Drittes Kapitel.

Ein Hof, ein Hofkleid und ein Höfling. – Gerechtigkeit und Ehre nach verschiedenen Rücksichten.

Meine Gäste waren nicht so bald fort, als ich nach der Wirthin schickte, um mich zu erkundigen, ob Hofkleider in der Nähe zu haben wären. Sie sagte mir, freilich sei eine Menge zu bekommen, die der Monikins-Gestalt angemessen wären; aber sie zweifle sehr, ob ein Schweif in ganz Springhoch, natürlich oder künstlich, zu finden, der einer Person von meiner Größe paßte. Das war schlimm, und ich dachte mich schwarz und gelb, und bot alle meine Geisteskräfte auf, als Poke in’s Wirthszimmer trat, zwei so furchtbare Ochsenschweife in der Hand, als ich sie nur je gesehen hatte. Er warf mir einen zu und sagte, der Ober-Admiral von Springhoch habe ihm mitgetheilt, es sei eine Einladung sowohl an den Prinzen und ihn selbst als an den Führer des Erstern ergangen, in einer Stunde am Hof zu erscheinen. Er sei, wie er’s nannte, von einem sehr guten Mittagessen fortgeeilt, nur daß nichts Solides dabei gewesen (der Kapitän liebte besonders Pökelfleisch), um mir die uns zugedachte Ehre kund zu thun, und auf dem Weg nach Hause sei er auf Dr. Raisono getroffen, der auf die Nachricht von seiner Botschaft nicht verfehlt hätte, auf die Notwendigkeit einer Hoftracht für die ganze Gesellschaft hinzuweisen. Das war eine Verlegenheit und Rache; denn das Erste, was dem Kapitän einleuchtete, war die gänzliche Unmöglichkeit, etwas dieser Art in ganz Springhoch zu finden, das einem Lord Ober-Admiral von seiner Kiellänge nur einiger Maßen paßte. Denn in einem gewöhnlichen Monikins-Schweif zu gehen, das wäre ja gerade wie ein Dreidecker, der zum Niedermast die Segelstange einer Brigg aufstellte. Aber Doktor Raisono half ihm gütig aus der Verlegenheit, er führte ihn in das naturhistorische Kabinet, wo drei gehörige Anhängsel gefunden wurden, nämlich zwei schöne Reliquien von Ochsen und noch ein Kapitalexemplar, das früher der geistige Hebel oder, wie der Kapitän es ausdrückte, das Steuerruder eines Känguru gewesen war. Das Letztre hatte man aus zarter Rücksicht für die Ehre Großbritanniens dem Prinzen Bob geschickt, der auf einer der königlichen Familie gehörigen Villa, in der Nähe von Aggregation, sich befand.

Ich war Noah sehr für seine Geschicklichkeit bei dem Anlegen meines Hofkleides verbunden; wir hatten nicht Zeit zu vielen Umständen, denn wir erwarteten jeden Augenblick Richter Volksfreunds Rückkehr. Alles, was wir daher thun konnten, war, einen Gürtel von Leinwand zu machen (der Kapitän war immer mit Nadel, Garn u.s.w. versehen), und das dünnere Ende des Schweifs durch ein Loch in dem Gürtel einzufügen, worauf wir denn die Spitze fest an das Zeug heraufzogen und den Gürtel selbst um uns herum banden. Das war freilich nur ein sehr mittelmäßiges Surrogat für das natürliche Anhängsel, und die Haut selbst war so trocken und spröde, daß auch der Allerunaufmerksamste sich nicht denken konnte, es sei nur ein Fünkchen Gehirn oder Geist darin. Diese Vorkehrung hatte noch einen andern Mißstand. Der Schweif bildete fast einen rechten Winkel mit dem Leib, und außer daß er weit mehr Raum einnahm, als uns in Gegenwart des Königs wohl vergönnt wurde, gab er den andern Springern, wie Noah bemerkte, großen Vortheil über uns, die die ihrigen wie Hebel gebrauchen konnten. Indeß ein Seemann ist unerschöpflich in Hülfsmitteln; zwei eingeflochtene Segelstangen brachten sie bald in die Höhe, und so standen sie wie zwei Masten.

