Eilftes Kapitel.

Eilftes Kapitel.

Wie man Gesetze erläßt; – Beredtsamkeit, Logik und Rhetorik, Alles in seiner alltäglichen Gestalt betrachtet.

Politische Eide sind so ziemlich dieselben überall, und ich sage nichts weiter von unsrer Einweisung in den Rath, als daß sie, wie gewöhnlich, vor sich ging. Die beiden Häuser waren gehörig constituirt und wir schritten ohne Weitres zur Behandlung der Geschäfte. Ich muß hier sagen, daß ich zu meiner größten Freude den Brigadier Geradaus unter den Stümpfen fand; der Kapitän flüsterte mir zu, er sei wahrscheinlich für ein Seekalb gehalten und demgemäß gewählt worden.

Es dauerte nicht lange, da sandte uns der große Sachem eine Mittheilung, die einen compte rendu über den Zustand der Nation enthielt; gleich andern Rechnungen, die ich zu erhalten das Glück habe, schien dieser mir außerordentlich lang. Nach den Ansichten dieses Dokuments war das Volk von Springniedrig bei weitem das glücklichste von der Welt, sie waren auch beträchtlich mehr geachtet, geschätzt, geliebt, geehrt und gehörig gewürdigt, als jede andre Monikins-Gemeinde; kurz, sie waren die Bewunderung und der Ruhm des Weltalls. Es freute mich außerordentlich, das zu vernehmen; denn Vieles war mir ganz neu, woraus man sieht, daß man nie richtige Begriffe von einer Nation, als durch sie selbst, erlangen kann.

Nachdem wir diese wichtige Punkte gehörig uns angeeignet, machten wir uns alle an unsre verschiedne Geschäfte, mit einem Eifer, der von unsrer Emsigkeit und Ehrlichkeit zeugte. Alles fing gut an, und bald sandten uns die Rathsherrn zur Eröffnung des Balls eine Streitsache. Sie war: »Wird beschlossen, daß die bisher für schwarz gehaltene Farbe eigentlich weiß ist.«

Da dies die erste Sache war, über deren Grund wir abzustimmen hatten, stellte ich Noah vor, wie nützlich es sei, wenn wir zum Brigadier gingen und ihn befragten, wie es wohl mit einem so seltsamen Beschluß ergehen würde.

Unser Kollege beantwortete die Frage sehr gutmüthig und gab uns zu verstehen, die Perpendikulären und Horizontalen seien lange in Streit über die blose Farbe verschiedener wichtigen Fragen gewesen, und so sei der wirkliche Grund des Beschlusses nicht sehr ersichtlich. Die Erstern hätten immer (unter immer meinte er die Zeit, seit sie das Gegentheil behaupteten) die Lehre dieses Beschlusses festgehalten, so wie die Andern das Gegentheil. Eine Mehrheit der Rathsherrn sind gerade jetzt Perpendikuläre, und wie’s jetzt schien, hatten sie es dahin gebracht, über ihren Lieblingsgrundsatz abstimmen zu lassen.

»Nach diesem Bericht von der Sache, Sir John,« bemerkte der Kapitän, »werde ich behaupten müssen, daß schwarz weiß ist, da ich ja zur Perpendikulär-Partei gehöre.«

Ich dachte wie der Kapitän, und war froh, daß mein legislatives Debüt nicht durch ein meiner Denkart so widerstrebendes Votum bezeichnet werden sollte. Doch aus Neugier, seine Meinung zu erfahren, fragte ich den Kapitän, wie er selbst die Sache ansähe.

»Ich bin von den Tangenten gewählt,« sagte er, »und so viel ich gehört, wollen meine Freunde einen Mittelweg einschlagen, und einer unsrer Häupter ist schon gewählt, der zu rechter Zeit ein Amendement vorschlagen soll.«

»Hat etwas mit der großen National-Allegorie Verbundenes hierauf Bezug?«

Der Brigadier legte seinen Finger auf die fragliche Klausel, und ich las: »Art. IV. Klausel b. der große National-Rath soll nie in keinem Fall ein Gesetz oder einen Beschluß erlassen, daß weiß schwarz sei.«

Ich fand nach reiflicher Ueberlegung diesen Beschluß der horizontalen Lehre eher günstig als ungünstig, und hielt ihn für eine gute Gelegenheit für ein neues Mitglied, seine Antrittsrede damit zu wagen, und wartete also dazu die rechte Gelegenheit ab.

Bald rapportirte der Präsident der Kommittee darüber; er war ein Tangente, der aber sehr Rathsherr zu werden wünschte, obgleich sich unser Haus entschieden zu den Horizontalen hinneigte. Er ergriff also hiebei die Partei der Rathsherrn. Der Rapport selbst nahm sieben Stunden durch sein Verlesen weg. Er nahm den Gegenstand von der Zeit her auf, wo seine Verhandlung durch das Bersten der Erdrinde sine die verschoben worden, noch vor der Theilung der großen Monikins-Familie in verschiedene Gemeinden, und schloß dann mit dem jetzigen Beschluß. Der Berichterstatter wandte seine Palette mit der größten Sorgfalt an, und bedeckte die Sache ganz mit neutralen Tinten, worauf er Alles mit Ultramarin überfuhr, so daß das Auge durch eine erdichtete Atmosphäre blickte. Zuletzt wiederholte er den Beschluß wörtlich, wie er vom andern Hause kam.

Der Sprecher rief nun die Herren auf, ihre Meinungen darüber zu sagen. Zu meinem größten Erstaunen erhob sich Kapitän Poke, that seinen Taback wieder in seine Büchse und eröffnete die Debatte ohne weitere Einleitung.

Der ehrbare Kapitän sagte, er sehe diese Frage als die Freiheiten eines Jeden betheiligend an. Er verstand die Sache wörtlich, wie sie in der Allegorie vorgeschlagen und zum Beschluß erhoben worden; als solche wolle er sie nun mit vorurtheilslosen Augen betrachten. Das Wesen der Frage betreffe gänzlich die Farbe; was sei aber eigentlich Farbe? Man nehme das Größte, und in der vortheilhaftesten Lage, was vielleicht die Wange einer lieblichen jungen Frau sei, und die Farbe sei immer nur hauttief. Er erinnere sich der Zeit, wo eine gewisse Frau in einem andern Theil der Welt, welche gemeiniglich Mad. Poke genannt werde, die beßte Rose überall in Stonington ausgestochen haben würde, und was wäre das all gewesen? Er wolle aus nahe liegenden Gründen nicht Mad. Poke selbst fragen, aber jeden der Nachbarn, wie sie jetzt aussähe. Von weiblicher Natur wolle er zur menschlichen überhaupt übergehen. Er hätte oft bemerkt, das das Seewasser blau gewesen, und häufig Kübel hinunterfahren lassen und das Wasser auf’s Verdeck gebracht, um zu sehen, ob er zu dieser blau machenden Materie kommen könnte, – denn der Indigo sei in seinem Lande selten und theuer; aber das Experiment sei ihm nie gelungen, woraus er dann schloß, daß es im Ganzen vielleicht gar nichts so gäbe, wie Farbe.

Der Beschluß vor dem Hause aber beruhe gänzlich auf dem Sinn der Worte. Was sei aber ein Wort? Ei, die Worte Mancher seien gut, die Andrer gar nichts werth. Er liebe die Instrumente des Robbenfangs, – vielleicht weil er ein Robbenfänger wäre, aber aus blosen Worten mache er sich nur wenig. Ein Mal habe er einem Manne wegen seines Sohnes sein Wort abgenommen, und die Folge davon sei gewesen, daß er sein Geld verloren. Er kenne tausend Fälle, wo Worte von keinem Werth gewesen, und er sehe nicht, warum einige Herren ihnen so große Wichtigkeit beilegen wollten. Er sei dafür, nichts, auch selbst nicht ein Wort oder eine Farbe, über Verdienst zu erheben. Das Volk scheine einen Wechsel in der Farbe der Dinge zu verlangen, und er erinnere die Herren, daß dies ein freies Land sei, worin die Gesetze regierten; und deßwegen vertraue er, sie würden sich geneigt zeigen, die Gesetze den Bedürfnissen des Volks anzupassen. Was hätte das Volk hierin vom Hause verlangt. So viel, als er sähe, hätten sie eigentlich gar nichts in Worten verlangt; aber er merke, es herrsche große Unzufriedenheit in Hinsicht der alten Farben, und ihr Stillschweigen lege er als Verachtung gegen Worte im Allgemeinen aus. Er sei ein Partikulare, und werde immer Partikular-Grundsätze vertheidigen. Die Herren möchten vielleicht ihm nicht beistimmen, aber ein Mal für alle Mal, er wolle nicht die Freiheiten seiner Constituenten in Gefahr bringen, und deßwegen gäbe er den Beschluß, ganz wie er von den Rathsherrn gekommen, ohne einen Buchstaben zu ändern; an der Orthographie des Beschlusses habe er Einiges auszusetzen, aber, er wolle gern seine Ansichten in diesem Punkt dem Beßten des Landes aufopfern, und deßhalb halte er es mit den Rathsherrn selbst bis auf ihre Schreibfehler. Er hoffe, der Beschluß werde mit gänzlicher Einmüthigkeit, wie sie ein so wichtiger Gegenstand erforderte, durchgehen.

Diese Rede machte großen Eindruck. Bisher hatten die Hauptredner des Hauses so ziemlich die Gewohnheit gehabt, spitzfindig in der großen Allegorie Härchen zu spalten, aber Noah hatte mit der Einfachheit eines wahrhaft großen Geistes den Nagel auf den Kopf getroffen, um sich fahrend mit der Einfalt des berühmten von La Mancha, als er seine Lanze gegen die Windmühlen einlegte. Gab man diese Punkte zu, daß es keine Farben gäbe und Worte von keiner Bedeutung wären, so konnte dieser und in der That jeder andre Beschluß leicht durchgehen. Die Perpendikulären im Haus waren außerordentlich erfreut; denn, die Wahrheit zu sagen, ihre Beweisführung war bis jetzt etwas schwach gewesen. Ausserhalb war der Erfolg noch größer; denn eine gänzliche Abänderung wurde dadurch in der ganzen Streitführung der Perpendikulären bewirkt. Monikins, die den Tag vorher heftig behauptet hatten, ihre Stärke läge in der Phraseologie der großen Allegorie, öffneten nun plötzlich ihre Augen und sahen deutlich, daß die Worte keinen wahren Werth hätten. Die Beweisgründe hatten freilich einige Veränderung erlitten, aber zum Glück war die Folgerung daraus ungefährdet. Der Brigadier bemerkte diese anscheinende Anomalie, sagte jedoch, sie sei in Springniedrig ganz gewöhnlich, besonders in der Politik; die Menschen freilich würden consequenter sein.

Die Horizontalen waren durch Kapitän Poke so sehr überrascht und geschlagen worden, daß keiner von allen ihren Rednern ein Wort für sich zu sagen wußte. Ja, sie erlaubten sogar einem ihrer Gegner, sich zu erheben und den Schlag noch zu unterstützen; ein ziemlich gewisses Zeichen, daß sie darnieder lagen.

Der neue Sprecher war ein Hauptanführer der Perpendikulären; er war einer von den Politikern, die nur um so gewandter sind, weil sie allen Parteien gedient haben. Sie kennen die schwachen und starken Seiten einer jeden durch Erfahrung, und sind mit jeder Unterabtheilung politischer Gefühle vertraut, welche sich je im Lande vorgefunden haben. Dieser geistreiche Redner nahm den Gegenstand mit Feuer auf, und behandelte ihn ganz nach den Grundsätzen des Mitglieds, das zuletzt gesprochen. Nach seiner Ansicht von der Sache müsse man die eigentliche Verordnung, das Gesetz in den Sachen und nicht in den Worten suchen. Worte seien falsche Lichter zum Irreführen, und er brauche nicht erst zu sagen, was all seinen Zuhörern schon bekannt wäre, daß nämlich Worte täglich geformt würden und geformt wären, nur um der Bequemlichkeit aller Arten Leute zu dienen. Es sei ein Hauptfehler im politischen Leben, mit Worten verschwendrisch zu sein; denn die Zeit würde kommen, wo die Schwatzhaften und Schnellzüngigen es bereuen würden. Er fragte das Haus, ob das Vorgeschlagene nöthig, ob das Staatsinteresse fordre, ob die öffentliche Meinung darauf vorbereitet wäre. Wäre das, dann bitte er die Herren, ihre Pflicht zu thun, und zwar eben so wohl gegen sich selbst als gegen ihren Charakter, ihr Gewissen, ihre Religion, ihr Eigenthum und endlich ihre Konstituenten.

Dieser Redner suchte Worte durch Worte zu vernichten, und das Haus schien mir seine Bemühung günstig aufzunehmen. Ich beschloß nun einen Versuch zu Gunsten des Fundamentalgesetzes zu machen, das offenbar bis jetzt in der Verhandlung nur wenig beachtet worden. Ich fesselte daher des Sprechers Auge, und stand alsbald da.

Ich begann damit den Talenten und Beweggründen meiner Vorgänger durchdrehte Komplimente zu machen, und spielte auf den anerkannten Verstand und Patriotismus, die Tugend und Fähigkeiten des Hauses an. All dieß ward wohl aufgenommen, daß Muth fassend ich beschloß, mit einem Male, den Text des geschriebenen Gesetzes in der Hand, über meine Gegner herzufallen. Ich leitete diesen Schlag mit einer Lobrede auf die wunderbare Beschaffenheit jener Institutionen ein, die allgemein als das Wunder der Welt angesehen und gemeiniglich die zweite Vervollkommnung der Monikins-Vernunft genannt würden; die von Springhoch nämlich würden immer als die erste angesehen. Ich machte dann einige zweckmäßige Bemerkungen über die Nothwendigkeit, die vitalen Verordnungen des politischen Staatskörpers zu achten, und erbat mir der Zuhörer Aufmerksamkeit, während ich ihnen eine besondre Klausel vorläse, die ich, zu meinem Verwundern, auf die gegenwärtige Verhandlung sich beziehend erfunden. Nachdem ich mir so den Weg frei gemacht, beging ich nicht die Thorheit, dem Gegenstand so vielen Nachdenkens durch unbesonnene Eile zu schaden. Vielmehr wartete ich, bevor ich die Stelle aus der Konstitution las, bis die Aufmerksamkeit jedes Gegenwärtigen durch die Würde, Vorsicht und Wichtigkeit meiner Art und Weise noch mehr, als durch den Inhalt des schon Gesagten aufgeregt worden. Mitten in dieser tiefen Stille und Erwartung las ich mit einer Stimme, die Alles erfüllte, laut die Klausel vor: »Der große Rath soll in keinem Falle ein Gesetz, einen Beschluß erlassen, der weiß für schwarz erklärt.«

Wenn ich ruhig bei Darlegung dieser Autorität gewesen, beherrschte ich mich eben so sehr bei Erwartung der Wirkung. Um mich blickend sah ich Staunen, Verlegenheit, Zweifel, Verwundrung und Ungewißheit in jedem Antlitz, wenn ich auch nicht Ueberzeugung fand. Eins brachte selbst mich in Verlegenheit; unsre Freunde die Horizontalen hatten ganz eben so Unrecht als unsre Opponenten die Perpendikulären, da sie gar nicht, wie ich doch Ursache zu hoffen hatte, außer sich geriethen, als sie ihre Sache durch eine so gewichtige Autorität unterstützt sahen.

»Will das verehrliche Mitglied gefälligst erklären, welchen Schriftsteller es angeführt hat?« wagte endlich einer der Hauptperpendikulären zu fragen.

»Die Sprache, die Ihr eben gehört,« begann ich wieder und glaubte, der Augenblick sei jetzt gekommen, die Sache zu betreiben, »ist eine Sprache, die einen Wiederhall finden muß in Aller Herzen, es ist eine Sprache, die nie vergeblich in dieser hohen Halle geführt werden kann, eine Sprache, die mit sich führt Ueberzeugung und Befehl!« Ich bemerkte, daß jetzt die Glieder verwundert einander anschauten. »Meine Herren, ich soll den Autor nennen, aus dem ich diese sententiöse Worte genommen? Meine Herren, was Sie eben gehört, ist zu finden im IV. Art. in der 6. Klausel der großen National-Allegorie.«

»Zur Ordnung! Zur Ordnung!« riefen hundert Rabenkehlen.

Ich stand staunend, selbst noch mehr staunend, als das Haus einen Augenblick vorher mir geschienen hatte. »Zur Ordnung! Zur Ordnung!« fuhr es fort zu schreien, als wenn Millionen Dämonen in der Halle hausten.

»Das verehrliche Mitglied wird sich erinnern,« sagte der süße und ex officio unparteiische Sprecher, der, beiläufig gesagt, ein Perpendikular war, der hinterlistig gewählt worden; »es ist gegen die Ordnung, sich Persönlichkeiten zu erlauben.«

»Persönlichkeiten? Ich verstehe nicht, Sir.«

»Das Dokument, worauf das verehrliche Mitglied hingewiesen, ist nicht, wie ihm sein eigner Verstand sagen wird, von sich selbst geschrieben worden, vielmehr sind grade die, durch welche es aufgesetzt worden, jetzt Mitglieder des Hauses, und die Meisten unterstützen den Beschluß, der ihm jetzt vorliegt; und so würde es persönlich scheinen, wenn man ihnen auf diese unerhörte Art ihre früheren Amtsgeschäfte vorwerfen wollte. Es thut mir leid, sagen zu müssen, daß das verehrte Mitglied gänzlich alle Ordnung überschritten.«

»Aber, Sir, die heilige National – –«

»Heilig, Sir – freilich, aber in einem andern Sinn, als Sie meinen; viel zu heilig, um hier erwähnt zu werden. Da sind die Werke der Kommentatoren, die Bücher über die Auslegungen, und besonders die Schriften verschiedener ausländischen und vollkommen uninteressirten Staatsmänner; brauche ich besonders Ekrub zu nennen? – diese haben Autorität bei den Mitgliedern, aber so lange ich diesen Stuhl einnehme, werd‘ ich mich peremptorisch gegen alle Persönlichkeiten erheben.«

Ich war wie angedonnert. Der Gedanke, daß die Autorität selbst verworfen werden könnte, war mir nie in den Sinn gekommen, obwohl ich einen hartnäckigen Kampf in Hinsicht der Auslegung erwartet hatte. Die Konstitution verlangte nur, daß kein Gesetz ergehen sollte, das schwarz für weiß erklärte, während der Beschluß verordnete, daß künftig weiß schwarz sein sollte. Hier lag Stoff zur Verhandlung, und ich hatte gar keine große Hoffnungen wegen des Erfolgs; aber so bei’m Anfang auf’s Haupt mit einer Keule niedergeschlagen zu werden, war zuviel für die Bescheidenheit meiner jungfräulichen Rede. Ich setzte mich verwirrt nieder, und ich sah deutlich an ihren spöttischen Mienen, daß die Perpendikularen jetzt Alles triumphirend nach ihrem Willen durchzusetzen vermeinten. Dies wäre auch sehr wahrscheinlich der Fall gewesen, wenn nicht alsbald einer von den Tangenten mit einem Amendement sich erhoben hätte.

Zum größten Mißfallen Kapitän Poke’s und gewisser Maßen zu meiner eignen Aergerniß, ward dies dem verehrlichen Bob Schmutz anvertraut. Herr Schmutz begann mit der Bitte an die Mitglieder, sich nicht durch die Sophistik des ersten Redners irreführen zu lassen. Dieß verehrliche Mitglied fühlte sich ohne Zweifel berufen, die von seinen Freunden eingenommene Stellung zu vertheidigen; aber die, welche ihn wohl kännten, wie er ihn zu kennen das Schicksal gehabt, müßten überzeugt sein, daß seine Ansichten wenigstens eine plötzliche und wunderbare Aenderung erlitten hätten. Das verehrliche Mitglied läugne das Dasein der Farbe überhaupt; er wolle ihn fragen, ob er nicht selbst bisweilen beigetragen, was man »blau und schwarz« nenne, hervorzubringen. Er möchte wissen, ob das verehrliche Mitglied jetzt eben so wenig Werth auf Schläge, als er auf Worte zu setzen schiene; er bitte das Haus um Verzeihung, aber dies sei eine Sache von großem Interesse für ihn selbst: er wisse, es habe nie einen größern Fabrikanten von »Blau und Schwarz« [Lektorat: wäre hier nicht eine Anmerkung zum Wortspiel "black and blue"<-> "black and white" angezeigt, das so im Deutschen {"grün und blau" <-> "schwarz und weiß"}nicht wiederzugeben ist?] gegeben, als jenes verehrliche Mitglied selbst, und er wundre sich über sein jetziges Läugnen aller Farbe und seinen Wunsch, deren Werth herabzuwürdigen. Er seinerseits kenne die Wichtigkeit der Worte und den Werth der Farben, und während er nicht so gerade die Nothwendigkeit einsähe, schwarz für so unverletzlich zu halten, wie einige Herren, sei er doch gar nicht darauf vorbereitet, so weit wie die zu gehen, die den Beschluß eingebracht. Er glaube nicht, daß die öffentliche Meinung befriedigt wäre durch die Behauptung, daß schwarz schwarz sei; aber er halte sie doch auch noch für weit genug vorgerückt, zu behaupten, schwarz wäre weiß. Er sage nicht, solch eine Zeit werde nicht kommen, er behaupte nur, sie sei noch nicht gekommen, und in der Absicht, dem, was er für die öffentliche Meinung halte, entgegen zu kommen, schlage er als Amendement vor, das Ganze des Beschlusses nach dem Worte »wirklich« auszustreichen, und etwas einzufügen, daß dann der ganze Beschluß so lauten würde:

»Wird beschlossen, daß die bis jetzt für schwarz gehaltene Farbe wirklich bleifarben ist.«

Hierauf nahm der verehrliche Herr Schmutz seinen Sitz wieder ein, und überließ das Haus seinem eignen Nachdenken. Die Häupter der Perpendikularen, in der Voraussetzung, daß, wenn sie in dieser Session halbwegs kämen, sie das Uebrige in der nächsten durchsetzen könnten, beschlossen, den Vergleich anzunehmen, und der Beschluß, so verbessert, ging mit großer Mehrheit durch. So war dieser wichtige Punkt für den Augenblick entschieden, und ließ den Perpendikularen große Hoffnung, die Horizontalen noch flacher auf den Boden zu legen, als sie es jetzt schon wären.

Die nächste Frage war von weit geringerem Interesse und erregte nicht so große Aufmerksamkeit; um sie jedoch zu verstehen, müssen wir ein wenig auf die Geschichte zurückgehen. Die Regierung von Springdurch hatte vor 63 Jahren 126 Springniedriger Schiffe auf der hohen See verbrennen und sonst zerstören lassen. Der Vorwand war, sie belästigten Springdurch. Springniedrig war eine viel zu große Nation, um sich eine solche Bedingung gefallen zu lassen, während sie zugleich viel zu großmüthig und weise war, sie auf eine alltägliche und gemeine Weise zu rügen. Statt in Leidenschaft zu gerathen und ihre Kanonen zu laden, bot sie alle ihre Logik auf und begann zu philosophiren. Nachdem sie die Sache mit Springdurch 52 Jahre besprochen, bis alle beleidigte Theile todt waren und nicht länger von ihrer Logik Nutzen ziehen konnten, beschloß sie, zwei Drittel ihrer Ansprüche an Geld und ihre ganzen Ansprüche in Hinsicht des Ehrenpunktes nachzulassen und, um die Sache zu beenden, eine gewisse unbedeutende Summe als ein Pflaster für den ganzen Schaden anzunehmen. Springdurch versprach auf die feierlichste und genügendste Art, diese Summe zu bezahlen, und Jeder war erfreut über die friedliche Beendigung einer sehr schwierigen und dem Anschein nach nie zu Ende gehenden Verhandlung. Springdurch war eben so froh, mit der Sache fertig zu werden, als Springniedrig und dachte natürlich, Alles sei schon geschehen, wenn es nur verspräche, das Geld zu bezahlen; der große Sachem von Springniedrig hatte aber zum Unglück einen »eisernen Willen« oder, mit andern Worten, er meinte, das Geld müsse eben so bezahlt werden, wie versprochen worden, es zu bezahlen. Diese despotische Auslegung des Handels hatte unerhörten Unwillen in Springniedrig erregt, wie zu erwarten stand; aber, seltsam genug, ward sie sogar in Springniedrig mit einiger Hitze verworfen, wo einige feste Logiker streng behaupteten, der einzige Weg, einen Vertrag zur Geldzahlung in’s Reine zu bringen, wäre, einen neuen für eine niedrigere Summe einzugehen, so oft die Zahlung fällig wäre; ein Plan, der mit einiger Mäßigung und Geduld gewiß mit der Zeit die Abtragung der ganzen Schuld herbeiführen müsse.

Verschiedene sehr scharfsichtige Patrioten hatten die Sache angegriffen, und sie sollte nun dem Haus unter vier verschiednen Kategorien vorgetragen werden. Kategorie Nro. 1. hatte den Vorzug der Einfachheit und Genauheit. Sie schlug blos vor, Springniedrig solle das Geld selbst bezahlen und mit eignen Fonds die Verschreibung einlösen. Nro. 2. enthielt eine Empfehlung an den Großsachem, daß Springniedrig selbst bezahle, jedoch gewisse Fonds von Springdurch dabei gebrauch. Nro. 3. war ein Vorschlag, Springdurch zehn Millionen anzubieten, um dann nichts mehr von der ganzen Verhandlung zu sprechen. Nro. 4. wollte das unterhandelnde und nachlassende System, das schon erwähnt worden, ohne Verzug anwenden, um so bald wie möglich, die Ansprüche zu vernichten.

Man berieth die Frage unter diesen vier Gesichtspunkten. Meine Erzählung erlaubt mir keine in’s Einzelne gehende Geschichte davon, ich kann nur eine Skizze von der Logik geben, welche bei diesen verschiedenen Vorschlägen sich hören ließ, von dem legislativen Scharfsinn, den sie veranlaßten, und der Menge tüchtiger Schlüsse, die so natürlich daraus folgten.

Zu Gunsten von Kategorie Nro. 1. führte man an, daß durch Annahme ihrer leitenden Idee man die Sache gänzlich in die Hand bekomme und sie folglich mit größrer Berücksichtigung reiner Springniedrig-Interessen abmachen könnte; weitrer Aufschub könne nur aus unsrer eignen Nachlässigkeit hervorgeh’n; auf keine andre Weise könne man so leicht mit dieser langwierigen Verhandlung in kurzer Zeit fertig werden; die Schuld mit Springniedriger Fonds zu bezahlen, würde uns Sicherheit geben, den Betrag in guter Kurrent-Münze der Republik zu erhalten, es würde außerordentlich ökonomisch sein, da der Agent, welcher auszahlte, auch beauftragt werden könnte, in Empfang zu nehmen, wodurch man Salair ersparte, endlich könne dadurch Alles, so sehr vereinfacht, in einer Nuß dargestellt und jedem Verstand klar gemacht werden.

Zu Gunsten von Kategorie Nro. 2. konnten nur sehr unbestimmte Sophismen beigebracht werden, die noch dazu sehr nach Gemein-Plätz-Ansichten schmeckten. Es ward z. B. vorgegeben, der, welcher einen Wechsel unterschreibe, sei auch verpflichtet, ihn zu bezahlen; wenn er sich weigre, habe der andre Theil das natürliche und gesetzliche Mittel des Zwangs; es möge nicht immer für einen Gläubiger bequem sein, alle Obligationen andrer Leute zu bezahlen, die er vielleicht in Händen hatte; wenn seine Geschäfte ausgedehnt wären, möchte es ihm an Geld fehlen, ein solch Princip immer auszuführen, und als ein Beispiel für’s Künftige vertrüge es sich weit besser mit Springniedriger Klugheit und Besonnenheit, die alten und erprobten Begriffe von Ehrlichkeit und Gerechtigkeit aufrecht zu erhalten, als sich auf den unbekannten Ocean der Ungewißheit einzulassen, der mit den neuen Ansichten zusammenhinge; denn ließen wir es zu, könnten wir nie wissen, wenn wir wahrhaft schuldenfrei wären. Kategorie 3. wurde nach einem ganz neuen logischen System besprochen, das bei den Mitgliedern sehr in Gunst zu stehen schien, die aus der verfeinerten ethischen Schule waren. Diese Redner führten das Ganze auf das Ehrgefühl zurück. Sie begannen mit der Entwerfung eines lebendigen Gemäldes von den Beleidigungen, als das ursprüngliche Unrecht geschehen. Sie sprachen von zu Grunde gerichteten Familien, geplünderten Seeleuten und vernichteten Hoffnungen. Sie stellten genaue Berechnungen an, um zu zeigen, daß gerade vierzig Mal so großes Unrecht gethan worden, als dieser Wechsel annähme, und wie die Sache jetzt stünde, müßte Springniedrig nach strengem Recht gerade vierzig Mal so viel Geld empfangen, als das Dokument besage. Von diesen interessanten Einzelheiten wandten sie sich dann zum Ehrenpunkt. Springdurch translation error fixed, changed from "Springhoch" [Leaphigh] to "Springdurch" [Leapthrough] – Original: "Leapthrough, by attacking the Leaplow flag" hätte es durch seinen Angriff auf die Springniedriger Flagge und durch die Eingriffe in dessen Rechte ganz besonders zu einer Ehrenfrage gemacht, und bei Betrachtung der Sache dürfe man daher nie den Gesichtspunkt der Ehre aus dem Auge verlieren. Es sei ehrenvoll, seine Schulden zu bezahlen, das könne Niemand leugnen; aber es sei noch gar nicht so klar, daß es auch ehrenvoll sei, das, was einem gebühre, in Empfang zu nehmen. Die National-Ehre sei dabei betheiligt, und sie riefen die Mitglieder auf, sofern sie diese heilige Gefühle werth hielten, es durch ihre Stimmen aufrecht zu erhalten. Wie die Sache stehe, habe Springniedrig den bessern Theil; im Vertrag mit seinem Gläubiger, wie er vorliege, verliere Springdurch einige Ehre, durch Zahlungverweigrung verliere es noch mehr, und nun, wenn wir ihm die zehn vorgeschlagenen Millionen schickten, und es die Schwachheit hätte, sie anzunehmen, setzten wir ihm recht den Fuß auf den Nacken, und es könnte uns nie wieder in’s Gesicht sehen.

Kategorie Nro. 4 vertheidigte ein Mitglied, das Staatsökonomie zu seinem Hauptstudium gemacht. Dieser stellte folgenden Satz auf: Nach seinen Berechnungen sei die Beleidigung gerade vor 63 Jahren und 26 2/3 Tagen geschehen. Während dieser ganzen Zeit sei Springniedrig durch diese schwierige Frage beunruhigt worden, die wie ein Gewölk über der sonst ungestörten Helle seines politischen Horizonts gehangen. Es sei Zeit, sie los zu werden. Die festgesetzte Summe sei gerade 25 Millionen, zahlbar in 25 jährlichen Parcellen von einer Million. Nun schlage er vor, die Parcellen auf die Hälfte herabzusetzen, aber keineswegs etwas an der Summe zu ändern. Der Punkt müsse als unwiderruflich feststehend angesehen werden. Dies werde die Schuld um die Hälfte verringern. Ehe das erste Quantum fällig werde, werde er einen Aufschub zu Stande bringen, dadurch, daß er die Quota wieder auf sechs verringere und die Zahlung auf die letzte Periode, die in dem letzten Vertrag bestimmt worden, zurückführe, aber immer gewissenhaft die Summen ganz dieselben lasse. Vor Ablauf der ersten sieben Jahre könne eine neue Vorkehrung die Quota auf zwei oder selbst eins zurückführen, immer mit Beibehaltung der Summen; und endlich, im rechten Augenblick, könne ein Vertrag geschlossen werden, daß gar kein Quotum sein solle, oder wenn eins gewesen, habe Springniedrig es nie unter eine Million herabsetzen können. Der Erfolg werde sein, daß in ungefähr 25 Jahren das Land gänzlich frei von der Sache seie, und der Nationalcharakter, der, wie Jedermann zugestehe, jetzt schon so hoch, als er nur sein könne, wahrscheinlich noch um viele Grade höher steige. Die Verhandlung habe mit Verträgen begonnen, und unsere Consequenz verlange, daß sie auch ferner unser Betragen leiteten, bis kein Heller mehr unbezahlt sei.

Dieser Gedanke ergriff wunderbar, und ich glaube, er wäre mit großer Mehrheit durchgegangen, wäre nicht ein neuer Vorschlag von einem Redner mit seltsam pathetischer Kraft gemacht worden.

Der neue Redner widersetzte sich allen vier Kategorieen. Er sagte, alle würden zum Krieg führen: Springdurch sei ein ritterliches und hochherziges Volk, wie man aus der jetzigen Lage der Dinge ersähe. Wollten wir den Wechsel mit unsern Fonds auslösen, werde es tödtlich seinen Stolz verletzen, und es mit uns kriegen; lösten wir den Wechsel mit seinen Fonds aus, so würde das sein Finanzsystem beleidigen, und es mit uns kriegen; wollten wir ihm zehn Millionen bieten, daß es der Sache nicht weiter erwähne, so würde das durch die Voraussetzung, man könne ihm seine Rechte abkaufen, seine Würde beleidigen und es mit uns kriegen; wollten wir das System neuer Unterhandlungen befolgen, so würde das tödtlich seine Ehre angreifen, weil wir zu verstehen gäben, es achte seine alten Unterhandlungen nicht, und es daher mit uns kriegen. Er sehe Krieg in allen vier Kategorieen; er sei für eine Friedens-Kategorie, und er habe, denke er, einen Vorschlag, wodurch bei gehöriger Einfädlung und den zartesten Rücksichten, und wenn man sonst die hohen Gefühle der verehrten fraglichen Nation achte, wir möglicher Weise aus dieser schwierigen Alternative kommen könnten, ohne daß wir handgemein würden, – er wünsche nämlich immer die verehrlichen Mitglieder an die Schrecken des Kriegs zu erinnern; sie möchten bedenken, welch eine ernsthafte Sache der Zusammenstoß zweier großer Nationen wäre. Wenn Springdurch ein kleines Volk wäre, dann wär‘ es was anders, und der Streit könnte in einem Winkel vor sich gehen; unsere Ehre sei aber eng mit allem verbunden, was wir mit großen Nationen zu schaffen hätten. Was sei der Krieg? Wüßten es die Herren? Er wolle es ihnen sagen!

Hier entwarf der Redner ein Bild vom Krieg, das die leidende Monikinschaft zum Schaudern brachte. Er sah in ihm vier Hauptpunkte, seine religiösen, pekuniären, politischen und häuslichen Schrecken; er beschrieb ihn als den Dämon-Zustand des Monikin’schen Geistes, als entgegengesetzt der Gottesverehrung, der Bruderliebe, der Barmherzigkeit und allen Tugenden. Bei den pekuniären Schrecken zeigte er einen Preiscourant. Knöpfe, die sechs Groschen das Schock kosteten, versicherte er, würden bald sieben kosten. Hier erinnerte man ihn, daß die Monikins keine Knöpfe mehr trügen. »Thut nichts; sie kaufen und verkaufen Knöpfe, und die Wirkungen auf den Handel sind dieselben.« Das politische Ungemach zeigte er als ganz erschrecklich; aber als er von den häuslichen Unannehmlichkeiten sprach, blieb kein Auge im Rath trocken. Kapitän Poke stöhnte so laut, daß ich in der entsetzlichsten Angst war, er werde zur Ordnung gerufen werden.

»Sehet jenen reinen Geist,« rief er, »zermalmt im Wirbel des Kriegs. Betrachtet sie, wie sie sich über den Hügel hinneigt, der den Helden seines Landes, den Gemahl ihrer jugendlichen Neigung, deckt. Vergebens wirft die Waise ihr zur Seite die Augen aufwärts und fragt nach dem Helmbusch, der eben noch ihre kindliche Phantasie vergnügte; vergebens fragt ihre liebliche Stimme, wann er zurückkommen werde, wann er ihre Herzen erfreuen wolle durch seine Gegenwart!« Aber ich kann nicht mehr schreiben; Seufzer unterbrachen den Redner, und er nahm seinen Sitz wieder ein in einer Entzückung von göttlichem Frieden und Wohlwollen.

Ich eilte durch’s Haus, den Brigadier zu bitten, mich ohne Aufschub bei diesem gerechten Monikin einzuführen. Ich fühlte, als könnt‘ ich ihn ohne weitres umarmen und ewige Freundschaft einem so gütigen Geiste schwören. Der Brigadier war zuerst zu bewegt, um auf mich zu achten; aber nachdem er seine Augen wenigstens hundert Mal abgewischt, gelang es ihm, den Thränenstrom zu hemmen und zu mir aufzublicken mit einem lieblichen Lächeln.

»Ist es nicht ein wunderbarer Monikin?«

»Wunderbar, in der That. Wie sehr beschämt er uns alle! Solch ein Monikin wird blos von der reinsten Liebe zu seinem Geschlecht getrieben.«

»Ja, er ist von einer Klasse, die wir die dritte Monikinschaft nennen. Nichts rührt uns so, wie die Grundsätze dieser Klasse.«

»Wie, habt Ihr mehr, als eine Klasse von Gefühlvollen?«

»Freilich, die Originalen, die Repräsentativen und die Spekulativen.«

»Ich brenne vor Verlangen, diese Unterscheidungen zu verstehen.«

»Die Originalen sind eine alltägliche Klasse; sie fühlen natürlich. Die Repräsentativen sind schon intellektueller, sie fühlen hauptsächlich durch Stellvertretung; die Spekulativen sind die, deren Sympathieen durch positive Interessen erregt werden, wie bei dem letzten Redner. Dieser hat kürzlich einen Meyerhof nach Morgen gekauft, den er wieder nach Dorfloosen fußweis verkaufen will; ein Krieg würde aber das Ganze zu Nichte machen. Dies treibt sein Wohlwollen so lebhaft an.«

»Ei, das ist nichts weiter, als eine Entwicklung des gesellschaftlichen Anhaltspunkts-Systems – –«

Ich wurde von dem Sprecher unterbrochen, der das Haus zur Ordnung rief. Die Abstimmung über den Vorschlag des letzten Redners sollte geschehen. Er lautete so: »Beschlossen, daß es ganz und gar der Würde und dem Charakter von Springdurch unangemessen ist, daß Springniedrig wegen einer so geringen Sache, als ein kleinlicher Vertrag zwischen den beiden Ländern ist, ein Gesetz erlassen sollte.«

»Einmüthig angenommen!« riefen fünfzig Stimmen, und Einmüthigkeit war auch da, worauf sich das ganze Haus in höchster Freude über den Erfolg die Hände drückte und schüttelte; denn es hatte ja auf eine sehr ehrenvolle und scharfsinnige Art diese verwirrende und unangenehme Sache erledigt.

Zwölftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Wirkung der Berechnungen auf die Moral; – eine Obscuration, eine Dissertation und eine Calculation.

