Kapitel 4

 

4

 

Gewöhnlich verließ Leslie Ranger das Büro um fünf Uhr nachmittags. Decadon war aber den ganzen Tag sehr nervös und deprimiert gewesen, und als er sie bat, noch zu bleiben, kam sie seinem Wunsch aus Mitleid nach. Außerdem gab es auch noch allerhand für sie zu tun.

 

Ed Tanner begegnete ihr, als sie vom Tee zurückkam, und war überrascht, daß sie noch nicht nach Hause gegangen war. »Warum bleiben Sie denn heute so lange, Miss Ranger? Hat der alte Herr so viel zu tun?«

 

Sie gab eine Erklärung, die aber sehr unwahrscheinlich klang. Der alte Decadon hatte ihr streng untersagt, seinem Neffen etwas mitzuteilen, und sie richtete sich selbstverständlich danach.

 

Ungefähr um sieben Uhr abends hörte sie Tanners Stimme in der Bibliothek. Ob sein Onkel ihm jetzt von dem Brief erzählte? Die Unterredung zwischen den beiden dauerte ziemlich lange. Später hörte Leslie das Geräusch des Lifts, der zu Tanners Wohnung hinauffuhr. Kurz darauf klingelte es, und sie ging in die Bibliothek.

 

Der alte Herr schrieb eifrig. Er benutzte stets große Bögen, und seine Handschrift war trotz seines Alters sehr sauber und gut leserlich. Sie sah bei ihrem Eintritt, daß er den Bogen halb vollgeschrieben hatte. »Holen Sie Danes!« sagte er, ohne aufzusehen. »Klingeln Sie doch!« rief er dann ungeduldig, als sie zur Tür gehen wollte.

 

Sie drückte auf den Knopf, und gleich darauf erschien der Diener Danes im Zimmer.

 

»Schreiben Sie Ihren Namen, Ihren Stand und Ihre Adresse hierher!« Decadon zeigte auf eine Stelle am unteren Rand des Aktenbogens, und Danes nahm den Federhalter, um zu unterzeichnen.

 

»Sie wissen doch, was das bedeutet, wenn Sie hier unterschreiben, dummer Kerl? Sie sollen meine Unterschrift bestätigen, und die steht doch noch gar nicht da!« brauste der alte Herr nervös auf. »Sehen Sie auch her, Miss Ranger!«

 

Er unterschrieb; dann unterzeichnete der Diener.

 

»So – das genügt, Danes!«

 

Der Mann wollte das Zimmer wieder verlassen.

 

»Wenn dies ein Testament ist«, meinte Leslie ruhig, »so müssen die Unterschriften beider Zeugen zu gleicher Zeit geleistet werden, damit sie sich gegenseitig bestätigen.«

 

Der alte Herr starrte sie an. »Woher wissen Sie, daß das ein Testament ist?« Er hatte die Schrift dauernd mit der einen Hand verdeckt.

 

»Das vermute ich nur«, entgegnete sie lächelnd. »Ich kann mir nicht vorstellen, welches andere Dokument durch zwei Zeugenunterschriften bestätigt werden müßte.«

 

»Schon gut!« brummte Decadon. »Setzen Sie Ihren Namen hierher!« Er beobachtete sie genau, während sie schrieb. »Ich danke Ihnen.« Er löschte die noch feuchte Schrift ab, entließ den Diener durch eine Handbewegung und schob das Dokument in eine Schublade seines Schreibtisches. Dann sah er Leslie nachdenklich an. »Ich habe Ihnen tausend Pfund vermacht«, sagte er ernst. »Zum Teufel! Warum lachen Sie denn?«

 

»Ach, ich lache nur, weil ich diese tausend Pfund doch niemals bekomme. Meine Unterschrift als Zeugin annulliert das Legat.«

 

Er sah sie unsicher von der Seite an »Ich mag Leute nicht leiden, die so viel von Gesetz und Recht verstehen.«

 

Als er Leslie wieder in ihr Büro geschickt hatte, klingelte er und ließ Danes und die Köchin kommen. Leslie erfuhr davon nichts. Um halb neun war sie damit beschäftigt, ihren Schreibtisch aufzuräumen. Plötzlich hörte sie ein schwaches Knacken und schaute auf. Es kam ihr fast vor, als ob das Geräusch in ihrem Zimmer gewesen wäre. Sie hatte gerade den Hut aufgesetzt, als es sich wiederholte. Gleichzeitig hörte sie Decadons ärgerliche Stimme. Er stritt sich mit jemand; sie konnte aber nicht hören, wer der andere war. Dann vernahm sie einen gellenden Angstschrei, und gleich darauf wurden kurz hintereinander zwei Schüsse abgefeuert.

 

Einen Augenblick stand sie gelähmt vor Entsetzen; dann eilte sie zu der Tür, die in die Bibliothek führte, fand sie aber verschlossen. Sie wollte nun vom Gang aus hineingehen, aber auch ihre Bürotür zum Korridor war verschlossen. Sie klingelte heftig und hörte Schritte.

 

Danes hämmerte mit beiden Fäusten gegen die Tür.

 

»Was ist los?« fragte er.

 

»Die Tür ist verschlossen!« rief sie zurück. »Der Schlüssel steckt außen!«

 

Im nächsten Augenblick drehte sich der Schlüssel.

 

»Gehn Sie in die Bibliothek und schauen Sie nach, was geschehen ist!«

 

Danes und der zweite Diener eilten fort, kamen aber gleich wieder und berichteten, daß auch die andere Bibliothekstür verschlossen war. Der Schlüssel fehlte. Decadon hatte die merkwürdige Angewohnheit, die Schlüssel an den Türen stets auf der Außenseite steckenzulassen. Mit zitternden Händen nahm sie den Schlüssel von ihrer Tür und steckte ihn in das Schloß der Bibliothekstür. Glücklicherweise paßte er, und sie öffnete.

 

Aufgeregt trat sie in den Raum, ging drei Schritte vorwärts und blieb dann entsetzt stehen. Decadon lag in einer Blutlache über seinem Schreibtisch, und schon bevor sie ihn berührte, wußte sie, daß er tot war.

 

Kapitel 5

 

5

 

Terry hatte Jiggs zum Besuch einer Operette eingeladen und wollte gerade seine Wohnung verlassen, als das Telefon klingelte. Glücklicherweise fuhr Jiggs im selben Augenblick vor, und die beiden rasten in seinem Taxi mit größter Geschwindigkeit zum Berkeley Square.

 

Vor dem Haus Nummer 147 hatte sich schon eine Menschenmenge angesammelt; irgendwie mußte sich die Nachricht von dem Verbrechen verbreitet haben. Terry bahnte sich einen Weg durch die Gasse und wurde von dem Polizisten, der an der Tür Wache hielt, sofort eingelassen.

 

Die beiden Beamten in Zivil, die die Vorderseite des Gebäudes tagsüber bewacht hatten, warteten innen und erstatteten kurz Bericht. Niemand war während der letzten halben Stunde vor dem Mord ins Haus gekommen oder hatte es verlassen. Terry ging in die Bibliothek und betrachtete den Toten. Der alte Mann war aus nächster Nähe mit einem schweren Revolver erschossen worden. Die Waffe lag etwa einen Meter vom Schreibtisch entfernt auf dem Boden. Der Detektiv ließ sich eine Zange bringen, und nachdem er die Lage des Revolvers mit Kreide genau bezeichnet hatte, hob er die Waffe auf, legte sie auf einen kleinen Tisch und untersuchte sie beim Schein einer hellen Leselampe. Es war ein verhältnismäßig altmodischer Colt-Revolver, der noch vier Patronen enthielt.

 

Wichtiger war die Entdeckung, daß sich auf den Stahlteilen zwischen dem Griff und der Trommel deutlich ein Fingerabdruck zeigte. Auf dem Schreibtisch entdeckte Terry einen Bogen Papier, auf dem ebenfalls ein ganzer Satz von Fingerabdrücken klar zu erkennen war. Eine dritte Reihe von Fingerabdrucken fand sich auf dem Rand des blankpolierten Mahagonischreibtisches. Es sah so aus, als ob jemand seine Hand dort hingelegt hätte.

 

Terry ging dann in Leslies Büro und unterhielt sich mit ihr. Sie war bleich, erzählte ihm aber gefaßt, was sie von der Sache wußte.

 

»Ist Tanner benachrichtigt worden?«

 

Sie nickte.

 

»Er kam sofort herunter und sah den armen Mr. Decadon. Dann ging er wieder in seine Wohnung hinauf. Er sagte, daß nichts angerührt werden dürfe. Aber die Polizei war schon im Haus und hatte alle Anordnungen getroffen. Mr. Tanner wußte natürlich nichts davon, daß die Beamten den ganzen Tag Wache gehalten hatten.«

 

Terry ließ Tanner durch Danes rufen, und Ed kam mit ernstem Gesicht herunter. Ohne zu zögern, ging er in die Bibliothek. »Es ist furchtbar – einfach entsetzlich!« erklärte er. »Ich kann es kaum glauben …«

 

»Haben Sie den Revolver vorher schon gesehen?«

 

Terry zeigte auf die Schußwaffe, die auf dem Tisch lag.

 

Zu seinem Erstaunen nickte Tanner. »Ja, das ist mein Revolver! Ich bin meiner Sache ganz sicher: Ich habe ihn nicht angefaßt, als ich vorher hereinkam, aber ich kann einen Eid leisten, daß die Waffe mir gehört. Vor einem Monat wurde mir ein Koffer auf dem Bahnhof gestohlen, in dem auch dieser Revolver lag. Ich habe der Polizei damals die Sache angezeigt und sogar die Nummer der Waffe angegeben.«

 

Terry erinnerte sich genau an den Vorfall, denn Diebstahl von Feuerwaffen gehörte zu seiner Abteilung. »Und seit der Zeit sahen Sie den Revolver nicht wieder?«

 

»Nein.«

 

»Mr. Tanner: Auf der Waffe und auf dem Schreibtisch hier haben wir Fingerabdrücke gefunden. In kurzer Zeit werden die Beamten des Erkennungsdienstes mit ihren Apparaten hier sein. Sind Sie bereit, ihnen Ihre eigenen Fingerabdrucke zu geben, damit man sie mit den anderen vergleichen kann?«

 

»Gewiß! Ich habe nicht das geringste dagegen!«

 

Gleich darauf erschienen die Beamten. Terry nahm den Sergeanten einen Augenblick beiseite und erklärte ihm, was zu tun sei. Ein paar Minuten darauf hatten sie klare und gute Abdrücke von Tanners Fingern.

 

Der Sergeant machte sich nun daran, die übrigen Abdrücke aufzunehmen. Als er sie auf dem Bogen Papier mit Puder eingestäubt hatte, traten sie klar hervor. Er untersuchte sie, und Terry sah das Erstaunen in seinen Zügen. »Es sind die gleichen Abdrücke wie die von Mr. Tanner!«

 

»Was?« rief Terry verblüfft. Er nahm den Revolver auf und bestäubte selber den Abdruck mit Puder. »Hier ist es ebenso …« Terry sah zu Tanner hinüber, der vollkommen ruhig geblieben war und nur leicht lächelte.

 

»Um sieben Uhr heute abend war ich in der Bibliothek, Chefinspektor, aber ich habe weder den Briefbogen noch sonst etwas im Zimmer angefaßt. Die Tatsache, daß ich vorher hier im Zimmer war, würde eine sehr einfache Erklärung für meine Fingerabdrücke auf dem Schreibtisch geben. Damit wären aber nicht die auf dem Revolver erklärt. Doch auch die hätte ich unmöglich hinterlassen können, denn ich war im Begriff auszugehen und trug Handschuhe. Erst nachdem ich meinen Onkel gesprochen hatte, änderte ich meine Absicht und ging wieder in meine Wohnung.«

 

»Worüber haben Sie sich denn unterhalten?«

 

Eine kleine Pause trat ein. »Wir sprachen über sein Testament. Er hatte mich heruntergerufen, um mir mitzuteilen, daß er zum erstenmal in seinem Leben ein Testament machen wollte …«

 

»Hat er Ihnen gesagt, wie er über sein Vermögen verfügte?«

 

»Nein.«

 

Terry ging wieder in Leslies Büro und hörte zu seinem Erstaunen, daß Decadon vor seinem Tod tatsächlich ein Testament aufgesetzt hatte, das von Leslie persönlich als Zeugin unterzeichnet worden war.

 

Über den Inhalt konnte sie allerdings nichts sagen. Sie wußte nur, daß der alte Herr ihr ein Legat von tausend Pfund vermacht hatte. »Ich machte ihn noch ausdrücklich darauf aufmerksam, daß es ungültig sei, wenn ich als Zeugin seine Unterschrift bestätige.«

 

»Haben Sie eine Ahnung, wo er das Testament verwahrt hat?«

 

»Er hat es in die linke obere Schreibtischschublade gelegt.«

 

Terry ging wieder in die Bibliothek zurück. Inzwischen war der Arzt erschienen und untersuchte den Toten.

 

»Können Sie mir wirklich nicht sagen, wie Ihr Onkel in dem Testament über sein Vermögen verfügt hat?«

 

»Nein – das weiß ich nicht«, erklärte Tanner zum zweitenmal. »Er hat mir nichts darüber gesagt.«

 

Terry trat an den Schreibtisch und zog die ihm von Leslie bezeichnete Schublade auf. Sie war leer …

 

»Es ist Ihnen doch klar, wie ernst diese Situation für Sie ist, Mr. Tanner? Wenn Ihre Angabe stimmt, daß Ihr Onkel nie ein Testament gemacht hat, sind Sie, als sein einziger Verwandter, sein Universalerbe. Er hat nun aber, nach Feststellung mehrerer Zeugen, tatsächlich ein Testament hinterlassen, und es wäre möglich, daß er Sie darin enterbt hätte. Die Vernichtung des Testaments und die Ermordung Ihres Onkels sind Umstände, die deutlich auf ein wichtiges Motiv hinweisen …«

 

Tanner nickte. »Wollen Sie damit sagen …?«

 

»Nein! Im Augenblick will ich noch nichts sagen! Ich möchte Sie nur bitten, die Beamten nach Scotland Yard zu begleiten und mich in meinem Büro zu erwarten. Das bedeutet noch nicht, daß Sie verhaftet sind.«

 

Tanner dachte einen Augenblick nach. »Kann ich mich mit meinem Rechtsanwalt in Verbindung setzen?«

 

Terry schüttelte den Kopf. »Das ist hier bei uns nicht üblich. Wenn eine bestimmte Anklage gegen Sie erhoben wird, können Sie selbstverständlich Ihren Rechtsanwalt sprechen. Aber es steht noch nicht fest, ob eine Anklage erhoben wird. Die Umstände sind sehr verdächtig. Sie selbst geben zu, daß die Mordwaffe Ihnen gehört; der Sergeant hat festgestellt, daß die Fingerabdrücke den Ihren gleichen. Wir müssen die Sache genauer untersuchen, und es bleibt mir nichts anderes übrig, als in der angegebenen Weise zu handeln.«

 

»Ich verstehe vollkommen!« entgegnete Tanner und machte sich auf den Weg zum Polizeipräsidium. Jiggs Allerman war schweigender Zeuge all dieser Vorgänge gewesen. Terry hatte die Anwesenheit des Amerikaners vollständig vergessen. Erst jetzt bemerkte er ihn wieder und trat zu ihm.

