Kapitel 60

 

60

 

Julius Savini war philosophisch veranlagt und nahm die Lage, in der er sich jetzt befand, mit solcher Ruhe auf, daß sich selbst Fay darüber wunderte. Er saß nun schon zwei Tage in einem der Kerker von Garre Castle und hatte in dieser Zeit nichts mehr von Bellamy gesehen, der ihn hier eingesperrt hatte. Es war keine Gefahr, daß sie verhungerten, denn die kleine Vorratskammer war mit Lebensmittelkonserven angefüllt. Als er Nachforschungen anstellte, fand er auch noch eine große Anzahl ungeöffneter Tins mit Zwieback. Auch konnte er die Wasserleitung benützen, und es war bis jetzt kein Versuch gemacht worden, das Gas abzustellen.

 

Eine Eigentümlichkeit ihres Gefängnisses zeigte Bellamys mitternächtliche Tätigkeit in einem neuen Licht. Es war eine Öffnung, ungefähr vier Fuß im Quadrat. Sie war durch eine Wand geschlagen und auf der anderen Seite durch ein quadratisches Gitter geschlossen. Savini hatte sich umsonst bemüht, es zu öffnen oder auch nur zu bewegen. Als er in das Mauerloch hineinkroch und durch das Gitter schaute, entdeckte er, daß die Öffnung in die Kerker führte, die Bellamy damals seinen Gästen gezeigt hatte.

 

»Das war also das Geräusch, das wir gehört haben, Fay,« sagte er dann. »Der alte Bellamy hat seit Wochen gearbeitet, um hier durchzukommen, und er muß auch noch den Rest der Nacht dazu gebraucht haben, um dieses Gitter zu befestigen, nachdem wir die Explosion hörten.«

 

sternchenland.com »Kannst du es nicht irgendwie bewegen?« fragte sie ängstlich.

 

»Es ist mit Zement eingelassen, und selbst wenn wir durch die Öffnung kämen, wäre es doch unmöglich, die Gittertür oben an der Treppe zu öffnen.«

 

»Bist du sicher, daß es die Kerker sind, die du von früher her kennst?«

 

Er nickte.

 

»Ich kann die Falltür in der niedrigen Öffnung sehen, aber die ist auch vollständig mit Zementmörtel befestigt. Ich weiß nicht, warum Bellamy so stolz auf diese Kerker war. – Fay, wir sitzen nun hier in der Falle,« sagte er dann ruhig. »Und trotzdem ich nun einen Revolver und acht Patronen habe, glaube ich doch, daß wir nicht einmal die Aussicht haben, in nächster Zukunft die Schußwaffe zu gebrauchen. Es war eine Dummheit von mir, dem Alten zu zeigen, daß ich bewaffnet war. Wir wollen sehr sparsam mit den Nahrungsmitteln umgehen und uns einen Plan machen, wie wir möglichst lange mit ihnen auskommen.«

 

Julius überlegte sich, ob es nicht möglich wäre, das Schloß aus der Tür herauszuschießen, aber nach einer eingehenden Prüfung überzeugte er sich, daß der Versuch mißlungen wäre. Er hätte höchstens damit erreicht, daß man die Tür überhaupt nicht mehr hätte öffnen können.

 

»Vielleicht will er uns auch nur Angst einjagen,« sagte er. Aber Fay wußte nur zu gut, daß er das selbst nicht glaubte.

 

»Wir wollen so lange leben als irgendmöglich, Julius,« sagte sie und legte ihren Arm in den seinen. »Sicher vermutet Featherstone, was sich hier ereignet hat.«

 

»Featherstone hat damals auch angenommen, daß die Frau in der Burg versteckt sei, aber er hat sie doch nicht gefunden, und man kann ihm deswegen auch keinen Vorwurf machen. Ich wundere mich nur, wie sie entkommen konnte.«

 

sternchenland.com Plötzlich kam ihm ein Gedanke, und er machte sich an eine eingehende Untersuchung der Wände, die fast den ganzen Tag in Anspruch nahm.

 

»Der ganze Platz hier ist von Geheimgängen durchfurcht,« sagte er schließlich. »Es ist möglich, daß es einen Weg hier heraus gibt, es handelt sich nur darum, daß wir ihn entdecken.«

 

Aber nach einiger Zeit gab er verzweifelt seine Nachforschungen auf, setzte sich nieder und versuchte, sich mit der schlimmen Lage, in der er sich befand, abzufinden.

 

Am nächsten Tag fand Fay ein Buch mit rotem Umschlag in der Schreibtischschublade, die sie entdeckt hatte. Die Seiten waren in einer sauberen, aber sehr kleinen Handschrift eng beschrieben. Selbst auf dem Rücken des Bandes fand sie noch Text. Es war offensichtlich ein Tagebuch.

 

»Julius,« rief sie laut und Savini, der den Steinfußboden untersuchte, um vielleicht dadurch einen Ausweg zu finden, kam zu ihr.

 

»Das ist das Tagebuch der Frau,« sagte sie mit leiser Stimme. »Es ist Hunderte, ja Tausende wert, wenn wir herauskommen können.«

 

Er nahm ihr das Buch ab, setzte sich unter eine der Gaslampen und las eine Stunde. Es war eine unheimliche Geschichte, und Julius ließ kein Wort aus. Dann legte er das Buch wieder hin, erhob sich und reckte sich steif und müde.

 

»Verwahre es gut und lege es an einen Platz, wo wir es wiederfinden können. Ich glaube ja nicht, daß wir jemals wieder aus diesem Loch herauskommen, aber wenn es uns gelingen sollte, dann können wir uns eine Villa in Monte Carlo und eine Prachtwohnung in Berkeley Square leisten, solange wir leben.«

 

Den Rest des Tages lasen sie abwechselnd, und Julius, der ein hervorragendes Gedächtnis hatte, merkte sich die wichtigsten Tatsachen. Als seine Taschenuhr zehn zeigte, gingen sie sternchenland.com zu Bett, nachdem sie ihren Fund wieder in dem Schreibtisch verborgen hatten.

 

Das Entlüftungssystem ihres Kerkers war wirklich bewunderungswürdig. Selbst in dem abgelegenen Raum, in dem sie schliefen, war die Luft stets rein. Sie wurde durch eine Leitung zugeführt, die an den Wänden und Gewölben des Raumes entlanglief. Diese Tatsache war Julius nicht entgangen, und er empfand Respekt und Hochachtung vor Bellamys Leistungen.

 

»Es muß ihm unheimlich viel Zeit gekostet haben, diesen Kerker so auszustatten,« sagte er, als er in seinem Bett lag und zu der Steindecke emporstarrte, die sich über ihm wölbte. »Er hat doch tatsächlich alles allein gemacht. Der Pförtner erzählte mir, daß er monatelang in dem Schloß beschäftigt war, bevor er irgendwelche Dienstboten anstellte oder die Burg möblierte. Bellamy ist schlau, und er hat ja auch seine Laufbahn als Maurer begonnen. Vermutlich fiel es ihm bei seiner ungewöhnlichen persönlichen Körperkraft nicht schwer, die Änderungen am Gebäude ohne fremde Hilfe vorzunehmen.«

 

Fay saß vor dem Toilettentisch und manikürte sich in aller Ruhe.

 

»Julius, weißt du, was ich denke?« fragte sie.

 

»Das würde ich manchmal gerne wissen.«

 

»Ich glaube, wir sind erst die ersten von den Leuten, die Bellamy hier einsperren will. Dieses eiserne Gitter, das in die unteren Kerker führt, ist mit einer ganz bestimmten Absicht hier angebracht worden. Er ist darauf aus, noch andere zu fangen, und wir brauchen uns wohl keine Sorge über Lebensmitteleinteilung zu machen.«

 

»Warum nicht?« fragte Julius überrascht.

 

»Wenn erst die anderen Gefangenen ankommen, wird Bellamy ein Geschäft hier einrichten und das Billigste, was zu haben ist, wird das Leben von Mr. und Mrs. Savini sein.« sternchenland.com Savini schüttelte sich vor Furcht.

 

»Was meinst du damit?« fragte er heiser.

 

»Ich meine es genau so, wie ich es sage. Er hat dich in der Falle gefangen und mich auch. Er ist auf das große Ende vorbereitet, und es wird ihm seht leicht sein, da Coldharbour Smith tot ist. Er hat nur noch mit mir, mit dir, mit Lacy und Featherstone zu rechnen –«

 

»Und mit Miß Howett,« ergänzte Julius nach einer Pause.

 

»Ich mußte an sie denken, aber ich weiß nicht genau, was er gegen sie haben könnte. Sicherlich will er sie nach Garre Castle bringen und vielleicht tut er das auch.«

 

Fay hatte einen leisen Schlaf, das geringste Geräusch weckte sie sofort auf.

 

Julius fühlte plötzlich, daß er leise an der Schulter berührt wurde und sich eine Hand auf seinen Mund legte.

 

»Mache keinen Lärm,« flüsterte Fay und nahm ihre Hand fort.

 

»Was ist los?« fragte er ebenso vorsichtig.

 

»Draußen ist jemand.«

 

Julius tastete nach der Pistole unter seinem Kissen, erhob sich lautlos und öffnete die Türe. Er hatte die sechs Lampen brennen lassen, aber nun waren sie alle mit Ausnahme einer einzigen ausgelöscht und der unterirdische Raum lag im Dunkel. Behutsam spähte er umher, aber er konnte niemand entdecken. Und doch mußte jemand hier gewesen sein und die Lichter ausgemacht haben. Von seinem Standpunkt aus konnte er die Tür sehen, durch die ihn Bellamy damals hereingestoßen hatte, und während er noch darauf hinstarrte, hörte er, daß sie leise einschnappte.

 

»Es war Bellamy,« sagte er bitter, als er in das Schlafzimmer zurückkam. »Wenn ich das nur vorher gewußt hätte – warum hast du mich nicht eher geweckt?«

 

sternchenland.com »Ich hörte das Geräusch und habe dich sofort angestoßen. Bist du denn sicher, daß es Bellamy war?«

 

Er antwortete nicht, sondern packte sie nur krampfhaft am Arm und machte eine Bewegung, daß sie schweigen sollte. Dann lauschten sie angestrengt und hörten, wie sich die steinerne Tür in der Bibliothek schloß.

 

»Es war also doch Bellamy,« sagte Julius und ging wieder in den größeren Raum hinaus, um den Grund für diesen nächtlichen Besuch zu entdecken.

 

Er steckte die Gaslampen wieder an und hoffte, daß der Alte einen Brief zurückgelassen hätte. Aber es war nichts davon zu sehen.

 

»Warum mag er nur gekommen sein?« fragte er.

 

Fay gähnte und schüttelte den Kopf.

 

»Ja, warum macht er das alles – wie spät ist es, Julius?«

 

»Fünf Uhr. Ich bin eigentlich nicht mehr müde und möchte nicht mehr zu Bett gehen, Fay. Mache bitte Tee.«

 

Während sie in die Küche ging, suchte er weiter nach einer Erklärung für Bellamys Erscheinen.

 

»Ich freue mich, daß ich wach bin,« meinte Fay, als sie den Tee hereinbrachte. »Hierdurch unterscheidet sich dieses Gefängnis von allen anderen, in denen ich früher war.«

 

Sie setzte die Tassen auf den Tisch.

 

»Ich möchte jetzt am liebsten in dem Tagebuch weiterlesen,« sagte sie und zog die Schreibtischschublade auf.

 

Er hörte, wie sie einen leisen Schrei ausstieß und sah, wie sie die zweite Schublade aufzog und schnell durchsuchte.

 

»Was hast du?«

 

»Das Tagebuch ist verschwunden, Julius!« sagte sie erschrocken. sternchenland.com

 

Kapitel 61

 

61

 

Savini war verstört.

 

»Bist du deiner Sache auch ganz sicher?«

 

Sie zogen beide Schubladen heraus und leerten ihren Inhalt auf eine Decke, die sie auf den Boden legten.

 

»Hast du es auch wirklich wieder in die Schublade zurückgelegt?« fragte er. Er wußte, daß seine Frage nutzlos war, da er sie ja selbst dabei beobachtet hatte.

 

Sie sahen sich bestürzt an.

 

»Deshalb ist er auch hier heruntergekommen – wahrscheinlich hat er sich daran erinnert,« meinte Fay.

 

Julius fluchte leise.

 

»Es war eine unverzeihliche Dummheit von mir, das Buch in dem Schubfach zu lassen. Wir hätten uns doch denken können, daß er zurückkommen würde, um es an sich zu nehmen. Er hat sicher nicht gewußt, wo es lag.«

 

Es mußte ungefähr neun Uhr morgens sein. Sie saßen verzweifelt zusammen auf dem großen Divan. Julius hatte den Kopf in die Hände vergraben, und Fay machte einen Versuch, sich durch Lesen zu zerstreuen, als sie plötzlich hörten, wie das hölzerne Brett, das das Eisengitter verdeckte, zurückgezogen wurde. Bellamy rief sie an.

 

Julius hatte im Augenblick seine Pistole zur Hand und sprang hinter einen Pfeiler, um Deckung zu suchen.

 

»Savini, legen Sie Ihren Revolver nur ruhig beiseite,« sagte der Alte. »Legen Sie ihn dort auf den Tisch, damit ich ihn sehen kann. Dann will ich auch mit Ihnen sprechen. Aber nur wenn Sie mir gehorchen und das Schießeisen weglegen!«

 

Julius überlegte schnell. Durch Widerspruch wurde nichts gewonnen, und er legte die Pistole auf einen kleinen Tisch.

 

»Kommen Sie einmal zur Tür, fürchten Sie sich nicht. Wenn ich Sie hätte erschießen wollen, dann hätte ich das sternchenland.com längst unbeobachtet von dem Gitter aus tun können, ebenso wie ich von dort aus zu Ihnen sprechen kann.«

 

»Was wollen Sie denn, Mr. Bellamy?« fragte Julius aufsässig. »Ich verstehe nicht, warum Sie uns hier gefangenhalten. Sie hätten uns doch vertrauen können.«

 

»Das hätte ich ganz gewiß nicht tun können. Ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen, daß man nach Ihnen sucht. Ein Polizist war den ganzen Morgen oben und hat mich ausgefragt. Er sagte, man hätte einige Schriftstücke in Ihrer Wohnung gefunden, die einen Anhaltspunkt dafür geben, daß Sie außer Landes gehen wollten. Vermutlich wird man bald aufhören, nach Ihnen zu suchen, Savini. Sehen Sie zu, daß Sie mit Ihren Nahrungsmitteln möglichst lange aushalten, denn neue gibt es nicht, und heraus kommen Sie auch nicht. Sie werden für immer in dem Gefängnis bleiben! Den Schlüssel habe ich weggeworfen – in den tiefen Brunnen, Savini.«

 

»Sie lügen,« sagte Julius ruhig. »Sie sind ja noch in der vorigen Nacht hier gewesen, um das Tagebuch wegzunehmen.«

 

Bellamy starrte ihn entsetzt durch das Gitter an.

