Kapitel 2

 

2

 

In der warmen Frühlingsnacht bewegte sich eine, fröhliche, lachende Menge in den Straßen Monte Carlos. Am Tage hatten die großen Rennen stattgefunden, und es hielten sich viele Fremde in der Stadt auf. Aus Nizza, Mentone, ja selbst aus San Remo und anderen Orten der Küste waren sie angelockt worden. Die herrlichen Parkanlagen waren bevölkert von festlich gekleideten Menschen, und die Cafés waren überfüllt.

 

Zwei Herren traten langsam aus dem Palace-Hotel und blieben auf der breiten, marmorgedeckten Terrasse vor dem Gebäude stehen, um die bunte Menge zu betrachten. Sie waren beide noch jung, und an dem eleganten Schnitt ihrer Anzüge konnte man sie auf den ersten Blick als Engländer erkennen.

 

Offenbar hatten sie keine große Eile, denn sie warteten einige Zeit und ließen das anregende Bild auf sich wirken. Der größere mochte ungefähr dreißig Jahre zählen, hatte ein sonngebräuntes, glattrasiertes Gesicht und hielt sich so gerade, daß man ihn für einen Offizier hätte halten können. Trotzdem hatte Million Sands nur als Freiwilliger den Krieg bei den südafrikanischen Jägern mitgemacht. Über seinen großen, klaren, grauen Augen, die freundlich in die Welt schauten, wölbten sich buschige, dunkle Brauen, und in seinen Zügen drückten sich Energie und Tatkraft aus. Besonders der scharf gezeichnete Mund und das eckige, harte Kinn verrieten starke Willenskraft. In gewissem Gegensatz dazu standen allerdings die vielen Lachfältchen in seinen Augenwinkeln.

 

Eric Stanton, sein Begleiter, machte durchaus den Eindruck eines vornehmen, guterzogenen Engländers. Auch er war glattrasiert und hielt sich aufrecht, aber seine Züge waren weicher und milder. An seiner gesunden Gesichtsfarbe konnte man erkennen, daß er sich viel in der freien Luft aufhielt.

 

Er streifte die Asche seiner Zigarette ab und wandte sich dann plötzlich an Milton Sands.

 

»Also, wo soll die Reise hingehen?«

 

Sands sah sich lächelnd um.

 

»Ich werde mich wieder zu dem Sündenbabel begeben.«

 

»Ins Kasino? Ich hoffe nur, daß Sie mehr Glück haben als mein –« Er wollte gerade sagen »Freund«, änderte aber seine Absicht. »– als Wilton. Wie ist es Ihnen denn kürzlich am Spieltisch ergangen?«

 

Sands blies einige Rauchringe in die stille Abendluft, bevor er antwortete. Er freute sich darüber, daß Toady Wilton Geld verloren hatte, denn er konnte diesen Menschen nicht leiden.

 

»Das ist eigentlich schwer zu sagen«, entgegnete er vorsichtig. »In gewisser Weise ist es mir nicht schlecht gegangen. Meinen Zweck habe ich allerdings nicht erreicht. Ich bin mit verhältnismäßig geringen Mitteln aus London abgefahren, und ich habe bis jetzt weder etwas verloren noch etwas gewonnen.«

 

Eric Stanton lachte.

 

»Sie haben wirklich einen unverwüstlichen Humor. Ich habe mir schon oft überlegt, ob die Leute auf ihre Kosten kommen, die ins Kasino gehen. Ich habe niemals gespielt – wenigstens nicht, um Geld zu gewinnen. Ich beteilige mich wohl an den Rennwetten, aber Roulette, Bakkarat und andere Glücksspiele habe ich noch nicht versucht.«

 

»Das ist auch sicher eine ganz vornehme Lebensauffassung, aber ich bin nicht hier, um die Zeit totzuschlagen, sondern um Geld zu verdienen. Daraus mache ich gar kein Hehl. Ich kam nach Monte Carlo mit einem System und einem Betriebskapital von zweihundert Pfund. Das System habe ich immer noch!«

 

»Den gewünschten Erfolg hat es Ihnen anscheinend nicht gebracht.«

 

»Ich probiere es eben erst aus, aber ich sehe dem Resultat mit philosophischer Ruhe entgegen. Wenn Sie wollen, können Sie mich einen Glücksjäger und Abenteurer nennen. Es macht mir ungeheuren Spaß, anderen Leuten Geld abzunehmen, besonders wenn ich es mit einem dicken französischen Croupier zu tun habe. Aber auf alle Fälle habe ich eine kluge Vorsichtsmaßregel ergriffen«, meinte er lächelnd, »Im Hotel habe ich eine größere Summe hinterlegt, damit ich unter allen Umständen meine Rechnung bezahlen kann. Außerdem habe ich schon mein Rückreisebillett nach London in der Tasche. Drückende Sorgen sind also nicht vorhanden. Und das übrige Geld –«, er deutete vielsagend auf das Kasino hin, das in hellem Lichterglanz strahlte – »kann ich ruhig verspielen. Also vorwärts!«

 

Sie gingen die Stufen langsam hinunter und bahnten sich einen Weg durch die auf und ab flutende Menge.

 

Drei Herren im Abendanzug saßen an einem kleinen Marmortisch auf der Terrasse des Hotels, tranken Kaffee, und rauchten Zigaretten. Sie hatten die beiden mit Interesse beobachtet.

 

»Warum haben Sie sich denn vor Ihrem Freund versteckt, Toady?« fragte Sir George Frodmere gelangweilt.

 

Toady Wilton sah ihn mißmutig an.

 

»Lassen Sie mich doch in Ruhe!«

 

»Warum ärgern Sie sich über meine Frage? Es ist doch keine Beleidigung, wenn man Freund eines Millionärs genannt wird!«

 

»Sie machen schon den ganzen Abend Bemerkungen über mich«, erwiderte Wilton düster. »Ich habe es satt, daß man mich immer zum besten hält. Wenn Sie durchaus wissen wollen, warum ich weggesehen habe, will ich es Ihnen sagen. Ich wollte nicht haben, daß er mich In Ihrer Gesellschaft sieht!«

 

Sir George lachte leichthin. Er war nicht empfindlich, und die Beleidigung, die in diesen Worten lag, berührte ihn nicht. Er strich seinen kurzen Schnurrbart und betrachtete Wilton wohlwollend durch sein Monokel. Sir George Frodmere war ein hübscher Mann mit frischer Gesichtsfarbe. Ein Typ, wie ihn französische Karikaturisten zeichnen, wenn sie einen charakteristischen Engländer darstellen wollen.

 

»Mein lieber Toady«, erwiderte er gönnerhaft, »ein Mann, der sein ganzes Leben lang mit Herzögen, Lords und Mitgliedern der Aristokratie verkehren will, sollte etwas höflicher zu einem Baronet sprechen. Ich weiß wohl, daß Ihr Freund prinzipiell etwas gegen mich hat, aber er kann mir nichts vorwerfen, und nach außen hin bin ich jedenfalls immer noch das Musterbeispiel eines englischen Barons. Übrigens ist dieser Stanton eine tadellose Erscheinung«, fuhr er nachdenklich fort. »Er sieht seiner Mutter sehr ähnlich. Ich kann mich noch auf sie besinnen.«

 

Bei diesen Worten faßte er Wilton plötzlich scharf ins Auge, und Toady wurde unruhig.

 

»Sie war eine schöne Frau.« Sir George kniff die Augenlider zusammen. »Es ist wirklich schade, daß sie ein so trauriges Leben hatte. Sie ist doch damals ihrem Mann fortgelaufen?«

 

»Ja«, brummte Toady und schlug vor, jetzt zu gehen.

 

»Ihre ungeschickte Bemühung, mich abzulenken, beweist mir, daß Sie entweder sehr bescheiden sind und nicht gern über sich selbst sprechen, oder daß Sie ein besonders schlechtes Gewissen haben. Und da ich allzu große Bescheidenheit früher noch nie bei Ihnen bemerkt habe, bleibt nur die zweite Möglichkeit übrig. Sie ist also damals von dem alten Stanton fortgegangen, weil –«

 

»Sie wissen doch alles ganz genau«, entgegnete Wilton barsch. »Sie hat ihn verlassen, weil er sie zu Unrecht beschuldigte, daß sie ein Verhältnis mit Lord Chanderson gehabt hätte.«

 

»Und ihr kleines Töchterchen hat sie auch mitgenommen, nicht wahr? Habe ich nicht recht? Es war eine romantische Geschichte. Und man hat nachher nie wieder etwas von ihr gehört.«

 

»Mein Freund Stanton hat ein kleines Vermögen ausgegeben, um ihren Aufenthalt ausfindig zu machen. Aber es ist eine unangenehme Sache, und ich wünschte, Sie sprächen nicht mehr darüber.« »Man hat nichts mehr von ihr gehört«, wiederholte Sir George, ohne sich um die Bemerkung Wiltons zu kümmern. »Weder von ihr noch von ihrer Tochter. Aber der alte Stanton hat entdeckt, daß er sich von anderen Leuten hatte hinters Licht führen lassen. Alles war nur auf die Machenschaften eines ganz gemeinen Menschen zurückzuführen, der wahrscheinlich aus reiner Bosheit die Beweise gegen die Frau gefälscht hat. Haben Sie etwas gesagt, Toady?«

 

»Nein«, entgegnete Wilton kleinlaut.

 

»Als Stanton sein Unrecht einsah, hat er große Summen ausgegeben, um ihren Aufenthalt zu erfahren«, fuhr Sir George fort. »Schließlich hinterließ er die Hälfte seines Vermögens seiner Frau und seiner Tochter, die er beide so tief gekränkt hatte.«

 

»Es war eben eine Verkettung unglücklicher Umstände«, erwiderte Wilton undeutlich. »Ihr Mann glaubte, sie hätte ein Verhältnis mit Chanderson gehabt. Er sah Briefe, die der Lord an sie geschrieben haben sollte, und nachher stellte sich heraus, daß es nur Fälschungen waren.«

 

»ja, das habe ich auch gehört.«

 

Er trank seinen Likör aus.

 

»Und Sie waren der beste Freund des alten Stanton und haben auch noch eine kleine Erbschaft von ihm erhalten.«

 

»Aber welchen Zweck hat es denn, all die alten Geschichten wieder aufzuwärmen?« fragte Toady nervös. »Sie wissen ebensogut wie ich, daß er mir in seinem Testament nichts hinterlassen hat. Nur auf dem Totenbett hat er noch eine Bemerkung über mich gemacht, und sein Sohn schloß daraus, daß mir der alte Herr Geld zukommen lassen wollte.«

 

»Und er hat Ihnen auch Geld zukommen lassen. Sie sind wirklich ein Glückspilz, Toady. Wenn Eric Stanton Sie so gut kennen würde, wie ich Sie kenne, hätten Sie wahrscheinlich keine zehntausend Pfund erhalten.«

 

Wilton antwortete nicht, sondern wandte sich an Bud Kitson, der neben ihm saß und bisher geschwiegen hatte. Bud fühlte sich in der Gesellschaft der beiden anderen Herren nicht recht wohl. In seinem schlechtsitzenden Anzug sah er nicht vorteilhaft aus, und er wußte nicht, was er mit seinen großen Händen anfangen sollte. An der allgemeinen Unterhaltung konnte er sich auch nicht beteiligen, da er nicht zu den Kreisen seiner beiden Begleiter gehörte. Von Zeit zu Zeit faßte er nervös an seinen Kragen, als ob ihn dieser drückte, und es machte ihm anscheinend wenig Vergnügen, diese Abendkleidung zu tragen.

 

»Wann kommt denn der Junge, auf den wir warten?« fragte er.

 

»Sie müssen sich noch etwas gedulden, Bud«, entgegnete Sir George. »Unser Freund Soltescu trinkt gern etwas, und Sie wissen ja wohl selbst, daß solche Leute es für gewöhnlich nicht sehr genau mit der Zeit nehmen und immer unpünktlich sind.«

 

»Ich wünschte nur, er käme«, meinte Toady mißvergnügt. »Er ist ja wahnsinnig, daß er in Monte Carlo mit sechzigtausend Pfund in der Tasche herumläuft! Sämtliche Verbrecher Europas treiben sich doch hier auf den Straßen herum!«

 

»Nicht alle«, erwiderte Sir George belustigt. »Wenigstens kenne ich drei, die hier in aller Ruhe vor dem Palace-Hotel sitzen. Aber ich gebe Ihnen recht, Toady. Es wäre ein Skandal, wenn dieses schöne Geld in fremde Hände fallen sollte, nachdem wir uns so große Mühe gegeben und so viele Pläne ausgearbeitet haben. Von Rechts wegen gehörte es uns eigentlich schon.«

 

»Ich begreife die Geschichte nicht«, mischte sich Bud Kitson ein. »Ich dachte, dieser Mensch wäre einer von uns. Was ist denn nun eigentlich los?«

 

Sir George sah ihn lächelnd an.

 

»Die Sache ist furchtbar einfach«, sagte er liebenswürdig. »Monsieur Soltescu ist unheimlich reich und hat große Ländereien und Fabriken in der Nähe von Bukarest. Er hat schon einige unserer interessanten Unternehmungen finanziert, und an einer der letzten sind Sie ja auch persönlich interessiert. Aber wenn er auch gewissermaßen unser Teilhaber ist, so bleibt er doch im Grunde genommen ein dummer Kerl. Jawohl, das stimmt, obwohl er zu den größten und reichsten Geschäftsleuten Europas gehört, hinter vielen fragwürdigen Affären steckt und heute oder morgen eine Erfindung kaufen will, die ihn vielleicht zu einem der reichsten Leute der Welt macht. Sie haben Bud das wahrscheinlich noch nicht auseinandergesetzt?«

 

Wilton schüttelte den Kopf. Er hatte es nicht für nötig gehalten, diesem primitiven Menschen, den er nur als ein Werkzeug betrachtete, auch noch Erklärungen zu geben.

 

»Also dann will ich es Ihnen sagen«, begann Sir George, neigte sich etwas vor und sprach jetzt vollkommen ernst. »Soltescu besitzt die größten Glasfabriken in ganz Südeuropa. Seit Jahren hat er den Versuch gemacht, bruchsicheres, biegsames Glas herzustellen – Glas, das man biegen kann wie ein Stück Pappe, ohne daß es bricht. Die Chemiker der ganzen Welt arbeiten seit Jahrzehnten an der Lösung dieses Problems, aber ohne den geringsten Erfolg. Soltescu ist aber felsenfest davon überzeugt, daß man solches Glas fabrizieren kann, und hat deshalb einen Preis von fünfundzwanzigtausend Pfund für die Erfindung ausgesetzt. Und jetzt ist er einer solchen Erfindung auf der Spur. Ich weiß nicht, wer sie ihm angeboten hat.« Er zuckte die Schultern. »Der Mann muß aber hier in der Nähe leben und verhältnismäßig arm sein. Soltescu hat schon längere Zeit über die Angelegenheit verhandelt und auch bereits Proben des neuen Glases erhalten. Er ist hergekommen, um den Vertrag abzuschließen. Ist Ihnen die Sache jetzt klar?« Bud Kitson nickte.

 

»Er gehört zu den unvorsichtigen Menschen, die immer große Geldsummen mit sich herumtragen«, erklärte Sir George weiter. »Wahrscheinlich hat er im Augenblick sechzigtausend Pfund in der Tasche, denn er will den Mann gleich in bar auszahlen. Das heißt, er wird die Erfindung natürlich um eine viel geringere Summe kaufen können, so daß noch eine schone Portion von dem Geld übrigbleibt.« Er klopfte mit dem Mittelfinger auf den Marmortisch. »Die Vorsehung schickt uns nun nicht jeden^ Tag einen so reichen Mann in den Weg, und da ist es mir ziemlich gleich, ob er ein Fremder oder ein Geschäftsfreund ist. Geld ist eben Geld, und eine so günstige Gelegenheit darf man nicht vorübergehen lassen«, meinte er mit einem Schulterzucken. »Außerdem steht er meistens unter Alkohol, und ich sehe nicht ein, warum wir nicht doppelt an ihm verdienen sollten.«

 

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Bud leise. »Sollen wir ihm auflauern und ihm das Geld sofort abnehmen?«

 

»Nein, ganz so gewinnsüchtig sind wir doch nicht«, entgegnete Sir George lächelnd. »Er soll ruhig erst sein Patent kaufen. Es hat keinen Zweck, dem armen Erfinder das Geld wegzunehmen. Aber was übrigbleibt, ist auch noch eine sehr große Summe.«

 

»Verstehe vollkommen.« Bud Kitson nickte.

 

»Also, um es Ihnen weiter zu erklären«, begann der Baronet wieder, fing aber einen warnenden Blick von Toady Wilton auf und schwieg.

 

Ein Herr von etwa fünfundvierzig Jahren stieg die breite Marmortreppe zur Hotelterrasse herauf. Er war etwas untersetzt, hatte einen kahlen Kopf und einen schwarzen Spitzbart. Den Hut hielt er in der Hand und trocknete sich die Stirn mit einem seidenen Taschentuch. Er strauchelte und wäre beinahe gefallen. Sir George und Toady bemerkten sofort, daß er zuviel getrunken hatte.

 

»Ach, da sind Sie ja!« rief Soltescu auf Englisch. Er beherrschte diese Sprache sehr gut, denn er war in England erzogen worden. »Freue mich sehr, Sie zu sehen.«

 

Er gab dem Baron beide Hände und hätte ihn auch geküßt, wenn ihm Sir George nicht ausgewichen wäre.

 

»Ich habe Sie leider warten lassen müssen«, sagte er schnell und liebenswürdig. »Ich bitte das zu entschuldigen. Aber ich hatte auch viele Schwierigkeiten zu überwinden. Obendrein sind alle Straßen in diesem verdammten Monte Carlo so voller Menschen, daß man kaum vorwärtskommt. Mein Auto ist außerdem nicht hier. Ich habe mir schon den ganzen Weg lang Vorwürfe gemacht, daß ich nicht zu der verabredeten Stunde hier sein konnte!«

 

Je länger er sprach, desto mehr Fehler machte er. Wie die meisten Rumänen suchte er London selten zu seiner Erholung auf, da er die Annehmlichkeiten von Paris dem nüchternen Leben in der Themsestadt vorzog.

 

»Ich habe aber nur wenig Zeit, weil ich heute abend noch nach Nizza muß, um mit meinem Erfinder zu sprechen.«

 

»Was sind Sie doch für ein tüchtiger Geschäftsmann«, erwiderte Sir George anerkennend. »Wir Engländer könnten noch viel von Ihnen lernen.«

 

Soltescu zuckte die Schultern.

 

»In vielen Dingen müssen wir uns aber immer wieder die Engländer zum Vorbild nehmen«, entgegnete er mit einem höflichen Lächeln.

 

Es unterlag keinem Zweifel, daß er schon viel Alkohol zu sich genommen hatte, aber trotzdem konnte er noch vollkommen klar denken.

 

»Wir waren schon besorgt um Sie, Monsieur Soltescu«, sagte Toady Wilton verbindlich.

 

»Besorgt um mich?« wiederholte der Rumäne überrascht.

 

»Ja. Wir halten es nämlich nicht gerade für sehr ratsam, zu dieser Zeit in Monte Carlo mit einer so großen Summe in der Tasche spazierenzugehen«, erklärte Sir George.

 

Monsieur Soltescu lachte und klatschte in die Hände, um den Kellner zu rufen. Er bestellte eine Flasche süßen Sekt, und der Baron schauderte bei dem Gedanken, daß er eventuell auch ein Glas mittrinken müßte.

 

»Sehen Sie, hier ist mein Geld.« Soltescu zog seine Brieftasche heraus.

 

Sir George hätte schon bemerkt, wie stark der Rock des Mannes auf der rechten Seite aufgebauscht war, und er atmete erleichtert auf.

 

»O nein, mein Geld habe ich mir nicht stehlen lassen«, erklärte Soltescu stolz und schlug mit der Ledertasche auf den Tisch, daß Gläser und Kaffeetassen in Gefahr gerieten. Er entschuldigte sich allerdings auch sofort dafür.

 

Kitson, dessen Blicke magnetisch von der schwarzen Ledertasche angezogen wurden und der in diesen Dingen Fachmann war, sah aber, daß der Rumäne trotz der liebenswürdigen Entschuldigung die Tasche fest in der Hand hielt.

 

»Heute abend gehe ich nach Nizza zu der entscheidenden Besprechung. Es ist bereits alles arrangiert. Endlich komme ich in den Besitz der chemischen Formel und der Beschreibung des Herstellungsprozesses. Ich sage Ihnen, die Welt wird staunen!« Er strahlte vor Freude. »Vor allem die Fachwelt wird staunen! Die Sache gehört zu den wichtigsten Erfindungen, die während des letzten Jahrzehnts gemacht wurden, und wird geradezu eine Revolution auf dem Wirtschaftsmarkt hervorrufen. Hoffentlich haben Sie verstanden, was ich Ihnen sagen wollte. Mein Englisch ist nicht so einwandfrei, wie es eigentlich sein sollte, besonders wenn ich ein wenig mehr als gewöhnlich getrunken habe.«

 

»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Monsieur Soltescu«, erwiderte Sir George liebenswürdig. »Ich wäre nicht auf den Gedanken gekommen, daß Sie heute abend schon etwas getrunken haben.«

 

Der Rumäne lachte und steckte die Brieftasche wieder ein.

 

»Oh, ich habe schon ganz gehörig gefeiert. Zwei Flaschen Sekt habe ich geleert, und ich fühle mich schon recht vergnügt. Aber jetzt wollen wir einmal den geschäftlichen Teil besprechen.«

 

Er setzte sich aufrecht und rückte seinen Stuhl so, daß er alle drei sehen konnte.

 

»Sie haben einen großen Schlag für die Rennen vorbereitet und sind davon überzeugt, daß die Sache gelingen wird und daß wir eine Menge Geld dabei machen werden. Ich selbst komme zum Derby nach England hinüber. Es wird mir Vergnügen machen, als Zuschauer dabeizusein. Ich frage Sie nicht«, fuhr er fort und hob die Hand, »ob Ihre Pläne mit dem Gesetz in Übereinstimmung stehen, oder ob sie irgendwie unehrenhaft sind. Mir genügt es, wenn ich Geld dabei verdienen kann, und wenn es ein großes sportliches Ereignis wird. Sie gehören zu den besten Adelskreisen Englands, Sir George, und ich bin zufrieden, wenn Sie die Sache selbst planen. Ich übernehme die Finanzierung. Welche Summe benötigen Sie?«

 

»Fünftausend Pfund.«

 

»Fünftausend Pfund«, wiederholte Soltescu nachdenklich. »Und welche Sicherheit bieten Sie mir dafür?«

 

»Mein Name muß Ihnen genügen«, entgegnete Sir George nachdrücklich.

 

»Genügt mir auch. Morgen überweise ich Ihnen den Betrag.« Er dachte einen Augenblick nach. »Nein, morgen noch nicht. Heute abend fahre ich nach Paris. Ich gebe Ihnen einen Scheck auf meine Bank – Credit Lyonnais – ich habe ein Konto bei der Zentralstelle in Paris.«

 

»Aber warum wollen Sie mir die Summe nicht heute abend in bar zahlen?« fragte George freundlich. »Sie tragen doch so viel Geld mit sich herum.«

 

»Das geht nicht.« Der Rumäne schüttelte den Kopf. »Es ist möglich, daß ich die ganze Summe brauche. Ich stehe vor dem Ankauf einer großen Erfindung, und ich weiß nicht, was ich im Anschluß daran in den nächsten Tagen noch alles zu erledigen habe. Sie verstehen mich doch?« wandte er sich an Toady Wilton.