Das Haus hatte sich noch nicht vertagt, als Kapitän Poke und ich mit einem Besuch von unserm Kollegen Herrn Geradaus beehrt wurden, der wegen einer Sache von der größten Wichtigkeit kam. Er hatte eine kleine Flugschrift in der Hand, und kaum waren die gewöhnlichen Begrüssungen vorüber, so lenkte er unsre Aufmerksamkeit auf einen Theil ihres Inhalts. Es schien, Springniedrig stand am Vorabend einer großen moralischen Verfinsterung; die Perioden und Daten des Phänomens (wenn man so das nennen kann, was zu häufig geschieht) waren von der Springhocher Akademie mit erstaunlicher Genauigkeit berechnet und als eine besondre Begünstigung durch seinen Gesandten unserm geliebten Lande zugesandt worden, damit wir nicht überrascht würden. Die Nachricht von der Sache lautete, wie folgt:

»Am dritten des Rußmonds wird der Anfang einer großen moralischen Verfinstrung in jenem Theil des Monikinlands eintreten, der unmittelbar unter dem Pol liegt. Der verfinsterte Körper ist das große Moral-Postulat, gewöhnlich Grundsatz genannt; und verdunkelt wird er durch das große unmoralische Postulat, das gewöhnlich Interesse heißt. Das häufige Zusammentreffen dieser zwei wichtigen Postulate hat bewirkt, daß in letztern Jahren unsre moralischen Mathematiker etwas nachlässig in ihren Berechnungen darüber waren; aber um diese unentschuldbare Gleichgültigkeit gegen einen der wichtigsten Umstände im Leben wieder gut zu machen, hat die calculirende Committee Auftrag erhalten, ungewöhnliche Aufmerksamkeit auf alle Verdunkelungen dieses Jahrs zu richten, und so ist denn dieses Phänomen, eins der entscheidendsten unsrer Zeit, mit der äußersten Genauigkeit und Sorgfalt berechnet worden. Wir geben die Resultate:

»Die Finsterniß wird beginnen mit Monikin-Eitelkeit, die in Contakt kommt mit Wohlthätigkeit um 1 Uhr frühe. Die Wohlthätigkeit wird ganz bedeckt werden 6 Stunden 17 Minuten lang vom Anfang des Zusammentreffens an. Der Durchgang einer politischen Intrigue wird alsbald folgen, wo dann Wahrheit, Ehrlichkeit, Uneigennützigkeit und Patriotismus alle der Reihe nach werden verfinstert werden, 3 St. 4 M. nachher. Der Schatten der Eitelkeit und politischen Intrigue wird erst noch dunkler werden durch die Annäherung des Glücks, und dem wird bald ein großes pekuniäres Interesse folgen, um 10 Uhr 2 M. 1 S. und in genau 2 St. und 3–7 S. wird das ganze Princip vollständig dem Auge entzogen sein. In Folge dieses frühen Durchgangs des dunkelsten Schattens, der je vom Interesse geworfen worden, werden die übrigen Schatten des Ehrgeizes, Hasses, der Eifersucht und aller andern kleinern Trabanten des Interesses unsichtbar sein.

»Das von dieser Finsterniß besonders betroffene Land ist die Republik Springniedrig, deren bekannte Verständigkeit und sonstige Tugenden vielleicht besser ihrem Einfluß widerstehen können, als sonst ein Land. Die Zeit der Verfinstrung wird sein 9 Jahre, 7 Monate, 26 Tage, 4 Stunden, 16 Minuten, 2 Secunden. Der Grundsatz wird dann dem moralischen Auge wieder erscheinen, erst durch die Annäherung des Unglücks, dessen Atmosphäre, weniger dicht, als die des Interesses, ein unvollkommenes Anschauen des verdunkelten Körpers gestatten wird; aber er wird nicht zu seinem vollkommnen Glanze hergestellt werden, bevor nicht das Elend eingetreten, dessen reinigende Farben alle Wahrheiten sichtbar machen, wiewohl durch ein düsteres Medium.«

Ich starrte den Brigadier voll Verwundrung und Staunen an. Es war nichts Merkwürdiges in der Verfinstrung, selbst, es war eine alltägliche Sache; aber die Genauigkeit, womit sie berechnet worden, fügte zu den andern Phänomenen noch den schrecklichen Umstand hinzu, daß man einen Blick in die Zukunft thun konnte. Ich begann nun den ungeheuren Unterschied einzusehen, mit Wissen unter einer moralischen Verfinsterung zu leben, und ohne Wissen; das Letztere war gewiß eine Kleinigkeit gegen das Erstere. Die Vorsehung hat sehr gut für unser Glück gesorgt, indem sie uns nicht über den gegenwärtigen Augenblick hinauszusehen vergönnte.

Noah nahm sich die Sache selbst noch mehr zu Herzen, als ich. Er sagte mir mit einem reuevollen und ahnenden Blick, daß wir sehr nahe der Herbst-Tag- und Nacht-Gleiche wären, wo wir dann eine natürliche Nacht von sechs Monaten haben würden, und wenn auch das wohlthätige Surrogat des Dampfes einiger Maßen das Uebel verringern würde, sei es doch immer ein böses Uebel, so lange Zeit die Sonne entbehren zu müssen. Er fände die ewige Taghelle schlecht genug; aber er glaube nicht, ihre gänzliche Abwesenheit ertragen zu können. Die Natur hätte ihn zu einem Wechselwesen, zu einem Wachablösungs-Geschöpf gemacht. Zwielicht, von dem so viel gesagt werde, sei noch schlimmer, als nichts, da es weder das eine, noch das andere wäre; er liebe die Dinge aus einem ganzen Stück. Ferner habe er das Schiff auf eine ferne Werfte geschickt, daß das gemeine Volk nicht mehr zu Kapitäne und Unteradmirale würde, und hier habe er vier Tage lang von nichts als Nüssen gelebt. Nüsse wären für Monikinphilosophie gut genug, aber er habe aus Erfahrung, daß sie für Menschenphilosophie den Teufel nichts nütze wären. So stünden die Sachen jetzt schon schlimm genug; ihn verlange nach ein wenig Pökelfleisch, das möge Jedermann wissen; es möge nicht sehr sentimental sein, aber es sei ein Kapitalessen auf der See; seine Natur sei so ziemlich nach Schwein, er glaube, die meisten Menschen hätten auf eine oder die andre Art mehr oder weniger schweinen in ihrer menschlichen Natur; Nüsse wären gut für Monikin-Naturen, aber Menschen-Natur liebe Fleisch; wenn Monikins es nicht liebten, brauchten sie es ja nicht zu essen; dann bliebe um so mehr für die, die es liebten; er verlange nach der natürlichen Nahrung, und nun gar neun Jahre in einer Finsterniß zu leben, davon könne gar keine Rede sein. Die längsten Stoningtoner Finsternisse dauerten selten über drei Stunden; er wisse von einer, die der Dechant Hochtrab ganz durchgebetet, von ihrer Erdnähe an bis zu ihrer Erdferne. Er schlage daher vor, daß ich und er ohne Weitres unsre Parlamentssitze aufgeben und das Wallroß so schnell, wie möglich, nördlich bringen sollten, damit wir nicht von der Polarnacht überfallen würden. Dem ehrenhaften Bob Schmutz aber, dem wünsche er kein größres Glück, als sein ganzes Leben zu bleiben, wo er sei, und seine acht Dollars in Nüssen täglich einzunehmen.

Obwohl es unmöglich war, Noah’s Gesinnungen nicht zu hören, und wenn man sie gehört, sie nicht zu würdigen, so wurde doch meine Aufmerksamkeit noch mehr durch des Brigadiers Benehmen, als durch die Jeremiade des Robbenfängers angezogen. Auf meine ängstliche Frage: ob er nicht wohl, antwortete unser würdiger- College kläglich: er trauere über das Unglück seines Landes.

»Ich hab‘ oft den Gang der Leidenschaften beobachtet, so wie den der kleinern Beweggründe, wie sie an der Scheibe des großen Moral-Grundsatzes vorüber gehen, aber eine Verfinstrung seines Lichts durch ein pekuniäres Interesse und auf so lange Zeit ist schrecklich. Der Himmel allein weiß, was aus uns werden wird.«

»Sind nicht bei allem dem diese Verfinsterungen blose Erklärungen des socialen Anhaltpunkt-Systems. Ich gestehe, diese Verdunklung, vor der Ihr so große Furcht zu haben scheint, ist bei näherem Nachdenken nicht so schrecklich, wie es anfangs erschien.«

»Ihr habt ganz Recht, Sir John, was den Charakter der Verfinstrung selbst betrifft, der natürlich von dem Charakter des dazwischentretenden Körpers abhängen muß. Aber die weisesten und beßten unsrer Philosophen behaupten, daß das ganze System, von dem wir nur ein unbedeutender Theil sind, auf gewisse unwandelbare Wahrheiten von einem göttlichen Ursprung gegründet ist. Die Vordersätze, die Postulate all dieser Wahrheiten, sind eben so viele moralische Führer in Behandlung der Monikin’schen Angelegenheiten, und sobald man sie aus dem Gesicht verliert, wie dies der Fall sein wird während jener kommenden neun schrecklichen Jahre, werden wir gänzlich der Selbstsucht anheim fallen. Nun ist aber Selbstsucht nur zu furchtbar, wenn sie auch von Grundsätzen in Schranken gehalten wird; wird sie aber ihren eignen um sich greifenden Gelüsten und kühnen Sophismen überlassen, dann ist mir die moralische Perspektive schrecklich. Wir sind nur zu geneigt, unsre Augen von dem Grundsatz abzuwenden, wenn er in himmlischem Glanz und in voller Glorie vor uns scheint; so ist es denn nicht schwer, die Folgen voraus zu sehen, die aus seiner gänzlichen und andauernden Verdunklung hervorgehen müssen,«

»Ihr glaubt also, daß es eine über das Interesse erhabene Regel gibt, die in Leitung der Monikin-Angelegenheiten beachtet werden sollte.«

»Ohne Zweifel; in was würden wir uns denn sonst von den Raubthieren unterscheiden?«

»Ich sehe nicht recht, ob dies mit den Begriffen der Staatsökonomen nach dem socialen Anhaltspunktssystem übereinstimmt oder nicht.«

»Wie Ihr sagt, Sir John, es stimmt damit überein, und auch nicht. Euer sociales Anhaltspunktsystem setzt voraus, daß, wer ein sogenanntes besondres, in die Augen fallendes Interesse an der Staatsgesellschaft hat, am wahrscheinlichsten ihre Angelegenheiten weise, gerecht und uneigennützig führen wird. Dies wäre wahr, wenn die großen Principien, die an der Wurzel alles Glücks liegen, geachtet würden; aber leider! ist der fragliche Anhaltspunkt, statt ein Anhalt in Gerechtigkeit und Tugend zu sein, gewöhnlich zu einem blosen Anhalt im Eigenthum herabgewürdigt. Nun zeigt alle Erfahrung, daß die großen Eigenthums-Antriebe nur die sind, das Eigenthum zu schützen, und mit Eigenthum die Vortheile zu erkaufen, die vom Eigenthum ganz unabhängig sein sollten, nämlich: Ehren, Würden, Macht und Freiheiten. Ich kann nicht sagen, wie’s bei den Menschen ist, aber unsre Geschichte ist in diesem Punkt beredt. Wir hatten das Eigenthumsprincip überall angewandt, und der Erfolg hat bewiesen, daß seine Hauptwirkung ist, das Eigenthum so unantastbar, wie möglich, zu machen, und dagegen die Knochen, Sehnen und das Mark aller derer, die nichts besitzen, zu seinen Sklaven. In der That, es hat eine Zeit gegeben, wo die Reichen frei waren von den Beiträgen zu den gewöhnlichen Bedürfnissen des Staats. Aber es ist ganz unnöthig, über diesen Gegenstand Theorieen aufzustellen; denn an jenem Geschrei in den Straßen hört man schon, die Verfinsterung beginnt, und wir werden bald nur zu viel praktische Belehrung haben.«

Der Brigadier hatte Recht; ein Blick auf die Uhr, und es fand sich in der That, daß die Verdunklung schon seit einiger Zeit begonnen, und daß wir am Abhang einer vollständigen Verfinsterung des Grundsatzes standen, und zwar durch die gemeinste und schmutzigste aller Triebfedern, – das Geldinteresse.

Das erste Zeichen von dem wahren Zustand der Dinge war die Sprache des Volks. Das Wort Interesse war in jedes Monikins Munde, während das Wort Grundsatz, wie billig, gänzlich aus dem Springniedriger Wörterbuch ausgelöscht schien. Die lokalen Ausdrücke in unsre Sprache überzutragen, schien die Hälfte der Landessprache in das einzige Wort Thaler zusammengedrängt: Thaler – Thaler – Thaler, nichts als Thaler. Fünfzig Tausend Thaler, – zwanzig Tausend Thaler, – hundert Tausend Thaler, drang sich auf an jeder Straßenecke. Diese Worte ertönten in allen Winkeln, auf den Landstraßen, an der Börse, in den Boudoirs, ja selbst in der Kirche. War ein Tempel zur Gottesverehrung aufgeführt worden, so war die erste Frage, wie viel er kostete. Stellte ein Künstler die Früchte seiner Mühen dem Geschmack seiner Mitbürger dar, so lispelte es unter den Schauenden, wie viel Curant-Münze der Republik wohl dafür zu bezahlen sei. Legte ein Schriftsteller die Ergüsse seines Genies denselben Richtern vor, so wurde ihr Werth auf dieselbe Art bemessen; und ein Geistlicher, der einen ernsten, aber unzeitigen Aufruf an die Mildthätigkeit seiner Landsleute erlassen, indem er zugleich die Schönheiten und Belohnungen des gottgefälligen Reichthums darlegte, ward gänzlich niedergebracht durch den Beweis, daß sein Vorschlag beträchtliche Auslagen mache, ohne klar zu zeigen, wie viel man durch das Gelangen zum Himmel gewinne.

Brigadier Geradaus hatte gute Gründe für seine düstre Ahnungen. Denn alle Vorzüge, Kenntnisse und Erfahrungen, durch Jahre langes Reisen erlangt, erwiesen sich jetzt als gänzlich nutzlos. Wenn mein ehrenwerther Kollege und Reisegefährte eine Bemerkung über auswärtige Politik wagte, worauf er großes Nachdenken verwandte, antwortete man ihm mit einem Spruch aus der Börse; eine Bemerkung über eine Sache des Geschmacks gab sicher zu einer genauen Unterscheidung zwischen dem Geschmack gewisser Liqueure nebst einer spitzfindigen Untersuchung ihrer verschiedenen Preise Veranlassung; und ein Mal, als der würdige Monikin zeigen wollte, und zwar, wie mir schien, aus sehr guten Daten, daß die auswärtigen Verhältnisse große Festigkeit, eine gehörige Klugheit und viel Vorsicht verlangten, ward er vollständig von einem Gegner zum Schweigen gebracht, der nach den letzten Verkäufen den hohen Werth der Ausfuhr bewies.

Kurz, man konnte keinen Gegenstand in Anregung bringen, der sich nicht auf die gewöhnliche Art in Thalern umwandeln ließ. Die Bethörung verbreitete sich von Vater auf Sohn, von Mann auf Weib, von Bruder auf Schwester, und von einem Verwandten zum andern, bis sie so ziemlich alles das umfaßte, was man gewöhnlich Staatsgesellschaft nennt. Noah fluchte bitterlich über diesen widerwärtigen Zustand der Dinge; er versicherte, er könne keine Wallnuß in einer Ecke aufkrachen, ohne daß ihm jeder Monikin die Lust, so gering sie auch wäre, mißgönnte, und Stonington, obwohl ein kleinstädtischer Ort, sei doch ein Paradies gegen Springniedrig in seinem gegenwärtigen Zustand.

Es war traurig, zu bemerken, wie der Glanz der gewohnten Tugenden dunkel ward, je mehr die Verfinsterung fortdauerte, und das Auge gewöhnte sich nach und nach an das Düstre, das der Schatten vom Geldinteressen von sich warf. Ich schauderte unwillkürlich vor der offnen und unverhüllten Weise zurück, wie die Einzelnen, die sonst für ehrenwerthe Monikins gelten konnten, von den Mitteln sprachen, die sie gewöhnlich zur Erreichung ihrer Zwecke anwandten, und ihr gänzliches Vergessen des großen Princips an den Tag legten, das verhüllt war. Einer prahlte kühn, wie viel listiger er sei, als das Gesetz; ein Andrer bewies überzeugend, daß er seinen Nächsten übervortheilt, während ein Dritter, kühner oder erfahrner, die ganze Nachbarschaft betrogen. Der hatte den Vorzug der List, der der Verstellung, ein Andrer des Betrugs, und Alle den Vorzug des Erfolgs.

Der Schatten warf seinen bösartigen Einfluß auf jedes Interesse des Monikinschen Lebens. Tempel wurden Gott aus Spekulation errichtet, die Regierung ward in ein Geldgeschäft verkehrt, wo Vortheil, und nicht Gerechtigkeit und Sicherheit der Zweck war; der heilige Ehestand erhielt den Anschein von Kaufen und Verkaufen, und Wenige beteten, die nicht geistige Wohlthaten mit Gold und Silber identificirten.

Der Alles beherrschende Hang meines Vorfahren begann bald sich in Springniedrig zu zeigen. Viele dieser reinen und unphilosophischen Republikaner schrieen: »Das Eigenthum ist in Gefahr!« ganz so laut, als es jemals Sir Joseph Job geheult, und dunkle Anspielungen auf Revolutionen und Bayonette wurden gemacht. Aber ganz gewisse Zeichen von der Obermacht der Finsterniß und von dem schweren Druck des Geldinteresses auf dem Lande fand man in der Sprache der sogenannten »Wenigen.« Sie warfen, wie Fischweiber, Koth auf alles ihnen Entgegengesetzte, ein sichres Zeichen, daß der Geist der Selbstsucht vollständig erwacht war. Aus vieler Erfahrung halte ich dies Kennzeichen für untrüglich, daß dann das aristokratische Gefühl thätig und wach ist. Ich habe noch nie ein Land gesehen, wo eine Minderheit sich es in den Kopf setzte, sie sei allein fähig, ihren Mitbürgern Gesetze zu geben, ohne daß sie alsbald ihre Stellung dadurch zeigte, daß sie herabwürdigende Namen erfand. Darin sind die »Wenigen« wie Weiber, die, ihrer Schwäche sich bewußt, selten den Mangel an Kraft in ihren Gliedern dadurch zu ersetzen verfehlen, daß sie zur Kraft ihrer Zunge ihre Zuflucht nehmen. Der »Eine« hängt auf, die »Vielen« herrschen durch die Würde der Kraft, die »Wenigen« tadeln und schelten. Dies ist, glaub‘ ich, in der ganzen Welt so, nur etwa die Fälle ausgenommen, wo auch die »Wenigen« zufällig das Vorrecht des Hängens genießen.

Es ist bemerkenswerth, daß die Ausdrücke »Pöbel,« »Desorganisateurs,« »Jakobiner« und »Agrarier« unter diesem bösartigen Einfluß in Springniedrig ganz mit demselben Recht, Geschmack und Unterscheidung gegenseitig dem Einen vom Andern beigelegt wurden, wie mein Vorfahr in London sie einige Jahre früher gebraucht hatte. Gleiche Ursachen bringen bekanntlich gleiche Wirkungen hervor, und nichts gleicht so sehr einem am Eigenthums-Fieber leidenden Engländer, als ein Springniedriger Affe, der an derselben Krankheit darnieder liegt.

Der durch den Schatten des Geld-Interesses auf den Stand der Parteien hervorgebrachte Einfluß war so seltsam, daß er eine besondre Erwähnung verdient. Patrioten, längst durch ihren Eifer in Unterstützung ihrer Freunde bekannt, verließen ganz offen ihre Ansprüche auf die Belohnungen des kleinen Lotterie-Rads, und gingen zum Feind über, und zwar ohne daß sie geheimnißvolle Sprünge zu Hülfe genommen.

Richter Volksfreund war für den Augenblick ganz vernichtet, so daß er selbst ernsthaft an die Annahme einer zweiten Mission dachte; denn während dieser Verfinsterungen galten lange Dienste, politische Tugend, berechnete Höflichkeit und alle andre angenehme Eigenschaften eines Patrioten für Nichts, wenn sie gegen Vortheil und Verlust abgewogen werden. Es war noch sehr glücklich, daß die Springdurch-Angelegenheit ihrem Wesen nach so gut beendigt worden, wiewohl die Unruhe derer, die das Land zollweise kauften und verkauften, auch dies ihr Interesse wieder vor’s Publikum brachten, indem sie verlangten, man solle einige Millionen auf Zerstörung der Kriegsmunition verwenden, damit nicht die Nation sich unvorsichtiger Weise reizen lasse, sie zu ihrem natürlichen Zweck zu gebrauchen. Die Kreuzer wurden daher in den Fluß heraufgeholt und zu Mühlen verwandt, die Flintenläufe sahen sich in Gasröhren verwandelt, und die Festungswerke wurden so schnell, wie möglich, zu Waarenhäuser und Theepflanzungen eingerichtet. Nun wurde es ziemlich Mode, zu versichern, der vorgerückte Stand der Bildung habe alle künftige Kriege ganz unmöglich gemacht. In der That, der Einfluß der Finsterniß auf die Humanität en gros war ganz eben so merkwürdig, als seine entgegengesetzte Wirkungen auf die Humanität en détail.

Die öffentliche Meinung zeigte ebenfalls bald, wie gänzlich sie unter dem Einfluß des Schattens stünde. Tugend ward nach Koupons abgemessen. Die Reichen eigneten sich ohne Zaudern und auch ohne Widerstand den alleinigen Gebrauch des Wortes »ehrbar« zu, während Geschmack, Urtheil, Ehrlichkeit und Weisheit gleich Erblehen ruhig in den Besitz derer übergingen, die Geld hatten. Die Springniedriger waren ein Volk von grossem Scharfsinn und seltner Kenntniß der Einzelheiten. Jeder angesehene Mann ließ sich bald seine sociale Stellung anweisen, und die ganze Gemeinde wurde in Klassen von Hundert-Tausend-Thaler-Monikins, von Fünfzig-Tausend-Thaler u.s.w. eingetheilt. Große Kürze im Ausdruck war eine Folge dieses Zustands. Die alten Fragen: Ist er ehrlich? ist er fähig? erleuchtet? weise? ist er gut? wurden alle in den wenigen Worten begriffen: Ist er reich? –

Dieser ungewöhnliche Zustand der Dinge hatte eine Wirkung, die ich nicht vorausgesehn. Alle gelderwerbende Klassen ohne Ausnahme zeigten eine große Vorliebe für, was man nennt, eine strenge Regierung, und da Springniedrig nicht nur ein Freistaat, sondern recht eigentlich eine Volksherrschaft war, fand ich, daß bei weitem der größre Theil dieser hochehrbaren Klasse mit seinem Wunsch nach einer Aendrung gar nicht zurückhielt.

»Wie ist das?« fragte ich den Brigadier, den ich selten verließ; denn sein Rath und seine Ansichten waren mir besonders in dieser seltsamen Krisis von großer Wichtigkeit; »wie ist das, mein Lieber? Ich bin immer der Ansicht geneigt gewesen, daß der Handel besonders nach Freiheit verlangt; und hier sind doch alle Eure kommerciellen Interessen am lautesten in ihrem Geschrei gegen die Institutionen.«

Der Brigadier lächelte, es war aber ein wehmüthiges Lächeln; denn sein Bewußtsein schien ihn ganz verlassen zu haben.

»Es gibt drei große Abtheilungen unter den Politikern,« sagte er: »die, welche die Freiheit ganz und gar nicht lieben; die, welche sie nur so weit, als ihre besondre Klasse geht, lieben, und die, welche sie um ihrer Nebenmenschen willen lieben. Die Erstern sind nicht zahlreich, aber mächtig durch Kombinationen; die Zweiten bilden ein sehr unregelmäßiges Korps, da sie eigentlich Jedermann in sich einschließen, es fehlt ihnen aber nothwendig Eintracht und Zucht, da keiner über sich hinaus geht; der Dritten sind nur wenige, – ach, wie wenige! und sie bestehen aus denen, die über ihren Eigennutz hinaussehen. Nun sind die Kaufleute, die in Städten wohnen und Eintracht, Mittel und Gleichheit der Interessen haben, im Stande gewesen, sich durch ihr Ringen mit despotischer Gewalt auszuzeichnen, – eine Thatsache, die ihnen leichten Kaufs den Ruf freisinniger Ansichten verschafft hat; aber, so weit Monikin’sche Erfahrung geht, (die Menschen mögen sich vielleicht besser gezeigt haben) ist keine Regierung, die wesentlich unter dem Einfluß des Handels steht, je anders als exklusiv und aristokratisch gewesen.«

Ich dachte an Venedig, Genua, Pisa, die Hanse-Städte und all die andern Plätze dieser Art in Europa, und fühlte die Wahrheit von meines Freundes Unterscheidung; zugleich mußte ich bemerken, wie vielmehr die Menschen unter dem Einfluß von Namen und Abstraktionen, als unter dem der wirklichen Dinge stehen. Dieser Ansicht stimmte der Brigadier gerne bei und bemerkte zugleich, daß eine gut ausgedachte Theorie gemeiniglich mehr auf die öffentliche Meinung wirke, als tausend Thatsachen; eine Wirkung, die er dem Umstand zuschrieb, daß die Monikins eine vorherrschende Neigung hätten, sich die Mühe des Denkens zu ersparen.

Besonders überraschten mich die Wirkungen der Verdunklung des Princips auf die Beweggründe. Ich hatte oft bemerkt, wie es gar nicht sicher sei, sich auf seine eignen Beweggründe zu verlassen, und das aus zwei triftigen Gründen; erstlich, wüßten wir nicht recht, welches unsre Beweggründe, und zweitens, dies auch zugegeben, wäre es ganz unvernünftig, vorauszusetzen, unsre Freunde würden die dafür halten, die wir selbst dafür hielten. Gegenwärtig sehe jeder Monikin die Schwierigkeit ein, aber statt zu warten, bis seine Bekannten ihm als leitenden Grundsatz eine moralische Wundernatur zuschrieben, nähme er klüglich einen mäßig selbstischen Beweggrund zu seinen Handlungen, den er mit einer Einfachheit und Freimüthigkeit zugestände, welche gemeiniglich Glauben fänden. In der That, die Thatsache ein Mal zugestanden, daß der Beweggrund nicht auf eine beleidigende Art uneigennützig und gerecht sei, sei Niemand abgeneigt, auf die Pläne seines Freundes zu hören, der gemeiniglich in der Achtung steige, je mehr er scharfsinnig berechnend und listig erfunden werde. Der Erfolg von allem diesem sei, daß die Gesellschaft dadurch außerordentlich einfach und aufrichtig würde; und wer nicht an so viel Aufrichtigkeit gewöhnt und mit der Ursache unbekannt wäre, mögte leicht genug manch Mal meinen, der Zufall habe ihn in eine ungewöhnliche Verbrüderung von Künstlern versetzt, die, wie man es gewöhnlich ausdrückt, nur von ihrem Witze leben. Ich gestehe, wäre es in Springniedrig Sitte gewesen, Taschen zu tragen, ich wäre oft wegen ihres Inhalts in Besorgniß gerathen; denn so ganz und gar unsophistische Ansichten wurden unter dem Einfluß der Finsterniß so offen dargelegt, daß man unvermeidlich öfter, als angenehm war, vermogt wurde, an die Beziehungen zwischen Mein und Dein zu denken, so wie an die unerwarteten Ursachen, durch welche sie manch Mal gestört wurden.

Den zweiten Tag der Verfinsterung trat eine Erledigung unter den Deputirten von Bivouac ein, und der Bewerber der Horizontalen wäre gewiß erwählt worden, wäre nicht ein mit diesen Beweggründen verbundnes Ereigniß dazwischen getreten. Das Individuum hatte vor Kurzem gethan, was in den meisten andern Ländern und unter andern Umständen für einen sehr deutlichen Beweis patriotischen Gefühls gegolten haben würde, welches aber jetzt von seinen Gegnern als ein ganz offenbares Zeichen seiner gänzlichen Unfähigkeit, ihre Interessen zu vertreten, dargestellt ward. Die Freunde des Bewerbers ließen sich erschrecken, und leugneten voll Unwillen die Beschuldigung der Perpendikularen, indem sie versicherten, ihr Monikin sei gehörig für das, was er gethan, bezahlt worden. In einer unglücklichen Stunde ließ es sich der Bewerber beikommen, vermittelst eines Handschreibens zu versichern, daß kein andrer Beweggrund, als das Verlangen auf ihn Einfluß gehabt, zu thun, was er für recht gehalten. Solch ein Mann ward für vernachlässigt in natürlichen Anlagen gehalten, und so unterlag er natürlich; denn die Springniedriger Wähler sind nicht solche Esel, daß sie die Sorge für ihre Interessen einem Manne anvertrauten, der so wenig sein eignes zu wahren verstand.

Um diese Zeit brachte auch ein berühmter dramatischer Schriftsteller ein Stück zum Vorschein, wo der Held aus Patriotismus Wunder verrichtete, und zum Lohn wurde seine Arbeit alsbald verworfen. Parterre und Logen – doch stimmten die Gallerien nicht bei – entschieden, daß es ganz gegen alle Natur wäre, einen Monikin darzustellen, der auf diese unerhörte Art ohne Beweggrund sich Gefahren aussetzte. Der unglückliche Wicht änderte die letzte Scene, indem er seinen Helden durch eine gute runde Summe Geld belohnen ließ, und nun hatte das Stück einen ziemlichen Erfolg für den übrigen Theil der Saison, wiewohl ich zweifle, daß es je so populär wurde, als es der Fall gewesen, wenn man diese Vorsicht vor seiner ersten Aufführung genommen.

Zweites Kapitel.

Zweites Kapitel.

Von mir und zehen Tausend Pfund.

Obgleich mein Vorfahr viel zu weise war, um nicht manchmal in weltlicher Rücksicht auf seinen Ursprung zurückzuschauen, so warf er doch diese Rückblicke nie so weit, daß sie das hohe Geheimniß seines moralischen Zustandes hätten erreichen können, und während seine Gedanken, wie man hätte sagen mögen, immer auf der Jagd waren, Blicke in die Zukunft zu thun, waren sie doch viel zu irdisch, um sich über einen andern Abrechnungstag zu verbreiten, als den, der durch die Stockbörse regulirt ward. Bei ihm war geboren worden, nur der Anfang einer Speculation und sterben das Abschließen der allgemeinen Bilanz zwischen Gewinn und Verlust. Ein Mann also, der so selten über die wichtigen Wechsel des Lebens nachgedacht hatte, war um so weniger vorbereitet, auf die sichtliche Erhabenheit des Sterbebettes zu blicken. Obgleich er nie meine Mutter wahrhaft geliebt hatte, denn Liebe war ein viel zu reines und erhabenes Gefühl für einen Mann, dessen Einbildung gewöhnlich über den Schönheiten des Rentenbuchs verweilte, war er doch immer gütig gegen sie gewesen, und zuletzt war er selbst, wie schon gesagt, sogar ziemlich geneigt, zu ihren zeitlichen Bequemlichkeiten soviel beizutragen, als nur immer mit seinen Bestrebungen und Gewohnheiten verträglich war. Andrerseits verlangte das ruhige Gemüth meiner Mutter eine mehr erregende Ursache, als dieß bei der Zuneigung ihres Mannes der Fall war, um diese Keime tiefer, ruhiger, weiblicher Liebe zu beleben, die gewiß in ihrem Herzen versteckt waren, wie der Saame, den des Winters unerfreuliche Kälte drückt. Das letzte Zusammentreffen eines solchen Paars konnte nicht wohl von heftigen Ergüssen des Schmerzes begleitet sein. Doch war mein Vorfahr tief von den körperlichen Veränderungen im Aeußern seiner Frau betroffen. »Du bist sehr mager geworden, Betsey,« sagte er, und nahm nach einer langen feierlichen Pause ihre Hand; »vielmehr als ich geglaubt hatte, oder hätte denken können. Gibt die Wärterin Dir stärkende Suppe und Nahrung?« Meine Mutter lächelte das geisterhafte Lächeln des Todes, aber wieß bei dieser Aeußerung voll Ueberdruß mit der Hand zurück. »Dieß all ist jetzt zu spät«, antwortete sie, und sprach mit einer Deutlichkeit und Stärke, wozu sie lange ihre Kraft zurückgehalten. »Nahrung und Kleidung stehen nicht ferner unter meinen Bedürfnissen.«

»Gut, gut Betsey, fehlt es einem weder an Nahrung noch Kleidung, so kann man doch gerade nicht in großer Noth sein, und ich freue mich, daß es dir in soweit wohl ergeht. Doch sagt mir Dr. Ethrington, körperlich stehe es nicht so gut, und ich bin ganz besonders hierher gekommen, um zu sehen, ob ich etwas anordnen kann, was beitragen mag, deine Lage leichter zu machen.«

»Das kannst du, mein Gemahl; meine Bedürfnisse für dieses Leben sind fast vorüber, eine kurze Stunde oder zwei werden mich über diese Welt hinausbringen, über ihre Sorgen, ihre Eitelkeiten, ihre – –« Meine arme Mutter gedachte wahrscheinlich hinzuzufügen, ihre Herzlosigkeit oder ihren Eigennutz; aber sie strafte sich und machte eine Pause. »Durch die Gnade unsres gebenedeiten Erlösers und die gütige Bemühung dieses vortrefflichen Mannes,« begann sie wieder und warf ihr Auge erst nach oben voll heiliger Ehrfurcht, und dann nach dem Geistlichen mit ruhiger Dankbarkeit, »verlasse ich dich ohne Beängstigung und wäre eins nicht, auch ohne Sorge.«

»Und was macht dich so besonders besorgt, Betsey?« fragte mein Vater, und schneuzte sich, sprach aber mit ungewöhnlicher Zärtlichkeit; »wenn es in meiner Macht steht, dein Herz darüber oder über sonst etwas zu beruhigen, nenne es, und ich will Befehle geben, es sogleich auszuführen. Du bist ein gutes frommes Weib gewesen, und kannst dir wenig vorzuwerfen haben.«

Meine Mutter sah ernst und nachdenkend auf ihren Gemahl. Nie vorher hatte er so große Theilnahme an ihrem Glück gezeigt; und wäre es, ach! nicht zu spät gewesen, dieses Aufglimmen von Güte hätte die eheliche Fackel zu einer glänzenderen Flamme anfachen mögen, als sie je früher geglüht hatte.

»Mein Gemahl, wir haben einen einzigen Sohn –«

»Ja, Betsey, und es wird dich erfreuen zu vernehmen, daß der Arzt glaubt, der Junge möge eher am Leben bleiben, als einer seiner armen Brüder und Schwestern.«

Ich kann mir die heilige, geheimnißvolle Urquelle der Mutterliebe nicht erklären, die bewirkte, daß meine Mutter die Hände faltete, ihre Augen zum Himmel erhob und während ein Freudestrahl über die gebrochenen Augen und welken Wangen glitt, Gott für das theure Pfand ihren Dank stammelte. Sie selbst eilte schon weg zum ewigen Glück derer, die reinen Herzens sind, der Erlösten, und ihre Phantasie, ruhig und einfach, hatte ihr schon Bilder vorgezaubert, worin sie und ihre Abgeschiednen vor dem Throne des Höchsten standen, seinen Ruhm sangen und unter den Sternen glänzten,– und doch freute sie sich jetzt, daß das letzte und geliebteste von all ihrer Nachkommenschaft ausgesetzt seyn sollte all den Uebeln und Lastern, – ja all dem Greuel eines Zustandes, den sie selbst so gerne verließ.

»Von unserm Knaben möcht‘ ich jetzt sprechen,« begann meine Mutter wieder, als ihr Gebet geendet; »das Kind wird Belehrung und Sorgfalt nöthig haben, kurz, Vater und Mutter brauchen.«

»Betsey, du vergißt, daß er immer noch den erstern haben wird.«

»Du bist zu sehr in deine Geschäfte vertieft und außerdem nicht geeignet, ein Kind zu erziehen, das zum Unglück und zur Verführung großer Reichthümer geboren ward.«

Mein herrlicher Ahn sah auf, als dächte er, seine sterbende Gefährtin habe in Wahrheit für immer von ihrer Besinnung Abschied genommen.

»Es gibt öffentliche Schulen, Betsey, ich verspreche dir, das Kind soll nicht vergessen werden, ich will ihn wohl unterrichten lassen, sollte es mich Tausende jährlich kosten.«

Sein Weib streckte die Hand nach der Seinigen aus, und drückte mit der abgemagerten so hart, als eine sterbende Mutter konnte; für einen schnellen Augenblick schien sie selbst von ihrer letzten Sorge befreit zu sein. Aber ihre Kenntniß von ihres Mannes Charakter, die sie durch dreißigjährige harte Erfahrung gewonnen, konnte durch die Dankbarkeit eines Augenblicks nicht umgestoßen werden.

»Ich wünsche«, begann sie wieder ängstlich, »dein feierliches Versprechen zu erhalten, die Erziehung unseres Knaben dem Herrn Etherington zu übertragen, du kennst seinen Werth und mußt volles Vertrauen in ihn haben.«

»Nichts würde mir größre Freude machen, meine liebe Betsey, und wenn Herr Etherington ihn aufnehmen will, will ich Jack noch diesen Abend in sein Haus schicken, denn die Wahrheit zu sagen, ich bin nur wenig dazu geschaffen, die Aufsicht über ein Kind unter einem Jahr zu übernehmen. Ein Hundert des Jahrs mehr oder weniger soll einen so guten Handel nicht zerschlagen.«

Der Geistliche war ein Mann von Ehre und sah ernst bei dieser Rede; jedoch als er den ängstlichen Augen meiner Mutter begegnete, verloren seine ihren Unwillen in einem Blick von Ruhe und Mitleid.

»Der Lohn für seine Erziehung wird sich leicht bestimmen,« fügte meine Mutter hinzu, »aber der Doctor hat nur ungern die Verantwortlichkeit wegen meines armen Jungens übernommen, und zwar nur unter zwei Bedingungen.«

Der Papierspeculant bat mit den Augen um Aufschluß.

»Die eine ist, daß das Kind von seinem vierten Jahr an allein seiner Sorge überlassen werden soll, und die andere, daß du ein Vermächtniß machst zur Unterhaltung zweier armen Schüler an einer der Hauptschulen.«

Als meine Mutter die letzten Worte herausgebracht, fiel sie zurück auf ihr Kissen, von wo ihre Theilnahme an dem Gegenstand sie vermochte, ihr Haupt ein wenig aufzurichten; sie rang leise nach Athem in der Ueberfülle ihrer Angst die Antwort zu vernehmen. Mein Vorfahr zog die Stirne zusammen, wie einer, der einsah, es sei eine Sache, die Nachdenken forderte.

»Du weißt vielleicht nicht, Betsey, daß dergleichen Stiftungen viel Geld wegnehmen, viel Geld, und oft unnützer Weise.«

»Zehn Tausend Pfund ist die Summe, über die Madame und ich übereingekommen,« bemerkte fest der Geistliche, der nach meiner Vermuthung gehofft hatte, seine Bedingung werde zurückgewiesen werden, da er mehr den dringenden Bitten eines sterbenden Weibes als seiner eignen Ansicht von dem, was wünschenswerth oder nützlich sein möchte, gefolgt war.

»Zehen Tausend Pfund!«

Meine Mutter konnte nicht sprechen, doch gelang ihr ein bittendes Zeichen der Bejahung.

»Zehen Tausend Pfund ist viel Geld, meine liebe Betsey, viel, sehr viel.«

Meine Mutter wechselte die Farbe zur Blässe des Todes und nach ihrem Athmen zu urtheilen, schien sie in den letzten Zügen.

