Das Blei ging von Hand zu Hand; und zum Unglück für die Ehre des Alten erinnerten sich noch mehrere von ihnen, die ebengenannten Kugelzeichen gesehen zu haben, als sie seine Habseligkeiten genau untersuchten. Außer dieser Wunde jedoch fanden sich noch viele andere von weniger gefährlicher Art, welche alle die vermeintliche Schuld des Streifschützen bethätigen sollten, Spuren vom Ringen fand man noch an mehreren Orten zwischen der Stelle, wo das erste Blut vergossen worden, und, dem Dickicht, wohin sich, wie zu einem Zufluchtsort, Asa sollte zurückgezogen haben. Dies wurde als eben so viele Beweise von der Schwäche des Mörders dargestellt, welcher weit eher sein Opfer hingerichtet haben würde, hätte nicht die sterbende Kraft des Jünglings ihn der Hinfälligkeit eines so alten Mannes furchtbar gemacht. Die Gefahr, noch andere Jäger herbeizuziehen, wenn er nochmals gefeuert hätte, hielt man für einen hinlänglichen Grund, daß er nicht nochmals seine Büchse zur Hand nahm, nachdem sie ihm durch Entwaffnung des Opfers einen so wichtigen Dienst gethan hatte. Die Waffe des Todten war nicht zu finden, war ohne Zweifel mit noch mehreren andern weniger werthvollen Dingen, die der Verstorbene bei sich zu tragen pflegte, eine Beute seines Mörders geworden.

Aber was noch außer der Kugel die verruchte That mit ganz besonderer Gewißheit auf den Streifschützen zu bringen schien, das war der noch dazu kommende Beweis, den man von den Fußstapfen hernahm, welche zeigten, daß trotz der tödtlichen Verwundung Asa noch im Stande gewesen war, den folgenden Anstrengungen seines Mörders einen langen, verzweifelten Widerstand zu leisten. Ismael schien dies Zeugniß mit einer seltsamen Mischung von Kummer und Stolz besonders geltend zu machen; mit Kummer über den Verlust eines Sohnes, den er zur Zeit ihrer Eintracht hoch geschätzt; mit Stolz über den Muth und die Kraft, die er bis zu seinem letzten schwächsten Athemzug gezeigt hatte.

»Er starb, wie ein Sohn von mir sterben sollte;« sagte der Wanderer, und zog einen düstern Trost aus einer so unnatürlichen Freude; »ein Schrecken seines Feindes bis an sein Ende, und ohne Hülfe von dem Gesetz! Kommt, Kinder; erst müssen wir sein Grab machen, dann seinen Mörder verfolgen!«

Die Söhne des Auswanderers gingen an ihr Werk stille und betrübt. Mit großem Aufwand von Mühe und Zeit ward ein Loch in die harte Erde gemacht, und der Leichnam in die ärmlichen Gewänder gehüllt, die man unter den Grabenden sammeln konnte. Als diese Vorkehrungen getroffen waren, näherte sich Ismael der dem Anschein nach unempfindlichen Esther und theilte ihr seine Absicht mit, den Todten einzusenken. Sie hörte ihn und ließ ruhig den Leichnam los, stand schweigend auf, und folgte ihm zu seinem engen Ruheort. Hier setzte sie sich wieder an das Grab, und bewachte jede Bewegung der Jungen mit eifrigem, sorgsamem Auge. Als hinlänglich Erde auf Asa’s empfindungslose Hülle geworfen worden, um sie vor jeder Entweihung zu schützen, stiegen Enoch und Abner in die Gruft, und traten durch das Gewicht ihrer hohen Gestalten die Masse fest, alles mit einer sonderbaren, um nicht zu sagen wilden Mischung von Sorgfalt und Gleichgültigkeit. Diese wohlbekannte Vorsichtsmaßregel ward getroffen, um das schnelle Ausgraben des Leichnams durch die gefräßigen Thiere der Steppe zu verhindern, deren Instinct sie sicher auf diese Stelle führen mußte. Auch schienen die Raubvögel die Art dieser Ceremonie zu begreifen; denn geheimnißvoll unterrichtet, daß das unglückliche Opfer jetzt von den Menschen verlassen werden sollte, begannen sie wieder ihre luftigen Kreise um die Stelle, mit lautem Geschrei, als wollten sie die Verwandten zurückschrecken von der Arbeit ihrer Vorsicht und Liebe.

Ismael stand mit gefalteten Armen, standhaft die Art beobachtend, auf welche diese nöthige Pflicht erwiesen ward, und als das Ganze vorüber war, rückte er seine Mütze vor seinen Söhnen und dankte ihnen für ihren Dienst mit einer Würde, die selbst einem viel besser Erzogenen angestanden haben würde. Während des Ganzen einer Ceremonie, die immer feierlich und ergreifend ist, hatte der Wanderer eine ernste, nachdenkende Haltung bewahrt. In seinen groben Zügen lag offenbar der Ausdruck großen Kummers, aber nicht einmal verriethen sie Schwäche, bis er dem Grabe seines Erstgebornen, wie er glaubte für immer, den Rücken wandte. Da regte sich mächtig die Natur in ihm, und der Muskeln seines ernsten Gesichts begannen, merklich zu kämpfen. Seine Kinder warfen ihre Augen auf ihn, als suchten sie einen Ableiter für die sonderbaren Erregungen, die ihre schwerfälligen Naturen erschütterten, als der Kampf in des Auswanderers Brust plötzlich aufhörte, er sein Weib am Arm ergriff und sie aufzog, als wäre sie ein Kind, während er mit einer Stimme, die vollkommen fest war, obgleich ein scharfsichtiger Beobachter entdeckt haben würde, daß sie sanfter war als gewöhnlich, sagte: »Esther, wir haben jetzt alles gethan, was wir thun können. Wir zogen den Knaben auf und bildeten ihn, daß wenige ihm gleich waren auf den Grenzen von Amerika, und jetzt haben wir ihm ein Grab bereitet. Laß uns gehen.«

Das Weib wandte langsam ihre Augen von der frischen Erde weg, legte ihre Hand auf die Schulter ihres Gemahls, und sah ihm ängstlich für einige Augenblicke in die Augen, ehe sie mit einer tiefen, furchtsamen und fast erstickten Stimme sagte:

»Ismael, Ismael, du verließest den Jungen in deinem Zorn!«

»Möge der Herr ihm seine Sünden so gerne verzeihen, als ich ihm seine schwersten Vergehungen vergeben habe,« entgegnete ruhig der Wanderer; »Weib, geh‘ du zurück zum Felsen, und lies in deiner Bibel; ein Kapitel aus diesem Buch tröstet dich immer. Du kannst lesen, Esther, ein Vorzug, dessen ich mich nie erfreute.«

»Ja, ja,« murmelte das Weib und gab seiner Stärke nach, und ließ sich, obwohl mit großem Widerstreben, von der Stelle wegführen. »Ich kann lesen, und wie hab‘ ich diese Kenntniß benutzt! Er, Ismael, er hat nicht die Sünde auf sich, sein Lernen nicht gebraucht zu haben. Diese wenigstens haben wir ihm erspart, ob aus Liebe oder Grausamkeit, ich weiß es nicht.«

Ihr Gemahl antwortete nicht, sondern führte sie immer weiter nach ihrer einstweiligen Wohnung zu. Als sie den Gipfel der geringen Anhöhe erreichten, welche, wie sie wußten, die letzte Stelle war, von wo Asa’s Grab gesehen werden konnte, wandten sie sich Alle, wie durch gemeinsamen Antrieb, um, um zum letzten Mal einen Blick auf den Ort zu werfen. Der kleine Hügel selbst war nicht sichtbar, aber er wurde auf schreckliche Weise durch die Heerde schreiender Vögel angedeutet, die über ihm kreisten. In der entgegengesetzten Richtung bezeichnete eine niedere, blaue Erhöhung an den Grenzen des Horizonts den Ort, wo Esther ihre übrigen Kleinen gelassen, und diente als ein Anziehungsmittel für ihre Schritte, die sich nur widerstrebend von der letzten Wohnung ihres ältesten Sohnes entfernten. Die Natur regte sich in dem Busen der Mutter bei dem Anblick, und die Rechte des Todten wichen endlich den drängenderen Ansprüchen der Lebenden.

Die eben erzählten Vorgänge hatten den rohen Gemüthern, die so sonderbar durch ihre wilde Lebensweise sich gestaltet hatten, einen Funken entlockt, der dazu beitrug, die erlöschende Gluth der Familienanhänglichkeit lebendig zu erhalten. An ihre Eltern durch keine stärkeren Bande geknüpft, als die waren, welche der Umgang erzeugt, war große Gefahr gewesen, wie Ismael vorausgesehen hatte, daß der überladene Stock bald schwärmen, und ihn belastet mit der Sorge für eine junge, hülflose Brut verlassen würde, nicht mehr unterstützt von den Bemühungen derer, die er schon zum Mannesalter herangezogen. Der Geist des Ungehorsams, der von dem unglücklichen Asa ausgegangen, hatte sich unter seinen jüngeren Brüdern verbreitet und den Wanderer in die traurige Nothwendigkeit gesetzt, an die Zeit zu denken, wo im Leichtsinn der Jugend und Kraft, er, die Ordnung der Thierwelt umkehrend, seinen eigenen bejahrten, hinfälligen Vater zurückgestoßen hatte, um in die Welt zu gehen, ungefesselt und frei. Aber die Gefahr war jetzt vorüber, eine Zeit lang wenigstens; und wenn sein Ansehen nicht mehr in all seinen früheren Einfluß eingesetzt ward, gab man doch offenbar zu, daß es bestand und seine Herrschaft noch etwas länger behielt.

Es ist wahr, seine langsamen Söhne, selbst während sie sich den Eindrücken des jüngsten Vorfalls überließen, hatten Anfälle von gefährlichem Mißtrauen über die Art, wie ihr älterer Bruder seinen Tod gefunden. Es waren dunkele und undeutliche Bilder in dem Geist von zwei oder drei der ältesten, welche den Vater selbst für fähig hielten, Abrahams Beispiel nachzuahmen, ohne die Entschuldigung des göttlichen Ansehens zu haben, das dem heiligen Mann gebot, die empörende That zu versuchen. Aber dann waren diese Bilder so vorübergehend und so sehr von Verstandesscrupeln verdunkelt, daß sie keine feste Eindrücke zurückließen, und das Ergebniß der ganzen Verhandlung ging, wie wir schon gesagt haben, eher dahin, Ismael’s Ansehen zu befestigen als zu schwächen.

In dieser Gemüthsverfassung setzte der Haufen seinen Weg nach dem Ort fort, wo sie diesen Morgen auf ein Nachsuchen ausgegangen waren, das mit einem so traurigen Erfolg gekrönt worden. Der lange fruchtlose Marsch, den sie unter Abiram’s Leitung gemacht, die Entdeckung des Leichnams und die darauf folgende Beerdigung, hatten in soweit den Tag weggenommen, daß um die Zeit, wo sie über den breiten Strich der Wüste hinschritten, welcher zwischen Asa’s Grab und dem Felsen lag, die Sonne schon weit unter ihre Meridianhöhe hinabgesunken war. Der Hügel hatte sich allmählig, wie sie sich näherten, gleich einem Thurme aus dem Busen der See, erhoben, und als sie ihm auf eine Meile nahe kamen, wurden die einzelnen Gegenstände, die seine Höhe krönten, dunkel sichtbar.

»Es wird eine traurige Zusammenkunft für die Mädchen sein,« sagte Ismael, der von Zeit zu Zeit nicht unterließ, etwas zu sagen, was tröstend sein sollte für den zerrütteten Geist seiner niedergeschlagenen Gemahlin. »Asa war sehr geachtet von all den Kindern, und verfehlte selten, etwas von der Jagd mitzubringen, was sie gern hatten.«

»Ja, das that er,« murmelte Esther; »der Junge war der Stolz der Familie. – Meine anderen Kinder sind nichts gegen ihn.«

»Sag‘ das nicht, gutes Weib,« entgegnete der Vater und warf sein Auge etwas stolz auf den athletischen Zug, der in nicht großer Entfernung folgte. »Sag‘ das nicht, alte Esther; denn wenige Väter und Mütter haben größere Ursache stolz zu sein als wir.«

»Dankbar, dankbar,« murmelte das demüthige Weib, »du meinst dankbar, Ismael!«

»Nun denn dankbar, wenn du das Wort lieber willst, mein gutes Kind; aber was ist aus Nelly geworden und den Kleinen! Das Kind hat den Auftrag vergessen, den ich ihr gab, und nicht nur die Kleinen schlafen lassen, sondern ich wette, träumt auch selbst von den Feldern von Tenessee in diesem Augenblick. Der Sinn deiner Nichte ist nur, ich glaub’s gewiß, auf die Ansiedelungen gerichtet.«

»Ach sie ist nicht für uns; ich sagt‘ es und dacht‘ es, wie ich sie sah, da der Tod sie all‘ ihrer Freunde beraubt hat. Der Tod ist ein böser Werkmann in den Familien. Ismael! Asa hatte Liebe zu dem Kind, und sie hätten eines Tags an unsere Stelle treten können, wenn es gegangen wäre.«

»Nein, sie paßt nicht zu einem Grenzweib, wenn das die Art ist, wie sie das Haus wahrt, während der Gemahl auf der Jagd ist. Abner, laß deine Flinte hören, daß sie merken, daß wir kommen. Ich fürchte Nelly und die Kleinen schlafen.«

Der junge Mann folgte mit einer Schnelligkeit, welche verrieth, wie gern er die gerundete, lebhafte Gestalt Ellens die zackigen Gipfel des Felsens beleben sehen möchte. Aber dem Schalle folgte weder ein Zeichen noch eine Antwort irgend einer Art. Für einen Augenblick stand der ganze Haufen in Erwartung, auf den Erfolg gespannt, und dann trieb ein plötzlicher Entschluß sie Alle, ihre Gewehre zu gleicher Zeit abzufeuern, was ein Geräusch hervorbrachte, das nicht verfehlen konnte, Aller Ohren in so geringer Entfernung zu erreichen.

»Ach, da kommen sie endlich!« rief Abiram, der gewöhnlich unter den ersten war, einen Umstand zu ergreifen, welcher Befreiung von unangenehmer Befürchtung versprach.

»Es ist ein Rock, der auf der Leine flattert,« sagte Esther, »ich hing ihn selbst dahin.«

»Du hast Recht; aber jetzt kommt sie. Die Dirne hat Trost im Zelt gesucht.«

»So ist’s auch nicht,« sagte Ismael, dessen sonst so unveränderliche Züge anfingen die Unruhe zu verrathen, die er fühlte. »Es ist das Zelt selbst, das leicht in dem Wind flattert. Sie haben es am Boden losgemacht, wie sie denn thörichte Kinder sind, und wenn wir nicht Sorge tragen, wird das Ganze herunterkommen.«

Die Worte waren kaum ausgesprochen, als ein wilder, rauschender Windstoß an der Stelle vorbeisauste, wo sie standen, und Staub in kleinen Theilchen mit sich fortriß; dann, wie von einer Meisterhand geleitet, den Boden verließ, und in seinem Fortgang gerade nach dem Ort zustieg, auf den Aller Augen eben jetzt gerichtet waren. Die losgemachte Leinwand fühlte seinen Einfluß und wankte; gewann jedoch das Gleichgewicht wieder und ward für einen Augenblick ruhig. Die Wolke von Blättern spielte dann in kreisenden Wirbeln um die Stelle und fiel mit der Schnelligkeit eines schwebenden Habichts herab, worauf sie fortsegelte in der Steppe in langen, geraden Linien, wie eine Flucht von Schwalben, die ausruhen auf ihren ausgebreiteten Flügeln. Ihr folgte auf einige Entfernung das schneeweiße Zelt, das jedoch bald hinter den Felsen fiel, und dessen höchste Spitze so nackt ließ, als läg‘ er in gänzlicher Verlassenheit in der Wüste.

»Die Mörder find hier gewesen,« seufzte Esther. »Meine Kleinen, meine Kleinen!«

Für einen Augenblick fuhr selbst Ismael vor dem Gewicht eines so unerwarteten Schlags zurück. Aber sich schüttelnd, wie ein erwachter Löwe, sprang er vorwärts, warf zur Seite die Hindernisse der Verschanzung, als seien es Federn, und eilte der Höhe mit einer Unaufhaltsamkeit hinauf, welche verrieth, wie furchtbar eine lässige Natur werden konnte, wenn sie recht erregt wird.

Vierzehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

»Zu wessen Fahne schwör’n die Städter jetzt?«

König Johann.

 

Um uns ebenen Weg zwischen den Vorfällen der Erzählung zu sichern, wird es nöthig, zu den Ereignissen zurückzukehren, die sich während des Commando’s der Ellen Wade begaben.

In den ersten Stunden hatten sich die Sorgen des edeln, gefühlvollen Mädchens auf die einfache Pflicht beschränkt, den oft wiederholten Anforderungen zu genügen, welche ihre jüngeren Gefährten an ihre Zeit und Geduld machten. Hunger, Durst und all‘ die andern unaufhörlichen Bedürfnissen der launigen, unbedachtsamen Kinder hatte sie zu bekämpfen. Sie benutzte eine Pause in ihren Quälereien, um sich in das Zelt zu stehlen, wo sie zur Bequemlichkeit einer Person beitrug, die weit mehr ihre Sorgfalt verdiente; als ein Geschrei, das sich unter den Kindern erhob, die sie verlassen, sie zu ihren auf einen Augenblick vergessenen Pflichten zurückrief.

»Sieh, Nelly, sieh!« riefen ein halb Dutzend eifriger Stimmen, als sie wieder zu ihnen kam, »dort sind Männer, und Phöbe sagt, es seien Sioux-Indianer!«

Ellen richtete ihre Augen nach der Richtung, nach der schon so viele Arme sich ausstreckten, und sah zu ihrer Bestürzung die Gestalten mehrerer Männer, die offenbar und schnell in gerader Linie auf den Felsen zugingen. Sie zählte ihrer vier; aber konnte zu keiner Gewißheit kommen über ihren Charakter, außer daß keiner von ihnen ein Recht hatte, Einlaß in die Feste zu begehren. Es war ein furchtbarer Augenblick für Ellen. Um sich schauend auf den jugendlichen, erschreckten Haufen, der sich hinter ihr Gewand verbarg, bemühte sie sich, ihrem verwirrten Geist einige von den vielen Geschichten von weiblichem Heldenmuth zurückzurufen, an denen die Annalen der Westgrenze so reich waren. In einer war eine Palissade glücklich von einem einzigen Mann, den drei oder vier Weiber unterstützten, Tage lang gegen die Angriffe von hundert Feinden vertheidigt worden. In einer andern hatten Weiber allein die Kinder und weniger schätzbaren Habseligkeiten ihrer abwesenden Männer schützen können; und eine dritte kam noch hinzu, worin ein einziges Weib ihre schlafenden Wachen ermordet und nicht allein sich sondern auch einem Haufen furchtsamer, hülfloser Kleinen die Freiheit wieder gegeben hatte. Dieser letzte Fall kam der Lage am nächsten, worin sich Ellen jetzt befand, und mit brennenden Wangen und funkelnden Augen begann das ermuthigte Mädchen ihre schwachen Vertheidigungsmittel zu überschauen und festzustellen.

Sie postirte die größern Mädchen an die kleinen Hebebäume, welche die Felsen auf die Angreifenden stürzen sollten, die kleineren wurden mehr zur Schau als zu wirklichem Dienst, den sie hätten leisten können, gebraucht, während, wie jeder andere Führer, sie für ihre eigene Person die oberste Leitung und Ermuthigung sich vorbehalten hatte. Als diese Anstalten getroffen waren, bemühte sie sich, den Ausgang mit fester Haltung zu erwarten, die ihren Verbündeten das zu einem glücklichen Erfolg nöthige Vertrauen einflößen sollte.

Obwohl Ellen bei weitem durch den Geist hervorragte, der aus moralischen Eigenschaften entspringt, kam sie doch ganz und gar nicht den beiden ältesten Töchtern Esthers in der nicht weniger wichtigen militärischen Eigenschaft der Unempfindlichkeit gegen die Gefahr gleich. Aufgezogen in aller Mühseligkeit eines beständig herumziehenden Lebens an den Kränzen der bürgerlichen Gesellschaft, wo sie vertraut geworden mit dem Anblick und den Gefahren der Wildniß, versprachen diese Mädchen sicher einst nicht weniger sich durch ihren Muth auszuzeichnen, als ihre Mutter durch jene sonderbare Mischung von Gutem und Bösem, welche in einem weiteren Kreis von Thätigkeit das Weib des Auswanderers in den Stand gesetzt haben würde, ihren Namen auf die Liste der merkwürdigen Frauen ihrer Zeit zu bringen. Esther hatte schon bei einer Gelegenheit das Lager Ismael’s gegen einen Anfall der Wilden vertheidigt; und bei einer andern war sie für todt von ihren Feinden nach einer Vertheidigung liegen gelassen worden, die gegen einen gebildeteren Feind ihr Ansprüche auf die Ehre und Achtung einer freien Capitulation gegeben haben würde. Diese Thatsachen und tausend andere ähnlicher Art waren oft mit der gehörigen Freude in Gegenwart ihrer Töchter erzählt worden, und die Brust der jungen Amazone schwankte jetzt auf seltsame Weise zwischen natürlichem Schreck und dem ehrgeizigen Wunsche, etwas zu thun, was sie würdig machen könnte, Kinder einer solchen Mutter zu sein. Es schien jetzt, daß eine Gelegenheit, sich in diesem wilden, unnatürlichen Charakter auszuzeichnen, ihnen nicht länger verweigert ward.

Der Haufen der Fremden war schon auf zweihundert Schritte dem Felsen nahe. Entweder ihre gewöhnliche vorsichtige Art vorzuschreiten befolgend, oder gemahnt durch die drohende Stellung der zwei Gestalten, die die Läufe von eben so vielen alten Musqueten hinter ihrer steinernen Verschanzung hervorstreckten, hielten die Ankömmlinge von einer Unebenheit des Bodens begünstigt, wo ein dichterer Graswuchs ihnen den Vortheil eines Schlupfwinkels anbot. Von dieser Stelle aus recognoscirten sie die Feste einige Zeit; ängstliche, und für Ellen fast unendliche Minuten. Dann trat einer allein vor, und zwar mehr in der Eigenschaft eines Herolds als eines Angreifenden.

»Phöbe, feure,« und »nein Hetty, du,« hörte man zwischen den halberschrockenen und doch eifrigen Töchtern des Wanderers, als Ellen wahrscheinlich den herankommenden Fremden vor einem bevorstehenden Schreck bewahrte, wenn nicht vor größerer Gefahr, indem sie rief:

»Legt die Musqueten nieder; es ist Doctor Battius!«

Ihre Untergebenen folgten insoweit, daß sie ihre Hände vom Hahn wegthaten, obwohl die drohenden Läufe noch ihre verhängnißvolle Lage beibehielten. Der Naturforscher, der mit hinlänglicher Vorsicht vorgeschritten war, um die geringste von der Garnison gemachte feindliche Bewegung zu bemerken, hielt jetzt ein weißes Tuch am Ende seines« eigenen Stutzes empor, und kam der Festung nahe genug, um gehört zu werden. Dann nahm er, wie er dachte, eine recht imponirende Autoritätsmiene an, und sprach mit einer Stimme, die in weit größerer Entfernung hätte gehört werden können:

»Was! hoho! Ich fordere euch alle auf, im Namen der Conföderation der Vereinigten, Unabhängigen Staaten von Nordamerika, Euch den Gesetzen zu unterwerfen!«

»Doctor oder nicht Doctor; er ist ein Feind, Nelly; hör‘, hör‘, er spricht vom Gesetz!«

»Schweig; wart bis ich ihn gehört habe!« sagte die fast athemlose Ellen, und drückte die gefährlichen Waffen zur Seite, welche wieder auf die geduckte Gestalt des Herolds gerichtet waren.

»Ich ermahne und warne Euch alle,« fuhr der erschreckte Doctor fort, »ich bin ein friedlicher Bürger der ebengenannten Conföderation, ein Vertheidiger des Social-Compacts, und ein Freund der Ordnung und Freundschaft;« dann, als er bemerkte, daß die Gefahr wenigstens für einige Zeit vorüber war, erhob er wieder seine Stimme zu jener feindlichen Höhe und fuhr fort: »Ich gebiete euch deßwegen allen, euch den Gesetzen zu unterwerfen.«

»Ich dachte, Ihr wärt ein Freund,« entgegnete Ellen, »und reistet mit meinem Oheim in Folge eines Vertrags?«

»Er ist nichtig! Ich bin in den Hauptsachen betrogen worden, und erkläre hiermit ein gewisses Compactum eingegangen und geschlossen, zwischen Ismael Busch, Grenzwohner, und Obed Battius, Med. Dr. sei von diesem Augenblick an null und ohne Kraft. Aber, Kinder, null ist nur eine negative Eigenschaft, und enthält nichts Schlimmes gegen euren würdigen Vater. So legt denn bei Seite die Feuerwaffen und hört auf die Ermahnungen der Vernunft. – Ich erklär‘ den Vertrag für mangelhaft, null, abgeschafft. Was aber dich betrifft, Nelly, gegen dich bin ich gut gesinnt, und ganz und gar nichts Feindliches habe ich gegen dich, deßwegen hör‘, was ich zu sagen habe, und wend‘ dein Ohr nicht ab im Leichtsinn über deine Sicherheit. Du kennst den Charakter des Mannes, bei dem du wohnst, Mädchen, kennst auch die Gefahr, in so übler Gesellschaft getroffen zu werden. Verlaß also die geringen Vortheile deiner Lage, und übergib friedlich den Felsen denen, welche mich begleiten; eine Legion ist’s, Mädchen, versichere dich, eine unüberwindliche, mächtige Legion. Ueberlaß die Effecten des gesetzlosen, verworfenen Grenzwohners, – ja, Kinder, solche Rücksichtslosigkeit gegen Menschenleben zerstört ganz und gar die Vergnügungen freundschaftlicher Unterredung. Bringt diese gefährlichen Waffen weg, ich bitte euch; mehr euretwegen, als um meinetwillen. Hetty, hast du vergessen, wer deine Schmerzen linderte, als deine Auricularnerven gepeinigt, wurden von der Kälte und den Nebeln der nackten Erde; und du, Phöbe, undankbare, vergeßliche Phöbe, wäre gerade dieser Arm nichts gewesen, den du jetzt mit immerwährender Paralysis schlagen möchtest, deine incisores würden dir noch Schmerz und Pein verursachen. Leg‘ denn zur Seite deine Waffen und hör‘ auf den Rath eines Mannes, der immer dein Freund gewesen ist. Und du, Mädchen,« immer noch hatte er ein wachsames Auge auf die Musqueten, die die Mädchen etwas von ihrer Richtung abgewendet hatten, »und nun Mädchen, frag‘ ich zum letzten Mal und aufs Feierlichste; ich fordere von dir die Uebergabe dieses Felsens, ohne Aufschub und Widerstand, in dem vereinigten Namen der Gewalt, Gerechtigkeit und des –« Gesetzes würde er hinzugefügt haben, erinnerte sich aber, daß dies böse Wort wieder des Grenzwohners Kinder zu Feindseligkeiten reizen möchte; daher gelang es ihm, es noch zu rechter Zeit hinunterzuschlucken, und so schloß er mit dem weniger gefährlichen aber einnehmenderen Worte »Vernunft.«

Diese ungewöhnliche Anrede verfehlte jedoch, die gewünschte Wirkung hervorzubringen. Sie blieb den jüngeren Zuhörern mit Ausnahme der wenigen beleidigenden Ausdrücke, die wir schon hinlänglich ausgezeichnet haben, gänzlich unverständlich, und obwohl Ellen besser den Sinn des Herolds begriff, schien sie doch ebensowenig von seiner Rhetorik gerührt, als ihre Gefährtinnen. Bei jenen Stellen, welche nach seiner Meinung zärtlich und rührend sein sollten, hatte das verständige Mädchen, obwohl sie von peinvollen, widerstreitenden Gefühlen gefoltert wurde, sogar eine Neigung zu lachen verrathen, während sie seinen Drohungen gänzliche Ungerührtheit entgegensetzte.

»Ich fasse nicht den Sinn von allem, was Ihr sagen wollt, Doctor Battius,« erwiederte sie ruhig, als er geendet hatte, »aber das ist gewiß, wenn Ihr mich vermögen wollt, untreu zu werden, so darf ich so etwas nicht einmal hören. Ich rathe Euch, keine Gewalt zu gebrauchen, denn laßt meine Wünsche sein, welche sie wollen, Ihr seht, ich bin mit einer Macht umgeben, die mich leicht niederschmettern kann, und Ihr wißt oder solltet wissen, was das für eine Familie ist, um in solchen Dingen mit einem Glied von ihr zu scherzen, mag es nun von einem Geschlecht oder Alter sein, von welchem es will.«

»Ich bin nicht ganz unbekannt mit dem menschlichen Charakter,« erwiederte der Naturforscher, und wich klüglicher Weise etwas aus seiner Stellung zurück, die er bis jetzt standhaft hart an dem Fuße des Hügels behauptet hatte. »Aber da kommt einer, der dessen geheime Windungen noch besser verstehen mag, als ich.«

»Ellen, Ellen Wade!« rief Paul Hover, der an seine Seite getreten war, ohne etwas von jener Furcht vor Gefahr zu verrathen, die so augenscheinlich den Doctor beunruhigt hatte; »ich erwartete nicht, einen Feind in dir zu finden.«

»Auch sollst du es nicht, wenn du verlangst, was ich ohne Verrätherei und Undank bewilligen kann. Du weißt, daß mein Onkel seine Familie meiner Sorgfalt anvertraut hat, und soll ich so sehr sein Vertrauen verrathen, daß ich seine bittersten Feinde hereinlasse, um seine Kinder vielleicht zu morden, und ihn des Wenigen zu berauben, was die Indianer ihm gelassen haben?«

»Bin ich ein Mörder? Dieser Greis? Dieser Beamte der Staaten?« fragte Paul und deutete dabei auf den Streifschützen und seinen neuen Freund, welche beide zu dieser Zeit neben ihm standen; »ist es wahrscheinlich, daß einer von ihnen so etwas thut?«

»Was verlangt Ihr denn von mir?« sagte Ellen und rang die Hände in großer Ungewißheit.

»Das Thier! Nichts mehr und nichts weniger als des Grenzwohners verborgenes, räuberisches, gefährliches Thier!«

»Herrliches Mädchen,« begann der junge Fremde, der eben erst zu den andern in der Steppe gekommen war, aber sein Mund schloß sich alsbald auf ein bedeutungsvolles Zeichen vom Streifschützen, der ihm in’s Ohr lispelte:

»Laßt den Jungen unsern Sprecher sein. Die Zuneigung wird in der Brust des Kindes wirken, und wir werden all‘ unsern Zweck auf’s baldigste erreichen.«

»Es ist Alles heraus, Ellen,« fuhr Paul fort, »und wir haben dem Grenzwohner bis in seine geheimsten Missethaten nachgespürt. Wir sind gekommen, dem Bedrückten Recht zu schaffen und den Eingekerkerten zu befreien; nun, wenn du das treue Mädchen bist, wie ich immer geglaubt habe, wirst du, weit entfernt, uns Hindernisse in den Weg zu legen, mit dem ganzen Schwarm mitschwärmen und den alten Ismael und seinen Bienenstock von eigner Brut verlassen.«

»Ich hab‘ einen Eid abgelegt –«

»Ein Compactum, das man in Unwissenheit oder Noth eingeht, ist null nach der Einsicht aller guten Moralisten,« schrie der Doctor.