 

»Vollkommen«, antwortete dieser höflich. Er hatte jedoch kein Wort verstanden, denn Soltescu sprach schnell und vergaß in der Begeisterung alle englischen Sprachregeln. Nur Leute, die lange mit ihm bekannt waren, konnten ihm folgen.

 

»Heute abend reise ich nach Paris, wie ich Ihnen schon gesagt habe. Um 23.43 fahre ich von Nizza ab. Meine Adresse in Paris ist Ihnen ja bekannt.«

 

Er erhob sich etwas unsicher, schüttelte Sir George mit großer Herzlichkeit beide Hände und verabschiedete sich mit demselben Enthusiasmus von Wilton und Kitson.

 

Sie sahen ihm nach, als er die Treppe hinunterging.

 

»Er fährt heute abend. Sie haben doch gehört, wie er es sagte«, bemerkte Sir George leise. »Wilton, gehen Sie sofort zum Bahnhof und nehmen Sie drei Schlafwagenkarten von Nizza nach Paris, und sehen Sie vor allem zu, daß Sie herausbringen, welche Bettnummer Soltescu hat.«

 

Am selben Abend trat Milton Sands gegen neun Uhr in das prachtvoll dekorierte Vestibül des Kasinos. Er hatte eine Zehnfrancs-Zigarre im Mund und weniger als zehn Francs in der Tasche. Sein Geld war verspielt, aber er empfand keine Reue und machte sich auch nicht die mindesten Vorwürfe darüber. Er nahm das Leben mit all seinen Wechselfällen in philosophischer Ruhe hin. Wie schlecht war es ihm nicht in Australien gegangen, als er ohne Wasser und Nahrung durch die wildesten Einöden wandern mußte! Nur der unerschütterliche Glaube, daß er aus all diesen Gefahren herauskommen würde, hatte ihm damals durchgeholfen. Zwar hatte er nicht auf ein Land gehofft, in dem Milch und Honig fließt, aber wenigstens auf eine Gegend mit vielen Bächen, wo er sein Pferd tränken und Wild schießen konnte, um sich am Leben zu erhalten. Er hatte Goldkonzessionen in Coolgardie für einen billigen Preis aus der Hand gegeben, und die Käufer hatten später Millionen daraus gezogen. Sein Vorleben befähigte ihn dazu, auch die schwersten Verluste mit Gleichmut zu ertragen.

 

Er ging zum Hotel zurück, stieg, langsam die breite Marmortreppe hinauf und winkte den Portier zu sich.

 

»Lassen Sie mein Gepäck herunterholen. Ich fahre heute abend nach Paris.«

 

Der Mann in der glänzenden Uniform murmelte einige Worte des Bedauerns. Auch er hatte auf seinem Posten schon genügend Erfahrung gesammelt. Mr. Sands war nicht der erste Gast des Hotels, der sich längere Zeit hier aufhalten wollte, dann aber plötzlich die Absicht äußerte, mit dem Nachtschnellzug abzufahren. In Monte Carlo kam dergleichen öfter vor.

 

Milton ging in sein Zimmer, zog sich um, und nachdem er gepackt hatte, beobachtete er den Hausdiener, der das geringe Gepäck hinaustrug.

 

»Francois, würden Sie einmal nachsehen, ob Mr. Eric Stanton im Hotel ist?« fragte er.

 

»Jawohl, Monsieur«, erwiderte der Mann diensteifrig und verließ das Zimmer. Bald darauf erschien er wieder.

 

»Der Herr ist unten im Vestibül.«

 

Milton Sands nickte nur, ging den langen Korridor entlang und traf Eric gerade, als dieser in den Fahrstuhl steigen wollte.

 

»Ich möchte Sie einen Augenblick sprechen, Stanton.«

 

Er führte Eric zu einem entlegenen Teil der Empfangsräume.

 

»Sie haben mich bisher nur oberflächlich kennengelernt – wie einen gelegentlichen Bekannten, den man einmal in Monte Carlo sieht. Aber ich kenne Sie, und ich möchte Sie um einen großen Gefallen bitten. Vorausschicken muß ich, daß ich Geld von Ihnen leihen will. Es handelt sich aber nur um fünf Pfund.«

 

»Sie können auch fünfzig Pfund von mir bekommen, wenn Sie sie brauchen«, erwiderte Stanton lächelnd.

 

Milton Sands schüttelte den Kopf.

 

»Nein, ich brauche nur soviel Geld, daß ich nach London komme. Dort warten schon verschiedene Schecks auf mich, die ich einkassieren kann.«

 

»Fahren Sie etwa auch schon heute abend mit dem Nachtzug?«

 

»Ja – Sie auch?«

 

»Ich habe eben ein Telegramm erhalten, das mich nach Hause ruft. Monte Carlo fällt mir auch etwas auf die Nerven. Ich fange an, mich hier zu langweilen.«

 

»Das ist ja eine angenehme Nachricht für mich. Soll ich schnell zum Bahnhof gehen und noch einen Platz im Schlafwagen für Sie belegen?«

 

»Das wäre sehr liebenswürdig von Ihnen. Aber Sie können die Bettkarte nicht lösen, ohne Geld in der Tasche zu haben«, sagte er, als Milton fortgehen wollte.

 

Mit einem Lächeln zog er seine Brieftasche heraus und. gab ihm einige Banknoten.

 

»So, hier haben Sie wenigstens tausend Francs. Nehmen Sie das Geld doch. Sie brauchen es unterwegs. Wenn Sie allerdings tatsächlich nur fünf Pfund von mir annehmen wollen, können Sie mir ja den Rest zurückgeben.«

 

»Fünf Pfund müssen ausreichen«, erwiderte Milton kurz. »Ich möchte wirklich nicht mehr Geld in der Tasche haben, als ich unumgänglich für Essen und Logis brauche.«

 

Es fiel ihm nicht schwer, noch einen Platz im Schlafwagen zu bekommen, denn zu dieser Zeit reisten wenig Leute von Monte Carlo ab. Der Nachtzug war auch nicht besonders beliebt; die vornehme Gesellschaft zog den Luxuszug am Tage bei weitem vor.

 

Er besorgte die Fahrkarte und kehrte dann zu Stanton zurück, der sich inzwischen für die Reise vorbereitet hatte und soeben seine Rechnung im Hotel bezahlte. Auch Sands beglich seine Rechnung und erhielt noch etwas Geld von seinem Depot zurück.

 

In Muße gingen sie zum Bahnhof, da sie noch genügend Zeit hatten.

 

»Welche Pläne haben Sie jetzt eigentlich?« fragte Stanton plötzlich.

 

»Ich mache niemals Pläne für lange Zeit und für die Zukunft. Es ist mir sehr unangenehm, mich festlegen zu müssen.«

 

»Es war ja auch etwas anmaßend von mir, Sie danach zu fragen«, entgegnete Eric. »Aber vielleicht habe ich mich nicht ganz richtig ausgedrückt. Ich wollte eigentlich wissen, ob Sie irgendeine regelrechte Beschäftigung haben.«

 

»Ich sagte Ihnen ja schon früher, daß ich ein Glücksjäger bin. Einen Beruf habe ich nicht – ich verdiene mein Geld als Abenteurer. Und ich mache niemals Pläne für die Zukunft, weil ich mich immer erst im letzten Augenblick entscheiden kann. So habe ich es stets in meinem Leben gehalten, und so soll es auch bleiben.«

 

Eine Zeitlang gingen sie schweigend nebeneinander her.

 

»Ich muß allerdings gestehen«, sagte Milton dann, »daß ich augenblicklich gezwungen bin, irgendwelche Zukunftspläne zu machen. Ich habe viel Zeit auf die Ausarbeitung meines Systems verwandt, und ich war fest davon überzeugt, daß ich Erfolg damit haben müßte. Es ist eins von den Systemen, zu deren Durchführung man eine Million Pfund braucht. Ich habe es daher scherzhaft das Eine-Million-Pfund-System getauft. Und jetzt weiß ich, daß man es nicht nötig hat, zu spielen, wenn man über eine so hohe Summe verfügen kann.«

 

Eric Stanton hatte diesen jungen Mann gern, dem kein Schicksalsschlag etwas anzuhaben schien, und dem Abenteuer nur eine willkommene Unterbrechung des eintönigen Lebens bedeuteten.

 

»Ich habe Beziehungen zu großen Firmen«, sagte er zögernd, »und ich könnte Ihnen vielleicht zu einem Posten verhelfen.«

 

Milton lachte und schlug ihm vergnügt auf die Schulter.

 

»Mein lieber Freund«, erwiderte er offen, »wenn Sie mir eine Vertrauensstellung geben, dann brenne ich eventuell in der nächsten Woche mit einer großen Summe durch. Nein, das ist nichts für mich. Ich habe ganz andere Absichten. Aber auf jeden Fall bin ich Ihnen äußerst dankbar, daß Sie mir so freundlich helfen wollen. Ich bin ein Spieler und werde ein Spieler bleiben bis zum Ende meines Lebens. Es sei denn, daß ich irgendeine Beschäftigung entdecke, in der ich meine Begabung besser verwerten kann.«

 

»Ich will Ihnen meine Adresse geben, und wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann, dann lassen Sie es mich wissen.«

 

Milton nahm die Karte, die ihm Eric gab.

 

»Man trifft selten einen Menschen wie Sie«, sagte er. »Die reichen Leute sind im allgemeinen verdorben, weil sie von allerhand Vagabunden und schlechten Elementen getäuscht und betrogen werden, so daß sie überhaupt nichts mehr von ihren Mitmenschen wissen wollen. Aber vielleicht komme ich noch einmal in die Lage, Ihre Güte zu erwidern. Inzwischen können wir uns ja die Langeweile auf der Reise vertreiben, indem wir uns nach einem passenden Beruf für mich umsehen. Irgend etwas muß ich schließlich anfangen.« Er hatte halb im Scherz, halb im Ernst gesprochen. »Morgen muß ich mir jedenfalls klar darüber sein, was ich tun will. Ob wir nun zu dem Resultat kommen, daß ich zur Bühne gehe – und ich bin keineswegs ein schlechter. Schauspieler –, oder ob ich mich als Kellner in einem Lokal auf dem Montmartre verdinge, ist ja im allgemeinen gleichgültig. Nur habe ich gehört, daß die Trinkgelder auf dem Montmartre sehr gut sein sollen, so daß man bei einer solchen Beschäftigung nicht schlecht fährt. Veilleicht könnte ich auch Plakatkleber in London werden. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mit mir beraten wollten, welcher Beruf für mich am zweckmäßigsten ist.«

 

Kapitel 20

 

20

 

Milton Sands ging langsam und nachdenklich zu seinen Freunden zurück. Janets Abwesenheit fiel ihm sofort auf, und er fragte nach ihr.

 

»Sie wird schon nicht verlorengehen«, sagte Mary President heiter. »Sicher kommt sie bald wieder zurück.«

 

Sie zog ihren Stuhl etwas vor und sah auf den Rennplatz, den die Polizei räumte, damit das nächste Rennen stattfinden konnte. Aber die Aufregung des Publikums über den seltsamen Ausgang des Derbys hatte sich noch nicht gelegt. Die Leute schrien immer noch durcheinander.

 

John President war auch fortgegangen, denn er sorgte sich um Donavan.

 

»Es ist ein großer Tag für uns«, meinte Eric.

 

»Vielleicht ist Janet bei meinem Großvater«, sagte Mary plötzlich. »Gleich nachdem Sie fortgingen, ist sie gerufen worden.«

 

Milton nickte, er war keineswegs beunruhigt.

 

Kurze Zeit später klopfte es zaghaft an der Tür der Loge.

 

Milton runzelte die Stirn, als er sah, daß Toady Wilton bleich und verstört hereinkam.

 

»Ist es gestattet, daß ich nähertrete?« fragte er höflich.

 

Sands wechselte einen schnellen Blick mit Eric Stanton.

 

»Kommen Sie herein«, sagte er dann kühl.

 

Mr. Wilton fühlte den eisigen Empfang, der ihm von allen Seiten bereitet wurde.

 

»Ich muß mich entschuldigen, daß ich störe«, begann er zögernd. Er machte einen so niedergeschlagenen Eindruck, daß Mary ihn unwillkürlich bedauerte.

 

»Ich habe einen solchen Ausgang des Rennens nicht vermutet, Mr. Stanton. Glauben Sie mir, ich habe nichts von dem Betrug gewußt. Es war eine ebenso große Überraschung für mich wie für alle anderen.«

 

Eric erwiderte nichts. Milton sah Today neugierig an und wunderte sich, daß es dieser Mann wagte, sich Stanton noch einmal zu nähern.

 

»Es war eine entsetzliche Geschichte«, führ Wilton fort und wischte sich die Stirn mit einem seidenen Taschentuch. »Ich habe niemals geglaubt, daß Sir George einen derartigen Betrug begehen könnte. Ich kann zwar das Geschehene nicht wieder gutmachen, aber ich möchte doch Sir George wenigstens daran hindern, daß er eine noch größere Schandtat begeht.«

 

Er sah sich um, ob seine Worte Eindruck gemacht hatten. Eric Stanton erwiderte seinen Blick mit eisiger Kälte, aber Milton nickte ihm ermutigend zu.

 

»Ich hatte eine kurze Unterredung mit Buncher«, erzählte Toady weiter. Er stand immer noch im Eingang der Loge und wagte nicht, näherzutreten. »Er glaubte, daß ich das volle Vertrauen Sir Georges besitze, und so kam es, daß er mir den schändlichen Plan mitteilte.«

 

»Was ist denn das für ein Plan?« Milton nahm an, daß Toady ihm noch Einzelheiten über den Turfschwindel enthüllen wollte.

 

»Natürlich weiß ich nichts Genaues darüber.« Wilton zuckte die Schultern.

 

»Ich nehme ohne weiteres an, daß Sie ein unschuldiger Helfershelfer sind.«

 

»Nein, nicht einmal das«, erklärte Toady schnell. »Ich sagte Ihnen ja, daß ich von der ganzen Sache nichts wußte. Sir George hat mir heute gesagt, daß er heiraten wolle.«

 

»Was, er will sich verheiraten?« fragte Milton erstaunt. »Das ist allerdings eine merkwürdige Neuigkeit. Wer ist denn die Auserwählte?«

 

Toady war so verwirrt, daß er kaum zusammenhängend sprechen konnte. Er sah Eric bittend an.

 

»Ich weiß nicht, wie Sir George die Identität der Dame entdeckte. Aber wahrscheinlich steckt seine Schwester dahinter. Sie war neulich in Ihrem Büro.«

 

»Erzählen Sie doch endlich, was eigentlich los ist«, sagte Milton ungeduldig. »Mrs. Thompson hat tatsächlich mein Büro aufgesucht und Miss Symonds eine Menge Unsinn über Detektivarbeit vorgeredet.«

 

»Sie hat auch noch über andere Dinge gesprochen.« Toady faßte jetzt mehr Vertrauen. »Sie hat Ihre Sekretärin gefragt, ob sie nicht ein Muttermal am linken Fuß hätte, und das Mädchen gab zu, daß sie am Knöchel einen gelben, schlangenartigen Streifen hätte.«

 

Milton sprang plötzlich auf.

 

»Was?« rief er atemlos. »Sagen Sie mir sofort, was Sie davon wissen.« Er packte Toady an den Schultern und schüttelte ihn heftig. »Ist das die Dame, die er heiraten will?«

 

Wilton konnte nur nicken.

 

»Wann soll denn die Hochzeit stattfinden?« fragte Sands.

 

»Sofort. Er hat sie heute nachmittag in einem Auto entführen lassen.«

 

»Was hat denn das alles zu bedeuten?« fragte Eric Stanton verwundert und schaute erstaunt von einem zum andern.

 

»Das bedeutet, daß Janet Symonds Ihre Schwester ist, die wir schon so lange suchen, und wenn Wilton die Wahrheit sagt, dann befindet sie sich jetzt in der Gewalt Sir George Frodmeres.«

 

Er eilte hinaus und fand seinen Chauffeur, der bei einigen Kollegen stand.

 

»Holen Sie schnell den Wagen. Haben Sie Miss Symonds gesehen?«

 

Der Mann nickte.

 

»Sie ist vor ungefähr zehn Minuten hier vorbeigefahren.«

 

»Wer war in ihrer Gesellschaft?«

 

»Soweit ich sehen konnte, war sie allein. Es war ein geschlossener Wagen. Zufällig stand ich an der Ausfahrt.«

 

Eine Beschreibung des Wagens konnte Milton im Augenblick nicht viel helfen. Der Autoverkehr war momentan so groß, daß die Polizei nicht alle Wagen kontrollieren konnte. Milton gab zwar die Beschreibung, die er von seinem Chauffeur erhalten hatte, an den aufsichtsführenden Polizeiinspektor weiter, aber das war alles, was er tun konnte. Er ging zur Loge zurück, wo Eric Stanton ungeduldig auf ihn wartete. Toady Wilton war auch noch nicht gegangen.

 

»Sie sind der einzige, der mir noch einige Informationen geben kann«, sagte Milton zu ihm. »Nennen Sie mir alle Plätze, an die Sir George die Dame eventuell bringen könnte.«

 

Wilton zählte sie der Reihe nach auf, aber Sands schüttelte jedesmal den Kopf.

 

»Dann wüßte ich nur noch einen Platz, aber ich glaube nicht, daß er sie dorthin bringen läßt.«

 

»Sagen Sie doch schon, was Sie meinen.«

 

»Sein Hausboot an der Themse. Es ist aber schon sehr alt und kaum noch seetüchtig. Es liegt einige Meilen östlich von Reading.«

 

Auf Miltons Drängen beschrieb Toady den Ankerplatz.

 

»Aber ich glaube wirklich nicht, daß Sie die Dame dort finden. Ich war selbst noch vor ein paar Wochen dort. Das Boot ist zwar sehr geräumig, aber nicht mit Möbeln ausgestattet. Es ist außerdem defekt und zieht Wasser. Dauernd muß es ausgeschöpft werden, und es besteht immer die Gefahr, daß es an seinem Ankerplatz untergeht. Die Firma Mayton hat dreihundert Pfund verlangt, um das Boot wieder herzurichten und auszustatten.«

 

»Wann hat er bei der Firma angefragt?«

 

»Ich habe den Brief von Mayton erst vorgestern gesehen. Er kann etwa eine Woche alt sein. Auf das Datum habe ich nicht genau geachtet.«

 

Milton ging sofort zur Garage und fuhr nach Epsom, wo er vor dem Postgebäude haltmachte. Er bekam nicht gleich Verbindung mit London, denn an dem heutigen Renntag war der Telefonverkehr zwischen Epsom und London ungeheuer groß. Aber nach einem unliebsamen Aufenthalt gelang es ihm doch, die Firma Mayton zu erreichen, und er erfuhr, daß sie tatsächlich von Sir George Frodmere den Auftrag bekommen hatte, das Boot neu auszustatten, und daß die Arbeit in kürzester Zeit ausgeführt worden war.

 

Milton hängte den Hörer an.

 

»Wir müssen zu dem Hausboot fahren«, sagte er nur kurz zu Eric, der ihn begleitete.

 

Nach zwei Stunden Fahrt waren sie in Reading, das sie mit höchster Geschwindigkeit durchfuhren. Außerhalb der Stadt kamen sie ans Ufer der Themse, wo tatsächlich ein großes Hausboot vertäut lag.

 

Eric sprang zuerst aus dem Wagen, und Milton folgte ihm auf dem Fuß. Sie eilten den schlechten Weg entlang, der zum Anlegeplatz führte, aber hier erlebten sie eine unliebsame Überraschung. Das Hausboot war besetzt. Mehrere Damen hielten sich oben an Deck auf, und ein starker, untersetzter Mann stand am Ufer. Er hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt, rauchte eine Zigarre und sah neugierig auf die beiden Herren, die sich dem Boot näherten.

 

»Ja, Sie haben vollkommen recht«, erwiderte er auf Miltons Frage. »Das ist das Hausboot von Sir George Frodmere. Aber ich habe es auf einen Monat von ihm gemietet.«

 

Miltons Hoffnung sank.

 

»Ich bin heute mit meiner Familie hierhergekommen.«

 

Gewohnheitsmäßig beobachtete Milton alle Menschen sehr genau, und so fiel ihm auf, daß der Mann sehr viel gestikulierte und mit einer wohlklingenden, gepflegten Stimme sprach.

 

»Ich suche nach einer jungen Dame«, erklärte er, »einer gewissen Miss Symonds.«

 

Der Mann schüttelte den Kopf.

 

»Sie ist nicht auf unserem Boot«, entgegnete, er höflich. »Wenn Sie wollen, können Sie an Bord gehen und sich persönlich davon überzeugen.«

 

Milton wußte, daß das zwecklos sein würde.

 

»Erwarten Sie noch jemand?«

 

»Nein, niemand.«

 

»Entschuldigen Sie dann bitte, daß ich Sie gestört habe«, erwiderte Milton.

 

Die beiden kehrten zu ihrem Wagen zurück.

 

»Ich war eigentlich fest davon überzeugt, daß wir sie hier finden würden«, erklärte Milton mutlos. »Es ist nicht die ausgesetzte Belohnung, die mich anspornt – ich habe mich vor einiger Zeit mit Janet verlobt.«

 

Stanton reichte ihm die Hand, und Milton drückte sie schweigend.

 

»Wir wollen in Reading zu Abend essen, dann können wir nachher um so eifriger unsere Nachforschungen fortsetzen.«

 

Sie hatten bald, ein geeignetes Hotel gefunden, und sie setzten sofort Telegraf und Telefon in Bewegung. Scotland Yard hatte bereits alle Maßnahmen getroffen, aber bis jetzt war kein Bericht über den gesuchten Wagen eingelaufen. Detektive waren nach Pennwaring geschickt worden, um das Herrenhaus und alle anderen Orte zu beobachten, wo sich Sir George hätte verstecken können.

 

»Es wird besser sein, wenn wir die Nacht über hierbleiben«, erklärte Milton. »Reading ist für unsere Zwecke durchaus geeignet. Frodmeres Interessen konzentrieren sich ja in der Hauptsache auf Westengland.«

 

Eric Stanton stimmte zu. Es war dasselbe, ob sie hierblieben oder zur Stadt zurückkehrten.

 

Kapitel 10

 

10

 

In dem kleinen, aber hübschen Wohnzimmer der Presidentschen Stadtwohnung waren überall Blumen aufgestellt, und Mary ordnete gerade einen Strauß in einer Vase, als es klopfte.

 

Milton Sands trat ein, lächelte sie an und reichte ihr die Hand.

 

»Ich muß die Gelegenheit wahrnehmen und habe Sie deshalb hergebeten, während mein Großvater auf dem Lande ist. Mr. Stanton hat mir Ihre Adresse gegeben. Ich bin sehr beunruhigt, denn bei uns wurde eingebrochen.«

 

»Aber würden Sie sich in diesem Fall nicht besser an die Polizei wenden?«

 

»Unter gewöhnlichen Umständen wäre das sicher das beste, aber es handelt sich hier um eine außergewöhnliche Sache.«

 

Er nahm in einem Sessel Platz und hörte ihren Bericht an. Zuerst erzählte sie ihm davon, daß schon auf der Fahrt von Nizza nach Paris jemand versucht hätte, in ihre Kabine einzudringen.

 

»Vor einer Woche«, fuhr sie fort, »wachte ich mit dem Gefühl auf, daß jemand in meinem Zimmer sein müßte. Dann sah ich den Schein einer elektrischen Taschenlampe, und es war mir sofort klar, daß jemand die Schubladen meines Schreibtisches durchsuchte. Ich sprang aus dem Bett und erkannte gerade noch, wie der Mann, der ins Zimmer eingedrungen war, schnell durch die Tür entwischte. Ich konnte nur kurz seine Silhouette gegen das Fenster sehen, aber es war bestimmt der Kerl, der damals in meine Schlafwagenkabine eindringen wollte.«

 

»Ich verstehe«, sagte Milton langsam, und er hatte tatsächlich die Bedeutung dieses Einbruchs erkannt. Soltescu glaubte, daß sich die wertvolle Formel in Miss Presidents Besitz befand.

