Zwanzigstes Kapitel.

Zwanzigstes Kapitel.

»Willkommen, alter Pistol.«

Shakespeare.

 

Es dauerte nicht lange, und der Streifschütz zeigte ihnen den Anführer Mahtoree, als den Häuptling der Sioux. Dieser Befehlshaber, der am letzten der lauten Aufforderung Weucha’s gehorcht hatte, erreichte nicht sobald die Stelle, wo sein ganzer Haufen sich jetzt sammelte, als er sich von seinem Pferde stürzte und sich anschickte, mit jenem Grad von Würde und Aufmerksamkeit die sonderbare Spur zu erforschen, wie sie seiner hohen und geehrten Stellung zukam. Die Krieger, – denn es war nur zu augenscheinlich, daß sie zu jener furchtlosen und unbändigen Classe gehörten, – erwarteten mit geduldiger Zurückhaltung den Erfolg seines Forschens, und keiner als einige von den tapfersten nahm sich heraus, auch nur zu reden, während ihr Anführer so ernst beschäftigt war. Es dauerte mehrere Minuten, ehe Mahtoree sich zufrieden stellte. Er wandte dann seine Augen über den Boden nach jenen verschiedenen Stellen, wo Ismael dieselben empörenden Spuren des Wegs gefunden, den irgend ein blutiger Streit genommen haben mußte, und winkte seinem Volk, ihm zu folgen.

Die ganze Bande schritt zugleich nach dem Dickicht zu und machte einige Schritte von derselben Stelle Halt, wo Esther ihre trägen Söhne angereizt hatte, in das Gebüsch zu brechen. Der Leser wird sich leicht denken, daß der Streifschütz und seine Gefährten keine gleichgültigen Beobachter solch einer drohenden Bewegung waren. Der Alte rief Alle, welche im Stande waren, die Waffen zu tragen, zu sich und fragte in sehr bestimmten Ausdrücken, obwohl mit einer Stimme, die etwas gedämpft war, um den Ohren seiner gefährlichen Nachbarn zu entgehen, ob sie geneigt wären, für ihre Freiheit zu kämpfen, oder ob sie das sanftere Mittel der Unterhandlung versuchen wollten. Da dies eine Frage war, die für Alle gleiches Interesse hatte, legte er sie ihnen gleichsam wie einem Kriegsrath vor, und nicht ohne einige Spuren eines fast erloschenen Kriegerstolzes zu verrathen. Paul und der Doctor waren in ihrer Meinung einander schnurstracks entgegengesetzt; da der Erstere ohne Weiteres zu den Waffen zu greifen rieth, und der Andere mit Wärme die Klugheit friedlicher Maßregeln vertheidigte. Middleton, welcher sah, es sei ein heißer Wortstreit zwischen Beiden zu befürchten, da sie von so ganz entgegengesetzten Ansichten beherrscht wurden, hielt es für gut, das Amt eines Mittlers zu übernehmen, oder vielmehr die Frage zu entscheiden, da seine Lage ihn gewissermaßen zum Richter machte. Auch er neigte sich auf die Seite des Friedens; denn er sah deutlich, daß wegen der großen Uebermacht ihrer Feinde, Gewalt unabänderlich zu ihrem Untergang führen würde.

Der Streifschütz hörte auf die Gründe des jungen Soldaten mit großer Aufmerksamkeit, und da sie mit der Festigkeit eines Mannes dargelegt wurden, der sein Urtheil nicht durch Besorgnisse geblendet werden ließ, verfehlten sie nicht, den gehörigen Eindruck zu machen.

»Es ist vernünftig,« begann der Streifschütz wieder, als der Andere seine Gründe gesagt hatte, »es ist sehr vernünftig; denn was der Mensch durch seine Kraft nicht bewegen kann, muß er durch List umgehen. Die Vernunft macht ihn stärker als der Büffel, schneller als das Rennthier. Nun bleibt ihr hier stehen und haltet euch in der Nähe. Mein Leben und Gewerb ist nur wenig werth, wenn das Wohl so vieler Menschenseelen auf dem Spiel steht, und vorzüglich darf ich sagen, ich verstehe mich auf die Windungen der Indianerlist. Deßwegen will ich allein auf die Steppe gehen. Es kann sein, daß ich noch die Augen der Sioux von dieser Stelle abziehen und euch Zeit und Raum zum Fliehen geben kann.«

Gleichsam entschlossen, auf keine Vorstellung zu hören, schulterte der Alte ruhig die Büchse, ging gemächlich durch das Dickicht und trat heraus auf die Ebene, an einem Punct, wo er zuerst den Sioux in die Augen fallen konnte, ohne Verdacht zu erregen, daß er aus dem Versteck kam.

Sobald die Gestalt eines Mannes im Jägergewand und mit der wohlbekannten und sehr gefürchteten Büchse vor den Sioux erschien, entstand eine merkliche, wiewohl unterdrückte Bewegung in der Bande. Die List des Streifschützen war in so weit gelungen, als es außerordentlich zweifelhaft blieb, ob er von einem Punct in der offenen Ebene, oder aus dem Dickicht käme, obgleich die Indianer immer noch häufige und verdachtsvolle Blicke auf das Versteck warfen. Sie hatten auf Pfeilschußweite von den Büschen Halt gemacht; aber als der Streifschütz nahe genug kam, um sehen zu lassen, daß die tiefe Farbe Roth und Braun, die die Zeit und das Ausgesetztsein der Luft seinen Zügen gegeben hatte, auf der eigentlichen Farbe eines Blaßgesichts lag, wichen sie langsam von der Stelle zurück, bis sie eine Entfernung erreichten, die die Kraft der Feuerwaffe weniger unheilvoll machen könnte.

Indeß schritt der Alte immer vorwärts, bis er nah genug gekommen, um ohne Schwierigkeit gehört zu werden. Hier blieb er stehen, brachte die Büchse zur Erde und erhob zum Friedenszeichen die Hand, das Innere auswärts gekehrt. Nachdem er einige Worte als Verweis zu seinem Hund gemurmelt, der die wilde Gruppe mit Augen bewachte, die sie als die früheren Gefangenwärter seines Herrn zu erkennen schienen, begann er in der Sioux-Sprache »Meine Brüder sind willkommen,« sagte er und stellte sich listig als Herrn des Landes dar, in dem sie auf einander getroffen, und nahm die Pflichten der Gastfreundschaft auf sich. »Sie sind weit von ihren Dörfern und hungrig; wollen sie mir zu meinem Lager folgen und essen und schlafen?«

Nicht sobald ward seine Stimme gehört, als ein Freudenschrei, der aus einem Dutzend Kehlen kam, den scharfsichtigen Streifschützen überzeugte, daß auch er erkannt worden. Er sah ein, es sei zum Rückzuge zu spät, benutzte also die Verwirrung, welche unter ihnen herrschte, und schritt, während Weucha ihn beschrieb, vor, bis er wieder Angesicht zu Angesicht vor dem furchtbaren Mahtoree selbst stand. Die zweite Zusammenkunft zwischen diesen beiden Männern, von denen jeder in seiner Art etwas Ungewöhnliches hatte, zeichnete sich durch die gewöhnliche Vorsicht der Grenze aus. Sie standen fast einen Augenblick und sahen einander an, ohne zu sprechen.

»Wo sind Eure jungen Leute?« fragte ernst der Teton-Häuptling, als er gefunden, daß die unbeweglichen Züge des Streifschützen unter seinem einschüchternden Blick keine von ihres Herrn Geheimnisse verrathen wollten.

»Die Langmesser kommen nicht in Banden, um dem Biber Fallen zu stellen; ich bin allein.«

»Euer Haupt ist weiß, aber Eure Zunge ist spitzig. Mahtoree ist in Euerm Lager gewesen. Er weiß, daß Ihr nicht allein seid.

Wo ist Euer junges Weib und der Krieger, den ich auf der Steppe fand?«

»Ich hab‘ kein Weib. Ich hab‘ meinem Bruder gesagt, daß das Weib und ihr Freund Fremde sind. Die Worte eines grauen Hauptes sollten gehört und nicht vergessen werden. Die Dahcotah fanden Wanderer schlafen und dachten, sie brauchten nicht Pferde. Die Weiber und Kinder eines Blaßgesichts sind nicht gewohnt, weit zu Fuß zu gehen. Laßt sie suchen, wo Ihr sie ließet.«

Die Augen des Tetons sprühten Feuer, als er antwortete: »Sie sind fort, aber Mahtoree ist ein weiser Häuptling und seine Augen können weit sehen!«

»Sieht der Führer der Teton Leute auf diesen nackten Feldern?« entgegnete der Streifschütz mit großer Festigkeit. »Ich bin alt und meine Augen werden dunkel. Wo stehen sie?«

Der Häuptling blieb einen Augenblick stumm, als halte er es für erniedrigend, eine Thatsache länger zu bestreiten, über die er schon gewiß war. Dann deutete er auf die Spur am Boden und sagte mit einem plötzlichen Uebergang zur Milde in Aug und Haltung.

»Mein Vater hat in den vielen Wintern Weisheit gelernt, kann er mir sagen, wessen Stiefel diese Spur zurückgelassen?«

»Es sind Wölfe und Büffel auf den Steppen gewesen und auch an Cougar mag’s nicht gefehlt haben.«

Mahtoree warf sein Auge auf das Dickicht, als wenn er die letztere Vermuthung nicht für unmöglich hielte. Er deutete nach der Stelle und befahl seinen Leuten, sie sorgsamer zu untersuchen, während er sie zugleich mit einem ernsten Blick auf den Streifschützen ermahnte, sich vor der Verrätherei der Großmesser zu wahren. Drei oder vier halbnackte, eifrig aussehende Jünglinge ließen ihren Pferden auf sein Wort die Zügel schießen und eilten davon, seinem Befehl zu gehorchen. Der Alte zitterte etwas für die Klugheit Paul’s, als er diese Bewegung sah. Die Teton umkreisten zwei- oder dreimal die Stelle, sich jedesmal ihr mehr nähernd, und galoppirten dann zu ihrem Führer mit der Nachricht zurück, das Gehölz schien leer. Obgleich der Streifschütz Mahtoree’s Ange bewachte, um die innere Bewegung seines Gemüths zu entdecken, und wo möglich voraus zu vermuthen, um seinen Verdacht zu berichtigen, konnte doch die äußerste Anstrengung eines Mannes, der so lange die kalten Gewohnheiten der indianischen Race studirt hatte, kein Zeichen, keinen Ausdruck wahrnehmen, der verrieth, in wie weit er dieser Botschaft Glauben schenkte. Statt auf die Benachrichtigung seiner Spionen etwas zu erwiedern, sprach er freundlich zu seinem Pferd, winkte einem Jüngling, den Zaum oder vielmehr Halfter zu halten, woran er das Thier lenkte, nahm den Streifschütz bei’m Arm, und führte ihn etwas seitwärts von den Uebrigen der Bande.

»Ist mein Bruder ein Krieger gewesen?« sagte der listige Teton in einem Ton, der verbindlich sein sollte.

»Bedecken die Blätter die Bäume zur Zeit der Frucht! Geht. Die Dahcotah haben nicht so viele lebendige Krieger gesehen, als ich in ihrem Blut! Aber was hilft eitle Rückerinnerung,« fügte er auf Englisch hinzu, »wenn die Glieder steif werden und das Gesicht fehlt?«

Der Häuptling betrachtete ihn einen Moment mit ernstem Blick, als wollte er das Falsche aufdecken, das er gehört, aber als er im ruhigen Auge, in der festen Miene des Streifschützen eine Bestätigung der Wahrheit dessen fand, was er gesagt hatte, nahm er die Hand des Alten und legte sie leise auf sein Haupt, zum Zeichen der Ehrfurcht, die des andern Jahren und Erfahrung gebührte.

»Warum denn sagen die Großmesser ihren rothen Brüdern, sie sollten den Tomahawk begraben,« entgegnete er, wenn ihre jungen Leute nie vergessen, daß sie tapfer sind, wenn sie einander so oft mit blutiger Hand begegnen?«

»Meine Nation ist zahlreicher als die Büffel auf den Steppen oder die Tauben in der Luft. Ihre Streitigkeiten sind häufig, doch sind ihrer Krieger wenig. Niemand zieht uns auf den Weg des Kriegs als die, welche begabt sind mit den Eigenschaften eines Tapfern, und deßwegen sehen solche viele Schlachten.«

»So ist es nicht, – mein Vater irrt sich,« entgegnete Mahtoree, und überließ sich einem Lächeln vor Freude über seine Scharfsicht, während er zu gleicher Zeit die Stärke seiner Verneinung aus Ehrfurcht vor den Jahren und Diensten eines solchen Greises milderte. »Die Großmesser sind sehr weise, sind Männer, sie alle möchten Krieger sein, und die Rothhäute Wurzeln graben und Korn schneiden lassen. Aber ein Dahcotah ist nicht geboren, um wie ein Weib zu leben, er muß den Pawnee und Omahaw schlagen oder wird den Namen seiner Väter verlieren.«

»Der Herr des Lebens sieht mit offenem Auge auf seine Kinder, die in einer Schlacht fallen, die für das Recht gekämpft wird, aber er ist blind, und seine Ohren sind dem Geschrei des Indianers verschlossen, der getödtet wird, während er plünderte, und Uebel that seinem Nachbar.«

»Mein Vater ist alt,« sagte Mahtoree und sah auf seinen bejahrten Gefährten mit einem Ausdruck voll Hohn, der hinlänglich zeigte, daß er einer von jenen war, die die Schranken der Erziehung überschreiten und vielleicht ein wenig geneigt sind, die Geistesfreiheit zu mißbrauchen, die sie so erlangen. »Er ist sehr alt; hat er eine Reise gemacht in das ferne Land und ist in dem Gewirr gewesen, um zurückzukommen und den Jüngeren zu erzählen, was er gesehen?«

»Teton,« entgegnete der Streifschütz, und stieß den Kolben seiner Büchse mit wilder Wuth auf den Boden und betrachtete seinen Gefährten mit festem Ernst, »ich habe gehört, daß es Leute unter meinem Volke gibt, die ihre großen Arzneien studiren, bis sie sich für Götter halten, und die über jeden Glauben lachen, ihre eigene Eitelkeit ausgenommen. Es mag wahr sein; es ist wahr, denn ich habe sie gesehen. Wenn der Mensch in Städten und Schulen eingeschlossen ist mit seinen Thorheiten, mag es leicht sein, daß er sich für größer hält, als den Herrn des Lebens, aber ein Krieger, der in einem Hause lebt, dessen Dach die Wolken sind, wo er in jedem Augenblick beides, den Himmel und die Erde betrachten kann, und der täglich die Macht des großen Geistes sieht, der wird demüthiger sein. Ein Dahcotah-Häuptling muß zu weise sein, um über Gerechtigkeit zu lachen.«

Der listige Mahtoree, welcher sah, daß seine freie Denkungsart nicht leicht einen günstigen Eindruck auf den Alten machen möchte, veränderte sogleich den Gegenstand des Gesprächs, indem er auf den eigentlicheren Zweck ihrer Unterredung kam. Er legte dem Streifschützen freundlich die Hand auf die Schulter, und führte ihn weiter, bis sie beide fünfzig Fuß vom Rand des Dickichts standen. Hier heftete er seine forschenden Augen auf des Andern ehrliche Mienen, und fuhr fort:

»Wenn mein Vater seine jungen Leute im Gebüsch versteckt hat, so lasse er sie hervorkommen. Ihr seht, ein Dahcotah fürchtet sich nicht. Mahtoree ist ein großer Häuptling. Ein Krieger, dessen Haupt weiß ist, und der bald in das Land der Geister geht, kann nicht doppelzüngig sein wie eine Schlange.«