 

»Was sagten Sie da eben?« Seine Stimme war heiser.

 

»Sie sind in der letzten Nacht hier gewesen und haben das Tagebuch geholt.«

 

»Welches Tagebuch?«

 

»Sie brauchen uns doch nichts vorzumachen. Sie kamen kurz vor fünf heute morgen herunter, und Sie können von Glück sagen, daß ich Sie nicht gesehen habe!«

 

»Was für ein Tagebuch meinen Sie denn?« fragte Bellamy. »Hat sie etwa Aufzeichnungen hier zurückgelassen? Das hätte ich mir doch denken können! Wo ist denn das Tagebuch?«

 

»Ich habe Ihnen doch gesagt, daß es fort ist,« erwiderte Julius ungeduldig. »Sie kamen –«

 

»Sie sind wohl nicht ganz bei Sinnen, Sie Narr!« sternchenland.com brüllte Bellamy. »Ich bin nicht mehr hergekommen, seitdem ich Sie eingeschlossen habe.«

 

Es dauerte einige Zeit, bevor Bellamy seine Fassung wiedergewann.

 

»Sagen Sie mir, Savini, und wenn Sie das tun, werde ich Sie gut behandeln, was war es denn – war es das Tagebuch der Frau?«

 

»Das müssen Sie doch selbst am besten wissen!«

 

Diese Antwort brachte Bellamy in helle Wut.

 

»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß ich nichts davon weiß – ich habe es niemals gesehen. Ich wußte auch nicht, daß es hier war. Was stand denn darin?«

 

Julius erzählte ihm den Inhalt eines Abschnittes, und Bellamy sank in sich zusammen, als ob er einen Schlag erhalten hätte. Aber dann richtete er sich wieder auf, und die beiden konnten selbst in dem trüben Licht sehen, daß er totenbleich war.

 

»Savini,« sagte er düster, »früher gab es noch eine Möglichkeit, daß ich Sie hier herausgelassen hätte, wirklich, es wäre unter gewissen Bedingungen möglich gewesen. Vielleicht hätte ich den andern an Ihrer Stelle eingesperrt. Aber jetzt wissen Sie zu viel, als daß ich Sie freigeben könnte!«

 

Die Tür wurde zugeschlagen, bevor Julius etwas erwidern konnte. Er drehte sich um und sah in das entsetzte Gesicht Fays.

 

»Wie konntest du ihm nur etwas von dem Tagebuch erzählen, als du sahst, daß er nichts davon wußte? Julius, du warst nicht bei Verstand!«

 

Savini zuckte die schmalen Schultern.

 

»Was macht das auch viel aus?« sagte er. »Ich glaube ihm wirklich nicht, wenn er eben sagte, daß er uns herausgelassen hatte. Er hält uns hier fest, Fay.« Er legte seinen Arm um sie und seine Wange an die ihre. »Es ist nicht so schrecklich, als ich anfangs dachte,« sagte er und streichelte sie. »Ich sternchenland.com habe mich immer so sehr vor dem Tod gefürchtet und der Gedanke, daß man wie eine Ratte in der Falle sterben sollte, hätte mich früher verrückt gemacht. Aber jetzt bin ich ruhig geworden, mein Liebling.«

 

Sie löste sich leise aus seiner Umarmung.

 

»Julius, wenn Bellamy sagt, daß er uns hier sterben lassen will, so kannst du sicher sein, daß er sein Wort hält. Aber höre, wenn jemand einen Weg hierher gefunden hat, dann müßten wir doch auch einen Weg herausfinden können.«

 

Julius schüttelte den Kopf.

 

»Der Grüne Bogenschütze kam durch die Tür, und nur der Grüne Bogenschütze konnte das tun.«

 

Sie wunderte sich über seine Ruhe und Gelassenheit. Das war nicht mehr der Julius, den sie von früher her kannte, nicht der nervöse, ewig gereizte, unzufriedene Julius, der sich vor allem fürchtete und vor dem alten Bellamy kroch. Seine Verheiratung mit Fay war zuerst eine reizvolle Episode gewesen, nachher war es weiter nichts als eine äußere Form, die sie stolz anderen Frauen gegenüber zeigte, die nicht so glücklich waren wie sie. Es hatte aber schon Zeiten gegeben, da sie ihren Mann verachtete, und Augenblicke, in denen sie bereit war, ihn zu betrügen.

 

»Ich sehe dich jetzt in einem ganz neuen Lichte, Savini« sagte sie zärtlich zu ihm.

 

»Ich komme mir selbst ganz anders vor,« gestand er ihr. »Wir müssen nun der Wahrheit ins Auge sehen. Der alte Bellamy will einen teuflischen Plan gegen uns ausführen, gegen den einfacher Mord eine unschuldige Sache ist. Ich möchte nur wissen, warum er die Gewehre gekauft hat.«

 

»Was meinst du?« fragte sie verwundert.

 

»Oben in dem Turm der Burgkapelle steht eine Kiste. Ich habe sie zufällig gefunden. Sie enthält ein Dutzend Mannlicher-Gewehre und zwei große Kasten mit Munition. Sie steht in dem Raum über dem Zimmer, das Featherstone bewohnte. sternchenland.com Ich habe eine Ahnung, daß wir sie noch hören werden – aber dann wird es auch mit uns zu Ende gehen.«

 

»Was will er denn mit einer Kiste mit Gewehren anfangen?«

 

Aber Julius konnte es ihr nicht sagen.

 

»Er ist ein Schütze, der nie sein Ziel verfehlt, wie er mir einmal sagte.« Er schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, ich hätte ihm nichts von dem Tagebuch erzählt. Vielleicht habe ich dadurch veranlaßt, daß er noch die Gewehre gebrauchen wird.«

 

Bellamy saß in seinem ruhigen Zimmer, um sich über die Lage klar zu werden, die am gefährlichsten für ihn selbst war. Aber darüber dachte er am wenigsten nach. Für diesen unbarmherzigen Mann lag das Unglück darin, daß ihm in zwölfter Stunde, als ihm das Schicksal bereits die Möglichkeit gegeben hatte, sich an der verhaßten Frau zu rächen, der Erfolg doch noch entrungen wurde. Von dem Augenblick ihres Verschwindens an war er auf seiner Hut. Wohin sie gegangen und wie sie entkommen war, konnte er nicht einmal vermuten. Er wußte nur, daß irgendwo in der Ferne oder in der Nähe irgendeine Kraft mit tödlicher Gewißheit gegen ihn arbeitete, eine Kraft, die sich in dem Grünen Bogenschützen offenbarte. Er erschauerte, weil ihm zum Bewußtsein kam, daß Garre Castle wieder einmal eine Festung war, die gegen die Feinde ihres Herrn verteidigt wurde. Wenn er erst seine Pläne durchgeführt hatte, mochten sie ihn ruhig bestürmen, die Eichentore berennen, oder die steilen Mauern erklimmen. Er würde mit Genugtuung sterben.

 

Er war noch in seinen Gedanken versunken, als Sen kam und ein Stück Papier vor ihm hinlegte, auf dem er um Befehle bat.

 

Bellamy winkte ihn ungeduldig beiseite.

 

»Ich will jetzt noch nicht essen, ich werde noch den Auftrag sternchenland.com geben, wenn es soweit ist. Sen, würdest du gern nach China zurückkehren?«

 

Sen schüttelte den Kopf.

 

Der alte Mann brütete eine Weile vor sich hin, dann erhob er sich, öffnete den Geldschrank hinter der Holzvertäfelung, nahm ein Paket Banknoten heraus und gab sie seinem Chauffeur.

 

»Da hast du einen großen Haufen Geld, ich habe es nicht gezählt, aber wenn irgend etwas passieren sollte, Sen, so wäre es besser, wenn du nach Hause zurückgingst.«

 

Der Chinese sah ihn fragend an.

 

»Du möchtest wohl wissen, was mir geschehen könnte?« sagte Abel hart. »Es kann eine ganze Menge passieren. Aber höre, du hast jetzt all diese Jahre keine unnötigen Fragen an mich gestellt, fange jetzt nicht damit an! In ein paar Tagen werde ich dich nach London schicken, du brauchst nicht mehr zurückzukommen. Packe deine Bücher und dein Geschreibsel oder was immer dir Freude macht, zusammen und nimm es mit dir fort.«

 

Sen wartete mit dem Notizblock in der Hand, als ob er noch einmal fragen wollte. Aber dann schien er sich die Sache überlegt zu haben und verschwand mit einer Verbeugung aus dem Raum.

 

Es ging zu Ende – Bellamy wußte es. Eine innere Stimme sagte es ihm deutlich. Der Tag war nahe, an dem die Schatten des Todes jede Erinnerung an Garre Castle mit all seinem Haß und seiner Liebe auslöschen würden. – Wenn er nur die graue Frau finden könnte! Wenn sie doch nur durch irgendwelche außergewöhnlichen Umstände wieder in seine Gewalt käme. In ganz London gab es keine Detektivagentur, die nicht nach ihr suchte. Alle Informationen, die man sich durch Geld verschaffen konnte, standen zu seiner Verfügung. Aber sie war verschwunden, als ob die Erde sich aufgetan und sie verschlungen hätte. Und merkwürdigerweise sternchenland.com hatte die Polizei noch nicht eingegriffen. Dieser eitle Featherstone – wie würde der sich freuen, wenn er in das Schloß kommen könnte mit einem seiner Durchsuchungsbefehle!

 

Das Tagebuch! Was mochte sie wohl geschrieben haben? Wenn man Savini glauben konnte, hatte sie viel zu viel geschrieben, als daß Abel Bellamy ruhig bleiben durfte. Und er sagte sich, daß Julius diesen Absatz in ihrem Tagebuch nicht hatte erfinden können, den er ihm so geläufig wiedererzählt hatte.

 

Schließlich erhob er sich und ging in die Gefängniszellen hinunter, um dort weiterzuarbeiten. Julius hörte ihn, nahm seine Pistole und kroch bis zu der Öffnung in der Mauer, fand aber, daß das Gitter durch ein starkes Brett verdeckt war. Es war ihm unmöglich, Bellamy bei der Arbeit zu sehen, der den ganzen Tag unten blieb. Das Geräusch von Stahl auf Stein drang zu dem Gefangenen, und einmal hörte Fay brummende Laute. Sie erschrak zuerst, aber später wurde ihre Neugierde rege. Es dauerte einige Zeit, bevor sie eine Erklärung fanden. Abel Bellamy sang bei der Arbeit laut, und Fay war sehr verwundert.

 

Kapitel 56

 

56

 

Die Hunde waren nicht mehr in Garre. Eines Morgens war ein Hundezüchter gekommen, hatte sie an die Leine gelegt und mit sich fortgenommen. Das ganze Personal von Garre Castle atmete erleichtert auf. Abel Bellamy, der seinen Sekretär bei seiner Rückkehr begrüßte, erzählte ihm nur kurz, daß sie fortgebracht wären.

 

»Ich habe sie weggeschickt,« erklärte er. »Es waren schlechte Hunde, die sich betäuben ließen. Savini, ich brauche eigentlich eine Frau hier, die nach dem Haushalt sehen könnte. Ich möchte keinen Hausmeister mehr engagieren, aber es muß jemand die Dienstboten bei der Arbeit beaufsichtigen. Würden Sie nicht Ihre Frau nach Garre bringen?«

 

Zuerst wollte Julius ablehnen.

 

»Meine Frau wird wahrscheinlich die Stellung eines Hausmeisters nicht übernehmen wollen, sie wäre ja nicht mehr als ein besserer Dienstbote.«

 

»Fragen Sie nur,« sagte der alte Bellamy kurz.

 

Julius schrieb an Fay und hatte nie geglaubt, daß sie annehmen würde. Zu seiner großen Überraschung beantwortete sie seinen Brief durch einen Besuch und brachte schon ihr ganzes Gepäck mit.

 

»Ich bin das Alleinsein müde,« sagte sie, »und ich möchte doch auch gar zu gerne einmal diesen Geist sehen, Julius. Ich habe alte Schlösser und Burgen gern. Es ist zwar nicht so schön wie in Holloway, aber man hat hier doch größere Freiheit.«

 

sternchenland.com Julius zuckte zusammen. Es gab Augenblicke, in denen er nicht daran erinnert werden wollte, daß seine Frau jemals im Gefängnis gesessen hatte.

 

Er nahm sie mit in die Bibliothek, damit sie Bellamy begrüßen konnte. Der Alte schien nicht einmal überrascht zu sein, daß sie so schnell gekommen war. Er war sehr höflich, sogar liebenswürdig zu ihr und übergab ihr die Schlüssel der Burg. Aber dann warnte er sie auch.

 

»Ich habe einen Wachtmann, der nur in der Nacht Dienst tut. Sie müssen sich keine Gedanken machen, wenn Sie nachts Geräusche hören. Er schläft am Tage, und Sie werden ihn nicht zu sehen bekommen.«

 

Als Fay in ihrem Zimmer war, versuchte sie, noch mehr über diesen nächtlichen Wanderer zu erfahren.

 

»Ich weiß auch nicht, wer es ist,« antwortete Julius. »Der Alte hat mir dasselbe gesagt. Vermutlich ist es irgendein Meuchelmörder, ein Kerl, den er angestellt hat, um den Grünen Bogenschützen unschädlich zu machen.«

 

Am Abend las Julius den Bericht über die Totenschau.

 

»Jetzt weiß ich, wer der geheimnisvolle mitternächtliche Wanderer ist,« sagte er plötzlich. »Es kann kein anderer als Lacy sein.«

 

Fay gab ihm recht.

 

Daß weder sie noch Julius eine Vorladung zur Leichenschau erhalten hatten, war ihr unverständlich. Aber sie fand schließlich eine Erklärung, als sie auf der Kante ihres Bettes saß, eine Zigarette rauchte und sich die Sache durch den Kopf gehen ließ.

 

»Featherstone hat alles unterdrückt, um Bellamys Namen nicht mit dem Fall zu verknüpfen.«

 

»Warum denn?« fragte Julius erstaunt. »Das ist doch das Letzte, was Featherstone tun würde. Er will doch gerade Bellamy fassen!«

 

»Du bist sehr schlau, Julius, aber du könntest als Diplomat sternchenland.com niemals dein Vaterland im Ausland vertreten. Das ist nicht deine starke Seite. Nahmen wir an, Featherstone hätte den alten Teufel vor Gericht gestellt – woher hätte er denn die Beweise gegen ihn nehmen sollen? Und wie hätte er ihn zur Rechenschaft ziehen können, ohne die ganze Sache mit Valerie Howett aufzurollen? Und ich weiß ganz sicher, daß sie und Bellamy in eine große, geheime Geschichte verwickelt sind. Warum hätte sie dir denn sonst soviel Geld gegeben, bloß um ein paar Informationen über ihn zu bekommen?«

 

Sie schlüpfte ins Bett, zog die Knie hoch und grübelte angestrengt nach.