 

»Wo hält sich Ihr Großvater zur Zeit auf?«

 

»In Sussex. Wir haben ein kleines Haus auf dem Gelände, wo Donavan für das Derby trainiert wird. Ich bin extra zur Stadt gefahren, um mit Ihnen zu sprechen.«

 

»Wäre es möglich, daß Sie heute abend noch nach Sussex zurückkehrten?«

 

Sie sah ihn erstaunt an.

 

»Natürlich, möglich wäre das schon. Mein Großvater würde es sogar begrüßen, wenn ich bald zurückkäme. Aber ich hatte mir eigentlich vorgenommen, ein paar Tage in der Stadt zu bleiben.«

 

Er dachte eine Weile nach.

 

»Fahren Sie bitte morgen wieder ab«, sagte er dann. »Ihr Großvater bleibt doch sicher noch längere Zeit auf dem Lande?«

 

»Ja, bis zu den Rennen in Epsom. Er hat Donavan für das Derby gemeldet.«

 

»Das trifft sich gut«, erwiderte Milton vergnügt. »Und nun werden wir einen Geldschrank mieten.«

 

Sie schaute ihn wieder verwundert an.

 

»Ja, wir mieten einen Geldschrank«, wiederholte er, »und ich schicke ihn in Ihre Wohnung. Ich kenne eine gute Firma, wo man sie billig haben kann.«

 

»Ich brauche doch keinen Safe! Ich habe ja gar nichts hier, was ich darin einschließen könnte.«

 

»Aber wenn ich Ihnen einen Safe schicke, haben Sie doch nichts dagegen, daß er in Ihr Zimmer gestellt wird?«

 

»Nein, das gerade nicht«, entgegnete sie lächelnd. »Aber es ist doch direkt Geldverschwendung.«

 

»Sie vergessen, daß ich ein Detektiv bin, Miss President. Das ist eine ganz interessante, manchmal kostspielige Beschäftigung, und Sie können sich wohl denken, daß ich nicht Geldschränke miete, wenn ich nicht eine ganz besondere Veranlassung dazu habe. Wenn Sie die Sache noch nicht ganz durchschauen, müssen Sie mir eben Vertrauen schenken. Jeder Detektiv hat seine Geheimnisse.«

 

Sie lachte.

 

»Gut, dann werde ich tun, was Sie wollen.«

 

»Ich habe aber noch eine andere Bitte. Würden Sie so liebenswürdig sein und mir Ihren Hausschlüssel geben, damit ich während Ihrer Abwesenheit die Verwaltung des Hauses übernehmen kann?«

 

»Selbstverständlich.«

 

»Ich werde mich um alles kümmern. Und machen Sie sich wegen des Einbruchs keine bösen Gedanken mehr.«

 

»In letzter Zeit sind aber so viele Einbrüche vorgekommen – die ganzen Zeitungen sind voll davon«, sagte sie nervös. »Ich habe auch gelesen, daß ein Schwerverbrecher ausgebrochen ist.«

 

»Das ist alles nicht so gefährlich. Wir werden ja bald sehen, wie sich die Dinge weiter entwickeln. Und was den entsprungenen Sträfling angeht –« Plötzlich hielt er ein. »Da kommt mir eine famose Idee!« Er lachte, sagte ihr aber nicht, was für ein guter Gedanke ihm gekommen war, sondern änderte das Gesprächsthema und fragte nach Eric Stanton.

 

Sie äußerte sich nur sehr vorsichtig über den jungen Mann, und aus ihrer Zurückhaltung erriet Milton alles, was er wissen wollte.

 

Als er in die Stadt ging, sprach er bei der Firma vor, die Geldschränke zu vermieten hatte, und suchte den größten aus, den er finden konnte. Der Inhaber des Geschäfts billigte diese Wahl nicht.

 

»Das ist nur eine ganz leichte Konstruktion«, sagte er und klopfte dabei an die Wände. »Der Kasten ist weder feuer- noch diebessicher. Eigentlich nur ein Schaustück zum Ausstellen. Für den praktischen Gebrauch ist er in keiner Weise geeignet.«

 

»Aber es ist gerade der richtige Schrank für mich«, erklärte Milton. »Hübsch und leicht. Schicken Sie ihn noch heute an die Adresse, die ich Ihnen gegeben habe.«

 

Am nächsten Morgen suchte er Miss President wieder auf. Sie lachte, als er kam, aber sie gestand ihm offen, daß sie etwas enttäuscht sei.

 

»Der Schrank nimmt entsetzlich viel Platz ein und macht sich sehr schlecht in meinem Schlafzimmer.«

 

»Darf ich mir das Möbel einmal ansehen?«

 

Ihr Mädchen führte ihn in den Raum. Der Safe war tatsächlich viel zu groß für das kleine Zimmer. Man sah kaum etwas anderes als das große, grünlackierte Möbel mit den goldenen Verzierungen.

 

»Großartig«, sagte Milton und betrachtete ihn voll Bewunderung. Dann wandte er sich an das Mädchen. »Sind Sie Amerikanerin?«

 

Sie wurde ein wenig rot.

 

»Ja – aber warum fragen Sie danach? Ich kam vor drei Monaten aus den Staaten.«

 

»Sind Sie früher schon in Europa gewesen?«

 

»Nein.«

 

»Sie haben auch noch nicht in Frankreich gelebt?«

 

»Nein«, entgegnete sie leichthin.

 

Als er die Treppe hinunterging, schien er angestrengt über diese Antwort nachzudenken.

 

Unten fragte er Miss President unvermittelt nach dem Namen ihres Dienstmädchens.

 

»Ich habe sie erst vierzehn Tage bei mir«, erklärte Mary. »Sie wurde mir von Sir George Frodmere empfohlen.«

 

»Dann kennen Sie Sir George also doch gut?«

 

»Nur oberflächlich.« Sie runzelte leicht die Stirn. »Die Sache kam auch ganz zufällig. Mein Mädchen kündigte plötzlich, und er empfahl mir diese neue Kraft so dringend, daß ich versprach, sie einzustellen. Unser eigenes Mädchen bekam eine so gute Stelle, daß ich sie nicht davon abhalten wollte.«

 

»Können Sie mir vielleicht sagen, wer sie engagiert hat?«

 

»Ja, sie gab mir die Adresse, damit ich ihre Post nachschicken kann. Sie ist nämlich verlobt. Ich will einmal sehen, ob ich sie finde…«

 

Sie ging aus dem Zimmer und kam bald darauf mit einem Notizbuch zurück.

 

»Hier habe ich es. Sie ist jetzt bei Mrs. Gordon Thompson beschäftigt.«

 

Milton grinste. Mrs. Gordon Thompson war die Schwester von Sir George Frodmere, eine ältere Dame, die viel in der Gesellschaft verkehrte und leidenschaftlich gern Bridge spielte. Man erzählt sich allerhand Geschichten darüber, wie ungern sie ihre Spielschulden zahlte.

 

Die Sache war vollkommen durchsichtig. Frodmere brauchte eine Verbündete in dem Haus und hatte deshalb seine Schwester überredet, Marys Dienstmädchen für ein höheres Gehalt wegzuengagieren. Und an ihrer Stelle hatte er diese Person eingeschoben. Milton hatte sie auf den ersten Blick erkannt. Er hatte sie bei mehreren Gelegenheiten in Monte Carlo gesehen, und zwar immer in der Gesellschaft Bud Kitsons. Dort und auch an anderen Plätzen galt sie als die Frau des Amerikaners.

 

»Wann fahren Sie ab, Miss President?«

 

»Heute nachmittag.«

 

»Nehmen Sie Ihr Mädchen mit?«

 

Mary runzelte die Stirn.

 

»Das muß ich mir noch überlegen. Ich hatte ja zuerst nicht die Absicht, London so schnell wieder zu verlassen.«

 

»Darf ich Ihnen einen Rat geben? Beurlauben Sie das Mädchen mit vollem Gehalt. Sagen Sie ihr, daß sie in der nächsten Woche nicht gebraucht wird.«

 

»Aber das ist ihr vielleicht unangenehm?«

 

»Das glaube ich kaum«, entgegnete Milton trocken. »Mit welchem Zug fahren Sie?«

 

»Um fünfzehn Uhr fünfundzwanzig.«

 

»Ich werde am Bahnhof sein, um mich von Ihnen zu verabschieden. Können Sie mir den Hausschlüssel jetzt geben?«

 

Sie nahm ihn aus ihrem Täschchen.

 

»Ich hoffe, daß Sie nach Ihrer Rückkehr nie wieder gestört werden.«

 

»Ich möchte Sie noch etwas fragen«, sagte sie, als er im Begriff war fortzugehen. »Was soll ich denn eigentlich in den Geldschrank legen?«

 

»Nichts.« Er dachte eine Weile nach. »Wenn Sie wollen, können Sie ja ein paar Schriftstücke dort unterbringen, die keinen Wert für Sie haben. Aber schließen Sie die Tür sorgfältig zu. Es wird vielleicht viel interessanter, wenn Sie die Papiere in den Safe tun. Es können alte Rechnungen sein. Vielleicht haben Sie auch noch irgendeinen Kasten, in den sie gelegt werden können.«

 

»Ja.«

 

»Das ist gut. Sagen Sie dem Mädchen noch, daß sie alle Fenster und Türen gut verschließen soll, bevor sie das Haus verläßt, und daß sie der Polizei von ihrer Abwesenheit Mitteilung macht.«

 

»Das könnte ich eigentlich auf meinem Weg zum Bahnhof selbst tun.«

 

»Nein, geben Sie dem Mädchen den Auftrag. Wozu soll, man alles selbst machen, wenn man Dienstboten hat?«

 

*

 

Abends um halb zwölf stieg Bud Kitson aus einer Taxe, zahlte den Chauffeur und ging dann die Straße entlang, bis er zu dem Haus John Presidents kam. Ohne Zögern schritt er auf die Tür zu, schloß auf und betrat die Diele. Mit seiner elektrischen Taschenlampe leuchtete er in dem leeren Raum umher, dann ging er weiter zum Speisezimmer und grinste, als er ein Glas, eine Whiskyflasche und Sodawasser auf dem Tisch sah. Sicher hatte seine Frau das alles für ihn bereitgestellt. Er mischte sich ein Glas und trank es, bevor er sich seiner Aufgabe zuwandte. Im Licht der Taschenlampe wählte er die nötigen Werkzeuge aus und stieg dann ruhig die Treppe zum oberen Stockwerk hinauf. Er kannte die Lage von Mary Presidents Zimmer genau, denn er betrat das Haus nicht zum erstenmal. Mit Bestimmtheit rechnete er damit, daß er heute Erfolg haben würde.

 

Die entwendeten Dokumente mußten hier zu finden sein – davon war er fest überzeugt. Die Ankunft des großen Geldschranks bewies ihm das zur Genüge. Sonst hätte er diesen Versuch vielleicht überhaupt nicht gemacht. Er war sogar sehr froh darüber, daß sich die Leute einen Safe zugelegt hatten, denn das beschränkte seine Nachforschungen. Er wußte nun genau, wo er die Papiere finden konnte. Als er oben ankam, untersuchte er den neuen Geldschrank und lächelte verächtlich. Das war ja eine ganz altmodische Konstruktion, die man beinahe mit einem Taschenmesser öffnen konnte! Er wählte einen Schlüssel und versuchte, die Tür aufzumachen, aber sie gab nicht nach. Sein geübtes Ohr vernahm allerdings einige Geräusche, die erkennen ließen, daß er bei weiteren Bemühungen Erfolg haben würde. Und gleich darauf hatte er sein Ziel auch erreicht.

 

Aber es blieb ihm keine Zeit, sich um den Inhalt des Geldschranks zu kümmern, denn plötzlich war das Zimmer hell erleuchtet. Schnell wandte er sich um.

 

»Hände hoch!« befahl Milton Sands, der seine Browningpistole auf den Einbrecher gerichtet hielt.

 

»Hallo!« antwortete Bud ruhig. »Wie geht es Ihnen, Mr. Sands?«‘

 

»Verhältnismäßig gut«, entgegnete Milton vergnügt. »Kommen Sie näher, damit ich Sie durchsuchen kann.«

 

Aber das war eigentlich nicht nötig, denn Bud Kitson hatte sich nicht die Mühe gemacht, eine Schußwaffe einzustecken.

 

»Setzen Sie sich dorthin«, sagte Milton und zeigte auf einen Stuhl. »Oder noch besser, Sie kommen nach unten mit, da können Sie wenigstens rauchen. Geben Sie mir einmal Ihre Lampe.«

 

Er nahm sie ihm aus der Hand und wies nach der Tür. Bud ging nach unten, und Milton folgte ihm auf dem Fuß. So kamen sie in das Speisezimmer.

 

»Drehen Sie das Licht an. Sie können es ruhig tun, denn ich wohne hier.«

 

»Was haben Sie denn eigentlich vor, Mr. Sands?«

 

Bud war sehr verärgert, daß sein Abenteuer so enden sollte.

 

»Ich habe mich noch nicht entschieden, was ich tun werde. Jedenfalls ist es ein ganz interessantes Spiel – für Sie allerdings weniger angenehm. Wie geht es Maisie?« fragte er freundlich.

 

Kitson grinste.

 

»Ich dachte mir gleich, daß Sie hinter die ganze Geschichte kommen würden, wenn Sie Maisie sähen.«

 

»Ich wußte es schon vorher. Sagen Sie mir jetzt, was wollen Sie denn hier im Haus? Suchen Sie nach den Schriftstücken, die Soltescu verloren hat?«

 

»Aus mir bekommen Sie nichts heraus«, entgegnete Kitson abweisend.

 

»Das werden wir noch sehen. Ich bin sogar davon überzeugt, daß Sie mir alles sagen werden, was ich wissen will. Sollte meine Ahnung in dieser Beziehung nicht in Erfüllung gehen, dann übergebe ich Sie der Polizei, und alle Ihre Komplicen werden dann wahnsinnig über Sie fluchen, denn sie kommen dann auch vor Gericht und müssen die größten Meineide leisten, wenn man sie nach Ihnen und ihren Beziehungen zu Ihnen fragt. Eins kann ich Ihnen übrigens sagen, Bud. Wenn Sie hier nach der Formel für Soltescu suchen, vergeuden Sie nur Ihre Zeit. Da müssen Sie sich schon anderswo umtun. Und wenn Sie nicht vermuten können, wer die Dokumente in jener Nacht gestohlen hat, kann ich Ihnen auch nicht helfen.«

 

»Meinen Sie, Sir George hat die Mappe?« fragt Kitson schnell.

 

»Ich will keine Namen nennen«, entgegnete Sands diplomatisch.

 

Bud fühlte plötzlich eine merkwürdige Müdigkeit und versuchte krampfhaft, sie zu überwinden. Er konnte sich die Ursache dafür nicht erklären, denn er war durchaus gesund und an diesem Tag erst spät aufgestanden. Was sollte das nur bedeuten? Schließlich fiel sein Blick auf die Whiskyflasche, und er begriff langsam. Er machte eine Anstrengung, sich von seinem Stuhl zu erheben.

 

»Bleiben Sie sitzen«, befahl Milton.

 

Kitson gehorchte willenlos.

 

»Sie haben mich vorhin gefragt, was ich vorhabe. Es tut mir leid, daß ich Ihnen das nicht sagen kann, aber glauben Sie mir, wir beide haben in der nächsten Zeit noch manches miteinander zu besprechen.«

 

Buds Kopf sank auf die Brust. Er wollte noch etwas sagen, wurde aber bewußtlos und fiel vom Stuhl.

 

Sands trug die Whiskyflasche und das Glas in die Küche, leerte beide und wusch sie sorgfältig aus. Dann ging er ins Speisezimmer zurück und füllte die Whiskyflasche von neuem.

 

»Ich bin nun ein wirklicher Detektiv geworden«, sagte er voll Selbstbewunderung, als er auf den besinnungslosen Kitson schaute. »Also, mein lieber Bud, Sie werden jetzt ein seltsames Abenteuer erleben.«

 

Vergnügt packte er das Kleiderbündel aus, das er vor einigen Stunden ins Haus gebracht hatte.

 

Kapitel 11

 

11

 

Sir George Frodmere war ein sehr geldgieriger Mann. Besonders interessierte er sich für große Summen und für die Leute, die über sie verfügten.

 

Er besaß ein Landgut in Cornwall. Das große Herrenhaus betreute der Hausmeister Gillespie mit einem Stab von Dienstboten in mustergültiger Weise. Er war ein braver, ehrenwerter Mann, der schon seit langem bei der Familie diente. Sir George hatte aber leider nicht das nötige Geld, um ein standesgemäßes Leben auf seinem Landgut zu führen. Er bezog nur ein kleines Einkommen aus den Zahlungen der Pächter, und diese Summe genügte bei weitem nicht, um seine Ansprüche zu befriedigen. Vermögen hatte er ebensowenig wie sein Vater. Dieser war allerdings mit den geringen Einkünften ausgekommen, weil er einfach und sparsam gelebt hatte. Sir George aber liebte Eleganz und Luxus, schränkte sich nicht gern ein und konnte dem schlichten Landleben wenig Geschmack abgewinnen. Um so mehr begrüßte er es jetzt, daß Graf Colini nach London kommen wollte.

 

Einer seiner Vertrauten hatte ihm schriftlich davon Mitteilung gemacht:

 

»Ich habe Colini einen Einführungsbrief an Sie mitgegeben. Er nennt sich zwar selbst Graf, ist aber seiner Sprache nach ein Londoner Kind aus dem Osten. Vielleicht ist er auch in Melbourne geboren. Mag dem sein, wie ihm wolle, er hat in Monte Carlo die Bank gesprengt, außerdem hat er auch sonst noch große Gewinne beim Bakkarat erzielt. Ich habe Geld an ihm verdient, aber noch nicht viel, denn er ist im Grunde genommen sehr argwöhnisch. Hoffentlich gelingt es Ihnen, ihn gehörig zur Ader zu lassen. Er hat die Absicht, sich in London umzusehen. Schicken Sie mir ein kleines Geschenk, wenn Sie Erfolg mit ihm haben. Übrigens spricht er immer von einem gewissen John President, und trotz seiner großartigen Prahlereien scheint er doch etwas Angst vor dem Mann zu haben. Vielleicht können Sie etwas daraus machen.«

 

Sir George hatte nicht die Absicht, sein Gut Pennwaring zu verlassen, bis er über die Erfolge Bud Kitsons Nachricht erhalten hatte. Aber als ihm kurz darauf Graf Colini auf einem Briefbogen des Savoy-Hotels seine Ankunft mitteilte, zögerte der Baronet nicht länger, nach London abzureisen.

 

Er suchte den Grafen sofort auf und fand ihn in Hemdsärmeln und Strümpfen in seinem Zimmer. Er war gerade damit beschäftigt, neue Riemen in seine Schuhe einzuziehen.

 

»Man kann dem Personal auch nicht die kleinsten Dinge anvertrauen«, sagte der Mann mit den verlebten, abstoßenden Zügen und der ungesunden, grauen Gesichtsfarbe. Er stellte die Schuhe auf den Boden, als Sir George ins Zimmer kam, und rieb die Hände an den Beinkleidern ab, bevor er ihm die Hand reichte.

 

»Ich freue mich, Sie zu treffen, Graf«, sagte Sir George.

 

»Ich möchte mit Ihnen ein Wort im Vertrauen reden«, unterbrach ihn Colini. »Sie brauchen mich nicht Graf zu titulieren. Ich bin John Pentridge – das ist mein wirklicher Name. Wahrscheinlich haben Sie schon von mir gehört.«

 

Sir George hatte tatsächlich schon von ihm gehört, aber er hatte nie gedacht, daß der Mann, der Soltescu die Erfindung verkauft hatte, mit dem Mann identisch war, der in Monte Carlo die Bank gesprengt hatte. Dieses Ereignis war in allen großen Zeitungen Englands besprochen worden.

 

»In Monte Carlo kann man sich ja ruhig Graf nennen«, fuhr Pentridge fort, »und ich mußte vor allem so auftreten, weil man mich aus dem Kasino ausgewiesen hatte. Deshalb legte ich mir einen anderen Namen und den Grafentitel bei. Augenblicklich kann ich mir das ja leisten, denn ich besitze über zweihunderttausend Pfund.«

 

»Aber ich sehe gar nicht ein, warum Sie in London wieder Ihren ursprünglichen Namen führen sollten. Graf Colini klingt viel besser.« Sir George betrachtete ihn wohlwollend. »Sagen Sie mir, wie ich Ihnen behilflich sein kann.« »Sie können mich in London herumführen – ich werde zahlen. Erzählen Sie ruhig, daß Sie mich schon von früher her kennen. Das wäre besonders gut, wenn wir John President treffen sollten – Sie verstehen doch, was ich meine?«

 

Sir George nickte.

 

»Und dann würde ich auch gern ein kleines Spiel machen. Irgendeine nette, ruhige Sache, bei der man nicht gerade zuviel Geld verliert.«

 

»Das werde ich gern tun. Sie müssen aber auf meinem Landsitz Pennwaring wohnen. Ich werde Sie dann meinen Freunden vorstellen. Einer von ihnen hält sich augenblicklich auch gerade in London auf«, sagte er, als er sich an Toady erinnerte.

 

»Ich möchte heute nach Sandown zu den Rennen gehen.«

 

»Das trifft sich gut. Mein Freund kann Sie hinbringen. Er weiß Bescheid, und er kann Ihnen auch gute Tips geben. Ich werde mich gleich telefonisch mit ihm in Verbindung setzen.«

 

Sir George hatte Glück, denn Toady war zu Hause. Mr. Wilton packte seine Koffer, um nach Cornwall überzusiedeln. Er tat es in aller Heimlichkeit, denn er wollte seinen Gönner Eric Stanton nicht beleidigen, der Sir George absolut nicht traute und Toady wegen des Umgangs mit diesem Mann ständig Vorhaltungen machte. Und Toady mußte auf Eric Stanton Rücksicht nehmen, da er nicht nur bei dem Tode des alten Stanton eine größere Summe erhalten hatte, sondern weil Eric ihn auch häufig beauftragte, Geld für ihn bei den Rennen zu setzen. Wilton führte diese Aufträge nicht immer aus, denn er war viel besser als der Eigentümer selbst über die Chancen unterrichtet, die Erics Rennpferde hatten. Manche Summe, die Stanton auf seine eigenen Pferde setzte, kam nicht weiter als auf das Bankkonto Toady Wiltons.

 

Er folgte dem Ruf seines Freundes sofort und fuhr in einer Taxe zum Savoy-Hotel.

 

Graf Colini und Toady Wilton verstanden sich vorzüglich, ja Pentridge faßte sogar das größte Vertrauen zu Wilton, und auf dem Wege nach Sandown erfuhr dieser manches, was er bisher noch nicht gewußt hatte, besonders über John President.

 

Kapitel 12

 

12

 

Milton Sands ging auf der Rennbahn in Sandown auf und ab. Unerwartet traf er Mary President in der Begleitung Eric Stantons und begrüßte sie erstaunt.

 

»Ich dachte, Sie wären in Sussex?«

 

Sie sah ihn schuldbewußt an, aber Eric nahm sie sofort in Schutz.

 

»Ich wollte Miss Presidents Meinung über mein Rennpferd Jerry hören.«

 

Milton sprach noch eine Weile mit den beiden, dann trennten sie sich. Später sah er, daß Miss President allein zu den Sattelplätzen ging. Mr. Wilton trat auf sie zu, nahm aber kaum den Hut vor ihr ab, denn er fühlte sich ihr im Augenblick vollkommen überlegen.