 

Jiggs beobachtete gerade die Beamten des Erkennungsdienstes, die den Toten fotografierten. »Ist dies nun schon ein Bandenmord? Oder liegt ein anderes Motiv zugrunde? Ich wage das im Augenblick nicht zu entscheiden.« Er schüttelte den Kopf. »Was ich nicht recht verstehen kann, sind die Fingerabdrücke auf dem Aktenbogen. Haben Sie sich die schon genau angesehen? Sie sind ungewöhnlich grob.«

 

Der Sergeant sah sich um. »Das ist mir auch aufgefallen. Die Linien sehen so merkwürdig verschwommen aus. Man sollte fast glauben, die Abdrücke seien absichtlich gemacht …«

 

»Zu der Schlußfolgerung bin ich ebenfalls gekommen«, bestätigte Jiggs. »Dann der Revolver auf dem Fußboden! Haben Sie jemals gehört, daß ein Gangster sein Schießeisen zurückläßt? Er hätte ja ebensogut seine Visitenkarte neben sein Opfer legen können!«

 

Terrys Assistent kam an, und der Chefinspektor gab ihm den Auftrag, eine genaue Durchsuchung des Hauses vorzunehmen. »Besonders eingehend nehmen Sie sich Tanners Wohnung vor! Sehen Sie sich genau nach Patronen, und sonstigen Beweisstücken um, die ihn mit dem Verbrechen in Verbindung bringen könnten! Vor allem suche ich nach einem Testament, das Mr. Decadon heute abend geschrieben hat und das verschwunden ist. Schauen Sie sich in allen Kaminen und an anderen Plätzen um, wo Asche liegen könnte! Es. besteht der Verdacht, daß Tanner das Testament verbrannt hat.«

 

Nachdem der Tote fortgeschafft und die Spuren des Verbrechens beseitigt waren, rief er Leslie herein. Ihr Gesicht war blaß, und ihre Lippen zitterten; die Reaktion machte sich jetzt bei ihr geltend.

 

»Gehen Sie jetzt bitte nach Hause, Miss Ranger! Ich gebe Ihnen einen meiner Beamten zur Begleitung mit. Der Himmel weiß, wie ich den Mann darum beneide … Kommen Sie aber morgen um die gewöhnliche Zeit wieder hierher! Ich habe noch einige Fragen an Sie zu stellen; das kann ich Ihnen leider nicht ersparen.«

 

»Der arme Mr. Decadon …!« sagte sie leise.

 

»Ich weiß! Ich weiß!« Er wagte es, behutsam den Arm um ihre Schultern zu legen. »Sie müssen jetzt alles zu vergessen suchen, was Sie heute erlebte haben! Morgen ist ein neuer Tag – da sieht die Sache ganz anders aus. Eines nur möchte ich wissen: Haben Sie gehört, daß Tanner mit dem alten Herrn in der Bibliothek sprach? Und wann war das?«

 

Sie konnte genaue Angaben darüber machen, die mit Tanners Aussagen durchaus übereinstimmten.

 

»Und kurz bevor die Schüsse fielen, haben Sie Stimmen gehört?«

 

»Ja. Aber ich erkannte nur Decadons Stimme, die andere nicht.«

 

»Sie hörten doch auch die Geräusche, als die Schlüssel in der Bibliothekstür und in der Bürotür umgedreht wurden? Wir können also annehmen, daß jemand den Gang entlangging, Ihre Tür zum Korridor abschloß, in die Bibliothek eindrang und dann, ohne Rücksicht auf Decadons Anwesenheit, die Verbindungstür zwischen Ihrem Büro und der Bibliothek absperrte.«

 

»Ja, so muß es wohl gewesen sein«, entgegnete sie müde. Er nahm sie am Arm. »Genug für heute abend! Jetzt gehen Sie heim, legen sich hin und träumen – wenn möglich: von mir!«

 

Sie versuchte zu lächeln, aber es gelang ihr nicht ganz.

 

»«Was halten Sie von der Sache, Jiggs?« fragte Terry, als Leslie gegangen war.

 

»Ich stimme mit Ihrer Ansicht überein: Der Mörder kam von der Rückseite des Hauses.«

 

»Es kann sehr wohl Tanner gewesen sein …«

 

»Gewiß! Aber ebensogut mag einer der Dienstboten die Tat begangen haben. Wir wollen uns einmal auf dem Grundstück umsehen.«

 

Sie gingen den Gang bis zu Ende. Zur Linken sahen sie den Lift; rechts führte eine Treppe zur Küche hinunter. Unter den Stufen befand sich ein großer Schrank, in dem Mäntel, Schirme und Gummiüberschuhe aufbewahrt wurden. Jiggs öffnete die Tür zum Fahrstuhl und drehte das Licht an. Dann traten die beiden ein. Der Aufzug brachte sie direkt zum obersten Geschoß; man konnte ihn zwischendurch nicht anhalten.

 

Auf einem schmalen Treppenabsatz stiegen sie aus. Links sahen sie eine Glastür, auf der mit roten Buchstaben ›Notausgang‹ stand. Terry versuchte den Handgriff, der sofort nachgab. Soviel er sehen konnte, führte eine schmale Eisentreppe im Zickzack auf den kleinen Hof hinunter.

 

Terry trat wieder zurück, schloß die Tür und ging in Tanners Wohnung, die von zwei Beamten durchsucht wurde.

 

»Ich habe bisher nichts finden können«, berichtete der eine. »Nur dies hier. Ich weiß nicht, was das bedeuten soll.« Er zeigte auf einen Stuhl, auf dem ein Paar schmutziger und zerrissener Stiefel stand. »Ich fand sie unter dem Stuhl«

 

Sie befanden sich in Tanners Schlafzimmer, und der Sergeant machte darauf aufmerksam, daß ein kleiner Sekretär offenstand und eine Anzahl von Papieren auf dem Fußboden lag. Verschiedene Schubfächer mußten eilig ausgekramt worden sein. »Es sieht so aus, als ob schon vor uns jemand diesen Raum durchstöbert hätte. Vielleicht hat aber Tanner hastig etwas gesucht?«

 

Terry sah wieder auf die Schuhe und schüttelte den Kopf. »Haben Sie keine Papierasche im Kamin gefunden?«

 

»Nein. Es riecht auch nirgends nach verbranntem Papier.«

 

»Hören Sie mal, Terry!« mischte Jiggs sich ein. »Sie ließen doch das Haus bewachen? Seit wann standen die Leute auf Posten?«

 

»Seit etwa halb elf heute vormittag.«

 

»Haben Sie auch auf der Rückseite jemand aufgestellt?«

 

»Ja, einen Mann.«

 

»Es ist leichter, an einem Posten vorbeizuschlüpfen, als der Aufmerksamkeit zweier Beamter zu entgehen. Wir wollen mal die Feuerleiter hinunterklettern und sehen, ob jemand auf diesem Weg hereinkommen konnte. Sie haben doch schon bemerkt, daß alle Fenster im Zimmer offenstehn? Es ist auch ein bißchen kühl.«

 

Terry war diese Tatsache nicht entgangen. »Ich glaube, die Idee mit der Feuerleiter hat etwas für sich«, meinte er.

 

Sie wandten sich wieder dem Notausgang zu. Terry ließ seinen Begleiter vor dem Fahrstuhl zurück, während er nach unten ging, um sich von einem Polizisten eine Taschenlampe zu leihen. Als er wiederkam, stand der Notausgang offen, und Jiggs war verschwunden. Terry leuchtete nach unten und entdeckte den Amerikaner auf dem zweiten Treppenabsatz.

 

»Das ist besser als Streichhölzer!« rief Jiggs. »Sehn Sie mal hierher, Terry!«

 

Der Chefinspektor eilte die eisernen Stufen hinunter und bemerkt, daß Jiggs einen Gummischuh in der Hand hielt. Beim Licht der Taschenlampe untersuchte er ihn schnell. Der Schuh war alt und abgetragen; später stellte es sich heraus, daß er Tanner gehörte.

 

»Wie mag das Ding nur hierhergekommen sein?« fragte Jiggs.

 

Sie stiegen die Feuertreppe weiter hinab, konnten aber nichts mehr finden. Die Treppe mündete unmittelbar auf den Hof. Jiggs ging voraus; Terry folgte ihm und leuchtete mit der Taschenlampe.

 

»Dort drüben ist eine Tür in der Mauer!« stellte Jiggs fest. »Wohin mag die führen? Etwa auf die hintere Straße? Das wäre …« Plötzlich blieb er stehen. »Um Himmels willen!« sagte er leise. »Sehn Sie mal her!«

 

Dicht vor ihren Füßen lag eine zusammengekrümmte Gestalt: ein Mann in zerlumpten Kleidern. An dem einen Fuß trug er einen Gummischuh, am andern einen Lederpantoffel; sein Hut lag in einiger Entfernung auf dem Boden.

 

»Hier hätten wir schon den zweiten Toten!« murmelte Terry düster. »Wer aber mag es sein?«

 

Jiggs stieg über den Leichnam weg, lieh sich von Terry die Lampe und stellte eine genaue Untersuchung an. »Er sieht wie ein Strolch aus. Man hat ihn aus nächster Nähe durch den Kopf geschossen, mit einer kleinkalibrigen Waffe. Er ist schon eine halbe Stunde tot. Können Sie sich das erklären?«

 

Terry ging zum Haus zurück und fand eine Tür, die in die Küche führte. Er schickte einen der erschrockenen Dienstboten zum Polizeiarzt, der oben in Leslies Büro seinen Bericht schrieb. Während er auf ihn wartete, untersuchte er die Füße des Toten. Der Mann trug weiche Lederpantoffeln, die etwas zu klein für ihn waren, und darüber hatte er offenbar die Gummischuhe gezogen.

 

In diesem Augenblick kam einer der Polizisten in den Hof, und Terry sandte ihn zurück, damit er den Sergeanten vom Erkennungsdienst hole. Dann begann er, die Kleider des Toten sorgfältig zu durchsuchen. In der linken Tasche des schäbigen Rockes fand er einen kleinen Blechkasten, der einer Kindersparbüchse glich, schwarz lackiert war und ein kleines Patentschloß hatte. Terry versuchte vergeblich, ihn zu öffnen. »An dem Blech werden wir wohl seine Fingerabdrücke finden. Er hat das Ding in der Tasche getragen. Haben Sie sonst noch was entdeckt, Jiggs?«

 

Allerman hatte inzwischen Terrys Arbeit fortgesetzt, und der Chefinspektor hörte das Klingen von Münzen, als Jiggs ihm den Fund zeigte. »Das ist außergewöhnlich!«

 

Terry staunte, als er zehn englische Pfundstücke sah.

 

»Die fand ich in seiner Westentasche, in ein Stück Papier eingewickelt. Um so sonderbarer, da der Mann doch offenbar arm war. Wie kam er zu den Goldmünzen?«

 

Sie überließen dem Arzt die genaue Untersuchung des Toten und fuhren in einem Dienstauto zum Präsidium zurück.

 

Dort wartete Tanner in Terrys Büro. Er rauchte eine Zigarette und las eine Zeitung, als die beiden eintraten. »Haben Sie das Testament gefunden?« fragte er.

 

»Nein. Aber wir haben verschiedene andere Dinge entdeckt. Wann waren Sie zuletzt in Ihrem Schlafzimmer?«

 

Tanner runzelte die Stirn. »Sie meinen in Berkeley Square? Seit heute morgen bin ich nicht mehr dortgewesen.«

 

Terry sah ihn scharf an. »Sind Sie Ihrer Sache ganz sicher?«

 

Tanner nickte.

 

»Haben Sie in Ihrem Schreibtisch etwas gesucht?«

 

»Schreibtisch …?. Ach, Sie meinen den kleinen Sekretär? Nein!«

 

»Lag etwas Wertvolles darin?«

 

Ed Tanner überlegte. »Ja – ich hatte etwa ein Dutzend englische Goldstücke darin aufbewahrt. Es machte mir Spaß, sie zu sammeln. Übrigens fällt mir eben ein, daß ich heute nachmittag noch einmal in mein Schlafzimmer wollte. Die Tür war aber verschlossen. Ich dachte, die Haushälterin hätte das getan. Ab und zu macht sie das nämlich. Später hab‘ ich nicht mehr daran gedacht … Ist das Geld verschwunden?«

 

»Ich habe es hier in meiner Tasche«, erwiderte Terry grimmig, »aber ich kann es Ihnen nicht geben!« Unterdessen hatte, er den kleinen Blechkasten aus der Tasche gezogen und ging damit zu seinem Schreibtisch. Aus der Schublade nahm er einen Bund mit Nachschlüsseln und versuchte das Schloß zu öffnen. Es dauerte auch nicht lange, bis er Erfolg hatte. Der Deckel sprang auf, und Terry sah ein Farbkissen. »Das ist ja ein Stempelkasten!« rief er überrascht.

 

Jiggs nahm die drei Gummistempel heraus und betrachtete sie verblüfft. »Da hört doch alles auf!« Es waren Gummistempel von Fingerabdrücken, deren Oberflächen noch Spuren von Feuchtigkeit zeigten.

