Kapitel 71

 

71

 

Bellamy saß an dem Fenster seines Schlafzimmers, sein Gewehr lehnte an der Fensterbank. Alle Lichter im Dorf waren auf Befehl der militärischen Leitung ausgelöscht, selbst in den Häusern durften die Leute kein Licht machen. Diese Maßregel kam in gewisser Weise Bellamy bei der Verteidigung der Burg zustatten, denn die einzelnen Lichter hatten ihn geblendet.

 

Nun konnte er genau unterscheiden, was vor ihm lag. Plötzlich sah er die drei Leute, die sich langsam die Anhöhe zur Burg emporarbeiteten. Zoll für Zoll glitten sie in der Dunkelheit vorwärts. Er schoß und sie hielten an. Aber das Militär hatte das Mündungsfeuer gesehen, und ein Maschinengewehr wurde gegen ihn in Tätigkeit gesetzt. Er warf sich flach auf den Boden und hörte, wie die Geschosse über seinem Kopf vorbeipfiffen.

 

Als es wieder ruhig wurde, schaute er vorsichtig hinaus. Die drei kamen näher und näher. Als er diesmal feuerte, schien er einen getroffen zu haben, denn er hörte einen Schrei. Die Leute zogen sich zurück, und er benützte die Gelegenheit, in das Wachtzimmer hinunterzugehen. Das Wasser schoß sternchenland.com in zwei grünweißen Strömen aus den beiden zerstörten Hauptrohren. Er stieg über die hölzerne Barriere, die er selbst aufgerichtet hatte, watete zu der eisernen Gittertür und drehte das elektrische Licht an. Das Wasser stand beinahe bis zur obersten Stufe. Bellamy war zufrieden. Die Angreifer würden nicht mehr früh genug kommen, um das Leben dieser Leute zu retten, die er wie Ratten in der Falle ersäufte.

 

In der Halle traf er Sen. Der stumme Chinese zeigte zur Tür und Bellamy verstand. Er vermutete, was die Belagerer vorhatten – sie wollten den Eingang mit Dynamit sprengen.

 

Er ging zum Wachtraum zurück, schloß die eichene Tür, die dorthin führte, ebenso die Tür von der Eingangshalle zu dem Gang. Es würde einige Zeit dauern, bis die Leute entdeckten, was nicht in Ordnung war. Noch längere Zeit würde es in Anspruch nehmen, das Wasser abzustellen. Nichts konnte seine Feinde retten. Mit diesem glücklichen Gedanken ging er zu seiner Stellung in der Tür der Bibliothek zurück, um den Endkampf zu erwarten.

 

Zwei Eingänge führten zur Bibliothek: der eine von der Halle und der zweite vom Fuß der engen Treppe aus, die zu dem darüberliegenden Raum ging, in dem Lacy gewohnt hatte. Diese Tür war gewöhnlich fest geschlossen, aber Bellamy hatte sie nun geöffnet, falls er nach oben fliehen mußte. Er dachte an die Gefangenen unten im Kerker. Das Wasser mußte ihnen jetzt bis zum Hals reichen. Wahrscheinlich standen sie auf der Treppe – in zehn Minuten würden sie tot sein. Nun würden sie wissen, welche Genugtuung er hatte! Auch das Gefängnis der Frau war unter Wasser – wenn sie nur noch dort wäre! Das war der einzige unangenehme Gedanke, den er hatte. Aber sie war ihm entkommen.

 

Plötzlich erfolgte eine Explosion, und eine starke Detonation erschütterte die Grundfesten der Burg. Gleich darauf folgte eine zweite Explosion, und Bellamy wußte, daß das äußere sternchenland.com Tor zerstört war und jetzt nur noch das Fallgatter zu nehmen blieb. Aber dieses war mit Stahl beschlagen und würde länger Widerstand leisten.

 

Er ließ Sen mit dem Gewehr auf dem Knie, auf dem Boden kauernd, zurück und trat in die Bibliothek ein. Er ging seinem Verhängnis mit unerschütterlicher Ruhe entgegen, er war jetzt bereit, zu sterben. Er wollte sich nur noch vergewissern, daß alles, was er sich vorgenommen hatte, ausgeführt war, dann brauchte er nicht mehr länger zu leben.

 

Plötzlich hörte er, daß sich die hintere Tür öffnete, und schaute sich um.

 

»Bleiben Sie stehen, wo Sie sind!« sagte eine fremde Stimme. »Sie kennen mich, Abel Bellamy!«

 

Der Eindringling stand kurze Zeit still und hielt den gespannten Bogen. In der rechten Hand hatte er das Federende eines Pfeiles. Er stand da wie eine Statue, drohend wie das Schicksal. Das Licht, das aus der silbernen Hängelampe herabströmte, glänzte auf dem grünen Pfeil, dessen Spitze auf Bellamys Herz zeigte.

 

»Rühren Sie sich nicht, sonst sind Sie tot. Und ich wünsche nicht, daß Sie sterben, bevor Sie alles wissen.«

 

»Der Grüne Bogenschütze,« stammelte Bellamy abgerissen. »Sie – Sie sind der Grüne Bogenschütze!«

 

»Ich habe Ihre Verbündeten nacheinander ermordet, all die gemeinen Werkzeuge, die Sie anstellten, um Unschuldige und Unterdrückte zu verfolgen. Abel Bellamy, Sie sind der dritte und müssen nun selbst daran glauben. Was können Sie zu Ihrer Entschuldigung sagen, daß ich Sie nicht zum Tode verurteile?«

 

Die Worte hatten einen fremden und schauerlichen Klang. Bellamy wußte nicht, daß sie wörtlich aus der englischen Formel des Todesurteils genommen waren.

 

»Sie – der Grüne Bogenschütze!« Weiter brachte er nichts hervor – seine Gedanken wirbelten durcheinander.

 

sternchenland.com Er konnte den hochaufgerichteten Mann nur hypnotisiert anstarren. Er sah auch den zweiten Pfeil, den er zwischen den Fingern hielt und wunderte sich, welche Kraft der andere aufwenden mußte, um den Bogen so gespannt und ruhig zu halten.

 

Bellamys Pistole lag auf dem Schreibtisch – mit zwei Schritten wäre er dort gewesen. Er überlegte schnell, aber er erkannte, daß der Grüne Bogenschütze auf jede seiner Bewegungen achtete. Er mußte Zeit gewinnen.

 

»Wenn ich irgend etwas getan habe, was ich durch Geld wieder in Ordnung bringen könnte –«

 

»Geld!« sagte der andere zornig. »Wie dürfen Sie es wagen, mir Geld anzubieten? Können Sie damit die acht Jahre gutmachen, die Sie eine unschuldige Frau gequält haben? Kann Geld die Schmerzen auslöschen und die Narben wegwischen, die ein Mann trägt, der auf Ihren Befehl hin mit der Peitsche geschlagen wurde? Können Sie Geld –«

 

»Warten Sie nur, warten Sie,« sagte Bellamy. »Ich kann Ihnen noch etwas mitteilen, worüber Sie sich freuen werden – etwas, was dem Grünen Bogenschützen Spaß macht –«

 

Die Augen des Mannes, der den Bogen hielt, verengten sich.

 

»Was meinen Sie?« fragte er schnell.

 

»Sie sind hier!« rief Bellamy. »Ich habe sie ersäuft wie Ratten – alle! Sie sind jetzt in der Hölle – Featherstone – Valerie Howett! Und Sie, Sie verdammter –«

 

Er sprang zum Schreibtisch und hörte noch die zweite große Explosion. Sie war ein großartiger Salutschuß bei dem Tod eines Mannes, der weder Gott, noch Menschen, noch Gerechtigkeit gefürchtet hatte. sternchenland.com

 

Kapitel 72

 

72

 

Fünf Menschen erwarteten in dem unterirdischen Raum den Tod. Lacy war stumm vor Furcht, Julius und Fay hatten sich umschlungen und waren still und resigniert.

 

»Featherstone!«

 

Jim antwortete nicht.

 

»Sagen Sie, wenn Banknoten naß werden – haben sie dann noch ihren Wert?« Einige unverständliche Jammerlaute von Lacy waren die einzige Antwort, die Julius erhielt.

 

Und dann kam das Wunder. Die Wasser fielen plötzlich schneller als sie gestiegen waren.

 

»Was ist geschehen?«

 

»Das ist noch eine Galgenfrist,« antwortete Jim grimmig. »Die Falltür zu den unteren Kerkern ist gebrochen, und das Wasser fließt dorthin, aber sobald das untere Gewölbe gefüllt ist, steigt es wieder.«

 

»Können wir nicht herauskommen?« winselte Lacy. »Ihnen macht das doch nichts aus, Sie sind ein Polizeibeamter und müssen deshalb mit Gefahren rechnen. Aber es ist vor allen Dingen Ihre Pflicht, uns zu retten –«

 

»Halten Sie den Mund,« fuhr Julius ihn an. Aber Lacy war verrückt vor Furcht.

 

»Sie haben mein Geld, Savini, Sie Schleicher, Sie Dieb – Sie haben es mir abgenommen, als ich bewußtlos dalag!«

 

Fay schrie plötzlich laut auf. Jim hörte, daß jemand geschlagen oder gestoßen wurde und daß das Wasser aufspritzte.

 

»Julius ist fort,« schrie Fay. »Er wird ertrinken – Sie gemeiner Kerl!«

 

Lacy brüllte, als er in das Wasser stürzte. Jim eilte die Treppe hinunter. Das Wasser war noch im Sinken begriffen, und es war keine Gefahr vorhanden, daß einer ertrank. Er erreichte den Boden des Raumes und watete auf die Kämpfenden zu.

 

sternchenland.com Plötzlich fühlte er mit seiner ausgestreckten Hand einen Kopf, ergriff ihn am Haar und zog ihn zurück.

 

»Wollen Sie wohl auf die Treppe gehen, Sie verdammter Hund?« rief er Lacy wütend an. Aber Lacy wandte sich nun ihm zu und stürzte sich auf ihn.

 

Valerie war starr vor Schrecken. Es war ganz dunkel und sie konnte nichts von dem Kampf sehen, der sich da unten abspielte. Aber das Geschrei des halbverrückten Lacy war kaum zu ertragen. Sie fühlte, wie Fay an ihr vorbei die Treppe hinuntereilte.

 

»Julius!« rief sie. Ihr Schreckensruf hallte an den Gewölben des Todesraumes wider.

 

»Mir geht es gut – wo ist der Captain?«

 

»Hier – in der Nähe der Treppe,« rief sie. Als sie selbst weiterging, fiel sie fast auf den Rücken des gebückten Lacy, der Jim an der Kehle gepackt hatte und seinen Kopf unter Wasser hielt.

 

»Gehen Sie zurück zur Treppe,« keuchte Jim, als Fay ihm zu Hilfe kommen wollte.

 

Während des Kampfes war er mit dem Kopf gegen die Wand gefallen und fühlte, wie das Blut an seinen Wangen herunterlief. Fay fiel rückwärts, als die Männer weiterkämpften, aber jetzt war Julius bei ihnen angelangt und mit vereinten Kräften konnten sie den Verrückten überwältigen.

 

»Bringen Sie ihn schnell zur Treppe, das Wasser steigt wieder,« sagte Jim, und sie zogen Lacy Schritt für Schritt vorwärts.

 

Jim hatte diesen Zwischenfall nicht voraussehen können. Es machte schließlich wenig aus, wann das Ende kam, aber ihren schon bis zum Zerreißen angespannten Nerven war die Gegenwart dieses brüllenden, verrückten Mannes unerträglich. Lacy versuchte sich immer wieder freizumachen.

 

»Ich werde ihn vor mir halten,« sagte Jim, als sie endlich wieder auf der Treppe standen.

 

sternchenland.com »Ich will nicht sterben! Nein, nicht sterben!« stieß der vor Todesangst wahnsinnige Verbrecher hervor. »Verdammt noch einmal, Featherstone! Sie haben mich früher schon geschlagen, Sie verrückter Hund! Ihre Schuld ist es, daß ich hier bin! Ich wäre nie hierher gekommen, wenn ich mich nicht vor Ihnen versteckt hätte!«

 

»Seien Sie ruhig, oder ich schlage Sie nieder!«

 

Jim hatte ihn an der Kehle gepackt, und in dieser Lage war Lacy hilflos.

 

»Sie haben mich auf die unterste Stufe gestellt, damit ich schneller ertrinken soll,« heulte Lacy. »Ich wünschte nur, Coldharbour Smith hätte das Mädchen mit sich fortgenommen – dann wären wir alle nicht hier!«

 

»Aber Sie berühren doch mit dem Kopf schon die Decke, Sie können ja gar nicht höher kommen – seien Sie jetzt still!«

 

Jim hörte Worte über sich – zwei Leute sprachen miteinander. Er erkannte aber nur Bellamys Stimme. Um Hilfe zu rufen war vergeblich.

 

»Das Wasser reicht mir schon bis zum Hals,« keuchte Lacy und begann wieder um sich zu schlagen. »Verdammt, lassen Sie mich hinaus!«

 

»Ich stoße Sie die Treppe hinunter, wenn Sie nicht ruhig sind,« sagte Jim ernst. Während er noch sprach, riß sich Lacy los und schlug nach ihm. Aber der Hieb traf Jim nicht. Sie hörten nur, wie Lacy ins Wasser fiel. Sein Schrei ließ Valerie erschauern.

 

»Ich kann nicht schwimmen – Hilfe!«

 

»Bleiben Sie ruhig stehen, Featherstone,« sagte Fay ruhig, aber bestimmt. »Ob der noch ein paar Minuten länger lebt oder nicht, ist wirklich gleichgültig.«

 

Aber Jim hörte die Hilferufe dicht neben sich und zog Lacy wieder auf die Treppe, wo er sicheren Boden unter den Füßen hatte. Lacy schwatzte, weinte und war mehr tot als lebendig.

 

sternchenland.com Jim sprach noch aus, was ihn bedrückte. Er beugte sich zu Valerie vor.

 

»Valerie, ich war eifersüchtig auf John Wood.«

 

»Ich fürchtete, daß es so wäre,« antwortete sie in dem gleichen Ton. »Ich habe ihn gern, ich bewundere ihn, aber es ist nicht die Art Zuneigung, die ich für dich fühle – nur für dich.«

 

Als sie ihren Kopf sinken ließ, berührte ihr Kinn das Wasser, und sie schloß die Augen. Es war jetzt ganz ruhig, nur Lacy wimmerte leise. Es gab keine Hoffnung mehr. Sie konnten sich höchstens noch im Wasser treiben lassen, bis das Ende kam. Jim stellte sich auf die Zehenspitzen, um seinen Mund von dem Wasser freizuhalten und sagte Valerie, sie möchte dasselbe tun.

 

»Was ist das?« flüsterte Julius plötzlich.

 

Sie hörten über sich ein Geräusch, als ob ein schweres Möbelstück gefallen wäre, dann eine Explosion gleich einem Donner. Das Wasser zitterte, und sie fühlten die Erschütterung. Die Explosion mußte ganz in der Nähe stattgefunden haben. Wenn die Polizei noch zur Zeit in die Burg kommen könnte! Es handelte sich um Minuten.

 

Dann hörte Jim über seinem Kopf ein Geräusch, und auf der Oberfläche des Wassers spiegelte sich plötzlich ein Lichtschimmer. Die Tür über ihnen öffnete sich!

 

Er streckte seine Hand aus, aber er mußte das andere Ende der Steintür durch das Wasser drücken.

 

»Savini! Valerie! Helft!« rief er, und ihre Hände vereinigten sich miteinander. Die Drehtür bewegte sich.

 

Oben im Zimmer war jemand, der am anderen Ende der Steintür drückte, um sie zu öffnen.

 

»Sind Sie alle dort?« fragte eine Stimme.

 

»Ja. Können Sie die Tür nicht noch etwas weiter aufdrücken?«

 

sternchenland.com Sie sahen, wie eine Hand über den Steinrand faßte – eine braune, weiche Hand – und nun stand die Tür offen.