 

»Hallo, Miss President, sind Sie ganz allein auf der Rennbahn?«

 

»Im Moment bin ich allein«, entgegnete sie höflich.

 

»Ich hatte schon seit langer Zeit die Absicht, einmal mit Ihnen zu sprechen.«

 

Sie wußte, daß das der Fall war, denn er hatte ihr stets seine Aufmerksamkeiten aufgedrängt. Er hatte immer Sir George Frodmere begleitet, wenn dieser zu ihrem Großvater kam, und in letzter Zeit hatten sich diese Besuche öfter wiederholt. Sir George kam unter irgendeinem Vorwand zu dem alten Herrn, und merkwürdigerweise hatte John President keine Abneigung gegen den Baronet, obwohl er wußte, daß dieser Mann nur Nutzen aus seinen Rennerfahrungen ziehen wollte. Mr. Wilton war ihr unausstehlich, besonders da er sich einbildete, viel Glück bei Frauen zu haben. Sie konnte ihn so wenig leiden, daß sie sich Mühe geben mußte, nicht unhöflich zu ihm zu sein.

 

Heute war er wieder ganz besonders unausstehlich.

 

»Wie geht es dem alten Herrn?« fragte er.

 

»Meinem Großvater geht es gut«, antwortete sie kurz.

 

»Sie sehen wirklich entzückend aus«, erklärte er voll Bewunderung. »So schön wie eine Rosenknospe …«

 

»Ich wünschte, Sie würden so etwas nicht sagen«, entgegnete sie und errötete vor Ärger.

 

»Aber warum wollen Sie denn das nicht hören? Es ist nur die reine Wahrheit. Außerdem darf ich Ihnen das doch sagen, weil ich Ihr Freund bin. Und ich glaube, Sie können in der nächsten Zeit Freunde brauchen.«

 

»Was soll denn das heißen?«

 

Er sah sich um, als ob er nach jemand suchte, und schließlich entdeckte er seinen Begleiter.

 

»Kennen Sie den Herrn dort?«

 

In einiger Entfernung sah sie Pentridge. Er war elegant und auffällig nach der neuesten Mode gekleidet, trug hellgelbe Handschuhe und einen tadellosen Zylinder.

 

»Haben Sie den Grafen Colini schon kennengelernt?«

 

Sie schüttelte ungeduldig den Kopf. Und doch interessierte sie sich für den Herrn, der eine große Zigarre rauchte und sich selbstbewußt umschaute.

 

»Das ist Graf Colini, der in Monte Carlo die Bank gesprengt hat«, erwiderte Wilton großartig. »Er ist gerade kein Freund von John President.«

 

Sie wandte sich ab und sah Wilton mit einem ärgerlichen Blick an.

 

»Was soll das heißen?«

 

Er sah ihre Erregung und wollte sie beruhigen.

 

»Sie brauchen sich nicht weiter aufzuregen«, sagte er vertraulich. »Es muß ja sonst niemand etwas davon erfahren.«

 

In dem Augenblick hatte Pentridge ihn gesehen und kam auf ihn zu. Er sah älter aus als ihr Großvater, und seine Gesichtszüge kamen ihr bekannt vor. Aber sie wußte nicht, wo sie ihm schon begegnet war.

 

»Hallo, was machen Sie, Wilton?« fragte Pentridge.

 

»Miss President, darf ich Sie mit Graf Colini bekanntmachen?«

 

Sie starrte Pentridge an. Ihr Blick schien ihn nicht weiter zu stören.

 

»Wie geht es Ihnen, mein Kind? Sie sind also die Enkelin von John President?«

 

Sie wurde dunkelrot und wollte fortgehen, aber Wilton faßte sie am Arm.

 

»Tun Sie doch nicht so«, sagte er unverschämt.

 

In dem Augenblick merkte sie, daß der Mann zuviel getrunken hatte. Toady hatte mit Pentridge zu Mittag gegessen, und die beiden hatten reichlich Alkohol zu sich genommen. Als sie sah, in welcher Verfassung sie sich befanden, wurde sie plötzlich kühl.

 

»Ich kann nicht länger bleiben«, erklärte sie, aber Wilton hielt sie fest.

 

»Bleiben Sie doch noch einen Augenblick.«

 

Milton Sands hatte die Szene beobachtet und kam nun mit langen Schritten auf sie zu. Ohne weitere Umschweife packte er Toady am Kragen und schob ihn zur Seite.

 

So war bisher noch niemand mit Wilton umgegangen, und er erhielt einen schweren Schock. Aber dann faßte er sich wieder.

 

»Was fällt Ihnen denn ein?«« fragte er aufgebracht.

 

Noch drei andere Herren hatten sein anstößiges Betragen beobachtet und waren auch hinzugekommen. Toady war plötzlich von ihnen umgeben. Glücklicherweise waren die anderen Leute durch das Rennen so stark in Anspruch genommen, daß sie nicht weiter auf die Szene achteten.

 

Mary zitterte und ging mit bleichem Gesicht zu ihrem Großvater, der eben erregt auf Toady zukam.

 

»Wie dürfen Sie das wagen?« fuhr Toady Milton Sands an.

 

»Das ist noch gar nichts gegen das, was Sie erleben, wenn Sie noch einmal so unverschämt werden sollten«, entgegnete Milton grimmig.

 

»Was ist denn geschehen, Sands?« fragte Eric Stanton, der im Augenblick hinzugekommen war.

 

»Was los ist?« brüllte Toady. »Ich habe gerade mit einem Mädchen gesprochen, dessen Großvater früher im Gefängnis saß!«

 

»Was sagen Sie da?« rief Eric atemlos.

 

»Ja, er ist ein alter Zuchthäusler«, wiederholte Toady triumphierend und wandte sich an Pentridge, der John President erkannt hatte. »Stimmt das, Graf Colini?«

 

»Vollkommen, mein Freund«, entgegnete Pentridge laut und aggressiv.

 

»Sie sind es?« fragte John President und trat auf ihn zu. Pentridge fühlte sich nun doch etwas unbehaglich, schrak zurück und hob die Hand, als ob er einen Schlag abwehren wollte. Mary flüsterte ihrem Großvater etwas zu.

 

»Sie sind es?« wandte sich der alte Mann wieder an Pentridge.

 

»Ja, ich bin es«, entgegnete dieser trotzig. »Ihr alter Kamerad John Pentridge! Man nannte mich so, weil ich zwanzig Jahre im Gefängnis in Pentridge saß. Und Sie sind John President, der früher zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt wurde. Vor vielen Jahren sind Sie nach Australien deportiert worden, weil Sie einen Mord begangen haben – er hat seine Frau aus Eifersucht erschossen!«

 

Der alte Mann bedeckte das Gesicht mit den Händen.

 

»Ja, das ist so«, sagte er und atmete schwer. »Vor fünfundfünfzig Jahren geschah es, und ich habe schwer dafür gebüßt.«

 

»Hören Sie, was er sagt?« rief Toady. »Und solche Leute dürfen sich heute ungestraft auf der Rennbahn zeigen! Ein alter australischer Zuchthäusler! Da weiß man endlich einmal, in welcher Gesellschaft man sich hier bewegt.«

 

»Sie wären der letzte, der so reden dürfte!«

 

Wilton wandte sich um. Lord Chanderson stand hinter ihm und sah ihn durchdringend an.

 

»Ich verstehe Sie nicht«, sagte Toady mit stockender Stimme. Es war ihm äußerst peinlich, daß der Lord Zeuge dieses Auftritts gewesen war.

 

»Ich sagte, daß Sie der letzte wären, der sich darüber beschweren sollte. Ihr Vorleben ist nicht vollkommen einwandfrei. Mr. Stanton, ist das Ihr Freund?«

 

»Wir standen ganz gut miteinander«, erwiderte Eric ruhig.

 

»Ich halte es für besser, daß Sie erfahren, was mir schon seit Jahren bekannt ist. Mr. Wilton ist der Mann, der meinen Namen in dem Hotel in Paris gefälscht hat. Und er war es auch, der die Briefe fälschte, die Ihr Vater fand. Er hat versucht, sich Ihrer Mutter zu nähern. Die Briefe sind in meinem Besitz. Weil sie ihn damals abwies, wollte er sich an ihr rächen. Außerdem hatte er die Nebenabsicht, von Ihrem Vater Geld zu erpressen.«

 

»Das ist eine gemeine Lüge!« schrie Toady außer sich.

 

»Ihr Vater entdeckte die Fälschung kurz vor seinem Tode und wollte Ihnen alles mitteilen. Wilton aber hat die Tatsache, daß Ihr Vater seinen Namen erwähnte, zu seinen Gunsten mißbraucht und so ausgelegt, als ob Ihr Vater für ihn sorgen wollte.«

 

Ein häßliches Grinsen verzerrte Wiltons Züge.

 

»Sie haben ja eine lebhafte Phantasie, Mylord. Sie können doch nicht wissen, was der Sterbende sagen wollte!«

 

Lord Chanderson nickte.

 

»Doch, dazu bin ich in der Lage. Mr. Stanton hat der Krankenschwester alles anvertraut, die ihn damals pflegte. Und Sie haben nachher die Frau bestochen, damit sie zu Ihren Gunsten aussagte. In meinem Besitz befindet sich aber die beeidete Erklärung der Frau und außerdem ein Nummernverzeichnis der Banknoten, die Sie ihr gezahlt haben.«

 

Während sich die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf Toady konzentrierte, hatte sich Pentridge aus dem Staube gemacht. Selbst John President, der die ganze Welt nach diesem Mann abgesucht hatte, war so fasziniert durch die dramatischen Enthüllungen des Lords, daß er es nicht bemerkte.

 

Eric Stantons Gesicht war bleich und hart.

 

»Das ist wahr, Wilton«, sagte er streng. »Ich kann es an Ihrem Gesicht sehen.«

 

»Ich – ich habe nur – getan, was ich für recht hielt«, erwiderte Toady verstört.

 

»Lassen Sie mich bitte einen Augenblick mit diesem Mann allein«, bat Eric.

 

Was die beiden miteinander besprachen, erfuhr niemand. Milton Sands beobachtete aus einiger Entfernung die Auseinandersetzung und sah nur, daß Stanton plötzlich Toady am Kragen packte und ihn heftig von sich stieß.

 

Kapitel 13

 

13

 

»Die Wetten für das Derby haben eine eigenartige Wendung genommen«, schrieb der Berichterstatter des Sporting Journal. »Es ist eine merkwürdige Tatsache, daß die beiden Pferde, die am meisten für den Sieg genannt werden, noch fast unbekannt sind. Einmal handelt es sich um Portonius, den Sir George Frodmere gemeldet hat. Er ist ein Grauschimmel und hat sein erstes Rennen im vorigen Jahre mitgemacht. Donavan hat sich dagegen noch nicht auf der Rennbahn gezeigt. Auf Portonius ist bereits viel gesetzt worden. Das Pferd wird in Pennwaring auf dem Landgut von Sir George unter Ausschluß der Öffentlichkeit trainiert. Soweit unsere Informationen reichen, scheint das Tier in bester Form zu sein. Donavan ist das Eigentum Mr. John Presidents, dessen Farben dem Publikum bekannt sind durch die wiederholten Sieger des berühmten Hengstes Dean. Donavan wird in der Öffentlichkeit trainiert, und man kann sich einen Begriff von seinen Fähigkeiten machen, wenn man ihn in Sussex Downs sieht, wo er täglich mit Dean trainiert wird. Auch Donavan ist in der besten Verfassung.«

 

»Was meint der Kerl bloß mit dem Ausdruck ›unter Ausschluß der Öffentlichkeit‹?« brummte Sir George, als er mit Toady beim Frühstück saß.

 

»Wie soll ich das wissen?« fragte Wilton. »Sie tun ja so, als ob ich den Artikel geschrieben hätte.«

 

»Ich möchte wirklich wissen, was er damit sagen will – sprechen die Leute eigentlich viel über Portonius?«

 

Toady schüttelte den Kopf.

 

»Nein. Geredet wird natürlich immer. Einige Leute wundern sich, daß Sie ihn hier auf Ihrem Gut trainieren lassen, statt in Newmarket mit Ihren anderen Pferden. Und im Klub hält man sich darüber auf, daß Buncher Ihr Trainer ist – das war ja zu erwarten. Sie wissen doch, in welchem Ruf der Mann steht.«

 

»Sie können Ihren Freunden sagen, daß ich meine Pferde trainiere, wo es mir beliebt«, entgegnete Sir George trotzig. »Und Sie wissen auch, daß ich Buncher außerordentlich gut brauchen kann. Er hat ungewöhnliche Fähigkeiten und kann ein Tier glänzend beurteilen. Und mir sagt er die Wahrheit, mich führt er nicht hinters Licht. Ich weiß so viel von ihm, daß ich ihn jeden Augenblick ins Gefängnis bringen könnte.«

 

Toady nickte.

 

»Ich weiß mehr von Bunchers Sündenregister als irgendein anderer«, fuhr Sir George fort. »Er wäre der beste Trainer von England, wenn er sich nicht dem Trunk ergeben hätte. Ich traf ihn zufällig wieder, nachdem er jahrelang verschollen war, und ich nahm ihn in Schutz, als die Polizei ihn wegen Falschmünzerei suchte. Eines Abends kam er zu mir. Früher hatte er schon mehrere Aufträge für mich zu meiner Zufriedenheit erledigt. Er war damals ganz außer sich vor Schrecken und Furcht, aber ich habe ihm durchgeholfen. Ich verschaffte ihm ein Alibi, indem ich vor Gericht angab, daß er mein Angestellter wäre und sich während der Zeit, in der er gefälschte Banknoten ausgegeben haben sollte, in meinem Hause aufgehalten hätte.«

 

»Er ist Ihnen zu größtem Dank verpflichtet«, stimmte Wilton bei.

 

»Ich lasse einen guten Bekannten niemals im Stich«, bemerkte Sir George selbstgefällig, »ganz gleich, ob er ein Stallknecht oder ein Kabinettsminister ist – besonders, wenn ich seine Dienste gebrauchen kann.«

 

Er nahm die Zeitung wieder auf und las den Abschnitt noch einmal durch, über den er sich ärgerte.

 

»Wenn die Leute etwa glauben, daß ich sie einlade, mein Pferd hier genauer bei der Arbeit zu beobachten, dann haben sie sich schwer geirrt«, sagte er aufgebracht und warf die Zeitung auf den Tisch. »Aber jetzt erzählen Sie mir einmal Ihre Neuigkeiten.«

 

Toady war erst am Abend vorher von London gekommen.

 

»Ich habe auf Portonius‘ Sieg so viel gesetzt, daß Sie vierundzwanzigtausend Pfund gewinnen, wenn er im Derby Erster wird.« Toady zog sein Notizbuch heraus. »Man kann immer noch Wetten auf eins zu sechs abschließen.«

 

»Wie steht es denn eigentlich mit Donavan?«

 

Toady Wilton machte ein ärgerliches Gesicht.

 

»Dieser verdammte alte Kerl – ich wünschte nur, ich könnte es ihm heimzahlen.«

 

»Für den Auftritt neulich haben Sie sich nur selbst Vorwürfe zu machen. Ein Mann von Ihrem Alter und ihrem Aussehen sollte jungen Damen nicht mehr den Hof machen. In Stanton haben Sie einen guten Freund verloren.«

 

»Wir wollen über etwas anderes sprechen«, erwiderte Wilton kurz. »Wäre es nicht gut, wenn Sie Wetten auf Donavan abschlössen, um Ihr eigenes Geld zu sichern?«

 

Sir George lachte verächtlich.

 

»Seien Sie doch nicht komisch. Es ist ganz ausgeschlossen, daß Donavan Portonius schlagen könnte.«

 

»Man kann nicht wissen«, entgegnete Toady vorsichtig. »Bei den Rennen sind schon die merkwürdigsten Dinge passiert.«

 

»Ach, hören Sie auf mit Ihrem Gerede«, sagte Sir George brutal.

 

Es war merkwürdig, wie sehr sich Toady Wilton Sir George unterordnete. Er war ein großer, stattlicher Mann, aber er hatte ein abstoßendes, häßliches Gesicht, und im Grund seines Herzens war er feig. Sir George mußte irgendwelche Tatsachen aus Wiltons Vergangenheit kennen, so daß er ihn vollkommen in der Hand hatte und ihn als Werkzeug benützen konnte.

 

»Von wem kam denn eigentlich dieser Brief?« fragte er.

 

Die Post hatte an dem Morgen nur ein Schreiben gebracht.

 

»Von einer Dame«, entgegnete Wilton und lächelte.

 

»Was, schon wieder eine Dame?«

 

»Ja, Mrs. Bud Kitson.«

 

»Was schreibt sie denn?« fragte Sir George interessiert.

 

»Sie schickt einen Brief für ihren Mann«, mußte Wilton zugeben. Die Angelegenheit wurde immer prosaischer.

 

Sir George sah erstaunt auf.

 

»Aber Bud ist doch in London. Ich erwartete gestern Nachricht von ihm. Miss President ist zu ihrem Großvater nach Sussex abgereist.«

 

»Gestern war sie in Sandown«, bemerkte Toady trocken. »Vielleicht hat Bud davon erfahren und wartete, bis sie fort war.«

 

Sir George schüttelte den Kopf.

 

»Warum hat sie denn hierher geschrieben? Wenn ihr Mann in London ist, muß sie das doch wissen! Ich verstehe den Zusammenhang nicht recht. Wilton, wer von uns dreien hat denn nun eigentlich die Schriftstücke und das Geld, wenn John President nichts hat?«

 

Toady protestierte.

 

»Ich wünschte nur, Sie würden nicht immer derartige Bemerkungen machen.«

 

»Einer von uns muß die Mappe doch genommen haben! Ich war es jedenfalls nicht«, sagte Sir George und streckte seine langen Beine unter dem Tisch aus.

 

»Und ich kann auch einen Eid darauf leisten, daß ich sie nicht genommen habe«, entgegnete Toady schnell. »Bud würde natürlich jeden Augenblick dasselbe beschwören. Soltescu hat Detektiv Sands engagiert, um Nachforschungen anzustellen. Ich glaube aber kaum, daß der etwas herausbekommt. Zum Privatdetektiv hat er wenig Veranlagung.«

 

*

 

Der Tag des Derbys in Epsom kam immer näher, und alle Welt sprach darüber, welches Pferd wohl gewinnen würde. Die Sportsleute haben ein noch viel größeres Interesse an diesen Dingen. Sie sehen sich jedes einzelne Pferd, das genannt wird, genau an und ziehen alle früheren Rennen in Betracht. Man prüft den Stammbaum, die Veranlagung und die Eigenschaften der Vorfahren, um Anhaltspunkte für die Beurteilung zu finden. Jeden Tag erscheinen die Trainingsberichte in den Zeitungen. Auch die Beschaff fenheit der Rennbahn spielt eine Rolle. Manche Pferde leisten viel auf hartem Boden, andere lieben gerade das Gegenteil. Das Interessante an diesem Rennen ist vor allem, daß alle Pferde, die daran teilnehmen, die Rennbahn zum erstenmal betreten.

 

Auf Portonius wurde viel gewettet. Die Agenten George Frodmeres informierten ihn genau über den Stand der Dinge. Leichter war es, Geld auf Donavan zu setzen, über dessen Trainingsstand in den Zeitungen dauernd berichtet wurde. Gerade in den letzten Tagen lauteten die Meldungen sehr günstig.

 

Die Eingeweihten folgten mit großem Interesse dem Training John Presidents, der kein Geheimnis daraus machte. Er behauptete stets, daß er große Hoffnungen auf Donavan setze, und die Fachleute hatten sich persönlich von den guten Eigenschaften des Pferdes überzeugen können. Donavan galt als einer der aussichtsreichsten Kandidaten für das Rennen. Aber Wetten werden nicht allein auf Trainingsberichte hin abgeschlossen. Es war merkwürdig, daß auf Portonius am meisten gesetzt wurde. John President selbst war sehr vorsichtig und hatte noch vierzehn Tage vor dem Rennen keinen einzigen Schilling gesetzt. Aber Donavan machte gute Fortschritte.

 

Eric Stanton war zufrieden mit den Trainingsergebnissen, setzte aber kein Geld auf das Pferd, weil er fürchtete, dadurch die Gewinnchancen Mr. Presidents zu verringern.

 

Selbst Soltescu kümmerte sich jetzt um das Rennen. Er hoffte, durch einen großen Schlag wenigstens einigermaßen für seinen Verlust entschädigt zu werden.

 

Sir George war wütend, als er eines Tages erfuhr, daß die Quote von Portonius auf zehn zu sechs gefallen war. Später klärte sich die Sache auf, denn es stellte sich heraus, daß Soltescus riesige Wetten die Quote derart gedrückt hatten.

 

»Ich verstehe nicht, warum Sie das getan haben«, sagte er düster. »Sie hätten doch noch viel mehr Geld herausschlagen können. Jetzt haben Sie einfach den Markt ruiniert.«

 

Soltescu lachte nur. Er hatte an diesem Morgen schon viel getrunken.

 

»Sagen Sie mir lieber, ob Sie Neuigkeiten für mich haben.«

 

»Ich wünschte nur, ich könnte Ihnen recht viel berichten. Was mit Kitson passiert ist, weiß ich nicht. Ich, habe seiner Frau gestern abend telegrafiert, und in einem fangen Brief hat sie uns mitgeteilt, daß ihr Mann vor zwei Tagen von zu Hause fortgegangen wäre und daß man seitdem nichts wieder von ihm gehört hätte.«

 

»Glauben Sie, daß er die Papiere gefunden hat und sie jetzt für sich behalten will?« fragte der Rumäne ängstlich.

 

Sir George schüttelte lächelnd den Kopf.

 

»Nein, das traue ich dem Mann nicht zu.«

 

Allerdings hatte er auch schon selbst diesen Verdacht gehabt, aber Bud hatte ja nicht die geringste Gelegenheit, die Schriftstücke weiter zu veräußern.

 

Toady Wilton konnte Soltescu nicht leiden, besonders wenn der Rumäne getrunken hatte. Er entschuldigte sich und ging in sein Zimmer.

 

Wilton wohnte jetzt dauernd in Pennwaring. Das Herrenhaus war sein Hauptquartier und sein Heim. Sir George hatte ihm drei Zimmer in einem Seitenflügel zur Verfügung gestellt. Früher war Toady nur selten hierhergekommen, um Eric Stanton nicht zu ärgern. Aber nachdem diese Freundschaft in die Brüche gegangen war, hielt er sich als Gast in Pennwaring auf. Die großen Räume waren verschwenderisch ausgestattet, denn Toady liebte Luxus über alles. Er hatte all sein Hab und Gut aus der Stadt mitgebracht, selbst die großen Stahlkassetten aus dem Bankdepot, und er fühlte sich hier in der Abgeschlossenheit auf dem Lande viel sicherer. In London hatte er viele Feinde; auch Eric Stanton gehörte jetzt zu ihnen; und Toady war vollkommen davon überzeugt, daß Stanton nicht ruhen würde, bis er ihn zur Rechenschaft gezogen hatte. Er beschloß daher, seine Papiere durchzusehen und alles zu verbrennen, was ihn irgendwie belasten konnte. Mit Erleichterung hatte er zugesehen, wie die Stahlkassetten in einem Schrank seines Zimmers niedergestellt wurden. Sie waren alle von der Bank versiegelt. An diesem Morgen wollte er sie öffnen und den Inhalt prüfen, aber kaum hatte er das erste Siegel gelöst und die Schlüssel aus der Tasche gezogen, als er nach unten gerufen wurde.

 

Kapitel 14

 

14

 

Sir George stand ärgerlich vor dem großen Eßtisch. Soltescu saß in einem Lehnsessel, hatte die Hände in die Taschen gesteckt und schien sich über diese Entwicklung zu freuen. Als dritter war Polizeiinspektor Grayson anwesend. Toady kannte ihn von London her und wußte, daß er ein sehr fähiger Beamter war. Er wurde etwas unruhig, als er ihn sah.