 

»Ich habe mir alles überlegt, Julius. Warum wollte er eigentlich, daß ich hierherkommen sollte?«

 

»Das mag der Himmel wissen. Vielleicht kann er einen gewissen Einfluß auf mich ausüben, wenn du hier bist.«

 

Sie antwortete nicht, und er war schon halb eingeschlafen, als sie wieder zu sprechen begann.

 

»Vielleicht war Holloway doch sicherer,« meinte sie. Julius brummte unzufrieden etwas vor sich hin.

 

Fay verbrachte die erste Nacht in Garre Castle nicht besonders gut. Um drei Uhr wachte sie auf und konnte nicht wieder einschlafen. Einmal ging auch jemand an der Tür vorbei. Es war ein geheimnisvolles Schlürfen, und Fay hörte, wie der nächtliche Wanderer vergeblich versuchte, einen Hustenanfall zu unterdrücken.

 

Schließlich stand sie auf, schlüpfte in ihren Morgenrock, ging ans Fenster, zog den Vorhang beiseite und schaute in die dunkle Nacht hinaus. Es regnete, und sie konnte draußen nichts erkennen. Aber um so lebhafter arbeitete ihre Phantasie. Schaudernd und fröstelnd ging sie wieder zu Bett.

 

Sie war halb eingeschlafen, als sie plötzlich ein schwaches, regelmäßiges Klopfen vernahm. Zuerst glaubte sie, es sei ein Geräusch im Zimmer, aber als sie genauer aufhorchte, merkte sie, daß es von unten kam.

 

sternchenland.com »Tap, tap, tap!« Eine Pause – dann wieder »tap, tap, tap!«

 

Sie stieß Julius an und er erwachte.

 

»Was ist das?« flüsterte sie.

 

Er saß aufrecht im Bett und lauschte.

 

»Ich weiß es nicht, – es klingt so, als ob unten jemand ist.«

 

»Was für ein Raum ist denn unter uns?«

 

Julius dachte eine Weile nach.

 

»Das Speisezimmer – nein, die Wachtstube. Ich habe dir doch den Platz gezeigt, als du ankamst.«

 

Sie schauderte.

 

»Du meinst den Eingang zu den Kerkern?« flüsterte sie ängstlich. »Ach, Julius, ich fürchte mich schrecklich.«

 

Er klopfte ihr auf die Schulter.

 

»Sei nicht verrückt. Vielleicht ist es auch nur eine Wasserröhre. – Bellamy behauptete stets, daß alle außergewöhnlichen Geräusche hier mit der Wasserleitung zu tun haben.«

 

Trotzdem war auch er verwundert.

 

»Es kann unmöglich aus dem Wachtraum kommen, es klingt, als ob man mit einem Hammer auf Eisen schlägt. Es muß ziemlich weit fort sein, sonst würde ich es genauer hören.«

 

»Wo kann es nur sein?« fragte sie besorgt.

 

Einige Sinne waren bei Julius Savini außergewöhnlich scharf entwickelt. Während seiner etwas stürmischen Vergangenheit hatte sich sein scharfes Gehör und die Fähigkeit festzustellen, woher ein Geräusch kam, von unschätzbarem Wert für ihn erwiesen. Er fand auch bald heraus, daß das Klopfen aus den unterirdischen Kerkern kommen mußte.

 

»Wo ist es denn?« fragte Fay noch einmal.

 

»Es können nur die Wasserröhren sein,« erwiderte Julius. »Versuche du nur wieder zu schlafen, ich will einmal sehen, ob ich sie nicht abstellen kann.«

 

sternchenland.com Er zog seinen Rock an, und sie hörte, wie er die Schublade seines Schreibtisches aufzog.

 

»Du brauchst aber doch keinen Revolver, um eine Wasserröhre abzustellen?« fragte sie erschrocken.

 

»Ich bin etwas nervös geworden,« antwortete er ihr sehr ruhig. »Ich will nicht in der Burg umherwandeln ohne –«

 

Sie stand schnell auf.

 

»Ich bleibe nicht allein hier,« sagte sie bestimmt.

 

Julius war ihre Begleitung nicht unangenehm, denn er war ebenso ängstlich wie sie, allein zu sein.

 

Als sie leise auf den Gang hinaustraten, sahen sie, daß eine Lampe brannte. Die Tür zu Bellamys Schlafzimmer stand weit offen.

 

»Er ist noch nicht zu Bett gegangen,« flüsterte Julius. »Sie stand genau so offen, als ich mich legte.«

 

Auch in der unteren Halle brannte Licht. Julius schlich langsam die Treppe hinunter. Die Bibliothekstür war geschlossen, aber nun konnte er das Hämmern deutlicher erkennen. Es kam aus der Richtung des Speisezimmers, und er ging die langen, dunklen Gänge entlang. Fay folgte ihm auf dem Fuße am Speisezimmer vorbei in den Wachtraum. Bevor er dorthin kam, sah er die Lichtstrahlen einer Laterne, die sich auf dem blanken Fußboden spiegelten. Auch von der Treppe, die zu den Kerkern hinunterführte, kam Lichtschein herauf. Julius schlich sich vorwärts und schaute hinunter, konnte aber niemand sehen, aber die Hammerschläge waren laut und deutlich zu hören.

 

Der Revolver in seiner Hand zitterte, als er den Fuß auf die ausgetretenen Steinstufen der Treppe setzte. Aber plötzlich hörte das Klopfen unten auf, und es erklangen Schritte auf dem unebenen Steinfußboden. Savini zog sich fluchtartig zurück, nahm seine Frau am Arm, und sie liefen den langen Gang entlang, die Treppe in die Höhe. Von dem oberen Podest aus hatte er einen guten Überblick über die Eingangshalle. sternchenland.com Sie mußten noch etwas warten, bevor der nächtliche Arbeiter erschien. Es war Abel Bellamy.

 

Er hatte keinen Rock an, sein Hemd war vorne geöffnet und zeigte seine starke Brust, die Ärmel waren bis zur Schulter aufgerollt. Julius sah auf den muskulösen, mächtigen Armen eine graue Staubschicht. Bellamy trug einen schweren Hammer in der einen Hand, eine Laterne in der anderen, und als er in die Halle heraufkam, wischte er sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirne. Julius und Fay eilten in ihr Zimmer und schlossen die Tür leise hinter sich zu.

 

»Was hat er nur gemacht?« flüsterte die erschrockene Frau.

 

»Er wird ein Wasserrohr verlegt haben,« meinte Julius beruhigend. Aber er hätte sich nicht träumen lassen, wie nahe sein Ausspruch der Wahrheit kam.

 

Kapitel 57

57

Am nächsten Morgen stand Julius schon sehr früh auf. Er hatte genügend Entschuldigungsgründe, um in den Wachtraum zu gehen, denn seine jetzigen Pflichten brachten ihn in alle Teile der Burg. Als er den Raum aber betrat, erwartete ihn eine Überraschung. Er sah eine schwere Gittertür dort, die aus starken Stahlstangen bestand. Bellamy mußte sie noch in der Nacht angebracht haben, um den Zugang zu den Kerkern zu schließen. Julius konnte sich nicht darauf besinnen, jemals früher diese Tür gesehen zu haben. Er sah auch, daß die Tür mit einem ganz neuen Vorhängeschloß gesichert war. Als er Bellamy später traf, erwähnte er seine Entdeckung. »Eins von Ihren verrückten Dienstmädchen wäre in Ihrer Abwesenheit beinahe die Treppe hinuntergefallen,« erklärte er. »Deshalb habe ich sie jetzt geschlossen, damit nichts mehr passieren kann. Aber warum fragen Sie?« sternchenland.com »Ich hätte meiner Frau gern die Kerker gezeigt,« log Julius. »Das geht jetzt nicht,« war die ablehnende Antwort. Aber als sie sich nach einiger Zeit wieder begegneten, brachte der alte Bellamy von selbst das Gespräch wieder darauf zurück. »Wenn Ihre Frau die Kerker sehen will, so werde ich sie ihr selbst eines Tages zeigen,« meinte er. Julius dankte ihm und berichtete Fay von seiner Unterhaltung. »Ich will die alten, verfluchten Kerker nicht sehen,« rief sie. »Julius, ich gehe von hier fort. Unsere Wohnung in Maida Vale ist sicher kein Palast, aber es ist doch nicht so schauerlich dort.« Julius nahm ihren Entschluß ohne Widerrede hin. Aber Bellamy wurde aufgebracht, als er davon hörte. »Sagen Sie ihr nur, daß sie nicht so ohne weiteres fortgehen kann,« rief er erregt. »Ich brauche sie hier. Auf alle Fälle muß sie eine Woche hier bleiben.« »Es wäre besser, wenn Sie ihr das selbst mitteilen, Mr. Bellamy,« erwiderte der kluge Julius. »Schicken Sie Ihre Frau zu mir.« Fay kam sofort. »Savini sagte mir eben, daß Sie die Burg verlassen wollen?« »Das stimmt – Ihr Garre Castle fällt mir auf die Nerven, Mr. Bellamy.« »Sie fürchten sich wohl vor Geistern?« brummte er. »Nein, vor Ihnen.« Abel Bellamy lachte. Wenn sie sich angestrengt hätte, ihm etwas Angenehmes zu sagen, so hätte sie es nicht besser machen können. »Was, Sie fürchten mich? Was ist denn an mir dran, sternchenland.com wovor Sie sich fürchten könnten? Vor häßlichen Männern haben die Frauen doch keine Furcht – im Gegenteil, die haben die Frauen doch gerne?« »Ich habe noch niemals an Höhlenmenschen Gefallen gefunden. Ich sehne mich nicht nur wegen Ihrer häßlichen Erscheinung nach meiner alten Wohnung. Sie sind gerade kein Adonis, das wissen Sie ja selbst, Mr. Bellamy, aber darum bekümmere ich mich nicht. Das ist die schreckliche alte Burg und vor allem die Geräusche in der Nacht.« »Julius hat mir gesagt, daß es die Wasserrohren sind, und vielleicht hat er auch recht. Aber ich kann bei dem Spektakel nicht schlafen, ich verliere mein hübsches Aussehen und das will ich nicht.« Er beobachtete sie durch halbgeschlossene Augenlider, und als sie zu Ende war, lachte er wieder leise in sich hinein, als ob er eine unbändige Freude meistern müßte. »Machen Sie es so, wie Sie wünschen, aber bleiben Sie noch bis zum Ende der nächsten Woche, dann können Sie gehen.« Sie hatte sich fest vorgenommen, die Burg sofort zu verlassen, aber merkwürdigerweise gab sie Bellamy doch ihre Einwilligung, noch solange zu bleiben. »Warum ich schließlich Ja sagte, kann ich mir eigentlich gar nicht erklären. Wenn ich noch eine Woche hier bleiben soll, bekomme ich graue Haare, Julius.« »Ach, du bist verrückt.« In der nächsten Nacht hörten sie das Klopfen wieder, aber es störte sie nicht weiter im Schlafe. In der dritten Nacht aber wachte Julius plötzlich auf und sah, daß auch Fay erschreckt im Bett saß. »Was war denn das?« fragte er. »Es klang wie eine Explosion.« Während sie noch sprach, kam wieder ein dumpfer Knall, der das ganze Gebäude erzittern ließ. sternchenland.com Savini eilte auf den Gang, die Treppe hinunter. Er war mitten in der Halle, als der Alte nach oben kam. »Was wollen Sie hier?« fragte er. Savini bemerkte irgendeinen sonderbaren Geruch. Sicher Waren es die Rauchgase einer Explosion. »Ist irgend etwas nicht in Ordnung?« »Alles in Ordnung – ich habe nur eine kleine Sprengung vorgenommen, aber deshalb brauchen Sie sich nicht zu fürchten.« »Eine Sprengung – mitten in der Nacht?« »Ist das nicht die beste Zeit dafür? Eine der Kerkerwände sah mir so aus, als ob etwas dahinter verborgen wäre. In all diesen alten Burgen gibt es Schatzräume, und ich hatte schon seit einiger Zeit beschlossen, diese Mauer niederzulegen.« Nun war aber Abel Bellamy nicht der Mann, der um drei Uhr in der Nacht auszog, um Schätze zu heben. »Ihre Frau fürchtet sich wohl wieder? Ich dachte, ich wäre der einzige, vor dem sie sich fürchtet. Gehen Sie wieder zu Bett, Savini.« Julius blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen. »Der Alte hat Löcher in die Mauern gesprengt,« erzählte er Fay. »Wenn das Loch, das er gesprengt hat, groß genug ist, daß ich hinauskommen kann, dann krieche ich sofort hinaus,« erwiderte Fay ganz bestimmt. »Und du kommst mit, Julius. Es ist ganz gleich, ob du hier viel Geld verdienst oder nicht. Warum wollte er dich denn wieder hier zurückhaben? – warum hat er mich hierhergerufen? Weil wir beide etwas wissen und ausplaudern könnten. Ich wußte, daß er hinter der Sache mit Smith steckte – hat er dich denn nicht zu mir gesandt, um mir Anweisungen zu geben? Smith hat mir das auch gesagt. Wegen seiner eigenen Sicherheit durfte er weder dich noch mich in der Stadt lassen. Wir sind blind gewesen! Er kann es doch durchaus nicht leiden, wenn Frauen sternchenland.com in seiner Nähe sind, und trotzdem hat er nach mir geschickt. Wenn ich nur soviel Verstand gehabt hätte wie eine Mücke, dann hätte ich das vorher durchschauen sollen. Aber sobald es hell wird, gehen wir.« Julius war es unheimlich zumute. Er ahnte, daß sie recht hatte und stimmte ihr zu. »Natürlich habe ich recht,« sagte sie zornig. »Julius, du bist ein verlorener Mann, wenn du länger hier bleibst. Der alte Fuchs führt irgend etwas Böses gegen uns im Schilde. Ich bin nicht beunruhigt wegen der Sprengungen, ich vermute, er hat nicht genug Dynamit, um ganz Garre Castle in die Luft zu sprengen. Aber hinter all diesem Klopfen und den Geräuschen steckt irgendein geheimer Plan.« Bellamy war in der Bibliothek, als die beiden zu ihm kamen. Er las gerade in einem Exemplar des »Daily Globe« den Bericht über die Leichenschau. »Wollen Sie ausgehen?« fragte er, als er ihre Kleidung sah. »Nein, wir gehen nach Haus,« antwortete Fay. Bellamy legte die Zeitung nieder. »Ich dachte, Sie wollten die Woche noch aushalten. Und Sie wollen auch fort, Savini?« Julius nickte. »Ach was, Sie sind wohl nicht ganz bei Verstand! Aber ich will keinen Streit mit Ihnen anfangen. Hier ist Ihr Lohn. Eigentlich haben Sie auf gar nichts Anspruch, wenn Sie mich so verlassen. Schreiben Sie mir eine Quittung über das Geld aus.« Julius gehorchte und setzte sich das letztemal an Abel Bellamys Schreibtisch. »Savini, erinnern Sie sich an die Ledermappe? Fragen Sie mich nicht, welche ich meine. Besinnen Sie sich darauf, wie Sie hier herumspioniert haben, wenn ich nicht da war? Wie Sie alle Schubladen im Schreibtisch geöffnet haben? sternchenland.com Wissen Sie noch, wieviel geheime Nachrichten Sie Valerie Howett gegeben haben? Und ich habe Ihnen nur Gutes für all dieses Böse getan.« Julius war auf der Hut. Er schaute ganz erstaunt auf, als der Alte plötzlich mit einem harten Ruck den Schreibtisch zurückstieß und den Teppich aufhob. »Ich bin ein verlorener Mann,« sagte Bellamy ruhig. »Dieser verdammte Spürhund, der Featherstone, hat alles über die Frau herausbekommen, die ich drunten gefangen halte. Und vermutlich wissen Sie es auch, sonst würden Sie nicht fortlaufen wollen.« Er bückte sich, nahm ein Stück des Parkettfußbodens heraus, steckte den Schlüssel ein und öffnete. Savini beobachtete aufgeregt alle seine Bewegungen. Verwundert sah er, wie der Stein sich um die Stahlachse drehte. Ohne ein Wort zu verlieren, stieg Bellamy die Treppe hinunter. »Kommen Sie und sehen Sie es sich an,« sagte er. Julius folgte ihm, und widerstrebend ging auch Fay hinter ihm her. Der Alte zündete unten einen Gasarm an und schloß die Türe auf. Die Lampen brannten unten, wie er sie verlassen hatte. »Kommen Sie ruhig herein,« sagte Bellamy, der am Eingang des Tunnels stand. »Ich bleibe hier,« erwiderte Julius. Er fühlte zitternd Fays Hand, die ihn am Arm zurückzog. Bellamy drehte sich gleichgültig um. »Nun ja, bleiben Sie dort, die Frau ist hier, wenn Sie sie sehen wollen –« Blitzschnell drehte sich Bellamy um. Er packte Julius mit der einen, Fay mit der anderen Hand, und bevor Julius zu sich kam, hatte Bellamy ihn und seine Frau durch den Tunnel hindurchgestoßen. Die Tür fiel krachend ins Schloß, und sie hörten, wie er die Riegel vorschob. sternchenland.com Dann schaute der Alte durch das kleine Gitter in der Tür. »Nach Hause gehen, was? Nun bei Gott, jetzt sind Sie zu Hause! Das ist Ihre letzte Heimat, Sie verdammter Nigger und Spürhund! Du Schmutzweib! Ihr meint wohl, ich hätte euch frei herumlaufen lassen, damit ihr überall Geschichten erzählt? Nun seid ihr hier, und da werdet ihr so lange bleiben, bis ihr krepiert!« Bellamys Stimme war heiser, er war fast wahnsinnig vor Aufregung. »Auf Sie habe ich gewartet, Savini! Und dieses Frauenzimmer –« begann er von neuem. Aber plötzlich sprang er beiseite, und zwar gerade noch zu rechter Zeit, denn es fiel ein Schuß, und ein Geschoß prallte hinter ihm an der Wand ab. Ein zweites Geschoß traf eine Eisenstange des Gitters in der Türe. Er hatte nicht geglaubt, daß Julius Waffen bei sich tragen könnte. Unversehens schloß er die Falltür, die das Gitter bedeckte, und befestigte es mit Riegeln. Dann stieg er die Treppe wieder hinauf. Oben schrieb er einen langen Brief und brachte ihn selbst zu dem Pförtnerhaus. »Sie fahren doch Rad?« fragte er den Pförtner. »Nehmen Sie diesen Brief und bringen Sie ihn nach Lady’s Manor.« Der Mann entfernte sich sofort und Bellamy sah ihm nach. Nach zehn Minuten kam der Bote zurück und gleich darauf erblickte Bellamy eine bekannte Gestalt. »Gehen Sie schnell und sagen Sie dem Herrn dort, daß ich ihn gern sehen möchte.« Kurze Zeit später kam der interessierte Spike mit dem Pförtner zum Tor. »Guten Morgen, Holland, Ihr Freund hat mich verlassen.« »Meinen Sie etwa Savini?« Bellamy nickte. sternchenland.com »Er ist eben mit seiner Frau gegangen. Ich überraschte sie dabei, wie sie über Nacht meinen Geldschrank aufbrechen wollten. Im Augenblick habe ich sie hinausgeworfen. Ich dachte, Sie können diese Nachricht vielleicht für Ihre Zeitung brauchen.« »Das ist ja eine große Neuigkeit,« sagte Spike ohne sichtliche Begeisterung. »Welchen Weg sind Sie denn gegangen? Am ›Blauen Bären‹ sind sie jedenfalls nicht vorbeigekommen.« »Nein, sie gingen in der Richtung nach Newbury. Wenigstens sagte Savini so. Er drohte auch, daß er dort zu einem Rechtsanwalt gehen würde. Ich habe jetzt genug von dieser Burg, Holland. Man kann diesen Engländern überhaupt nicht trauen – dieser Kerl, der Savini, ist doch auch ein halber Engländer.« »Was wollen Sie denn dann anfangen?« »Ach, ich werfe die ganze Dienerschaft hinaus – zahle die Gehälter bis zum nächsten Ersten und schließe die Bude. Ich behalte nur den Pförtner und einen Verwalter. Vielleicht kann ich Ihnen eines Tages, wenn Sie zu mir kommen, eine gute Geschichte erzählen.« Spike zwinkerte mit den Augen. »Und was wird aus dem Grünen Bogenschützen?« fragte er. »Das ist ja doch gerade mein neuer Verwalter,« antwortete Bellamy prompt. »Vielleicht kann ich Ihnen nächstens etwas mehr über ihn berichten, Holland. Er hat alle Leute an der Nase herumgeführt, nur mich nicht. Haben Sie sein Gesicht noch nie gesehen?« »Nein,« sagte Spike ruhig. »Ich möchte es auch nicht sehen. Was ich sehen möchte, ist sein Rücken.« Bellamy zog die Stirne kraus. »Was soll das heißen – Sie wollen seinen Rücken sehen?« sternchenland.com »Ich möchte die Narbe sehen, die Creager ihm schlug, als er ihn auspeitschte.« Er hatte nicht erwartet, daß seine Worte einen so großen Eindruck auf Bellamy machen würden. Der Alte taumelte, als ob er von einem Geschoß getroffen worden wäre, seine große Hand hob sich, und er stützte sich an dem Steinpfeiler des Tores, um sich aufrechtzuhalten. Sein Gesicht war vollkommen totenblaß, und sein Blick war leer. »Sie wollen seinen Rücken sehen … den Creager ausgepeitscht hat! …« flüsterte er. Dann wandte er sich um und eilte zu dem Eingang der Burg, als ob ihn ein leibhaftiges Gespenst verfolgte. Er eilte geradenwegs in die Bibliothek, warf die Tür donnernd hinter sich zu, taumelte zu seinem Sessel und fiel atemlos hinein. Der Mann, den Creager ausgepeitscht hatte! Ein Geist war in Garre aufgetaucht, schrecklicher als der Grüne Bogenschütze! Er saß zwei Stunden lang und schaute bewegungslos aus dem Fenster. Ein entsetzliches Gefühl des Schreckens hatte sich seiner bemächtigt – es war die Furcht vor dem Tode.

