Kapitel 37

 

37

 

Julius Savini hatte das Gefühl, daß sein Aufenthalt in Garre Castle sehr bald zu Ende sein würde. Der alte Bellamy war gerade nicht außergewöhnlich beleidigend gegen ihn, er tadelte ihn auch nicht wegen irgendwelcher Nachlässigkeit oder Fehler. Ebenso ereignete sich nichts, was Abel Bellamys Absicht verraten hätte, ihm zu kündigen. Aber Julius hatte diesen merkwürdigen sechsten Sinn, der ihm sagte, daß er bald eine Einnahmequelle verlieren würde.

 

Seitdem der neue Hausmeister wieder fort war, hatte er viele von dessen Pflichten übernehmen müssen. Er mußte morgens die Tür öffnen, die zu dem Vorratsraum führte, damit die Dienstboten nach oben kommen konnten. Abel Bellamys Haushalt war so eingerichtet, daß er selbst so wenig wie möglich gestört wurde. Die Bibliothek, sein Schlafzimmer und die Gänge wurden gereinigt, während er seinen Morgenspaziergang durch den Park machte – diese Gewohnheit befolgte er seit Jahren, ob es regnete, oder ob die Sonne schien.

 

Trotz seiner offensichtlichen Unentbehrlichkeit wußte Julius, daß der alte Mann an einen Wechsel dachte. Vielleicht erregte die ungewöhnliche Milde, die Bellamy jetzt zuweilen zeigte, Julius Savinis Verdacht. Er begann sich umzuschauen und zu überlegen, wie er seinen Abgang so gewinnbringend wie nur möglich für sich gestalten könnte.

 

Bellamy bewahrte nur wenig Geld im Hause selbst auf. Er hatte ein verhältnismäßig kleines Depot bei einer Filiale seiner Londoner Bank in Garre. Wenn er aber größere Summen brauchte, so mußte Savini stets mit dem Auto nach sternchenland.com London fahren, um das Geld zu holen. »Groß« ist ein relativer Begriff, und die Summen, die Julius bisher von der Bank abgehoben hatte, waren nicht so hoch, daß für Bellamy ein Risiko damit verbunden gewesen wäre. Er gab sich keinen falschen Vorstellungen über seine Rechtschaffenheit und seinen Charakter hin.

 

Wenn Savini etwas hätte stehlen wollen, so hätte er nicht nur von London, sondern gleich aus dem Lande fliehen müssen. Er bevorzugte Brasilien, denn ganz abgesehen von der etwas düsteren, unheimlichen und wilden Natur dieses großen Landes wurde dort Portugiesisch gesprochen, und das war seine Muttersprache. Er hatte sich die Sache sehr genau überlegt und die genaue Höhe der Summe festgestellt, die notwendig war, um ihm für den Rest seines Lebens ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Aber ein solcher Betrag überstieg natürlich die Höhe der Schecks, die sein argwöhnischer Herr ihm zum Einkassieren anvertraute.

 

Julius verwahrte das Scheckbuch und füllte die Schecks aus. Als er sich nun schließlich dafür entschieden hatte, seinen großen Beutezug zu machen, führte er einen Plan aus, der den Vorzug größter Einfachheit hatte. Eines Morgens brachte er ein ganzes Bündel Schecks in die Bibliothek, damit sie Bellamy unterzeichnen sollte. Es waren fast durchweg kleinere Summen, um die Rechnungen der Händler im Dorf zu bezahlen. Der letzte Scheck über einen verschwindend kleinen Betrag war für den Zeitungsagenten in Garre bestimmt.

 

»Warum bezahlen Sie denn solche Summen nicht in bar?« brummte Bellamy, als er seinen Namen unter den Scheck setzte.

 

Er ahnte nicht, daß Julius tatsächlich am Nachmittag den kleinen Betrag in bar bezahlte und den Scheck sorgfältig in seine Brieftasche legte. Das Datum, die Summe und der Name des Empfängers waren mit einer Tinte geschrieben, die nach drei Stunden wieder verschwand. Als Julius nach sternchenland.com dieser Zeit das Papier betrachtete, sah es mit Ausnahme von Bellamys Unterschrift unbeschrieben aus.

 

Am gleichen Nachmittag fuhr Julius zur Stadt und besuchte seine Frau.

 

»Besorge dir einen Überseepaß,« sagte er, »und nimm dir ein Schiffsbillet. Vermutlich müssen wir auf verschiedenen Dampfern fahren. Ich werde ein Flugzeug nach Paris nehmen und einen deutschen Dampfer von Vigo aus benützen. Ich habe einen Freund in Lissabon, der für mich Passage belegen kann, einen portugiesischen Paß besitze ich auch.«

 

»Was soll denn aus der Wohnung werden?« fragte sie. »Ich könnte doch die Möbel verkaufen?«

 

»Du wirst dich schwer hüten, etwas zu verkaufen,« rief er wild. »Die halbe Polizei wäre uns auf dem Hals, bevor du auch nur das kleinste Stück los wärest!«

 

»Aber die Einrichtung kostet doch mindestens vier- bis fünfhundert Pfund,« protestierte sie.

 

Die Höhe der Summe machte doch Eindruck auf Julius.

 

»Dann werde ich allein reisen, das ist vielleicht auch besser. Du kannst ja in einigen Monaten nachkommen. Dir wird es ja leicht sein, diesen Spürhunden zu entgehen. Fahre zuerst nach New York, dann nach Rio hinunter. Ich werde dir stets Nachricht an den alten Platz geben.«

 

Unter dem alten Platz verstand er El Moro’s, wo jeden Tag viele Briefe mit merkwürdigen Adressen ankamen und unter allerhand Vorsichtsmaßregeln heimlich abgeholt wurden.

 

Nach seiner Rückkehr nach Garre ging Julius in sein Zimmer. Im Hause war schon alles zur Ruhe gegangen. Er zog den Scheck aus seiner Brieftasche und füllte ihn für hunderttausend Dollars aus – das Depot Abel Bellamys war in Dollar eingezahlt, denn zu der Zeit stand das Pfund dem Dollar gegenüber niedrig im Kurs.

 

»Ich muß Sie morgen zur Stadt schicken, damit Sie Geld holen,« sagte Bellamy am nächsten Morgen zu Julius.

 

sternchenland.com Julius hatte auch schon fest mit diesem Auftrag gerechnet.

 

»Kann ich nicht heute schon gehen,« fragte er, denn er erinnerte sich daran, daß er den Scheck schon mit dem heutigen Datum versehen hatte. »Ich habe heute nicht besonders viel zu tun.«

 

»Sie können morgen ganz früh gehen,« sagte Abel scharf.

 

»Schreiben Sie einen Scheck für fünftausend Dollars aus.«

 

Nach einiger Zeit kam Julius mit dem gewünschten Scheck zurück und hatte außerdem noch einen Brief an den Direktor der Bank geschrieben.

 

»Was soll denn das bedeuten?« fragte Abel, der Verdacht schöpfte.

 

»Als ich das letztemal fünftausend Dollars abhob,« sagte Julius gewandt, »sagte Mr. Sturges, daß er nicht gerne so große Summen auszahlte, wenn er nicht einen Begleitbrief zu dem Scheck hätte.«

 

»Der müßte Sie doch jetzt allmählich kennen,« brummte Abel, als er den Brief unterschrieb, der den Bankdirektor anwies, dem Überbringer den präsentierten Scheck zu honorieren.

 

Das war eigentlich sehr einfach, dachte Julius. Er lachte sich heimlich ins Fäustchen, als er daran dachte, wie wütend der Alte werden würde, wenn die Sache herauskäme. Aber dann würde Julius Savini außerhalb seines Machtbereichs, vor allem außerhalb der Reichweite seiner großen Hände sein.

 

Der Plan war so gut geglückt, daß Savini nervös wurde. Wenn nun der Bankdirektor nach Garre telephonierte, um Gewißheit zu haben, bevor er den Scheck auszahlte? Es war ja auch möglich, daß die Sache entdeckt wurde, bevor er Paris erreicht hatte. Er zitterte bei dem Gedanken.

 

Am Nachmittag bestellte Bellamy seinen Wagen und fuhr mit unbekanntem Ziel ab. Julius vermutete, daß er Coldharbour Smith aufsuchen wollte, denn er hatte am Morgen eine Verbindung nach Limehouse herstellen müssen, und Abel sternchenland.com Bellamy hatte eine Viertelstunde hinter verschlossenen Türen in der Bibliothek zugebracht. Die Abwesenheit seines Herrn war Julius willkommen, denn es waren noch viele Dinge zu ordnen – er mußte seine Briefe verbrennen, seine Kleider durchsuchen, die er zurücklassen wollte, damit nichts Verdächtiges zurückblieb, das die Verfolger auf seine Spur bringen könnte.

 

Er hatte den letzten Brief verbrannt und die letzte Westentasche untersucht. Er trat aus seinem Zimmer heraus in den langen Gang und überlegte, ob seine Nervenkraft auch ausreichen würde, die nächsten Stunden noch mit Bellamy zu verbringen.

 

Auf der anderen Seite des Ganges, nahe der Treppe, befand sich eine kleine Tür, durch die er die Dienstboten immer hereinließ. Auch der Grüne Bogenschütze war durch diese verschwunden, als er damals das blutbefleckte Taschentuch auf seiner Flucht zurückließ. Seitdem der Hausmeister gegangen war, öffnete und schloß Julius diese Tür. Als er zu seinem Zimmer ging, hatte er gesehen, daß die Tür nur angelehnt war und hatte sich vorgenommen, sie bei seiner Rückkehr abzuschließen.

 

Julius stand noch und dachte über seine Flucht nach, als er plötzlich sah, wie sich die Tür langsam öffnete. Eine Sekunde lang stand er starr und sein Herz schlug wild, obgleich es heller Tag war. Allem Anschein nach kam ein Dienstbote durch, der oben eine begonnene Arbeit beenden wollte.

 

Aber die Tür wurde so geheimnisvoll und verstohlen geöffnet, daß er sofort an den Grünen Bogenschützen denken mußte. Er stand wie angewurzelt auf der Stelle. Vorsichtig trat ein Mann von hohem Wuchs und blassem Aussehen herein. Er war ohne Hut und trug eine große Hornbrille. Er konnte nur einen Augenblick lang die Gestalt des erstarrten Julius gesehen haben, dann sprang er sofort zurück und schlug die Tür mit einem lauten Krachen zu. Julius bewegte sich sternchenland.com noch immer nicht. Starr vor Staunen schaute er mit offenem Munde auf die geschlossene Tür. Er hatte den Mann erkannt – es war Mr. Howett!

 

Kapitel 38

 

38

 

Mr. Howett war durch dieselbe Tür gekommen, die der Grüne Bogenschütze benützte, wenn er trotz aller Vorsichtsmaßregeln Abel Bellamys in die Burg kam.

 

Julius atmete tief auf. Dann ging er zu seinem Zimmer zurück, holte den gefälschten Scheck aus seiner Brieftasche und verbrannte ihn im Kamin, denn er sah plötzlich einen ergiebigeren und weniger gefährlichen Weg. Howett war ein reicher Mann, und Howett würde zahlen!

 

Mit Muße nahm er seine Schlüssel, öffnete die kleine Tür und stieg langsam die Steintreppe zu dem Vorratsraum hinunter. Der Raum war vollständig leer, wie er vermutet hatte. Die Tür zur Küche war nicht verschlossen, und er trat ein.

 

»Nein, mein Herr, hier ist niemand durchgekommen,« sagte die Köchin und schüttelte den Kopf. »Die Dienstmädchen, die oben reinmachen, sind schon seit Stunden zurück.«

 

Die Tür, die ins Freie führte, war innen verriegelt und verschlossen.

 

Julius ging wieder zu dem Vorratsraum zurück, in dem Valerie Howetts Taschentuch damals gefunden wurde. Das war ihm nun kein Geheimnis mehr. Wer anders als Mr. Howett hätte es mit sich bringen können? Vielleicht hatte er bei seiner Kurzsichtigkeit das Tuch nur irrtümlicherweise genommen.

 

Es war Julius jetzt ziemlich gleichgültig, ob der alte Bellamy ihn in seinem Dienst behalten oder ihn entlassen würde, denn nun war ihm für den Rest seines Lebens eine Einnahmequelle sicher. Er ging hinaus in den Park und schaute nach sternchenland.com Lady’s Manor hinüber, als ob er schon der Besitzer sei. Er war in glückliche Träume versunken, wie er leicht zu Wohlstand und Reichtum kommen konnte, als er plötzlich einen Mann vom Pförtnerhaus her auf sich zukommen sah. Er erschrak, als er den Besucher erkannte.

 

»Donnerwetter, was haben Sie denn hier zu tun, Featherstone?« fragte er. Seine rosigen Träume zerflossen wieder.

 

»Ich benütze die Tagesstunden – ich habe gehört, daß der Alte aus ist, obwohl ich ihn zu Hause vermutete, als ich von London abfuhr.«

 

»Aber Sie können nicht in die Burg kommen, Captain Featherstone,« sagte Julius aufgeregt. »Ich kann zu leicht meine Stellung verlieren. Womöglich kündigt mir der Alte schon morgen.«

 

»Das dachte ich mir.«

 

»Das dachten Sie sich?«

 

Jim Featherstone nickte.

 

»Savini, wenn ein Mann wie Sie anfängt, bei den Schiffsagenturen Erkundigungen nach deutschen Dampfern einzuziehen, die von Vigo nach Rio fahren, dann liegt vermutlich die Gefahr nahe, daß Sie hinausgeworfen werden oder daß Sie selbst einen Wechsel der Luft und Ihrer Tätigkeit beabsichtigen. Lassen Sie sich das Eine sagen: selbst wenn Bellamy der Teufel wäre, ist es meine Pflicht, ihn vor Beraubung und Diebstahl zu schützen! Ich warne Sie, Savini. Jeder Ihrer Schritte wird bewacht, ob Sie London nun mit der prosaischen Eisenbahn oder mit dem romantischen Flugzeug verlassen.«

 

Julius hätte in Ohnmacht fallen können. Was wäre aus seiner Flucht geworden!

 

»Ich weiß nicht, warum Sie so von mir denken, Captain,« sagte er mit der unschuldigsten Miene von der Welt. »Ich versuche immer offen und ehrlich zu sein, aber ihr Polizeileute macht einem das furchtbar schwer.«

 

sternchenland.com Jim lachte.

 

»Ihre Märtyrermiene, die Sie da zur Schau tragen und die beleidigte Unschuld, die Sie mir da vorspielen, ist wirklich köstlich. Sie können mir jetzt einen großen Dienst erweisen, Julius, ich suche nämlich etwas im Garten, ich will ja gar nicht in die freiherrlichen Räume eindringen.«

 

»Was suchen Sie denn?« fragte Julius. Seine Neugierde überwand seine Furcht.

 

»Ich habe neulich abend eine Anzahl eiserner Stäbe in den Boden geschlagen und habe sie auch alle mit Ausnahme eines einzigen wiedergefunden. Es war in der Nacht, als die Hunde hinter dem Grünen Bogenschützen her waren.«

 

»Eiserne Stäbe?« fragte Julius halb ungläubig.

 

»Ich kann Ihnen jetzt nicht erklären, warum ich es getan habe. Helfen Sie mir lieber suchen. Es war in dem Gartenbeet dicht an der Mauer. Das ist doch die Rückseite von Bellamys Bibliothek, nicht wahr?« Er zeigte auf die graue Wand aus rohbehauenen Steinen.

 

Julius nickte.