»Dahcotah, ich hab‘ keine Lüge gesagt. Seit der große Geist mich zum Mann gemacht, hab‘ ich in der Wildniß gelebt, oder in diesen nackten Steppen ohne Haus und Familie. Ich bin ein Jäger und geh‘ meinen Pfad allein!«

»Mein Vater hat einen guten Carabiner, Er richte ihn in’s Gebüsch und feuere.«

Der Alte zögerte einen Augenblick, und machte sich dann langsam bereit, um den gefährlichen Beweis von der Wahrheit seiner Rede zu geben, da er wohl einsah, seines listigen Gefährten Verdacht könne auf andere Weise nicht beschwichtigt werden. Als er seine Buchse richtete, eilte sein Auge, obwohl vom Alter sehr dunkel und geschwächt, über die wirre Menge der Dinge hin, die in dem bunten Laub des Dickichts verborgen lag, bis es die braune Decke eines kleinen Baumstamms gewahrte; diesen Gegenstand im Auge, schlug er die Büchse an und feuerte. Die Kugel hatte kaum den Lauf verlassen, als des Schützen Hand ein Zittern befiel, das, wenn es einen Augenblick früher gekommen, ihn gänzlich unfähig gemacht zu so gewagtem Beginnen. Ein schreckliches Schweigen von einem Augenblick folgte auf den Schuß, während dessen er das Geschrei der Weiber zu hören erwartete, und dann, als der Rauch im Wind wegwirbelte, erblickte er die zerschossene Rinde, und überzeugte sich, daß all seine frühere Geschicklichkeit ihn nicht ganz verlassen. Das Gewehr kam zu Boden und er wandte sich wieder mit einem Blick des größten Gleichmuths zum Wilden und fragte:

»Ist mein Bruder zufrieden?«

»Mahtoree ist ein Häuptling der Dahcotah,« entgegnete der listige Teton und legte die Hand auf die Brust, zum Zeichen, daß er des andern Aufrichtigkeit anerkenne. »Er weiß, daß ein Krieger, der an so vielen Rathsfeuern geraucht, bis sein Haupt weiß ward, nicht in schlechter Gesellschaft gefunden werden wird. Aber ritt nicht einst mein Vater ein Pferd, gleich einem reichen Häuptling der Blaßgesichter, statt wie ein hungriger Konza zu Fuß zu gehen?«

»Nie. Wahconda hat mir Beine gegeben und den Entschluß, sie zu gebrauchen. Sechzig Sommer und Winter zog ich in Amerika’s Wäldern herum, und dann haben traurige Jahre mich in diese Steppen gebracht, ohne daß ich nöthig gehabt, oft die Gaben der andern Geschöpfe des Herrn anzusprechen, um mich von Ort zu Ort zu bringen.«

»Wenn mein Vater so lange in den Schatten gelebt, warum ist er auf die Steppen gekommen? Die Sonne wird ihn brennen.«

Der Alte sah sich für einen Augenblick traurig um, und wandte sich dann mit einer Art von Zutrauen zum Andern, als er erwiederte:

»Ich brachte den Frühling, Sommer und Herbst des Lebens unter den Bäumen zu. Der Winter meiner Tage war gekommen, und fand mich, wo ich gern sein mochte, in der Ruhe, – ja und in der Ehrlichkeit der Wälder. Teton, damals schlief ich glücklich, wo mein Auge aufschauen konnte durch die Zweige der Tannen und Birken zur Wohnung des guten Geistes meines Volks. Wenn ich Noth hatte, mein Herz ihm zu öffnen, während seine Lichter über meinem Haupte brannten, fand ich, die Thüre offen und vor meinen Augen. Aber die Aexte der Holzfäller weckten mich. Lange Zeit hörten meine Ohren nichts als den Lärm der Anbauung. Ich ertrug es wie ein Krieger und Mann; ich hatte meine Ursache dazu, aber als diese Ursache nicht mehr da war, beschloß ich, diesen verfluchten Lärm zu meiden. Es war eine schwere Probe für meinen Muth und meine Gewohnheiten; aber ich hatte von diesen weiten, nackten Feldern gehört, und kam hierher, der zerstörenden Wuth meines Volks zu entgehen. Sagt mir, Dahcotah, hab‘ ich nicht wohl gethan?«

Der Streifschütz legte, als er endete, seine langen, dürren Finger auf die nackte Schulter des Indianers, und schien dessen Glücklichpreisen über seine Klugheit und seinen Erfolg mit einem rauhen Lächeln zu erwarten, worin sich seltsam Triumph mit Trauer mischte. Sein Gefährte hörte aufmerksam zu, und erwiederte auf die Frage, indem er in der seinem Stamme eigenthümlichen kurzen Weise sagte:

»Das Haupt meines Vaters ist sehr grau, er hat immer unter Menschen gelebt, und Alles gesehen. Was er thut ist gut, was er spricht ist weise. Nun laßt ihn sagen, ob er sicher mit den Langmessern unbekannt ist, die überall in den Steppen nach ihrem Vieh suchen und es nicht finden können.«

»Dahcotah, was ich gesagt, ist wahr. Ich leb‘ allein, und hab‘ nie zu schaffen mit den Leuten, deren Haut weiß ist, wenn – –«

Sein Mund schloß sich plötzlich durch eine Unterbrechung, die eben so niederschlagend als unerwartet war. Die Worte lagen noch auf seiner Zunge, als die Büsche auf der Seite des Dickichts, wo sie standen, sich öffneten, und die ganze Gesellschaft, die er eben verlassen und zu deren Gunsten er sich bemühte, seine Wahrheitsliebe mit der Nothwendigkeit zu täuschen, zu vereinigen, offen hervortrat. Eine Pause stummen Erstaunens folgte auf diesen überraschenden Anblick. Dann deutete Mahtoree, der durch nichts sein Verwundern und Staunen verrieth, das ihn wirklich befiel, auf die herankommenden Freunde des Streifschützen mit einer Art angenommener Höflichkeit und einem Lächeln, das sein stolzes, finsteres Gesicht erleuchtete, wie der Blick der untergehenden Sonne die Ungeheuern Massen und furchtbare Ladung der Wolke darstellt, die bis zum Bersten mit elektrischem Stoffe gefüllt ist. Doch hielt er es nicht für würdig zu reden, oder ein anderes Zeichen seines Plans zu geben, als daß er die ferne Bande zu sich rief, die auf seinen Befehl mit der Schnelligkeit ergebener Unterworfenen herbeisprangen.

Indeß schritten die Freunde des Alten immer voran. Middleton war der vorderste und führte die leichte, feenartige Gestalt der Inez, auf deren ängstliches, ausdrucksvolles Gesicht er zu Zeiten Blicke einer zarten Theilnahme warf, wie in ähnlichen Umständen sie ein Vater auf sein Kind richten würde. Paul geleitete Ellen dicht hinter ihnen. Aber, während das Auge des Bienenjägers seine blühende Gefährtin nicht versäumte, schaute es trotzig, und glich mehr dem Blick des finstern, fliehenden Bären, als dem sanften Ausdruck eines begünstigten Begleiters. Obed und der Esel kamen zuletzt, und jener führte diesen mit einem Grade von Güte, die kaum von einem Andern in der Gesellschaft übertroffen wurde. Der Gang des Naturforschers war weit weniger schnell als der jener, die ihm vorangingen. Sein Fuß schien gleich unwillig, vorzuschreiten als stehen zu bleiben, seine Lage hatte große Ähnlichkeit mit der von Mahomed’s Sarg, nur mit dem Unterschied, daß mehr die Repulsions- als Attractionskraft ihn im Stand der Ruhe hielt. Die Repulsivkraft hinter ihm schien jedoch vorzuherrschen, und nach einer sonderbaren Ausnahme, wie er selbst gesagt haben würde, von allen philosophischen Grundsätzen, schien sie durch Entfernung eher zu wachsen als abzunehmen. Da die Augen des Naturforschers standhaft eine Richtung behaupteten, die seinem Weg entgegengesetzt war, dienten sie dazu, denen der Beobachter aller dieser Bewegungen eine Richtung zu geben, und lieferten mit einem Mal einen guten Schlüssel, durch den man sich das Geheinmiß eines so plötzlichen Hervorbrechens aus dem Versteck öffnen konnte.

Ein zweiter Haufen stattlicher, bewaffneter Männer ward in nicht weiter Entfernung bemerkt, der eben um die Spitze des Gehölzes herumkam und gerade, jedoch vorsichtig, auf die Stelle zuging, wo die Bande der Sioux stand; so steht man oft eine Schwadron Kreuzer über die Weite der Wasser auf die reichen aber wohlgeschützten Handelsschiffe lossteuern. Kurz die Familie des Auswanderers oder wenigstens solche von ihr, die Waffen tragen konnten, erschienen auf der weiten Steppe, offenbar begierig ihre Schmach zu rächen.

Mahtoree und sein Haufen zog sich langsam vom Dickicht zurück, sobald er die Fremden ansichtig ward, und hielt auf einer Erhöhung, die eine weite und ungehinderte Aussicht auf die nackten Felder gewährte, auf denen sie standen. Hier schien der Dahcotah entschlossen, Posto zu fassen, und es zur Entscheidung kommen zu lassen. Trotz dieses Rückzugs, auf dem er den Streifschützen nöthigte, ihn zu begleiten, ging Middleton immer vorwärts, bis er auch auf derselben Anhöhe und in gehöriger Entfernung von den kriegerischen Sioux hielt. Die Grenzwohner nahmen ebenfalls eine günstige Stellung ein, obwohl in weit größerer Entfernung. Die drei Gruppen glichen jetzt eben so vielen Flotten auf der See, die die Segel am Mast in der lobenswerthen Absicht stille legen, zu erforschen, wen von den Fremden sie als Freund oder Feind betrachten sollten.

Während dieses augenblicklichen Aufschubs fuhr das schwarze drohende Auge Mahtoree’s von einem Haufen der Fremden zum andern, scharf und hastig beobachtend, und wandte dann seinen durchbohrenden Blick auf den Alten. Er sagte in hohem, bittern Unwillen:

»Die Langmesser sind Thoren! Es ist leichter den Cougar schlafend als einen blinden Dahcotah zu finden. Glaubten die Weißen, sie würden auf dem Pferd eines Sioux reiten?«

Der Streifschütz, welcher Zeit gefunden, seine verwirrten Seelenkräfte zu sammeln, sah sogleich, daß Middleton, als er Ismael auf der Spur bemerkte, auf der er geflohen, sich lieber der Gastfreundschaft der Wilden als der Behandlung hatte überlassen wollen, die er wahrscheinlich vom Auswanderer hätte erdulden müssen. Er entschloß sich daher, der Aufnahme seiner Freunde das Wort zu reden, da er fand, daß diese unnatürliche Vereinigung nöthig geworden, um das Leben, wenn nicht die Freiheit der Gesellschaft zu sichern.

»Machte mein Bruder sich je auf den Weg, um mein Volk zu schlagen?« fragte er ruhig den unwilligen Häuptling, der noch seine Antwort erwartete.

Der finstere Blick des Tetonkriegers verlor in so weit seine Strenge, als er einen Strahl von Lust und Triumph dessen Wildheit mäßigen ließ. Er bewegte seinen Arm in einem Zirkel und antwortete:

»Welcher Stamm und welche Nation hat nicht die Schläge der Dahcotah gefühlt? Mahtoree ist ihr Haupt.«

»Und hat er die Großmesser als Weiber gefunden, oder als Männer?«

Eine Menge wilder Leidenschaften schienen gegen einander in dem trotzigen Gesicht des Indianers zu kämpfen, als er diese Frage vernahm. Für einen Augenblick schien unauslöschlicher Haß die Oberhand zu behaupten, und dann bemeisterte sich ein edler Ausdruck, einer, der besser dem Charakter eines tapferen Kriegers angemessen war, seiner Züge, und behauptete sich, bis er sein leichtes Gewand von bemalter Rehhaut abwarf, und aus die Narbe eines Bayonnetstichs deutend antwortete:

»Es ward gegeben, wie es genommen ward, Angesicht zu Angesicht.«

»Es ist genug. Mein Bruder ist ein tapferer Häuptling, und sollte auch ein weiser sein. Möge er sehen. Ist das ein Krieger von den Blaßgesichtern? War es so einer, der dem großen Dahcotah die Wunde beibrachte?«

Die Augen Mahtoree’s folgten der Richtung der ausgestreckten Hand des Alten und fielen auf die zitternde Gestalt der Inez. Der Blick des Teton währte lang, war fest und bewundernd. Wie der des jungen Pawnee glich er mehr dem Staunen eines Sterblichen auf ein himmlisches Gebild als der Bewunderung, womit man selbst die Lieblichkeit einer Frau zu betrachten pflegt.

Auffahrend, als bemerke er plötzlich seine Selbstvergessenheit, wandte der Häuptling zunächst seine Augen auf Ellen, wo sie einen Augenblick mit einem weit merklicheren Ausdruck von Bewunderung verweilten, und dann ihren Lauf fortsetzten, bis sie nochmals jeden einzelnen der Gesellschaft betrachtet hatten.

»Mein Bruder sieht, daß meine Zunge nicht falsch ist,« fuhr der Streifschütz fort und bewachte die Bewegungen, die der Andere verrieth, mit einer Schnelligkeit der Auffassung, die der des Tetons selbst wenig nachgab. »Die Großmesser schicken ihre Weiber nicht in den Krieg. Ich weiß, der Dahcotah wird mit den Fremden rauchen.«

»Mahtoree ist ein großer Häuptling. Die Großmesser sind willkommen;« sagte der Teton und legte seine Hand mit einer Art nachläßiger Höflichkeit, die jeder Gesellschaft Ehre gemacht haben würde, auf die Brust. »Die Pfeile meiner jungen Leute sind in den Köchern.«

Der Streifschütz winkte Middleton, heranzukommen und in wenig Augenblicken waren die beiden Parteien vereinigt, nachdem jeder der Männer freundliche Grüße nach Art der Steppenkrieger gewechselt hatte. Aber selbst während sie auf diese gastfreundliche Weise beschäftigt waren, unterließ der Dahcotah nicht, ein strenges Auge auf die entferntere Gruppe der Weißen zu haben, als argwöhne er noch eine List, oder suche weitere Erklärung. Der Alte seinerseits sah die Nothwendigkeit ein, weitläufiger zu werden und den geringen, zweideutigen Vortheil sich zu sichern, den er schon erlangt hatte. Während er sich stellte, als untersuche er die Gruppe, die nah an der Stelle zögerte, wo sie zuerst Halt gemacht, gleichsam um den Charakter der Gegenüberstehenden zu entdecken, sah er deutlich, daß Ismael geradezu Feindseligkeiten bezwecke. Das Ergebniß eines Kampfes auf der offnen Steppe zwischen einem Dutzend entschlossener Grenzleute und den halbbewaffneten Eingebornen, selbst wenn sie von ihren weißen Verbündeten unterstützt würden, war nach seinem erfahrnen Urtheil ein sehr Ungewisser Punct, und obwohl weit entfernt, für seine eigene Person dem Kampf abgeneigt zu sein, hielt es doch der bejahrte Streifschütz für weit passender für seine Jahre und seinen Charakter, den Streit zu vermeiden, als ihn zu suchen. Seine Gefühle waren aus sehr naheliegenden Ursachen, mit denen Paul’s und Middletons in Uebereinstimmung, da diese noch weit kostbarere Leben als ihre eignen zu bewahren und zu schützen hatten.