»Hsch, hsch,« lispelte wieder der Streifschütz, »überlaßt Alles der Natur und dem Jungen!«

»Ich habe unter den Augen und im Namen Dessen geschworen, der der Schöpfer und Erhalter von allem Guten ist, sei es in der Moral oder Religion,« fuhr die gereizte Ellen fort, »weder den Inhalt jenes Zeltes zu verrathen, noch den Eingekerkerten zur Flucht behülflich zu sein. Wir haben beide feierlich, furchtbar geschworen, unser Leben war vielleicht die Belohnung, die wir für das Versprechen erhielten. Es ist wahr, Ihr wißt um das Geheimniß, aber nicht durch einen von uns; auch weiß ich nicht, wie ich mich rechtfertigen soll, daß ich nur neutral geblieben bin, während Ihr in die Wohnung meines Oheims auf so feindliche Art eindringt.«

»Ich kann über alle Widerlegung hinaus beweisen,« rief der Naturforscher eifrig, »mit Payley, Berkley, ja selbst mit dem unsterblichen Bynkershoek, daß ein Compactum geschlossen, während einer von den Theilen, sei es nun ein Staat oder ein Individuum, in Noth ist –«

»Ihr werdet nur das Kind durch solche unverständliche Sprache aufbringen,« sagte der vorsichtige Streifschütz, »während der Junge, dem menschlichen Gefühl überlassen, sie zur Sanftmuth eines spielenden Rehs herabbringen wird. Ach, Ihr seid gleich mir wenig bekannt mit der Natur jener Art verborgener Neigung.«

»Ist das das einzige Gelübde, das du abgelegt, Ellen!« fuhr Paul in einem Tone fort, der für den fröhlichen, leichtmüthigen Bienenjäger schmerzvoll und vorwurfsreich schien, »hast du nur das beschworen! Sind die Worte, die der Grenzwohner sagt, wie Honig in deinem Mund, und alle andern Versprechungen nur wie Abwurf?«

Die Blässe, die das sonst so blühende Gesicht Ellens überzogen, ward von einer hohen Röthe verdeckt, die man deutlich selbst in seiner Entfernung sah. Sie stockte einen Augenblick, als bemühte sie sich, etwas wie Unwillen hinunterzuschlucken, ehe sie mit ihrem angebornen Reiz antwortete:

»Ich weiß nicht, welches Recht irgend Jemand hat, mich über Eide und Versprechungen zu befragen, die nur Diejenige angehen können, welche sie abgelegt hat, wenn überhaupt so etwas geschehen ist. Ich werde nicht weiter mit Jemand sprechen, der so sehr an sich denkt und nur sein eigenes Gefühl befragt.«

»Nun, alter Streifschütz, hört Ihr das?« sagte der wenig sophistische Bienenjäger und wandte sich plötzlich zu seinem bejahrten Freund. »Das geringste Insect, das unter dem Himmel flattert, wenn es seine Ladung aufgenommen, fliegt gerade und ehrlich nach seinem Nest oder Stock, je nach seiner Art; aber die Windungen eines Weiberherzens sind so verwickelt, wie eine knotige Eiche, und krummer als der Lauf des Mississippi.«

»Ja, ja, Kind,« sagte der Streifschütz, und schlug sich gutmüthig in’s Mittel zu Gunsten des fehlenden Paul’s; »du mußt bedenken, der Jüngling ist hastig und nicht sehr nachdenkend. Aber dennoch, ein Versprechen ist ein Versprechen, und nicht auf die Seite zu werfen und zu vergessen, wie die Hufe und Hörner eines Büffels.«

»Ich dank Euch, daß Ihr mich an meinen Eid erinnert,« sagte die noch zürnende Ellen, und biß ihre schöne Unterlippe voll Verdruß; »ich möchte ihn sonst vielleicht vergessen haben.«

»Ah! die weibliche Natur erwacht in ihr,« sagte der Alte, und schüttelte den Kopf auf eine Art, die zeigen sollte, wie sehr er durch den Ausgang befremdet worden; »aber sie zeigt sich gegen den wahren Geist!«

»Ellen!« rief der junge Fremde, der bis jetzt ein aufmerksamer Zuhörer der Unterredung gewesen war, »da Ellen der Name ist, bei dem man Euch ruft –«

»Sie fügen oft einen andern hinzu. Ich werde manchmal bei dem Namen meines Vaters genannt.«

»Nennt sie ein für allemal Nelly Wade,« lispelte Paul, »es ist ihr rechtmäßiger Name, und mir liegt nichts daran, wenn sie ihn immer behält.«

»Wade hätte ich hinzufügen sollen,« fuhr der Jüngling fort; »Ihr werdet gestehen, daß, obgleich nicht selbst durch einen Eid gebunden, ich zum wenigsten gelernt habe, den Anderer zu achten. Ihr seid selbst Zeuge, daß ich mich gehütet habe, ein einziges Wort zu rufen, während ich doch gewiß war, daß es Ohren erreichen könnte, die so sehr erfreut darüber sein würden. Erlaubt mir also, allein auf den Felsen zu kommen; ich verspreche Euch vollkommene Schadloshaltung Eures Verwandten für jeden Schaden, der seine Effecten treffen könnte.«

Ellen schien zu schwanken, als sie aber einen Blick auf Paul warf, der, stolz auf seine Büchse gelehnt, dastand, und, dem Anschein nach, mit der grüßen Gleichgültigkeit die Melodie eines Schifferlieds summte, kam sie zu rechter Zeit noch zu sich, um zu antworten:

»Ich bin als Befehlshaber des Felsens zurückgelassen worden, während mein Onkel und seine Söhne jagen, und Befehlshaber will ich bleiben, bis er zurückkommt und mir das Amt abnimmt.«

»Das heißt die Zeit verlieren, die nicht bald wieder kommen wird, und eine Gelegenheit versäumen, die sich nie wieder darbieten möchte,« bemerkte der junge Soldat ernst. »Die Sonne fängt schon an, zu sinken, und lange Zeit kann nicht mehr vorübergehn, ehe der Wanderer und seine wilde Horde in ihre Hütten zurückkommen!«

Doctor Battius warf einen ängstlichen Blick hinter sich, und nahm die Rede wieder auf, indem er sagte:

»Vollkommenheit findet sich immer bei der Reise, mag es nun im Thierreich oder in der intellektuellen Welt sein. Nachdenken ist die Mutter der Weisheit, und Weisheit die Mutter des Erfolgs. Ich schlage vor, daß wir uns in eine vorsichtige Entfernung von dieser unbesiegbaren Position zurückziehn und dort eine Versammlung oder Berathung halten, um zu sehen, auf welche Weise wir regelmäßig den Platz belagern mögen, oder vielleicht indem wir die Einschließung auf eine andere Zeit verschieben, Hülfstruppen aus den unbewohnten Landstrichen an uns zu ziehen, und so die Würde der Gesetze gegen alle Gefahr einer Zurücktreibung sichern könnten.«

»Ein Sturm würde besser sein,« antwortete der Soldat lächelnd, und maß die Höhe und berechnete alle Schwierigkeiten mit berathendem Auge; »es würde höchstens nur einen zerbrochenen Arm oder zerschellten Kopf absetzen.«

»So sei’s denn!« rief der ungeduldige Bienenjäger und that einen Sprung, der ihn mit einem Mal außer alle Gefahr vor einem Schuß setzte, indem er ihn unter die vorragende Zinne brachte, auf der die Garnison stand; »nun thut euer Schlimmstes, junge T – l einer verd–ten Brut; ihr habt nur noch einen Augenblick, all eure Bosheit auszuüben!«

»Paul, rascher Paul!« schrie Ellen, »noch ein Schritt, und die Felsen werden dich zermalmen; sie hängen nur an einem Faden, und diese Mädchen sind bereit und willens, sie fällen zu lassen!«

»Dann treib die verd – te Brut aus dem Korb, denn den Fels will ich ersteigen, find‘ ich ihn auch bedeckt mit Hornissen.«

»Sie versuche, wenn sie’s wagt!« schrie trotzig das älteste Mädchen, und schwang eine Musquete mit einer Miene und Entschlossenheit, die einer Amazone Ehre gemacht hätte; »ich kenne dich, Ellen Wade, du bist im Herzen mit den Gesetzleuten, und wenn du einen Fuß näher kommst, sollst du Grenzbewohnerstrafe erfahren. Steckt noch einen andern Hebel hinein, Mädchen, hinein mit ihm! Ich möchte doch den von ihnen all sehen, der in Ismael Busch’s Lager zu kommen wagte, ohne seine Kinder um Erlaubniß zu fragen!«

»Rühr‘ dich nicht Paul, um’s Leben halt‘ dich unter dem Felsen!«

Ellen ward durch dieselbe glänzende Erscheinung unterbrochen, welche am vorhergehenden Tag einen kaum weniger verhängnißvollen Tumult gestillt hatte, indem sie sich auf derselben luftigen Höhe zeigte, wo sie jetzt gesehen ward.

»In dem Namen dessen, der Alles beherrscht, gebiete ich euch, zu ruhen; beide ihr, die so tollkühn sich in Gefahr stürzen, und ihr, die so rasch sich anschicken, das zu nehmen, was sie nicht wieder erstatten können!«

So sprach eine sanfte, beschwörende Stimme in einem etwas fremdartigen Accent, und zog sogleich Aller Augen aufwärts.

»Inez, Inez,« schrie der Offizier, seh‘ ich dich wieder! Mein sollst du jetzt sein, und hätten tausend T,–l auf den Felsen sich postirt. Dringt vor, meine braven Waldmänner, und macht einem andern Platz!«

Die plötzliche Erscheinung der Gestalt aus dem Zelt hatte ein augenblickliches Staunen unter den Vertheidigern der Felsen erregt, welches mit gehöriger Vorsicht glücklich hätte benutzt werden mögen. Aber, aufgeregt durch Middletons Ruf, schoß die erstaunte Phöbe ihre Musquete auf das Weib ab, sich kaum bewußt, ob sie nach dem Leben eines Sterblichen oder nach einem Wesen ziele, das einer andern Welt angehöre. Ellen stieß einen Schrei des Entsetzens aus, und eilte dann zu ihrer erschreckten oder verwundeten Freundin, sie wußte nicht, welches.

Während dieses gefährlichen Zwischenspiels wurde das Geräusch eines ernsthaften Angriffs sehr deutlich unten gehört. Paul hatte die Bewegung über seinem Haupte benutzt, um seine Stelle in so weit zu ändern, daß er Middleton Platz machte; dem letztern war der Naturforscher gefolgt, welcher in einem Zustand geistiger Abwesenheit, in die der Schall der Musquete ihn versetzt hatte, Instinctmäßig nach dem Felsen eilte, um sich zu schützen. Der Streifschütz blieb da, wo er zuletzt gesehen worden, ein unbewegter, aber aufmerksamer Beobachter dieser verschiedenen Vorgänge. Obgleich nicht willens, sich zu offenen Feindseligkeiten mit ihnen zu verbinden, war doch der Alte gar nicht unnütz. Durch seine Stellung begünstigt, war er in Stand gesetzt, seine Freunde unten von den Bewegungen derer zu benachrichtigen, welche oben ihren Untergang beabsichtigten, und dem gemäß ihr Vorschreiten zu lenken, zu regieren.

Mittlerweile waren Esthers Kinder dem Geiste treu, den sie von ihrer furchtbaren Mutter geerbt hatten. Sobald sie sich von Ellens und ihrer unbekannten Gefährtin Gegenwart befreit sahen, schenkten sie ihren männlicheren und gewiß gefährlicheren Angreifern, die um diese Zeit sich gänzlich unter den Spitzen der Citadelle festgesetzt hatten, ungetheilte Aufmerksamkeit: die wiederholten Aufforderungen zur Uebergabe, die Paul in einem Tone ausstieß, der den jungen Gemüthern Schrecken einflößen sollte, wurden eben so wenig geachtet, als der Ruf des Streifschützen, allen Widerstand aufzugeben, der nur Mehreren unter ihnen verderblich werden konnte, ohne die geringste Wahrscheinlichkeit wirklichen Erfolgs darzubieten. Einander ermuthigend, zu beharren, erschütterten sie die Felsstücke und bereiteten die leichteren Geschosse zu unmittelbarem Gebrauch vor, und richteten die Musquetenläufe mit einer geschäftigen Art und einer Kälte, die Männern, lang geübt in den Gefahren des Kriegs, Ehre gemacht haben würde.

»Haltet Euch unter der Zinne,« sagte der Streifschütz und deutete Paul die Art an, wie er vorschreiten sollte, »zieht den Fuß mehr ein, Junge, – ah, Ihr seht, die Warnung war nicht unnütz! hatte der Stein ihn getroffen, die Bienen hätten ihren Gefährten auf Monate entbehrt. Nun, Namensverwandter meines Freundes Uncas, dem Namen und Muth nach, jetzt, wenn Ihr die Schnelligkeit des Cerf agile habt, jetzt könnt Ihr einen schönen Sprung rechts machen, und gute zwanzig Fuß Höhe gewinnen ohne Gefahr! Hütet Euch vor dem Busch, es ist ein verrätherischer Halt! Ah, er hat’s vollbracht, sicher und tapfer hat er’s vollbracht. Jetzt kommt Ihr an die Reihe, Freund, Ihr eifriger Freund der Natur. Wendet Euch links, und Ihr könnt die Aufmerksamkeit der Kinder theilen. – Ja, Mädchen, feuert immer zu, meine alten Ohren sind an das Pfeifen des Bleies gewöhnt, und bei achtzig Jahren auf dem Rücken, findet sich bei mir kein Hasenherz.«

Er schüttelte den Kopf mit melancholischem Lächeln, aber ohne eine Muskel zu rühren, als die Kugel, welche die erzürnte Hetty abfeuerte, unschädlich in nicht großer Entfernung von der Stelle, wo er stand, vorbei fuhr.

»Es ist sicherer, gerade auf die Mündung Eurer Flinte loszugehen, als auszubeugen, wenn ein so schwacher Finger den Hahn losdrückt;« fuhr er fort, »aber es ist ein ergreifender Anblick zu sehen, wie sehr die menschliche Natur zum Bösen geneigt ist, selbst in so jungen Geschöpfen! Gut gemacht, Mann der Thiere und Pflanzen! Noch so einen Sprung, und Ihr könnt lachen über all des Wanderers Verhaue und Wälle. Der Doctor bietet Muth auf, ich seh’s in seinem Auge, und es kann noch etwas aus ihm werden! Halt dich näher, Mann, näher!«

Der Streifschütz, obwohl er sich über den Zustand von Doctor Battius Muth nicht betrog, war jedoch sehr im Irrthum über die anregende Ursache. Während er die Bewegungen seiner Gefährten nachahmte, und seinen Weg mit der größten Vorsicht auswärts nahm, nicht ohne großen Feuereifer, hatte das Auge des Naturforschers eine unbekannte Pflanze erblickt, wenige Ellen über seinem Haupte, und an einer Stelle, die ganz besonders den Geschossen ausgesetzt war, welche die Mädchen ohne Unterlaß auf die Angreifer herabschickten. Für einen Augenblick alles bei dem Ruhm vergessend, der Erste zu sein, der diesen Juwel in die Cataloge der Wissenschaft niederlege, sprang er aufwärts nach dem Preis mit der Gier, womit der Sperling auf den Schmetterling schießt. Die Felsen, die sogleich donnernd herunter kamen, verkündeten, daß er gesehen worden, und für einen Augenblick, wo seine Gestalt von einer Wolke von Staub und Felsstücken, die auf den Steinregen folgte, verdeckt war, gab der Streifschütz ihn verloren, aber im nächsten Augenblick sah man ihn sicher in einer Höhle sitzend, die von einigen vorragenden Steinen gebildet wurde, welche dem Stoß nachgegeben hatten, triumphirend den eroberten Stengel in der Hand haltend, den er schon mit vergnügten und gewiß nicht ungeschickten Augen verschlang. Paul benutzte diese Gelegenheit, seine Richtung mit Gedankenschnelligkeit ändernd, sprang er auch auf den Posten, den Obed so sicher einnahm, machte ohne Umstände einen Schemel aus seiner Schulter, während er über seinen Schatz brütete, drang durch die von den gefallenen Steinen gemachte Bresche durch, und gewann den Gipfel. Ihm folgte Middleton, der ihm im Ergreifen und Entwaffnen der Mädchen beistand. Auf diese Art erlangten sie einen unblutigen, vollkommenen Sieg über die Citadelle, welche, wie Ismael mit Unrecht sich geschmeichelt hatte, für die kurze Zeit seiner Abwesenheit unbezwingbar hatte sein sollen.

Fünfzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

»So Iächle denn der Himmel auf die Feier hin,
Daß künft’ge Stund‘ uns treff‘ mit Trauer nicht.«

Shakespeare.

 

Es ist gut, daß der Lauf der Erzählung stille stehe, während wir zu jenen Ursachen uns wenden, die in ihrer Kette von Folgen den eben beschriebenen sonderbaren Kampf herbeiführten. Die Unterbrechung muß nothwendig eben so kurz sein, als sie, wie wir hoffen, für jene Classe von Lesern genügend sein wird, die verlangen, daß die, welche das Amt der Geschichtschreiber auf sich nehmen, keine Lücke ihrer eigenen fruchtbaren Einbildungskraft auszufüllen überlassen.

Unter den Truppen, welche die Regierung der Conföderation abgeschickt hatte, um Besitz von ihrem neu erworbenen Gebiet im Westen zu nehmen, war ein Detachement, das von dem jungen Krieger angeführt ward, der eine so geschäftige Rolle in den Vorfällen unserer Sage gespielt hat. Die ruhigen, gleichgültigen Abkömmlinge der alten Colonisten empfingen ihre neuen Landsleute ohne Argwohn, da sie wohl wußten, daß die Veränderung sie aus Unterthanen zu beneidenswerthern Bürgern unter der Herrschaft der Gesetze machte. Die neuen Beamten übten ihre Functionen mit Umsicht und gebrauchten ihr übertragenes Ansehen ohne Druck. Bei solch einer neuen Mischung aber, von Leuten, die als freie Bürger geboren und erzogen worden, und von nachgiebigen Sclaven unumschränkter Gewalt, von Katholiken und Protestanten, von Arbeitsamen und Trägen, war einige Zeit nöthig, um diese widerstrebenden Elemente der Gesellschaft zu einigen.

Solch einen wünschenswerthen Zweck zu erreichen, sollte das Weib seine gewohnte freundliche Hülfe bieten. Die Schranken des Vorurtheils und der Religion wurden durch die unwiderstehliche Macht der ersten Leidenschaft der Menschen durchbrochen, und Familien-Vereine begannen bald die Staatsbande zu befestigen, die eine gezwungene Verbindung zwischen einem Volk hervorgebracht hatten, das so verschieden war in seinen Gewohnheiten, seiner Erziehung, und seinen Meinungen.

Middleton war unter den Ersten der neuen Besitzer des Landes, die die Reize louisianischer Damen gefangen nahmen. In der unmittelbaren Nähe des Standquartiers, das er einzunehmen beordert worden, lebte das Haupt einer jener alten Familien der Colonieen, die Jahre lang sich begnügt hatten, in der Ruhe, Gemächlichkeit und dem Wohlstand der spanischen Provinzen hinzuschlummern. Er war ein Officier der Krone, und durch ein reiches Erbe vermocht worden, die Florida zu verlassen und sich unter den Franzosen der angrenzenden Provinz niederzulassen. Der Name des Don Augustin de Certavallos war kaum über die Grenzen der kleinen Stadt hinaus, wo er residirte, bekannt, obwohl er sich ein heimliches Vergnügen daraus machte in großen Rollen rußiger Dokumente einem einzigen Kinde zu zeigen, wie er eingeschrieben sei unter die früheren Helden und Großen Alt- und Neu-Spaniens.

Diese für ihn so wichtige, für jeden Andern so gleichgültige Thatsache war der Hauptgrund, daß, während seine lebendigeren gallischen Nachbarn nicht lässig waren, einen freien Umgang mit ihrem Besuch anzuknüpfen, er lieber allein bleiben wollte, zufrieden, wie es schien, mit dem Umgang seiner Tochter, die eben in den Stand der Mannbarkeit trat.

Die Wißbegierde der jugendlichen Inez war jedoch noch nicht gänzlich unthätig. Sie hatte die kriegerische Musik der Garnison nicht gehört, wie sie mit der Abendluft zerschmolz, nicht das fremdartige Banner gesehen, das über den Höhen flatterte, welche nicht weit von ihres Vaters ausgedehnten Besitzungen sich erhoben, ohne etwas von den geheimen Regungen in sich zu fühlen, welche, wie man meint, ihr Geschlecht auszeichnen. Natürliche Furchtsamkeit und jene sich zurückziehende, vielleicht eigenthümliche Gleichgültigkeit, die die Hauptquelle weiblichen Zaubers in den tropischen Provinzen Spaniens ist, hielten sie in ihren, dem Anschein nach unauflöslichen Banden, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß, hätte sich nicht ein Vorfall ereignet, worin Middleton ihrem Vater einigermaßen nützlich gewesen, so lange Zeit vorübergegangen wäre, ehe sie zusammen gekommen, daß eine andere Richtung den Wünschen eines Wesens hätte gegeben werden mögen, das gerade in einem Alter war, welches für die Macht der Jugend und Schönheit so empfänglich ist.

Die Vorsehung, – oder wenn dieses hohe Wort hier nicht passend scheinen sollte, – das Geschick hatte es anders beschlossen. Der stolze, zurückhaltende Don Augustin war viel zu aufmerksam auf die Formen jenes Ranges, worauf er sich so viel zu gut that, um die Pflichten eines Edelmannes zu vergessen. Dankbarkeit für Middletons Gefälligkeit vermochte ihn, seine Thüre den Offizieren der Garnison zu öffnen und sich auf einen vorsichtigen, aber höflichen Umgang einzulassen. Die Zurückhaltung wich allmählich der Anmuth und Aufrichtigkeit des jungen Anführers, und es dauerte nicht lange, so erfreute der wohlhabende Pflanzer sich eben so sehr als seine Tochter, wenn das wohlbekannte Zeichen am Thor den angenehmen Besuch des Befehlshabers des Postens verkündete.

Es ist unnöthig, sich über den Eindruck zu verbreiten, den Inezens Reiz auf den Soldaten machte, oder die Erzählung aufzuhalten, um eine umständliche Nachricht von dem fortschreitenden Einfluß zu geben, den ein einnehmendes Betragen, männliche Schönheit und ungetheilte Aufmerksamkeit und Geist nothwendig aus das gefühlvolle Gemüth eines romantischen, liebevollen und einsamen Mädchens von sechszehn Jahren sich verschaffen mußten.

Es ist zu unserm Zweck hinlänglich zu sagen, daß sie liebten, daß der Jüngling nicht zögerte, seine Gefühle zu erklären, daß er mit einiger Leichtigkeit sich über die Anstände des Mädchens hinaus setzte, doch mit nicht geringen Schwierigkeiten die Einwürfe des Vaters wegräumte, und daß, ehe noch die Provinz Louisiana sechs Monate im Besitz der Staaten gewesen war, der Beamte der letzteren der Verlobte der reichsten Erbin an den Küsten des Mississippi war.

Obwohl wir versucht haben, den Leser mit der Art bekannt zu machen, wie man zu solchen Ergebnissen gewöhnlich gelangt, muß man doch nicht meinen, daß Middletons Sieg über die Vorurtheile des Vaters und seiner Tochter ganz ohne Mühe erreicht ward. Die Religion war bei Beiden ein schweres und fast unüberwindliches Hinderniß. Der ergebene Jüngling unterzog sich geduldig einem furchtbaren Versuch, den Pater Ignatius machte, der abgesandt ward, um ihn zum wahren Glauben zu bekehren. Die Anstrengungen von Seiten des würdigen Priesters waren systematisch, kräftig, ausdauernd.

Ein Dutzend Mal (nämlich in den Augenblicken, wo die leichte, sylphenähnliche Gestalt der Inez wie ein Feenwesen über die Scene ihrer Unterredungen schritt) dachte der gute Pater, er stünde am Vorabend eines glorreichen Triumphs über den Unglauben; aber alle seine Hoffnungen wurden dann durch einen unvorhergesehenen Widerspruch von Seiten des Gegenstandes seiner frommen Bemühungen wieder vereitelt. So lange der Angriff auf seinen Glauben entfernt und schwach war, wich Middleton, der keine besondern Progresse in der Polemik gemacht, ihren Wirkungen mit der Geduld und Ergebung eines Märtyrers; aber sobald der gute Pater, der so große Sorge für sein künftiges Glück trug, den gewonnenen Boden zu benutzen suchte, um einige von den Spitzfindigkeiten seines eigenen Glaubens zu Hülfe zu rufen, dann war der Jüngling ein zu guter Soldat, um nicht dem heißen Angriff die Spitze zu bieten. Er kam freilich mit keinen furchtbarern Waffen auf den Kampfplatz, als mit seinem gesunden Menschenverstand und mit der geringen Kenntniß von den Gebräuchen seines Vaterlandes, in so weit sie mit denen seines Gegners in Widerspruch standen; aber mit dieser hausbackenen Rüstung verfehlte er nie, den Pater mit einer Kraft zurückzuschlagen, die der in etwas ähnlich war, womit ein nervigter Klopffechter einen geschickten Meister im Rappier empfangen und seine Paraden durch den direkten und unumstößlichen Beweis eines zerschlagenen Kopfes und zersplitterter Waffe auf Nichts zurückführen würde.

Ehe der Streit noch geendigt war, kam ein Einfall der Protestanten dem Soldaten zu Hülfe. Die rücksichtslose Freiheit Solcher von ihnen, die nur an dieses Leben dachten, und die sich gleichbleibende und gemäßigte Frömmigkeit Anderer machte, daß der ehrliche Priester voll Besorgnis um sich sah. Der Einfluß des Beispiels auf der einen Seite, und Ansteckungen eines zu freien Umgangs auf der andern, fing an, sich selbst in dem Theil seiner eigenen Heerde zu zeigen, den er für zu sehr von geistlicher Leitung umwickelt gehalten hatte, als daß er irre gehen könnte. Es war Zeit, daß er seine Gedanken von der Offensive abwandte und seine Bekenner vorbereitete, der gesetzlosen Fluth von Meinungen zu widerstehen, die die Schranken ihres Glaubens umzureißen drohten. Gleich einem weisen Feldherrn, welcher findet, daß er für seine Streitkräfte zu viel Land besetzt hält, begann er, seine Außenwerke zusammen zu ziehen; die Ueberbleibsel wurden profanen Augen verborgen; seine Anhänger wurden ermahnt, nicht von Mirakeln vor einem Haufen zu reden, der nicht allein ihr Dasein leugnete, sondern der selbst die verzweifelte Kühnheit hätte, die Beweise dafür heraus zu fordern. Die Bibel ward nochmals mit furchtbaren Drohungen aus dem siegenden Grunde verboten, weil sie mißverstanden werden könnte. Indeß ward es nöthig, Don Augustin die Wirkungen mitzutheilen, die seine Beweise und Gebete auf die ketzerische Anlage des jungen Kriegers hervorgebracht hatten. Niemand ist geneigt, seine Schwäche gerade in dem Augenblick zu gestehen, wo die Umstände die äußerste Kraftanstrengung erfordern. Durch eine Art frommen Betrugs, wofür ohne Zweifel der würdige Priester Absolution in der Reinheit seiner Beweggründe fand, erklärte er, daß, wenn keine wirkliche Veränderung mit Middletons Gemüth schon vorgegangen, doch aller Grund da sei, um zu hoffen, der eingetriebene Keil der Ueberzeugung sei bis zu seinem Haupte gedrungen, und daß folglich eine Oeffnung da sei, wodurch, wie man vernünftigerweise erwarten könne, der gesegnete Same religiöser Befruchtung seinen Weg finden werde, besonders wenn dem jungen Mann ununterbrochen vergönnt würde, des Segens der katholischen Communion sich zu erfreuen.

Jetzt ward Don Augustin selbst von der Wuth des Proselytismus ergriffen. Selbst die sanfte, liebenswürdige Inez hielt es für eine glorreiche Erfüllung ihrer Wünsche, wenn sie zum geringen Werkzeug dienen könnte, ihren Geliebten in den Schooß der wahren Kirche zurückzuführen. Die Bewerbungen Middletons wurden schnell angenommen, und während der Vater ungeduldig dem zur Vermählung bestimmten Tag entgegen sah, als wäre er das Pfand seines eigenen glücklichen Erfolgs, dachte die Tochter an ihn mit Gefühlen, worin die heiligen Erregungen ihres Glaubens sich mit den sanfteren Gefühlen ihrer Jahre und Lage mischten.

Die Sonne ging am Morgen ihres Hochzeittages so glänzend und wolkenlos auf, daß die gefühlvolle Inez ihm wie dem Bürgen ihres künftigen Glücks entgegen jauchzte. Pater Ignatius beging die kirchliche Handlung in einer kleinen Capelle, die zu Don Augustins Gut gehörte, und lange, ehe die Sonne zu sinken begonnen, drückte Middleton die erröthende, furchtsame Creole, als sein anerkanntes und unzertrennliches Weib, an den Busen.

Es hatte beiden Theilen gefallen, den Tag der Hochzeit in der Stille hinzubringen, und ihn fern von allen den geräuschvollen und gewöhnlich herzlosen Vergnügungen einer erzwungenen Festlichkeit nur den besten und feinsten Gefühlen zu weihen, Middleton kehrte durch Don Augustins Gebiet von einem Pflichtbesuch in sein Lager zurück, zur Zeit, als das Licht der Sonne mit dem Schatten des Abends zu verschmelzen begann; da traf ein Strahl von einem Kleid, das dem ähnlich war, in welchem er Inez zum Altar geführt hatte, sein Auge durch das Blätterwerk eines verlornen Gebüsches. Er näherte sich der, Stelle mit einer Zartheit, welche durch das Recht, das sie ihm vielleicht gegeben hatte, in ihren geheimen Augenblicken sich zuzudrängen, eher vermehrt als vermindert worden, aber die Töne ihrer sanften Stimme, welche Gebete hinaufsendete, in den er sich mit den theuersten aller Benennungen bezeichnet hörte, besiegten seine Anstände, und vermochten ihn, eine Stellung einzunehmen, wo er ohne Furcht vor Entdeckung lauschen konnte. Es war gewiß dem Gefühl eines Gemahls angenehm, auf diese Weise im Stande zu sein, die fleckenlose Seele seines Weibes zu durchschauen, und zu finden, daß sein Bild von ihren reinsten und heiligsten Gefühlen umgeben war. Seine Selbstachtung war zu sehr geschmeichelt, um ihn nicht zu vermögen, den eigentlichen Zweck der Bittenden zu übersehen. Während sie betete, daß sie das geringe Werkzeug werden möchte, um ihn in die Schaar der Gläubigen zurückzubringen, bat sie um Vergebung für sich selbst, wenn Anmaßung oder Gleichgültigkeit gegen den Rath der Kirche sie veranlaßt, zu hohen Werth auf ihren Einfluß zu legen, und sie in den gefährlichen Irrthum verleitet hätte, ihre eigene Seele zu gefährden, indem sie mit einem Ketzer sich vermählte. Es war so viel brünstige Frömmigkeit, gemischt mit so starkem Ausbruch natürlichen Gefühls, so viel von einem Weibe und einem Engel in ihren Gebeten, daß Middleton ihr hätte vergeben können, auch wenn sie ihn einen Heiden genannt, mit so viel Milde und Antheil bat sie für ihn.