 

»So erklären sich also die Fingerabdrücke!« sagte Terry langsam. »Decadons Mörder wollte die Schuld auf einen anderen abwälzen.« Er blickte zu Ed Tanner. »Sie müssen allerdings sehr mächtige Feinde haben …«

 

»Ja –; ich habe einen Feind, dem viele Freunde und Helfer zur Verfügung stehen.« Als Tanner aufsah, begegnete er dem fragenden Blick Allermans und lächelte.

 

Kapitel 6

 

6

 

Um drei Uhr morgens hielten die höheren Beamten von Scotland Yard eine Konferenz ab. Es war ein Zeichen für die Hochachtung, die man Allerman entgegenbrachte, daß man ihn dazu einlud.

 

Der Leiter des Erkennungsdienstes konnte einige interessante Tatsachen melden. »Der Vagabund ist identifiziert worden. Es handelt sich um einen gewissen William Board alias William Crane alias Walter Cork. Er war siebenmal wegen Landstreicherei und kleiner Diebstähle vorbestraft.«

 

Jiggs schüttelte nachdenklich den Kopf. »Der Mann hat keinen Mord begangen. Ich habe noch niemals einen Tramp getroffen, der sich ein solches Verbrechen hätte zuschulden kommen lassen. Möglich ist allerdings, daß er die Fingerabdrucke mit den Stempeln gemacht hat. Wie mag er in den Hof gelangt sein?«

 

»Meiner Meinung nach hat Decadons Mörder auch diesen Board erschossen«, meinte einer der Inspektoren. »Ich erkläre mir die Sache so, daß der arme Kerl als Werkzeug diente und daß man ihn nachher aus dem Weg räumte, um einen lästigen Zeugen los zu sein. Der Arzt schreibt ja in seinem Bericht, daß der Mann mit einer Kleinkaliber-Pistole aus kürzester Entfernung erledigt worden wäre … Haben Sie übrigens Tanner aus der Haft entlassen?«

 

Terry nickte. »Ja. Nach Auffindung der Gummistempel konnten wir ihn nicht gut in Gewahrsam behalten. Die einzig haltbare Erklärung ist, daß Board schon früher am Tag in das Haus einbrach, und zwar, bevor die Polizei auf der Bildfläche erschien. Er muß sich in Tanners Schlafzimmer versteckt haben. Er trug übrigens Tanners Hausschuhe und Überschuhe. Wir haben auch festgestellt, daß seine Stiefel im Schlafzimmer standen. Ich kann nur nicht verstehen, warum er eine derartig gewagte Sache übernahm. Tanner ist doch den ganzen Tag in der Wohnung aus und ein gegangen.«

 

»Wäre es nicht möglich, daß Tanner ihn absichtlich in seine Wohnung kommen ließ?« warf Jiggs ein.

 

Alle Anwesenden sahen den Amerikaner erstaunt an.

 

»Warum sollte er das getan haben?« fragte Terry. »Um Verdachtsmomente gegen sich selbst zu häufen?«

 

»Es klingt zunächst unlogisch«, entgegnete Jiggs liebenswürdig. »Vielleicht bin ich auch um diese späte Nachtzeit schon ein bißchen müde und abgespannt. Eines aber ist sicher: Der erste Schuß in diesem Kampf ist gefallen. Und morgen früh werden die Zeitungen die Geschichte von dem Drohbrief und von der Forderung der fünfzigtausend Pfund bekanntmachen. Durch Decadons tragischen Tod will man die Leute in Schrecken und Angst versetzen … Fragt sich, ob auch der andere Plan zur Ausführung gelangt. Ich glaube schon.«

 

Terry Weston lachte. »Sie sprechen in Rätseln, Jiggs!«

 

»Leicht möglich.« –

 

Terry ging in sein Büro zurück und setzte sich an seinen Schreibtisch. In der Stille der Nacht versuchte er all die verschiedenen Tatsachen in einen faßbaren Zusammenhang zu bringen, was ihm aber einstweilen nicht gelang. Er hielt den Kopf in die Hände gestützt und war nahe am Einschlafen, als plötzlich das Telefon läutete.

 

Der Beamte in der Zentrale meldete: »Eine Dame möchte Sie sprechen. Meiner Meinung nach kommt der Anruf von einer Fernsprechzelle.«

 

Gleich darauf hörte der Chefinspektor eine ängstliche, ziemlich gewöhnliche Stimme: »Sind Sie Mr. Terry, der Detektiv von Scotland Yard?«

 

»Jawohl, hier Terry Weston!«

 

»Entschuldigen Sie bitte die Störung! Ich möchte nur fragen, ob Miss Ranger bald nach Hause kommt. Ich ängstige mich ein bißchen um sie …«

 

»Miss Ranger?« Terry richtete sich erstaunt auf. »Die ist doch schon längst in ihre Wohnung zurückgekehrt!«

 

»Ja, ja – das stimmt! Aber nachher ist sie durch einen Beamten von Scotland Yard wieder abgeholt worden. Es muß ein Amerikaner gewesen sein. Man hat ihr gesagt, daß sie zu Ihnen kommen soll.«

 

»Wann war das?« fragte Terry rasch.

 

Die Frau meinte, es könne um zehn gewesen sein; genau wußte sie das nicht mehr.

 

»Wo wohnen Sie denn?«

 

Sie nannte eine kleine Straße in Bloomsbury und die Nummer.

 

»In fünf Minuten bin ich bei Ihnen! Warten Sie an der Haustür auf mich!«

 

Er raste die Treppe hinunter. Etwa zehn Minuten später stand er schon im Wohnzimmer der Wirtin.

 

Aber sie konnte kaum mehr erzählen, als sie schon telefonisch berichtet hatte. Als jemand an der Haustür klopfte, hatte sie geöffnet und einen Mann vor sich gesehen. Auf der Straße wartete, ein Wagen mit Chauffeur. Der Mann erklärte, daß er von Scotland Yard geschickt wäre: Chefinspektor Weston ließe Miss Ranger bitten, sofort ins Präsidium zu kommen.

 

»Würden Sie den Mann wiedererkennen?« fragte Terry mutlos.

 

Die Frau hielt das kaum für möglich. Es war eine sehr dunkle Nacht, und sie hatte nicht besonders auf ihn geachtet. Leslie war eingestiegen, und das Auto hatte sich in Richtung Bloomsbury Square entfernt. Zufällig hatte sich die Frau die Nummer gemerkt: YXD 7000.

 

Terry eilte zur nächsten Fernsprechzelle, setzte sich mit Scotland Yard in Verbindung und nannte die Nummer. »Finden Sie heraus, wer der Eigentümer des Autos ist! Das Überfallkommando soll mir einen Wagen mit Mannschaft zur Verfügung stellen!«

 

Als er in das Präsidium zurückkam, war sein Auftrag ausgeführt. Das Auto gehörte einem Verleihgeschäft in Bloomsbury; wer den Wagen gemietet hatte, konnte nicht gleich festgestellt werden. Aber nach einiger Zeit wurde gemeldet, daß es ein Arzt war. Während er einen Besuch machte, war ihm das Auto gestohlen worden.

 

»Soweit wäre die Sache also aufgeklärt«, stöhnte Terry. »Schicken Sie Nachricht an alle Polizeistationen, daß sie sich nach dem betreffenden Wagen umsehen und seine Insassen festnehmen sollen!«

 

Fieberhafte Tätigkeit setzte ein. Eine Abteilung des Überfallkommandos nach der anderen wurde abgesandt. Sie fuhren nach allen Himmelsrichtungen: nach Osten, Westen, Norden und Süden. Und als der Tag graute, entdeckte eine Motorradpatrouille auf einem Feld in der Nähe von Colnbrook einen verlassenen Wagen, der die gesuchte Nummer trug. Die Jalousien an den Fenstern waren heruntergezogen. Die Beamten rissen die Tür auf und sahen eine junge Dame in der Ecke des Wagens. Es war die fest schlafende Leslie Ranger …

 

Kapitel 3

 

3

 

Am nächsten Morgen wurde Terry gleich nach seiner Ankunft im Amt zu seinem Vorgesetzten gerufen.

 

»Fahren Sie gleich zum alten Decadon nach Berkeley Square!«

 

»Was hat denn der schon wieder verloren?« fragte Terry, unangenehm beruht.

 

»Er hat nichts verloren. Es handelt sich diesmal um eine ernste Sache. Die Sekretärin hat eben telefoniert und gebeten, daß Sie kommen möchten.«

 

Terry ließ sich das nicht zweimal sagen. Er fuhr zum Berkeley Square. Leslie mußte ihn erwartet haben, denn sie öffnete selber die Haustür.

 

»Nun, hat der alte Herr wieder etwas verlegt?« fragte er.

 

»Nein. Entweder ist es eine ernste Sache, oder es handelt sich um einen üblen Scherz. Mr. Decadon hat heute morgen einen Brief erhalten. Er ist oben in seinem Zimmer und hat mir den Auftrag gegeben, Ihnen alles zu erklären.« Sie führte ihn in ihr Büro, schloß ein Schreibtischfach auf und nahm ein Formular heraus, auf dem bestimmte Worte handschriftlich eingefügt waren.

 

Terry las: »Betrifft persönlichen Schutz. Leute mit großem Besitz und Vermögen sind in der gegenwärtigen Zeit stark gefährdet und brauchen deshalb wirksamen Schutz. Die ›Gesellschaft zur Sicherung wohlhabender Bürger‹ bietet diesen Schutz Mr. …..« Hier war mit Tinte der Name »Elijah Decadon« eingesetzt. »Die Gesellschaft gewährleistet Schutz an Leben und Eigentum und verhütet alle gesetzwidrigen Anschläge gegen die Freiheit der betreffenden Person. Als Gegenleistung verlangt sie die Zahlung der Summe von fünfzigtausend Pfund. Wenn Mr. …..«, hier stand wieder in Tinte Decadons Name, »… dem zustimmt, wird er gebeten, eine Anzeige in die Mittwochausgabe der ›Times‹ zu setzen, und zwar wie folgt: Überschrift ›W.B.‹; dann das Wort ›Einverstanden‹; zum Schluß die Anfangsbuchstaben des Betreffenden, der die Annonce aufgibt.« Darunter stand, fett gedruckt: »Wenn Sie unserer Aufforderung innerhalb dreißig Tagen nicht nachkommen, oder wenn Sie die Polizei verständigen oder zu Rat ziehen, werden Sie umgebracht.« Eine Unterschrift war nicht vorhanden. Terry las die Botschaft noch einmal durch, bis er sie auswendig konnte, dann faltete er das Blatt und steckte es in die Tasche. »Haben Sie noch das Kuvert?«

 

Leslie gab ihm den Briefumschlag, ein gewöhnliches Geschäftskuvert. Die Adresse war mit einer gebrauchsüblichen Schreibmaschine geschrieben; der Poststempel stammte aus London E.C.1.

 

»Ein Scherz?« fragte Leslie ängstlich.

 

»Ich weiß nicht recht«, erwiderte Terry unsicher. »Der Brief kam mit der ersten Post? Hat sonst noch jemand davon erfahren? Zum Beispiel Mr. Tanner?«

 

»Nein, nur Mr. Decadon und ich wissen davon. Mein Chef ist sehr aufgeregt. Was sollen wir nur machen, Mr. Weston?«

 

»Sie können mich ruhig ›Terry‹ nennen, wenn Sie nichts dagegen haben! Selbstverständlich wird kein Geld an diese Kerle gezahlt, und Sie haben das einzig Richtige getan, als Sie sofort die Polizei verständigten.«

 

Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht«, entgegnete sie zu seinem Erstaunen. »Ich muß Ihnen sogar gestehen, daß ich Mr. Decadon überreden wollte, nicht mit Scotland Yard zu telefonieren …«

 

»Das war nun nicht gerade die Haltung einer ehrsamen Staatsbürgerin … Aber wahrscheinlich ist das Ganze nur ein Bluff. Auf jeden Fall wollen wir sehen, daß Elijah Decadon keinen Schaden leidet. Es ist doch besser, wenn ich mal mit ihm spreche.«

 

Er ging die Treppe hinauf und klopfte an die Tür von Decadons Schlafzimmer. Erst nach längerer Zeit öffnete der Alte und ließ ihn ein. Panischer Schrecken hatte den Mann gepackt.

 

Terry telefonierte ins Präsidium, und drei Beamte erhielten Befehl, Decadons Grundstück zu bewachen. »Ich habe Mr. Decadon eindringlich gebeten, nicht auszugehen«, sagte er am Apparat. »Wenn er es doch tun sollte, müssen die beiden Leute, die vorm Haus Wache halten, ihm folgen! Sie dürfen ihn nicht aus dem Auge verlieren!«

 

Terry ließ sich dann mit Jiggs Allerman verbinden und bat den Amerikaner, ihn im Präsidium aufzusuchen. Als er zu seinem Büro zurückkehrte, fand er ihn schon dort vor. »Ich habe etwas für Ihren scharfen Verstand«, sagte er und überreichte ihm das gedruckte Formular.

 

Jiggs las es mit hochgezogenen Brauen. »Wann ist das angekommen?«

 

»Heute morgen. Was halten Sie davon? Nehmen Sie die Sache ernst? Oder halten Sie sie für einen Scherz?«

 

»Das ist kein Scherz! Es handelt sich hier um eine ganz gemeine Erpressung. In Amerika ist das schon früher mit Erfolg versucht worden. Wir haben es hier mit einer organisierten Bande zu tun. Ich dachte mir schon, daß so etwas käme …«

 

»Sie glauben also, daß Decadon ernstlich bedroht ist?«

 

»Aber selbstverständlich!« entgegnete Jiggs Allerman mit Nachdruck. »Ich werde Ihnen auch sagen, warum. Die Drohungen einer solchen Bande wirken zu Anfang nicht. Deshalb müssen zunächst ein paar Leute über den Haufen geschossen werden. Damit wird der Öffentlichkeit bewiesen, daß die Drohungen verflucht ernst gemeint sind. Vielleicht haben auch schon andere Wohlhabende derartige Briefe erhalten; andererseits wäre es ebenso wahrscheinlich, daß einstweilen nur Decadon das Formular bekommen hat und daß man an ihm ein Exempel statuieren will.« Er nahm den Bogen wieder zur Hand und hielt ihn gegen das Licht, fand aber kein Wasserzeichen in dem Papier. »Die Art und Weise, wie sie es anfangen, ist allerdings neu. Gedruckte Formulare haben sie früher nicht verwendet. Aber das hat auch seine Vorteile. Auf jeden Fall meinen es die Leute wirklich ernst.«

 

Terry hatte dann eine Unterredung mit seinem Vorgesetzten und nahm Jiggs dazu mit.