Der außerordentliche Gesandte von Springniedrig in Begleitung seines Freundes, des Brigadier Geradaus, kam gerade, als wir gekleidet waren; und die Wahrheit zu sagen, machte der Erstre eine seltsame Figur. Obgleich nach den Springniedrig-Gesetzen verbunden, den Schweif auf sechs Zoll abzustumpfen, und so zu einem wahren Stumpf reducirt, und zwar durch die beiden öffentlichen Meinungen seines Landes, die in diesem Punkt übereinstimmten, erschien er doch gerade mit dem größten Büschel, den ich mich je erinnre, an einem Monikins gesehen zu haben. Ich fühlte mich sehr geneigt, den rotirenden Republikaner über dieses Kokettiren zu verlachen; aber dann fiel mir ein, wie süß jede erschlichene Nachsicht ist, und um mein Leben hätte ich keinen Witz darüber machen können, die Eleganz des Ministers wurde durch die Einfachheit des Brigadier noch auffallender; er hatte seinen Stumpf, freilich einen sehr kurzen, so niedergekämmt, daß dieser dadurch fast unsichtbar ward. Als ich Herrn Geradaus meine Zweifel über seine Zulassung in einem solchen Kostüme äußerte, schnippte er mit den Fingern und gab mir zu verstehen, er wisse es besser. Er erscheine als ein Brigadier von Springniedrig (ich fand nachher, daß er wirklich kein Soldat war, daß er aber nach der Sitte seines Landes unter dem Titel eines Brigadier reiste), und dies sei seine Uniform; er möge doch den Kämmerling sehen, der den Zustand seiner Garderobe zu bekrittlen sich herausnehmen würde. Da es meine Sache nicht war, ließ ich kluger Weise das Gespräch fallen, und wir waren bald im Hofe des Pallastes. Ich übergehe die Parade der Garden, die Staatsmusiker, die Sergeanttrompeter, den Haufen von Bedienten und Pagen, und führe den Leser mit einem Male in’s Vorzimmer. Hier fanden wir das gewöhnliche Gedräng derer, die im Lächeln der Fürsten leben. Es war viel Höfischkeit, viel Bücken und Komplimentiren, und der gewöhnliche Grad edlen Strebens, der Erste zu sein, sich zu freuen im Sonnenschein des Königthums. Richter Volksfreund in seinem Charakter eines fremden Gesandten war bevorrechtet; so genossen wir den Privateingang, und standen nun mit Recht am nächsten an den großen Thüren der königlichen Gemächer. Die Meisten vom diplomatischen Korps warteten schon auf, und ganz natürlich offenbarten sich viele herzliche Aeußerungen der innigen Anhänglichkeit, die sie und ihre Herren mit unverletzlichen Banden der heiligsten Freundschaft vereinten, Richter Volksfreund repräsentirte nach seiner eignen Darstellung eine große Nation, eine sehr große Nation, und doch sah ich nicht, daß er eine warme, eine sehr warme Theilnahme fand. Jedoch da er mit sich und Allen um ihn zufrieden schien, würde es unfreundlich, um nicht roh zu sagen, von einem Fremden gewesen sein, seine Selbstachtung zu stören; und ich gab mir daher ganz besondre Mühe, meine Ansicht auch nicht durch die geringste Andeutung zu verrathen, daß Viele um ihn und seinen künstlichen Schweif als etwas im Wege ansahen; die Höflinge von Springhoch besonders, die ein außerordentlich ausschließliches und feinfühlendes Korps sind, schienen die Vorrechte des Richters ungern zu sehen, und einer oder zwei hielten wirklich ihre Nasen zu, als er mit seinem Büschel ein wenig zu nahe an ihren heiligen Gesichtern hinfuhr, als hielten sie dessen Geruch schon für außer der Mode. Während ich diese stillen Beobachtungen machte, schrie ein Page vom innern Theil des Saals: »Platz für Se. königl. Hoheit den Kronprinzen von Großbritannien!« Der Haufen theilte sich, und der junge Schelm Bob schritt im Saale daher. Er trug das Beingewand als die Basis seiner Toilette, aber der obere Theil war mehr im Einklang mit des Schurken angenommenem Charakter. Die Unionsjacke war über seine Schultern wie ein Mantel geworfen, und ward vom Koch und dem Verschließer des Wallrosses (zweien Schwarzen) getragen. Beide als Krokodille gekleidet. Der Känguru-Schweif war auf eine Art aufgestutzt, daß er hörbare Zeichen des Neids in Poke’s Herzen erregte. Das Aufputzen desselben, lispelte der Kapitän, mache dem jungen Kerl große Ehre; denn es sähe so natürlich aus, als nur immer eine Perrücke, und dann hatte er außer der Aufrichtungsstange noch zwei Griffe, die gleich den Hauptrudern eines Boots dienten, so daß, wenn er den einen in jeder Hand hatte, der Schweif rechts und links wie ein Ruder gebraucht werden konnte. Ich habe diese Beschreibung aus dem Munde des Kapitäns, und hoffe aufrichtig, sie möge dem Leser verständlich sein.