Der junge Krieger wartete, bis seine Braut aufgestanden, und trat dann zu ihr, als sei er ganz unbekannt mit Allem, was eben vorgefallen.

»Es wird spät, meine Inez,« sagte er, »und Don Augustin könnte Euch Unaufmerksamkeit gegen Eure Gesundheit vorwerfen, daß Ihr so lange zu solcher Stunde außen seid. Was soll ich nun thun, dem all sein Ansehn übertragen ward, und doppelt seine Liebe?«

»Seid ihm gleich in jedem Stück,« antwortete sie, sah mit Thränen im Auge zu ihm auf, und sprach mit besonderer Wärme; »in jedem Stück! Ahmt meinem Vater nach, Middleton, und ich kann von Euch nicht mehr verlangen.«

»Auch nicht für mich, Inez? Ich zweifle nicht, daß ich alles sein würde, was Ihr wünschen könnt, würde ich so gut wie der würdige, verehrte Don Augustin. Aber Ihr müßt den Schwachheiten und Angewöhnungen eines Soldaten etwas nachsehen. Nun laßt uns gehen und diesen trefflichen Vater sehen?«

»Noch nicht,« sagte die Braut, und wand sich sanft aus seinem Arm, den er um ihre schlanke Gestalt geworfen, als er sie wegzog. »Ich habe noch eine Pflicht zu erfüllen, ehe ich so vorbehaltlos Euern Befehlen mich unterwerfen kann, möcht Ihr auch Soldat sein. Ich versprach der würdigen Inesella, meiner treuen Amme, ihr, die wie Ihr gehört, so lange mir Mutter gewesen ist; Middleton, ich versprach ihr einen Besuch zu dieser Stunde; es ist der letzte, wie sie meint, den sie von ihrem Kind empfangen kann, und ich werde sie nicht vergebens warten lassen. Geht Ihr dann zu Don Augustin, und in einer kleinen Stunde werde ich Euch dort treffen.«

»Erinnert Euch, nur eine Stunde!«

»Eine Stunde,« wiederholte Inez, und warf ihm einen Kuß zu; dann erröthend, als sei sie über ihre Kühnheit beschämt, schoß sie von dem Gesträuch weg, und ward für einen Augenblick nach der Hütte ihrer Amme hineilen gesehen, in welcher sie in der nächsten Minute verschwand.

Middleton kehrte langsam und gedankenvoll nach dem Hause zurück, oft seine Augen nach der Seite richtend, wo er sein Weib zum letzten Mal gesehen, als wollte er gerne ihre liebliche Gestalt in dem Dunkel des Abends auffinden, wo sie ihm noch in dem freien Raum hinzuschweben schien. Don Augustin empfing ihn mit Wärme, und vergnügte sich einige Zeit lang, sich von seinem neuen Schwiegersohne Pläne für die Zukunft vorlegen zu lassen.

Der alte spanische Zuhörer lauschte auf seine blühende, aber treue Beschreibung des Wohlstandes und Glückes jener Staaten, von denen er ein halbes Leben lang ein unwissender Nachbar gewesen war, theils mit jener Art Unglauben, womit man das anhört, was man für übertriebene Beschreibung zu parteiischer Freundschaft hält.

Auf diese Art ging die Stunde, welche sich Inez ausbedungen, viel früher vorüber, als ihr Gemahl in ihrer Abwesenheit hatte für möglich halten können. Endlich richteten sich seine Blicke auf die Uhr, und dann wurden die Minuten gezählt, wie eine nach der andern verrann, und Inez erschien noch nicht. Der Zeiger hatte schon die Hälfte eines andern Umlaufs um das Zifferblatt zurückgelegt, als Middleton aufstand und seinen Entschluß erklärte, zu gehen und sich zum Schützer der Abwesenden anzubieten. Er fand die Nacht dunkel, und den Himmel mit drohenden Dünsten bedeckt, was in jenem Clima der untrügliche Vorläufer eines Sturms war. Getrieben, eben so sehr durch den unheilvollen Anblick der Luft, als durch seine geheime Unruhe, beeilte er seine Schritte, stürzte auf Inesella’s Hütte zu. Zwanzigmal blieb er stehen, glaubte einen Strahl von Inez reizender Gestalt aufzufangen, wie sie auf ihrem Rückweg zum Herrenhaus hinschwebte, und ward eben so oft genöthigt, getäuscht seinen Weg wieder aufzunehmen. Er erreichte die Thür der Hütte, klopfte, öffnete, trat ein und stand selbst vor der bejahrten Amme, ohne auf die zu treffen, die er suchte. Sie hatte schon das Haus verlassen, war schon zu ihrem Vater zurückgekehrt. In der Meinung, er habe sie in der Dunkelheit verfehlt, ging Middleton zurück, um nochmals in seiner Erwartung sich getäuscht zu sehen. Man hatte nichts von Inez vernommen. Ohne seine Absicht irgend Jemand mitzutheilen, ging der Bräutigam mit klopfendem Herzen nach dem kleinen abgelegenen Gebüsch, wo er seine Braut jene Gebete für sein Glück und seine Bekehrung zum Himmel hatte hinaufschicken hören. Auch hier täuschte ihn seine Hoffnung, und nun gerieth er außer sich in der peinvollen Ungewißheit des Zweifels und der Vermuthung.

Mehrere Stunden lang vermochte ein geheimer Verdacht in die Beweggründe seines Weibes Middleton, in seinem Forschen mit Zartheit und Vorsicht vorzuschreiten. Aber als der Tag dämmerte, ohne sie in die Arme ihres Vaters oder Gemahls zurückzubringen, ward jeder Rückhalt bei Seite gelegt, und ihr unerklärliches Verschwinden laut bekannt gemacht. Die Nachforschungen nach der verlorenen Inez geschahen jetzt ohne Umschweife und offen, aber sie zeigten sich gleich fruchtlos.

Niemand hatte sie gesehen oder von ihr gehört, seit sie die Hütte der Amme verlassen.

Ein Tag ging nach dem andern vorüber und noch belohnte keine Nachricht das Nachforschen, das sogleich angestellt worden, bis sie endlich von den meisten ihrer Verwandten und Freunde als unwiederbringlich verloren aufgegeben ward. Eine so außerordentliche Begebenheit ward nicht so bald vergessen. Sie reizte den Erwerbgeist, gab Veranlassung zu einer Fluth von Gerüchten und zu nicht wenig Vermuthungen. Die vorherrschende Meinung unter solchen Auswanderern, die das Land überströmten, und welche bei der Menge ihrer Geschäfte noch Zeit hatten, an fremden Kummer zu denken, war der einfache und unmittelbare Schluß, daß das Verschwinden der Braut nichts mehr und nichts weniger als ein Selbstmord sei. Vater Ignatius hatte manche Zweifel und viele geheime Gewissensunruhe, aber gleich einem weisen Befehlshaber bemühte er sich, den betrübenden Vorfall zu einigem Vortheil in dem bevorstehenden Glaubenskampf zu wenden. Er richtete die Batterie anders und lispelte einigen seiner ältesten Pfarrkinder in die Ohren, er habe sich über den Zustand von Middletons Herz getäuscht, welches, wie er jetzt zu glauben genöthigt wäre, gänzlich in den Schmutz der Ketzerei versunken sei. Er fing wieder an seine Reliquien zu zeigen, und man hörte ihn selbst wieder auf den zarten und fast vergessenen Punct der neuesten Wunden anspielen. In Folge dieser Bemerkungen des ehrwürdigen Priesters, vernahm man ein Wispern unter den Gläubigen, und endlich ward es als ein Theil des Kirchenglaubens aufgenommen, Inez sei gen Himmel aufgehoben worden.

Don Augustin besaß alles Gefühl des Vaters; aber es ward durch die Laßheit der Creolen eingeschläfert. Gleich seinem geistlichen Vormund begann er zu meinen, es sei unrecht gewesen, ein so reines, junges, liebenswürdiges und vor allem so frommes Wesen den Armen eines Ketzers zu überliefern, und er glaubte gern, das Unglück, das sein Alter befallen, sei ein Strafgericht seiner Anmaßung und seines Mangels an Anhänglichkeit, an die festgesetzten Formen. Er fand freilich, als das Lispeln der Congregation zu seinen Ohren drang, für den Augenblick Trost in ihrem Glauben; aber dann war doch die Natur zu mächtig und hielt fest des alten Mannes Herz, um nicht dem rebellischen Gedanken Eingang zu verschaffen, der Eintritt seiner Tochter in das himmlische Erbe sei ein wenig zu frühzeitig.

Aber Middleton, der Liebende, der Gemahl, der Bräutigam, Middleton war fast zerschmettert von der Stärke dieses unerwarteten furchtbaren Schlags. Erzogen unter der Herrschaft des einfachen vernünftigen Glaubens, worin nichts von den Gläubigen zu verbergen gesucht wird, konnte er keine andern Besorgnisse für Inezens Schicksal hegen, als solche, wie seine Kenntniß vor den abergläubischen Begriffen in ihm erregte, die sich Inez von seiner Kirche machte. Es ist unnöthig, sich über den Schmerz auszulassen, den er empfand, oder all die verschiedenen Vermuthungen, Hoffnungen und Täuschungen aufzuzählen, die er während den ersten Wochen seines Unglücks erfahren sollte. Ein eifersüchtiger Verdacht in Inezens Beweggründe und eine geheime glimmende Hoffnung, er werde sie noch wieder finden hatten seine Untersuchungen gemäßigt, ohne jedoch zu bewirken, daß er sie ganz aufgab. Aber die Zeit fing an, ihn selbst des betrübenden Trostes zu berauben, daß er vorsätzlich, wiewohl vielleicht vorübergehend verlassen worden, und er gab allmählig der peinvolleren Ueberzeugung nach, sie sei todt, als seine Hoffnungen plötzlich von neuem und auf seltsame Weise wieder auflebten.

Der junge Befehlshaber kehrte langsam und trübselig von einer Abendparade in sein Quartier zurück, das in einiger Entfernung von dem Lager war, aber auf derselben Erhöhung stand, als seine herumstreifenden Augen auf die Gestalt eines Mannes fielen, die nach den Vorschriften des Ortes zu dieser verbotenen Stunde nicht hätte da sein sollen. Der Unbekannte trug schlechte Kleidung und seine ganze Gestalt und sein Antlitz verriethen die schmutzigste Armuth und die liederlichsten Sitten. Kummer hatte den militärischen Stolz Middletons gemildert, und als er an der niedergebeugten Gestalt des Eingedrungenen vorüber schritt, sagte er in einem Ton großer Milde, oder vielmehr Güte:

»Ihr werdet die Nacht auf der Wache zubringen, Freund, wenn Euch die Patrouille hier findet; – da ist ein Thaler, geht, sucht Euch ein besseres Nachtquartier und etwas zu essen!«

»Ich verschlinge all mein Essen, ohne zu kauen,« entgegnete der Herumstreicher mit der gemeinen Freude eines vollkommenen Taugenichts, während er begierig nach dem Silber griff. »Gebt für diesen Mexikaner zwanzig und ich will Euch ein Geheimniß verkaufen!«

»Geht, geht,« erwiederte der Andere mit etwas von seiner Soldatenstrenge, und nahm seine frühere Weise wieder an; »geht, ehe ich die Wache Euch ergreifen lasse.«

»Gut, mag sein; aber wenn ich gehe, Capitain, nehme ich mein Geheimniß mit mir, und dann mögt Ihr ein gebannter Wittwer bleiben, bis der Zapfenstreich Eures Lebens geschlagen wird.«

»Was meinst du, Bursche?« rief Middleton und wandte sich schnell nach dem Wicht, der seine morschen Knochen schon wegschleppte.

»Ich meine, ich will mir den Thaler in spanischen Branntwein umsetzen lassen und dann zurückkommen und Euch mein Geheimniß theuer genug verkaufen, um dafür ein ganzes Quart zu bekommen.«

»Wenn Ihr etwas zu sagen habt, sagt es jetzt,« fuhr Middleton fort, und unterdrückte kaum die Ungeduld, die ihn trieb, sein Inneres zu verrathen.

»Ich bin trocken und kann nie mit Anstand reden‘, wenn meine Kehle staubig ist, Capitain. Wie viel wollt Ihr geben, wenn Ihr erfahrt, was ich Euch sagen kann; laßt es etwas Hübsches sein, so etwas, wie es ein Mann dem andern anbieten kann.«

»Ich glaube, es würde bessere Rechtspflege sein, Bursche, wenn ich dem Tambour befähle, Euch einen Besuch zu machen.«

»Worauf bezieht sich Euer so gerühmtes Geheimniß?«

»Auf die Hochzeit, ein Weib oder kein Weib! Ein schönes Gesichtchen, eine reiche Braut! Sprech ich jetzt deutlich, Capitain?«

»Wenn Ihr etwas von meinem Weib wißt, sagt es nur gleich; Ihr braucht wegen Eurer Belohnung nicht zu fürchten.«

»Ei, Capitain, ich habe manchen Handel in meinem Leben gemacht; manchmal bin ich mit Geld, manchmal mit Versprechungen bezahlt worden. Das letzte nenn‘ ich faule Nahrung.«

»Sagt denn den Preis!«

»Zwanzig, – nein, verd– mich, es ist dreißig Thaler werth, ja hundert.«

»Nun, da habt Ihr Euer Geld; aber erinnert Euch, wenn Ihr mir nichts Wichtiges sagt, kann ich’s Euch leicht wieder nehmen, und Eure Freiheit noch obendrein bestrafen.«

Der Bursche untersuchte die Banknoten, die er empfangen, mit mißtrauischem Auge und steckte sie dann, wie es schien, wohl zufrieden mit ihrer Aechtheit, ein.

»Ich liebe die nördlichen Banknoten,« sagte er kalt; »sie haben, wie ich, noch die Ehre zu verlieren. Fürchtet nicht Capitain, ich bin ein ehrlicher Mann, und werde Euch kein Wort mehr und kein Wort weniger sagen, als wahr ist.«

»So fangt denn ohne Weiteres an; oder es möchte mich reuen, und ich Euch all Euren Erwerb, Silber und Noten wieder nehmen lassen.«

»Ehre, und wenn Ihr dafür sterben müßt!« entgegnete der Taugenichts, und hielt die Hand empor in erdichtetem Schrecken über so schwere Drohung. »Nun Capitain, Ihr müßt wissen, daß ehrliche Leute nicht alle von demselben Gewerb leben, einige behalten, was sie haben, andere erwerben, was sie können.«

»Ihr seid ein Dieb gewesen.«

»Ich mag nicht das Wort. Ich bin ein Menschenjäger gewesen; wisst Ihr was das heißt? Ei, es hat viele Bedeutungen. Manche meinen, die wolligen Köpfe wären unglücklich, weil sie auf heißen Plantagen unter brennender Sonne arbeiten müssen, andere Unbequemlichkeiten nicht zu gedenken. Nun, Capitain, ich bin zu meiner Zeit ein Mann gewesen, der ihnen wenigstens die Annehmlichkeit der Abwechslung verschaffen wollte, indem er ihnen den Aufenthalt veränderte. Ihr versteht mich?«

»Ihr seid, gerade heraus, ein Menschenverkäufer – –«

»Gewesen, mein guter Capitain, gewesen; aber jetzt gerade ein wenig zurückgekommen, wie ein Kaufmann, der aufhört Tabak centnerweise zu verkaufen und den Handel pfundweis fortsetzt. Ich bin auch meiner Zeit Soldat gewesen. Was man das große Geheimniß unseres Standes nennt, nun, könnt Ihr mir das sagen?«

»Weiß nicht!« sagte Middelton, der anfing, des Schelmen Späße überdrüssig zu werden; »Muth?«

»Nein, Beine, – Beine, damit zu fechten, und Beine, darauf fortzulaufen, und darin kamen, wie Ihr seht, meine beiden Berufsarten überein. Meine Beine sind gerade jetzt keine von den besten, und ohne Beine würde ein Seelenverkäufer einen unvortheilhaften Handel treiben, und es sind Leute genug da, die besser damit versehen sind, als ich.«

»Sie geraubt!« erdröhnte der von Entsetzen niedergeschmetterte Gatte.

»Auf ihrem Weg, so gewiß als Ihr hier steht.« »Schurke, welchen Grund hast du, so etwas Empörendes zu glauben?«

»Laßt die Hand weg, die Hand weg; meint Ihr, meine Zunge werde ihre Pflicht besser thun, wenn Ihr mir die Kehle ein wenig kitzeltet! Habt Geduld und Ihr sollt Alles erfahren; aber wenn Ihr mich wieder so unhonnet behandelt, dann werde ich den Beistand der Gesetzleute anrufen müssen.«

»So sprecht denn; aber wenn Ihr ein einziges Wort mehr oder weniger als die Wahrheit vorbringt, dann erwartet meine alsbaldige Rache!«

»Seid Ihr Thor genug zu glauben, daß ein Schelm wie ich, Euch etwas sagen würde, dessen Wahrscheinlichkeit ihm nicht den Rücken freihielte. Nein, das seid Ihr gewiß nicht; deßwegen will ich Euch meine Beweise und meine Meinung darlegen, und dann mögt Ihr daran kauen, während ich gehe und von Eurem Edelmuth trinke. Ich kenne einen gewissen Abiram White. Ich glaube, der Schurke nahm den Namen an, um dadurch seine Feindschaft gegen die Race der Schwarzen anzudeuten.

Aber dieser Herr ist jetzt und war’s seit Jahren, wie ich gewiß weiß, ein förmlicher Uebersetzer der Menschheit von einem Staat in den andern. Ich hab‘ zu meiner Zeit mit ihm zu thun gehabt, und ein betrügerischer Hund ist es! Er hat nicht mehr Ehre im Leibe, als ich Speise darin. – Ich sah ihn hier, in dieser Stadt hier, am Tag Eurer Hochzeit. Er war in Gesellschaft seines Weibes Bruders, und er gab vor, er sei ein Colonist auf der Jagd nach neuem Land. Es war eine volle Partie, um Geschäfte darin zu machen: sieben Söhne, jeder so groß wie Euer Sergeant mit sammt seiner Mütze. Nun, sobald ich hörte, Euer Weib sei fort, sah ich sogleich, Abiram müsse Hand an sie gelegt haben.«

»Wisst Ihr das, – kann es sein? Welchen Grund habt Ihr zu so schrecklichen Gedanken?«

»Grund genug; ich kenne Abiram White. Nun, wollt Ihr noch eine Kleinigkeit hinzufügen, gerade genug, um meine Kehle vor dem Vertrockenen zu sichern?«

»Geht, geht, Ihr seid schon vom Trunke um den Verstand gebracht, Unglücklicher, und wißt nicht, was Ihr sagt. Geht und nehmt Euch vor dem Tambour in Acht!«

»Erfahrung ist ein guter Führer!« rief der Bursche dem weggehenden Middleton nach, dann wandte er sich mit einem verschluckten Lachen, das zeigte, wie zufrieden er mit sich sei, um, und schleppte sich, so gut es gehen wollte, nach der Kneipe des Branntweinschenks.

Hundertmal dachte Middleton im Verlauf jener Nacht, die Mittheilung des Wichts verdiene Aufmerksamkeit, und eben so oft verwarf er den Gedanken als zu wild und schwärmerisch und nahm einen andern vor. Früh am folgenden Morgen nach einer unruhigen und fast schlaflosen Nacht ward er von seiner Ordonnanz aufgeweckt, die ihm rapportirte, ein Mann sei auf der Parade todt gefunden worden, nicht weit von seinem Quartier. Er warf seine Kleider an, eilte nach der Stelle und sah den Menschen, mit dem er die obige Unterhaltung gehabt, ganz in der Lage, worin er ihn zuerst gefunden. Der unglückliche Schelm war seiner Unmäßigkeit zum Opfer geworden. Diese niederbeugende Thatsache ward hinlänglich bewiesen, durch seine vorgedrungenen Augäpfel, sein aufgedunsenes Gesicht und die fast unerträglichen Gerüche, die selbst dann noch sein Leichnam aushauchte. Voll Ekel über den häßlichen Anblick wollte sich der junge Krieger wegwenden, nachdem er befohlen hatte, die Leiche wegzuschaffen, als die Haltung einer Hand des Todten ihm auffiel. Bei näherer Untersuchung fand er den Vorderfinger ausgereckt, als wolle er in den Sand schreiben, und folgende unvollendete fast unleserliche, aber doch zu entziffernde Worte: »Capitain, es ist wahr, so gewiß ich ein ehrl –«

Er war entweder gestorben, oder in Schlaf gefallen, der der Vorläufer seines Todes war, ehe er endigen konnte.

Dies vor den Andern verbergend, wiederholte Middleton seine Befehle und ging weg. Die hartnäckige Betheurung des Verstorbenen und all diese Umstände zusammen, vermochten ihn, einige geheime Nachforschungen zu machen. Er fand, daß eine Familie, die der ihm gegebenen Beschreibung entsprach, in der That gerade an dem Tag seiner Hochzeit durchgekommen war. Man verfolgte ihren Weg auf einige Strecke dem Rand des Mississippi hinab, bis sie ein Boot nahmen, und dem Flusse hinauf stiegen, bis zu seinem Zusammenfluß mit dem Missouri. Hier waren sie wie hundert Andere verschwunden, den verborgenen Reichthum des Innern erforschend.

Mit diesen Thatsachen ausgerüstet, wählte sich Middleton eine kleine Wache von seinen zuverlässigsten Leuten aus, nahm von Don Augustin Abschied, ohne ihm seine Hoffnung oder Furcht zu entdecken, erreichte die angedeutete Stelle und drang vorwärts forschend in die Wildniß. Es war nicht schwer, einen Haufen wie der Ismael’s zu verfolgen, bis er sich überzeugte, sein Ziel liege weit über den gewöhnlichen Grenzen der Colonieen hinaus. Dieser Umstand an sich schärfte seinen Verdacht und gab seinen Hoffnungen auf endlichen Erfolg neue Stärke.

Als er über den Bereich mündlicher Zurechtweisung hinaus war, nahm der angstvolle Gatte seine Zuflucht zu den gewöhnlichen Fährtezeichen, um die Flüchtlinge zu verfolgen. Auch dies fand er keine schwere Aufgabe, bis er den harten, widerstrebenden Boden der höckerichten Steppen erreichte. Hier wirklich war er gänzlich im Dunkel. Er sah sich endlich genöthigt, sein Gefolge zu vertheilen, bestimmte jedoch auf einen entfernten Tag einen Versammlungs-Ort, und bemühte sich so, die verlorene Spur aufzufinden, indem er soviel wie möglich die Zahl der Augen vervielfältigte. Er war eine Woche allein gewesen, als der Zufall ihn mit dem Streifschützen und Bienenjager zusammenbrachte. Ein Theil ihrer Unterredung ist schon erzählt worden, und der Leser kann sich leicht die Aufschlüsse denken, die auf die von ihm erzählte Geschichte folgten, und, wie wir schon gesehen haben, zur Entdeckung seiner Braut führten.

Fünfzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

»So Iächle denn der Himmel auf die Feier hin,
Daß künft’ge Stund‘ uns treff‘ mit Trauer nicht.«

Shakespeare.

 

Es ist gut, daß der Lauf der Erzählung stille stehe, während wir zu jenen Ursachen uns wenden, die in ihrer Kette von Folgen den eben beschriebenen sonderbaren Kampf herbeiführten. Die Unterbrechung muß nothwendig eben so kurz sein, als sie, wie wir hoffen, für jene Classe von Lesern genügend sein wird, die verlangen, daß die, welche das Amt der Geschichtschreiber auf sich nehmen, keine Lücke ihrer eigenen fruchtbaren Einbildungskraft auszufüllen überlassen.

Unter den Truppen, welche die Regierung der Conföderation abgeschickt hatte, um Besitz von ihrem neu erworbenen Gebiet im Westen zu nehmen, war ein Detachement, das von dem jungen Krieger angeführt ward, der eine so geschäftige Rolle in den Vorfällen unserer Sage gespielt hat. Die ruhigen, gleichgültigen Abkömmlinge der alten Colonisten empfingen ihre neuen Landsleute ohne Argwohn, da sie wohl wußten, daß die Veränderung sie aus Unterthanen zu beneidenswerthern Bürgern unter der Herrschaft der Gesetze machte. Die neuen Beamten übten ihre Functionen mit Umsicht und gebrauchten ihr übertragenes Ansehen ohne Druck. Bei solch einer neuen Mischung aber, von Leuten, die als freie Bürger geboren und erzogen worden, und von nachgiebigen Sclaven unumschränkter Gewalt, von Katholiken und Protestanten, von Arbeitsamen und Trägen, war einige Zeit nöthig, um diese widerstrebenden Elemente der Gesellschaft zu einigen.

Solch einen wünschenswerthen Zweck zu erreichen, sollte das Weib seine gewohnte freundliche Hülfe bieten. Die Schranken des Vorurtheils und der Religion wurden durch die unwiderstehliche Macht der ersten Leidenschaft der Menschen durchbrochen, und Familien-Vereine begannen bald die Staatsbande zu befestigen, die eine gezwungene Verbindung zwischen einem Volk hervorgebracht hatten, das so verschieden war in seinen Gewohnheiten, seiner Erziehung, und seinen Meinungen.

Middleton war unter den Ersten der neuen Besitzer des Landes, die die Reize louisianischer Damen gefangen nahmen. In der unmittelbaren Nähe des Standquartiers, das er einzunehmen beordert worden, lebte das Haupt einer jener alten Familien der Colonieen, die Jahre lang sich begnügt hatten, in der Ruhe, Gemächlichkeit und dem Wohlstand der spanischen Provinzen hinzuschlummern. Er war ein Officier der Krone, und durch ein reiches Erbe vermocht worden, die Florida zu verlassen und sich unter den Franzosen der angrenzenden Provinz niederzulassen. Der Name des Don Augustin de Certavallos war kaum über die Grenzen der kleinen Stadt hinaus, wo er residirte, bekannt, obwohl er sich ein heimliches Vergnügen daraus machte in großen Rollen rußiger Dokumente einem einzigen Kinde zu zeigen, wie er eingeschrieben sei unter die früheren Helden und Großen Alt- und Neu-Spaniens.

Diese für ihn so wichtige, für jeden Andern so gleichgültige Thatsache war der Hauptgrund, daß, während seine lebendigeren gallischen Nachbarn nicht lässig waren, einen freien Umgang mit ihrem Besuch anzuknüpfen, er lieber allein bleiben wollte, zufrieden, wie es schien, mit dem Umgang seiner Tochter, die eben in den Stand der Mannbarkeit trat.

Die Wißbegierde der jugendlichen Inez war jedoch noch nicht gänzlich unthätig. Sie hatte die kriegerische Musik der Garnison nicht gehört, wie sie mit der Abendluft zerschmolz, nicht das fremdartige Banner gesehen, das über den Höhen flatterte, welche nicht weit von ihres Vaters ausgedehnten Besitzungen sich erhoben, ohne etwas von den geheimen Regungen in sich zu fühlen, welche, wie man meint, ihr Geschlecht auszeichnen. Natürliche Furchtsamkeit und jene sich zurückziehende, vielleicht eigenthümliche Gleichgültigkeit, die die Hauptquelle weiblichen Zaubers in den tropischen Provinzen Spaniens ist, hielten sie in ihren, dem Anschein nach unauflöslichen Banden, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß, hätte sich nicht ein Vorfall ereignet, worin Middleton ihrem Vater einigermaßen nützlich gewesen, so lange Zeit vorübergegangen wäre, ehe sie zusammen gekommen, daß eine andere Richtung den Wünschen eines Wesens hätte gegeben werden mögen, das gerade in einem Alter war, welches für die Macht der Jugend und Schönheit so empfänglich ist.

Die Vorsehung, – oder wenn dieses hohe Wort hier nicht passend scheinen sollte, – das Geschick hatte es anders beschlossen. Der stolze, zurückhaltende Don Augustin war viel zu aufmerksam auf die Formen jenes Ranges, worauf er sich so viel zu gut that, um die Pflichten eines Edelmannes zu vergessen. Dankbarkeit für Middletons Gefälligkeit vermochte ihn, seine Thüre den Offizieren der Garnison zu öffnen und sich auf einen vorsichtigen, aber höflichen Umgang einzulassen. Die Zurückhaltung wich allmählich der Anmuth und Aufrichtigkeit des jungen Anführers, und es dauerte nicht lange, so erfreute der wohlhabende Pflanzer sich eben so sehr als seine Tochter, wenn das wohlbekannte Zeichen am Thor den angenehmen Besuch des Befehlshabers des Postens verkündete.

Es ist unnöthig, sich über den Eindruck zu verbreiten, den Inezens Reiz auf den Soldaten machte, oder die Erzählung aufzuhalten, um eine umständliche Nachricht von dem fortschreitenden Einfluß zu geben, den ein einnehmendes Betragen, männliche Schönheit und ungetheilte Aufmerksamkeit und Geist nothwendig aus das gefühlvolle Gemüth eines romantischen, liebevollen und einsamen Mädchens von sechszehn Jahren sich verschaffen mußten.

Es ist zu unserm Zweck hinlänglich zu sagen, daß sie liebten, daß der Jüngling nicht zögerte, seine Gefühle zu erklären, daß er mit einiger Leichtigkeit sich über die Anstände des Mädchens hinaus setzte, doch mit nicht geringen Schwierigkeiten die Einwürfe des Vaters wegräumte, und daß, ehe noch die Provinz Louisiana sechs Monate im Besitz der Staaten gewesen war, der Beamte der letzteren der Verlobte der reichsten Erbin an den Küsten des Mississippi war.

Obwohl wir versucht haben, den Leser mit der Art bekannt zu machen, wie man zu solchen Ergebnissen gewöhnlich gelangt, muß man doch nicht meinen, daß Middletons Sieg über die Vorurtheile des Vaters und seiner Tochter ganz ohne Mühe erreicht ward. Die Religion war bei Beiden ein schweres und fast unüberwindliches Hinderniß. Der ergebene Jüngling unterzog sich geduldig einem furchtbaren Versuch, den Pater Ignatius machte, der abgesandt ward, um ihn zum wahren Glauben zu bekehren. Die Anstrengungen von Seiten des würdigen Priesters waren systematisch, kräftig, ausdauernd.