In dieser Lage beratschlagten die drei über die Mittel, den schrecklichen Folgen zu entgehen, welche unmittelbar aus einem feindseligen Act der Grenzwohner hervorgehen mußten, und der Alte trug Sorge, daß ihre Unterredung in den Augen derer, welche den Ausdruck ihres Antlitzes mit eifersüchtiger Aufmerksamkeit bewachten, nur als Erklärung über die Ursache erschiene, die solch einen Haufen Reisender in die Steppen gebracht.

»Ich weiß, daß die Dahcotah ein weises und großes Volk sind;« begann endlich der Streifschütz und wandte sich wieder an den Häuptling, »aber kennt ihr Anführer keinen einzigen Bruder, der schlecht ist?«

Mahtoree’s Auge durchlief stolz seine Bande, aber ruhte einen Augenblick mit Widerwillen auf Weucha, als er antwortete:

»Der Herr des Lebens hat Häuptlinge gemacht und Krieger und Weiber, damit wollte er alle Stufen der menschlichen Herrlichkeit von der höchsten zur niedrigsten umfaßt wissen.«

»Und er hat auch Blaßgesichter gemacht, die schlecht sind? Das sind die, welche mein Bruder dort sieht.«

»Kommen sie zu Fuß, um Uebel zu thun?« fragte der Teton mit einem wilden Blick, der hinlänglich verrieth, wie gut er die Ursache wisse, warum sie so herabgekommen.

»Ihre Thiere sind fort, aber ihr Pulver und Blei und ihn Decken sind noch da.«

»Tragen sie ihren Reichthum in der Hand, wie die ärmsten Konza? Oder sind sie tapfer und lassen ihn bei den Weibern, wie Leute thun sollen, die wieder zu finden wissen, was sie verloren haben.«

»Mein Bruder sieht die blaue Stelle dort über der Steppe, seht, die Sonne hat sie zum letzten Mal für heute berührt.« »Mahtoree ist kein Maulwurf.«

»Es ist ein Felsen, und auf ihm ist die Habe der Großmesser.«

Ein Ausdruck wilder Freude schoß in das finstere Antlitz des Tetons, als er es hörte; er wandte sich zu dem Alten, als wolle er in seiner Seele lesen, und sich versichern, daß er nicht getäuscht würde. Dann richtete er seinen Blick auf Ismael’s Begleiter und zählte sie.

»Einer fehlt,« sagte er.

»Sieht mein Bruder die Krähen? Dort ist sein Grab. Fand er Blut auf der Steppe, es war seins.«

»Genug, Mahtoree ist ein weiser Häuptling. Setzt Eure Weiber auf der Dahcotah Pferde, wir werden sehen, unsere Augen sind weit offen.«

Der Streifschütz verlor keine unnöthigen Worte mit weiterer Erklärung. Bekannt mit der Kürze und Schnelligkeit der Eingebornen, theilte er sogleich das Ergebniß seinen Gefährten mit. Paul saß in einem Augenblick zu Pferde, Ellen mit ihm. Einige Augenblicke mehr waren nöthig, um Middleton von der Sicherheit und Bequemlichkeit der Inez zu versichern. Während er so beschäftigt war, trat Mahtoree an die Seite des Thieres, das er zu diesem Dienst bestimmt hatte und welches sein eigen war und zeigte seine Absicht, seinen gewöhnlichen Platz darauf einzunehmen. Der junge Soldat ergriff den Zügel des Pferdes und Blicke plötzlicher Wuth und hohen Stolzes wurden zwischen ihnen gewechselt.

»Niemand nimmt diesen Sitz ein, als ich selbst,« sagte Middleton streng auf Englisch.

»Mahtoree ist ein großer Häuptling,« entgegnete der Wilde, ohne nur den Sinn seiner Worte zu verstehen.

»Der Dahcotah wird zu spät kommen,« lispelte der Alte an seiner Seite; »seht, die Langmesser sind erschreckt und werden bald davon laufen.«

Der Teton-Häuptling gab sogleich seinen Anspruch auf, warf sich auf ein anderes Pferd, und wies einen seiner Leute an, für den Streifschützen auch eines herbeizuschaffen. Die Abgestiegenen setzten sich hinter ihren Gefährten auf. Doctor Battius bestieg den Esel, und trotz der kurzen Unterbrechung, war die Gesellschaft in halb der Zeit, die wir zum Erzählen gebraucht haben, bereit, aufzubrechen.

Als er sah, daß Alles geschehen, gab Mahtoree das Zeichen zum Abmarsch. Einige der Bestberittenen, mit dem Häuptling selbst, waren ein wenig voraus und machten eine drohende Demonstration, als wollten sie die Andern angreifen. Der Auswanderer, der in der That sich langsam zurückzog, machte sogleich Halt und bot willig die Spitze. Statt jedoch in den Bereich der gefährlichen Westflinte zu kommen, jagten die gewandten Wilden um die Fremdlinge herum, bis sie, die letztern in beständiger Erwartung eines Angriffs haltend, einen Halbkreis um sie beschrieben hatten. Dann der Erreichung ihres Zweckes gewiß, erhoben die Teton ein lautes Geschrei und schossen in gerader Linie über die Steppe auf den fernen Felsen los, so sicher und fast eben so schnell, wie ein Pfeil, der eben dem Bogen entflohen.

Eilftes Kapitel.

Eilftes Kapitel.

So schwüle Luft kühlt nur ein Wetter ab.

König Johann.

 

Indeß setzten die fleißigen, unwiederbringlichen Stunden ihre Arbeiten fort. Die Sonne, welche den ganzen Tag entlang durch große Massen von Gewölk sich durchgewunden hatte, trat endlich auf einen Strich klarer Luft heraus und sank von da glorreich In die prangenden Wüsten, wie sie sonst in die Wasser des Oceans sich hinabläßt. Die langen Heerden, welche auf den wilden Weiden der Steppe gegrast hatten, verschwanden allmählich, und die endlosen Schwärme der Wasservögel, die ihre gewöhnliche jährliche Reise von den jungen See’n des Norden nach dem Golf von Mexico fortsetzten, durchschnitten nicht mehr die Luft, welche sich jetzt angefüllt hatte mit Thau und Nebel. Kurz, die Schatten der Nacht fielen auf den Felsen und fügten zu den düstern Gegenständen des Orts noch den Mantel der Finsterniß.

Als der Esther das Licht zu mangeln begann, sammelte sie die jüngern Kinder um sich und setzte sich auf eine vorragende Spitze ihrer inselförmigen Feste, ruhig die Ankunft der Jäger erwartend. Ellen Wade saß nicht weit davon entfernt, als wolle sie einen geringen Zwischenraum zwischen sich und dem ängstlichen Zirkel lassen, um dadurch den Unterschied anzudeuten, der zwischen ihr und der übrigen Gesellschaft bestand.

»Euer Oheim ist und bleibt ein dummer Projectmacher, Nell,« bemerkte die Mutter nach einer langen Pause, die auf ein Gespräch über die Arbeiten des Tags eingetreten war; »im Rechnen und in Vorkehrungen ist benannter Ismael Busch ein armer Wicht. Da sitzt er faul auf dem Felsen von Morgen bis Abend; nichts macht er als Pläne, Pläne, Pläne, er und seine sieben edeln Söhne, so edel, wie je sie ein Weib dem Mann schenkte, und was ist von Allem das Ende? Die Nacht kommt, und sein großes Werk ist noch nicht fertig!«

»Es ist nicht klug, Tante, freilich nicht;« erwiederte Ellen in einem Ton von Zerstreuung, der zeigte, wie wenig sie wußte, was sie sagte; »und er gibt auch seinen Söhnen ein böses Beispiel.« –

»Hoho, Mädchen! Wer hat Euch zum Richter über Aeltere, ei, und die auch besser sind, als Ihr, gesetzt. Ich möchte doch den Mann auf der ganzen Grenze sehen, der seinen Kindern ein schöneres Beispiel gibt, als Ismael Busch. Zeigt mir, wenn Ihr könnt, Fräulein Fehlerfinder, aber nicht Fehlerverbesserer, einen Haufen Jungen, die in der Noth schneller einen Baum zur Wohnung fällen und ihn behauen, als meine Kinder, obgleich ich es selbst sage, ich, die vielleicht still sein sollte, – oder einen Mäher, der besser einen Haufen Schnitter durch ein Waizenfeld zu führen versteht und die Stoppeln gleicher hinter sich läßt, als mein guter Mann! Dann, als Vater ist er so großmüthig wie ein Herr; seine Söhne brauchen nur den Ort zu nennen, wo sie sich anbauen möchten, und er gibt ihnen die Pflanzung, ohne daß sie sich um den Ankauf zu kümmern brauchen.«

Als das Weib des Grenzwohners schloß, erhob sie ein hohles, höhnendes Gelächter, das in dem Munde verschiedener jungen Nachäffer nachhallte, die sie zu einem Leben heranzog, welches eben so unstet und gesetzlos als ihr eigenes, doch trotz seiner Unsicherheit nicht ohne versteckte Reize war.

»Holla, alte Esther,« ertönte die wohlbekannte Stimme ihres Gemahls von der Ebene unten herauf; »habt Ihr Eure Spiele vor, während wir zu Euch mit Wild und Büffel kommen! Herunter, herunter, altes Mädchen, mit deinen Jungen oben, steh‘ uns bei, das Fleisch hinaufzubringen; – ei, was ist denn das für eine Freude oben? Herunter, herunter; die Buben sind schon alle da, und wir haben hier Arbeit für noch einmal so viele Hände.«

Ismael hätte seine Lungen schonen können; mehr als die Hälfte seiner Anstrengung, um gehört zu werden, war unnöthig. Er hatte kaum den Namen seines Weibes gerufen, als der ganze zusammengekauerte Kreis sich erhob und, über einander fallend, sich den gefährlichen Gängen des Felsen mit unbedachtsamer Hast hinabstürzte. Esther folgte dem jungen Schwarm in mehr abgemessenem Schritt; auch hielt es Ellen nicht für gut oder vielmehr rathsam, zurückzubleiben. Folglich hatte sich bald der ganze Haufen an dem Fuß der Zitadelle in der Ebene versammelt.

Hier fand man den Grenzwohner fast niedergedrückt unter der Last eines schönen, fetten Bocks mit einem oder zwei seiner jüngern Söhne. Abiram erschien auch bald, und ehe einige Minuten vorüber waren, kamen die meisten andern Jäger, einzeln und in Paaren, jeder den Lohn seiner Geschicklichkeit auf der Jagd mit sich bringend.

»Die Ebene ist frei von Rothhäuten, heut Nacht wenigstens;« sagte Ismael, nachdem das Geräusch ihrer Ankunft ein wenig nachgelassen; »denn ich hab‘ die Steppe viele Meilen weit selbst durchforscht, und kann mich einen Kenner in den Fußtapfen eines Indianers nennen. So, Weib, könnt Ihr uns einige Stücke von dem Wildpret geben, und dann wollen wir auf unser Tagwerk schlafen.«

»Ich möchte nicht schwören, daß keine Wilden in unserer Nähe sind,« sagte Abiram. »Ich versteh‘ mich auch auf die Spur einer Rothhaut, und wenn meine Augen nicht etwas von ihrer Sehkraft verloren haben, möchte ich kecklich schwören, daß Indianer bei der Hand sind. Aber wartet, bis Asa kommt. Er ging über die Stelle, wo ich die Spuren fand, und der Junge versteht auch etwas von diesen Dingen.«

»Ach, der Junge versteht zu viel von manchen Dingen,« erwiederte Ismael finster; »es wäre besser für ihn, wenn er dächte, er verstünde weniger. Aber was thut’s, Hetty, wären auch alle Sioux-Stämme westlich vom großen Fluß nur eine Meile von uns; sie werden es nicht leicht finden, diesen Felsen zu ersteigen, den zehn kühne Männer vertheidigen.«

»Sagt zwölf gleich, Ismael, sagt zwölf,« rief seine mannhafte Gemahlin; »denn wenn Euer Mottensammler, Insectenjäger von Freund als ein Mann gerechnet wird, müßt Ihr mich gewiß für zwei zählen. Ich werd‘ ihm nicht nachstehen mit der Flinte oder dem Gewehr und was den Muth betrifft! – Das junge Kalb, das die schielenden Schelme von Teton gestohlen haben, war der Feigste von uns Allen, und nach ihm kam Euer blödsinniger Doctor. Ach, Ismael, Ihr geht selten einen regelmäßigen Handel ein, ohne dabei zu verlieren, und dieser Mann ist, behaupte ich, der dümmste Handel von allen! Könnt Ihr glauben, der Kerl wollte mir ein Pflaster um den Mund legen, weil ich Schmerzen im Fuß fühlte.«

»Es ist Schade, Esther,« antwortete ihr Gemahl trocken, »daß Ihr es nicht nahmt; ich denke, es hätte Euch sehr gut gethan. Aber, Jungen, es könnte gehen, wie Abiram meint, es könnten Indianer in der Nähe sein; wir müßten den Felsen hinauf, und unser Abendessen wäre hin. Deßwegen wollen wir das Wild in Sicherheit bringen, und über die Curen des Doctors sprechen, wenn wir nichts Besseres zu thun haben.«

Der Wink ward befolgt, und in wenig Minuten war die offene Stellung, worin sich die Familie gesammelt, mit der sicherern Höhe des Felsen vertauscht. Hier machte sich Esther an’s Werk, schaffte und zankte mit gleichem Eifer, bis das Mahl bereit war, wo sie dann den Gemahl mit eben so wohltönender Stimme zum Essen herbeirief, als der Imam, der die Gläubigen an ein wichtigeres Geschäft erinnert.

Als Jeder seinen gewöhnlichen Platz um das dampfende Fleisch eingenommen, gab der Grenzwohner das Zeichen, indem er sich an ein köstliches Wildpretstück machte, das wie der Bison-Rücken zubereitet worden, mit einer Geschicklichkeit, die seine natürlichen Vorzüge eher erhöhte als versteckte. Ein Maler hätte eifrig den Augenblick erfaßt, um die wilde, charakteristische Scene auf die Leinwand zu tragen.

Der Leser wird sich erinnern, daß Ismael’s Citadelle abgesondert, luftig, hoch und fast unzugänglich dastand. Ein helles, flammendes Feuer, das auf dem Mittelpunkt des Gipfels brannte, und um welches die geschäftige Gruppe gelagert war, gab ihm das Ansehn eines kleinen Leuchtthurms, der in dem Mittelpunkt der Wüsten aufgerichtet worden, um den Wanderern zu leuchten, die die weiten Steppen durchziehen möchten. Die sprühende Flamme erhellte ein verbranntes Antlitz nach dem andern, und zeigte jede Verschiedenheit des Ausdrucks, von der jugendlichen Einfachheit der Kinder, gemischt wie sie war mit einem Schatten der ihrem halb rohen Leben eignen Wildheit, bis zur stumpfen, unbeweglichen Ruhe, die in den Mienen des Grenzwohners lag, wenn er nicht gereizt ward. Manchmal ging ein Windstoß über die Glut, und dann wurde, da helleres Licht emporschoß, das kleine einsame Zelt gesehen, wie es aufgerichtet war in der düstern obern Luft. Alles unten war, wie es gewöhnlich ist zu dieser Stunde, in das undurchdringliche Gewand der Dunkelheit gehüllt.