Kapitel 58

 

58

 

Jim Featherstone war im Garten, als Valerie ihm einen Brief brachte, den sie ihm wortlos übergab.

»Meine liebe Miß Howett, als Sie mich damals in der Burg besuchten, fragten Sie mich nach Ihrer Mutter, und ich sagte Ihnen, daß ich nichts über sie wüßte. Zu jener Zeit hatte ich allen Grund, Ihnen nichts über sie mitzuteilen. Aber Ihre Mutter lebt, und wie ich vermute, geht es ihr gut. Wenn Sie mich noch einmal mit Ihrem Besuch beehren wollen, werde ich Ihnen alle möglichen Aufschlüsse geben können. Darf ich Ihnen mein aufrichtiges sternchenland.com Bedauern aussprechen, daß Sie kürzlich so unangenehme Erfahrungen gemacht haben? Ich las die ganze Geschichte heute zum erstenmal in der Zeitung.

Mit besten Grüßen

Abel Bellamy.«

Jim las den Brief zweimal durch.

 

»Das ist ja wieder eine ganz moderne Version von der Fabel mit der Spinne und der Fliege,« sagte er. »Sie haben natürlich nichts Eiligeres zu tun, als zu ihm zu gehen?«

 

»Ich war schon gespannt, ob Sie das nicht sagen würden – aber trotzdem –«

 

»Es könnte ja etwas dafür sprechen, das gebe ich zu. Vielleicht will Bellamy sein Gewissen erleichtern, indem er Ihnen alles frei erzählt.«

 

»Welche Gefahr könnte denn damit verbunden sein?« fragte sie. Aber Jim war in diesem Punkt unerbittlich.

 

»Als Ihr Freund kann ich Sie nur bitten, nicht nach Garre Castle zu gehen, aber als Polizeibeamter muß ich es Ihnen direkt verbieten,« sagte er halb scherzend. »Bellamy würde zwar am hellen Tage keine Tricks versuchen, aber – eben sehe ich Spike Holland kommen.«

 

Spike kam eilig durch den Garten. Sein sommersprossiges Gesicht strahlte.

 

»Savini und seine Frau haben die Burg verlassen, und der Alte wirft seine ganze Dienerschaft auf die Straße,« sagte er atemlos. »Nur sind die Savinis noch nicht aus der Burg heraus. Ich habe das Tor seit heute morgen in aller Frühe beobachtet, denn Julius hatte mir versprochen, mir etwas zu berichten. Und um zehn Uhr erzählte mir Bellamy die Geschichte, daß er die beiden hinausgeworfen hat, weil er sie dabei ertappte, wie sie seinen Geldschrank berauben wollten.«

 

»Was vermuten Sie?«

 

sternchenland.com »Daß Bellamy lügt. Savini ist noch dort und er und seine Frau unterstützen entweder den Alten dabei, alle Leute an der Nase herumzuführen, oder –«

 

»Nun?«

 

»Oder die beiden Savinis sitzen als Gefangene auf der Burg. Ich bin über nichts mehr erstaunt, was sich in Garre ereignet.«

 

Jim wollte eigentlich am selben Tag zur Stadt zurück, aber er rief statt dessen im Bureau an und ließ sofort Nachforschungen nach Julius Savini anstellen. Als am Nachmittag der Bericht kam, daß weder Julius noch seine Frau gesehen worden war, sandte er den Polizeibeamten von Garre Castle zur Burg, um Erkundigungen einzuziehen. Der Mann kam mit der Nachricht zurück, daß alle Dienstboten, mit Ausnahme des Pförtners und des Chauffeurs Sen, an diesem Nachmittag weggegangen seien. Es waren meistens Leute aus London und sie hatten Garre mit dem Nachmittagszug verlassen. Bellamy hatte großzügig gehandelt und ihnen reichlich Geld gegeben. Von den Savinis hatte er nichts anderes erfahren, als daß er ebenfalls mit seiner Frau die Burg verlassen hätte.

 

»Das waren alle Informationen, die er mir gab.«

 

»Wer hat Ihnen denn die Tür aufgemacht?«

 

»Mr. Bellamy selbst, mein Herr. Als ich wieder wegging, hörte ich, wie er die Tür verriegelte und abschloß.«

 

Jim konnte nichts anderes tun als ruhig abwarten.

 

Aber Abel Bellamy konnte nicht warten. Es war nur noch ein Hindernis, das zwischen ihm und der Ausführung seines Planes stand.

 

Über der Bibliothek von Garre Castle befanden sich Räume, die meistens fensterlos waren. Früher hatten die Gefolgsleute der de Curcys hier gewohnt, aber jetzt wurden sie teils als Abstellraume benützt, teils standen sie ganz leer. In einem dieser Zimmer schlief am Tage ein Mensch mit einem sternchenland.com dunklen Gesicht, der böse dreinschaute, und dessen Anwesenheit in Garre Julius längst vermutet hatte.

 

Lacy war ein berufsmäßiger Dieb, der sich nicht viel Gedanken machte. Reue kannte er nicht, und seitdem er in Garre war, trug er eine ziemliche Gleichgültigkeit zur Schau, von der Bellamy jedoch keine Notiz nahm.

 

Der letzte der Dienstboten war kaum außer Sicht, als Lacy die Tür zur Bibliothek öffnete, ohne vorher anzuklopfen, und einfach zu seinem Herrn hineinging. Er hatte eine von Bellamys Zigarren im Munde. Die Hoffnung auf einen baldigen großen Erfolg hatte schon bessere Leute wie Lacy verdorben.

 

»Na, sind alle weg, Alter? Ich soll nun wahrscheinlich alles für Sie tun, was in meinen Kräften steht, wie? Aber glauben Sie ja nicht, daß ich jetzt noch den Diener spiele!«

 

»Habe ich Sie darum gefragt?« brummte Bellamy.

 

Lacy nahm die Zigarre aus dem Munde und schaute sie mürrisch an.

 

»Das ist keine von Ihren besten, Abel,« sagte er vorwurfsvoll. »Sie hätten sich im Traume nicht einfallen lassen, dem armen alten Smith Zigarren wie diese anzubieten! Und wenn ich nun sozusagen auch noch die Arbeit von Smith übernehmen soll, dann müssen Sie mich etwas besser behandeln.«

 

»Da steht eine Kiste Zigarren auf dem Tisch,« sagte der Alte. »Was wollen Sie denn, Lacy?«

 

»Ich wollte mal mit Ihnen reden,« antwortete der Mann und setzte sich bequem in Bellamys Armsessel. »Ich weiß noch nicht recht, was Sie vorhaben. Meinen Sie, daß ich für immer hier auf der Burg bleiben soll?«

 

»Wollen Sie nicht mit Featherstone abrechnen?«

 

Als Bellamy diesen Namen erwähnte, wurde Lacy ärgerlich und wütend.