Ein Dutzend Mal (nämlich in den Augenblicken, wo die leichte, sylphenähnliche Gestalt der Inez wie ein Feenwesen über die Scene ihrer Unterredungen schritt) dachte der gute Pater, er stünde am Vorabend eines glorreichen Triumphs über den Unglauben; aber alle seine Hoffnungen wurden dann durch einen unvorhergesehenen Widerspruch von Seiten des Gegenstandes seiner frommen Bemühungen wieder vereitelt. So lange der Angriff auf seinen Glauben entfernt und schwach war, wich Middleton, der keine besondern Progresse in der Polemik gemacht, ihren Wirkungen mit der Geduld und Ergebung eines Märtyrers; aber sobald der gute Pater, der so große Sorge für sein künftiges Glück trug, den gewonnenen Boden zu benutzen suchte, um einige von den Spitzfindigkeiten seines eigenen Glaubens zu Hülfe zu rufen, dann war der Jüngling ein zu guter Soldat, um nicht dem heißen Angriff die Spitze zu bieten. Er kam freilich mit keinen furchtbarern Waffen auf den Kampfplatz, als mit seinem gesunden Menschenverstand und mit der geringen Kenntniß von den Gebräuchen seines Vaterlandes, in so weit sie mit denen seines Gegners in Widerspruch standen; aber mit dieser hausbackenen Rüstung verfehlte er nie, den Pater mit einer Kraft zurückzuschlagen, die der in etwas ähnlich war, womit ein nervigter Klopffechter einen geschickten Meister im Rappier empfangen und seine Paraden durch den direkten und unumstößlichen Beweis eines zerschlagenen Kopfes und zersplitterter Waffe auf Nichts zurückführen würde.

Ehe der Streit noch geendigt war, kam ein Einfall der Protestanten dem Soldaten zu Hülfe. Die rücksichtslose Freiheit Solcher von ihnen, die nur an dieses Leben dachten, und die sich gleichbleibende und gemäßigte Frömmigkeit Anderer machte, daß der ehrliche Priester voll Besorgnis um sich sah. Der Einfluß des Beispiels auf der einen Seite, und Ansteckungen eines zu freien Umgangs auf der andern, fing an, sich selbst in dem Theil seiner eigenen Heerde zu zeigen, den er für zu sehr von geistlicher Leitung umwickelt gehalten hatte, als daß er irre gehen könnte. Es war Zeit, daß er seine Gedanken von der Offensive abwandte und seine Bekenner vorbereitete, der gesetzlosen Fluth von Meinungen zu widerstehen, die die Schranken ihres Glaubens umzureißen drohten. Gleich einem weisen Feldherrn, welcher findet, daß er für seine Streitkräfte zu viel Land besetzt hält, begann er, seine Außenwerke zusammen zu ziehen; die Ueberbleibsel wurden profanen Augen verborgen; seine Anhänger wurden ermahnt, nicht von Mirakeln vor einem Haufen zu reden, der nicht allein ihr Dasein leugnete, sondern der selbst die verzweifelte Kühnheit hätte, die Beweise dafür heraus zu fordern. Die Bibel ward nochmals mit furchtbaren Drohungen aus dem siegenden Grunde verboten, weil sie mißverstanden werden könnte. Indeß ward es nöthig, Don Augustin die Wirkungen mitzutheilen, die seine Beweise und Gebete auf die ketzerische Anlage des jungen Kriegers hervorgebracht hatten. Niemand ist geneigt, seine Schwäche gerade in dem Augenblick zu gestehen, wo die Umstände die äußerste Kraftanstrengung erfordern. Durch eine Art frommen Betrugs, wofür ohne Zweifel der würdige Priester Absolution in der Reinheit seiner Beweggründe fand, erklärte er, daß, wenn keine wirkliche Veränderung mit Middletons Gemüth schon vorgegangen, doch aller Grund da sei, um zu hoffen, der eingetriebene Keil der Ueberzeugung sei bis zu seinem Haupte gedrungen, und daß folglich eine Oeffnung da sei, wodurch, wie man vernünftigerweise erwarten könne, der gesegnete Same religiöser Befruchtung seinen Weg finden werde, besonders wenn dem jungen Mann ununterbrochen vergönnt würde, des Segens der katholischen Communion sich zu erfreuen.

Jetzt ward Don Augustin selbst von der Wuth des Proselytismus ergriffen. Selbst die sanfte, liebenswürdige Inez hielt es für eine glorreiche Erfüllung ihrer Wünsche, wenn sie zum geringen Werkzeug dienen könnte, ihren Geliebten in den Schooß der wahren Kirche zurückzuführen. Die Bewerbungen Middletons wurden schnell angenommen, und während der Vater ungeduldig dem zur Vermählung bestimmten Tag entgegen sah, als wäre er das Pfand seines eigenen glücklichen Erfolgs, dachte die Tochter an ihn mit Gefühlen, worin die heiligen Erregungen ihres Glaubens sich mit den sanfteren Gefühlen ihrer Jahre und Lage mischten.

Die Sonne ging am Morgen ihres Hochzeittages so glänzend und wolkenlos auf, daß die gefühlvolle Inez ihm wie dem Bürgen ihres künftigen Glücks entgegen jauchzte. Pater Ignatius beging die kirchliche Handlung in einer kleinen Capelle, die zu Don Augustins Gut gehörte, und lange, ehe die Sonne zu sinken begonnen, drückte Middleton die erröthende, furchtsame Creole, als sein anerkanntes und unzertrennliches Weib, an den Busen.

Es hatte beiden Theilen gefallen, den Tag der Hochzeit in der Stille hinzubringen, und ihn fern von allen den geräuschvollen und gewöhnlich herzlosen Vergnügungen einer erzwungenen Festlichkeit nur den besten und feinsten Gefühlen zu weihen, Middleton kehrte durch Don Augustins Gebiet von einem Pflichtbesuch in sein Lager zurück, zur Zeit, als das Licht der Sonne mit dem Schatten des Abends zu verschmelzen begann; da traf ein Strahl von einem Kleid, das dem ähnlich war, in welchem er Inez zum Altar geführt hatte, sein Auge durch das Blätterwerk eines verlornen Gebüsches. Er näherte sich der, Stelle mit einer Zartheit, welche durch das Recht, das sie ihm vielleicht gegeben hatte, in ihren geheimen Augenblicken sich zuzudrängen, eher vermehrt als vermindert worden, aber die Töne ihrer sanften Stimme, welche Gebete hinaufsendete, in den er sich mit den theuersten aller Benennungen bezeichnet hörte, besiegten seine Anstände, und vermochten ihn, eine Stellung einzunehmen, wo er ohne Furcht vor Entdeckung lauschen konnte. Es war gewiß dem Gefühl eines Gemahls angenehm, auf diese Weise im Stande zu sein, die fleckenlose Seele seines Weibes zu durchschauen, und zu finden, daß sein Bild von ihren reinsten und heiligsten Gefühlen umgeben war. Seine Selbstachtung war zu sehr geschmeichelt, um ihn nicht zu vermögen, den eigentlichen Zweck der Bittenden zu übersehen. Während sie betete, daß sie das geringe Werkzeug werden möchte, um ihn in die Schaar der Gläubigen zurückzubringen, bat sie um Vergebung für sich selbst, wenn Anmaßung oder Gleichgültigkeit gegen den Rath der Kirche sie veranlaßt, zu hohen Werth auf ihren Einfluß zu legen, und sie in den gefährlichen Irrthum verleitet hätte, ihre eigene Seele zu gefährden, indem sie mit einem Ketzer sich vermählte. Es war so viel brünstige Frömmigkeit, gemischt mit so starkem Ausbruch natürlichen Gefühls, so viel von einem Weibe und einem Engel in ihren Gebeten, daß Middleton ihr hätte vergeben können, auch wenn sie ihn einen Heiden genannt, mit so viel Milde und Antheil bat sie für ihn.

Der junge Krieger wartete, bis seine Braut aufgestanden, und trat dann zu ihr, als sei er ganz unbekannt mit Allem, was eben vorgefallen.

»Es wird spät, meine Inez,« sagte er, »und Don Augustin könnte Euch Unaufmerksamkeit gegen Eure Gesundheit vorwerfen, daß Ihr so lange zu solcher Stunde außen seid. Was soll ich nun thun, dem all sein Ansehn übertragen ward, und doppelt seine Liebe?«

»Seid ihm gleich in jedem Stück,« antwortete sie, sah mit Thränen im Auge zu ihm auf, und sprach mit besonderer Wärme; »in jedem Stück! Ahmt meinem Vater nach, Middleton, und ich kann von Euch nicht mehr verlangen.«

»Auch nicht für mich, Inez? Ich zweifle nicht, daß ich alles sein würde, was Ihr wünschen könnt, würde ich so gut wie der würdige, verehrte Don Augustin. Aber Ihr müßt den Schwachheiten und Angewöhnungen eines Soldaten etwas nachsehen. Nun laßt uns gehen und diesen trefflichen Vater sehen?«

»Noch nicht,« sagte die Braut, und wand sich sanft aus seinem Arm, den er um ihre schlanke Gestalt geworfen, als er sie wegzog. »Ich habe noch eine Pflicht zu erfüllen, ehe ich so vorbehaltlos Euern Befehlen mich unterwerfen kann, möcht Ihr auch Soldat sein. Ich versprach der würdigen Inesella, meiner treuen Amme, ihr, die wie Ihr gehört, so lange mir Mutter gewesen ist; Middleton, ich versprach ihr einen Besuch zu dieser Stunde; es ist der letzte, wie sie meint, den sie von ihrem Kind empfangen kann, und ich werde sie nicht vergebens warten lassen. Geht Ihr dann zu Don Augustin, und in einer kleinen Stunde werde ich Euch dort treffen.«

»Erinnert Euch, nur eine Stunde!«

»Eine Stunde,« wiederholte Inez, und warf ihm einen Kuß zu; dann erröthend, als sei sie über ihre Kühnheit beschämt, schoß sie von dem Gesträuch weg, und ward für einen Augenblick nach der Hütte ihrer Amme hineilen gesehen, in welcher sie in der nächsten Minute verschwand.

Middleton kehrte langsam und gedankenvoll nach dem Hause zurück, oft seine Augen nach der Seite richtend, wo er sein Weib zum letzten Mal gesehen, als wollte er gerne ihre liebliche Gestalt in dem Dunkel des Abends auffinden, wo sie ihm noch in dem freien Raum hinzuschweben schien. Don Augustin empfing ihn mit Wärme, und vergnügte sich einige Zeit lang, sich von seinem neuen Schwiegersohne Pläne für die Zukunft vorlegen zu lassen.

Der alte spanische Zuhörer lauschte auf seine blühende, aber treue Beschreibung des Wohlstandes und Glückes jener Staaten, von denen er ein halbes Leben lang ein unwissender Nachbar gewesen war, theils mit jener Art Unglauben, womit man das anhört, was man für übertriebene Beschreibung zu parteiischer Freundschaft hält.

Auf diese Art ging die Stunde, welche sich Inez ausbedungen, viel früher vorüber, als ihr Gemahl in ihrer Abwesenheit hatte für möglich halten können. Endlich richteten sich seine Blicke auf die Uhr, und dann wurden die Minuten gezählt, wie eine nach der andern verrann, und Inez erschien noch nicht. Der Zeiger hatte schon die Hälfte eines andern Umlaufs um das Zifferblatt zurückgelegt, als Middleton aufstand und seinen Entschluß erklärte, zu gehen und sich zum Schützer der Abwesenden anzubieten. Er fand die Nacht dunkel, und den Himmel mit drohenden Dünsten bedeckt, was in jenem Clima der untrügliche Vorläufer eines Sturms war. Getrieben, eben so sehr durch den unheilvollen Anblick der Luft, als durch seine geheime Unruhe, beeilte er seine Schritte, stürzte auf Inesella’s Hütte zu. Zwanzigmal blieb er stehen, glaubte einen Strahl von Inez reizender Gestalt aufzufangen, wie sie auf ihrem Rückweg zum Herrenhaus hinschwebte, und ward eben so oft genöthigt, getäuscht seinen Weg wieder aufzunehmen. Er erreichte die Thür der Hütte, klopfte, öffnete, trat ein und stand selbst vor der bejahrten Amme, ohne auf die zu treffen, die er suchte. Sie hatte schon das Haus verlassen, war schon zu ihrem Vater zurückgekehrt. In der Meinung, er habe sie in der Dunkelheit verfehlt, ging Middleton zurück, um nochmals in seiner Erwartung sich getäuscht zu sehen. Man hatte nichts von Inez vernommen. Ohne seine Absicht irgend Jemand mitzutheilen, ging der Bräutigam mit klopfendem Herzen nach dem kleinen abgelegenen Gebüsch, wo er seine Braut jene Gebete für sein Glück und seine Bekehrung zum Himmel hatte hinaufschicken hören. Auch hier täuschte ihn seine Hoffnung, und nun gerieth er außer sich in der peinvollen Ungewißheit des Zweifels und der Vermuthung.

Mehrere Stunden lang vermochte ein geheimer Verdacht in die Beweggründe seines Weibes Middleton, in seinem Forschen mit Zartheit und Vorsicht vorzuschreiten. Aber als der Tag dämmerte, ohne sie in die Arme ihres Vaters oder Gemahls zurückzubringen, ward jeder Rückhalt bei Seite gelegt, und ihr unerklärliches Verschwinden laut bekannt gemacht. Die Nachforschungen nach der verlorenen Inez geschahen jetzt ohne Umschweife und offen, aber sie zeigten sich gleich fruchtlos.

Niemand hatte sie gesehen oder von ihr gehört, seit sie die Hütte der Amme verlassen.

Ein Tag ging nach dem andern vorüber und noch belohnte keine Nachricht das Nachforschen, das sogleich angestellt worden, bis sie endlich von den meisten ihrer Verwandten und Freunde als unwiederbringlich verloren aufgegeben ward. Eine so außerordentliche Begebenheit ward nicht so bald vergessen. Sie reizte den Erwerbgeist, gab Veranlassung zu einer Fluth von Gerüchten und zu nicht wenig Vermuthungen. Die vorherrschende Meinung unter solchen Auswanderern, die das Land überströmten, und welche bei der Menge ihrer Geschäfte noch Zeit hatten, an fremden Kummer zu denken, war der einfache und unmittelbare Schluß, daß das Verschwinden der Braut nichts mehr und nichts weniger als ein Selbstmord sei. Vater Ignatius hatte manche Zweifel und viele geheime Gewissensunruhe, aber gleich einem weisen Befehlshaber bemühte er sich, den betrübenden Vorfall zu einigem Vortheil in dem bevorstehenden Glaubenskampf zu wenden. Er richtete die Batterie anders und lispelte einigen seiner ältesten Pfarrkinder in die Ohren, er habe sich über den Zustand von Middletons Herz getäuscht, welches, wie er jetzt zu glauben genöthigt wäre, gänzlich in den Schmutz der Ketzerei versunken sei. Er fing wieder an seine Reliquien zu zeigen, und man hörte ihn selbst wieder auf den zarten und fast vergessenen Punct der neuesten Wunden anspielen. In Folge dieser Bemerkungen des ehrwürdigen Priesters, vernahm man ein Wispern unter den Gläubigen, und endlich ward es als ein Theil des Kirchenglaubens aufgenommen, Inez sei gen Himmel aufgehoben worden.

Don Augustin besaß alles Gefühl des Vaters; aber es ward durch die Laßheit der Creolen eingeschläfert. Gleich seinem geistlichen Vormund begann er zu meinen, es sei unrecht gewesen, ein so reines, junges, liebenswürdiges und vor allem so frommes Wesen den Armen eines Ketzers zu überliefern, und er glaubte gern, das Unglück, das sein Alter befallen, sei ein Strafgericht seiner Anmaßung und seines Mangels an Anhänglichkeit, an die festgesetzten Formen. Er fand freilich, als das Lispeln der Congregation zu seinen Ohren drang, für den Augenblick Trost in ihrem Glauben; aber dann war doch die Natur zu mächtig und hielt fest des alten Mannes Herz, um nicht dem rebellischen Gedanken Eingang zu verschaffen, der Eintritt seiner Tochter in das himmlische Erbe sei ein wenig zu frühzeitig.

Aber Middleton, der Liebende, der Gemahl, der Bräutigam, Middleton war fast zerschmettert von der Stärke dieses unerwarteten furchtbaren Schlags. Erzogen unter der Herrschaft des einfachen vernünftigen Glaubens, worin nichts von den Gläubigen zu verbergen gesucht wird, konnte er keine andern Besorgnisse für Inezens Schicksal hegen, als solche, wie seine Kenntniß vor den abergläubischen Begriffen in ihm erregte, die sich Inez von seiner Kirche machte. Es ist unnöthig, sich über den Schmerz auszulassen, den er empfand, oder all die verschiedenen Vermuthungen, Hoffnungen und Täuschungen aufzuzählen, die er während den ersten Wochen seines Unglücks erfahren sollte. Ein eifersüchtiger Verdacht in Inezens Beweggründe und eine geheime glimmende Hoffnung, er werde sie noch wieder finden hatten seine Untersuchungen gemäßigt, ohne jedoch zu bewirken, daß er sie ganz aufgab. Aber die Zeit fing an, ihn selbst des betrübenden Trostes zu berauben, daß er vorsätzlich, wiewohl vielleicht vorübergehend verlassen worden, und er gab allmählig der peinvolleren Ueberzeugung nach, sie sei todt, als seine Hoffnungen plötzlich von neuem und auf seltsame Weise wieder auflebten.

Der junge Befehlshaber kehrte langsam und trübselig von einer Abendparade in sein Quartier zurück, das in einiger Entfernung von dem Lager war, aber auf derselben Erhöhung stand, als seine herumstreifenden Augen auf die Gestalt eines Mannes fielen, die nach den Vorschriften des Ortes zu dieser verbotenen Stunde nicht hätte da sein sollen. Der Unbekannte trug schlechte Kleidung und seine ganze Gestalt und sein Antlitz verriethen die schmutzigste Armuth und die liederlichsten Sitten. Kummer hatte den militärischen Stolz Middletons gemildert, und als er an der niedergebeugten Gestalt des Eingedrungenen vorüber schritt, sagte er in einem Ton großer Milde, oder vielmehr Güte:

»Ihr werdet die Nacht auf der Wache zubringen, Freund, wenn Euch die Patrouille hier findet; – da ist ein Thaler, geht, sucht Euch ein besseres Nachtquartier und etwas zu essen!«

»Ich verschlinge all mein Essen, ohne zu kauen,« entgegnete der Herumstreicher mit der gemeinen Freude eines vollkommenen Taugenichts, während er begierig nach dem Silber griff. »Gebt für diesen Mexikaner zwanzig und ich will Euch ein Geheimniß verkaufen!«

»Geht, geht,« erwiederte der Andere mit etwas von seiner Soldatenstrenge, und nahm seine frühere Weise wieder an; »geht, ehe ich die Wache Euch ergreifen lasse.«

»Gut, mag sein; aber wenn ich gehe, Capitain, nehme ich mein Geheimniß mit mir, und dann mögt Ihr ein gebannter Wittwer bleiben, bis der Zapfenstreich Eures Lebens geschlagen wird.«

»Was meinst du, Bursche?« rief Middleton und wandte sich schnell nach dem Wicht, der seine morschen Knochen schon wegschleppte.

»Ich meine, ich will mir den Thaler in spanischen Branntwein umsetzen lassen und dann zurückkommen und Euch mein Geheimniß theuer genug verkaufen, um dafür ein ganzes Quart zu bekommen.«

»Wenn Ihr etwas zu sagen habt, sagt es jetzt,« fuhr Middleton fort, und unterdrückte kaum die Ungeduld, die ihn trieb, sein Inneres zu verrathen.

»Ich bin trocken und kann nie mit Anstand reden‘, wenn meine Kehle staubig ist, Capitain. Wie viel wollt Ihr geben, wenn Ihr erfahrt, was ich Euch sagen kann; laßt es etwas Hübsches sein, so etwas, wie es ein Mann dem andern anbieten kann.«

»Ich glaube, es würde bessere Rechtspflege sein, Bursche, wenn ich dem Tambour befähle, Euch einen Besuch zu machen.«

»Worauf bezieht sich Euer so gerühmtes Geheimniß?«

»Auf die Hochzeit, ein Weib oder kein Weib! Ein schönes Gesichtchen, eine reiche Braut! Sprech ich jetzt deutlich, Capitain?«

»Wenn Ihr etwas von meinem Weib wißt, sagt es nur gleich; Ihr braucht wegen Eurer Belohnung nicht zu fürchten.«

»Ei, Capitain, ich habe manchen Handel in meinem Leben gemacht; manchmal bin ich mit Geld, manchmal mit Versprechungen bezahlt worden. Das letzte nenn‘ ich faule Nahrung.«

»Sagt denn den Preis!«

»Zwanzig, – nein, verd– mich, es ist dreißig Thaler werth, ja hundert.«

»Nun, da habt Ihr Euer Geld; aber erinnert Euch, wenn Ihr mir nichts Wichtiges sagt, kann ich’s Euch leicht wieder nehmen, und Eure Freiheit noch obendrein bestrafen.«

Der Bursche untersuchte die Banknoten, die er empfangen, mit mißtrauischem Auge und steckte sie dann, wie es schien, wohl zufrieden mit ihrer Aechtheit, ein.

»Ich liebe die nördlichen Banknoten,« sagte er kalt; »sie haben, wie ich, noch die Ehre zu verlieren. Fürchtet nicht Capitain, ich bin ein ehrlicher Mann, und werde Euch kein Wort mehr und kein Wort weniger sagen, als wahr ist.«

»So fangt denn ohne Weiteres an; oder es möchte mich reuen, und ich Euch all Euren Erwerb, Silber und Noten wieder nehmen lassen.«

»Ehre, und wenn Ihr dafür sterben müßt!« entgegnete der Taugenichts, und hielt die Hand empor in erdichtetem Schrecken über so schwere Drohung. »Nun Capitain, Ihr müßt wissen, daß ehrliche Leute nicht alle von demselben Gewerb leben, einige behalten, was sie haben, andere erwerben, was sie können.«

»Ihr seid ein Dieb gewesen.«

»Ich mag nicht das Wort. Ich bin ein Menschenjäger gewesen; wisst Ihr was das heißt? Ei, es hat viele Bedeutungen. Manche meinen, die wolligen Köpfe wären unglücklich, weil sie auf heißen Plantagen unter brennender Sonne arbeiten müssen, andere Unbequemlichkeiten nicht zu gedenken. Nun, Capitain, ich bin zu meiner Zeit ein Mann gewesen, der ihnen wenigstens die Annehmlichkeit der Abwechslung verschaffen wollte, indem er ihnen den Aufenthalt veränderte. Ihr versteht mich?«

»Ihr seid, gerade heraus, ein Menschenverkäufer – –«

»Gewesen, mein guter Capitain, gewesen; aber jetzt gerade ein wenig zurückgekommen, wie ein Kaufmann, der aufhört Tabak centnerweise zu verkaufen und den Handel pfundweis fortsetzt. Ich bin auch meiner Zeit Soldat gewesen. Was man das große Geheimniß unseres Standes nennt, nun, könnt Ihr mir das sagen?«

»Weiß nicht!« sagte Middelton, der anfing, des Schelmen Späße überdrüssig zu werden; »Muth?«

»Nein, Beine, – Beine, damit zu fechten, und Beine, darauf fortzulaufen, und darin kamen, wie Ihr seht, meine beiden Berufsarten überein. Meine Beine sind gerade jetzt keine von den besten, und ohne Beine würde ein Seelenverkäufer einen unvortheilhaften Handel treiben, und es sind Leute genug da, die besser damit versehen sind, als ich.«

»Sie geraubt!« erdröhnte der von Entsetzen niedergeschmetterte Gatte.

»Auf ihrem Weg, so gewiß als Ihr hier steht.« »Schurke, welchen Grund hast du, so etwas Empörendes zu glauben?«

»Laßt die Hand weg, die Hand weg; meint Ihr, meine Zunge werde ihre Pflicht besser thun, wenn Ihr mir die Kehle ein wenig kitzeltet! Habt Geduld und Ihr sollt Alles erfahren; aber wenn Ihr mich wieder so unhonnet behandelt, dann werde ich den Beistand der Gesetzleute anrufen müssen.«

»So sprecht denn; aber wenn Ihr ein einziges Wort mehr oder weniger als die Wahrheit vorbringt, dann erwartet meine alsbaldige Rache!«

»Seid Ihr Thor genug zu glauben, daß ein Schelm wie ich, Euch etwas sagen würde, dessen Wahrscheinlichkeit ihm nicht den Rücken freihielte. Nein, das seid Ihr gewiß nicht; deßwegen will ich Euch meine Beweise und meine Meinung darlegen, und dann mögt Ihr daran kauen, während ich gehe und von Eurem Edelmuth trinke. Ich kenne einen gewissen Abiram White. Ich glaube, der Schurke nahm den Namen an, um dadurch seine Feindschaft gegen die Race der Schwarzen anzudeuten.

Aber dieser Herr ist jetzt und war’s seit Jahren, wie ich gewiß weiß, ein förmlicher Uebersetzer der Menschheit von einem Staat in den andern. Ich hab‘ zu meiner Zeit mit ihm zu thun gehabt, und ein betrügerischer Hund ist es! Er hat nicht mehr Ehre im Leibe, als ich Speise darin. – Ich sah ihn hier, in dieser Stadt hier, am Tag Eurer Hochzeit. Er war in Gesellschaft seines Weibes Bruders, und er gab vor, er sei ein Colonist auf der Jagd nach neuem Land. Es war eine volle Partie, um Geschäfte darin zu machen: sieben Söhne, jeder so groß wie Euer Sergeant mit sammt seiner Mütze. Nun, sobald ich hörte, Euer Weib sei fort, sah ich sogleich, Abiram müsse Hand an sie gelegt haben.«

»Wisst Ihr das, – kann es sein? Welchen Grund habt Ihr zu so schrecklichen Gedanken?«

»Grund genug; ich kenne Abiram White. Nun, wollt Ihr noch eine Kleinigkeit hinzufügen, gerade genug, um meine Kehle vor dem Vertrockenen zu sichern?«

»Geht, geht, Ihr seid schon vom Trunke um den Verstand gebracht, Unglücklicher, und wißt nicht, was Ihr sagt. Geht und nehmt Euch vor dem Tambour in Acht!«

»Erfahrung ist ein guter Führer!« rief der Bursche dem weggehenden Middleton nach, dann wandte er sich mit einem verschluckten Lachen, das zeigte, wie zufrieden er mit sich sei, um, und schleppte sich, so gut es gehen wollte, nach der Kneipe des Branntweinschenks.

Hundertmal dachte Middleton im Verlauf jener Nacht, die Mittheilung des Wichts verdiene Aufmerksamkeit, und eben so oft verwarf er den Gedanken als zu wild und schwärmerisch und nahm einen andern vor. Früh am folgenden Morgen nach einer unruhigen und fast schlaflosen Nacht ward er von seiner Ordonnanz aufgeweckt, die ihm rapportirte, ein Mann sei auf der Parade todt gefunden worden, nicht weit von seinem Quartier. Er warf seine Kleider an, eilte nach der Stelle und sah den Menschen, mit dem er die obige Unterhaltung gehabt, ganz in der Lage, worin er ihn zuerst gefunden. Der unglückliche Schelm war seiner Unmäßigkeit zum Opfer geworden. Diese niederbeugende Thatsache ward hinlänglich bewiesen, durch seine vorgedrungenen Augäpfel, sein aufgedunsenes Gesicht und die fast unerträglichen Gerüche, die selbst dann noch sein Leichnam aushauchte. Voll Ekel über den häßlichen Anblick wollte sich der junge Krieger wegwenden, nachdem er befohlen hatte, die Leiche wegzuschaffen, als die Haltung einer Hand des Todten ihm auffiel. Bei näherer Untersuchung fand er den Vorderfinger ausgereckt, als wolle er in den Sand schreiben, und folgende unvollendete fast unleserliche, aber doch zu entziffernde Worte: »Capitain, es ist wahr, so gewiß ich ein ehrl –«

Er war entweder gestorben, oder in Schlaf gefallen, der der Vorläufer seines Todes war, ehe er endigen konnte.

Dies vor den Andern verbergend, wiederholte Middleton seine Befehle und ging weg. Die hartnäckige Betheurung des Verstorbenen und all diese Umstände zusammen, vermochten ihn, einige geheime Nachforschungen zu machen. Er fand, daß eine Familie, die der ihm gegebenen Beschreibung entsprach, in der That gerade an dem Tag seiner Hochzeit durchgekommen war. Man verfolgte ihren Weg auf einige Strecke dem Rand des Mississippi hinab, bis sie ein Boot nahmen, und dem Flusse hinauf stiegen, bis zu seinem Zusammenfluß mit dem Missouri. Hier waren sie wie hundert Andere verschwunden, den verborgenen Reichthum des Innern erforschend.

Mit diesen Thatsachen ausgerüstet, wählte sich Middleton eine kleine Wache von seinen zuverlässigsten Leuten aus, nahm von Don Augustin Abschied, ohne ihm seine Hoffnung oder Furcht zu entdecken, erreichte die angedeutete Stelle und drang vorwärts forschend in die Wildniß. Es war nicht schwer, einen Haufen wie der Ismael’s zu verfolgen, bis er sich überzeugte, sein Ziel liege weit über den gewöhnlichen Grenzen der Colonieen hinaus. Dieser Umstand an sich schärfte seinen Verdacht und gab seinen Hoffnungen auf endlichen Erfolg neue Stärke.

Als er über den Bereich mündlicher Zurechtweisung hinaus war, nahm der angstvolle Gatte seine Zuflucht zu den gewöhnlichen Fährtezeichen, um die Flüchtlinge zu verfolgen. Auch dies fand er keine schwere Aufgabe, bis er den harten, widerstrebenden Boden der höckerichten Steppen erreichte. Hier wirklich war er gänzlich im Dunkel. Er sah sich endlich genöthigt, sein Gefolge zu vertheilen, bestimmte jedoch auf einen entfernten Tag einen Versammlungs-Ort, und bemühte sich so, die verlorene Spur aufzufinden, indem er soviel wie möglich die Zahl der Augen vervielfältigte. Er war eine Woche allein gewesen, als der Zufall ihn mit dem Streifschützen und Bienenjager zusammenbrachte. Ein Theil ihrer Unterredung ist schon erzählt worden, und der Leser kann sich leicht die Aufschlüsse denken, die auf die von ihm erzählte Geschichte folgten, und, wie wir schon gesehen haben, zur Entdeckung seiner Braut führten.

Siebenzehntes Kapitel.

Siebenzehntes Kapitel.

»Tret‘ in’s Gemach, zerstör‘ die Augen dir
Vor einer neuen Gorgo; – frag‘ mich nicht,
Sieh‘, und dann, sprich, du selbst!«

Shakespeare.