 

»Sie müssen doch jetzt alle Räume im Schloß genau kennen,« sagte Savini. »Wenn der alte Bellamy nur die leiseste Ahnung gehabt hätte, daß ich wußte, wer Sie waren, dann hätte es den größten Spektakel gegeben!«

 

»Haben Sie jetzt einen neuen Hausmeister?«

 

»Das bin ich selbst,« murrte Julius böse. »Der alte Teufel behandelt mich wie einen gewöhnlichen Dienstboten!«

 

Das Suchen nach dem Stab dauerte nicht lange. Jim hatte sich kaum fünf Minuten umgesehen, als er das Eisen in dem Boden entdeckte und aus der Erde zog.

 

»Was ist denn das?« fragte Julius.

 

»Es ist ein Thermometer und die Temperatur, die es anzeigt, sind sechs Grad, das kann ich Ihnen schon im Voraus sagen, ehe ich einen Blick darauf werfe.«

 

sternchenland.com Er schleuderte es so, daß die Erde von der Glasoberfläche abfiel und prüfte den Stand, aber dann pfiff er.

 

»Zwanzig Grad?« sagte er halb zu sich selbst. »Zwanzig Grad – das bedeutet etwas, Savini. Die Erde ist hier vierzehn Grad wärmer als die Erde in dem anderen Grundstück, hier hätten wir also den Grund, warum die Gasrechnung so hoch war.«

 

»Aber was hat denn dies alles zu bedeuten?« fragte Julius, »Und was wollen Sie denn mit der Gasrechnung – Sie glauben doch nicht etwa, daß er den Boden hier heizt?«

 

»Doch, das vermute ich.« Featherstone prüfte den Stand des Thermometers noch einmal, die augenblickliche Temperatur stand auf fünfzehn, aber während der Zeit, als es in den Boden geschlagen und wieder herausgeholt wurde, zeigte es zwanzig Grad.

 

»Ich weiß nicht, was Sie damit wollen,« bemerkte Julius gereizt. »Was soll ich denn dem Alten sagen, wenn er zurückkommt?«

 

»Nichts,« war die freundliche Antwort. »Sie werden ebenso diskret und liebenswürdig wie damals sein, als ich die Ehre hatte, unter demselben Dach mit Ihnen zu schlafen.«

 

Julius wurde der Notwendigkeit zu lügen überhoben, denn in dem Augenblick, als sich Featherstone zum Gehen wandte, bog Bellamys Wagen in das Tor ein. Der große Mann sprang heraus, bevor der Wagen hielt.

 

»Haben Sie wieder einen Befehl, die Burg zu durchsuchen?« fragte er. »Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Captain Featherstone. Was ich hier in England am meisten schätze, ist die Art und Weise, wie fremde Leute in fremde Grundstücke kommen, ohne daß man sie eingeladen hat. Was haben Sie denn da?« fragte er scharf.

 

Ohne ein Wort zu verlieren, reichte ihm Jim die lange Eisenstange. Bellamy zog die Stirne kraus.

 

»Kurz bevor ich Ihren Dienst verließ, Mr. Bellamy, habe sternchenland.com ich mir die Freiheit genommen, rings um die Burg Eisenstäbe in den Boden zu schlagen, an denen selbstregistrierende Thermometer befestigt waren. Alle mit Ausnahme dieses einen zeigten eine Temperatur von sechs Grad, als ich sie herausnahm. Dieses fand ich damals nicht wieder, und als ich es heute herausnahm, zeigte es zwanzig.«

 

In Bellamys Gesicht zuckte kein Muskel.

 

»Vielleicht haben Sie einen Vulkan entdeckt,« meinte er ironisch, »oder eine heiße Quelle. Haben Sie die Absicht, mich ins Gefängnis zu stecken, weil der Boden hier heiß ist?«

 

»Ich erlaube mir nur die Bemerkung, daß es merkwürdig ist.«

 

Bellamy lachte heiser.

 

»Ich möchte nicht gern einem so klugen Menschen wie Ihnen widersprechen, Featherstone,« sagte er dann. »Aber wenn Sie in dem Pförtnerhaus nachsehen, werden Sie finden, daß ich mit echt amerikanischer Gründlichkeit eine Warmwasserleitung dorthin gelegt habe. Sicher haben Sie nun dies Heißwasserrohr erwischt, und wir haben es also schon wieder einmal mit einer Wasserröhre zu tun!«

 

Er lachte, als ob er sich über einen guten Witz auf Kosten des Detektivs freute.

 

»Aber trotzdem,« fuhr er fort, »möchte ich doch gerne wissen, was Sie gefunden zu haben glauben.«

 

»Ich hatte natürlich nicht erwartet, eine Warmwasserleitung zu finden,« entgegnete Featherstone.

 

Die Erklärung Bellamys war durchaus logisch und stichhaltig, und Jim fühlte, daß Abel Bellamy gewonnen hatte. Die Nachforschungen, die er sofort in dem Pförtnerhaus anstellte, bestätigten die Angaben des Alten.

 

Spike Holland gegenüber gestand er seinen Mißerfolg ein.

 

»Ich kann nicht genau sagen, was ich eigentlich finden wollte. Aber es war doch klar, daß die großen Gasmengen an Stellen verwandt wurden, die man nicht sehen konnte. sternchenland.com Während ich in der Burg war, hatte ich die Gelegenheit, den Gasometer zu beobachten. Es wird viel mehr Gas in Garre gebraucht, als die Öfen jemals rechtfertigen.«

 

»Ich möchte Ihnen etwas erzählen,« sagte Spike, nachdem sie sich über das Gasproblem ausgesprochen hatten. »Es ist ein Fremder in dem Dorf angekommen, seitdem Sie fort sind. Er wohnt in einem Hause in der Nähe von Lady’s Manor, und ich sah ihn abends und nachts in der Nähe von Mr. Howetts Wohnung umherwandern.«

 

»Das konnte ich mir denken,« erwiderte Jim lachend. »Das ist einer meiner Beamten, der den Auftrag hat, hier alles zu beobachten. Es ist nur schade, daß dieser Posten heute eingezogen werden muß,« sagte er ernst. »Es fehlen uns Leute, und ich kann keinen einwandfreien Grund dafür angeben, warum er hierbleiben müßte. Nun ist es an Ihnen, Holland, mir nach Kräften zu helfen. Ich möchte Sie auch in mein Vertrauen ziehen und Ihnen mitteilen, daß sich Miß Howett in einer ernsten Gefahr befindet. Welcher Art diese Gefahr ist, kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich es selbst nicht weiß. Es ist mir nur bekannt, daß Bellamy aus irgendeinem Grund Valerie Howett furchtbar haßt. Wenn ich mich nicht vollständig irre, plant er etwas Entsetzliches gegen sie. Wenn Sie bereit sind, weiter hier zu bleiben, will ich zusehen, daß ich Ihren Redakteur aufsuchen und ihm klarmachen kann, daß Ihre Anwesenheit hier notwendig ist. Ich kann ihm genug erzählen und ihn überzeugen, daß es hier noch eine Sensation geben wird. Und wenn Sie mir helfen, dann werde ich sehen, daß Sie alle Berichte zuerst bekommen.«

 

»Und was soll ich tun?«

 

»Schlafen Sie am Tag möglichst viel und halten Sie sich nachts möglichst in der Gegend von Lady’s Manor auf.«

 

»Sind Sie auf den Grünen Bogenschützen scharf?«

 

Featherstone schüttelte den Kopf.

 

»Nein, darum kümmere ich mich nicht. Der kann für sich sternchenland.com selber sorgen, und ich bin darüber beruhigt, daß er gegen Miß Howett nichts Böses im Schilde führt. Nein, ich meine Coldharbour Smith. Glauben Sie mir, der ist meinem Frieden gefährlicher als der mörderischste Bogenschütze, der jemals einen grünen Anzug trug.«

 

Als er abends zur Stadt zurückfuhr, ließ er seinen Wagen an dem Wege halten, der nach Garre führte, und schaute zurück. Die trotzigen Umrißlinien der Burg hoben sich scharf gegen den vom letzten Abendrot durchglühten Wolkenhimmel ab und schauten düster und drohend herüber. Welches Geheimnis mochten diese Mauern hüten? Er war sicher, daß die eigentliche Tragödie der Burg noch nicht enthüllt war.

 

Kapitel 39

 

39

 

Um acht Uhr abends trat ein Dienstmädchen schüchtern in die Bibliothek Bellamys und schob den mit Rädern versehenen Serviertisch, auf dem das mehr als reichliche Mahl stand, in den Raum. Sie stellte den Wagen auf den freien Platz hinter den Schreibtisch, setzte einen Stuhl zurecht und entfernte sich wieder ängstlich.

 

Abel Bellamy, der ihre Anwesenheit scheinbar gar nicht bemerkt hatte, stand auf, als sie hinausgegangen war, und brummte einen Fluch vor sich hin, den sie aber nicht mehr hörte. Er ging zur Tür, verschloß sie und begann dann das Essen aus verschiedene Schüsseln und Teller zu verteilen, ohne sich zu setzen. Als er damit fertig war, näherte er sich dem Schreibtisch und zog ihn zurück, bis der Teppich, auf dem er stand, ganz frei lag. Diesen rollte er sorgfältig auf, so daß der Parkettboden sichtbar wurde.

 

Aus einer Schublade nahm er einen kleinen Vacuumheber, über den sich Julius schon oft den Kopf zerbrochen hatte, preßte ihn auf eins der kleinen hölzernen Quadrate, aus denen sich der Fußboden zusammensetzte, und hob eine Platte heraus. sternchenland.com Darunter kam ein Schlüsselloch zum Vorschein. Er steckte den Schlüssel hinein, den er an einer Kette trug, faßte die Kante des Holzes und zog sie hoch. Es war eine Falltür. Das Ganze war so schlau ersonnen, daß man es nicht erkennen konnte, wenn es zusammengeschoben war. Darunter befand sich offenbar fester Steinboden, in den ein kleines Metallschloß eingelassen war.

 

Wieder brauchte er seinen Schlüssel. Als er aufgeschlossen hatte, setzte er seinen Fuß auf den Stein und drückte nach unten. Die schwere Steinplatte drehte sich halb um eine Stahlachse. Es zeigte sich eine Öffnung und darunter eine Steintreppe.

 

Bellamy ging zum Tisch zurück, nahm einige Schüsseln und begab sich damit in den unteren Raum. Obwohl es dunkel war, fand er den Weg zu einem Seitentisch und setzte die Speisen dort nieder. Dann entzündete er ein Streichholz und steckte die Gaslampen an. Am hinteren Ende des Raumes befand sich eine Tür, die er aufriegelte und aufstieß.

 

Er war jetzt außerhalb der Burgmauern. Die Tür, durch die er schritt, führte durch die Fundamentmauern, die an dieser Stelle so stark waren, daß er durch einen kleinen Tunnel zu gehen schien. Auf der anderen Seite lag ein großes Zimmer, dem sich noch zwei kleinere angliederten. Sechs Gasarme, über die schöne, opalfarbene Glasglocken gesetzt waren, beleuchteten sie.

 

Es war der merkwürdigste Raum im ganzen Schloß. Das schwere steinerne Gewölbe ruhte auf massiven Pfeilern, das Innere war luxuriös ausgestattet. Herrliche Teppiche bedeckten den Steinboden und echte Gobelins hingen an den Wänden. Mehrere bequeme Sessel standen umher, auf denen weiche Kissen lagen, und auf einem schmalen Seitentisch erhob sich eine große silberne Vase mit einigen Blumen. Jedes Möbelstück, das man hier sah, hatte Bellamy selbst hergebracht.

 

sternchenland.com Er schaute sich um – das Zimmer war leer. Er ging zu einer der Türen, öffnete sie und kam in eine kleine, vollständig eingerichtete Küche. Auf der anderen Seite war durch eine offene Tür ein schmaler Baderaum zu sehen. Brummend ging er zu dem Hauptraum zurück.

 

»Elaine!« rief er mit lauter Stimme.

 

Eine Frau kam langsam aus dem dritten Zimmer. Sie trug ein weites, dunkles Kleid, und ihre Bewegungen waren langsam und teilnahmlos.

 

»Hier ist das Essen« sagte Bellamy. »Hast du wohl jemals bedacht, was passieren würde, wenn ich dich vergesse? Nimm doch einmal an, ich würde tot umfallen!« Er schüttelte sich vor Lachen bei dem Gedanken. »Wer würde dich dann hier auffinden? Dann müßtest du hier unten verhungern, Elaine. Nach Hunderten von Jahren, vielleicht nach tausenden würde man dich hier ausgraben und dich für irgendeine gefangene Königin halten, wie?«

 

Sie hatte diese Reden schon so oft gehört, daß sie nicht mehr darauf achtete. Sie schob nur einen Stuhl an den Tisch und setzte sich. Er beobachtete sie, als sie mechanisch einige Bissen zu sich nahm. Acht Jahre Gefangenschaft waren auf der durchsichtigen Blässe ihres Gesichts zu lesen.

 

Aber all diese Qualen, all diese Demütigungen, die sie täglich durchmachen mußte, die Beleidigungen und die höhnenden Reden des brutalen Bellamy hatten sie geistig nicht vollkommen gebrochen und auch die Schönheit ihres Gesichtes nicht zerstört. Man hatte sie für eine Frau von dreißig Jahren halten können, nur ihre grauen Haare verrieten, daß sie älter war.

 

Bellamy hatte sich mit verschränkten Armen an einen Pfeiler gelehnt und schaute auf sie herab.

 

»Ich habe heute Valerie gesehen, Elaine Held. Sie hätte dir sicher liebevolle Grüße geschickt, wenn sie von diesem Aufenthalt wüßte. In einem Monat wird sie eine glückliche sternchenland.com Braut sein. Kannst du dich auf Coldharbour Smith besinnen?«

 

Zum erstenmal sah die Frau auf.

 

»Ich glaube dir nicht, wenn du erzählst, du hättest Valerie gesehen oder sie sei irgendwo in der Nähe. Das lügst du mir vor. Alles, was du mir früher gesagt hast, waren Lügen.«

 

»Kennst du Coldharbour Smith?« fragte er zum zweitenmal.

 

Sie antwortete nicht, aber ihre Hand, die das Glas zum Munde führte, zitterte.

 

»Es wäre besser, wenn du dich an ihn erinnern könntest,« sagte er dann, und seine Stimme wurde drohend und laut. »Du wirst ihn bald wiedersehen! Es schleicht hier irgendein Polizeispitzel um die Burg herum. Als du neulich einen Anfall hattest und schriest, hörte er es – er stand gerade über dir und hörte dich schreien.« Das Echo seines dröhnenden Gelächters schallte dumpf in dem gewölbten Zimmer wieder. »Ein schlauer Bursche! Er maß die Temperatur der Erde und hat doch richtig deine Küche herausgefunden. Seine Vermutungen waren richtig, aber ich habe ihn an der Nase herumgeführt!«

 

Sie antwortete noch immer nicht, aber er war so gewöhnt an dieses Schweigen, daß er sich nicht mehr darüber ärgerte.

 

»Valerie ist recht hübsch geworden, sie ist wie Elaine Held in ihrer Jugend. – Dieselben Augen, dasselbe Haar und derselbe verdammte Eigensinn. Sie wird in einem Monat heiraten.«

 

Sie stand seufzend auf und schaute ihm ruhig und gerade in die Augen.

 

»Ich gedenke Valeries als einer Toten.«

 

»Du bist eben verrückt und bist immer verrückt gewesen. Damals hattest du eine große Chance, als ich dich heiraten wollte. Jetzt will ich dich natürlich nicht mehr haben.«

 

sternchenland.com »Das ist das Angenehmste, was du mir sagen kannst. Ach, ich wünschte, ich wäre tot!« Sie bedeckte das Gesicht mit den Händen und ihre Gestalt zitterte.