Bob schien seiner Vorzüge sich bewußt; denn als er das obere Ende des Zimmers erreichte, rührte er seinen Schweif und wedelte rechts und links, so daß er eine sehr merkliche und lebhafte Bewunderung in dem Gemüth des Richter Volksfreunds erregte; eine Wirkung, die um so mehr von des Trägers Geschicklichkeit zeugte, da jener hohe Funktionär ex officio verbunden war, für alle Hofeitelkeiten die größte Verachtung zu zeigen. Ich sah jedoch des Kapitäns Augen leuchten, und als der übermüthige junge Narr wirklich die Verwegenheit hatte, seinem Herrn den Rücken zuzukehren und seinen Schweifbüschel gerade unter dessen Nase zu bewegen, konnte Menschennatur nicht länger aushalten. Das rechte Bein des Mylord Ober-Admiral zog sich leise zurück, leise mit der Vorsicht der Katze, die auf etwas losspringen will, und fuhr dann vor, mit einer Schnelligkeit, einer Kraft, die den Kronprinzen ganz und gar vom Boden in die Höhe warf.

Die königliche Selbstbeherrschung Bob’s konnte einen Schrei des Schmerzes und der Ueberraschung nicht unterdrücken, und einige der Höflinge stürzten unwillkürlich vor, ihm zu helfen; denn Höflinge eilen immer unwillkürlich den Fürsten zu Hülfe. Wenigstens ein Dutzend der Damen boten ihre Riechfläschchen mit der liebenswürdigsten Eile und Bekümmerniß an. Um jedoch jeden unangenehmen Folgen zuvorzukommen, eilte ich die Versammlung zu benachrichtigen, daß es in Großbritannien Sitte sei, die ganze königliche Familie zu stoßen und zu treten, und es sei dieß nichts weiter, als der gewohnte Tribut des Unterthans gegen den Fürsten. Zum Beweis dessen, was ich sagte, gab ich dem eitlen jungen Schelmen selbst einige Huldigung, und die Monikins, die wissen, daß verschiedene Gewohnheiten in verschiedenen Ländern herrschen, beeilten sich den jungen Sprößling des Königthums auf dieselbe Weise zu bekomplimentiren; auch der Koch und Beschließer erheiterten ihre lange Weile, indem sie uns nachahmten. Bob konnte die letzteren Huldigungen nicht ertragen und wollte zum Rückzug blasen, als der Ceremonienmeister erschien, um ihn vor den König zu führen.

Der Leser darf sich durch die dem vermeintlichen Kronprinzen erwiesenen Ehren nicht irre führen lassen und glauben, es habe der Hof von Springhoch einige besondere Ehrfurcht vor dem von Großbritannien gehabt. Es geschah blos nach dem Grundsatz, der unsern eignen gelehrten König Jakob I. leitete, als er die liebenswürdige Pocahontas von Virginien nicht sehen wollte, weil sie die königliche Würde durch eine Heirath mit einem Unterthan herabgewürdigt hatte. Die Ehre wurde der Kaste, nicht dem Individuum, seiner Art oder seiner Nation erwiesen. Doch mochten seine Vorrechte herrühren, woher sie wollten, Bob war froh, von Kapitän Poke wegzukommen, welcher schon ziemlich deutlich in seinem Stoningtoner Dialekt erklärt hatte, er wolle seinen Schweif abtakeln. Von dieser gefährlichen Nähe kam er weg, um vor dem König zu erscheinen. Einige Minuten nachher gingen die Thüren auf, und die ganze Gesellschaft ward in die königlichen Zimmer gelassen.

Die Etikette am Hof von Springhoch unterscheidet sich in vielen wesentlichen Stücken von der Etikette eines jeden andern Hof im Monikin-Land. Weder der König noch seine Gemahlin sind je für Einen im Lande sichtbar, so weit als gewöhnlich bekannt ist. Im gegenwärtigen Fall waren zwei Throne an den entgegengesetzten Enden des Saals aufgestellt, und ein prächtiger Purpurdamast so dicht vor jeden gezogen, daß es ganz unmöglich war, zu sehen, wer ihn einnähme. Auf der niedrigsten Stufe stand ein Kämmerling oder eine Kammerfrau, die jede besonders all die Reden hielten und sonst die Rollen des hohen Paars spielten. Der Leser wird sich daher denken, daß Alles, was hier einer von den hohen Personen zugeschrieben wird, in der That durch einen oder den andern der Stellvertreter geschah, und ich nie die Ehre hatte, Angesicht zu Angesicht vor ihren Majestäten zu stehen. Alles, was jetzt erzählt werden soll, wurde durch Stellvertreter von Seiten des Monarchen und seiner Frau gethan.