 

Fay war die erste, die hinauskam. Sie fiel erschöpft auf den Teppich vor dem Kamin hin. Julius war hinter ihr, und dann bahnte sich Lacy seinen Weg, der in seiner Todesangst rechts und links um sich schlug.

 

Valerie faßte das Ende des Steins, Julius half ihr nach oben. Sie schaute zurück. Jim war verschwunden. Sie starrte in das Wasser.

 

»Wo ist er –« rief sie entsetzt. »Dieser schreckliche Mensch hat ihn ins Wasser gestoßen!«

 

Julius warf Rock und Weste ab und stieg die Treppenstufen wieder hinunter. Er hatte keinen Platz zu schwimmen – er mußte tauchen. Er ging auch ohne Zögern in die Tiefe. Plötzlich berührte er einen Rock.

 

Mit aller Kraftanstrengung gelang es ihm, den bewußtlosen Featherstone auf die Treppe zu bringen. Gleich darauf zogen sie alle zusammen Jim ins Zimmer.

 

Als er die Augen wieder öffnete, sah er einen Soldaten mit dem Gewehr in der Hand. Das Bajonett blitzte im Schein der Lampen. Der Mann stand im Eingang und starrte auf Bellamy, der mit ausgestreckten Armen dalag. Zwei Pfeile waren durch sein Herz geschossen. Sie saßen so dicht beisammen, daß sie einander berührt haben mußten.

 

»Wer hat das getan?« fragte der Soldat.

 

Jim erhob sich mühsam und schaute sich um. Aber der Mann, der die Tür geöffnet und sie gerettet hatte, war verschwunden.

 

Mr. Howett begegnete ihnen unten in der Halle und nahm Valerie mit sich, damit sie den toten Chinesen nicht liegen sehen sollte. Jim überließ sie der Sorge ihres Vaters und ging in die Bibliothek zurück. Er fühlte sich schwach, und sein Kopf schmerzte. Lacys Schlag hatte ihn an der Schläfe getroffen, und er hatte unten die Besinnung verloren.

 

sternchenland.com Das Wasser ergoß sich nun über den Fußboden und hatte schon den Gang zum Speisezimmer bedeckt. Jetzt strömte es auch in die Eingangshalle. Jim schickte einen Polizeibeamten aus, um die Wasserleitung abzustellen. Mit Jacksons Hilfe, der einer der ersten in der Burg war, hob er die Leiche Bellamys auf den Tisch und durchsuchte seine Taschen. Er war noch damit beschäftigt, als Spike Holland ins Zimmer trat.

 

»Ist er tot?«

 

Jim nickte.

 

»Er ist ganz tot – ich beinahe. Holen Sie eine Ambulanz und bringen Sie den da weg.«

 

Dabei zeigte er auf Lacy, der sich noch auf dem Flur wälzte.

 

Als Spike zurückkam, saß Jim auf dem Sofa neben dem toten Mann. Er hatte den Kopf in die Hände gestützt.

 

»Wo ist Savini und seine Frau?« fragte Jim.

 

»Ich habe sie in mein Zimmer geschickt. Savini fragte mich, ob bei mir geheizt sei und ob Wasser Banknoten schaden könnte.«

 

Jim lächelte ein wenig.

 

»Wenn der Grüne Bogenschütze Bellamy getötet hat, so muß er noch im Hause sein,« sagte Spike, während er noch am Tisch saß und auf telephonischen Anruf von der Redaktion wartete. »Er konnte doch nicht durch den unterirdischen Gang kommen.«

 

»Welchen Gang meinen Sie? Etwa den unterirdischen, der von Lady’s Manor hierherführt? Warum könnte er denn nicht von dort gekommen sein?«

 

»Weil alle Türen auf der Innenseite zugeriegelt sind. Sobald ich meinen Bericht zur Redaktion durchgegeben habe, möchte ich diese Sache untersuchen.«

 

»Diesmal habe ich den wirklichen Grünen Bogenschützen gefunden, Holland,« sagte Jim, als er sich etwas steif erhob. sternchenland.com »Ich habe ihn schon vor langer Zeit entdeckt,« erwiderte Spike selbstgefällig. »Es ist Mr. Howett, aber ich kann nicht sagen, ob ich die Sache so in Druck geben werde.«

 

»Wenn Sie das tun, dann drucken Sie eine große Lüge. Der Grüne Bogenschütze ist –«

 

Aber er änderte seine Absicht.

 

»Der Grüne Bogenschütze ist – ?« drängte Spike. »Also Featherstone, nun sagen Sie mir doch noch ein wenig für meinen Artikel. Es ist noch genug Zeit für die Morgenausgabe.«

 

Jim ging zur Tür und schaute zurück.

 

»Vielleicht werde ich es Ihnen niemals sagen,« antwortete er.

 

Kapitel 64

 

64

 

Die graue Frau war also die ganze Zeit in der Nähe gewesen! Vielleicht war sie noch hier und verbarg sich in der Nachbarschaft, so daß er sie unmittelbar hätte erreichen können. Sicher war sie es, er hatte das graue Kleid nach der Beschreibung genau wiedererkannt. Nie hatte sie Kleider von ihm annehmen wollen, und obgleich er ihr die schönsten französischen Modeschöpfungen brachte, trug sie doch von dem Tage an, an dem sie in die Burg kam, stets ihr grauseidenes Kleid.

 

Diesen Abend ging er nicht zu Bett, und am Morgen schloß er sich in der Bibliothek ein, um nicht gestört zu werden. Dann ging er die geheime Treppe zu Savinis Gefängnis hinunter, sternchenland.com öffnete schnell die Tür und war in dem Raum, bevor Julius nach seiner Pistole greifen konnte.

 

»Hände hoch!« rief der Alte. »Ich will Ihren Revolver haben!«

 

Er nahm seinem hilflosen Gefangenen die Waffe aus der Tasche und schloß dann die Tür von innen fest zu.

 

»Ich möchte mich ein wenig mit Ihnen unterhalten, Savini,« sagte er, als er zu Julius zurückging. »Sie haben mir doch gesagt, daß neulich in der Nacht jemand hierherkam, um ein Buch zu holen. Haben Sie mich damals belogen?«

 

»Warum sollte ich denn die Unwahrheit sagen?« fragte Julius finster.

 

»Haben Sie gesehen, wer es war?«

 

»Nein, ich hörte nur das Geräusch, wie die Tür geschlossen wurde.«

 

»Meinen Sie diese Tür?« Der Alte zeigte auf die Öffnung, durch die er gekommen war.

 

Savini nickte.

 

Bellamy ging in das Schlafzimmer und zog den Vorhang vor dem Schrank beiseite. Die Kleider der grauen Frau hingen noch dort wie an dem Tage, als er die Savinis eingesperrt hatte. Er nahm sie und legte sie über den Arm.

 

»Wie lange wollen Sie uns noch hier lassen, Bellamy?« fragte Fay. »Es wird etwas langweilig.«

 

»Sie sind doch bei Ihrem Mann, das ist doch für eine Frau alles, was sie braucht. Und Sie sind ja eine gute Frau, nach allem, was ich von Ihnen gehört habe.«

 

»Werden Sie nicht anzüglich,« sagte Fay. »Das hat hiermit nichts zu tun. Wie lange wollen Sie uns noch hier gefangenhalten?«

 

»Sie werden so lange hier bleiben, wie ich will. Und wenn es Ihnen zu langweilig ist, und Sie Gesellschaft haben wollen, kann ich diese Frage schon lösen.«

 

Sie antwortete nicht. Aber als er sich der Tür zuwandte, sternchenland.com sprang sie ihn plötzlich wie eine wilde Katze an, umfaßte mit ihren Armen krampfhaft seinen Hals und zog ihn nach hinten zurück.

 

»Schnell, Julius!« schrie sie.

 

Aber bevor Savini näherkommen konnte, hatte der alte Mann sie schon abgeschüttelt wie ein Hund eine Ratte und sie fiel dumpf auf den Steinboden. Bellamy nahm sich nicht einmal die Mühe, die Pistole zu ziehen. Mit bloßer Hand stieß er Savini zurück. Julius hätte weinen können, als er seine vollkommene Machtlosigkeit einsehen mußte. Fay war sofort wieder aufgesprungen. Sie sah bleich und gebrochen aus. Aber Bellamy schaute sie jetzt mit anderen Augen an, es lag etwas von Bewunderung für diese kühne Frau in seinem Blick.

 

»Wenn Ihr Mann nur ein klein wenig von der Energie und dem Mut hätte, den Sie besitzen!« sagte er dann.

 

»Das geht Sie gar nichts an,« erwiderte sie verächtlich. »Geben Sie ihm seine Pistole zurück und probieren Sie es mal, Sie Gorilla!«

 

Bellamy lachte und wandte sich wieder dem Ausgang zu. Fay packte ihn noch einmal am Arm und versuchte ihn aufzuhalten, aber er schüttelte sie wieder ab. Als er zur Bibliothek zurückkam, rief er Sen. Dann nahm er die Kleider und ging mit seinem Chauffeur zu einer entlegenen Stelle des Parks in der Nähe der Garage. Sie durchtränkten die Kleider mit Benzin und steckten sie an.

 

»Die Sache wäre also in Ordnung,« sagte Bellamy und stieg wieder in den Gefängniskeller hinunter, um seine Arbeit fortzusetzen.

 

Den ganzen Nachmittag hörte Julius das Klopfen von eisernen Werkzeugen. Aber er gab sich keine Mühe zu sehen, was der alte Mann machte, da er ganz richtig vermutete, daß Bellamy die vergitterte Öffnung dicht verschlossen hielt.

 

sternchenland.com Zum erstenmal kam die Verzweiflung über Julius. Er hatte keine Waffe mehr, mit der er sich und Fay verteidigen konnte. Die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage bedrückte ihn furchtbar.

 

»Es hat gar keinen Zweck,« sagte er, »wir müssen damit rechnen, daß wir hier jahrelang eingesperrt werden.«

 

»Der Gedanke würde mich trösten,« antwortete sie. »Aber hast du noch niemals daran gedacht, was geschieht, wenn der Alte plötzlich stirbt?« Sie schauderte.

 

»Um Himmels willen, gib dich doch nicht so fürchterlichen Gedanken hin!« rief er nervös. »Du glaubst doch nicht – daß wir hier verhungern müssen?«

 

»Julius, ist es denn nicht möglich, die Tür aufzubrechen?«

 

»Keins der Möbelstücke ist schwer genug, es ist auch nichts anderes da, womit man die Tür einschlagen könnte.«

 

Sie biß sich nachdenklich auf die Lippen.

 

»Ich wünschte nur, der alte Teufel käme noch einmal hier herunter. Ich müßte eigentlich eine Dusche haben.«

 

»Was willst du haben?« fragte er ungläubig.

 

»Eine Dusche,« sagte sie ruhig. »Das ist nun einmal eine meiner Schrullen.«

 

Abel Bellamy war immer noch an der Arbeit, wie sie aus dem andauernden Hämmern unten hören konnten. Plötzlich ging Fay zu der Öffnung und kroch so dicht wie möglich an das eiserne Gitter. Sie konnte aber nicht hindurchsehen, die Öffnung war mit einem Sack verhängt.

 

»Bellamy!« rief sie, und nach einer Weile hörte er sie auch.

 

»Was wollen Sie denn?« fragte er und hörte auf zu hämmern.

 

»Wenn Sie uns hier gefangenhalten wollen, dann können Sie es uns doch wenigstens behaglich machen,« sagte Fay kühl, als er den Sack wegzog und sie anstarrte.

 

»Im Gefängnis haben Sie es nicht so komfortabel gehabt, junge Frau. Was wollen Sie denn?«

 

sternchenland.com »Ich mochte eine Dusche haben. Diese Vollbäder bekommen meiner zarten Konstitution nicht.«

 

»Was wollen Sie?« brüllte er und brach in ein schallendes Gelächter aus. Sein Gesicht wurde rot, und sie betrachtete ihn furchtsam. Aber er beherrschte sich sofort wieder.

 

»Vielleicht soll ich Ihnen auch ein Boudoir einrichten? Sie glauben doch nicht im Ernst, daß ich Ihnen eine Dusche anbringen werde?«

 

»Ich will gar nicht, daß Sie irgend etwas anbringen, ich will auch nicht, daß Sie hereinkommen, weil Sie Manieren wie ein Schwein haben,« sagte Fay offen. »Ich will nur einen Gummischlauch haben, um ihn am Wasserhahn anbringen zu können.«

 

Er brummte etwas vor sich hin und ließ den Sack wieder herunterfallen. Nach einer halben Stunde hörte sie, daß er ihren Namen rief und lief zu der Öffnung. Er schob einen roten Gummischlauch hindurch.

 

»Der ist vielleicht etwas zu lang, Sie können ihn ja abschneiden. Wenn Sie aber denken, er wäre zu gebrauchen, um mir damit ins Gesicht zu spritzen, wenn ich hereinkomme, damit ich nichts sehen kann – dann sollen Sie einmal etwas erleben!«

 

Triumphierend nahm sie den Schlauch in Empfang.

 

»Wozu brauchst du ihn denn?« fragte Julius leise, aber sie legte nur ihren Finger an die Lippen und sah ihn bedeutungsvoll an.

 

Als am Abend alles ruhig war, schob sie den Schlauch über eine der Gaslampen. Der Schlauch war zu weit, sie suchte einen Bindfaden und band ihn dicht an den Hahn. In das andere Ende steckte sie die Spitze, die sie von dem Brenner genommen hatte, und machte auch dieses durch Umwickeln mit Bindfaden dicht. Der Sicherheit halber strich sie noch Seife herum. Als sie damit fertig war, drehte sie den Gashahn auf und steckte vorne den Brenner an. Eine lange Stichflamme sternchenland.com schoß heraus. Sie brachte sie an die Türe in die Gegend des Schlosses. Der Schlauch war gerade lang genug, das Holzwerk begann zu rauchen und verkohlte langsam.

 

»Hole Wasser,« flüsterte Fay. »Wir müssen das Feuer auslöschen, sobald helle Flammen herausschlagen.«

 

So arbeiteten sie die ganze Nacht zusammen. Der Raum unten war von beißendem Rauch erfüllt. Um drei Uhr morgens konnte Julius die Türe endlich aufbrechen. Polternd fiel das Schloß heraus.

 

Sie waren vollständig erschöpft, ihre Gesichter waren schwarz vom Rauch, ihre Augen schmerzten fürchterlich, und sie husteten. Fay ging durch die Tür in den Raum unter der Bibliothek und lehnte sich an die Wand. Sie atmete schwer – nun blieb nur noch die Tür unter dem Schreibtisch Bellamys. Sie sah wohl ein, daß dies eine viel schwierigere Aufgabe war, als die Holztür. Wie schwer es sein würde, konnte sie nur vermuten, denn sie besann sich nicht auf alle Einzelheiten, als sie damals hindurchgegangen waren.

 

Durch die offene Tür fiel das Gaslicht aus ihrem Wohnzimmer in diesen Raum. Sie stiegen die Treppe in die Höhe und durchsuchten die Decke.

 

»Es ist vollkommen nutzlos, Fay,« meinte Julius. »Wir können uns höchstens unter der Treppe verstecken und den Alten von hinten niederschlagen, wenn er herunterkommt und uns drüben sucht.«

 

»Womit denn?« fragte sie.

 

»Mit dem Gasschlauch!«

 

Sie gingen beide zurück und betrachteten den Schlauch.

 

»Er ist doch nicht stark genug,« sagte Julius. »Wir müssen etwas Schwereres finden.«

 

Aber trotzdem sie den Raum eingehend durchsuchten, fanden sie nichts, das sie als Waffe hatten gebrauchen können. Julius ging wieder die Treppe hinauf und untersuchte die steinerne Platte. Er stemmte sich in der Nähe der Stelle, wo er sternchenland.com das Schloß vermutete, mit aller Macht dagegen. Plötzlich hörte er Fußtritte über sich und bückte sich instinktiv. Das schwache Läuten einer Telephonglocke drang zu ihm hin, dann sprach jemand.