»Nun, nun, Betsey,« sagte mein Vater ein wenig hastig, denn er ward erschreckt bei ihrem blassen Antlitz und großer Betrübniß; »mag es so sein, das Geld, – ja, ja, es soll bezahlt werden, wie Du wünschest; nun gib Dein treues Herz zur Ruhe.«

Diese Spannung des Gefühls war zu stark für die Schwäche meiner Mutter, die eine Stunde zuvor kaum, so schien es, hätte sprechen können. Sie reckte ihre Hand nach ihrem Gemahl aus, lächelte freundlich in sein Gesicht, und lispelte das Wort Dank; dann, da ihr Körper alle Kräfte verlor, sank sie in den letzten Schlaf, so ruhig, wie das Kind sein Haupt neigt auf dem Busen der Amme. Dieß war, bei allem dem, ein plötzlicher und gewissermaßen unerwarteter Tod; alle Anwesenden waren von Ehrfurcht erfüllt. Mein Vater staunte für eine ganze Minute auf die ruhigen Züge seines Weibes und verließ schweigend das Zimmer. Ihm folgte Dr. Etherington, welcher ihn zu seinem geheimen Kabinette begleitete, wo sie diesen Abend zum ersten Mal zusammengekommen, und keiner sprach eine Sylbe, bis sie sich gesetzt.

»Sie war eine gute Frau, Dr. Etherington,« sagte der Verwittwete, und schüttelte voll Bewegung sein Knie.

»Sie war eine gute Frau, Herr Goldenkalb.«

»Und ein gutes Weib.«

»Ich habe sie immer für ein gutes Weib gehalten, Sir.«

»Treu, gehorsam und sparsam.«

»Drei Eigenschaften, die von großem praktischen Nutzen in den Geschäften dieser Welt sind.«

»Ich werde nie wieder heirathen, Sir.«

Der Geistliche machte eine Verbeugung.

»Nein, ich könnte nie so eine zweite finden.«

Wieder verbeugte der Geistliche sein Haupt, jedoch war die Beistimmung von einem leichten Lächeln begleitet.

»Nun sie hat mir einen Erben gelassen.«

»Und etwas mitgebracht, was er erben könnte,« bemerkte der Doctor trocken.

Mein Ahn blickte forschend zu seinem Gefährten auf, aber offenbar war viel von seinem Sarkasmus weggeworfen.

»Ich übergebe dem letzten Verlangen meiner geliebten Betsey gemäß das Kind Eurer Sorgfalt, Doctor Etherington.«

»Ich nehme den Auftrag an, Herr Goldenkalb, nach dem der Verstorbenen gegebenen Versprechen, aber ihr werdet Euch erinnern, daß eine Bedingung an dieß Versprechen geknüpft war, welche getreu und schnell erfüllt werden muß.«

Mein Vorfahr war zu sehr an Beobachtung der Verbindlichkeiten des Handels gewöhnt, dessen Gesetzbuch nur für gewisse Fälle Betrügereien zuläßt, die indeß in seinen allgemein angenommenen Regeln der Ehre gehörig bestimmt sind. Es ist eine Art besondrer Moral, mehr auf Convenienz unter seinen Bekennern gegründet, als auf die allgemeinen Rechtssätze. Er achtete den Buchstaben des Versprechens, während es ihm in seiner Seele verlangte, den eigentlichen Sinn desselben zu vermeiden; und seine List suchte schon emsig nach den Mitteln, was er so sehr wünschte; zu vollbringen.

»Ich leistete freilich der armen Betsey ein Versprechen,« antwortete er sinnend, »und es war sogar ein Versprechen unter sehr feierlichen Umständen.«

»Versprechen an Sterbende sind doppelt bindend, da durch ihr Abscheiden in die Welt der Geister sie die Erfüllung derselben, so zu sagen, der ausschließlichen Oberaufsicht des Wesens überlassen, das nicht lügen kann.«

Mein Vorfahr seufzte; sein ganzes Wesen erzitterte und sein Vorsatz wurde erschüttert.

»Doch ließ Euch die arme Betsey als ihren Stellvertreter in diesem Fall,« bemerkte er nach einem Zögern von mehr als einer Minute, und warf seine Augen forschend auf den Geistlichen.

»Gewisser Maßen, freilich, Herr.«

»Und ein Stellvertreter mit voller Macht ist gesetzlich wie ein Eigenthümer, nur unter einem andern Namen; ich denke die Sache kann zu unsrer gegenseitigen Zufriedenheit abgemacht, und die Absicht der armen Betsey dennoch vollkommen erreicht werden. Sie, das arme Weib, verstand wenig von Geschäften, wie es auch für ihr Geschlecht am besten war; und wenn Weiber Sachen von Wichtigkeit unternehmen, machen sie gewöhnlich seltsame Arbeit.«

»Wird nur die Absicht der Verstorbenen vollständig erfüllt, so werdet Ihr mich nicht begehrlich finden.«

»Ich dacht‘ es auch; ich wußte, zwischen zwei verständigen Leuten könne keine Schwierigkeit sich zeigen, wenn sie, so etwas in Ordnung zu bringen, mit ehrlichen Absichten zusammenkommen. Die Absicht der armen Betsey war, ihr Kind unter Eure Obhut zu bringen, in der Erwartung (und ich lasse ihr hierin alle Gerechtigkeit widerfahren), der Knabe werde von Euren Kenntnissen mehr Nutzen ziehen, als möglicher Weise von meinen.«

Dr. Etherington war zu ehrlich, diesen Vordersätzen zu widersprechen, und zu höflich, sie ohne eine Verbeugung der Anerkennung anzunehmen.

»Da wir, mein lieber Herr, in Hinsicht der Präliminarien ganz einstimmig sind,« fuhr mein Vorfahr fort, »wollen wir ein wenig mehr ins Einzelne gehen. Es scheint mir nicht mehr als billig, daß, wer die Arbeit thut, auch den Lohn empfange; in diesem Grundsatz bin ich erzogen worden; darin möchte ich meinen Sohn erzogen haben, und nach ihm hoffe ich immer zu verfahren.«

Eine zweite Verbeugung bezeugte die schweigende Beistimmung des Geistlichen.

»Nun, die arme Betsey, – der Himmel segne sie, sie war eine sanfte, ruhige Lebensgefährtin, und verdient reichlich dafür belohnt zu werden in einem künftigen Zustand; aber die arme Betsey hatte wenig Kenntniß von Geschäften; sie bildete sich ein, wenn sie 10,000 Pfund für milde Zwecke vermache, handle sie recht, während sie in der That eine Ungerechtigkeit beging. Wenn Ihr die Mühe und Sorge der Erziehung des kleinen Jack übernehmt, wer anders als Ihr sollte die Belohnung erhalten?«

»Ich erwarte, Herr Goldenkalb, daß Ihr die Mittel zur Unterhaltung des Kindes herbeischaffet.«

»Davon ist nicht nöthig zu sprechen, Sir,« unterbrach ihn mein Vorfahr schnell und stolz; »ich bin ein vorsichtiger und ein kluger Mann, ein Mann, der den Werth des Geldes kennt, glaub ich, aber kein Geizhals, mein eigen Fleisch und Blut verkümmern zu lassen. Jack soll nie an etwas Mangel leiden, so lange es in meiner Macht steht, es herbeizuschaffen. Ich bin lange nicht so reich, als die Nachbarn annehmen, Herr, aber dann bin ich auch kein Bettler. Ich darf sagen, wenn all meine Ausstände gehörig berechnet werden, ich 100,000 Pfund besitze.«

»Man sagt, Ihr hättet eine weit größere Summe mit der verstorbenen Mad. Goldenkalb erhalten,« bemerkte der Geistliche nicht ohne Tadel in seiner Stimme.

»Ach, mein Herr, ich brauch‘ Euch nicht zu sagen, was allgemeine Gerüchte sind, aber ich will meinen eignen Credit nicht untergraben. Sprechen wir von etwas anderm. Ich wollte nur gerecht sein, Herr Pfarrer. Die arme Betsey verlangte, zehen tausend Pfund sollten zu einem Stipendium oder für zwei Studirende verwandt werden; nun, was haben diese Studierende für mich und die meinigen gethan, oder was werden sie noch thun? Anders ist es mit Euch, Ihr werdet Mühe haben, viel Mühe, ich zweifle nicht daran; und Euch gebührt eine hinlängliche Belohnung. Ich wollte Euch daher vorschlagen, meine Unterschrift auf drei – vier – oder auch fünf tausend Pfund anzunehmen,« fuhr mein Vorfahr fort und stieg mit dem Gebot, je mehr er den Unwillen auf des Geistlichen Stirn sich erhöhen sah. »Ja, Herr, ich will die letzte Summe annehmen, die wohl nicht zu viel für Eure Mühe und Sorge ist, und wir wollen den kindischen Plan der armen Betsey mit den zwei Stipendien und der Stiftung vergessen. Fünf tausend Pfund, Topp, Doktor, für Euch, und die Stiftung sei für immer vergessen.«

Als mein Vater seinen Vorschlag so bestimmt ausgesprochen, wartete er auf den Erfolg mit dem Vertrauen eines Mannes, der lange mit der Begehrlichkeit der Menschen umgegangen. Ihm etwas ganz Neues, schlug seine Berechnung fehl. Das Gesicht des Doktor Etherington erröthete, ward blaß und nahm zuletzt den Ausdruck des bemitleidenden Tadels an. Er stand auf und schritt mehrere Augenblicke schweigend im Zimmer auf und ab; indeß glaubte der andre, er überlege bei sich die Möglichkeit, ein höheres Gebot für seine Zustimmung zu erhalten, als er plötzlich stille stand, und meinen Vorfahren in einem milden aber festen Ton anredete.

»Ich halte es für meine Pflicht, Herr Goldenkalb,« sagte er, »Euch vor dem Abgrund zu warnen, über dem ihr hängt. Die Liebe zum Geld, welches die Wurzel alles Uebels ist, welches Judas vermochte selbst seinen Erlöser und Gott zu verrathen, hat tiefe Wurzel in Eurem Herzen gefaßt. Ihr seid nicht mehr jung, und obwohl noch stolz in Eurer Stärke und Glückseligkeit, näher dem großen Rechnungstag, als Ihr vielleicht selbst glauben mögt. Es ist noch keine Stunde, seit Ihr Zeuge von dem Abscheiden einer reuigen Seele wart, um vor ihren Gott zu treten; seit Ihr die sterbende Bitte von ihren Lippen hörtet und in solcher Umgebung, bei solch einem Auftritt das Versprechen gabt, ihre Wünsche zu ehren, und jetzt, unter der Herrschaft des verfluchten Geistes des Gewinnes wolltet Ihr mit diesen heiligsten Verpflichtungen Euer Spiel treiben, um ein wenig werthloses Gold mehr in der Hand zu behalten, die schon voll ist bis zum Ueberfließen? Denkt Euch, der reine Geist Eures vertrauenden einfachen Weibes wäre zugegen bei dieser Unterredung, denkt ihn Euch trauernd über Eure Schwäche und gebrochene Treue; – ja ich weiß nicht, ob es wirklich so ist, denn es ist kein Grund vorhanden zu glauben, die seligen Geister dürften nicht über uns wachen und trauern, bis wir erlößt sind von dieser Masse von Sünde und Verworfenheit, worin wir wohnen, und dann bedenkt, welches ihr Kummer sein muß, wenn sie ihr scheidendes Verlangen so bald vergessen sieht, wenn sie bemerkt, wie nutzlos das Beispiel ihres heiligen Endes gewesen, wie eingewurzelt und fürchterlich Eure eignen Schwachheiten sind!« Mein Vater war mehr von der Art als von den Worten des Geistlichen zerknirscht; er fuhr mit der Hand über die Stirne, als wolle er den Anblick von seines Weibes Geist da auswischen, er wandte sich um, zog sein Schreibzeug herbei, schrieb einen Wechsel auf zehen tausend Pfund und händigte ihn dem Geistlichen mit der demüthigen Weise eines gestraften Knaben ein.

»Jack steht zu Eurer Verfügung, mein lieber Herr,« sagte er, als das Papier eingehändigt war, »sobald Ihr nach ihm schicken wollt.«

Sie gingen schweigend weg, der Geistliche zu unzufrieden, und mein Vorfahr zu betrübt, um ceremonielle Worte zu machen.

Als mein Vater sich allein befand, blickte er erst verstohlen in der Stube herum, um sich zu versichern, daß der strafende Geist seines Weibes nicht etwa eine weniger in Frage zustellende Gestalt, als die der Luft angenommen, und dachte dann wenigstens eine Stunde lang über alle die Hauptvorfallenheiten des Abends voll Schmerz nach. Man sagt, Beschäftigung sei ein sicherer Trost im Kummer, und so zeigte es sich jetzt; denn glücklicher Weise hatte mein Vater grade an jenem Tag seine Privatrechnung über die ganze Summe seines Vermögens abgeschlossen. So machte er sich denn an die angenehme Arbeit, zog ganz einfach den Betrag des ebenausgestellten Wechsels davon ab, und da er fand, daß er noch über 782311 Pf. verschiedene Schilling und selbst Pence gebiete, ergab sich für ihn ein sehr natürlicher Trost für die Größe der eben weggegebenen Summe durch die Vergleichung mit dem, was ihm noch blieb.

Dreizehntes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Wichtigkeit der Beweggründe für einen Gesetzgeber, moralische Folgerungen, Kometen, Katzen und ein Obhutsmann, nebst etwas alltäglicher Gesetzgebung, zusammen mit Ursache und Wirkung.

Gesetzgebung während der Verdunklung des großen Moral-Grundsatzes durch den Vorübergang des Geldinteresses ist immer nur ein trauriges Geschäft. Es zeigte sich so bei uns ganz besonders in dieser Zeit; denn der Glanz des göttlichen Eigenthums war in beiden Häusern lange vorher durch die Dazwischenkunft verschiedner kleineren Trabanten um ein Bedeutendes gestört worden. In nichts that sich daher der klägliche Zustand der Dinge mehr kund, als in unsern legislativen Verhandlungen.

Da indeß Kapitän Poke und ich, trotz unsrer verschiednen Stellungen in der Politik, immer noch mit einander umgingen, hatte ich bessere Gelegenheit, die Einwirkungen der Verdunkelung auf den scharfsinnigen Geist meines Kollegen zu beobachten, als auf die meisten andern. Er begann bald, ein geregeltes Tagebuch über seine Ausgaben zu führen, und zog immer des Abends den Betrag derselben von den acht Thalern ab, indem er hernach die Bilanz als reinen Gewinn betrachtete. Seine Unterhaltung auch verrieth bald ein Hinneigen zu seinen persönlichen Interessen, statt den erhabenen Flug zu haben, der die Sprache eines Staatsmannes charakterisiren sollte. Er stellte ziemlich dogmatisch den Satz auf, daß die Gesetzgebung doch immer Arbeit sei, daß jeder Arbeiter seines Lohnes werth, und er nicht sehr geneigt sei, die Mühen und Beschwerden, Gesetze machen zu helfen, zu ertragen, wenn er nicht mit einiger Gewißheit sähe, daß etwas dadurch gewonnen werde. Er dachte, Springniedrig habe jetzt schon Gesetze genug, mehr, als es achte und ausführe; und wenn es deren noch mehr brauche, müsse es dafür bezahlen. Er würde die erste Gelegenheit ergreifen, vorzuschlagen, daß unser aller Sold, – oder auf jeden Fall der seinige; Andre mögten thun, was sie wollten, – wenigstens um zwei Thaler täglich erhöht würde, und zwar, wenn er im Hause säße; denn ich sollte dann als Amendement vorschlagen: noch ein Mal so viel sollte den Kommitteen verabreicht werden. Er halte es nicht für billig, von Jemand zu verlangen, er solle für Nichts Kommittee-Mitglied sein, wiewohl die Meisten es für Nichts wären, und wenn wir so zwei Wachen übernehmen sollten, sei das Geringste, was für uns geschehen könnte, doppelter Sold. Er sagte, aus dem günstigsten Gesichtspunkt betrachtet, sei doch immer viel Sinnen und Brüten bei der Gesetzgebung, und viel Kopfzerbrechen, und er werde nie wieder derselbe Mann sein, der er vor seinem Eingehen in dieses Geschäft gewesen; er versicherte mich, seine Gedanken seien manch Mal so verwirrt, daß er nicht wisse, wo gerade der zu finden, den er brauche, und er habe sich tausend Mal einen Schweif gewünscht, seit er im Hause wäre; denn wenn er dessen Ende in der Hand gehalten, gleich einem Stück Tau, habe er immer etwas Handgreifliches, sich daran zu halten, gehabt. Er sagte mir als ein großes Geheimniß, er sei wirklich müde, so in seinen Gedanken nach der nöthigen Kenntniß herumzusuchen, um zu verstehen, was vorginge, und er habe sich wirklich für die übrige Zeit der Session unter die Obhut eines Führers begeben. Er habe nach einem passenden Flügelmann dieser Art sich umgesehen, und er sei so ziemlich entschlossen, den Zeichen des Anführers der Perpendikularen, gleich den Uebrigen, zu folgen; denn es würde in den Reihen weniger Verwirrung hervorbringen und ihm viele Mühe, selbst zu einer Ansicht zu kommen, ersparen. Er wisse übrigens nicht anders, als acht Thaler mögten schon eine artige Pfründe abwerfen, besonders wenn er alles Denken seinem Führer anheim geben und seine Aufmerksamkeit auf etwas Anders richten könnte. Er gedächte, seine Reisen zu beschreiben; denn er sehe, Alles aus der Fremde laufe gleich einem Leuchtfeuer umher, und wenn es auch nicht gelinge, könne er immer zu seinem Lebens-Unterhalt Charten entwerfen.

Ich muß wohl erklären, was Noah unter einem solchen Führer, den er sich anwerben wollte, verstand. Ein solcher Führer oder Gottgleicher, wie ihn die Springniedriger Politik nennt, hat einige Aehnlichkeit mit einem Heiligen im katholischen Kalender; das heißt, er wird kanonisirt, nachdem er durch ein gewisses Maaß von Versuchung und Laster mit heiler Haut durchgekommen, nachdem seine Sache einige Jahre vor den obersten Autoritäten seiner Partei plaidirt worden, und gewöhnlich, nachdem er einen ziemlichen Vorgeschmack vom Fegfeuer hat. Ist indeß die Kanonisation erreicht, dann ist Alles bei ihm leichtes, ruhiges Hinsegeln; es wird ihm selbst, so sonderbar es auch erscheinen mag, ein großer Theil seines früheren Kopfbrechens, wie Noah es ausdrückte, erspart; denn nichts macht es Einem so leicht in dieser Hinsicht, als wenn man für Alle denken muß. Das Denken in Gesellschaft, wie das Reisen in Gesellschaft, verlangt, daß wir einige Rücksicht nehmen auf die Wünsche, auf die Ansichten der Andern; aber wer carte blanche für seine Gedanken erhält, gleicht dem befreiten Vogel und darf hinfliegen, in welcher Richtung es ihm gefällt, und darf vertrauen, daß, wie er auch verfährt, seine Ohren von des gewöhnlichen Reisenden Ruf begrüßt werden: »Es ist Alles wohl.« Ich kann am besten die Operation eines solchen Gottgleichen und seiner Anhänger mit der Wirkung der lokomotiven Kraft und ihres Anhangs auf einer Eisenbahn vergleichen. Wie jene geht, folgt dieser; schneller oder langsamer, – dem Impuls wird gefolgt; wenn der Dampf hoch ist, fliegen sie; wenn das Feuer aus ist, kriechen sie dahin, und zwar mit ziemlich ungleicher Bewegung. Bricht eine Klammer, dann müssen die, welche eben noch, ohne die geringste Bemühung ihrerseits, dahin gefahren sind, aussteigen und die Ladung vorwärts drücken, so gut sie können, häufig mit sehr reuevollen Gesichtern und auf sehr schmutzigen Wegen. Die Karren gehen dahin, ganz wie die lokomotive Kraft geht, alle Ausbiegungen werden nothwendig nachgemacht; es ist ganz, wie man nothwendig voraussehen kann, wenn zwei Körper an einander gekettet werden, und die ganze bewegende Kraft nur einem von ihnen gegeben wird. Ein Gottgleicher in Springniedrig ist ferner gewöhnlich ein Rathsherr. Einen solchen moralischen Fortschlepper wollte Noah aufsuchen, damit auch er, ohne Anstrengung für sich selbst, durch seine Amtsgeschäfte geschleppt würde; ein Mittel, wie der alte Robbenfänger es ausdrückte, das gewisser Maßen seinen natürlichen Mangel an einem Schweif gut machen würde, indem es ihn selbst nur zu einem Schweif machte.

»Ich denke, Sir John,« sagte er, »dies ist die Ursache, warum die Springniedriger sich abstümpfen; sie finden es passender, die Führung ihrer eignen Angelegenheiten einem dieser Gottgleichen zu überlassen und wie ein Kometenschweif seinem Impuls zu folgen, was es ganz unnöthig macht, einen andern Schweif noch zu haben.«

»Ich verstehe Euch; sie schneiden ab, die Tautologie zu vermeiden.«

Noah sprach selten von einem Plan, bis er sich gehörig entschieden hatte, und die Ausführung folgte gewöhnlich bald dem Vorsatz. Das nächste Mal, als ich daher wieder etwas von ihm hörte, war er schon unter der Obhut, wie er’s nannte, eines der ausgezeichnetsten Rathsherrn. Begierig zu erfahren, wie ihm der Versuch gefalle, lenkte ich nach Verlauf einer Woche seine Aufmerksamkeit durch Fragen geradezu wieder auf den Gegenstand.

Er sagte mir, es sei die angenehmste Art der Gesetzgebung, die je erdacht worden. Er sei jetzt vollkommen Herr seiner Zeit, und in der That mache er jetzt eine Charte für die Springniedriger Marine, eine Arbeit, die ihm wohl eine gute runde Summe einbringen würde, da Kürbisse wohlfeil seien, und er in den Polar-Seen nur die Monikin’schen Gewährsmänner kopire, über diese hinaus aber ziemlich seinen eignen Weg gehe. Was die Große Allegorie betreffe, wenn er darüber oder sonst über einen zu entscheidenden Punkt einen Wink brauche, so frage er, nur, was sein Gottgleicher davon halte, und stimme dem gemäß. Auch spare er dadurch viel Athem in seinen Streitigkeiten außerhalb des Hauses; denn da er und die übrige Klientel dieses Rathsherrn officiell ihren Patron mit allen ihren eignen Patenten versehen, habe dieser eine solche Anhäufung von Einsicht erlangt, daß sie gewöhnlich jeden Gegner durch das bloße Anführen seiner Autorität zu Boden schlügen. Dies ist die Meinung von dem und dem Haupt, sei gewöhnlich hinreichend; sein Gottgleicher könne nullificiren, mollificiren und qualificiren, und diese drei iren halte er für die Haupterfordernisse eines Springniedriger Gesetzgebers. Doch gab er zu, einiger Schein von Unabhängigkeit sei nöthig, um selbst der Meinung eines Gottgleichen Werth zu geben; denn die Monikins-Natur empöre sich gegen Alles, was einer totalen geistigen Abhängigkeit ähnele, und er sei auch fest entschlossen, für sich über eine Frage zu denken, die gerade an diesem Tag entschieden werden sollte.

Der Fall, wovon der Kapitän sprach, war dieser. Die Stadt Bivouac war in drei ziemlich gleiche Theile eingetheilt, die von einander durch zwei Strecken Marschländer getrennt wurden. Der eine Stadttheil war eine Art Insel, die beiden andern befanden sich an den respektiven Gränzen des niedern Landes. Es war sehr wünschenswerth, daß diese verschiedenen Theile der Hauptstadt durch Landstraßen verbunden würden, und ein Gesetzesvorschlag war auch zu diesem Zweck vor das Haus gebracht worden. Jedermann in und außer dem Hause war dafür; denn die Landstraßen waren gewisser Maßen unentbehrlich geworden. Der einzige bestrittene Punkt war die Länge der fraglichen Arbeiten. Wer nur wenig mit gesetzgebenden Versammlungen bekannt ist, und wer nie die Wirkungen von einer Verdunklung des großen Moralprincips durch die Scheibe des pekuniären Interesses erfahren, würde wahrscheinlich voraussetzen, daß das Ganze deutlich vorlag, und daß wir nur ein Gesetz zu geben brauchten, das die Ausdehnung der Landstraßen so weit gebot, als das Staatswohl es nöthig machte. Aber das sind nur Abc-Schützen in den Monikin’schen Angelegenheiten. Die Sache war, es wirkten hier ganz eben so viele verschiedene Ansichten und Interessen, als Landeigenthümer in der Straßenlinie waren. Der große Plan war, in das so genannte Geschäftsquartier der Stadt vorzudringen, und dann mit den Arbeiten so weit vorzurücken, als die Umstände erlaubten. Wir hatten Vorschläge vor uns zu Gunsten von tausend Fuß bis zu zehn tausend. Jeder Zoll wurde mit eben so vieler Heftigkeit verfochten, als sei es eine wichtige zu vertheidigende Bresche, und Kombinationen und Konspirationen waren so reif, als wären wir mitten in einer Revolution. Lange blieb der Sieg zweifelhaft, doch siegte endlich die Ansicht der Horizontalen, das ganze Werk bis an die beiden Extreme fortzubauen, und hier schlug sich auch Noah zu uns. Den Ausschlag gab aber eigentlich, daß all die geschlagnen Interessen und Parteien zuletzt sich mit uns, die die schwächste Seite bildeten, vereinten, mit andern Worten, daß sie zur guten Sache übergingen, die hier, wie überall, die schwächste war, und so gab Springniedrig das seltene Beispiel, daß ein tüchtiges Gesetz während der Verfinsterung des so oft genannten Moralprincips erlassen ward. Dieses Princip, wie ich schon früher hätte sagen sollen, wurde auch Postulat genannt, wie denn dies gewöhnlich bei noch bestrittenen Sätzen ist.

Nicht sobald war der Erfolg bekannt, als mein würdiger Kollege zu der Horizontal-Seite des Hauses kam, um seine Zufriedenheit mit sich selbst über den eben eingeschlagenen Gang zu bezeugen. Er sagte, es sei freilich sehr bequem und Arbeit ersparend, einem Gottgleichen zu folgen, und er rücke mit seinen Charten nur um so besser voran, da er alle seine Aufmerksamkeit jetzt darauf verwenden könne; aber es sei doch etwas, er wisse nicht was, so ein Stoningtoner Gefühl, wenn man thäte, was man für recht halte, und das mache denn auch, daß er sich freue, für die ganze Straße gestimmt zu haben. Er kenne das Land von Springniedrig gar nicht, und daher schließe er, was er gethan, sei das Beste; auf jeden Fall, wenn er nichts dabei gewonnen, habe er auch nichts dabei verloren, und er hoffe, Alles werde gut enden. Die Leute auf der Insel freilich hätten schön gesprochen, was sie für die thun wollten, die ihre Interessen unterstützten; aber er sei einer Curant-Münze in Promessen überdrüssig, und schöne Worte, in seinem Alter, seien nicht viel werth, und so habe er wohl ganz recht gethan, wie er gethan. Er denke, Niemand könne seine Abstimmung in Frage stellen; denn er sei jetzt noch eben so arm und so übel daran, nun, da er gestimmt, als während seines Ueberlegens. Er werde sich jetzt nicht mehr scheuen, dem Dechanten Snort und auch dem Pfarrer offen in’s Gesicht zu sehen, wenn er nach Hause käme, ja selbst der Mad. Poke. Er wisse, was das heiße, ein rein Gewissen haben; denn Niemand wisse so gut, was das sei, ohne Etwas sein, als die den Mangel durch Erfahrung empfunden hätten. Sein Führer sei ein sehr arbeitersparender Führer; aber er habe bei’m Nachforschen gefunden, er sei von einem andern Theile der Insel gekommen, und kümmere sich nicht im geringsten darum, auf welche Weise sein Katzenschweif (so nannte Noah die Klientel) stimme. Kurz, es solle jetzt ein Mal Jemand etwas gegen ihn sagen, und deßwegen sei er froh, eine Gelegenheit gehabt zu haben, seine Unabhängigkeit zu zeigen; denn seine Feinde hätten schnell bemerkt, daß seit einiger Zeit er wenig besser, als ein Sprachrohr gewesen, um alles, was sein Führer wünschte, auszuposaunen. Er schloß damit, er könne es nicht länger ohne Fleisch irgend einer Art aushalten, und bat, ich möchte einen Vorschlag unterstützen, den er zu machen gedenke, nach welchem geregelte substantielle Nahrung dem ganzen menschlichen Theile des Hauses ausgetheilt werden sollte. Seine Natur sei so ziemlich schweinen; die nicht menschlichen möchten noch immer von Nüssen leben, wenn es ihnen beliebte.

Ich sprach gegen das Projekt der Rationen; ich rief seinen Stolz auf, indem ich zeigte, daß wir für wenig besser als Thiere gehalten werden würden, wenn wir Fleisch äßen, und rieth ihm, der Abwechslung wegen einige seiner Nüsse rösten zu lassen. Nach langen Ueberredungen versprach er ferneres Fasten, wiewohl er mit einem seltsam fleischgierigen Blick um seinen Mund wegging, mit einem Auge, das in jedem seiner Blicke schweinen sprach.

Ich befand mich den folgenden Tag zu Hause, beschäftigt mit meinem Freunde, dem Brigadier, die große National-Allegorie durchzusehn, in der Absicht, jedes künftige unwillkürliche Versehen zu vermeiden, indem ich wieder etwas daraus anführte, – als Noah wüthig, wie ein Wolf, der von einer ganzen Meute Hunde gebissen worden, in’s Zimmer stürzte. Dies war auch gewisser Maßen seine Lage; denn seiner Erzählung nach war er jenen Morgen selbst in den öffentlichen Straßen von jedem Monikin, jeder Monikina und jedem Monikino, von Hund und Bettler, herumgehetzt worden. Erstaunt, daß mein Kollege in diese Ungnade bei seinen Konstituenten gefallen sein sollte, war ich nicht langsam, ihn um nähere Erklärung zu bitten.

Der Kapitän versicherte, es sei über alle Erklärung hinaus, die er nur geben könnte. Er hätte in der Sache mit den Landstraßen ganz nach dem Eingeben seines Gewissens gestimmt, und doch klage ihn hier die ganze Bevölkerung der Bestechung an; ja selbst die Zeitungen hätten ihn wegen, wie sie es nannten, seiner frechstirnigen, augenscheinlichen Bestechlichkeit geschmäht. Hier legte uns der Kapitän sechs oder sieben der Hauptzeitungen von Bivouac vor, in denen allen seine letzte Abstimmung ganz mit eben so wenig Ceremonie behandelt ward, als wenn sie ein offenbarer Schafdiebstahl gewesen.

Ich blickte meinen Freund, den Brigadier, wegen einer Erklärung an. Nachdem dieser über die Zeitungsartikel hingeblickt, lächelte er und sah unsern Kollegen mitleidig an.

»Ihr habt da in der That einen großen Fehler begangen, mein Freund,« sagte er, »einen Fehler, der selten in Springniedrig vergeben wird, ja vielleicht niemals während der Verfinsterung des großen moralischen Postulats, wie dies jetzt der Fall ist.«

»Sagt mir mit einem Male meine Sünden heraus, Brigadier,« schrie Noah mit dem Blick eines Märtyrers, »und macht meiner Pein ein Ende!«

»Ihr habt vergessen, einen Beweggrund für Eure Stellung während der letzten heißen Verhandlung anzuführen, und so schreibt denn die Gemeinde Euch das Schlimmste zu, was nur Monikin’scher Scharfsinn erdenken kann. Solch ein Versehen würde selbst einen Gottgleichen verderben.«

»Aber, mein theurer Geradaus,« wandte ich begütigend ein, »von unserm Kollegen muß in diesem Fall angenommen werden, er habe nach Grundsätzen gehandelt.«

Der Brigadier sah auf, und fuhr mit der Nase in der Luft herum, wie ein junger Hund, der noch nicht die Augen geöffnet, und dann gab er zu verstehen, er könne die genannte Eigenschaft nicht sehen, da sie durch das Vorübergehen der Scheibe des pekuniären Interesses gänzlich verdunkelt werde.

Ich begann nun den Fall zu begreifen, der in der That weit wichtiger war, als ich im Anfang möglicher Weise hätte glauben können. Noah selbst schien bestürzt; denn er war wohl, denk‘ ich, auf das einfache und natürliche Mittel verfallen, sich zu fragen, was er selbst von dem Benehmen eines Kollegen gedacht hätte, der seine Stimme über einen so gewichtigen Punkt gegeben haben würde, ohne einen Beweggrund hinzuzufügen.

»Hätte der Kapitän wenigstens noch einen Fuß breit Land am Ende der Heerstraße besessen,« bemerkte der Brigadier traurig, »dann hätte man noch die Sache in’s Reine bringen können; aber wie die Dinge jetzt sind, ist es ohne Zweifel ein sehr unglücklicher Fall.«

»Aber Sir John stimmte mit mir, und er ist eben so wenig ein Gutsbesitzer in Springniedrig, wie ich selbst.«

»Wahr, aber Sir John stimmte mit der Masse seiner politischen Freunde.«

»Nicht alle Horizontale waren in der Majorität; denn wenigstens zwanzig stimmten bei dieser Gelegenheit mit der Minorität.«

»Freilich, doch hatte jeder von ihnen einen in die Augen fallenden Beweggrund. Der hatte ein Stück an der Seite der Straße, der hatte Häuser auf der Insel, und ein Andrer war der Erbe eines großen Landeigenthümers an demselben Punkt der Straße. Jeder und Alle hatten ihre besondre und bestimmte Interessen dabei, und keiner machte sich so großer Schwäche schuldig, daß er seine Sache durch die extravagante Anmaßung bloser Grundsätze hätte vertheidigen wollen.«

»Mein Führer, der größte aller Ratsherren, verabschiedete sich, und stimmte gar nicht.«

»Blos, weil er keinen rechten Grund hatte, um irgend einen einzuschlagenden Weg zu rechtfertigen. Kein Monikin kann im Staatsdienst erwarten, dem Tadel zu entgehen, wenn er es nicht seinen Freunden möglich macht, einen annehmlichen und verständlichen Beweggrund für sein Betragen anzuführen.«

»Wie, Sir, kann man nicht ein Mal in seinem Leben eine Handlung thun, ohne wie ein Pferd oder Hund gekauft zu sein, und doch mit einem Zoll Charakter davonkommen?«

»Ich kann nicht sagen, was Menschen thun können,« entgegnete der Brigadier, »ohne Zweifel machen sie es darin besser, als es hier geschieht; aber so weit Monikins davon betroffen werden, gibt es keinen Weg, der sichrer den gänzlichen Verlust des Charakters nach sich zieht, – ja selbst für den Ruf des Verstandes so vernichtend ist, als ohne einen guten, in die Augen fallenden, substantiellen Beweggrund zu verfahren.

»Um’s Himmels willen, was muß geschehen, Brigadier?«

»Ich sehe kein andres Mittel, als abzudanken. Eure Konstituenten müssen nothwendiger Weise alles Vertrauen auf Euch verloren haben; denn einer, der so offenbar seine eigne Interessen vernachlässigt, kann nicht wohl als sehr fest in Schützung der Interessen Andrer angesehen werden. Wenn Ihr noch mit dem wenigen Charakter, der Euch geblieben, davonkommen wollt, müßt Ihr ohne Weitres abdanken.«

Noah machte aus der Noth eine Tugend, und nach einigem weitern Besprechen zwischen uns, schrieb er seinen Namen unter folgenden Brief an den Präsidenten, wie er ihm auf der Stelle vom Brigadier aufgesetzt worden.

»Herr Präsident!«

»Der Zustand meiner Gesundheit nöthigt mich, das hohe politische Amt, das mir von den Bürgern von Bivouac anvertraut worden, in die Hände zurückzulegen, aus denen ich es empfangen. Indem ich meine Abdankung eingebe, wünsche ich, meine große Betrübniß zu bezeugen, mit der ich von Kollegen scheide, die in jeder Hinsicht der tiefsten Verehrung und Achtung würdig sind. Ich bitte, Sie versichern zu dürfen, daß, welches auch künftig mein Geschick sein wird, ich immer die tiefste Hochachtung vor jedem verehrlichen Mitglied haben werde, mit dem zu dienen ich das Glück gehabt. Die Emigranten-Sache besonders wird mir immer am nächsten am Herzen liegen.«

Unterzeichnet

Noah Poke.

Der Kapitän unterzeichnete diesen Brief nicht ohne manchen Seufzer und verschiedene Ausbrüche des Ehrgeizes; denn selbst ein irrender Politiker weicht der Nothwendigkeit nur mit Kummer. Nachdem er jedoch das Wort Emigranten-Sache in Immigrunten – (Robben-)Sache umgewandelt, machte er zu der Geschichte so gute Miene, wie möglich, und schrieb die verhängnißvolle Unterschrift. Er verließ dann das Haus und erklärte, er beneide nicht so gar sehr seinem Nachfolger den Sold, da man ja nur Nüsse für das Geld haben könnte, und er selbst fühle sich so darnieder, wie er glaube, es etwa mit Nebukadnezar der Fall gewesen sein müsse, als er genöthigt worden, auf allen Vieren zu gehen und Gras zu essen.

Achtes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Politische Schranken, – politische Rechte, – politische Ausscheidungen, und politische Untersuchungen, nebst politischen Ergebnissen.

Die Wasser-Meilensteine der Monikins-Meere sind schon erwähnt worden; aber ich glaube, ich habe vergessen zu sagen, daß durch eine ähnliche Erfindung eine Demarkationslinie im Wasser gezogen war, um die Grenzen der Gesetzgebung jedes Staats anzudeuten.

Mit günstigem Wind konnte das Wallroß in dritthalb Tagen die Wassermarken von Springniedrig erreichen, und noch ein halber Tag war nöthig, um in den Hafen zu kommen. Als wir uns den legalen Schranken von Springhoch näherten, sah man viele kleine schnellsegelnde Schiffe schon außerhalb des königlichen Gebiets herumschweifen, die offenbar unsre Annäherung erwarteten. Das eine legte, gerade als der Vordermast aus der Springhoch-Herrschaft heraus war, bei uns an. Richter Volksfreund eilte auf diese Seite hin, und ehe noch die Schiffsmannschaft auf’s Verdeck gekommen, hatte er erfahren, daß die gewöhnliche Zahl Preise in das kleine Lotterierad gethan worden.

Ein Monikin mit einem sehr auffallenden Stumpf, der schon einer zweiten Amputation unterworfen schien, – es war, was man in Springniedrig Stumpf auf Stumpf nennt, – näherte sich jetzt und fragte, ob Emigranten an Bord sich befänden. Er erfuhr unsern Charakter und unsre Zwecke. Als er hörte, unser Aufenthalt würde nur von kurzer Dauer sein, war er offenbar ein wenig betroffen.