Der König selbst repräsentirt nur eine Idee: alle Macht gehört seinem ältesten ersten Vetter und jede Verhandlung mit ihm ist daher gänzlich von einem uninteressanten, sentimentalen Charakter. Er ist das Haupt der Kirche, jedoch nach einer sehr weltlichen Art, und alle Bischöfe und die Geistlichkeit fielen auf ihre Kniee und sagten ihre Gebete, obwohl der Kapitän vermuthete, es könnte ihr Katechismus sein; ich erfuhr nie, welches von beiden. Ich bemerkte auch, daß alle seine richterlichen Beamten dasselbe thaten, aber da sie nie beten und ihren Katechismus nicht können, so vermuthe auch ich, ihr Kniebeugen sollte etwas Besseres erbitten, als die Plätze waren, die sie gegenwärtig ausfüllten. Darauf kam ein großer Zug militärischer und Seeofficianten, die soldatenmäßig seine Fußsohle küßten. Die Bürgerlichen waren dann an der Reihe, und zuletzt wurden wir vorgestellt.

»Ich habe die Ehre, den Lord Oberadmiral von Großbritanien Eurer Majestät vorzustellen,« sagte Richter Volksfreund, der sein officielles Vorrecht, zuerst zu gehen, aufgegeben, um uns diese Gunst in Person zu erweisen. Es war nämlich nach einer Durchsicht aller dahin einschlagenden Privilegien entschieden worden, daß nichts Menschliches am Hof vor einem Monikin den Vortritt haben könnte, immer mit der Ausnahme zu Gunsten des Königthums, wie bei dem Prinzen Bob.

»Es freut mich, Euch an meinem Hof zu sehen, Admiral Poke,« entgegnete der König höflich, und zeigte den Takt hohen Ranges, indem er Noah zum großen Erstaunen des alten Robbenfängers bei seinem Familien-Namen anredete.

»König!«

»Ihr wolltet etwas bemerken?« fragte Se. Majestät sehr gnädig, und war etwas in Verlegenheit, zu gestehen was sein Besuch sagen wollte.

»Ei, ich konnte mein Erstaunen über Euer Gedächtnis nicht bergen, Herr König, das Euch in den Stand setzt, einen Namen zu nennen, den Ihr wahrscheinlich nie gehört habt.«

Es entstand nun eine sehr große und eine unerklärliche Bewegung im Kreise. Es schien, der Kapitän hatte in sehr wichtigen Stücken zwei der wesentlichsten Regeln der Etikette ohne sein Wissen übertreten. Er hatte in des Königs Gegenwart eine so gemeine Regung, als das Erstaunen ist, zugegeben, und darauf hingewiesen, der König habe ein Gedächtniß; eine Eigenthümlichkeit des Geistes, welche, da sie für die Freiheiten von Springhoch gefährlich werden könnte, wenn man sie im Besitz eines Andern, als eines verantwortlichen Ministers ließe, dem König selbst zuzuschreiben, schon längst als Felonie erklärt worden. Nach dem Grundgesetz des Landes kann des Königs ältester erster Vetter so viele Gedächtnisse haben, als ihm beliebt, und sie, wie er’s für dienlich erachtet, im Privat- und öffentlichen Dienst gebrauchen und mißbrauchen; aber es wird für ganz unkonstitutionel und unparlamentarisch gehalten, und folglich auch für außerordentlich schlechte Erziehung, auch nur im entferntesten zu verstehen zu geben, der König selbst habe ein Gedächtniß, einen Willen, eine Entscheidung, einen Entschluß, ein Verlangen, einen Begriff, eine Absicht, kurz irgend ein andres intellektuelles Vermögen, das seines »königlichen Vergnügens« allein ausgenommen. Es ist konstitutionel und parlamentarisch, zu sagen, der König hat ein königliches Vergnügen, vorausgesetzt immer, daß das Folgende zeigt, dies königliche Vergnügen sei immer gänzlich zur Verfügung seines ersten ältesten Vetters.