 

»Warum stirbst du denn nicht?« fragte der Alte verächtlich. »Ich will es dir sagen, weil du feige bist! Warum willst du denn nicht sterben? Es ist doch so leicht. Du brauchst doch nur die Gashähne aufzudrehen und dann schläfst du von selber ein. Du hast doch auch Messer da, die scharf genug sind.«

 

»So möchte ich nicht sterben – ich will leben, um zu sehen, wie du gestraft wirst für all das Böse, das du getan hast, für all den Kummer und das Elend, daß du Menschenherzen bereitet hast, Abel Bellamy!«

 

Er grinste und zeigte seine weißen Zahne. Dann ging er langsam auf sie zu und faßte sie an den Schultern.

 

»Du fürchtest also den Tod doch? Ich fürchte mich nicht, ich warte nur auf den Tag, an dem ich sterben soll – ich da oben und du hier unten. Niemand denkt auch nur im Traum daran, daß hier unten jemand lebt, und dieser letzte Gedanke wird mir noch im Tode eine Beruhigung und Genugtuung sein. Wenn sie mich aus der Burg heraustragen, dann gehen sie über dein Grab, Elaine, und niemand wird es wissen – du wirst es nicht wissen, und auch ich werde es nicht mehr wissen!«

 

Sie zitterte.

 

»Du bist unmenschlich,« sagte sie leise vor sich hin.

 

Abel ließ sie los, nahm die leeren Schüsseln, blieb noch eine Weile stehen und schaute sie nachdenklich an.

 

»Man wird dich niemals finden,« sagte er, als ob er zu sich selbst spräche, »niemals. Ich will dich hier gefangenhalten. Und wenn ich dich einmal herausließe, würde ich dich doch wieder hierher zurückbringen.«

 

Plötzlich drehte er sich um und ging zur Tür hinaus, warf sie krachend zu und schob die Riegel vor. Er brachte die sternchenland.com Schüsseln wieder nach oben und setzte sie auf den Rolltisch in der Bibliothek nieder.

 

Dann brachte er durch einen Druck seines Fußes die Steinplatte wieder in ihre alte Lage, und sie schnappte mit einem feinen Klicken ein.

 

Kapitel 4

 

4

 

Als Spike sich am Nachmittag ins Bureau begab, schrieb er einen langen und glänzenden Artikel über die großartigen Kinderheime, die John Wood ins Leben rufen wollte. Dann nahm er ein Mietauto und fuhr nach New Barnet. Als er an Fleet Street vorbeikam, sah er ein Zeitungsplakat mit großen Buchstaben. Er klopfte dem Chauffeur und ließ den Wagen halten. Dann fluchte er leise Vor sich hin, denn dort stand zu lesen:

Der geheimnisvolle Spuk in Garre Castle.

Er kaufte das Blatt. Die Unterlagen für den Artikel stammten wahrscheinlich von derselben Persönlichkeit, die auch das Schreiben an den »Globe« geschickt hatte. Die eigentliche Neuigkeit war in fünf Zeilen abgemacht, aber darunter stand ein langer Artikel, der die ganze Geschichte von Garre Castle und alle die früheren Fälle, in denen man den Grünen Bogenschützen dort gesehen hatte, berichtete.

»Es gibt eine Überlieferung im Lande, daß der geheimnisvolle Geist von Kopf bis zu Fuß grün gekleidet ist. Auch sein Bogen und seine Pfeile sollen von derselben grünen Farbe sein!«

sternchenland.com Die Fahrt nach New Barnet dauerte sehr lange und führte durch offene Felder. Rose Cottage lag von der Straße abseits hinter großen beschnittenen Hecken. Das ganze Gebäude war von Schlinggewächsen umzogen. Ein kleiner Garten lag davor und ein größerer, der zu einer kleinen Pflanzung führte, mußte offenbar auf der Rückseite liegen. Spike beobachtete dies alles vom Wagen aus. Er öffnete die kleine Gartentür, ging den gepflasterten Weg zum Hause entlang und klopfte an die Tür. Niemand antwortete ihm, obwohl sie unverschlossen und nur angelehnt war. Wieder klopfte er, aber niemand meldete sich.

 

Schließlich stieß er die Tür auf und rief Craegers Namen. Als er auch damit keinen Erfolg hatte, ging er zur Straße zurück, um sich umzusehen, ob er nicht irgend jemand fände. Endlich sah er auch eine Frau, die wohl aus einem der kleinen Häuser am Ende der Straße gekommen war.

 

»Mr. Creager? Ja, mein Herr, der wohnt hier, er ist um diese Tageszeit gewöhnlich zu Hause.«

 

»Aber er scheint jetzt nicht da zu sein. Wohnt sonst noch jemand bei ihm?«

 

»Nein, nur meine Schwester kommt morgens zu ihm und reinigt das Haus. Aber gehen Sie doch hinein und warten Sie auf ihn!«

 

Der Vorschlag erschien Spike gut, besonders da es zu regnen begann. Er ging in das Haus, den Gang entlang und kam zu einem Raum, der offenbar als Wohnzimmer diente. Als er sich umschaute, bemerkte er, daß es sehr gut eingerichtet war. Über dem Kamin hing ein Porträt Craegers. Er trug eine Art Uniform, die Spike aber nicht kannte.

 

Er setzte sich, nahm die Zeitung aus seiner Tasche und las noch einmal genau die Geschichte des Grünen Bogenschützen durch. Es war doch eigentlich unglaublich, daß derartige Überlieferungen sich noch im 20. Jahrhundert halten konnten und daß es Leute gab, die an solches Zeug glaubten.

 

sternchenland.com Dann legte er die Zeitung hin und schaute lässig durchs Fenster, von dem aus man den Garten übersehen konnte. Plötzlich sprang er auf. Hinter einem Busch auf der anderen Seite des niedrigen Rasens sah er einen Fuß steif ausgestreckt.

 

Spike eilte aus dem Zimmer quer über den freien Platz und blieb starr vor Schrecken stehen.

 

Creager lag dort auf dem Rücken, mit halbgeschlossenen Augen, die Hände auf der Brust im Todeskampf zusammengekrallt. Dicht an den Händen ragte der lange grüne Schaft eines Pfeils aus seiner Brust.

 

Spike kniete nieder und untersuchte, ob noch Leben in Creager wäre, aber es war umsonst. Dann durchforschte er schnell die nächste, unmittelbare Nachbarschaft. Der Garten war von den Feldern, zwischen denen er lag, durch einen niedrigen, hölzernen Zaun abgetrennt, über den ein gewandter Mann leicht springen konnte. Spike vermutete, daß Creager durch den Schuß sofort getötet worden war.

 

Er sprang über die Hecke und setzte seine Ermittelungen weiter fort. Zehn Schritte von dem Zaun entfernt stand ein großer Eichbaum, der genau in der Schußlinie des Pfeiles lag.

 

Er ging um den Baum herum und prüfte den Boden eingehend, aber er entdeckte keinerlei Fußspuren. Den Baum selbst konnte man von der Straße aus genau sehen. Er schaute an dem Stamm empor, ergriff einen der niederen Äste und schwang sich hinauf. Er kletterte höher und kam schließlich zu einer Stelle, von wo aus er den Toten sehen konnte. Instinktiv wußte er, daß der tödliche Pfeil von dieser Stelle aus abgeschossen worden war. Der Baum war dicht belaubt und bot genügend Schutz, und sicher war der Mörder nicht sichtbar, als der Tote das Gesicht gerade dem Baume zugewandt haben mußte.

 

Nachdem er den Pfeil abgeschossen hatte, mußte der Schütze von hier hinuntergesprungen sein. Dieser Gedanke sternchenland.com kam Spike plötzlich, und er kletterte wieder hinab. Unten fand er zwei deutliche Fußabdrücke, die der Mörder zurückgelassen hatte, als er auf den Boden sprang. Er hatte sogar etwas noch viel Wichtigeres zurückgelassen, aber Spike sah es nicht sogleich, erst später fand er es zufällig. Es war ein Pfeil, der genau dem in Creagers Brust glich. Der Schaft war glatt poliert und mit grüner Emaillefarbe gestrichen, die Federn waren neu, giftig grün und sehr gut befestigt. Der Pfeil sah eigentlich zu dekorativ aus, als daß man hätte annehmen können, er sei zu praktischem Gebrauch bestimmt, aber die Spitze war nadelscharf.

 

Spike ging zum Hause zurück und schickte den Chauffeur, um die Polizei zu holen. Kurze Zeit später kam dann auch ein Schutzmann und ein Polizeisergeant. Bald darauf erschien auch ein Beamter von Scotland Yard, der sofort die Überwachung des Hauses übernahm und den Abtransport des Toten anordnete.

 

Längst bevor die Polizei ankam, hatte Spike eine genaue Durchsuchung des Hauses vorgenommen. Vor allen Dingen durchsuchte er alle Papiere, die er irgendwie finden konnte. Er erkannte bald die Bedeutung der Uniform, die der Mann auf dem Bilde trug. Craeger war früher ein Gefangenenwärter gewesen, hatte einundzwanzig Jahre gedient und dann seinen ehrenvollen Abschied genommen. Ein Zeugnis hierüber war eins der ersten Papiere, die Spike in die Hand fielen, als er den Schreibtisch durchsuchte. Aber besonders war er darauf aus, Papiere zu finden, die das Verhältnis Creagers zu Abel Bellamy aufklären sollten. Eine Schublade des altertümlichen Schreibtisches konnte er nicht öffnen, und Gewalt wollte er nicht anwenden.

 

Er fand das Bankbuch und sah zu seinem Erstaunen, daß Creager verhältnismäßig wohlhabend war – er hatte ein Bankdepot von über zweitausend Pfund. Eine schnelle Durchsicht der einzelnen Seiten zeigte, daß Creager am ersten jeden sternchenland.com Monats vierzig Pfund erhielt, die in bar eingezahlt wurden, wie aus den Eintragungen zu ersehen war. Die Höhe der Pension konnte Spike leicht feststellen, da sie alle Vierteljahre gezahlt wurde. Außer der Pension und den monatlichen vierzig Pfund waren nur noch die Zinsen der Papiere auf der Kreditseite eingetragen, die in seinem Besitz waren.

 

Er war gerade damit fertig geworden, die nötigen Personalnachrichten aus dem Paß zu notieren, als auch die Beamten schon kamen. Gleich darauf kam der Polizeiarzt und untersuchte die Leiche.

 

»Er ist schon über eine Stunde tot,« sagte er. »Der Pfeil hat ihn vollständig durchbohrt, er muß furchtbar scharf sein.«

 

Spike gab dem Beamten von Scotland Yard den zweiten Pfeil und führte ihn auch zu der Stelle, wo er ihn gefunden hatte.

 

»Der Mann, der dieses Verbrechen ausgeführt hat,« sagte der Detektiv, »muß ein außerordentlich geschickter Mann in diesen Dingen sein. Er hatte die Absicht, zu töten, und war seiner Sache ganz gewiß. Das ist der erste Mord durch einen Bogenschuß, den ich persönlich erlebt habe. Es wäre ganz gut, wenn Sie stets mit uns in Verbindung blieben, Holland. Ich vermute, daß Sie jetzt in Ihr Bureau gehen und Ihre große Neuigkeit in die Zeitung setzen wollen. Aber vielleicht sagen Sie mir, wie Sie überhaupt hierhergekommen sind?«

 

Spike erzählte genau, was sich im Carlton-Hotel abgespielt hatte und fügte noch eine weitere Information hinzu, die den Detektiv in größtes Erstaunen fetzte.

 

»Der Grüne Bogenschütze! Sie wollen doch damit nicht sagen, daß diese Tat von einem Geist oder einem Gespenst ausgeführt wurde? Ich kann Ihnen nur sagen, daß dieser Geist sehr real und wirklich war, denn es bedurfte eines Armes von gewaltiger Kraft und eines stahlharten Bogens, um Creager von einer solchen Entfernung aus zu erschießen. Wir wollen jetzt zu Bellamy gehen.«

 

sternchenland.com Mr. Abel Bellamy war eben im Begriff, nach Berkshire aufzubrechen, als die Polizeibeamten ankamen, und er zeigte weder Erstaunen noch Erschrecken, als er die Neuigkeit erfuhr.

 

»Ja, das stimmt, ich habe ihn hinausgeworfen. Creager war mir vor Jahren sehr nützlich, und ich gab ihm eine recht ansehnliche Unterstützung für die Dienste, die er mir erwies. Er rettete mein Leben – sprang ins Wasser für mich, als mein Boot auf dem Strom umschlug.«

 

Das ist eine infame Lüge, dachte Spike, der den Alten genau beobachtete.

 

»Weshalb haben Sie sich heute morgen gezankt, Mr. Bellamy?«

 

»Wir haben uns nicht gerade gezankt, aber er drängte mich, ihm Geld zu leihen. Er wollte nämlich ein Stück Land zu seinem Grundstück dazukaufen, auf dem sein Haus steht, und ich – lehnte es strikt ab. Heute wurde er direkt frech und drohte mir – nun ja, er hat mir nicht gerade gedroht,« verbesserte sich Bellamy mit einem rauhen Lachen – »aber immerhin, er wurde herausfordernd, griff mich an und ich warf ihn hinaus.«

 

»Wo hat er Ihnen denn das Leben gerettet, Mr. Bellamy?« fragte der Beamte.

 

»In Henley – letzten Sommer wurden es sieben Jahre,« antwortete Bellamy prompt.

 

»Das Datum haben Sie sich für immer eingeprägt und das ist auch die Erklärung, warum Sie diesen Mann dauernd unterstützt haben,« dachte Spike für sich.

 

»Zu jener Zeit war er noch im Gefängnisdienst,« sagte der Beamte.

 

»Vermutlich war es so,« entgegnete Bellamy etwas ungeduldig. »Aber als sich der Vorfall ereignete, hatte er gerade Ferien. Alles, was ich Ihnen erzähle, können Sie aus seinen Personalakten feststellen.«

 

sternchenland.com Spike war auch vollständig davon überzeugt, daß man die Bestätigung finden würde, wenn die Papiere nachgesehen würden.

 

»Das ist wohl alles, was ich Ihnen mitteilen kann,« sagte Bellamy. »Sie erzählten eben, daß Creager erschossen wurde?«

 

»Er wurde durch einen Pfeil getötet,« antwortete der Beamte. »Es war ein grüner Pfeil.«

 

Nur einen Augenblick verlor Bellamy die Kontrolle über sein Mienenspiel.

 

»Ein grüner Pfeil?« wiederholte er ungläubig. »Ein Pfeil – ein grüner Pfeil? Was zum Teufel –« Er nahm sich plötzlich zusammen und langsam ging ein Lächeln über seine Gesichtszüge, das ihn noch abstoßender machte. »Also ein Opfer Ihrer Geistergeschichte, Holland,« brummte er. »Grüner Pfeil und grüner Bogenschütze, wie? Haben Sie eigentlich die Geschichte in die Zeitung gebracht?«

 

»Reporter bringen selten Geschichten in andere Zeitungen als ihre eigenen, aber Sie können wetten, Mr. Bellamy, wir werden morgen eine lange Geschichte in unserem Blatt bringen, und Ihr Bogenschütze wird eine besondere Spalte für sich haben.«

 

Kapitel 40

 

40

 

Die Hunde von Garre Castle waren nun in einem alten Gebäude untergebracht, in dem die Curcys ihre Meute schon in jenen Tagen einschlossen, als Columbus noch als Kind in den Straßen Genuas spielte. Abel Bellamy hatte Anweisung gegeben, wie sie gefüttert werden mußten. Sie erhielten ihre letzte Mahlzeit früh am Nachmittag, später ließ er sie absichtlich hungern. Ein hungriger Hund ist ein wachsamer Hund, dachte der Alte, und außerdem wild und bissig. Morgens gab er ihnen selbst zu fressen. Gewöhnlich lagen sie früh in einer Reihe vor seiner Schlafzimmertür und warteten auf ihn. Sie schauten ihn dann mit ihren klugen Augen begierig an.