 

Der Polizeipräsident interessierte sich sehr für den Fall, war aber doch etwas skeptisch. »In England dürfte dergleichen kaum passieren, Captain Allerman«, sagte er.

 

»Warum nicht? Wenn in den nächsten Tagen die Schießerei in London anfängt, werden Ihnen die Augen schon aufgehen!«

 

Kapitel 25

 

25

 

Nachdem einige Tage friedlich verlaufen und keine neuen Ausschreitungen und Verbrechen vorgekommen waren, hörte man in Scotland Yard von den rotgedruckten Drohbriefen. Ein reicher Brauereibesitzer, Mitglied des Parlaments, hatte ein solches Schreiben erhalten, und die Erpresser hatten sogar die Frechheit besessen, es ins Parlament zu schicken. Das war allerdings eine Herausforderung, die nicht übersehen werden durfte. Der Mann hätte natürlich zu anderen Mitgliedern gesprochen, und auch Scotland Yard hatte davon erfahren.

 

Jiggs Allerman hielt das Schreiben in der Hand und las es aufmerksam Wort für Wort. »Sie sind zu einer Verständigung gekommen. Das habe ich erwartet. Der Wortlaut ist ungefähr derselbe wie in dem grünen Schreiben; nur haben sie aus dem blauen die Telefonidee herübergenommen und dafür das brennende Licht im Fenster ausgemerzt. Ist dieser Senator, oder was er sonst ist, ein reicher Mann?«

 

»Millionär!« sagte Terry. »Er hat eine Wohnung in der Parklane.«

 

Jiggs nickte bedächtig. »Wo ist er denn jetzt? Im Parlamentsgebäude? Ich gebe Ihnen den guten Rat, ihn in einem Panzerwagen abzuholen und in den Tower zu bringen. Das jedenfalls wäre die einzige Möglichkeit, ihn zu retten. Die Kerle wissen, daß der Brief zur Polizei geschickt wurde, und haben den Mann natürlich zum Tode verurteilt. Das wird wieder eine üble Geschichte werden, Terry!«

 

»Ich setze mich sofort mit dem Ausschuß in Verbindung.«

 

Eine Stunde lang blieb Terry fort, und als er wiederkam, konnte Jiggs schon an seinem Gesicht ablesen, daß er keinen Erfolg gehabt hatte.

 

»Die Herren sagen, wir würden durch diese Maßnahme unsre eigne Unfähigkeit eingestehen, den Mann zu beschützen. Sie haben schließlich eingewilligt, daß wir ihn jedesmal unter Schutzgeleit zum Parlament bringen und von dort wieder abholen. Außerdem soll seine Wohnung von einem Polizeiaufgebot bewacht werden.«

 

Jiggs schüttelte den Kopf. »Das ist unvorsichtig. Die Gangster können ihn doch auf dem Weg zum Parlament leicht schnappen, selbst wenn die Polizei mit Pauken und Trompeten vorwegmarschiert. Aber ich habe das Gefühl, daß sie das Ding anders drehen werden.«

 

»Der Innenminister meint, die Sache wäre nicht aussichtslos, da sie den Colonel Drood auch nicht geschnappt hätten.«

 

»Albernes Gewäsch!« rief Jiggs wütend. »Sie haben Drood in Ruhe gelassen, weil gerade an dem Abend Krieg zwischen den beiden Banden ausbrach, und nicht, weil sie ihm nichts hätten anhaben können. Die Burschen werden diesen Mr. Durcott fassen, so wahr ich hier sitze! Vielleicht nicht heute, aber sicher in den nächsten drei Tagen. Und ich gehe jede Wette mit Ihnen ein, daß sie keine weiteren Briefe ausschicken, ehe diese Sache erledigt ist. Das ist nämlich das Probestück für die erfolgreiche Zusammenarbeit der beiden Banden.«

 

Am Abend wurde Durcott unter starker Bewachung aus dem Parlament abgeholt. Motorradfahrer der Polizei begleiteten sein Auto auf beiden Seiten, und als er nach Hause kam, waren so viele Beamte in seiner Wohnung, daß er kaum zu seinem Schlafzimmer gelangen konnte. Wenigstens erzählte Jiggs das so.

 

Am nächsten Nachmittag begab sich der Abgeordnete wieder zu einer Sitzung ins Parlament. Eine große Menschenmenge jubelte ihm begeistert zu, als er vorüberkam, und Durcott sonnte sich in seiner neuen Berühmtheit.

 

»Können Sie mir eigentlich erklären«, fragte Jiggs, »warum ausgerechnet Inspektor Tetley die Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz Durcotts leitet?«

 

Terry zögerte. »Wembury ist etwas dickköpfig, und Sie scheinen ihn irgendwie verletzt zu haben.«

 

Jiggs grinste. »Natürliche Abneigung des Vorgesetzten gegen einen befähigteren Untergebenen!« erwiderte er großspurig. »Es tut mir leid«, fuhr er dann in verändertem Ton fort. »Ich habe Wembury gern – er ist wirklich ein famoser Kerl. Und wenn ich Polizeichef in Chikago wäre, und es käme eines guten Tages ein Engländer und wollte große Töne reden, würde ich es wahrscheinlich auch nicht anders machen. Trotzdem, Terry: Sie müssen Wembury davon überzeugen, daß dieser Tetley ein gemeingefährlicher Halunke ist! Ich habe auf eigne Faust ein bißchen Detektiv gespielt und herausgebracht, daß der saubere Kollege mit Kerky unter einer Decke steckt, und zwar seitdem die Tätigkeit der organisierten Banden in London begann. Könnten Sie Wembury das nicht beibringen?«

 

»Im Augenblick nicht. Er ist ganz aus dem Häuschen, und das läßt sich schließlich begreifen. Tetley versteht es außerdem, die Leute zu beschwatzen. Er hat sich aus einfachsten Verhältnissen emporgearbeitet – das wird ihm hier immer hoch angerechnet. Andererseits stand er vor fünf Jahren schon einmal unter Verdacht. Es handelte sich damals um eine anrüchige Spielhölle. Ein großer Skandal – doch wir konnten ihm nichts beweisen. Aber daß er sich jetzt mit Mördern verbündet, kann ich nicht recht glauben.«

 

»Das hat er, seiner Meinung nach, auch nicht getan. Er glaubt natürlich, daß er das Geld erhält, weiter gewisse Dinge nicht zur Anzeige bringt, auf die es nicht ankomme. Leute wie Tetley verstehen es immer ausgezeichnet, sich vor sich selbst zu rechtfertigen. Und glauben Sie ja nicht, daß er sich nicht fürchtet! Allmählich wird ihm klar, was er gemacht hat; aber nun hat er sich einmal auf die Sache eingelassen und kann nicht aus der Schlinge heraus. Er ist um so schlimmer dran, weil er nach und nach sieht, wie tief er in die Geschichte verstrickt ist. An einem der nächsten Tage wird sich sein Gewissen melden, und dann wird er die Gangster verraten. Aber wenn es soweit kommt, wäre es besser für ihn, den Schnabel zu halten.« –

 

Auch am zweiten Abend ereignete sich nichts. Am dritten lag Nebel über London, und als sich der Dunst in den Straßen immer mehr verdichtete, wußte Jiggs, daß jetzt die Entscheidung kommen würde.

 

Mr. Quigley, ein alter, weißhaariger Parlamentarier, der etwas gebeugt ging, war in der letzten Zeit häufig krank gewesen und deshalb nur selten zu den Sitzungen erschienen. Aber an diesem Abend ging er durch die Vorhalle in das Innere des großen Gebäudes. Der Polizist, der am Eingang Wache hielt, grüßte ihn und öffnete die Tür.

 

Einen Augenblick blieb Quigley stehen und putzte seine Brille. Als er in den Sitzungssaal trat, fand er das Haus nur mäßig besetzt. Mehrere Mitglieder debattierten eifrig über eine neue Gesetzesvorlage. Er ließ sich auf einer der fast leeren Regierungsbänke nieder.

 

Verschiedene der Anwesenden lächelten. »Quigley ist zur Regierung übergegangen!« tuschelten sie.

 

Er gehörte nämlich zur Opposition. Die für Regierungsmitglieder reservierte erste Sitzreihe im Parlament war fast vollkommen frei. Nur ein Unterstaatssekretär, der die Debatte führte, war zugegen.

 

Unerwartet erhob sich Mr. Quigley, ging mit unsicheren Schritten auf das Rednerpult zu und hatte schon den Gang erreicht, der zur Tür führte, als er eine Pistole zog und sich plötzlich umdrehte. In kurzer Aufeinanderfolge feuerte er dreimal, sprang über die vorgestreckten Beine des Unterstaatssekretärs, lief am Rednerpult vorbei und verschwand durch die hintere Tür. In wenigen Sekunden war alles vorüber – Mr. Durcott, der auf einer der vorderen Bänke gesessen hatte, brach zusammen.

 

Ein Polizist sah den alten Mann, der hinauslief, und versuchte ihn anzuhalten. Aber dazu kam er nicht; er stürzte mit einem Schuß in der Schulter zu Boden. Offenbar kannte der Mörder die Lage der einzelnen Räume im Parlament sehr genau. Er bog in einen Gang ab und eilte dann auf die Terrasse des Hauses. Rasch zählte er die Laternen von der Brücke aus und sprang bei der vierten in den Fluß.

 

Niemand sah es. Als Politiker, Beamte und Polizisten auf der Terrasse erschienen, war er verschwunden.

 

Ein Polizist schaute über das Geländer und entdeckte ein Motorboot, das auf die Mitte des Stromes hinausfuhr. Er rief es an, und als keine Antwort kam, zog er seinen Revolver und gab zwei Schüsse ab. Unmittelbar darauf blitzte das Mündungsfeuer eines Maschinengewehrs auf; unheimlich hallten die Schüsse über das Wasser. Ein Kugelregen prasselte gegen die Brüstungsmauer, ein paar Fenster im Parlamentsgebäude zerklirrten, aber weiterer Schaden wurde nicht angerichtet.

 

Jetzt war das Boot mitten auf dem Fluß. Kurz darauf sahen die Zuschauer auf der Terrasse wieder das Mündungsfeuer des Maschinengewehres und hörten das unheimliche. Rattern. Die Gangster waren auf ein Polizeiboot gestoßen, aber der Kampf blieb einseitig. Als Verstärkungen herbeikamen, war von dem Polizeiboot nichts mehr zu sehen: Es war in den Fluten verschwunden.

 

Wembury trat bleich in Westons Büro.

 

»Ist er tot?« fragte Terry.

 

Der Vorgesetzte nickte. »Er ist vollkommen erledigt. Und Scotland Yard auch. Wo steckt denn unser amerikanischer Freund?«

 

»Er ging vorhin fort, als der Bericht vom Parlamentsgebäude durchkam.«

 

»Er hatte doch nicht so ganz unrecht mit dem Panzerwagen und dem Tower«, meinte Wembury bitter, sank in einen Stuhl und verbarg das Gesicht in den Händen. »Mein Gott, für diese Aufgabe bin ich nicht geschaffen! Wenn ich daran denke, wie wir lachten, als wir die Nachrichten erhielten, daß die Chikagoer Polizei mit den Alkoholschmugglern nicht fertig werden konnte! Jetzt wissen wir, warum es ihnen nicht gelingt. Wir kämpfen mit Flederwischen gegen Revolver.« Er lehnte sich seufzend in seinem Stuhl zurück. »Das Motorboot, in dem der Kerl entkommen ist, muß die ganze Zeit im tiefen Schatten an der Ufermauer entlanggefahren sein, so daß es von der Themsepolizei nicht bemerkt wurde. Der Sergeant, der das Patrouillenboot steuerte, ist schwer verletzt und liegt in hoffnungslosem Zustand im Hospital; sie haben ihn noch lebend aus dem Wasser gefischt. Jiggs hatte uns den Rat gegeben, alle Polizeiboote auf der Themse mit Maschinengewehren zu bewaffnen, und ich habe nicht auf ihn gehört!«

 

Captain Allerman kam zur Tür herein. »Hallo, Chef! Tut mir leid, daß es so kommen müßte …«

 

Wembury nickte. »Irren ist nun mal menschlich. Sie können sich freuen, daß alles so eintraf, wie Sie sagten.«

 

Jiggs sah ihn düster an. »Ich freue mich nicht! Aber ich werde Ihnen sagen, was Sie tun müssen: Lassen Sie Eddie Tanner und Kerky Smith verhaften und zum Scotland Yard bringen!«

 

»Und was dann?« fragte Wembury nach einer kleinen Pause.

 

»Dann können Sie sie niederschießen, wenn sie entfliehen wollen.«

 

Wembury starrte ihn an. »Was? Wir sollen sie unterwegs erledigen?«

 

»Ja – wenn sie zu fliehen versuchen.«

 

»Aber wenn sie das nicht tun?«

 

»Falls Sie mir die Sache überlassen, sorge ich schon dafür, daß sie einen Fluchtversuch machen!«

 

Wembury schüttelte den Kopf. »Das wäre doch glatter Mord!«

 

»Was ist denn heute abend und während der ganzen Woche passiert? War das vielleicht ein Pfänderspiel? Sie haben es hier mit organisierten Verbrecherbanden zu tun, die Mord für eine ganz normale Sache halten. Meiner Schätzung nach gibt es zur Zeit ungefähr zweihundert solcher bezahlter Pistolenschützen in London, und sie alle sind geübte Spezialisten. Schon seit Monaten hat man ihre Wohnungen und Verstecke vorbereitet. Alles ist sorgfältig geplant. Über zwei Millionen Dollar sind in das Geschäft bereits hineingesteckt worden, aber es macht sich mehr als bezahlt. Heute abend wird das Geld in vollen Strömen hereinkommen!« –

 

Scotland Yard erließ eine Verordnung, wonach alle uniformierten Polizisten auf den Straßen bewaffnet wurden. Ferner wurde eine Anregung Allermans angenommen: Man richtete Luftpatrouillen ein, die Tag und Nacht über London Dienst taten. Die Beobachter im Flugzeug blieben stets in Verbindung mit gewissen Erdstationen. Bei Tag konnten sie jedes Auto verfolgen, so schnell es auch fuhr, und genau angeben, welches Ziel es hatte.