Als man Herrn Poke seinen Mißgriff bedeutete, zeigte er die gehörige Zerknirschung; und die endliche Entscheidung der Sache wurde ausgesetzt, um die Ansicht der Richter über die Nöthigkeit einer Bürgschaft zu vernehmen, die ich schnell für einen alten Schiffsgefährten zu leisten versprach.

Nachdem diese unangenehme kleine Unterbrechung für jetzt weggeräumt war, ging es mit dem Geschäft des Vorstellens weiter.

Noah wurde zunächst vor die Königin geführt, die (freilich immer durch Stellvertretung) sehr geneigt war, den kleinen Fehler, in den er bei Ihrem königlichen Gatten verfallen, zu übersehen und ihn gnädigst zu empfangen.

»Möge es Eurer Majestät gefallen, ich habe die Ehre, Eurer Majestät königlicher Aufmerksamkeit Lord Noah Poke vorzustellen, den Lord Oberadmiral eines fernen und wenig bekannten Landes, Großbritanien,« sagte der Ceremonienmeister mit dem goldnen Stab; denn Richter Volksfreund fürchtete Springniedrig zu kompromittiren, und wollte den Kapitän zu niemand Anders einführen.

»Lord Poke ist ein Landsmann von unserm königlichen Vetter, dem Prinzen Bob!« bemerkte die Königin in einer außerordentlich gnädigen Weise.

»Madame,« fiel der Robbenfänger schnell ein. »Euer Vetter Bob ist nicht mein Vetter, und wenn Eure Majestät nach dem Gesetz ein Gedächtniß oder eine Zuneigung oder sonst etwas der Art haben dürfte, würde ich den Befehl erbitten, den jungen Schelm tüchtig durchprügeln zu lassen.«

Die Majestät von Springhoch stand erstaunt, aber durch Stellvertretung; es schien, Noah war nun wirklich in einen ernsthafteren Irrthum verfallen, als das Versehen bei dem König. Nach dem Gesetz von Springhoch ist die Königin keine femme couverte. Sie kann in ihrem eignen Namen anreden und angeredet werden; sie hat ihren besondern Hofstaat, ohne Dazwischenkunft von Vermittler, und wird betrachtet als mit einem Gedächtniß, einem Willen, einer Zuneigung und sonst dergleichen versehen, nur das »königliche Vergnügen« ausgenommen, worauf sie keinen Anspruch hat. Was sie betrifft, ist des Königs erster Vetter ein todter Buchstabe; er hat nicht mehr Herrschaft über ihr Gewissen, als über das eines Aepfelweibs, kurz Ihre Majestät ist ganz eben so gut die Herrin über ihre eignen Ueberzeugungen und ihr Gewissen, als es nur immer bei Frauen in so hohen Stellungen möglich ist, Interessen zu beherrschen, die für ihre Umgebungen von so großer Wichtigkeit sind. Noah hatte unschuldiger Weise, das glaub‘ ich fest, tief alle die zarten Gefühle verletzt, welche natürlicher Weise mit einem so hoch gebildeten Zustand der Staatsgesellschaft zusammenhängen. Darüber konnte Verzeihung nicht hinausgehen, und ich sah an den düstern Blicken um mich, daß der Kapitän ein schweres Verbrechen begangen. Er ward alsbald ergriffen und von der königlichen Gegenwart weg in ein anstoßendes Zimmer geführt, in welches ich nur nach vielem Bitten und Anrufen der heiligen Rechte der Gastfreundschaft zugelassen wurde.

Ich sah jetzt, daß in Springhoch die Güte der Gesetze so ziemlich nach ähnlichen Principien wie bei uns der Wein erprobt wird, nämlich nach dem Alter. Je älter ein Gesetz ist, desto mehr wird es geachtet, ohne Zweifel, weil es, nachdem es durch sein Fortbestehen unter allen Wechseln der Staatsgesellschaft seine Güte bewährt hat, auch sanfter, wenn nicht annehmlicher, geworden ist. Nun soll nach einem Gesetz von Springhoch, das so alt als die Monarchie ist, wer der Königin Majestät bei einem Lever beleidigt, seinen Kopf verlieren, und wer unter denselben Umständen des Königs Majestät, – nothwendiger Weise das schwerere Vergehen, – seinen Schweif. Durch die erstere Bestrafung wird der Schuldige ohne Weitres begraben und dem gewöhnlichen Lauf der Monikin’schen Wiedergeburt und Auferstehung überlassen; aber durch die letztere hält man ihn für ganz außerhalb des Bereichs der Vernunft gesetzt, er wird der Klasse der rückgängigen Thiere überantwortet. Sein Geist nimmt ab, sein Körper zu, das Gehirn, aus Mangel an Mitteln zur Entwickelung, erhält wieder die aufstrebende Bewegung des Schößlings, die Stirn dehnt sich aus, Knollen erscheinen wieder, und endlich, nachdem er stufenweise in der Leiter des Geistes herabgestiegen, wird er zu einer todten, unempfindlichen Masse. Dieß ist wenigstens die Theorie seiner Bestrafung.