 

»Morgen gehen Sie zur Stadt, Savini, aber kommen Sie bald zurück. Wie ich höre, sind Sie verheiratet?«

 

»Jawohl, mein Herr.« Savini wunderte sich, woher Bellamy das wußte. Featherstone hatte es ihm nicht gesagt. Aber plötzlich dämmerte ihm die Erkenntnis auf. Coldharbour Smith, der natürlich kein Geheimnis für sich behalten konnte, mußte es ausgeplaudert haben.

 

»Man hat mir erzählt, daß die Frau, die Sie da haben, ganz hübsch ist.« Bellamy schaute seinen Sekretär mit zusammengekniffenen Augen an. »Sie soll direkt eine Schönheit sein?«

 

»Jawohl, mein Herr,« sagte Julius bescheiden und war gespannt, was nun kommen sollte.

 

»Smith hat eine gute Aufgabe für sie,« meinte Bellamy sternchenland.com und wandte sich scheinbar gleichgültig seiner illustrierten Zeitung zu. »Ich vermute, Sie haben nichts dagegen, wenn sie sich Geld verdient – auf ehrliche Weise?«

 

Julius übersah die Beleidigung, die in seinen Worten lag, denn er war zu neugierig, was der Alte vorhatte. Das war tatsächlich eine unerwartete Entwicklung der Dinge, aber er bildete sich keinen Augenblick ein, daß Bellamy an der ganzen Sache nicht interessiert sei. Dazu kannte er ihn zu gut.

 

»Ich freue mich sehr, das zu hören,« entgegnete Julius ehrerbietig. »Fay ist eine gute Frau und weiß nichts von dem Leben, das ich früher führte.«

 

»Lügen Sie mir nichts vor, sie gehörte doch auch zu der Falschspielerbande!«

 

Julius fluchte heimlich.

 

»Wenn sie nämlich ehrlich wäre, könnte ich sie nicht gebrauchen, oder wenigstens Smith würde sich dann nicht um sie kümmern. Schreiben Sie ihr, Savini, nein, besser, gehen Sie zu ihr, Sie kommen ja morgen in die Stadt. Reden Sie ihr gut zu und sagen Sie ihr, daß sie Smith unterstützen soll, wenn er sie um ihre Hilfe bittet. Sie soll sehr gut bezahlt werden – das können Sie ihr auch sagen.«

 

Mit der charakteristischen seitlichen Kopfbewegung beendete Bellamy die Unterredung. Julius begab sich zu Bett, nachdem er gesehen hatte, daß der Alte nach dem Hundekäfig ging. Er wartete niemals, bis die Tiere freigelassen wurden.

 

In wenigen Minuten kehrte Bellamy mit seinen hungrigen Hunden zurück. Sie begleiteten ihn auf Schritt und Tritt und schauten interessiert zu, wie er die Türen verschloß und verriegelte. Dann folgten sie ihm die Treppe hinauf. Bei der Türe zu seinem Zimmer hielt er an und schaute sich um. Einer der Hunde hatte sich in der Nähe der Treppe niedergelegt, die beiden andern schnüffelten an der Tür zu Savinis Zimmer.

 

In der Burg herrschte tiefes Schweigen. Das Ticken einer alten Uhr in der Halle konnte selbst Julius hören, der sich sternchenland.com von einer Seite zur andern wälzte und über das merkwürdige Interesse nachdachte, das Bellamy plötzlich an Fay hatte. Es war schon nach Mitternacht, als er leises Gehen auf dem Korridor und ein unterdrücktes Knurren vernahm.

 

Bellamy hörte es auch und war sofort vollkommen wach. Er stand auf und schaute sich um. Die Hunde liefen ruhelos im Gang auf und ab und als sie ihn sahen, wiederholte der eine sein Bellen.

 

»Willst du wohl ruhig sein!« fuhr Bellamy ihn wütend an.

 

Mit einem unterdrückten Laut legte sich der Hund nieder, streckte seine dicken Pfoten aus, legte seinen Kopf darauf und beobachtete unablässig seinen Herrn.

 

Bellamy schloß die Tür zu seinem Schlafzimmer wieder und schob die Riegel vor. Einige Minuten später schlief er.

 

Es schlug zwei Uhr, als die Tür zu dem Vorratsraum sich langsam und leise öffnete, so langsam und geräuschlos, daß der eine Hund, der zehn Meter davon entfernt lag; sich nicht einmal umschaute. Ebenso schloß sie sich wieder, aber auf dem Flur in der Nähe der Wand stand jetzt eine große Schüssel mit Milch.

 

Einer der Hunde, der unten in der Halle auf und ab lief, sah sie, und sein Schmatzen lockte auch die beiden andern herbei.

 

Die hungrigen Tiere standen um die Schüssel und es dauerte nicht lange, so war sie leer. Sie entfernten sich nacheinander und leckten die Milchspritzer von ihren Pfoten ab.

 

Der Hund, der die Milch zuerst entdeckt hatte, streckte sich aus und legte sich nieder. Kurz darauf folgten auch die beiden andern. Fünf Minuten später schlüpfte eine grüne Gestalt durch die Tür und eilte die Treppe hinauf zu der Stelle, wo die Lichtschalter angebracht waren. Ein kurzes Knacken und der Gang lag in vollkommener Dunkelheit.

 

Schweigend ging er weiter und beugte sich zu einem der Tiere nieder. Der Hund öffnete die Augen, als der grüne sternchenland.com Mann ihm begütigend über dag dicke Fell strich und schlief in der nächsten Sekunde wieder weiter.

 

In dem schwachen Licht, das durch die entfernten Fenster fiel, stand er bewegungslos vor Abel Bellamys Tür. Seine hochragende Gestalt sah furchterregend aus, sein geisterhaft bleiches Gesicht war entsetzlich anzusehen. In einer Hand hielt er einen laugen grünen Bogen, ein Köcher mit grünen Pfeilen hing an seiner Seite. Er wartete lange Zeit, dann bückte er sich und steckte ein langes, dünnes Instrument in das Schlüsselloch. An dem Handgriff des Instruments war ein dünner Draht befestigt, der aus dem Köcher hervorkam. Ohne das geringste Geräusch drehte er den Nachschlüssel um, und selbst als er die Klinke niederdrückte und die Tür weit öffnete, entstand kein Lärm. Ebenso öffnete er auch die innere Ledertür. Wieder nahm er das Instrument in die Hand und führte es in das Schlüsselloch ein. Der Eisenstab war in hohem Grade magnetisch, und er konnte die Klinke der Ledertür weit genug aufheben, um die Tür aufzustoßen.

 

Als Abel Bellamy aufwachte, standen die leuchtenden Zeiger seiner Uhr auf viertel nach vier. Er hatte sich schon daran gewöhnt, zuerst nach der Tür zu sehen und festzustellen, ob sie noch geschlossen wäre. Sie war zu und er legte sich auf die andere Seite. Er schob sein Kissen unter dem Kopf zusammen, um es sich bequemer zu machen. Mit einem Fluch erhob er sich, um seine Schlüsselkette wieder aufzuheben, die auf den Boden gefallen war.

 

Er konnte nicht wieder einschlafen, lag wach und dachte nach. Aber seine Gedanken waren nicht angenehm.

 

Immer wieder dachte er an Valerie Howett! Sie würde in diesem Augenblick schlafen und selbst in ihren Träumen würde ihr kein Gedanke an die Gefahr kommen, die sie bedrohte.

 

Aber er irrte sich. Auch Valerie schlief nicht.

 

Jeder Frau kommt irgendwann einmal die Erkenntnis, daß sternchenland.com ihr Leben, das bis dahin frei und fessellos war, von der Sehnsucht und Liebe zu einem andern Menschen erfüllt wird. Dieses Wissen ist süß, aber verwirrend, und die Verwirrung wächst, wenn die beiden sich noch nicht ausgesprochen haben und die Beziehungen zu dem andern noch ungewiß sind.

 

Valerie Howett hatte mit Jim Featherstone nie über Liebe und Ehe gesprochen, aber sie fühlte sich schon so an ihn gebunden, daß sie die Werbung eines andern Mannes abgelehnt hätte, weil sie sich schon als verlobt betrachtete.

 

Sie wußte nicht einmal, ob er frei war und ob er sie heiraten könnte. Sie dachte darüber nach und vergegenwärtigte sich noch einmal alle näheren Umstände, unter denen sie Featherstone kennengelernt hatte. Aber dann kam ihr der Gedanke, daß aller Wahrscheinlichkeit nach Jim Featherstone sich für sie nur als für einen besonderen Fall interessierte. Ihr Vater hatte ihn ja gebeten, ihr sein berufliches Interesse zuzuwenden und es ging wohl auch nicht darüber hinaus trotz des merkwürdigen Zitterns in seiner Stimme, als er sich gestern abend von ihr am Tor verabschiedet hatte.

 

Es schien ihr endlos lange, seit sie ihn gesehen hatte, trotzdem es in Wirklichkeit nur einige Stunden waren. Und weil sie sich so sehr nach einem Wiedersehen mit ihm sehnte, machte sie sich selbst Vorwürfe und zerriß den Brief, den sie an ihn geschrieben hatte. Sie war auch noch aus einem anderen Grund mit dem Schreiben unzufrieden – ihre Briefe an Jim Featherstone wurden immer zu lang. Sie schrieb bereits auf der zehnten Seite und hatte noch nicht die Hälfte von dem gesagt, was sie ihm mitteilen wollte. Er konnte doch überhaupt nicht an all ihren Gedanken interessiert sein, sagte sie zu sich selbst und betrachtete nachdenklich den zerrissenen Brief, der jetzt im Papierkorb lag. Und doch fing sie wieder an zu schreiben. Aber dann stand sie mit einem festen Entschluß auf, drehte das Licht aus und ging in ihr Schlafzimmer. Mr. Howett war früher zur Ruhe gegangen als gewöhnlich. sternchenland.com Sie gab einem Diener den Auftrag, alle Türen zu schließen und legte sich zur Ruhe. Sie fühlte sich unglücklich über ihre eigene Inkonsequenz. Ihre eifrigen Nachforschungen nach Elaine Held hatten plötzlich ihre Eile verloren, und sie wußte selbst nicht warum.

 

Ihr Schlafzimmer lag nach der Straße zu, und sie konnte von hier aus den vorderen Garten übersehen. Jenseits der Hecke lief die Landstraße. Der Detektiv, der bis jetzt das Haus bewacht hatte, war zurückgezogen worden. Aber als sie nun aus dem Fenster schaute, beobachtete sie einen Mann, der mitten in der Straße auf und ab ging. Sie sah das glühende Ende seiner Zigarre und mußte innerlich lachen. Sie wußte, daß es Spike Holland war, der es ja übernommen hatte, sie zu behüten. Dieser Gedanke an Jims Fürsorge tat ihr wohl.

 

Gewöhnlich schlief sie fest und tief, aber heute dauerte es etwas über eine Stunde, bis sie in einen ruhigen Schlaf fiel. Zweimal erwachte sie und stand dann schließlich wieder auf. Sie fühlte sich hungrig und wollte sich etwas Milch anwärmen. Vom Fenster aus schaute sie wieder auf die verlassene Straße hinaus. Spike war nicht mehr zu sehen. Sie hoffte, daß er nach Hause gegangen sei und sich zu Bett gelegt habe. Schnell schlüpfte sie in ihren Morgenrock, zog die Pantoffeln an und entzündete eine Kerze. Als sie die Tür ihres Zimmers öffnete, hörte sie etwas und löschte sofort das Licht wieder. Es waren Stimmen, die leise miteinander tuschelten.

 

Ihr Herz schlug unruhig, als sie zu dem Geländer schlich und nach unten in die Halle spähte. Sie konnte nichts sehen, nur die Stimmen und ein leises, verhaltenes Weinen waren deutlich zu hören. Sie faßte sich an die Stirn – nein, sie träumte nicht. Sollte sie ihren Vater wecken? Sie hob schon die Hand, um an seine Tür zu klopfen, aber dann zögerte sie wieder.

 

Wieder vernahm sie die flüsternden Stimmen – und das sternchenland.com unterdrückte Weinen aus dem unteren Geschoß. Es konnte doch nicht eins der Dienstmädchen sein? Wenn jemand krank geworden wäre, hätte man sie doch sicher geweckt.

 

Sie öffnete leise die Tür zu dem Schlafzimmer ihres Vaters und ging hinein. Mit der Hand tastete sie nach dem Bett, um ihn zu wecken – aber sein Bett war leer! – Sie konnte nicht daran glauben, es mußte eine Sinnestäuschung sein. Sie entzündete mit zitternden Fingern ein Streichholz und steckte die Kerze wieder an, aber das Bett war tatsächlich unberührt. Der Schlafanzug lag noch sorgsam gefaltet auf den Kissen.

 

Zuerst war sie starr vor Schrecken, aber dann beruhigte sie sich. Es mußte also Mr. Howett sein, den sie unten hatte sprechen hören. Wahrscheinlich war eins der Dienstmädchen zu ihm gekommen.

 

Sie ging mit dem Leuchter zur Treppe, aber bei dem ersten Geräusch, das ihr Fuß auf den Stufen machte, hörte das Flüstern und Weinen unten auf. Sie ging direkt zur Tür des Wohnzimmers und wollte sie öffnen, aber sie war verschlossen.

 

»Wer ist dort?« fragte sie schnell und atemlos.

 

»Ich bin es, Valerie.«

 

»Was gibt es denn, Vater?« fragte sie mit einem dankbaren Seufzer.

 

»Ich spreche mit einem Freund. Später komme ich zu dir,« war die zögernde Antwort.

 

»Aber mit wem sprichst du denn?« fragte sie überrascht.

 

»Bitte geh zu Bett, mein liebes Kind.« Mr. Howetts Stimme war dringend. »Ich möchte nicht, daß die Dienerschaft geweckt wird.«

 

Widerstrebend wandte sie sich um und ging zu ihrem Zimmer zurück. Wer mochte der Freund sein, der zu dieser frühen Morgenstunde ihren Vater aufsuchte? Und dann war die andere Frage: Warum hatte sich ihr Vater überhaupt nicht zur Ruhe gelegt? Das sah ihm doch gar nicht ähnlich. Er war sternchenland.com ein Mann, der nach einer genauen Zeiteinteilung lebte und nichts Ungewöhnliches tat, so lange sie sich besinnen konnte. Sie wußte, daß er Heimlichkeiten haßte, und deshalb wurde ihr die ganze Sache noch unerklärlicher. Trotzdem war sie froh, daß er es war. Aber wer mochte der andere sein?

 

Sie saß auf der Kante ihres Bettes. Ihre Schlafzimmertür stand offen und sie lauschte. Plötzlich hörte sie, daß die Wohnzimmertür aufgeschlossen wurde und jemand auf den Flur trat. Dann öffnete sich die Haustür. Die Neugier übermannte Valerie, und sie schlich sich leise zu der Treppe. Glücklicherweise hielt sie sich am Geländer fest, sonst wäre sie umgesunken. Denn mitten in der Halle, nur schwach beleuchtet von dem Schein, der durch die offene Tür hereinfiel, stand der Grüne Bogenschütze!