 

Der kleine Quell, welcher des Wanderers Familie mit Wasser versah, und die Bäume und Büsche sich aufgezogen hatte, die nahe am Fuß der felsigen Anhöhe wuchsen, hatte seinen Ursprung, nicht weit vom letztern entfernt, in einem geringen Dickicht von Baumwollensträuchen und wilden Reben. Dorthin nun führte der Streifschütz die Fliehenden, als zu einem Ort, der allein in so drängenden Umständen den nöthigen Schutz gewährte. Man wird sich erinnern, daß der Scharfblick des Alten, der durch lange Uebung in ähnlichen Auftritten fast zum Instinct in allen Fällen plötzlicher Gefahr geworden, ihn zuerst veranlaßt hatte, diese Richtung zu nehmen, da sie zwischen ihn und die nahenden Feinde den Hügel setzte. Durch diesen Umstand begünstigt, gelang es ihm, das Gebüsch noch zu rechter Zeit zu erreichen, und Paul Hover hatte eben die athemlose Ellen in das verwachsene Dickicht gebracht, als Ismael auf die schon beschriebene Weise den Gipfel des Felsen erreichte, wo er für einen Augenblick gleichsam seiner Sinne beraubt dastand und auf die Verwirrung blickte, welche unter seinen Habseligkeiten hervorgebracht worden, auf seine eingesperrten, gebundenen Kinder, die die Vorsicht des Bienenjägers unter ein Rindendach, eine Art unregelmäßiger Halle, sicher eingesperrt hatte. Eine weittreibende Büchse würde von der Höhe, auf welcher der Auswanderer jetzt stand, eine Kugel mitten in das Dickicht haben schicken können, wo die Flüchtlinge, die all dies Unheil angerichtet, sich zusammenkauerten.

Der Streifschütz nahm zuerst das Wort, als der Mann, bei dessen Einsicht und Erfahrung sie sich alle Raths erholen mußten; doch erst, nachdem er sein Auge über die Einzelnen sich hatte ergehen lassen, die um ihn standen, sich zu versichern, daß keiner fehle!

»Ah, Natur ist Natur und hat gewirkt!« sagte er, und nickte dem erfreuten Paul mit einem billigenden Lächeln zu. »Ich dachte mir’s, es würde denen schwer werden, die sich so oft begegnet sind im Glück und Unglück, bei Sternenlicht und unter umwölktem Mond, sich für immer zuletzt noch im Unwillen zu trennen. Jetzt ist nicht viel Zeit mit Reden zu verlieren und alles durch Eifer zu gewinnen! Es kann nicht lange dauern und einige von jener Brut werden auf der Erde nach unserer Spur schnüffeln, und sollten sie uns finden, wie dies sicher geschehen wird, und uns treiben, uns auf unsern Muth zu verlassen, so muß der Streit mit der Büchse ausgemacht werden, was der Himmel verhüten möge! Capitain, könnt Ihr uns nach dem Ort führen, wo einige von Euren Soldaten sich befinden? – Die stattlichen Söhne des Wanderers werden einen männlichen Angriff machen, oder ich müßte mich schlecht auf den Krieg verstehen!«

»Der Ort des Zusammentreffens ist viele Meilen von hier an den Ufern des la Plata.«

»Das ist schlimm, sehr schlimm. Müssen wir fechten, so ist’s immer besser unter gleichen Verhältnissen. Aber wie kommt ein Mann, der seinem Ende so nahe ist, zu so bösem, heißem Blut! Hört was ein graues Haupt und einige Erfahrung euch vorzuschlagen hat, und dann, wenn einer unter euch eine klügere Art des Rückzugs andeuten kann, wollen wir seinem Rath folgen und vergessen, daß ich gesprochen. Dieses Dickicht erstreckt sich fast eine Meile weit, gerade in entgegengesetzter Richtung vom Felsen und führt nach Sonnenuntergang, nicht nach den Ansiedelungen.«

»Genug, genug,« rief Middleton, zu ungeduldig, um zu warten, bis der umsichtige und vielleicht geschwätzige Alte seine in’s Einzelne gehende Erklärung geendigt hatte. »Die Zeit ist zu kostbar, laßt uns fliehen!«

Der Steifschütz gab durch eine Geberde seine Einwilligung, wandte sich zurück, führte Asinus über die nachgebende Erde des Gebüsches und kam bald auf festen Boden auf der der Lagerung des Auswanderers entgegengesetzten Seite.

»Wenn der alte Ismael das geringste von diesem verstohlenen Weg durch das Gebüsch bemerkt,« rief Paul und warf, als er die Stelle verließ, einen leichten Blick auf die breiten Fußtapfen, die der Haufen im Dickicht zurückließ, »so braucht er keinen Wegweiser, der ihm sagt, wohin er sich wenden muß. Aber laßt ihn kommen, ich weiß, der Herumstreicher würde gern seine Brut mit etwas ehrlichem Blut versetzen, aber wenn je einer seiner Söhne der Gemahl von – –«

»Hsch, Paul, hsch,« sagte das erröthende und erschreckte Mädchen, das sich auf seinen Arm stützte. »Deine Stimme könnte man hören.«

Der Bienenjäger schwieg, obwohl er nicht aufhörte, gewisse vielbedeutende Blicke hinter sich zu werfen, als sie längs am Rande des Quells hinflohen, die hinlänglich die kriegerische Stimmung seines Gemüths verriethen. Da jeder sich beeilte, brauchte es nur einige Minuten und der Haufen kam an einer Erhöhung der Steppe hervor, stieg, ohne einen Augenblick zu zögern, auf der entgegengesetzten Seite hinab, und war nun mit einem Mal außer aller Gefahr, von Ismael’s Söhnen gesehen zu werden, wenn nur ihre Verfolger nicht zufällig auf ihre Spur kamen. Der Alte machte sich jetzt die Beschaffenheit des Landes zu Nutz, um eine andere Richtung einzuschlagen, in der Absicht, die Verfolgung zu vermeiden, so wie ein Schiff im Nebel und Dunkel seinen Lauf ändert, der Wachsamkeit der Feinde zu entgehen.

Zwei Stunden der größten Eile hatten sie in den Stand gesetzt, die Hälfte des Kreises um den Felsen zurückzulegen, und einen Punct zu erreichen, der gerade der ersten Richtung ihrer Flucht entgegengesetzt war. Den Meisten der Flüchtlinge blieb ihr Weg ganz unbekannt, so wie es auf einem Schiff mitten im Weltmeer bei dem unbelehrten Reisenden der Fall ist; aber der Alte schritt bei jeder Biegung, durch jeden Boden mit einer Bestimmtheit hin, die seinem Gefolge Vertrauen einflößte, da sie zum Vortheil seiner Kenntniß der Oertlichkeiten sprach. Sein Hund stand zu Zeiten, um in seinen Augen zu lesen und ging vor ihm her die ganze Zeit über mit einer Sicherheit, als hätten sie im Voraus und verständlich sich mit einander besprochen, und den Weg festgesetzt, den sie einschlagen wollten. Aber gegen Ende des genannten Zeitraums hielt der Hund wieder plötzlich ein, setzte sich in die Steppe nieder, schnüffelte einen Augenblick und begann ein dumpfes, trauriges Geheul.

»Ja, Bursche, ja, ich kenn‘ den Ort, kenn‘ ihn, und es ist recht, sich wohl an ihn zu erinnern!« sagte der Alte, blieb neben seinem unruhigen Gefährten stehen, bis die, welche folgten, herangekommen waren. »Nun dort ist ein Gehölz vor uns,« fuhr er fort und deutete vorwärts, »wo wir liegen bleiben können, bis schlanke Bäume auf diesen nackten Feldern wachsen, und keiner von des Auswanderers Geschlecht wird es wagen, uns zu belästigen.«

»Die Stelle dort, wo der Todte liegt?« rief Middleton und untersuchte den Ort mit einem Auge, das sich bei der Rückerinnerung empörte.

»Gerade die! Aber ob seine Freunde ihn in den Schooß der Erde gesenkt oder nicht, bleibt noch zu untersuchen. Der Hund kennt den Geruch, aber scheint auch noch ein wenig zweifelhaft. Es ist daher nöthig, daß Ihr hingeht, Freund Bienenjäger, um zu untersuchen, während ich die Hunde halte, daß sie nicht zu laut klagen.«

»Ich!« rief Paul und wickelte seine Hände in seine krausen Locken, wie, wenn man es für räthlich hält zu zögern, ehe man ein gefährliches Abenteuer besteht. »Ei, hört, alter Streifschütz: ich hab‘ in meinem dünnsten Rock mitten unter einem Bienenschwarm gestanden, der seine Königin verloren, ohne zu wanken, und laßt Euch sagen, wer das thun kann, fürchtet sich nicht leicht vor einem lebenden Sohn Ismael’s; aber sich mit Todtenbeinen zu befassen, ei, das ist weder mein Beruf noch meine Neigung; – so, nachdem ich Euch für Eure gütige Wahl gedankt, lehne ich, wie sie sagen, wenn sie einen zum Korporal in der Kentucky-Miliz machen, den Dienst ab.«

Der Alte wandte sich, in seiner Erwartung getäuscht, gegen Middleton, der zu sehr damit beschäftigt war, Inez zu trösten, als daß er seine Verlegenheit hätte bemerken können, aus der dieser jedoch plötzlich von einer Seite her errettet wurde, von der, nach früheren Zeichen, man wenig Grund hatte, eine solche Kraftäußerung zu erwarten.

Doctor Battius hatte sich während des ganzen Rückzugs etwas durch den außerordentlichen Eifer bemerkbar gemacht, mit dem er den gewünschten Erfolg zu erstreben sich bemühte. So ungemein umsichtig war in der That eine Anstrengung, daß sie gänzlich all seine frühern Neigungen sich unterworfen. Der würdige Naturforscher gehörte zu jener Art von Entdeckern, die die schlimmsten Reisegefährten für Jemand sind, der Eile hat. Keinen Stein, keinen Busch, keine Pflanze lassen sie je der Untersuchung ihres wachsamen Auges entgehen, und der Donner mag rollen, Regen niederströmen, er stört nicht die reizende Selbstvergessenheit ihrer Träumereien. Doch das war nicht der Fall mit Linné’s Schüler während des wichtigen Zeitraums, wo der interessante Punct vor dem Tribunal seines Verstandes verhandelt ward, ob des Auswanderers kühne Söhne ihm nicht vielleicht das Recht streitig machen würden, frei die Steppe zu durchziehen. Ein Hund von der beste Race und Zuckt hätte, sein Wild im Auge, nicht eifriger ihm nacheilen können, als der Doctor seine Curvenlinie durchlief. Es war vielleicht ein Glück für seine Tapferkeit, daß die List des Streifschützen ihm unbekannt blieb, der sie um Ismael’s Citadelle herumführte, und daß er in der beruhigenden Meinung lebte, jeder Zoll der Steppe, den er durchlaufe, werde zu der Entfernung zwischen ihm und dem verabscheuten Felsen hinzugefügt. Trotz des augenblicklichen Erstaunens, das er sicher fühlte, als er seinen Irrthum entdeckt, war er doch der Mann, der so kühn sich freiwillig stellte, um das Dickicht zu erforschen, worin er zu glauben Ursache hatte, er werde noch Asa’s Leichnam finden. Vielleicht ward der Naturforscher angetrieben, seinen Muth bei dieser Gelegenheit zu zeigen, weil er sich innerlich bewußt war. daß sein außerordentlicher Eifer auf dem Rückzug der Mißdeutung unterworfen sei, und es ist gewiß, daß, welches auch immer seine besondern Begriffe von der Gefahr vor den Lebenden gewesen sein mögen, seine Sitten und Kenntnisse ihn doch weit über die Furcht, durch Umgang mit Todten in Noth zu kommen, hinausgesetzt hatten.

»Wenn etwas zu thun ist, was vollkommene Beherrschung des Nervensystems verlangt,« sagte der Mann der Wissenschaft, mit einem Blick, der etwas Stolzes hatte, »braucht Ihr nur seinem intellektuellen Vermögen eine Richtung zu geben, und hier steht ein Mann, auf dessen physische Kräfte Ihr Euch verlassen könnt,«

»Der Mann spricht gern in Parabeln,« murmelte der sonderbare Streifschütz, »aber ich vermuthe, es liegt immer ein verborgener Sinn in seinen Worten, obgleich es eben so schwer ist, in seinen Reden Sinn zu finden, als drei Adler auf demselben Baum zu entdecken. Es wird gut sein, Freund, sich versteckt zu halten, die Söhne des Auswanderers möchten uns aus der Spur sein, und wir haben Ursache, wie Ihr wohl wißt, zu fürchten, jenes Gehölz berge einen Anblick, der ein Weib erschrecken könnte. Seid Ihr Mann genug, dem Tod in’s Gesicht zu sehen, oder soll ich uns der Gefahr aussetzen, daß die Hunde ein Bellen erregen, und selbst hineingehen? Ihr seht, der Kleine will schon mit offenem Maule hinrennen.«

»Ob ich Mann genug! Verehrungswürdiger Streifschütz, unsere Bekanntschaft ist neuen Ursprungs oder Eure Frage müßte bezwecken wollen, uns in einen wilden Streit zu bringen. Ich Mann genug! Ich behaupte, von der Klasse mammaIia, der Ordnung primates, dem Genus homo zu sein. Das sind meine physischen Attribute, von meinen moralischen laßt die Nachwelt reden; mir kommt’s zu, stumm zu sein.«

»Der Physikus mag gut sein, für die, welche ihn lieben; nach meinem Geschmack und Urtheil ist sein Erscheinen weder angenehm, noch von Gesundheit zeugend; aber Moral that nie einer lebenden Seele etwas zu Leid, mochte der Mensch sich im Wald aufhalten oder von kristallenen Fenstern und wärmenden Caminen umgeben sein. Nur einige schwere Worte trennen uns, Freund, denn ich bin der Meinung, daß bei Umgang und Freimüthigkeit wir bald einander verstehen sollten, und in der Hauptsache in unserm Urtheil über die Menschen und den Lauf der Welt übereinkommen würden. Still, Hektor, still, was bringt dich auf, Kleiner, bist du nicht an Menschenblut gewöhnt?«

Der Doctor warf einen gnädigen, aber bedauernden Blick auf den Philosoph der Natur und trat einen oder zwei Schritte von der Stelle zurück, wohin ihn sein gereizter Muth getrieben hatte, um mit weniger Athemaufwand und größerer Freiheit in Action und Stellung ihm zu erwiedern.

»Ein homo ist freilich ein homo,« sagte er, und streckte seinen Arm auf eine imponirende und beweisende Art aus; »so weit die animalischen Functionen gehen, find die vereinigenden Ringe der Harmonie, Ordnung, Gleichförmigkeit, Absicht dem ganzen Genus gemein, aber hier hört auch die Aehnlichkeit auf. Der Mensch kann bis zu der Linie, die ihn von dem Thier trennt, durch Unwissenheit herabgewürdigt werden, aber auch erhoben werden zu einer Gemeinschaft mit dem großen Weltgeist durch Wissenschaft; ja, ich weiß nicht, ob er nicht, wären ihm Zeit und Gelegenheit verliehen, Herr alles Wissens und folglich gleich werden könnte dem großen belebenden Princip.«

Der Alte, der sich gedankenvoll auf seine Büchse lehnte, schüttelte den Kopf, als er mit angeborner Festigkeit antwortete, die gänzlich das imponirende Wesen, das sein Gegner hatte annehmen wollen, verdunkelte.

»Das ist nichts mehr und nichts weniger als große Verkehrheit! Jetzt hab‘ ich achtzig und sechsmal die Jahreszeiten sich folgen gesehen, und all diese Zeit die wachsenden oder sterbenden Bäume betrachtet, und doch weiß ich die Ursache nicht, warum die Knospe aufbricht im Sonnenschein, warum das Blatt fällt, wenn der Frost es durchdringt. Eure Gelehrsamkeit, rühmt sich auch ihrer der Mensch, ist Thorheit in dessen Augen, der in den Wolken thront und mit Betrübniß herabblickt auf den Stolz, die Eitelkeit seiner Geschöpfe. Viel sind der Stunden, die ich zugebracht, im Schatten der Wälder liegend, oder hingestreckt auf die Hügel jener offenen Felder, wo ich aufsah in die blauen Lüfte, hin, wo ich mir denken konnte, der große Geist habe seinen Stand genommen, und schaue auf die Verkehrtheit des Wegs der Menschen und Thiere unter ihm, wie ich selbst oft hingeblickt auf die Mücken, die sich überflogen in ihrem Eifer, – doch Er auf eine Weise angemessener seiner Kraft und Herrlichkeit! Wissenschaft! Er spielt damit. Sagt mir, Ihr haltet’s ja für so leicht, hinaufzuklimmen auf den Richtersitz oben, könnt Ihr mir erzählen vom Anfang und Ende? Ja, auch Ihr habt Wissenschaft von der Krankheit und der Heilung, was ist Leben und was ist Tod? Warum lebt der Adler lange Jahre, warum ist des Schmetterlings Zeit so kurz? Beantwortet mir noch eine leichtere Frage: warum ist dieser Hund so unruhig, während Ihr, die Ihr unter Büchern Euer Leben verbracht, keine Ursachen sehen könnt, Euch zu fürchten?«

Der Doctor, den die Würde und Kraft des Alten etwas erstaunt hatte, athmete tief, wie ein bedrängter Kämpfer, der sich eben von dem würgenden Griff seines Feindes losgemacht, und ergriff die Unterbrechung, als günstige Gelegenheit, etwas zu erwiedern:

»Es ist sein Instinkt.«

»Und was ist das?«

»Ein niederer Grad von Vernunft. Eine Art geheimer Verbindung von Gedanke und Materie.« »Und was nennt Ihr Gedanke?«

»Ehrwürdiger Jäger, das ist eine Methode, zu untersuchen, welche allen Nutzen der Definition zu nichte macht, und die auch, ich versichere Euch, ganz und gar in den Schulen nicht geduldet wird.«

»Dann ist noch mehr List in euren Schulen, als ich gedacht hatte, denn gerade das ist die sicherste Methode, ihnen die Eitelkeit zu zeigen,« entgegnete der Streifschütz, und ließ plötzlich eine Unterhaltung fallen, an der der Naturforscher eben so große Freude zu finden begann. Jener wandte sich zum Hund und suchte ihn durch’s Spielen mit seinen Ohren zu beruhigen. »Es ist thöricht, Hektor, und schickt sich besser für einen jungen ohne Zucht, als für einen verständigen Hund, der seine Erziehung durch harte Erfahrung gemacht hat, und nicht, indem er die Spur anderer Hunde nachschnüffelte, wie ein Junge in den Colonieen den Fußstapfen seiner Lehrer folgt, mögen sie nun Recht haben oder nicht. – Nun, Freund, Ihr vermögt so viel, könnt Ihr in’s Dickicht schauen, oder muß ich selbst gehen?«

Der Doctor nahm seine entschlossene Miene wieder an und machte sich fertig, ohne weiteres Reden zu thun, was der Andere verlangte. Die Hunde wurden in so weit durch die Vorstellungen des Alten zurückgehalten, daß sie ihre Klagen auf dumpfes, aber oft wiederholtes Seufzen beschränkten. Als sie aber den Naturforscher vorschreiten sahen, brach der alte Hund durch alle Schranken, und lief um ihn in schnellen Kreisen herum, die Erde beriechend, als er weiter ging, kehrte dann zu seinem Gefährten zurück und heulte laut.

»Der Wanderer und seine Söhne müssen starke Spuren auf dem Boden zurückgelassen haben,« sagte der Alte, und wartete, während er sprach, auf ein Zeichen von seinem gelehrten Gefährten, um ihm zu folgen; »ich hoffe, jener Schulgelehrte versteht genug, um sich des Auftrags zu erinnern, den ich ihm gab.«

Doctor Battius war schon im Gebüsch verschwunden, und der Streifschütz verrieth immer mehr Zeichen von Ungeduld, als die Gestalt des erstem aus dem Dickicht rücklings sich zurückzog, die Augen immer auf die Stelle gerichtet, die er eben verlassen, als sei sein Blick durch die Kraft eines Zaubers hingebannt.

»Nach seinem wilden Blick zu urtheilen, muß es etwas Furchtbares sein,« rief der Alte, ließ Hektor los, und schritt muthig auf den gänzlich sich unbewußten Naturforscher zu. »Was gibt’s, Freund, habt Ihr ein neues Blatt in Eurem Buch der Weisheit gefunden?«

»Es ist ein Basilisk!« murmelte der Doctor, dessen veränderte Gesichtszüge die gänzliche Verwirrung verriethen, die seinen Geist befallen. »Ein Thier von der Ordnung: Schlangen. Ich hatte gemeint, seine Charaktere wären fabelhaft, aber die mächtige Natur kann Alles hervorbringen, was man sich denken kann.«

»Was ist es, was ist’s? Die Schlangen der Steppe sind unschädlich, es müßte denn manchmal eine erboste Klapperschlange sein, und diese benachrichtigt Euch immer mit ihrem Schwanz, ehe sie mit ihren Fängen an’s Werk geht. Himmel, welch erniedrigendes Ding ist die Furcht! Da ist einer, der gewöhnlich zu hohe Worte vorbringt, als sich für einen demüthigen Mund schicken, jetzt so ganz außer sich, daß seine Stimme so sein ist, wie das Zwitschern des Whippoorwill. Muth, Mann, was gibt’s?«

»Ein Wunder, ein lusus naturae (Naturspiel), ein Ungeheuer, das die Natur hat bilden wollen, um ihre Macht zu zeigen. Nie hab‘ ich solch eine Verwirrung in allen ihren Gesetzen gesehn oder ein Exemplar getroffen, das so gänzlich der Unterscheidung in Klassen und Genera Hohn spricht. Laß mich sein Aeußeres aufschreiben,« (er suchte nach seiner Brieftasche, doch zitterten die Hände zu sehr, um ihm den Dienst zu leisten), »so lange es Zeit und Gelegenheit noch erlaubt; Augen, bezaubernd, Farbe, bunt, complex – –«.

»Man sollte denken, der Bursche wär‘ verrückt mit seinen bezaubernden Blicken und seinen Farben!« fiel der unwillige Streifschütz ein, der etwas unruhig zu werden anfing, daß seine Begleiter immer noch nicht sich an einen verdeckten Ort begeben; »wenn ein Reptil im Gebüsch ist, zeigt mir das Ding, und sollte es nicht gutwillig weggehn, nun so müssen wir um den Besitz der Stelle kämpfen.«

»Dort!« sagte der Doctor, und deutete im Gebüsch nach einer Stelle, die etwa fünfzig Fuß von ihnen entfernt war. Der Streifschütz sah hin mit vollkommner Ruhe, aber sobald sein scharfer, geübter Blick auf den Gegenstand traf, der so sehr die Philosophie des Naturforschers verwirrt hatte, prallte er selbst zurück, nahm schnell seine Büchse vor, und wendete sie aber eben so plötzlich wieder weg, als wenn ein anderer Gedanke ihn überzeugt hatte, daß es Unrecht sei. Weder jene Instinctmäßige Bewegung noch das plötzliche Besinnen war ohne Grund. An dem Rande des Dickichts, in enger Berührung mit der Erde, lag eine belebte Kugel, die leicht wegen ihrer Seltsamkeit und Wildheit ihres Anblicks den wirren Zustand in des Naturforschers Geist rechtfertigen konnte. Es war schwer, die Gestalt und Farben dieses ungewöhnlichen Wesens zu beschreiben, man konnte nur im Allgemeinen sagen, daß es fast sphärisch war, und alle Farben des Regenbogens ohne Rücksicht auf Harmonie und ohne bemerkbaren Plan zusammengemischt darlegte. Die vorherrschenden Farben waren ein Schwarz und ein glänzendes Roth. In diese jedoch verschmolzen seltsam und wild die verschiedenen Tinten von weiß, gelb und karmoisin. Wäre dies alles gewesen, würde man kaum haben sagen können, daß das Wesen Leben besäße, denn es lag regungslos da wie ein Stein; aber ein Paar schwarzer, glänzender, bewegter Augäpfel, welche die geringsten Schritte des Streifschützen und seines Gefährten bewachten, bewiesen hinlänglich den wichtigen Punct seines Belebtseins.

»Euer Reptil ist ein Auskundschafter, oder ich verstehe mich nicht auf indianische Färbung und Teufelei,« murmelte der Alte, stieß den Kolben seines Gewehrs auf den Boden und sah mit festem Auge auf den furchtbaren Gegenstand, während er sich kaltblütig auf den Flintenlauf stützte. »Er will uns unser Gesicht und unsere Vernunft aussehen und uns glauben machen, der Kopf einer Rothhaut sei ein mit Herbstblättern bedeckter Stein, oder er hat sonst eine andere teuflische List im Sinn.«

»Das Thier wäre ein Mensch?« fragte der Doctor; »von dem Genus homo! Ich hätte es für ein noch nicht beschriebenes gehalten.«

»Es ist ein menschliches und auch so sterblich, wie je ein Krieger dieser Steppen gewesen ist. Ich hab‘ die Zeit gesehen, wo eine Rothhaut sich tollkühn gezeigt haben würde, wenn sie aus ihrem Versteck in einem solchen Habit einen Jäger angesehen, den ich nennen könnte, der aber jetzt zu alt und seiner Zeit zu nah‘ ist, als etwas besseres zu sein, wie ein elender Streifschütz. Er wird gut sein, zu dem Ungeziefer zu reden, und es wissen zu lassen, daß es mit Leuten zu thun hat, deren Bärte gewachsen sind. Kommt hervor aus Euerm Versteck, Freund,« fuhr er in der Sprache der ausgedehnten Stämme der Dahcotah fort; »es ist auf der Steppe noch Raum für einen Krieger.«

Die Augen schienen noch stolzer zu glühen als vorher, aber die Masse, welche nach des Streifschützen Meinung nichts mehr und nichts weniger als ein Menschenkopf war, den man, wie unter den Kriegern des Westen gewöhnlich, geschoren hatte, blieb noch ohne Regung und ohne jedes andere Zeichen von Leben.

»Es ist ein Irrthum!« rief der Doctor. »Das Thier ist selbst nicht aus der Classe mammalia, viel weniger ein Mensch.«

»Ja, so viel Ihr versteht!« entgegnete der Streifschütz, und lachte mit vieler Selbstzufriedenheit. »Nach der erlernten Weisheit eines Mannes, der in so viele Bücher gesehen, daß seine Augen kein Moschusthier von einer wilden Katze unterscheiden können. Nun, mein Hektor, hier ist ein Hund von Erziehung nach seiner Art, und obgleich der kleinste Bursche in den Colonieen sein Wissen zu Schande zu machen sich getraute, könntet Ihr doch den Hund in einem solchen Fall nicht täuschen. Da Ihr meint, der Gegenstand sei kein Mensch, so sollt Ihr seine ganze Bildung sehen, und dann laßt einen unwissenden alten Streifschützen, der nie einen Tag in seinem Leben im Bereich eines Buchstabirbuchs zubrachte, wissen, wie das Ding zu nennen ist. Bedenkt, ich will ihm nichts Leids zufügen, sondern nur dem Teufel seine Hülle abstreifen.«

Der Streifschütz untersuchte jetzt sehr genau den Hahn seiner Flinte, trug Sorge, so viel möglich, seine feindlichen Absichten recht bemerkbar zu machen, indem er mit der Waffe alle nöthigen Evolutionen vornahm. Als er glaubte, der Unbekannte fange wirklich an, Gefahr zu fürchten, schlug er sehr behutsam die Büchse an und rief laut:

»Nun, Freund, Friede oder Krieg, wie Ihr wollt. – Nein, es ist kein Mensch, wie der gelehrte Mann hier sagt, und es kann nichts schaden, wenn ich so gerade in den Blätterhaufen hineinschieße.«

Die Mündung der Flinte richtete sich dahin, als er schloß, und die Waffe nahm nach und nach eine feste, und, was sich leicht hätte zeigen können, eine gefährliche Haltung an, als ein schlanker Indianer unter seinem Blätter- und Reiserbett hervorsprang, das er wahrscheinlich bei Annäherung des Haufens über sich geworfen, und aufrecht dastand, und den inhaltreichen Ausruf: »Wagh« hervorstieß.

Achtzehntes Kapitel.

Achtzehntes Kapitel.

Die Maske ist Philemons Dach,
Im Haus ist Jupiter’s.

Shakespeare.

 

Der Streifschütz, der keine Gewaltthätigkeit im Sinne hatte, senkte seine Büchse wieder und über den Erfolg seines Experiments lachend, denn groß schien seine Selbstzufriedenheit, zog er den erstaunten Blick des Naturforschers von dem Wilden auf sich selbst, indem er sagte:

»Die Wichte liegen Euch Stunden lang, wie schlafende Krokodille, und brüten über ihren Teufeleien und andern Ränken, bis wirkliche Gefahr droht, und dann sorgen sie für sich, wie andere Leute. Das ist ein Spion in seinem Kriegsfirniß! Es werden noch mehr von seinem Stamm in nicht großer Entfernung sein. Laßt uns aus ihm die Wahrheit herauspressen, denn ein unglücklicher Streit könnte uns gefährlicher werden, als ein Besuch von der ganzen Familie des Wanderers.«

»Es ist in der That eine verzweifelte, gefährliche Species!« sagte der Doctor und erholte sich von seinem Erstaunen durch ein Aufathmen, das alle Luft aus seinen Lungen zu ziehen schien; »eine gewaltthätige Race, eine, die schwer zu bestimmen oder in die gewöhnlichen Schranken der Definitionen einzuclassen ist. Sprecht also mit ihm, aber laßt Eure Worte bei aller Freundschaft streng sein.«

Der Alte warf einen scharfen Blick um sich, als wolle er sich des wichtigen Umstands vergewissern, ob der Unbekannte von Gefährten unterstützt werde, machte dann die gewöhnlichen Friedenszeichen, indem er seine flache, nackte Hand hinhielt, und schritt kühn vor. Indeß zeigte der Indianer nicht die geringste Unruhe. Er ließ den Streifschützen herbeikommen, und behielt in Miene und Stellung alle Würde und Furchtlosigkeit bei. Vielleicht wußte der kluge Streiter auch, daß wegen der Verschiedenheit ihrer Waffen er unter gleichmäßigeren Bedingungen kämpfen würde, wenn er den Angekommenen näher gebracht worden. Da eine Beschreibung dieses Menschen eine Idee von dem Aeußern der ganzen Race geben kann, mag es gut sein, wenn wir die Erzählung aufhalten, um sie hastig und unvollkommen dem Leser vorzulegen. Wollten die scharfsichtigen Augen eines Alston und Leslie sich nur für kurze Zeit von ihrem Anstaunen der Musterbilder des Alterthums wegwenden, um dies verworfene und herabgewürdigte Volk zu betrachten, dann würde wenig für so geringe Künstler, als wir sind, zu zeichnen übrig bleiben.