 

»Ist dort Captain Featherstone? … Können Sie sofort nach Garre Castle kommen? Mr. Bellamy ist um zwei Uhr morgens gestorben. Er hat ein großes Schriftstück hinterlassen, das für Sie bestimmt ist.«

 

Julius war vollständig erstarrt über diese Nachricht und ging schreckensbleich wieder die Treppe hinunter.

 

»Was ist los, Julius?« Fay packte ihn am Arm und sah ihn ängstlich an.

 

»Nichts – es ist nichts,« sagte er heiser.

 

»Du hast doch jemand sprechen hören – hast du etwas verstanden?«

 

»Es war – ich weiß nicht … ich glaube, es war Lacy.«

 

»Lacy? Um diese Morgenstunde? Zu wem sprach er denn?«

 

Julius schluckte.

 

»Er sprach zu Featherstone. Aber es ist besser, daß du es weißt – Bellamy ist tot!«

 

Sie war entsetzt.

 

»Bellamy ist tot?« sagte sie ungläubig. »Wer hat dir das gesagt?«

 

»Lacy hat an Featherstone telephoniert, daß Bellamy ein Schriftstück hinterlassen hätte, das Featherstone lesen soll.«

 

Sie sah ihn argwöhnisch an.

 

»Bellamy ist tot? Und Lacy ruft Featherstone an, daß er herkommen soll? Featherstone würde Lacy doch sofort ins Gefängnis stecken. Glaubst du denn, daß Lacy so dumm ist? Wenn der Alte wirklich ein solches Schriftstück zurückgelassen hat, dann konnte Lacy es ihm doch per Post zuschicken, nachdem er sich selbst gedrückt hatte. Daß Bellamy tot ist, hilft Lacy doch nicht. Die Polizei ist deswegen genau sternchenland.com so hinter ihm her wie früher. Was wird Featherstone nun wohl tun? Glaubst du, daß er Lacy um den Hals fällt, sich an seiner Brust ausweint und sagt, daß alles vergeben und vergessen ist? Nein, Julius! Es ist ja möglich, daß Featherstone in die Falle geht, weil er in Valerie Howett verliebt ist und seine Gedanken nicht beieinander hat. Aber wenn er wirklich bei der Sache ist, dann müßte er doch merken, daß das ein Trick ist. Julius, du bist doch ein merkwürdiger Mensch! Du zitterst hier wie Gelee bei einem Erdbeben und du könntest ohne Hilfe mit Bellamy fertig werden! – Wir wollen aber jetzt wieder in unser Wohnzimmer zurückgehen und die Sache miteinander besprechen. Der Rauch verzieht sich allmählich.«

 

Die Ventilation war so gut, daß sich die Luft schon wieder erneuert hatte, als sie zurückkamen.

 

»Wir werden Gesellschaft bekommen,« meinte Fay. »Der alte Bellamy hält sein Versprechen.«

 

Kapitel 65

 

65

 

Jim Featherstone kleidete sich eilig an und trat in die kalte, verlassene Straße hinaus. Aber dann überlegte er sich, daß es gar nicht so eilte, die Aufzeichnungen des toten Bellamy zu sehen. Er suchte sein Auto im Dunkeln und wurde einige Augenblicke von einem Polizisten aufgehalten, der von irgendwoher auftauchte und einen Automobildieb in ihm vermutete. Er nahm ihn sogar mit zu einer Polizeistation, aber Jim hatte sich bald legitimiert, und eine Viertelstunde nach dem Anruf fuhr er schon am Themseufer entlang und durch die einsame Gegend von Chelson.

 

Bellamy war tot! Es schien fast nicht möglich! Lacy hatte es ihm gesagt – Jim hatte seine Stimme sofort wiedererkannt. Der Mann, gegen den ein Haftbefehl erlassen war, hatte es gewagt, ihn anzurufen. Es mußte etwas Ungewöhnliches sternchenland.com in Garre Castle geschehen sein. Er dachte angestrengt darüber nach.

 

Um halb fünf Uhr morgens fuhr er den Abhang nach Garre hinunter und hielt vor den Burgtoren. Offenbar wurde er erwartet, denn die Türflügel des Straßentors standen weit offen, obgleich er nichts vom Pförtner entdecken konnte.

 

Auch die Tür der äußeren Halle war geöffnet, ebenso der Eingang zur Bibliothek. Ohne Zögern ging er hinein. Plötzlich wurde die Tür hinter ihm zugeschlagen. Wie ein Blitz wandte sich Jim um, aber bevor er seine Pistole ziehen, konnte, wurde er von starken Händen ergriffen. Er wußte gleich, daß es Bellamy war.

 

»Ich freue mich, Sie hier zu sehen, Captain Featherstone,« hörte er seine sarkastische Stimme dicht an seinem Ohr. »Sie sind wohl zu meiner Beerdigung gekommen? Nun, wir werden ja auch ein Begräbnis haben, aber es ist nicht meines!«

 

Bellamy hielt Jim fest, so daß er sich nicht rühren konnte.

 

»Sie kommen gerade zur rechten Zeit,« sagte er vergnügt. »Nun müssen Sie einmal ein wenig mitkommen!«

 

Bellamys Stärke war unglaublich, es wäre Wahnsinn gewesen, sich gegen ihn zu wehren. Ein Schlag dieser großen Faust hätte genügt, ihn zu Boden zu strecken, und dann hätte er kaum noch Gelegenheit gehabt, zu entkommen.

 

»Das ist Ihre frechste Tat, Bellamy, ich glaube nicht, daß Sie jetzt noch ein anderes Verbrechen begehen können,« sagte Jim ruhig, während er neben dem Alten den Gang entlangschritt, der hinter dem Speisezimmer zu der gewölbten Halle führte, von wo aus man in die unterirdischen Kerker kam.

 

»Es wird vielleicht auch mein letztes Verbrechen sein,« stimmte Bellamy zu. »Daß ich Sie einfach gefangennehme, sternchenland.com muß Ihnen doch schon sagen, was ich beabsichtige. Dies ist mein letzter Mord und der wird grandios werden!«

 

Jim sah das Eisengitter nicht, als er die Treppe hinuntergebracht wurde. Er war davon überzeugt, daß der Alte ihn zu den tiefer gelegenen Zellen bringen wurde, wo er seine schlimmsten Feinde einkerkern wollte. Er war deshalb überrascht, als Bellamy mit einem kurzen Griff ihm die Pistole aus der Tasche zog, als sie erst an dem Fuß der Treppe angekommen waren. Bellamy ließ ihn dann los.

 

»Ich werde Sie hier im Dunkeln lassen.«

 

Er nahm die brennende Laterne, die offenbar für Jims Ankunft hierhergestellt worden war.

 

»Ich bin neulich in der Stadt gewesen, Featherstone,« sagte Bellamy plötzlich. »Sie werden es auch wissen, denn zwei Ihrer Beamten haben mich die ganze Zeit verfolgt. Ich habe meinen Arzt aufgesucht. Er sagt, daß ich Arterienverkalkung im höchsten Grade habe und jeden Augenblick am Schlag sterben kann. Das hat mich natürlich sehr interessiert, denn ich hatte mir noch so manches vorgenommen, bevor es mit mir zu Ende ist. Und einer meiner Pläne war, Sie hier gefangen zu setzen. Dieser Savini,« fuhr er in Gedanken fort, »hat hier zuviel gelesen. Und eines der Bücher war Geschichte. In den alten Tagen, wenn ein großer König auszog, pflegte man eine Schar seiner Söldner zu opfern – es machte ihm den Tod ein wenig leichter, zu wissen, daß andere denselben Weg gehen mußten. Und dasselbe ereignet sich nun für mich, Featherstone.«

 

Er nahm seine Laterne auf und schwang sie im Rhythmus hin und her, als ob er sie im Takt mit einer unhörbaren Melodie hielte, die ihm durch den Sinn ging.

 

»Und es ereignet sich auch für Sie, mein Junge,« sagte er.

 

Halb auf der Treppe wandte er sich noch einmal um und sah zurück.

 

»Wenn Sie etwas wünschen –« er zeigte auf die Mauer sternchenland.com – »Sie werden Savini dort finden. Sie brauchen nur nach ihm zu klingeln. Gute Nacht!«

 

Er war so höflich, als ob er sich von einem ehrbaren Gast verabschiedete. Aber als er das Gitter mit einem Krachen fallen ließ und mit dem Vorhängeschloß sicherte, lag ein Lächeln auf seinem Gesicht, das glücklicherweise niemand sah, denn es machte ihn noch weniger anziehend als sonst.

 

Sen wartete in der Halle.

 

»Nimm das Auto dieses Mannes, Sen, fahre es bis zur Brücke, ungefähr drei Meilen von hier. Dort läuft ein Pfad entlang, du hast ihn gesehen?« Sen nickte. »Fahre direkt ins Wasser. Du kannst zu Fuß zurückgehen oder dein Rad auf dem Wagen mitnehmen, das wird leichter sein.«

 

Er sah nach der Uhr, es war ungefähr fünf.

 

»Es sind noch zwei Stunden bis Tagesgrauen,« stellte er mit Genugtuung fest und ging zu seinem Zimmer zurück, wo jemand auf ihn wartete.

 

Featherstone hörte, wie die eiserne Gittertür oben zuschlug und vermutete, warum er hier gefangengesetzt worden war. Als er allein war, untersuchte er zunächst sorgfältig alle seine Taschen. Er fand nur seine Pfeife und wenn er sein Taschenmesser nicht mitrechnen wollte, so war er vollständig ohne Waffen. Seine Gefängniszelle lag in vollkommener Dunkelheit, und es war ihm unmöglich, die Hand vor den Augen zu sehen. Die einzige Lichtquelle, über die er verfügte, war das Zifferblatt seiner Armbanduhr, das so hell leuchtete, als ob die Zahlen mit Feuerschrift geschrieben wären.

 

Er tastete sich vorwärts, erreichte eine Wand und ging langsam an dieser entlang. Er erwartete, jeden Augenblick über den Körper Julius Savinis zu stolpern. Aber er war schon vollkommen in dem Raum umhergegangen, ohne seinen Leidensgefährten gefunden zu haben. Er hatte es schon aufgegeben und suchte nach einem Platz, wo er sich hinsetzen konnte, als er plötzlich eine Stimme flüstern hörte.

 

sternchenland.com »Wer ist dort?«

 

»Featherstone,« antwortete Jim. »Sind Sie das, Savini?«

 

»Ja, ich bin es, Fay ist auch hier.«

 

»Wo sind Sie denn?«

 

»In Bellamys Luxuszelle,« erwiderte Fay. »Strecken Sie einmal Ihre Hand aus, dann fühlen Sie ein Gitter.«

 

Jim tat es und berührte plötzlich eine kleine schmale Hand, die er schüttelte.

 

»Meine liebe, arme Fay,« sagte er sanft, »so hat er Sie doch noch zwischen seine Zangen bekommen.«

 

»Ich würde es nicht Zangen nennen, es ist einem Grabgewölbe ähnlicher,« antwortete Fay. »Dies ist schrecklicher und schlimmer als irgendein Gefängnis, in das Sie mich früher hätten hineinstecken können.« Dann sprach sie leiser. »Wir müssen vorsichtig sein, es ist möglich, daß er oben an der Treppe lauscht.«

 

»Ich glaube nicht,« meinte Jim. »Ich hörte ihn den Gang entlanggehen, außerdem sagte er mir, daß ich Sie hier irgendwo finden würde. Wo sind Sie denn eigentlich?«

 

»In dem Gefängnisraum, in dem er die Frau gefangenhielt,« antwortete Fay. »Sie wissen doch, die Frau, nach der Sie so gesucht haben, Mrs. Held.«

 

»Ist sie nicht mehr da?« fragte Jim erstaunt.

 

Er hörte nichts mehr und nahm an, daß Fay den Kopf schüttelte.

 

»Ich vermute, daß noch jemand anders kommt? Ist außer Ihnen und Julius niemand in der Zelle – mein Gott!« Plötzlich erinnerte er sich an Valerie.

 

»Denken Sie an Miß Howett?« fragte Fay, die ihn verstanden hatte. »Ich würde mir an Ihrer Stelle keine Sorgen machen, Featherstone. Aber sagen Sie, haben Sie ein Messer bei sich?«

 

sternchenland.com »Ja, ich habe ein kleines Messer bei mir,« erwiderte er in demselben leisen Ton.

 

»Tasten Sie doch einmal das Eisengitter entlang,« bat sie ihn. »Es ist möglich, daß der Zementmörtel noch nicht vollständig hart geworden ist.«

 

Er tat so, wie sie gesagt hatte, nahm sein Messer und versuchte, die granitharte Oberfläche aufzukratzen, in der das Gitter eingelassen war.

 

»Das ist nutzlos. Ich kann nichts machen. Sie sind doch tatsächlich schon ziemlich lange hier – seit dem Tag, an dem Sie diese Burg verlassen haben sollen?«

 

»Hat Bellamy Ihnen das gesagt?« fragte Julius. »Hören Sie, Captain, wir haben die Tür, die zu unserer Zelle führt, geöffnet. Aber wir können die obere steinerne Falltür nicht zwingen.« In wenigen Worten erklärte er ihm den Mechanismus dieser Tür, die von Bellamys Bibliothek herunterführte.

 

»Das hätte ich eigentlich wissen sollen, daß dort eine Treppe war,« sagte Jim bitter. »In den alten Plänen der Burg wurde die Bibliothek stets Gerichtshalle genannt, und in alten Burgen steht die Gerichtshalle direkt in Verbindung mit den Gefängnissen. Gewöhnlich führt eine Steintreppe hinunter, man kann es überall beobachten, in Nürnberg, selbst im Tower und im Schloß von Chillon. Wenn ich nicht der größte Tor gewesen wäre, der jemals bei der Polizei diente, hätte ich den Fußboden untersuchen müssen. Haben Sie eigentlich eine Pistole?«

 

»Nein, er hat mir meinen Revolver weggenommen.«

 

»Ich habe mich noch niemals so schwach gefühlt, Savini, als jetzt, wo ich mich in seiner Gewalt befinde. Haben Sie ihn gesprochen?« fragte er besorgt. »Hat er irgend etwas über Miß Howett gesagt oder daß er die Absicht hätte, sie auch hierherzubringen? Jetzt wird er vor nichts mehr zurückschrecken. Nachdem er mich hier gefangen hält, hat er alle Brücken hinter sich abgebrochen.«

 

sternchenland.com »Vielleicht hat Bellamy ein paar Werkzeuge in Ihrem Raum zurückgelassen,« sagte Julius. »Warten Sie, ich will sehen, daß Sie etwas Licht bekommen. Wir haben nämlich das Eisengitter verdeckt, weil wir nicht wollten, daß der Alte uns von dort aus beobachten kann.«

 

Fay nahm das Bettuch fort, das das letzte Ende des kleinen Tunnels bedeckte, und im Augenblick war der Gefängnisraum, in dem sich Featherstone befand, so hell, daß er alle Ecken sehen konnte. Fay verschwand und reichte ihm, als sie zurückkam, eine Tasse dampfenden Kaffees durch die Gitter hindurch.

 

»Wie haben Sie denn eigentlich die schwere Tür aufgebracht?« fragte Jim, und sie erzählten ihm beide von Fays Plan und seiner glücklichen Durchführung.