»Doch, meine Herren, bleiben Sie vielleicht lang genug hier,« fuhr er fort, »um zu wünschen, naturalisirt zu werden.«

»Es ist immer angenehm, in fremdem Lande zu Haus zu sein; aber sind keine gesetzliche Beanstandungen?«

»Nicht, daß ich wüßte, Sir, – Sie haben keine Schweife, denk‘ ich?«

»Nur die in unsern Felleisen. Ich vermuthete indeß, der Umstand, daß wir von einer ganz andern Gattung sind, könnte einige Hindernisse in den Weg legen.« »Gar nicht, Sir! Wir handeln nach viel zu liberalen Grundsätzen, um einen so engherzigen Einwand gelten zu lassen. Sie sind, sehe ich, Sir, nur sehr wenig mit den Institutionen und der Politik unseres geliebten und glücklichen Landes bekannt. Sie sind hier nicht in Springhoch, Springauf, Springab u.s.w., sondern in dem guten, alten, herzlichen, freien, liberalen, unabhängigen, geliebten, glücklichen, über alle Maßen gedeihenden Springniedrig. Gattungen sind nach unserm System von keinem Belang. Wir naturalisiren ein Thier so gut wie das andre, wenn es nur ein liberales ist. Ich sehe in keinem von Ihnen einen Mangel. Alles, was wir verlangen, sind nur gewisse Hauptgrundsätze.«

»Sie gehen auf zwei Beinen – –«

»Wie die Truthähne, Sir.«

»Sehr wahr; aber Sie haben keine Federn.«

»Auch der Esel hat keine.«

»Ganz recht, meine Herren; sie schreien jedoch nicht, wie er.«

»Dafür will ich nicht stehen,« fiel der Kapitän ein, und stieß sein Bein gerade vor sich hin, auf eine Weise, die Bob einen Schrei entriß, der fast des Springniedriger’s Vorschlag umgestoßen hätte.

»Auf alle Fälle, Sir,« bemerkte er, »gibt es ein Mittel, das mit einem Male der Sache ein Ende machen wird.«

Er verlangte nun von uns, wir sollten das Wort unser aussprechen: unsere Freiheiten – unser Vaterland, – unsre Heerde, unsere Altäre. Wer immer naturalisirt sein wollte und dies Wort auf die rechte Weise und an der rechten Stelle gebrauchte, hatte Anspruch auf das Bürgerrecht. Wir alle konnten es ziemlich gut, nur nicht der zweite Untersteuermann, der, aus Herefordshire gebürtig, für sein Leben das letztere Schibboleth nicht besser als »unsre Haltäre« herauszubringen vermochte. Ja er sprach es fast wie »unsre Halfter«; diese sind aber nach einem sehr philanthropischen Grundsatz in Springniedrig ganz verbannt; so oft ein Schelm sich vergeht, hat man, als das beßte Mittel, dem Uebel zuvorzukommen, statt Halfter und Stricke, die Bestrafung der Staatsgesellschaft, gegen welche er gesündigt, angeordnet. Durch dies scharfsinnige Verfahren bekommt natürlich die Gemeinde einen scharfen Blick im Verhindern aller Verbrechen. Diese herrliche Idee ist ganz holländisch; wenn man dort mit einem Beile sich verwundet hat, legt man immer Salbe und Verband auf den grausamen Stahl und läßt dann die Wunde so schnell, wie möglich, heilen.

Zu unserm Examen zurückzukehren; wir alle kamen durch, nur nicht der zweite Untersteuermann, der in seinem Halfter hängen blieb und als unverbesserlich erklärt ward. Naturalisationspatente wurden auf der Stelle ausgefertigt, die Kosten bezahlt, und der Schooner verließ uns.

Diese Nacht erhob sich ein Wind, und wir erhielten keinen Besuch mehr bis zum folgenden Morgen. Bei’m Aufgang der Sonne aber trafen wir auf drei Schooner unter Springniedriger Flagge; alle schienen auf lebensgefährliche Unternehmungen auszugehen. Der erste, der uns erreichte, schickte ein Boot an Bord, und eine Kommitee von sechs »Stumpf-auf-Stumpf« kamen zu uns, und stellten sich uns vor. Ich gebe ihre eigne Erzählung von ihrem Geschäft und Charakter.

Es schien, sie waren eine sogenannte »Ernennungskommitte« der Horizontalen für die Stadt Bivouac, wo auch wir hinsegelten und wo eine Wahl für Glieder des Nationalconseils vor sich gehen sollte. Bivouac hatte ein Recht auf sieben Glieder, und nachdem sie sich selbst ernannt, suchte die Kommittee jetzt ein siebentes Glied, um eine Vacanz auszufüllen. Die naturalisirten Interessen zu wahren, wollte man den neuest Angekommenen wählen. Auch sicherte man dadurch den Grundsatz der Liberalität in abstracto. Aus diesem Grund hatten sie den Springhoch-Gränzen so nah, als die Gesetze erlaubten, eine Woche lang gekreuzt, und sie wollten nun jeden Tauglichen wählen.

Diesem Vorschlag setzte ich wieder die verschiedene Gattung entgegen; aber sie lachten mir alle mit dem Brigadier Geradaus gerade in’s Gesicht, und gaben mir deutlich zu verstehen, ich müßte sehr engherzige Begriffe von den Dingen haben, um einen so geringen Umstand als Störung der Harmonie und Einheit eines horizontalen Votums anzusehen. Sie gingen nach einem Grundsatz aus, und der Teufel selbst könnte sie von einem so heiligen Zweck nicht abbringen.

Ich gestand dann aufrichtig, die Natur hätte mich nicht so wunderbar wie meinen Freund, den Richter, zum Purzelbaum-Machen ausgerüstet, und ich fürchtete, wenn es hieße: rechts um! möchte ich nur als ein Rekrut erfunden werden. Dies brachte sie ein wenig aus der Fassung, und ich sah sie einander sich zweifelhaft anblicken.

»Aber Ihr könnt Euch wenigstens plötzlich zur Noth herumdrehen,« fragte einer von ihnen nach einer Pause.

»Freilich, Sir!« antwortete ich, und gab auf der Stelle den Beweis davon, daß ich kein eitler Prahler war.

»Sehr gut!« riefen Alle in einem Athem. »Das große politische Haupterforderniß ist, die Evolutionen ihrem Wesen nach durchzumachen, die Leichtigkeit darin ist dann persönliches Verdienst.«

»Aber, ihr Herren, ich kenne wenig mehr von Eurer Constitution und Euren Gesetzen, als ich aus abgerissenen Unterhaltungen mit meinem Reisegefährten gelernt.«

»Das thut nichts, Sir; unsre Constitution ist niedergeschrieben, und jeder Bewerber kann sie lesen. Auch haben wir einen politischen Flügelmann im Versammlungshaus, der den Gliedern viele unnütze Studien und Nachdenken erspart; Ihr braucht nur auf alle seine Bewegungen Acht zu haben, und mein Leben zum Pfand, Ihr kommt so gut durch die Handgriffe durch, wie das älteste Mitglied.«

»Wie, Sir, sehen sich alle Glieder ihre Bewegungen von diesem Flügelmann ab?«

»Alle Horizontalen, Sir; die Perpendikularen haben ihren eignen Flügelmann.«

»Nun, meine Herren, ich sehe, ich habe darin kein Urtheil, und ich überlasse mich gänzlich dem Willen meiner Freunde.«

Diese Antwort fand viel Beifall, und verrieth, wie Alle versicherten, große politische Capacität; der Staatsmann, der Alles seinen Freunden überließe, verfehle nie den höchsten Gipfel der Ehrenstellen in Springniedrig zu erreichen. Die Kommittee schrieb meinen Namen auf und eilte in ihren Schooner zurück, um in den Hafen die Nachricht von der Wahl zu überbringen. Diese Gesellschaft war kaum vom Verdeck weg, als Andre von der entgegengesetzten Seite des Schiffs kamen. Sie stellten sich als die Ernennungskommittee der Perpendikularen mit derselben Absicht als ihre Gegner dar. Auch sie wünschten die ausländischen Interessen zu fördern und suchten einen geeigneten Bewerber. Kapitän Poke hatte allem, was meiner Ernennung vorausging, aufmerksam zugehört, und trat jetzt vor, seine Bereitwilligkeit zum Staatsdienst zu erklären. Da man auf der einen Seite eben so wenig Schwierigkeit machte als auf der andern, und die perpendikulare Kommittee nach ihrem eignen Geständniß durch die Zeit gedrängt wurde, indem die Horizontalen einen Vorsprung hatten, wurde die Sache in fünf Minuten abgemacht, und die Fremden gingen ab mit dem Namen Noah Poke’s, des erprobten Patrioten, des tiefen Juristen, des ehrlichen Monikins, hoch auf ein großes Brett geschrieben; – Alles war, außer dem Namen, schon vorher sorgfältig vorbereitet worden.

Sobald die Kommittee das Schiff verlassen, nahm mich Noah bei Seite und entschuldigte sich, daß er in dieser wichtigen Wahl mir entgegentrete. Seine Gründe waren zahlreich und scharfsinnig und, wie gewöhnlich, etwas weitläufig. Sie kamen auf Folgendes heraus: Er hätte nie im Parlament gesessen und wünsche das Gefühl davon zu haben; es würde die Achtung der Schiffsgesellschaft erhöhen, wenn sie ihrem Befehlshaber so hohe Wichtigkeit in einem fremden Hafen beigelegt sähen. Er hätte in Stonington einige Erfahrung durch Zeitungslesen erlangt, und zweifle nicht an seinen Fähigkeiten, – das mache ja immer den guten Gesetzgeber, – die Congreßleute bei ihm seien Leute wie er, und was der Gans stünde, stünde auch dem Gänserich; er wisse, Mad. Poke werde über seine Wahl erfreut sein; er mögte wissen, ob man ihn den ehrenwerthen Noah Poke nennen würde, und ob er acht Dollar täglich bekäme, und Reisegebühren von der Stelle an, wo das Schiff damals war. Die Perpendikularen könnten auf ihn zählen, sein Wort sei so gut als sein Pfand. Was die Constitution angehe, so sei er mit der zu Hause fortgekommen, und wer das könnte, käme wohl mit jeder fort; er beabsichtige nicht, viel im Parlament zu reden, aber was er sage, hoffe er, werde zu seiner Kinder Gebrauch aufgeschrieben werden; und so ging’s mit Beweisführung und Entschuldigung fort.

Nun kam der dritte Schooner; dies Fahrzeug hatte eine andre Kommittee an Bord, welche sich als die Repräsentanten der sogenannten Tangentenpartei auswies. Sie wären nicht zahlreich, aber doch immer stark genug, die Wagschale zu halten, wenn die Horizontalen und Perpendikularen in rechten Winkeln, wie jetzt, sich durchkreuzten; und sie wollten jetzt einen aus ihrer Mitte in die Höhe bringen. Sie auch wünschten sich durch ausländisches Interesse zu verstärken, wie dies ganz natürlich wäre, und suchten jetzt eine geeignete Person. Ich schlug den ersten Untersteuermann vor; aber Noah protestirte dagegen, und erklärte, es komme, wie es wolle, das Schiff dürfe nicht verlassen bleiben. Die Zeit drängte; und während der Kapitän und Subalterne sich eifrigst stritten, schlich Bob, der schon die Süßigkeiten politischer Wichtigkeit gekostet, in seinem angenommenen Charakter als königlicher Prinz, listig zur Kommittee und gab seinen Namen ein. Noah war zu beschäftigt, diese wohl ausgeführte Bewegung zu entdecken, und während er noch schwur, den Steuermann über Bord zu werfen, wenn er nicht sogleich alle ehrgeizigen Pläne dieser Art aufgebe, fand er, daß die Tangenten fort waren. In der Voraussetzung, sie seien zu einem andern Schiff gegangen, ließ sich der Kapitän besänftigen, und Alles ging wieder ruhig, fort. Von da, bis wir in der Bai von Bivouac ankerten, blieb die Ruhe und Zucht auf dem Wallroß ungestört. Ich benutzte die Gelegenheit, die Verfassung von Springniedrig, von der der Richter ein Exemplar hatte, zu studiren und alle Belehrung von meinen Gefährten zu erhalten, die mir auf meiner künftigen Laufbahn nützlich sein konnte. Ich dachte mir schon die Freude, wenn ich, ein Fremder, die Springniedriger ihre Gesetze lehrte und ihnen die Anwendung ihrer eignen Principien erklärte. Doch war wenig aus dem Richter heraus zu bekommen. Er war zu sehr mit einer Berechnung beschäftigt, die die Chancen des kleinen Rads betraf und welche er von dem Haupt der Ernennungskommitteen erhalten.

Ich fragte nun den Brigadier, wie es komme, daß in seinem Lande die Springhoch-Ansichten über Springniedriger Institutionen, Gesellschaft und Sitten so grossen Werth auf dem Markte hätten. Darauf erhielt ich nur eine ziemlich nichtssagende Antwort: es sei, weil seine Landsleute, nachdem sie die mit diesen Gegenständen verbundenen Interessen vom Rost der Zeit freigemacht und Alles nach der philosophischen Basis der Vernunft und des gesunden Menschenverstands in’s Werk gesetzt, nun auch sehr begierig wären, zu erfahren, was Andre vom Erfolg des Experiments dächten.

»Ich erwarte, eine Nation von Weisen zu sehen, Brigadier, wo selbst die Kinder gehörig in den großen Wahrheiten Eures Systems eingeübt werden, und was die Frauen betrifft, fürcht‘ ich wirklich meine theoretische Unwissenheit in Collision mit ihrer großen praktischen Kenntniß von den Grundsätzen Eurer Regierung zu bringen.«

»Sie werden frühzeitig mit politischem Brei genährt.«

»Freilich, Sir! Wie verschieden müssen sie von den Frauen andrer Länder sein, tief in den großen unterscheidenden Principien Eures Systems unterrichtet, der Erziehung ihrer Kinder in denselben Wahrheiten hingegeben, und unermüdlich in ihrer Unterscheidung unter den geringsten Geschäften ihres Haushalts!«

»Hm!«

»Ei, Sir, selbst in England, was hoffentlich nicht das schlechteste Land ist, werdet Ihr schöne, verständige, vollkommene, patriotische Frauen treffen, die aber ihre Kenntnisse von diesen Fundamentalstücken zu einem Parteieifer werden lassen und ihre ganze Beredtsamkeit über Nationalfragen auf einige herzliche Wünsche zum Untergang ihrer Gegner beschränken.«

»Es ist auch ziemlich so in Stonington, um der Wahrheit die Ehre zu geben,« bemerkte Noah, der zugehört hatte.

»Sie, statt die jungen Säuglinge, die sich an sie hängen, in richtigen Begriffen von Haupt-Gesellschaftsunterschieden zu unterweisen, nähren ihre jungen Antipathieen mit kleinlichen Philippiken gegen ein unglückliches Haupt der Gegenpartei.«

»Es ist so ziemlich so in Stonington, so wahr ich lebe!«

»Selten studiren sie die großen Lehren der Geschichte, um den künftigen Staatsmännern und Heroen des Reichs die Monumente der Verbrechen, die Reizmittel zur Staatstugend, die Karte ihrer Freiheiten darzulegen; sie sind dagegen unermüdlich, das Geschrei des Tags nachzuschallen, so falsch und gemein es auch sei, und bringen ihrer Nachkommenschaft Humanität bei, indem sie leise Wünsche ausdrücken; Herr Canning oder sonst ein Vernichter der Pläne ihrer Freunde möchte schon schön gehängt sein.«

»Ganz so in Stonington!«

»Wesen mit Engelsgestalten, sanft, lieblich, gebildet, voll Thränen wie der thauichte Abend, wenn von Menschlichkeit und Leiden die Rede ist; aber seltsam umgestaltet in Tiegerinnen, wenn Andre, als die sie billigen, zur Macht gelangen. Statt ihre Arme um ihre Männer und Brüder zu schlingen, um sie abzuhalten von dem heißen Streit der Meinungen, reizen sie sie durch ihren Beifall noch auf und werfen Schmutz mit der Leichtigkeit und dem Reiz von Fischerweibern um sich.«

»Das ist Madame Poke Zug für Zug!«

»Kurz, Sir, ich erwarte zu Springniedrig einen ganz verschiedenen Zustand zu finden. Wenn dort ein politischer Gegner mit Schmutz beworfen wird, beruhigen Eure liebreichen Monikinerinnen ohne Zweifel den Zorn durch milden Hauch der Philosophie, sänftigen den Eifer durch Weisheit und regeln den Irrthum durch geeignete, unbestreitbare Sätze aus der Charte, die gegründet ist auf die ewigen und unwandelbaren Principien des Rechts!«

»Nun, Sir John, wenn Ihr so beredt im Hause sprecht!« rief der entzückte Noah, »werde ich um Antwort verlegen sein! Ich zweifle, ob der Brigadier selbst Alles wiederholen könnte, was Ihr eben gesagt habt.«

»Ich habe vergessen, Herr Geradaus, Euch nach der Wahlberechtigung in Springniedrig zu fragen; das Stimmrecht ist zweifelsohne auf die Glieder der Gesellschaft beschränkt, die einen socialen Haltpunkt haben.«

»Freilich, Sir John! die leben und athmen.«

»Sicher stimmen nur die, die das Geld, die Häuser und den Grundbesitz des Landes haben.«

»Sir, Ihr irrt ganz und gar; Alle stimmen, die Ohren, Augen, Nasen, Stümpfe, Leben, Hoffnungen, Wünsche, Gefühle und Bedürfnisse haben. Bedürfnisse halten wir für viel wahrere Pfänder der politischen Treue, als Besitzthümer.«

»Das ist eine neue Lehre in der That; aber es steht im offenbaren Widerspruch mit dem socialen Haltpunktssystem.«

»Ihr hattet nie mehr Recht, Sir John, in Hinsicht Eurer Theorie und nie mehr Unrecht in Hinsicht der Wahrheit. In Springniedrig behaupten wir und mit Recht, daß es keinen größern Irrthum gibt, als eine Repräsentation bloser Effekten, mögen es nun Häuser, Ländereien, Waaren oder Geld sein, für ein Pfand einer guten Regierung zu halten. Das Eigenthum wird von den Regierungsmaßregeln betroffen, und je mehr ein Monikin hat, desto größer ist die Bestechung, die ihn zur Berücksichtigung seiner eignen Interessen verführt, wenn auch die aller Andern darunter leiden.«

»Aber, Sir, die Interessen der Gemeinde bestehen aus dem Aggregat dieser Interessen.«

»Bitte um Verzeihung, Sir John! nur das Aggregat der Interessen einer Klasse. Ist Eure Regierung nur zu ihrem Besten eingesetzt, dann ist Euer sociales Haltpunktssystem ziemlich richtig; aber ist der Zweck das allgemeine Beste, dann habt Ihr keine andre Wahl, als die Bewahrung desselben der allgemeinen Obhut anzuvertrauen. Wir wollen zwei Menschen annehmen, – da Ihr nun ein Mal ein Mensch und kein Monikin seid. – zwei Menschen ganz gleich in Moral, Verstand, öffentlicher Tugend und Patriotismus; der Eine soll reich sein, der Andre nichts haben. Eine Krisis im Staat zeigt sich, und Beide werden aufgerufen, sich frei über eine Frage auszusprechen, die unvermeidlich einigen Einfluß auf Eigenthum im Allgemeinen hat; – alle große Fragen sind der Art. Wer würde am unparteiischsten stimmen? – der, welcher nothwendig seines persönlichen Interesses sich entkleiden muß, oder der, welcher kein solches Reizmittel, irre zu gehen, hat?«

»Sicher der, welcher nichts hat, was einen Einfluß, zu irren, haben kann. Aber die Frage ist unbillig gestellt.«

»Verzeiht, Sir John, sie ist recht gestellt, als eine abstrakte Frage, eine Frage, die ein Princip beweisen soll. Es freut mich, daß Ihr sagt, ein Mensch würde so entscheiden: es zeigt seine Identität mit einem Monikin. Wir denken, wir alle dächten am meisten an uns selbst bei solchen Gelegenheiten.«

»Mein theurer Brigadier, haltet nicht Sophistik für Vernunft. Sicher gehörte die Macht nur den Armen, und der Arme oder vergleichungsweise Arme macht immer die Masse aus, – so würden sie diese zur Beraubung des Reichen ausüben!«

»Wir glauben das nicht in Springniedrig. Fälle mag es geben, wo durch Reaktion ein solcher Zustand der Dinge entstünde; aber Reaktionen setzen Mißbräuche voraus und dürfen nicht zur Verteidigung eines Grundsatzes angeführt werden. Wer gestern betrunken gewesen, mag heute ein unnatürliches Reizmittel brauchen, während der Regelmäßige die gehörige Stimmung seines Leibes ohne Hülfe eines so gefährlichen Mittels wahrt. Solch ein Experiment kann unter wichtigen Umständen wohl gemacht werden; aber es ginge kaum zwei Mal bei irgend einem Volk, und selbst nicht ein Mal unter einem Volk, das sich zu rechter Zeit einer Theilung der Gewalten unterwirft, da es offenbar dem leitenden Princip der Civilisation gefährlich ist. Nach unsern Monikin’schen Geschichtschreibern sind alle Angriffe auf das Eigenthum daraus hervorgegangen, daß sich das Eigenthum mehr herausnahm, als seinen Freiheiten eigentlich zukommt. Macht Ihr politische Gewalt zur Begleiterin des Eigenthums, dann mögen beide freilich zusammengehn; aber sind sie getrennt, wird die Gefahr für das letztere nie größer als die sein, in welche es täglich durch die Künste der Geldspekulanten gesetzt wird, die in der That die größten Feinde des Eigenthums sind, in so weit es Andern gehört.«

Ich dachte an Sir Joseph Job, und mußte zugeben, daß der Brigadier wenigstens etwas Wahres für sich hatte.

»Aber gebt Ihr nicht zu, daß das Gefühl des Eigenthums den Geist erhebt, veredelt und reinigt?«

»Sir, ich will nicht bestimmen, wie das bei Menschen sein mag; aber wir Monikins behaupten, die Liebe zum Geld sei die Wurzel alles Uebels.«

»Wie, Sir, haltet Ihr die Erziehung, die Folge des Eigenthums, für nichts?«

»Wenn Ihr von dem sprecht, mein lieber Sir John, was das Eigenthum gewöhnlich lehrt, so ist dieses der Eigennutz; aber wenn Ihr als Regel aufstellt, daß, wer Geld hat, auch Erziehung hat, ihn recht zu leiten, so muß ich erwiedern, daß die Erfahrung, die besser als tausend Theorien ist, uns anders lehrt. Wir finden, daß bei Fragen zwischen denen, die haben und die nicht haben, die Habenden gemeiniglich einig sind, und das wird so sein, wären sie auch so sehr ohne Schutz wie die Bären, aber bei allen andern Fragen machen sie der Erziehung gewiß keine Ehre, Ihr müßt denn zugeben, es gäbe zwei Wahrheiten in jedem Fall; denn bei uns stellen sich die höchst Gebildeten gewöhnlich an die beiden Extreme. Ich sage das von Monikins, gebildete Menschen freilich werden weit einiger sein.«

»Aber, mein guter Brigadier, wenn Euer Satz von der größern Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des Wählers, der durch Privatinteresse nicht beeinträchtigt wird, wahr ist, würde ein Land nicht übel thun, seine Wahlen einer Korporation ausländischer Schiedsrichter zu überlassen.«

»Freilich, Sir John, wenn man gewiß wüßte, diese ausländischen Schiedsrichter würden die Gewalt nicht zu ihrem Privatvortheil mißbrauchen; wenn sie die Gefühle, die Gesinnungen hätten, die eine Nation weit mehr veredlen und reinigen, als Geld; wenn es möglich wäre, daß sie gänzlich den Charakter, die Gewohnheiten, die Bedürfnisse und Hülfsquellen eines andern Volks kännten. Wie also die Dinge jetzt stehen, halten wir’s für das Klügste, unsre Wahlen uns selbst anzuvertrauen, – nicht einem Theil von uns, nein uns allen.«

»Die Robben mit eingeschlossen,« fiel der Kapitän ein.

»Ei, diesen Grundsatz befolgen wir allerdings bei Herren, wie Ihr,« entgegnete der Brigadier höflich; »aber Freisinnigkeit ist eine Tugend. Als Grundsatz hat Eure Idee, Sir John, die Wahl unsrer Repräsentanten Fremden zu überlassen, mehr Werth, als Ihr vielleicht glaubt, wiewohl sie aus den angeführten Gründen unausführbar ist. Wenn wir Gerechtigkeit suchen, sehen wir uns gemeinlich nach einem unparteiischen Richter um. Solch ein Richter ist jedoch in Staatssachen nicht zu finden, weil diese Art Gewalt, beständig ausgeübt, nach dem Grundsatz der Selbstsucht, die der Monikin-Natur eingepflanzt ist, notwendig beeinträchtigt und abgelenkt wird. Ich zweifle aber nicht, daß Ihr Menschen gänzlich über eine so unwürdige Leidenschaft erhaben seid.«

Hier konnte ich dem Brigadier nur sein Hm! abborgen.

»Nachdem wir uns überzeugt, daß es nicht angehen würde, die Leitung unsrer Angelegenheiten blos Fremden anzuvertrauen, oder solchen, deren Interesse nicht mit dem unsern identisch wäre, wollten wir sehen, was mit einer Wahl aus unsrer Mitte zu machen wäre. Hier begegnete uns wieder derselbe zudringliche Grundsatz der Selbstsucht, und zuletzt mußten wir zu dem Versuch unsere Zuflucht nehmen, die Interessen Aller der Leitung Aller zu überlassen.«

»Aber sind das die Ansichten von Springhoch?«

»Weit gefehlt! das ist gerade der Unterschied zwischen diesem und Springniedrig. Da die Springhocher ein altes Volk mit tausend eingewurzelten Interessen sind, so müssen sie, wie die Zeit fortschreitet, Ursachen für das Bestehende aufsuchen, während wir Springniedriger, von allen Fesseln frei, das Bestehende nach Gründen und vernunftmäßig einrichten konnten.«

»Warum leget Ihr denn aber so viel Gewicht auf Springhocher Ansichten über Springniedriger Thatsachen?«

»Warum hält jeder kleine Monikin seine Eltern für die weisesten, besten, tugendhaftesten und besonnensten alten Monikins in der ganzen Welt, bis Zeit, Gelegenheit und Erfahrung ihm seinen Irrthum zeigen?«

»Macht Ihr denn gar keinen Unterschied in Euren Rechten und Freiheiten, und laßt jeden Bürger zum Stimmen zu, der, wie Ihr sagt, Nase, Ohren, Stumpf und Bedürfnisse hat?«

»Vielleicht sind wir darin weniger genau, als wir sein sollten, da bei uns selbst nicht Unwissenheit und Charakterlosigkeit von dem Rechte ausschließt. Eigenschaften außer Geburt und Leben mögen nützlich sein; aber sie sind schlecht gewählt, wenn man sie nur auf den materiellen Besitz beschränkt. Man ist in der Welt darauf gekommen, weil die, welche Eigenthum hatten, Gewalt hatten, nicht aber, weil sie sie haben sollten.«

»Mein lieber Brigadier, das heißt aller Erfahrung entgegen treten.«

»Aus der eben angegebenen Ursache, und weil alle Erfahrung bis jetzt am falschen Ende angefangen hat. Die Staatsgesellschaft sollte wie ein Haus aufgebaut werden; nicht von dem Dach abwärts, sondern vom Fundament hinauf.«

»Wenn wir aber auch zugeben, Euer Haus sei anfangs schlecht gebaut worden, würdet Ihr bei Ausbesserung die Wände geradezu ausreißen, auf die Gefahr hin, daß Euch Alles über dem Kopf zusammenstürze.«

»Ich würde erst gehörige Stützen unterzustellen bedacht sein, und dann mit Macht, jedoch mit Vorsicht verfahren. Muth ist hiebei weniger zu fürchten, als Furchtsamkeit. Die Hälfte der Uebel des Lebens, sociale, persönliche und politische, sind eben so sehr Folgen moralischer Feigheit, als des Betrugs.«

Ich sagte dann dem Brigadier, daß, da seine Landsleute alle Rücksicht auf Eigenthum bei der Wahl der politischen Staatsgrundlage verwürfen, ich wohl ein Hauptsurrogat dafür an Tugend erwarten müsse. »Ich habe immer gehört, Tugend sei das Wesentliche bei einem freien Volk und Zweifels ohne seid Ihr Springniedriger vollkommne Muster in diesem Punkt?«

Der Brigadier lächelte, bevor er mir antwortete, und sah erst rechts und links um sich, als wolle er sich an dem Wohlgeruch der Vollkommenheit regaliren.

»Viele Theorieen hat man darüber aufgestellt,« erwiederte er, »worin aber Ursache und Wirkung verwirrt wurden. Tugend ist eben so wenig Ursache der Freiheit, ausgenommen in Verbindung mit Einsicht, als Laster Ursache der Sklaverei. Beide mögen in Wechselwirkung stehen, aber man kann nicht gerade sagen, wie eins die Ursache des andern ist. Wir haben unter uns Monikins ein Sprichwort, das hier sehr gut paßt: Nimm einen Schelm, um einen andern zu fangen. Nun ist aber das Wesen einer freien Verfassung in der Verantwortlichkeit ihrer Agenten zu finden; wer ohne Verantwortlichkeit herrscht, ist ein Tyrann; der aber unter wirklicher Verantwortung ein Diener. Das ist das einzige wahre Pfand einer Regierung, mögen sie in andrer Hinsicht täuschen, wie sie wollen. Verantwortlichkeit gegen die Masse des Volkes ist das Kriterium der Freiheit. Verantwortlichkeit ist das Surrogat der Tugend bei einem Staatsmann, wie Kriegszucht das des Muths bei einem Soldaten. Ein Heer tapfrer Monikins ohne Kriegszucht könnte von einem andern mit weniger natürlichem Muth, aber mit Kriegszucht besiegt werden. So könnte ein Korps ursprünglich tugendhafter Staatsmänner ohne Verantwortlichkeit mehr selbstische, gesetzlose und verworfene Handlungen begehen, als eins ohne Tugend, das aber gehörig unter der Ruthe der Verantwortung gehalten würde. Unumschränkte Gewalt ist an und für sich eine große Verderberin der Tugend, während die Wichtigkeiten einer beschränkten sie gar sehr im Zaum halten. So ist’s wenigstens bei uns Monikins, bei den Menschen geht’s wahrscheinlich anders.«

»Laßt mich Euch sagen, Herr Geradaus, daß Ihr jetzt den Ansichten der Welt schnurstracks entgegen sprecht; sie betrachtet Tugend als ein unentbehrliches Ingredienz zu einer Republik!«

»Die Welt, – ich meine immer die Monikin’sche,– versteht wenig von wahrer politischer Freiheit, außer in der Theorie. Wir von Springgniedrig sind wirklich die einzigen, die viel davon erfahren haben, und ich will Euch jetzt das Ergebniß meiner Erfahrungen in meinem Lande sagen. Wären die Monikins rein tugendhaft, so brauchte man überhaupt keine Regierung; aber da sie sind, wie sie sind, halten wir’s für das Weiseste, sie einander bewachen zu lassen.«

»Aber die Eurige ist Selbstregierung, die Selbstbeherrschung einschließt, und Selbstbeherrschung ist nur ein anderes Wort für Tugend.«

»Beruhten die Vorzüge unsres Systems auf Selbstregierung in Eurem Sinne oder auf Selbstbeherrschung in irgend einem Sinne, dann brauchten wir nicht so viel darüber zu sprechen; es wäre der Mühe nicht werth. Das ist eine der süßen Täuschungen, womit übelurtheilende Moralisten die Monikins zu guten Thaten anzutreiben streben. Unsere Regierung ruht auf einem ganz entgegengesetzten Princip, nämlich: Uns einander zu bewachen und zu beschränken, statt uns auf unsre Tüchtigkeit, uns selbst zu beschränken, zu verlassen. Es ist der Mangel einer Verantwortlichkeit und nicht ihre beständige und thätige Gegenwart, der Tugend und Selbstbeherrschung einschließt. Niemand würde gern in irgend etwas sich selbst gesetzliche Schranken setzen, während Alle im Beschränken ihres Nächsten sehr glücklich sind. Dies führt zu den positiven und nothwendigen Regeln des Verkehrs und zur Feststellung der Rechte; in Hinsicht bloser Moralität vermögen Gesetze sehr wenig. Moral kommt von Belehrung, und erst wenn Alle politische Macht haben, wünschen Alle Belehrung als eine Sicherheit.«

»Aber, wenn Alle stimmen, können Alle ihr Votum zum besondern Vortheil mißbrauchen wollen, und ein politisches Chaos kann die Folge sein.«

»Solch eine Folge ist unmöglich, es sei denn, daß besondrer Vortheil mit dem Allgemeinen identisch wäre. Eine Gemeinheit kann eben so wenig sich auf diese Weise selbst bestechen, als ein Monikin sich selbst essen kann, sei er auch noch so ausgehungert. Wenn man auch annimmt, Alle wären Schelme, so würde die Nothwendigkeit einen Vergleich hervorbringen.«

»Ihr stellt eine annehmbare Theorie auf, und ich zweifle gar nicht, ich werde bei Euch die weiseste, logischste, besonnenste und konsequenteste Staatsgesellschaft finden, die ich noch je besucht. Aber noch ein Wort: Wie kommt es, daß unser Freund, der Richter, seinem Chargé d’affaires so zweideutige Verhaltungsregeln gab, und warum bestand er insbesondre so sehr auf Anwendung von Mitteln, die so geradezu Alles, was Ihr eben gesagt, Lügen strafen.«

Brigadier Geradaus fuhr sich hier über’s Kinn und bemerkte, wir könnten einen Windwechsel bekommen; auch wunderte er sich ganz hörbar, wann wir landen würden. Ich brachte ihn später dazu, einzugestehen, ein Monikin sei doch immer nur ein Monikin, er möge nun allgemeines Stimmrecht haben, oder unter einem Despoten leben.

Erstes Kapitel.

Erstes Kapitel.

Des Verfassers Stammbaum, – sowie auch der seines Vaters.

Der Philosoph, der eine neue Lehre verkündet, ist gehalten, wenigstens einige Grundbeweise von der Vernunftmäßigkeit seiner Sätze zu liefern, und der Geschichtschreiber, der Wunder zu erzählen wagt, die bis dahin von menschlicher Erkenntniß verborgen gehalten worden, ist es einer gebührenden Rücksicht für die Meinungen andrer schuldig, einige glaubhafte Zeugnisse für seine Wahrhaftigkeit beizubringen. Ich bin in Hinsicht dieser beiden großen Erfordernisse in einer besondren Lage, da ich für meine Philosophie wenig mehr als ihre Wahrscheinlichkeit, und keinen andern Zeugen als mich selbst aufzuweisen habe, um die wichtigen Thatsachen zu begründen, die jetzt zum ersten Mal der lesenden Welt vorgelegt werden sollen. In dieser Verlegenheit fühle ich recht wohl die Verantwortlichkeit, die ich auf mich nehme, denn es gibt Wahrheiten von so wenig anscheinender Wahrscheinlichkeit, daß sie Erdichtungen gleichen, und ferner der Wahrheit so ähnliche Erdichtungen, daß der gewöhnliche Beobachter geneigt ist zu versichern, er sei ein Augenzeuge ihrer Wirklichkeit gewesen; zwei Thatsachen, welche alle unsre Geschichtschreiber wohl thun würden sich zu Gemüth zu führen, da eine Kenntniß der Umstände ihnen den Schmerz ersparen würde, Zeugnisse, die ihnen viele Mühe kosten, in dem einen Fall in Mißcredit gebracht zu sehen, und in dem andern viele peinvolle und unnöthige Mühe zu vermeiden. Also sowohl in Hinsicht dessen, was der Franzose die pièces justificatives meiner Theorien nennen würde, als auch was meine Thatsachen betrifft, auf mich selbst zurückgewiesen, sehe ich keinen andern Weg, den Leser zu bewegen mir zu glauben, als indem ich eine ungeschminkte Nachricht von meiner Abstammung, Geburt, Erziehung und Leben bis zu der Zeit gebe, wo ich Augenzeuge jener wunderbaren Begebenheiten ward, die ich das Glück habe zu erzählen, und womit zu seinem Glück der Leser jetzt bekannt gemacht werden soll.

Ich werde mit meiner Abstammung, meinem Stammbaum beginnen, sowohl weil es die gewöhnliche Ordnung der Dinge so mit sich bringt, als auch um von diesem Theil meiner Erzählung gehörigen Vortheil zu ziehen, da er nicht nur dem übrigen Glaubwürdigkeit verschaffen wird, sondern auch dazu beitragen mag, Wirkungen auf ihre Ursachen zurückzuführen.

Ich habe mich gemeiniglich als auf gleichem Fuß mit den ältesten Edelleuten Europa’s angesehen, da wenige Familien klarer und direkter in den Nebel der Zeiten hinaufgeführt worden, als die, deren Glied ich bin. Meine Abkunft von meinem Vater wird unbestreitbar dargethan sowohl durch die Pfarrregister als durch das Testament von ihm selbst; und ich glaube, niemand kann die Wahrheit des ganzen Stammbaums seiner Familie deutlicher beweisen, als ich es im Stande bin mit dem meines Vorfahrs bis zur Stunde, wo er, zwei Jahre alt, schreiend vor Kälte und Hunger in dem Kirchspiel St. Giles in Westminster in dem vereinten Königreich Großbritanien gefunden ward. Ein Orangen-Weib hatte Erbarmen mit seinem Leiden. Sie sättigte ihn mit einer Brodkruste, wärmte ihn mit Wermuthbier und dann geleitete sie ihn voll Menschlichkeit zu einem Manne, mit welchem sie von jeher häufige aber ärgerliche Verhandlungen hatte, – zu dem Gemeindeaufseher. Der Fall mit meinem Vorfahr war so dunkel, daß er ganz klar war. Niemand konnte sagen, wem er angehörte, woher er gekommen, oder was etwa aus ihm werden sollte; und da das Gesetz damals noch nicht zuließ, unter Umständen wie diese, die Kinder auf der Straße verhungern zu lassen, sah sich der Gemeindeaufseher, nachdem er alle geeignete Schritte gethan, um die Kinderlosen und Barmherzigen seiner Bekannten zu dem Glauben zu vermögen, solch ein verlassenes Kind sei als besondres Pfand von der Vorsehung einem jeden von ihnen ins Besondre bestimmt, genöthigt, meinen Vater der Obhut einer der gewöhnlichen Ammen des Kirchspiels zu übergeben. Es war ein großes Glück für die Authenticität dieses Stammbaums, daß des Orangen-Weibes Verwenden diesen Erfolg hatte, denn wäre mein Vater den glücklichen Zufällen und edelmüthigen Launen freiwilliger Wohlthätigkeit ausgesetzt gewesen, so ist es mehr als wahrscheinlich, ich würde einen Schleier über jene wichtigen Jahre seines Lebens werfen müssen, die er notorisch im Arbeitshause zubrachte, und die jetzt, in Folge dieses Vorfalls, leicht durch rechtskräftige Beweise und documentarische Evidenz beglaubigt werden können.

So geschieht es denn, daß in den Jahrbüchern unsrer Familie sich keine Lücken finden; selbst jene Periode, die gewöhnlich nur mit Mährchen und eitlen Erzählungen in dem Leben der meisten Männer ausgefüllt wird, ist Gegenstand eines gesetzlichen Aufzeichnens in dem Leben meines Vorfahren, und war es so immer bis zum Tag seiner angenommenen Volljährigkeit, da er einem sorgsamen Meister den Augenblick übergeben ward, wo der Pfarrsprenkel mit einigem gesetzlichen Grund, denn von Schicklichkeit und Anstand kann ja hier keine Rede sein, seiner los werden konnte. Ich hätte bemerken sollen, daß das Orangen-Weib von dem Schild eines Metzgers, dessen Thür gegenüber mein Vorfahr gefunden ward, Veranlassung nahm, ihm sehr scharfsinnig den Namen Thomas Goldenkalb zu geben.