 

»Ich werde ihn mir an einem der nächsten Tage kaufen,« sternchenland.com stieß er zwischen den Zähnen hervor, »und ich werde ein Hühnchen mit ihm rupfen!«

 

»Machen Sie sich deshalb keine Sorgen,« sagte Bellamy. »Sie werden ihn zu sehen kriegen.« Und mit einem Stirnrunzeln fügte er hinzu: »Dann können Sie ja das Hühnchen mit ihm rupfen.«

 

Lacy rauchte unentwegt und schaute mit düsteren Gedanken dem Rauch seiner Zigarre nach, der zur Decke emporstieg. Bellamy beobachtete ihn forschend.

 

»Was soll ich denn nun für Sie tun?« fragte Lacy plötzlich.

 

»Helfen Sie Sen.« Lucy schnitt eine Grimasse.

 

»Ich habe niemals in meinem Leben mit einem Chinesenhund zusammengearbeitet,« erwiderte er. »Das fällt mir auch jetzt nicht ein.« Lacy war in aufsässiger Stimmung. Für gewöhnlich hatte Bellamy kein langes Federlesen mit ihm gemacht, aber gerade jetzt begegnete er ihm mit erstaunlicher Milde.

 

»Wann ist Julius fortgegangen?«

 

Bellamy hatte sich auf seinen Schreibtisch gesetzt und schaute langsam eine Anzahl von Rechnungen durch, die Julius unerledigt zurückgelassen hatte. Zuerst schien er die Frage nicht gehört zu haben und erst als Lacy sie wiederholte, bekam er eine Antwort.

 

»Heute morgen.«

 

Lacy rauchte schweigend weiter und überlegte sich scheinbar allerhand.

 

»Ich denke, das war nicht richtig, daß Sie Julius haben gehen lassen. Er ist doch solch ein Kerl, der Sie sofort anzeigt, bevor Sie noch wissen, was los ist. Das hat mich sehr in Erstaunen gesetzt – solche riskanten Sachen haben Sie früher nicht gemacht! Da ist Julius und seine Frau und dann bin ich da – wir alle wissen von Ihren Geheimnissen. Nehmen Sie nun einmal an, einer von uns würde zur sternchenland.com Polizei gehen, das würde Ihnen doch verdammt unangenehm sein.«

 

»Über Julius mache ich mir nicht die mindesten Sorgen und Ihretwegen erst recht nicht.«

 

Auf dem Tisch standen zwei Telephone. Die eine Leitung führte zu dem Pförtnerhaus. Plötzlich summte der eine Apparat und unterbrach Lacys Auseinandersetzungen.

 

»Ein Herr ist hier am Pförtnerhaus und wünscht Sie zu sprechen,« hörte Bellamy die Stimme des Portiers.

 

»Sagen Sie ihm, daß ich niemand empfange,« antwortete Bellamy grob. »Wer ist es denn?«

 

»Er sagt, daß er sich erkundigen wollte, ob die Burg verkauft wird.«

 

»Die ist doch überhaupt nicht zu verkaufen, Sie Dummkopf! Wer ist es denn?«

 

»Mr. John Wood. Er sagt, daß er direkt von Belgien gekommen ist, um Sie zu sprechen.«

 

Kapitel 59

 

59

 

Bellamys Gesichtsausdruck änderte sich.

 

»Sagen Sie ihm, er möchte heraufkommen.« Dann legte er den Hörer auf den Tisch und sah sich nach Lacy um. »Sie können währenddessen hinausgehen. Es wird gleich Besuch hier sein.«

 

Lacy erhob sich widerwillig.

 

»Mir gefällt die ganze Sache hier nicht mehr,« sagte er. »Ich muß mich Verstecken und in dunklen Löchern schlafen, seitdem ich hier bin. Mir wächst die Sache allmählich zum Halse heraus.«

 

Bellamy antwortete ihm nicht, sondern beobachtete ihn nur mit seinen kühlen, grauen Augen. Lacy verließ den Raum, aber er fühlte sich nicht wohl und wußte selbst nicht warum.

 

Sen öffnete die Tür und führte den Besucher in die Bibliothek. sternchenland.com Bellamy stand an den Kamin gelehnt, hatte die Hände auf dem Rücken und den Kopf auf eine Seite gelegt. Diese Haltung nahm er häufig ein. Er sprach auch kein Wort, bis Sen sich entfernt hatte und der Besucher direkt vor ihm stand.

 

»Mr. Wood?« brummte er.

 

»Ja, das ist mein Name. Ich habe doch die Ehre mit Mr. Bellamy? Ich habe gerüchtweise gehört, daß Sie die Burg verlassen und verkaufen wollen.«

 

»Nehmen Sie Platz,« unterbrach ihn der alte Mann.

 

»Ich ziehe es vor zu stehen, wenn Sie nichts dagegen haben.«

 

»Sie haben also gehört, daß die Burg verkauft werden sollte? Wer hat Ihnen denn diese Tartarennachricht erzählt? Ich beabsichtige nicht, Garre Castle zu verkaufen. Jetzt nicht und auch in Zukunft nicht. Warum wollten Sie es denn kaufen?«

 

»Ich habe von verschiedenen Seiten große Summen erhalten, um ein Kinderheim in England zu gründen,« entgegnete Mr. Wood. Seine ernsten Augen beobachteten gespannt das Gesicht Bellamys. »Und ich dachte mir, daß die Burg, wenn man sie modern einrichtete, ein sehr geeigneter Platz hierfür wäre. Es gibt hier viele große Räume, die, soviel ich weiß, niemals von Ihnen benutzt werden, und abgesehen davon ist ja genügend Land vorhanden, daß man Erweiterungsbauten aufführen könnte –«

 

»Aber ich verkaufe nicht.«

 

John Wood verbeugte sich zum Abschied und wollte gerade gehen, als Bellamy ihn wieder anredete.

 

»Mir kommt Ihr Name so bekannt vor, Mr. Wood – möglicherweise irre ich mich, aber ich glaube mich zu entsinnen, daß Sie einen Verwandten von mir kennen.«

 

»Meinen Sie Ihren Neffen?« fragte John Wood ruhig.

 

Bellamy nickte.

 

sternchenland.com »Ja, wir waren in derselben Fliegerstaffel.«

 

»Er ist wohl gefallen? Sind Sie sicher, daß er getötet wurde?«

 

»Sein Name stand in den Gefallenenlisten, und ich habe sein kleines Vermögen geerbt.«

 

»Glauben Sie nicht, daß er noch am Leben ist? Es kommt doch so häufig vor, daß Leute, die im Krieg als tot oder gefallen gemeldet wurden, später noch sehr lebendig waren.«

 

»Die amerikanischen Armeebehörden sind aber sehr gewissenhaft in ihren Berichten. Sie haben sich große Mühe gegeben, alle gemeldeten Todesnachrichten genau nachzuprüfen. Außerdem hat auch die deutsche Regierung seinen Tod bestätigt.«

 

Bellamy dachte nach.

 

»War mein Neffe ein mitteilsamer Mensch? Hat er Ihnen irgend etwas über –« er suchte nach Worten – »über seine eigene Vergangenheit mitgeteilt?«

 

»Er hat niemals darüber gesprochen.«

 

»Hm!« sagte Bellamy und schien beruhigt zu sein. Er begleitete Mr. Wood zur Tür und sah ihm nach, als er den Fahrweg entlangschritt, um die Ecke der Sträucher bog und bei dem Pförtnerhaus verschwand. Dann ging er zur Bibliothek zurück und fand dort Sen damit beschäftigt, ein Tablett auf den Tisch zu stellen. Als er näherkam, reichte ihm der Chinese ein Stück Papier.

 

»Keine Milch,« stand darauf.

 

»Ist keine mehr im Vorratsraum?«

 

Sen schüttelte den Kopf.

 

»Es muß doch kondensierte Milch dort sein,« brummte Bellamy. »Ich werde selbst gehen und nachsehen.«

 

Bei dieser Gelegenheit machte er eine wichtige Entdeckung.

 

Als es dunkel wurde, schickte er Lacy mit dem Auto nach London, um Einkäufe zu machen.

*

sternchenland.com Jim Featherstone machte einen Spaziergang durch die Hauptstraße, als er einen Mann bemerkte, der aus der Torfahrt von Garre Castle herauskam. Er hatte ihn nur kurz gesehen, aber sofort erkannt, und entschuldigte sich bei der Dame, die er begleitete. Er ging schnell vorwärts und überholte Mr. John Wood gerade, als er in den altertümlichen Omnibus steigen wollte, der die Verbindung zwischen Garre und der nächsten Eisenbahnstation aufrechterhielt.

 

»Ich bin hierhergekommen, um Garre Castle zu kaufen,« erklärte ihm Wood nach der ersten Begrüßung.

 

Jim mußte lachen.

 

»Ich hatte keine Ahnung, daß Sie wirklich die Absicht hatten – Miß Howett, darf ich Ihnen Mr. John Wood vorstellen? Er ist hierhergekommen, um Garre Castle zu kaufen, aber wie ich vermute, hat er keinen Erfolg gehabt. Was halten Sie nun von Bellamy, nachdem Sie ihn aus nächster Nähe gesehen haben?«

 

»Er besitzt gerade kein sehr angenehmes Äußere,« sagte Mr. Wood lächelnd.

 

Valerie nahm ein mehr als gewöhnliches Interesse an diesem eigenartigen Mann. Sie hatte sich selbst schon eingestanden, daß es seine prächtige Liebhaberei war, die sie so für ihn einnahm. Aber wenn sie ehrlich gewesen wäre, hätte sie noch zugeben müssen, daß es seine bedeutende Persönlichkeit war, die schon einen tiefen Eindruck auf sie gemacht hatte, bevor sie noch ein Wort mit ihm gewechselt hatte.

 

»Kehren Sie wieder zu Ihren kleinen Kindern zurück, Mr. Wood?« fragte sie.

 

»Noch nicht, ich habe noch viel in England zu erledigen, bevor ich heimfahren kann. Interessieren Sie sich für meine Liebhaberei?« fragte er und seine Augen leuchteten auf.

 

»So sehr, daß ich wünschte, Sie würden mir alles darüber erzählen. Würden Sie nicht mit uns speisen, Mr. Wood?«

 

Er zögerte.

 

sternchenland.com »Ja,« sagte er schließlich und entschuldigte sich schnell wegen seiner Unhöflichkeit.

 

Als sie an dem Tor der Burg vorbeikamen, wandte er sich nach dem Gebäude um.

 

»Schauen Sie sich nach dem bösen Riesen um?« fragte sie.

 

»Ich erwarte nicht, ihn zu sehen, aber wenn ich diese Burg hätte, würde ich auf jedem Turm die amerikanische Flagge hissen. Vermutlich ist Abel Bellamy ebensowenig patriotisch als menschenfreundlich.«

 

Während des ganzen Weges nach Lady’s Manor unterhielt sich Valerie anregend mit John Wood. Jim fühlte, daß er im Augenblick überflüssig war und das war eine unangenehme Erkenntnis.

 

Als sie bei Tisch saßen, schien es, als ob Valerie den Fremden schon ihr ganzes Leben lang gekannt hätte. Und wenn sie sich an Jim wandte, so war es nur, um eine Bestätigung für etwas von ihm zu erhalten, was Wood eben gesagt hatte.

 

Schon das allein hätte genügt, Captain Featherstone zu bedrücken, aber es kam noch das merkwürdige Verhalten Mr. Howetts dazu, der während der ersten Zeit des Essens ein tödliches Schweigen beobachtete und nicht einmal von seinem Teller aufsah. Er war doch sonst ein Mann, der gewöhnt war, Gäste bei sich zu sehen, der großes öffentliches Ansehen genoß und Gelassenheit und Gleichmut besaß. Selbst sein schlimmster Feind hätte ihn nicht der Teilnahmslosigkeit und Schüchternheit bezichtigt. Aber jetzt war er merkwürdig zurückhaltend, und erst als Spike auf der Bildfläche erschien, der seinen Bekannten auch begrüßen wollte und die Unterhaltung sich um Bogenschießen drehte, begann er zu sprechen.

 

Jim war überrascht, daß er von sich aus die Frage wieder anschnitt. Er schien dem Zeitungsmann eine Antwort auf seine Frage geben zu wollen, die er damals im Speisesaal des Carlton-Hotels an ihn gerichtet hatte.

 

»Es ist ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß ich mich sternchenland.com für diesen Sport interessiere, aber solche Zufälligkeiten finden Sie alle Tage. Wenn Sie zum Beispiel ein Buch aufschlagen und irgendeinen technischen Ausdruck finden, den Sie früher niemals gesehen oder angewandt haben und wenn Sie dann in einem Wörterbuch seine Bedeutung nachsehen, so treffen Sie dasselbe Wort in den nächsten zwölf Stunden wieder!«

 

»Als ich noch ein junger Mann war und noch so gute Augen wie Sie besaß, interessierte ich mich sehr für das Bogenschießen. In meinem Heimatdorfe waren wir ungefähr ein halbes Dutzend Jungens, die für sich selbst so eine Art Robin-Hood-Bande gründeten. Sie wurde allerdings aufgelöst, nachdem wir verschiedene Fenster zerschossen hatten. Damals hielt man mich für den besten Bogenschützen in unserem kleinen Kreis. Später habe ich diese Fähigkeit weiter entwickelt, bis ich einen gewissen Ruf darin erhielt. Und als ich wohlhabend wurde, nahm ich den Sport wieder auf und wurde Mitglied in einer Gesellschaft in Philadelphia. Aber mein schlechtes Sehvermögen bildete allmählich ein unüberwindliches Hindernis. Vor fünfzehn Jahren ging ich nach Deutschland, um einen bekannten Augenspezialisten aufzusuchen. Auf meiner Rückreise kam ich durch London mit der neuen Brille – es ist diese hier –« er nahm sein Glas ab und schaute nachsinnend darauf – »Ich las die Bekanntmachung in der Zeitung, daß ein Preisschießen für Bogenschützen stattfinden sollte, und da ich gerne mein neues Augenglas prüfen wollte, meldete ich mich und so kam es, daß ich wieder einen Bogen in die Hand nahm.«

 

»Das Gespräch scheint auf den Grünen Bogenschützen zu kommen,« meinte John Wood lächelnd. »Ist er in der letzten Zeit gesehen worden? In Belgien lese ich nur selten englische Zeitungen.«

 

Die Unterhaltung wurde nun allgemein. Valerie bekam durch vorsichtige und taktvolle Fragen heraus, daß Mr. sternchenland.com Wood einen freien Abend hatte und brachte es durch dauernde Querfragen fertig, daß Mr. Howett ihn einlud.

 

Jim ging nachdenklich nach Hause. Er war zu welterfahren, um traurig zu werden oder der Eifersucht Ausdruck zu geben, die zweifellos sein Herz beschlichen hatte.

 

Kapitel 51

 

51

 

Das Entsetzen, das ihm diese Entdeckung einjagte, machte ihn plötzlich nüchtern. Er kam aus dem dunklen Raum heraus und rief einen Matrosen an.