 

Kapitel 32

 

32

 

Abel Bellamy schien nicht zu verstehen, und Featherstone wiederholte seine Worte.

 

»Sie sind ein Polizeibeamter,« sagte der Alte schließlich. Er war wieder vollständig gefaßt und seine Selbstbeherrschung war bewunderungswürdig. »Ich habe Ihren dienstlichen Auftrag nicht gesehen, aber ich vermute, daß er stimmt. Ich warne Sie aber, Featherstone, oder wie Sie sonst heißen! Ich werde Sie anzeigen, und diese Sache wird Ihnen teuer zu stehen kommen. Ich bin amerikanischer Bürger –«

 

»Die Frau, die wir suchen, ist auch eine amerikanische Bürgerin,« sagte Featherstone scharf.

 

Er öffnete eine Tür, und zu Bellamys Überraschung und Wut standen etwa ein Dutzend Männer in der Halle.

 

sternchenland.com »Was, Sie überfallen mich hier?« fragte er rauh. »Nun gut, fangen Sie an und sehen Sie zu, was Sie finden können.«

 

Featherstone streckte die Hand aus.

 

»Ihre Schlüssel,« sagte er mit festem Ton.

 

»Ich werde Ihnen die Räume zeigen –«

 

»Ich will Ihre Schlüssel. Machen Sie keinen Unsinn, Mr. Bellamy. Hier liegt eine amtliche Handlung vor.«

 

Bellamy zog einen Schlüsselbund aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch.

 

»Ich will auch den Schlüssel haben, den Sie immer an der Kette bei sich tragen.«

 

Einen Augenblick war der große Mann starr, dann löste er die Kette und warf ihm den Schlüssel zu.

 

»Welche Tür öffnet er?«

 

»Den Geldschrank,« brummte Bellamy. »Brauchen Sie keine Führung? Soll ich Ihnen sagen, wo der Geldschrank steht?«

 

»Die Mühe können Sie sich sparen,« entgegnete Featherstone eisig. Er ging zu einer Stelle neben dem Kamin, faßte an das Gesimse des Holzpaneels und zog daran. Es zeigte sich eine Öffnung, hinter der eine schwarzlackierte Stahltür sichtbar wurde. Er schob den Schlüssel ins Schloß, drehte zweimal um, faßte an den schweren Handgriff und öffnete die Tür. Der Geldschrank enthielt eine Anzahl von Schubfächern mit Stahlkassetten. Er fand keine Bücher, aber in einem offenen Fach lag eine Ledermappe.

 

»Haben Sie die Schlüssel zu den Schubfächern?«

 

»Sie sind nicht verschlossen.«

 

Featherstone nahm eine der Schubladen heraus und stellte sie auf den Tisch. Es lagen Papiere und Dokumente darin.

 

»Es ist wohl besser, Mr. Bellamy, wenn Sie in Ihr Zimmer gehen. Ich habe einige Stunden hier zu tun – Sie sternchenland.com können sich als verhaftet betrachten, solange ich das Gebäude durchsuche.«

 

Er hatte eigentlich erwartet, daß Bellamy Widerstand leisten würde, aber in dieser Beziehung war er doch zu vernünftig.

 

»Wenn Sie fertig sind, lassen Sie es mich wissen. Ich hoffe, Sie sind ein besserer Polizeibeamter als Hausmeister.« Mit diesen Worten ging er aus der Bibliothek und wurde von einem der Leute in sein Schlafzimmer gebracht.

 

Eine Stahlkassette nach der andern wurde geleert und der Inhalt sorgfältig untersucht. Die Dokumente waren meistens alte, abgearbeitete Bankkontrakte, bei denen Bellamy viel verdient hatte. Plötzlich rief Featherstone seinen Assistenten zu sich.

 

»Jackson, kommen Sie einmal her.«

 

Der Sergeant trat eilig zu seinem Vorgesetzten.

 

»Sagen Sie einmal, was ist dies?« fragte Featherstone.

 

Es war ein ungefähr vierzig Zentimeter langer Stock, der von drei breiten Filmstreifen bedeckt war. Er war so dick, daß Featherstone ihn kaum umspannen konnte. Als er den Stab hochhielt, fielen von dem einen Ende lange Peitschen schnüre herab, die zweimal so lang waren als der Griff selbst. Die Enden der Stricke waren mit gelber Seide abgebunden. Er ließ sie durch seine Finger gleiten, es waren im ganzen neun und sie waren mit dunklen Flecken beschmutzt.

 

»Was halten Sie davon, Jackson?«

 

Der Sergeant nahm die Peitsche in die Hand.

 

»Das ist eine neunschwänzige Katze, mein Herr.« Er betrachtete den Griff und las auf einer verblaßten roten Marke mit einer eingepreßten Krone die Worte: Eigentum der Gefängnisdirektion.«

 

»Das ist zweifellos ein Geschenk Creagers,« sagte Featherstone.

 

Er schaute auf die Stricke, die Flecken waren sehr alt und sternchenland.com sein fachkundiger Blick sagte ihm, daß die Peitsche nur einmal gebraucht worden war, denn die Knicke in den Schnüren waren noch deutlich sichtbar.

 

Er wunderte sich über die Geisteskraft Bellamys, der dieses grausame Erinnerungsstück als einen heiligen Schatz verwahrte und sich an dem Schmerz weidete, den es einem armen leidenden Wesen bereitet hatte. Er legte die »neunschwänzige Katze« weg und wandte seine Aufmerksamkeit den andere« Schubladen zu. Er hoffte, ja er erwartete, etwas zu finden, das ihn auf die Spur der verschwundenen Mrs. Held bringen könnte. Aber er fand nichts. Bellamy schien nur ein Paket Privatbriefe verwahrt zu haben, die alle mit »Michael« unterschrieben waren und aus verschiedenen Städten in den Vereinigten Staaten stammten. Drei waren aus Chicago gesandt worden, aber die Mehrzahl stammte aus New York. Die ersten Briefe handelten von den Schwierigkeiten des Absenders, seine Stellung zu halten. Aus den Schreiben ging hervor, daß er Lehrer und Bellamys Bruder war. Die ersten Briefe waren in freundlichem Ton abgefaßt, und Featherstone konnte aus ihnen nicht nur den Lebenslauf des Mannes feststellen, sondern auch eine Wandlung, die mit ihm vorgegangen war. Michael hatte scheinbar in der ersten Zeit Erfolg gehabt und sich ein Vermögen erworben. In Cleveland hatte er größeren Grundbesitz erworben und sich nebenbei dem Maklergeschäft gewidmet.

 

Von dieser Zeit ab änderte sich der Ton der Briefe. Michael Bellamy war in Schwierigkeiten geraten und hoffte; daß ihm sein Bruder helfen würde. Zu spät erkannte er, daß Abel, dem er traute und auf dessen Zuneigung und Hilfe er baute, hinter der Organisation stand, die ihn planmäßig ruinierte. Der bezeichnendste Brief war der letzte.

»Lieber Abel,

Ich bin sehr erstaunt über die Nachrichten, die ich von Dir erhielt. Was habe ich Dir denn getan, daß Du mich sternchenland.com so kaltblütig zugrunde richtest? Willst Du mir nicht um meines kleinen Sohnes willen in allerletzter Stunde helfen, daß ich alle die Ansprüche meiner Gläubiger befriedigen kann?«

Um seines Sohnes willen! Der arme Michael Bellamy hätte keinen nutzloseren Versuch machen, nichts schreiben können, was Abels Niedertracht noch mehr gereizt hätte. Bellamy rächte sich an den Leuten, die er als seine Feinde ansah, durch ihre Kinder. Auf diese Weise hatte er auch Mrs. Held gebrochen. Dieser unbarmherzige Mensch hatte sich durch die Bitte seines Bruders nicht erweichen lassen.

 

Nachdem die Durchsicht schon drei Stunden gedauert hatte, ließ Featherstone wieder alle Schubkästen in den Geldschrank bringen. Die Detektive meldeten sich nacheinander zurück. Jede Ecke und jeden Winkel der Burg hatten sie durchstöbert, die Kerker waren durchsucht, aber man hatte kein Geheimnis entdeckt.

 

Jim ließ Savini holen, dessen olivenfarbenes Gesicht aschfahl war. Seine herabgezogenen Mundwinkel zeigten eine verzweifelte Stimmung.

 

»Das bringt mich in eine furchtbare Lage,« jammerte er. »Der Alte wird denken, ich hätte alles schon vorher gewußt und Sie gekannt –«

 

»Stimmt das nicht?« fragte Jim lächelnd. »Aber machen Sie sich keine Sorge. Wenn er etwas sagen und Ihnen Vorwürfe machen sollte, können Sie ja sagen, daß ich Sie gezwungen habe, den Mund zu halten. Aber vor allen Dingen müssen Sie Ihren schlechten Ruf bessern, den Sie jetzt bei Spike Holland genießen. Soviel ich weiß, haben Sie dem geschworen, daß ich nicht der neue Hausmeister sei. Da haben Sie sich ausnahmsweise einmal vornehm benommen,« sagte er ironisch und klopfte Julius auf die Schulter. »Nun können Sie aber unserem lieben Freund Bellamy einen großen Gefallen tun und ihn in gute Stimmung bringen, wenn sternchenland.com Sie zu ihm gehen und ihm berichten, daß wir nichts gefunden haben und daß alles in Ordnung ist.«

 

Abel Bellamy kam triumphierend zur Bibliothek zurück. Sein Blick sprach von Genugtuung, und ein stolzes Lächeln spielte um seinen Mund.

 

»Haben Sie die Frau gefunden – Mrs. – wie war doch gleich ihr Name?«

 

»Nein, sie ist nicht hier. Es ist aber auch möglich, daß die Pläne der Burg alle falsch sind und daß es noch Geheimräume gibt, die wir nicht gesehen haben.«

 

»Sie bilden sich natürlich ein, daß sie hier ist,« höhnte Bellamy. »Sie haben zuviel Detektivgeschichten gelesen, Mr. Featherstone – das tut nicht gut, davon bekommt man phantastische Ideen in den Kopf! Außerdem werden Sie in einiger Zeit von meinen Rechtsanwälten hören!«

 

»Ich freue mich, daß Sie so ehrenwerte Leute in Ihre Dienste nehmen,« erwiderte Jim. »Hier sind Ihre Schlüssel –« Er streckte die Hand aus, aber er hätte sie beinahe fallen lassen, denn er hörte einen Schrei, der ihn erstarren ließ.

 

Alle hörten ihn – Bellamy, Julius Savini und Jackson, der Detektiv. Es war ein dünner, angstvoller Klang, der in einem erschütternden Schluchzen endete.

 

Der Ton, in dem sich die entsetzliche Angst einer Frau ausdrückte, kam von irgendwoher und durchzitterte den großen, schweigenden Raum.

 

Jim Featherstone lauschte und sein Herz drohte stillzustehen.

 

»Was war das?« fragte er heiser.

 

Kapitel 33

 

33

 

Bellamys Blick schweifte ins Leere, dann wandte er sich langsam zu Jim um.

 

sternchenland.com »Das sind vermutlich die Wasserrohre – sie machen gewöhnlich ein solches Konzert, wenn wir die Zentralheizung anstellen.«

 

Jim wartete, ob sich der Schrei wiederholen würde, aber es blieb ruhig.

 

Er sah Bellamy scharf an, aber der hielt seinen Blick ruhig aus, ohne mit der Wimper zu zucken.

 

»Was für ein Raum liegt hier drunter?« fragte er und zeigte auf den Fußboden.

 

»Hier drunter liegt kein Raum, die Kerker fangen erst unter der Halle an. Es führte von hier aus eine Treppe hinunter, die ist aber zugemauert worden.«

 

Jim ging aus der Bibliothek und untersuchte die Kerker persönlich. Er ging auch zu den tieferliegenden Zellen, aber er konnte nichts entdecken. Er fand nur den Abstieg der zugemauerten Treppe, von der Bellamy eben gesprochen hatte.

 

Er breitete den alten Grundriß der Burg auf dem Fußboden aus und überlegte.

 

Dem Plan nach stand die Bibliothek auf festem Boden – aber das wollte nicht viel bedeuten, denn er hatte schon viele Abweichungen festgestellt. Der Plan war sicher nur nach allgemeinen Angaben gezeichnet worden, ohne daß die Räume genau nachgemessen wurden. Die unteren Kerkerzellen waren überhaupt nicht eingetragen.

 

Er war noch mit diesen Untersuchungen beschäftigt, als er wieder einen schwachen Laut hörte. Als er aufschaute, sah er ein schwarzes, eisernes Rohr in einer Ecke des gewölbten Raumes. Er wartete und hörte wieder ein Geräusch, das wie ein klagender Seufzer klang. Es waren nicht dieselben Laute, die er vorhin in der Bibliothek vernommen hatte, aber Bellamys Erklärung konnte immerhin stimmen.

 

Enttäuscht ging er nach oben.

 

»Nun, haben Sie die Wasserleitung verhaftet?« fragte Bellamy ironisch. »Ich würde mich freuen, wenn Sie den sternchenland.com Rohrleger festnehmen wollten, der die Röhren hier installiert hat, Mr. Featherstone.«

 

Jim lächelte, obgleich er nicht sehr fröhlich gestimmt war.

 

Die Polizeibeamten gingen quer durch den Park zurück zu dem Pförtnerhaus, Jim war der letzte.

 

»Hallo!«

 

Bellamy winkte ihn zurück.

 

»Sie haben noch etwas vergessen.«

 

Jim stellte den kleinen Koffer nieder, der seine bescheidene Ausrüstung enthielt, die er in die Burg mitgenommen hatte.

 

»Ich wüßte nicht, was ich vergessen hätte,« antwortete er.

 

Der alte Bellamy steckte seine Hand in die Tasche und zog einen Geldschein heraus.

 

»Nehmen Sie das.« Er drückte Jim einen Schein in die Hand. »Das ist Ihr Gehalt,« sagte Bellamy spöttisch.

 

Jim steckte die Fünfpfundnote widerwillig in die Tasche.

 

Im Dorf traf er Spike, der sich bitter über die Hinterhältigkeit von Julius Savini beklagte.

 

»Ich habe ihn doch gefragt, ob Sie es seien, und dieser nichtswürdige Kerl leistete einen Eid darauf, daß er den neuen Hausmeister nie vorher gesehen hätte!«

 

»Er meinte in diesem Beruf, Spike.« Featherstone nahm den aufgeregten jungen Mann am Arm und ging mit ihm zum »Blauen Bären«. »Immerhin bin ich für das verantwortlich, was er gesagt hat. Ich gab ihm ausdrücklich Anweisung, mich niemand gegenüber zu verraten, und ich erwähnte ganz besonders Sie unter den Personen, denen er es durchaus nicht mitteilen sollte.«

 

»Haben Sie irgend etwas herausgebracht? Als ich diesen Morgen in die Gaststube kam und die vielen kräftigen Leute sah, wußte ich gleich, daß etwas los war. So ein Polizist kann sich doch eigentlich nie verleugnen. Sie können ihn kleiden wie den Prinzen von Wales, oder ihm die Kleider eines Bettlers anziehen – der Kopf, der aus den Kleidern herausschaut, sternchenland.com läßt sich unmöglich maskieren, der sieht immer nach einem Polizisten aus! Sagen Sie doch, haben Sie etwas in der Burg entdeckt?«

 

Featherstone schüttelte den Kopf.