Dieser zweite wichtige Uebergang in der Geschichte meines Vaters, seine Lehrzeit nämlich, kann als eine Vorbedeutung seines künftigen Glücks betrachtet werden. Er ward Lehrling bei einem Händler in Mode-Artikeln, bei einem Ladeninhaber, der mit solchen Gegenständen verkehrte, wie sie gewöhnlich von denen gekauft werden, die nicht recht wissen, was sie mit ihrem Gelde thun sollen. Dieses Gewerb war von ausserordentlichem Nutzen für das künftige Wohlergehen des jungen Abentheurers, denn ungerechnet die bekannte Thatsache, daß die, welche ergötzen, weit besser bezahlt werden, als die, so belehren, so setzte ihn auch seine Stellung in den Stand, jene Launen der Menschen zu studieren, welche, wenn gehörig geleitet, an sich selbst eine Mine des Reichthums sind, und ausserdem zu der wichtigen Wahrheit führen, daß die größten Begebenheiten dieses Lebens weit öfter das Ergebniß des bloßen Antriebs als der Berechnung sind.

Ich habe es in direkter Ueberlieferung mündlich von den Lippen meines Großvaters überkommen, daß niemand in dem Charakter seines Herrn hätte glücklicher sein können als er selbst; dieser Mann, der zu rechter Zeit als mein Großvater von mütterlicher Seite sich erwieß, war einer jener vorsichtigen Krämer, die andre aus eignem Vortheil in ihren Thorheiten bestärken, und die Erfahrung von fünfzig Jahren hatte ihn in den Kniffen seines Handwerks so gewandt gemacht, daß er selten eine neue Ader in seiner Mine anschlug, ohne sich für sein Beginnen durch einen Erfolg belohnt zu sehen, der seinen Erwartungen gänzlich entsprach.

»Tom,« sagte er eines Tags zu seinem Lehrling, als die Zeit Vertrauen zwischen ihnen hervorgebracht, und gleiche Gefühle geweckt hatte, »du bist ein glücklicher Junge, oder der Gemeindeaufseher hätte dich nie zu meiner Thür gebracht. Du kennst schlecht den Reichthum, der für dich aufgespeichert ist, alle die Schätze, die zu deinem Befehl stehen, wenn du dich eifrig erweisest, und besonders treu meinen Interessen bist.« Mein vorsichtiger Großvater ließ selten eine Gelegenheit vorübergehen, ohne eine nützliche Moral einfließen zu lassen, obgleich auch im Allgemeinen sein Handel durch Wahrhaftigkeit sich auszeichnete. »Nun wie hoch denkst du, Junge, beläuft sich mein Kapital?«

Mein Vorgänger in männlicher Linie wagte keine Antwort, denn bis jetzt waren seine Gedanken auf den Profit beschränkt gewesen, und nie hatte er gewagt, seine Ideen bis zu jener Quelle zu erheben, aus der, wie er nothwendig sehen mußte, er in reichem Strom herfloß; aber auf sich selbst beschränkt durch diese unerwartete Frage, und schnell in den Zahlen, fügte er zehn Prozent zu der Summe, welche, wie er wußte, letztes Jahr der Netto-Gewinn ihrer vereinten Kunstfertigkeit gewesen, hinzu, und nannte den Betrag als Antwort auf die Frage.

Mein Großvater von mütterlicher Seite lachte meinem direkten Lenear-Vorfahren gerade zu in das Gesicht. »Du urtheilst, Tom,« sagte er, als seine Lustigkeit sich ein wenig gelegt hatte, »nach dem, was du für die Interessen des wirklichen Kapitals vor deinen Augen hältst, während du auch das in Rechnung bringen solltest, was ich unser schwebendes Kapital nenne.«

Tom sann einen Augenblick; denn wenn er auch wußte, daß sein Herr Geld in den Fonds hatte, so rechnete er doch das nicht als einen Theil der verfügbaren Mittel, die mit seinem gewöhnlichen Geschäft zusammengehangen hätten; und in Hinsicht des schwebenden Kapitals sah er nicht recht ein, wie es von großem Belang sein konnte, da das Mißverhältniß zwischen dem Einkaufspreiß und den Verkaufspreißen der einzelnen Artikel, womit sie handelten, so groß war, daß bei einer solchen Untersuchung nicht viel herauskommen konnte. Da jedoch sein Herr selten für etwas bezahlte, bevor er nicht im Besitz des Einkommens davon war, welches die Schuld einige sieben Mal überstieg, dachte er anfangs, der alte Mann spiele auf die Vortheile an, die er durch Credit erlangte, und nach einigem weitern Nachdenken faßte er ein Herz und sagte noch ein Mal soviel.

Nochmals überließ sich mein mütterlicher Großvater einem herzlichen Lachen. »Du bist geschickt auf deine Art, Tom«, sagte er, »und ich liebe die Genauheit deiner Rechnungen, denn sie zeugen von Talent für die Handlung; aber in unserm Beruf liegt Genie sowohl als Geschicklichkeit. Komm hierher, Junge,« fügte er hinzu, und zog Tom an ein Fenster, von wo sie die Nachbarn auf ihrem Weg zur Kirche sehen konnten, denn an einem Sonntag überließen sich meine zwei vorsichtigen Vorfahren diesen moralischen Ansichten von der Menschheit, als besonders passend für diesen Tag. »Komm hierher, Junge, und du sollst einen kleinen Theil jenes Kapitals sehen, welches, während du es versteckt glaubst, draußen herschreitet am Tageslicht und in den offenen Straßen. Hier, du siehst das Weib unseres Nachbars, des Pastetenbäckers, mit welchem Air wirft sie ihr Haupt, und zeigt die Schleife, die du ihr gestern verkauftest; nun eben jene, müßig und eitel, und wenig trauenswerth wie sie ist, sie trägt einen Theil meines Kapitals bei sich.«

Mein würdiger Vorfahr staunte, denn er wußte nicht, daß der andere jemals sich einer solchen Unvorsichtigkeit schuldig gemacht, um einem Weibe zu trauen, das, wie sie beide wußten, mehr kaufte, als ihr Mann zu bezahlen Willens war.

»Sie gab mir eine Guinee, Meister, für das, was nicht sieben Shillinge kostete.»

»Freilich, Tom, und Eitelkeit trieb sie dazu; ich stelle auf ihre Thorheit, Junge, und auf die aller andern, Wechsel aus; nun siehst du nicht, mit welchem Kapital ich meine Geschäfte führe. Dort, dort ist die Magd, die da hinten die Oberschuhe trägt; ich zog erst letzte Woche auf mein Kapital in jenes Weibes Besitz eine halbe Krone.«

Tom dachte lange Zeit über diese Anspielungen seines vorsichtigen Meisters nach, und obgleich er sie fast eben so gut verstand, als sie von den Eigentümern der sanften Augen und sich spreitzenden Backenbärten unter meinen Lesern verstanden sein werden, gelangte er doch durch Nachdenken zuletzt zu einem praktischen Verstehen des Gegenstandes, den er, ehe er noch in den dreißigen war, ziemlich wohl, um einen französischen Ausdruck zu gebrauchen, exploitirt hatte.

Ich höre nach unbestreitbarer Ueberlieferung, die ich auch aus dem Mund seiner Zeitgenossen empfangen, daß die Ansichten meines Vorfahrs zwischen zehen und vierzig einige wesentliche Veränderungen erlitten; ein Umstand, der mich oft auf den Gedanken gebracht, daß man wohl thun würde, nicht zu sehr auf seine Grundsätze während der beugsamen Periode des Lebens zu vertrauen, wo das Gemüth, gleich dem zarten Schößling, leicht auf die Seite gewandt und der Einwirkung der umgebenden Ursachen unterworfen wird.

Während der früheren Jahre der Bildungsperiode bemerkte man in meinem Vorfahr lebhafte Gefühle des Mitleids beim Anblick von verlassenen Kleinen; auch sah man ihn niemals an einem Kind, besonders an einem Knaben vorübergehen, der noch im Flügelkleide war, und vor Hunger in den Straßen schrie, ohne seine Brodkruste mit ihnen zu theilen. In der That diese seine Gewohnheit soll beständig und gleichförmig gewesen sein, jedes Mal wenn dies Begegnen Statt hatte, nachdem mein würdiger Vater sein eignes Mitgefühl durch ein gutes Mittagessen geschärft hatte, ein Umstand, der einer lebhaftemrn Mitempfindung des Vergnügens, das er verschaffen wollte, zugeschrieben werden mag.

Nach seinem sechszehnten Jahre hörte man ihn manchmal von Politik reden, ein Gegenstand, über den er sich vor seinem zwanzigsten mit Erfahrung und Beredsamkeit ausließ. Sein gewöhnliches Thema war Gerechtigkeit und die heiligen Rechte des Menschen, über welche er bisweilen sehr glänzende Sprüche äußerte, wie sie recht eigentlich einem Manne zukamen, der auf dem Boden des großen Staatstopfs sich befand, welcher damals wie jetzt, tüchtig kochte, und wo ihm die Hitze, die den Topf in Wallungen erhielt, am fühlbarsten ward. Man versichert mich, über Taxen, über die Unbilden Amerika’s und Irland’s konnten wenig junge Leute in dem Pfarrsprengel mit mehr Eifer und Salbung reden. Um diese Zeit hörte man ihn auch in den Straßen rufen: Wilkes und Freiheit!

Aber wie dies bei allen Leuten von seltnen Fähigkeiten so ist, es fand sich im Gemüth meines Vorfahrs eine Centralisation von Kräften, welche bald alle seine herumschweifenden Sympathien, den bloßen Auswuchs lebhafter, überfließender Gefühle, zu einer gehörigen und nützlichen Unterwerfung brachte, indem sie alles in das Eine verschlingende und geräumige Gefach seines eignen Selbst zusammenfaßte. Ich nehme für meinen Vater in der Hinsicht nichts Besondres in Anspruch; wie oft habe ich solche Leute beobachtet; gleich unvernünftigen Reutern, die, ehe sie nur noch fest im Sattel sitzen, vielen Staub erregen, und herum trotten, als wenn die Heerstraße für ihre excentrische Ritte zu enge wäre, die aber hernach gerade auf ihr Ziel losschießen, wie der Pfeil vom Bogen, – ihnen gleich überlassen sich die Meisten beim Eintritt in ihre Laufbahn ihren überschwenglichen Gefühlen, sind aber später gerade die, die am ersten eine gehörige Herrschaft darüber erlangen, und sie in die Schranken des gesunden Menschenverstandes und der Klugheit einschließen. Vor seinem fünf und zwanzigsten Jahr war mein Vater ein so exemplarischer und beständiger Anhänger des Plutus, als nur irgend jemand damals zwischen Ratcliffe-Highway und Bridge-Street gefunden ward, – ich nenne diese Orte besonders, da alle übrige in der großen Hauptstadt, in der er geboren ward, wie man weiß, in Hinsicht des Geldes gleichgültiger sind.

Mein Vorfahr war gerade dreißig Jahr alt, als sein Herr, der wie er selbst ein Junggesell war, sehr unerwartet und zu bedeutendem Aergerniß der Nachbarschaft einen neuen Inwohner in seinen spärlichen Haushalt in der Person eines kleinen Mädchens einführte. Jemand mußte ebenfalls auf sein Kapital von Schwachheit spekulirt haben; denn dieß arme, kleine, hülflose, verlassene Wesen ward seiner Sorgfalt, wie Tom selbst, von der Wachsamkeit des Gemeindeaufsehers übergeben. Viele gutgemeinte Scherze ergingen von Seite der Witzigeren seiner Nachbarn bei dieser plötzlichen Wendung seines Glücks über den gedeihenden Modehändler, und nicht geringen, böswilligen Hohn erhielt er hinter seinem Rücken, da viele der Kundigen in der Nachbarschaft eine weit stärkere Aehnlichkeit des kleinen Mädchens mit all den andern unverheiratheten Männern der acht oder zehn anstoßenden Straßen als mit dem würdigen Haushälter finden wollten, der zu ihrem Unterhalt ausersehen worden. Ich war sehr geneigt, die Ansicht dieser edlen Beobachter als Autorität in meinem Stammbaum anzunehmen, weil ich dadurch das Dunkel, worin alle alten Geschlechter wurzeln, um eine Generation früher erreicht haben würde, als wenn ich zugebe, daß die kleine Betsey die Tochter von dem Herrn meines directen männlichen Vorfahren gewesen; aber bei näherem Nachdenken habe ich mich entschlossen, der weniger allgemeinen, aber einfacheren Auslegung der Sache beizustimmen, da sie mit der Vererbung eines nicht kleinen Theils unseres Besitzes zusammenhängt, ein Umstand, der an und für sich schon der Genealogie Würde und Wichtigkeit gibt.

Was aber auch immer die Ansichten des vermeintlichen Vaters in Hinsicht seiner Rechte auf die Ehren dieses edlen Titels gewesen sein mögen, er faßte bald eine so feste Zuneigung zu dem Kinde, als wenn es ihm wirklich sein Dasein verdankte. Das kleine Mädchen ward sorgfältig gewartet, reichlich genährt und gedieh auch demgemäß. Sie hatte ihr drittes Jahr erreicht, als der Modehändler von seiner kleinen Puppe, die sich eben von dieser Krankheit erholte, die Blattern bekam, und nach dem zehnten Tag starb.

Das war ein unvorhergesehener und betäubender Schlag für meinen Vorfahr, der damals in seinem 35. Jahre stand, und Hauptcommis des Geschäfts war, welches mit den wachsenden Thorheiten und Eitelkeiten der Zeit gewachsen war. Bei Eröffnung von seines Herrn Testament fand sich, daß meinem Vater, der allerdings zuletzt bedeutend zur Erwerbung des Geldes mitgewirkt hatte, der Besitz des Geschäfts, die Verfügung über alle Fonds und die alleinige Verwaltung des Vermögens überlassen ward. Ihm ward auch die ausschließliche Vormundschaft über die kleine Betsey anvertraut, der sein Herr gütigst jeden Shilling seines Vermögens vermachte.

Ein gewöhnlicher Leser wird sich vielleicht erstaunen, daß ein Mann, der so lange die Schwachheiten der Menschen ausgebeutet, so viel Zutrauen auf einen bloßen Commis gehabt haben sollte, um seinen ganzen Besitz so vollständig in seiner Hand zu lassen, aber man muß sich erinnern, daß der menschliche Scharfsinn noch kein Mittel ausgefunden, wodurch wir unsere Habe mit in die andere Welt nehmen können, man muß sich erinnern, daß, was nicht zu ändern, ertragen werden muß, daß er notwendigerweise dieses wichtige Vertrauen zu einem seiner Nebenmenschen haben mußte, und daß es besser war, die Verwaltung seines Geldes einem zu überlassen, der das Geheimniß wußte, wie es aufgehäuft worden, und also weniger Antrieb zur Unredlichkeit hatte, als einem, der den Lockungen der Begehrlichkeit ausgesetzt war, ohne Kenntnis von den directen und gesetzlichen Mitteln zu haben, sein Verlangen zu stillen. Man hat daher angenommen, daß der Erblasser, indem er sein Geschäft einem Manne überließ, der so sehr alle dessen Vollkommenheiten, moralische und pekuniäre, zu würdigen wußte, wie mein Vorfahr, in der festen Ueberzeugung stand, er sichre ihn hinlänglich vor aller Versuchung der Sünde des Raubs und Betrugs, indem er ihn so sehr mit den einfachern Mitteln sich zu bereichern versähe. Außerdem muß man auch billiger Weise annehmen, daß die lange Bekanntschaft hinlängliches Vertrauen erzeugt hatte, um die Wirkung jenes Sprüchworts zu schwächen, das ein Witzbold einem Possenreisser in den Mund gelegt hat: »Macht mich zu eurem Testamentsvollstrecker, Vater, und ich kümmere mich nichts darum, wem ihr das Erbe laßt.«

Dem sei, wie ihm wolle, nichts ist sichrer, als daß mein würdiger Vorfahr das ihm Anvertraute mit der gewissenhaftesten Treue eines Mannes ausführte, dessen Rechtschaffenheit in der Moral des Handels streng geschult worden. Die kleine Betsey wurde ihrem Stand gemäß erzogen, und über ihre Gesundheit so sorgfältig gewacht, als wenn sie statt die einzige Tochter eines Modehändlers die einzige Tochter des Fürsten gewesen; ihre Aufführung wurde beaufsichtigt von einer bejahrten Dame, ihr Geist seiner ursprünglichen Reinheit überlassen, ihre Person eifersüchtig gegen die Pläne gieriger Glücksritter geschützt; ja, um die lange Reihe seiner väterlichen Aufmerksamkeiten und Sorgen voll zu machen, trug mein wachsamer und treuer Vorfahr, um allen Zufällen zuvorzukommen und soweit es menschlicher Vorsicht gestattet wäre, allen Wechseln des Lebens entgegenzuarbeiten, Sorge, sie gesetzlich den Tag, wo sie ihr 19. Jahr erreicht hatte, an den Mann zu verheirathen, welchen, wie wir alle Ursache zu glauben haben, er für den untadeligsten seiner Bekannten hielt, – mit andern Worten an sich selbst. Nähere Bestimmungen waren zwischen beiden Theilen unnöthig, da sie so lange mit einander bekannt gewesen, und bei der großen Freigebigkeit von seines frühern Herrn Testament, bei der langen Minderjährigkeit, und dem Eifer des ehemaligen Hauptcommis, war der Ehesegen kaum gesprochen worden, als unsre Familie in den unbestrittenen Besitz von 400,000 Pf. eintrat. Ein in Hinsicht der Religion und Gesetze weniger gewissenhafter Mann würde es nicht für nöthig gehalten haben, der verwaisten Erbin nach Ablauf der Vormundschaft eine so befriedigende Versorgung zu bereiten.

Ich war der fünfte von den Kindern aus dieser Verbindung, und der einzige unter ihnen, der über das erste Jahr hinauskam. Meine arme Mutter überlebte meine Geburt nicht, und so kann ich von ihren Eigenschaften nur nach jener wichtigen Quelle aller Familienarchive, der Überlieferung, reden. Nach allem, was ich gehört, muß sie ein sanftes, ruhiges, häusliches Weib gewesen sein, die durch Charakter und andere Eigenschaften ausgezeichnet, wohl im Stande war, die klugen Plane meines Vaters für ihre Wohlfahrt zu unterstützen. Wenn sie Ursachen zu Klagen hatte (und daß sie deren hatte, müssen wir denken, denn wer ist ohne sie?), wurden sie mit weiblicher Treue verheimlicht und in dem heiligen Schreine ihres eignen Herzens versteckt; und wenn die trügerische Phantasie manchmal ihr dunkel die Umrisse ehelicher Glückseligkeit verschieden von den Umständen entwarf, die in trüber Wirklichkeit ihr vor Augen standen, verweilte sie nur bei dem Gemälde mit einem Seufzer und zog sich zurück in ein Gemach, wozu niemand den Schlüssel berührte als sie selbst und auch sie selten.

Von diesem unterdrückten und wenig auffallenden Gram, (denn manchmal, fürchte ich, kam es zu dieser Stärke des Gefühls,) hatte mein edler und unermüdlicher Vorfahr, so schien es, keine Ahnung. Er fuhr fort in seinen Geschäften mit seiner gewöhnlichen einförmigen Hingebung, und das letzte, was ihm in den Sinn gekommen, wäre der Zweifel gewesen, daß er in seiner Vormundschaft nicht genau seine Pflicht gethan. Wäre es so gewesen, sicher hätte niemand mehr durch sein Unterlassen gelitten als ihr Gemahl, und niemand mehr Recht zur Klage gehabt. Da sich aber ihr Gemahl nie eine solche Beschuldigung auch nur zu machen gedachte, ist es gar nicht zu erstaunen, daß mein Vorfahr in Unwissenheit von seines Weibes Kummer bis zur Stunde seines Todes verblieb.

Es ist schon bemerkt worden, daß die Ansichten des Nachfolgers von dem Modehändler einige wesentliche Veränderungen zwischen den Jahren zehen und vierzig erlitten. Nachdem er sein zwei und zwanzigstes Jahr erreicht, oder mit andern Worten, sobald er für sich selbst sowohl als seinen Herrn Geld zu verdienen begann, hörte er auf »Wilkes und Freiheit!« zu rufen; man vernahm während der ganzen fünf Jahre, die auf seine Volljährigkeit folgten, keine Sylbe von ihm über die Verpflichtungen der Staatsgesellschaft, dem Schwachen und Unglücklichen gegenüber; er berührte die Pflichten des Christen nur leichthin, nachdem er fünfzig Pfd. reich geworden, und über die Thorheiten der Menschen zu spotten, – das wäre niedrige Undankbarkeit von einem Manne gewesen, der so augenscheinlich sein Brod durch sie verdient hatte. Doch waren um diese Zeit seine Bemerkungen über Taxen ganz besonders bitter und wohl angebracht. Er spottete über die Staatsschuld wie über einen Fluch des Staats, und sagte vorbedeutungsvoll, in Folge der Lasten und Beschwerden, die sie stündlich auf die schon überladenen Schultern des Kaufmanns häufe, die Auflösung der Staatsgesellschaft voraus.

Die Zeit seiner Vermählung und Nachfolge in den Kisten und Kasten seines früheren Herrn kann als die zweite Epoche in den Ansichten meines Vorfahren angesehen werden. Von diesem Augenblick an stieg sein Ehrgeiz, seine Ansichten erweiterten sich wie seine Mittel, und seine Betrachtungen über sein großes schwebendes Kapital wurden tiefer und philosophischer. Ein Mann von meines Vaters angebornem Scharfsinn, dessen ganze Seele in Verfolgung des Gewinns vertieft war, der so lange seinen Geist durch den Verkehr mit den Elementen der menschlichen Schwächen gebildet hatte, und schon 400,000 Pf. besaß, mußte natürlich für sich einen erhabneren Weg nach der Größe einschlagen, als der war, auf welchem er so mühsam während der Jahre peinlicher Prüfung gewandert war.

Das Eigenthum meiner Mutter war hauptsächlich in guten Verschreibungen und Pfändern angelegt worden, da ihr Beschützer, Patron, Wohlthäter und vom Gesetz bestellter Vater einen unbesiegbaren Widerwillen dagegen hatte, sich der seelenlosen, conventionellen, unbegränzten Körperschaft, dem Staate zu vertrauen. Das erste Zeichen, das mein Vater von einer Veränderung seiner beabsichtigten Bestrebungen gab, war, daß er alle seine Ausstände einkassirte, und so den Napoleonischen Plan annahm; er concentrirte seine Kräfte in Einen Punkt, um dann mit Massen zu operiren. Um diese Zeit hörte er auch plötzlich auf, über Taxen zu spotten. Diesen Wechsel kann man dem vergleichen, der mit der Sprache ministerieller Blätter vorgeht, wenn sie aufhören einen fremden Staat zu höhnen, mit welchem die Nation Krieg geführt, den man aber endlich für zweckmäßig hält zu beendigen; und es geschah auch fast aus denselben Gründen, da es die Absicht meines listigen Vorfahrs war, eine Macht sich zum Verbündeten umzuschaffen, die er bisher immer als einen Feind behandelt hatte. Das Ganze der 400,000 Pf. wurde freigebig dem Land vertraut, und der frühere Modehändlers Lehrling betrat den Kampfplatz der tugendhaften und patriotischen Börsenspekulation als Bulle, wenn auch mit mehr Vorsicht, doch wenigstens mit einem Theil der Energie und Störrigkeit jenes verzweifelnden Thiers, das dieser Klasse von Abentheurern den Namen gibt. Erfolg krönte seine lobenswerthen Bestrebungen, das Gold strömte auf ihn ein, wie Wasser bei der Fluth, und erhob ihn, Geist und Körper, zu jener neidenswerthen Höhe, wo, wie es scheinen möchte, allein der rechte Anblick von der Gesellschaft in ihren unzähligen Phasen erlangt werden kann. All seine früheren Ansichten vom Leben, welche er, wie alle andre von ähnlicher Herkunft und ähnlichen politischen Gefühlen, in den frühsten Jahren sich gebildet hatte, und welche mit Recht nähere Ansichten genannt werden können, wurden jetzt vollständig durch die höhere und weitre Aussicht, die sich vor ihm aufthat, verdunkelt.

Ich fürchte die Wahrheit wird mich zuzugeben nöthigen, daß mein Vorfahr nie in der gewöhnlichen Bedeutung des Worts wohlthätig war, aber dann behauptete er immer, seine Theilnahme an seinen Mitgeschöpfen sey von einer höheren Art, umfasse in einem Gesammtblick alle Quellen des Guten und Bösen, sei von jener Art Liebe, die den Vater bestimmt, sein Kind zu züchtigen, damit die Lehre des gegenwärtigen Leidens die Wohlthat künftigen Wohlverhaltens und Brauchbarkeit hervorbringe. Nach diesen Grundsätzen verfahrend, entfremdete er sich immer mehr von seinen Mitmenschen, ein Opfer, das wahrscheinlich die Strenge seiner durch die That bewiesenen Mißbilligung ihrer wachsenden Schlechtigkeit und die unnachsichtliche Staatsklugheit erheischte, die nöthig war, um ihr Gewicht zu geben. Um diese Zeit fühlte auch mein Ahnherr recht innig, was man den Werth des Geldes nennt, ein Gefühl, das meiner Meinung nach ihrem Besitzer eine mehr als gewöhnlich lebhafte Würdigung der Gefahren verleiht, denen diese edle Metalle ausgesetzt sind, sowie es ihn ihre Vorrechte und Anwendung ganz besonders kennen lehrt.

Er ließ sich gelegentlich über die Bürgschaften und Garantie’n aus, die man nothwendig der Staats-Gesellschaft ihrer eignen Sicherheit wegen leisten müsse, stimmte nie, selbst nicht für einen Gemeindediener, wenn er nicht ein eifriger, solider Bürger war, und fing nachgerade an auch als Subscribent bei den patriotischen Fonds und den andern ähnlichen kleinen moralischen und pecuniären Stützen der Regierung aufzutreten, deren allgemeiner und lobenswerther Zweck ja sei, unser Land, unsre Altäre und unsern Heerd zu schützen.

Meiner Mutter Sterbebett ist mir als ein rührender, trauervoller Auftritt beschrieben worden. Es scheint, daß in dem Maße, als diese sanfte, eingezogene Frau der Hülle der Sterblichkeit sich entwand, ihr Geist heller, ihre Seelenkräfte stärker und ihr Charakter in jeder Hinsicht höher und gebietender ward. Obgleich sie weit weniger als ihr Gemahl von unserm »Heerd und unsern Altären« gesprochen, sehe ich doch keinen Grund zu zweifeln, daß sie immer ganz ebenso treu dem erstern und ebenso andächtig bei den andern gewesen. Ich werde ihren Übergang von dieser zu einer bessern Welt beschreiben, wie ich es oft von den Lippen eines Mannes vernommen, der zugegen war, und später mich vorzüglich zu dem machte, der ich bin. Dieser Mann war der Pfarrer der Gemeinde, ein frommer Geistlicher, ein Gelehrter und ein Mann von Ehre sowohl durch seinen Charakter als durch die Geburt.

Meine Mutter, obgleich seit langem sich bewußt, daß sie sich ihrem letzten großen Tag nähere, hatte standhaft verweigert, ihren Gemahl seinen alles verschlingenden Geschäften zu entziehen, indem sie ihn von ihrer Lage hätte benachrichtigen lassen. Es war ihm bekannt, daß sie krank sei, sehr krank, wie er wohl denken mußte, aber da er ihr nicht nur vergönnte, sondern auch von freien Stücken allen Rath, alle Hilfe ihr zukommen ließ, die Geld verschaffen konnte (mein Vorfahr war kein Geizhals in der gemeinen Bedeutung des Worts), so glaubte er alles gethan zu haben, was ein Mensch in Hinsicht auf Leben und Tod thun könnte, denn solche Fälle, gestand er, stünden nicht unter seiner Kontrolle. Er sah den Dr. Ethrington, den Oberpfarrer, täglich kommen und gehen einen Monat lang, ohne Unruhe, ohne Befürchtung; denn er dachte die Unterredung mit ihm werde einen beruhigenden Einfluß auf meine Mutter ausüben, und er hatte eine große Vorliebe für alles, was ihn ungestört der Beschäftigung überließ, worin sich jetzt alle seine Geisteskräfte so ausschließlich concentrirt hatten. Der Arzt erhielt bei jedem Besuch seine Guinee mit gewissenhafter Pünktlichkeit, die Wärterinnen waren wohl aufgenommen und wohl zufrieden, denn Niemand mischte sich in ihr Geschäft als der Arzt, und alle sonstige ihm obliegende Dienste wurden so regelmäßig von meinem Vorfahren erfüllt, als wenn das hinwelkende ergebene Wesen, von dem er bald für immer getrennt werden sollte, die freie Wahl seiner jugendlich frischen Zuneigung gewesen.

Als daher ein Diener hereintrat, um zu melden, Dr. Ethrington wünsche eine geheime Unterredung, war mein würdiger Vorfahr, der sich keiner Vernachlässigung irgend einer dem Freund der Kirche und des Staats zukommenden Pflicht bewußt fühlte, nicht wenig betroffen.

»Ich komme, Herr Goldenkalb, mit einer traurigen Botschaft«, sagte der fromme Oberpfarrer, indem er in das geheime Kabinet trat, wozu auf sein Verlangen er zum ersten Mal zugelassen worden.« Das schreckliche Geheimniß kann Ihnen nicht länger vorenthalten werden, und Ihre Frau gibt endlich ihre Einwilligung, daß es Ihnen durch mich offenbart werden soll.«

Der Pfarrer hielt ein, denn bei solchen Gelegenheiten ist es vielleicht nicht übel, wenn man den Theil, der erschüttert werden soll, etwas von dem Schlag durch sein eignes Errathen aufnehmen läßt: und ziemlich geschäftig soll auch bei dieser peinlichen Gelegenheit die Einbildungskraft meines Vaters gewesen sein. Er ward blaß, öffnete seine Augen, bis sie wieder gänzlich die Höhlen füllten, in die sie allmählig seit zwanzig Jahren eingesunken, und that mit ihnen hundert Fragen, die seine Zunge sich zu thun weigerte.

»Es ist nicht möglich, Herr Pfarrer«, sagte er endlich kläglich, »daß ein Weib wie Betsey, einen Blick in die, mit der letzten großen geheimen Reise verbundenen Vorfälle sollte gethan haben, die meiner Sorge und Erfahrung entgangen sind.»

»Ich fürchte, Sir, Madame Goldenkalb hat Blicke in jene letzte große geheime Reise gethan, zu der wir uns alle früher oder später einschiffen müssen, die aber gänzlich ihrer Wachsamkeit entgangen sind. Aber davon will ich ein ander Mal sprechen. Jetzt ist es meine peinliche Pflicht, Sie zu benachrichtigen, daß der Arzt der Meinung ist, Ihre vortreffliche Frau werde nicht das Ende des Tags, vielleicht nicht dieser Stunde erleben.«

Mein Vater ward von dieser Botschaft betroffen, und länger als eine Minute blieb er schweigend und ohne Regung. Er warf seine Augen auf die Papiere, mit welchen er so eben beschäftigt gewesen, und die einige sehr wichtige mit dem nächsten Abschlußtag zusammenhängende Berechnungen enthielten, und begann alsdann endlich: »Wem dem wirklich so ist, Herr Pfarrer, wird es gut sein, mich zu ihr zu begeben, da in ihrer Lage die arme Frau mir in der That etwas von Wichtigkeit mitzutheilen haben kann.« – »Zu dem Zweck bin ich jetzt gekommen, Ihnen die Wahrheit zu sagen«, antwortete ruhig der Geistliche, der wohl wußte, daß durch Bestreitung seiner ihn ganz beherrschenden Schwachheit mit einem solchen Mann in einem solchen Augenblick nichts zu gewinnen war. Mein Vater nickte mit dem Kopf Beistimmung, und nachdem er erst sorgsam die offenen Papiere in einem Sekretär verschlossen, folgte er seinem Gefährten zum Bette seines sterbenden Weibes.

Drittes Kapitel.

Drittes Kapitel.

Ein Hof, ein Hofkleid und ein Höfling. – Gerechtigkeit und Ehre nach verschiedenen Rücksichten.

Meine Gäste waren nicht so bald fort, als ich nach der Wirthin schickte, um mich zu erkundigen, ob Hofkleider in der Nähe zu haben wären. Sie sagte mir, freilich sei eine Menge zu bekommen, die der Monikins-Gestalt angemessen wären; aber sie zweifle sehr, ob ein Schweif in ganz Springhoch, natürlich oder künstlich, zu finden, der einer Person von meiner Größe paßte. Das war schlimm, und ich dachte mich schwarz und gelb, und bot alle meine Geisteskräfte auf, als Poke in’s Wirthszimmer trat, zwei so furchtbare Ochsenschweife in der Hand, als ich sie nur je gesehen hatte. Er warf mir einen zu und sagte, der Ober-Admiral von Springhoch habe ihm mitgetheilt, es sei eine Einladung sowohl an den Prinzen und ihn selbst als an den Führer des Erstern ergangen, in einer Stunde am Hof zu erscheinen. Er sei, wie er’s nannte, von einem sehr guten Mittagessen fortgeeilt, nur daß nichts Solides dabei gewesen (der Kapitän liebte besonders Pökelfleisch), um mir die uns zugedachte Ehre kund zu thun, und auf dem Weg nach Hause sei er auf Dr. Raisono getroffen, der auf die Nachricht von seiner Botschaft nicht verfehlt hätte, auf die Notwendigkeit einer Hoftracht für die ganze Gesellschaft hinzuweisen. Das war eine Verlegenheit und Rache; denn das Erste, was dem Kapitän einleuchtete, war die gänzliche Unmöglichkeit, etwas dieser Art in ganz Springhoch zu finden, das einem Lord Ober-Admiral von seiner Kiellänge nur einiger Maßen paßte. Denn in einem gewöhnlichen Monikins-Schweif zu gehen, das wäre ja gerade wie ein Dreidecker, der zum Niedermast die Segelstange einer Brigg aufstellte. Aber Doktor Raisono half ihm gütig aus der Verlegenheit, er führte ihn in das naturhistorische Kabinet, wo drei gehörige Anhängsel gefunden wurden, nämlich zwei schöne Reliquien von Ochsen und noch ein Kapitalexemplar, das früher der geistige Hebel oder, wie der Kapitän es ausdrückte, das Steuerruder eines Känguru gewesen war. Das Letztre hatte man aus zarter Rücksicht für die Ehre Großbritanniens dem Prinzen Bob geschickt, der auf einer der königlichen Familie gehörigen Villa, in der Nähe von Aggregation, sich befand.

Ich war Noah sehr für seine Geschicklichkeit bei dem Anlegen meines Hofkleides verbunden; wir hatten nicht Zeit zu vielen Umständen, denn wir erwarteten jeden Augenblick Richter Volksfreunds Rückkehr. Alles, was wir daher thun konnten, war, einen Gürtel von Leinwand zu machen (der Kapitän war immer mit Nadel, Garn u.s.w. versehen), und das dünnere Ende des Schweifs durch ein Loch in dem Gürtel einzufügen, worauf wir denn die Spitze fest an das Zeug heraufzogen und den Gürtel selbst um uns herum banden. Das war freilich nur ein sehr mittelmäßiges Surrogat für das natürliche Anhängsel, und die Haut selbst war so trocken und spröde, daß auch der Allerunaufmerksamste sich nicht denken konnte, es sei nur ein Fünkchen Gehirn oder Geist darin. Diese Vorkehrung hatte noch einen andern Mißstand. Der Schweif bildete fast einen rechten Winkel mit dem Leib, und außer daß er weit mehr Raum einnahm, als uns in Gegenwart des Königs wohl vergönnt wurde, gab er den andern Springern, wie Noah bemerkte, großen Vortheil über uns, die die ihrigen wie Hebel gebrauchen konnten. Indeß ein Seemann ist unerschöpflich in Hülfsmitteln; zwei eingeflochtene Segelstangen brachten sie bald in die Höhe, und so standen sie wie zwei Masten.

Der außerordentliche Gesandte von Springniedrig in Begleitung seines Freundes, des Brigadier Geradaus, kam gerade, als wir gekleidet waren; und die Wahrheit zu sagen, machte der Erstre eine seltsame Figur. Obgleich nach den Springniedrig-Gesetzen verbunden, den Schweif auf sechs Zoll abzustumpfen, und so zu einem wahren Stumpf reducirt, und zwar durch die beiden öffentlichen Meinungen seines Landes, die in diesem Punkt übereinstimmten, erschien er doch gerade mit dem größten Büschel, den ich mich je erinnre, an einem Monikins gesehen zu haben. Ich fühlte mich sehr geneigt, den rotirenden Republikaner über dieses Kokettiren zu verlachen; aber dann fiel mir ein, wie süß jede erschlichene Nachsicht ist, und um mein Leben hätte ich keinen Witz darüber machen können, die Eleganz des Ministers wurde durch die Einfachheit des Brigadier noch auffallender; er hatte seinen Stumpf, freilich einen sehr kurzen, so niedergekämmt, daß dieser dadurch fast unsichtbar ward. Als ich Herrn Geradaus meine Zweifel über seine Zulassung in einem solchen Kostüme äußerte, schnippte er mit den Fingern und gab mir zu verstehen, er wisse es besser. Er erscheine als ein Brigadier von Springniedrig (ich fand nachher, daß er wirklich kein Soldat war, daß er aber nach der Sitte seines Landes unter dem Titel eines Brigadier reiste), und dies sei seine Uniform; er möge doch den Kämmerling sehen, der den Zustand seiner Garderobe zu bekrittlen sich herausnehmen würde. Da es meine Sache nicht war, ließ ich kluger Weise das Gespräch fallen, und wir waren bald im Hofe des Pallastes. Ich übergehe die Parade der Garden, die Staatsmusiker, die Sergeanttrompeter, den Haufen von Bedienten und Pagen, und führe den Leser mit einem Male in’s Vorzimmer. Hier fanden wir das gewöhnliche Gedräng derer, die im Lächeln der Fürsten leben. Es war viel Höfischkeit, viel Bücken und Komplimentiren, und der gewöhnliche Grad edlen Strebens, der Erste zu sein, sich zu freuen im Sonnenschein des Königthums. Richter Volksfreund in seinem Charakter eines fremden Gesandten war bevorrechtet; so genossen wir den Privateingang, und standen nun mit Recht am nächsten an den großen Thüren der königlichen Gemächer. Die Meisten vom diplomatischen Korps warteten schon auf, und ganz natürlich offenbarten sich viele herzliche Aeußerungen der innigen Anhänglichkeit, die sie und ihre Herren mit unverletzlichen Banden der heiligsten Freundschaft vereinten, Richter Volksfreund repräsentirte nach seiner eignen Darstellung eine große Nation, eine sehr große Nation, und doch sah ich nicht, daß er eine warme, eine sehr warme Theilnahme fand. Jedoch da er mit sich und Allen um ihn zufrieden schien, würde es unfreundlich, um nicht roh zu sagen, von einem Fremden gewesen sein, seine Selbstachtung zu stören; und ich gab mir daher ganz besondre Mühe, meine Ansicht auch nicht durch die geringste Andeutung zu verrathen, daß Viele um ihn und seinen künstlichen Schweif als etwas im Wege ansahen; die Höflinge von Springhoch besonders, die ein außerordentlich ausschließliches und feinfühlendes Korps sind, schienen die Vorrechte des Richters ungern zu sehen, und einer oder zwei hielten wirklich ihre Nasen zu, als er mit seinem Büschel ein wenig zu nahe an ihren heiligen Gesichtern hinfuhr, als hielten sie dessen Geruch schon für außer der Mode. Während ich diese stillen Beobachtungen machte, schrie ein Page vom innern Theil des Saals: »Platz für Se. königl. Hoheit den Kronprinzen von Großbritannien!« Der Haufen theilte sich, und der junge Schelm Bob schritt im Saale daher. Er trug das Beingewand als die Basis seiner Toilette, aber der obere Theil war mehr im Einklang mit des Schurken angenommenem Charakter. Die Unionsjacke war über seine Schultern wie ein Mantel geworfen, und ward vom Koch und dem Verschließer des Wallrosses (zweien Schwarzen) getragen. Beide als Krokodille gekleidet. Der Känguru-Schweif war auf eine Art aufgestutzt, daß er hörbare Zeichen des Neids in Poke’s Herzen erregte. Das Aufputzen desselben, lispelte der Kapitän, mache dem jungen Kerl große Ehre; denn es sähe so natürlich aus, als nur immer eine Perrücke, und dann hatte er außer der Aufrichtungsstange noch zwei Griffe, die gleich den Hauptrudern eines Boots dienten, so daß, wenn er den einen in jeder Hand hatte, der Schweif rechts und links wie ein Ruder gebraucht werden konnte. Ich habe diese Beschreibung aus dem Munde des Kapitäns, und hoffe aufrichtig, sie möge dem Leser verständlich sein.