 

»Wer hat die Tür aufgemacht?« fragte er.

 

»Ich habe ihm noch vor zwei Stunden Essen gebracht,« antwortete der Mann.

 

»Haben Sie denn die Tür nicht hinter sich geschlossen?«

 

»Ja – er wollte Wasser haben und ich ging, um ihm eine Kanne zu holen – ein paar Augenblicke war die Tür offen.«

 

Coldharbour Smith steckte ein Streichholz an und suchte Savinis Gefängnis noch einmal genau ab. Wie er erwartet hatte, lagen die Handschellen und der Strick, mit dem Julius gefesselt war, auf dem Boden. Smith ging schnell über das Bootsdeck zum Kapitän, den er im Kartenzimmer fand.

 

»Emil, wie lange dauert es noch, bis du abfahren kannst?«

 

»In zwei Stunden,« sagte der kleine Spanier. »Aber mein lieber Freund, sieh doch bloß mal diesen teuflischen Nebel an!«

 

Dichter Dunst lag über der Themse, und die Lichter, die man sehen konnte, erschienen nur als trübe Punkte.

 

»Das ist alles ganz egal. Kannst du nicht gleich losmachen?«

 

»Ausgeschlossen!« Der Spanier wurde aufgeregt. »Außerdem haben wir noch nicht genügend Dampf. Vielleicht in einer Stunde. Aber wenn der Nebel dichter wird, was soll ich dann machen?«

 

»Durchfahren!« brüllte Coldharbour. »Du kennst doch den Fluß – also schnell auf hohe See!«

 

Er ging zu dem Salon zurück, sah die verschlossene Tür von Valeries Schlafkabine, setzte sich in einen Sessel nieder und überdachte seine Lage. Wenn Julius zur Küste entkommen war …

 

sternchenland.com Coldharbour Smith nahm seinen Revolver aus der Tasche und legte ihn vor sich auf den Tisch.

 

Von Valerie war nichts zu hören – es tat ihm jetzt leid, daß er sie so eingeschüchtert hatte. Aber seine Gedanken beschäftigten sich hauptsächlich mit Julius. Wo mochte er sein? Wenn er an Land war, kam die Sache zum Klappen.

 

Aber vielleicht war er noch an Bord, es gab ja hier viele Plätze, an denen sich ein Mann wie er verstecken konnte.

 

Mit diesem Gedanken ging er wieder an Deck und schaute in den dicker werdenden Nebel. Er sah ein Boot langsam auf das Schiff zukommen. Es saß nur ein Wann darin, das bedeutete also keine Gefahr. Möglicherweise war es einer der Matrosen, der von Land zurückkam. Als er den einsamen Ruderer weiter beobachtete, fand er, daß er unter dem Bug des Dampfers durchfuhr und wieder im Nebel verschwand.

 

Smith ging wieder zum Salon zurück und setzte sich an das Ende des Tisches, von wo aus er die offene Tür überschauen konnte.

 

Er fühlte instinktiv, daß sich etwas ereignen würde. Wenn er jetzt wirklich in Gefahr kommen sollte, würde er mit dem Mädchen da drin kein Mitleid mehr haben. Wenn man ihn vor Gericht stellte, dann sollten die Leute auch Grund dazu haben.

 

Er strengte seine Ohren an, ob er irgendwie vom Strom her ein Ruder- oder Motorboot oder eine Stimme hörte, die die ›Contessa‹ anrief. Beim ersten Anzeichen dafür, daß Featherstone an Deck kommen würde, wollte er sofort die Türe versperren und verriegeln …

 

Er saß nachdenklich da, während die Minuten verrannen. Er hörte, wie der Kapitän Befehl gab, den Anker zu lichten. Plötzlich vernahm er ein leises Geräusch, als ob sich jemand ohne Schuhe über das Deck bewegte. Er schaute auf und starrte einen Augenblick lang entsetzt auf die Erscheinung. Dann fuhr er mit der Hand nach dem Revolver …

 

sternchenland.com Das Motorboot, das seinen Weg durch den Nebel bahnte, fuhr geradenwegs auf die »Contessa« zu.

 

Jim ahnte, was an Bord vorging und hatte Instruktion gegeben, den Motor sofort abzustellen, wenn man das Schiff sehen konnte.

 

Lautlos glitt das Boot an die Seite des Dampfers. Jim war in wenigen Sekunden an Bord, die Leute von der Flußpolizei folgten ihm. Die Decks waren leer, die Tür zu dem Salon war geschlossen.

 

»Gehen Sie und vergewissern Sie sich des Kapitäns,« flüsterte Jim. Ein Beamter stieg die Eisenleiter zum Bootsdeck empor.

 

Jim ging vorsichtig zur Tür des Salons und drückte leise die Klinke herunter. Zu seiner Freude öffnete sich die Tür. Er trat ein. Der Salon war nicht erleuchtet, und es war kein Laut zu hören. Schnell zog er seine Taschenlampe heraus und leuchtete die Wände des Raumes ab. Plötzlich entdeckte er die Türe zur Schlafkabine Valeries und schloß sie rasch auf. Es brannte ein Licht in der Kabine, Valeries Pelz lag auf dem Bett. Aber sie selbst war weder hier noch in dem anstoßenden Raum.

 

Er kehrte zum Salon zurück und ließ das Licht über den Tisch gehen. Aber plötzlich sprang er zurück und hob seinen Revolver. Er hatte die Gestalt eines Mannes auf einem Stuhl am Tischende sitzen sehen.

 

»Hände hoch!« rief er und beleuchtete die Gestalt mit seiner Lampe.

 

In dem grellen Licht erkannte er Coldharbour Smith. Er lag zurückgelehnt im Sessel, eine Hand lag auf der Tischplatte, als wollte sie nach der Pistole greifen. Seine gebrochenen Augen starrten nach dem offenen Deckenfenster.

 

Er war tot, und aus seiner Brust ragte ein grüner Pfeil. sternchenland.com

 

Kapitel 52

 

52

 

Jim rief den Inspektor der Flußpolizei herein. Sie steckten die Lampe im Salon an, bevor sie sich an eine weitere Untersuchung machten.

 

Coldharbour Smith mußte sofort tot gewesen sein. Der Pfeil war durchs Herz gegangen, und zwar mit solcher Gewalt, daß er auch noch das Holz der Rückenlehne durchbohrt hatte.

 

»Er muß irgend etwas gesehen haben, so daß er nach dem Revolver griff,« sagte Jim. »Wie lange mag er schon tot sein?«

 

Smiths Hände waren noch warm.

 

»Er muß getötet worden sein, während wir uns dem Schiff näherten.«

 

Jim eilte, um den Kapitän zu suchen. Er fand ihn in Tränen, und als er ihm die Tragödie erzählte, brach der Mann in einen Weinkrampf aus.

 

»Ich wußte, daß eine Dame an Bord war,« schluchzte er. »Aber bei –« und dann nannte er mit unglaublicher Schnelligkeit eine Anzahl von Heiligen – »wußte ich nicht, daß etwas nicht in Ordnung war. Ich bin ein vernünftiger und ruhiger Mann, mein Herr. Wenn ich geahnt hätte, daß die Dame nicht die Frau von Senor Smith war …«

 

»Wo ist sie jetzt?« fragte Jim scharf. »Ich warne Sie – wenn Sie mich hinters Licht führen wollen, werden Sie Vigo sobald nicht wiedersehen!«

 

In diesem Augenblick legte ein großes Polizeiboot am Schiff an, und gleich darauf waren die Decks mit uniformierten Leuten gefüllt. Der Dampfer wurde vom Kiel bis zum Mastkorb durchsucht, aber Valerie war nicht zu finden.

 

»Das Deckenfenster im Salon stand weit auf,« berichtete einer der Polizisten. »Das ist sehr merkwürdig in einer solchen Nacht wie heute.«

 

sternchenland.com Jim hatte dies auch bemerkt. Bei der Besichtigung des Bootsdecks fand er eine lange Strickleiter, die scheinbar von einer unkundigen Hand an einer eisernen Stütze befestigt worden war. Obendrein entdeckte der Kapitän auch noch, daß ein Boot fehlte. Es war halb heruntergelassen gewesen, damit Leute darin stehen konnten, um die Schiffswand zu teeren. Jetzt sah man aber, daß die Haltetaue leer in der Luft hingen.

 

Valerie konnte das Boot nicht allein hinuntergelassen haben, das war Jim klar.

 

Wo mochte Julius Savini geblieben sein? Der Kapitän gab ihm die Erklärung.

 

»Der arme Smith hat ihn in dem kleinen Raum eingeschlossen, wo die Ankerketten verwahrt werden, er ist aber entkommen und an Land geschwommen.«

 

Der Mann, der Julius das Essen brachte, hatte ihn im Wasser schwimmen sehen. Er berichtete auch, daß er mit einem schweren Eisenbolzen nach ihm geworfen habe. Smith hätte er nicht sagen dürfen, daß der Gefangene so entkommen war.

 

Jim ging zum Salon zurück und ließ noch einige Lampen in den Raum bringen, um eine genaue Untersuchung durchzuführen.

 

»Das ist ein typischer Mord des Grünen Bogenschützen,« sagte er, als er zu Ende war. »Der Pfeil ist an genau derselben Stelle eingedrungen wie bei Craeger. Nicht einmal einen Fingerabdruck haben wir entdeckt, um den Mörder identifizieren zu können. Henker wäre vielleicht die richtigere Bezeichnung für diesen Mann.«

 

»Aber wie ist er wieder an Land gekommen?« fragte der Inspektor verwundert. »Wenn er den Fluß nicht ganz genau kennt, kann er sich in einer so nebligen Nacht nicht zurechtfinden.«

 

Jims Mut sank, als er sich klar machte, daß dasselbe für sternchenland.com Valerie galt – es sei denn, daß sie mit dem Grünen Bogenschützen gegangen war.

 

Wenn erst das Ufer zu sehen war, konnte man sehr leicht landen, denn in dieser Gegend hatte jede kleine Straße, die von den langen Werften herunterkam, am Ende einen Landungsplatz.

 

Aller Wahrscheinlichkeit nach war der Grüne Bogenschütze im Augenblick noch auf dem Fluß, er ruderte wohl durch den Nebel und suchte sich vergeblich zu retten.

 

Jim ließ eine Polizeimannschaft zur Bewachung des Schiffs zurück, bestieg dann wieder das Motorboot und begann eine systematische Absuchung des Flusses. Nur einmal sahen sie undeutlich durch den Nebel ein Schiff, das langsam den Strom herunterkam und ihnen einen Warnungsruf mit der Sirene gab, als sie fast schon mit ihm zusammengestoßen waren.

 

»Das ist die ›Gaika‹ – ein Fischdampfer,« sagte der Inspektor. »Wir hätten sie schon vorher am Geruch erkennen müssen.«

 

Von Zeit zu Zeit ließ Jim den Motor abstellen und sie lauschten, ob sie nicht das Geräusch von Rudern hören könnten. Aber erst als sie in die Nähe des Nordufers kamen, waren ihre Anstrengungen von Erfolg gekrönt.

 

»Hier ist ein Boot in der Nähe – hören Sie!« flüsterte der Inspektor und beugte seinen Kopf weit vor. Jim hörte auch unregelmäßige Ruderschläge.

 

»Der versteht sich nicht aufs Rudern, das ist kein Seemann,« sagte der Inspektor. »Mit einem Ruder kommt er immer eher ins Wasser!«

 

Jetzt konnten sie die Richtung feststellen, aus der das Geräusch kam. Das Motorboot fuhr langsam auf die Stelle zu. Als die Umrißlinien eines großen Warenspeichers durch den Nebel sichtbar wurden, sah Jim auch das Boot. Ein sternchenland.com Mann saß darin und ruderte. Er steuerte auf eine der Landungsbrücken zu, die an den Enden der Straßen lagen.

 

Das Motorboot nahm die Verfolgung mit größter Geschwindigkeit auf, und sie kamen gerade an, als der Mann ausstieg.

 

»Halt!« rief Jim und sprang mit einem Satz auf den engen Landungssteg.

 

Der Mann drehte sich um und starrte ihn an.

 

»Sind Sie nicht Captain Featherstone?« fragte er. Jim war höchst erstaunt, denn er erkannte die Stimme von Mr. Howett.

 

»Aber … Mr. Howett, was machen Sie denn hier?«

 

»Ich hörte, daß Sie an Bord der ›Contessa‹ gehen wollten und folgte Ihnen,« sagte Howett ruhig. »Ich fand dieses Boot oder richtiger, ich sah einen Mann rudern, als ich mich nach einem Boot umsah und fragte, ob ich es nehmen könnte.«

 

Das klang sehr merkwürdig, und Jim hätte es sofort als eine Ausrede angesehen, wenn ihm ein anderer das erzählt hätte.

 

»Haben Sie Valerie gefunden?« fragte Mr. Howett.

 

»Nein, sie war nicht an Bord. Smith ist tot.«

 

»Tot? Und Valerie ist nicht an Bord? Wie starb Smith?«

 

»Er wurde vom Grünen Bogenschützen getötet.«

 

Mr. Howett antwortete nicht.

 

»Valerie ist entweder entkommen, oder man hat sie von dem Schiff entführt,« fuhr Jim fort. »Ich gehe nach Scotland Yard zurück – wollen Sie mich begleiten, Mr. Howett?«

 

Der andere nickte.

 

»Tot?« murmelte er. »Vollständig tot?«

 

»Ja, der ist für immer tot.«

 

Eine Stunde später erreichten sie Scotland Yard, denn sie kamen nur langsam vorwärts, da in der Stadt dichter Nebel sternchenland.com herrschte. Im Bureau waren keine neuen Nachrichten eingetroffen. Jim hatte die Aufklärung des Mordes der Flußpolizei überlassen. Aber trotzdem er sehr müde war, machte er doch einen kurzen Bericht, nachdem er Mr. Howett in sein Hotel gebracht hatte.

 

Alle Stationen suchten nach Valerie, und während er schrieb, wurde er mindestens ein dutzendmal durch die Meldungen unterbrochen, die ihm telephonisch durchgegeben wurden.

 

Als er fertig war und das Bureau gerade verlassen wollte, wurde ihm Fay Clayton gemeldet.

 

Sie trat ein, verhärmt und mit geröteten Augen.

 

»Haben Sie Julius gefunden?« fragte sie.

 

Jim schüttelte den Kopf.

 

»Ich hoffe, daß er in Sicherheit ist. Smith hatte ihn an Bord der ›Contessa‹ gefangengesetzt. Das ist ein kleiner Dampfer, der auf dem Fluß verankert lag. Aber allem Anschein nach ist es ihm gelungen, davonzukommen. Sagen Sie mir, Fay, ist Savini ein guter Schwimmer?«

 

Fay lächelte trotz ihres Kummers.