 

»Haben Sie schon das Neueste gehört?« fragte Sir George entrüstet.

 

»Nein.«

 

»Kitson ist im Portland-Gefängnis!«

 

Toady erschrak und wurde noch bleicher.

 

»Aber wie ist denn das gekommen?« fragte er verstört.

 

»Erzählen Sie es ihm doch, Inspektor«, sagte Sir George, der jetzt nervös im Zimmer auf und ab ging.

 

»Es ist eine merkwürdige Geschichte«, begann Grayson mit einem sonderbaren Lächeln. »Ihr Freund, wenn ich so sagen darf – der Mann behauptet wenigstens, daß Sie sein Freund seien, und Sir George sagte mir, daß Sie ihn jedenfalls kennen –, wurde vor drei Tagen in London verhaftet. Sie haben vielleicht in der Zeitung gelesen, daß vor einigen Wochen ein Mann aus dem Gefängnis von Portland ausgebrochen ist, den die Polizei bisher noch nicht wieder finden konnte. Man nahm allgemein an, daß er sich nach London gewandt hätte, und allen Polizeistationen wurde seine Personalbeschreibung mitgeteilt. Am vergangenen Dienstagmorgen fand nun ein Polizist auf seinem Patrouillengang einen bewußtlosen Mann in einem Torweg. Er versuchte, ihn zu wecken, denn er hielt ihn für betrunken. Als ihm das nicht gelang, holte er Hilfe herbei und brachte ihn in einem Wagen zur Polizeistation. Man entdeckte dann, daß der Mann unter seinen Kleidern einen Sträflingsanzug trug. Alles stimmte genau, sogar die Gefängnisnummer. Es blieb nichts anderes übrig, als ihn zu verhaften und sich mit der Verwaltung des Portland-Gefängnisses in Verbindung zu setzen. Am nächsten Morgen kam der Mann zu sich und protestierte heftig gegen die Anklage. Er erzählte eine unglaubliche Geschichte, daß man ihn betäubt habe. Trotzdem wurde er oberflächlich von den Wärtern wiedererkannt, die ihn nach Portland brachten. Der Gefängnisdirektor und der Anstaltsarzt haben ihn dann verhört. Er blieb aber hartnäckig bei seiner Behauptung, daß er nicht der entkommene Sträfling sei. Als man ihn genauer untersuchte, fand man auch heraus, daß ein Irrtum vorliegen mußte. Die Nummern der Sachen wurden verglichen, und man entdeckte, daß sie gefälscht waren. Die Sache ist ein großes Rätsel. Ich bin nun von London gekommen und möchte Sir George und Sie bitten, mich nach dem Gefängnis von Portland zu begleiten. Die Persönlichkeit des Mannes, der sich selbst Kitson nennt, muß festgestellt werden.«

 

»Ich glaube bestimmt, daß er es ist«, entgegnete Sir George. »Ich habe selbst das Bild des ausgebrochenen Gefangenen gesehen, und mir ist sofort die außerordentliche Ähnlichkeit aufgefallen. Ist es tatsächlich nötig, daß ich persönlich mitkomme?«

 

»Ich fürchte, es ist unumgänglich notwendig«, erwiderte Inspektor Grayson.

 

»Wir müssen wirklich alle drei hingehen? Monsieur Soltescu braucht uns doch sicherlich nicht zu begleiten. Er will mit dem nächsten Zug fortfahren. Es genügt doch, wenn Mr. Wilton dabei ist.«

 

»Es wäre aber besser, Sie kämen alle mit.«

 

»Das ist sehr unangenehm«, meinte Sir George nach einer Pause. »Ich habe jemand hierher eingeladen, und ich wollte bei seiner Ankunft natürlich gern zugegen sein. Aber das ist nun Nebensache. Vor allem müssen wir sehen, daß dieser Pechvogel aus dem Gefängnis befreit wird. Wie weit ist es denn von hier nach Portland?«

 

»Nicht allzu weit, man kann die Strecke bequem im Auto machen.«

 

»Nun, dann bleibt also nichts anderes übrig«, erwiderte Sir George resigniert. »Wir müssen hinfahren, Toady. Holen Sie Ihren Mantel, ich lasse den Wagen sofort kommen. Bei der Gelegenheit können wir ja auch Soltescu zum Bahnhof bringen. Begleiten Sie uns, Inspektor?«

 

Der Beamte nickte.

 

»Wenn Sie es wünschen. Sonst kann ich ja auch den Zug benützen. Aber ich komme dann wahrscheinlich erst einige Stunden später in Portland an, und Sie müßten auf mich warten.«

 

Sir George war wirklich ärgerlich, denn alle seine Dispositionen wurden über den Haufen geworfen. Er hatte das Haus und das Landgut noch nicht verlassen, seitdem das Training von Portonius begonnen hatte, aber er konnte jetzt nichts ändern. Kitson durfte nicht im Gefängnis bleiben, sonst erzählte der Mann womöglich noch Dinge, die verhängnisvoll werden konnten.

 

Er sprach mit seinem Hausmeister, bevor er abfuhr.

 

»Ich erwarte einen Herrn aus der Stadt, Gillespie. Seien Sie recht liebenswürdig zu ihm. Er kann alle Räume benützen, denn er soll sich hier zu Hause fühlen. Spätestens morgen früh komme ich wieder zurück.«

 

»Jawohl, Sir George. Und wie ist es mit Portonius?« »Ach, der Mann kann das Pferd ruhig sehen. Sorgen Sie dafür, daß es ihm hier gefällt. Er ist gerade kein Gentleman«, fügte er zögernd hinzu, »aber Sie müssen ihn trotzdem als einen solchen behandeln.«

 

»Ganz wie Sie wünschen.«

 

Kurz darauf fuhren sie in dem großen, blauen Wagen des Baronets ab, um Bud Kitson aus seiner wenig angenehmen Lage zu befreien.

 

*

 

Eine halbe Stunde nach der Abfahrt Sir Georges hielt ein anderer Wagen vor der großen Treppe des Herrenhauses in Pennwaring.

 

Der Hausmeister, der darauf vorbereitet war, kam eilig die Stufen herunter, um den Fremden zu begrüßen.

 

»Es tut Sir George außerordentlich leid, daß er Sie nicht persönlich empfangen kann, aber er wurde unerwarteterweise abgerufen. Er läßt Sie bitten, es sich hier bequem zu machen, bis er zurückkommt.«

 

Der große, schlanke Herr, der aus dem Auto stieg, nickte. Als er sah, daß der Hausmeister sich um sein Gepäck kümmern wollte, sagte er leichthin: »Meinen Koffer habe ich nicht mitgebracht, ich bleibe nicht lange. Wann wird Sir George denn wieder hier sein?«

 

»Spätestens morgen früh.«

 

»Gut, dann will ich den Tag über hierbleiben. Ich habe mich telegrafisch angesagt.«

 

Der Fremde entließ seinen Chauffeur nur durch ein Kopfnicken, denn er hatte ihm schon vorher genaue Instruktionen gegeben. Der Wagen verließ den Park.

 

Der Besucher hatte viel Zeit, aber er nützte jeden Augenblick aus. Zur größten Überraschung Gillespies war sein Benehmen tadellos und höflich und paßte nicht zu der Beschreibung, die ihm Sir George gegeben hatte. Er war allerdings sehr neugierig und fragte nach allem möglichen. Auch ließ er sich alle Räume des Hauses zeigen. Er selbst hatte ein Zimmer, das neben Toady Wiltons Räumen lag.

 

Als er nach dem Mittagessen erklärte, daß er am Nachmittag etwas ausruhen wollte, atmete der geplagte Hausmeister erleichtert auf.

 

»Wollen Sie sich nicht das Pferd ansehen?« erkundigte er sich noch.

 

Wenn der Fremde die Frage bejahte, hatte der Hausmeister ja weiter nichts zu tun, als ihn der Obhut Bunchers anzuvertrauen. Das enthob ihn selbst jeder weiteren Mühe.

 

»Sie können mich um drei Uhr wieder wecken, dann sehe ich mir Portonius an. Gehört habe ich ja schon viel von ihm.«

 

Um halb zwei ging er in sein Zimmer.

 

Für einen Gast benahm er sich etwas außergewöhnlich. Er schloß die Tür zu und machte sich dann daran, die Verbindungstür zu den Räumen Toady Wiltons zu öffnen. Während Gillespie unten den anderen Dienstboten von dem merkwürdigen Fremden erzählte, durchstöberte dieser Wiltons Zimmer. Die Inspektion dauerte einige Zeit, aber als der Hausmeister ihn um drei Uhr weckte, war alles erledigt.

 

Mr. Buncher war sehr argwöhnisch und fluchte über den Leichtsinn seines Herrn, der einem Fremden gestattete, das Rennpferd zu sehen. Es gelang ihm wenigstens, zu verhindern, daß der Mann den Stall selbst betrat. Er hatte nur den oberen Flügel der Stalltür geöffnet.

 

»Wirklich ein schönes Pferd«, sagte der Besucher anerkennend und pfiff leise.

 

Portonius drehte sich um und kam zu ihm. Der Fremde schien sich sehr gut auf Pferde zu verstehen. Er streckte seine Hand aus, und der Hengst rieb seine Schnauze daran.

 

»Was machen Sie denn da?« fragte Buncher plötzlich.

 

Der Besucher sah den Trainer verwundert an.

 

»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«

 

»Sie sehen ja nach seinen Zähnen!«

 

Der andere starrte den Trainer verständnislos an, als ob er nicht begreifen könnte, was dieser von ihm wollte.

 

»Warum sollte ich denn nach seinen Zähnen sehen?« fragte er und lächelte. »Ich bin doch kein Zahnarzt!«

 

»Sir George wünscht nicht, daß andere Leute das Pferd anfassen«, entgegnete Buncher grob und schloß die Stalltür.

 

Die vielen Fragen, die der Fremde an ihn stellte, beantwortete er nur unbestimmt und widerwillig, so daß dem Gast nichts übrigblieb, als nach dem Herrenhaus zurückzukehren und sich zur Abfahrt zu rüsten. Er ging wieder auf sein Zimmer und nahm verschiedene Schriftstücke an sich, die er in Toadys Räumen gefunden hatte. Dann lehnte er sich aus dem Fenster und gab ein Signal mit einer Trillerpfeife. Der Hausmeister und Buncher hörten es ebenso wie der Chauffeur.

 

Drei Minuten später fuhr der Wagen vor. Dem Hausmeister tat es aufrichtig leid, daß der fremde Herr nicht auf die Rückkehr von Sir George warten wollte. Er hielt ihn jetzt wirklich für einen vollkommenen Gentleman, weil er ihm ein so reichhaltiges Trinkgeld gegeben hatte.

 

»Bestellen Sie Sir George bitte, daß ich sehr bedauere, ihn nicht angetroffen zu haben –«

 

Weiter kam der Besucher nicht, denn im gleichen Augenblick fuhr ein anderes Auto die große Rampe herauf und hielt dicht hinter seinem Wagen. Sir George sprang heraus und wurde wütend, als er den Gast sah.

 

Bud Kitson folgte ihm.

 

Es war nicht nötig gewesen, nach Portland zu fahren, denn schon vorher war eine Anweisung vom Innenministerium eingelaufen, den Mann freizulassen. Sir George hatte ihn auf dem Weg nach Pennwaring auf der Landstraße getroffen.

 

»Sie sind doch Milton Sands?« sagte Sir George unwirsch.

 

»Ja, so heiße ich«, entgegnete der Detektiv und zog seine Handschuhe langsam an.

 

»War dieser Herr im Hause?«

 

»Jawohl, Sir George«, erwiderte Gillespie entsetzt.

 

»Auch im Stall?«

 

»Jawohl.«

 

Der Baronet wandte sich zornig an Milton.

 

»Das war also Ihre Absicht! Deshalb haben Sie uns fortgelockt! Womöglich steckt Grayson mit Ihnen unter einer Decke!«

 

»Sie können sich denken, was Sie wollen«, erwiderte Milton Sands gelassen. »Jedenfalls habe ich Ihnen einen Besuch gemacht, und das genügt mir. Darf ich mich von Ihnen verabschieden?«

 

Er lüftete den Hut und wollte die Treppe hinuntergehen. Aber der Baronet trat ihm in den Weg.

 

»Sie gehen nicht eher von hier fort, bis ich genau weiß, was Sie hier gemacht haben. Am Ende nehmen Sie noch etwas mit – ein Mann, der sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen den Zutritt in ein fremdes Haus verschafft, muß sich gefallen lassen, daß man ihn durchsucht.«

 

»Sie werden mich nicht durchsuchen«, entgegnete Milton lächelnd. –

 

Sir George packte ihn am Arm. Im gleichen Augenblick wandte sich Milton aber um und versetzte ihm einen Faustschlag gegen das Kinn, daß der Mann rückwärts die Treppe hinuntertaumelte.

 

»Fassen Sie ihn, Bud«, brüllte Sir George.

 

»Das werde ich nicht gestatten.« Milton hielt die beiden jetzt durch seinen Browning in Schach und stieg schnell in den Wagen. »Ich habe in diesen kurzen Stunden gerade genug erfahren«, sagte er und neigte sich hinaus. »Soviel, daß ich ein Buch darüber schreiben könnte, Sir George! Nicht nur über das, was ich in Ihren Ställen gesehen habe, sondern auch über Ihren Freund Toady.«

 

Wilton stand dabei und hörte entsetzt zu.

 

Der Chauffeur fuhr an, und Sands winkte zum Abschied aus dem Wagen.

 

Kapitel 1

 

1

 

»Verteufeltes Pech!«

 

Die lauten, barschen Worte übertönten die Unterhaltung an dem großen Tisch, und die Spieler sahen einen Moment auf. Je nach Temperament und Veranlagung schauten sie neugierig oder ärgerlich auf den älteren Mann, der sich eben erhoben hatte. Sein abstoßendes Gesicht mit den grauen Bartstoppeln zeigte eine fahle Blässe, als er wütend um sich blickte.

 

Er trug einen schäbigen Smoking, der wenig zu seiner vornehmen Umgebung paßte. Sein weißes Hemd war nicht ganz sauber und zerknittert, und als er vom Tisch zurücktrat, sah man seine ausgefransten Hosen und die geflickten Lackschuhe.

 

Mit zitternder Hand fuhr er sich durchs Haar. Seine Gesichtsmuskeln zuckten, und sein ganzes Benehmen ließ den Kenner darauf schließen, daß er rauschgiftsüchtig war.

 

»Dieses verdammte Monte Carlo!« rief er unbeherrscht. »Niemals habe ich in diesem entsetzlichen Nest Glück! Ich gehe nach Nizza – jawohl!«

 

Weder sein Verhalten noch seine äußere Erscheinung ließen sich mit seinen Tischnachbarn in Einklang bringen. John Pentridge war ein heruntergekommener, mittelloser Mann.

 

Einer der Kasinobeamten näherte sich ihm.

 

»Wäre es nicht besser, wenn sich Monsieur außerhalb des Spielsaals etwas erholen wollte?« fragte er leise und höflich.

 

Pentridge starrte ihn wild an.

 

»Ich bleibe hier!« brüllte er. »Erst haben Sie mich um mein Geld gebracht – was wollen Sie denn jetzt noch?«

 

»Sie stören die anderen Spieler«, erklärte der Angestellte ruhig. Zwei seiner Kollegen eilten ihm zu Hilfe.

 

»Ich bleibe hier – was fällt Ihnen ein! Wollen Sie wohl Ihre Hand von meinem Arm nehmen?«

 

Aber sie hatten ihn schon fest gepackt und führten ihn durch die großen Flügeltüren aus dem Spielsaal.

 

Er wollte sich zur Wehr setzen; der stahlharte Griff der beiden Leute überzeugte ihn jedoch davon, daß er nicht die geringste Aussicht hatte, etwas gegen sie auszurichten.

 

»Morgen komme ich wieder!« rief er, als sie ihn gerade durch die Tür schleppten. »Ich komme wieder, sage ich euch, ihr Lumpen. Und dann habe ich so viel Geld, daß ich das ganze Spielernest aufkaufen kann. Ihr Spitzbuben sollt einmal nach meiner Pfeife tanzen …«

 

Als sie im Vorsaal waren und ihn an die frische Luft setzen wollten, wurde der widerspenstige Mensch plötzlich ruhig und schrak zurück.

 

Die Beamten glaubten, daß er ihnen erneut Widerstand leisten würde, und wollten gerade scharfe Maßnahmen gegen ihn anwenden.

 

»Nein – nicht dahin«, sagte er atemlos und entsetzt. »Sehen Sie die Frau da – der darf ich nicht begegnen. Lassen Sie mich auf einem anderen Weg hinaus.«

 

Die letzten Worte hatte er schnell in Französisch gesprochen. Die Kasino-Angestellten folgten seinen Blicken und bemerkten eine junge Dame, die gerade auf sie zukam.

 

Sie war ungewöhnlich schön und elegant, wenn auch unauffällig gekleidet. Abweichend von den üblichen farbenfreudigen Abendtoiletten trug sie ein enganliegendes schwarzes Kleid und einen kleinen schwarzen Hut. Sie war anscheinend eben erst mit dem Auto angekommen, denn sie hatte einen dunklen Staubmantel über dem Arm. Ein schlanker, grauhaariger Herr begleitete sie. Offenbar wollten sie in den Spielsaal gehen.

 

»Schnell einen anderen Weg«, stöhnte der Gefangene. Er zeigte nicht mehr die geringste Aufsässigkeit, nur Schrecken und Angst prägten sich in seinen Zügen aus.

 

»Rechts«, sagte der Kasinobeamte, der Mitleid mit dem Alten zu haben schien.

 

Sie brachten den unliebsamen Gast durch eine Seitentür in einen kleineren Salon und führten ihn von hier aus auf eine Terrasse.

 

»Monsieur«, erklärte der Beamte mit vollendeter Höflichkeit, »im Namen der Direktion muß ich Ihnen den Rat geben, die Spielsäle des Kasinos nicht wieder zu betreten.«

 

John Pentridge wischte sich die Stirn mit einem schmutzigen Taschentuch.

 

»Woher kommt sie bloß?« fragte er, ohne sich um seine Begleiter zu kümmern. »Das ist das Ende. Ich muß das Geschäft noch heute abend abschließen.« Die letzten Worte hatte er in Englisch gesprochen. »Wie ein Hund muß man leben, überall herumgehetzt, von einer Stadt zur anderen, von einem Land zum anderen –«

 

Plötzlich wandte er sich wieder den Kasinoleuten zu.

 

»Für heute abend habt ihr mich erledigt«, sagte er höhnisch. »Aber morgen komme ich wieder! Dann kaufe ich mir das ganze Kasino! Und die ganze Rasselbande dazu!«

 

Nach dieser Drohung verließ er die Terrasse mit unsicheren Schritten, erreichte die große Freitreppe vor dem prachtvollen Gebäude des Spielklubs und verschwand in der Menge.

 

Aber er war beobachtet worden. Ein ungefähr gleichaltriger und ebenso schlechtgekleideter Mann folgte ihm auf der breiten Straße.

 

Pentridge wandte sich wütend um, als er eine Hand auf seinem Arm fühlte.

 

»Hallo, Penty«, sagte der Fremde freundlich, fast unterwürfig. »Du wirst doch deinen alten Kameraden nicht im Stich lassen. Kennst du den alten Chummy nicht mehr? Wir haben doch mehr als ein Ding miteinander gedreht.«

 

Pentridge sah ihn ärgerlich an.

 

»Ach so, du bist es«, versetzte er böse. »Was willst du denn von mir?«

 

»Meinen Anteil will ich haben, Penty.«

 

Sie kamen gerade unter einer elektrischen Bogenlampe vorüber, und das Licht enthüllte erbarmungslos die tiefen Furchen in seinem Gesicht. Seine kleinen Augen blitzten feindlich auf.

 

»Haben wir nicht seit Jahren zusammengearbeitet?« fragte er mit brüchiger Stimme. »Haben wir uns nicht miteinander durch die ganze Welt geschlagen? Penty, denkst du noch an die alten Tage in Melbourne? Ich wünschte, wir wären wieder in Australien. Weißt du noch, wie Carbine damals in Flemington das große Rennen machte?«

 

»Hör mal zu, Chummy«, erwiderte Pentridge aufgebracht. »Weil wir uns zufällig früher mal im Gefängnis kennengelernt haben und nun beide auf der Straße liegen, habe ich noch lange keine Ursache, für dich zu sorgen. Du hast stets deinen Anteil bekommen.«

 

»Aber nicht von der großen Sache«, widersprach Chummy. »Ich meine die große Entdeckung. Darauf habe ich nämlich schon all die Jahre gewartet, daß wir die zu Geld machen könnten. Hier in Monte Carlo ist ein reicher Kerl, ein Rumäne. Er hat schon überall von der Erfindung erzählt, die er jetzt kaufen will, und so habe ich auch davon gehört. Ich bin doch daran beteiligt, denn ich habe dir geholfen, die Pläne zu klauen. Und wenn du nicht mit mir teilen willst, kann ich ja heute abend noch zu einer gewissen jungen Dame gehen, die gerade mit dem Auto nach Monte gekommen ist.« Seine Stimme klang drohend. »In einer Stunde fährt sie nach Marseille zurück. Wenn ich der sage, daß …«

 

»Halt das Maul«, zischte Pentridge. Er war so erregt, daß seine Lippen zuckten. »Komm mit, wir wollen die Sache in aller Ruhe besprechen. Geh aber nicht neben mir, sondern bleibe in einiger Entfernung – ich will nicht, daß man uns hier zusammen sieht.«

 

Er ging durch die belebten Straßen Monte Carlos zu dem vornehmen Villenviertel der reichen Leute, das abseits des regen Verkehrs lag, und bog schließlich in den Torweg eines großen Hauses ein.

 

»Wohin gehst du denn?« fragte Chummy und blieb argwöhnisch stehen.

 

»Wir wollen uns doch an einem ruhigen Platz unterhalten. Komm nur mit, hier wohnt ein Freund von mir.«

 

Nur widerstrebend folgte ihm Chummy auf den düsteren Weg, der dicht von Bäumen beschattet wurde.

 

Pentridge griff nach dem Totschläger in seiner Tasche.

 

»Was ich dir sagen wollte –«, begann Chummy, aber weiter kam er nicht, denn Pentridge schlug mehrmals heftig auf ihn ein.

 

Zwei Minuten später trat der Verbrecher aus der finsteren Allee und ging mit schnellen Schritten davon. Der Zug nach Nizza fuhr gerade an, als er den Bahnsteig erreichte, und es gelang ihm, noch aufzuspringen. In einem leeren Abteil ließ er sich nieder, beruhigt in der Überzeugung, daß niemand ihn mit seinem früheren Freund gesehen hatte. Hiermit schien er auch recht zu behalten, denn als der Tote am nächsten Morgen gefunden wurde, meldete sich niemand, der über den Mörder etwas aussagen konnte. In Monte Carlo werden derartige Verbrechen möglichst geheimgehalten, da man die Fremden nicht erschrecken will. Infolgedessen wurden die Nachforschungen noch am ersten Tage eingestellt, und Chummy wurde in einem stillen Winkel des Friedhofes begraben, wo die Namenlosen beigesetzt werden.

 

7. Kapitel

 

7. Kapitel

 

Miss Plumpudding

 

»Noch niemand ist dadurch ruiniert worden, daß er sich mit kleinen Profiten begnügte«, orakelte Anthony Newton.

 

»Der Ausspruch kommt mir so bekannt vor – ich muß ihn in einem Buch gelesen haben«, sagte Pinkey.

 

Sie speisten miteinander in einem vornehmen Lokal zu Abend.

