Kapitel 50

 

50

 

Valerie Howett brachte den größten Teil des Tages in der Schlafkabine zu. Als sie sich näher umschaute, verstärkte sich ihre Überzeugung, daß dieser Platz besonders für sie vorbereitet worden war. Die Zeit wurde ihr lang, und der Tag wollte kein Ende nehmen.

 

Aus der Schlafkammer führte eine Öffnung, die erst vor kurzem in die Holzwand gesägt worden sein mußte, zu einem anderen kleinen Raum, den Smith als Waschraum bezeichnet hatte. Er war zugleich der einzige Baderaum auf dem sternchenland.com Dampfer. Die Tür auf der anderen Seite, die zu dem Verbindungsgang führte, war fest verschlossen, und die Deckel waren so dicht über die runden Kabinenfenster geschraubt, daß sie trotz aller Kraftanspannung nicht imstande war, sie zu öffnen.

 

Sie entdeckte, daß sich zwischen dem Salon und der Schlafkabine eine Schiebetür befand. Die Falten des Vorhangs hatten sie ihr zuerst verborgen. Diese Tür bot ihr wenigstens einen gewissen Schutz, denn sie konnte von innen geschlossen weiden. Aber sie sagte sich auch, daß es leicht war, sie einzuschlagen.

 

Sie hatte den Auftritt zwischen Smith und Julius beobachtet und später gewagt zu fragen, was aus ihm geworden sei.

 

»Der ist in Sicherheit« war alles, was Smith ihr erwiderte.

 

Es war eine der fürchterlichsten Qualen dieses Tages, daß Coldharbour Smith die Mahlzeiten mit ihr zusammen einnahm. Er war ohne jegliche Erziehung, und seine Manieren waren kaum zu ertragen.

 

»Sie werden sich mit der Zeit schon an mich gewöhnen, meine liebe Valerie,« sagte er, während er laut schmatzte. »Ich muß sagen, daß ich schon anfange, Sie gern zu haben, und ich bin nicht so veranlagt, daß ich mich so ohne weiteres in ein fremdes Mädel vergaffe. Nun sehen Sie, im ›Goldenen Osten‹ …«

 

Valerie hörte zu und schüttelte sich vor Widerwillen. Aber er schien ihre Abneigung gegen sein früheres Lokal als eine Ermutigung aufzufassen.

 

»Wir werden noch heute in See gehen. Der Kapitän glaubt, daß wir gegen Abend dicken Nebel haben und ohne bemerkt zu werden, den Fluß hinunterfahren können. Die Polizei wird uns nicht wieder anhalten.«

 

»Sie dürfen nicht hoffen, zu entkommen,« sagte sie plötzlich sternchenland.com heftig. »Bilden Sie sich etwa ein, daß ich Sie nicht sofort bei der Polizei anzeige, wenn ich dort angekommen bin, wohin Sie mich bringen wollen?«

 

Er lachte vergnügt.

 

»Dann werden Sie mit mir verheiratet sein, und Ihre Aussage steht dann gegen meine.«

 

»Wo ist meine Mutter?« fragte sie plötzlich sprunghaft.

 

Er mußte noch lauter lachen.

 

»Ich weiß nicht, der Alte hat sie vor Jahren beiseite geschafft. Es hat auch keinen Sinn, daß ich sage, ich wüßte nichts, denn sie hat früher in meinem Haus in Camden Town gewohnt, aber sie hat sich dort nur eine Woche lang versteckt.«

 

»Versteckt?«

 

Coldharbour nickte.

 

»Vor Bellamy. Er hat sie nämlich sehr gern gehabt, so wie ich Sie jetzt gern habe. Aber sie hat seine Anträge immer abgewiesen. Ich hatte gerade einen Auftrag für ihn ausgeführt und viel Geld verdient. Er wußte, daß sie sich nach einer anderen Wohnung umsah und bat mich, sie aufzusuchen. Und da habe ich ihr denn gesagt, daß ich gehört hätte, sie brauchte Räume, und ich hätte so eine kleine Wohnung, die für sie passen würde. Sie kam auch zu mir, und ich habe ihr nur eine kleine Miete abverlangt. Sie dachte, Bellamy wäre nach Amerika gegangen – der ist so schlau, er hat immer sechs Alibis für den Fall, daß es Unannehmlichkeiten gibt. Aber er ist damals nur scheinbar abgefahren, in Queenston ist er wieder umgekehrt. Aber sie fühlte sich sicher. Eines Abends habe ich ihr dann dieselbe Geschichte erzählt, mit der Lacy Sie weggebracht hat. Sie ging mit mir nach Garre, weil ich ihr erzählte, daß dort ein kleines Mädchen auf sie wartete –? und das waren Sie. Sie hätten aber gar nicht so klein sein können. Sie müssen mindestens sechzehn Jahre gewesen sein. Als ich sie damals in die Burg brachte, habe ich sie zum sternchenland.com letztenmal gesehen.« Dann lächelte er, als ob er mehr wüßte. »Der Alte sagt zwar, sie ist entkommen –«

 

»Entkommen!«

 

Valerie sprang auf, ihre Augen glühten vor Erregung.