 

»Ich hatte schon die Absicht, dieselbe Methode bei diesem Eisengitter zu versuchen, aber dazu müßten wir ein Brecheisen oder sonst ein starkes Instrument haben, und das besitzen wir nicht,« sagte Julius traurig. »Wenn es Tag geworden ist, könnten Sie vielleicht einmal die Treppe von Ihrer Zelle nach oben gehen und versuchen, ob Sie sie nicht aufmachen können, Featherstone.«

 

»Ich verstehe immer noch nicht, warum er dieses Loch in die Wand gemacht hat. Sicherlich hat er es nicht getan, damit wir uns besser unterhalten können,« unterbrach ihn Fay. »Darauf möchte ich meinen Kopf wetten, Bellamy gehört nicht zu diesen Leuten. Wenn es nicht dieses schreckliche Eisengitter wäre, würde ich mich auch nicht so fürchten. Aber jedesmal, wenn ich es sehe, schaudert mich.«

 

Langsam wurde es Tag. Jim hatte wenigstens etwas Sonnenschein in seinem Raum. Ein Strahl des hellen Lichtes schien durch die rostige Eisentür oben am Eingang zu der Treppe. Sobald es hell genug war, stieg er nach oben, griff durch die Gitter hindurch und konnte das Vorlegeschloß fassen. Aber als er es untersucht hatte, wußte er, daß es keine Hoffnung sternchenland.com gab, auf diesem Wege zu entkommen. Das Schlüsselloch war von einer ganz besonderen Beschaffenheit. Wenn er sich sehr weit vorbeugte, konnte er sehen, daß die Tür des Ganges oben fest zugemacht war. Auch erinnerte er sich daran, daß sie besonders stark war. Auch ein noch so lautes Rufen war nutzlos, da ja kein Dienstbote im Schloß war.

 

Zum erstenmal sah er das große Gelenkknie eines dicken Leitungsrohres, das aus der Wand des Wachtraumes hervorragte und durch den Boden hindurchging. Er untersuchte, was es wohl sein mochte.

 

»Es gibt zwei solche Rohre,« sagte Julius. »Der Alte wollte früher ein Schwimmbassin in der Nähe der Burg anlegen, deshalb hatte er das Wasser dorthin gelegt. Es hat ihn schon Tausende gekostet, bis ihm nachher einfiel, daß er es nicht brauchte. Es ist eins an jeder Seite. Ich glaube nicht, daß Sie das andere von dort aus sehen können.«

 

Jetzt erkannte Featherstone plötzlich, warum Bellamy das Gitter zwischen den beiden Gefängnissen angebracht hatte.

 

Kapitel 66

 

66

 

Mr. Howett und Valerie saßen beim Frühstück, als Spike Holland mit einer großen Neuigkeit zu ihnen kam. Sie sah sofort an seinem Gesicht, daß etwas Ungewöhnliches geschehen war.

 

»Ist Featherstone vorigen Abend hier gewesen?« fragte er schnell.

 

»Nein,« sagte Valerie besorgt, »warum meinen Sie?«

 

»Ich habe gerade telephonisch mit Jackson gesprochen, er ist der Assistent Featherstones,« berichtete Spike. »Er sagt, daß der Captain in der vergangenen Nacht fortgerufen worden sei. Seine Wohnung war leer, als sein Diener heute morgen dorthin kam, – auch sein Auto war fort – es wurde sternchenland.com dann später im Fluß gefunden, drei Meilen von hier entfernt.«

 

Valerie Howett wurde es dunkel vor den Augen, und sie war einer Ohnmacht nahe. Spike sprang schnell an ihre Seite.

 

»Er hatte eine Botschaft von Garre bekommen. Die Polizei hat die Telephonzentrale kontrolliert. Das Gespräch ist von der Burg aus geführt worden. Danach kann man genau feststellen, wann Featherstone weggefahren ist,« fuhr Spike fort. »Ob er zu der Burg gegangen ist, wissen wir nicht. Jackson will nicht, daß ich mit Bellamy spreche, bis er hier ist. Er kommt von Scotland Yard mit einem Erlaubnisschein, die Burg zu durchsuchen. Ich glaube, daß es für Bellamy sehr viel Unannehmlichkeiten geben wird.«

 

Mr. Howett wollte eigentlich in die Stadt fahren, aber auf diese Nachricht hin entschloß er sich zu bleiben. Valerie bestand jedoch darauf, daß er doch abfuhr, denn sie wollte allein sein. Sie war davon überzeugt, daß Jim noch am Leben sei, eine innere Stimme sagte es ihr, aber ebenso stand es bei ihr fest, daß er in Bellamys Hand gefallen war.

 

Als die Polizeiautos ankamen, war sie auch im Ort. Der weißhaarige Chefinspektor selbst leitete die Unternehmung und interviewte Spike sofort nach seiner Ankunft.

 

»Sie haben doch nicht etwa Bellamy gesehen und ihn gewarnt?«

 

»Allein,« antwortete Spike bestimmt.

 

»Sind Sie auch ganz sicher, daß Captain Featherstone hierherkam – zu der Burg – meine ich?«

 

»Ich kann Ihnen auch nur das erzählen, was mir gesagt wurde. Ein Arbeiter, der heute morgen auf der Straße ging, sah einen Wagen, der dem Auto Featherstones sehr ähnlich war, aus dem Parktor herausfuhr und die Richtung nach London nahm.«

 

»Das muß auch stimmen,« sagte der Beamte. »Der sternchenland.com Wagen zeigte die Richtung nach London, als er aufgefunden wurde.«

 

Er sah sich die festgeschlossenen Parktore an. An der Seite des einen Mauerpfeilers war eine elektrische Glocke angebracht, und er klingelte. Es kam keine Antwort vom Portier. Er klingelte noch einmal länger. Die Tore waren zu hoch, um darüber wegzuklettern, und der Chefinspektor faßte einen schnellen Entschluß. Ein Traktor kam gerade des Wegs und er hielt ihn an.

 

»Fahren Sie doch einmal mit Ihrem Wagen mit aller Gewalt gegen dieses Tor,« sagte er kurz.

 

»Da geht das Tor doch in Trümmer,« entgegnete der aufgebrachte Chauffeur.

 

»Das wollen wir doch gerade.«

 

Der Traktor donnerte gegen das Tor mit halber Geschwindigkeit. Mit lautem Krachen und Poltern öffneten sich die Torflügel, und der Weg war frei.

 

Sie traten gerade aus den Büschen heraus und konnten von den vorderen, gittergeschützten Fenstern der Burg gesehen werden, als sie einen scharfen Knall hörten. Einer der Beamten, der neben Spike ging, strauchelte, fiel auf die Knie, schaute sich wild um und brach dann in einer Blutlache zusammen.

 

»Schnell aus der Schußlinie,« rief der Chefinspektor und seine Leute warfen sich auf die Erde.

 

Bellamy war also zum Äußersten entschlossen.

 

Valerie hörte den ersten Schuß und wußte gefühlsmäßig, was sich ereignet hatte. Eine kleine Menschenmenge, die sich an den zerstörten Toren angesammelt hatte, wurde von der Lokalpolizei zurückgetrieben.

 

»Es ist gefährlich, mein Fräulein,« warnte ein Polizist. »Er feuert aus der Schießscharte in dem Turm, ich sah den Rauch dort herauskommen.«

 

Schon pfiff wieder eine Kugel dicht an ihr vorüber. Der sternchenland.com Mann zog sie schnell aus der Schußlinie fort. Das Geschoß hatte das Glas einer Straßenlaterne zerschlagen und die Dachziegel eines Hauses zerbrochen.

 

»Das ist noch einmal gut gegangen, mein Fräulein. Ich wette, daß die für Sie bestimmt war.«

 

Valerie war froh, daß ihr Vater fortgefahren war, bevor die Polizei ankam, denn er würde sehr erschrocken sein über die Gefahr, in die sie sich begab. Sie handelte nicht richtig, weder ihm noch Jim gegenüber – Jim, der in diesem Augenblick als Gefangener hinter jenen grauen Mauern saß. Und doch konnte sie nicht fortgehen, bis sie wußte, was sich ereignen würde.

 

Spike kam auf sie zu, sein Gesicht war rot vor Aufregung.

 

»Bellamy verteidigt die Burg,« rief er mit einem fast hysterischen Lachen. »Ich sagte ja Syme, daß sich die Sache entwickeln würde, aber der arme alte Narr glaubte es nicht.«

 

Krach!

 

»Er schießt weiter,« schrie Spike.

 

»Ist Captain Featherstone hier?«

 

»Vermutlich.« Ihr schien das die größte Gefühllosigkeit. »Sie werden niemals die Burg stürmen können. Der Polizeiinspektor schickt nach Reading um eine Kompagnie Soldaten, und sie glauben, daß sie Artillerie mitbringen um die Tür einzuschießen, aber das würde nicht viel nützen.« Ohne ein Wort der Entschuldigung eilte er fort zu dem Gasthof und zu dem Telephon, um den bestürzten Mr. Syme zu sprechen.

 

Später erfuhr Valerie, daß man in London abgeneigt war, militärische Kräfte zur Einnahme der Burg zu verwenden, da Bellamy Bürger eines Landes war, das man nicht beleidigen wollte. Man hatte versucht, in telephonische Verbindung mit Bellamy zu kommen und nach verschiedenen Mißerfolgen wurde schließlich eine Verbindung hergestellt.

 

»Sie ergeben sich besser, Bellamy,« sagte der Polizeiinspektor. »Es wird am Ende leichter für Sie sein.«

 

sternchenland.com »Ich weiß, was am leichtesten für mich ist,« sagte Bellamy. »Geben Sie mir zwölf Stunden Bedenkzeit.«

 

»Sie können eine Stunde haben.«

 

»Zwölf,« war die kurze Antwort. »Es wird länger als zwölf Stunden dauern, bevor Sie mich auf irgendeine andere Weise haben.«

 

Valerie kam noch einige Male zu dem Parktor. Die Polizeikräfte waren verstärkt worden, und es wurde ein großer Cordon gezogen, um die Annäherung jedes Unbeteiligten zu verhindern. Gewehre wurden für die Polizisten gebracht, und das planlose Schießen auf beiden Seiten ging während des Nachmittags fort.

 

In großer Sorge kehrte sie am Nachmittag nach Hause zurück. Alle Dienstboten waren fortgegangen, um dieses seltsame Schauspiel zu sehen. Es kam ihr plötzlich ein Gedanke. Sie ging zu der Gartenmauer, legte eine Leiter an und stieg auf die Spitze. Von hier ans hatte sie eine klare Übersicht über das Feuergefecht. Die Schüsse und der Rauch kamen von den Schießscharten oberhalb der Burgkapelle. Es war ein außerordentlich guter Platz, denn von hier aus beherrschte man nicht nur den Eingang zu dem Pförtnerhaus, sondern auch alle anderen Stellen, von denen aus man sich dem Gebäude nähern konnte. Dort hinter den alten grauen Steinmauern, die so manche Belagerung ausgehalten und Blüte und Niedergang der englischen Ritterschaft gesehen hatten, über denen die Banner der Kreuzfahrer geweht hatten, als sie ins heilige Land zogen, stand ein Mann, der alle Gesetze der Welt verachtete.

 

Plötzlich schlug ein Geschoß dicht neben ihr auf der Gartenmauer ein, so daß der Stein zersplitterte. Im Nu eilte sie die Leiter hinunter, aber ein zweiter Schuß traf die Oberfläche der Mauer an der Stelle, wo sie eben gestanden hatte. Ein Steinsplitter streifte ihre Hand und verwundete sie leicht.

 

sternchenland.com Bellamy hatte diese Schüsse nicht abgefeuert. Er wandte sich dem stummen Chinesen zu, der an einer anderen Schießscharte kauerte. Plötzlich packte ihn Bellamy am Arm, richtete ihn auf und schaute ihn drohend an.

 

»Das ist nun schon das zweitemal, daß du nach ihr geschossen hast, du dummer Kerl! Habe ich dir nicht gesagt, du sollst sie in Ruhe lassen?«

 

Über Sens Gesicht huschte ein merkwürdiges Lächeln, dann lud er sein Gewehr wieder.

 

»Schieß doch lieber auf die Büsche, wo die Polizisten sind!« sagte der Alte.

 

Bellamy selbst ging nach unten in sein Schlafzimmer, um die eisernen Fensterläden herunterzulassen, denn in dieser Nacht würde der Gegner eventuell versuchen, die Burg zu stürmen.

 

Nachdem er dies getan hatte, ging er in die Halle, um das Fallgatter zu besichtigen, das nur wenige Besucher jemals gesehen hatten. Es hing in einem Schlitz der Steinmauer, war den Blicken verborgen und konnte heruntergelassen und aufgezogen werden mit derselben Leichtigkeit, mit der man die äußeren Türen öffnen konnte. Er machte die Stricke, die sie festhielten, lose, und zog daran. Langsam kam das Gatter herunter und schloß den Eingang. Als er es unten befestigt hatte, eilte er den Gang entlang zu den Kerkerzellen.

 

»Sind Sie da, Featherstone?«

 

Jim antwortete ihm.

 

»Ihre Freunde sind draußen, vermutlich wissen Sie das schon!«

 

»Ich hörte die Schüsse.«

 

»Zuerst habe ich geschossen, aber jetzt haben sie Gewehre unter den Mannschaften ausgeteilt. Über Nacht werden sie irgend etwas unternehmen, Featherstone.«

 

Langsam kam Jim die Treppe herauf, faßte an zwei der eisernen Gitterstangen und schaute aus dem Gefängnis hinaus. sternchenland.com »Sie werden Sie fassen, Bellamy,« sagte er ruhig.

 

»Ja, wenn ich tot bin. Glauben Sie, daß ich mich deshalb gräme?« Er schaute gelassen in Featherstones Gesicht, der ihn unentwegt ansah. »Sie irren sich, ich bin niemals in meinem Leben so zufrieden und glücklich gewesen wie jetzt. Ich fühle mich so vergnügt, daß ich Sie und die andern alle herauslassen konnte, aber dann würde ja alles verdorben werden. Ich bin in so guter Stimmung, weil ich weiß, daß Sie hier eingesperrt sind, und weil ich weiß, daß die Polizisten draußen sind. Die Burg kann Widerstand leisten, und ich stehe hier und lache Sie aus! Das ist etwas ganz Wunderbares, Featherstone! Beneiden Sie mich nicht darum?«

 

»Ebenso könnte ich auch eine ekelhafte Kröte beneiden,« sagte Jim. Er hatte noch rechtzeitig seine Hände fortgezogen, denn die schweren Schuhe Bellamys donnerten gegen das Eisengitter, wo er noch eben seine Finger gehabt hatte.

 

Jim ging wieder die Treppe hinunter und kroch zu der vergitterten Öffnung, um mit Fay zu sprechen.

 

»Ich muß schon sagen, dieser Abel Bellamy ist ein angenehmer junger Mann,« meinte er.

 

»Was ist denn passiert, Featherstone? Wer schießt draußen?«

 

»Die Polizeitruppen – in sehr starker Zahl. Die Lage ist offenbar so ernst, daß man sie mit Gewehren bewaffnet hat. Der Alte hat sich wahrscheinlich auf ein Gefecht mit ihnen eingelassen, um die Burg zu verteidigen.«

 

Sie nickte.

 

»Dann ist es also nur noch eine Frage von Stunden,« erwiderte sie ruhig. »Featherstone, was denken Sie jetzt von Julius?«

 

Er zögerte.

 

»Ich möchte nichts mehr gegen ihn sagen, nach allem, was er für mich und Miß Howett getan hat.«

 

»Aber Sie halten ihn doch noch für einen schlechten Menschen, sternchenland.com nicht wahr? Sie hüben gehört, wie ich ihn früher bis aufs Blut verhöhnt habe. Vielleicht glauben Sie, daß ich ihn verachte – aber das stimmt nicht. Ich liebe ihn, und oft möchte ich gern wissen, ob er es weiß. Leute wie wir kümmern sich nicht viel um Liebe, und selbst eine Trennung bedeutet uns nicht viel mehr, als daß wir gut für die Zukunft vorsorgen. Aber ich liebe ihn jetzt so sehr, daß ich mich beinahe glücklich fühle, wenn ich mit ihm zusammen sterbe.«

 

Er streckte seine Hand durch das Gitter und streichelte ihren Arm.