 

»Es ist doch merkwürdig, daß ich noch niemals hereingelegt worden bin. Ich habe aus den schärfsten und schlimmsten Geschäftsleuten der Stadt Geld herausgeholt, ich habe selbst Kautionsschwindler übers Ohr gehauen, ich habe Geld von einem Wucherer der schlimmsten Sorte genommen und es nicht zurückgezahlt. Ich habe mich mit Tod und Teufel herumgeschlagen und dem Schicksal meinen Lebensunterhalt abgetrotzt.«

 

»Das Merkwürdigste an Ihnen ist Ihre schamlose Bescheidenheit«, meinte Pinkey.

 

Pinkey Stephens war ein Rechtsanwalt, der zwar ein Büro unterhielt, aber außerdem als Autor von Liebesgeschichten viel Geld verdiente. Seine Romane erschienen meistens in der Jungmädchenzeitschrift »Jedes Mädchenherz schlägt höher«. Seine Praxis als Jurist brachte ihm nur so viel ein, daß er seine Zigaretten und seine Fahrten in das Büro davon hätte bezahlen können. Trotz seiner Jugend besaß Pinkey schon einen kahlen Kopf; eine einzige, glänzende, glatte Fläche zog sich von der Stirn bis zum Genick. Außerdem hatte er die Angewohnheit, eine lange Pfeife zu rauchen und nie mit Autobussen zu fahren.

 

»Es tut mir leid, daß Sie mir das sagen«, erwiderte Anthony nachdenklich. »Ich dachte immer, daß Schüchternheit meine Schwäche sei. Möglicherweise irre ich mich darin. Aber sehen Sie, ich brachte mein kleines Vermögen dadurch zusammen, daß ich gemeinen Menschen Geld abnahm, das sie auf unehrliche Weise erworben hatten. Ein Erfolg zieht den anderen nach sich. Der Name eines erfolgreichen Mannes geht von Mund zu Mund. Ich darf wohl sagen, daß ich einigermaßen stolz sein kann, daß mir jetzt eine hervorragende Firma in der City eine schwierige Aufgabe anvertrauen will, bei deren Lösung andere, ich will gerade nicht sagen bessere Leute, versagt haben.«

 

»Wer will denn Ihre Hilfe haben – etwa die Rothschilds?«

 

Aber Anthony schüttelte den Kopf.

 

»Darüber muß ich natürlich Stillschweigen bewahren«, sagte er ernst, als er sich erhob und es Pinkey überließ, das Essen zu zahlen. »Entschuldigen Sie mich, wenn ich jetzt schon aufbreche, aber ich muß noch einige Zeitungen durchsehen.«

 

»Ich habe den ›Star‹ auch noch nicht gelesen – wer hat eigentlich das Lehrlingsrennen gewonnen?«

 

Anthony Newton hatte seine Schwächen. Er gab sie zwar zu, aber doch in einer solchen Weise, daß man sie in Wirklichkeit für Tugenden und Charakterstärke halten mußte. So besaß er auch eine ausgeprägte Vorliebe für schöne Frauen, die sich jedoch. – nach seiner Behauptung – nur in scheuer Bewunderung äußerte.

 

*

 

Als er am nächsten Morgen die Treppe von seiner kostspieligen Wohnung am Russel Square hinunterstieg, sah er Miss Plumpudding. Und er wunderte sich, daß die Natur, wenn sie schon so etwas Hilfloses wie ein Mädchen hervorbrachte, ihm nicht wenigstens die Schönheit mit in die Wiege legte, um etwas zu schaffen, das gut anzusehen sei. Aber Miss Plumpudding war keine Augenweide. Sie war plump und dick, ihre Haare sahen aus, als wären sie mit einem Staubsauger frisiert worden, und ihr Teint erweckte den Eindruck, als sei er durch ein Sieb von der Sonne bestrahlt worden. Wenn sie lächelte, was bei ihrem gutmütigen Charakter häufig geschah, so zeigte sich auch, daß sie sehr schlechte Zähne hatte.

 

»Wer ist denn diese aufgetakelte Schönheit?« fragte Anthony den Portier. Er wohnte nämlich in einer Pension, in der es einen richtigen Portier und wirkliche Kellner mit weißen Vorhemden gab.

 

»Das ist Miss Jibble, mein Herr, Miss Eliza Jibble.«

 

»So sieht sie auch aus«, sagte Anthony ungalant.

 

Er dachte für sich, daß sie wie ein Plumpudding aussähe, den allerdings ein Koch zubereitet hatte, der nur aushilfsweise tätig war, während der wirkliche Koch Ferien hatte.

 

Zum erstenmal hatte er sie in der Diele gesehen, die von der Inhaberin der Pension ›der Ruheplatz‹ genannt wurde. Aber sie wäre wohl sehr ärgerlich geworden, wenn sie jemand dabei ertappt hätte, der sich dort auf der Chaiselongue wirklich hingelegt hätte. Miss Jibble saß damals mit einem dunkelhäutigen, dicken, jungen Mann zusammen. In ihrer Gesellschaft befand sich noch eine ältere Frau, die offenbar Miss Jibbles Mutter war. Sie trug überall Diamanten, wo man sie nur überhaupt anbringen konnte.

 

Sie unterhielten sich eifrig und leise, als Anthony an dem Vorhang vorbeikam, der den Zugang zur Diele nur halb verdeckte. Er sah, wie der junge Mann Miss Plumpudding neckisch ins Ohr zwickte, und schüttelte sich vor Grauen.

 

»Du mußt das abnehmen, Liz«, sagte Miss Jibbles. Mutter.

 

Miss Plumpudding drehte sich um und erblickte Anthony in der Türöffnung. Sofort zog sie ihre dicke Hand von dem Tisch zurück.

 

Anthony beobachtete es, als er die Pension verließ. Dies hatte sich ein paar Tage früher ereignet, bevor er ihren Namen erfuhr und bevor er den ungewöhnlichen Auftrag von der Firma Tanker & Co. erhielt.

 

Es ging Anthony verhältnismäßig gut, und er war fest entschlossen, es weiterzubringen. Er hatte jenen festen Glauben an sich, der den Grundstock jedes Vertreters und besonders des Geschäftsreisenden ist. Er war davon überzeugt, daß er auch altmodische Hüte an die Mitglieder einer Freiluftkolonie verkaufen könnte, die Sandalen trugen, barhäuptig herumliefen und nur von Liebe und Rohkost lebten.

 

Als er aus dem Kriege zurückkam und die Uniform auszog, fand er, daß die Welt hart und unfreundlich geworden war und man darin schwer seinen Platz behaupten konnte. Wenn er die Zeitung aufschlug, fand er Annoncen und Stellenangebote, unter denen ausdrücklich die Worte standen: »Frühere Offiziere und Sträflinge dürfen sich nicht meiden.« Trotzdem bewarb er sich, obgleich er das eine war und ernstlich überlegte, ob es nicht ratsam sei, das andere zu werden.

 

Nun war er auf dem Wege zur City. Er schwang einen Spazierstock mit einem beinahe goldenen Knopf und hatte ein Monokel ins Auge geklemmt. Sein Zylinder war tadellos glatt und spiegelblank, und seine echte Platinuhrkette glitzerte in der Sonne. Außerdem trug er zitronengelbe Handschuhe.

 

Zu dem Büro der Firma Tanker & Co. mußte man eine Anzahl von Treppen emporsteigen. Das Haus lag in einer engen Seitenstraße der City, wo von morgens bis abends von Pferden schwere Wagen auf Schienen gezogen wurden und den ganzen Verkehr behinderten. Die Straße ist beinahe unpassierbar, nur ganz dünne oder rücksichtslose Leute können sich durchzwängen. In der City kennt man mehrere solcher Straßen.

 

Anthony eilte die Treppe empor, indem er immer zwei Stufen zugleich nahm, und drängte sich durch eine Tür, die gerade groß genug war, um die Büros, die dahinter lagen, zugig zu machen. Er kam durch einen schmalen, engen Gang zu einem Schalter, der durch ein Messinggitter geschlossen war. Dahinter saß eine Frau, die Anthony für eine frühere Bardame hielt und die wohl schon bessere Tage gesehen hatte.

 

»Mr. Tanker erwartet Sie bereits – wollen Sie, bitte, näher treten?« fragte sie in einem halb traurigen Ton. Er ging durch eine andere Tür in einen Büroraum, von dem aus man die enge, schmutzige Straße übersehen konnte.

 

Ein älterer Herr saß vor seinem Schreibtisch und schaute den Besucher über die Gläser seiner Brille an.

 

»Ach, Sie sind Mr. Newton. Treten Sie bitte näher, treten Sie näher. Was für ein schöner Tag, was für ein schöner Tag!«

 

»Das stimmt, das stimmt!« erwiderte Anthony.

 

Mr. Tanker hätte die Angewohnheit, alle platten Redensarten, die er vorbrachte, zu wiederholen.

 

»Nehmen Sie Platz, nehmen Sie Platz, Mr. Newton. Ich glaube, ich kann diese Angelegenheit sehr schnell und in sehr kurzer Zeit mit Ihnen erledigen – in sehr kurzer Zeit. Ich habe Ihnen geschrieben, daß ich von Ihnen hörte.« Mr. Tanker sprach sehr rasch. »Sind noch ein junger Mann, ein junger Mann? Noch kräftig, gesund und all dergleichen? Haben Sie auch Geld?«

 

»O ja, ich habe ein wenig Vermögen«, entgegnete Anthony bescheiden.

 

»Natürlich haben Sie das! Mein Freund Belter erzählte mir, daß Sie mit dem Gedanken umgehen, das Medusa-Hotel zu kaufen.«

 

In der Tat hatte Anthony schon daran gedacht, die verschiedensten Hotels zu kaufen. In seiner freien Zeit ging er zu Häuseragenten, und in seinem Zimmer lagen ihre Ankündigungen herum. Er hatte schon manchen schönen Prospekt durchgeblättert, in dem meistens auf. kostbaren Papieren eine Ansicht der Halle oder des Parkes, eine Partie aus dem Rosengarten oder von der Terrasse, oder der Speiseraum von der Musikgalerie aus abgebildet waren. Er pflegte seine Post im Bett zu öffnen und war unentschlossen, ob er sich wohler fühlen würde in Fothingay Manor (›540 Morgen, weitere Ländereien können dazu erworben werden. Vier Einzelhäuser: jeder moderne Komfort‹) oder in Soke Priory (›Der Eigentümer hat ungefähr zehntausend Pfund zur Verbesserung der Anlage aufgewandt. Sandiger Boden und herrliche Aussicht auf die Gegend von Chiltern Hundreds‹).

 

Und dann pflegte er aufzustehen und sein Bankbuch nachzurechnen, weil der Leiter der Depositenkasse geschrieben hatte, daß sein Konto überzogen sei.

 

»Ja, da haben Sie recht, aber ich will gerade jetzt im Augenblick noch nicht kaufen.« Er wußte nicht, ob die Firma Tanker & Co. Hausagenten waren. Auf dem Briefkopf stand nur: »Generalagentur in Vertrauenssachen.« Das ließ sich doch nicht gut mit einem Häuseragenten in Einklang bringen, denn an dessen Geschäft ist nichts Geheimnisvolles, da er ja im allgemeinen nichts zu verschweigen hat. Er erzählt höchstens dem Käufer nicht gleich alle Mängel des Daches und der Röhren und ähnliches.

 

»Ich verstehe, ich verstehe«, sagte Mr. Tanker, der dadurch in keiner Weise berührt zu sein schien. »Wirklich, Mr. Newton, ich glaube, da tun Sie ganz gut daran, da tun Sie ganz gut daran. Häuser und feste Liegenschaften sind zur Zeit eine schlechte Kapitalsanlage, eine schlechte Kapitalsanlage.«

 

Also war Mr. Tanker kein Häuseragent, dachte Anthony.

 

»Ich will Sie in einer sehr diskreten Angelegenheit sprechen. Ich möchte Ihnen gern etwas anvertrauen. Kann ich das? Kann ich das?«

 

»Tun Sie es nur, tun Sie es nur.«

 

»Ich bin gestern abend direkt in Ihre Pension gekommen, um Sie zu sehen. Nicht um mit Ihnen zu sprechen, o nein, o nein. Ich wollte Sie nur sehen, nur sehen. Ich verstehe mich sehr gut auf die Beurteilung der Charaktere. Ich wußte vorher noch nicht, ob Sie der richtige Mann für mich wären, auch noch nicht, als ich Ihre Zusage erhalten hatte. Aber jetzt weiß ich es, Mr. Newton. Sie sind mein Mann, Sie sind mein Mann.«

 

Er streckte seine Hand aus, und Anthony nahm sie, obgleich nichts darin war.

 

»Ich will Ihnen jetzt einmal den Fall ganz kurz erzählen. Wir sind keine Rechtsanwaltsfirma. Früher war ich es wohl, aber jetzt habe ich es aufgegeben. Vor vielen Jahren ist einmal eine unangenehme Sache passiert. Ich konnte eigentlich nicht dafür verantwortlich gemacht werden, weil ich zu der Zeit verreist war, aber es würde mir doch schließlich alles in die Schuhe geschoben, aber das hat nichts zu sagen, das hat nichts zu sagen.«

 

Mit einer Handbewegung hatte er die ganze Sache abgetan. Solche Kleinigkeiten wie die Ausstoßung aus dem Rechtsanwaltsstande, waren nicht wert, daß man darüber sprach.

 

»Aber obwohl ich kein Rechtsanwalt bin, habe ich doch viele Klienten, Leute mit großen Titeln, Leute mit bedeutendem Vermögen. Manchmal haben wir auch ganz sonderbare und merkwürdige Aufträge auszuführen.«

 

»Natürlich«, sagte Anthony zuvorkommend. »Jedes Geschäft, das mehr als zehn Prozent abwirft, ist sonderbar und merkwürdig.«

 

Mr. Tanker zog die Stirne kraus.

 

»Ich spreche augenblicklich nicht von Geldgeschäften, nein, nein. Obgleich wir sehr gut bezahlt werden und auch sehr gut zahlen.«

 

Er öffnete eine Schublade seines Schreibtisches und nahm ein Bündel Papiere heraus, die mit einer roten Schnur zusammengebunden waren. Er öffnete die Schnüre nicht, sondern sah Anthony an.

 

»Haben Sie jemals Liebesbriefe geschrieben?« fragte er plötzlich unerwartet.

 

»Hunderte, es können auch Tausende gewesen sein.«

 

Mr. Tanker nickte.

 

»Würden Sie für ein gutes Gehalt, sagen wir einmal zwanzig Pfund für das einzelne Schreiben, Liebesbriefe an eine Dame schreiben, die Sie noch nicht gesehen haben? – Ich muß Ihnen das natürlich erklären«, fuhr er fort, als er Anthonys erstauntem Blick begegnete. »Meine Klientin ist eine reiche Witwe, die eine junge, wunderbar schöne, aber romantisch veranlagte Tochter hat. Unglücklicherweise hat sich das Mädchen in den Chauffeur Ihrer Hoheit – bitte vergessen Sie, was ich eben sagte, und denken Sie nur, daß es sich um eine ganz gewöhnliche Frau handelt. Meine Klientin hat natürlich den Chauffeur sofort entlassen. Das junge Mädchen trauert ihm nun nach – sie ist gerade nicht verliebt in ihn – sie ist eben verliebt, weil sie gerade in dem Alter ist – Sie verstehen, was ich meine?« Er machte eine Pause und sah seinen Besucher bedeutsam an.

 

»Was soll ich denn nun tun?« fragte Anthony, der schon ganz für die Sache gewonnen war.

 

»Sie sollen ihr schreiben, daß Sie sie im Park gesehen haben. Erzählen Sie ihr, daß ihr bloßer Anblick Sonnenschein ist, daß na, und all so etwas. Sagen Sie ihr, vielmehr schreiben Sie ihr, daß Sie sich ihr selbst zu Füßen werfen wollen – aber das alles müssen Sie doch selber viel besser wissen. Wir wollen nur erreichen, daß das Mädchen den Chauffeur vollständig vergißt. Eine Liebe verdrängt die andere. Jetzt ist nur noch die Frage, ob Ihre Ausdrucksweise auch genügend romantisch und blumenreich ist?«

 

»Ach, darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen«, erwiderte Anthony. »Ich habe einen wunderbaren Stil. Soll ich die Briefe mit meinem eigenen Namen unterzeichnen?«

 

Mr. Tanker zuckte die Schultern.

 

»Ein Anfangsbuchstabe würde genügen, aber das können Sie machen, wie Sie wollen. Ich möchte jedoch nicht, daß das junge Mädchen sich nun tatsächlich in Sie verliebt, Mr. Newton. Sie ist die Erbin eines großen Vermögens, das würde heillose Verwicklungen geben. Ich verlange von Ihnen, daß Sie die Dame nicht ohne mein Vorwissen treffen und daß Sie alle Briefe durch meine Hände gehen lassen.«

 

»Ich will mir die Sache noch überlegen«, meinte Anthony.

 

Aber noch am selben Abend schrieb er an die Firma Tanker und legte einen Probeliebesbrief bei, der alle Wirkungen beschrieb, die der erste Anblick ihres Blumengesichts in ihm hervorgerufen hatte. Er schilderte mit einer solchen Genauigkeit, wie sein Herz darauf reagierte, wie wild es schlug, wie seine Pulse bebten und flogen, daß ein begeisterter Medizinstudent nach seiner ersten klinischen Erfahrung es nicht besser hätte machen können. Er schrieb davon, wie sein Kopf schwirrte und wie die ganze Welt plötzlich dreimal schöner erschien, und er sprach von den Erinnerungen, die er nun in seine einsame Wohnung mitgenommen hatte, und von dem kleinen Blatt, das er aufgehoben hatte, nachdem ihre Elfenfüße über den Rasen gewandelt waren.

 

Das Antwortschreiben kam sehr prompt und enthielt eine Zwanzigpfundnote. Später am Morgen klingelte Mr. Tanker Anthony an.

 

»Sie haben Ihre Sache sehr gut gemacht, bitte, fahren Sie nur so fort. Aber der zweite Brief müßte ein bißchen leidenschaftlicher sein. Sie wissen schon, was ich meine? Dann zu der Sache: Blatt und Rasen. Die Dame geht stets nur auf geebneten Wegen, meistens auf Asphalt. Sie haben doch hoffentlich nichts dagegen, daß ich Ihnen diesen kleinen Fingerzeig gebe?«

 

»Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür. Wird mir die Dame auch schreiben?«

 

»Das ist möglich«, entgegnete Mr. Tanker diplomatisch. »Wenn irgendwelche Briefe bei mir einlaufen, werde ich sie Ihnen sofort zusenden.«

 

Die Antwort auf seinen Brief kam denn auch zwei Tage später. Sie war begeistert und ekstatisch, und Anthony sah daraus, daß die Erinnerung an den Chauffeur längst aus ihrem Gedächtnis verschwunden war, und sie sich danach sehnte, ihren unbekannten Liebhaber zu sehen. Sie fragte auch an, ob er jemals in Baden-Baden oder in Aix gewesen sei.

 

Anthony suchte in seiner Pension nach Kursbüchern und Reiseführern, um die Kosten eines solchen Aufenthaltes wenigstens ungefähr berechnen zu können. Er schrieb wieder, und der zweite Brief war schon zehn Seiten lang. Als er von Tanker wiederum zwanzig Pfund erhielt, dachte er, daß es eigentlich eine Schande sei, das Geld anzunehmen. Der dritte Brief folgte am nächsten Sonntag. Er schrieb darin von den Wundern der Natur, von Sternen, vom Mond und vom Himmel, von Lilien, Wolken, Rosen, duftdurchglühten Nächten, von Seen, von zarten, schmeichelnden Winden, von Träumen, von Visionen und von Baden-Baden. Schon innerhalb vierundzwanzig Stunden hatte er die Antwort in der Hand. Das junge Mädchen erzählte ihm nun von Hunden, von Kleidern, von Geistlichen, von Liebe, von Motorrädern, vom Firmament und von Lockenwicklern, vom Tod und von kastanienbraunen Handschuhen.

 

Anthony war ganz hingerissen, als er das alles las. Und ohne an seine Belohnung zu denken, setzte er sich die halbe Nacht hin und beantwortete das Schreiben. Er hörte erst auf, als er kein Briefpapier mehr hatte. Am nächsten Morgen sandte er den Brief an Tanker. Der Portier, der das Kuvert in der Hand wog, meinte, es wäre doch wohl billiger, wenn man es mit der Paketpost schickte.

 

Der Tag ging zu langsam hin, und der Morgen brachte seiner von Sehnsucht gequälten Seele keine Linderung. Er liebte sie schon, diese kleine Herzogin. Ihr Name war Phyllis, Lady Phyllis Blank. Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und träumte von ihr, von ihren tiefen, blauen, durchsichtigen, ernsten und klaren Augen. Er überlegte sich, ob sie wohl Milanese-Strümpfe trüge. Er wußte, daß sie klein und zierlich von Gestalt war und eine elfenbeinfarbene Haut besaß. Natürlich konnte sie auch singen und musizieren. Er stellte sie sich vor in einem dunklen Raum, mit großen weiten Fenstern, die sich nach einem Rasenabhang öffneten. Weit hinten in der Ferne zogen sich bewaldete Hügel hin und erglänzten feuerrot im Schein der untergehenden Sonne gegen den amethystfarbenen Himmel. Sie spielte eine weltferne Melodie, klagend und doch wunderbar süß, einen Sang von Tod und Liebe, und von süßen, entschwebenden Erinnerungen.

 

Am dritten Tag kam endlich Nachricht. Zu seinem größten Erstaunen erhielt er sie direkt zugestellt. »Anthony Newton, Esq.« Seine Adresse war ganz richtig angegeben. Schon bei den ersten Worten schlug sein Herz heftiger.

 

»Einzig Geliebter meiner Träume«, war die Anrede. Sie wollte ihn sehen, ihm nahe sein, ihm in die Augen schauen, den süßen Klang seiner wohllautenden Stimme hören …

 

Anthony wischte sich den Schweiß von der Stirn Und lächelte zärtlich. Er war ihr alles. Verwandte, Reichtum, selbst liebenswürdige Chauffeure waren in Nichts versunken. Und so ging es fort bis zur Nachschrift.

 

Aber dann kam eben die Nachschrift.

 

»O Anthony, was soll ich tun? Meine Mutter hat einen deiner Briefe gefunden, und mein Bruder ist furchtbar wütend und sagt, daß ich dich sofort heiraten muß.«

 

Anthony taumelte eine Sekunde. Glücklicherweise war er in seinem Zimmer. Es wäre nicht gut gewesen, wenn ihm das in der Öffentlichkeit passiert wäre. Er las weiter.

 

»Mein Bruder sagt, daß er schließlich noch den Chauffeur hätte entschuldigen können, weil er meine Hand hielt, während er mir Fahrunterricht gab. Auch daß der Kühler vollständig zertrümmert wurde, als wir gegen einen Baum auf der Landstraße fuhren, wäre nicht so schlimm gewesen. Aber er kann und will mir jetzt nicht vergeben, er weist mich aus dem Hause. Anthony, mein Lieber, ich komme zu dir!«

 

Anthony zerknitterte den Brief und steckte ihn in die Tasche, setzte seinen Hut auf und raste die Treppe hinunter. Unten angekommen sprach er noch schnell mit dem Portier.

 

»Wenn irgendeine Frau hierherkommt und nach mir fragt – ich bin aus – ich bin gestern abgereist. Und wenn ein Herr kommt, dann sagen Sie ihm, daß ich schon vorige Woche weggefahren bin. Wenn sie fragt, ob ich wohlhabend bin, dann sagen Sie: Nein! Und wenn sie fragt, ob ich gut aussehe, dann sagen Sie: NEIN!«

 

»Ja, das kann ich wohl ganz gut tun, Mr. Newton«, meinte der Portier.