»Es ist unbegreiflich, daß Asa noch zu solcher Zeit auswärts ist;« bemerkte Esther unmuthig. »Wenn alles zu End‘ und recht ist, hätte der Junge heraufkommen müssen, nach dem Essen verlangen? und hungrig wie ein Bär nach dem Winterschlaf. Sein Magen geht so richtig, wie die beste Uhr in Kentucky, und braucht selten aufgezogen zu werden; der geht bei Tag und Nacht. Asa ist ein verzweifelter Esser, wenn nach einer Arbeit er hungrig ist.«

Ismael musterte ernst den Kreis seiner stillen Söhne, als ob er sehen wolle, ob einer von ihnen etwas zu Gunsten des abwesenden Strafbaren zu sagen wagen würde. Aber jetzt, wo keine treibenden Ursachen da waren, ihre schlummernden Gemüther anzuregen, schien es zu große Anstrengung, sich auf die Vertheidigung ihres rebellischen Bruders einzulassen. Abiram jedoch, der seit der Friedenstiftung einen edlern Antheil an seinem frühern Gegner nahm oder zu nehmen vorgab, hielt es für schicklich, eine gewisse Aengstlichkeit an den Tag zu legen, der die andern fremd blieben.

»Es ist viel, wenn der Junge dem Teton entwischt ist,« murmelte er. »Es würde mir leid thun, wäre Asa, der kräftigste in unserm Zug, nach Herz und Hand, in die Gewalt der rothen Teufel gefallen.«

»Sorgt für Euch, Abiram, und spart Euern Athem, wenn Ihr ihn nur anwenden könnt, um das Weib und ihre zusammengekauerten Mädchen zu erschrecken. Ihr habt schon Ellens Antlitz ganz weiß gemacht; sie sieht so blaß aus, als da sie heute nach denselben Wilden schaute, die Ihr eben nennt, und wo ich genöthigt war, zu ihr durch die Flinte zu sprechen, weil ich ihre Ohren nicht mit meiner Zunge erreichen konnte. Wie kam das, Nell? Ihr habt noch gar nicht den Grund von Eurer Taubheit gesagt!«

Die Farbe auf Ellens Wange änderte sich eben so plötzlich, wie des Grenzwohners Gewehr bei der Gelegenheit geblitzt hatte, worauf er anspielte, und eine brennende Röthe überzog ihre Züge, so daß selbst der Hals sich in das Roth der Gesundheit kleidete. Sie senkte beschämt das Haupt, schien es aber nicht für nöthig zu halten, etwas zu erwiedern.

Ismael, zu träge, um den Gegenstand weiter zu verfolgen, oder mit der Anspielung, die er eben gemacht, zufrieden, erhob sich von seinem Sitz auf dem Felsen, streckte seine schwere Gestalt, wie ein wohlgenährter, gemästeter Stier, und äußerte sein Verlangen, schlafen zu gehen. Unter einer Race, die hauptsächlich lebte, um die Bedürfnisse des Leibes zu befriedigen, konnte eine solche Erklärung nur entsprechende Gefühle finden. Einer nach dem Andern verschwand, Jeder suchte sein rauhes Lager, und ehe einige Minuten vergingen, fand sich Esther, welche um diese Zeit die Kleineren in den Schlaf gezankt hatte, wenn wir die gewöhnliche Wache unten ausnehmen, im alleinigen Besitz des nackten Felsen.

Welche weniger edeln Früchte auch immer in diesem ungebildeten Weibe durch ihre wandernde Lebensart hervorgebracht worden, der Hauptcharakter der Frauennatur war zu tief gewurzelt, um je ganz ausgerottet zu werden. Von kräftiger, hitziger Gemüthsart waren ihre Leidenschaften heftig und schwer zu besänftigen. Aber wie sehr sie auch oft die gelegentlichen Vorrechte ihrer Lage mißbrauchen mochte, und wirklich mißbrauchte, die Liebe zu ihren Kindern, wenn sie oft schlummerte, konnte doch nie gänzlich erlöschen. Sie liebte nicht Asa’s verlängerte Abwesenheit. Zu furchtlos selbst, um einen Augenblick zu zögern, für ihre eigene Person den dunkeln Abgrund zu durchschreiten, in welchen sie jetzt mit erwartungsvollen Blicken starrend da saß, begann ihre geschäftige Phantasie, in Folge dieses unzerstörbaren Gefühls, namenlose Nebel für ihren Sohn herauf zu beschwören und sich auszumalen. Es konnte möglich sein, daß er, wie Abiram angedeutet, ein Gefangener eines der Stämme geworden, die in der Nähe auf die Büffel Jagd machten, oder daß selbst ein noch größeres Unglück ihn befallen. So fürchtete die Mutter, während Stille und Dunkel die geheimen Gefühle der Natur erhöhten und verstärkten.

Von diesen Gedanken bewegt, die den Schlaf fern hielten, blieb Esther auf ihrem Sitze und lauschte mit der Aufmerksamkeit, welche bei Thieren, wenige Stufen unter ihr in Geistesgaben, Instinct genannt wird, ob sie ein Geräusch vernehme, welches von nahenden Fußtritten herrühren könnte. Endlich schien es, als ob ihre Wünsche erfüllt werden sollten, denn die langersehnten Tritte wurden ganz vernehmlich hörbar, und alsbald unterschied sie die dunkle Gestalt eines Mannes am Fuße des Felsen.

»Nun, Asa, sehr verdienst du diese liebe Nacht auf bloßer Erde zuzubringen,« murmelte das Weib, in einem Sturm von Gefühlen, die denen nicht auffallend sein werden, welche die Widersprüche, die dem Gemüth des Menschen Abwechselung geben, zu ihrem Studium gemacht haben. »Und ich denke, selbst dein Bett sollte hart sein! Ei, Abner, Abner, schläfst du? Laß mich ja nicht sehen, daß du die Höhlung öffnest, ehe ich hinunter komme. Ich will sehen, wer eine ruhige, ja, und auch eine ehrliche Familie zu solcher Nachtzeit stören mag.«

»Weib!« rief eine Stimme, die trotzig sein sollte, während der, welchem sie angehörte, offenbar ein wenig wegen der Folgen fürchtete; »Weib, ich verbiete Euch bei Gesetzesstrafe, etwas von Euern höllischen Stücken herabzuwerfen. Ich bin ein Bürger und ein Landbesitzer, ein Graduirter von zwei Universitäten, und bin hier in meinem Recht. Hütet Euch vor vorsetzlicher Bosheit, vor zufälliger Verletzung und vor Todtschlag. – Ich bin es, Euer amicus, ein Freund und Genosse, – ich, der Doctor Obed Battius.«

»Wer!« fragte Esther, mit einer Stimme, die fast die Worte nicht bis zu den Ohren des Aengstlichen unten bringen konnte, mit dem sie sprach; »es wäre nicht Asa?«

»Nein, ich bin weder Asa, noch Absalon, noch sonst einer von den hebräischen Prinzen, sondern Obed, die Wurzel und der Stamm von ihnen allen. Sagt‘ ich nicht, Weib, daß Ihr hier Jemand warten lasset, der so viel Anspruch auf einen friedlichen und ehrenvollen Empfang hat. Haltet Ihr mich für ein Thier aus der Classe Amphibia, und meint, ich könnte mit meinen Lungen umgehen, wie der Grobschmidt mit seinen Blasbalgen.«

Der Naturforscher hätte wohl seinen Athem noch weit länger angestrengt, ohne die gewünschte Wirkung zu erreichen, wäre Esther seine einzige Zuhörerin gewesen. Getäuscht und beunruhigt, hatte schon das Weib ihr Lager gesucht, und schickte sich in einer Art verzweifelter Gleichgültigkeit an, schlafen zu gehen. Aber Abner, die Wache unten, war durch das Geschrei aus einer außerordentlich zweideutigen Lage aufgeschreckt worden, und ließ, als er hinlänglich zu sich selbst gekommen, um die Stimme des Doctors zu erkennen, diesen ohne weitern Verzug herein. Battius stolperte durch den engen Eingang mit ganz besonderer Ungeduld, und stieg schon der schwierigen Anhöhe hinauf, als er noch einen Blick aus den Pförtner warf, und stehen blieb, um mit einem Ton, der außerordentlich ermahnend sein sollte, noch zu bemerken:

»Abner, ich finde gefährliche Symptome von Schläfrigkeit an dir. Sie zeigt sich hinlänglich an deiner Neigung zum Gähnen, und könnte sehr gefährlich für dich und deines Vaters ganze Familie werden.«

»Nie wart Ihr in größerm Irrthum, Doctor,« erwiederte der Jüngling, und gähnte wie ein fauler Löwe, »ich habe kein Symptom, wie Ihr es nennt, nirgends an mir, und was den Vater und die Kinder betrifft, so denk‘ ich, haben die Pocken und Rötheln seit vielen Monaten hinlänglich unter uns ausgetobt.«

Zufrieden mit seiner kurzen Ermahnung, war schon der Naturforscher halb über die Hindernisse hinaus, welche die Anhöhe schützten, ehe der bedächtige Abner seine Rechtfertigung geendet hatte. Auf dem Gipfel dachte Obed gewiß Esther zu finden, von deren Geschicklichkeit in der Zunge er zu oft die stärksten Beweise erhalten hatte, und vor der er zu viel Ehrfurcht hegte, um eine Wiederholung ihrer Angriffe zu wünschen. Der Leser kann voraussehen, daß er angenehm überrascht werden sollte. Er trat leise auf und sah oft furchtsam über die Schulter in die Höhe, als fürchte er einen Schauer von oben, der aus etwas weit furchtbarerem als Worte bestehen möchte, und kam so glücklich an den Ort, der ihm bei der allgemeinen Austheilung der Lagerstätten angewiesen worden war.

Statt zu schlafen, saß der würdige Naturforscher sinnend über dem, was er während des Tags gehört und gesehen hatte, bis das Bewegen und Murmeln in Esther’s Cabinet, die sein nächster Nachbar war, ihn überzeugte, daß sie noch wache. Er sah die Nothwendigkeit ein, etwas zu thun, was diesen weiblichen Cerberus entwaffnen könnte, ehe er seinen Plan ausführen dürfe, und so fand sich der Doctor, so ungern er auch ihrer Zunge begegnete, gezwungen, sie zu einer Unterhaltung aufzufordern.

»Ihr scheint nicht zu schlafen, meine gütigste, würdigste Frau Busch,« sagte er, entschlossen, sein Anerbieten mit einem Pflaster zu eröffnen, das, wie er fand, gewöhnlich anschlug; »Ihr scheint übel zu ruhen, meine verehrte Wirthin; kann ich etwas gegen Euer Leiden anbieten?«

»Was würdet Ihr mir geben,« brummte Esther. »Ein beschmiertes Läppchen, um Schlaf zu bekommen!«

»Sagt lieber ein Cataplasma. Aber wenn Ihr Schmerzen habt, hier sind herrliche Tropfen, welche, in einem Glas von meinem Cognac genommen, Euch Ruhe verschaffen werden, oder ich müßte wenig von der materia medica verstehen.«

Der Doctor hatte, wie er wohl wußte, Esther an ihrer schwachen Seite angegriffen; und da er die Annahme seines Rezepts nicht bezweifelte, machte er sich ohne allen unnöthigen Aufschub an die Zubereitung. Sein Anerbieten ward auf eine barsche, drohende Art angenommen, aber mit einer Leichtigkeit verschlungen, die klar zeigte, wie sehr sein Patient es liebte. Das Weib murmelte Dank, und ihr Arzt setzte sich ruhig hin, die Wirkung der Dosis abzuwarten. In weniger als einer halben Stunde ward das Athmen der Esther so tief, und wie es der Doctor selbst nannte, so abstract, daß hätte er diesen neuen Anfall von Schlafsucht nicht der mächtigen Gabe Opium, womit er den Branntwein versetzt, zuschreiben müssen, er fast Ursache gehabt, in sein eigenes Rezept Mißtrauen zu setzen. Mit dem Schlaf des unruhigen Weibes ward die Stille tief und allgemein.

Nun hielt es Doctor Battius für sicher aufzustehen. Mit der leisen Vorsicht eines Nachtdiebs stahl er sich aus seinem Cabinet oder vielmehr Stall, denn es verdiente keinen bessern Namen, und ging nach den naheliegenden Schlafstätten. Hier versicherte er sich, daß all‘ seine Nachbarn in tiefen Schlaf begraben waren; dann von diesem wichtigen Umstand überzeugt, zögerte er nicht länger, sondern stieg die mühevolle Anhöhe hinaus, welche zu der obersten Spitze des Felsen führte. Sein Gang, obgleich außerordentlich vorsichtig, war doch nicht ganz geräuschlos, und als er sich eben Glück wünschte, daß er seinen Zweck erreicht hatte und seinen Fuß auf die höchste Spitze setzen wollte, hielt ihn eine Hand an dem Saum seines Kleides, welche so wirksam seinem Fortschreiten ein Ende machte, als wenn Ismael’s gigantische Stärke selbst ihn an dem Boden festhielt.

»Ist Jemand krank im Zelt,« lispelte eine sanfte Stimme ihm in’s Ohr, »daß Doctor Battius zu einer solchen Stunde seinen Besuch macht?«

Sobald das Herz des Naturforschers von seiner hastigen Expedition in seine Kehle zurückgekommen war, wie ein in dem Bau des Thiers weniger Unterrichteter, als Doctor Battius sich diese ungewöhnliche Stimmung, in welcher er bei der unerwarteten Unterbrechung sich befunden hatte, erklärt haben würde, fand er sich entschlossen genug zu antworten, aber sowohl aus Schreck als aus Klugheit mit eben so gedampfter Stimme.

»Meine würd’ge Nelly, ich freue mich außerordentlich, daß es Niemand anders ist als du. Hst, hst, Kind, erführ Ismael etwas von unsern Plänen, er würde uns beide von dem Felsen in die Ebene hinunterstürzen. Still, Nelly, still.«

Da der Doctor, während er diese Ermahnungen gab, immer weiter hinaufstieg, so fanden sich beide, als er geendet, auf dem obersten Punct des Felsen.

