Als Zbyszko die unglückselige Kunde vernommen hatte, eilte er, ohne nach der Erlaubnis des Fürsten zu fragen, in den Stall und befahl, sein Pferd zu satteln. Der Böhme, der sich als Knappe von edler Herkunft mit ihm im Saale befand, hatte kaum Zeit, den warmen Fuchspelz seines Herrn herbeizuholen, und versuchte auch nicht, diesen zurückzuhalten, da sein natürlicher Verstand ihm sagte, daß es doch nichts nütze und nur ein unnötiger Zeitverlust sei. Nachdem er das zweite Pferd bestiegen hatte, nahmen sie am Thore dem Thürhüter die Fackeln ab und setzten sich dann zugleich mit des Fürsten Mannen in Bewegung, deren rascher Aufbruch durch den Kastellan veranlaßt worden war. Vor dem Thore umfing sie undurchdringliche Dunkelheit, doch der Sturm schien sich etwas gelegt zu haben. Vielleicht wären sie außerhalb der Stadt lange in die Irre gegangen, hätte sich nicht jener Bote bei ihnen befunden, der Kunde von dem Unfall gebracht hatte und sie jetzt um so rascher und sicherer geleiten konnte, als er einen Hund mit sich führte, welcher den Weg schon zuvor gemacht hatte. Als sie ins freie Feld kamen, blies ihnen der Wind scharf ins Gesicht. Die Landstraße war voll Schnee, und stellenweise lag er so dicht, daß es nötig war, langsamer zu reiten, da die Pferde bis zum Bauche einsanken. Die Leute des Fürsten hatten ihre Fackeln und Pechpfannen angezündet, und alle ritten dahin zwischen Rauch und Flammen, während der Wind Fackeln und Pechpfannen in ihren Händen heftig hin und her bewegte, als ob er sie zerbrechen und weithin über Wald und Feld tragen wolle. Der Weg war weit, die Ansiedelungen in der Nähe von Ciechanow hatten sie schon hinter sich gelassen, sie kamen an Niedzborz vorüber und wendeten sich nun der Richtung von Radzanow zu. Kurze Zeit vorher hatte sich der Sturm wieder etwas gelegt, die Windstöße waren weniger heftig und führten nicht mehr solche Schneemassen mit sich fort. Einzelne Flocken fielen noch immer, aber bald hörte auch dies auf. Durch die zerrissenen Wolken schimmerte hie und da ein Stern, die Pferde schnaubten, die Reiter atmeten leichter. Mehr und mehr Sterne zeigten sich, der Frost nahm ab. Noch einige Vaterunser hätte man beten können, dann ward alles stille, kein Lüftchen regte sich mehr.

Herr de Lorche, welcher neben Zbyszko ritt, suchte ihn zu trösten, indem er sagte, im Augenblick der Gefahr sei Jurand unzweifelhaft auf die Rettung seiner Tochter bedacht gewesen, und wenn auch alle andern nicht mehr am Leben wären, so würde sie gewiß noch lebend, vielleicht schlafend unter ihren Pelzen gefunden werden. Doch Zbyszko glaubte ihm nicht und hatte schließlich auch keine Zeit mehr, ihn anzuhören, da nach wenigen Augenblicken der vorausreitende Führer von der Landstraße abbog.

Der Jüngling ritt zu ihm heran und fragte: »Weshalb wenden wir uns seitwärts?«

»Weil sie nicht an der Landstraße verschüttet sind, sondern dort an jener Stelle! Seht Ihr das Erlengehölz, Herr?«

Bei diesen Worten zeigte er mit der Hand auf ein Dickicht in einiger Entfernung, das sich deutlich von der weißen Schneedecke abhob, zumal der Mond jetzt hinter den Wolken hervortrat und alles ringsumher erhellte.

»Offenbar sind sie von der Landstraße abgekommen.«

»Ja, sie sind von der Landstraße abgekommen und längs des Flusses im Kreise herumgeritten. Bei Sturm und heftigem Schneegestöber kann dies leicht vorkommen. Sie ritten weiter und weiter, bis die Pferde nicht mehr durchkommen konnten.«

»Wodurch habt Ihr sie gefunden?«

»Wir folgten diesem Hunde.«

»Befinden sich keine Hütten in der Nähe?«

»Ja, aber jenseits des Flusses. Wir sind sogleich dort an der Wkra.«

»Vorwärts also, im Galopp!« rief Zbyszko.