 

»Gar nichts. Das heißt nichts, was den Aufenthalt von Mrs. Held verraten hätte.«

 

»Wer ist denn Mrs. Held?« fragte Spike begierig.

 

Jim wurde sich sofort darüber klar, daß die Geschichte unter allen Umständen geheimgehalten werden mußte. Er erklärte die Zusammenhänge, so gut er konnte, ohne den Noamen Valerie Howetts zu erwähnen.

 

Spike pfiff.

 

»Eine Gefangene? Sehen Sie einmal an, das wäre eine glänzende Geschichte, wenn ich darüber schreiben dürfte. Sagen Sie einmal, lieber Featherstone,« schmeichelte er, »kann ich nicht wenigstens die Tatsache erwähnen, daß die Polizei eventuell der Meinung war, daß eine Frau in den kalten, dunklen Kerkern von Garre Castle gefangengehalten wird?«

 

Jim Featherstone ging aber nicht darauf ein.

 

»Wenn Bellamy deshalb aufsässig wird, könnte es schlimm genug werden. Jetzt haben wir Aussicht, daß er sich wegen der Sache nicht rührt, wenn Sie aber Einzelheiten der polizeilichen Haussuchung veröffentlichen, dann bringt er die Geschichte sicherlich vor Gericht.«

 

Jim Featherstone ließ sein Gepäck im »Blauen Bären« und war froh, als er Spikes neugierigen Fragen entrinnen konnte.

 

Valerie stand gerade an dem Fenster ihres Schlafzimmers, als sie ihn den Gartenweg entlangkommen sah, der zur Haustür führte. Sie eilte nach unten, um ihn zu begrüßen.

 

»Valerie, ich habe einen guten Posten verloren.«

 

»Hat er herausgebracht, wer Sie waren?« fragte sie enttäuscht.

 

»Nein, das nicht. Aber unglücklicherweise habe ich bei ihm sternchenland.com auch nichts herausgefunden. Wir haben in der Burg heute morgen polizeiliche Haussuchung gehalten und haben alles genau durchstöbert. Es ist Ihnen wohl bekannt, daß wir in England Privatgrundstücke nicht ohne weiteres durchsuchen können, es muß ein amtlicher Befehl, der von einem höheren Bemmen unterzeichnet ist, vorliegen. Einen solchen dienstlichen Auftrag erhielt ich heute morgen durch die Post. Scotland Yard hatte ein Dutzend Beamte zum Dorf geschickt, bevor ich aufgestanden war. Es tut mir sehr leid, daß ich den Grünen Bogenschützen nun aus weiterer Entfernung beobachten muß.«

 

Sie sah ihn schnell an.

 

»Haben Sie ihn denn schon in der Nähe gesehen?« fragte sie mit leiser Stimme.

 

»Nein,« antwortete er erstaunt. »Das sagte ich doch auch nicht. Sicher war er in jener Nacht im Schloß, als Sie in den Park von Garre Castle kamen.«

 

Wie konnte er nur behaupten, daß er nichts von dem Grünen Bogenschützen wußte!

 

»Jim, ich möchte Sie etwas fragen,« begann sie ruhig. »Haben Sie sich aus irgendwelchem Grunde, um einen bestimmten Zweck zu erreichen oder um Bellamy zu beobachten, oder weil Sie einen Auftrag der Polizei ausführten, jemals als Grüner Bogenschütze verkleidet? Einmal haben Sie es bestimmt getan!«

 

Dos Erstaunen, das sich in seinen Zügen ausdrückte, war nicht gespielt.

 

»Niemals. Selbst im Traume hatte ich das nicht getan, nicht einmal, um den alten Mann einzuschüchtern. Ich hätte ja dadurch auch nichts gewinnen können.«

 

»Aber Sie sagten, Sie hätten den Grünen Bogenschützen nicht gesehen. Wie war das denn in jener Nacht, in der Sie mich hierherbrachten?«

 

Er sah sie erstaunt an und zog die Stirne kraus.

 

sternchenland.com »Ich weiß nicht, was Sie meinen. Ich spionierte gerade ein wenig im Park umher, als Bellamy seine Hunde hinter Ihnen her hetzte. Ich maß die Temperatur in dem Boden rings um die Außenwände des Schlosses. Ich mache keinen Scherz – das war eine der ernsthaftesten Beschäftigungen, die ich jemals ausführte. Als die Hunde über den Rasen liefen, vermutete ich, daß Sie verfolgt wurden, und eilte, so schnell ich konnte, hinter Ihnen her.«

 

»Dann hörte ich also Sie hinter den Hunden?«

 

Er nickte.

 

»Ich verlor Sie einen Augenblick aus den Augen, aber plötzlich kamen Sie wieder ins freie Gelände. Dann sah ich einen toten Hund auf dem Rasen und Sie lagen dicht daneben. Aber vom Grünen Bogenschützen war nichts zu sehen. Der Hund war allerdings von einem Pfeil getötet worden. Mein erster Gedanke war, Sie in Sicherheit zu bringen. Ich hob Sie auf und trug Sie zur Mauer von Lady’s Manor. Ich vermutete, daß ich dort eine Leiter finden würde. Es hat mich viel Anstrengung und Zeit gekostet, um Sie über die Mauer ins Haus zu bringen. Als ich Sie dann aufs Sofa legen wollte, verlor ich meinen Manschettenknopf, denn ich war an einer Sofaecke hängen geblieben. Mindestens zehn Minuten habe ich danach gesucht.«

 

Sie lächelte ein wenig, als sie an die vielen abgebrannten Streichhölzer dachte, die das Mädchen auf dem Boden gefunden hatte. Nun wußte sie ja, wer der Missetäter war und wozu die Streichhölzer verwendet worden waren.

 

»Ich ging dann wieder zur Burg zurück und fand glücklicherweise die Haupttür offen, so daß mir das Hinaufklettern an einem Seil außen an der Mauer erspart wurde.«

 

Sie seufzte erleichtert auf.

 

»Dann sind Sie also nicht der Grüne Bogenschütze?«

 

»Um Himmels willen, nein, ich bin ein in Ungnade gefallener Hausmeister, außerdem bin ich ein Polizeibeamter, sternchenland.com der jetzt wahrscheinlich in böse Verlegenheit kommen wird – aber niemals bin ich der Grüne Bogenschütze!«

 

»Haben Sie nichts gefunden von –?« Sie beendete die Frage nicht.

 

»Nichts, das Sie interessieren könnte. Ich fand einige Briefe seines Bruders, das war alles.« Er erwähnte nichts von der neunschwänzigen Katze.

 

Bald darauf ging er wieder zum »Blauen Bären« zurück und überlegte sich, was er jetzt am besten tun könnte. Sein Wagen, den er bei seinen täglichen Ausflügen nach London benützte, war im nächsten Dorf untergestellt. So oft er konnte, war er aus der Burg entwischt und hatte es Julius überlassen, seine Abwesenheit zu entschuldigen. Mr. Bellamy gab seinen Hausmeistern einen freien Tag in der Woche, und Savini hatte die Aufgabe übernommen, immer zu erklären, daß heute Philipps freier Tag sei, wenn Bellamy nach ihm fragte.

 

Als Valerie damals zu Besuch kam, war er in der Burg, aber aus leicht begreiflichen Gründen hatte er es vorgezogen, nicht zu erscheinen. Erst als Valerie mit dem Alten allein sprach, hatte ihm Savini einen Wink gegeben. Und während sich Julius Spike in seinem eigenen Zimmer beschäftigte, konnte Jim über den Flur gehen und den richtigen Moment wählen, um dazwischenzutreten.

 

»Ich habe mich entschlossen, nach London zurückzukehren, aber ich werde ab und zu hier sein und mir auch ein Zimmer im ›Blauen Bären‹ mieten. Spike, Sie könnten die Polizei bei ihrer Arbeit ein wenig unterstützen und mir Nachricht geben, wenn etwas Außergewöhnliches passiert. Außerdem lasse ich noch einen Beamten hier zurück.«

 

»Um Bellamy zu bewachen?«

 

»Nein, nur um hier im allgemeinen aufzupassen.«

 

»Dann soll er also Miß Howett bewachen,« sagte Spike laut.

 

sternchenland.com Auf dem Wege zur Stadt überdachte Jim Featherstone das ganze Problem von allen Seiten. Es war Gefahr im Verzug, dessen war er sicher, und die größte Gefahr drohte Valerie Howett. Immer wieder brachte er Coldharbour Smith hiermit in Verbindung, und er nahm sich vor, daß sein erster Besuch in London dem »Goldenen Osten« gelten sollte.

 

Kapitel 34

 

34

 

Vor langer Zeit war der »Goldene Osten« einmal ein angesehener Klub gewesen, dessen Mitglieder sich aus Offizieren der Handelsflotte zusammensetzten. Weil aber kein Klub von einer geringen Mitgliederzahl existieren kann, wurden die Statuten geändert und die Aufnahmebedingungen erleichtert, bis der Klub schließlich alle Leute umfaßte, die irgendwie an dem Handel mit Indien und China interessiert waren. Aber selbst diese Entwicklungsstufe gehörte schon der Vergangenheit an. Der Klub hatte allmählich seine vornehme, gesellschaftliche Stellung und sein Ansehen eingebüßt, und als schließlich jeder aufgenommen werden konnte, kam er sehr schnell herunter.

 

Coldharbour Smith war auch Mitglied geworden. Er fand bald heraus, welche Gewinnchancen sich ihm hier boten, brachte die Majorität der Aktien an sich und war endlich alleiniger und erfolgreicher Besitzer des Klubs. Seltsame Dinge ereigneten sich in dem »Goldenen Osten«. Fast alle Vorschriften der Polizei über das Klubwesen wurden hier übertreten, so daß man den Klub zu jeder Zeit hätte schließen können. Aber vom Standpunkt der Polizeidirektion aus war der »Goldene Osten« eine ganz brauchbare Einrichtung. Es verkehrten viele lichtscheue Elemente dort, und gerade weil die Polizei hier ein Auge zudrückte, konnte man häufig gesuchte Verbrecher aufspüren und dingfest machen.

 

sternchenland.com Coldharbour Smith war sehr großzügig und lebte in der Überzeugung, daß seine Geschenke an gewisse Polizeibeamte ihm diese Achtung und Rücksichtnahme verschafften. Er wäre sehr erstaunt gewesen, wenn er erfahren hätte, daß das Geld, das er dem Polizeiinspektor seines Quartiers zusteckte, jeden Sonnabend dem Polizeiwaisenhaus übergeben wurde und daß der Kassierer darüber regelmäßig Buch führte und offizielle Quittungen erteilte.

 

Der Klub hatte früher nur kleine Räumlichkeiten an einer Straßenecke gehabt, aber allmählich war er zu einem großen Etablissement geworden. Die Räume im Erdgeschoß wurden als Bureaus benützt, erst im Obergeschoß lagen die eigentlichen Gesellschaftsräume, zu denen auch eine lange, fensterlose Eingangshalle gehörte, die ihr Licht von oben erhielt. Nichts wurde hier gewöhnlich gespielt.

 

Den Tanzsaal im Obergeschoß bevölkerte ein merkwürdiges Publikum. Man fand dort Schauspielerinnen aus dem Westen und junge Leute, die sich einmal die Verbrecherwelt Londons ansehen wollten. Auch ein paar Chinesen und Neger waren zu sehen, ebenso eine große Anzahl elegant gekleideter Damen, die scheinbar keine andere Beschäftigung hatten, als sich im Klub aufzuhallen. Hinter dem Tanzsaal lag die Bar, in der man gewöhnlich Coldharbour Smith finden konnte« Er trug einen gutsitzenden, karierten Anzug mit weißer Krawatte und ließ die Zigarre im Munde niemals ausgehen.

 

Um Mitternacht war der Betrieb meistens am größten. Die Theater des Westens hatten dann geschlossen, und die vornehmeren Besucher kamen in das Lokal. Die farbigen Kellner in ihren schmucken Livreen eilten von Tisch zu Tisch, um die Aufträge der Gäste in Empfang zu nehmen, und die Jazz-Band spielte wild und laut. Der Klub lag mitten in einer ärmlichen, dürftigen Gegend, wo Männer, Frauen und Kinder eng wie in Ställen zusammengepfercht lebten und hungerten, wie man Vieh nicht hätte hungern lassen. Aber trotzdem sternchenland.com waren diese Leute stolz auf den Klub. Die ausgelassene Fröhlichkeit und die Eleganz der Besucher boten ihnen eine abwechslungsreiche Unterhaltung. Jeden Abend standen diese Menschen in ihren armseligen Kleidern zitternd vor Frost vor dem Lokal, um die Auffahrt der schönen Automobile und Wagen zu beobachten.

 

Der »Goldene Osten« war beliebt und modern. Die Fremden besichtigten ihn ebenso wie sie die berühmten Sehenswürdigkeiten, die Kathedrale, die großen Handelshäuser und die Museen besuchten.

 

Lärmendes Gelächter und wilde Synkopenmelodien schollen Jim Featherstone entgegen, als er in die Eingangshalle trat, den Portier mit einem Kopfnicken begrüßte und dann auf der teppichbelegten Treppe nach oben ging. Aber der Portier setzte sofort unauffällig eine geheime Alarmklingel in Bewegung, und als Jim den Tanzsaal erreichte, war dort eine allgemeine Ruhepause eingetreten. Das Orchester spielte nicht mehr, und die Tänzer waren zu ihren Tischen zurückgekehrt. Wer das Lokal nicht genau kannte, mochte ein wenig erschrocken sein, denn Coldharbour Smith hatte das Zauberwort »Polizei« ins Lokal gerufen.

 

»Ich freue mich, Sie zu sehen, Captain.« Coldharbour kam Featherstone halbwegs durch den Tanzsaal entgegen und reichte ihm seine von Brillantringen glitzernde Hand zum Gruß.

 

»Es ist heute abend sehr ruhig hier, Smith.«

 

»Ach, es ist nicht außergewöhnlich ruhig. Wir haben hier überhaupt nur wenig Lärm.«

 

Jim musterte mit schnellen Blicken die ganze Gesellschaft.

 

»Sie haben aber ganz gute Kundschaft hier. Wer hat denn an diesem Tisch gesessen?«

 

»Die Leute sind schon vor einer halben Stunde gegangen.«

 

»Und haben die Weinflasche hier stehen lassen? Sie ist doch eben erst aufgemacht worden, der Sekt schäumt ja noch! sternchenland.com Und vier funkelnagelneue Gläser stehen auch auf dem Tisch?«

 

»Ach, das hat nichts zu sagen, Sie kennen doch keinen von ihnen. Es sind irgendwelche reichen Leute vom Westend, die sich vermutlich hier nicht sehen lassen wollten.«

 

Er ging zur Bar und Jim Featherstone folgte ihm.

 

»Wollen Sie nicht einen Schluck trinken, Captain?« Coldharbour Smith warf dem Barmann einen schnellen Blick zu. »Wir bekommen Sie ja nicht oft zu sehen. Heute abend sind ein paar regelrechte Schiffskapitäne hier.« Er zeigte mit dem Kopf nach einem Tisch, an dem eine kleine Gruppe an der Ecke des Saales saß. Es waren wenig elegant gekleidete Leute, die scheinbar von außerhalb kamen. »Es verkehren auch eine ganze Menge Matrosen hier,« fuhr Coldharbour Smith fort. »Ich glaube, daß sie gerne herkommen, um zu sehen, wie sich der alte Platz herausgemacht hat, den sie vor Jahren kannten.«

 

»Möglich, daß sie das tun,« erwiderte Jim trocken. »Vielleicht empfangen Sie hier auch ihre Aufträge und Befehle.«

 

»Befehle, Captain?« fragte Smith und bemühte sich, ein erstauntes Gesicht zu machen.