»Und nun, Doctor Battius,« fragte das Mädchen ernst, »darf ich jetzt die Ursache wissen, warum Ihr Euch dem Fall aussetzt, von diesem Ort ohne Flügel und mit unvermeidlicher Gefahr für Euren Hals herunterzusegeln?«

»Nichts soll dir verborgen bleiben, meine würdige, treue Nelly; aber seid Ihr sicher, daß Ismael nicht erwacht?«

»Fürchtet nichts von ihm, er wird schlafen, bis die Sonne seine Augenlieder trifft. Gefahr kommt von meiner Tante.«

»Esther schläft,« erwiederte der Doctor bedeutungsvoll. »Ellen, Ihr habt auf diesem Felsen heute Wache gestanden?«

»Es ward mir befohlen.«

»Und Ihr saht den Bison, die Antilope, den Wolf und das Reh, wie gewöhnlich; Thiere aus den Ordnungen: belluae, pecora und ferae.«

»Ich sah die Thiere, die Ihr in unsrer Sprache genannt habt, aber ich verstehe nichts von den indianischen Sprachen.«

»Es gibt auch eine Ordnung, die ich nicht genannt habe, die die Ihr auch gesehen habt. Die primates, ist’s nicht wahr?«

»Ich weiß nicht, ich kenn‘ kein Thier von diesem Namen.«

»Nun, Ellen, Ihr sprecht mit einem Freund. Von dem Geschlecht homo, Kind?«

»Was mir auch zu Gesicht gekommen sein mag, sicher sah ich nicht Vespertilio horribi –«

»Hsch, Nelly, dein Eifer wird uns verrathen. Sagt mir, Mädchen, saht Ihr nicht gewisse Zweifüßler, genannt Menschen, in den Steppen?«

»Freilich; mein Oheim und seine Söhne haben Büffel gejagt bis Sonnenuntergang.«

»Ich muß in der Landessprache reden, um verstanden zu werden; Ellen, ich wollte sagen, von der Species Kentucky.«

Obgleich Ellen wie die Rose erröthete, ward dies glücklicherweise durch die Dunkelheit verdeckt. Sie zögerte einen Augenblick und faßte sich dann hinlänglich, um bestimmt zu sagen:

»Wenn Ihr in Gleichnissen reden wollt, Doctor Battius, müßt Ihr Euch einen andern Zuhörer suchen. Legt mir Eure Fragen deutlich, in unserer Sprache vor, und ich will sie eben so treu beantworten.«

»Ich bin in dieser Wüste herumgezogen, Nelly, wie du weißt, um Thiere zu suchen, die sich bis jetzt vor dem Auge der Wissenschaft versteckt haben. Unter andern entdeckte ich einen Zweifüßler von dem Genus, homo; Species, Kentucky, den ich Paul nenne.«

»Hst, um’s Himmelswillen,« sagte Ellen, »sprecht leise, Doctor oder wir werden gehört.«

»Ja, Paul Hover, von Gewerb ein Sammler von apes oder Bienen,« fuhr der Andere fort. »Sprech ich jetzt verständlich, verstehst du es nun?«

»Vollkommen, vollkommen,« erwiederte das bestürzte Mädchen, das in ihrem Erstaunen kaum zu Athem kommen konnte. »Aber was ist mit ihm, hieß er Euch auf den Felsen steigen, – er weiß selbst nichts, denn ich schwur meinem Onkel, und so ist mein Mund verschlossen.«

»Ei, aber da ist einer, der hat keinen Eid geschworen, und hat alles entdeckt. Ich wünschte, der Schleier, der über die Geheimnisse der Natur gebreitet ist, wär‘ eben so gänzlich von ihren verborgnen Schätzen weggenommen. Ellen, Ellen, der Mann mit dem ich unkluger Weise ein compactum oder einen Vertrag geschlossen habe, ist außerordentlich vergessen in den Pflichten der Ehrlichkeit! Dein Oheim, Kind.«

»Ihr meint Ismael Busch, meines Vaters Bruders Wittwe Mann,« erwiederte das beleidigte Mädchen ein wenig stolz; »in der That, es ist grausam, mir ein Verwandtschaftsband vorzuwerfen, das der Zufall geknüpft hat, und das ich so gerne für immer zerreißen möchte.«

Die erniedrigte Ellen konnte nichts weiter hervorbringen, sondern sank auf einen Vorsprung des Felsen und schluchzte auf eine Art, die ihre Lage doppelt gefährlich machte. Der Doctor murmelte einige Worte, die eine Entschuldigung sein sollten, aber ehe er noch Zeit hatte, seine mühsame Rechtfertigung zu schließen, stand sie auf und sagte mit großer Entschlossenheit:

»Ich kam nicht hierher, um meine Zeit mit thörichten Thränen hinzubringen, noch Ihr, um sie zu stillen. Was hat Euch also hierher gebracht?«

»Ich muß den Bewohner dieses Zeltes sehen.«

»Ihr wißt, was es enthält?«

»Ich bin wohl geneigt, es zu glauben, und habe einen Brief, den ich selbst übergeben muß. Ist das Thier ein Quadruped, dann ist Ismael ein aufrichtiger Mann, ist es ein Biped, befiedert oder unbefiedert, dann kümmere ich mich um nichts; er ist falsch, und unser compactum ist zu Ende!«

Ellen gab dem Doctor ein Zeichen zu bleiben und stille zu sein. Dann schlüpfte sie in das Zelt und blieb mehrere Minuten, die für den Wartenden draußen außerordentlich unangenehm und voller Angst waren. Doch sie kehrte zurück, nahm ihn bei der Hand, und beide verschwanden zusammen hinter den Falten der geheimnißvollen Decke.

Erstes Kapitel.

Erstes Kapitel.

Ich bitt‘ dich, Schäfer, können gute Worte, Geld
In dieser Einöd‘ uns ein Unterkommen schaffen,
O führ‘ uns, daß wir ruh’n und etwas essen.

So wie es euch gefällt.

 

Viel ward zur Zeit gesprochen und geschrieben, ob es rathsam sei, die weitläufigen Landschaften von Louisiana mit dem schon unermeßlichen und nur halbbeherrschten Gebiet der Vereinigten Staaten zu verbinden. Als jedoch die Hitze des Streits nachgelassen, und eigennützige Betrachtungen freieren Ansichten Raum gegeben, wurde die Weisheit der Maßregel allgemein anerkannt. Es ward bald auch dem geringsten Scharfsinn einleuchtend, daß während die Natur unserer Ausdehnung nach Westen durch Wüsten Schranken gesetzt, diese Maßregel uns zu Herrn eines fruchtbaren Landstrichs gemacht hatte, welcher bei den täglichen Umwälzungen leicht Eigenthum einer eifersüchtigen Nation hätte werden können. Sie gab uns die ausschließliche Herrschaft über den inländischen Verkehr, und brachte die zahllosen Stämme, welche an unsern Grenzen lagerten, in gänzliche Abhängigkeit von uns; sie einigte widerstreitende Rechte und schwichtigte manche Furcht des Staats; sie öffnete tausend Wege dem Binnenhandel und der Schifffahrt auf dem stillen Meer; und wenn je Zeit oder Nothwendigkeit eine friedliche Theilung dieses ungeheueren Reichs erheischen sollte, sichert sie uns einen Nachbar, der Sprache, der Religion, Verfassung und man darf es hoffen, denselben Sinn für Staatsrechtspflege mit uns gemein hätte.

Obgleich der Kauf schon 1803 gemacht worden, kam doch der Frühling des folgenden Jahrs heran, ehe die Amtsbedächtigkeit des Spaniers, der diese Provinz für seinen Herrn in Europa verwaltete, die Autorität und Besitznahme der neuen Eigenthümer anerkannte. Aber den Formen der Uebergabe war nicht sobald Genüge geschehen, und die neue Herrschaft anerkannt, als Schwärme des rastlosen Volks, das sich immer an den Grenzen der amerikanischen Staatengesellschaft herumtreibt, sich in das Dickicht stürzten, welches das rechte Ufer des Mississippi umsäumte, – mit derselben sorglosen Kühnheit, die schon so viele von ihnen, in ihrer mühsamen Wanderung von den atlantischen Staaten nach den Ostküsten des »Vaters der Ströme« geleitet hatte.

Zeit konnte allein die zahlreichen und begüterten Colonisten der untern Provinz mit ihren neuen Landsleuten verschmelzen; aber die spärlichere und ärmere Bevölkerung oben ward fast alsbald in dem Strudel bei der Fluth drängender Wanderung mit fortgerissen. Dieser Einfall von Osten war ein neuer und plötzlicher Ausbruch eines Volkes, das vorübergehenden Zwang geduldet, nachdem es sich vorher durch Siege unwiderstehlich gemacht. Die Mühen und Unglücksfälle bei ihren früheren Unternehmungen waren vergessen, als diese endlosen und unerforschten Landschaften, mit all ihren wirklichen oder eingebildeten Vortheilen ihrem unternehmenden Geiste offen hingelegt wurden. Die Folgen waren so, wie sie leicht hätten vorausgesehen werden können, als ein so verführerisches Anerbieten einer Völkerschaft vorgehalten ward, die in Abenteuern auferzogen, in Mühseligkeiten aufgewachsen war.

Tausende von denen, die schon lange das, was damals »die neuen Staaten« genannt ward, bewohnt hatten, brachen auf, entrissen sich dem Genuß ihrer schwer erlangten Ruhe und zeigten sich an der Spitze langer Reihen von Abkömmlingen, die die Wildniß von Ohio und Kentucky geboren und auferzogen hatte, – zogen tiefer in’s Land, suchten, was ohne dichterische Ausschmückung ihre natürliche und angemessenere Atmosphäre genannt werden kann. Der ausgezeichnete und entschlossene Waldmann, der zuerst die Wildnisse des letztern Staates durchdrang, war unter ihnen. Diesen unerschrockenen, ehrwürdigen Stammvater sah man jetzt seinen letzten Rückzug machen, den »endlosen Strom« zwischen sich und die Menge setzen, die sein Erfolg um ihn gesammelt und nach Wiedererlangung eines Glückes streben, das, durch menschliche Einrichtungen eingeengt, für ihn werthlos war.

Bei dem Aussuchen solcher Abenteuer werden die Wanderer entweder von ihren früheren Gewohnheiten beherrscht oder von ihren geheimen Wünschen bethört. Einige wenige, von den Luftgebilden der Hoffnung geleitet, und gierig nach schnell zu erlangendem Reichthum, durchwühlten die Minen des jungen Landes, aber bei weitem der größere Theil der Ausgewanderten begnügte sich damit, sich an den Ufern der großen Wasser anzusiedeln, zufrieden mit der reichen Ausbeute, welche der dankbare angeschwemmte Boden der Ströme auch dem lässigsten Anbau nie verweigert. Auf diese Weise bildeten sich wie durch einen Zauber schnell Gemeinden, und die meisten von denen, welche Zeugen des Ankaufs des leeren Landes gewesen, sahen noch einen volkreichen, unabhängigen Staat sich bilden, abgesondert sich darstellen und seine Aufnahme in die Conföderation mit gleichen politischen Rechten bewerkstelligen.

Die Vorfälle und Auftritte, welche mit unserer gegenwärtigen Erzählung verknüpft sind, ereigneten sich in den ersten Zeiten der Unternehmungen, welche zu einem so schnellen und großen Ergebniß geführt haben. –

Die Ernte des ersten Jahres unseres Besitzes war längst vorüber, und die falben Blätter weniger zerstreut stehender Bäume zeigten schon die Farben und Schattirungen des Herbstes, als eine Reihe von Wagen aus dem Bette eines trockenen Baches hervorkam, um über die wellenförmige Oberfläche einer höckerigen Steppe ihren Zug fortzusetzen. Die Fuhrwerke, mit Hausgeräth und Werkzeugen des Ackerbaus beladen, die wenigen langsam sich fortschleppenden Schafe und Kühe, welche den Nachzug bildeten; das struppige Aussehen, die sorglose Miene der Männer, welche an der Seite ihrer saumseligen Gespanne hinschlenderten, – alles dies zusammengenommen zeigte, daß eine Bande Auswanderer auf dem Weg nach dem Eldorado ihrer Wünsche begriffen sei. Ganz dem gewöhnlichen Verfahren ihrer Kaste zuwider, hatte diese Rotte den fruchtbaren Boden des Unterlandes verlassen und durch Mittel, die nur solchen Abenteurern bekannt sind, ihren Weg durch Abgründe und Gießbäche, über tiefe Moräste und brennende Wüsten zu einer Gegend gefunden, die sich weit über die Grenzen menschlicher Wohnungen erhebt. Vor ihnen breiteten sich die weiten Ebenen aus, welche mit so wenig Abwechselung bis zum Fuß der Felsgebirge fortlausen, und viele traurige Meilen hinter ihnen schäumten die stürmischen, wilden Wasser des La Plata.

Die Erscheinung eines solchen Zugs in diesen nackten, einsamen Gründen ward dadurch noch auffallender, daß die Landschaft ringsum so wenig darbot, was die Lust eines unternehmenden Geistes reizen, und, wo möglich, noch weniger, was den Hoffnungen eines gewöhnlichen Auswanderers schmeicheln konnte. Die magern Gräser der Steppe sprachen nicht zu Gunsten eines harten, widerspenstigen Bodens, über welchen die Räder der Fuhrwerke so leicht hinrollten, als ob sie auf planer Heerstraße führen; weder Wagen noch Thiere ließen eine tiefere Spur hinter sich, als daß sie das welke, verbrannte Gras leicht zeichneten, das vom Vieh manchmal abgerissen, aber eben so oft wieder weggeworfen ward, – zu saueres Futter, als daß selbst ihr Hunger es ihnen hätte genießbar machen können.

Welches aber immer das letzte Ziel dieser Abenteurer sein mochte, oder die verborgenen Ursachen ihrer scheinbaren Ruhe in einer so entfernten, verlassenen Lage, kein Zeichen von Furcht oder Kummer verrieth Gesicht und Haltung auch nur eines einzigen von ihnen, Weiber und Kinder mit einbegriffen waren ihrer über zwanzig.

Etwas voran, an der Spitze des Ganzen zog ein Mann, der nach Haltung und Aeußerem der Führer der Schaar schien; er war schlank, von der Sonne verbrannt; über das mittlere Alter hinaus; sein stumpfes Ansehen, sein ausdrucksloses Gesicht zeigte eher alles andere als Reue über das Vergangene, aber Angst wegen der Zukunft. Sein Bau schien schlaff und hinfällig, war aber derb und ungewöhnlich stark! doch für Augenblicke nur, wenn ein unbedeutendes Hinderniß sich ihrem Zug entgegenstellte, entwickelte seine Gestalt, welche sonst so schmächtig und nervlos schien, etwas von der Kraft, die in seinem Organismus verborgen lag, wie die schlummernde, unbehülfliche, aber furchtbare Stärke im Belehnten. Die untern Züge seines Gesichts waren roh, breit und unbezeichnend, die obern, oder die edleren Theile, welche Ausdruck der Seele sein sollen, niedrig, zurücktretend und gemein.

Die Kleidung dieses Mannes bestand aus den groben Stücken eines Landmanns und den ledernen Bekleidungen, welche Sitte sowohl als Brauchbarkeit einem, auf solchen Zügen begriffenen Wanderer gewissermaßen nöthig gemacht hatte. Ueber diesen Anzug war übelgewählter Schmuck, ohne Geschmack reichlich angehängt. Statt des gewöhnlichen hirschledernen Gürtels trug er um den Leib eine verblichene seidene Schärpe, von den schillerndsten Farben; der hörnerne Griff eines Messers war verschwenderisch mit Silberplättchen belegt, der Pelz an seiner Mütze so fein und zart, daß eine Königin darnach hätte verlangen mögen; die Knöpfe seines groben, schmutzigen, wollenen Rocks waren von dem kostbaren Metall aus Mexiko; der Schaft seiner Flinte bestand aus schönem Mahagony, das durch eben solches Metall zusammengehalten und vereinigt ward. Zierrath und anderer Tand hing an drei werthlosen Uhren an verschiedenen Stellen an ihm herab. Außer dem Ranzen und Gewehr, welche, mit der wohlgefüllten Tasche und Pulverbüchse, sorgfältig verwahrt, um den Rücken geschlungen waren, hatte er nachlässig eine scharfe, blanke Holzart um die Schulter geworfen und trug das Gewicht des Ganzen mit soviel anscheinender Leichtigkeit, als ob er, die Glieder frei, ohne die geringste Last sich bewege.

Wenig hinter ihm kam ein Trupp junger Leute, von fast ganz gleicher Kleidung, die sich unter einander und ihrem Führer ähnlich genug waren, um sie für Kinder einer Familie zu halten. Konnte auch der jüngste von ihnen nicht weit über die Periode hinaus sein, welche im strengen Gesetzesstyl die Zeit des Verstandes genannt wird, so hatte er sich doch schon in so weit der Vorfahren würdig gezeigt, daß er seine anstrebende Figur bis zur Musterhöhe seines Stammes hinaufgebracht. Ein oder zwei andere waren noch unter ihnen, von etwas verschiedener Gestalt, deren Beschreibung jedoch dem Lauf der Erzählung aufbehalten werden muß.

Unter dem weiblichen Theil des Zuges fanden sich nur zwei, welche erwachsen waren, obgleich verschiedene weißgelockte, olivenfarbige Gesichtchen, die Augen voll Neugier und Leben, aus dem vordersten Wagen von Zeit zu Zeit hervortauchten. Die ältere von den zwei Erwachsenen war die bräunliche, alternde Mutter der meisten von ihnen, – die jüngere ein lebhaftes, tätiges Mädchen von achtzehn Jahren, das nach Gestalt, Kleidung und Miene einem um mehrere Stufen höherem Stande als alle ihre übrigen sichtbaren Gefährten anzugehören schien. Das zweite Fuhrwerk war mit einem Tuch so sorgfältig überspannt, daß es auch dem schärfsten Blick seinen Inhalt verbarg. Die übrigen Wagen waren nur mit solchen Gerätschaften und Effecten beladen, wie sie der zu besitzen pflegt, der in jedem Augenblick, ohne Rücksicht auf Jahreszeit und Entfernung, seinen Aufenthalt zu wechseln bereit ist.