 

»Bleiben Sie ruhig sitzen und regen Sie sich nicht weiter auf. Bellamy lügt. Sie ist gestorben, das ist nämlich der Sinn der ganzen Sache. Er hat einem niemals die Wahrheit gesagt.« Er runzelte die Stirn und sah noch gemeiner aus als sonst. »Ich bin dem Alten irgendwie zu Dank verpflichtet – aber ich mochte beinahe wünschen, sie wäre entwischt – aber das ist ja alles nur Erfindung. Das ganze Gerede vom Grünen Bogenschützen ist Unsinn. Abel hat die Geschichte nur aufgebracht, damit er eine Entschuldigung hat, daß die Frau verschwunden ist. Das wäre solch ein Spaß, der Grüne Bogenschütze!« Er lachte vor sich hin.

 

Valerie dachte angestrengt nach. Wenn es wahr wäre – und es konnte doch wahr sein – dann hätte sie wenigstens eine Erklärung dafür, daß Bellamy sich gerächt hatte. Aber dann überlegte sie sich, daß er ihre Entführung lange vor der Flucht der Frau geplant hatte. Er mußte schon daran gedacht haben, als ihm klar wurde, daß Valerie Howett das Kind war, das er vor dreiundzwanzig Jahren gestohlen hatte.

 

»Sie ist bestimmt tot,« sagte Coldharbour Smith überzeugt. »Man kann eine Frau nicht acht Jahre lang in einem unterirdischen Gefängnis einsperren, ohne daß sie stirbt. Selbst in Dartmoor, wo man doch frische Luft und Bewegung hat –«

 

»Dann war sie die ganze Zeit dort?« fragte Valerie aufgeregt.

 

»Na, selbstverständlich war sie die ganze Zeit dort!« sagte Smith verächtlich. »Ich weiß zwar nicht, in welchem Teil des Schlosses sie saß, aber sie war dort.«

 

Diese Unterhaltung war beim Mittagessen geführt worden. Sie hatte nichts von den Speisen anrühren können. Am sternchenland.com Nachmittag bemerkte sie, daß Leben an Bord des Schiffes kam. Sie hörte dauernd Kommandorufe und Schritte über sich. Man hatte eine Pumpe in Bewegung gesetzt, und ihr dauerndes Geräusch lenkte Valeries Aufmerksamkeit ab.

 

Sie hatte noch keinen der Offiziere oder der Mannschaften gesehen mit Ausnahme des schwarzen Stewards, der die Mahlzeiten servierte. Aber sie vermutete, daß es nur wenige sein konnten und dachte darüber nach, wo die Kabine des Kapitäns liegen könnte. Was mochte mit Julius geschehen sein? Es war ihr unmöglich, ihre Gedanken auf Jim, ihren Vater oder ihre eigene Lage zu konzentrieren.

 

Zum Abendessen kam Smith wieder in ihre Kabine, und sie bemerkte auf den ersten Blick, daß er getrunken hatte. Auf seinem ungesund weißen Gesicht zeigten sich zwei rote, scharf abgegrenzte Flecke. Er sah aus wie eine häßliche Puppe, der man die Backen schlecht angemalt hatte.

 

»Mein liebes, hübsches, kleines Mädchen, geht’s dir gut?« fragte er mit lauter Stimme. »Ich habe dir etwas Wein gebracht – verdammt noch mal, das ist ja Rum!«

 

Er kreischte laut vor Vergnügen über seinen eigenen Witz.

 

»Die Abstinenzler drüben sind eine verrückte Bande, aber wir haben eine Menge Geld an ihnen verdient.«

 

Er stellte geräuschvoll eine dunkle Flasche auf den Tisch, als er sich niedersetzte.

 

»Der olle Julius, was? Kommt hier ans Deck gekrochen, um mich der Polizei zu verraten! Hat seine kleine Frau im Stich gelassen, um auf dem Meer zu leben. Können Sie das verstehen? Aber seine Frau ist ja auch gar nicht so hübsch wie meine!«

 

Er schaute sie an und versuchte ihre Hand zu nehmen. Als ihm das nicht gelang, zog er mit seinen Zähnen den Korken aus der Flasche und goß sich ein Glas ein.

 

»Trinken!« befahl er.

 

Sie stellte das Glas zur Seite.

 

sternchenland.com »Trinken!«

 

»Ich will nicht trinken!« sagte sie und stieß das Glas fort, so daß es auf den Boden fiel.

 

Das machte ihm scheinbar den größten Spaß.

 

»Das habe ich gern – Temperament!« Er lachte. Und ohne weitere Worte machte er sich an die großen Schüsseln, die der Steward auf den Tisch gesetzt hatte.