Nach einem andern Gesetz, das selbst noch älter als die Theorie ist, kann Jeder, der in des Königs Palast sich vergeht, nach einem sehr summarischen Proceß gerichtet werden; des Königs Pagen sind die Richter, und die Sentenz wird ohne Aufschub vollstreckt.

Dieß war die Lage, in welche Poke durch eine Unvorsichtigkeit an Hof plötzlich versetzt worden; und ohne meine schnelle Verwendung wäre er wahrscheinlich zugleich an beiden Extremitäten gerichtet worden, und zwar nach einer Etikette, die vorschreibt, daß bei einem Hofgericht weder des Königs noch der Königin Rechte einigen Vorzug haben sollen. Zur Vertheidigung meines Schutzbefohlenen führte ich seine Unbekanntschaft mit den Gebräuchen des Landes an, ja mit denen aller übrigen Länder, nur Stonington ausgenommen. Ich versicherte, der Schuldige sei ein ihrer Aufmerksamkeit ganz unwürdiger Gegenstand, daß er gar kein Lord Oberadmiral, sondern ein bloßer ärmlicher Robbenfänger wäre; ich legte einiges Gewicht auf die Nothwendigkeit, freundliche Verhältnisse mit den Robbenfängern zu unterhalten, die so nah dem Monikins-Land kreuzten; ich suchte die Richter zu überzeugen, daß Noah nichts Böses gemeint, als er dem Könige moralische Eigenschaften beilegte, und so lange er nicht unmoralische dessen königlicher Gemahlin zuschriebe, möge sie wohl Verzeihung ihm angedeihen lassen. Ich führte dann Shakespeare’s berühmte Stelle über Gnade an, die wohl aufgenommen zu werden schien, und überließ die ganze Sache ihrem bessern Urtheil.

Ich würde es sehr gut gemacht und wahrscheinlich die unmittelbare Freilassung meines Freundes erlangt haben, wenn nicht der Staatsanwalt von Springhoch durch Neugier in’s Zimmer gezogen worden. Obwohl er nichts über das Gewicht meiner Gründe zu sagen wußte, machte er doch gegen jeden von ihnen auf den Grund der Form allerlei Einwendungen. Der war zu lang, der zu kurz, der eine zu hoch, der andre zu nieder, ein fünfter zu breit, ein sechster zu schaal, kurz, es war keine Redefigur dieser Art, die er nicht aufgriff, um die Schlechtigkeit der Beweise zu zeigen, nur erinnere ich mich nicht, daß er einen meiner Gründe zu großer Tiefe beschuldigte. Die Sachen nahmen nun eine ernste Wendung für den armen Noah, als ein Page hereinhüpfte, mit der Nachricht, die Verlobung solle so eben Statt finden, und wenn seine Gefährten zugegen zu sein wünschten, müßten sie den Gefangnen ohne Aufschub verurtheilen. Mancher, sagt man, ist gehängt worden, damit der Richter essen konnte; aber im gegenwärtigen Fall, glaube ich, ward Poke verschont, damit seine Richter nicht ein Schauspiel versäumten. Ich legte 50.000 Promessen als Pfand für das gehörige Wiedererscheinen des Angeklagten am folgenden Morgen ein, und wir alle kehrten zusammen in das Audienzzimmer zurück, und traten uns in der Eile, am vordersten zu sein, einander auf die Schweife. Jeder, der je an einem menschlichen Hof gewesen ist, muß sehr wohl wissen, daß, während es das leichteste Ding von der Welt ist, ihn durch eine Verletzung der Etikette in Bewegung zu setzen, Dinge des gewöhnlichen Lebens und Todes ganz und gar nicht seine Ruhe zu trüben vermögen. Dort ist Alles Sache der Routine und Schicklichkeit, und, nach Erfahrung zu urtheilen, ist nichts so unschicklich, als menschliches Mitgefühl zu besitzen zu scheinen. Die Sache verhält sich nicht viel anders in Springhoch; denn Monikin’sches Mitgefühl ist dem Ansehen nach ganz eben so abgestumpft, als das der Menschen, – obwohl die Billigkeit mich zu dem Geständniß zwingt, daß bei Poke das Mitgefühl für ein Wesen verschiedener Art in Anspruch genommen wurde! Es ist ferner ein feststehender Satz in der Jurisprudenz von Springhoch, daß es für den König etwas Ungeheures wäre, sich mit der Rechtspflege zu befassen, obwohl sie immer in seinem Namen geschieht; aber es wird nicht für ganz so unschicklich gehalten, daß er sich mit denen befaßt, die die Gerechtigkeit beleidigt haben.