 

»Sie sind ein gutes Kind, Fay. Wenn wir jemals wieder hier herauskommen sollten, dann –«

 

»Erzählen Sie mir nicht, daß Sie irgendeine gute Stelle für mich suchen wollen,« bat sie. »Ich würde es doch immer mehr vorziehen zu stehlen als Fußböden zu scheuern. In der Beziehung bin ich nicht stolz.«

 

Jim hörte Hammerschläge und eilte die Treppe hinauf, um zu sehen, was das bedeutete. Bellamy stand mit nacktem Oberkörper dort und nagelte schwere Holzbalken gegen die Tür, die aus dem Wachtraum in den Gang führte. Er arbeitete mit fieberhafter Eile.

 

»Wozu machen Sie das, Bellamy? Wollen Sie uns hier noch fester einschließen?«

 

Bellamy drehte sich nach ihm um.

 

»Ach, Sie sind es. Ja, ich mache die Luke hier dicht.«

 

Jim beobachtete ihn eine Weile schweigend, wie er fußlange Nägel in die Balken trieb. Querholz erhob sich über Querholz, und die Holzmauer reichte schon bis zu den Knien Bellamys.

 

»Man wird Sie aufhängen, wenn man Sie fängt, Bellamy.«

 

»Bilden Sie sich nichts ein – mich kriegen Sie nicht!« Er richtete sich auf und streckte seine Arme nach oben.

 

sternchenland.com Jim handelte blitzschnell. Als Bellamy mit dem Hammer in die Nähe der Eisenstangen kam, ergriff er das obere Ende des Hammers und entriß Bellamy das Werkzeug durch einen schnellen Drehgriff. In weitem Bogen warf er es die Treppe hinunter.

 

»Geben Sie mir den Hammer zurück!« brüllte der Alte. »Geben Sie mir ihn zurück, oder ich schieße Sie auf der Stelle tot!«

 

»Kommen Sie doch herunter und holen Sie sich ihn!« höhnte Jim.

 

Er wartete unten am Fuß der Treppe und war bereit, den Hammer auf ihn zu werfen. Aber Bellamy führte seine Drohung nicht aus. Jim hörte seine Schritte, als er sich auf dem Gang entfernte. Fünf Minuten später nahm das Gewehrfeuer oben von der Burg aus wieder an Stärke zu. Jim vermutete richtig, daß Bellamy seinen Posten an der Schießscharte wieder eingenommen hatte.

 

Kapitel 67

 

67

 

Valerie war noch ganz verwirrt von dem Erlebnis, bei dem sie nur mit knapper Not der Gefahr entgangen war. Sie wußte nicht, daß dem alten Bellamy so viel an ihrer Sicherheit lag. Sie ging zurück in das Haus. Alle Dienstboten waren fort, ihr Vater konnte erst um sieben Uhr abends zurück sein. Das dauernde Krachen der Schüsse fiel ihr auf die Nerven. Sollte sie wieder auf die Dorfstraße gehen und mit den andern sich das Schauspiel ansehen? Sie wünschte, daß Spike kommen würde, aber der Reporter war abwechselnd in der Schützenlinie oder am Telephon und diktierte dem lauschenden Stenographen abgerissene, wilde Sätze.

 

Die Sache war so phantastisch, so ganz außerhalb des sonst Möglichen, daß sie fast nicht mehr die Grenzen der sternchenland.com Wirklichkeit unterscheiden konnte. Aber wieder klangen die abgerissenen Schüsse zu ihr herüber und erinnerten sie daran, daß Garre Castle belagert wurde. In den Gebüschen, wo die Bluthunde einst hinter ihr her gewesen waren, lagen Schützen in Khakiuniformen, preßten die Kolben ihrer Gewehre gegen das Gesicht und warteten, ob sie nicht etwas von Bellamy sehen könnten. Und Jim! Sie dachte an die entsetzliche Gefahr, in der er schwebte. Sie trat auf die Straße, aber sie konnte nur die Leute sehen, die dort auf den Höhepunkt der Tragödie warteten. Ein Kind sprang an ihr vorbei, und sie rief es an.

 

»Nein, mein Fräulein, es ist noch nichts geschehen, es sind nur noch mehr Soldaten angekommen.«

 

Langsam ging sie wieder heim. Sie zögerte vor der offenen Tür, aber in ihrer schrecklichen Unruhe wollte sie sich auch nicht im Garten aufhalten. Es tat ihr nun leid, daß ihr Vater nicht geblieben war. Sie ging noch einmal auf die Straße zurück und hoffte, jemand zu treffen, der die Dienerschaft rufen konnte. Sie hätte ja selbst gehen können, aber –

 

Es war wirklich schrecklich, so nervös zu sein. John Wood hatte sich vor dem Mittagessen verabschiedet, um seinen Zug zu erreichen. Wenn er wenigstens noch da wäre, würde sie sich auch sicherer fühlen.

 

Das Feuergefecht ging immer weiter, manchmal war es stärker, manchmal schwächer.

 

Mitten in einem friedlichen, englischen Dorfe tobte ein Kampf, und die Bewohner schauten zu. Sie sah zwei Leute auf dem Dach eines Hauses stehen, die ganz in der Beobachtung des Gefechts vertieft waren.

 

Mit einem Seufzer trat sie in das Haus, ging in das Wohnzimmer und versuchte zu lesen. Plötzlich hörte sie Schritte in dem Gang. Sie glaubte, daß einer der Dienstboten zurückgekehrt wäre und eilte in die Küche, um ein wenig Gesellschaft zu haben.

 

sternchenland.com Die Küche lag im Dämmer. Die Dunkelheit war beinahe hereingebrochen, und dieser Teil des Hauses war nur noch schwach erleuchtet.

 

»Ist jemand hier?« fragte sie.

 

Sie ging in den Keller. Plötzlich umfaßten sie zwei lange grüne Arme von hinten.

 

Sie kam erst nach einigen Minuten wieder zu sich. Jemand trug sie einen langen Tunnel entlang, die Luft war dumpf und moderig, und es war vollständig finster.

 

Wo befand sie sich? Langsam begann sie sich zu erinnern. Sie hing sich an den Mann, der sie trug.

 

»Bist du es?« flüsterte sie furchterfüllt. »Bist du es, Vater?«

 

Der andere erwiderte nichts darauf, sondern fragte sie nur mit kaum verständlicher Stimme, ob sie gehen könne.

 

»Ich glaube, ich kann den Weg nicht sehen.«

 

»Es ist nicht weit. Taste nur mit der Hand an der Wand entlang.«

 

Die Wände bestanden aus roh behauenen Felsen und fühlten sich feucht an. Schließlich kamen sie an eine Stelle, wo der Gang im rechten Winkel abbog. Er nahm ihren Arm und hielt sie an.

 

»Dorthin!«

 

Sie stieg drei Treppenstufen hinauf.

 

»Kopf beugen! Es ist sehr niedrig hier.«

 

Sie gehorchte und folgte ihm in gebückter Haltung etwa zwölf Schritte. Es kamen noch zwei Stufen, dann ging es langsam bergab. Hier konnte sie einen schwachen Schimmer des letzten Tageslichts von draußen hereinfallen sehen.

 

Sie trat durch einen niedrigen Bogen in einen Raum, an dessen Seiten vier Regale standen, die zum Teil mit Konserven und Nahrungsmitteln gefüllt waren.

 

»Wo bin ich?« fragte sie. Aber sie wandte sich ab, als sie das gräßliche weiße Gesicht ihres Begleiters sah.

 

sternchenland.com »Sie sind in Garre Castle,« antwortete der andere jetzt laut. »Und hier werden Sie bleiben, mein Fräulein!«

 

Sie machte sich aus seinem Griff los und eilte zur Tür zurück, aber sie war verschlossen und verriegelt. Bevor sie den Kücheneingang auf der anderen Seite erreichen konnte, hatte er sie gepackt. In dem Kampf, der sich jetzt entspann, riß sie ihm die Maske vom Gesicht und schrie plötzlich auf.

 

»Du – Sie – der Grüne Bogenschütze!«

 

Vor ihr stand – Lacy!

 

Kapitel 68

 

68

 

Lacy antwortete nicht. Er stieß sie durch eine kleine Tür unter der Treppe, dann noch durch einen anderen Eingang in die Halle. Sie erkannte den Raum sogleich wieder und wußte auch, daß in der Nähe eine Treppe zu den Gefängniszellen führte. Zuerst dachte sie, daß er sie dort hinbringen würde, aber er führte sie zur Bibliothek. Bellamy, unrasiert und schweißbedeckt, wartete dort auf sie.

 

Das tödliche Schweigen zwischen ihnen wurde nur von dem Krachen der Schüsse unterbrochen, das gedämpft hierhertönte. Plötzlich näherte sich ihr der alte Mann und packte sie mit beiden Armen an den Schultern.

 

»Nun sind Sie also doch gekommen, mein liebes Kind,« sagte er. »Sie sind der letzte meiner Gäste – der allerletzte.« – Er lachte ihr ins Gesicht mit einer Freude, die an Wahnsinn grenzte. »Ich habe sie alle geschnappt! Eigentlich hätte ich noch den alten, blinden Kerl, Ihren Vater fangen sollen, obgleich er gar nicht einmal Ihr Vater ist. Aber das ist jetzt auch nicht mehr wichtig. Ich habe alle, auf die es ankommt, in meiner Hand. Alle, die schwätzen können, alle, die mich haßten – sie sind alle hier unten!« Er zeigte auf den Fußboden.

 

Sie schaute sich nach Lacy um.

 

sternchenland.com »Um Gottes willen, helfen Sie mir,« bat sie ihn. »Mein Vater wird Sie fürstlich dafür bezahlen!«

 

»Wozu bitten Sie Lacy? Der hilft Ihnen nicht! Ebensogut können Sie sich direkt an mich wenden!« höhnte Bellamy.

 

Mit einem Stoß rückte er den Schreibtisch zur Seite, zog das Stück vom Parkettboden heraus und öffnete die Tür. Er hatte das Gewehr in die Hand genommen, das so lange an einen Stuhl gelehnt stand, und wies mit der Mündung in die gähnende Öffnung.

 

»Da hinunter – Sie werden einige Freunde dort finden – gute Freunde – gehen Sie nur hinunter, Valerie! Diesmal mache ich keinen Fehler, und Sie entkommen mir nicht! Zweimal sind Sie mir entwischt, aber das drittemal habe ich Sie sicher!«

 

Er zeigte wieder auf die Treppe, und sie ging ohne ein Wort hinunter. Er beobachtete sie mit dem Gewehr in der Hand. Plötzlich entdeckte er, daß sich ihre Gestalt gegen einen helleren, erleuchteten Raum abhob.

 

»Die Tür ist ja offen!« brüllte er. Ein schwacher Geruch von verbranntem Holz drang zu ihm herauf.

 

Er hatte die Lösung dieses Rätsels sofort erfaßt.

 

»Die haben du unten das Schloß herausgebrannt? Nun ja, dann haben sie ein wenig mehr Raum zum Krepieren!« sagte er und ließ die steinerne Platte wieder herunter.

 

Lacy sah, daß er den Parkettboden nicht wieder an seine Stelle brachte.

 

»Also hier sind sie eingesperrt, Bellamy?« fragte er atemlos vor Verwunderung. »Wer ist denn alles da unten?«

 

»Julius Savini und seine Frau. Featherstone ist auch da.«

 

»Featherstone?« sagte Lacy starr vor Staunen. »Wer sind denn die Leute, die uns draußen angreifen?«

 

»Die Polizei,« entgegnete Bellamy kurz.

 

Lacy erschrak. Er war eine groteske Erscheinung in seinem sternchenland.com schlechtsitzenden grünen Anzug, den er gekauft hatte, um als Grüner Bogenschütze aufzutreten. Es war Bellamys Idee gewesen. Er hatte Lacy ausgeschickt, um Lady’s Manor zu beobachten, und auch damals hatte er dieses phantastische Kostüm getragen. An jenem Abend hätte ihn Wood beinahe gefangen, die Erinnerung daran war ihm schrecklich.

 

»Dann haben Sie mich also beschwindelt – Sie haben doch vorher erzählt, daß das Militär in der Gegend eine Übung abhält! Sie verfluchter, alter Lügner! Wo ist mein Geld? Ich gehe!«

 

»Auf welchem Weg wollen Sie denn hinausgehen?« fragte Bellamy ruhig.

 

»Zurück durch Lady’s Manor, sobald ich mich umgezogen habe. Ich habe jetzt wirklich genug von Ihnen, Bellamy! Sie sitzen in der Falle drin, aber ich möchte hier nicht gefunden werden. Und wenn ich später gefragt werden soll, um gegen Sie zu zeugen, bei Gott –«

 

»Dann werden Sie alles sagen.«

 

Bellamy öffnete seinen Geldschrank, nahm einen Pack Banknoten heraus und warf sie auf die Tischplatte vor ihn hin.

 

»Da haben Sie Ihr Geld! Sie können sofort gehen! Haben Sie eine Pistole?«

 

»Natürlich!« schrie ihn Lacy an. »Glauben Sie Schurke denn, daß ich mich in dieses Haus ohne eine Waffe gewagt hätte?«

 

Als Antwort öffnete Bellamy die steinerne Schwingtür mit dem Fuß.

 

»Bringen Sie Savini heraus. Er ist nicht bewaffnet, aber er wird sich wahrscheinlich mit allen Kräften wehren.«

 

Lacy runzelte die Stirn.

 

»Holen Sie ihn doch selbst herauf!«

 

»Damit Sie inzwischen der Polizei die Türen öffnen können,« meinte Bellamy höhnisch. »Gehen Sie sofort hinunter! Wovor fürchten Sie sich denn?«

 

sternchenland.com Lacy stand mit der Pistole in der Hand schußbereit. Er war weiß bis in die Lippen.

 

»Ich tue es nicht,« sagte er heiser, »wenn Sie nicht vorausgehen.«

 

Bellamy zuckte die breiten Schultern und stieg hinunter, ohne ein Wort zu verlieren. Lacy folgte ihm in einiger Entfernung. Aber Lacy war zu vorsichtig, denn Bellamys Treppe war eng, und wer zuerst unten auf dem Fußboden ankam, konnte sich seitwärts an die Wand neben die Treppe stellen, und als Lacy nach unten kam, fühlte er sich plötzlich um Handgelenk ergriffen. Er versuchte, sich zu halten, aber Bellamy gab ihm einen furchtbaren Tritt in den Rücken, so daß er der Länge nach hinschlug. Mit einem kurzen Ruck entriß ihm der Alte den Revolver, steckte ihn in die Tasche und war im nächsten Augenblick oben. Die Steinplatte schloß sich wieder.

 

Valerie stand am Eingang des kleinen Ganges durch die Fundamentmauer und wußte nicht, was sie beginnen sollte. Sie war nicht fähig, einen Fuß vor den andern zu setzen, und es kam ihr kaum zum Bewußtsein, daß eine Frauenstimme sie anrief.

 

»Miß Howett!«

 

Valerie starrte sie verständnislos an.

 

»Sind Sie Mrs. Savini?« fragte sie dann mit schwacher Stimme.

 

Im nächsten Augenblick lag sie in Fays Armen und schluchzte. Fay fühlte, daß sie wie im Fieber zitterte.

 

»Ist Captain Featherstone hier?«

 

»Ja, Sie können ihn sehen, aber er ist nicht im selben Raum.«

 

»Wo ist er denn? Ich muß ihn sprechen.«

 

Sie achtete kaum auf Julius, obgleich er es war, der ihr das Eisengitter zeigte und Jim Featherstone herbeirief.

 

»Jim, Jim!« rief sie heftig.

 

sternchenland.com Er war entsetzt, als er ihre Stimme hörte.