Bob schien seiner Vorzüge sich bewußt; denn als er das obere Ende des Zimmers erreichte, rührte er seinen Schweif und wedelte rechts und links, so daß er eine sehr merkliche und lebhafte Bewunderung in dem Gemüth des Richter Volksfreunds erregte; eine Wirkung, die um so mehr von des Trägers Geschicklichkeit zeugte, da jener hohe Funktionär ex officio verbunden war, für alle Hofeitelkeiten die größte Verachtung zu zeigen. Ich sah jedoch des Kapitäns Augen leuchten, und als der übermüthige junge Narr wirklich die Verwegenheit hatte, seinem Herrn den Rücken zuzukehren und seinen Schweifbüschel gerade unter dessen Nase zu bewegen, konnte Menschennatur nicht länger aushalten. Das rechte Bein des Mylord Ober-Admiral zog sich leise zurück, leise mit der Vorsicht der Katze, die auf etwas losspringen will, und fuhr dann vor, mit einer Schnelligkeit, einer Kraft, die den Kronprinzen ganz und gar vom Boden in die Höhe warf.

Die königliche Selbstbeherrschung Bob’s konnte einen Schrei des Schmerzes und der Ueberraschung nicht unterdrücken, und einige der Höflinge stürzten unwillkürlich vor, ihm zu helfen; denn Höflinge eilen immer unwillkürlich den Fürsten zu Hülfe. Wenigstens ein Dutzend der Damen boten ihre Riechfläschchen mit der liebenswürdigsten Eile und Bekümmerniß an. Um jedoch jeden unangenehmen Folgen zuvorzukommen, eilte ich die Versammlung zu benachrichtigen, daß es in Großbritannien Sitte sei, die ganze königliche Familie zu stoßen und zu treten, und es sei dieß nichts weiter, als der gewohnte Tribut des Unterthans gegen den Fürsten. Zum Beweis dessen, was ich sagte, gab ich dem eitlen jungen Schelmen selbst einige Huldigung, und die Monikins, die wissen, daß verschiedene Gewohnheiten in verschiedenen Ländern herrschen, beeilten sich den jungen Sprößling des Königthums auf dieselbe Weise zu bekomplimentiren; auch der Koch und Beschließer erheiterten ihre lange Weile, indem sie uns nachahmten. Bob konnte die letzteren Huldigungen nicht ertragen und wollte zum Rückzug blasen, als der Ceremonienmeister erschien, um ihn vor den König zu führen.

Der Leser darf sich durch die dem vermeintlichen Kronprinzen erwiesenen Ehren nicht irre führen lassen und glauben, es habe der Hof von Springhoch einige besondere Ehrfurcht vor dem von Großbritannien gehabt. Es geschah blos nach dem Grundsatz, der unsern eignen gelehrten König Jakob I. leitete, als er die liebenswürdige Pocahontas von Virginien nicht sehen wollte, weil sie die königliche Würde durch eine Heirath mit einem Unterthan herabgewürdigt hatte. Die Ehre wurde der Kaste, nicht dem Individuum, seiner Art oder seiner Nation erwiesen. Doch mochten seine Vorrechte herrühren, woher sie wollten, Bob war froh, von Kapitän Poke wegzukommen, welcher schon ziemlich deutlich in seinem Stoningtoner Dialekt erklärt hatte, er wolle seinen Schweif abtakeln. Von dieser gefährlichen Nähe kam er weg, um vor dem König zu erscheinen. Einige Minuten nachher gingen die Thüren auf, und die ganze Gesellschaft ward in die königlichen Zimmer gelassen.

Die Etikette am Hof von Springhoch unterscheidet sich in vielen wesentlichen Stücken von der Etikette eines jeden andern Hof im Monikin-Land. Weder der König noch seine Gemahlin sind je für Einen im Lande sichtbar, so weit als gewöhnlich bekannt ist. Im gegenwärtigen Fall waren zwei Throne an den entgegengesetzten Enden des Saals aufgestellt, und ein prächtiger Purpurdamast so dicht vor jeden gezogen, daß es ganz unmöglich war, zu sehen, wer ihn einnähme. Auf der niedrigsten Stufe stand ein Kämmerling oder eine Kammerfrau, die jede besonders all die Reden hielten und sonst die Rollen des hohen Paars spielten. Der Leser wird sich daher denken, daß Alles, was hier einer von den hohen Personen zugeschrieben wird, in der That durch einen oder den andern der Stellvertreter geschah, und ich nie die Ehre hatte, Angesicht zu Angesicht vor ihren Majestäten zu stehen. Alles, was jetzt erzählt werden soll, wurde durch Stellvertreter von Seiten des Monarchen und seiner Frau gethan.

Der König selbst repräsentirt nur eine Idee: alle Macht gehört seinem ältesten ersten Vetter und jede Verhandlung mit ihm ist daher gänzlich von einem uninteressanten, sentimentalen Charakter. Er ist das Haupt der Kirche, jedoch nach einer sehr weltlichen Art, und alle Bischöfe und die Geistlichkeit fielen auf ihre Kniee und sagten ihre Gebete, obwohl der Kapitän vermuthete, es könnte ihr Katechismus sein; ich erfuhr nie, welches von beiden. Ich bemerkte auch, daß alle seine richterlichen Beamten dasselbe thaten, aber da sie nie beten und ihren Katechismus nicht können, so vermuthe auch ich, ihr Kniebeugen sollte etwas Besseres erbitten, als die Plätze waren, die sie gegenwärtig ausfüllten. Darauf kam ein großer Zug militärischer und Seeofficianten, die soldatenmäßig seine Fußsohle küßten. Die Bürgerlichen waren dann an der Reihe, und zuletzt wurden wir vorgestellt.

»Ich habe die Ehre, den Lord Oberadmiral von Großbritanien Eurer Majestät vorzustellen,« sagte Richter Volksfreund, der sein officielles Vorrecht, zuerst zu gehen, aufgegeben, um uns diese Gunst in Person zu erweisen. Es war nämlich nach einer Durchsicht aller dahin einschlagenden Privilegien entschieden worden, daß nichts Menschliches am Hof vor einem Monikin den Vortritt haben könnte, immer mit der Ausnahme zu Gunsten des Königthums, wie bei dem Prinzen Bob.

»Es freut mich, Euch an meinem Hof zu sehen, Admiral Poke,« entgegnete der König höflich, und zeigte den Takt hohen Ranges, indem er Noah zum großen Erstaunen des alten Robbenfängers bei seinem Familien-Namen anredete.

»König!«

»Ihr wolltet etwas bemerken?« fragte Se. Majestät sehr gnädig, und war etwas in Verlegenheit, zu gestehen was sein Besuch sagen wollte.

»Ei, ich konnte mein Erstaunen über Euer Gedächtnis nicht bergen, Herr König, das Euch in den Stand setzt, einen Namen zu nennen, den Ihr wahrscheinlich nie gehört habt.«

Es entstand nun eine sehr große und eine unerklärliche Bewegung im Kreise. Es schien, der Kapitän hatte in sehr wichtigen Stücken zwei der wesentlichsten Regeln der Etikette ohne sein Wissen übertreten. Er hatte in des Königs Gegenwart eine so gemeine Regung, als das Erstaunen ist, zugegeben, und darauf hingewiesen, der König habe ein Gedächtniß; eine Eigenthümlichkeit des Geistes, welche, da sie für die Freiheiten von Springhoch gefährlich werden könnte, wenn man sie im Besitz eines Andern, als eines verantwortlichen Ministers ließe, dem König selbst zuzuschreiben, schon längst als Felonie erklärt worden. Nach dem Grundgesetz des Landes kann des Königs ältester erster Vetter so viele Gedächtnisse haben, als ihm beliebt, und sie, wie er’s für dienlich erachtet, im Privat- und öffentlichen Dienst gebrauchen und mißbrauchen; aber es wird für ganz unkonstitutionel und unparlamentarisch gehalten, und folglich auch für außerordentlich schlechte Erziehung, auch nur im entferntesten zu verstehen zu geben, der König selbst habe ein Gedächtniß, einen Willen, eine Entscheidung, einen Entschluß, ein Verlangen, einen Begriff, eine Absicht, kurz irgend ein andres intellektuelles Vermögen, das seines »königlichen Vergnügens« allein ausgenommen. Es ist konstitutionel und parlamentarisch, zu sagen, der König hat ein königliches Vergnügen, vorausgesetzt immer, daß das Folgende zeigt, dies königliche Vergnügen sei immer gänzlich zur Verfügung seines ersten ältesten Vetters.

Als man Herrn Poke seinen Mißgriff bedeutete, zeigte er die gehörige Zerknirschung; und die endliche Entscheidung der Sache wurde ausgesetzt, um die Ansicht der Richter über die Nöthigkeit einer Bürgschaft zu vernehmen, die ich schnell für einen alten Schiffsgefährten zu leisten versprach.

Nachdem diese unangenehme kleine Unterbrechung für jetzt weggeräumt war, ging es mit dem Geschäft des Vorstellens weiter.

Noah wurde zunächst vor die Königin geführt, die (freilich immer durch Stellvertretung) sehr geneigt war, den kleinen Fehler, in den er bei Ihrem königlichen Gatten verfallen, zu übersehen und ihn gnädigst zu empfangen.

»Möge es Eurer Majestät gefallen, ich habe die Ehre, Eurer Majestät königlicher Aufmerksamkeit Lord Noah Poke vorzustellen, den Lord Oberadmiral eines fernen und wenig bekannten Landes, Großbritanien,« sagte der Ceremonienmeister mit dem goldnen Stab; denn Richter Volksfreund fürchtete Springniedrig zu kompromittiren, und wollte den Kapitän zu niemand Anders einführen.

»Lord Poke ist ein Landsmann von unserm königlichen Vetter, dem Prinzen Bob!« bemerkte die Königin in einer außerordentlich gnädigen Weise.

»Madame,« fiel der Robbenfänger schnell ein. »Euer Vetter Bob ist nicht mein Vetter, und wenn Eure Majestät nach dem Gesetz ein Gedächtniß oder eine Zuneigung oder sonst etwas der Art haben dürfte, würde ich den Befehl erbitten, den jungen Schelm tüchtig durchprügeln zu lassen.«

Die Majestät von Springhoch stand erstaunt, aber durch Stellvertretung; es schien, Noah war nun wirklich in einen ernsthafteren Irrthum verfallen, als das Versehen bei dem König. Nach dem Gesetz von Springhoch ist die Königin keine femme couverte. Sie kann in ihrem eignen Namen anreden und angeredet werden; sie hat ihren besondern Hofstaat, ohne Dazwischenkunft von Vermittler, und wird betrachtet als mit einem Gedächtniß, einem Willen, einer Zuneigung und sonst dergleichen versehen, nur das »königliche Vergnügen« ausgenommen, worauf sie keinen Anspruch hat. Was sie betrifft, ist des Königs erster Vetter ein todter Buchstabe; er hat nicht mehr Herrschaft über ihr Gewissen, als über das eines Aepfelweibs, kurz Ihre Majestät ist ganz eben so gut die Herrin über ihre eignen Ueberzeugungen und ihr Gewissen, als es nur immer bei Frauen in so hohen Stellungen möglich ist, Interessen zu beherrschen, die für ihre Umgebungen von so großer Wichtigkeit sind. Noah hatte unschuldiger Weise, das glaub‘ ich fest, tief alle die zarten Gefühle verletzt, welche natürlicher Weise mit einem so hoch gebildeten Zustand der Staatsgesellschaft zusammenhängen. Darüber konnte Verzeihung nicht hinausgehen, und ich sah an den düstern Blicken um mich, daß der Kapitän ein schweres Verbrechen begangen. Er ward alsbald ergriffen und von der königlichen Gegenwart weg in ein anstoßendes Zimmer geführt, in welches ich nur nach vielem Bitten und Anrufen der heiligen Rechte der Gastfreundschaft zugelassen wurde.

Ich sah jetzt, daß in Springhoch die Güte der Gesetze so ziemlich nach ähnlichen Principien wie bei uns der Wein erprobt wird, nämlich nach dem Alter. Je älter ein Gesetz ist, desto mehr wird es geachtet, ohne Zweifel, weil es, nachdem es durch sein Fortbestehen unter allen Wechseln der Staatsgesellschaft seine Güte bewährt hat, auch sanfter, wenn nicht annehmlicher, geworden ist. Nun soll nach einem Gesetz von Springhoch, das so alt als die Monarchie ist, wer der Königin Majestät bei einem Lever beleidigt, seinen Kopf verlieren, und wer unter denselben Umständen des Königs Majestät, – nothwendiger Weise das schwerere Vergehen, – seinen Schweif. Durch die erstere Bestrafung wird der Schuldige ohne Weitres begraben und dem gewöhnlichen Lauf der Monikin’schen Wiedergeburt und Auferstehung überlassen; aber durch die letztere hält man ihn für ganz außerhalb des Bereichs der Vernunft gesetzt, er wird der Klasse der rückgängigen Thiere überantwortet. Sein Geist nimmt ab, sein Körper zu, das Gehirn, aus Mangel an Mitteln zur Entwickelung, erhält wieder die aufstrebende Bewegung des Schößlings, die Stirn dehnt sich aus, Knollen erscheinen wieder, und endlich, nachdem er stufenweise in der Leiter des Geistes herabgestiegen, wird er zu einer todten, unempfindlichen Masse. Dieß ist wenigstens die Theorie seiner Bestrafung.

Nach einem andern Gesetz, das selbst noch älter als die Theorie ist, kann Jeder, der in des Königs Palast sich vergeht, nach einem sehr summarischen Proceß gerichtet werden; des Königs Pagen sind die Richter, und die Sentenz wird ohne Aufschub vollstreckt.

Dieß war die Lage, in welche Poke durch eine Unvorsichtigkeit an Hof plötzlich versetzt worden; und ohne meine schnelle Verwendung wäre er wahrscheinlich zugleich an beiden Extremitäten gerichtet worden, und zwar nach einer Etikette, die vorschreibt, daß bei einem Hofgericht weder des Königs noch der Königin Rechte einigen Vorzug haben sollen. Zur Vertheidigung meines Schutzbefohlenen führte ich seine Unbekanntschaft mit den Gebräuchen des Landes an, ja mit denen aller übrigen Länder, nur Stonington ausgenommen. Ich versicherte, der Schuldige sei ein ihrer Aufmerksamkeit ganz unwürdiger Gegenstand, daß er gar kein Lord Oberadmiral, sondern ein bloßer ärmlicher Robbenfänger wäre; ich legte einiges Gewicht auf die Nothwendigkeit, freundliche Verhältnisse mit den Robbenfängern zu unterhalten, die so nah dem Monikins-Land kreuzten; ich suchte die Richter zu überzeugen, daß Noah nichts Böses gemeint, als er dem Könige moralische Eigenschaften beilegte, und so lange er nicht unmoralische dessen königlicher Gemahlin zuschriebe, möge sie wohl Verzeihung ihm angedeihen lassen. Ich führte dann Shakespeare’s berühmte Stelle über Gnade an, die wohl aufgenommen zu werden schien, und überließ die ganze Sache ihrem bessern Urtheil.

Ich würde es sehr gut gemacht und wahrscheinlich die unmittelbare Freilassung meines Freundes erlangt haben, wenn nicht der Staatsanwalt von Springhoch durch Neugier in’s Zimmer gezogen worden. Obwohl er nichts über das Gewicht meiner Gründe zu sagen wußte, machte er doch gegen jeden von ihnen auf den Grund der Form allerlei Einwendungen. Der war zu lang, der zu kurz, der eine zu hoch, der andre zu nieder, ein fünfter zu breit, ein sechster zu schaal, kurz, es war keine Redefigur dieser Art, die er nicht aufgriff, um die Schlechtigkeit der Beweise zu zeigen, nur erinnere ich mich nicht, daß er einen meiner Gründe zu großer Tiefe beschuldigte. Die Sachen nahmen nun eine ernste Wendung für den armen Noah, als ein Page hereinhüpfte, mit der Nachricht, die Verlobung solle so eben Statt finden, und wenn seine Gefährten zugegen zu sein wünschten, müßten sie den Gefangnen ohne Aufschub verurtheilen. Mancher, sagt man, ist gehängt worden, damit der Richter essen konnte; aber im gegenwärtigen Fall, glaube ich, ward Poke verschont, damit seine Richter nicht ein Schauspiel versäumten. Ich legte 50.000 Promessen als Pfand für das gehörige Wiedererscheinen des Angeklagten am folgenden Morgen ein, und wir alle kehrten zusammen in das Audienzzimmer zurück, und traten uns in der Eile, am vordersten zu sein, einander auf die Schweife. Jeder, der je an einem menschlichen Hof gewesen ist, muß sehr wohl wissen, daß, während es das leichteste Ding von der Welt ist, ihn durch eine Verletzung der Etikette in Bewegung zu setzen, Dinge des gewöhnlichen Lebens und Todes ganz und gar nicht seine Ruhe zu trüben vermögen. Dort ist Alles Sache der Routine und Schicklichkeit, und, nach Erfahrung zu urtheilen, ist nichts so unschicklich, als menschliches Mitgefühl zu besitzen zu scheinen. Die Sache verhält sich nicht viel anders in Springhoch; denn Monikin’sches Mitgefühl ist dem Ansehen nach ganz eben so abgestumpft, als das der Menschen, – obwohl die Billigkeit mich zu dem Geständniß zwingt, daß bei Poke das Mitgefühl für ein Wesen verschiedener Art in Anspruch genommen wurde! Es ist ferner ein feststehender Satz in der Jurisprudenz von Springhoch, daß es für den König etwas Ungeheures wäre, sich mit der Rechtspflege zu befassen, obwohl sie immer in seinem Namen geschieht; aber es wird nicht für ganz so unschicklich gehalten, daß er sich mit denen befaßt, die die Gerechtigkeit beleidigt haben.

Als Folge dieser seinen Unterscheidungen, die vollständig zu verstehen eine sehr vorgeschrittene Bildung nöthig ist, empfing König und Königin unsre ganze Gesellschaft bei unserer Rückkehr, als wenn gar nichts besonders vorgefallen. Noah hielt, wie jeder Andre, Haupt und Schweif gerade, und der Lord Oberadmiral von Springhoch ließ sich mit ihm über den Ballast der Schiffe in eine vertrauliche Unterredung ganz eben so freundlich ein, als stünde er auf dem beßten Fuß mit der ganzen königlichen Familie. Diese moralische Kaltblütigkeit darf man nicht dem Phlegma zuschreiben; sie ist in der That das Ergebniß hoher geistiger Zucht, die den Höfling ganz ohne alles Gefühl läßt, nur die Fälle ausgenommen, die ihn selbst betreffen.

Es war jetzt hohe Zeit, daß ich vorgestellt wurde. Richter Volksfreund, der Noah’s Noth mit diplomatischer Unbekümmertheit mit angesehen, erneuerte mir sehr höflich das Anerbieten seiner Dienste, und ich trat vor und stand an dem Throne.

»Sire, erlauben Sie mir, einen sehr ausgezeichneten literarischen Charakter unter den Menschen, einen sehr geschickten Schreiber, Namens Goldenkalb, Ihnen vorzustellen,« sagte der Gesandte, sich vor Sr. Majestät verbeugend.

»Er ist willkommen an meinem Hof,« entgegnete der König durch Stellvertretung; »bitte, Herr Volksfreund, ist das nicht eines von den menschlichen Wesen, die vor Kurzem in mein Gebiet gekommen und so viel Geschicklichkeit gezeigt haben, Chatterino und seinen Hofmeister durch’s Eis zu bringen?«

»Ganz so, Ew. Majestät; und ein sehr schwerer Dienst war es und wohl geleistet.«

»Das erinnert mich an eine Pflicht; laßt meinen Vetter rufen.«

Ich fing nun an zu hoffen, und die Wahrheit des Sprichworts zu fühlen, daß Gerechtigkeit, obwohl manch Mal langsam, nie endlich zu erscheinen verfehle. Ich hatte auch jetzt zum ersten Male des Königs ältesten ersten Vetter recht im Gesicht. Er kam auf den Ruf herbei; und während er mit der größten Aufmerksamkeit auf die Aufträge des Königs zu hören schien, sagte er offenbar diesem Potentaten, was er zu thun hätte. Nach beendigter Konferenz sprach Sr. Majestät Stellvertreter laut genug, um von Allen gehört zu werden, die das Glück hatten, der königlichen Person nahe zu sein.

»Raisono that wohl,« sagte er, »wirklich sehr wohl, daß er diese Proben der Menschengattung uns brachte. Ohne seinen Eifer wär‘ ich gestorben, ohne daß ich mir hätte träumen lassen, die Menschen seien mit Schweifen versehen.« (Die Könige erfassen nie recht die Wahrheit.) »Ich zweifle, daß die Königin es wüßte; bitte, wußtet Ihr, Augusta, daß die Menschen Schweife haben?«

»Unsre Freiheit von Staatsgeschäften gibt uns Weibern bessere Gelegenheit, als Ew. Majestät, diese Dinge zu studiren;« entgegnete seine königliche Gemahlin durch den Mund der Kammerdame.

»Ich weiß nicht recht wie, aber unser Vetter hier meint, es wäre gut, etwas für die braven Leute zu thun; denn es könnte ihren König selbst ermuthigen, hierher zu kommen.«

Ein Ausruf der Freude entfuhr den Damen, die alle einmüthig erklärten, es müsse entzückend sein, einen wirklichen Menschen-König zu sehen; »es würde so spassig sein!«

»Nun, nun,« fuhr der gut gelaunte Monarch fort, »der Himmel weiß, was noch geschehen mag; ich hab‘ schon seltsamere Dinge gesehen. Wirklich, wir sollten etwas für diese guten Leute thun; denn obwohl wir auch das Vergnügen ihres Besuchs größtentheils dem Eifer Raisono’s verdanken, der, wie ich zu meiner Freude höre, große akademische Titel erhalten, so gibt er doch gerne zu, daß nur durch ihre Anstrengung, da keiner von unsern See-Monikins bei der Hand war, es möglich ward, durch das Eis zu kommen. Ich möchte gerne wissen, welches der Geschickteste und Brauchbarste von ihnen ist.«

Hier gab die Königin, immer durch Stellvertretung dankend und sprechend, zu verstehen, es sei billig, es Bob zu überlassen. »Es ist nicht mehr als billig für seinen Rang; denn wenn sie auch Menschen sind, haben sie doch Gefühle wie wir selbst.«

Die Frage ward jetzt Bob anheim gestellt, der über uns alle mit so viel Ernst zu Gericht saß, als wär‘ er von Kindheit an zu solchen Pflichten gewöhnt. Man sagt, der Mensch werde bald mit seiner Größe vertraut, und während der Gefallene nie verfehlt, rückwärts zu blicken, beschränkt der, welcher gestiegen ist, immer seinen Blick auf seinen gegenwärtigen Horizont. So zeigte sich’s auch mit dem Prinzen Bob.

»Diese Person,« sagte der Schurke, auf mich deutend, »ist zwar eine sehr gute Person, aber er ist kaum Einer, wie Ew. Majestät ihn gerade jetzt braucht. Da ist auch der Lord Oberadmiral, aber« – (Bob’s Ader war durch tausend Fußtritte vergiftet) »aber, Ihr wünscht, Sire, zu wissen, welcher von meines Vetters Unterthanen der nützlichste war, um das Schiff nach Springhoch zu bringen.«

»Gerade das wünschte ich zu wissen.«

»Bob deutete nun auf den Koch, der, wie man sich erinnern wird, als einer seiner Schleppträger zugegen war.

»Dieser, denk‘ ich, ist der Mann! Er nährte uns alle, und ohne Nahrung und zwar in beträchtlicher Menge, hätte nichts geschehen können.«

Der kleine Schurke wurde durch Ausrufe der Lust von allen Umstehenden für seine Unverschämtheit belohnt. »Es war eine so feine Unterscheidung,« – »es zeugte von so vielem Nachdenken,« – »es war so tief,« – »es zeigte, wie sehr er den Grund der Staatsgesellschaft würdigte,« kurz, »es war augenscheinlich, England wäre ein glückliches Land, wenn er auf den Thron gerufen würde.« – So wurde der Koch herbeigerufen, um vor Sr. Majestät niederzuknieen.

»Wie heißt Ihr?« lispelte der Kammerherr, der jetzt für sich sprach.

»Jack Coppers, Ihre Gnaden.«

Der Kammerherr theilte es Sr. Majestät mit, wo denn der Souverän durch Stellvertretung Jack den Rücken zuwandte, und nachdem er ihm mit dem Schweif die Akkolade gegeben, ihn aufstehen hieß als »Sir Jack Coppers.«

Ich schwieg, ein verwunderter, erstaunter Zeuge dieses Akts grober, schreiender Ungerechtigkeit. Jemand stieß mich an, und ich erkannte die Stimme des Brigadier Geradaus. »Ihr denkt, die Ehren seien verschwendet worden, wo sie es am wenigsten sollten. Ihr denkt, die Reden Eures Kronprinzen hatten mehr Verschmitztheit als Wahrheit, mehr Bosheit als Ehrlichkeit. Ihr denkt, der Hof habe nach falschen Grundsätzen geurtheilt, und sei mehr einem Impuls, als einem Grunde gefolgt; der König habe seine eigne Bequemlichkeit berücksichtigt, indem er Gerechtigkeit zu üben vorgab; die Höflinge hätten ihrem Herrn gehuldigt, indem sie dem Verdienst zu huldigen schienen, und nichts in diesem Leben sei frei von Falschheit, Eigennutz und Eitelkeit. Ach, das ist nur zu sehr der Fall mit uns Monikins; bei euch, bei den Menschen, macht man es ohne Zweifel viel besser.«

Viertes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Ueber die Demuth der professionellen Heiligen. – Eine Reihenfolge von Schweifen. – Eine Braut und ein Bräutigam und andre himmlische Dinge, – Diplomatie mit einbegriffen.

Da ich bemerkte, daß Brigadier Geradaus einen beobachtenden Geist hatte und ganz erhaben über den Sektengeist war, welcher so leicht eine besondre Klasse allen andern feindselig macht, bat ich ihn um Erlaubniß, von seiner Bekanntschaft Nutzen ziehen zu dürfen, und ersuchte ihn zu gleicher Zeit, mich mit einigen Bemerkungen zu erfreuen, wie sie eben seine höhere Weisheit und großen Reisen ihm eingeben würden, besonders in Hinsicht der Gewohnheiten und Ansichten, die unsre gegenwärtige Lage uns natürlich vorbringen mußte. Der Brigadier nahm das Verlangen gut auf, und wir gingen zusammen durch die Gemächer. Da der Erzbischof von Aggregation, der die Verlobungsfeierlichkeiten begehen sollte, in Kurzem erwartet wurde, bewegte sich natürlicher Weise die Unterhaltung um den allgemeinen Zustand der Religion im Monikins-Land.

Es freute mich, daß die geistlichen Dogmen dieses abgeschiednen Theils der Welt ganz und gar auf Grundsätzen basirt waren, die mit denen der ganzen Christenheit im Einklang standen. Die Monikins glauben, daß sie eine erbärmliche, verlorne Art Wichte sind, die von Natur so erniedrigt worden, so ganz aufgezehrt von Neid, Unbarmherzigkeit und allen andern bösen Leidenschaften sind, daß es ganz unmöglich für sie ist, etwas Gutes durch sich selbst zu thun, daß ihre einzige Hülfe die moralische Dazwischenkunft jener großen höheren Macht der Schöpfung sein muß, und daß der erste nöthige Schritt von ihnen selbst der ist, sich gänzlich dieser Macht mit einem gehörigen Sinn der Abhängigkeit und Demuth zur Unterstützung hinzugeben. Als Folgesatz dieser Gemüthsstimmung legen sie die äußerste Mißachtung der Eitelkeiten der Welt an den Tag, eine gehörige Bezähmung der Lüste des Fleisches und ein gänzliches Entsagen der Pracht und Ruhmredigkeit, der Eitelkeit, des Reichthums, der Macht und geistiger Fähigkeiten. Kurz, das Einzige, was Noth thut, ist Demuth – Demuth – Demuth. Sind sie ein Mal gedemüthigt bis zu einem Grade, der sie der Gefahr des Rückfalls überhebt, dann erhalten sie Blicke und Ahnungen der Sicherheit und erheben sich allmählig zu den Hoffnungen und Stufen der Gerechten.

Der Brigadier ließ sich noch beredt über diese interessante Materie aus, als eine ferne Thür sich öffnete und ein goldner Stock oder sonst ein Stock den ehrwürdigen Vater in Gott, seine Gnade den erhabnen und seligen Prälaten, den mächtigen und drei Mal gebenedeiten und glorreichen Heiligen, den Primaten von ganz Springhoch verkündete.

Der Leser wird sich die eifrige Neugierde denken, mit der ich vorschritt, um einen Blick von einem Heiligen unter einem so sublimirten System, als das der Monikin-Familie ist, zu erhalten. Da die Civilisation so große Fortschritte gemacht, daß sie Jedermann, selbst bis zum König und zur Königin, gänzlich jeder besondern Kleidung beraubte, konnte ich mir nicht recht denken, unter welchen neuen Mantel der Einfachheit die Häupter der Kirche sich geflüchtet haben könnten. Vielleicht rasirten sie alle Haare von ihren Körpern, zum Zeichen ausserordentlicher Selbsterniedrigung, und machten sich nackt bis auf die Haut, um durch das blose Ansehn schon zu zeigen, welch eine arme, ungewinnende Art Wichte sie fleischlich betrachtet wären, oder vielleicht gingen sie auf allen Vieren zum Himmel, zum Zeichen ihrer Unvermögenheit, zur Gegenwart derer, die reinen Herzens sind, in einer geraderen und vertrauenderen Stellung vorzudringen. Nun, diese meine Einbildungen zeigten nur, wie falsch und irrig die Schlüsse eines Wesens sind, dessen Fähigkeiten noch nicht erhöht und verkettet worden durch den Scharfsinn einer sehr verfeinerten Bildung. Seine Gnade der ehrwürdige Vater in Gott trug einen Mantel von besondrer Feinheit und Schöne, dessen Stoff aus jedem zehnten Haar von allen Bürgern von Springhoch bestand, die sich sehr gerne scheeren ließen, damit nur die Bedürfnisse seiner erhabensten Demuth gehörig befriedigt würden. Der von solchem Stoff und solchem Beitrag gewobene Mantel war natürlich sehr weit und groß, und es schien mir wirklich, der Prälat wisse nicht recht, was mit dem so Vielen anfangen, besonders da zu den Beiträgen auch noch ein neues Kleid jährlich gehört. Es verlangte mich nun, seinen Schweif zu sehen; denn da ich wußte, daß die Springhocher auf die Länge und Schönheit dieses Anhängsels viel halten, setzte ich natürlich voraus, daß ein Heiliger, der aus lauter Demuth ein so schönes und herrliches Gewand trüge, zu irgend einem neuen Mittel seine Zuflucht nehmen müsse, um sich wenigstens in diesem fühlbaren Punkt zu kasteien. Ich fand: der weite Umfang des Mantels verbarg nicht allein die Person, sondern auch die meisten Bewegungen des Erzbischofs, und mit vielen Zweifeln am Erfolg führte ich den Brigadier hinter den bischöflichen Zug, um zu rekognosciren. Der Erfolg täuschte wieder alle Erwartung. Statt eines Schweifs zu ermangeln oder den, womit die Natur ihn versehen, unter dem Mantel zu bergen, trug der gnädige Würdenträger nicht weniger, als sechs, seinen eignen nämlich und noch fünf andre, die er sich durch seine Mittel klerikalischen Scharfsinns, die ich nicht weiter erklären will, beigelegt hatte. Der eine war, wie der Kapitän es später in einer Unterhaltung darüber beschrieb, auf den andern geneigt. Diese außerordentliche Schleppe ließ er den Boden berühren, – das einzige Zeichen von Demuth nach meinen ungebildeten Begriffen, das ich an der Person und dem Aeußern dieses hohen Vorbilds klerikalischer Abtödtung und Demuth entdecken konnte.

Doch der Brigadier belehrte mich bald eines Bessern. Erstlich zeigte er mir, wie die Hierarchie von Springhoch durch die Ordnung ihrer Schweife verherrlicht werde; so trüge ein Dechant einen und einen halben, ein Pfarrer, wenn er wirklich im Amt, einen und zwei Drittel, und ein Rektor zwei, ein Dekan zwei und einen halben, ein Archidekan drei, ein Bischof vier, der Primat von Springhoch fünf und der Primat von ganz Springhoch sechs. Der Ursprung der Sitte, die sehr alt und folglich sehr geachtet wäre, würde der Lehre eines Heiligen von großem Ruf zugeschrieben, der genügend dargethan, daß, da der Schweif der intellektuelle und geistige Theil eines Monikin wäre, er, je weiter von der materiellen Masse oder dem Körper entfernt, auch offenbar unabhängiger, konsequenter, logischer und geistiger sein müsse. Die Idee hatte sich zuerst erstaunend verbreitet; aber die Zeit, die selbst einen Schweif abnutzt, hatte ein Schisma in der Kirche über diesen interessanten Punkt erzeugt, indem die eine Partei behauptete, zwei Anhängsel mehr müßten zur Stütze der Kirche dem Schmuck des Erzbischofs hinzugefügt werden, und die andre der Meinung war, im Wege der Reform sollte man zwei ohne Aufschub abschneiden.

Diese Mittheilungen wurden durch die Erscheinung der Braut und des Bräutigams an verschiednen Thüren unterbrochen. Die reizende Chatterissa trat mit viel einnehmender Bescheidenheit vor; ihr folgte ein glorreicher Zug von Edeldamen, alle, nach einer strengen Ordnung der Hochzeits-Gesetze, die Augen auf die Füße der Königin gerichtet. Von der andern Seite schritt Mylord Chatterino, von jenem Pinsel Hochschweif und andern seines Gelichters begleitet, mit hohem Vertrauen, wie es dieselbe Etikette vom Bräutigam erheischte, gegen den Altar vor. Die beiderseitigen Theile waren nicht so bald an ihren Stellen, als der Prälat begann.

Die Vermählungs-Feierlichkeit ist nach der Formel der bestehenden Kirche von Springhoch eine sehr feierliche und ergreifende Handlung. Der Bräutigam muß schwören, daß er die Braut liebt und nur die Braut, daß er sie nur gewählt hat ihrer hohen Eigenschaften wegen, ohne selbst von ihrer Schönheit gerührt worden zu sein; daß er in soweit seine Neigungen beherrschen will, daß er zu keiner Zeit eine andre auch nur ein wenig liebe. Die Braut ihrerseits ruft Himmel und Erde zu Zeugen an, daß sie Alles thue, was der Bräutigam von ihr verlangt, daß sie seine Leibeigne, seine Sklavin, sein Trost, sein Entzücken sein will; daß sie ganz gewiß ist, kein andrer Monikin könne sie glücklich machen, daß sie vielmehr weiß, jeder andre werde sie elend machen. Als diese Pfänder, Eide und Versicherungen gehörig geleistet und angenommen worden, verband der Erzbischof das glückliche Paar, indem er sie mit seinem episkopalischen Schweif umringelte, und dann wurden sie als Monikin und Monikina ausgerufen. Ich gehe über die Glückwünsche hinaus, die ganz nach der Regel waren, um eine kurze Unterredung, die ich mit dem Brigadier hatte, zu erzählen.

»Sir,« sagte ich zu ihm, sobald der Prälat Amen gesprochen hatte, »wie ist das? Ich habe selbst ein Certifikat gesehen, woraus erhellt, daß ein gehöriges Anpassen dieser Vereinigung nach ganz andern Rücksichten, als hier erwähnt, vorausging.«

»Dies Certifikat hängt mit der jetzigen Handlung nicht zusammen.«

»Und doch verwirft diese Handlung alle im Certifikat aufgezählte Rücksichten.«

»Diese Handlung hängt mit jenem Certifikat nicht zusammen.«

»So scheint es; und doch beziehen sich Beide auf dieselbe feierliche Verpflichtung!«

»Euch die Wahrheit zu sagen, Sir John Goldenkalb, so haben wir Monikins (denn hierin ist Springhoch Springniedrig) zwei verschiedne leitende Principien in Allem, was wir sagen und thun, ein theoretisches und ein praktisches (ein moralisches und ein unmoralisches könnte man es auch nicht übel benennen); nach dem erstern ordnen wir alle unsre Interessen, bis es zur Handlung kommt, wo wir uns dann alsbald nach dem letztern richten. Es mag vielleicht in solch einer Anordnung etwas Inkonsequentes liegen; aber dennoch sagen die Geschicktesten unter uns, daß es gut wirke. Bei den Menschen, ohne Zweifel, findet sich nicht so viel Widerspruch und Verlegenheit.«

Ich trat nun vor, der Gräfin Chatterino meine Ehrfurcht zu bezeugen; sie stand gelehnt auf die Gräfin-Wittwe, eine Dame von vieler Würde und Anstand im Benehmen. Sobald ich erschien, verschwand der erzwungene Anschein von Blödigkeit von dem Antlitz der Braut, ihr Blick verrieth ein natürliches Vergnügen, als sie, zu ihrer neuen Mutter gewandt, mich ihr als einen Menschen darstellte. Die höfliche alte Wittwe empfing mich sehr gütig, und fragte, ob ich genug gute Sachen zu essen hätte, ob ich nicht sehr erstaunt über die Menge der fremdartigen Dinge wäre, die ich in Springhoch sähe, sagte, ich müsse ihrem Sohn sehr dankbar sein, daß er mich habe mit herüber nehmen wollen, und lud mich ein, sie an einem schönen Morgen zu besuchen. Ich verbeugte mich voll Dank und kehrte dann wieder zum Brigadier zurück, um vielleicht bei’m Erzbischof eingeführt zu werden. Ehe ich jedoch meine Zusammenkunft mit diesem frommen Prälaten beschreibe, muß ich erwähnen, daß dieses das letzte Mal war, daß ich etwas von den Chatterinos sah; da sie sich sogleich nach beendigtem Glückwunsch zurückzogen. Ich hörte jedoch, kurz bevor ich das Land verließ, was etwa einen Monat nach der Vermählung geschah, daß das edle Paar getrennt lebte, entweder wegen einer Unverträglichkeit des Charakters, oder wegen eines Gardeoffiziers; ich erfuhr nie recht, welches von beiden; indeß da die Besitztümer für jeden von beiden so gut paßten, leidet es im Ganzen keinen Zweifel, daß die Vermählung so glücklich war, als nur immer erwartet werden konnte.