Aber es war leichter, den Befehl zu geben, als ihn auszuführen, denn wenngleich die strenge Kälte gebrochen schien, lag auf den Wiesen der frischgefallene Schnee noch fußhoch, so daß die Pferde bis zu den Knöcheln versanken, und man nur langsam

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Nach wenigen Minuten erblickte man eine unter dem Baume sitzende menschliche Gestalt, welche das Haupt über die Brust herabgebeugt und die Mütze über das Gesicht gezogen hatte.

vorrücken konnte. Plötzlich drang das Bellen des Hundes zu ihnen, unmittelbar vor ihnen aber tauchte ein dicker, knorriger Weidenstamm auf, dessen Wipfel mit den entlaubten Aesten im Mondschein schimmerte.

»Sie sind noch etwas weiter entfernt, dort in der Nähe des Erlengehölzes,« sagte der Führer, »aber auch hier muß etwas sein.«

»Seht den Schneehaufen unter dem Weidenbaum! Leuchtet!«

Einige Mannen des Fürsten stiegen vom Pferde und leuchteten mit ihren Fackeln. Gleich darauf rief einer von ihnen: »Hier ist ein Mensch unter dem Schnee verschüttet. Seht, der Kopf ist frei!«

»Auch ein Pferd!« rief ein zweiter.

»Sofort ans Werk!«

Die Schaufeln gruben sich tief in den Schnee ein und warfen ihn zu beiden Seiten hoch auf.

Nach wenigen Minuten erblickte man eine unter dem Baume sitzende menschliche Gestalt, welche das Haupt über die Brust herabgebeugt und die Mütze über das Gesicht gezogen hatte. Die eine Hand hielt noch die Zügel des daneben liegenden Pferdes, dessen Nüstern tief in den Schnee eingedrückt waren. Offenbar hatte dieser Mann das Gefolge verlassen, um rascher zu menschlichen Behausungen zu gelangen und Hilfe herbeizuholen, als dann sein Pferd gestürzt war, hatte er unter dem Weidenbaum, da wo er den Wind im Rücken hatte, Schutz gesucht und war hier erstarrt von Frost und Kälte.

»Leuchtet!« rief Zbyszko.

Einer von den Leuten hielt seine Fackel an das Gesicht des Erfrorenen, aber die Züge waren nicht zu unterscheiden. Erst als ein zweiter das herabgesunkene Haupt des Leblosen in die Höhe hielt, entrang sich allen der laute Ausruf: »Der Gebieter von Spychow!«

Zbyszko gebot zwei Mannen, ihn emporzunehmen und in die nächste Hütte zu tragen. Er selbst aber machte sich, ohne einen Augenblick zu verlieren, mit den übrigen Leuten und dem Führer auf, um das Gefolge zu suchen. Während er weiterritt, sagte er sich, daß er nun Danusia, sein geliebtes Weib, vielleicht tot vor sich sehen werde, und er spornte sein Pferd, das bis zur Brust im Schnee versank, aufs äußerste an. Glücklicherweise hatte er nicht mehr weit bis zu seinem Ziele, nur einige hundert Schritte.

»Halt!« ertönte es plötzlich aus der Dunkelheit. Es waren die Stimmen der Männer, welche bei den Verschütteten zurückgeblieben waren. Zbyszko sprang vom Pferde.

»Die Schaufeln her!«

Zwei Schlitten waren schon durch die Leute ausgegraben, welche das Wächteramt versehen hatten. Die Menschen in diesen Schlitten waren samt den Pferden vollständig erfroren. Wo sich noch andere Gespanne befanden, das konnte man leicht an den Schneehügeln erkennen, doch waren nicht alle Schlitten vollständig verdeckt. An manchen befanden sich noch die Pferde, die bis zum Bauche im Schnee versunken, offenbar mit aller Gewalt versucht hatten, sich wieder herauszuarbeiten, und bei dieser letzten Anstrengung zu Grunde gegangen waren. Vor zwei Pferden stand, die Lanze in der Hand, ein Mann bis zum Gürtel im Schnee, und unbeweglich wie ein Stein; etwas weiterhin sah man erfrorene Knechte, die noch ihre Rosse festhielten.