 

»Sind Sie das, Valerie? Ach, mein Gott!«

 

»Wir werden nicht mehr lange hier sein,« sagte sie. »Die Polizei ist durch Militär verstärkt worden. Sie glauben bestimmt, daß sie ihn fangen werden. Mr. Holland sagt, daß die Burg noch diesen Abend genommen wird.«

 

»Wie war es nur möglich, daß Bellamy Sie hierherlocken konnte?«

 

»Der Grüne Bogenschütze hat mich hergebracht.«

 

»Der Grüne Bogenschütze? Das ist doch unmöglich!«

 

Sie nickte.

 

»Es war Lacy.«

 

»Aber es kann unmöglich Lacy gewesen sein,« sagte er nach einer Pause. »Sind Sie ganz sicher?«

 

»Ich habe ihm die Maske abgerissen, ich weiß es gewiß.«

 

»Es ist unglaublich, ich kann es nicht verstehen. Aber im Augenblick ist es ja ganz gleich, wer der Grüne Bogenschütze ist, liebe Valerie. Daß auch Sie noch hier sind, ist das Entsetzlichste von allem.«

 

»Was beabsichtigt Bellamy wohl? Was könnte er uns denn tun?«

 

»Ich glaube, daß er etwas Fürchterliches im Schilde führt – aber was es auch sein mag, Valerie; wir müssen ihm stark entgegentreten, beinahe hätte ich gesagt, als brave Engländer, aber ich vergaß im Augenblick, daß Sie Amerikanerin sind. Wir müssen sterben wie gute Angelsachsen, wenn es zum letzten kommt.«

 

»Besteht denn gar keine Hoffnung, daß wir wieder nach oben kommen?« fragte sie.

 

»Nein,« sagte Jim eindringlich. Es war besser, daß sie es wußte. »Wie hat der Grüne Bogenschütze Sie denn hergebracht? Die ganze Burg ist doch von Polizei abgesperrt?«

 

»Wir kamen durch einen unterirdischen Gang, der Lady’s sternchenland.com Manor mit der Burg verbinden muß. Ich habe immer vermutet, daß er existierte.«

 

»Ich auch, nachdem Sie mir erzählt hatten, daß die Diener über einen Liebesweg sprachen. Außerdem erklärt der Name Ihres Hauses den Zusammenhang. Lady’s Manor ist das Haus, das ein de Curcy für seine Geliebte baute. Diese Liebeswege waren in alten Zeiten zwischen verschiedenen Häusern nicht so selten. Durch diesen Gang ist auch der Grüne Bogenschütze gekommen, und nun erklärt sich auch, warum Sie ihn in Lady’s Manor in der Nähe sahen. Er war damals auf seinem Weg zu der Burg.«

 

»Aber Sie vergessen, daß ich ihm auch draußen im Park begegnet bin.« Jim erinnerte sich wieder daran.

 

Julius, der einen Augenblick weggegangen war, kam mit einer wichtigen Nachricht wieder.

 

»Lacy ist auch hier unten?« fragte Jim überrascht.

 

»Der Alte hat ihn eben die Treppe hinuntergeworfen, und Fay wascht seine Wunden gerade aus. Er trägt das Kostüm des Grünen Bogenschützen.«

 

»Lacy? Wie entsetzlich!« flüsterte Valerie ängstlich. »Jim, können Sie nicht durch diese Öffnung kommen?«

 

»Julius wird Sie schon beschützen, ängstigen Sie sich nicht,« antwortete Featherstone, aber er war von seinen Worten nicht überzeugt. »Später kann ich vielleicht durchkommen, liebe Valerie. Ich habe schon zwei Eisenstäbe aus dem Zement herausgeschlagen. Ich habe nämlich dem Alten den Hammer weggenommen, er ist mir schon sehr nützlich gewesen.«

 

Er fing wieder an zu hämmern.

 

Valerie wandte sich an Julius.

 

»Ist er schwer verwundet?« fragte sie.

 

»Nein, er ist nur auf den Kopf gefallen und blutet etwas. Er ist der einzige Körperteil an Lacy, den man unmöglich verwunden kann, selbst wenn man mit einem schweren Wagen sternchenland.com darüberfährt. War er es nicht, der Sie von Lady’s Manor weggebracht hat? Ich hörte eben, wie Sie es Featherstone erzählten. Es ist schließlich ganz gut, daß er die Treppe herunterfiel. Ich fand eine brauchbare Waffe bei ihm, die er unter seinem Kostüm versteckt hatte. Die können wir gut gebrauchen.«

 

Julius zeigte mit Stolz seinen Fund.

 

»Natürlich hatte ich sofort den richtigen Gedanken, ihn zu durchsuchen. Aber außer der Pistole hatte er nichts bei sich,« sagte er dann laut. »Er hat mir gesagt, daß Bellamy ihm ein Paket Banknoten gegeben hätte. Entweder bildet er sich das ein, oder der Alte hat sie ihm wieder weggenommen, als er mit ihm handgemein wurde. Bellamy verschwendet kein Geld, und damit hat er auch wohl recht.« Er klopfte unbewußt auf seine volle Brusttasche.

 

Valerie fand Fay damit beschäftigt, einen einfachen Verband um Lacys Kopf zu legen. Er bot einen lächerlichen Anblick. Sein grasgrünes Kostüm war zerrissen, mit Blut befleckt und schmutzig.

 

»Ich hatte eine Menge Geld, als ich hier hinfiel,« sagte er, »ich kann es aber nicht mehr finden. Geld hat doch keine Beine – es kann doch nicht weglaufen!«

 

»Wenn Sie Geld bei sich gehabt hätten, würden Sie es jetzt auch noch haben,« erwiderte Fay ruhig. »Und ich habe früher Geld gehabt, das viel schneller weglief als die Flugpost bei günstigem Winde. Sie wollen doch nicht etwa behaupten, daß mein Julius es Ihnen weggenommen hat?«

 

»Ich weiß nicht, ob ich Julius beschuldigen soll, aber er hat auch meine Pistole geholt – ebensogut kann er auch das Geld genommen haben!«

 

»Die Pistole war eben da, aber das Geld nicht. Es ist doch eigentlich unklug, Leute anzuklagen, die Ihnen helfen und Sie verbinden. Wahrscheinlich hat Bellamy Ihnen das Geld wieder weggenommen.«

 

sternchenland.com »Warum hat er denn aber nicht meine zweite Pistole genommen?« fragte Lucy folgerichtig. »Die wäre ihm doch sicher wichtiger gewesen. Wo ist sie denn?«

 

»Julius hat sie,« antwortete Fay. »Und Julius wird sie auch behalten!« fügte sie nachdrücklich hinzu.

 

»Was will denn der Alte hier mit uns machen? Er kann uns doch nicht in alle Ewigkeit hier sitzen lassen? Wo kann ich schlafen?«

 

»Entweder auf oder unter der Treppe.«

 

»Sind denn keine Betten hier unten?« fragte Lucy aufsässig.

 

»Hier ist ein Steinbett,« sagte Fay ironisch. »Und da können Sie auch schlafen. Und wenn Sie sich nicht fügen wollen, dann werden Sie schon zur Vernunft gebracht werden. Sie sind ein ganz gemeiner Kerl, Sie haben Miß Howett aus ihrem Hause weggebracht – wenn Featherstone Sie kriegt –«

 

»Ist der hier?« fragte Lacy erschrocken.

 

»Im Augenblick noch nicht, aber er ist auf der anderen Seite des Eisengitters.«

 

»Hoffentlich bleibt er auch dort!«

 

Julius und Jim lösten sich während des ganzen Abends bei den Arbeiten am Eisengitter ab.

 

Kurz vor neun konnten sie mit vereinten Kräften das Gitter ausbrechen, und Jim kam durch die Öffnung. Als er Valerie sah, nahm er sie ohne ein Wort und ohne Entschuldigung in die Arme und küßte sie leidenschaftlich.

 

Sie verloren keine Zeit mit Fragen und Erklärungen, Jim hatte seinen Entschluß Savini mitgeteilt, und Julius war der selben Ansicht. Sie nahmen den Diwan von der Wand und brachen die Füße ab. So war er schmal genug, daß sie ihn durch die Öffnung schaffen konnten, obgleich sie dabei den kostbaren Bezug zerrissen.

 

sternchenland.com »Wozu geschieht denn das? Wollen Sie vielleicht den anderen Raum möblieren?« fragte Fay.

 

»Dort wird noch allerhand passieren,« antwortete Jim. »Den Tisch kann ich auch gebrauchen,« meinte er dann. Gleich darauf schlug er mit seinem Hammer alle Beine ab und reichte sie Julius. »Sie können hier helfen, Lacy!« rief Jim und Lacy beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen.

 

»Was soll ich tun, Captain?« fragte er.

 

»Gehen Sie diese Treppe hinauf. Sobald Sie Bellamy sehen, rufen Sie und machen, daß Sie wieder herunterkommen! Also los, marsch nach oben!« Jim nahm ihn am Ohr, führte ihn hinauf und stellte ihn direkt hinter der vergitterten Eisentüre auf. Er konnte gerade über die aufgeschichteten Balken hinwegsehen. »Sobald er kommt, rufen Sie laut! Verstanden?«

 

»Ja!« sagte Lacy unwillig. »Glauben Sie, ich bin so schrecklich dumm?«

 

»Ich möchte Ihnen jetzt nicht sagen, was ich von Ihnen denke.«

 

Jim wandte sich ab, ließ den Mann auf seinem Posten zurück und ging wieder zu Julius.

 

»Ich bin allerdings nicht sicher, ob unsere Vorsichtsmaßregeln etwas nützen werden. Wenn wir nur ein paar Nägel hätten!«

 

Er errichtete eine Barrikade um die Öffnung in der Wand, aus der das Eisengitter herausgebrochen war. Fay unterstützte ihn dadurch, daß sie den Gummischlauch wieder an einem der Gashähne befestigte und ihm bei der Arbeit leuchtete. Tische und Betten wurden zu der Barrikade gebraucht, und während die anderen unten rastlos arbeiteten, saß Lacy oben am Eingang der Treppe und gab sich seinen Gedanken hin. Er verabscheute Bellamy, aber sein Haß gegen den Mann, in dessen Gesellschaft er durch diesen Zufall geraten war, kannte keine Grenzen.

 

Kapitel 6

 

6

 

Der tadellos gekleidete junge Mann, der als Dritter an dem Mittagessen der Howetts teilgenommen hatte, war denn doch älter, als sein rosiges, jugendliches Gesicht vermuten ließ. Valerie hatte das auch gleich angenommen, als ihr Vater ihn ihr vorstellte. Sie interessiere sich zuerst wenig für ihn. Auf ihren Reisen mit ihrem Vater, die ihn auch häufig nach Amerika führten, hatte sie in Chicago und in New York, ja in jeder größeren Stadt der Vereinigten Staaten, die verzogenen Söhne eingebildeter Väter gefunden, junge Leute, die an nichts anderes im Leben dachten, als die Stunden möglichst totzuschlagen, die sie von ihren nächtlichen Abenteuern trennten. Sie kannte nur zu genau die Grenzen ihrer Interessen, die gewöhnlich zwischen ihren schnellen Automobilen und ihren nächtlichen Gelagen schwankten, aber zum erstenmal war sie einem solchen jungen Mann in England begegnet.

 

In mancher Weise war James Lamotte Featherstone besser als alle anderen, die sie bisher kenngelernt hatte. Sein Leben war zwar auch ohne Ziel und Zweck, aber er besaß den großen Vorzug, sehr gute Manieren zu haben und ihr gegenüber äußerst zurückhaltend zu sein. Er sprach niemals von sich selbst, aber über andere Dinge konnte er sehr unterhaltsam sein.

 

Valerie hatte ihn zuerst geduldet, weil er viel stattlicher und vornehmer war als der Detektiv, den ihr Vater früher engagiert hatte, um sie auf ihren etwas gefährlichen, einsamen Streifzügen in die Umgebung zu begleiten. Aber schließlich mochte sie ihn ganz gerne trotz seiner übertrieben eleganten Kleidung.

 

Am Tage nach der Ermordung Creagers sprach er bei ihr vor, um mit ihr in den Park zu gehen.

 

Als sie in dem sonnigen Park angelangt waren und er sternchenland.com einen Stuhl für sie an der Seite des großen Reitweges besorgt hatte, wandte sie sich plötzlich an ihn.

 

»Ich möchte Sie etwas fragen, und zwar etwas ganz Persönliches.«

 

»Was tun Sie eigentlich anders, als anständige junge Damen auf ihren Spaziergängen begleiten?«

 

Er schaute sie scharf an.

 

»Sie sind sehr anziehend,« sagte er dann ernst. »Sie erinnern mich immer an Beatrice d’Este, die Dame, die Leonardo malte, nur ist Ihr Gesicht noch zarter und Ihre Augen sind viel schöner –«

 

Sie wurde dunkelrot und unterbrach ihn.

 

»Mr. Featherstone,« sagte sie ärgerlich, »haben Sie denn nicht gemerkt, daß ich mir einen Scherz erlaubte? Haben Sie denn als Engländer gar keinen Sinn für Humor? Ich sprach doch nicht von mir selbst.«

 

»Sie kennen aber doch niemand anders, den ich jemals begleitet hätte,« verteidigte er sich und gab dem Gespräch taktvoll eine andere Wendung. »Nein, ich habe sonst nichts zu tun.«

 

»Sie bügeln nicht einmal Ihre eigenen Beinkleider,« sagte sie streng, denn sie hatte sich über ihn geärgert.

 

»Nein, das tue ich nicht, ich habe einen Mann dafür angestellt,« gab er zu. »Aber ich bürste meine Haare allein,« fügte er stolz hinzu.

 

Sie mußte trotz ihrer schlechten Laune lachen, aber plötzlich wurde sie wieder ernst.

 

»Mr. Featherstone, ich bitte Sie um einen großen Gefallen. Ich weiß selbst nicht, warum ich Sie eben ärgerte. Mein Vater ist ängstlich besorgt um mich, er ist ein wenig altmodisch und bildet sich ein, daß eine junge Dame nicht allein ausgehen dürfte. Er ist sogar auf den Einfall gekommen, einen Detektiv zu engagieren, der mich beschützen soll.«

 

sternchenland.com »Ihr Vater ist ein sehr vernünftiger Mann,« sagte Jimmy Featherstone prompt. Aber das war gerade das, was er nicht hätte sagen sollen.

 

»Das vermute ich auch.« Valerie unterdrückte mit Mühe eine scharfe Entgegnung. »Aber … ich möchte offen sein, Ihnen gegenüber. Ich sehne mich danach, allein zu sein. Ich brauche ganze Tage für mich – verstehen Sie, Mr. Featherstone?«

 

»Ja.«

 

»Ich kann wirklich nur allein sein, ohne meinen Vater zu ängstigen, wenn er denkt, daß Sie mich irgendwohin begleiten – ins Theater oder … oder ins Museum.«

 

»Ich würde Sie niemals dorthin bringen,« widersprach Jimmy, und die gereizte junge Dame seufzte schwer.

 

»Ich meine etwas anderes – ich will ganz offen zu Ihnen sein. Ich möchte, daß Sie morgen kommen und mich zu einem Spaziergang abholen, mich dann aber allein lassen, so daß mein Wagen da hinfahren kann, wo ich will. Sie können ja ruhig sagen, daß Sie mich zu einer Tagestour mitnehmen – Vielleicht auf den Fluß –«

 

»Die Jahreszeit ist aber eigentlich schon etwas weit vorgeschritten für eine Partie auf dem Fluß.«

 

»Also schön, zu irgendeinem anderen Ausflug, der mich den ganzen Tag von Hause fernhält. Mein Vater reist Mittwoch abend nach Schottland ab –«

 

»Sie wünschen also von mir, daß ich vorgeben soll, mit Ihnen auszugehen, und dann soll ich Sie sich selbst überlassen?«

 

Sie seufzte wieder.

 

»Wie klug Sie sind! Ja, das möchte ich.«

 

Jimmy Featherstone bohrte mit seinem Spazierstock ein Loch in den Kies.