 

»Ich möchte nur wissen, wieviele Schiffsladungen schlechten Whisky Sie schon nach den Vereinigten Staaten verfrachtet haben, Smith! Tun Sie doch nicht so unschuldig, die Polizei weiß ganz genau, daß Sie schon seit einem Jahr Alkohol nach Amerika verschicken.«

 

»Ach, die Sache geht leider nicht immer nach Wunsch,« klagte Smith. »Letzthin sind uns zwei ganze Ladungen abgefaßt und über Bord geworfen worden.«

 

»Na, dann muß der Ozean voll von toten Fischen sein,« sagte Featherstone. »Aber ich bin nicht gekommen, um Ihnen deshalb Schwierigkeiten zu machen. Es ist kein Vergehen, die Amerikaner mit Alkohol zu vergiften.«

 

»Ich bin nur ein Agent.« Smith sagte die Wahrheit. sternchenland.com »Ich habe kaum etwas davon. Nur die großen Leute verdienen das viele Geld. Aber wollen Sie nicht etwas trinken, Captain?«

 

»Nein, ich habe keinen Durst. Aber ich wollte einmal in aller Ruhe mit Ihnen sprechen, Smith. Haben Sie ein Zimmer, wo wir allein miteinander reden können?«

 

Smith ging in einen Raum, der auf der Rückseite der Bar lag, und Featherstone folgte ihm. Als Coldharbour das Licht andrehte, hob Jim die Nasenflügel, als ob er etwas Besonderes witterte. Dann sah er den unglücklichen Coldharbour vernichtend an.

 

»Unterlassen Sie das Opiumrauchen hier, Smith,« sagte er scharf. »Wir sind sonst nicht so genau, aber das muß unter allen Umständen unterbleiben!«

 

»Das ist sicher einer von den verdammten Portugiesen gewesen,« erwiderte Coldharbour schnell. »Mein Geschäftsführer hat die Kerle hier hereingelassen. Ich selbst gestatte so etwas niemals – ich schwöre Ihnen, Captain, daß bei mir keine Pfeife Opium geraucht werden darf. Das passierte in meiner Abwesenheit. Als ich zurückkam, habe ich den Kerl hinausgeworfen.«

 

»Das mag wahr oder gelogen sein, aber lassen Sie es nicht noch einmal vorkommen. Nun hören Sie zu!«

 

Er nahm einen Stuhl, setzte sich nieder, stützte die Ellenbogen auf den Tisch und schaute Smith an.

 

»Sie waren also neulich abend drüben in der Burg?«

 

»Meinen Sie Garre Castle – Mr. Bellamys Wohnsitz? Ja, ich bin in letzter Zeit zweimal dort gewesen, um Mr. Bellamy in geschäftlichen Angelegenheiten zu sprechen. Aber woher wußten Sie denn das?« fragte er möglichst unschuldig.

 

Jim lächelte.

 

»Der Alte hat heute an Sie telephoniert und Ihnen erzählt, daß ich heule morgen Haussuchung bei ihm abgehalten sternchenland.com habe. Leugnen Sie nicht, einer meiner Leute in der Telephonzentrale hat das Gespräch abgehört.«

 

Es war reiner Bluff von Jims Seite. Aber es war ihm aufgefallen, daß man auf seinen Besuch im »Goldenen Osten« scheinbar vorbereitet war, und er vermutete, daß der alte Bellamy Smith gewarnt hatte.

 

»Was haben Sie denn eigentlich mit dem alten Bellamy vor?«

 

»Er ist ein guter Freund von mir,« sagte Coldharbour gewandt. »Er hat mir viel Geld geliehen, so daß ich dieses Lokal kaufen konnte.«

 

»Haben Sie nicht auch sein Leben gerettet – sind Sie nicht auch einmal ins Wasser gesprungen, um ihn herauszuziehen?«

 

»Nein, mein Herr, das habe ich nicht getan.« Smith sprach sehr liebenswürdig, und sein Benehmen war ungewöhnlich freundlich. Aber Jim sah doch einen kalten, tückischen Glanz in seinen Augen und wußte genug.

 

»Er hat Ihnen also das Geld geliehen. Gut, daß Sie mir das sagen. Und nun wollen Sie ihm das Geld wohl zurückzahlen? Sagen Sie einmal, Smith, wo wohnten Sie eigentlich, bevor Sie hierher zogen? Ich habe Ihre Akten nicht durchgesehen.«

 

»Ich habe kurze Zeit in der Nachbarschaft gewohnt,« sagte Smith düster. »Ich lebte gewöhnlich in Camden Town.«

 

»In welchem Teil von Camden Town?« fragte Jim schnell.

 

»In Little Bethel Street.«

 

»Little Bethel Street!« Jim sprang auf. »Dann kennen Sie Mrs. Held!« sagte er drohend und anklagend.

 

»Ich habe niemals von einer Mrs. Held gehört!« rief Smith laut. »Was meinen Sie denn damit, Captain? Wer ist denn überhaupt Mrs. Held?«

 

sternchenland.com »Sie kannten Mrs. Held, und Sie haben dabei geholfen, sie verschwinden zu lassen!«

 

Smith war ein wenig blasser geworden.

 

»Erzählen Sie mir alles, Smith, ich will dafür sorgen, daß Sie straflos ausgehen, wenn Sie es mir sagen. Aber wenn Sie das nicht tun –« er schlug mit der Faust auf den Tisch – »dann werde ich den ›Goldenen Osten‹ in einer Woche schließen.«

 

Zu seinem größten Erstaunen begann Smith zu lächeln.

 

»Das macht mir nichts aus, Captain. Ich habe den › Goldenen Osten‹ verkauft und habe schon die Hälfte des Kaufpreises.« Er klopfte auf seine Tasche. »Wenn Sie das Lokal schließen, so ist es mir wirklich gleichgültig.«

 

Er sprach die Wahrheit – Jim sah es an seinem Gesichtsausdruck.

 

»Aber immerhin, Captain, warum drohen Sie mir? Ich bin doch immer offen gewesen, Sie können nichts gegen mich haben. Ich habe stets versucht, mit der Polizei auf gutem Fuß zu stehen, und wenn es nicht so ist, kann ich nichts dafür. Wollen Sie wirklich nichts trinken, Captain?«

 

Drei wichtige Dinge waren Jim Featherstone nicht entgangen: erstens der schnelle Wink, den Smith dem Barmann mit den Augen gegeben hatte, zweitens die Aufdringlichkeit, mit der er ihm etwas zu trinken anbot, obwohl er wußte, daß Jim niemals etwas genommen hatte, wenn er hier war. Drittens hatte er bemerkt, daß der Baimann das Zeichen, das ihm Smith gegeben hatte, weiter signalisierte. Unauffällig schaute er in dieselbe Richtung und entdeckte einen Mann, den er vorher noch nicht gesehen hatte. Aber darüber wollte er Smith an einem mehr öffentlichen Platz zur Rede stellen.

 

»Warum bieten Sie mir eigentlich dauernd zu trinken an? Sie wissen doch nur zu gut, daß ich hier nichts nehme.«

 

»Seien Sie doch wenigstens einmal gemütlich!« grinste Smith.

 

sternchenland.com In der Ecke des Raumes stand ein Telephon, das Jim schon bemerkt hatte, als er hereinkam.

 

»Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich einmal einen Freund anrufe,« sagte er plötzlich.

 

Smith zögerte.

 

»Der Apparat ist nicht in Ordnung –«

 

»Das werden wir gleich sehen,« entgegnete Jim kühl und nahm den Hörer auf.

 

Das Amt meldete sich sofort und er nannte eine Nummer.

 

Smith stand mitten im Zimmer und kaute nervös an seinen Nägeln. Jim ahnte dunkel, was sich vorbereitete.

 

»Wer ist dort? Der Sergeant vom Dienst in Limehouse? Captain Featherstone am Apparat. Ich bin im ›Goldenen Osten‹ … jawohl … senden Sie sofort vier Leute, die mich am Eingang des Klubs draußen erwarten. Danke Ihnen.«

 

Er hing den Hörer ein, und nun zeigte ihm die Bestürzung Smiths, daß er sich nicht getauscht hatte.

 

»Sie hatten für mich einen kleinen Empfang da unten arrangiert, Smith,« sagte er böse. »Ich sah den Mann wohl, der mir folgte. Wer hat Ihnen den Tip gegeben, daß ich allein hierherkam? Wie dachten Sie sich denn die Sache? Ich sollte wohl in eine Straßenschlägerei geraten? Das haben Sie nicht schlau genug angefangen, Smith!«

 

Mit einem Nicken ging er zur Tür und drückte den Griff herunter, aber sie war geschlossen. Er wandte sich wütend um.

 

»Der Barmann hat wahrscheinlich die Tür geschlossen,« sagte Smith heiser. »Aber hier ist ein anderer Weg, auf dem Sie das Lokal verlassen können, Captain.«

 

Er öffnete eine Tür, die auf eine steile Treppe führte.

 

»Sie werden unten noch eine andere Tür finden, Captain.«

 

»Vielleicht gehen Sie eben mit mir hinunter,« sagte Jim höflich.

 

Smith ging schnell vor dem Detektiv her und öffnete die sternchenland.com Tür. Jim sah die rechteckige Türöffnung und die Umrißlinien von Coldharbours Gestalt.

 

»Gute Nacht, Captain,« sagte Smith laut.

 

»Gute Nacht,« antwortete Jim.

 

Er tat so, als ob er an dem Wirt des »Goldenen Ostens« vorbeigehen wollte, drehte sich aber plötzlich um und packte Smith am Kragen. Bevor dieser ein Wort sagen konnte, hatte Jim ihn durch die offene Tür ins Freie gestoßen. Auf der Straße sprang ein Mann, der sich im Schatten versteckt hatte, auf ihn zu und schlug ihm zweimal mit einem schweren Stock über den Schädel. Smith fiel mit einem Stöhnen zu Boden.

 

Jim war sofort draußen und verfolgte den Flüchtling. In kürzester Zeit hatte er ihn eingeholt und stieß ihn schnell in die Kniekehlen, so daß er der Länge nach auf das harte Straßenpflaster fiel. Jim zog ihn mit eisernem Griff nach oben und stellte ihn wieder auf die Füße.

 

»Ich will mich nicht wehren,« winselte der Mann und ließ seine Waffe fallen, die polternd auf den Asphalt aufschlug. »Ich wollte ihm ja gar nichts tun, das war wirklich nicht meine Absicht. Coldharbour Smith hat mir Geld gegeben, daß ich einen Mann niederschlagen sollte, der aus der Tür kam.«

 

»Coldharbour Smith wünscht jetzt wohl selbst nicht, daß er das getan hat, mein Freund,« sagte Jim.

 

Er schleppte seinen Gefangenen zu einer Straßenlaterne und bog ihm den Kopf zurück, daß er sein Gesicht sehen konnte. Es war derselbe Mann, der ihm schon vorher gefolgt war. Er wand sich unter Jims hartem Griff.

 

»Coldharbour wird mich kalt machen,« stöhnte er.

 

Als sie zu der Tür zurückkamen, fanden sie Smith, der eben wieder zu sich gekommen war. Er saß auf dem Pflaster und hielt seinen schmerzenden und blutenden Kopf. Die beiden sternchenland.com beschuldigten sich gegenseitig, und Jim hörte belustigt und interessiert zu.

 

»Wenn Sie hier behaupten, daß ich Ihnen den Auftrag gab, diesem Gentleman aufzulauern, dann lügen Sie ganz unverschämt,« brüllte Smith. »Wenn ich Sie erst in die Finger bekomme, drehe ich Ihnen das Genick um, Sie dreckiger Kerl! Lochen Sie den Hund nur ein, Featherstone!«

 

»Einlochen!« schrie der andere. »Sie wären schon längst eingebuchtet, Smith, wenn Sie nicht immer mit der Polizei zusammensteckten! Das wäre ja ein Heidenspaß, wenn Sie einmal im Gefängnis säßen, Sie lahmer Hund!« Der Mann war über den Verrat von Coldharbour Smith empört und wurde immer wütender, trotzdem Jim ihn am Kragen festhielt.

 

»Sie würden keinen Ausschank mehr hier haben, Sie würden keine Valerie –«

 

Jim riß ihn wild herum.

 

»Was ist das?« fragte er scharf.

 

»Valerie Howett – wird Mrs. Smith,« brüllte der Gefangene.

 

Jim fühlte, wie sein Blut zu Eis erstarrte.

 

Kapitel 35

 

35

 

»Hören Sie nicht auf den Kerl, Captain,« schrie Smith heiser. »Er ist verrückt, er war schon immer unzurechnungsfähig, er war in einer Irrenanstalt!«

 

Plötzlich überschüttete er den Mann mit einem furchtbaren Wortschwall. Er sprach jiddisch, und Jims Gefangener wurde unter dem Anprall seiner Rede plötzlich mäuschenstill.

 

»Halten Sie jetzt den Mund, Smith,« sagte Featherstone scharf. »Wenn Sie in meiner Gegenwart zu dem Mann sprechen, haben Sie die englische Sprache zu gebrauchen.« sternchenland.com Er wandte sich wieder an seinen Gefangenen. »Heraus mit der Sprache! Was meinten Sie, als Sie den Namen dieser Dame erwähnten.«

 

»Ich habe mir nur einen Scherz erlaubt,« antwortete der Mann kleinlaut.

 

»Ich habe viel Sinn für Humor,« fuhr Jim ihn an, »aber hierüber kann ich nicht lachen. Was wissen Sie von Miß Howett?«

 

»Ich weiß gar nichts von ihr.«

 

»Er hat ihren Namen in der Zeitung gelesen,« warf Smith ein. »Aber ich kann Ihnen versichern, Captain, er ist wirklich nicht richtig im Kopf. Sie sind doch im Irrenhaus gewesen, Isaacs?«

 

»Ja, das stimmt,« gab der andere seufzend zu. »Man darf mich nicht für meine Worte verantwortlich machen.«

 

In diesem Augenblick kamen die vier Polizisten an, nach denen Jim telephoniert hatte.

 

»Nehmen Sie diesen Mann und bringen Sie ihn zur Station. Ich beschuldige ihn wegen bewaffneten Überfalls und Körperverletzung. Ich werde nachher hinkommen und ihn verhören.«

 

Als sich die Beamten mit dem Gefangenen entfernt hatten, wandte sich Featherstone an Smith.

 

»Vermutlich haben Sie schon seit langer Zeit Sehnsucht nach Unannehmlichkeiten. Ihr Wunsch wird setzt über Erwarten in Erfüllung gehen! Wenn ich mit dem Kerl da fertig bin, komme ich zurück und werde Sie vornehmen.«

 

»Sie können mir keine Angst einjagen, Captain,« sagte Smith und hielt sich noch immer den blutenden Kopf.

 

»Es kommt auch gar nicht darauf an, ob Sie Angst haben – es handelt sich darum, daß Sie wahrscheinlich ermordet werden. Machen Sie sich das einmal in Ihrem Schädel klar!«

 

sternchenland.com Featherstone folgte den Polizisten und ließ den Gefangenen in einer Zelle einschließen.