Der Tod hatte sie offenbar in dem Augenblick ereilt, da sie die Pferde aus dem tiefen Schnee herausziehen wollten. Ein Gespann am äußersten Ende des Zuges war nicht verschüttet. Der Kutscher saß zusammengekauert, mit den Händen über den Ohren da, hinter ihm, auf dem Sitze, befanden sich zwei Leute, über deren Brust eine herangewehte weiße Decke lag, die sich bis zu dem Schneehügel daneben hinzog und sie einhüllte, gleich einem Tuche, so daß sie still und friedlich zu schlummern schienen. Wieder andere waren zu Grunde gegangen, während sie bis zuletzt gegen den Sturm ankämpften, denn ihre Stellung zeigte, welche Kraft sie aufgeboten hatten. Manche Schlitten waren umgestürzt, an manchen waren die Deichseln zerbrochen. Die Schaufeln enthüllten jeden Augenblick einen gekrümmten Pferderücken, oder einen Pferdekopf, dessen Zähne in den Schnee eingedrückt waren, Männer in jedem Alter, die sich in den Schlitten oder daneben befanden, wurden ausgegraben, aber ein Weib war nirgends zu entdecken. Zuweilen arbeitete Zbyszko selbst mit, bis ihm der Schweiß auf der Stirne stand, zuweilen leuchtete er den Toten ins Gesicht, mit klopfendem Herzen forschte er nach dem geliebten Antlitz – doch umsonst! Die Flammen erhellten nur die strengen, bärtigen Gesichter der Haudegen von Spychow. Doch weder Danusia noch ein anderes weibliches Wesen war zu sehen.

»Wo mag sie sein? Was hat dies für eine Bewandtnis?« fragte sich der junge Ritter immer wieder. Er rief den in einiger Entfernung arbeitenden Leuten zu und fragte sie, was sie entdeckt hätten, doch auch von ihnen waren nur Männer ans Licht befördert worden. Endlich war das schwere Werk beendigt. Die Knechte spannten ihre eigenen Pferde an die Schlitten und fuhren mit den Leichen gen Niedzborz, um dort in den warmen Stuben zu versuchen, ob einer oder der andere von den Totgeglaubten ins Leben zurückgerufen werden könne. Zbyszko blieb noch mit dem Böhmen und zweien seiner Leute zurück. Ihm war plötzlich der Gedanke gekommen, Danusias Schlitten sei vielleicht von den andern getrennt gewesen und wenn dieser Schlitten, wie man wohl annehmen durfte, mit den besten Pferden bespannt war, hatte Jurand möglicherweise angeordnet, daß seine Tochter vorausfahre, und sie hatte dann in einer Hütte unterwegs Schutz gesucht. Was er nun beginnen sollte, wußte Zbyszko selbst noch nicht recht, auf alle Fälle wollte er jedoch nochmals in den vom Wind zusammengewehten Schneehaufen hier in der Nähe, sowie auch im Erlengehölz nachforschen, dann aber umkehren und auf der Landstraße seine Untersuchungen anstellen.

Allein unter dem Schnee war nirgends mehr etwas zu finden. Im Erlenwalde blitzten einige Male glühende Wolfsaugen vor ihnen auf, doch fanden sie keine Spur von Menschen und Pferden. Die Wiese zwischen dem Gehölze und der Landstraße schimmerte hell im Mondschein, und auf der weißen öden Fläche waren zwar in der Ferne hie und da einige dunkle Punkte zu sehen, aber auch dies waren Wölfe, welche sofort entwichen, als die Männer sich näherten.

»Euer Gnaden!« sagte schließlich der Böhme, »es ist vergeblich, daß wir hier noch suchen, denn die Jungfrau aus Spychow hat sich offenbar gar nicht bei dem Gefolge ihres Vaters befunden.«

»So laßt uns auf der Landstraße nachforschen,« erwiderte Zbyszko.

»Auch auf der Landstraße werden wir sie nicht finden. Ich habe wohl darauf geachtet, ob sich in einem der Schlitten eine Lade mit Weiberkleidern befinde. Aber es war keine vorhanden. Die Jungfrau ist in Spychow zurückgeblieben.«

Betroffen von dieser Bemerkung, aber auch voll Freude rief Zbyszko aus: »Gebe Gott, daß es so wäre, wie Du sagst!«

Und der Böhme zog die Sache noch mehr in Erwägung.