 

Anthony sprang in das erste Mietauto, das ihm begegnete, und fuhr im schnellsten Tempo in die City. Die Straße, in der das Büro von Tanker & Co. lag, war wieder durch drei große Möbelwagen blockiert. Aber er arbeitete sich durch, und ohne sich vorher von der Dame hinter dem Messinggitter anmelden zu lassen, brach er sofort in Mr. Tankers Büro selbst ein. Der alte Herr schaute ihn wohlwollend über seine Brillengläser an.

 

»Kommen Sie wegen Ihres Geldes, Mr. Newton? Ich war gerade im Begriff, es Ihnen zu schicken.«

 

»Nein«, rief Anthony atemlos. »Deswegen bin ich nicht hier. Ich brauche kein Geld. Sie will mich heiraten!«

 

»Die Dame, mit der Sie in Korrespondenz stehen? Aber natürlich!«

 

»Was?« schrie Anthony wild auf.

 

»Aber natürlich, aber natürlich. Was ist denn nicht richtig dabei?«

 

»Ihre Mutter hat meine Briefe gefunden. Mr. Tanker, Sie müssen mir jetzt aus dieser Geschichte heraushelfen. Ich brauche ein Schreiben von Ihnen, das genau erklärt, warum ich an die Dame geschrieben habe.«

 

Mr. Tanker schüttelte traurig den Kopf.

 

»Dann würde ich das Vertrauen meiner Klientin verraten. Ich will noch weitergehen, Mr. Newton. Ich werde alle Kenntnis, die ich von der Sache habe, ganz abstreiten. Sie sind sehr gut bezahlt worden, und da müssen Sie natürlich auch alles Risiko mit in Kauf nehmen. Es tut mir sehr leid, wirklich sehr leid. Aber offiziell weiß ich von Ihnen überhaupt nichts.«

 

Anthony setzte sich in den Stuhl ihm gegenüber und staunte.

 

»Das Vertrauen eines Klienten ist für mich unantastbar«, fuhr Mr. Tanker geschäftsmäßig fort. »Ich würde ebensowenig auch nur im Traum daran denken, die Diskretion zu brechen und mich eines Vertrauensbruchs schuldig zu machen, als es mir einfiele, mich auf den Kopf zu stellen.«

 

»Aber ich werde Sie vor Gericht verklagen, Sie alter Schuft!« rief Anthony zornig.

 

Aber Mr. Tanker lächelte nur traurig.

 

»Wie wollen Sie denn das machen? Das ist ja ganz unmöglich. Sie werden es nicht dahin bringen, daß mein Name vor Gericht auch nur genannt wird – es sei denn, daß eine Klage wegen gebrochenen Heiratsversprechens erhoben wird. Aber Sie haben ja keine Beweisgründe.«

 

»Wer ist denn eigentlich die Dame?« fragte Anthony, der wieder Herr über seine Erregung geworden war.

 

»Es ist eine Dame aus guter Familie, die Sie eben liebt. Also machen Sie keine Dummheiten – Sie hören ja, daß die Dame Sie liebt. Sie ist sogar so sehr von Ihnen eingenommen, daß sie eine Woche lang in Ihrer Pension wohnte, bevor sie uns den Auftrag gab, daß wir uns Ihnen nähern sollten.«

 

»Meine Pension … gute Familie –«, wiederholte Anthony mit hohler Stimme.

 

Mr. Tanker nickte.

 

»Sie ist eine Miss Jibble – eine von den reichen Jibbles.«

 

»Jibble …!« Anthony sprach den Namen heiser aus. »Miss Plumpudding!« stöhnte er dann und sank in seinem Stuhl zusammen.

 

»Ich sehe, Sie haben sich schon getroffen«, sagte Mr. Tanker zufrieden. »Sie haben sich schon getroffen. Wenn nur nicht schon mehr passiert ist. Sie ist ein recht angenehmes junges Mädchen.«

 

Anthony ging die Treppe ganz langsam hinunter und stand dann bestürzt und verwirrt zwischen zwei großen Wagen auf der Straße. Plötzlich fiel ihm Pinkey ein, und er ging zu dessen Büro.

 

Pinkey Stephens waren Besuche eigentlich zu keiner Zeit willkommen, und es dauerte lange, bevor er Anthony die Türe öffnete. Er nahm an, daß vielleicht ein Klient käme, der ihn sprechen wollte, und er richtete es gewöhnlich so ein, daß er seine Klienten nicht zu sehen bekam.

 

»Hallo«, sagte er recht unliebenswürdig, »was wollen Sie denn hier?«

 

»Pinkey, ich bin ruiniert, ich bin ein geschlagener Mann!« seufzte Anthony.

 

Der Rechtsanwalt war betroffen.

 

»Sie sind doch nicht etwa hierhergekommen, um juristischen Beistand von mir zu verlangen?« fragte er ängstlich. »Ich habe eigentlich meine Rechtsanwaltspraxis vollständig aufgegeben, seitdem das ›Megaphone‹ meinen letzten Roman ›Getrennte Seelen‹ angenommen hat. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«

 

Anthony schüttelte den Kopf.

 

»Kennen Sie einen Mr. Tanker?« fragte er.

 

Pinkey Stephens‘ Züge erhellten sich plötzlich. Zufällig kannte er diesen Mann. Er gehörte zu den wenigen Bekannten außer den Literaten, die sich in der Bar »Zum grünen Drachen« trafen.

 

»Tanker war früher Rechtsanwalt, aber er wurde aus dem Verband ausgestoßen, weil, er in irgendeine dunkle Affäre verwickelt war. Es ist schon lange her. Jetzt hat er ein Heiratsbüro –«

 

Anthony stöhnte schwer auf wie ein verwundeter Hirsch.

 

»Nehmen wir einmal an, Sie haben eine Tochter, die Sie nicht an den Mann bringen können«, fuhr Pinkey fort, der nun mit einmal gesprächig wurde, »dann holen Sie sich den alten Tanker, der versorgt sie schon. Ich werde an einem der nächsten Tage einen neuen Roman anfangen ›Eine Frau durch das Heiratsbüro‹…«

 

»Wir wollen aber bitte im Augenblick nicht Ihre literarischen Pläne erörtern«, bat Anthony. »Also was geschieht dann, wenn man Tanker zu Rate zieht?«

 

»Der findet eben einen Mann. Er ist in der Beziehung der schlaueste Teufel, den es überhaupt gibt. Er hat schon die unmöglichsten Partien zusammengebracht. Er hat Lola Sabine verheiratet – Sie wissen doch, die junge Dame mit den Schwanenfüßen – und ausgerechnet mit Lord Pinnut. Sie ist jetzt Lola Gräfin von Pinnut und hat ein großes Haus in Regent’s Park. Sie spricht mit niemand, der nicht mindestens in Eton erzogen wurde. Dann hat er doch das junge Mädchen an den Mann gebracht, dessen Mutter einen Trödelladen mit alten Kleidern hatte. Er hat ihr Lesli Majest verschafft, den Löwen der vornehmen Gesellschaft, und dann …«

 

»Aber wie macht er denn das?« fragte Anthony ganz krank und blaß.

 

Aber hierüber konnte ihm Pinkey keine Auskunft geben.

 

»Das ist eben sein Geheimnis. Die meisten Leute glauben, daß er seine Verbindungen durch Erpressungen und Drohungen zustande bringt. Aber es gelingen ihm auch nicht alle Partien, einige werden noch im letzten Augenblick abgesagt, wenn man sich mit dem alten Tanker ins Einvernehmen setzen kann. Ich weiß zufällig sehr viel von ihm, weil einmal einer meiner Freunde auf ihn hereingefallen ist. Er war aber sehr reich, sein Vater hatte ein großes Messinggeschäft.«

 

»Wie hat er denn den gefangen?«

 

»So einfach und durchsichtig war die Sache, daß ich heute noch nicht verstehen kann, wie Bob auf diesen Leim gegangen ist«, sagte Pinkey zornig. »Dieser alte Kerl hat ihn doch angestiftet, einem unbekannten Mädchen Liebesbriefe zu schreiben – na, was ist denn mit Ihnen los?«

 

»Nichts, nichts«, erwiderte Anthony hastig. »Aber wie hat er ihn denn dazu gebracht, das zu tun?«

 

»Er hat ihm erzählt, daß die junge Dame gerade eine unglückliche Liebe gehabt hätte und daß man sie dem Leben erhalten müsse. Die Familie stände dahinter, und der Vater würde gern für diesen Dienst zahlen. Bob ist natürlich in die Falle gegangen. Es gibt ja keinen Mann, der nicht glaubt, daß er viel bessere und schönere Liebesbriefe schreiben könnte als alle anderen. Außerdem hat sich der dumme Kerl noch obendrein wirklich in das Mädel verliebt – aber wie er sie gesehen hat, war es aus! Es hat ihn fünftausend Pfund gekostet, um eine Klage wegen gebrochenen Heiratsversprechens abzuwenden. Ich habe nie verstanden, wie er so ein verrückter Esel sein konnte!«

 

»Ja, ja, das, kann passieren«, sagte Anthony verbissen. »Lassen Sie mich einmal nachdenken.«

 

Pinkey sah ihn plötzlich entsetzt an.

 

»Großer Gott, hat er Sie etwa auch hereingelegt?«

 

»Bis jetzt hat mich noch niemand hereingelegt«, erwiderte Anthony kurz. »Stören Sie mich jetzt einmal nicht. Ich überlege gerade, wie ich ihn fassen kann.«

 

Plötzlich lächelte er, denn es war ihm etwas eingefallen. Sein gutes Gedächtnis hatte ihm schon in vielen Fällen geholfen. Er ging zu seiner Wohnung zurück. Der Portier erzählte ihm, daß eine Dame gekommen sei und nach ihm gefragt habe. Sie warte mit ihrer Mutter oben in der Diele.

 

»Es ist Miss Jibble, mein Herr. Sie wohnte einmal eine Woche lang hier. Vielleicht entsinnen Sie sich ihrer noch?«

 

»Bestellen Sie den Damen, daß ich sie auf meinem Zimmer erwarte«, sagte Anthony ernst.

 

Kaum war er in seinem Wohnzimmer angekommen, als es auch schon an der Tür klopfte.

 

»Herein!« rief Anthony mit fester Stimme.

 

Miss Jibble trat näher und sah sich scheu um. Sie schien sehr aufgeregt zu sein. Mrs. Jibble. war entsetzlich aufgedonnert und konnte nicht abstoßender aussehen.

 

»Nehmen Sie bitte Platz!«

 

»Nein, ich kann mich nicht setzen«, sagte die ältere Dame. Sie hatte eine tiefe Baßstimme und sprach so laut, daß fast die Fensterscheiben klirrten. »Ich werde mich nicht länger in diesem lasterhaften und herzlosen Hause aufhalten, als es irgendwie nötig ist.«

 

»O Mutter, sprich nicht so zu ihm«, bat Miss Jibble in herzzerreißendem Ton. »Ich bin sicher, er hat einen guten Charakter. Rede doch mit ihr, Anthony.«

 

»Sie haben mit den Gefühlen eines jungen und unschuldigen Kindes gespielt, mein Herr! Ich fordere eine Erklärung von Ihnen!«

 

»Es ist weiter gar keine Erklärung nötig. Ich sah Ihre Tochter im Park, war von ihrer überirdischen Schönheit berauscht und habe mich unsterblich in sie verliebt.«

 

Einen Augenblick lang war selbst die hartherzige Mrs. Jibble sprachlos.

 

»Niemand, der diese Dame gesehen hat«, fuhr Anthony fort, und schaute flüchtig auf Miss Plumpudding, die ihm erstaunt und mit offenem Munde zuhörte, »kann sich ihren Reizen verschließen. Wenn man sie sieht, muß man sie lieben!«

 

Er breitete seine Arme aus, aber Eliza trat einen Schritt zurück.

 

»Sie wollen also meine Tochter heiraten?« fragte Mrs. Jibble aufgeregt. »Sie haben ihren guten Ruf entehrt …«

 

»Sie heiraten?« rief Anthony in höchster Ekstase. »Das wäre das höchste Glück meines Lebens!«

 

»Wollen Sie sie wirklich heiraten?« Mrs. Jibbles Stimme klang zweifelhaft und ungläubig, was gerade nicht sehr schmeichelhaft für ihre Tochter war.

 

»Aber natürlich, das ist doch der Traum meines Lebens! O Eliza – endlich!«

 

Aber wieder wich Miss Jibble zurück, und einen Augenblick sahen sich Mutter und Tochter voller. Verwirrung an. »Aber es ist doch gar nicht nötig, daß Sie Eliza heiraten«, sagte Mrs. Jibble hastig. »Meine Tochter muß jetzt nach Südfrankreich gehen, um sich von dieser Aufregung zu erholen. Sie als Gentleman werden für die Kosten dieser Reise fraglos aufkommen. Was bedeuten denn tausend Pfund für Sie?«

 

»Genau tausend Pfund«, antwortete Anthony prompt. »Und Südfrankreich ist gerade der Platz, den ich mir für die Flitterwochen ausgesucht habe.«

 

Mrs. Jibble atmete schwer.

 

»Die Sache muß doch nicht gleich übers Knie gebrochen werden. Vielleicht werden Sie morgen früh anders denken. Vielleicht sehen Sie morgen früh ein, daß eine so übereilte Heirat Sie beide nur unglücklich macht. Hier ist meine Karte, Mr. Newton.« Sie legte eine schöngravierte Visitenkarte auf den Tisch. »Morgen werden Sie es sich vielleicht überlegt haben und nicht mehr darauf bestehen, das Leben meines armen Kindes zu ruinieren. Komm mit, Eliza.«

 

Sie verließen beide das Zimmer, und Eliza war zuerst draußen.

 

Anthony brachte eine Stunde in einem öffentlichen Auskunftsbüro zu und ging dann noch zu einem wirklichen Rechtsanwalt, der noch niemals Liebesgeschichten und Romane geschrieben hatte. Anthony kannte ihn oberflächlich. Er war ein erfolgreicher und gesuchter Jurist, der so überlaufen war, daß man in seinem Büro kaum einen Stuhl finden konnte, der noch einen ganzen Sitz hatte. Auch der große Teppich auf dem Boden war schon sehr abgenutzt.

 

»Ich möchte Sie ersuchen, unverzüglich eine Klage gegen Miss Eliza Jibble, Clarence Palace Hotel, Regent’s Park, zu erheben.«

 

»Warum wollen Sie sie denn verklagen?« fragte der geschäftige Anwalt, indem er die Adresse aufschrieb.

 

»Wegen Bruch des Heiratsversprechens«, erwiderte Anthony ruhig.

 

Der Rechtsanwalt zeigte nicht das mindeste Erstaunen.

 

»Meine Klage ist sehr dringend«, betonte Anthony, »Wenn es nötig ist, will ich den ganzen Nachmittag in Ihrem Büro zubringen.«

 

»Das ist weder nötig noch erwünscht«, entgegnete ihm der Anwalt und klingelte seinem Schreiber.

 

Am nächsten Morgen um elf Uhr wurde Anthony von Mr. Tanker angerufen.

 

»Eben war ein Mann von der Rechtsanwaltsfirma Hall & Bennet hier.« Mr. Tankers Stimme zitterte ein wenig. »Er überreichte mir eine Vorladung unter Strafandrohung, weil ich Zeuge in einem Prozeß wegen Bruch des Heiratsversprechens sein soll. Was, zum Teufel, soll denn das heißen?«

 

Anthony war eiskalt.

 

»Sie sagten mir doch seinerzeit, daß Ihr Name vor Gericht nur genannt werden könnte, wenn eine Klage wegen Bruchs des Heiratsversprechens anhängig gemacht würde. Diese Klage habe ich jetzt eben erhoben.«

 

»Aber Sie werden doch mit dieser verdrehten Sache nicht weitergehen? Das ganze Gericht wird Sie ja auslachen!«

 

»Ich klage mindestens tausend Pfund Schadenersatz ein«, entgegnete Anthony entschieden. »Und wenn ich die tausend Pfund erst habe, können die Leute, die lachen wollen, ruhig lachen.«

 

»Sie sind verrückt«, schrie Mr. Tanker. »Es ist doch unerhört, eine junge Dame wegen Bruchs des Heiratsversprechens anzuzeigen! Nun seien Sie doch einmal vernünftig …«

 

»Das bin ich immer gewesen. Wir jungen Leute müssen ein für allemal gegen die Anschläge dieser hinterlistigen Weibsbilder geschützt werden.«

 

Eine Pause trat ein.

 

»Wenn Sie hundert Pfund bekommen, ist die Sache doch wohl in Ordnung?« fragte Mr. Tanker nach einer Weile. »Hundert Pfund ist eine Menge Geld – eine Menge Geld.«

 

»Das stimmt, das stimmt«, sagte Anthony. »Aber es sind nicht tausend, nicht tausend.«

 

Drüben wurde der Hörer angehängt.

 

Später erschien Mrs. Jibble auf der Bildfläche. Sie war in einer Verfassung, die an Wahnsinn grenzte.

 

»Was soll denn das heißen, mein Herr?« fragte sie und hielt Anthony ein Schriftstück entgegen.

 

»Das heißt, daß Ihre Tochter mich entweder heiratet oder mir Entschädigung dafür zahlt, daß sie meine heiligsten Gefühle verletzt hat. Ich lasse nicht mit mir spielen. Miss Plum – Ihre Tochter hat mein Leben vergiftet! Ich bin fest entschlossen, sie für ihr schändliches Betragen zahlen zu lassen!«

 

»Aber mein Herr …« Mrs. Jibble war den Tränen nahe, »wenn wir tausend Pfund zahlen sollen, sind wir ruiniert.«

 

»Sie können doch Ihre vielen Diamanten verkaufen«, sagte Anthony mit unerschütterlicher Ruhe. »Sie haben ja genug. Als Ihr zukünftiger Schwiegersohn …«

 

»Das werden Sie niemals werden«, schrie die Frau verzweifelt auf. »Ich würde lieber … ich würde eher …«

 

Die Unterredung endete sehr wenig zufriedenstellend für Mrs. Jibble.

 

Nachmittags um die Teezeit kam Mr. Tanker persönlich.

 

»Also sehen Sie, Mr. Newton, es hat doch gar keinen Zweck, daß wir vor Gericht gehen und uns streiten. Mrs. Jibble will nicht haben, daß Sie ihre Tochter heiraten. Sie ist bereit, Ihnen zweihundertfünfzig Pfund zu zahlen. Ich habe das Geld gleich mitgebracht.«

 

Er warf geräuschvoll ein Paket Banknoten auf den Tisch, und einen Augenblick lang war Anthony versucht, sie anzunehmen.

 

»O nein«, sagte er dann, »ich kann nicht meine heiligsten Gefühle für eine so schäbige Summe verkaufen. Das ist es ja, Mr. Tanker, ich habe Prinzipien.«

 

»Das ist ja alles gut und schön«, sagte Mr. Tanker unruhig. »Aber wir wollen nicht über Nebensachen sprechen, sondern uns an die Hauptsachen halten. Hier sind zweihundertfünfzig Pfund.«

 

»Hebe dich weg von mir, Satanas!« erwiderte Anthony.

 

Abends um elf Uhr suchte Anthony noch Pinkey Stephens auf, und diesmal war der Rechtsanwalt erfreut, seinen Bekannten zu sehen, denn er hatte ihm eine große Neuigkeit mitzuteilen.

 

»Mein Junge, wir werden eine Flasche Wein trinken.« Er suchte in seinem Büfett und brachte eine Flasche mit schwarzgoldenem Verschluß zum Vorschein. »Ich habe heute nämlich eine Geschichte für 300 Pfund verkauft.«

 

»Und ich habe meinen Roman für tausend verkauft«, entgegnete Anthony prompt. »Die Überschrift lautet: ›Trage niemals öffentlich deinen Ehering.‹ Der böse Schuft in der Geschichte ist ein früherer Rechtsanwalt, der irgendein verheiratetes Weibsstück engagierte, um den Helden in Liebesbande zu verstricken. Aber er vergaß dabei das Wichtigste, er sagte ihr nicht, daß sie ihren Trauring ablegen müsse. Das Frauenzimmer ist ebenso lieblich und anziehend wie eine bombardierte Lohgerberei. Der Kerl hat sie nur dazu angestellt, damit der jeweilige junge Mann, der immer ein hübscher und verständiger Junge ist, so aufsässig wird, daß er gerne ein kleines Vermögen zahlt, um dieses Scheusal wieder loszuwerden. Aber am Ende meines Romans triumphiert doch der Held. Er ist, wenn ich es noch nicht erwähnt haben sollte, ein schöner, junger Mann mit freundlichem Lächeln und tadellosem Auftreten, das überall Bewunderung hervorruft. Wenn er durch die. Straßen geht, schauen ihm die Frauen nach …«

 

»Das klingt nach Owen Nares«, sagte Pinkey, und Anthony fühlte sich ein wenig beleidigt.

 

8. Kapitel

 

8. Kapitel

 

Der Gast im Minnow-Klub

 

Anthony Newton war fest davon überzeugt, daß er sein Brot, wenn er es ins Wasser würfe, als Kuchen wieder herausfischen könnte. Und zwar war es sicherlich kein gewöhnlicher Kuchen, sondern einer von der besten Qualität, mit Zuckerguß und Mandeln. Viele Leute haben große Hoffnungen im Leben, aber Anthony Newton glaubte ein verbrieftes und versiegeltes Recht auf die Erfüllung seiner Wünsche zu haben. Optimismus gründet sich auf das feste Vertrauen, daß einem etwas zusteht.

 

Anthony glaubte auch, daß die Welt sich einmal in vierundzwanzig Stunden um ihn drehte, daß sie für ihn geschaffen sei und daß der liebe Gott am siebenten Tage geruhte, nachzusehen, ob er nicht etwas vergessen hätte, was Anthony Newton gebrauchen könnte.

 

Als Pinkey gerade mit einer sehr schwierigen Situation in seiner neuesten Geschichte (»Hätte er sie heiraten sollen?« Ein erschütterndes Drama von Liebe und Leidenschaft) beschäftigt war, trat Anthony in sein Arbeitszimmer und wurde recht unliebenswürdig begrüßt.

 

»Hallo«, rief Pinkey unwirsch, »haben Sie denn wirklich nichts zu tun?«

 

Anthony setzte sich bedachtsam hin, zog vorher die gutgebügelten Beinkleider hoch und legte seinen Zylinder behutsam auf einen Nebentisch.

 

»Ich brauche eine Sekretärin«, sagte er dann.

 

Pinkey fuhr entrüstet auf.

 

»Bin ich etwa ein Stellenvermittler?«

 

Aber Anthony brachte ihn durch eine Handbewegung zum Schweigen.

 

»Die Sache ist sehr ernst«, entgegnete er ruhig. »Ich brauche wirklich eine Sekretärin. Ich habe mir die Sache reiflich überlegt. Ich habe ein vollständig eingerichtetes Büro, habe eine schöne Schreibmaschine gekauft und meinen Namen an die Tür anmalen lassen. Alles, was ich nun noch nötig habe, ist eine Sekretärin. Ich möchte aber kein zerstreutes junges Mädchen haben, selbstverständlich darf sie auch nicht wie eine alte Schreckschraube aussehen. Sie muß nett und hübsch sein, das heißt in dem Maße, wie es sich, eben für ein Büro gehört. Ruhig, anständig, klug und verständnisvoll.«

 

»Maschinenschreiben braucht sie wohl nicht zu können?« fragte Pinkey ironisch.

 

»Das ist doch die Hauptsache! Ich habe eine Schreibmaschine, also muß sie auch darauf schreiben können.«

 

Der Rechtsanwalt legte die Feder nieder, lehnte sich in seinen Stuhl zurück und runzelte die Stirn.