Es fand sich wohl in diesem Zug und im Aeußern der Wanderer schon etwas, was man nicht täglich auf den Heerstraßen unseres veränderlichen und unsteten Landes zu sehen Gelegenheit hat. Aber der einsame und ganz eigene Schauplatz, auf dem sie so unerwartet auftraten, gab ihnen einen grellen Anstrich von Wildheit und Abenteuerlichkeit.

In den kleinen Thälern, welche bei der geregelten Bildung des Landes auf jeder Meile ihres Zuges sich zeigten, ward die Aussicht auf zwei Seiten von den allmächtig sich erhebenden unbedeutenden Anhöhen begrenzt, wovon die Art Steppen, die wir oben erwähnt, ihren Namen haben, während von den andern Seiten die Aussicht über lange, enge, dürre Fernen sich verbreitete, welche nur kärglich durch eine armselige Bekleidung mit einer struppigen, wiewohl manchmal üppigen Vegetation, sich aufzuputzen strebten. Von den Gipfeln dieser Anhöhen mochte das Auge nach allen Seiten sich richten, es ermüdete bei der Einförmigkeit und betrübenden Traurigkeit der Landschaft. Die Erde war dem Ocean nicht unähnlich, wenn seine rastlosen Wasser sich nur noch mit Mühe aufthürmen, nachdem die Kraft und Wuth des Sturmes angefangen sich zu mindern. Hier dieselbe wellenförmige, geregelte Fläche, dieselbe Abwesenheit aller fremdartigen Gegenstände, dieselbe grenzenlose Aussicht. In der That so auffallend war die Ähnlichkeit zwischen Wasser und Land, daß, mag auch der Geologe bei einer so einfachen Lehre lächeln, ein Dichter nothwendig hätte auf den Gedanken kommen müssen, die Bildung des einen sei nur durch die aufgehobene Herrschaft des andern vor sich gegangen. Hier und da ragte ein hoher Baum hervor und breitete seine nackten Aeste aus –, wie ein einsames Schiff; ja, um die Täuschung noch zu erhöhen, erschienen weit in der äußersten Entfernung zwei bis drei kreisförmige Dickichte, die im nebelichten Horizont wie Eilande im Schooße der Wasser schwammen. Man braucht den kundigen Leser nicht erst zu erinnern, daß die Einförmigkeit der Fläche, und der niedrige Standpunkt der Schauenden die Entfernungen vergrößerten, aber da immer noch Anhöhe auf Anhöhe erschien, Eiland auf Eiland sich zeigte, war dies eine entmuthigende Gewißheit, daß lange und scheinbar grenzenlose Landstriche noch zurückzulegen seien, ehe die Wünsche auch der bescheidensten Landbauer verwirklicht werden könnten.

Noch setzte der Führer der Auswanderer, nur von der Sonne geleitet, seinen Weg standhaft fort, wandte entschlossen den Wohnungen der Bildung den Rücken, und verwickelte sich mit jedem Schritt immer tiefer, wenn nicht ohne Rückkehr, in die Wohnungen der barbarischen, wilden Besitzer des Landes. Als aber der Tag sich immer mehr zu seinem Ende neigte, ward sein Gemüth, das vielleicht unfähig war, weiter zu berechnen und vorauszusehen, als was der Augenblick erheischte, in etwas durch die Sorge beunruhigt, wie er für die Bedürfnisse der kommenden Stunden der Finsterniß Rath schaffe.

Als er die Spitze einer Anhöhe, die etwas ansehnlicher als die gewöhnlichen war, erreicht hatte, stand er einen Augenblick, und warf die Blicke halb sehnsüchtig noch allen Seiten, um nach den wohlbekannten Zeichen zu spähen, welche eine Stelle verrathen könnten, wo die drei großen Erfordernisse, Wasser, Holz und Futter anzutreffen wären.

Es schien, als wenn dies Forschen fruchtlos gewesen, denn nach einigen Augenblicken kalter, gleichgültiger Untersuchung stieg seine hohe Gestalt die Anhöhe hinab, eben so lässig, wie ein überfüttertes Thier dem Drucke nach unten nachgibt.

Seinem Beispiel folgten schweigend, die hinter ihm gingen, aber erst nachdem sie mehr Aufmerksamkeit, wenn nicht Besorgniß, bei der kurzen Untersuchung verrathen, die jeder nach der Reihe anstellte, als er diesen Punkt der Aussicht erreicht. Es war jetzt aus dem langsamen Fortbewegen der Thiere und Menschen deutlich zu vermuthen, daß die Zeit der nöthigen Ruhe nicht mehr ferne sei. Die verwickelten Gräser des untern Landes boten Schwierigkeiten dar, welche Ermüdung gefährlich zu machen begann. Die Peitsche war mehrmals nöthig geworden, die zögernden Gespanne zum Ziehen anzutreiben. In diesem Augenblick, wo mit Ausnahme der Hauptperson allgemeine Ermüdung sich der Reisenden bemächtigt hatte, und jedes Auge, wie durch einen Trieb, sehnsuchtsvoll vorwärts gerichtet war, ward der ganze Trupp durch ein eben so plötzliches als unerwartetes Ereigniß zum Stehen gebracht.

Die Sonne war hinter dem Gipfel des nächsten Hügels hinabgesunken, und ließ auf ihrer Spur, wie sie pflegt, einen hellglänzenden Streifen zurück. In der Mitte dieser Lichtfluth erschien eine menschliche Gestalt, so deutlich auf den goldnen Grund hingegossen, als ob man sie mit der Hand erreichen könnte. Die Gestalt war colossal, die Stellung nachdenkend, traurig; und der Ort, den sie einnahm, gerade auf dem Weg der Reisenden. Aber eingehüllt in ihr glänzendes Lichtgewand, machte sie es unmöglich, mehr über die Verhältnisse der Glieder, über ihren Ausdruck zu entdecken.

Die Wirkung eines solchen Schauspiels war augenblicklich und ergreifend. Der Mann an der Spitze machte Halt und schaute nach dem geheimnißvollen Wesen mit einem stumpfen Antheil, der bald in eine Art abergläubischer Verehrung überging; seine Söhne stellten sich, sobald die erste Bewegung der Ueberraschung ein wenig nachgelassen, leise um ihn, und da diejenigen, welche die Gespanne führten, nach und nach ihrem Beispiel folgten, war der ganze Zug bald in eine schweigende, staunende Gruppe gesammelt. Aber obgleich der Eindruck einer übernatürlichen Macht sehr allgemein unter den Ziehenden war, wurde doch Waffengeräusch gehört, und einer oder zwei der kühnem Jünglinge nahmen ihre Gewehre vor, um zu jedem Dienst bereit zu sein.

»Schick die Jungen rechts,« rief das entschlossene Weib, die Mutter, mit einer scharfen, mißtönenden Stimme, »ich wette, Asa oder Abner werden uns nähere Auskunft über das Ding geben.«

»Es mag gut sein, die Flinte zu versuchen,« murmelte ein finsterer Mann, dessen Züge in Gestalt und Ausdruck keine geringe Aehnlichkeit mit dem Weibe hatten, das zuerst gesprochen, und der jetzt, während er diese entschlossene Meinung aussprach, das Gewehr los machte, und es geschickt an die Wangen brachte, »die Wolf-Pawnee, sagt man, jagen nur zu Hunderten in der Ebene, ists so, so werden sie einen Mann aus ihrem Stamm nicht vermissen.«

»Halt!« rief mit sanftem Ton, aber von Furcht geängstet eine weibliche Stimme, die augenscheinlich den zitternden Lippen der jüngeren der beiden Frauen angehörte, »wir sind nicht all beisammen, es könnt‘ ein Freund sein.«

»Wer rührt sich da?« fragte der Vater, und maß zu gleicher Zeit den Haufen seiner stattlichen Söhne mit einem unwilligen, trüben Auge. »Weg mit der Flinte, die Flinte weg,« fuhr er fort, und wies des andern Hülfe mit einem Riesenfinger zurück, mit dem Blick eines Menschen, dem nicht zu gehorchen gefährlich sein möchte. »Mein Werk ist noch nicht zu Ende, laßt mich das Uebrige, es ist so wenig, in Frieden beschließen.«

Der Mann, welcher eine so feindliche Absicht gezeigt, schien den andern zu verstehen, und ließ sich von seinem Vorhaben abwenden. Die Söhne richteten ihre Blicke fragend auf das Mädchen, das so eifrig gesprochen, um Ausklärung zu erhalten; aber sie, gleichsam zufrieden, für den Unbekannten Aufschub erlangt zu haben, war schon wieder auf ihren Sitz herabgesunken, und hüllte sich in ihr mädchenhaftes Schweigen.

Mittlerweile hatten sich die Farben am Himmel oft geändert; an die Stelle des Glanzes, der das Auge blendete, war ein blasseres, sanfteres Licht getreten, und je mehr der Untergang seine Pracht verlor, wurden die Verhältnisse der abenteuerlichen Gestalt weniger ungeheuer und endlich ganz deutlich. Der Führer, der sich schämte, länger zu zögern, nun, da die Wahrheit nicht länger zweifelhaft war, setzte seine Reise fort, und gebrauchte nur die Vorsicht beim Herabsteigen, daß er seine eigene Flinte vom Riemen los machte, um sie in eine zum schnellen Gebrauch bequemere Lage zu bringen.

Solche Wachsamkeit schien jedoch ziemlich unnöthig. Von dem Augenblick an, wo sie so unbegreiflich gleichsam zwischen Himmel und Erde erschienen, hatte die fremde Gestalt weder die geringste Bewegung gemacht, noch sonst ein Zeichen von Feindseligkeit gegeben. Hätte sie auch eine böse Absicht gehegt, sie schien, als sie nun völlig zu Gesicht kam, wenig im Stande, sie auszuführen.

Ein Körper, der die Beschwerden von mehr als achtzig Wintern getragen, war nicht geeignet, Furcht in so kräftigen Wanderern zu wecken. Aber ungeachtet seiner Jahre und einem Anschein von Abzehrung, wo nicht von Noth, lag in diesem einsamen Wesen etwas, was aussagte, Zeit, nicht Krankheit habe zu schwer auf ihm gelastet. Seine Gestalt war geschwunden, aber nicht verwüstet; die Sehnen und Nerven, welche einst große Kraft gezeigt, waren, obgleich eingeschrumpft, doch noch sichtbar; sein ganzes Aeußere hatte ein Ansehn von Abhärtung erlangt, welche, wäre nicht zu bekannt die Hinfälligkeit der Menschheit, die fernern Verwüstungen der Zeit hätten herausfordern mögen. Seine Kleidung bestand hauptsächlich aus Fellen, das Haar nach außen gewendet; ein Ranzen und Pulverhorn hing um seine Schultern; ein Gewehr von ungewöhnlicher Länge, das wie sein Eigenthümer Spuren eines langen und harten Dienstes trug, diente ihm zur Stütze.

Als der Zug sich diesem einsamen Wesen näherte und in eine Entfernung gekommen war, wo man sich einander verstehen konnte, tönte ein dumpfes Knurren aus dem Grase zu seinen Füßen herauf, und dann erhob sich ein hoher, magerer, zahnloser Hund schwerfällig von seinem Lager auf, schüttelte sich und machte Miene, als wolle er sich der Annäherung der Wanderer widersetzen.

»Weg, Hektor, weg!« rief sein Herr mit einer vor Alter etwas zitternden, hohlen Stimme; »was hast du, Alter, mit Leuten zu schaffen, die ihres Wegs ziehen?«

»Fremder, seid Ihr bekannt in dieser Gegend?« sagte der Führer der Auswanderer, »so zeigt einem Reisenden, wo er das Nothwendige für diese Nacht finden kann.«

»Ist das Land auf der andern Seite des großen Flusses schon voll?« fragte der alte Mann feierlich, ohne auf die Rede des andern zu achten; »oder warum sehe ich, was ich nie wieder zu schauen gedachte?«

»Es ist freilich noch Land übrig für die, welche Geld haben und in ihrer Wahl nicht eigensinnig sind,« erwiederte der Auswanderer; »aber für mich ist Alles schon überfüllt. Wie weit rechnet man wohl von hier bis zum nächsten Punkt am Hauptstrom?«

»Ein gejagtes Reh könnte seine Seiten im Mississippi nicht erfrischen, ohne einen Lauf von fünfhundert langen Meilen.«

»Und wie nennt Ihr die Gegend hier ringsum?«

»Wie nennt Ihr,« erwiederte der alte Mann und zeigte bedeutungsvoll aufwärts, »die Stelle, wo Ihr jene Wolke seht?«

Der Auswanderer sah den Andern an, als ob er den Sinn der Rede nicht gefaßt und halb argwöhnte, zum Besten gehalten zu werden; aber er begnügte sich, zu sagen:

»Ihr seid, denke ich, nur ein neuer Bewohner, wie ich, Fremder, sonst würdet Ihr Euch nicht weigern, einem Wanderer mit Euerm Rath einen Beistand zu leisten, der Euch so wenig kostet, da es nur ein Geschenk in Worten ist.«

»Es ist kein Geschenk, sondern eine Schuld, die der Aeltere dem Jüngeren abtragen muß; was wünscht Ihr zu wissen?«

»Wo ich die Nacht lagern könnte. Ich mach‘ nicht viele Schwierigkeit wegen Bett und Lager; aber alle alten Wanderer, wie ich, kennen den Werth guten Wassers und Futters für’s Vieh.« »So kommt denn mit, und Ihr sollt Beides finden; doch kann ich wenig mehr auf dieser öden Steppe Euch bieten.«

Während der Alte noch sprach, hob er sein schweres Gewehr mit einer Leichtigkeit auf die Schulter, die selten bei seinen Jahren und seinem Aussehn gefunden wird, und führte sie ohne weitere Worte den Weg über die Anhöhe in die anstoßende Niederung.

Zehntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

»Geh‘ auf die Seite, Adam, und du kannst dann hören,
Wie sehr er mich bestürmen wird.«

So wie es euch gefällt.

 

Es ist bekannt, daß selbst lange vorher, ehe die unbegrenzten Landschaften von Louisiana ihren Herrn zum zweiten, und, wie man hoffen darf, zum letzten Mal vertauschten, sein ungeschütztes Gebiet gar nicht vor den Einfällen weißer Abenteurer sicher war. Die halbwilden Jäger aus den Canada, dieselbe Menschenrasse, ein wenig mehr gebildet, aus den Staaten, und die Mestizen oder Gemischten, welche zu den Weißen gezählt sein wollten, lebten unter den verschiedenen indischen Stämmen zerstreut, oder suchten in der Einöde, unter den Schlupfwinkeln der Biber und Bison, oder, um dem Landessprachgebrauch zu folgen, – der Büffel kärglichen Unterhalt.