»Hätte sie sich in einem der Schlitten befunden,« setzte er hinzu, »so würde der Gebieter von Spychow sie nicht verlassen haben, er hätte sie vor sich auf das Pferd gesetzt und bei ihm wäre sie gefunden worden.«

»So reiten wir nochmals an jene Stelle!« erklärte Zbyszko in erregtem Tone.

Ihn dünkte, es könne so sein, wie der Böhme sagte. Gesetzt nun, sie hätten nicht sorgfältig genug nachgeforscht, gesetzt, Jurand hätte Danusia vor sich auf das Pferd genommen und diese hätte, als es unter ihnen zusammenbrach, ihren Vater verlassen, um für ihn Hilfe herbeizuholen? In dem Falle konnte sie noch in der Nähe irgendwo unter dem Schnee verschüttet sein.

Aber wie wenn er diese Gedanken erraten hätte, nahm Glowacz von neuem das Wort: »Dann würden sich Kleider in einem der Schlitten befinden, denn für den Hof hätte ihr das Gewand nicht genügt, das sie auf dem Leibe trägt.«

Trotzdem alles für die Richtigkeit dieser Behauptung sprach, lenkten sie ihre Pferde nochmals zu dem Weidenbaume hin – aber weder dort noch in dessen ganzem Umkreis konnten sie eine Spur von Danusia finden. Jurand war von des Fürsten Mannen nach Niedzborz gebracht worden, und rings umher herrschte tiefe Stille. Der Böhme machte noch die Bemerkung, daß der Hund, welcher ihnen den Weg zu Jurand gezeigt hatte, sicherlich auch Danusia entdeckt hätte. Nun atmete Zbyszko erleichtert auf, denn ihn überkam beinahe die Gewißheit, daß Danusia in Spychow zurückgeblieben war. Er versuchte sogar, sich klarzumachen, welche Gründe dabei mitgewirkt hatten, er sagte sich, Danusia habe offenbar ihrem Vater alles gestanden, dieser aber habe seine Zustimmung zu dem Ehebund nicht geben wollen, sie sei deshalb absichtlich von ihm zu Hause gelassen worden, er selbst aber habe sich auf den Weg gemacht, um dem Fürsten die Sache vorzustellen und um dessen Vermittlung bei dem Bischof zu bitten. Bei dem Gedanken, daß sich nun vielleicht alles anders gestalten werde, konnte sich jetzt Zbyszko eines Gefühles der Erleichterung, ja der Freude, kaum erwehren, denn er wußte, daß mit Jurands Tode alle Hindernisse beseitigt waren.

»Jurand wollte dies Ehebündnis nicht, aber unser Herr Jesus wünschte es,« sagte sich der junge Ritter, »und sein Wille ist mächtiger.«

Jetzt durfte er nach Spychow reiten, Danusia als sein Weib in Anspruch nehmen und die Ehe vollziehen. Dort an der Grenze konnte die Vereinigung mit seiner Gattin viel leichter zustande kommen, als in Bogdaniec. »Es ist der Wille Gottes! Der Wille Gottes!« wiederholte er unablässig im tiefsten Innern. Plötzlich jedoch schämte er sich dieser voreiligen Freude, und sich zu dem Böhmen wendend bemerkte er: »Es thut mir leid um ihn, dies kann ich laut bezeugen.«

»Die Leute sagen, daß er von den Deutschen gefürchtet wird wie der Tod,« entgegnete der Knappe.

Nach einer Weile fügte er hinzu: »Kehren wir jetzt in das Schloß zurück?«

»Nach Niedzborz!« antwortete Zbyszko.

In der That wendeten sie ihre Pferde Niedzborz zu und ritten in den Hof ein, wo sie von dem alten Erbherrn Jelech empfangen wurden. Jurand trafen sie nicht mehr an, doch Jelech brachte ihnen gute Kunde.

»Man rieb ihn dermaßen mit Schnee, daß beinahe die Haut von den Knochen hing,« sagte er, »man goß ihm Wein ein und brachte ihn in ein Dampfbad, wo er auch wieder zu atmen begann.«

»Er lebt also?« fragte voll Freude Zbyszko, der bei dieser Nachricht sein eigenes Interesse, seine eigenen Angelegenheiten vergaß.