 

»Mein Julius kann schwimmen wie ein Fisch,« sagte sie stolz. »Er ist der beste Schwimmer, den Sie jemals sahen, Featherstone. Wenn er mitten im Atlantischen Ozean Schiffbruch litte, würde er an Land schwimmen – aber warum fragen Sie mich das?«

 

»Weil er über Bord gesprungen ist. Es war etwas neblig, aber wenn er schwimmen kann, ist er ja in Sicherheit.«

 

Sie wurde wieder unsicher.

 

»Er wird ertrinken! Warum bemühen Sie sich nicht um ihn, Featherstone? Sie lassen ihn allein im Wasser und niemand sucht nach ihm – das ist Mord!«

 

Jim klopfte ihr auf die Schulter.

 

»Julius ist in Sicherheit,« erwiderte er freundlich. »Ich wünschte, ich könnte dasselbe von Miß Howett sagen.«

 

Er hatte schon auf der Zunge, daß es Julius nicht bestimmt sternchenland.com war, zu ertrinken, aber er verschwieg es taktvollerweise. Er erzählte ihr aber von Coldharbour Smiths Tod.

 

»Das hat er verdient,« sagte sie schnell. »Der Mann war zu schlecht, um leben zu können, Featherstone. Er war ein abscheulicher Kerl. Aber Sie glauben doch nicht etwa, daß Julius ihn umgebracht hat?« fragte sie plötzlich. »Julius würde Bogen und Pfeil überhaupt nicht erkennen, wenn er sie sehen würde.«

 

Jim beruhigte sie darüber, daß auf Julius nicht der leiseste Verdacht fallen könnte. Dann schickte er sie nach Hause.

 

Die Autobusse und Untergrundbahnen gingen zu dieser Nachtstunde nicht mehr, und sie konnte auch keinen freien Wagen entdecken. So ging sie zu Fuß, obwohl es ihr Mühe machte, den Weg zu finden. Es war weit nach zwei Uhr, als sie müde und mit wunden Füßen den Hausblock erreichte, in dem ihre Wohnung lag. Vor der Tür hielt ein Auto, und sie erinnerte sich, daß dieser Wagen ein paar Minuten vorher an ihr vorbeigefahren war.

 

Im Schatten des Hauseingangs stand ein Mann. Sie erkannte sofort Abel Bellamy.

 

»Ich möchte ins Haus,« brummte er. »Einer meiner Freunde wohnt hier. Ich wußte nicht, daß die äußere Haustür nachts geschlossen wird.«

 

»Sie können nicht hereinkommen, Mr. Bellamy,« sagte sie böse. »Nachdem Sie meinen Mann so behandelt haben, wundere ich mich wirklich, daß Sie noch die Kühnheit haben hierherzukommen, obendrein zu einer solchen Stunde!«

 

Er schaute sie wild an.

 

»Ach so, Sie sind die Frau … Mrs. Savini? Ich bin hierher gekommen, um Ihrem Mann etwas mitzuteilen.«

 

»Das können Sie mir auch sagen. Und sagen Sie es schnell, denn ich bin sehr müde.«

 

»Ich habe entdeckt, daß dreitausend Dollars aus meinem sternchenland.com Geldschrank gestohlen sind, und ich werde ihn verhaften lassen! Das ist alles, was ich zu sagen habe, Mrs. Savini.«

 

Sie packte ihn am Arm, als er sich umwandte, um zu gehen.

 

»Warten Siel Das ist eine Falle, aber Sie sind ja viel zu gerissen, um ihm einen Ausweg gelassen zu haben. Kommen Sie herein und erzählen Sie mir alles.«

 

Er folgte ihr die Treppe hinauf in die Wohnung.

 

»Kommen Sie hier herein.« Sie drehte das Licht im Wohnzimmer an.

 

»Mein Gott, sehen Sie hübsch aus,« sagte sie, als sie sein häßliches Gesicht in der Nähe betrachtete.

 

»Ich soll wohl auch noch schön sein,« sagte er unwirsch und setzte sich auf einen Stuhl.

 

»Nun, was ist das für eine Geschichte mit dem Diebstahl, Mr. Bellamy? Ich bin davon überzeugt, daß Julius es nicht getan hat, denn er ist nicht von der Sorte.«

 

»Was, der wäre nicht so?« fragte er ärgerlich. »Das wissen Sie doch ganz genau. Aber immerhin, ich werde ihn nicht zur Anzeige bringen – und ich habe auch kein Geld eingebüßt. Aber ich möchte einmal mit Ihnen sprechen – junge Frau.«

 

»Na, das ist aber doch ein starkes Stück,« fuhr sie ihn an. »Sie lügen mich an, um ins Haus zu kommen – jetzt können Sie aber machen, daß Sie verschwinden, sonst werde ich sofort der Polizei telephonieren.«

 

Einen Augenblick trafen sie seine kalten Blicke, und unter diesem unheimlichen Einfluß verflog ihr Mut.

 

»Das werden Sie nicht tun! Ich muß Julius sprechen.«

 

»Er ist nicht hier.«

 

Der alte Mann sah sich um.

 

»Schauen Sie doch einmal in der Wohnung nach.«

 

Sie zögerte.

 

»Sehen Sie doch nach,« sagte er noch einmal, und sie sternchenland.com ging aus dem Zimmer. Sie wußte nicht, warum sie die Tür zu dem früheren Zimmer Jerrys öffnete, vielleicht weil sie am nächsten lag. Sie machte Licht an und blieb erstaunt stehen. Julius lag auf dem Bett, schmutzig, ohne Kragen, unrasiert, aber er schlief fest.

 

Zuerst wollte sie ihren Augen nicht trauen, aber dann sprang sie mit einem Schrei auf ihn zu, nahm ihn in ihre Arme, weinte vor Freude und drückte ihr Gesicht an seinen schmutzigen Anzug. Julius erwachte langsam und blinzelte in dem Licht.

 

»Fay, du bist hoffentlich nicht böse … ich sagte ihr, sie sollte in dein Zimmer gehen.«

 

Fay eilte in ihr eigenes Schlafzimmer und sah, daß eine Frau in ihrem Bett lag. Sie erkannte sie sofort.

 

Valerie bewegte sich im Schlaf und seufzte, und Fay Clayton, so böse und niederträchtig sie auch manchmal sein konnte, beugte sich über sie und küßte sie auf die Wange.

 

Kapitel 53

 

53

 

Als sie zu Julius zurückkehrte, saß er auf der Bettkante und stützte den Kopf in die Hände.

 

»Was ist los, Fay?« fragte er schnell.

 

»Bellamy ist hier in der Wohnung.«

 

Er schaute sie an und versuchte, seine Gedanken zu konzentrieren.

 

»Bellamy – Abel Bellamy ist hier? Was will er denn?«

 

»Er möchte dich sprechen. Wie lange bist du denn schon hier, Julius?«

 

»Ich weiß es wirklich nicht, sicher ist es schon einige Zeit her.«

 

Er hatte die Schuhe ausgezogen, bevor er sich niedergelegt hatte und schaute sich nun hilflos nach ihnen um. Er war noch halb im Schlaf. Sie reichte ihm seine Pantoffeln.

 

sternchenland.com »Du brauchst ihn nicht zu sprechen, wenn du nicht willst, Julius.«

 

»Doch, ich werde zu ihm gehen,« sagte er und lächelte merkwürdig. »Geht es Miß Howett gut?«

 

Fay nickte, und unter vielem Gähnen stand Julius auf und folgte ihr in das Wohnzimmer. Es war eine gewisse Genugtuung für ihn, dem Mann, den er bis jetzt so gefürchtet hatte, gegenüberzutreten.

 

»Nun, was können Sie zu Ihrer Entschuldigung sagen?« fragte Bellamy.

 

»Sprechen Sie nicht in diesem Ton zu mir,« sagte Julius und machte eine Handbewegung, als ob er Abel Bellamys Anblick verscheuchen wollte.

 

»Wo ist das Mädchen?«

 

»Welches Mädchen?« fragte Julius unschuldig.

 

»Sie sind ihr doch auf die ›Contessa‹ gefolgt!«

 

»Ach, die ist nach Hause gefahren,« sagte Julius leichthin.

 

»Das Lügen ist Ihnen vermutlich schon zur zweiten Natur geworden! Ich weiß, daß sie hier ist in dieser Wohnung. Man hat Sie beobachtet, wie Sie sie hergebracht haben.«

 

»Warum zum Teufel fragen Sie denn noch, wenn Sie es so genau wissen?« sagte Julius gereizt. »Ja, sie ist hier.«

 

Der Alte biß sich auf die Lippen.

 

»Wie sind Sie denn von dem Schiff weggekommen?«

 

»Das geht Sie gar nichts an,« erwiderte Julius kühl.

 

Bellamy schluckte seinen Ärger hinunter.

 

»Hat Smith Sie denn nicht gesehen?«

 

»Smith ist tot.« Fay warf diese Äußerung dazwischen. Julius starrte sie an.

 

»Tot?« fragte er ungläubig.

 

Sie nickte.

 

»Woher wissen Sie das?« fragte Bellamy.

 

»Featherstone sagte es mir vor etwa einer Stunde.«

 

»Aber wie starb er denn? Ist er ermordet worden?«

 

sternchenland.com »Der Grüne Bogenschütze hat ihn erschossen!«

 

Abel Bellamy sprang mit einem Fluch auf.

 

»Sie sind verrückt,« rief er. »Der Grüne Bogenschütze? – Hat ihn denn jemand gesehen?«

 

»Wozu fragen Sie mich denn soviel? Nun hören Sie mal zu, Mr. Bellamy, das ist hier kein Auskunftsbureau. Ich sage Ihnen nur, wag ich erfahren habe. Coldharbour Smith wurde in dem Salon des Schiffes tot aufgefunden. Ein grüner Pfeil hatte ihn mitten ins Herz getroffen. Das ist alles, was ich darüber weiß.«

 

Bellamy war durch die Nachricht ganz verstört.

 

»Um so besser,« sagte er schließlich. »Savini, wir verstehen uns doch beide, ich will keine langen Redensarten machen. Ich biete Ihnen zehntausend Pfund, das sind fünfzigtausend Dollars, und ich biete Ihrer Frau dieselbe Summe, wenn Sie mir einen Dienst erweisen wollen, Sie wissen doch, was das zu bedeuten hat – hunderttausend Dollars geben im Jahr sechs- bis siebentausend Dollars Zinsen. Damit können Sie in aller Ruhe und in allem Luxus in einem anderen Lande leben.«

 

»Umsonst bieten Sie mir das doch nicht an,« sagte Fay fest. »Was sollen wir dafür tun?«

 

Abel Bellamy wies auf die Tür.

 

»Bringen Sie das Mädchen noch heute nacht nach Garre Castle. Wir werden alle zusammen dorthinfahren, mein Wagen wartet vor der Tür.«

 

Julius schüttelte den Kopf.

 

»Es gibt sehr vieles, was ich für Geld tue, Mr. Bellamy, aber das gehört nicht dazu. Sie können gar keine Summe nennen, die groß genug wäre, das zu tun.«

 

Fay nickte zustimmend, um die Worte ihres Mannes zu bekräftigen.

 

»Niemand wird etwas davon erfahren,« sagte Bellamy und dämpfte seine Stimme zu einem heiseren Flüstern. »Sie sternchenland.com ist vom Schiff verschwunden, niemand weiß, daß Sie mit ihr zusammen waren. Das Geld können Sie sich doch leicht verdienen, Savini. Ich will mein Angebot auf fünfzehntausend für jeden erhöhen –«

 

»Und wenn Sie es auf fünfzehn Millionen erhöhten, würde es auch nichts ausmachen,« erwiderte Fay. »Und ich würde es Julius sehr verdenken, wenn er es täte. Wir haben jahrelang von Betrügereien gelebt, aber wir haben höchstens Männer hereingelegt, die weiter nichts verloren als ihr Geld.«

 

Abel Bellamy schaute auf die Tischdecke und stand eine Weile nachdenklich da. Dann schlug er den Kragen seines Mantels hoch.

 

»Nun gut, dann wollen wir die Sache fallen lassen, Julius. Sie können am Montag morgen nach Garre Castle zurückkommen. Ich will sehen, daß ich Ihnen eine bessere Stellung und mehr Gehalt geben kann.«

 

»Ich komme nicht mehr zu Ihnen zurück.«

 

Bellamy drehte sich hastig nach ihm um.

 

»Wie, Sie wollen nicht?« fragte er drohend. »Vermutlich glauben Sie, daß Sie aus Howett mehr herauspressen können als Sie von mir bekommen?«

 

»Es ist mir ganz gleich, auch wenn ich von Howett überhaupt nichts bekomme,« sagte Julius ärgerlich. »Ich habe es nicht für Geld getan und außerdem –« Er dachte plötzlich an seinen früheren Plan, hielt mitten im Reden an und sagte dann zu der größten Überraschung seiner Frau: »Also, Mr. Bellamy, ich werde am Montag morgen nach Garre kommen.«

 

Bellamy schaute ihn an und nickte.

 

»Das ist auch das Beste, was Sie tun können.«

 

Fay begleitete ihn bis zur Tür und verschloß und verriegelte sie hinter ihm. Bevor sie aber zu Julius ins Wohnzimmer zurückkehrte, telephonierte sie an Jim Featherstone, der daraufhin ohne Hut und Mantel in den Nebel hinauseilte. sternchenland.com »Machen Sie keinen Lärm,« flüsterte ihm Fay zu, als sie die Tür öffnete. »Sie schläft noch. Was habe ich Ihnen gesagt, Featherstone? Julius hat sie von dort fortgebracht. Julius ist wirklich ein feiner Mensch.« Und sie lobte ihn weiter, wahrend er mit ihr zum Wohnzimmer ging.

 

Julius war noch im Schlafrock. Die Unterredung mit Bellamy hatte ihn vollständig wach gemacht, aber er sah müde und hohläugig aus.