Als Folge dieser seinen Unterscheidungen, die vollständig zu verstehen eine sehr vorgeschrittene Bildung nöthig ist, empfing König und Königin unsre ganze Gesellschaft bei unserer Rückkehr, als wenn gar nichts besonders vorgefallen. Noah hielt, wie jeder Andre, Haupt und Schweif gerade, und der Lord Oberadmiral von Springhoch ließ sich mit ihm über den Ballast der Schiffe in eine vertrauliche Unterredung ganz eben so freundlich ein, als stünde er auf dem beßten Fuß mit der ganzen königlichen Familie. Diese moralische Kaltblütigkeit darf man nicht dem Phlegma zuschreiben; sie ist in der That das Ergebniß hoher geistiger Zucht, die den Höfling ganz ohne alles Gefühl läßt, nur die Fälle ausgenommen, die ihn selbst betreffen.

Es war jetzt hohe Zeit, daß ich vorgestellt wurde. Richter Volksfreund, der Noah’s Noth mit diplomatischer Unbekümmertheit mit angesehen, erneuerte mir sehr höflich das Anerbieten seiner Dienste, und ich trat vor und stand an dem Throne.

»Sire, erlauben Sie mir, einen sehr ausgezeichneten literarischen Charakter unter den Menschen, einen sehr geschickten Schreiber, Namens Goldenkalb, Ihnen vorzustellen,« sagte der Gesandte, sich vor Sr. Majestät verbeugend.

»Er ist willkommen an meinem Hof,« entgegnete der König durch Stellvertretung; »bitte, Herr Volksfreund, ist das nicht eines von den menschlichen Wesen, die vor Kurzem in mein Gebiet gekommen und so viel Geschicklichkeit gezeigt haben, Chatterino und seinen Hofmeister durch’s Eis zu bringen?«

»Ganz so, Ew. Majestät; und ein sehr schwerer Dienst war es und wohl geleistet.«

»Das erinnert mich an eine Pflicht; laßt meinen Vetter rufen.«

Ich fing nun an zu hoffen, und die Wahrheit des Sprichworts zu fühlen, daß Gerechtigkeit, obwohl manch Mal langsam, nie endlich zu erscheinen verfehle. Ich hatte auch jetzt zum ersten Male des Königs ältesten ersten Vetter recht im Gesicht. Er kam auf den Ruf herbei; und während er mit der größten Aufmerksamkeit auf die Aufträge des Königs zu hören schien, sagte er offenbar diesem Potentaten, was er zu thun hätte. Nach beendigter Konferenz sprach Sr. Majestät Stellvertreter laut genug, um von Allen gehört zu werden, die das Glück hatten, der königlichen Person nahe zu sein.

»Raisono that wohl,« sagte er, »wirklich sehr wohl, daß er diese Proben der Menschengattung uns brachte. Ohne seinen Eifer wär‘ ich gestorben, ohne daß ich mir hätte träumen lassen, die Menschen seien mit Schweifen versehen.« (Die Könige erfassen nie recht die Wahrheit.) »Ich zweifle, daß die Königin es wüßte; bitte, wußtet Ihr, Augusta, daß die Menschen Schweife haben?«

»Unsre Freiheit von Staatsgeschäften gibt uns Weibern bessere Gelegenheit, als Ew. Majestät, diese Dinge zu studiren;« entgegnete seine königliche Gemahlin durch den Mund der Kammerdame.