»Er lebt, aber Gott weiß, ob er es überstehen wird, denn die Seele war schon beinahe entflohen.«

»Weshalb ist er aber fortgebracht worden?«

»Weil der Fürst Boten nach ihm ausgesandt hat. Was an Federgebett hier im Hause war, raffte man zusammen, er ward damit zugedeckt und fortgetragen.«

»Und sagte er nichts von seiner Tochter?«

»Er hatte kaum zu atmen begonnen, die Sprache aber noch nicht wiedererlangt.«

»Und die andern?«

»Die andern sind schon bei unserm lieben Herrgott im Himmelreich. Die Aermsten werden nicht bei der Mitternachtsmesse sein, es sei denn, daß sie der anwohnen dürfen, welche unser Herr Jesu selbst im Himmel abhält.«

»So ist keiner von ihnen wieder zum Leben erwacht?«

»Keiner! Doch kommt herein in die Stube, anstatt hier in der Hausflur zu stehen. Und wenn Ihr sie sehen wollt, sie liegen am Feuer in der Gesindestube. Kommt nur herein!«

Doch sie hatten Eile und wollten nicht eintreten, trotzdem der alte Jelech ihnen sehr zuredete, weil er immer gern Leute bei sich sah, mit denen er plaudern konnte. Von Niedzborz nach Ciechanow hatten sie noch eine beträchtliche Strecke zurückzulegen, und Zbyszko brannte vor Ungeduld, Jurand zu sehen und etwas von ihm über Danusia zu erfahren.

Daher ritten sie weiter, so schnell es auf der vom Schnee verwehten Landstraße möglich war. Als sie ankamen, war es schon nach Mitternacht, und die Messe in der Schloßkapelle ging gerade zu Ende. Zu Zbyszkos Ohren drang das Gebrüll von Ochsen, das Meckern von Ziegen, denn die Stimmen der Frommen ahmten nach alter Sitte den Tieren nach, zum Andenken daran, daß der Heiland in einem Stalle geboren war. Die Messe war kaum vorüber, als die Fürstin zu Zbyszko kam. Angst und Schrecken malten sich in ihrem Antlitz und voll Besorgnis rief sie: »Und Danuska?«

»Ist nicht gefunden worden. Hat sich denn Jurand nicht darüber ausgesprochen? Wie ich hörte, ist er ja zum Leben erwacht.«

»Barmherziger Jesu, das ist eine Strafe Gottes! Wehe uns! Jurand sagt nichts und liegt da wie ein gefällter Baum.«

»Fürchtet nichts, allergnädigste Herrin! Danuska blieb in Spychow zurück.«

»Wieso weißt Du dies?«

»Weil sich nirgends, in keinem der Schlitten eine Spur von Frauenkleidern befand. Und mit einem einzigen Gewande wäre sie doch nicht gereist.«

»Das ist richtig, so wahr ich Gott liebe.«

Der Fürstin Augen glänzten sofort wieder vor Freude, und sie rief aus: »Ei, das Jesuskindlein, das heute geboren ward, hätte auch seine Freude an Dir. Sein Segen ist über uns!«

»Jurands Ankunft ohne seine Tochter gab ihr gleichwohl zu denken, und sie fragte daher weiter: »Weshalb aber hätte er sie zurückgelassen?«

Zbyszko teilte ihr seine Vermutungen mit. Sie schienen ihr ganz richtig zu sein, beruhigten sie aber doch nicht vollständig.

»Jurand hat uns nun sein Leben zu danken,« sagte sie, »und auch Dir, denn Du bist ja ausgeritten, um ihn ungefährdet hierher zu geleiten. Er müßte einen Stein in der Brust haben, wenn er jetzt noch hartnäckig auf seinem Willen bestände. In all dem sollte er einen Fingerzeig Gottes sehen und sich nicht mehr gegen das heilige Sakrament auflehnen. Sobald ich ihn sehe und er wieder zum Bewußtsein kommt, werde ich ihm dies sagen.«

»Es ist nötig, daß ich ihn sobald wie möglich spreche, weil ich wissen möchte, weshalb Danusia ihn nicht begleitet hat. Wie, wenn sie nun krank wäre?«

»Sprich nicht davon! Ich beklage es sehr, daß ich sie nicht bei mir habe, doch wenn sie krank wäre, hätte er sie nicht verlassen!«

»Ihr habt recht, allergnädigste Herrin!« erwiderte Zbyszko.