 

»Ich will Ihren Wunsch unter einer Bedingung erfüllen,« sagte er dann langsam.

 

sternchenland.com Sie schaute ihn erstaunt an.

 

»Unter einer Bedingung? Was soll das heißen?

 

Er hob den Kopf und schaute ihr gerade in die Augen.

 

»Überlassen Sie die Nachforschungen nach Abel Bellamys Angelegenheiten jemand anders. Das ist keine Aufgabe für eine Dame. Wenn die Polizei die Pflanzung hinter Creagers Haus abgesucht hätte, dann wäre es Ihnen sicher schwer gefallen, Ihre Anwesenheit dort zu erklären, Miß Howett!«

 

Einen Augenblick starrte Valerie ihren Begleiter sprachlos an. Sie war blaß geworden.

 

»Ich – ich verstehe Sie nicht, Mr. Featherstone,« stotterte sie.

 

Der junge Mann wandte sich zu ihr und sah sie lächelnd an, halb belustigt, aber es lag auch eine gewisse Warnung in seinem Blick.

 

»Miß Howett, Sie haben mir eben den Vorwurf gemacht, daß ich ein zweckloses Leben führe. Ein Müßiggänger hat sehr viel Zeit, Beobachtungen anzustellen. Sie kamen an meiner Wohnung in St. James‘ Street in einem Mietauto vorbei und fuhren hinter dem Fordwagen Mr. Creagers her.«

 

»Sie kannten Creager?« fragte sie erstaunt.

 

»Ich kannte ihn oberflächlich,« sagte Mr. Featherstone, der mit seinem Spazierstock spielte und ihren Blicken auswich. »Ich kenne fast alle Leute oberflächlich,« fügte er dann lächelnd hinzu, »manche allerdings sehr eingehend. Zum Beispiel weiß ich, daß Sie Ihren Wagen am Ende der Field Road entließen und zu Fuß die Straße entlang gingen – bis zu Creagers Haus. Dann schien es so, als ob Sie nicht recht wüßten, was Sie tun sollten. Sie kamen zu dem Eingang eines kleinen Fußpfades, der durch die Pflanzung neben Creagers Garten führt. Sie gehörte ihm nicht, er hatte sie nur gepachtet. Er hatte sich auch nicht die Mühe gegeben, den Hinteren Teil seines Gartens nach der Pflanzung zu mit sternchenland.com einem Zaun abzuschließen. Dort haben Sie letzten Abend bis acht Uhr gewartet.«

 

»Das haben Sie alles nur vermutet,« entgegnete sie scharf. »Mein Vater hat Ihnen erzählt, daß ich zum Abendessen nicht zurückkam –«

 

»Es ist nicht nur bloße Vermutung,« sagte er ruhig. »Sie haben in der Pflanzung gewartet, weil Sie fürchteten, daß man Ihre Anwesenheit wahrnehmen würde.«

 

»Von wo aus haben Sie mich denn beobachtet?«

 

Er lächelte wieder.

 

»Ich war auch in der Pflanzung. Es tut mir leid, daß es so war, sonst hätte ich unseren Freund, den Grünen Bogenschützen, wahrscheinlich gesehen.«

 

»Was haben Sie denn dort zu tun gehabt? Wie dürfen Sie es wagen, hinter mir her zu spionieren, Mr. Featherstone?«

 

Er zwinkerte mit dem Auge, aber kein Muskel seines Gesichts rührte sich.

 

»Sie sind inkonsequent, Miß Howett. Noch vor kurzem haben Sie sich darüber beklagt, daß ich nichts täte und nun erzähle ich Ihnen, daß ich Sie auf einer sehr gefährlichen Expedition geschützt habe –«

 

Sie schüttelte hilflos den Kopf.

 

»Ich weiß nicht, was ich davon denken soll. Das sieht Ihnen gar nicht ähnlich, Mr. Featherstone. Wie kamen Sie überhaupt auf den Gedanken, daß ich Creager folgte?«

 

Nachdenklich nahm er ein goldenes Zigarettenetui aus der Tasche.

 

»Gestatten Sie, daß ich rauche?« fragte er. Als sie nickte, zündete er sich eine Zigarette an und blies den blauen Rauch in die stille Morgenluft.

 

»Sie folgten Creager,« sagte er langsam, »weil – das vermute ich allerdings nur – weil Sie dachten, daß er in seinem Groll Bellamy verraten und Ihnen vielleicht die Aufklärung sternchenland.com geben würde, nach der Sie nun schon seit Jahren suchten.«

 

Sie starrte ihn verblüfft an.

 

»Sie suchen nach einer Frau, die unter merkwürdigen Umstanden verschwand, Miß Howett,« fuhr der elegante junge Mann fort und zeichnete mit der Spitze seines Spazierstocks allerhand Figuren in den Kies. »Und ob es nun richtig ist oder falsch, Sie vermuten, daß Bellamy für das Verschwinden dieser Frau verantwortlich ist. Sie haben schon viel gewagtere Streifzüge unternommen als gerade gestern. Es hat viel Zeit gekostet, bevor ich Ihre Gedankengänge rekonstruieren konnte. Aber Sie dachten wahrscheinlich, daß Bellamy Creager nach seinem Hause folgen würde, und daß Sie dann die Möglichkeit hätten, das Gespräch der beiden zu belauschen. Sie warteten ungefähr zwei Stunden in der Pflanzung – und wollten gerade zu dem Haus gehen, als Sie die Polizei bemerkten.«

 

Er nahm sein Zigarettenetui und steckte es wieder in die Tasche. Er fand plötzlich keinen Gefallen mehr am Rauchen.

 

»Ich hätte viel Geld darum gegeben, wenn ich den Grünen Bogenschützen getroffen hätte,« sagte er leise.

 

»Dann glauben Sie wirklich –?« fragte sie entsetzt.

 

Er nickte.

 

»Ich vermute es nicht nur, sondern ich weiß es ganz genau.«

 

Sie sah ihn mit einem neuen Interesse an, und es wurde ihr manches klar.

 

»Sie sind doch ein merkwürdiger Mann, Mr. Featherstone! Sie sind schlauer als der Detektiv, den mein Vater anstellen wollte, um mich zu beschützen.«

 

Er lachte.

 

»Ich muß Ihnen ein Geständnis machen, Miß Howett. Ich bin nämlich der Detektiv, der diesen Auftrag hat. Ich bin Kapitän Featherstone von Scotland Yard, und ich beobachte Sie schon, seit Sie in London ankamen.« sternchenland.com

 

Kapitel 60

 

60

 

Julius Savini war philosophisch veranlagt und nahm die Lage, in der er sich jetzt befand, mit solcher Ruhe auf, daß sich selbst Fay darüber wunderte. Er saß nun schon zwei Tage in einem der Kerker von Garre Castle und hatte in dieser Zeit nichts mehr von Bellamy gesehen, der ihn hier eingesperrt hatte. Es war keine Gefahr, daß sie verhungerten, denn die kleine Vorratskammer war mit Lebensmittelkonserven angefüllt. Als er Nachforschungen anstellte, fand er auch noch eine große Anzahl ungeöffneter Tins mit Zwieback. Auch konnte er die Wasserleitung benützen, und es war bis jetzt kein Versuch gemacht worden, das Gas abzustellen.

 

Eine Eigentümlichkeit ihres Gefängnisses zeigte Bellamys mitternächtliche Tätigkeit in einem neuen Licht. Es war eine Öffnung, ungefähr vier Fuß im Quadrat. Sie war durch eine Wand geschlagen und auf der anderen Seite durch ein quadratisches Gitter geschlossen. Savini hatte sich umsonst bemüht, es zu öffnen oder auch nur zu bewegen. Als er in das Mauerloch hineinkroch und durch das Gitter schaute, entdeckte er, daß die Öffnung in die Kerker führte, die Bellamy damals seinen Gästen gezeigt hatte.

 

»Das war also das Geräusch, das wir gehört haben, Fay,« sagte er dann. »Der alte Bellamy hat seit Wochen gearbeitet, um hier durchzukommen, und er muß auch noch den Rest der Nacht dazu gebraucht haben, um dieses Gitter zu befestigen, nachdem wir die Explosion hörten.«

 

sternchenland.com »Kannst du es nicht irgendwie bewegen?« fragte sie ängstlich.

 

»Es ist mit Zement eingelassen, und selbst wenn wir durch die Öffnung kämen, wäre es doch unmöglich, die Gittertür oben an der Treppe zu öffnen.«

 

»Bist du sicher, daß es die Kerker sind, die du von früher her kennst?«

 

Er nickte.

 

»Ich kann die Falltür in der niedrigen Öffnung sehen, aber die ist auch vollständig mit Zementmörtel befestigt. Ich weiß nicht, warum Bellamy so stolz auf diese Kerker war. – Fay, wir sitzen nun hier in der Falle,« sagte er dann ruhig. »Und trotzdem ich nun einen Revolver und acht Patronen habe, glaube ich doch, daß wir nicht einmal die Aussicht haben, in nächster Zukunft die Schußwaffe zu gebrauchen. Es war eine Dummheit von mir, dem Alten zu zeigen, daß ich bewaffnet war. Wir wollen sehr sparsam mit den Nahrungsmitteln umgehen und uns einen Plan machen, wie wir möglichst lange mit ihnen auskommen.«

 

Julius überlegte sich, ob es nicht möglich wäre, das Schloß aus der Tür herauszuschießen, aber nach einer eingehenden Prüfung überzeugte er sich, daß der Versuch mißlungen wäre. Er hätte höchstens damit erreicht, daß man die Tür überhaupt nicht mehr hätte öffnen können.

 

»Vielleicht will er uns auch nur Angst einjagen,« sagte er. Aber Fay wußte nur zu gut, daß er das selbst nicht glaubte.

 

»Wir wollen so lange leben als irgendmöglich, Julius,« sagte sie und legte ihren Arm in den seinen. »Sicher vermutet Featherstone, was sich hier ereignet hat.«

 

»Featherstone hat damals auch angenommen, daß die Frau in der Burg versteckt sei, aber er hat sie doch nicht gefunden, und man kann ihm deswegen auch keinen Vorwurf machen. Ich wundere mich nur, wie sie entkommen konnte.«

 

sternchenland.com Plötzlich kam ihm ein Gedanke, und er machte sich an eine eingehende Untersuchung der Wände, die fast den ganzen Tag in Anspruch nahm.

 

»Der ganze Platz hier ist von Geheimgängen durchfurcht,« sagte er schließlich. »Es ist möglich, daß es einen Weg hier heraus gibt, es handelt sich nur darum, daß wir ihn entdecken.«

 

Aber nach einiger Zeit gab er verzweifelt seine Nachforschungen auf, setzte sich nieder und versuchte, sich mit der schlimmen Lage, in der er sich befand, abzufinden.

 

Am nächsten Tag fand Fay ein Buch mit rotem Umschlag in der Schreibtischschublade, die sie entdeckt hatte. Die Seiten waren in einer sauberen, aber sehr kleinen Handschrift eng beschrieben. Selbst auf dem Rücken des Bandes fand sie noch Text. Es war offensichtlich ein Tagebuch.

 

»Julius,« rief sie laut und Savini, der den Steinfußboden untersuchte, um vielleicht dadurch einen Ausweg zu finden, kam zu ihr.

 

»Das ist das Tagebuch der Frau,« sagte sie mit leiser Stimme. »Es ist Hunderte, ja Tausende wert, wenn wir herauskommen können.«

 

Er nahm ihr das Buch ab, setzte sich unter eine der Gaslampen und las eine Stunde. Es war eine unheimliche Geschichte, und Julius ließ kein Wort aus. Dann legte er das Buch wieder hin, erhob sich und reckte sich steif und müde.

 

»Verwahre es gut und lege es an einen Platz, wo wir es wiederfinden können. Ich glaube ja nicht, daß wir jemals wieder aus diesem Loch herauskommen, aber wenn es uns gelingen sollte, dann können wir uns eine Villa in Monte Carlo und eine Prachtwohnung in Berkeley Square leisten, solange wir leben.«

 

Den Rest des Tages lasen sie abwechselnd, und Julius, der ein hervorragendes Gedächtnis hatte, merkte sich die wichtigsten Tatsachen. Als seine Taschenuhr zehn zeigte, gingen sie sternchenland.com zu Bett, nachdem sie ihren Fund wieder in dem Schreibtisch verborgen hatten.

 

Das Entlüftungssystem ihres Kerkers war wirklich bewunderungswürdig. Selbst in dem abgelegenen Raum, in dem sie schliefen, war die Luft stets rein. Sie wurde durch eine Leitung zugeführt, die an den Wänden und Gewölben des Raumes entlanglief. Diese Tatsache war Julius nicht entgangen, und er empfand Respekt und Hochachtung vor Bellamys Leistungen.

 

»Es muß ihm unheimlich viel Zeit gekostet haben, diesen Kerker so auszustatten,« sagte er, als er in seinem Bett lag und zu der Steindecke emporstarrte, die sich über ihm wölbte. »Er hat doch tatsächlich alles allein gemacht. Der Pförtner erzählte mir, daß er monatelang in dem Schloß beschäftigt war, bevor er irgendwelche Dienstboten anstellte oder die Burg möblierte. Bellamy ist schlau, und er hat ja auch seine Laufbahn als Maurer begonnen. Vermutlich fiel es ihm bei seiner ungewöhnlichen persönlichen Körperkraft nicht schwer, die Änderungen am Gebäude ohne fremde Hilfe vorzunehmen.«

 

Fay saß vor dem Toilettentisch und manikürte sich in aller Ruhe.

 

»Julius, weißt du, was ich denke?« fragte sie.

 

»Das würde ich manchmal gerne wissen.«

 

»Ich glaube, wir sind erst die ersten von den Leuten, die Bellamy hier einsperren will. Dieses eiserne Gitter, das in die unteren Kerker führt, ist mit einer ganz bestimmten Absicht hier angebracht worden. Er ist darauf aus, noch andere zu fangen, und wir brauchen uns wohl keine Sorge über Lebensmitteleinteilung zu machen.«

 

»Warum nicht?« fragte Julius überrascht.

 

»Wenn erst die anderen Gefangenen ankommen, wird Bellamy ein Geschäft hier einrichten und das Billigste, was zu haben ist, wird das Leben von Mr. und Mrs. Savini sein.« sternchenland.com Savini schüttelte sich vor Furcht.

 

»Was meinst du damit?« fragte er heiser.

 

»Ich meine es genau so, wie ich es sage. Er hat dich in der Falle gefangen und mich auch. Er ist auf das große Ende vorbereitet, und es wird ihm seht leicht sein, da Coldharbour Smith tot ist. Er hat nur noch mit mir, mit dir, mit Lacy und Featherstone zu rechnen –«

 

»Und mit Miß Howett,« ergänzte Julius nach einer Pause.

 

»Ich mußte an sie denken, aber ich weiß nicht genau, was er gegen sie haben könnte. Sicherlich will er sie nach Garre Castle bringen und vielleicht tut er das auch.«

 

Fay hatte einen leisen Schlaf, das geringste Geräusch weckte sie sofort auf.

 

Julius fühlte plötzlich, daß er leise an der Schulter berührt wurde und sich eine Hand auf seinen Mund legte.

 

»Mache keinen Lärm,« flüsterte Fay und nahm ihre Hand fort.

 

»Was ist los?« fragte er ebenso vorsichtig.

 

»Draußen ist jemand.«

 

Julius tastete nach der Pistole unter seinem Kissen, erhob sich lautlos und öffnete die Türe. Er hatte die sechs Lampen brennen lassen, aber nun waren sie alle mit Ausnahme einer einzigen ausgelöscht und der unterirdische Raum lag im Dunkel. Behutsam spähte er umher, aber er konnte niemand entdecken. Und doch mußte jemand hier gewesen sein und die Lichter ausgemacht haben. Von seinem Standpunkt aus konnte er die Tür sehen, durch die ihn Bellamy damals hereingestoßen hatte, und während er noch darauf hinstarrte, hörte er, daß sie leise einschnappte.