So war es also nicht ungewöhnlich, daß Fremde einander in den endlosen Wüsten des Westen begegneten. An Zeichen, die ein ungeübtes Auge unbemerkt gelassen hatte, erkannten diese Grenzwohner, wenn einer ihrer Gefährten nahe war, und so vermieden oder suchten sie den Ankömmling, je nachdem es mit ihren Gefühlen oder Vortheilen übereinstimmte. Zum öftersten waren diese Besuche friedlich, denn die Weißen hatten einen gemeinsamen Feind in den alten und vielleicht rechtmäßigern Bewohnern des Landes zu fürchten; aber auch die Fälle waren gar nicht selten, wo Eifersucht und Gier sie trieben, sich in Ausbrüchen der größten Gewaltthätigkeit und gefühllosesten Verrätherei zu trennen. Das Begegnen zweier Jäger in der amerikanischen Wüste, wie wir manchmal diese Gegend zu nennen belieben, hatte folglich immer etwas von der verdachtvollen und vorsichtigen Art, womit zwei Schiffe in einer See zusammenkommen, von der man weiß, daß sie von Seeräubern unsicher gemacht wird. Während kein Theil durch ein Zeichen von Mißtrauen seine Schwäche verrathen will, ist auch keiner geneigt, durch ein zutrauliches Benehmen, das dann nicht so leicht wieder abgestellt wird, sich in Gefahr zu bringen.

Von dieser Art war auch gewissermaßen die gegenwärtige Zusammenkunft. Der Fremde näherte sich vorsichtig, und hielt sein Auge standhaft auf alle Bewegungen des andern Theils gerichtet, während er vorsätzlich kleine Hindernisse sich schuf, um ein Nahekommen zu verzögern, das vielleicht zu schnell sein möchte. Auf der andern Seite spielte Paul mit dem Schloß seiner Flinte, zu stolz, als daß er merken lassen sollte, drei Männer könnten die geringste Furcht vor einem einzelnen zeigen, und doch zu vorsichtig, ganz die gewöhnlichen Vorkehrungen zu versäumen. Die Hauptursache von dem auffallenden Unterschied, womit die zwei gesetzmäßigen Theilnehmer an der Mahlzeit ihre Gäste empfingen, mußte man in der gänzlichen Verschiedenheit ihres respectiven Aeußern suchen.

Während das Ansehen des Naturforschers ausgezeichnet friedlich, um nicht zu sagen, zerstreut schien, drückte das des neuen Ankömmlings eine Kraft aus, zeigte eine Stirn und einen Schritt, die man leicht für militärisch hätte halten mögen. Er trug eine Commiskappe von feinem, blauem Tuch, an der eine schmutzige goldene Quaste herabhing; die Mütze selbst verlor sich fast ganz in der Masse des reichen, lockigen, pechschwarzen Haars. Um den Hals hatte er nachlässig ein schwarzes seidenes Tuch herumgewunden; im Uebrigen war er in ein Jägergewand gekleidet, das mit gelben Franzen und andern Zierrathen besetzt war, wie man es manchmal unter den Grenztruppen der Conföderation sah. Unter diesem Kleid ward jedoch das Koller und die Umschläge einer Jacke von derselben Farbe und aus demselben Stoff, wie die Mütze, sichtbar. Seine untern Gliedern wurden durch Strümpfe von Bockleder und seine Füße durch gewöhnlichen indischen Moccasins geschützt. Ein reich geschmückter und außerordentlich gefährlicher langer Dolch steckte in einem Gürtel von roth seidener Nesselarbeit; ein anderer Gürtel oder vielmehr Bund von ungefärbtem Leder enthielt in wohlangepaßten Halftern kleine Pistolen; und um seine Schultern hatte er ein kurzes, schweres Soldatengewehr geworfen; sein Pulverhorn und seine Taschen nahmen ihre gewöhnliche Stelle zur Seite unter seinem Arm ein. Auf dem Rücken trug er einen Schnappsack, mit den wohlbekannten Anfangsbuchstaben, die der Verwaltung der Vereinten Staaten ( United States) seitdem den witzigen und lieben Namen UncIe Sam (Onkel Sam) verschafft haben.

»Ich komm‘ als Freund,« sagte der Fremde und schien zu sehr an den Anblick der Waffen gewöhnt, um sich über die lächerlich kriegerische Stellung, die Doctor Battius hatte annehmen wollen, zu entsetzen. »Ich komm‘ als Freund, dessen Streben und Wünsche mit Euren nicht in Streit gerathen werden.«

»Hört, Fremder,« sagte Paul Hover barsch, »versteht Ihr einen Schwarm von dieser offenen Stelle bis in einen Wald, entfernt vielleicht ein Dutzend Meilen zu verfolgen.«

»Die Biene ist ein Vogel, dem ich nie nachzugehen gedachte,« erwiederte der Andere lachend, »obwohl ich zu meiner Zeit auch so etwas von einem Vogeljäger war.«

»Das meint‘ ich auch,« rief Paul, und streckte offen die Hand aus, ganz mit der wahren Freimüthigkeit, die den amerikanischen Grenzwohner auszeichnet. »Gebt die Hand. Ihr und ich, wir werden uns nie um die Scheiben zanken, da Ihr Euch so wenig aus dem Honig macht. Und nun, wenn Euer Magen noch einen leeren Platz hat, und Ihr einen klaren Thautropfen, der Euch in’s Maul fällt, zu benutzen wißt, so liegt dort ein herrlicher Bissen, den Ihr hineinstecken könnt. Versucht’s, Fremder, und wenn Ihr’s versucht habt, und es nicht ein so köstliches Stückchen nennt, wie Ihr je, seit – wie lange verließt Ihr die Ansiedelungen?«

»Seit vielen Wochen, und ich fürchte, es kann noch einmal so lang dauern, bis ich wieder hinkomme. – Ich nehme übrigens Eure Einladung gerne an, denn ich habe seit Sonnenaufgang gestern gefastet und kenne zu wohl die Vortrefflichkeit eines Bisonrücken, um das Essen auszuschlagen.«

»Ah, Ihr kennt das Gericht! Nun darin hättet Ihr freilich noch vor einem Augenblick etwas vor mir vorausgehabt, wiewohl ich jetzt denken sollte, wir ständen uns gleich. Ich wär‘ in der That der glücklichste Bursche zwischen Kentucky und den Felsengebirgen, wenn ich nur eine kleine Hütte an einem alten Wald mit hohlen Bäumen hätte, so einen Bisonrücken jeden Tag zum Mittagessen, eine Last frisches Stroh für die Bienen und klein El – –«

»Klein, was?« fragte der Fremde, dem der gesprächige und offene Bienenjäger zu gefallen schien.

»Etwas, das ich eines Tags haben werde, und das Niemand so sehr betrifft als mich,« erwiederte Paul, und pickte an seinem Flintenstein, während er sehr kriegerisch ein an den Wassern des Mississippi gewöhnliches Lied pfiff.

Unter diesem einleitenden Gespräch hatte der Fremde seinen Sitz vor dem Bisonrücken eingenommen, und machte schon einen ernsthaften Angriff auf die Ueberbleibsel. Doctor Battius jedoch beobachtete seine Bewegungen mit einer Eifersucht, die noch weit auffallender, als die herzliche Aufnahme des offenen Paul war.

Aber die Zweifel oder vielmehr Besorgnisse des Naturforschers waren von ganz anderer Art, als das Zutrauen des Bienenjägers. Er hatte sich darüber erstaunt, daß der Fremde den rechten Namen statt des falschen von dem Thier gebrauchte, welches jetzt seine Mahlzeit ausmachte, und da er selbst einer der ersten gewesen war, welche die Wegräumung der Hindernisse benutzten, die die spanische Politik der Erforschung ihrer transatlantischen Besitzungen in den Weg gelegt, (mochte sie Handelsabsichten, oder, wie dies bei ihm der Fall war, die löblichern Zwecke der Wissenschaft betreffen,) so hatte er Einsicht genug, zu fühlen, daß dieselben Beweggründe, die ihn so mächtig zu seiner gegenwärtigen Unternehmung getrieben hatten, eine gleiche Wirkung auf das Gemüth anderer Freunde der Natur haben könnten. Er sah also hier eine beunruhigende Rivalität voraus, welche ganz das Aussehen hatte, als ob sie ihn wenigstens der Hälfte des gerechten Lohns seiner Arbeiten, Entsagungen und Gefahren berauben wollte. Betrachtet man seinen Charakter also von dieser Seite, so ist es gar nicht zu verwundern, wenn die Milde der Gemüthsart des Naturforschers ein wenig getrübt ward, und er das Verhalten des Andern mit der Aufmerksamkeit bewachte, die er für nöthig hielt, um seine feindlichen Pläne zu entdecken.

»Das ist in Wahrheit ein herrliches Essen,« bemerkte der sorglose, junge Fremde, denn auf beides, Jugend und Schönheit mochte er wohl Anspruch machen; »entweder hat mein Hunger dem Fleisch eine besondere Schmackhaftigkeit gegeben, oder der Bison kann sich mit den herrlichsten des Ochsengeschlechts vergleichen!«

»Die Naturforscher, Herr, wenn sie vertraulich sprechen, geben wohl der Kuh den Vorzug, nach ihr das Genus zu benennen«, sagte Doctor Battius und räusperte sich, ehe er sprach, ganz so, wie ein Zweikämpfer die Spitze der Waffe untersucht, die er dem Gegner in den Leib rennen will. »Ihre Gestalt ist vollkommner, auch ist der bos, d. h, Ochse, nicht im Stande die Art fortzupflanzen; während der b os im weitesten Sinn oder die vacca immer das edlere Thier von den beiden ist.«

Der Doctor sprach diese Meinung mit einer Miene aus, die seine Bereitwilligkeit ausdrücken sollte, alsbald auf einen der zahlreichen Streitpunkte überzugehen, die, wie er nicht zweifelte, zwischen ihnen bestünden; und so wartete er auf den Schlag seines Gegenkämpfers, worauf denn sein nächster Hieb noch kräftiger sein sollte. Aber der junge Fremde schien weit mehr geneigt, an dem guten Essen Theil zu nehmen, womit er so gelegen versehen worden, als den Handschuh zum Streit über Einen oder den Andern der verwickelten Puncte aufzuheben, welche so geeignet sind, dem Liebhaber der Wissenschaft Stoff zu einem gelehrten Lanzenbrechen zu geben.

»Ich glaube wohl, Ihr habt ganz Recht,« erwiederte er mit der empörendsten Gleichgültigkeit in Hinsicht der Wichtigkeit des Zugestandenen. »Ich glaube, Ihr habt ganz Recht, und vacca würde das bessere Wort gewesen sein.«

»Verzeiht mir, Herr, Ihr gebt meiner Sprache einen falschen Sinn, wenn Ihr meint, ich brächte, ohne viele und ganz besondere nähere Bestimmungen den bubulus americanus in die Familie vacca. Denn, wie Ihr wohl wißt, Herr, – oder wie ich lieber hätte sagen sollen, Doctor – Ihr habt doch ohne Zweifel das medizinische Diplom?« –

»Ihr schreibt mir da eine Ehre zu, worauf ich keinen Anspruch mache,« unterbrach der Andere.

»Einen untern Grad also! – oder vielleicht habt Ihr in einer andern freien Kunst promovirt?«

»Noch weit schlimmer, versichere Euch.«

»Ihr habt Euch aber doch gewiß nicht, junger Mann, in dies wichtige – ich möchte sagen feierliches Unternehmen gewagt, ohne einen Beweis von Eurer Tüchtigkeit zu diesem Dienst vorzeigen zu können; einen Auftrag, wodurch Ihr einen Beruf zu diesem Geschäft darthun, und eine Verwandtschaft und Gemeinschaft mit Euren Mitarbeitern in dem menschenfreundlichen Bestreben ansprechen könnt.«

»Ich weiß nicht durch welche Mittel oder zu welchem Zweck Ihr Euch mit meinen Plänen bekannt gemacht,« rief der Jüngling, ward roth, und erhob sich mit einer Schnelligkeit, welche zeigte, wie wenig er die leiblichen Bedürfnisse berücksichtige, wenn etwas seinem Herzen näher liegendes berührt ward. »Noch, Herr, ist Eure Sprache mir unverständlich. Das Streben, was bei einem Andern vielleicht mit Recht menschenfreundlich und aufopfernd genannt werden könnte, ist bei mir eine theure, liebe Pflicht; warum aber ein Auftrag verlangt werden oder nöthig sein sollte, ist, ich gesteh‘ es, ebenfalls etwas, was mich nicht weniger erstaunt.«

»Es ist gewöhnlich, sich mit einem solchen Document zu versehen,« erwiederte der Doctor ernst, »und es bei allen schicklichen Gelegenheiten vorzuzeigen, damit geistesverwandte und freundliche Gemüther zugleich allen unwürdigen Verdacht unterdrücken, und, was die Elemente des Gesprächs genannt werden kann, übergehend, mit einem Mal zu den Puncten kommen, welches für beide die wahren desiderata sind.«

»Eine sonderbare Forderung!« murmelte der Jüngling und wandte sein schwarzes, umschattetes Auge von einem zum andern, als ob er den Charakter seiner Gefährten erforschen und ihre physische Kraft wägen wollte. Dann brachte er die Hand in den Busen, zog ein kleines Kästchen hervor, und fuhr, es dem Doctor mit Würde reichend, fort: »Ihr werdet darin finden, Herr, daß ich einiges Recht habe, in einem Lande zu reisen, welches jetzt Eigenthum der amerikanischen Staaten ist.«

»Was haben wir da!« rief der Naturforscher, während er ein großes Pergament entfaltete; »ei, das ist ja die Unterschrift des Philosophen Jefferson. Es ist das Staatssiegel! Mitunterschrieben von dem Kriegsminister! Es ist ein Document, das Duncan Uncas Middleton zum Capitain der Artillerie macht.«

»Wen, wen!« rief wiederholt der Streifschütz, der den Fremden während der ganzen Unterredung mit Augen betrachtet hatte, die jeden Gesichtszug eifrigst zu verschlingen schienen. »Wie ist der Name? Nanntet Ihr ihn Uncas? War’s Uncas?«

»Das ist mein Name,« erwiederte der Jüngling stolz. »Es ist der Name von einem Landeshäuptling, den mein Oheim und ich stolz sind zu tragen, da er ein Andenken an einen wichtigen Dienst ist, welcher meiner Familie von einem Krieger in den alten Kämpfen der Provinzen geleistet ward.«

»Uncas! Nanntet Ihr ihn Uncas!« wiederholte immer noch der Streifschütz, er näherte sich dem Jüngling, und theilte die dunkeln Locken, welche über seine hohe Stirn herabfielen, ohne den geringsten Widerstand von Seiten des erstaunten Eigenthümers. »Ach meine Augen sind alt, und nicht mehr so scharf, als wie auch ich Soldat war; aber ich kann das Bild des Vaters im Sohn erkennen; ich sah es, als Ihr zuerst nahe kamt. Doch es gingen so viele Begebenheiten seitdem vor meinem erlöschenden Blick vorüber, daß ich den Ort nicht nennen konnte, wo mir ein Gegenbild vorgekommen. Sagt mir, Junge, unter welchem Namen ist Euer Vater bekannt?«

»Er war Offizier bei den Staaten im Revolutionskrieg, und natürlich trug er meinen Namen. Meiner Mutter Bruder hieß Duncan Uncas Heyward.«

»Noch Uncas, Uncas!« entgegnete der Andere zitternd vor Erwartung. »Und sein Vater?«

»Hieß eben so ohne den Titel des Landeshäuptlings. Ihm und meiner Großmutter ward der Dienst erwiesen, wovon ich eben sprach.«

»Ich wußte es, ich wußte es!« rief der alte Mann mit zitternder Stimme; seine rauhen Züge waren in mächtiger Bewegung, als ob die Namen, welche der andere nannte, lange schlafende Erinnerungen wieder aufweckten, die sie an Begebenheiten eines früheren Alters anknüpften. »Ich wußte es! Sohn oder Enkel, es ist dasselbe. Es ist sein Blut, es ist sein Blick! Sagt mir, lebt der, den sie Duncan nennen, ohne Uncas, lebt der noch?«

Der junge Mann schüttelte traurig das Haupt, als er Nein antwortete:

»Er starb reich an Tagen und Ehren. Geliebt, glücklich und beglückend.«

»Reich an Tagen!« wiederholte der Streifschütz, und sah nieder auf die eigenen magern, aber noch kräftigen Hände. »Ach er lebte in den Ansiedelungen und war nur weise nach ihrer Art. Aber Ihr habt ihn oft gesehen, ihn sprechen hören von dem Uncas und von der Wildniß.«

»Oft! Er war damals Diener des Königs. Aber als der Krieg ausbrach zwischen der Krone und den Colonieen, da vergaß mein Großvater nicht den Geburtsort, sondern warf weg die leere Last der Namen, und war treu seinem Vaterlande. Er focht auf der Seite der Freiheit.«

»Darin war Vernunft, und was noch besser ist, Natur! Kommt, setzt Euch nieder zu mir, Junge; setzt Euch, und sagt mir, was Euer Großvater zu erzählen pflegte, wenn seine Gedanken auf den Wundern der Wildniß verweilten.«

Der Jüngling lächelte, eben so sehr über das Drängen als über die Theilnahme des alten Mannes; aber da er fand, daß auch nicht mehr der geringste Schein einer Gewaltthätigkeit, die man hätte beabsichtigen können, da war, so willfahrte er ohne Zögern.