 

Endlich beauftragte Polizeidirektor Wembury auch seinen Chefinspektor Terry Weston, dem verdächtigen Tetley ernstlich auf den Zahn zu fühlen. »Ich habe ihm befohlen«, meinte Wembury, »sich in meinem Büro zu melden; aber ich werde ihn zu Ihnen schicken. Ich gebe Ihnen dem Mann gegenüber freie Hand. Bis morgen früh will ich wissen, welche Vorsichtsmaßregeln er getroffen hatte und wie es möglich war, daß der Verbrecher über die Terrasse des Parlamentsgebäudes fliehen konnte, ohne gefaßt zu werden. Captain Allerman soll Ihrer Unterredung beiwohnen.«

 

Kurze Zeit später kam Tetley zu den beiden in Terrys Büro. Er sah alt und verfallen aus; der sonst aufgezwirbelte Schnurrbart hing nach unten. Der Mann schien von Angst und Schrecken gepackt und dem Zusammenbruch nahe zu sein.

 

Tetley sah auf Allerman, dann auf Weston. »Ich möchte lieber mit Ihnen allein sprechen, Chefinspektor! Ich glaube, nicht, daß Fremde –«

 

»Wir haben jetzt keine Zeit, auf Ihre Gefühle Rücksicht zu nehmen, Tetley! Sie wissen außerdem sehr wohl, daß Captain Allerman unserm Präsidium als Beamter zugeteilt ist. Erklären Sie mir jetzt, wie dieses Unglück heute abend überhaupt geschehen konnte! Warum waren die Ausgänge nicht genügend besetzt? Wie war es möglich, daß der Verbrecher entkam?«

 

»Ich tat mein Bestes!« beteuerte Tetley weinerlich. »Ich hatte auf allen Korridoren Beamte aufgestellt, und ich kann nicht verstehen, daß ausgerechnet der Posten auf der Terrasse –«

 

»Wenn Sie es nicht verstehen können, dann will ich es Ihnen begreiflich machen!« erwiderte Terry streng. »Er war nicht auf seinem Platz, weil man ihn nicht richtig instruiert hatte!«

 

Tetley widersprach nicht. »Wir machen alle unsere Fehler«, entschuldigte er sich. »Ich habe eine sehr schwere Zeit hinter mir, und heute abend hatte ich so entsetzliche Kopfschmerzen, daß ich kaum noch wußte, was ich tat …«

 

»Sie melden sich morgen um zwölf wieder hier in meinem Büro!« erwiderte Terry scharf. »Bringen Sie Ihr Bankbuch mit – ebenso die Bankbücher Ihrer Frau! Sie hat zwei; eins davon unter ihrem Mädchennamen … Außerdem schaffen Sie mir den ganzen Inhalt Ihres Depotfachs 8497 von der Bank her! Es wartet bereits ein Beamter auf Sie, der Ihnen behilflich sein wird.«

 

Tetley verließ das Zimmer als gebrochener Mann.

 

»Das Merkwürdigste an der Sache war«, bemerkte Jiggs, »daß ich kein Wort zu sprechen brauchte …«

 

Kapitel 26

 

26

 

Mr. Kerky Smith hatte mit seiner Frau einen der eleganten Nachtklubs besucht und war erst spät nach Hause gekommen.

 

Der Kammerdiener weckte ihn. Er war nicht besonders höflich, wenn er mit seinem Herrn allein war. »Kerky, der Polyp ist am Telefon!«

 

Smith erhob sich und sah den Mann unsicher an, der ihn in seinen Träumen gestört hatte. »Was für ein Polizist?« fragte er ärgerlich. »Doch nicht Tetley?«

 

»Er nennt sich ›Colonel Brunton‹ … Das ist doch Tetley, nicht wahr?«

 

Kerky ging ins Wohnzimmer und, nahm den Hörer ab.

 

»Ich muß Sie dringend sprechen, Mr. Smith! Kann ich in Ihr Hotel kommen?«

 

»Nein, das können Sie nicht! Das hab‘ ich Ihnen doch schon oft genug gesagt. Ich werde jemand schicken, der Sie mit dem Wagen abholt.«

 

»Ich werde scharf beobachtet!« erwiderte Tetley aufgeregt. »Ich hab‘ es erst erfahren, als der Chefinspektor –«

 

»Meinen Sie, ich werde nicht Tag und Nacht beobachtet?« zischte Smith böse. »Ich werde mit Ihnen sprechen, nachdem ich rasiert bin – in einer halben Stunde!«

 

Er ging zu seinem Friseur in Soho und ließ sich einseifen. Dann brachte der Friseur den Telefonapparat herein, ging wieder hinaus und schloß die Tür fest hinter sich.

 

Inspektor Tetley war nicht weit von Kerky entfernt. Er befand sich im ersten Geschoß, und zwar in einer schalldichten Telefonzelle. Kerky hörte, was am vergangenen Abend vorgefallen war.

 

»Ich muß meinen Abschied einreichen«, klagte Tetley. »Ich werde ins Ausland gehen. Ich bin erledigt. Wenn dieser verdammte Amerikaner mich nach Strich und Faden verhört, kann er alles aus mir herausholen. Gestern hat er kein Wort gesagt. Kerky, ich hab‘ noch ein paar tausend Pfund zu bekommen … Entschuldigen Sie, daß ich Sie beim Vornamen nenne!«

 

»Das paßt mir ganz und gar nicht!« fuhr Smith ihn an. »Aber es wird schon alles in Ordnung kommen«, fügte er freundlicher hinzu. »Warten Sie heute abend an der bekannten Stelle gegenüber dem Zoo! Ich schicke einen Mann, der Ihnen das Geld bringt. Aber achten Sie darauf, daß Sie von niemand gesehen werden, wenn Sie hingehen!« Er drückte auf eine Klingel, und als der Barbier wiederkam, reichte er ihm den Apparat. »Machen Sie jetzt schnell!« sagte er ärgerlich. »Die Seife trocknet schon ein.«

 

Kapitel 27

 

27

 

Coras Lebensphilosophie war sehr einfach: Als Frau mußte sie sich schön erhalten für den Mann, der ihre Rechnungen bezahlte, und ihm treu bleiben, solange er sie nicht betrog. Ihre früheren Ehemänner hatten sich nicht so stark für sie interessiert wie Kerky Smith, aber ihr war das gleichgültig. Wenn sie Kerky durch eine Kugel verlieren sollte, dann war dieses Kapitel eben abgeschlossen, und sie machte sich schön für den nächsten …

 

Aber jetzt sah sie sich einer anderen Gefahr gegenüber: Leslie Ranger! Mit dieser Nebenbuhlerin mußte man abrechnen! Sie begann Pläne zu schmieden, verwarf sie wieder, überlegte aufs neue und faßte endlich einen Entschluß.

 

»Warum gehst du eigentlich nicht mal aufs Land?« erkundigte sich Kerky eines Tages. »Wozu kaufe ich dir denn ein schönes Landhaus, wenn du nicht dort ausruhst?«

 

Sie lächelte ihn freundlich an, schüttelte aber den Kopf. Das kleine Haus, das Kerky ihr im vergangenen Sommer geschenkt hatte, lag am Flußufer zwischen Maidenhead und Cookham. Es war neu hergerichtet und gut ausgestattet. Bei ihrem ersten Besuch hatte Cora es entzückend gefunden, aber schon das zweitemal hatte es ihr nicht mehr gefallen.

 

»Ich habe heute über Lu Stein gelesen«, sagte sie jetzt. »Die Frau konnte hassen! Sie ließ das Mädchen erschießen.«

 

Kerky sah sie mißbilligend an. »Cora, merk dir eins: Von unserm Geschäft sollten sich die Frauen fernhalten! Du willst doch nicht etwa selbst eine solche Sache inszenieren?«

 

»Aber rede doch nicht so verrückt!« Wäre er gleichgültig geblieben, so hätte sie vielleicht ihren Plan aufgegeben; aber sein starkes Interesse bestätigte ihren Verdacht. –

 

Leslie pflegte stets auswärts zu Mittag zu essen. Sie kehrte gerade zum Büro zurück und bog nach Austin Friars ein, als sie plötzlich ihren Namen hörte. Ein kleines Auto hielt mit einem Ruck am Gehsteig an, und eine Dame stieg aus, Mrs. Smith war eine so glänzende Erscheinung in dieser verhältnismäßig düsteren Umgebung, daß alle Passanten sie staunend begafften. Leslie gefiel sie nicht, weil sie zu sehr einer Modepuppe glich.

 

»Das ist ja entzückend, daß ich Sie treffe!« rief Cora etwas zu freundlich. »Wollen Sie nicht mit mir speisen? Ich habe solche Langeweile! Kerky reist in geschäftlichen Angelegenheiten nach Paris, und ich dachte schon immer, daß es sehr nett wäre, wenn wir beide etwas vertrauter miteinander werden könnten. Wo liegt denn Ihr Geschäft? Und wann sind Sie mit Ihrer Arbeit fertig?«

 

»Um fünf.«

 

»Würden Sie dann eine Spazierfahrt mit mir machen? Ich fühle mich so allein und sehne mich nach Gesellschaft …«

 

Leslie hatte Mitleid. Man konnte der Frau ja schließlich den Gefallen tun. »Wenn Sie mich hier abholen, begleite ich Sie ganz gern.«

 

Mrs. Smith strahlte. –

 

Es stimmte allerdings, daß Kerky nach Paris reisen wollte, aber er änderte seine Absicht. »Du fährst noch aus?« fragte er, mit einem Blick auf die Uhr. »Es ist halb fünf, Kind. Es wäre besser, wenn du jemand zur Begleitung mitnähmst. Wohin willst du denn?«

 

»Ich hole das Mädel ab, diese Leslie …«

 

»Leslie Ranger?« Er runzelte die Stirn. »Was hast du mit der vor?«

 

»Ach, ich möchte sie ein bißchen kennenlernen …«

 

»Das wäre gar nicht so übel. Eine ganz gute Idee sogar Ruf mich um sechs an! Vielleicht erzählt sie dir etwas von diesem Beamten aus Scotland Yard? Aber verplappre dich nur nicht!«

 

Es war ein schöner Nachmittag, und Leslie freute sich, daß sie aus London herauskam. Cora hatte vorgeschlagen, eine kleine Spazierfahrt zu ihrem Landhaus zu machen.

 

Es war bereits dunkel, als sie in eine lange Landstraße einbog. Cora sagte ihrer Begleiterin, daß sie jetzt bald an Ort und Stelle wären. Nachdem sie mehrere Nebenwege passiert hatten, hielt der Wagen auch kurz darauf, vor einem hübschen, kleinen Gebäude, das von einem Garten eingefaßt war. Leslie stieg aus und öffnete das Tor. Das Auto fuhr weiter und hielt direkt vor dem Eingang.

 

»Lange kann ich leider nicht bleiben«, sagte Leslie.

 

»Aber Sie werden doch wenigstens einen Blick hineinwerfen?« bat Cora.

 

Sie öffnete die Küchentür. Dumpfe Luft schlug ihnen entgegen. Als sie ins Wohnzimmer kamen, bemerkte Leslie einen Käfig und auf dem Boden einen gelben Kanarienvogel.

 

»Ach, sehn Sie doch – ich habe ganz vergessen, ihm Futter und Wasser zu geben!« sagte Cora ohne das mindeste Mitleid. »Ich mag eigentlich solche Singvögel nicht leiden, aber Kerky glaubte, er würde mir eine Freude damit machen. Fünfundzwanzig Dollar hat er dafür gezahlt.«

 

Leslie sagte nichts.

 

»Gehen Sie nach oben!« befahl Cora plötzlich scharf. Sie stand hoch aufgerichtet und hatte die Augen weit aufgerissen. In ihrer Hand blitzte ein Browning. »Haben Sie nicht gehört? Sie sollen nach oben gehen!«

 

Leslie überlief ein Schauder, und ihre Knie zitterten. »Machen Sie doch keine Geschichten! Es ist höchste Zeit, daß wir wieder nach Hause fahren.«

 

»Wollen Sie wohl nach oben gehen, wenn ich es ihnen sage?« schrie Cora leidenschaftlich.

 

Leslie ging hinaus und stieg die Treppe hinauf.

 

»In das Zimmer links!«

 

Der Raum lag im Dunkeln, und Cora drehte das elektrische Licht an. Allem Anschein nach war dies ein Dienstbotenzimmer. Ein einfaches eisernes Bett, ein Tisch und ein Stuhl standen darin. Von einer offenen Tür aus konnte man in einen Baderaum sehen.

 

»So! Und jetzt werde ich Ihnen mal was sagen: Ich wäre Ihretwegen beinahe umgebracht worden … Wußten Sie das? Ihr Kerl da, der Eddie Tanner – wissen Sie, was der zu Kerky gesagt hat? Er würde mir den Kopf abschneiden und ihn Kerky in einem Obstkorb zum Frühstück schicken! Das hätte der Lump auch getan! Ich kenne Eddie genau – ich war früher mal mit ihm verheiratet … Und das hat er nur Ihretwegen gesagt!«

 

»Meinetwegen?« fragte Leslie. »Lächerlich!

 

»Das finden Sie auch noch lächerlich? Sie haben doch einen Brief bekommen, daß Sie fünfhundert Pfund zahlen sollen? Den haben Sie zur Polizei gebracht, und daraufhin sollten Sie niedergeknallt werden … Aber da hat Eddie eingegriffen, mich in der Stadt angehalten und einsperren lassen. Und hätten die Kerle Sie gefaßt, so hätte er mir die Gurgel durchgeschnitten …«

 

So unglaublich diese Geschichte auch klang – Leslie fühlte, daß sie auf Wahrheit beruhen mußte.