 

»Es war Bellamy,« sagte er bitter, als er in das Schlafzimmer zurückkam. »Wenn ich das nur vorher gewußt hätte – warum hast du mich nicht eher geweckt?«

 

sternchenland.com »Ich hörte das Geräusch und habe dich sofort angestoßen. Bist du denn sicher, daß es Bellamy war?«

 

Er antwortete nicht, sondern packte sie nur krampfhaft am Arm und machte eine Bewegung, daß sie schweigen sollte. Dann lauschten sie angestrengt und hörten, wie sich die steinerne Tür in der Bibliothek schloß.

 

»Es war also doch Bellamy,« sagte Julius und ging wieder in den größeren Raum hinaus, um den Grund für diesen nächtlichen Besuch zu entdecken.

 

Er steckte die Gaslampen wieder an und hoffte, daß der Alte einen Brief zurückgelassen hätte. Aber es war nichts davon zu sehen.

 

»Warum mag er nur gekommen sein?« fragte er.

 

Fay gähnte und schüttelte den Kopf.

 

»Ja, warum macht er das alles – wie spät ist es, Julius?«

 

»Fünf Uhr. Ich bin eigentlich nicht mehr müde und möchte nicht mehr zu Bett gehen, Fay. Mache bitte Tee.«

 

Während sie in die Küche ging, suchte er weiter nach einer Erklärung für Bellamys Erscheinen.

 

»Ich freue mich, daß ich wach bin,« meinte Fay, als sie den Tee hereinbrachte. »Hierdurch unterscheidet sich dieses Gefängnis von allen anderen, in denen ich früher war.«

 

Sie setzte die Tassen auf den Tisch.

 

»Ich möchte jetzt am liebsten in dem Tagebuch weiterlesen,« sagte sie und zog die Schreibtischschublade auf.

 

Er hörte, wie sie einen leisen Schrei ausstieß und sah, wie sie die zweite Schublade aufzog und schnell durchsuchte.

 

»Was hast du?«

 

»Das Tagebuch ist verschwunden, Julius!« sagte sie erschrocken. sternchenland.com

 

Kapitel 61

 

61

 

Savini war verstört.

 

»Bist du deiner Sache auch ganz sicher?«

 

Sie zogen beide Schubladen heraus und leerten ihren Inhalt auf eine Decke, die sie auf den Boden legten.

 

»Hast du es auch wirklich wieder in die Schublade zurückgelegt?« fragte er. Er wußte, daß seine Frage nutzlos war, da er sie ja selbst dabei beobachtet hatte.

 

Sie sahen sich bestürzt an.

 

»Deshalb ist er auch hier heruntergekommen – wahrscheinlich hat er sich daran erinnert,« meinte Fay.

 

Julius fluchte leise.

 

»Es war eine unverzeihliche Dummheit von mir, das Buch in dem Schubfach zu lassen. Wir hätten uns doch denken können, daß er zurückkommen würde, um es an sich zu nehmen. Er hat sicher nicht gewußt, wo es lag.«

 

Es mußte ungefähr neun Uhr morgens sein. Sie saßen verzweifelt zusammen auf dem großen Divan. Julius hatte den Kopf in die Hände vergraben, und Fay machte einen Versuch, sich durch Lesen zu zerstreuen, als sie plötzlich hörten, wie das hölzerne Brett, das das Eisengitter verdeckte, zurückgezogen wurde. Bellamy rief sie an.

 

Julius hatte im Augenblick seine Pistole zur Hand und sprang hinter einen Pfeiler, um Deckung zu suchen.

 

»Savini, legen Sie Ihren Revolver nur ruhig beiseite,« sagte der Alte. »Legen Sie ihn dort auf den Tisch, damit ich ihn sehen kann. Dann will ich auch mit Ihnen sprechen. Aber nur wenn Sie mir gehorchen und das Schießeisen weglegen!«

 

Julius überlegte schnell. Durch Widerspruch wurde nichts gewonnen, und er legte die Pistole auf einen kleinen Tisch.

 

»Kommen Sie einmal zur Tür, fürchten Sie sich nicht. Wenn ich Sie hätte erschießen wollen, dann hätte ich das sternchenland.com längst unbeobachtet von dem Gitter aus tun können, ebenso wie ich von dort aus zu Ihnen sprechen kann.«

 

»Was wollen Sie denn, Mr. Bellamy?« fragte Julius aufsässig. »Ich verstehe nicht, warum Sie uns hier gefangenhalten. Sie hätten uns doch vertrauen können.«

 

»Das hätte ich ganz gewiß nicht tun können. Ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen, daß man nach Ihnen sucht. Ein Polizist war den ganzen Morgen oben und hat mich ausgefragt. Er sagte, man hätte einige Schriftstücke in Ihrer Wohnung gefunden, die einen Anhaltspunkt dafür geben, daß Sie außer Landes gehen wollten. Vermutlich wird man bald aufhören, nach Ihnen zu suchen, Savini. Sehen Sie zu, daß Sie mit Ihren Nahrungsmitteln möglichst lange aushalten, denn neue gibt es nicht, und heraus kommen Sie auch nicht. Sie werden für immer in dem Gefängnis bleiben! Den Schlüssel habe ich weggeworfen – in den tiefen Brunnen, Savini.«

 

»Sie lügen,« sagte Julius ruhig. »Sie sind ja noch in der vorigen Nacht hier gewesen, um das Tagebuch wegzunehmen.«

 

Bellamy starrte ihn entsetzt durch das Gitter an.

 

»Was sagten Sie da eben?« Seine Stimme war heiser.

 

»Sie sind in der letzten Nacht hier gewesen und haben das Tagebuch geholt.«

 

»Welches Tagebuch?«

 

»Sie brauchen uns doch nichts vorzumachen. Sie kamen kurz vor fünf heute morgen herunter, und Sie können von Glück sagen, daß ich Sie nicht gesehen habe!«

 

»Was für ein Tagebuch meinen Sie denn?« fragte Bellamy. »Hat sie etwa Aufzeichnungen hier zurückgelassen? Das hätte ich mir doch denken können! Wo ist denn das Tagebuch?«

 

»Ich habe Ihnen doch gesagt, daß es fort ist,« erwiderte Julius ungeduldig. »Sie kamen –«

 

»Sie sind wohl nicht ganz bei Sinnen, Sie Narr!« sternchenland.com brüllte Bellamy. »Ich bin nicht mehr hergekommen, seitdem ich Sie eingeschlossen habe.«

 

Es dauerte einige Zeit, bevor Bellamy seine Fassung wiedergewann.

 

»Sagen Sie mir, Savini, und wenn Sie das tun, werde ich Sie gut behandeln, was war es denn – war es das Tagebuch der Frau?«

 

»Das müssen Sie doch selbst am besten wissen!«

 

Diese Antwort brachte Bellamy in helle Wut.

 

»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß ich nichts davon weiß – ich habe es niemals gesehen. Ich wußte auch nicht, daß es hier war. Was stand denn darin?«

 

Julius erzählte ihm den Inhalt eines Abschnittes, und Bellamy sank in sich zusammen, als ob er einen Schlag erhalten hätte. Aber dann richtete er sich wieder auf, und die beiden konnten selbst in dem trüben Licht sehen, daß er totenbleich war.

 

»Savini,« sagte er düster, »früher gab es noch eine Möglichkeit, daß ich Sie hier herausgelassen hätte, wirklich, es wäre unter gewissen Bedingungen möglich gewesen. Vielleicht hätte ich den andern an Ihrer Stelle eingesperrt. Aber jetzt wissen Sie zu viel, als daß ich Sie freigeben könnte!«

 

Die Tür wurde zugeschlagen, bevor Julius etwas erwidern konnte. Er drehte sich um und sah in das entsetzte Gesicht Fays.

 

»Wie konntest du ihm nur etwas von dem Tagebuch erzählen, als du sahst, daß er nichts davon wußte? Julius, du warst nicht bei Verstand!«

 

Savini zuckte die schmalen Schultern.

 

»Was macht das auch viel aus?« sagte er. »Ich glaube ihm wirklich nicht, wenn er eben sagte, daß er uns herausgelassen hatte. Er hält uns hier fest, Fay.« Er legte seinen Arm um sie und seine Wange an die ihre. »Es ist nicht so schrecklich, als ich anfangs dachte,« sagte er und streichelte sie. »Ich sternchenland.com habe mich immer so sehr vor dem Tod gefürchtet und der Gedanke, daß man wie eine Ratte in der Falle sterben sollte, hätte mich früher verrückt gemacht. Aber jetzt bin ich ruhig geworden, mein Liebling.«

 

Sie löste sich leise aus seiner Umarmung.

 

»Julius, wenn Bellamy sagt, daß er uns hier sterben lassen will, so kannst du sicher sein, daß er sein Wort hält. Aber höre, wenn jemand einen Weg hierher gefunden hat, dann müßten wir doch auch einen Weg herausfinden können.«

 

Julius schüttelte den Kopf.

 

»Der Grüne Bogenschütze kam durch die Tür, und nur der Grüne Bogenschütze konnte das tun.«

 

Sie wunderte sich über seine Ruhe und Gelassenheit. Das war nicht mehr der Julius, den sie von früher her kannte, nicht der nervöse, ewig gereizte, unzufriedene Julius, der sich vor allem fürchtete und vor dem alten Bellamy kroch. Seine Verheiratung mit Fay war zuerst eine reizvolle Episode gewesen, nachher war es weiter nichts als eine äußere Form, die sie stolz anderen Frauen gegenüber zeigte, die nicht so glücklich waren wie sie. Es hatte aber schon Zeiten gegeben, da sie ihren Mann verachtete, und Augenblicke, in denen sie bereit war, ihn zu betrügen.

 

»Ich sehe dich jetzt in einem ganz neuen Lichte, Savini« sagte sie zärtlich zu ihm.

 

»Ich komme mir selbst ganz anders vor,« gestand er ihr. »Wir müssen nun der Wahrheit ins Auge sehen. Der alte Bellamy will einen teuflischen Plan gegen uns ausführen, gegen den einfacher Mord eine unschuldige Sache ist. Ich möchte nur wissen, warum er die Gewehre gekauft hat.«

 

»Was meinst du?« fragte sie verwundert.

 

»Oben in dem Turm der Burgkapelle steht eine Kiste. Ich habe sie zufällig gefunden. Sie enthält ein Dutzend Mannlicher-Gewehre und zwei große Kasten mit Munition. Sie steht in dem Raum über dem Zimmer, das Featherstone bewohnte. sternchenland.com Ich habe eine Ahnung, daß wir sie noch hören werden – aber dann wird es auch mit uns zu Ende gehen.«

 

»Was will er denn mit einer Kiste mit Gewehren anfangen?«

 

Aber Julius konnte es ihr nicht sagen.

 

»Er ist ein Schütze, der nie sein Ziel verfehlt, wie er mir einmal sagte.« Er schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, ich hätte ihm nichts von dem Tagebuch erzählt. Vielleicht habe ich dadurch veranlaßt, daß er noch die Gewehre gebrauchen wird.«

 

Bellamy saß in seinem ruhigen Zimmer, um sich über die Lage klar zu werden, die am gefährlichsten für ihn selbst war. Aber darüber dachte er am wenigsten nach. Für diesen unbarmherzigen Mann lag das Unglück darin, daß ihm in zwölfter Stunde, als ihm das Schicksal bereits die Möglichkeit gegeben hatte, sich an der verhaßten Frau zu rächen, der Erfolg doch noch entrungen wurde. Von dem Augenblick ihres Verschwindens an war er auf seiner Hut. Wohin sie gegangen und wie sie entkommen war, konnte er nicht einmal vermuten. Er wußte nur, daß irgendwo in der Ferne oder in der Nähe irgendeine Kraft mit tödlicher Gewißheit gegen ihn arbeitete, eine Kraft, die sich in dem Grünen Bogenschützen offenbarte. Er erschauerte, weil ihm zum Bewußtsein kam, daß Garre Castle wieder einmal eine Festung war, die gegen die Feinde ihres Herrn verteidigt wurde. Wenn er erst seine Pläne durchgeführt hatte, mochten sie ihn ruhig bestürmen, die Eichentore berennen, oder die steilen Mauern erklimmen. Er würde mit Genugtuung sterben.

 

Er war noch in seinen Gedanken versunken, als Sen kam und ein Stück Papier vor ihm hinlegte, auf dem er um Befehle bat.

 

Bellamy winkte ihn ungeduldig beiseite.

 

»Ich will jetzt noch nicht essen, ich werde noch den Auftrag sternchenland.com geben, wenn es soweit ist. Sen, würdest du gern nach China zurückkehren?«

 

Sen schüttelte den Kopf.

 

Der alte Mann brütete eine Weile vor sich hin, dann erhob er sich, öffnete den Geldschrank hinter der Holzvertäfelung, nahm ein Paket Banknoten heraus und gab sie seinem Chauffeur.

 

»Da hast du einen großen Haufen Geld, ich habe es nicht gezählt, aber wenn irgend etwas passieren sollte, Sen, so wäre es besser, wenn du nach Hause zurückgingst.«

 

Der Chinese sah ihn fragend an.

 

»Du möchtest wohl wissen, was mir geschehen könnte?« sagte Abel hart. »Es kann eine ganze Menge passieren. Aber höre, du hast jetzt all diese Jahre keine unnötigen Fragen an mich gestellt, fange jetzt nicht damit an! In ein paar Tagen werde ich dich nach London schicken, du brauchst nicht mehr zurückzukommen. Packe deine Bücher und dein Geschreibsel oder was immer dir Freude macht, zusammen und nimm es mit dir fort.«

 

Sen wartete mit dem Notizblock in der Hand, als ob er noch einmal fragen wollte. Aber dann schien er sich die Sache überlegt zu haben und verschwand mit einer Verbeugung aus dem Raum.

 

Es ging zu Ende – Bellamy wußte es. Eine innere Stimme sagte es ihm deutlich. Der Tag war nahe, an dem die Schatten des Todes jede Erinnerung an Garre Castle mit all seinem Haß und seiner Liebe auslöschen würden. – Wenn er nur die graue Frau finden könnte! Wenn sie doch nur durch irgendwelche außergewöhnlichen Umstände wieder in seine Gewalt käme. In ganz London gab es keine Detektivagentur, die nicht nach ihr suchte. Alle Informationen, die man sich durch Geld verschaffen konnte, standen zu seiner Verfügung. Aber sie war verschwunden, als ob die Erde sich aufgetan und sie verschlungen hätte. Und merkwürdigerweise sternchenland.com hatte die Polizei noch nicht eingegriffen. Dieser eitle Featherstone – wie würde der sich freuen, wenn er in das Schloß kommen könnte mit einem seiner Durchsuchungsbefehle!

 

Das Tagebuch! Was mochte sie wohl geschrieben haben? Wenn man Savini glauben konnte, hatte sie viel zu viel geschrieben, als daß Abel Bellamy ruhig bleiben durfte. Und er sagte sich, daß Julius diesen Absatz in ihrem Tagebuch nicht hatte erfinden können, den er ihm so geläufig wiedererzählt hatte.

 

Schließlich erhob er sich und ging in die Gefängniszellen hinunter, um dort weiterzuarbeiten. Julius hörte ihn, nahm seine Pistole und kroch bis zu der Öffnung in der Mauer, fand aber, daß das Gitter durch ein starkes Brett verdeckt war. Es war ihm unmöglich, Bellamy bei der Arbeit zu sehen, der den ganzen Tag unten blieb. Das Geräusch von Stahl auf Stein drang zu dem Gefangenen, und einmal hörte Fay brummende Laute. Sie erschrak zuerst, aber später wurde ihre Neugierde rege. Es dauerte einige Zeit, bevor sie eine Erklärung fanden. Abel Bellamy sang bei der Arbeit laut, und Fay war sehr verwundert.