»Ich weiß nicht recht wie, aber unser Vetter hier meint, es wäre gut, etwas für die braven Leute zu thun; denn es könnte ihren König selbst ermuthigen, hierher zu kommen.«

Ein Ausruf der Freude entfuhr den Damen, die alle einmüthig erklärten, es müsse entzückend sein, einen wirklichen Menschen-König zu sehen; »es würde so spassig sein!«

»Nun, nun,« fuhr der gut gelaunte Monarch fort, »der Himmel weiß, was noch geschehen mag; ich hab‘ schon seltsamere Dinge gesehen. Wirklich, wir sollten etwas für diese guten Leute thun; denn obwohl wir auch das Vergnügen ihres Besuchs größtentheils dem Eifer Raisono’s verdanken, der, wie ich zu meiner Freude höre, große akademische Titel erhalten, so gibt er doch gerne zu, daß nur durch ihre Anstrengung, da keiner von unsern See-Monikins bei der Hand war, es möglich ward, durch das Eis zu kommen. Ich möchte gerne wissen, welches der Geschickteste und Brauchbarste von ihnen ist.«

Hier gab die Königin, immer durch Stellvertretung dankend und sprechend, zu verstehen, es sei billig, es Bob zu überlassen. »Es ist nicht mehr als billig für seinen Rang; denn wenn sie auch Menschen sind, haben sie doch Gefühle wie wir selbst.«

Die Frage ward jetzt Bob anheim gestellt, der über uns alle mit so viel Ernst zu Gericht saß, als wär‘ er von Kindheit an zu solchen Pflichten gewöhnt. Man sagt, der Mensch werde bald mit seiner Größe vertraut, und während der Gefallene nie verfehlt, rückwärts zu blicken, beschränkt der, welcher gestiegen ist, immer seinen Blick auf seinen gegenwärtigen Horizont. So zeigte sich’s auch mit dem Prinzen Bob.

»Diese Person,« sagte der Schurke, auf mich deutend, »ist zwar eine sehr gute Person, aber er ist kaum Einer, wie Ew. Majestät ihn gerade jetzt braucht. Da ist auch der Lord Oberadmiral, aber« – (Bob’s Ader war durch tausend Fußtritte vergiftet) »aber, Ihr wünscht, Sire, zu wissen, welcher von meines Vetters Unterthanen der nützlichste war, um das Schiff nach Springhoch zu bringen.«

»Gerade das wünschte ich zu wissen.«

»Bob deutete nun auf den Koch, der, wie man sich erinnern wird, als einer seiner Schleppträger zugegen war.

»Dieser, denk‘ ich, ist der Mann! Er nährte uns alle, und ohne Nahrung und zwar in beträchtlicher Menge, hätte nichts geschehen können.«

Der kleine Schurke wurde durch Ausrufe der Lust von allen Umstehenden für seine Unverschämtheit belohnt. »Es war eine so feine Unterscheidung,« – »es zeugte von so vielem Nachdenken,« – »es war so tief,« – »es zeigte, wie sehr er den Grund der Staatsgesellschaft würdigte,« kurz, »es war augenscheinlich, England wäre ein glückliches Land, wenn er auf den Thron gerufen würde.« – So wurde der Koch herbeigerufen, um vor Sr. Majestät niederzuknieen.

»Wie heißt Ihr?« lispelte der Kammerherr, der jetzt für sich sprach.

»Jack Coppers, Ihre Gnaden.«

Der Kammerherr theilte es Sr. Majestät mit, wo denn der Souverän durch Stellvertretung Jack den Rücken zuwandte, und nachdem er ihm mit dem Schweif die Akkolade gegeben, ihn aufstehen hieß als »Sir Jack Coppers.«

Ich schwieg, ein verwunderter, erstaunter Zeuge dieses Akts grober, schreiender Ungerechtigkeit. Jemand stieß mich an, und ich erkannte die Stimme des Brigadier Geradaus. »Ihr denkt, die Ehren seien verschwendet worden, wo sie es am wenigsten sollten. Ihr denkt, die Reden Eures Kronprinzen hatten mehr Verschmitztheit als Wahrheit, mehr Bosheit als Ehrlichkeit. Ihr denkt, der Hof habe nach falschen Grundsätzen geurtheilt, und sei mehr einem Impuls, als einem Grunde gefolgt; der König habe seine eigne Bequemlichkeit berücksichtigt, indem er Gerechtigkeit zu üben vorgab; die Höflinge hätten ihrem Herrn gehuldigt, indem sie dem Verdienst zu huldigen schienen, und nichts in diesem Leben sei frei von Falschheit, Eigennutz und Eitelkeit. Ach, das ist nur zu sehr der Fall mit uns Monikins; bei euch, bei den Menschen, macht man es ohne Zweifel viel besser.«