 

»Diese Rechnung haben wir also miteinander zu begleichen! Aber nun kommt noch was viel Schlimmeres: Was fällt Ihnen ein, Kerky den Kopf zu verdrehn? Sie brauchen mir nicht zu erzählen, daß Sie das nicht getan hätten! Ich weiß, genau, wie die Weiber sind …« Cora machte aus ihrem Herzen keine Mördergrube: Sie wählte die Worte nicht, und Leslie bekam die gemeinsten Ausdrücke zu hören. »Ich schließe Sie jetzt hier für ein Weilchen ein – genauso, wie ich selbst eingesperrt war. Wenn ich morgen wieder in besserer Stimmung bin, komme ich vielleicht zurück und lasse Sie heraus. Aber wenn mein Ärger noch nicht verflogen ist …« Ihr Gesicht sah plötzlich alt und verfallen aus, und sie atmete schwer. »Nun – ich werde wahrscheinlich zurückkommen …«

 

Sie öffnete ihre Handtasche und nahm zwei amerikanische Handschellen heraus, die sie vor einigen Tagen in einem Laden in der Oxford Street gekauft hatte. Die Pistole hielt sie immer noch in der einen Hand, mit der anderen legte sie Leslie die Fesseln an. Die beiden Handschellen waren an einer Kette befestigt, die sie hinter einer eisernen Röhre im Badezimmer entlangführte, bevor sie das Eisen schloß. »So, nun sind Sie gefangen! Ohne Schlüssel können Sie die Dinger nicht öffnen … Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen! Jetzt können Sie mal erfahren, wie mir zumute war, mein Kind!«

 

Cora fuhr zur Stadt zurück. Aber je mehr sie sich London näherte, desto unruhiger wurde sie. An ein solches Ende ihres Abenteuers hatte sie nicht gedacht; sie hatte sich so sehr auf den ersten Teil ihres Plans konzentriert, daß sie sich nur unklare Gedanken über den Abschluß gemacht hatte. Was würde Kerky sagen … Sie hielt an und war in größter Versuchung, umzukehren und Leslie zu befreien. Wenn das Mädel erst am nächsten Morgen herausgelassen wurde, schlug sie sicher Lärm. Und wenn Eddie davon hörte, würde er Kerky die Hölle heiß machen, und am Ende brach dann das ganze Geschäft zusammen …

 

Cora erschrak. Mit unsicheren Schritten ging sie zur nächsten Fernsprechzelle und rief ihren Mann an, der schon sehr besorgt um sie war. Er fragte, wo sie wäre und was sie gemacht hätte.

 

Ihre Nerven versagten. »Kerky, ich glaube, es wäre das beste, wenn ich – wenn ich wieder zum Landhaus zurückführe …«

 

»Du kommst sofort heim! Wo bist du? Ich werde einen Wagen schicken, dich abzuholen, du …!«

 

Er schimpfte, aber das machte ihr nichts aus. Im Gegenteil, sie fühlte sich erleichtert. »Ja, Kerky!« sagte sie zahm. »Ich komme zu dir!« Damit war das Los ihrer Gefangenen entschieden …

 

Als sie im Hotel ins Wohnzimmer trat, machte Kerky ein düsteres Gesicht. Er war ärgerlich. »Wo bist du gewesen?« fragte er und maß sie von Kopf bis Fuß. »Wo ist deine Handtasche geblieben?«Sie atmete schwer und taumelte einen Schritt zurück. Sie hatte die Tasche im Landhaus liegenlassen! Und es befand sich etwas darin, das niemand sehen durfte …

 

»Ach, Kerky, warum brüllst du mich denn so an? Ich hab‘ sie nicht mitgenommen; sie liegt in meiner Schublade … Brauchst du sie?«

 

Wenn er weniger erregt gewesen wäre, hätte er erkannt, daß sie ihn anlog. »Nein, ich brauche sie nicht … Setz dich hierher! Das Zimmer ist durchsucht worden, während ich fort war. Besinnst du dich auf das Buch, das ich dir neulich gab? Du solltest es auf die Bank bringen und dort einschließen …

 

Sie nickte verstört.

 

»Hast du das getan?«

 

Sie nickte wieder; sprechen konnte sie nicht.

 

»Dann ist alles in Ordnung, Cora! Es war eine Dummheit von mir, daß ich es dir gab. Ich weiß doch, was für ein Dummkopf du bist!« Er stand auf und schritt im Zimmer auf und ab. Die Spannung in seinen Zügen ließ allmählich nach, und schließlich lächelte er sogar. »Wie wär’s, wenn wir ins Theater gingen? Oder in ein Varieté?«

 

»Großartig, Kerky!« entgegnete sie erleichtert. Aber ihre Gedanken arbeiteten fieberhaft: Was würde nun geschehen, wenn sie Kerky erzählte, daß sie vergessen hatte, das Buch auf die Bank zu bringen? Daß es sich in der Handtasche befand und daß die Handtasche im gleichen Haus lag, in dem sie Leslie Ranger eingesperrt hatte? –

 

Leslie hatte die Handtasche wohl bemerkt, sich aber bemüht, nicht hinzusehen, um nicht Coras Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Die Tasche lag auf einem Stuhl im Mädchenzimmer, ungefähr eineinhalb Meter von ihr entfernt.

 

Leslie hörte, wie die Haustür zugeschlagen wurde und wie der Wagen davonfuhr. Die Schlüssel mußten sich in der Tasche befinden: sie waren mit einer kleinen roten Schnur an den Handschellen befestigt gewesen; Cora hatte sie abgerissen und in die Handtasche gelegt.

 

Der Stuhl war zu weit entfernt, als daß Leslie ihn ohne weiteres hätte erreichen können. Sie ließ die Kette so weit als möglich an der eisernen Röhre herabgleiten, legte sich dann auf den Boden und streckte sich aus, bis sie mit den Fußspitzen ein Stuhlbein berühren konnte. Noch einen Zentimeter – aber es reichte nicht.

 

In einer Ecke des kleinen Badezimmers stand ein Besen, den sie mit der Hand fassen konnte. Langsam schob sie ihn auf dem Boden entlang, hakte ein und zog den Stuhl näher. Zu ihrem größten Schreck stieß der Stuhl aber auf ein Hindernis im Boden und kippte um. Die Tasche lag nun ziemlich weit weg. – Leslie machte einen anderen Versuch: Sie legte sich der Länge nach auf den Boden und faßte den Besenstiel mit beiden Füßen. Sic konnte ihn nur ungeschickt bewegen, aber schließlich gelang es ihr doch, auf diese Weise die Tasche langsam näherzuziehen. Endlich hielt sie das brillantenbesetzte kleine Ding in ihren zitternden Händen … Sie öffnete es, fand die Schlüssel und war einige Sekunden später frei.

 

Dauernd lauschte sie angestrengt, weil sie fürchtete, das Auto könne zurückkehren; aber es regte sich nichts.

 

Sie leerte nun den Inhalt der Tasche auf den Tisch. Die kleine Browningpistole legte sie beiseite.

 

Sie fand ein rotledernes Buch. Merkwürdigerweise war es mit zwei dünnen Ketten befestigt, die kreuzweise darumgeschlungen und auf der Rückseite durch ein kleines Vorhängeschloß gesichert waren. Außerdem entdeckte sie fünfzig Pfund in Banknoten und all die kleinen Gegenstände, die eine Dame in ihrer Handtasche trägt: Lippenstift, Puder, einen goldenen Bleistift, ein paar Silbermünzen. Dann packte sie alles wieder ein. Es würde ihr besondere Genugtuung bereiten, am nächsten Morgen ins Hotel zu gehen und Cora ihr Eigentum zurückzugeben …

 

Der Schreck, der Leslie zuerst gepackt hatte, wich später der Empörung über die Gemeinheit, die ihr zugefügt worden war. Es dauerte einige Zeit, bis sie aus dem Haus herauskam. Schließlich kletterte sie durch ein Fenster ins Freie und machte sich zu Fuß auf den Rückweg. Sie traf niemand, und es war auch wenig wahrscheinlich, daß ihr ein Mensch begegnen würde, bevor sie die Hauptstraße erreichte.

 

Als sie zur Bath Road kam, hatte sie ihre Fassung fast wiedererlangt. In der Nähe befand sich eine Garage, und Leslie ging dorthin, um ein Auto zu mieten. Sie hatte ja die fünfzig Pfund von Cora, und sie konnte von dieser niederträchtigen Person zum wenigsten verlangen, daß sie ihr die baren Auslagen ersetzte.

 

Der Garagenbesitzer schüttelte den Kopf. »Tut mir leid. Einen Wagen kann ich Ihnen geben, aber ich habe keinen Chauffeur. Wenn Sie selbst fahren wollen …?«

 

Leslie nahm den Vorschlag mit Freuden an …Sie wollte lieber allein sein – die Fahrt nach London würde sie beruhigen. Sie hinterlegte eine größere Summe als Pfand, nebst ihrer Visitenkarte.

 

Der Mann deutete auf die Uhr am Armaturenbrett. »Zehn … Ich hab‘ noch nie eine Wagenuhr gesehen, die in Ordnung war!« meinte er lachend. »Aber es ist wirklich zehn – also muß diese richtig gehen!«

 

Jetzt erst kam Leslie zum Bewußtsein, daß sie fast drei Stunden in dem schrecklichen Haus zugebracht hatte. Der Mann war sehr liebenswürdig und versorgte sie mit allem. Nur hatte er vergessen, den Tank nachzufüllen …

 

Aber das. merkte sie erst, als sie in der Nähe von Colnbrook war: Der Wagen blieb stehen … Gewöhnlich herrschte hier starker Verkehr, aber an diesem Abend kamen in fünf Minuten nur zwei Wagen durch, und beide beachteten ihr Signal nicht.

 

In der Nähe lag ein Torweg. Sie löste die Bremse und ließ den Wagen die Böschung hinunterrollen, bis er auf dem Feld stand. Sie fürchtete, die Batterie würde auch ausbrennen, weil die Scheinwerfer schon flackerten, und drehte das Licht völlig aus. Dann wartete sie auf ein langsam fahrendes Auto, das sie anhalten konnte.

 

Plötzlich bemerkte sie einen Wagen, der über den Hügel kam. Merkwürdigerweise hielt er ein paar Schritt von der Stelle entfernt, an der sie im Dunkeln stand. Sie entdeckte, daß es ein leichtes Lastauto war, und wollte gerade vortreten und um Hilfe bitten, als sie eine Stimme vernahm.

 

»Sie werden doch das nicht tun – um Himmels willen!« flehte jemand.

 

Leslie schauderte und duckte sich verstört. Wo hatte sie nur diese Stimme schon gehört? In ihrer Erinnerung tauchte jäh eine Szene auf: Verkehrsstockung – rechts und links viele Wagen – ein Herr, der sie unerwartet ansprach … Es war Inspektor Tetley, der Mann mit dem aufgezwirbelten Schnurrbart! Gleich darauf hörte sie, wie er in Todesangst aufschrie …

 

Kapitel 28

 

28

 

Inspektor Tetley wartete bereits an der verabredeten Stelle, als ihm gegenüber ein Wagen hielt: ein leichtes Transportauto; seitlich war mit roten Buchstaben der Name einer Firma aufgemalt.

 

»Steigen Sie ein Mr. Tetley!« hörte er eine freundliche Stimme aus dem Innern.

 

Er kletterte neben den Führersitz und von dort nach hinten. Im Hintergrund glühten zwei Zigarren. »Setzen Sie sich rechts!« Eine Tür wurde hinter ihm zugemacht, und der Wagen fuhr an. »Kerky konnte heute nicht kommen«, sagte der Mann mit der freundlichen Stimme. »Er hat mir den Auftrag gegeben, mit Ihnen zu sprechen … Wie steht es denn in Scotland Yard?«

 

Tetley hatte nicht die Absicht, im Augenblick über Scotland Yard zu sprechen; besonders, da er gar nicht wußte, wem er gegenübersaß. Vielleicht war es sogar eine Falle der Polizei?

 

»Wir müssen erst aus der Stadt heraus, bevor ich Ihnen das Geld geben kann, Mr. Tetley«, fuhr der Mann fort. Der zweite schwieg.

 

Tetley lehnte sich zurück. Er hatte es hier mit Leuten zu tun, die er nicht genau kannte, und er wollte seine jetzigen Auftraggeber bei der nächsten Gelegenheit verraten; denn nachdem er behördlicherseits aufgefordert worden war, seine Bankbücher vorzulegen, mußte er schnell handeln. Es war ihm auch alles gleichgültig; er wollte nur noch eine kleine Extrabezahlung herauspressen.

 

»Kerky ist ein tüchtiger Kerl!« sagte er zu seinen unbekannten Begleitern.

 

»Ja – da haben Sie wohl recht!«

 

Tetley steckte sich eine Zigarette an. Als das Streichholz aufleuchtete, konnte er die beiden sehen. Sie hatten breite Gesichtszüge, waren glattrasiert und trugen tadellos weiße Wäsche. Es mußte sich also doch um anständige Leute handeln. »Ich habe natürlich niemals etwas von diesen Schießereien gewußt, und ich habe auch nicht danach gefragt. Sicher hatte das seine Gründe. Von meinem Standpunkt aus ist das eigentlich nicht in Ordnung …«

 

Die beiden ließen ihn reden, soviel er wollte. Dann drehte der Chauffeur sich um und sagte etwas.

 

Als Tetley hinaussah, bemerkte er, daß sie an dem kleinen Gasthaus am Ende von Colnbrook vorbeifuhren. »Wohin geht denn die Fahrt?«

 

»Das werden Sie schon sehen. Sie sind ein feiger Hund, Tetley: Sie wollen uns verpfeifen!«

 

Die Stimme klang hart und drohend.

 

Tetley hörte, daß der Mann einen Browning entsicherte. »Was haben Sie denn vor?« rief er entsetzt.

 

»Halten Sie die Schnauze! Wir jagen Ihnen nur ein paar Kugeln durch den Schädel und zeigen der Welt mal, was man mit Polypen macht, wenn sie zu quaken anfangen!«

 

»Sie wollen mich doch nicht umbringen?« schrie Tetley außer sich.