Der in Frage stehende Indianer war in jeder Hinsicht ein Krieger von schöner Statur und wunderbaren Verhältnissen. Als er seine Maske abwarf, die aus verschiedenfarbigen Blättern bestand, wie er sie eilig zusammengerafft hatte, erschien sein Antlitz in all dem Ernst, der Würde und, man kann hinzufügen, dem Schrecken seines Standes. Seine Gesichtszüge waren auffallend edel, und den römischen sich nähernd, wiewohl einigen geringeren die wohlbekannten Spuren seines asiatischen Ursprungs eingedrückt waren. Der besondere Teint der Haut, der schon an und für sich so sehr geeignet ist, den kriegerischen Ausdruck zu unterstützen, hatte durch die Farben der Kriegerschminke noch einen eigenen Anstrich von Wildheit bekommen. Aber als verschmähe er die gewöhnlichen Kunstgriffe seines Volkes, trug er nichts von jenen sonderbaren, schreckhaften Abzeichen, womit die Kinder des Waldes, wie die gebildeteren schnurrbärtigen Helden, den Ruf ihres Muthes auf die Nachwelt zu bringen pflegen, und begnügte sich mit breiten, dunkelschwarzen Linien, die eine hinlängliche und bewunderungswürdige Folie für den größeren Glanz seiner natürlichen Schwärze waren. Sein Haupt war, der Sitte gemäß, bis zum Wirbel rasirt, wo eine große, mächtige Scheitellocke furchtlos den Griff seiner Feinde herauszufordern schien. Der Schmuck, der im Frieden von dem Knorbel seiner Ohren herabhing, war entfernt worden, seines gegenwärtigen Vorhabens wegen. Sein Leib war trotz der späten Jahrszeit fast nackt, und der bekleidete Theil trug keine wärmere Bekleidung als einen leichten Kittel von fein zubereiteter Rehhaut, die sehr schön mit dem rohen Gemälde eines kühnen Abenteuers geschmückt und sorglos umgeworfen war, gleichsam mehr zum Putz als aus einer unmännlichen Rücksicht auf Bequemlichkeit. Seine Beinbekleidung bestand aus glänzendem Scharlachtuch, das einzige Zeichen an ihm, daß er Gemeinschaft gehabt mit den Handelsleuten der blassen Gesichter. Aber gleichsam um einen Gegensatz gegen diesen einzigen weibischen Schmuck zu bilden, war sie furchtbar von dem geschnürten Knie bis zur Sohle der Halbstiefel mit dem Haar von Menschenschädeln behangen. Er lehnte sich leicht mit der einen Hand auf einen kleinen Bogen, während die andere die zierlich gearbeitete Handhabe einer langen Eschenlanze mehr berührte, als Stütze durch sie suchte. Ein Helm von Cougarhaut, an dem als eine auszeichnende Zierde der Schwanz des Thiers noch herabhing, war auf seinem Rücken befestigt, und ein Schild von Häuten, schön mit einer andern von seinen kriegerischen Thaten bemalt, hing an einem Sehnenbündel an seinem Nacken.

Als der Streifschütz sich näherte, behielt dieser Krieger seine ruhige, aufrechte Stellung bei, und verrieth weder Begierde, den Charakter derer zu untersuchen, die sich ihm näherten, noch den geringsten Wunsch, ihre auf ihn gerichtete forschende Blicke zu vermeiden. Ein Auge, das dunkler und glänzender war, als das eines Hirsches, richtete sich jedoch unaufhörlich von einem zum andern der Fremden und schien nie Ruhe für einen Augenblick zu kennen.

»Ist mein Bruder weit von seinem Dorf?« fragte der Alte in der Pawnee-Sprache, nachdem er die Schminke und die andern kleinen Zeichen untersucht hatte, woran ein geübtes Auge den Stamm der Krieger, mit denen es in den amerikanischen Wüsten zusammentrifft, ganz mit derselben Leichtigkeit, und durch dieselbe Art geheimnisvoller Beobachtung erkennt, mit der der Seemann das entfernte Segel unterscheidet.

»Es ist weiter nach den Städten der Großmesser zu,« war die lakonische Antwort.

»Warum ist ein Pawnee-Wolf so weit von der Gabel seines Flusses, ohne ein Pferd, darauf zu reisen, und in so ödem Ort wie dieser?«

»Können die Weiber und Kinder eines Blaßgesichts ohne Bisonfleisch leben? Es war Hunger in meiner Hütte.«

»Mein Bruder ist zu jung, um schon eine eigene Hütte zu haben,« entgegnete der Streifschütz und sah fest in das unbewegte Gesicht des jungen Wilden; »aber ich muß sagen, er ist tapfer und mancher Häuptling mag ihm seine Töchter angeboten haben. Aber hat er sich nicht vergessen (er deutete auf den Pfeil, den er in der Hand hatte, welche zugleich den Bogen hielt) hat er sich nicht vergessen, daß er einen losen Pfeil mit einem Barte führt, um damit den Büffel zu tödten. Wollen die Pawnee durch die Wunden das Wild verderben?«

»Er ist für die Sioux gut; sieht man sie auch nicht, kann selbst ein Busch sie verbergen.«

»Der Mann ist ein schlagender Beweis für die Wahrheit seiner Worte,« murmelte der Streifschütz auf Englisch; »und ein festgebauter, kräftiger Junge ist es, aber nicht alt genug, um ein Häuptling von einiger Wichtigkeit zu sein. Es ist jedoch gut, mit ihm gütig zu sprechen, denn ein einziger Arm, der zur einen oder andern Partei hinzukommt, kann, wenn es mit dem Wanderer und seinen Söhnen zu Schlägen kommt, den Ausschlag geben. Ihr seht, meine Kinder sind müde,« fuhr er in der Sprache der Steppe fort, und deutete, als er sprach, auf den übrigen Haufen, der um diese Zeit auch herankam. »Wir möchten uns lagern und etwas essen. Gehört meinem Bruder diese Stelle?«

»Die Wandernden von dem Volk am großen Fluß sagen uns, daß Eure Nation mit den Pawnee-Gesichtern gehandelt hat, die über dem Salzsee wohnen, und daß die Steppen jetzt der Jagdgrund der Langmesser sind.«

»Es ist wahr; ich hab’s auch von den Jägern und Streifschützen am La Plata gehört, aber mit den Frenchern (Franzosen?), nicht mit den Leuten, denen die Mexiko gehören, hat mein Volk den Handel geschlossen.«

»Und Krieger ziehen dem langen Fluß hinauf, um zu sehen, ob sie nicht bei ihrem Kauf betrogen worden sind?«

»Ei, auch das ist theilweise wahr, fürcht‘ ich, und es wird nicht lange dauern, und eine verfluchte Bande von Häuslern und Colonisten wird ihnen auf dem Fuße folgen, um die Wildniß zu unterjochen, die so breit und reich daliegt an den Westküsten des Mississippi, und dann wird das Land eine bevölkerte Wüste werden von dem Hauptsee bis zum Fuß der Felsgebirge, erfüllt mit allem Verabscheuungswürdigen, aller List des Menschen, und des Trostes, der Lieblichkeit beraubt, die sie aus den Händen des Herrn empfing!«

»Und wo waren die Häuptlinge der Pawnee-Wölfe, als dieser Handel geschlossen ward?« fragte plötzlich der junge Krieger, und ein Blick hohen Stolzes schoß zugleich aus seinem dunkeln Gesicht. »Kann man eine Nation verkaufen wie ein Bieberfell?«

»Sehr recht, und wo waren ferner Wahrheit und Edelmuth? Aber Gewalt ist Recht nach dem Gang der Welt, und was die Mächtigen thun wollen, muß der Schwache Gerechtigkeit nennen. Wenn man auf der Wahcondah Gesetz eben so hörte, Pawnee, als auf die Gesetze der Langmesser, würde Euer Recht auf die Steppen so gut sein als das des größten Häuptlings in den Colonieen auf das Haus, das sein Haupt schirmt.«

»Die Haut des Reisenden ist weiß,« sagte der junge Eingeborne und legte ausdrucksvoll einen Finger auf die harte, schwülenvolle Hand des Streifschützen. »Spricht sein Herz das, und seine Zunge etwas Anderes?«

»Der Wahcondah, der Weiße hat Ohren und verschließt sie vor der Lüge! Seht auf mein Haupt, gleicht es nicht der erfrorenen Tanne, muß es nicht bald in der Erde ruhen? Warum denn sollt ich vor den großen Geist treten wollen, von Angesicht zu Angesicht, während sein Blick finster auf mir wäre?«

Der Pawnee warf mit Anstand seinen Schild über die eine Schulter, steckte die Hand in seinen Gürtel, und beugte sein Haupt ehrerbietig vor den grauen Locken, die der Streifschütz zeigte, worauf sein Auge fester ward und sein Blick weniger stolz. Noch behielt er all sein Mißtrauen und seine Wachsamkeit bei, die mehr gemäßigt und unterdrückt als vergessen ward. Als diese zweideutige Art von Freundschaft zwischen dem Krieger der Steppen und dem alten, erfahrenen Streifschützen geschlossen worden, gab der letztere seinem Gefährten Paul die nöthige Anweisung wegen der Anordnung des beabsichtigten Halts. Während Inez und Ellen abstieg und der Bienenjäger und Middleton für ihre Bequemlichkeit sorgte, ward die Unterhaltung fortgesetzt, manchmal in der Sprache der Eingebornen, aber oft, da Paul und der Doctor sich unter die Hauptredenden mischten, in der englischen Sprache. Es war ein scharfer, schwerer Wettkampf zwischen dem Pawnee und dem Streifschützen, in welchem jeder die Pläne des andern zu entdecken suchte, ohne den Antheil zu verrathen, den er an der Erforschung nahm. Wie man erwarten konnte, da der Kampf zwischen den Gegnern so gleich war, entsprach der Erfolg des Streits den Erwartungen keines von beiden. Der Letztere hatte all die Fragen, die Scharfsinn und Uebung ihm eingeben konnte, so gestellt, um über den Zustand des Stammes der Wölfe, ihre Ernten, ihren Vorrath an Lebensmitteln für den folgenden Winter, ihre Verhältnisse zu ihren verschiedenen kriegerischen Nachbarn Auskunft zu erhalten, ohne jedoch eine Antwort herauszulocken, die im Geringsten die Ursache angab, warum er einen einzelnen Krieger so fern von seinem Volk antraf. Auf der andern Seite waren die Fragen des Indianers, während sie weit würdevoller und zarter waren, gleich scharfsinnig. Er sprach über den Zustand des Pelzhandels, über das Glück oder Unglück vieler weißen Jäger, denen er entweder begegnet war, oder die er hatte nennen hören, und deutete selbst auf die beständigen Fortschritte hin, die die Nation seines großen Vaters, wie er vorsichtig die Regierung der Staaten nannte, nach dem Jagdgrund seines Stammes hinmachte. Es war jedoch nach der sonderbaren Mischung von Antheil, Verachtung und Unwillen, die zu Zeiten durch das zurückhaltende Wesen des Kriegers brachen, augenscheinlich, daß er das fremde Volk, welches solche Eingriffe in seine angebornen Rechte machte, mehr von Hörensagen als aus wirklichem Umgang kannte. Diese persönliche Unbekanntschaft mit den Weißen verrieth sich eben so sehr in der Art, wie er die Weiber ansah, als durch die kurzen oder kräftigen Ausdrücke, welche ihm gelegentlich entfielen. Während er zu dem Streifschützen sprach, ließ er seine unsteten Blicke nach der verständigen und fast kindlichen Schönheit der Inez hinstreichen, wie man etwa die Lieblichkeit eines ätherischen Wesens anstaunen würde. Es war gewiß, er sah jetzt zum ersten Mal eine von jenen Frauen, von denen die Väter seines Stammes so oft sprachen, und die für so herrlich gehalten wurden, daß sie Allem gleich kamen, was ihre rohe Einbildungskraft als lieblich sich denken konnte. Seine Beobachtung Ellens war weniger auffallend, aber trotz des kriegerischen und strengen Ausdrucks seines Auges lag viel von der Huldigung darin, die der Mann dem Weibe darzubringen pflegt; selbst in seinem schnelleren Aufblicken wandte er sich manchmal zu ihrer reifern und vielleicht belebteren Schönheit. Diese Bewunderung wurde jedoch durch seine Gewohnheiten so gemäßigt, und verlor sich so in seinem Kriegerstolz, daß er jedes Auge vollkommen täuschte, nur nicht das des Streifschützen, der in indianischen Sitten zu bewandert war, zu wohl die Wichtigkeit einsah, den Charakter des Fremden ganz zu erforschen, um sich den geringsten Zug oder den unbedeutendsten seiner Schritte entgehen zu lassen. Indeß machte sich die von nichts wissende Ellen um die schwache und weniger entschlossene Inez mit ihrer gewohnten Thätigkeit und Zärtlichkeit zu schaffen, und zeigte in ihren freien Zügen jene vorübergehenden Bewegungen von Freude und Kummer, die sie zu Zeiten befielen, wenn ihr thätiger Geist bei dem entschlossenen Schritt verweilte, den sie eben gethan, und sich alle widerstreitende Zweifel und Hoffnungen dabei ihr aufdrängen; sie fühlte wohl etwas von der Unentschlossenheit, die ihrem Geschlecht und ihrer Lage so natürlich war.

Nicht so Paul; da er sah, daß er die zwei Dinge, die seinem Herzen die theuersten waren, erreicht hatte, den Besitz Ellens und einen Triumph über Ismael’s Söhne, that er seinen Theil von den Geschäften des Augenblicks mit so viel Kaltblütigkeit, als führe er schon seine willige Braut von der Feier ihrer Hochzeit vor einem Grenzbeamten in die Sicherheit seiner eigenen Wohnung. Er hatte die wandernde Familie, während der unangenehmen Zeit ihres schwierigen Marsches, umschwärmt, sich bei Tag verborgen gehalten, und mit seiner Verlobten, wie Gelegenheit sich darbot, auf die schon beschriebene Weise Zusammenkünfte gesucht, bis das Glück und seine eigene Unerschrockenheit sich vereinigten, ihn in demselben Augenblick an das Ziel seiner Wünsche zu bringen, als er schon anfing zu verzweifeln. Ihn kümmerte jetzt weder Entfernung noch Gewalt noch Mühseligkeit. Seiner sanguinischen Einbildungskraft und Entschlossenheit war alles Uebrige leicht zu vollenden. Das waren seine Gefühle, und von der Art schienen sie zu sein, als, die Mütze auf einer Seite und ein Lied summend, er zwischen dem Gebüsch herumstrich, um einen schicklichen Ruheplatz für die Frauen auszusuchen, während er von Zeit zu Zeit einen billigenden Blick auf die leichte, runde Gestalt Ellens warf, wenn sie im Verfolg ihrer eigenen Geschäfte hinter ihm herkam.

»Und so haben der Stamm der Wolf-Pawnee und ihre Nachbarn, die Konza, die Streitaxt begraben,« sagte der Streifschütz, und setzte eine Unterredung fort, die er kaum hatte fallen lassen, obwohl er gelegentlich durch die verschiedenen Anweisungen war unterbrochen worden, die er für nöthig gehalten einzustreuen, – doch erinnert sich der Leser, daß während er mit dem eingebornen Krieger in seiner eigenen Sprache redete, er nothwendig mit seinen weißen Gefährten Englisch reden mußte. »Die Wölfe und die lichten Rothhäute sind also wieder Freunde. Doctor, das ist ein Stamm, von welchem, ich wette, Ihr oft gehört habt, und von dem manche runde Lüge das unwissende Volk in den Colonieen sich in die Ohren flüstert. Da war eine Geschichte von einer Nation Welsher, die hier herum in den Steppen lebte, und wie sie in’s Land kamen, ehe der unruhige Mann, der zuerst Christen Heiden ihres Erbes berauben ließ, je geträumt, daß die Sonne in einem eben so großen Land unterginge, als das ihres Aufgangs sei. Und wie sie die weißen Wege wüßten und mit weißen Zungen redeten und tausend Thorheiten und dumme Erfindungen weiter.«

»Ob ich nicht von ihnen gehört!« rief der Naturforscher und legte ein Stück gesalzen Bisonfleisch weg, mit dem er in dem Augenblick etwas roh umging. »Ich müßte sehr unwissend sein, wenn ich nicht oft mit Vergnügen bei einer so schönen Theorie verweilt hätte, die so siegend die beiden Sätze beweist, welche ich oft als unbestreitbar, selbst ohne solchen lebenden Beweis zu ihren Gunsten, behauptet habe, nämlich, daß dieser Continent auf eine entferntere Verwandtschaft mit der Cultur Anspruch machen kann, als Columbus Zeiten sind, und daß die Farbe Wirkung des Climas und der Lebensart, nicht Anordnung der Natur ist. Legt diese letztere Frage dem indianischen Herrn vor, verehrungswürdiger Jäger, er ist selbst von rothem Teint, und seine Antwort könnte uns zu Herren der beiden Seiten des bestrittenen Punktes machen.«

»Meint Ihr, ein Pawnee lese Bücher, glaube an gedruckte Lügen wie die Müßiggänger der Städte!« entgegnete verächtlich der Alte; »aber was kann’s schaden, dem Manne den Willen zu thun, da alles, so unmöglich es auch ist, doch nichts mehr und nichts weniger als seine natürlichen Gaben sind, und dem man daher folgen kann, so bemitleidenswerth es auch erscheint. – Was meint mein Bruder? Alle, die er hier sieht, haben weiße Häute, aber die Pawnee-Krieger sind roth; glaubt er, daß der Mensch sich durch das Clima verändert, und daß der Sohn seinen Vätern nicht gleich ist?«‘

Der junge Krieger betrachtete den Fragenden für einen Augenblick mit festem, unwilligem Auge, dann hob er den Finger auf mit stolzer Geberde und antwortete mit Würde:

»Der Wahcondah zieht den Regen aus der Wolke herab; wenn er spricht, erbeben die Hügel, und das Feuer, das die Bäume verzehrt, ist der Zorn seines Auges. Aber er bildet die Kinder mit Sorgfalt und Gedanken. Was er so gemacht, ändert sich nie.«

»Ei, es liegt in der Natur, daß es so ist, Doctor,« fuhr der Streifschütz fort, als er diese Antwort dem betroffenen Naturforscher erklärt hatte; »die Pawnee sind ein weises, großes Volk, und ich bin gewiß, sie sind reich an mancher heilsamen, guten – Die Jäger und Streifschützen, hör‘ ich manchmal, sprechen von einem großen Krieger Eurer Race!«

»Mein Stamm besteht nicht aus Weibern. Ein Tapferer ist kein Fremdling in meinem Dorf.«

»Ei, aber der, von dem sie am meisten sprechen, ist ein Häuptling, weit über den Ruf gewöhnlicher Krieger, einer, der jenem einst mächtigen, aber jetzt gesunkenen Volk den Delawaren der Hügel hätte Ehre machen können.«

»Solch ein Krieger müßte einen Namen haben.«

»Sie nennen ihn Hartherz, wegen der Festigkeit seines Entschlusses, und mit Recht wird er so genannt, wenn Alles, was ich von ihm gehört, wahr ist.«

Der Fremde warf einen Blick, der in dem unverstellten Herzen des Alten zu lesen schien, als er fragte:

»Hat das Blaßgesicht den Obersten meines Stammes gesehen?«

»Nie; es ist jetzt nicht mit mir, wie es vor etwa vierzig Jahren mit mir zu sein pflegte, als Krieg und Blutvergießen mein Beruf und Gewerb war.«

Ein lauter Ruf von dem unbesorgten Paul unterbrach seine Rede, und im nächsten Augenblick erschien der Bienenjäger selbst und führte ein indianisches Streitroß von der Seite des Dickichts her, die der von dem Haufen eingenommenen entgegengesetzt war.

»Hier ist ein Pferd für eine Rothhaut gesattelt!« rief er, während er das Thier einige seiner wilden Sprünge machen ließ. »Es gibt keinen Brigadier in ganz Kentucky, der sich Herr von einem so niedlichen, wohlgefügten Ding nennen kann. Ein spanischer Sattel auch, wie ein Grand aus Mexiko! Und seht die Mähne und den Schweif, behängt und geschmückt mit kleinen Silberkugeln, als wär‘ es Ellen selbst, die ihr glänzend Haar ordnete zum Tanz und zur Fröhlichkeit. Ist es nicht ein tüchtiger Läufer, alter Streifschütz, und der soll aus der Grippe eines Wilden fressen!«

»Langsam, Junge, langsam. Die Wölfe sind berühmt wegen ihrer Pferde, und Ihr könnt oft einen Krieger auf den Steppen weit besser beritten sehen, als einen Congreßmann in den Ansiedelungen. Aber das, in der That, ist ein Thier, das keiner als ein mächtiger Häuptling reiten sollte. Der Sattel, wie Ihr ganz recht glaubt, hat zu seiner Zeit einen großen spanischen Capitain getragen, der ihn und sein Leben zugleich verloren hat, in einer Schlacht, wie sie dies Volk öfters gegen die südlichen Provinzen auskämpft. Ich wette, dieser junge Bursch ist der Sohn eines großen Häuptlings, kann sein des großen Hartherz selbst.«

Während dieser plötzlichen Unterbrechung des Gesprächs zeigte der junge Pawnee weder Ungeduld noch Mißvergnügen; aber als er dachte, das Thier habe genug Stoff zu Bemerkungen gegeben, nahm er sehr kalt und mit der Miene eines Mannes, der gewohnt ist, seinen Willen gethan zu sehen, Paul den Zügel ab, warf ihn um den Nacken des Thiers, und sprang darauf mit der Geschicklichkeit eines Professors der Reitkunst. Nichts konnte schöner und fester sein als der Sitz des Wilden. Der hochgearbeitete, gewichtige Sattel diente offenbar mehr zur Schau als zum Nutzen. In der That, er hinderte mehr die Bewegung der Glieder, als er sie unterstützte, da sie keinen Beistand suchten, und keine Beschränkung zuließen von so weibischen Erfindungen als Steigbügeln. Das Pferd, das sogleich sich zu bäumen anfing, war wie sein Reiter wild und unbändig in allen seinen Bewegungen, aber während sich so wenig Kunst fand, bemerkte man alle Freiheit und Anmuth der Natur in beiden. Das Thier war vermutlich seine Schönheit arabischem Blut schuldig, von dem langen Stammbaum herab, der die Stute von Mexiko, die spanische Barbe und den maurischen Renner umfaßte. Der Reiter hatte mit seiner Stute aus den Provinzen von Centralamerika zugleich jenen Muth, jene Grazie in deren Lenkung erlangt, welche sich vereinigen, um den unerschrockensten und vielleicht geschicktesten Pferdebändiger der ganzen Welt zu bilden.

Trotz dieser plötzlichen Besitznahme seines Thiers schien der Pawnee mit seinem Abzug nicht zu eilen. Mehr in seiner Bequemlichkeit und vielleicht unabhängiger sah er sich jetzt im Besitz aller Mittel des Rückzugs und ritt auf und ab, betrachtete sich die verschiedenen Individuen der Gesellschaft mit größerer Freiheit als zuvor. Aber immer an jedem Ende seiner Reitbahn, wenn der scharfsinnige Streifschütz erwartete, er werde seinen Vortheil benutzen und fliehen, wandte er sein Pferd um, und durchritt nochmals dieselbe Strecke, manchmal mit der Schnelligkeit einer fliehenden Antilope, und dann wieder langsam, mit größerer Würde in Miene und Haltung. Begierig, etwas zu erfahren, was Einfluß auf seine künftigen Schritte haben könnte, beschloß der Alte, ihn zu einer Erneuerung ihrer Unterredung zu veranlassen. Er machte daher eine Geberde, die zu gleicher Zeit seinen Wunsch, das unterbrochene Gespräch wieder aufzunehmen, und seine friedliche Gesinnung ausdrücken sollte. Das schnelle Auge des Fremden ermangelte nicht, das Zeichen zu bemerken, aber erst nachdem hinlängliche Zeit verflossen war, um bei sich die Klugheit der Maßregel zu überlegen, schien er willens, sich einem Haufen wieder nahe zu wagen, der so sehr an Stärke ihm überlegen, und also im Stande war, in jedem Augenblick über sein Leben zu verfügen, oder seine Freiheit zu beschränken. Als er nah genug kam, um sich mit Leichtigkeit zu unterreden, geschah es mit einer sonderbaren Mischung von Hochmuth und Mißtrauen.

»Es ist weit zum Dorf der Wölfe,« sagte er und streckte seine Hand in einer, der gerade entgegengesetzten Richtung aus, in welcher, wie der Streifschütz wohl wußte, der Stamm wohnte; »und der Weg ist sehr winklicht. Was hat das Langmesser zu sagen?«

»Ja, winklicht genug,« murmelte der Alte auf Englisch, »wenn Ihr Eure Reise auf diesem Weg antreten wollt, aber nicht halb so windungsvoll als die List eines Indianergemüths. Sagt, mein Bruder, sehen der Pawnee Häuptlinge gern fremde Gesichter in ihren Wohnungen?«

Der junge Krieger verbeugte sich mit Anstand, jedoch nur leicht über seinen Sattelknopf, als er mit großer Würde antwortete:

»Wenn hat mein Volk vergessen, dem Fremden Speise zu geben?«

»Wenn ich meine Töchter an die Thüren der Wölfe führe, werden die Weiber sie bei der Hand fassen, und die Krieger mit meinen Leuten rauchen?«

»Das Land der Blaßgesichter liegt hinter ihnen, warum ziehen sie so weit nach dem Untergang? Haben sie ihren Weg verfehlt, oder sind dies die Weiber der weißen Krieger, die, wie ich höre, dem Fluß mit trübem Wasser hinaufdringen?«

»Nein; die den Missouri hinaufgehn, sind Krieger meines großen Vaters, der sie auf eine Botschaft ausgeschickt hat, aber wir sind friedliche Wandrer. Die Weißen und Rothen sind Nachbarn, und möchten Freunde sein. Besuchen nicht die Omahaw die Wölfe, wenn der Tomahawk begraben ist auf dem Pfad zwischen den beiden Nationen?«

»Die Omahaw sind willkommen.«

»Und die Yankton und verbrannten Teton, die am Ellenbogen des Flusses mit schmutzigem Wasser leben, kommen sie nicht in die Wohnungen der Wölfe und rauchen?«

»Die Teton sind Lügner!« rief der Andere. »Sie wagen die Augen nicht zu schließen bei der Nacht. Nein, sie schlafen in der Sonne. Seht,« fügte er, in stolzem Triumph auf die furchtbaren Verzierungen seiner Beinbekleidung hindeutend, hinzu, »ihr Haarwuchs ist so reichlich, daß die Pawnee darauf treten! Geht, der Sioux mag auf Schneeschichten leben, die Ebenen und Büffel sind für Männer.«

»Ah, jetzt haben wir das Geheimniß heraus,« sagte der Streifschütz zu Middleton, der ein aufmerksamer, weil ein sehr dabei interessirter, Beobachter der Vorgänge war. »Dieser gutaussehende junge Indianer forscht nach den Schlichen der Sioux; Ihr könnt es an seinen Pfeilköpfen und seiner Schminke sehen. Ja auch an seinem Auge, denn eine Rothhaut nimmt immer ihren Charakter mit, im Frieden wie im Krieg, – still, Hektor, still. Hast du nie vorher einen Pawnee gerochen, Kleiner? – nieder, Hund, nieder. – Mein Bruder hat Recht, Die Sioux sind Diebe. Leute, von allen Farben und Nationen sagen es ihnen nach und sagen’s mit Recht. Aber die Leute vom Aufgang sind keine Sioux, und sie wünschen die Wohnungen der Wölfe zu besuchen.«

»Das Haupt meines Bruders ist weiß,« entgegnete der Pawnee und warf einen jener Blicke auf den Streifschützen, die so sprechend Mißtrauen, Verstand und Stolz ausdrückten, und deutete, als er fortfuhr, nach dem östlichen Horizont; »und seine Augen haben Vieles geschaut, kann er mir den Namen dessen sagen, was ich dort sehe; – ist es ein Büffel?«

»Es gleicht eher einer Wolke, die über den Saum der Ebene, an den Enden von der Sonne beleuchtet, hervorschaut. Es ist der Rauch der Himmel.«

»Es ist ein Erdhügel, und auf seinem Gipfel und die Wohnungen der Blaßgesichter. Laßt die Weiber meines Bruders ihre Füße bei dem Volk von ihrer Farbe waschen.«

»Die Augen eines Pawnee sind gut, wenn er eine Weißhaut so weit sehen kann.«

Der Indianer wandte sich langsam zu dem Sprechenden, und fragte dann ernst nach einer Pause von einem Augenblick:

»Kann mein Bruder jagen?«

»Ach, ich bin nichts weiter als ein armer Streifschütz.«

»Wenn die Ebene mit Büffeln bedeckt ist, kann er sie sehen?«

»Freilich, freilich, es ist leichter einen herumstreichenden Ochsen zu sehen, als ihn zu fangen.«

»Und wenn die Vögel vor der Kälte fliehen, und die Wolken schwarz sind von ihrem Gefieder, kann er sie auch sehen?«

»Ei, es ist nicht schwer, eine Ente oder Gans zu finden, wenn Millionen den Himmel verfinstern.«

»Wenn der Schnee fällt, und die Wohnungen der Langmesser bedeckt, kann dann der Fremde Federn in der Luft sehen?«

»Meine Augen sind keine von den besten jetzt,« erwiederte der Alte ein wenig böse, »aber es war eine Zeit, Pawnee, wo ich einen Namen hatte für das, was ich sah.«

»Die Rothhäute finden die Langmesser so leicht, wie der Fremde den Büffel sieht, oder die Wandervögel und den gefallnen Schnee. Eure Krieger meinen, der Herr des Lebens habe die ganze Erde weiß gemacht; sie irren sich. Sie sind blaß und sehen ihr eigen Gesicht. Geht, ein Pawnee ist nicht blind, daß er sich lang nach Euerm Volk umsehen müßte!«

Der Krieger schwieg plötzlich und wandte sich zur Seite, als lausche er mit all seinen Sinnen. Dann wandte er sein Pferd, ritt zur nächsten Ecke des Dickichts, und schaute eifrig über die falbe Steppe, gerade der Seite entgegengesetzt, wo die Gesellschaft stand.

Als er sich von dieser unerklärlichen und für die Beobachtenden erstaunenden Vorkehrung wegwandte, warf er seine Augen auf Inez, und schritt mehrere Male auf und ab, als kämpfte es in den geheimsten Tiefen seiner Gedanken über einen schwierigen Punct. Er hatte die Zügel der ungeduldigen Stute angezogen und wollte, wie es schien, sprechen, als sein Haupt wiederum auf seine Brust fiel, und er seine frühere aufmerksame Stellung wieder annahm. Wie ein Reh nach dem Orte seiner früheren Beobachtung hineilend, ritt er für einen Augenblick schnell in kurzen, flüchtigen Kreisen, als sei er über seinen Weg ungewiß, und schoß dann weg, wie ein Vogel, der um sein Nest geflattert, ehe er den fernen Flug nimmt. Nachdem er für einen Augenblick die Ebene durchstrichen, verlor er sich dem Auge hinter einer kleinen Erhöhung des Landes.