Der Erzbischof empfing mich mit viel professionellem Wohlwollen, und die Rede kam natürlich auf eine Vergleichung zwischen den gegenseitigen religiösen Systemen von Großbritanien und Springhoch. Er freute sich, als er hörte, wir hätten eine Staatskirche, und ich glaube, dieser Nachricht verdanke ich es, daß er mich mehr wie seines Gleichen behandelte, als er sonst wohl in Betracht der Verschiedenheit unserer Gattungen gethan haben würde. Dadurch ward ich sehr aufgemuntert; denn bei’m Beginn der Unterredung hatte er mich ein wenig über die Lehre ausgefragt, worin ich gar nicht bewandert bin, da ich nie vielen Antheil an der Kirche genommen, und so schien er mir zornig über einige meiner Antworten auszusehen. Aber als er hörte, daß wir wirklich eine National-Kirche hätten, schien ihm Alles geborgen; auch fragte er hernach nicht ein Mal, ob wir Heiden wären oder Presbyterianer. Aber als ich ihm sagte, wir hätten auch eine Hierarchie, glaubte ich, der gute Prälat wollte mir die Hand abschütteln und mich auf der Stelle selig preisen.

»Wir werden uns eines Tags im Himmel treffen,« rief er voll heiligen Entzückens aus, »Menschen und Monikins, es kann bei dem allen keinen großen Unterschied machen; wir werden uns im Himmel treffen, und zwar in den obern Behausungen.«

Der Leser kann sich denken, daß als Fremder und sonst Unbekannter ich sehr stolz auf die Auszeichnung war. In den Himmel zu kommen in Gesellschaft des Erzbischofs von Springhoch war an und für sich keine geringe Begünstigung; aber auch am Hof so von ihm ausgezeichnet zu werden, war gewiß genug, die Philosophie eines Fremdlings zu übertäuben. Ich war indeß die ganze Zeit über sehr in Angst, er möge in’s Einzelne gehen und einige wesentliche Punkte der Unterscheidung zwischen uns finden, die denn seine Bewunderung geschwächt hätte. Hätte er mich z.B. gefragt, wie viele Schweife unsre Bischöfe trügen, wäre ich vernichtet gewesen; denn, so weit ich wußte, beruhte ihre Größe auf etwas Anderm. Der ehrwürdige Prälat gab mir indeß bald seinen Segen, drang arg in mich, in seinen Palast zu kommen, bevor ich absegelte, und versprach, einige Abhandlungen durch mich nach England zu schicken; worauf er schnell wegeilte, um, wie er sagte, einen Bannspruch gegen einen unordentlichen Presbyter zu unterzeichnen, der vor Kurzem sehr die Eintracht der Kirche durch einen Versuch gestört hatte, ein Schisma einzuführen, das er Pietät nannte.

Der Brigadier und ich besprachen uns über Religion etwas ausführlich, als der hohe Prälat sich entfernt hatte. Er sagte mir, die Monikins-Welt sei so ziemlich in zwei gleiche Theile getheilt, in die alte und neue. Die letztere sei unbewohnt geblieben, bis nach vielen Menschenaltern gewisse Monikins, die sich für zu gut gehalten, um in der alten Welt zu leben, in Haufen ausgewandert und sich für sich in der neuen niedergelassen. Dies, gestand der Brigadier zu, war die Springniedriger Erzählung von der Sache; die Einwohner der alten Länder dagegen behaupteten einstimmig, sie hätten die neuen Gegenden durch Ausscheidung aller derer bevölkert, die für ihre Heimath nicht paßten. Diese kleine Dunkelheit in der Geschichte der neuen Welt hält er von nicht großem Belang, da solche kleine Verschiedenheiten immer aus dem verschiedenen Charakter der Geschichtschreiber folgen. Springhoch sei gar nicht das einzige Land in den ältern Monikin’schen Gegenden; es gäbe z. B. noch Springauf und Springab, Springüber und Springdurch, Springlang und Springkurz, Springrund und Springunter.

Alle diese Länder hätten eine Staatskirche; aber Springniedrig, nach neuen Staatsgrundsätzen gegründet, habe keine. Der Brigadier selbst jedoch meinte, im Ganzen seien die Hauptfolgen der zwei Systeme, daß die Länder mit einer Staatskirche einen großen religiösen Ruf, und die ohne dieselbe zwar wohl die Sache selbst, aber einen sehr mittelmäßigen Ruf in der Beziehung hätten.

Ich fragte den Brigadier, ob er nicht glaube, eine Staatskirche habe die wohlthätige Wirkung, die Wahrheit aufrecht zu erhalten dadurch, daß sie Ketzerei unterdrücke, hervorsprudelnde theologische Phantasieen einschränke und abschneide, und sonst den Neuerungen Schranken setze. Mein Freund stimmte in all diesem nicht ganz mit mir überein, obwohl er freimüthig zugab, daß es zwei Wahrheiten nicht aufkommen ließe, da es sie trennte. So habe Springauf andere religiöse Dogmen in seiner Kirche, und Springab behaupte das Gegentheil davon. Durch das Getrennthalten dieser beiden Wahrheiten werde freilich die religiöse Harmonie befördert, und die einzelnen Diener des Evangeliums könnten alle ihre Aufmerksamkeit auf die Sünden der Gemeinde richten, statt sie auf die gegenseitigen Sünden ablenken zu lassen, was sehr leicht der Fall wäre, wenn sich ihnen ein gegenkämpfendes Interesse gegenüberstellte.

Kurz nachher entließ der König und die Königin uns alle. Noah und ich kamen durch den Haufen ohne Gefährdung unsres Schlepps, und trennten uns im Vorhof des Palastes, er, um sich zu Bett zu begeben und von seinem Prozeß am folgenden Morgen zu träumen, und ich, um mit dem Richter Volksfreund und dem Brigadier nach Hause zu gehen, da sie mich zu einem Nachtessen bei sich eingeladen hatten. Man ließ mich schwatzen mit dem Letztern, da der Andre in sein Kabinet sich zurückzog, um über die Begebenheiten des Abends einen Bericht an seine Regierung zu entwerfen.

Der Brigadier war etwas sarkastisch in seinen Bemerkungen über die Vorfälle des Kabinets. Er, als Republikaner, gab freilich gerne dem Königthume und Adel manch Mal gelegentliche Seitenhiebe, obwohl ich diesem würdigen, aufrichtigen Monikin die Gerechtigkeit widerfahren lassen muß, daß er weit erhaben über die gemeine Feindseligkeit war, die nur zu Viele seiner Kaste auszeichnet und auf einem einfachen Grunde beruht, nämlich weil sie selbst nicht Könige und Adlige werden können.

Während wir sehr angenehm, ganz nach unserer Bequemlichkeit und, so zu sagen, im Negligée plauderten, der Brigadier mit seinem Stumpf und ich mit Beiseitlegung meines Schweifs, kam Richter Volksfreund mit seiner offenen Depesche in der Hand zu uns zurück. Er las zu meinem großen Erstaunen, was er geschrieben, laut vor. Ich hatte mich gewöhnt, diplomatische Mittheilungen immer für heilig zu halten. Aber der Richter bemerkte, in diesem Fall sei es aus zwei sehr guten Gründen unnöthig, das Geheimniß zu bewahren. Erstlich sei er genöthigt gewesen, einen gewöhnlichen Springhocher Schreiber zum Kopiren zu gebrauchen, denn seine Regierung beobachte eine edle republikanische Sparsamkeit, welche ihr begreiflich mache, daß, wenn sie durch das Verrathen ihrer Korrespondenz in Schwierigkeiten käme, sie doch immer noch das Geld hätte, das ein Schreiber gekostet haben würde, und das ihr wohl aus der Verlegenheit helfe. Zweitens aber wisse er auch, die Regierung selbst würde sie drucken lassen, sobald sie angekommen. Er seiner Seits liebe, seine Werke gedruckt zu sehen, und so ward mir selbst vergönnt, eine Abschrift vom Brief zu nehmen, welcher hier folgt.

»Sir!

»Der Unterzeichnete, außerordentliche Gesandte und bevollmächtigte Minister der Nordwestlich-Springniedrig-Konföderation hat die Ehre, den Staatsekretär zu benachrichtigen, daß unsere Interessen in diesem Theil der Erde im Allgemeinen auf dem besten Fuß stehen, unser Nationalcharakter wird täglich mehr und mehr erhaben, unsre Rechte mehr und mehr geachtet, unsre Flagge mehr und mehr bekannt auf jeder See. Nach diesem schmeichelhaften und ruhmvollen Bericht über den Stand unsrer allgemeinen Angelegenheiten, beeile ich mich, folgende interessante Einzelnheiten mitzutheilen.

»Der Vertrag zwischen unsrer geliebten Nordwest-Conföderation und Springhoch ist in allen seinen Artikeln nicht geachtet worden, neunzehn Springniedrig-Matrosen sind in ein Springdurch-Kriegsschiff gepreßt worden, der Springauf-König hat mit einem sehr ungeeigneten Theil seiner Person eine unzweideutige Demonstration gegen uns gemacht, und der König von Springüber sieben unserer Schiffe wegnehmen, verkaufen und den Werth davon seiner Maitresse geben lassen.

»Sir, ich wünsche Ihnen Glück zu dieser sehr schmeichelhaften Lage unserer auswärtigen Angelegenheiten, die nur der glorreichen Konstitution zugeschrieben werden kann, deren gemeinsame Diener wir sind, und der gerechten Furcht, die der Springniedrig-Name so allgemein andern Nationen einstößt.

»Der König hat so eben ein Lever gehalten, bei welchem ich Sorge trug, daß unserm geliebten Lande die gehörige Ehre erwiesen wurde. Mein Schweif war wenigstens drei Zoll länger, als der des Gesandten von Springauf, des in diesem wichtigen Stück am meisten von der Natur begünstigte Ministers, und ich füge mit Vergnügen hinzu, daß Ihre Majestät die Königin mich eines gnädigen Lächelns würdigte. An der Aufrichtigkeit desselben kann nicht gezweifelt werden, Sir; denn, wenn es auch gehörig nachgewiesen ist, daß sie vor Kurzem gewisse ungeziemende Worte gegen unser heißgeliebtes Land sich erlaubte, würde es doch über alle Regeln diplomatischer Höflichkeit hinaussein und unbewiesen bleiben, wollten wir ihre königliche Aufrichtigkeit bei gegenwärtiger Gelegenheit in Zweifel ziehen. In der That, Sir, bei allen neuern Levers habe ich Lächeln von der aufrichtigsten und ermuthigendsten Art erhalten, und nicht allein vom König, sondern auch von seinen Ministern, besonders seinem erstgebornen Vetter; und ich hoffe, sie werden den wohlthätigsten Einfluß auf die zwischen dem Königreich Springhoch und unserm geliebten Lande noch obschwebenden Fragen haben. Wenn sie uns jetzt nur in der wichtigen Angelegenheit der schon so lange anhängigen und so lange vernachlässigten Entschädigung Recht widerfahren lassen wollten, die wir doch schon seit den letzten zweiundsiebzig Jahren so oft vergeblich bei ihnen erbeten haben, könnte ich sagen, unsere Verbindungen stünden mit ihnen auf dem besten Fuß.

»Sir, ich wünsche Ihnen Glück über die tiefe Ehrfurcht, mit der der Springniedrig-Name in den entferntesten Theilen der Erde ausgesprochen wird, über den wohlthätigen Einfluß, den dieser glückliche Umstand über alle unsere wichtigen Interessen ausüben muß.

»Ich sehe nur wenig Wahrscheinlichkeit, den Zweck meiner besondern Mission zu erreichen; indeß muß großes Gewicht auf die Aufrichtigkeit des Lächelns des Königs und der Königin und der ganzen königlichen Familie gelegt werden.

»In einer neulichen Unterhaltung mit Sr. Majestät erkundigte sie sich auf die gütigste Art nach der Gesundheit des Groß-Sachem (dies ist der Titel des Ober-Haupts von Springniedrig) und bemerkte, daß unser Wachsthum und Glück alle andere Nationen beschämte, und wir bei jeder Gelegenheit uns auf die tiefste Achtung und beständige Freundschaft von ihrer Seite verlassen könnten. Kurz, Sir! alle Nationen, nah und fern, verlangen nach unserm Bündniß, sind begierig, neue Handelsquellen zu eröffnen, und haben für uns die tiefste Ehrfurcht und unverletzlichste Achtung. Ihr könnt dem Groß-Sachem sagen, daß dies Gefühl unter seiner Verwaltung sich außerordentlich erhöht und sich wenigstens vervierfacht hat während der Dauer meiner Sendung. Wenn Springhoch nur seine Verträge halten und Springdurch aufhören wollte, unsre Seeleute wegzunehmen, wenn Springauf größere Achtung vor den Gebräuchen guter Gesellschaft hätte, und der König von Springüber nicht mehr unsre Schiffe wegnehmen wollte, um seine Maitresse mit Taschengeld zu versehen, dann könnten unsre ausländischen Verhältnisse als völlig tadellos angesehen werden. Wie’s nun ist, Sir, sind sie weit besser, als ich hätte erwarten können oder in der That sie zu finden hoffte; und einer Sache können Sie diplomatisch gewiß sein, daß wir allgemein geachtet sind, und der Springniedrig-Name nie erwähnt wird, ohne daß alle zusammen sich erheben und mit ihren Schweifen wedeln.

(Unterzeichnet) Judas Volksfreund.

»Theurer Herr! Wenn Sie diese Depeschen veröffentlichen, so lassen Sie die Stelle weg, wo die Schwierigkeiten wiederholt erwähnt werden. Ich bitte Sie, zu bemerken, daß mein Name mit denen der andern Patrioten gegen die periodische Rotation des kleinen Rads ist, da ich gewiß genöthigt sein werde, bald nach Hause zurückzukehren, nachdem ich alle meine Mittel verzehrt habe. In der That, die Ausgabe für Unterhaltung eines Schweifs, wovon unsre Leute keinen Begriff haben, ist so groß, daß ich meine, keine unsrer Missionen sollte über eine Woche dauern.

»Ich würde besonders rathen, daß die Botschaft sich sehr über den hohen Standpunkt des Springniedrig-Charakters bei fremden Nationen verbreite; denn, um frei mit Ihnen zu sprechen, die Thatsachen verlangen, daß dies so oft wie möglich erwähnt werde.«

Als dies Schreiben gelesen war, kehrte die Unterhaltung zur Religion zurück; der Brigadier erklärte, daß das Gesetz von Springhoch verschiedene Eigenthümlichkeiten in dieser Hinsicht habe, die ich mich nicht erinnere früher gehört zu haben. So konnte kein Monikin geboren werden, ohne etwas an die Kirche zu bezahlen, – eine Uebung, die ihn frühe in seine Pflichten gegen jenen wichtigen Zweig der allgemeinen Wohlfahrt einweihte, und selbst wenn er starb, ließ er eine Zahlung für den Pfarrer zurück als eine Ermahnung für die, welche noch im Fleisch blieben, ihre Verpflichtung nicht zu vergessen. Er fügte hinzu, dieses heilige Interesse werde auch wirklich so streng gewahrt, daß, wenn ein Monikin sich weigerte, sich für einen neuen klerikalischen. oder episkopalischen Mantel plündern zu lassen, es eine Methode, ihn mit roth glühenden Eisenruthen zu schlagen, gebe, die gewöhnlich so sehr seine Haut versengten, daß er gemeiniglich gern die Haar einsammeln, nach Belieben abreißen und wählen ließe.

Ich gestehe, ich war unwillig über dies Gemälde, und zögerte nicht, den Gebrauch als barbarisch zu brandmarken.

»Ihr Unwille, Sir John, ist sehr natürlich, und ganz so, wie ein Fremdling ihn fühlen muß, wenn er Gnade und christliche Liebe und Bruderthum und Tugend, vor Allem aber die Demuth zum Paradepferd gemacht sieht des Stolzes, des Eigennutzes und des Geizes. Aber so ist’s mit uns Monikins; die Menschen machen es zweifelsohne besser.«

Fünftes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Ein sehr gewöhnlicher Fall, oder viel Gesetz und wenig Gerechtigkeit, – Köpfe und Schweife, und die Gefahren beider.

Ich war früh bei Noah am folgenden Morgen. Der arme Schelm, wenn man bedenkt, daß er wegen eines Kapitalverbrechens in einem fremden Lande, unter neuen Institutionen und vor einer Jury von einer verschiedenen Gattung gerichtet werden sollte, zeigte eine erstaunende Geistesstärke. Doch war die Liebe zum Leben noch stark in ihm, wie man aus der Weise sah, in der er das Gespräch eröffnete.

»Bemerktet Ihr, wie der Wind war diesen Morgen, Sir John, als Ihr hereinkamt?« fragte der geradsinnige Robbenjäger mit besonderm Interesse.

»Es ist ein hübscher Wind von Süden.«

»Gerade vom Ufer her! Wenn man wüßte, wo all die Schurken von Unteradmiralen und Kapitänen zu finden wären, – ich glaube nicht, Sir John, daß Ihr Euch viel daraus machtet, die fünfzigtausend Promessen zu bezahlen?«

»Meine Bürgschaft? Gar nicht, mein theurer Freund, wäre es nicht um unserer Ehre willen. Es wäre indeß kaum ehrenvoll für das Wallroß selbst, wollte es segeln und eine unbezahlte Rechnung seines Kapitäns zurücklassen. Was würde man zu Stonington sagen, was würde Eure eigne Gemahlin von einer so unmännlichen Handlung denken?«

»Ei, zu Stonington halten wir den für den Pfiffigsten, der sich am leichtesten aus einer Verlegenheit herauswindet, und ich sehe nicht recht, warum Miß Poke es wissen sollte oder, wenn es wäre, warum sie schlecht von ihrem Manne denken würde, daß er sein Leben rettete.«

»Weg mit diesem unwürdigen Gedanken! Macht Euch stark, dem Prozeß zu begegnen. Wir würden wenigstens einiges Licht über die Springhocher Rechtspflege erhalten. Kommt, ich sehe Euch schon für die Sache angezogen; laßt uns genau sein, wie Duellanten.«

Noah bestrebte sich, sich mit Würde zu unterwerfen; jedoch zögerte er auf dem freien Platz, um die Wolken auf eine Weise zu studiren, die zeigte, daß er die ganze Sache mit dem Vorderhauptsegel abgemacht haben würde, wenn er gewußt, wo er seine Mannschaft finden sollte. Zum Glück jedoch für alle Betroffene wußte er es nicht, und so alles einer Besorgniß Ähnliche aus seinen Blicken entfernend, trat der rauhe Seemann mit dem Schritt eines Mannes und der Festigkeit der Unschuld in Old-Bailey ein. Ich hätte früher sagen sollen, daß wir bald am Morgen benachrichtigt worden, die Instruktion habe man den Pagen abgenommen und eine neue Anklage dem obersten Kriminalhof von Springhoch eingereicht.

Brigadier Geradaus kam uns an der Thür entgegen, wo auch ein Dutzend ernster, fettblickender Räthe sich um uns stellten, und dadurch andeuteten, sie seien nicht ungeneigt, für den Fremden freiwillig ihre Dienste gegen den Empfang ihres gewöhnlichen Soldes anzubieten. Aber ich hatte beschlossen, mit Erlaubniß des Hofs, Noah selbst zu vertheidigen; denn mir ahnte, unsre Sicherheit würde mehr von Berufung auf die Rechte der Gastfreundschaft, als sonst einer legalen Vertheidigung in unsrer Macht abhängen. Da jedoch der Brigadier mir seine Hilfe für nichts anbot, hielt ich es für gut, seine Dienste nicht auszuschlagen.

Ich übergehe das Aeußere des Hofs, die Besetzung und Haltung der Jury; denn in Sachen blos legaler Formen ist kein großer Unterschied zwischen civilisirten Ländern, da alle in diesem Stück einander ähnlich sind. Die erste Anklage – denn unglücklicher Weise waren deren zwei, – legte Noah zur Last: er habe mit vorbedachter Bosheit des Königs Würde beleidigt, und zwar mit Stöcken, Dolchen, Musketen, Donnerbüchsen, Windbüchsen und andern ungesetzlichen Waffen, besonders aber mit der Zunge, indem er Se. Majestät von Angesicht zu Angesicht angeklagt, er habe ein Gedächtniß u.s.w. Die andre Anklage wiederholte die Formel der ersten, und legte dem ehrlichen Robbenfänger zur Last, er habe hochverrätherisch Ihre Majestät die Königin trotz des Gesetzes im Widerspruch mit der guten Moral und dem Frieden der Gesellschaft angeklagt, kein Gedächtniß zu haben u.s.w. Auf diese beiden Anklagen gaben wir so bald als möglich den Spruch: Nicht schuldig für unsern Schützling ein.

Ich hätte schon vorher sagen sollen, daß Brigadier Geradaus und ich gebeten hatten, nach einem alten Gesetz von Springhoch, als nächste Verwandte, Räthe des Angeklagten sein zu dürfen; ich nämlich als menschliches Wesen, und der Brigadier durch Adoption.

Nachdem die vorgängigen Formen gewahrt waren, wollte der Staatsanwalt eben zum Beweis übergehen, als mein Bruder Geradaus sich erhob und sagte, er wolle die kostbare Zeit des Hofs schonen, indem er die Thatsachen anerkenne, und die Vertheidigung solle sich nur auf die Gesetze für den Rechtsfall beschränken. Er setze voraus, die Jury sei nach dem Gesetz von Springhoch sowohl Richter des Gesetzes als der Thatsachen, und er und sein Bruder Goldenkalb wären bereit, zu zeigen, daß das Gesetz in dieser Sache ganz für uns sei. Der Hof nahm dies an, und die Thatsachen wurden als erwiesen der Jury überlassen; obgleich der Oberrichter Gelegenheit nahm, im Widerspruch mit Langbart, zu bemerken, daß, während die Jury freilich Richter über das Gesetz in dem einen Sinn wären, so gäbe es doch noch einen andern Sinn, worin sie nicht Richter darüber wären. Der Widerspruch von Baron Langbart aber ging dahin, daß, während die Jury Richter des Gesetzes in jenem andern Sinn wären, sie doch nicht Richter in dem einen genannten Sinn seien. Nachdem diese Schwierigkeit weggeräumt war, erhob sich der Staatsanwalt und sprach für die Krone.

Ich fand bald, daß wir im gegenseitigen Advokaten einen Mann von sehr scharfsinnigem und philosophischem Geiste gegen uns hatten; er begann seine Beweisführung mit einer sehr kräftigen und klaren Skizze über die Lage der Welt vor der Spaltung ihrer Einwohner in Nationen, Stämme und Klane, während sie noch in ihrem menschlichen oder Puppenzustand war. Von diesen Säzzen leitete er die regelmäßigen Abstufungen ab, wodurch die Menschen sich in Gemeinden trennten und den Gesetzen der Civilisation oder, wie er’s nannte, der Gesellschaft unterworfen wurden. Nachdem er soweit gekommen, berührte er leicht die verschiednen Phasen, die die Staatseinrichtungen der Menschen durchlaufen, und kam nach und nach zu den Grundprincipien des Gesellschaftsvertrags, wie sie bekanntlich unter den Monikins bestünden. Nach einigen Hauptbemerkungen, die recht eigentlich zum Gegenstand gehörten, sprach er von jenen Theilen der Elementar-Principien der Gesellschaft, die mit den Rechten des Oberhaupts verbunden sind. Diese theilte er in die Rechte der königlichen Prärogative, die Rechte von des Königs Person und die Rechte des königlichen Gewissens. Hier wurde er wieder ein wenig allgemein, und zwar sehr glücklich und so gut, daß alle Zuhörer im Zweifel blieben, an was er nachher kommen werde, als er plötzlich durch eine stolze logische Wendung auf die letztern von des Königs Rechten, als die am meisten zur Sache gehörigen, zurückkam.

Er zeigte triumphirend, daß der Zweig der königlichen Freiheiten, der hauptsächlich durch das Vergehen des Gefangenen vor den Schranken beleidigt worden, ganz klar mit den Rechten von des Königs Gewissen verbunden sei; »die Attribute des Königthums,« bemerkte der scharfsinnige Advokat, »dürfen nicht auf dieselbe Weise betrachtet werden, wie die Attribute des Unterthans. In der geheiligten Person des Königs concentriren sich viele, wenn nicht die meisten der interessanten Privilegien der Monikins; die königliche Person kann in politischem Sinn nicht Unrecht thun; officielle Infallibillität ist die Folge davon. Solch ein Wesen braucht nicht die gewöhnlichen Fähigkeiten der Monikins; wozu z. B. Urtheilskraft, Gewissen für einen Beamten, der nicht Unrecht thun kann? Das Gesetz hat daher, zur Erleichterung dessen, der auf seinen Schultern die Bürde des Staats hat, gerade diesen Letztern in die Obhut eines andern gegeben, Sr. Majestät erster Vetter ist der Bewahrer seines Gewissens, wie man im ganzen Königreich Springhoch weiß; ein Gedächtniß ist die am wenigsten wichtige Geisteskraft für eine Person, die kein Gewissen hat, und da man nicht behauptet, daß der Fürst vom Besitz seines Gedächtnisses durch ein positives Statut oder eine direkte verfassungsmäßige Vorkehrung befreit worden, so folgt daraus, nach unbestreitbarer Folgerung und gesetzlicher Auslegung, daß, da er solch eine Fähigkeit gar nicht nöthig hat, die legale Annahme Statt haben muß, daß er ganz ohne sie ist.«

»Jene Einfachheit, Klarheit und Helle, Mylords,« fuhr der Staatsanwalt fort, »die jedem wohlgeordneten Geiste nöthig ist, würde in dem Fall Sr. Majestät beeinträchtigt werden, sollten seine Geisteskräfte unnöthiger Weise auf diese nutzlose Art überfüllt werden, und der Staat würde darunter leiden. Mylords, der König regiert, aber er verwaltet nicht. Das ist ein Grundsatz der Konstitution, ja es ist noch mehr, es ist das Palladium unsrer Freiheiten. Mylords, es ist etwas Leichtes, in Springhoch zu regieren, es braucht nichts weiter, als die Rechte der Erstgeburt, hinlängliche Unterscheidung, um den Unterschied zwischen Regieren und Verwalten zu verstehen, und eine politische Mäßigung, die nicht leicht das Gleichgewicht des Staats stört. Aber es ist was ganz Verschiednes mit der Verwaltung. Von Sr. Majestät wird gar nicht verlangt, etwas zu verwalten mit Ausnahme der eben erwähnten geringen Interessen nicht ein Mal sich selbst braucht er zu leiten. Aber ganz anders ist es mit seinem ersten Vetter. Dieser hohe Beamte ist mit dem wichtigen Amte der Verwaltung bekleidet. Es hat sich in den früheren Zeiten der Monarchie gefunden, daß ein Gewissen oder vielmehr eine Reihe geistiger Vermögen im Allgemeinen kaum für den hinreichte, der zugleich regieren und verwalten müßte. Wir Alle, Mylords, wissen, wie unzulänglich für unsre persönlichen Zwecke unsre Privatvermögen sind, wie schwierig wir es finden, uns selbst nur, von unserm eignen Urtheil, Gewissen und Gedächtniß unterstützt, in Schranken zu halten, und darin sehen wir die große Wichtigkeit, den, welcher Andre lenkt, mit noch einer Reihe solcher wichtigen Geistesvermögen zu versehen. Mit gehöriger Berücksichtigung dieser Lage der Dinge hat das gemeine Gesetz (nicht das positive Recht, Mylords, das mit den Unvollkommenheiten der Monikinschen Vernunft in ihrem isolirten und besondern Zustand behaftet ist, und gewöhnlich den Eindruck des einzelnen Schweifs, von dem es ausgegangen, an sich trägt, sondern das gemeine Gesetz, der anerkannte Zusammenfluß alles gesunden Menschenverstandes in der Nation) schon seit Langem beschlossen, daß Sr. Majestät erster Vetter der Bewahrer von Sr. Majestät Gewissen sein soll, und ihn als nothwendige Folge hieraus mit Sr. Majestät Urtheilskraft, Vernunft und auch Gedächtniß versehen.

»Mylords, das ist die legale Voraussetzung. Es würde mir ferner durch tausend Thatsachen leicht sein, zu beweisen, daß nicht allein der Beherrscher von Springhoch sondern auch die meisten andern des Gedächtnisses entbehren und immer entbehrt haben; man könnte sagen, es sei unverträglich mit dem königlichen Standtpunkte, hätte ein Fürst Gedächtniß, so könnte er seine hohe Stellung aus dem Auge verlieren, indem er sich erinnerte, daß er wie ein Anderer geboren worden und zu sterben bestimmt sei; er könnte von Geschichten der Vergangenheit geplagt werden, ja das Bewußtsein seiner Würde selbst könnte durch einen lebhaften Rückblick auf den Ursprung des Königthums gestört und geschwächt werden. Versprechungen, Verpflichtungen, Zuneigungen, Pflichten, Grundsätze und selbst Schulden könnten sich zwischen die Ausführung seines heiligen Amts drängen, und so ist denn seit undenklichen Zeiten beschlossen worden, daß seine Majestät ganz ohne den Besitz von Vernunft, Urtheil und Gedächtniß ist, als eine unvermeidliche Folge von seinem Mangel an Gewissen.«

Der Staatsanwalt lenkte nun die Aufmerksamkeit des Hofes und der Jury auf ein Statut vom dritten Jahre der Regierung Firstborns VI., wodurch bestimmt war, daß Jeder, der Sr. Majestät den Besitz einer Geisteskraft aus hochverräterischer Absicht beilegte, und dadurch die Ruhe des Staates gefährdete, ohne Beistand eines Geistlichen den Schweif verlieren sollte. So weit betriebe er die Sache für die Krone.

Es entstand eine feierliche Pause, nachdem der Redner sich gesetzt hatte. Seine Beweisführung, seine Logik und besonders der gesunde Menschenverstand und das unweigerliche Gesetz machten tiefen Eindruck; auch machte ich die Bemerkung, daß Noah gierig Tabak kaute. Nach einem gehörigen Zwischenraum jedoch erhob sich Brigadier Geradaus, der trotz seiner kriegerischen Benennung nichts mehr und nichts weniger, als ein ausübender Anwalt und Rath in der Handelshauptstadt von Springniedrig Bivouac war, und verlangte seinerseits gehört zu werden. Dem Hof drang sich jetzt erst der Skrupel auf, daß der Advokat nicht gehörig befähigt sei, vor den Schranken zu plädiren und zu vertheidigen. Mein Bruder Geradaus verwies jedoch sogleich die Herren auf das Adoptionsgesetz, und auf die Bestimmung im Kriminalkodex, die dem Angeklagten vergönnte, sich durch seine nächsten Verwandten vertheidigen zu lassen.

»Gefangener vor den Schranken!« sagte der oberste Richter, »Ihr hört das Verlangen Eures Beistands; wollt Ihr die Vertheidigung Eurem nächsten Verwandten übertragen?«

»Jedermann, Ew. Ehren, wenn es dem Hof gefällt,« entgegnete Noah, wild sein geliebtes Kraut kauend; »jedermann, der es gut und wohlfeil thun will.«

»Und adoptirt Ihr unter den für solche Fälle gemachten Vorkehrungen des Statuts Aaron Geradaus als Euren nächsten Verwandten, und in welcher Kapacität?«

»Ja, ja, Mylords, mit Leib und Seel‘, ich adoptire den Brigadier als meinen Vater und meinen Mitmenschen und erprobten Freund, Sir John Goldenkalb hier als meine Mutter.«

Der Hof gab nun förmlich seine Beistimmung, die Thatsachen wurden in die Register eingeschrieben, und mein Bruder Geradaus ward aufgefordert, die Vertheidigung zu beginnen.

Der Rechtsbeistand für den Gefangenen war geneigt, gleich Dandie in Racine’s Komödie »les Plaideurs« die Sündfluth zu übergehen, und sogleich mit der Sache selbst zu beginnen. Er fing mit einer Uebersicht der königlichen Prärogative an, und mit einer Erläuterung des Worts »Regieren.« Mit Verweisung auf das Diktionar der Akademie zeigte er siegreich, daß »regieren« nichts weiter sei, als »verwalten, als Souverän,« und »verwalten« im gewöhnlichen Sinne nichts weiter, als verwalten im Namen eines Fürsten, als Stellvertreter. Nach Begründung dieses Punktes stellte er den Satz fest, daß das Größere das Geringere umfassen, aber das Geringere nicht wohl das Größere enthalten könnte. Das Recht zu regieren oder verwalten in der allgemeinen Bedeutung des Worts müsse alle rechtliche Attribute dessen einschließen, der nur im zweiten Sinne verwalte, und folglich regiere der König nicht nur, sondern verwalte auch. Er zeigte; denn Gedächtniß sei dem unumgänglich nöthig, der verwalte, denn ohne ein solches könne er sich der Gesetze nicht erinnern, nicht gehörige Vorkehrung zu Belohnung und Strafe treffen, oder sonst einen verständigen oder nothwendigen Akt verrichten. Ferner, werde behauptet, sei des Königs Gewissen nach dem Landesgesetz der Obhut seines ersten Vetters anvertraut; nun damit, daß es in solcher Obhut sei, wäre klar, daß er eins haben müsse, denn ein Nichtding könne nicht in der Obhut, in der Verwahrung eines Andern sein, und wenn er ein Gewissen hätte, folge nothwendig, daß er auch die Eigenschaften desselben hätte, unter denen das Gedächtniß den höchsten Rang einnehme. Das Gewissen werde ja definirt als die Eigenschaft, durch welche wir über die Rechtschaffenheit oder Schlechtigkeit unsrer eignen Handlungen urtheilen. Wie könne aber Jemand über die Rechtschaffenheit oder Schlechtigkeit seiner Handlungen oder über die Andrer urtheilen, wenn er nichts davon wisse? wie könne er aber anders etwas vom Vergangnen wissen, als durch’s Gedächtniß?

Ferner, es wäre ein aus den Instituten von Springhoch hervorgehender Folgesatz, daß der König nicht Unrecht thun könne. – –

»Verzeiht, Bruder Geradaus!« unterbrach der oberste Richter, »es ist kein Folgesatz, sondern ein Satz, und zwar einer, der als bewiesen dasteht; es ist das Grundgesetz des Landes.«

»Danke, Mylord!« fuhr der Brigadier fort, »Eure hohe Autorität gibt meinem Satz nur um so größres Gewicht. Es ist also feststehendes Recht, meine Herren Jury-Monikins, daß der Souverän dieses Reichs nicht Unrecht thun kann. Es steht auch fest, – die Herren werden mich zurechtweisen, wenn ich irre, – daß der Souverän die Quelle der Ehre ist, daß er Krieg und Friede beschließen kann, daß er die Gerechtigkeit verwaltet, die Gesetze ausüben läßt, –«

»Verzeiht nochmals, Bruder Geradaus!« unterbrach der oberste Richter; »das ist nicht Gesetz, sondern Prärogativ; es ist des Königs Vorrecht, aber nicht Gesetz all dieß zu sein und zu thun.«

»Macht der Hof, Mylord, etwa einen Unterschied zwischen Prärogativ und Gesetz?«

»Freilich, Bruder Geradaus! Wär‘ alles, was Prärogativ ist, auch Gesetz, wir könnten nicht eine Stunde fortkommen.«

»Prärogativ, mit Eurer Ehren Erlaubniß, oder praerogativa wird definirt als ausschließliches und besondres Privilegium .« (Der Redner sprach hier etwas langsam, damit Baron Langbart Noten machen konnte.) »Nun muß ein ausschließliches Privileg, nach meiner unmaßgeblichen Meinung über alle Erlasse und –«

»Gar nicht, Sir, gar nicht!« fiel Mylord der oberste Richter absprechend ein, und sah dabei dem Fenster hinaus nach den Wolken, um zu zeigen, daß seine Meinung ganz fest stehe; »der König hat seine Prärogative freilich, und sie sind heilig, ein Theil der Verfassung; sie sind ferner, wie Johnson sagt, ausschließlich und besonders, aber ihre Ausschließlichkeit und Besonderheit darf nicht im gewöhnlichen Sinn genommen werden. Bei Behandlung der großen Interessen eines Staates muß der Geist einen weiten Flug nehmen, und ich behaupte, nicht wahr, Bruder Langbart? daß kein Grundsatz fester steht, als die Thatsache, daß praerogativa eins ist, und lex oder Gesetz ein andres.« Der Baron nickte Beifall. »Unter Ausschließlichkeit ist in diesem Fall gemeint, daß das Prärogativ nur seine Majestät angeht, das Prärogativ ist ausschließlich sein Eigenthum, er kann damit machen, was ihm beliebt, aber das Gesetz ist für die Nation gemacht, und etwas Verschiedenes. Ferner unter Besonderheit wird offenbar gemeint, daß dieser Fall keinem andern analog ist und nach besondrer Logik behandelt werden muß. Nein, Sir, der König kann zwar nach seinem Prärogativ Friede und Krieg beschließen, aber dann ist auch sein Gewissen hart und fest in der Hand eines Andern, der allein alle legale Akte verrichten kann.«

»Aber, Mylord, Gerechtigkeit, obgleich von Andern, wird doch in des Königs Namen gesprochen.«

»Freilich in seinem Namen, das gehört zu seinen besondern Privilegien; auch Krieg wird in seinem Namen geführt, und so ist’s auch mit dem Frieden. Was ist Krieg? Ein persönlicher Konflikt zwischen Theilen verschiedener Nationen. Begibt sich Se. Majestät in diesen Konflikt? Gewiß nicht. Der Krieg wird durch Auflagen unterhalten; bezahlt diese Se. Majestät? Nein. So sehen wir, daß, während der Verfassung nach der Krieg des Königs ist, er praktisch dem Volk anheimfällt. Es folgt, da Ihr es gern mit Folgesätzen zu thun habt, Bruder Geradaus, daß es zwei Kriege gibt, der prärogativliche und der faktische. Nun ist das Prärogativ ein konstitutioneller Grundsatz, und zwar ein sehr heiliger; aber eine Thatsache fällt jedem Monikin anheim, und deßwegen haben die Gerichtshöfe schon seit Timid’s II. Regierung, seit sie es nämlich wagten, beschlossen, Prärogativ und Gesetz sei verschieden.

Mein Bruder Geradaus schien bedeutend durch die Distinktionen des Hofs in Verlegenheit und schloß weit früher, als er sonst wohl gethan hätte, indem er alle seine Beweisgründe zusammenfaßte und bewies oder zu beweisen suchte, daß, wenn selbst der König diese besondern Privilegien hätte, und nichts weiter, man ihm ein Gedächtniß zuschreiben müsse.