 

Das Auto fuhr langsamer. Einer der beiden packte ihn am Kragen und zog ihn heraus. Leslie, die in die Dunkelheit zurückgetreten war, hörte ihn gellend protestieren. Dann fielen kurz hintereinander zwei Schüsse. Sie sah ihn taumeln und zu Boden stürzen …

 

»Machen wir, daß wir fortkommen«, flüsterte eine heisere Stimme. Dann fuhr das Auto davon.

 

Hätte sie die Scheinwerfer nicht ausgedreht, so wäre sie bestimmt entdeckt worden. Verstört klammerte sich Lesley an das hölzerne Tor. Wenn nur ein Wagen käme …! Sie schaute sich um: Das Lastauto war schon so weit entfernt, daß sie kaum noch das Schlußlicht erkennen konnte.

 

Dann erschienen plötzlich zwei große, helle Scheinwerfer aus der Richtung der Bath Road. Der Wagen fuhr verhältnismäßig langsam. Leslie trat in die Straßenmitte und hob beide Arme. Als das Auto hielt, sank sie vor Schwäche zusammen …

 

Gleich darauf trug sie jemand auf die Seite der Straße. »Was ist denn los? Mein Gott – das ist ja Miss Ranger!«

 

Sie erkannte Jiggs Allerman, der sich über sie beugte. »Wo waren Sie denn?«

 

»Auf dem Land …« Sie lächelte schwach.

 

»Wir haben nach Ihnen gesucht…« Jiggs hielt eine kleine Flasche an ihre Lippen. Sie schluckte und hustete; denn der Captain liebte besonders scharfen Kognak. »Das schadet Ihnen nichts!«

 

Sie erinnerte sich nun wieder an das Entsetzliche und zeigte auf den Seitenweg.

 

Er konnte nicht sehen, was sie meinte, da die Stelle im Dunkeln lag. »Was ist?« fragte er.

 

»Tetley …!« flüsterte sie.

 

»Können Sie sich aufrecht halten?« Er stellte sie auf die Füße, lehnte sie gegen die Zauntür und rief nach dem Chauffeur.

 

Dann gingen die beiden auf die Stelle zu. »Holen Sie einen Polizisten und einen Krankenwagen«, sagte Jiggs. »Ich war auf dieses Ende gefaßt.«

 

Er kam zu Leslie zurück, und sie unterrichtete ihn nun über die Ursache ihrer Panne.

 

»Ihr Wagen hat Sie also im Stich gelassen?« Jiggs ging zu seinem eigenen Auto, holte eine Kanne Benzin und goß den Inhalt in ihren Tank. »In Ordnung!« sagte er dann zu dem Chauffeur, der eben abfahren wollte. »Ich will Miss Ranger zur nächsten Polizeiwache bringen …«

 

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich will lieber hierbleiben. Ich bin nicht so ängstlich.«

 

Jiggs trat näher an sie heran; beide stützten sich mit den Ellbogen auf den Zaun und warteten. »Wir haben nach Ihnen Ausschau gehalten«, sagte der Captain. »Als Terry hörte, daß Sie in einem Auto fortgefahren seien, wurde er wild. Das merkwürdigste ist, daß niemand erkennen konnte, wer außer Ihnen im Wagen saß. Wer war es denn?«

 

»Mrs. Smith!«

 

»Doch nicht etwa Cora?«

 

»Ja … Ich erzähle Ihnen später alles.«

 

Ein langes Schweigen folgte. Nach einiger Zeit erschienen wieder die beiden Scheinwerfer des anderen Wagens auf der Brücke.

 

»Da kommt unser Mann – und auch der Krankenwagen! Fahren Sie doch im Dienstauto zur Stadt und lassen Sie Ihren Wagen ruhig hier stehen! Ich kann mit der Garage telefonieren und die Leute veranlassen, ihn morgen abzuholen; die werden sich schon um ihr Eigentum bemühen. Ich muß einstweilen noch hierbleiben und mich um Tetley kümmern.«

 

Kapitel 29

 

29

 

Cora sprach während der ersten Pause im Theater kein Wort.

 

»Was ist denn heute mit dir los?« fragte Kerky.

 

Sie schüttelte nur den Kopf. Als aber der Vorhang zu Beginn des zweiten Aktes aufging, packte sie plötzlich seinen Arm. »Komm mit nach draußen, Kerky!«

 

Er folgte ihr ins Vestibül, das leer und verlassen war.

 

»Erinnerst du dich an das Buch?« Sie brachte die Worte kaum heraus, jede Silbe mußte sie sich abringen.

 

»Ja!« Er war auf das Kommende vorbereitet.

 

»Ich habe es nicht auf die Bank gebracht. Ich wollte es tun, habe es aber vergessen. Es liegt immer noch in meiner Handtasche – und die habe ich verloren. Ich weiß, wo sie ist … Ich habe sie liegengelassen …«

 

Schließlich erzählte sie ihm, daß sie sich an Leslie hatte rächen wollen. »Ich war so außer mir über sie …«

 

»Darüber brauchst du jetzt keine Worte zu verlieren«, sagte er ruhig. »Geh ins Hotel, Cora!«

 

Er schnalzte geistesabwesend mit den Fingern. Ein Mann, der ihn beobachtete, entfernte sich vom Eingang des Theaters, kam ein paar Minuten später mit dem Wagen wieder und setzte sich neben den Chauffeur.

 

Kerky stieg ein. »Nach Westen! Slough und Maidenhead. Scharf nach rechts – dann über die Brücke!« Dumm war Cora – das ließ sich nicht bestreiten. Aber er war ihr nicht böse. Außerdem war er selber noch viel dümmer als sie! Warum mußte er auch alle Summen, die er aus diesem neuen Geschäft erhalten hatte, in ein Notizbuch eintragen? Warum hatte er das Abkommen mit Eddie überhaupt zu Papier gebracht? Mit ihm verglichen war Cora geradezu intelligent. Allerdings würde es schwer sein, die Sache mit Leslie Ranger aus der Welt zu bringen. Dadurch wurden die Zeitungen und das Publikum auf ihn aufmerksam, und das durfte in diesem Augenblick unter keinen Umständen geschehen. Nur wenn er in das Haus gelangen konnte, bevor jemand anders Leslie gefunden hatte, ließ sich vielleicht noch alles in Ordnung bringen.

 

Als er die Chaussee entlangfuhr, begegnete er einem Krankenwagen und einem Polizeiauto und schüttelte den Kopf. Heute ging auch alles schief! Warum mußten seine Leute ausgerechnet diese Gegend wählen, wenn ihnen doch das ganze Land um London herum offenstand? Er atmete schwer.

 

Endlich erreichte er Coras Landhaus. Als er das offene Fenster sah, erschrak er … Der Schlüssel steckte noch in der Hintertür; ein andrer hing am Schlüsselring. Daran erkannte er wieder Coras Nachlässigkeit. Er machte Licht, eilte die Treppe hinauf und ging durch das Mädchenzimmer in das kleine Bad. Da lagen die Handschellen; der Schlüssel steckte noch in der einen Fessel. Die Handtasche war nirgends zu sehen. Leslie mußte beobachtet haben, daß Cora den Schlüssel dort unterbrachte.

 

Nachdem Kerky das ganze Haus durchsucht hatte, gab er es auf und ging zum Wagen zurück. »Nach Hause, James!« sagte er und grinste – wie gewöhnlich, wenn er sich in einer fatalen Lage befand. –

 

Cora hatte sich angekleidet aufs Bett geworfen und den Kopf in den Armen vergraben.

 

Kerky klopfte ihr bei seiner Rückkehr freundlich auf die Schulter. »Hör auf zu weinen. Was verloren ist, ist verloren.«

 

Sie starrte ihn enttäuscht an. »Hast du die Tasche nicht gefunden?«

 

Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube, die hat sie als Andenken mitgenommen!« Er legte seinen Frack ab und zog eine Hausjacke an. Eine Möglichkeit blieb ihm noch: Er ging zum Telefon und wählte Leslies Nummer. »Gott sei Dank, daß Sie wohl und munter sind!« sagte er, als er ihre Stimme hörte. »Meine Frau hat mir alles gebeichtet. Schauderhaft, was sie da gemacht hat! Ich bin sofort hinausgefahren, um Sie freizulassen …«

 

Sie war ein wenig verblüfft, aber seine Worte klangen so aufrichtig, daß sie ihm glaubte. »Ich bin eben erst zurück«, erwiderte sie. »Und, Mr. Smith, ich habe die Handtasche Ihrer Frau!«

 

»Ach, sehen Sie mal an! Hätten Sie was dagegen, wenn ich sie gleich bei Ihnen abholte?«

 

»Ich bringe sie Ihnen morgen ins Hotel.«

 

»Sie täten mir aber den größten Gefallen, Miss Ranger, wenn Sie mir erlaubten, Sie heute noch aufzusuchen und mich bei Ihnen zu entschuldigen.«

 

Es dauerte eine Weile, bis sie antwortete. »Schön! Dann müssen Sie aber gleich kommen!«

 

Schnell kleidete er sich wieder an und ging fort, ohne Cora zu sagen, wohin er fuhr.

 

Als er Leslies Haus erreichte, war der Fahrstuhl oben, und er mußte eine Minute warten. Sie erschien ihm wie eine Ewigkeit.

 

Vor ihrer Tür stand ein Mann …

 

»Ist Miss Ranger zu Hause? Jemand bei ihr?«

 

»Nein.«

 

»Mein Name ist Kerky Smith. Sie brauchen niemand zu sagen, daß ich hier war, wenn man danach fragt!«

 

»Ich kenne Ihren Namen!«

 

»Das glaub‘ ich schon!« Kerky lächelte. »Sie heißen Appleton und sind Detektivsergeant bei der Abteilung N. Seit drei Wochen sind Sie hier.«

 

Der Mann war erstaunt. »Ich weiß nicht, woher Sie das erfahren haben …«

 

»Durchs Radio!« grinste Smith belustigt.

 

Als sich die Tür öffnete, blieb er einen Augenblick draußen stehen. Erst als Leslie ihn einlud, folgte er ihrer Aufforderung; er benahm sich sehr zuvorkommend.

 

Die Handtasche lag auf dem Tisch. Er nahm sie und öffnete sie. Das Buch mit der Kette war noch darin … Auf den Rest kam es nicht an. Er war dankbar; aber – es war dumm von ihr, ihm die Tasche zu geben. Sie war nicht ganz so beschränkt wie Cora, aber klug war sie auch nicht. Sie hätte doch Terry anläuten können. Sie hätte doch wissen müssen, daß ein mit einer Kette verschlossenes Buch etwas bedeutete.

 

Er eilte wieder zu seinem Wagen und fuhr zum Hotel zurück. Cora fand er in derselben Stellung, in der er sie verlassen hatte. Er warf die Handtasche auf das Bett.

 

Sie schrie auf und öffnete sie. »Wo ist das Buch?« fragte sie mit zitternder Stimme.

 

»In meiner Tasche!« Er nahm es heraus. Der Verschluß war nach seinen Angaben gefertigt, und er war stolz darauf. »Morgen kommt es auf die Bank, Cora! Ich bringe es persönlich hin!«

 

Aber in der Nacht hatte er einen bösen Traum, stand auf und verbrannte es. –

 

Eddie Tanner kam unangemeldet zum Frühstück. Er kam ohne Begleitung, passierte den unsichtbaren Schutzkreis, der Kerky umgab, und trat ins Wohnzimmer.

 

Kerky wußte sofort, daß es eine böse Auseinandersetzung geben würde. »Bevor Sie irgend etwas sagen, mein Junge –: Es war nicht meine Idee … Setzen Sie sich! Und frühstücken Sie bitte mit mir!«

 

»Wessen Idee war es dann?«

 

»Cora hat die ganze Sache angerissen. Komm herein, Cora, und erzähle Eddie, wie übel du dich benommen hast!«

 

Sie erschien in einem entzückenden Negligé.

 

Aber Eddie hatte sie viele Male so gesehen, und deshalb machte das keinen Eindruck auf ihn. »Was hast du mit Leslie gemacht?«

 

Sie sah zu Kerky hinüber, der ihr zunickte. Mit stockenden Worten und düsterem Gesicht erzählte sie die Geschichte.

 

Eddies Züge glichen einer Maske. »Nun, da bist du ja gerade noch mal glücklich davongekommen, liebes Kind«, sagte er liebenswürdig. »Über Miss Ranger brauchen wir also nicht mehr zu sprechen. Der Fall ist erledigt!«

 

»Interessieren Sie sich nicht mehr für sie, Eddie?«

 

Tanner nickte. »Wissen Sie auch, was Sie angerichtet haben, Sie beide? Sie haben sie direkt in die Arme von Scotland Yard getrieben!«

 

»Nun – da könnten wir sie doch wieder herausholen«, meinte Kerky.

 

»Wer soll das tun?« Diese Worte bedeuteten eine Herausforderung und Drohung zugleich. Eddie Tanner lächelte nicht mehr, und er gab sich auch nicht die Mühe, gleichgültig zu erscheinen. »Wer soll das tun? Ich brauche nur den Namen zu wissen – dann wird er ebenso tot sein wie Tetley … Und sie weiß, daß der erschossen wurde! Weil sie es sah!«

 

Das spöttische Lächeln verschwand aus Kerkys Gesicht. »Wer sagt das?«

 

»Ich! Sie hat alles genau beobachtet, denn sie stand bei ihrem Auto abseits auf dem Feld, als Ihre Leute ihm zwei Kugeln durch den Kopf jagten.«

 

Mr. Smith schien wenig erfreut zu sein. »Wenn meine Leute sie dort gesehen hatten –«

 

»Dann wäre mindestens einer nicht mehr am Leben wahrscheinlich aber alle beide nicht. Sie hatte nämlich einen Browning – Coras Waffe.«

 

»Wo haben Sie nur all die Neuigkeiten her?« knirschte Kerky wütend. »Haben Sie etwa mit der Polizei gemeinsame Sache gemacht?«

 

Tanner hielt die Hand in der Tasche, seitdem er das Zimmer betreten hatte. Kerky hatte das beinahe vergessen, als er nach der Hüfte faßte.