Die Hunde, welche auch seit einiger Zeit große Unruhe gezeigt, folgten ihm auf kurze Entfernung, und beschlossen ihre Jagd, indem sie sich auf den Boden hinsetzten und ihr gewöhnliches dumpfes, klagendes, erschreckendes Geheul erhoben.

Neunzehntes Kapitel.

Neunzehntes Kapitel.

»Und wenn nicht steh’n er will?«

Shakespeare.

 

Die verschiedenen zu Ende des vorigen Kapitels erzählten Vorgange waren so schnell einander gefolgt, daß der Alte, während ihm nicht das Geringste entging, keine Zeit hatte, seine Meinung über des Fremden Beweggründe zu sagen. Als aber der Pawnee verschwunden war, schüttelte er den Kopf und murmelte, während er langsam nach der Ecke des Dickichts ging, die der Pawnee eben verlassen hatte:

»Es ist Geruch und Schall in der Luft, obgleich meine armen Sinne nicht gut genug sind, den Gehalt des einen zu erfassen oder den andern zu hören.«

»Es ist nichts zu sehen,« sagte Middleton, der dicht bei ihm stand. »Meine Augen und Ohren sind gut, und ich kann Euch versichern, daß ich nichts sehe und höre.«

»Eure Augen sind gut! Und Ihr seid nicht taub!« entgegnete der Andere etwas verächtlich; »nein, Junge, nein, sie können gut sein, durch eine Kirche zu sehen oder eine Stadtglocke zu hören; aber wenn Ihr ein Jahr in diesen Steppen erst zugebracht, werdet Ihr sehen wie Ihr einen Hahn für ein Pferd gehalten, oder fünfzigmal gemeint habt, das Brüllen eines Büffels sei der Donner des Herrn. Von Natur ist eine Täuschung in diesen nackten Ebenen, worin die Luft wie das Wasser das Bild der Dinge darstellt und es schwierig macht, die Steppen von der See zu unterscheiden. Aber dort ist ein Zeichen, das der Jäger nie verkennt.«

Der Streifschütz deutete nach einem Flug Geier, die nicht weit entfernt über die Ebene hinsegelten, offenbar nach der Seite, wohin der Pawnee sein Auge gerichtet hatte. Anfangs konnte Middleton die kleinen, dunkeln Gegenstände nicht unterscheiden, die sich an den finstern Wolken hinzeichneten; aber als sie schnell herbeikamen, wurden zuerst ihre Gestalten, dann ihre schweren, schwingenden Flügeln deutlich sichtbar.

»Hört,« sagte der Streifschütz, als es ihm gelungen war, Middleton die beweglichen Colonnen zu zeigen; »nun hört Ihr die Büffel oder Bison, wie Euer gelehrter Doctor sie zu nennen beliebt, wiewohl unter dem Namen Büffel sie bei allen Jägern dieser Gegenden bekannt sind. Nun sollte ich doch denken, daß ein Jäger ein besserer Beurtheiler eines Thieres ist und seines Namens,« fuhr er fort und winkte dem jungen Soldaten, »als jeder Andere, der nur in Büchern geblättert hat, statt auf der Erde herumzuwandern und die Namen und Naturen ihrer Bewohner aufzufinden.«

»Von ihrer Lebensweise will ich Euch das zugeben,« rief der Naturforscher, der selten eine Gelegenheit vorbeigehen ließ, um einen Punct zu verhandeln, der seine Lieblingsstudien betraf; »das heißt, immer mit der Voraussetzung, daß man Achtung hat vor dem rechten Gebrauch der Definitionen, und daß sie mit wissenschaftlichem Auge betrachtet werden.«

»Augen eines Maulwurfs sind die Augen der Wissenschaft! Als ob des Menschen Auge nicht so gut wäre, Namen zu geben, als die Augen jedes andern Geschöpfs! Wer hat die Werke seiner Hand benannt? Könnt Ihr mir das sagen mit Euern Büchern und Eurer Universitäts-Weisheit? War’s nicht der erste Mensch im Garten, und folgt daraus nicht offenbar, daß seine Kinder seine Rechte erbten?«

»Das ist freilich die mosaische Erzählung von dem Hergang der Sache,« sagte der Doctor, »wiewohl Eure Lesart viel zu buchstäblich ist.«

»Meine Lesart! Nun, wenn Ihr meint, ich hätte meine Zeit in Schulen zugebracht, thut Ihr meinem Wissen solches Unrecht, wie nie ein Sterblicher dem andern ohne hinlängliche Ursache thun sollte. Wenn ich je nach der Kunst zu lesen gestrebt habe, so geschah es, um besser die Sprüche des Buchs, das Ihr nennt, kennen zu lernen; denn es ist ein Buch, das in jeder Zeile nach dem Gefühl des Menschen spricht und mit der Vernunft übereinkommt.«

»Und glaubt Ihr also,« sagte der Doctor, ein wenig über den Dogmatismus seines störrigen Gegners entrüstet und vielleicht insgeheim zu sehr auf seine eigenen, liberaleren, wiewohl kaum so nützlichen Kenntnisse vertrauend. »Glaubt Ihr denn, daß alle diese Thiere wirklich in einem Garten beisammen waren, um in das Namenverzeichniß des ersten Menschen einregistrirt zu werden?«

»Warum nicht? Ich verstehe Euch; denn es ist nicht nöthig, in Städten zu leben, um all‘ die teuflischen Anschläge zu hören, die der Verstand des Menschen erfinden kann, um sein eigenes Glück zu zerstören. Was beweist es, ausgenommen, daß es beweisen soll, der Garten, den Er machte, wäre nicht nach der erbärmlichen Weise unserer Zeiten gewesen, wodurch denn zugleich geradezu das, was die Welt ihre Zivilisation nennt, zu Schanden wird. Nein, nein, der Garten des Herrn war der Wald damals, und ist der Wald jetzt, wo die Früchte wachsen und die Vögel singen nach seiner weisen Anordnung. – Nun, Capitain, könnt Ihr das Geheimniß der Geier durchschauen? Da kommen die Büffel selbst, und eine schöne Heerde ist es. Ich wette, der Pawnee hat einen Trupp seines Volks in einigen Schluchten in der Nähe, und da er zu ihnen geeilt ist, werdet Ihr bald eine herrliche Jagd sehen. Es wird dazu dienen, den Wanderer und seine Brut versteckt zu halten, und für uns ist wenig zu fürchten. Ein Pawnee ist nicht leicht ein boshafter Wilder.«

Jedes Auge richtete sich nun auf das reizende Schauspiel, welches folgte. Selbst die furchtsame Inez eilte an Middletons Seite, um zuzusehn, und Paul rief Ellen von ihren gewöhnlichen Küchengeschäften weg, um Zeuge des belebten Auftritts zu sein.

Während aller jener sich drängenden Vorfälle, die wir haben erzählen müssen, hatten die Steppen in majestätischer, tiefer Stille gelegen. Der Himmel war zwar schwarz vom Zuge der Wandervögel, aber die Hunde der Gesellschaft und der Esel des Doctors waren die einzigen vierfüßigen Thiere gewesen, die die weite Fläche der Wüste unten belebten. Da zeigte sich jetzt plötzlich eine Masse thierischen Lebens, die die Scene änderte, wie durch Magie, in das andere entgegengesetzte Extrem.

Einige ungeheure Bisonochsen bemerkte man zuerst, wie sie längs der entferntesten Anhöhe der Steppe hinstürzten, und dann folgten lange Reihen einzelner Thiere, auf die wieder eine dunkle Masse von Körpern kam, wo das trübfarbige Gestrauch der Steppe gänzlich in der dunkleren Decke ihrer zottigen Häute sich verlor. Die Heerde war, wie die Colonnen sich ausdehnten und drängten, gleich den endlosen Schaaren der kleineren Vögel, deren weite Reihen man so oft sich aus dem Abgrund der Himmel aufhäufen sieht, bis sie so zahllos erscheinen, wie die Blätter in jenen Wäldern, über die sie ihren endlosen Flug hinsteuern. Wolken von Staub stiegen in kleinen Massen aus der Mitte des Haufens auf, wenn einige Thiere, wilder als die übrigen, die Ebene mit ihren Hörnern durchfurchten, und von Zeit zu Zeit ward ein tiefes, hohles Brüllen vom Wind herübergetragen, als wenn tausend Kehlen ihre Klagen in unharmonischem Murren ausstießen.

Langes, sinnendes Schweigen herrschte in der Gesellschaft, als sie auf das Schauspiel wilder, ganz eigener Größe hinstaunten. Endlich ward es von dem Streifschützen unterbrochen, der, lange an ähnlichen Anblick gewöhnt, weniger seinen Einfluß fühlte, oder vielmehr ihn nicht so ergreifend und hinreißend fand, als die, denen der Auftritt neuer war.

»Da gehn zehntausend Ochsen in einem Trieb, ohne Aufseher, ohne Herr, Ihn ausgenommen, der sie erschuf, und ihnen die offenen Ebenen gab zur Weide! Ja hier mag der Mensch Beweise für seine Nichtigkeit und Thorheit finden! Kann der stolzeste Statthalter in all den Staaten auf seine Felder gehen und einen edleren Ochsen schlachten, als hier dargeboten wird der geringsten Hand; und wenn er sein Essen erlangt hat, kann er es mit solcher Lust verzehren, als der, der sein Mahl durch gesunde Arbeit gewürzt und es nach dem Gesetz der Natur sich erworben hat, indem er rechtlich sich dessen bemeisterte, was der Herr vor ihn gestellt!«

»Wenn die Suppenschüssel von einem Büffelschlegel dampft, antwort‘ ich: nein,« fiel der üppige Bienenjäger ein.

»Ja, Bursche, Ihr hab’ts versucht, und die klaren Beweise davon gefühlt. Aber die Heerde kommt etwas hierher zu, und es ist gut, wenn wir uns auf ihren Besuch vorsehen. Wenn wir uns Alle verstecken, wird das Hornvieh durch das Gehölz brechen, und uns zertreten, wie sich krümmende Würmer. So wollen wir nur die Schwächlichen bei Seite thun und vornen Posto fassen, wie es Männern und Jägern geziemt.«

Da nur wenig Zeit übrig war, um die nöthigen Vorkehrungen zu treffen, machte sich die ganze Gesellschaft mit Ernst daran. Inez und Ellen wurden an das Ende des Dickichts auf der von der nahenden Heerde entferntesten Seite hingestellt. Asinus kam in die Mitte, mit Rücksicht auf seine Nerven, und dann theilten der Alte, mit seinen drei männlichen Gefährten sich so ein, wie sie es für nöthig hielten, um die Spitze der stürmenden Colonne wegzuwenden, sollte sie etwa ihrer Position zu nahe kommen. Nach den unsichern Bewegungen einiger fünfzig oder hundert Ochsen, die vorangingen, blieb es zweifelhaft für einige Augenblicke, welchen Weg sie einzuschlagen gedächten. Aber ein furchtbares, schreckliches Gebrüll, das hinter der Staubwolke herkam, die sich im Mittelpunkt erhob, und das wild beantwortet ward von dem Geschrei der Raubvögel, die freudig gerade über dem fliehenden Trieb hinsteuerten, schien ihrer Flucht einen neuen Antrieb zu geben, und mit einem Mal jedes Zeichen von Unentschlossenheit zu entfernen. Gleichsam mit Freuden die geringsten Zeichen von dem Wald aufsuchend, schlug die ganze erschreckte Heerde standhaft ihre Richtung gerade nach dem kleinen Buschwerk ein, das schon so oft benannt worden ist.

Die Gefahr nahm jetzt in der That einen Charakter, daß sie die größte Standhaftigkeit hätte versuchen können. Die Reihen der finstern, sich bewegenden Massen hatten sich so genähert, daß sie eine krumme Linie um die Fronte bildeten, und jedes trotzige Auge, das aus der rohen Wildheit von Haarbüscheln hervorlugte, womit das ganze Haupt der Ochsen verhüllt war, richtete sich in toller Angst auf das Dickicht. Es schien, als wenn jedes Thier seinen Nächsten überholen wollte, um diesen gewünschten Schlupfwinkel zu gewinnen, und da Tausende im Nachzug blindlings die vornen drängten, war die Gefahr nahe, daß die Anführer der Heerde auf die versteckte Gesellschaft gestürzt werden könnten, in welchem Fall der Untergang Aller gewiß war. Jeder unserer Abenteurer fühlte das Bedenkliche seiner Lage nach seinem besonderen Charakter und seinen Umständen.

Middleton war unschlüssig. Manchmal fühlte er sich geneigt, durch das Gebüsch zu stürzen, Inez zu ergreifen und die Flucht zu versuchen. Dann bedachte er die Unmöglichkeit, der wilden Eile eines erschreckten Bisons zuvorzukommen, und griff nach den Waffen, als sei er entschlossen, der zahllosen Menge des Triebs die Spitze zu bieten. Die Geisteskräfte des Doctor Bantus waren bis zum höchsten Grade von Geistesbethörung gesteigert. Die dunkeln Formen der Heerden verloren ihre Begrenzung für’s Auge, und nun begann der Naturforscher sich einzubilden, er sähe eine wilde Sammlung aller Geschöpfe der Welt, die in einem Haufen auf ihn eindrangen, gleichsam die mannichfache Unbill zu rächen, welche im Lauf seines Lebens voll unermüdlichen Eifers für die Naturwissenschaften er gegen ihre verschiedenen Generus verübt hatte. Die Lähmung, die dies in seinem System verursachte, war gleich der Wirkung des Alps. Eben so unfähig, zu fliehen, als vorzuschreiten, stand er auf der Stelle angewurzelt, bis die Täuschung so vollständig wurde, daß der würdige Naturforscher in einem verzweifelten Versuch wissenschaftlicher Entschlossenheit selbst die verschiedenen specimina zu classificiren begann. Auf der andern Seite schrie Paul und rief Ellen, sie solle kommen und ihm im Schreien beistehen, aber sein Ruf verlor sich im Brüllen und Trampeln der Heerde. Wüthend und doch sonderbar erregt von der Störrigkeit des Viehs und der Wildheit des Anblicks, und fast toll vor Theilnahme und einer Art bewußtloser Beängstigung, worin die Ansprüche der Natur sich seltsam mit der Besorgnis? für seine Geliebte mischten, zersprengte er sich beinahe die Kehle in Aufforderungen gegen seinen bejahrten Freund, der einschreiten sollte.

»Kommt herbei, alter Streifschütz,« schrie er, »mit Euren Steppenkünsten, oder wir werden Alle unter einem Berge von Büffelschenkeln erstickt werden!«

Der Alte, welcher die ganze Zeit über, auf seine Büchse gelehnt, dagestanden, und die Bewegungen der Heerde mit festem Auge bewacht hatte, hielt es jetzt für Zeit, einen Schlag zu thun. Er richtete sein Gewehr auf den vordersten Ochsen mit einer Behendigkeit, die seiner Jugend würde Ehre gemacht haben, und feuerte. Das Thier empfing die Kugel auf das struppichte Haar zwischen seinen Hörnern und fiel auf seine Kniee nieder, aber das Haupt schüttelnd stand es alsbald wieder auf, und gerade der Stoß schien seine Anstrengung zu erhöhen. Es war nicht länger Zeit zum Zaudern. Er warf seine Flinte weg, streckte seine Arme aus, und trat unbewaffnet aus dem Versteck hervor, gerade auf die heranrauschende Säule der Thiers hin.

Die Gestalt des Menschen, wenn von Muth und Festigkeit unterstützt, die der Verstand allein geben kann, verfehlt selten, allen geringeren Thieren der Schöpfung Ehrfurcht zu gebieten. Die Seitochsen wichen zurück, und für einen Augenblick trat plötzlicher Stillstand in ihrer Eile ein; eine dichte Masse von Körpern häufte sich an der Spitze auf, bis Hunderte sich auf der Ebene zerstreuten. Dann erschallte ein zweites hohles Gebrüll vom Nachzug her, und setzte die Heerde wieder in Bewegung. Die Spitze der Säule jedoch theilte sich, da die unbewegliche Gestalt des Streifschützen sie gleichsam in zwei vorübergleitende lebendige Ströme zerspaltete. Middleton und Paul machten sich sogleich das ihnen gegebene Beispiel zu Nutz, und streckten die schwachen Schranken durch eine ähnliche Stellung aus.

Für einige Augenblicke diente der frische Eindruck, den die Thiers an der Spitze empfangen hatten, zum Schutz des Dickichts. Aber als die Hauptmasse der Heerde mehr und mehr die offene Linie ihrer Vertheidiger drängte und der Staub dichter ward, so daß er ihre Gestalten verdeckte, erneuerte sich in jedem Augenblick die Gefahr, die Thiere möchten durchbrechen. Der Streifschütz und seine Gefährten mußten immer wachsamer werden, und sie wichen allmählich vor der heranstürmenden Menge zurück, als ein Ochse wüthend so nahe an Middleton vorbeistürzte, daß er ihn berührte, und dann durch das Dickicht mit der Schnelligkeit des Windes hinsauste.

»Steht fest; laßt Euer Leben für den Stand,« rief der Alte, »oder ein Tausend von den T – ln werden ihm folgen!«

All die Anstrengungen jedoch würden gegen den lebendigen Strom vergebens gewesen sein, hätte nicht Asinus, dessen Revier so frech verletzt worden war, seine Stimme im Aufruhr erhoben. Die störrigsten, wüthendsten der Ochsen zitterten bei diesem erschreckenden und unbekannten Geschrei, und dann sah man jedes einzelne Thier wie toll von eben dem Gebüsch sich wegdrängen, das einen Augenblick vorher sie mit demselben Eifer zu erreichen gestrebt hatten, mit dem der Mörder das Asyl der Kirche sucht.

Als der Strom sich theilte, ward die Stelle licht, da die zwei dunkeln Colonnen sich seitwärts von dem Gehölz wegbewegten, um sich eine Meile entfernt an der entgegengesetzten Seite zu vereinigen. Sobald der Alte die plötzliche Wirkung bemerkte, die die Stimme des Esels hervorgebracht hatte, lud er kalt seine Büchse wieder, und überließ sich zugleich seiner so eigenen, herzlichen, stillen Munterkeit.

»Da gehen sie wie Hunde, denen man halbgefüllte Pulverschlage an den Schwanz gebunden, und man braucht nicht zu fürchten, daß sie ihre Ordnung ändern werden; denn was die Thiere im Nachzug nicht mit eigenen Ohren hörten, werden sie so ansehen, als hätten sie’s gehört; wenn sie aber auch ihren Beschluß änderten, wird es nicht schwer halten, den Jakob zu bewegen, daß er sein Lied ferner singt!«

»Der Esel hat gesprochen, aber Bileam schweigt,« schrie der Bienenjäger, der nach einem wiederholten Ausbruch geräuschvollen Lachens, das vielleicht den panischen Schrecken der Büffel noch vermehrt haben mochte, mühsam nach Athem schnappte; »der Mann ist so ganz stumm, als wenn ein Schwarm junger Bienen sich an die Spitze seiner Zunge gehängt hatte, und er aus Furcht vor ihrer Antwort nicht sprechen wollte.«

»Wie nun, Freund,« fuhr der Streifschütz fort und wandte sich zu dem immer noch regungslosen und starren Naturforscher; »wie nun, Freund, seid Ihr, der sein Leben darauf verwendet, die Namen und Naturen der Thiere des Feldes und der Vögel der Luft zu notiren, über eine Heerde springender Büffel erschreckt? Wiewohl Ihr vielleicht geneigt seid, mir mein Recht streitig zu machen, sie bei einem Namen zu nennen, der im Mund jedes Jägers und Handelsmannes auf der Grenze ist?«

Der Alte betrog sich jedoch, wenn er meinte, er könne den betäubten Doctor aufreizen, indem er mit ihm einen Streit über diesen wichtigen Satz anfinge. Von dieser Zeit an hörte man ihn nur noch bei einer Gelegenheit ein Wort aussprechen, das die Species oder das Genus des Thiers anzeigte. Er verweigerte sich hartnäckig die nährende Nahrung der ganzen Ochsfamilie, und selbst bis auf diese Stunde, wo er in aller wissenschaftlichen Würde und Sicherheit eines Gelehrten in einer der Seestädte angestellt ist, kehrt er mit einem Schauder jenen köstlichen, unvergleichlichen Fleischspeisen den Rücken, die so oft auf dem Tische der Innung gesehen werden, und denen nichts gleich kommt, was unter demselben Namen in den gerühmten Gasthäusern zu London oder den berühmtesten der Pariser Restaurateurs aufgetragen wird. Kurz der Widerwille des würdigen Naturforschers gegen Rindfleisch war dem nicht unähnlich, welchen der Schäfer manchmal in seinem strafbaren Hund erregt, indem er ihn bindet und fesselt, und ihn dann zum Schemel der ganzen Heerde macht, die er bei einer Mauer oder an einer Oeffnung der Hürde über ihn hintreibt; ein Experiment, welches, wie man sagt, in dem Schuldigen eine Art Abscheu vor Schöpsfleisch für immer erregt. Als Paul und der Streifschütz endlich die Scherze einzustellen für gut fanden, welche die fortgesetzte Geistesabwesenheit ihres gelehrten Gefährten immer noch veranlaßte, fing er wieder zu athmen an, als sei die unterbrochene Thätigkeit seiner Lungen durch die Anwendung eines Paares künstlicher Blasbälge wieder erneuert worden, und gebrauchte das nachher für immer verbannte Wort, auf welches wir eben hingedeutet haben.

» Boves Americani horridi!« rief der Doctor, und legte großen Nachdruck auf das letzte Wort, worauf er wieder stumm blieb, als wenn er über seltsamen, unerklärlichen Begebenheiten brütete.

»Ja, horrende Augen genug, das will ich gern zugeben,« entgegnete der Streifschütz; »aber so schreckhaft die Wichte auch aussahen, wenn man den Anblick und das Gewühl des natürlichen Lebens nicht gewöhnt ist, so ist doch der Muth des Thiers keineswegs seinem Aeußern gleich. Himmel, Mann, wenn Ihr einmal hübsch von einer Brut gräulicher Bären überfallen würdet, wie das mir und dem Hektor am großen Fall des Miss – Ah, da kommt das Ende der Heerde, und dort geht ein Gang hungriger Wölfe, bereit, die Schwachen wegzuschnappen, oder einen abgesonderten Ochsen zu überfallen. Ha, da sind auch berittene Männer auf ihrer Spur, so wahr ich ein Sünder bin; da, Junge, da könnt Ihr sie sehen, gerade da, wo der Staub vom Wind zerstreut wird. Sie schwärmen um einen verwundeten Büffel und machen dem armen T–l mit ihren Pfeilen den Garaus!«

Middleton und Paul erhaschten einen Strahl von der dunkeln Gruppe, die das schnelle Auge des Alten so leicht entdeckt hatte. Einige fünfzehn oder zwanzig zu Pferde sah man wirklich in schnellen Umkreisen um einen edeln Ochsen reiten, der ihnen die Spitze bot, zu schwer verwundet um zu fliehen, und doch dem Anschein nach nicht willig, sich zu ergeben, obwohl sein rauher Körper die Zielscheibe von hundert Pfeilen gewesen. Ein Lanzenstoß von einem kräftigen Indianer aber vollendete die Eroberung, und das Thier gab den widerstrebenden Geist mit einem Gebrüll auf, das widerhallend zur Stelle drang, wo unsre Abenteurer standen, und die Ohren der erschreckten Heerde erreichend, ihrer Flucht neuen Antrieb gab.

»Wie der Pawnee so gut die Philosophie einer Büffeljagd kannte!« sagte der Alte, nachdem er die belebte Scene mit augenscheinlicher Zufriedenheit einige Minuten betrachtet hatte. »Ihr saht, wie er dem Winde gleich vor dem Trieb wegeilte, es geschah, um die Luft nicht zu verderben und sie von der Seite anzugreifen Ha!

Was ist das? Dort die Rothhäute sind keine Pawnee! Die Federn auf ihren Köpfen sind von den Flügeln und Schwänzen der Eulen. Ah, so wahr ich nur ein armer, halbsichtiger Streifschütz bin, es ist eine Bande verd–ter Sioux! In’s Versteck, Jungen, in’s Versteck! Ein einziger Blick hierher würde uns jedes Kleidungsstückes berauben, so gewiß, als der Blitz den Baum abschält, und selbst unser Leben möchte nicht sehr sicher sein.«

Middleton hatte sich schon vom Schauplatz weggewendet, um zu suchen, was ihm besser gefiel, den Anblick seiner jungen, schönen Braut, Paul ergriff den Doctor bei’m Arm, und da der Streifschütz so schnell wie möglich folgte, war die ganze Gesellschaft bald im Schutz des Dickichts versammelt. Nach einigen kurzen Erklärungen über die Art der neuen Gefahr setzte der Alte, dem die Pflicht geworden, seiner großen Erfahrung wegen alle ihre Schritte zu leiten, folgendermaßen seine Rede fort:

»Dies ist ein Land, wie ihr Alle wissen müßt, wo ein starker Arm weit besser ist, als das Recht, und das Gesetz der Weißen eben so wenig bekannt als nöthig ist. Deßwegen hängt jetzt Alles von Klugheit und Kraft ab. Wenn,« fuhr er fort und legte seinen Finger auf seine Wange, als wenn er tiefsinnig die verzweifelte Lage von allen Seiten betrachte, »wenn wir etwas erdenken könnten, was diese Sioux und des Auswanderers Brut hinter einander bringen könnte, dann könnten wir herbeikommen und, wie die Krähen nach einem Gefecht zwischen den Thieren, den Kampfplatz uns zu Nutz machen, – auch sind Pawnee in der Nähe; das ist gewiß, denn jener Junge würde ohne einen Auftrag sich nicht so weit von seinem Dorfe entfernt haben. Hier und da sind wir vier Parteien auf Kanonschußweite entfernt, von denen keine der andern trauen kann. All das macht eine Bewegung schwierig, besonders da Verstecke nicht im Ueberfluß sind. Aber wir sind drei wohlbewaffnete, und ich darf sagen muthige Männer.« »Vier,« fiel Paul ein.

»Wie!« sagte der Alte und sah zum ersten Mal seine Gefährten an.

»Vier,« wiederholte der Bienenjäger und deutete auf den Naturforscher.

»Jede Armee hat ihre Nachzügler und Marodeurs,« entgegnete der barsche Grenzmann. »Freund, es wird nöthig sein, den Esel zu schlachten.«

»Den Asinus schlachten! Solch eine That würde eine Handlung unnöthiger Grausamkeit sein.«

»Ich verstehe nichts von Worten, die ihren Sinn in Schall einhüllen; aber das ist grausam, was einen Christen einem Thiere opfert. Das ist’s, was ich den Grund der Barmherzigkeit nenne. Es würde gerade so sicher sein, in die Trompete zu stoßen, als das Thier nochmals seine Stimme erheben zu lassen, besonders, da es offenbar eine Herausforderung der Sioux sein würde.«

»Ich will für Asinus Diskretion stehen; er spricht selten ohne Ursache.«

»Man sagt, man könne Jemand aus seinen Umgang kennenlernen,« entgegnete der Alte, »und warum nicht auch ein Thier? Ich machte einst einen forcirten Marsch und hatte viele Gefahren mit einem Begleiter zu bestehen, der nie den Mund aufthat, als um zu singen, und viel Mühe und Kummer machte mir der Bursch. Es war gerade in jenem Geschäft mit Eurem Großvater, Capitain. Aber der Begleiter hatte eine menschliche Kehle und wußte bei Gelegenheit sie wohl zu gebrauchen, obwohl er es nicht immer für nöthig hielt, die für sein Schreien passende Zeit zu beachten. Ach wenn ich jetzt wäre, was ich damals war, eine Bande diebischer Sioux sollte mich nicht leicht aus einer Lagerung wie diese vertreiben! Aber was hilft das Rühmen, wenn Gesicht und Stärke fehlen. Der Krieger, den die Delawaren einst nach dem Falken nannten, der Schärfe seiner Augen wegen, würde jetzt besser nach dem Maulwurf benennt. Nach meinem Urtheil also, wird es gut sein, das Thier zu schlachten.«

»Da ist Beweis und gute Logik,« sagte Paul; »Musik ist Musik, und immer geräuschvoll, komme sie von einer Fidel oder einem Esel; deßhalb stimme ich dem Alten bei, und sage, tödtet den Esel.«

»Freunde,« sagte der Naturforscher und sah mit traurigem Auge von einem zum andern seiner blutgierigen Gefährten; schlachtet Asinus nicht; er ist Specimen von seiner Art von dem viel Gutes und wenig Böses gesagt werden kann. Abgehärtet und gelehrig nach seinem Genus; enthaltsam und geduldig nach seiner niedern Species. Wir sind zusammen gereift, und sein Tod würde mich betrüben. Wie würde es dich beunruhigen, verehrungswürdiger Jäger, wenn du auf so gewaltsame Art dich von deinem treuen Hund trennen solltest?«

»Das Thier soll nicht sterben,« sagte der Alte und räusperte sich plötzlich auf eine Art, die bewies, daß er die ganze Kraft der Appellation fühlte; »aber seine Stimme muß gedämpft werden. Binder ihm die Schnauze mit dem Halfter, und dann, denk‘ ich, können wir das Uebrige der Vorsehung überlassen.«

Mit dieser doppelten Sicherheit für des Esels Diskretion, – denn Paul band ihm sogleich auf die verlangte Weise die Schnauze, – schien der Streifschütz zufrieden. – Darauf ging er an den Rand des Dickichts zu recognosciren.

Der Lärm, welcher den Zug der Heerde begleitet hatte, war jetzt vorüber, oder wurde vielmehr in der Entfernung einer Meile von der Steppe herüberschallen gehört. Die Staubwolken hatte der Wind schon verweht, und das Auge konnte frei um sich blicken, wo zehn Minuten vorher solch ein sonderbarer Auftritt von Wildheit und Verwirrung stattgefunden hatte.

Die Sioux hatten ihre Eroberung vollendet und schienen nun, zufrieden mit dieser Vermehrung ihrer schon so reichen Beute, willens, die übrige Heerde entwischen zu lassen. Ein Dutzend blieb bei dem Leichnam, über den einige Krähen mit stetigem Fittich und gierigen Augen hin und her flogen; die übrigen ritten umher, als wenn sie weitere Beute suchten, die ihnen nach einem so zahllosen Zug in den Weg kommen könnte. Der Streifschütz maß die Gestalten und den Anzug Derer, die dem Dickicht näher kamen, mit sorgsamem Auge. Endlich zeigte er Middleton einen von ihnen, den er für Weucha hielt.