Der Hof rief jetzt den Staatsanwalt zur Erwiedrung auf; aber der schien seine Sache für fest genug zu halten, wie sie war, und Alles ward einstimmig nach einer kurzen Anrede vom Richterstuhl der Jury überlassen.

»Sie dürfen sich, meine Herren, durch die Beweisführung von des Gefangenen Rechtsbeistand nicht irre machen lassen,« schloß der oberste Richter, »er hat seine Pflicht gethan, und Sie müssen ebenso gewissenhaft sein. Sie sind in diesem Fall Richter über Gesetz und Thatsache; aber ich muß Ihnen sagen, was Beides ist. Durch’s Gesetz wird der König als ohne Geistesvermögen dargestellt; die daraus vom Rechtsbeistand gezogene Folgerung, daß der König vermöge seiner Infallibilität die höchst möglichen moralischen Eigenschaften und folglich ein Gedächtniß haben muß, ist unrichtig. Die Verfassung sagt, der König kann nicht Unrecht thun; diese Unvermögenheit kann aber aus verschiednen Ursachen herführen, wenn er z.B. nichts thun kann, kann er auch nicht Unrecht thun; die Verfassung sagt nicht, der König wird nicht Unrecht thun, sondern er kann nicht Unrecht thun. Nun, wenn etwas nicht geschehen kann, so wird es unmöglich, meine Herren, und ist folglich über allen Streit hinaus. Es ist von keiner Wichtigkeit, ob Einer ein Gedächtniß hat, wenn er es nicht gebrauchen kann, und in diesem Fall ist die gesetzliche Voraussetzung, daß er keins hat, denn sonst würfe die Natur, die immer weise und wohlthätig ist, ihre Gaben weg.

Meine Herrn Monikins, ich habe schon gesagt, Sie sind Richter in diesem Falle über Gesetz und Thatsache; das Schicksal des Gefangenen ist in Ihrer Hand; Gott verhüte, daß Sie in irgend einer Weise, von mir beengt sein sollten, aber es ist ein Vergehen gegen des Königs Würde und die Sicherheit des Staats; das Gesetz ist gegen den Gefangenen, die Thatsachen sind alle gegen ihn, und ich zweifle nicht, Ihr Spruch wird die freiwillige Entscheidung Ihres eignen vortrefflichen Verstandes sein, und der Art, daß er uns der Notwendigkeit überhebt, eine neue Untersuchung anzuordnen.

Die Geschwornen steckten ihre Schweife zusammen, und in weniger als einer Minute gab ihr Vorder-Monikin den Spruch ein: »Schuldig.« Noah seufzte und nahm eine frische Handvoll Tabak.

Die Sache mit der Königin ward unmittelbar darauf eröffnet; der Gefangene war vorher befragt worden, und hatte sich für »nicht schuldig« erklärt. Der Königin Prokurator griff den Willen, den animus des unglücklichen Gefangenen bitter an. Er beschrieb Ihre Majestät als ein Muster von Vortrefflichkeiten, als den Complex aller monikin’schen Tugenden, als ein Modell ihres Geschlechts. »Wenn sie, die mit so viel Recht durch die Eigenschaften der Wohlthätigkeit, Milde, Religion, Gerechtigkeit, Unterwerfung unter ihre weiblichen Pflichten ausgezeichnet wäre, kein Gedächtniß hätte, frage er, wer dann um Himmels willen eins hätte. Wie könne diese hohe Frau ihre Pflichten ihrem königlichen Gemahl, ihren königlichen Sprößlingen, ihrem eignen königlichen Selbst ohne Gedächtniß erweisen. Gedächtniß sei besonders ein königliches Attribut, ohne es könnte eigentlich Niemand – als von hoher, alter Geburt angesehen werden. Gedächtniß bezöge sich aufs Vergangene; die dem Königthum gebührende Hochachtung wäre kaum je eine gegenwärtige Hochachtung, sondern eine mit der Vergangenheit verknüpfte; wir verehrten die Vergangenheit, die Zeit sei vergangen, gegenwärtig oder zukünftig; die Vergangenheit sei immer ein monarchisches Interesse, die Gegenwart riefen die Republikaner an, die Zukunft gehöre dem Geschick. Würde entschieden, die Königin hätte kein Gedächtniß, so versetzten wir dem Königthum einen Schlag. Durch’s Gedächtniß, in Verbindung mit den öffentlichen Archiven, leite der König sein Recht auf den Thron ab; durch’s Gedächtniß, das die Thaten seiner Vorfahren zurückrufe, erhalte er unsre tiefste Verehrung.«

Auf diese Weise sprach der Königin Sachwalter ungefähr eine Stunde, wo er dann dem Rechtsbeistand des Gefangnen Platz machte. Aber zu meinem größten Erstaunen, denn ich wußte, diese Anklage sei die schwerere von beiden, da Noah’s Kopf auf dem Spiel stand, – sagte Geradaus, statt einer sehr geistreichen Erwiedrung, wie ich gewiß vermuthet hatte, nur wenige Worte, worin er so festes Vertrauen auf die Lossprechung seines Schützlings aussprach, daß er alle weitere Vertheidigung für gänzlich unnöthig hielt. Er hatte sich nicht so bald gesetzt, als ich ihm mein größtes Mißfallen mit diesem Benehmen äußerte, und meinen Entschluß kund that, selbst etwas für meinen armen Freund zu wagen.

»Seid ruhig, Sir John!« lispelte Geradaus zu mir, »der Advokat, der schon viele fruchtlose Anklagen unternommen hat, wird nach und nach gering geschätzt. Ich will schon für des Lord Oberadmirals Interessen sorgen; zu rechter Zeit will ich ihrer schon Acht haben!«

Ich hatte die tiefste Achtung vor des Brigadiers Gesetzkenntniß, und kein besondres Vertrauen in meine eigne; so folgte ich gern. Indeß ging die Verhandlung des Hofs vor sich, und die Jury, nach einer kurzen Anrede vom Richterstuhl, die so unparteiisch war, als nur immer ein positives Verlangen der Verurteilung sein konnte, gab er noch ein Mal den Spruch »Schuldig.«

Obwohl es in Springhoch für unschicklich gehalten wird, Kleider zu tragen, wird es doch auch für außerordentlich schön bei gewissen hohen Beamten gehalten, ihre Personen mit gehörigen Zeichen ihres Amtsranges zu schmücken. Wir haben schon Nachricht von der Hierarchie der Schweife gegeben, so wie eine Beschreibung von dem aus den Zehendhaaren zusammengesetzten Mantel; aber ich hatte vergessen zu sagen, daß sowohl der Lord Oberrichter als Baron Langbart Futterale über ihre Schweife aus Häuten von verstorbenen Monikins hatten, welches ihren intellektuellen Organen ein Aussehen größrer Entwicklung gab, und wahrscheinlich durch Zusammenhalten des Gehirns, das wegen unausgesetzten Gebrauchs große Sorgfalt und Aufmerksamkeit erforderte, von Einfluß war. Sie warfen nun über diese Schweiffutterale eine Art Gewand von sehr blutdürstiger Farbe, welches, wie man uns sagte, ein Zeichen wäre, daß sie Ernst machten und das Urtheil sprechen wollten; denn in Springhoch ist die Justiz von ganz besonders blutdürstigem Charakter.

»Gefangener an den Schranken!« begann der Oberichter mit anklagender Stimme, »Ihr habt den Spruch Eurer Pairs gehört, Ihr seid verurtheilt und beschuldigt worden des gehässigen Verbrechens, den Fürsten dieses Landes als im Besitz eines Gedächtnisses anzuklagen, habt dadurch den Frieden der Gesellschaft gefährdet, die socialen Verhältnisse gestört, und ein gefährliches Beispiel der Insubordination und der Verachtung der Gesetze gegeben. Dieses Verbrechens seid Ihr, nachdem man Euch ein ganz besonders ruhiges und unparteiisches Gehör geschenkt, schuldig befunden worden. Das Gesetz erlaubt dem Hof keine Einmischung in diesen Fall; meine Pflicht ist, alsbald den Spruch zu thun, und ich frage Euch nun feierlichst, ob Ihr etwas zu sagen habt, warum der Spruch des Schweifabhauens nicht gegen Euch ergehen soll.« Hier hielt der Oberrichter gerade lange genug ein, um aufzuathmen, und fuhr dann fort. »Ihr thut recht, Euch ganz der Gnade des Hofs zu überlassen, der besser weiß, was Euch gut ist, als Ihr selbst. Ihr werdet ergriffen werden, Noah Poke, oder Nro. 1. Meergrün, und ohne weitres zwischen den Stunden des Sonnenaufgangs und Untergangs heute in den Mittelpunkt des öffentlichen Platzes geführt werden, wo Euer Schweif abgehauen werden soll; und nachdem er in vier Theile getheilt, soll nach jedem der Hauptpunkte des Kompasses ein Theil ausgesteckt werden. Der Büschel davon soll verbrannt, und die Asche Euch in’s Gesicht geworfen werden. Alles dieß ohne geistlichen Beistand; und sei der Herr Eurer Seele gnädig!«

»Noah Poke oder Nro. 1. Meergrün,« fiel Baron Langbart, ohne dem Gefangnen Zeit zum Athmen zu lassen ein; »Ihr seid angeklagt, beurtheilt und schuldig befunden worden des ungeheuren Verbrechens, die königliche Gemahlin als jenes gewöhnlichen, wichtigen und alltäglichen Vermögens, des Gedächtnisses entbehrend dargestellt zu haben. Habt Ihr etwas zu sagen, warum der Spruch nicht alsbald gegen Euch ergehen soll? Nein, Ihr seid sicher vernünftig genug, Euch ganz der Gnade des Hofes anheim zu stellen, der Euch gerne sie ganz, so weit sie in seiner Macht steht, widerfahren lassen wird, in diesem Fall findet aber keine Statt. Ich brauche mich über die Schwere Eures Vergehens nicht auszulassen. Wenn das Gesetz zuließe, daß die Königin kein Gedächtniß hätte, könnten andre Frauen dasselbe Privilegium in Anspruch nehmen, und die Staatsgesellschaft würde zum Chaos werden. Ehegelübde, Pflichten, Neigungen, alle unsre nächsten und theuersten Interessen würden aufgehoben, und dieses herrliche Dasein in ein moralisches oder vielmehr unmoralisches Pandämonium ausarten. Im Hinblick auf diese so wichtigen Betrachtungen und besonders auf das gebietende Gesetz, das keine Einmischung duldet, verurtheilt Euch der Hof, ohne Aufschub von hier weg mitten auf den großen Platz geführt zu werden, wo Euer Haupt ohne geistlichen Beistand, durch den öffentlichen Henker vom Rumpf getrennt werden soll; worauf Eure Ueberreste den öffentlichen Hospitälern zum Seciren anheim fallen.«

Die Worte waren kaum aus Baron Langbart’s Mund, als die beiden Staatsanwälte sich erhoben, um den Hof Jeder für die größre Würde ihrer gegenseitigen Principale zu gewinnen. Der Staatsanwalt der Krone bat den Hof, in so weit seinen Spruch zu ändern, daß die Strafe für das Vergehen gegen den König den Vorgang erhielte, und der Prokurator für die Königin ersuchte den Hof, nicht so sehr die Rechte und Würde ihrer Majestät zu vergessen, um ein für beide Aussprüche so gefährliches Beispiel zu geben. Ich bekam einige Hoffnung, als ich die Augen meines Geradaus erblickte, der gerade lang genug gewartet hatte, um die Advokaten sich gegenseitig über diesen Punkt warm machen zu lassen, und jetzt aufstand und vom Hof einen Aufschub der Exekution verlangte, weil kein Spruch rechtskräftig sei; der des Lord Oberrichters enthalte einen Widerspruch, da er das Schweifabhauen zwischen die Stunden des Sonnenaufgangs und Untergangs und doch als alsbald Statt habend feststelle, der von Lord Langbart aber, weil er den Körper dem Seciren überweise, ganz gegen das Gesetz, was nur bei verurtheilten Monikins diese Vorkehrung treffe, hier aber gehöre der Gefangene einer ganz verschiednen Gattung an.

Der Hof nahm diese Einwürfe ernsthaft, sprach aber seine Inkompetenz, darüber zu erkennen aus. Es sei eine Frage für die zwölf Richter, die sich jetzt bald versammeln sollten, und denen sie die ganze Sache in zweiter Instanz überließen. Indeß könne die Gerechtigkeit dadurch nicht aufgehalten werden. Der Gefangene müsse auf den Platz geführt werden, und die Sachen ihren Lauf behalten; sollte aber einer der Punkte endlich zu seinen Gunsten entschieden werden, dann hatte er den Vortheil davon, so weit es die Umstände dann noch erlaubten. Hiemit brach der Hof auf, und die Richter, der Gesetzbeistand und die Sekretäre begaben sich zusammen in die Halle der zwölf Richter.

Sechstes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Immerbesser, – mehr Recht und mehr Gerechtigkeit, – Schweife und Köpfe, – die Wichtigkeit, jeden am Ort zu haben.

Noah wurde alsbald auf den Richtplatz geführt, wo ich ihn zu treffen versprach, um noch seinen Abschiedsseufzer aufzunehmen. Die Neugier trieb mich, den Ausgang der Apellation zu hören. Der Brigadier sagte mir auf dem Weg nach der Halle im Vertrauen, die Sache erhalte jetzt großes Interesse; bis jetzt sei Alles nur Kinderspiel gewesen, aber es würde künftig einen Beirath von großer Belesenheit und Forschung brauchen, um die Beweisgründe vorzubringen; er schmeichle sich, es werde wahrscheinlich für ihn eine gute Gelegenheit abgeben, um zu zeigen, was Monikin-Vernunft wirklich wäre.

Alle Zwölfe trugen Schweiffutterale, und alle zeigten furchterweckende intellektuelle Ausbildung in denselben. Da Noah’s Sache als von mehr als gewöhnlicher Dringendheit anerkannt ward, wurde nach nur drei oder vier andern kurzen Rechtshändeln von Seiten der Krone, (diese hat immer den Vortritt bei solchen Gelegenheiten) der königliche Staatsanwalt aufgefordert, die Sache zu eröffnen.

Der gelehrte Rechtsbeistand sprach im Voraus von den Einwürfen seiner beiden Gegner und begann mit denen meines Geradaus. Alsbald , behauptete er, könne nach der jedesmaligen Zeit, wo es gebraucht würde, jeder Augenblick der vierundzwanzig Stunden sein. So würde alsbald am Morgen heißen: am Morgen, alsbald am Mittag: am Mittag, u.s.w. bis zum Schluß des gesetzlichen Tags. So müsse auch im legalen Sinne alsbald zwischen Sonnenaufgang und Untergang bedeuten, indem das Statut verlange, alle Hinrichtungen sollten bei Tage Statt finden. Folglich bestätigten und bestärkten beide Ausdrücke einander, statt einen Widerspruch zu enthalten oder sich aufzuheben, wie sehr wahrscheinlich vom gegenseitigen Rechtsbeistand behauptet werden würde.

Zu all diesem sagte unser Geradaus, wie bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich, so ziemlich das Gegentheil. Er behauptete, alles Licht käme von der Sonne, und daher könnte das Statut nur meinen, es sollten keine Hinrichtungen während der Sonnenfinsterniß geschehen, wo alle Monikins mit Anbetung beschäftigt sein müßten. Alsbald ferner bedeutete nicht nothwendig alsbald, denn alsbald bedeutete sogleich; und zwischen Sonnenaufgang und Untergang bedeutete: zwischen Sonnenaufgang und Untergang; was sogleich sein konnte oder auch nicht.

Ueber diesen Punkt entschieden die Zwölfe: erstlich, daß alsbald nicht alsbald bedeutete; zweitens, daß alsbald alsbald bedeutete; drittens, daß alsbald zwei legale Bedeutungen hätte; viertens, es sei ungesetzlich, eine dieser gesetzlichen Bedeutungen zu unrechtem gesetzlichen Zweck anzuwenden, und fünftens, der Einwand sei, so weit er Nro. 1. Meergrün betreffe von keinem Belang. Beschluß daher, daß der Kriminal-Gefangene alsbald seinen Schweif verliere.

Der Einwurf gegen die zweite Sentenz hatte kein bessres Schicksal; Menschen und Monikins unterschieden sich nicht mehr, als einige Menschen von andern, oder einige Monikins von andern. Beschluß: daß die Sentenz bestätigt werde, nebst Kosten. Ich hielt diesen Beschluß für den vernünftigeren; denn, ich hatte oft zu bemerken Gelegenheit gehabt, daß sehr erstaunende Aehnlichkeiten zwischen Affen und unserm Geschlecht sich finden.

Der Streit begann nun ernstlich zwischen den zwei Generalprokuratoren, und da der zu entscheidende Punkt eine blose Rangstreitigkeit war, erregte er ein lebhaftes, ja Alles verschlingendes Interesse bei den Zuhörern. Er ward jedoch nach einer lebhaften Diskussion zu Gunsten des Königs entschieden, dessen königlicher Würde, die zwölf Richter einmüthig der Meinung waren, der Vorrang über die Königin gebühre. Zu meinem größten Erstaunen brachte Geradaus einen Beweisgrund bei diesem verwickelten Punkt vor, und hielt, wie alle, die sie hörten, zugaben, eine außerordentlich geschickte Rede zu Gunsten der königlichen Würde. Alles beruhte hauptsächlich darauf, daß die Asche des Schweifs nach dem Spruch dem Sünder in’s Gesicht geworfen werden sollte; zwar könnte dies physisch nach der Enthauptung geschehen, aber nicht moralisch. Dieser Theil der Strafe hätte einen moralischen Zweck, und ihn zu erreichen, wäre Bewußtsein und Scham beides sehr nöthig. So könnte denn der moralische Akt, daß die Asche dem Schuldigen in’s Gesicht geworfen würde, nur so lange er lebte und beschämt werden könnte, vor sich gehen.

Meditation, der Oberrichter, sprach die Ansicht des Gerichtshofs aus. Sie enthielt die gewöhnliche Portion legalen Scharfsinns und Logik, wurde für sehr beredt in dem Theil gehalten, der den geheiligten und unverletzlichen Charakter der königlichen Prärogative berührte, und war so klar in der Darstellung des geringeren Rangs der Königin, daß ich froh war, daß Ihre Majestät nicht zugegen war, um sich und ihr Geschlecht so herabwürdigen zu sehen. Wie zu erwarten stand, legte man großes Gewicht auf die von dem Brigadier gemachte Distinktion; der Beschluß war wie folgt: »König und Königin gegen Nro. 1. Meergrün. Wird zu Recht erkannt: Die Diener der Gerechtigkeit sollen alsbald zum Schweifabschneiden bei dem Beklagten schreiten, ehe sie ihn enthaupten; vorausgesetzt, daß er nicht alsbald enthauptet worden, ehe er entschweift werden kann.«

Sobald dies Mandat dem geeigneten Beamten eingehändigt worden, zupfte mich Brigadier Geradaus am Knie und führte mich aus dem Justizpalast, als wenn unser beider Leben von unsrer Eile abhinge. Ich wollte ihm eben Vorwürfe machen, daß er zu Gunsten des königlichen Staatsprokurators gesprochen, als er mich bei der Wurzel des Schweifs ergriff (denn es war kein Knopfloch da) und mit augenscheinlicher Freude sagte:

»Die Sachen gehen sehr gut, mein lieber Sir John; ich erinnere mich nicht, seit vielen Jahren einen interessantern Proceß gehabt zu haben. Jetzt hat die Sache, die Ihr ohne Zweifel ihrem Ende nahe glaubt, gerade ihren Höhepunkt erreicht, und ich habe alle Aussicht, unsren Schützling, mir sehr zur Ehre, freizubringen.«

»Wie, mein guter Geradaus,« fiel ich ein; »der Angeklagte ist ja in letzter Instanz verurtheilt, wenn nicht schon hingerichtet!«

»Nicht so schnell, mein lieber Sir John, – noch gar nicht. Nichts ist im Gesetz völlig beendet, so lange noch ein Heller für Proceßkosten da ist oder der Angeklagte noch aufschnaufen kann. Ich glaube unsern Proceß herrlich im Gang, viel besser, als je, seit der Anklage.«

Erstaunen ließ mir nur so viel Kraft, um eine Erklärung zu erbitten.

»Alles hängt von dem einzigen Umstand ab, ob der Kopf noch an dem Rumpf des Angeklagten ist oder nicht. Geht Ihr so schnell, wie möglich, auf den Richtplatz; und sollte unser Klient seinen Kopf noch haben, dann haltet seine Geister durch geeignete religiöse Reden aufrecht, ihn stets auf’s Schlimmste vorbereitend, denn das ist das Klügste; aber sobald sein Schweif abgetrennt ist, eilt, so schnell Ihr könnt, mit der Nachricht davon hieher zu mir. Ich verlange nur zweierlei von Euch: Eile mit der Nachricht, und vollkommne Gewißheit, daß der Schweif mit dem übrigen Körper auch nicht mehr durch ein Haar zusammenhängt. Ein Haar bringt oft die Wagschalen der Gerechtigkeit zum Sinken.«

»Der Fall scheint verzweifelt; wäre es nicht eben so gut, gleich in den Palast zu eilen, eine Audienz von Ihren Majestäten zu begehren, mich vor dem königlichen Paar auf die Kniee zu werfen und Verzeihung zu erstehen?«

»Euer Vorhaben ist unthunlich aus drei hinreichenden Gründen; erstlich: es ist nicht mehr Zeit; zweitens: Ihr würdet nicht ohne besondre Erlaubniß vorgelassen; drittens: in Springhoch gibt es keinen König und keine Königin.«

»Kein König in Springhoch!«

»So sag‘ ich.«

»Erklärt Euch, mein Geradaus, oder ich muß Eure Aussage durch meine eignen Augen widerlegen.«

»Eure Augen werden dann falsche Zeugen sein; früher gab es einen König in Springhoch, einer, der sowohl verwaltete, als regierte. Aber der Adel und die Großen des Landes hielten es für unschicklich, Seine Majestät länger mit Staatssachen zu bemühen, und nahmen alle Last der Verwaltung auf sich, dem Fürsten nur die Pflicht des Regierens überlassend. Dies geschah unter dem Vorwand, seine Gefühle zu schonen, und eine Schranke gegen die physische Gewalt und die Mißbräuche der Menge zu errichten. Nach einiger Zeit hielt man es für unbequem und kostspielig, die königliche Familie zu ernähren und sonst zu unterhalten, und alle ihre Glieder wurden insgeheim in eine ferne Gegend geschifft, die noch nicht so weit in der Civilisation fortgeschritten, um zu wissen, wie man eine Monarchie ohne einen Monarchen aufrecht erhält?«

»Und gelingt Springhoch dieses Wunder?«

»Sehr gut. Durch Enthauptungen und Schweifabhauen können selbst noch größre Dinge ausgeführt werden.«

»Aber sagt Ihr wirklich, es sei gar kein Monarch in diesem Land?«

»Ganz eigentlich gesprochen.«

»Und das Vorstellen bei ihnen.«

»Geschieht wie ihre Processe, die Monarchie aufrecht zu erhalten.«

»Und die Purpurvorhänge?«

»Verbergen leere Stühle.«

»Warum dann nicht so kostbare Vorstellungen ganz aufgeben?«

»Wie könnten die Großen schreien, der Thron ist in Gefahr, wenn gar keiner da ist. Es ist was andres, keinen König – und keinen Thron haben. Aber indeß schwebt unser Klient immer in Gefahr; eilt und habt Acht, daß Ihr nach meinen Vorschriften verfahrt!«

Ich stand, aber erfuhr nichts mehr, und flog im nächsten Augenblick nach dem öffentlichen Platz. Man bemerkte leicht den Schweif meines Freundes, wie er über dem Haufen hervorragte; aber Gram und Furcht hatten sein Antlitz schon so düster gemacht, daß auf den ersten Blick ich sein Gesicht nicht erkannte. Er war jedoch noch im Fleische; denn zum Glück für ihn, und noch mehr für den Erfolg seines Hauptbeistands, hatte die Schwere der Verbrechen ungewöhnliche Vorkehrungen für die Hinrichtung nöthig gemacht. Da das Mandat des Hofs noch nicht angelangt war, – die Gerechtigkeit ist in Springhoch eben so schnell, als ihre Diener langsam, – waren zwei Blöcke zugerichtet worden, und der Sünder sollte auf allen Vieren zwischen sie, gerade als ich mich durch den Haufen an seine Seite drängte, sich hinbeugen.

»Ah, Sir John, das ist eine schreckliche Procedur.« rief der zerknirschte Noah; »eine wirklich schreckliche Lage für einen Christen-Menschen, seine Feinde quer vor und hinter sich liegen zu sehen!«

»So lange Leben, so lange Hoffnung! Aber es ist immer das Beßte, auf’s Schrecklichste gefaßt zu sein; wer so vorbereitet ist, kann nie unangenehm überrascht werden. Meine Herrn Scharfrichter,« (es waren deren zwei, für den König und die Königin, einer an jedem Ende des unglücklichen Verurtheilten) »ich bitte Sie, dem Sünder einen Augenblick zu gestatten, um seine Gedanken zu sammeln und mir seine Wünsche für seine ferne Familie und Freunde mitzutheilen.«

Gegen diese vernünftige Bitte hatte keiner der hohen Diener der Gerechtigkeit etwas einzuwenden, obwohl beide versicherten, daß, wenn sie nicht alsbald den Sünder zu dem Letzten vorbereiteten, sie ihre Plätze verlieren könnten. Sie sahen jedoch ein, man könne wünschen, einen Augenblick am Rande des Grabes stille zu halten. Es schien eine kleine Zwistigkeit zwischen den Vollstreckern selbst in Hinsicht des Vorrangs obzuwalten, die eine Ursache der Verzögerung gewesen, und dadurch weggeräumt worden, daß Beide zugleich operiren sollten. Noah lag nun auf Händen und Knieen, »vor Anker hinten und vornen,« wie der gefühllose Schelm Bob, der unter dem Haufen war, es ausdrückte, – zwischen zwei Blöcken, sein Nacken auf dem einen, sein Schweif auf dem andern; in dieser erbaulichen Lage durfte ich mit ihm sprechen.

»Ihr werdet wohl thun, Eurer Seele zu gedenken, mein lieber Kapitän,« sagte ich; »denn in Wahrheit, diese Beile haben einen sehr expeditiven und blutgierigen Anschein.«

»Ich weiß, Sir John, ich weiß; und Euch die Wahrheit zu gestehn, ich habe immer seit dem ersten Spruch tiefe Reue gefühlt. Die Sache mit dem Lord Oberadmiral besonders hat mir viel Kummer gemacht, und ich bitte Euch jetzt um Verzeihung, durch solch elenden Betrug irre geführt worden zu sein; an Allem ist das niedrige Geschöpf Doktor Raisono schuld, der einst noch seinen Lohn erhalten wird. Ich vergebe jedermann, und hoffe, jedermann wird mir vergeben. Für Mad. Poke wird’s ein schwerer Fall sein; denn sie ist schon ganz darüber hinaus, einen andern Gemahl hoffen zu können, und muß eine Wittwe bleiben.«

»Reue, Reue, mein theurer Noah, Reue ist das Einzige, was in Eurer Lage Noth thut!«

»Die hab‘ ich, Sir John, mit Leib und Seel‘, ich bereue aus dem Grunde meines Herzens, je diese Reise gemacht zu haben; ja, ich bereue selbst, je über Montauk-Point hinausgekommen zu sein. Ich könnte jetzt ein Schulmeister oder Gastwirth in Stonington sein, und das sind beide gute, gesunde Stellen, besonders die letztere. Gott segne Euch, Sir John! Wäre Reue zu etwas gut, mir würde auf der Stelle vergeben.«

Hier sah Noah, wie Bob in dem Haufen der Umstehenden grinzte, und bat die Vollstrecker, als eine letzte Gunst, daß sie den Jungen herbeibrächten, um zärtlich für immer Abschied von ihm zu nehmen. Diesem vernünftigen Verlangen wurde willfahrt, trotz des armen Bob’s Widerstreben, und der Junge hatte eben so gut Ursache zur herzlichen Reue, als der Verurteilte selbst. Gerade in diesem wichtigen Augenblick langte die Bestimmung in Hinsicht der Ordnung der Vollstreckungen an, und die Diener erklärten ernst, der Verurteilte müsse sich anschicken, die Strafe zu erleiden.

Die unerschrockne Art, wie Kapitän Poke dem tödtlichen Proceß des Schweifabhauens sich hingab, entlockte jedem anwesenden Monikin Beifall und erregte Theilnahme. Nachdem ich mich überzeugt, daß der Schweif wirklich vom Körper getrennt worden, lief ich so schnell, als meine Beine mich tragen konnten, nach der Halle der zwölf Richter. Mein edler Geradaus, der ungeduldig mein Erscheinen erwartete, erhob sich alsbald, und verlangte vom Gericht, es solle ein Mandat zum Aufschub der Exekution in der Sache »Königin gegen Noah Poke oder Nr. 1. Meergrün,« ergehen lassen. »Nach dem Statut vom zweiten Jahr der Regierung Longevity’s und Flirtilla’s ist vorgesehen, Mylords,« fuhr der Brigadier fort, »daß in keinem Fall ein verutheilter Majestätsverbrecher Verlust an Leib oder Leben erleiden soll, wenn bewiesen ist, daß er non compos mentis (geistesschwach) ist. Das ist auch eine Regel des gemeinen Gesetzes, Mylords, aber da es gesunde Monikins-Vernunft ist, hat man für gut gehalten, es noch durch ein besonderes Gesetz einzuschärfen. Ich hoffe, Herr Staatsanwalt, die Königin wird kaum in diesem Fall das Gesetz bestreiten –«

»Gewiß nicht, wiewohl ich die Thatsache noch bezweifle; die Thatsache muß festgestellt werden,« antwortete dieser, und schnupfte.

»Die Sache ist gewiß und wird keinen Zweifel zulassen. In der Sache »König gegen Noah Poke« bestimmte der Hof, die Strafe des Schweifabhauens sollte der Enthauptung in der Sache »Königin gegen denselben« vorgehen. Der Befehl war so ergangen, der Sünder hat also seinen Schweif verloren, mit ihm die Vernunft, ein Wesen ohne Vernunft ist immer für non compos mentis gehalten worden, und daher nach den Landesgesetzen nicht befähigt, an Leib oder Leben Strafe zu leiden.«

»Eure Einrede hat was für sich,« bemerkte der Oberrichter, »aber dem Gerichtshof müssen erst die Thatsachen vorgelegt werden. Bei der nächsten Sitzung werdet Ihr vielleicht besser vorbereitet sein.«

»Ich bitte, Mylord, zu bedenken, daß das ein Fall ist, der einen Aufschub von drei Monaten nicht wird zulassen können.«

»Wir können das Princip in einem Jahr so gut wie heute entscheiden, und wir haben heut‘ länger gesessen,« er sah nach der Uhr, »als weder gewöhnlich, angenehm, noch nützlich ist.«

»Aber, Mylords, der Beweis ist bei der Hand; hier ist ein Zeuge, um festzustellen, daß der Schweif Noah Poke’s, des Angeklagten, wirklich vom Rumpf getrennt ist.«

»Ei, mein lieber Geradaus, ein Gesetzkundiger von Eurer Erfahrung muß wissen, daß die Zwölfe nur nach beschwornem Protokoll sprechen können. Wenn Ihr ein solches bereit hättet, könnten wir vielleicht vor der Vertagung es noch hören, – wie’s nun steht, müssen wir es einer andern Sitzung aufsparen.«

Ich war nun in kaltem Schweiß, ich konnte genau den besondern Geruch des brennenden Schweifs riechen, und nachdem die Asche davon gehörig in Noah’s Antlitz geworfen worden, blieb kein weiteres Hinderniß für die Vornahme der Enthauptung übrig; der Spruch hatte ja nur, wie man sich erinnern wird, gerade zu diesem Zweck sein Antlitz auf seinen Schultern gelassen. Mein Geradaus jedoch war kein Gesetzesmann, der sich durch einen so einfachen Fallstrick zu Boden werfen ließ. Er ergriff ein Papier, das schon von einer gehörigen Advokatenhand zu einem andern Zweck beschrieben worden und zufällig vor ihm lag, und las es ohne Pause oder Anstoß, wie folgt:

»Königin gegen Noah Poke.

»Königreich Springhoch, Nüssezeit, am vierten des Monds:

»Erschien persönlich vor mir, Meditation, Lord Oberrichter des Gerichtshofs Königs-Bank: John Goldenkalb, Baronet, aus dem Königreich Großbritanien, der, nachdem er gehörig beeidigt worden, erklärt und sagt, nämlich: Daß er, der besagte Deponent, zugegen und Zeuge gewesen von der Entschweifung des in dieser Sache Beklagten, und daß der Schweif des besagten Noah Poke oder Nr. 1, Meergrün wahrhaft und physisch von seinem Leibe getrennt worden. – Und weiter sagt dieser Deponent nichts. Unterzeichnet u.s.w.«

Nachdem mein Geradaus sehr fließend das vorstehende Protokoll verlesen, das nur in seinem Kopf existirte, verlangte er, der Hof solle meine Erklärung zu Wahrheit annehmen.

»John Goldenkalb, Baronet,« sagte der Oberrichter, »Ihr habt gehört, was eben vorgelesen worden; beschwört Ihr dessen Wahrheit?« – »Ja!«

Nun wurde das Protokoll vom Lord Oberrichter und mir unterzeichnet, und gehörig einregistrirt. Ich erfuhr später, das von Geradaus bei dieser merkwürdigen Gelegenheit gebrauchte Papier sei kein andres gewesen, als die Noten selbst, die der Oberrichter über einen der Beweise in dem fraglichen Fall sich aufgesetzt hatte, und als er die Namen und die Aufschrift des Processes gefunden, und da er überhaupt seine eigne Hand nicht gut lesen konnte, habe dieser oberste Beamte der Krone sehr natürlich vorausgesetzt, Alles sei recht. Die Übrigen der Gerichtsbank waren in zu großer Eile nach ihrem Mittagessen, um sich aufzuhalten und Protokolle zu lesen, und so ward die Sache sogleich durch folgenden Beschluß entschieden:

»Königin gegen Noah Poke u.s.w. Zu Recht erkannt: daß der Schuldige als non compos mentis betrachtet und entlassen werde, unter Aufstellung von Bürgschaft, für’s Uebrige seines natürlichen Lebens Friede zu halten.«

Ein Diener ward sogleich auf den Platz mit dieser Lossprechung geschickt, und der Hof erhob sich. Ich zögerte noch ein wenig, um für Noah die nöthigen Anerkennungen zu machen und zugleich die am vorigen Tag für sein Erscheinen vor Gericht geleistete Bürgschaft zurückzunehmen. Nachdem diese Formalitäten gehörig durchgemacht waren, eilten Geradaus und ich auf den Richtplatz, um unserm Schützling Glück zu wünschen, wo denn Geradaus sich nicht wenig auf seinen Erfolg einbildete, der, wie er versicherte, seiner Erziehung nicht wenig Ehre machte.

Wir fanden Noah nicht wenig erleichtert durch seine Befreiung aus den Händen der Philister, auch blieb er gar nicht in Darlegung seiner Freude über die unerwartete Wendung zurück, die die Dinge genommen. Nach seiner eignen Darstellung der Sache setzte er keinen höheren Werth auf sein Haupt, als jeder Andre; doch sei’s bequem, eins zu haben; hätte er sich nothwendig davon trennen müssen, so zweifle er nicht, er hätte es männlich gethan, und bezog sich dabei auf die Geistesstärke, womit er das Abhauen seines Schweifs erlitten; er werde sich nun wohl in Acht nehmen, künftig jemand als im Besitz eines Gedächtnisses oder sonst etwas anzuklagen, und er sähe jetzt die Vortrefflichkeit der weisen Gesetzbestimmungen ein, die einen Verbrecher ausmerzten, um eine Wiederholung seiner Vergehen zu verhindern; er beabsichtige nicht, länger am Ufer zu bleiben, und glaube an Bord des Wallrosses weniger der Versuchung ausgesetzt zu sein, als unter den Monikins, und seine eignen Leute wolle er bald wieder im Schiff haben, da sie jetzt schon vierundzwanzig Stunden ohne ihr Pökelfleisch gewesen, Nüsse aber nur eine ärmliche Kost für Vordermast-Leute seien. Philosophen möchten von Staatsverfassung sagen, was sie wollten, nach seiner Meinung sei der einzige wirkliche Tyrann auf der Erde der Magen; er erinnere sich nicht, je einen Streit mit seinem Magen gehabt zu haben, – und er hätte deren tausend gehabt, – wo dieser nicht den Sieg davon getragen; es wäre seltsam, den Titel Lord Oberadmiral abzulegen, aber es sei leichter, diesen abzulegen, als das Haupt; was den Schweif betreffe (sei es auch angenehm, mit der Mode fortzugehen), den könne er gut entbehren, und käme er nach Stonington, so wolle er im schlimmsten Fall von einem Sattler dort sich mit einem eben so guten Muster versehen lassen, als er verloren; aber Madam Poke würde gewiß großen Anstand genommen haben, wenn er nach seiner Enthauptung nach Haus gekommen; es wäre vielleicht gut, so bald, wie möglich, nach Springniedrig zu segeln, denn in jenem Land, höre er, seien die Stümpfe Mode; er wolle aber nicht lange in Springhoch herumschlendern, er könne dann wie andre Leute sich tragen; er trage niemanden etwas nach, er vergebe aufrichtig jedem, nur nicht Bob, von welchem er mit Gottes Hülfe volle Genugthuung haben wolle, ehe das Schiff vierundzwanzig Stunden in See sein würde.«

Dahin gingen die gewöhnlichen Bemerkungen Kapitän Poke’s, während wir nach dem Hafen schritten, wo er sich einschiffte und an Bord des Wallrosses ziemlich eilig ging, da er vernahm, daß unsre Unteradmirale und Kapitäne wirklich dem Zug der Natur gefolgt und alle zu ihrer Pflicht zurückgekehrt waren, schwörend, sie wollten lieber Theerjakobs in einem gut proviantirten Schiff, als König von Springhoch mit Nüssen sein.

Der Kapitän hatte nicht sobald im Besitz seines Hauptes das Boot betreten, als ich meinem Geradaus für die geschickte Art meinen Dank sagte, in der er meinen Mitmenschen vertheidigt hatte, und zugleich den scharfsinnigen und wahrhaft philosophischen Unterscheidungen des juristischen Systems von Springhoch einige wohlverdiente Lobsprüche machte.

»Spart Euern Dank und Eure Lobsprüche, ich bitte, Sir John!« erwiederte der Brigadier, als wir in meine Wohnung zurückgingen. »Wir machten es so gut, als die Umstände erlauben wollten; indeß wäre unsre ganze Vertheidigung zu Schanden geworden, hätte der oberste Richter nicht glücklicher Weise seine eigne Handschrift nicht lesen können. In Hinsicht der Grundsätze und Formen der Monikin’schen Gesetze, – denn darin ist Springniedrig Springhoch sehr ähnlich, – die seht Ihr in diesen zwei Processen ganz so, wie wir sie haben. Ich gebe sie nicht für fehlerfrei aus, im Gegentheil, ich könnte selbst Verbesserungen andeuten, aber wir machen’s mit ihnen, so gut wir können; ohne Zweifel habt Ihr Menschen Gesetzbücher, die besser Probe halten.«