 

»Wir wollen heute ruhig miteinander sprechen«, beschwichtigte ihn Eddie gelassen. »Es ist nahe daran, daß Sie sich überhaupt keine Sorgen mehr zu machen brauchen … Sie wissen es noch nicht: Ich scheide aus dem Geschäft aus!«

 

Kerkys Züge hellten sich auf, und er lächelte wieder.

 

»Dann soll ich das Baby also allein schaukeln?«

 

»Es wird kein Baby mehr da sein, das sich schaukeln läßt …«

 

Eddie ging zur Tür.

 

Kerky glaubte draußen ein Geräusch zu hören, und seine Vermutung wurde dadurch bestätigt, daß Eddie die Tür hastig aufriß. Im nächsten Augenblick war Tanner gegangen …

 

Kerky starrte ihm noch ein paar Sekunden nach, dann eilte er zu Cora ins Schlafzimmer. »Sally!« begann er. Wenn er sie so nannte, lag stets etwas in der Luft. »Der Dampfer ›Leviathan‹ fährt heute um Mitternacht ab. Ich werde Passage für dich belegen. Das Mädchen soll deine Sachen packen. Du kannst mit dem Auto nach Southampton fahren. Warte in New York, bis du von mir hörst. Und stell jetzt keine dummen Fragen! Tu, was ich dir sage!«

 

Kapitel 2

 

2

 

»Es gibt zwei vorherrschende Triebkräfte im Leben der Männer: die Liebe und die Furcht vor dem Tode … Verstehen Sie?« Captain Jiggs Allerman von der Chikagoer Geheimpolizei lehnte sich im Sessel zurück und blies den Rauch seiner Zigarre zur Decke hinauf. Er war groß, schlank und von der Sonne gebräunt wie ein Indianer.

 

Terry Weston grinste. Er amüsierte sich immer über Jiggs.

 

»Sagen Sie mal: Sie sind doch Chefinspektor oder so etwas Ähnliches?« fuhr Jiggs fort, »Mir scheint, daß man nächstens hier noch Kinder zu höheren Beamten macht. Wie alt sind Sie denn jetzt, Terry?«

 

»Fünfunddreißig.«

 

Jiggs machte ein verächtliches Gesicht. »Das ist eine gemeine Lüge! Wenn Sie älter sind als dreiundzwanzig, dann lasse ich mich totschießen.«

 

»Immer wenn Sie Ihren jährlichen Besuch in Scotland Yard machen, erzählen Sie denselben faulen Witz. Man könnte doch meinen, daß Ihnen mit der Zeit etwas Neues einfallen sollte? Aber Sie haben eben von zwei Triebkräften im Leben gesprochen …«

 

»Ja – Liebe und Tod.« Jiggs nickte eifrig. »Mit der Liebe hat man immer schon viel Geld verdient; aber mit dem Tod haben bisher nur die Ärzte und die Beerdigungsinstitute ihr Geschäft gemacht. Doch passen Sie auf: Das wird jetzt anders, Terry! In den Vereinigten Staaten werden jedes Jahr Unsummen für den persönlichen Schutz wohlhabender Bürger verausgabt. Und was dort drüben ein gutes Geschäft ist, müßte sich auch in England, Frankreich, Deutschland oder sonstwo bezahlt machen. Die Menschen sind überall gleich, und es wird überall mit Wasser gekocht. Jedenfalls: Unsere großen Gangster – ich weiß das – haben sich inzwischen in England umgesehen, und zwar einer aus Chikago und einer aus New York. Und wenn die sich was in den Kopf setzen, führen sie’s auch durch. Denn diese Burschen, mit denen ich es drüben zu tun habe, denken in Millionen oder gar in achtstelligen Zahlen. Im vorigen Jahr wollten sie ein neues Geschäft in einem anderen Land aufmachen und haben allein für Vorarbeiten zwei Millionen Dollar ausgegeben. Die Sache rentierte sich dann aber nicht, und so haben sie einfach ihre ganzen Ausgaben auf Verlustkonto gesetzt … Da staunen Sie, was? Diese Leute könnten jedes Jahr aus England hundert Millionen Dollar ziehen, ohne daß es auffiele.«

 

Jiggs Allerman war bei seinem Lieblingsthema angelangt. Er hatte sich schon öfters mit Terry darüber unterhalten, der ihm jedesmal widersprach. Persönlich wäre er an dieser besonderen Art von Verbrechen interessiert gewesen, denn er arbeitete in Scotland Yard im Dezernat für Betrug, Erpressung und ähnliche Vergehen.

 

Kurz darauf ging er mit dem Amerikaner zu Tisch. Er hatte Jiggs Allerman gern und wußte, daß er noch viel von ihm lernen konnte.

 

Im Grill-Room des Carlton-Hotels erkannte Terry Mr. Elijah Decadon und machte seinen Begleiter auf ihn aufmerksam. »Das ist einer der gemeinsten und gefährlichsten Millionäre, die es auf der Welt gibt!«

 

»Na – mit dem würde ich schon fertig werden!« erklärte Jiggs. »Und wer ist der dunkle Herr, der bei ihm sitzt? Der kommt mir so merkwürdig bekannt vor …«

 

»Sein Neffe. Möglich, daß Sie ihn kennen; er wohnte früher in Chikago. Ist er nicht zufällig mal mit der Polizei in Berührung gekommen?« fragte Terry ironisch.

 

»Nein, aber das hat nichts zu sagen. Die ganz großen Verbrecher haben selten etwas mit der Polizei zu tun; die eigentlichen Drahtzieher, die hinter den Alkoholschmugglerbanden und ähnlichen Gesellschaften stehen, werden fast nie erwischt. Ach, jetzt fällt es mir ein! Tanner – Ed Tanner heißt der Mann! Ein durchtriebener Junge … Hab‘ mich schon oft gewundert, woher er das viele Geld hat. Aber sagten Sie nicht eben, sein Onkel wäre Millionär?«

 

»Von dem hat er es nicht!« erwiderte Terry grimmig.

 

Der alte Decador drüben saß aufrecht vor seiner einfachen Mahlzeit und sah seinen Neffen böse an. Er war ungewöhnlich groß und stattlich und hatte sich für sein Alter erstaunlich gut gehalten.

 

»Ich hoffe, du begreifst endlich, daß ich das Geld, das ich besitze, auch behalten will?« sagte er barsch. »Ich möchte nichts von diesen wilden amerikanischen Phantasien hören, durch die die Yankees schnell zu Reichtum kommen wollen.«

 

»Ich sehe auch keinen Grund, warum du dich damit abgeben solltest, Onkel«, entgegnete Ed gutgelaunt. »Aber ich habe eine private Nachricht über dieses Petroleumfeld erhalten, und ich glaube, daß es ein gutes Geschäft ist. Ich persönlich habe nichts davon, ob du einsteigst oder nicht. Aber ich dachte, du spekuliertest gern?«

 

»Mit derartig windigen Geschäften will ich nichts zu tun haben!« brummte der Alte.

 

Die beiden Detektive an der anderen Seite des Speisesaals sahen, wie er aufstand und fortging. Sie nahmen an, er habe sich mit seinem Neffen gestritten.

 

»Möchte bloß wissen, was die zwei da eben geredet haben. Decadon kenne ich nicht, aber Ed um so genauer. Er ist der beste Psychologe in Amerika, und … Donnerwetter, da ist ja auch der ›Große‹ selbst!«

 

Ein elegant gekleideter Herr von mittlerer Größe war in den Speisesaal getreten. Er trug das Haar kurz geschnitten; sein schmales Gesicht war von vielen Furchen durchzogen und sah nicht gerade vertrauenerweckend aus. Auch die beiden langen, dünnen Narben auf der linken Wange machten es nicht anziehender.

 

Jiggs pfiff leise vor sich hin. Er saß in gespannter Haltung; seine Augen glänzten. »Es ist wahrhaftig der ›Große‹ in eigener Person … Himmeldonnerwetter, was hat das nur zu bedeuten?«

 

»Wer ist denn der ›Große‹?« fragte Terry.

 

»Den müssen Sie kennenlernen! In einer Minute wird er bei uns sein.«

 

»Er hat Sie doch gar nicht gesehen?«

 

»Sie können Gift darauf nehmen, daß ich der erste war, den er hier gesehen hat! Der Kerl entdeckt jede Stecknadel auf dem Boden. Haben Sie noch nie von ihm gehört? Kerky Smith – oder Albuquerque Smith – oder Alfred J. Smith; kommt ganz darauf an, ob Sie ihn kennen oder von ihm lesen.«

 

Der Mann, über den sie sprachen, ging anscheinend ziellos durch den Saal. Plötzlich sah er auf und begegnete dem Blick Edwin Tanners, der ihn lächelnd anschaute.

 

»Hallo, Kerky! Wann sind Sie denn hierhergekommen? Ich habe nicht im mindesten erwartet, Sie hier zu treffen.«

 

Er reichte ihm die Hand, und Kerky drückte sie schwach.

 

»Wollen Sie nicht Platz nehmen?«

 

»Bleiben Sie lange?« fragte Kerky, ohne auf die Aufforderung einzugehen.

 

»Ich fahre zweimal im Jahr nach England. Mein Onkel wohnt hier.«

 

»Ach so? Aus Chikago haben Sie ziemlich plötzlich Reißaus genommen …«

 

»Durchaus nicht!« erwiderte Tanner eisig.

 

Kerky lehnte sich an den Tisch und sah auf ihn hinunter. Ein verständnisinniges Lächeln spielte um seine Lippen. »Hab‘ gehört, daß Sie hier Geschäfte machen wollen. Jemand sagte mir, Sie hätten zwei Millionen investiert. Bleiben Sie noch lange hier?«

 

Ed setzte sich bequem zurück und spielte mit einem Zahnstocher. »So lange, wie es mir Spaß macht!« erwiderte er vergnügt. »Jiggs dort drüben verschlingt uns geradezu mit den Augen …«

 

Kerky Smith nickte. »Ja – ich habe den verdammten Kerl schon gesehen. Wen hat er da eigentlich bei sich?«

 

»Irgendeinen Burschen von Scotland Yard.«

 

Kerky richtete sich auf und legte seine lange, dürre Hand auf Eds Schulter. »Sie werden nett und lieb sein, mein Junge: Entweder machen Sie mit, oder Sie verschwinden. Sie brauchen einen unheimlichen Haufen Geld für dieses Geschäft, Ed; mehr, als Sie haben.« Er klopfte ihm auf die Schulter und ging dann zu Allerman hinüber. »Sieh, da ist ja auch Jiggs!« rief er strahlenden Gesichts.

 

»Setzen Sie sich, Sie gemeiner Hund und Dieb!« entgegnete der Detektiv ruhig. »Was machen Sie denn in London? Ich muß sagen, daß die englische Regierung in der Erteilung von Visen sehr fahrlässig ist.«

 

Kerky lächelte. »Das sollten Sie eigentlich nicht sagen … Aber stellen Sie mich doch bitte Ihrem jungen Freund vor!« »Der kennt Sie schon genau. Chefinspektor Terry Weston … Wenn Sie eine Weile in London bleiben, wird er auch bald Ihre Fingerabdrücke besitzen. Was für einen Schwindel haben Sie jetzt wieder vor, Kerky?«

 

»Muß ich denn immer was vorhaben? Ich bin zur Erholung hier und sehe midi dabei natürlich auch nach geeigneten Objekten um. Ich habe in Baisse spekuliert und den Markt erschüttert. Sehen Sie, ich verdiene mein Geld auf diese Weise. Ich mache es nicht wie die Polizeibeamten in Chikago, die sich die Taschen von den Gangstern spicken lassen und dann noch so tun, als ob sie die Leute fangen wollten.«

 

Jiggs Allermans Züge nahmen einen harten Ausdruck an. »Das werde ich Ihnen nicht vergessen, mein Junge! Wenn ich Sie erst mal im Chikagoer Präsidium unter vier Augen habe, werde ich mit Ihnen abrechnen.«

 

Kerky Smith lächelte harmlos und unschuldsvoll. »Sie fassen immer alles falsch auf. Können Sie denn keinen Spaß versteh’n? Ich bin doch durchaus für Ordnung und Gesetz. Einmal hab‘ ich Ihnen sogar das Leben gerettet: einer von den Kerlen im Norden wollte Sie um die Ecke bringen, aber ich hab‘ dafür gesorgt, daß er seine Absicht nicht ausführen konnte.« Kerky verstand es, gelegentlich anderen Leuten die Hand auf die Schulter zu legen, und das tat er auch jetzt, als er sich erhob. »Mein Junge, Sie wissen nicht einmal, wer Ihr bester Freund ist!«

 

»Mein bester Freund ist mein Revolver«, sagte Jiggs, anscheinend gleichgültig, »und wenn ich Sie eines Tages damit zur Strecke bringe, lasse ich die Mündung in Diamanten fassen.«

 

Kerky lachte. »Sie bleiben doch immer derselbe!« meinte er und winkte vergnügt zum Abschied.

 

Jiggs folgte ihm mit den Blicken, bis sich der Amerikaner neben einer schönen, blonden jungen Dame an einem Tisch niederließ. »Diese Art Verbrecher kennen Sie in England noch nicht. Die Kerle schießen jeden rücksichtslos über den Haufen, der ihnen in den Weg tritt. Und trotz alledem ist der Mann noch nie verurteilt worden. Immer war er in Michigan, wenn in Illinois etwas passierte, oder er war auf der Tour in Indiana, wenn in Brooklyn jemand ermordet wurde. Sie ahnen nicht, wie kaltblütig diese Schurken sind. Hoffentlich erfahren Sie es auch niemals. Er sagte doch, daß er mein Leben gerettet hätte … Vier seiner Scharfschützen haben hintereinander versucht, mich kaltzumachen! Einer seiner Gehilfen, Dago Pete, hat mich mal zweitausend Kilometer weit verfolgt; aber es ist ihm doch nicht gelungen. Bis ich ihn dann selber zur Strecke brachte.«

 

»Gott sei Dank«, meinte Weston, »daß wir uns mit dieser verdammten Sorte nicht herumärgern müssen!«

 

»Warten Sie ab, was die Zukunft bringt«, erwiderte Jiggs düster.