Und sie gingen zu Jurand. Eine feuchte Wärme herrschte in der Stube, die auch hell erleuchtet war, da ungeheure Holzscheite im Krankenzimmer brannten. Der Pater Wyszoniek wachte bei dem Kranken, welcher in Bärenfelle gehüllt, mit bleichem Antlitz und geschlossenen Augen auf dem Bette lag. Seine Haare waren von dem Schweiß dicht zusammengeballt, seine Lippen geöffnet und er atmete so schwer und mühsam, daß sich die Decken über seiner Brust unablässig hoben und senkten.

»Wie steht es mit ihm?« fragte die Fürstin.

»Ich goß ihm einen ganzen Krug mit warmem Wein ein, und er geriet dann in Schweiß,« antwortete Pater Wyszoniek.

»Schläft er oder schläft er nicht?«

»Ich weiß nicht, ob er schläft. Er ist sehr unruhig.«

»Und versuchtet Ihr schon mit ihm zu sprechen?«

»Ja, ich versuchte es allerdings, doch gab er keine Antwort, und daher glaube ich, daß er vor Tagesanbruch schwerlich sprechen wird.«

»Warten wir also bis Tagesanbruch.«

Pater Wyszoniek drang nun inständig in sie, sich zur Ruhe zu begeben, doch hörte sie nicht auf ihn. Es war stets ihr Streben, den christlichen Tugenden der verstorbenen Königin Jadwiga nachzuahmen und es ihr auch in der Krankenpflege gleichzuthun, um durch solche Dienste die Seele ihres Vaters zu erlösen. So versäumte sie denn keine Gelegenheit, um in dem Reiche, das schon seit langer Zeit ein christliches war, alle andern durch ihren Glaubenseifer zu übertreffen, weil es in Vergessenheit geraten sollte, daß sie das Kind heidnischer Eltern war.

Zudem brannte sie vor Ungeduld, aus Jurands Munde etwas von Danusia zu erfahren, da sie sich ihretwegen noch nicht beruhigt fühlte. Nachdem sie am Lager Platz genommen hatte, begann sie den Rosenkranz zu beten und schlummerte dann allgemach ein. Zbyszko, der noch nicht ganz genesen war, sich auch durch den nächtlichen Ritt allzusehr angestrengt hatte, folgte ihrem Beispiel und bald schliefen beide so fest, daß sie vielleicht erst am hellen Tage erwacht wären, wenn nicht um die Morgendämmerung das Glöckchen der Schloßkapelle an ihre Ohren gedrungen wäre. Aber dies erweckte sie und Jurand. Er öffnete die Augen, richtete sich plötzlich im Bett auf und blickte umher.

»Gelobt sei Jesus Christus! … Wie fühlt Ihr Euch?« fragte die Fürstin.

Offenbar kehrte aber sein Bewußtsein nur langsam zurück, da er sie zuerst ansah, wie wenn er sie nicht erkenne, und dann ausrief: »Halt! Halt! Grabt hier im Schnee!«

»Um Gotteswillen! Ihr seid ja schon in Ciechanow!« ließ sich die Fürstin wieder vernehmen.

Doch Jurand runzelte die Stirne, als ob er nur mit Mühe seine Gedanken zu sammeln vermöge, und erwiderte: »In Ciechanow? Das Kind wartet und … der Fürst und die Fürstin … Danuska! Danuska!«

Und plötzlich die Augen schließend, sank er wieder in die Kissen zurück. Zbyszko sowie die Fürstin befürchteten, er sei tot, doch in diesem Augenblick begann er tief und gleichmäßig zu atmen wie ein Mensch, den ein gesunder Schlaf umfangen hält.

Pater Wyszoniek legte den Finger auf den Mund, zum Zeichen, daß man ihn nicht erwecke, dann sagte er leise: »vielleicht schläft er so den ganzen Tag hindurch.«

»Ja, aber was wollte er denn sagen?« fragte die Fürstin.

»Er sagte: Das Kind wartet in Ciechanow!« antwortete Zbyszko.

»Weil er noch nicht vollständig zum Bewußtsein gekommen ist,« erklärte der Pater.