»Nun wissen wir nicht nur, wer sie find, sondern auch ihren Auftrag,« sagte der Alte und schüttelte überlegend den Kopf. »Sie haben die Spur des Wanderers verloren und sind auf der Jagd nach ihm. Die Büffel sind ihnen in den Weg gekommen, und auf ihrer Verfolgung hat ein Unstern sie gerade in offene Aussicht auf den Hügel gebracht, wo Ismael’s Brut lagert. Seht Ihr jene Vögel, die auf die Ueberbleibsel des Thiers warten, das Jene getödtet haben? Darin liegt eine Lehre für die Lebensart in der Steppe. Eine Bande Pawnee liegt im Hinterhalt gerade so gegen die Sioux, wie diese Vögel auf ihren Raub warten, und als Christenleute, die so viel zu verlieren haben, kommt es uns zu, auf Beide Acht zu geben. Ha, was bringt jene zwei schielenden Wichte zum Stehen! So wahr ich lebe, sie haben die Stelle gefunden, wo der unglückliche Sohn des Wanderers seinen Tod fand!«

Der Alte irrte sich nicht. Weucha und ein Wilder, der ihn begleitete, hatte den Ort erreicht, welcher, wie wir schon erwähnten, so schreckliche Spuren von Gewalt und Blutvergießen zeigte. Da saßen sie auf ihren Pferden und untersuchten die wohlbekannten Zeichen mit aller Kenntniß, die den Indianer auszeichnet. Ihr Forschen dauerte lang und war, wie es schien, nicht frei von Mißtrauen. Endlich erhoben Beide zugleich ein Geschrei, das kaum weniger trauernd und ergreifend war, als das, welches die Hunde vorher bei den verhängnißvollen Zeichen gemacht hatten, und das nicht verfehlte, die ganze Bande sogleich um sie zu versammeln, wie das wilde Rufen des Schakals seine Gefährten zur Jagd um ihn versammeln soll.

Zweites Kapitel.

Zweites Kapitel.

»Auf mit dem Zelt! Hier will ich ruh’n die Nacht; –
Wo morgen denn? – Es ist mir Alles eins.«

Richard der Dritte.

 

Die Wanderer entdeckten bald die gewöhnlichen, nie trügenden Zeichen, daß die verschiedenen Erfordernisse ihrer Lage nicht mehr weit zu suchen seien. Ein klarer sprudelnder Quell brach aus der Seite des Abhangs hervor, vereinigte seine Wasser mit andern kleinen Quellen in der Nähe und bildete einen Bach, den das Auge leicht Meilen weit über die Steppe hin verfolgen konnte, – häufiges Blätterwerk und Grün, das im Bereich seiner Frische überall emporwuchs, bezeichnete hinlänglich seinen Lauf. Hierher nun nahm der Fremde seinen Weg, und eifrig folgten ihm die willigen Gespanne, deren Instinct sie Erfrischung und Ruhe von Arbeit voraussehen ließ.

Als er, wie ihm dünkte, eine passende Stelle erreicht, machte der alte Mann Halt, und schien mit forschendem Blick zu fragen, ob der Ort die nöthigen Bequemlichkeiten besitze. Der Führer der Auswanderer warf wie ein Sachverständiger seine Augen umher, und untersuchte die Stelle mit dem Scharfblick eines Mannes, der im Stande ist, eine so schwierige Sache zu beurtheilen, obgleich ganz auf die zögernde, schwerfällige Weise, die ihm selten erlaubte, eine unmännliche Übereilung zu verrathen.

»Ah, hier mag’s geh’n,« sagte er, als ihn seine Untersuchung befriedigt; »Jungen, ihr saht die Sonne sinken; geht an’s Werk!«

Die jungen Leute zeigten sich gegen den Auftrag gehorsam; der Befehl, denn nach Ton und Weise war es einer, ward in der That mit Ehrfurcht aufgenommen, aber die einzige Bewegung war, daß ein oder zwei Aexte von den Schultern auf den Boden fielen, während ihre Eigenthümer fortfuhren, den Ort mit ausdruckslosen, gleichgültigen Augen zu betrachten. Mittlerweile entlud sich der ältere Auswanderer, der die Antriebe kannte, durch welche sich seine Kinder leiten ließen, seines Ranzens und Gewehrs, und schickte sich, unterstützt von dem Manne, der, wie wir erwähnt, so schnell nach der Flinte griff, allmählich an, die Thiere auszuspannen.

Endlich bewegte sich der älteste von den Söhnen schwerfällig vorwärts, und trieb ohne einige Anstrengung, wie es schien, seine Axt bis an das Heft in das zarte Holz eines Baumwollenbaums; dann stand er einen Augenblick und betrachtete die Wirkung seines Hiebs mit der Art Verachtung, womit etwa ein Riese auf den kraftlosen Widerstand eines Zwerges herabsehen würde; schwang von Neuem seine Waffe mit der Grazie und Geschicklichkeit um’s Haupt, mit der ein Fechtmeister seinen edleren, obgleich weniger nützlichen Degen bewegt, trennte schnell den Stamm des Baumes und brachte die schlanke Krone, den Preis seiner Geschicklichkeit, zur Erde. Seine Gefährten hatten den Vorgang mit ruhiger Gleichgültigkeit mit angesehen, bis der Stamm auf dem Boden vor ihnen dalag; jetzt erst, als wäre ein Zeichen zu allgemeinem Angriff gegeben worden, gingen sie in Masse an’s Werk und befreiten in so kurzer Zeit und mit einer Geschicklichkeit, die einen unkundigen Zuschauer erstaunt haben würde, eine geringe aber hinlängliche Stelle von der Waldlast, – so kräftig und fast so schnell, als ob ein Sturmwind darüber hingegangen wäre.

Der Fremde war ein stiller, aber aufmerksamer Beobachter ihres Thuns gewesen. Als Baum auf Baum rauschend herunter kam, warf er seine Blicke aufwärts, sah traurig nach dem leeren Raum, den sie am Himmel ließen und wandte sich endlich mit einem bittern Lächeln weg, als wolle er seinen Unwillen nicht auf eine vernehmlicher Weise auslassen. Als er sich durch die Gruppen der geschäftigen Kinder, die schon ein lustiges Feuer angezündet hatten, durchdrängte, ward die Aufmerksamkeit des alten Mannes zunächst auf die Bewegungen des Führers der Auswanderer und seines wilden Gefährten gerichtet.

Diese beiden hatten schon die Thiere befreit, die eifrig die angenehmen und nährenden Zweige der gefallenen Bäume abfraßen, und waren jetzt um den Wagen beschäftigt, der, wie wir berichteten, seinen Inhalt so sorgfältig verbarg. Obgleich er still und herrenlos, wie die übrigen Fuhrwerke schien, lehnten dennoch die Männer sich mit all ihrer Kraft gegen die Räder und rollten ihn bei Seite, abgesondert von den andern Wagen, auf eine trockene und erhöhte Stelle, nahe am Ausgang des Gehölzes. Hier nahmen sie Pfähle, die dem Anschein nach schon lange zu diesem Zweck gebraucht worden waren, trieben ihre breiteren Enden fest in den Boden und banden die schmaleren an die Reife, welche die Decke des Wagens trugen. Große Ballen Tuch wurden dann zunächst aus dem Fuhrwerk herausgenommen, um das Ganze herumgewunden und so an den Boden befestigt, daß sie ein ziemlich geräumiges und sehr bequemes Zelt bildeten. Nachdem sie ihr Werk mit aufmerksamen und fast eifersüchtigen Blicken nochmals übersehen, und hier eine Falte geordnet, dort einen Pfosten fester getrieben, wandten sich die Männer wieder zum Wagen, zogen ihn an seiner Deichsel aus der Mitte des Zeltes heraus, bis er ganz frei da stand, seiner Decke beraubt, und ohne alle andere Ladung als einigem geringen Hausgeräth. Dieses letztere nahm sogleich der Wanderer und brachte es selbst in das Zelt, als ob es zu betreten ein Vorrecht sei, worauf selbst sein Busengefährte keinen Anspruch habe.

Da Neugierde eine Leidenschaft ist, die durch Hindernisse eher vermehrt, als geschwächt wird, so sah auch der alte Bewohner der Steppen dieses vorsichtige und geheimnißvolle Verfahren nicht mit an, ohne etwas von ihrer Wirkung in sich zu verspüren. Er näherte sich dem Zelt und wollte eben eine Falte auseinander machen, in der offenbaren Absicht, seinen Inhalt genauer zu untersuchen, als der Mann, der schon einmal sein Leben in Gefahr gebracht, ihn beim Arm faßte und ihn auf eine etwas rohe, unhöfliche Weise von der Stelle wegzog, die er sich als die passendste für seinen Zweck ausersehen.

»Es ist ein gutes Sprichwort, Freund,« bemerkte der Bursche trocken, wiewohl mit einem Auge, das mehr als die längste Rede drohte, – »und oft ist es auch ein gar nützliches Sprichwort, das da sagt: Kümmere dich nur um das Deine.«

»Die Leute bringen selten etwas in diese Einöden, was sie zu verbergen brauchen,« antwortete der alte Mann, als wünsche er, wisse aber nicht recht wie, die Freiheit zu entschuldigen, die er sich hatte nehmen wollen, – »und ich dachte, es sei kein Vergehen, wenn ich in das Zelt sähe.«

»Die Leute bringen selten sich selbst hierher, denke ich,« antwortete der andere barsch, – »es sieht aus wie ein altes Land, obgleich es nicht übermäßig bevölkert scheint.«

»Das Land ist so alt, als die übrigen Werke des Herrn, meine ich; aber Ihr spracht recht in Hinsicht der Bewohner. Viele Monden sind vorüber gegangen, seit mein Auge nicht auf einem Antlitz von meiner Farbe ruhte, bis ich jetzt Euch sah. – Ich wiederhol’s Euch, Freund, ich wollt‘ Euch kein Leid; ich wußte nicht, ob ich nicht vielleicht etwas hinter dem Tuche fände, was mir vergangene Tage in’s Andenken zurückbrächte.«

Als der Fremde seine einfache Erklärung geendet, ging er ruhig weg, durchdrungen von der tiefsten Ehrfurcht vor dem Recht, das jeder auf den ruhigen Genuß seines Eigenthums hat, ohne störende Einmischung von Seiten seines Nachbars; – ein heilsamer und gerechter Grundsatz, den er sehr wahrscheinlich bei seiner abgesonderten Lebensart ebenfalls angenommen. Als er nach dem kleinen Lager der Auswanderer, denn das war die Stelle jetzt geworden, zurückschritt, hörte er die Stimme des Führers, der laut in seinem rauhen, gebietenden Tone den Namen: »Ellen Wade« ausrief.

Das Mädchen, das wir schon beim Leser eingeführt haben, und welches mit den übrigen ihres Geschlechts sich um die Feuer beschäftigt hatte, sprang willig auf bei diesem Ruf, und eilte an dem Fremden mit einer Schnelligkeit einer jungen Antilope vorüber; hinter den Falten des verbotenen Zeltes verschwand sie bald seinem Blick. Doch schien weder ihre persönliche Entfernung, noch sonst eine von den Anordnungen, die wir erwähnt haben, das geringste Erstaunen unter den übrigen hervorzubringen. Die jungen Leute, die ihre Arbeit mit der Axt schon vollendet hatten, beschäftigten sich alle nach ihrer schlendernden und dumpfen Weise; einige legten gleiche Theile Futter den verschiedenen Thieren vor, andere ließen den schweren Stößer eines tragbaren Mais-Mörsers arbeiten, und einer oder zwei brachten die übrigen Wagen bei Seite und stellten sie so, daß sie eine Art Außenwerk für ihr sonst vertheidigungsloses Bivouac bildeten.

Diese verschiedenen Arbeiten waren bald gethan, und als die Finsterniß jetzt die Gegenstände auf der umgebenden Steppe verbarg, verkündete die grellschreiende Megäre, deren Stimme sich, seitdem sie Halt gemacht, unter ihrer trägen und schläfrigen Nachkommenschaft fleißig abgearbeitet, in Tönen, die auf eine schreckliche Entfernung hätten gehört werden mögen, daß das Abendessen nur auf die Ankunft derer warte, die es verzehren sollten. Welches auch immer der Charakter eines Grenzwohners sein mag, selten fehlt ihm die Tugend der Gastfreiheit. Der Auswanderer vernahm nicht sobald den scharfen Ruf seines Weibes, als er seine Augen um sich warf, den Fremden suchte, um ihm den Ehrensitz bei dem einfachen Mahle anzubieten, wozu sie so ganz ohne Umstände zusammengerufen wurden.

»Ich dank‘ Euch, Freund,« erwiederte der alte Mann auf die trockene Einladung, einen Sitz in der Nähe des dampfenden Kessels einzunehmen; »ich sage Euch meinen herzlichen Dank, aber ich habe schon für diesen Tag gegessen, und bin keiner von denen, die sich ihr Grab mit ihren Zähnen graben. Doch, da Ihr es wünscht, will ich mich zu Euch setzen, denn es ist schon lange, daß ich Niemand von meiner Farbe sein täglich Brod essen gesehen.«

»Ihr seid ein alter Ansiedler also in diesen Gegenden,« sagte der Auswanderer, mehr wie eine Bemerkung, als wie eine Frage, – den Mund fast bis zum Ueberfließen von dem köstlichen Mais voll, den seine geschickte, wiewohl etwas abstoßende Gemahlin zubereitet hatte. »Sie sagten uns unten, wir würden hierherum die Ansiedler nur sehr dünn gesäet finden, und ich muß gestehen, die Nachricht war so ziemlich wahr, denn wenn wir die Canada-Händler am großen Strom nicht rechnen, seid Ihr das erste weiße Gesicht, dem wir begegneten, auf guten fünfhundert Meilen, nach Eurer eigenen Rechnung.

»Ob ich gleich einige Jahre in diesem Bezirk zugebracht habe, kann man mich doch kaum einen Ansiedler nennen, da ich keine regelmäßige Wohnung habe und selten länger als einen Monat an demselben Ort bleibe.«

»Ein Jäger also?« fuhr der andere fort, und warf seine Augen seitwärts, als wolle er die Effecten seiner neuen Bekanntschaft mustern, »Eure Waffen scheinen nicht zum besten zu einem solchen Geschäft.«

»Sie sind alt und nahe daran, bei Seite gelegt zu werden, wie ihr Besitzer,« antwortete der alte Mann, und betrachtete sein Gewehr mit einem Blick, worin Rührung und Kummer sich einten; »und ich kann sagen, sie werden auch nur noch wenig gebraucht. Ihr irrt Euch, Freund, wenn Ihr mich einen Jäger nennt, ich bin nichts mehr als ein Streifschütz.«

»Wenn Ihr viel von dem einen seid, so behaupte ich, seid Ihr auch etwas von dem andern; denn die zwei Gewerbe gehen in der Hauptsache mit einander in diesen Gegenden.«

»Zur Schande des, der noch Kraft genug hat, sich mit dem ersten abzugeben, sei es gesagt!« erwiederte der Streifschütz, den wir in Zukunft nach seinem Gewerbe benennen wollen; »seit mehr als fünfzig Jahre führte ich meine Flinte in dieser Wildniß; ohne auch nur einem Vogel, der am Himmel fliegt, eine Schlinge zu legen, geschweige einem Thier, das nur seine Beine hat.«

»Da seh‘ ich nur wenig Unterschied, ob Jemand sich den Wamms durch’s Gewehr oder die Falle verschafft,« sagte der finstere Gefährte des Auswanderers, auf seine rauhe, barsche Weise, »die Erd‘ ward für ihn gemacht, und so auch ihre Geschöpfe.«

»Ihr scheint nur wenig Gepäck zu haben, Fremder, und seid so weit von Haus,« unterbrach ihn schnell der Auswanderer, als hätt‘ er Ursach‘, die Unterhaltung auf etwas anderes zu bringen; »ich denk‘, Ihr seid besser mit Fellen versehen.«

»Ich brauch‘ nur wenig von beidem,« antwortete ruhig der Streifschütz; »in meinem Alter ist Nahrung und Kleidung alles, was ich brauche, und habe wenig, was Ihr Beute nennt, nöthig, etwa dann und wann, um ein Horn voll Pulver oder etwas Blei zu erhandeln.«

»Ihr seid also nicht aus dieser Gegend, Freund,« fuhr der Auswanderer fort, indem er an die Bedeutung dachte, worin der andere das sehr vieldeutige Wort genommen, und das er selbst nach der Gewohnheit des Landes für »Kleidung,« »Effekten,« gebraucht hatte.

»Ich ward an der Seeküste geboren, obgleich ich den größten Theil meines Lebens in den Wäldern zubrachte.«

Jetzt sah die ganze Gesellschaft auf ihn, wie man die Blicke auf einen unerwarteten Gegenstand von allgemeinem Interesse wirft. Einer oder zwei von den jungen Leuten wiederholten die Worte »Seeküste,« und das Weib erwies ihm von jetzt an einige von den Höflichkeiten, womit sie, so unbeholfen sie auch waren, doch nur selten ihre Gäste zu ehren pflegte, gleichsam aus Ehrfurcht vor ihrem vielgewanderten Gaste. Nach einem langen und scheinbar nachdenkenden Schweigen nahm der Wanderer, der jedoch es nicht für nöthig gehalten hatte, das Geschäft seiner Kauorgane zu unterbrechen, das Gespräch wieder auf.

»Es ist ein weiter Weg, wie ich gehört habe, von den Wassern des Westen zu den Küsten des großen Stroms.«

»Es ist ein rauher Pfad, freilich, Freund, und viel hab‘ ich gesehen und manches erduldet, als ich ihn durchschritt.«

»Viel harte Arbeit mag erfahren, wer ihn zurücklegt?«

»Fünf und siebzig Jahre bin ich auf dem Weg gewesen, und auf der ganzen Entfernung, vom Hudson an, gibt es kaum eine Meile, wo ich nicht Wildpret, das ich selbst getödtet, gekostet hatte. Aber das ist leeres Rühmen! Wozu nutzen frühere Thaten, wenn die Zeit zu Ende ist.«

»Ich hörte einst Jemand, der hatte den Fluß beschifft, den er nennt,« bemerkte einer der Söhne leise, als mißtraue er seinem Wissen, und halte es für klug, Ungewißheit in Gegenwart eines Mannes zu zeigen, der so viel gesehen; »nach seiner Aussage muß es ein großer Strom sein, tief genug für das schwerste Schiff.«

»Es ist ein weiter, tiefer Wasserspiegel, und viele herrliche Städte stehen an seinen Ufern,« erwiederte der Streifschütz, »und doch ist es nur ein Bach gegen die Wasser des endlosen Stroms.«

»Ich nenne nichts einen Strom, was ein Mensch umgehen kann,« rief der finstere Gefährte des Auswanderers, »ein wahrer Strom muß durchschritten nicht umzingelt werden, wie ein Bär auf der Jagd.«

»Seid Ihr weit gegen Sonnen-Untergang gewesen, Freund,« unterbrach ihn wiederum der Auswanderer, als wünsche er seinen rauhen Begleiter so viel als möglich von der Unterhaltung auszuschließen; »ich finde, dies ist eine weite Ebene, worin ich mich verwickelt habe.«

»Ihr könnt Wochen lang reisen, und werdet’s immer so finden. Ich denke oft, der Herr hat diesen wüsten Steppengürtel hinter die Staaten gesetzt, um die Menschen zu warnen, wohin ihre Thorheit noch das Land bringen kann. Ja, Wochen, wenn nicht Monden könnt Ihr in diesen offenen Feldern ziehen, wo weder Wohnung noch eine Herberge für Menschen und Vieh sich findet. Selbst die wilden Thiere reisen Meilen weit, eine Stätte zu finden, und doch weht der Wind selten von Osten, daß nicht die Schläge der Axt und das Getös fallender Bäume in meinen Ohren wiederhallen.

Da der alte Mann mit dem Ernst und der Würde sprach, die das Alter selten auch den weniger ergreifenden Reden mitzutheilen verfehlt, so waren seine Zuhörer sehr aufmerksam, und still wie das Grab. In der That mußte der Streifschütz selbst seine Rede wieder aufnehmen, was er bald durch eine Frage that, die er nach der bei den Grenzwohnern so beliebten Weise ganz indirekt hinstellte.

»Ihr fandet es nicht leicht, über die Wasser zu setzen, und so weit in die Steppen vorzudringen, Freund, mit Euren Gespannen und Hornviehheerden?«

»Ich hielt mich am linken Ufer des großen Flusses,« erwiederte der Auswanderer, »bis ich fand, daß er zu weit nach Norden führte, wo wir denn uns mitten durch machten, ohne viel einzubüßen. Das Weib verlor ein oder zwei Felle von der nächsten Schur, und die Mädchen haben eine Kuh weniger beim Melken. Seit der Zeit, haben wir uns tapfer gehalten, und fast jeden Tag über einen Bach eine Brücke geschlagen.«

»Ihr geht, scheint’s, immer weiter nach Westen, bis Ihr in ein Land kommt, das sich zur Ansiedelung besser eignet?«

»Bis ich eine Ursache, zu halten oder umzukehren, finde,« antwortete der Auswanderer kurz, stand auf und machte der Unterhaltung durch einen unzufriedenen Blick und durch sein schnelles Aufbrechen ein Ende. Seinem Beispiel folgte der Streifschütz und die übrige Gesellschaft, worauf die Wanderer, ohne viel Rücksicht auf die Gegenwart ihres Gastes zu nehmen, Vorbereitungen zur Nachtruhe zu treffen begannen. Einige kleine Lauben, oder vielmehr Hütten waren schon von Baumästen gebildet worden, Stücke von rauher Leinwand und Büffelhäute wurden ohne andere Rücksicht, als auf das Bedürfniß des Augenblicks mit einander vereinigt. Unter diese Bedachung begaben sich alsbald die Kinder mit ihrer Mutter, wo sie, es ist nicht bloß möglich, schnell alle in die Vergessenheit des Schlafs hinabsanken. Ehe aber die Männer die Ruhe suchen konnten, waren noch tausend kleine Geschäfte abzumachen, die Vertheidigungswerke mußten vervollständigt, das Feuer sorgfältig verwahrt, das Futter für ihr Vieh vermehrt und die Wache bestimmt werden, die in den nahen Stunden der Nacht den Zug schützen sollte.

Das erstere geschah, indem die Stämme von einigen Bäumen in die von den Wagen gelassenen Zwischenräume und auf die freien Stellen gelegt wurden, die sich zwischen den Wagen und dem Walde fanden, auf den, um in der Kriegssprache zu reden, das Lager sich stützte. Es war so auf den drei Seiten der Position eine Art spanischer Reuter. In diesen engen Schranken sammelten sich jetzt, mit Ausnahme dessen, was das Zelt enthielt, sowohl Menschen als Thiere; die letzteren fanden sich viel zu glücklich, ihre matten Glieder auszuruhen, als daß sie ihren kaum um etwas verständigeren Gefährten eine unnöthige Mühe gemacht hätten. Zwei der jungen Leute nahmen ihre Gewehre, schütteten neues Pulver darauf, untersuchten mit der größten Sorgfalt die Steine, und wandten sich dann, der eine zur äußersten Rechten, der andere zur Linken des Lagers, wo sie sich in den Schatten des Waldes stellten, aber so, daß Jeder seinen Theil der Steppe übersehen konnte.

Der Streifschütz, der die Streu des Auswanderers nicht hatte theilen wollen, trieb sich auf dem Platze herum, bis die ganze Anordnung zu Ende war; dann zog er sich, ohne erst Abschied zu nehmen, langsam von der Stelle zurück.

Es war jetzt um die erste Nachtwache; das blasse, zitternde, trügerische Licht des Neumonds spielte über die endlosen Wellen der Steppe, bestrich die Erhöhungen mit sparsamem Schein, und ließ das Zwischenland in tiefem Schatten. Gewöhnt an die Scenen der Einsamkeit, wie die gegenwärtige, ging der alte Mann, als er das Lager verließ, allein in die weite Wüste, wie ein kühnes Schiff seinen Haven verläßt, um sich dem unbegrenzten Feld des Meeres zu vertrauen. Er schien sich einige Zeit ohne Zweck, oder wenigstens ohne Bewußtsein, wohin ihn seine Glieder trügen, fortzubewegen; endlich, als er den Fuß einer der Anhöhen erreicht, kam er zum Stehen, und zum ersten Mal, seit er die Gruppe verlassen, die mit einer solchen Fluth von Betrachtungen und Rückerinnerungen sein Gemüth überfüllt hatte, ward der alte Mann seiner Lage sich bewußt. Er brachte die Flinte zur Erde, lehnte sich darauf, und stand wieder mehrere Minuten in tiefen Betrachtungen verloren, während der Hund sich ihm näherte, und sich fest zu seinen Füßen hinkauerte.

Ein tiefes, drohendes Murren des treuen Thiers brachte ihn erst aus seiner sinnenden Stellung.

»Was gibt’s, Hund?« sagte er, sah nieder zu seinem Begleiter, als spräche er mit einem, ihm an Verstand gleichen Wesen und sprach gerührt: »Was ist’s, Alter? Nun, Hektor, was schnupperst du denn jetzt? Es ist vorbei, du Armer, es geht nicht mehr; die Rehe, selbst die jüngsten, spielen vor unsern Augen, ohne sich um so zwei abgelebte Bursche zu kümmern, wie du und ich. Der Instinct sagt’s ihnen; sie haben gemerkt, wie wenig wir zu fürchten sind; ja, ja, sie haben’s bemerkt.«

Der Hund richtete den Kopf aufwärts, und antwortete auf die Rede seines Herrn, mit einem langen, klagenden Seufzer, der noch fortdauerte, nachdem er schon wieder sein Haupt in’s Gras gesteckt, als unterhalte er sich verständlich mit seinem Herrn, der so wohl die dumpfe Rede zu erklären wußte.

»Das ist offenbar eine Warnung, Hektor,« fuhr der Streifschütz fort, indem er seine Stimme zu den Tönen der Vorsicht herabdämpfte, und sorgsam um sich sah; »was gibt’s, Alter, was gibt’s?«

Aber der Hund hatte schon die Nase auf den Boden gelegt, und war still; er schien zu schlummern. Doch der scharfe, schnelle Blick seines Herrn fing bald den Schein von einer entfernten Gestalt auf, die bei dem täuschenden Licht auf eben der Anhöhe zu schweben schien, worauf er selbst stand. Jetzt wurden ihre Verhältnisse deutlicher und ein leichtes, weibliches Wesen schien zu zögern, als überlege sie, ob es klüglich sei, näher zu kommen. Obgleich man jetzt die Augen des Hundes im Mondschein glänzen sah, sie sich bald öffneten und wieder schlossen, gab er doch kein weiteres Zeichen von Unwillen.

»Komm näher, wir sind Freunde,« sagte der Streifschütz, und zählte so seinen alten Gefährten mit, so stark war das geheime Band, das sie vereinigte, »wir sind deine Freunde, keiner wird dir ‚was zu Leid thun.«

Ermuthigt durch den sanften Ausdruck seiner Stimme, und vielleicht durch ernstere Beweggründe getrieben, näherte sie sich, bis sie ihm zur Seite stand; da entdeckte der alte Mann, daß der Besuch das junge Mädchen war, mit welchem unter dem Namen »Ellen Wade« der Leser schon bekannt geworden ist.

»Ich dacht‘, Ihr wäret fort,« sprach sie, und sah furchtsam und ängstlich um sich; »sie sagten, Ihr wärt fort, und wir würden Euch nie wieder sehen; – ich glaubte nicht, daß Ihr es wäret.«

»Menschen sind in diesen leeren Feldern kein gewöhnlicher Gegenstand,« erwiederte der Streifschütz, »und ich hoffe doch, ich habe, obgleich ich so lange mit den Thieren der Wildniß verkehrt, noch nicht die Gestalt meines Geschlechtes verloren.«

»O, ich erkannte wohl, daß es ein Mensch war, und glaubte selbst den Seufzer des Hundes zu unterscheiden,« antwortete sie hastig, als wolle sie etwas erklären, ohne recht zu wissen, was? und stockte dann wieder, als fürchte sie, schon zu viel gesagt zu haben.«

»Ich sah keine Hunde in dem Zug Eures Vaters,« bemerkte der Streifschütz trocken.

»Vater?« rief das Mädchen gerührt aus; »ich habe keinen Vater, ja ich möchte fast sagen keinen Freund!« Der alte Mann wandte sich zu ihr mit einem Blick voll Freundlichkeit und Teilnahme, der fast noch mehr für ihn einnahm, als der gewöhnliche, aufrichtige, wohlwollende Ausdruck seines vom Wetter gepeitschten Antlitzes.

»Warum wagt Ihr Euch denn an einen Ort, den nur der Starke betreten sollte?« fragte er. »Wußtet Ihr nicht, daß Ihr bei’m Ueberschreiten des großen Flusses einen Freund hinter Euch ließet, der immer geneigt ist auf das Junge und Schwache, wie Ihr, zu sehen?«

»Von wem sprecht Ihr?«

»Vom Gesetz. – Es ist schlimm, es zu haben; aber ich meine manchmal, es sei noch schlimmer, wo es gar nicht zu finden ist. Ja, ja, Gesetze thun Noth, wenn für solche, denen Stärke und Weisheit nicht verliehen ist, Sorge getragen werden soll. Ich hoffe, junges Weib, wenn Ihr keinen Vater habt, habt Ihr zum wenigsten einen Bruder.«

Das Mädchen fühlte den schweigenden Vorwurf, der in dieser verdeckten Frage lag, und schwieg einen Augenblick verlegen. Doch als sie einen Blick geworfen auf die freundlichen, ernsten Züge ihres Gefährten, der sie immer mit Theilnahme ansah, erwiederte sie fest; und auf eine Art, die keinen Zweifel übrig ließ, daß sie seine Meinung verstanden:

»Behüte der Himmel, daß einer von denen, wie Ihr sie gesehen habt, ein Bruder von mir, oder sonst mir nahe und theuer sein sollte. Aber sagt mir, lebt Ihr denn wirklich allein in dieser wüsten Gegend, alter Mann; ist wirklich außer Euch Niemand hier?«

»Hunderte, ja Tausende von den rechtmäßigen Eigenthümern des Landes schweifen in diesen Ebenen herum; aber wenige von meiner Farbe.«

»Und seid Ihr denn Niemanden außer uns begegnet, der weiß war?« unterbrach ihn das Mädchen, als könne sie die zögernde Erklärung nicht erwarten, die sein Alter und seine Ueberlegung eben geben wollte.

»Nicht seit vielen Tagen – hsch, Hektor, hsch!« fügte er hinzu, als Antwort auf ein dumpfes und kaum hörbares Knurren seines Hundes. »Das Thier riecht Unheil. Die schwarzen Bären von den Bergen nehmen manchmal ihren Weg noch tiefer herunter als hierher. Der Bursche beklagt sich nicht leicht über harmloses Wild. Ich bin nicht mehr so flink und sicher mit meiner Flinte als sonst, aber damals habe ich auch die stolzesten Thiere der Steppe niedergedonnert; so brauchst du dich weiter nicht zu fürchten, Kind.«

Das Mädchen schlug die Augen empor, auf die besondere Art, wie es so oft von ihrem Geschlecht geschieht, wenn sie ihr Schauen damit beginnen, daß sie die Erde zu ihren Füßen untersuchen, und damit endigen, daß sie alles erfassen, was in den Kreis ihrer Sehkraft fällt; aber sie zeigte eher Ungeduld als ein Gefühl von Unruhe.

Ein kurzes Bellen vom Hund gab jedoch bald den Blicken beider eine neue Richtung, und dann ward die wahre Ursache seiner zweiten Warnung dunkel sichtbar.