 

»Wenn Sie sonst zu mir gekommen wären, um hier eine Sekretärin zu suchen, wäre es eine Verrücktheit gewesen, aber unter den gegebenen Verhältnissen kommen Sie gerade in einem glücklichen Moment.« Er suchte auf seinem Schreibtisch und fand ein Stück Papier.

 

»Miss Agnes Portland«, las er und reichte dem anderen die Adresse. »Sie kam heute morgen zu mir. Einer meiner Freunde hat sie hergeschickt, ob ich ihr nicht eine Stelle verschaffen könnte. Sie ist eine gute Stenotypistin, war auch schon als Sekretärin tätig und ist sehr tüchtig. Wenigstens brachte sie einen solchen Empfehlungsbrief.«

 

»Ist sie denn auch …?« Anthony zögerte.

 

»O ja, sie ist auch hübsch und gesetzt, das heißt, ich kann nicht für sie garantieren. Ich hatte keinen Posten für sie ich lasse alle meine Arbeiten in einem Schreibbüro herstellen. Ihre Adresse ist auf der Rückseite vermerkt. Und nun, mein alter Freund, entschuldigen Sie mich bitte, ich habe zu schreiben.«

 

Anthony erhob sich, zog seinen Rock zurecht und nahm seinen Hut auf.

 

»Wozu brauchen Sie denn überhaupt eine Sekretärin?« fragte Pinkey. Seine Neugier war doch erwacht.

 

Anthony seufzte.

 

»Sie passen nicht mehr in die Welt«, sagte er ein wenig traurig. »In alten Tagen war das Zeichen eines Geschäftsmannes ein Laden und eine Waage – heute ist es ein Büro und eine Sekretärin. Im Augenblick bin ich ein Paria in den Geschäftskreisen der City. Die Leute sehen midi schief von der Seite an. Wo ich mich auch immer sehen lasse, flüstern sie sich zu: ›Der hat keine Sekretärin.‹ Das fällt mir auf die Nerven.«

 

»Aber das bilden Sie sich doch alles nur ein!«

 

Anthony verteidigte sich nicht. Er hatte sich wirklich ein neues Büro gemietet, hoch oben in einem kleinen Gebäude in der Nähe von Piccadilly Circus. Er hatte sich auch Briefpapier mit seinem Namen drucken lassen, hatte sich eine Schreibmaschine, ein Telefon sowie alles andere Zubehör zugelegt, das ein Geschäftsmann haben muß, obwohl er noch kein Geschäft hatte. Anthony war jedoch in diesem Punkt sehr zuversichtlich. Das würde schon noch kommen.

 

Am nächsten Morgen stellte sich Miss Portland bei ihm vor. Sie war jung, hübsch, selbstbewußt und frei in ihrem Auftreten. Sie untersuchte zunächst die Schreibmaschine, die Anthony gekauft hatte, und sagte, daß sie absolut nichts wert sei. Sie ließ sich auch nicht im mindesten von ihm irremachen. Sie sortierte Anthonys Briefe und las nicht einmal den Inhalt, oder sie sagte wenigstens, daß sie es unterlassen hätte, irgendeinen Brief zu lesen, der privaten Charakter zeigte. Dann nahm sie die Schreibmaschine, trug sie in das Geschäft zurück, wo Anthony sie gekauft hatte, und kehrte erhitzt, aber frohen Mutes mit einer viel älteren Maschine zurück, auf der man aber gut und schnell schreiben konnte.

 

Anthony war begeistert.

 

Sie tranken zusammen Tee im Büro, und Anthony erzählt« ihr die traurige Geschichte seines Lebens. Sie glaubte ihm nur so viel, wie ihr gut schien, und ließ ihn auch einiges aus ihrem Leben wissen.

 

»Wollen Sie nicht irgendein Empfehlungsschreiben oder ein Zeugnis von meinem letzten Chef haben?« fragte Miss Portland gegen Ende des Nachmittags. »Aber ich glaube, es wird Ihnen auch nicht viel helfen.«

 

»Ich stelle Leute nur nach dem persönlichen Eindruck ein, den ich von ihnen habe«, erklärte Anthony ein wenig von oben herab. »Ich habe mich selten getäuscht.«

 

Sie lächelte.

 

»Mr. Anquilina denkt dasselbe«, meinte sie trocken, »aber er hat doch einen großen Fehler gemacht …«

 

»Anquilina?« Anthonys Interesse war erwacht. »Sie meinen doch nicht den südamerikanischen Millionär?«

 

»Er ist Südamerikaner, das stimmt«, erwiderte Miss Portland. »Aber ich glaube nicht, daß er eine Million hat.«

 

»Aber mein liebes Kind« – Anthony konnte sehr liebenswürdig und väterlich sein – »das steht doch in den Zeitungen. Er hat das Triforium-Theater gekauft, Jollity, das Neue Hyppoceum und …«

 

Sie sah ihm gerade ins Gesicht und ein schalkhafter Zug lag in ihren Augen. Sie war klug und ohne Illusionen, wie es die jungen Mädchen heute sind, die in den Büros zur Sachlichkeit erzogen werden. Sie war so verständig und vernünftig wie ein männlicher Angestellter.

 

»Mr. Newton«, sagte sie, »wenn Anquilina Geschäfte oder große Geschäftshäuser gekauft hätte, würde davon eine Zeile in die Zeitungen gekommen sein? Wenn er die halbe Threadneedle Street gekauft hätte, würde sich jemand darüber aufregen? Die Bankleute wohl, die würden sich nach seiner finanziellen Lage erkundigen. Aber nur weil man annimmt, daß er die Absicht hat, Theater zu kaufen, beschäftigt sich die Öffentlichkeit mit ihm. Über Theater wird ja in den Zeitungen an sich viel geschrieben. Ich kann Ihnen nur sagen, der ganze Anquilina ist ein Bluff. Er lebt in dem besten Hotel Londons und zahlt seine Hotelrechnungen prompt, er hat eine Sekretärin – vielmehr er hatte eine, bis ich von ihm wegging –, er kennt in London alle Theaterleute. Er hat darüber gesprochen, daß er Theater kaufen will, aber ich habe ihn durchschaut. Ein Mann ist meistens sehr offen einer jungen Dame gegenüber, die er zum Souper einlädt. Aber ich liebe das nicht, und die Soupers bei Cavolo sind mir besonders unsympathisch, weil dort der Kellner immer erst diskret anklopft, bevor er eintritt.«

 

»Aber was in aller Welt ist er denn?« fragte Anthony aufs höchste erstaunt.

 

»Ich möchte es Ihnen nicht erzählen«, entgegnete Agnes zurückhaltend. »Aber wenn Sie mich fragen, was er für einen Beruf hat, so bin ich gerne dazu bereit. Er hat neben seinem Schlafzimmer noch ein größeres Wohnzimmer im Hotel – dort gibt er seine Gesellschaften. Er kann Baccarat besser spielen als die meisten anderen Leute. Deswegen mußte er ja auch schon das Rex-Hotel verlassen – der Geschäftsführer sagte, man habe sich darüber beschwert, daß seine Gäste so furchtbar fluchten und schimpften, wenn sie morgens um zwei Uhr von ihm weggingen. Ich habe den Brief selbst gesehen, den er vom Hotel bekam. Sie glauben vielleicht, daß es nicht richtig von mir sei, über meinen früheren Chef zu sprechen, aber auf gewisse Menschen braucht man keine Rücksicht zu nehmen, und Antonio Anquilina gehört zu diesen.«

 

Anthony schaute nachdenklich auf seinen Schreibtisch.

 

»Also ist er ein Verbrecher?«

 

»Das weiß ich nicht. Leute, die ihren Lebensunterhalt durch ihren Witz und ihre Pfiffigkeit erwerben, können eigentlich nicht ehrlich sein, denn ehrliche Verstandesarbeit führt zu einem ehrlichen Geschäft.«

 

Anthony nickte ernst.

 

»Ich danke Ihnen, Agnes.«

 

»Ich heiße Portland, und ich möchte auch so angeredet werden.«

 

Am selben Abend hörte Anthony von dem Minnow-Klub. Er war weniger bekannt, als man hätte annehmen sollen. Seine Mitgliederzahl war beschränkt, und seine finanziellen Hilfsquellen waren gering. Ursprünglich war er gegründet worden als ein Klub für die Geschäftsführer der großen Modehäuser im Westen Londons.

 

Allmählich kam er aber herunter, und es gehörten schließlich nur noch gewöhnliche Leute mit kleinem Einkommen dazu. Der Krieg war auch hieran schuld; ein großes Modegeschäft nach dem anderen hatte den Konkurs erklären müssen, und einige der bedeutendsten Leute waren zu Gefängnis verurteilt worden. So war der Klub nach und nach entartet.

 

Der letzte Eigentümer, Felix Sandyman, kaufte das Unternehmen für die Summe von siebenhundert Pfund. Davon zahlte er hundert Pfund bei Zeichnung des Vertrages, den Rest in monatlichen Raten von fünfzig Pfund, und erhielt dafür alles Inventar, das der Verkäufer fein säuberlich in eine Liste eingetragen hatte, einen ziemlich wertlosen Vorrat an Konserven und die Einrichtung des Billardzimmers; außerdem übernahm er einen französischen Küchenchef mit Namen Youngarry.

 

Anthony Newton traf Felix Sandyman zufällig an diesem Abend. Sie tranken zusammen, und Felix, der ernst veranlagt war und wenig Sinn für Humor hatte, schlug Anthony vor, Mitglied des Klubs zu werden.

 

»Nein, danke, das möchte ich nicht tun«, entgegnete Anthony.

 

Felix seufzte.

 

»Ich habe den Klub von einem gewissen Aronsohn gekauft, der ihn für eine faule Schuld übernommen hatte. Ich wünschte nur, daß die Leute ihre Schulden bezahlten, dann hätte ich jetzt nicht diesen Minnow-Klub am Halse.«

 

»Geht das Geschäft denn nicht gut?« fragte Anthony interessiert.

 

Mr. Sandyman machte ein so verzweifeltes Gesicht, daß Anthony die Antwort daraus erraten konnte.

 

»Ich dachte auch schon daran, den Klub dem Südamerikaner anzubieten, von dem alle Leute hier in der Stadt sprechen.«

 

Anthony erhob sich halb vom Tisch und schaute ihn an.

 

»Ich meine einen gewissen Angelina …«

 

»Anquilina«, verbesserte Anthony.

 

»Das ist er. Man sagt, daß er Häuser und Liegenschaften in, London für einen Trust aufkauft, auch Theater und anderes.«

 

Anthony holte tief Atem.

 

»Ich werde Ihren Klub kaufen.« Es war ungewöhnlich, daß Anthony etwas kaufte, ohne vorher über den Preis zu feilschen.

 

Aber diesmal tat er es. Am nächsten Mittag war er schon Eigentümer des Minnow-Klubs. Er hatte alle die alten Stühle, den abgenutzten Billardtisch, die vielen eingerahmten Stoffbilder und das nicht mehr vollständige Geschirr gekauft.

 

Er hatte nun das Recht (das er aber nicht ausübte), den französischen Koch Youngarry zu entlassen und neue Kellner anzustellen. Anstatt dessen mietete er hübsche Möbel, anständige Bestecke und Geschirre, kaufte einen neuen Teppich für das Spielzimmer, ließ ein neues Schloß an der Tür anbringen und stellte einen Schreiner an, der ein Loch in eine Türfüllung sägen und einen Schieber daran befestigen mußte, der von innen geöffnet werden konnte. Als er mit allem fertig war, ging er zu dem Stellennachweis früherer Offiziere.

 

Anthony kannte das große Zimmer, in dem seine jungen Kriegsfreunde darauf warteten, von Leuten, die in dieser Stadt gern Abenteuer erleben wollten, engagiert zu werden. Sie grüßten ihn mit großer Begeisterung, denn in früheren Tagen war Anthony eins der revolutionärsten Mitglieder dieses kleinen Klubs gewesen.

 

»O nein, ich habe meine Stellung nicht verloren, ich hatte auch keine, die ich hätte verlieren können«, erklärte er. »Ich lebe jetzt nur von meinem Witz und meinem Verstand.« Er mußte an den Ausspruch der gescheiten Miss Portland denken. »Nun, gerade nicht davon allein, aber das ist ja gleich. Ich lebe und habe drei Abende hindurch Arbeit für jeden von euch, der Baccarat spielen kann und einen Smoking besitzt. Ich zahle gut – zehn Prozent von meinem Verdienst. Es wird schon eine ganz nette Summe dabei herauskommen. Ich will einem gemeinen, niederträchtigen Ausländer einen Streich spielen.«

 

Es waren zehn Leute dort, und alle zehn wollten mitmachen. Aber nur neun hatten die erforderliche Kleidung.

 

»Du machst dann den Portier, Fairy«, sagte Anthony zu dem zehnten, und der gerade nicht sehr elegant aussehende junge Mann grinste vergnügt. »Du hast auch das dazu passende Gesicht. Nun setzt euch einmal hier um den Tisch und hört zu …«

 

Mr. Antonio Anquilina war ein untersetzter, mit viel Geschmack gekleideter Mann mittleren Alters: Er bewohnte eins der teuersten Appartements des Hotels Belami, und er fand, daß der Luxus, den er trieb, sich wohl rentierte. Er war Mitglied eines Klubs, in dem hauptsächlich prominente Persönlichkeiten der Theaterwelt speisten, und während des Mittagessens klagte er beweglich über die Verluste, die er am vergangenen Abend gehabt hatte. Durch diese Taktik gelang es ihm, immer wieder neue Leute zu seinen Spielpartien einzuladen, denn jeder spielt gern mit einem Mann, der dauernd verliert. Am nächsten Morgen war er dann gewöhnlich in der fröhlichsten Stimmung, denn sein Jammern hatte sich glänzend gelohnt.

 

Er hatte niemals wirklich ein Theater gekauft, aber er hatte sich doch nach vielen erkundigt und überall Verhandlungen geführt, die ziemlich weit gediehen waren. Geld schien bei ihm keine Rolle zu spielen, das hatte er auch immer betont. Wenn er nur die richtige Bühne finden könnte, dann würde er sofort zugreifen und kaufen. Aber unglücklicherweise fand er sie niemals. Er war auch gewillt, Theatergruppen zu finanzieren, wenn ihm der Spielplan und alles andere zusagte. Er speiste dann einige Wochen auf Kosten erwartungsvoller Theaterdirektoren, Autoren und Regisseure. Aber bisher war es noch niemand gelungen, einen Spielplan zu entwerfen, der ihm vollständig zugesagt hätte. Und zwischendurch lud er Leute, die Geld hatten und mehr dazu haben wollten, zu kaltem Putenbraten und einer Flasche Sekt auf sein Zimmer ein. Die Einladungen wurden gerne angenommen, nach Tisch wurde dann ein kleines Spielchen aufgelegt. Seine Gäste nahmen meist das Mißgeschick, das sie traf, mit philosophischer Ruhe hin, das heißt, sie kamen am nächsten Abend wieder, um ihre Verluste wettzumachen, was ihnen jedoch niemals gelang.

 

Dann gab es Unannehmlichkeiten im Hotel. Ein höflicher Geschäftsführer interviewte Mr. Antonio Anquilina und teilte ihm mit Bedauern mit, daß seine Zimmer von nächster Woche ab anderweitig vermietet seien. Antonio, der nun schon aus mehreren Hotels ausgewiesen worden war, spielte den Beleidigten, sprach davon, daß er gerichtliche Schritte gegen die Direktion unternehmen würde, und führte dasselbe Theater auf wie bei allen früheren Gelegenheiten.

 

Er dachte gerade über neue Pläne nach, als ihm eine Visitenkarte überreicht wurde.

 

»Wer ist denn dieser Mr. Anthony Newton?« fragte er seinen neuen Sekretär.

 

»Ich habe noch niemals von ihm gehört«, erwiderte der junge Mann.

 

Mr. Newton wurde hinaufgebeten, und so standen sich Anthony und Antonio gegenüber; der eine von dunkler Gesichtsfarbe, höflich lächelnd, und von einer geradezu orientalischen Liebenswürdigkeit, der andere mit harten, energischen Gesichtszügen, kühl und geschäftsmäßig.

 

»Ich habe gehört, daß Sie ein Theater kaufen wollen«, erklärte Anthony.

 

Mr. Anquilina, der nicht recht wußte, was er mit dem Fremden anfangen sollte, zeigte sich nach außen hin interessiert und nickte.

 

»Ich möchte nämlich auch ein Theater kaufen«, fuhr Anthony zum größten Erstaunen des anderen fort. »Und ich dachte mir, daß ich Ihr Partner werden könnte, Mr. Anquilina, wenn Sie Ihren Plan ausführen sollten. Ich habe ein Theaterstück, das ich gerne zur Aufführung bringen möchte …«

 

Den ganzen Nachmittag sprachen sie über Theater und Aufführungen und nichts anderes.

 

»Geld spielt bei mir keine Rolle«, sagte Anthony, als er sich erhob, um zu gehen. »Wenn ich nur das richtige Theater finde, werde ich es sofort kaufen. Geradeheraus gesagt, bin ich nicht auf einen Partner angewiesen, ich würde es auch vorziehen, die volle Verantwortlichkeit allein zu übernehmen.«

 

Mr. Anquilina gab ihm nicht nur vollkommen recht, sondern er lobte Anthony auch noch in einer schmeichlerischen Art, die an Schamlosigkeit grenzte, für sein liebenswürdiges und ehrendes Angebot. Dann lud er ihn ein, mit ihm zu Abend zu essen.

 

»Essen Sie doch mit mir im Minnow-Klub«, entgegnete Anthony.

 

»Wo?«

 

»Im Minnow-Klub.« Anthony lächelte geheimnisvoll. »Vermutlich haben Sie noch nie davon gehört? Es verkehren nur auserwählte Leute dort, es wird nicht annonciert. Ich erzähle Ihnen im Vertrauen, daß mir der Klub gehört. Ich habe ihn vor einiger Zeit gekauft, aber er macht jetzt zuviel Umstände und Unannehmlichkeiten. Auf mein Wort, wenn man mir zehntausend Pfund dafür böte, würde ich ihn losschlagen.«

 

»Rentiert er sich denn nicht?«

 

Anthony antwortete nicht direkt.

 

»Es ist weniger eine Frage des Geldes – es ist die Verantwortung, die ich mir aufgeladen habe. Ich bin aus einer sehr angesehenen Familie, und manchmal mache ich mir Gedanken, daß ich trotz aller Vorsichtsmaßregeln doch eines Tages noch große Unannehmlichkeiten durch den Klub haben könnte.«

 

Mr. Anquilina nahm die Einladung bereitwillig an.

 

Als sie zu Tisch saßen, konnte er aber nichts Ungewöhnliches erkennen. Zuerst erschien ihm der Klub sogar ein wenig heruntergekommen und schäbig. Die Mitglieder, die dort speisten, waren aber sicherlich aus guten Verhältnissen. Er vermutete sogar, daß sie wohlhabend seien, als sie zu zweien und dreien das Lokal verließen. Schließlich blieb Anthony mit seinem Gast allein, der sich täuschen ließ.

 

»Gehen denn alle Mitglieder schon so früh?« fragte er. Anthony zuckte die Schultern.

 

»Heute abend sind nur wenige hier … es sind doch verschiedene Galabälle und andere große Veranstaltungen angesagt.«

 

»Aber haben denn alle den Klub verlassen?« fragte Antonio hartnäckig.

 

Mr. Newton zögerte.

 

»Ich weiß nicht, ob ich Sie damit behelligen darf, daß ich Sie in mein Vertrauen ziehe. Aber wenn Sie sich dafür interessieren – aber nein, ich habe es mir überlegt, ich will es lieber nicht tun.«

 

Mr. Anquilina war sichtlich erregt.

 

»Ich versichere Ihnen, daß ich mich Ihres Vertrauens in jeder Weise würdig zeigen werde. – Sie erweisen mir einen großen Gefallen damit.«

 

Anthony sah ihn düster an.

 

»Nun gut, dann kommen Sie mit mir.«

 

Er stand auf, und Mr. Anquilina, der auf ein romantisches Abenteuer gefaßt war, folgte ihm. Sie stiegen eine enge Treppe hinauf und kamen zu einem kleinen Vorraum. Anthony klopfte dreimal an eine Tür. Ein Guckloch im Paneel öffnete sich und ein grimmiges Gesicht schaute sie an.

 

»Es ist alles in Ordnung, Fairy«, sagte Anthony begütigend. »Das ist ein Freund von mir.«

 

Aber der Mann schüttelte den Kopf.

 

»Ich glaube aber nicht, daß Sie jemand hereinbringen sollten, Mr. Newton, ohne daß die anderen Gäste ihre Einwilligung dazu geben.«

 

Anthony runzelte die Stirn.

 

»Bin ich denn nicht der Eigentümer des Klubs?« fragte er.

 

Das kleine Fensterchen schloß sich wieder. Mr. Anquilina, der vor Erwartung fieberte, hörte, wie die Riegel zurückgezogen wurden. Dann öffnete sich die Tür. Anthony geleitete ihn in einen mittelgroßen Raum. In der Mitte stand ein mit grünem Stoff bezogener Tisch. Er brauchte nicht erst lange zu fragen, was die neun feierlich aussehenden Leute an dem Tisch machten. Ein Mann in Hemdsärmeln mischte die Karten und teilte sie aus. Aber es war nicht das. Spiel selbst, das den Südamerikaner in Erstaunen setzte, es war die Höhe der Einsätze.

 

Sie setzten Hunderte, ja Tausende mit einer so gleichgültigen Miene, daß selbst Mr. Anquilina verwirrt wurde. Der einzige Protest kam von einem Mann, dem offenbar das Geld ausgegangen war. Er schrieb einen Scheck aus und warf ihn fluchend auf den Tisch.

 

»Verdammt, sechzehntausend habe ich nun in den beiden letzten Tagen verloren!« rief er bitter.

 

Anquilina war starr vor Staunen.

 

Sie standen beide eine Zeitlang und beobachteten das Spiel, dann klopfte Anthony seinem Gast auf die Schulter, und sie verschwanden wieder schweigend.

 

»Was halten Sie davon?«

 

Anquilina konnte nur den Kopf schütteln.

 

»Jetzt wissen Sie, warum ich so besorgt bin. Das Spiel ist zu hoch. Die Leute können zwar Verluste ertragen, das ist schließlich ihre eigene Sache. Die Einnahmen sind ja auch recht beträchtlich, und es wird absolut fair gespielt, darauf sehe ich unter allen Umständen, aber …«, er schüttelte traurig den Kopf.

 

»Mein lieber Freund«, sagte Antonio, als er sich von seinem Staunen erholt hatte, »ich verstehe Sie. Ich kann Ihnen das lebhaft nachfühlen. Sie sind ein Gentleman, Sie haben Charakter. Ich möchte den Klub von Ihnen kaufen … ich bin wohlhabend, aber ich muß meinen Liebhabereien nachgehen können. Sie als Engländer werden das begreifen. Wenn Sie einen annehmbaren Preis nennen würden, so etwa sechstausend …«

 

»Zehn«, erklärte Anthony.

 

»Sagen wir sieben. …«

 

»Neun«, erwiderte Anthony entschieden. »Es fällt mir nicht ein, mit Verlust zu verkaufen. Ich habe es ja auch gar nicht nötig, zu verkaufen. Ich habe auch meine Liebhabereien …«

 

Schließlich eigneten sie sich auf eine Kauf summe von achttausendfünfhundert Pfund.

 

Als die Bank Mr. Anquilinas am nächsten Morgen öffnete, stand Anthony schon an der Tür mit seinem Scheck, und an der nächsten Straßenecke warteten trotz des strömenden Regens zehn frühere junge Offiziere, die am vorigen Abend um mythische Hunderte und Tausende gespielt hatten, auf ihren Anteil.