 

»Sie ist wirklich wundervoll, Captain,« sagte er und drückte Jim die Hand. »Ich habe eben mit Mr. Howett telephoniert und ihm erzählt, daß seine Tochter sicher und wohlbehalten in meiner Wohnung schläft.«

 

»Wie sind Sie denn aber von dem Schiff entkommen?«

 

»Es war leicht und doch zugleich schwierig,« sagte Julius geheimnisvoll. »Es gelang mir, die Handschellen abzustreifen und meine Füße freizumachen. Nun war nur noch die Tür zu öffnen und ich mußte warten, bis einer von den Kerlen mir am Abend Essen brachte. Als er die Tür aufmachte, sprang ich auf ihn zu und bevor er wußte, was geschah, war ich an ihm vorbei auf Deck und ins Wasser gesprungen. Beinahe hätte er mich mit einem schweren Gegenstand getroffen, den er hinter mir herwarf. Aber ich tauchte unter. Der Nebel war sehr dicht und das Wasser kalt, und ich überlegte mir schnell genug, daß ein halbverhungerter Mann kaum schwimmend das Ufer erreichen würde, besonders nicht im Nebel. Und dann dachte ich auch, daß es eigentlich nicht recht sei, Miß Howett im Stich zu lassen, und so wandte ich wieder um und schwamm auf die andere Seite des Schiffes. Ich hielt mich an einer Vertäuungskette fest, die ins Wasser herunterhing. Ich war schon halb erfroren, als ich plötzlich ein Tau von einem halb heruntergelassenen Boot herabhängen sah. Schnell kletterte ich hinein, aber ich war so schwach wie eine verhungerte Ratte. Ich legte mich erst eine Weile hin und überlegte, was ich nun anfangen sollte. Haben sternchenland.com Sie jemals schon naß bis auf die Haut in einem offenen Boot gesessen? Dazu der feuchte Nebel! Schließlich konnte ich es doch in dem Boot nicht mehr aushalten und kletterte an Deck. Ich hörte Stimmen im Salon und öffnete das Deckenfenster. Smith war betrunken und stritt sich mit Miß Howett. Aber sie machte sich von ihm los, lief in den Schlafraum und schloß die Tür. Ich entdeckte eine lange Strickleiter und befestigte sie an einem der Deckenpfosten. Als ich dann sah, daß Smith den Salon verließ, um sich nach mir umzusehen, öffnete ich das Deckenlicht weit, ließ die Strickleiter hinunter in den Salon und kletterte schnell hinab, trotzdem ich vor Kälte ganz steif war. Ich mußte ja auch immer fürchten, daß der Kerl zurückkommen würde. Nach ein paar aufregenden Augenblicken hatte ich Miß Howett davon überzeugt, daß ich im Zimmer sei und nicht Coldharbour Smith. Sie öffnete die Tür, und ich hielt ihr die Leiter, als sie nach oben stieg. Dann folgte ich ihr sobald sie oben auf dem Deck angekommen war. Im Handumdrehen waren wir in dem Boot. Ich wußte nicht, wie die Flaschenzüge in Gang gebracht weiden sollten, aber Miß Howett, die sich im Segeln genau auskennt, zeigte mir, wie die Seile gebraucht werden und wie man das Boot aufs Wasser bringen konnte. Sie nahm das eine Tau und ich das andere, und gleich darauf hatten wir das Boot klargemacht. Das ist alles, was ich über unsere Flucht berichten kann. Nur hat es noch sehr lange gedauert, bis wir einen Landungsplatz fanden. Aber dann hatten wir Glück und fanden schnell ein Auto. Ich hielt es für das Beste, Miß Howett hierherzubringen, da ich nicht wußte, wo sich ihr Vater augenblicklich befand. Und hier konnte Fay für sie sorgen.«

 

»Haben Sie nicht noch ein anderes Boot gesehen, als sie von der ›Contessa‹ fortruderten?« fragte Jim.

 

»Wir sahen noch ein anderes kleines Boot, das ein einzelner Mann ruderte. Es war auf der Südseite des Schiffes, sternchenland.com und wir wunderten uns, wer es sein könnte. Er war aber nicht nahe genug, daß wir ihn hätten erkennen können. Glauben Sie, daß es der Grüne Bogenschütze war?«

 

»Das ist möglich.«

 

»Es ist doch merkwürdig – wir riefen ihn an, weil wir die Richtung nicht wußten. Er muß uns sicher gehört haben, aber er antwortete uns nicht.«

 

Jim stand auf.

 

»Gott sei Dank, daß Sie von dem Schiff entkommen sind,« sagte er. »Nun wäre es aber für Sie besser, wenn Sie sich zur Ruhe legten, Savini. Mr. Howett wird früh am Morgen hierherkommen. Fay –« er nahm ihre Hand in die seine – »wenn wir uns jemals wieder dienstlich treffen sollten, was ich unter allen Umständen beklagen würde, dann werden Sie einen guten Freund bei der Polizei und beim Gericht haben.«

 

Julius hatte ihm nichts von dem Besuch des alten Bellamy gesagt, und Fay erinnerte ihn daran, als Featherstone gegangen war.

 

»Ich glaube nicht, daß es klug gewesen wäre, ihm das mitzuteilen,« meinte er. »Du hast doch gehört, was er sagte. Er könnte ganz brauchbar sein, wenn wir einmal schnell fort wollten. – Ich habe eine Idee, daß man doch viel Geld von gewissen Leuten bekommen könnte. Aber das scheint mir heute wirklich nicht mehr so verlockend. Ich nehme lieber meinen alten ersten Plan wieder auf und ich denke, Bellamy wird es noch leid tun, daß er mich einlud, wieder zurückzukommen.«

 

»Und vielleicht wirst du es noch mehr bereuen, daß du wieder zu ihm gingst,« sagte Fay prophetisch.

 

Kapitel 54

 

54

 

Am nächsten Tag saßen fünf Menschen vergnügt im Carlton-Hotel zusammen. Es war Sonntag, und das große sternchenland.com Lokal war weniger besucht, aber für Jim und Valerie waren noch viel zu viel Leute da.

 

Mr. Howett sah düster und nachdenklich aus und war so mit seinen Gedanken beschäftigt, daß er jedesmal aufmerksam gemacht werden mußte, wenn ein Kellner seinen Teller wechselte und ein neues Gericht angeboten wurde. Es war merkwürdig, daß er sich erst an der Unterhaltung beteiligte, als Julius ihn ansprach. Savini erzählte gerade noch von der Flucht, als Spike Holland in den Speisesaal kam. Wenn sich der Reporter hier sehen ließ, so war es unweigerlich ein Zeichen, daß er von irgend jemand eingeladen war, der sich im Hintergrund hielt. Sein Gastgeber war jener vornehme Herr, den Valerie vor ihrer Übersiedlung nach Lady’s Manor im Carlton-Hotel gesehen hatte.

 

Jim erhob sich und grüßte John Wood, als er an ihrem Tisch vorüberging. Nach einer Weile kam Spike zu ihm herüber.

 

»Wer am Sonnabend einen Mord begeht, müßte sofort aufgehangen werden,« sagte er böse. »Alle Sonntagszeitungen sind voll von der Geschichte mit dem Grünen Bogenschützen, und das ist doch eigentlich mein Reservatrecht, Captain Featherstone. Ich habe von Ihnen nicht ein Wort erfahren, bis ich es in den Zeitungen las.«

 

»Das ist nicht schön,« lächelte Jim. »Aber ich bin nicht dafür verantwortlich, Spike, sonst hatten Sie den Löwenanteil der Nachrichten bekommen. Aber nach dem Essen werde ich Ihnen erzählen, wie es sich wirklich abgespielt hat. Wie ich sehe, sind Sie in der Begleitung Ihres Kinderfreundes?«

 

»Ja, Mr. Wood ist gestern angekommen und verbrachte die Nacht in meiner Wohnung. Er gründet jetzt ein Kinderheim in England und möchte dazu mit dem alten Bellamy verhandeln – er will nämlich Garre Castle kaufen. Was halten Sie von der Idee? Er sagte mir, er würde nicht eher ruhen, als bis er die ganzen zinnenbekrönten Mauern mit sternchenland.com zweijährigen Kindern besetzt hätte, die den Grünen Bogenschützen mit ihren Klappern in die Flucht jagen sollen. Es ist doch merkwürdig, daß er annimmt, Garre Castle würde ein idealer Sitz für ein solches Heim sein. Und obwohl er Bellamy ganz und gar nicht leiden kann, will er ihn doch diese Woche noch aufsuchen.«

 

»Kennen Sie ihn genau?« fragte Mr. Howett, der plötzlich Interesse an dieser Unterhaltung zeigte.

 

»Nicht gerade sehr gut. Aber er ist wirklich ein lieber Mensch und es lohnt sich schon, ihn kennenzulernen. Nebenbei bemerkt, Mr. Howett,« fragte Spike obenhin, »waren Sie vor fünfzehn Jahren schon einmal in London?«

 

Mr. Howett nickte.

 

»Ich war neulich in der Gesellschaft für Bogenschießen,« fuhr Spike fort, »und habe dort Nachforschungen angestellt, um dem Grünen Bogenschützen auf die Spur zu kommen. Dabei sah ich Ihren Namen – L. B. Howett. Sie haben ja damals bei einem Preisschießen am besten abgeschnitten.«

 

»Ja, ich habe mich in jener Zeit ein wenig dafür interessiert,« erwiderte Howett kurz. »Schon vor vielen Jahren hatten wir eine Gesellschaft für Bogenschießen in Philadelphia. Ich glaube, sie ist jetzt eingegangen. Ich erinnere mich auch, daß ich mich während meines Besuches hier an einem Preisschießen beteiligte. Ich fühlte mich damals sehr vereinsamt und las die Ankündigung der Veranstaltung in den Zeitungen. Ich kann mich aber nicht mehr darauf besinnen, mit welchem Erfolg ich daran teilnahm.«

 

»Aber, lieber Vater, ich wußte niemals, daß du dich für Bogenschießen interessiertest,« sagte Valerie erstaunt.

 

»Es interessiert mich auch jetzt nicht mehr,« antwortete Mr. Howett und suchte der Unterhaltung eine andere Wendung zu geben.

 

Julius horchte aufgeregt zu, aber das Gespräch wandte sich anderen Dingen zu.

 

sternchenland.com »Mr. Wood sieht doch sehr gut aus,« sagte Valerie, als sie Spike nachsah, der zu seinem Tisch zurückging. »Ich kann mich nicht besinnen, jemals ein so faszinierendes Gesicht gesehen zu haben.«

 

»Es tut mir leid, das zu hören,« sagte Jim.

 

»Für wie alt halten Sie ihn?« fragte sie, ohne auf seine Bemerkung zu achten.

 

»Das ist schwer zu sagen. Er kann achtunddreißig sein, er kann aber auch ebensogut achtundzwanzig sein. Offenbar ist sein Haar vor der Zeit grau geworden.«

 

»Erzählen Sie mir mehr von ihm,« bat sie.

 

Kein Mann rühmt einer geliebten Frau gegenüber gern die Vorzüge eines anderen, aber Jim sprach mit bewunderungswürdiger Selbstüberwindung von John Wood und seiner auffallenden Vorliebe für kleine Kinder.

 

»Ich dachte, ich hätte Ihnen das alles schon früher berichtet,« sagte er schließlich. »Sicher hat er ein bemerkenswertes Gesicht und ist ein hervorragender Mensch. Er hat kein anderes Interesse im Leben als sich um die Wohlfahrt der Kinder zu kümmern. Ich habe wohl niemals einen Mann getroffen, der sich mehr für seine Liebhaberei interessiert? als er.«

 

»Er soll Bellamy nicht gern haben, kennt er ihn denn?«

 

»O ja, er kennt ihn sehr gut. Er war doch ein Freund von Bellamys Neffen, der ihm all sein Vermögen hinterließ, als er starb. Ich habe das Testament durchgesehen, es wurde in England aufgesetzt und ist in Somerset House registriert, und obgleich die Erbschaft keinen großen Wert besaß – sie bestand hauptsächlich aus Büchern und wissenschaftlichen Instrumenten – bestätigt doch die Tatsache, daß er ihn zum Universalerben einsetzte, seine Zuneigung zu ihm. Zufällig konnte Wood mir einige Hinweise geben, die wertvoll für die Auffindung Ihrer Eltern sein können, Valerie,« setzte er mit leiser Stimme hinzu. Dann erzählte er ihr kurz die Geschichte sternchenland.com von dem geraubten Kind und dem Eisenbahnunglück. »Zuerst dachte ich, es handelte sich um Sie, aber Sie hätten in diesem Fall schon drei Jahre alt sein müssen, während Sie doch offenbar kaum ein Jahr alt waren, als Sie zu den Howetts kamen.«

 

Sie nickte nachdenklich.

 

»Ich glaube, ich habe auch etwas von dem River Bend-Unglück gehört, aber ich kann es nicht gewesen sein, denn ich habe später die Kleider gesehen, die ich trug, als ich zu meinen Pflegeeltern kam.«

 

Jim war überrascht, daß Mr. Howett nach Lady’s Manor zurückkehren wollte. Ei dachte, er hätte sich durch die schrecklichen Erfahrungen, die seine Pflegetochter dort gemacht hatte, warnen lassen und würde sie nun entweder in der Stadt lassen oder sie nach Amerika schicken – diese letzte Möglichkeit stimmte ihn allerdings sehr traurig.

 

Aber Mr. Howett fuhr schon am Nachmittag mit Valerie nach Lady’s Manor ab. Jim begleitete sie zum Wagen. Die Leichenschau für Coldharbour Smith war auf Mittwoch festgesetzt, und obgleich er Valerie gern die Zeugenaussage erspart hätte, waren doch gerade ihre Angaben dringend notwendig.

 

Er kehrte in die Vorhalle zurück, um Mantel und Hut zu holen, nachdem das Auto abgefahren war. Er traf dort auch Mr. Wood und Spike Holland, die leise miteinander sprachen. Er wollte sie in ihrer Unterhaltung nicht stören und ging mit einem Lächeln an ihnen vorüber.

 

Am Sonntag war Jims Besuch in Scotland Yard gewöhnlich eine Formsache. Aber infolge der neuen Entwicklungen im Falle des Grünen Bogenschützen wartete diesmal viel Arbeit auf ihn. Der wachthabende Beamte hielt ihn am Eingang an, als er vorüberging.

 

»Inspektor Fair von der Flußpolizei wartet in Ihrem Bureau. Ich sagte ihm, daß Sie bald kommen würden. Er sternchenland.com hat Ihnen sicher Wichtiges mitzuteilen. Ich habe deswegen auch schon an Ihre Wohnung telephoniert.«

 

Jim hatte diesen Besuch erwartet, aber er war erstaunt, daß der Mann ihn so dringend zu sprechen wünschte. Der Inspektor war ein wetterharter Wann, der mehr nach einem Seemann als nach einem Polizeibeamten aussah.

 

»Tut mir leid, daß ich Sie stören muß, Captain Featherstone. Aber Sie besinnen sich doch darauf, daß wir letzte Nacht einen Freund von Ihnen in dem Boot trafen, – es war doch Mr. Howett, wenn ich nicht irre?«

 

»Mr. Howett, jawohl.«

 

Inspektor Fair nahm zwei Gegenstände von dem Boden auf; die hinter dem Klubsessel verborgen lagen und legte sie auf Jim Featherstones Schreibtisch. Der eine war ein kurzer, starker Stahlbogen, der andere ein dazugehöriger grüner Pfeil.

 

»Wo haben Sie dies gefunden?« fragte Jim überrascht.

 

»In Mr. Howetts Boot,« antwortete Inspektor Fair.