»Erzählt es all dem Streifschützen mit allen Umständen,« sagte Paul, und nahm ruhig seinen Sitz an der andern Seite des jungen Kriegers ein. »Die Greise lieben solche alten Erzählungen, und auch ich muß gestehen, ich höre sie nicht ungern.«

Middleton lachte wieder, und vielleicht mit etwas Spott; aber dann gutmüthig zum Streifschützen gewandt, fuhr er fort:

»Es ist eine lange und möchte wohl eine unangenehme Geschichte sein. Blutvergießen und alle Schrecken indianischer Grausamkeit und indianischer Kriege sind furchtbar in die Erzählung gemischt.«

»Ach gebt sie uns ganz, Fremder,« fuhr Paul fort. »Wir sind an solche Dinge in Kentucky gewöhnt, und ich muß sagen, ich halte deßwegen eine Erzählung nicht für schlechter, wenn manchmal darin ein Kopf scalpirt wird.«

»Aber er erzählte Euch von Uncas, nicht?« nahm der Streifschütz wieder das Wort, ohne auf die kurzen Unterbrechungen des Bienenjägers zu achten, die nur eine Art Zwischenspiele waren, »Und was dachte und sagte er von dem Jungen in seinem Cabinet, mit allen Bequemlichkeiten und Erfindungen der Colonieen zur Hand?«

»Ich zweifle nicht, er sprach so, wie er in den Wäldern gesprochen haben würde, hätte Aug‘ im Aug‘ vor seinem Freund er gestanden.«

»Nannte er den Wilden seinen Freund, den armen, nackten, bemalten Kämpfer, war er nicht zu stolz dazu, den Indianer Freund zu nennen?«

»Er rühmte sich sogar seiner Bekanntschaft, und wie Ihr schon gehört, gab seinem Erstgebornen einen Namen, der wie ein Erbstück auf seine übrigen Nachkommen übergehen soll.«

»Er that recht, er that wie ein Mann, ja und auch wie ein Christ. Er sagte oft, der Delaware sei schnellfüßig. Sagte er noch so?«

»Wie die Antilope! In der That er sprach oft von ihm unter der Benennung Le Cerf agile, ein Name, den er sich durch seine Thätigkeit erworben.«

»Und kühn und furchtlos, Junge,« fuhr der Streifschütz mit einem Eifer fort, der verrieth, mit welchem Vergnügen er das Lob eines Mannes hörte, den er offenbar einst zärtlich geliebt hatte.

»Tüchtig wie ein Löwe. Ohne Furcht. Er nannte immer Uncas und seinen Vater, der von seiner Weisheit Grand Serpent genannt ward, als Muster des Heldenmuths und der Standhaftigkeit.«

»Er ließ ihnen Gerechtigkeit widerfahren! Ja, nur Gerechtigkeit! Treuere Männer waren nicht zu finden, in keinem Stamm, in keinem Volk, ihre Haut mag eine Farbe haben, wie sie will. Ich seh‘, Euer Großvater war gerecht, und that seine Schuldigkeit auch noch nach seinem Tode! Es war eine gefährliche Zeit, die er auf den Hügeln verlebte; und er spielte seine Rolle edel. Sagt mir, Junge, oder Capitain vielmehr, – da Ihr Capitain seid, – war dies alles?«

»O nicht; es war, wie ich Euch gesagt habe, eine furchtbare Geschichte, voll der rührendsten Vorfälle, und das Gedächtniß meines Großvaters und meiner Großmutter – –«

»Ach!« rief der Streifschütz, und reckte die Hand in die Höhe, während sein ganzes Antlitz durch die Rückerinnerungen, die in ihm bei diesem Namen wieder auflebten, glänzte. »Sie nannten sie Alice! Elsie oder Alice, es ist dasselbe. Ein lachendes, spielendes Kind war sie, wenn glücklich; im Unglück sanft und voll Gefühl! Ihr Haar glänzend, blond, wie das Fell des jungen Reh’s, und ihre Haut klarer als das reinste Wasser, das vom Felsen träufelt. Wohl erinnere ich mich noch ihrer; ja noch recht wohl.«

Die Lippe des Jünglings verzog sich ein wenig, er betrachtete den alten Mann mit einem Blick, der leicht als eine Andeutung hätte erklärt werden mögen, daß seine Rückerinnerungen an den verehrungswürdigen und verehrten Ahnen nicht von der Art seien, obgleich es scheinen wollte, als ob er es für unnöthig hielt, dies in Worten auszudrücken. Er begnügte sich mit der Antwort: »Sie beide bewahrten die Eindrücke der Gefahren, denen sie ausgesetzt gewesen, zu lebhaft, um einen ihrer Mitgenossen zu vergessen.«

Der Streifschütz sah seitwärts, und schien mit einem tief ihm inwohnenden Gefühl zu kämpfen; dann, ob gleich seine treuen Augen nicht mehr mit demselben offenen Interesse, wie vorher, an ihm hingen, wieder zu ihm gewendet, fuhr er fort: »Erzählte er Euch von ihnen allen? Waren sie alle Rothhäute, er und die Töchter Munro ausgenommen?«

»Nein. Es hatte sich auch noch ein Weißer zu den Delawaren gesellt. Ein Spion der englischen Armee, aber ein Eingeborner der Provinzen.«

»Ein betrunkener, nichtswürdiger Herumstreicher?, wie die meisten seiner Farbe, die sich zu den Wilden halten; ich versichere Euch.«

»Alter Mann, Eure grauen Haare sollten Euch vor einer Verläumdung bewahren. Der Mann, wovon ich spreche, besaß große Einfalt, aber hohen Werth. Unähnlich vielen, welche sich auf der Grenze herumtreiben, vereinigte er, statt der schlechten, nur die guten Eigenschaften der beiden Völker. Er war von der Natur mit der herrlichsten und vielleicht seltensten Eigenschaft versehen, mit der, das Gute vom Bösen zu scheiden. Seine Tugenden waren die der Einfalt, wie auch die Früchte seiner Handelsweise und selbst seine Vorurtheile. Im Muth war er seinen rothen Gefährten gleich; in Kriegskenntniß, da er besser unterrichtet war, stand er über ihnen. Kurz er war ein edler Sprosse aus dem Baum der Menschennatur, der nie seine wahre Höhe und Wichtigkeit erlangen konnte, blos weil er im Wald wuchs; dies, alter Jäger, waren die eigenen Worte meines Großvaters, als er von dem Manne sprach, den Ihr für so nichtswürdig haltet.«

Der Streifschütz senkte die Augen zu Boden, während der Fremde mit allem Feuer edler Jugend diese Schilderung von der Person entwarf, die der Gegenstand ihres Gesprächs war. Er spielte mit den Ohren seines Hundes, zupfte an seinem groben Gewand, und öffnete und verschloß die Pfanne seiner Flinte, mit so zitternder Hand, daß man sie für ganz unfähig hätte halten mögen, die Waffe zu führen. Als der Andere geendet, fügte er ruhig hinzu: »Euer Großvater vergaß also nicht ganz den Weißen?«

»Im Gegentheil, drei von uns führen immer den Namen des Kundschafters.«

»Den Namen, wie?« rief der alte Mann staunend, »den Namen eines verlassenen, ungelehrten Jägers! Führen die Großen, Reichen, Gelehrten, und, was noch mehr ist, die Gerechten, führen sie wirklich denselben Namen!«

»Ihn führt mein Bruder und zwei meiner Vettern, welches Recht sie auch außerdem auf die von Euch erwähnten Titel haben.«

»Ja ist es aber auch derselbe Name, sind’s dieselben Buchstaben, fängt er mit einem N an und endet er mit einem L?«

»Ganz so,« erwiederte der Jüngling lächelnd. »Nein, nein, wir haben nichts vergessen, was sein war. Ich habe in diesem Augenblick einen Hund, – er verfolgt nicht weit von hier ein Reh, – der von einem abstammt, den eben dieser Kundschafter seinen Freunden zum Geschenk machte, und der von derselben Race ist, die er immer hatte; ein sichereres Thier, nach Nase und Fuß, findet man in der weiten Union nicht.«

»Hektor!« sagte der alte Mann, und bemühte sich einer Bewegung, Meister zu werden, die ihn fast erstickte; »Hektor!« sprach er zu seinem Hund in einem Ton, wie er ihn bei einem Kind gebraucht hätte, »hörst du, Alter; dein Fleisch und Blut ist in der Steppe! Ein Name, – wunderbar, – wunderbar!«

Die Natur widerstand nicht länger. Ueberwältigt von einer Fluth seltner, außerordentlicher Bewegungen, ergriffen von zarten Rückerinnerungen, die lang geschlafen, und jetzt so wunderbar und unerwartet wieder auflebten, hatte der alte Mann kaum Macht genug über sich, um mit hohler, gepreßter Stimme und mit aller Anstrengung hinzufügen:

»Junge, ich bin der Kundschafter, Soldat einst, jetzt ein armer Streifschütz.« – Die Thränen flossen über die zerstörten Wangen, wie Wasserbäche aus Quellen, die seit Langem versiegt; – sein Haupt sank auf seine Kniee, er bedeckte es mit dem ledernen Gewand und schluchzte laut.

Der Anblick brachte entsprechende Bewegungen in seinen Gefährten hervor. Paul Hover hatte wirklich jede Silbe der Unterredung, wie sie abwechselnd die Sprechenden vorbrachten, eifrigst verschlungen, und seine Gefühle hatten gleichen Schritt mit dem wachsenden Interesse der Scene gehalten. An so fremdartige Auftritte nicht gewöhnt, wandte er sein Gesicht nach allen Seiten hin, um zu vermeiden, – er wußte nicht recht, was? bis er die Thränen sah, und das Schluchzen des alten Mannes hörte, da sprang er auf, ergriff seinen Gast heftig an der Kehle und fragte, mit welchem Recht er seinen bejahrten Gefährten zu Thränen gebracht. Ein Blitz der Rückerinnerung fuhr ihm in demselben Augenblick durch den Kopf, er ließ ihn los, und ergriff, als er in der Verlegenheit und Freude über den erkannten Irrthum die Hand ausstreckte, den Doctor bei’m Haar, wodurch alsbald dessen künstliche Natur an den Tag kam, da es ihm an der Hand hängen blieb, und dem weißen, glänzenden Schädel des Naturforschers keine wärmere Bekleidung ließ, als die Haut.

»Was denkt Ihr dazu, Herr Ungeziefer-Sammler,« triumphirte er schreiend, »ist das nicht eine sonderbare Biene, um sie in ihre Höhle zu verfolgen?«

»Es ist merkwürdig, wunderbar, erbauend!« erwiederte der Freund der Natur und nahm ihm gutmüthig die Perrücke wieder ab, während seine Augen glänzten und die Stimme stockte. »Es ist seltsam und werth der Aufbewahrung, wiewohl ich nicht an der rechten Folge der Ursachen und Wirkungen zweifle.«

Durch diesen plötzlichen Zwischenfall hatte jedoch auch die Bewegung Aller alsbald ein Ende; die drei Gegenwärtigen umringten den Streifschützen mit einer Art Ehrfurcht, als sie die Thränen eines so bejahrten Mannes sahen.

»Es muß so sein, wie könnte er sonst eine Geschichte so genau wissen, die außerhalb meiner eignen. Familie so wenig bekannt ist;« bemerkte endlich der Jüngling, und scheute sich gar nicht, durch ein Wischen der Augen offen an den Tag zu legen, wie sehr er gerührt worden.

»Freilich,« entgegnete Paul, »und wenn Ihr noch einen Beweis braucht, so will ich schwören. Ich bin überzeugt, daß jedes Wort so wahr ist, wie das Evangelium.«

»Und doch hatten wir ihn längst für todt gehalten!« fuhr der Soldat fort; »mein Großvater hatte in Ehren seine Tage schon geschlossen, und wir hatten jenen für jünger gehalten.«

»Nicht oft hat die Jugend eine Gelegenheit, so auf die Schwäche des Alters herabzusehen;« bemerkte der Streifschütz, erhob sein Haupt und sah um sich mit Haltung und Würde. »Daß ich noch hier bin, junger Mann, ist das Geschenk des Herrn, der mich so lange bewahrt, mich achtzig arbeitsvolle Jahre nach seinen verborgenen Zwecken erleben ließ. Daß ich der bin, für den ich mich ausgebe, bezweifelt nicht; warum sollt‘ ich zu Grabe gehen mit so unnützer Lüge im Mund.«

»Ich nehme keinen Anstand, es zu glauben; ich wundere mich nur, daß es so sein soll. Aber warum find‘ ich Euch, ehrwürdiger, trefflicher Freund meiner Eltern in diesen Wüsten, so weit von aller Bequemlichkeit und Sicherheit des untern Landes?«

»Ich kam ich diese Gegend, dem Schall der Axt zu entgehen; denn hierhin sicherlich kann ein Holzfäller mir nicht folgen. Aber ich kann dieselbe Frage Euch zurückgeben. Gehört Ihr zu denen, welche die Staaten aussandten, um die Beschaffenheit ihres neuen Ankaufs zu untersuchen?«

»Ich nicht. Lewis zieht den Fluß hinauf, einige hundert Meilen von hier; ich komme als ein Privat-Abenteurer.«

»Obgleich man sich nicht wundern darf, daß ein Mann, dessen Kraft und Augen ihn als Jäger verlassen haben, nahe den Höhlen der Biber getroffen wird, wo er statt der Flinte eine Falle gebraucht; so ist es doch sonderbar, daß ein so junger und glücklicher Mann, der einen Auftrag vom großen Vater erhalten, die Steppen durchstreift, ohne selbst einen farbigen Diener zu seinen Befehlen zu haben!«

»Ihr würdet meine Gründe für hinlänglich halten, wenn Ihr sie wüßtet, und Ihr sollt sie wissen, wenn Ihr meine Geschichte anhören wollt. Ich halt‘ euch Alle für edel, für Männer, die eher den unterstützen als verrathen würden, der einen guten Zweck verfolgt.«

»So kommt und erzählt uns nach Gefallen,« sagte der Streifschütz, setzte sich und gab dem Jüngling einen Wink, seinem Beispiel zu folgen. Der letztere willfahrte gern, und nachdem Paul und der Doctor, wie sie es für gut fanden, einen Platz eingenommen, begann der neue Ankömmling, die ganz eigenen Ursachen auseinander zu setzen, die ihn so weit in die Wüsten geführt hatten.