 

»Isaacs hat tatsächlich recht, Captain Featherstone,« sagte der Sergeant. »Er ist etwas verrückt und wird von Zeit zu Zeit in eine Irrenanstalt gebracht, solange ich mich besinnen kann.«

 

»Wie sind seine Akten?«

 

»Die sehen böse aus. Er hat schon dreimal vor den Geschworenen von Old Baley gestanden – meist wegen räuberischen Überfalls. In der letzten Zeit war er im ›Goldenen Osten‹ beschäftigt. Coldharbour Smith hatte ihn sozusagen angestellt.«

 

Es war ein aussichtsloses Unternehmen, aus dem Mann etwas herausbringen zu wollen. Offenbar hatte Smith ihn in Jiddisch gewarnt, etwas auszusagen und ihm sicher eine große Belohnung versprochen, wenn er den Mund hielte. Jim war es ganz klar, daß die Erwähnung von Valeries Namen kein Zufall war. Mrs. Smith! Welche schrecklichen Pläne hatten Coldharbour Smith und dieser Teufel von Bellamy vor?

 

Jim ging mit einem Polizeibeamten in die Zelle und verhörte den Gefangenen. Aber er erkannte bald, daß es nur Zeitverschwendung war. Isaacs hatte einen krummen Buckel, einen schiefen Hals und eine niedrige, zurückfliehende Stirne. Aber trotz seines geistigen Defektes war er doch schlau genug, um diese Gebrechen in jeder Weise für sich auszunützen. Er schaute Jim bloß blöde an.

 

»Kann mich überhaupt nicht erinnern, daß ich sowas gesagt habe – wie war doch der Name der Dame?«

 

»Es hat keinen Zweck,« meinte Jim, als er zum Dienstraum zurückkam. »Ich weiß überhaupt nicht, ob es sich der Mühe lohnt, ihn noch länger einzusperren. Es ist Smiths Sache, die Anklage gegen ihn zu erheben. Wenn das nicht geschieht, lassen Sie ihn wieder laufen.«

 

sternchenland.com Smith dachte gar nicht daran, seinen Helfershelfer anzuzeigen und gab das auch offen zu, als Featherstone ihn danach fragte.

 

»Meine Geduld mit diesem verrückten Teufel ist zu Ende. Ist es nicht genug, daß ich sehen mußte, wie er Ihnen auflauerte? Gott sei Dank hat er nicht Sie, sondern mich getroffen,« sagte Smith heuchlerisch.

 

»Ich bin sehr gerührt,« erwiderte Jim sarkastisch. »Aber jetzt wollen wir einmal über Miß Valerie Howett sprechen und warum Isaacs ihren Namen mit dem Ihrigen zusummen nannte.«

 

Sie saßen wieder in dem kleinen Raum hinter der Bar, aber jetzt war ein Polizist an dem Hinteren Türausgang aufgestellt und ein anderer bewachte den Haupteingang.

 

»Ich weiß wirklich nicht mehr als Sie darüber. Diese Verrückten haben ganz sonderbare Ideen. Manchmal prägt sich ihnen ein Name ein –«

 

»Also lassen Sie den Unsinn, Smith,« sagte Jim mit gefährlicher Ruhe, »und spielen Sie nicht auch den Verrückten. Sie sind jedenfalls bei klarem Verstand.«

 

»Captain, ich weiß wirklich nichts davon. Ich habe den Namen dieser Dame früher nie gehört. Ich kann doch nichts für das, was dieser verrückte Isaacs gesagt hat.«

 

»Isaacs hat nur das wiederholt, was Sie geäußert haben müssen, als Sie betrunken waren, Smith. Ich sage es Ihnen noch einmal – Sie sind in großer Gefahr, Sie brauchen nicht so schmutzig zu lachen. Ich weiß schon, woran Sie eben wieder denken, ich habe aber nicht damit gemeint, daß wir Sie ins Gefängnis stecken wollen, – ich kann Sie hinter Schloß und Riegel bringen, sobald ich will. Sie fühlen sich sicher, weil niemand etwas gegen Sie unternimmt, aber Sie sind schlecht beraten. Ein Mann wie Sie steht immer mit einem Bein im Zuchthaus. Man braucht sich gar nicht die Mühe zu geben, großes Material gegen Sie zu sammeln. Nein, Sie sternchenland.com sind in Gefahr, in persönlicher Gefahr.« Er drohte ihm warnend mit dem Finger. »Hüten Sie sich vor mir, aber größere Gefahr droht Ihnen von jemand, der kein Mitleid mit Ihnen haben wird.«

 

Lange nachdem sich die Tür hinter Featherstone geschlossen hatte, saß Coldharbour Smith immer noch in der Haltung, die er während der Unterredung eingenommen hatte. Dann stand er auf, öffnete die Tür zu der Bar und rief dem Barmann mit grober Stimme etwas zu.

 

»Schicken Sie mir den südamerikanischen Kapitän herüber und bringen Sie eine Flasche Wein und Zigarren. Ich werde wohl die Nacht hier bleiben.«

 

Kapitel 31

 

31

 

Julius Savini fühlte sich nicht sehr wohl. Die Quelle seiner außerordentlichen Einnahmen war plötzlich versiegt. Aber er liebte Fay, die ja teilweise daran schuld war, zu sehr, als daß er ihr auf die Dauer böse sein konnte. Als beweglicher Mann sah er sich sofort nach einer neuen Einnahmequelle um und schwankte zwischen Valerie Howett und Bellamy selbst. Aus Abel Geld herauszubringen war ein schwieriges Unternehmen, wie er sich selbst eingestand. Aber unter gewissen Umständen mußte es doch möglich sein. Wenn er zum Beispiel hinter eins der Geheimnisse käme, könnte ihm das vielleicht eine Rente einbringen, ähnlich der, die Coldharbour Smith regelmäßig erhielt.

 

Er war nun schon länger als ein Jahr in den Diensten dieses Amerikaners, ohne auch nur das geringste Geheimnis zu entdecken, das auch nur einige Groschen wert gewesen wäre. Und es wurde immer schwerer, ihm nachzuforschen. sternchenland.com Das Auftreten des Grünen Bogenschützen hatte zur Folge, daß die wachsamen Polizeihunde angeschafft wurden, die ihn daran hinderten, nachts Nachforschungen in Bellamys Akten anzustellen, und am Tage fand sich überhaupt keine Gelegenheit dazu. Früher oder später mußte er diese Stelle doch aufgeben und eine weniger aufreibende Beschäftigung in einem anderen Lande suchen. Aber obgleich Bellamy sein bares Geld im Hause hinter Stahltüren aufbewahrte, gab es doch auch noch andere Wege.

 

Als kluger Geschäftsmann hatte Julius das Monatsgeld seiner Frau stark heruntergesetzt und ihr auch erklärt, warum dies notwendig war. Als Antwort hierauf hatte sie sofort verlangt, daß er zur Stadt zurückkehren sollte. Ihr Bruder hatte sich nun doch einer Bande angeschlossen, die auf den Schiffen arbeitete, die über den Atlantischen Ozean fuhren. Dort fand sich sicher auch Gelegenheit für einen Mann von Julius‘ Fähigkeiten. Aber er war nur einen kurzen Augenblick versucht, seinen Posten aufzugeben. Das Wagnis war nicht allzugroß, dafür waren aber auch die Einnahmen gering. Seiner Meinung nach durfte er nicht so kleinen Verdiensten nachjagen. In seiner jetzigen Stellung konnte er unter Umständen viel Geld machen, selbst wenn das Risiko verhältnismäßig groß war.

 

Er hatte damals nur die Wahrheit gesagt, als er erklärte, daß er unter gewissen Umständen für einen vorzeitigen Tod Abel Bellamys sorgen würde. Hätte er nur die Gewißheit gehabt, straflos zu entkommen, so hätte er den alten Mann ohne die leisesten Gewissensbisse ebenso leicht wie eine Ratte umgebracht. Und wenn seine Hand bei der Tat gezittert hätte, so wäre es nur um seine eigene Sicherheit gewesen, denn er war sehr um seine Zukunft besorgt.

 

Er lehnte also den Vorschlag seiner Frau ab und forderte rigoros von ihr, daß sie den Plan, sich selbst an den Unternehmungen ihres Bruders zu beteiligen, aufgeben sollte. Als sternchenland.com er nur eine zweideutige Antwort hierauf erhielt, fuhr er m die Stadt, hielt dem als Faustkämpfer berüchtigten Jerry die Mündung einer Pistole unter die Nase und warf ihn aus seiner Wohnung hinaus.

 

»Du bist doch sonst ein so liebes, gutes Mädchen, Fay. Nun tue doch, was ich dir rate,« sagte er mit seiner sanftesten Stimme. »Du hast mich neulich nervös gemacht, und ich habe nichts dazu gesagt, daß du mich einen Narren nanntest, aber vergessen habe ich es nicht.«

 

»Ach, du armseliger Feigling,« stöhnte sie.

 

»Mag sein, daß ich das bin. Ich fürchte mich vor manchen Dingen, aber am allerwenigsten vor dir und der Gesellschaft, mit der du da verkehrst. Ich lebe setzt bei einer Bestie in Menschengestalt, und da ist es wohl natürlich, daß ich manchmal Furcht empfinde. Aber vor solchen Kaninchen wie dir habe ich noch nie Angst gehabt. Wenn du dich mit diesen Leuten einläßt, werde ich dir bis ans Ende der Welt folgen und dich kalt machen.«

 

Julius verließ sie wieder, und sie blieb in London. Er hatte auch nicht erwartet, daß sie etwas anderes tun würde. Sie fühlte sich niedergeschlagen und traurig und mochte auch Grund dazu haben, denn Savini war ein Mischling, den alle Gesellschaftsklassen verachteten.

 

Dies spielte sich wenige Tage nach Valeries Besuch in Garre Castle ab. Die Ereignisse kamen schnell in Fluß, obgleich sich äußerlich das Leben auf der Burg nicht änderte. Nur Abel Bellamy war in der letzten Zeit schweigsamer geworden, und es war noch schwerer mit ihm umzugehen als sonst.

 

Drei Tage später kam Coldharbour Smith unerwartet zu Besuch und Bellamy schloß sich den größten Teil des Abends mit ihm in der Bibliothek ein. Mr. Smith war vollständig nüchtern und sah noch abstoßender aus, als wenn er getrunken hatte. Sein liederlicher Lebenswandel spiegelte sich auf seinem blassen Gesicht wieder. Seine kurze Oberlippe bedeckte kaum sternchenland.com die Zähne, sein großes Kinn trat weit hervor. Er machte den Eindruck, als ob er sich nur manchmal rasierte. Seine kleinen Augen lagen tief und er hatte eine Glatze.

 

Als der neue Hausmeister hörte, daß er kommen würde, bat er Julius, ihn zu empfangen.

 

»Können Sie denn das nicht selbst tun?« sagte der Sekretär mürrisch.

 

»Ich kann sein Gesicht nicht ausstehen, es verfolgt mich im Traum,« war die wenig befriedigende Antwort.

 

Und dann kam der Tag der vielen Ereignisse. Es begann schon bald nach dem Frühstück. Abel war zu dem Hundekäfig gegangen und hatte die drei Tiere herausgelassen, um sie im Park spazierenzuführen. Er kam an der Eingangshalle draußen vorbei, wo der Hausmeister stand und dem neuen Dienstmädchen zeigte, wie man den Schmutzkratzer an der Tür mit Graphit schwärzte. Plötzlich entfernte sich unerwartet einer der Hunde von Bellamys Seite und sprang das Mädchen an. Sie fiel schreiend auf den Rücken. In dem Augenblick, als der Hund sie an der Schulter packen wollte, bückte sich der Hausmeister, hob das Tier ohne große Anstrengung auf und warf es in weitem Bogen auf den Rasen. Mit einem wütenden Bellen kam die Bestie zurück und gerade auf den Mann zu.

 

Bellamy rührte sich nicht und machte auch keinen Versuch, den Hund zurückzurufen. Er beobachtete interessiert, wie er zum Sprung ansetzte. Aber als der Hund eben vom Boden loskam, bückte sich der Hausmeister wieder und schlug ihm mit der Faust unter die Kinnlade des geöffneten Rachens, so daß sich die beiden Kiefer unfreiwillig schlossen. Es gab ein dumpfes Geräusch, als er ihm mit der anderen Faust gegen die Rippen fuhr und den Hund weit wegschleuderte. Die Bestie lag nach Luft schnappend auf dem Rücken.

 

»Was haben Sie mit meinem Hund gemacht?« herrschte ihn Bellamy ärgerlich an. »Wenn Sie ihn getötet haben –«

 

sternchenland.com »Ich habe ihn nicht getötet, er ist nur etwas außer Atem, Ich hätte ihn allerdings auch ebenso leicht töten können.«

 

Abel sah den Mann von oben bis unten an.

 

»Sie haben aber wirklich einen höllischen Mut, daß Sie meinen Hund derartig behandeln!«

 

»Und Sie haben Mut, sich nach dem Angriff auf das arme Mädel noch zu beklagen, daß man das Vieh schlägt. Wenn Sie Ihrem Hund gepfiffen hätten, dann hätte er sie nicht angesprungen!«

 

Abel horchte ganz verstört auf.

 

»Wissen Sie denn, zu wem Sie hier sprechen?«

 

»Ich spreche mit Mr. Bellamy, wie ich denke. Sie haben mich angestellt, daß ich mich um Ihre Dienstboten kümmere, und nicht, daß ich Ihre Hunde füttere!« Er drehte sich um, wandte ihm den Rücken zu und ging in die Halle, um das erschreckte und weinende Mädchen zu trösten.

 

Abel wollte ihm zuerst auf dem Fuß folgen, aber er änderte seine Absicht und setzte seinen Spaziergang fort. Als er dann zurückkam, suchte er Streit und schickte nach Savini.

 

»Wo ist Philipp?«

 

»Er kümmert sich noch um das Mädchen, das vom Hund gebissen wurde, sie hat einen Nervenzusammenbruch.«

 

»Werfen Sie das nichtsnutzige Ding hinaus!« brüllte Bellamy. »Und sagen Sie diesem eitlen Hausmeister, daß ich ihn nicht dazu bezahle, daß er mit den Mädels herumpoussiert. Schicken Sie ihn zu mir!«

 

Gleich darauf erschien Philipp.

 

»Wie Sie auch immer heißen mögen, Sie können Ihren Plunder packen und sich fortscheren – und Sie können auch Ihr Mädchen mit sich nehmen!«

 

»Ich habe hier kein Mädchen,« sagte der Hausmeister ruhig. »Aber wenn ich hier für eine Frau verantwortlich wäre, dann können Sie sicher sein, daß ich sie keinen Augenblick hier lassen würde. Regen Sie sich nicht auf, Mr. Bellamy,« sternchenland.com sagte er, als der Alte zornig aufsprang. »Sie haben es hier nicht mit Valerie Howett und auch nicht mit ihrer Mutter zu tun.«

 

Er sah, daß Bellamy blaß wurde. Aber es war nicht Furcht, sondern blinde Wut, die ihn übermannte.

 

»Mich können Sie nicht so behandeln, wie Sie die beiden behandelt haben, das wollte ich Ihnen nur sagen, Bellamy!«

 

»Sie – Sie –!«

 

»Kommen Sie mir nicht zu nahe, Sie sind ein alter Mann, und ich möchte Sie nicht gerne niederschlagen, das gehört nicht zu meinen Pflichten.«

 

»Ihren – Pflichten?« fuhr Abel Bellamy heraus.

 

Der Hausmeister nickte.

 

»Ich bin Captain James Featherstone, Polizeidirektor von Scotland Yard. Ich habe auch ein amtliches Schriftstück in der Tasche, das mir den Auftrag gibt, Garre Castle zu durchsuchen und wenn nötig, Sie zu verhaften, weil Sie Elaine Held ungesetzlicherweise gefangen halten.«