 

Plötzlich wischte er sich den Mund ab und goß noch ein anderes Glas Kognak hinunter. Dann erhob er sich unsicher.

 

»Mein kleiner Liebling,« begann er wieder und kam auf sie zu.

 

Sie drehte sich schnell auf dem Drehstuhl herum und wich ihm aus.

 

»Na, so komm doch zu mir,« rief er. »Ich möchte –«

 

Aber mit dem Mut der Verzweiflung stieß sie ihn zurück, machte sich aus seinen Händen frei, lief in ihre Schlafkabine, zog die Türe zu und riegelte sie ab.

 

»Komm heraus!« brüllte er und schlug wild an die Türfüllung. Die Bretter bogen sich, aber sie brachen nicht durch. Coldharbour Smith wurde wütend. Er riß und zerrte mit seinen Händen an dem Holz, er stieß und schlug und führte drohende und schreckliche Reden.

 

»Ich werde dich schon herausholen,« hörte sie ihn mit heiserer Stimme schreien. Sie zitterte an allen Gliedern. »Savini hat dir Grillen in den Kopf gesetzt – Savini …!«

 

Er verließ die Kabine und ging mit schweren Schritten quer über das Deck, das zwischen dem Salon und der Kammer für die Ankerketten lag. Vollkommen betrunken, aufgeregt und wahnsinnig vor Wut, wollte er Savini umbringen.

 

Er schob die Riegel zurück und riß die Tür auf.

 

»Savini, ich drehe Ihnen das Genick um – hören Sie?«

 

Es kam keine Antwort. Er tastete den dunklen Raum ab, wo er seinen Gefangenen gelassen hatte.

 

Aber Savini war verschwunden. sternchenland.com

 

Kapitel 46

 

46

 

Es war schon spät am Abend, aber der Mann sah repräsentabel und unverdächtig aus. Valerie kam sofort in das Wohnzimmer herunter, wo er auf einer Ecke des Stuhles saß und das Teppichmuster betrachtete. Er erhob sich sofort als sie eintrat.

 

»Ich bin Sergeant Brown, Miß Howett. Captain Featherstone hat mich hierher geschickt, um Sie nach Scotland Yard zu begleiten. Wir glauben, daß wir Mrs. Held gefunden haben.«

 

Valerie blieb erstaunt stehen.

 

»Wirklich? Das ist doch nicht möglich! Sind Sie Ihrer Sache auch gewiß?«

 

»Ja. Wir haben sie im ›Goldenen Osten‹ gefunden, das ist ein Klub, der von einem gewissen Coldharbour Smith geführt wird. Allem Anschein nach ist sie dort schon zwei Jahre gefangengehalten worden.«

 

»Warten Sie!« rief sie, eilte in ihr Zimmer und kleidete sich um. Ihre Finger zitterten vor Aufregung.

 

Sie kam wieder herunter und wollte ihren Wagen bestellen, aber der Wann erwartete sie schon im Flur»

 

»Mein Auto steht zu Ihrer Verfügung,« sagte er. »Captain Featherstone dachte, es wäre bequemer, wenn Sie unseren Wagen benützten.«

 

»Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen,« sagte sie dankbar.

 

Sie nahm schnell ihren Pelz, schrieb noch eine eilige Botschaft für Mr. Howett, die ihm bei seiner Rückkehr gegeben werden sollte, und stieg dann in den Wagen. Den Chauffeur konnte sie nicht erkennen, er hatte seinen Kragen hochgeschlagen.

 

Als sie durch das Dorf fuhren, mußten sie einmal halten, um einen Lastwagen vorbeizulassen, der mit gefällten Bäumen beladen war. Julius Savini, der am Tor des Pförtnerhauses sternchenland.com stand, sah hinüber und erkannte in dem Lichte der Laternen, die über dem Eingangstor von Garre Castle brannten, Valerie und ihren Begleiter. Aber er wurde nicht von ihnen bemerkt, denn er stand im Schatten. Julius faßte sofort einen Entschluß. Der Lastwagen gab eben die Passage frei und das Auto fuhr an. Julius lief hinterher und schwang sich auf den hinteren Gepäckhalter. Es gelang ihm nur mit Aufbietung aller Kräfte, denn der Wagen war schon in voller Geschwindigkeit. Er war ganz außer Atem und fluchte leise, daß er diese Verrücktheit begangen hatte. Ein Polizist sah das Auto am Ende der Dorfstraße und war sehr verwundert, als er Julius hinten auf dem Gepäckhalter sitzen sah.

 

Die Eisenstangen schmerzten ihn, und manchmal klammerte sich Julius in Verzweiflung und Todesangst daran fest. Aber trotzdem er glaubte, daß jeder Augenblick der letzte sein könnte, hielt er doch mit großer Zähigkeit aus. Schmutzig und zerzaust fuhr er durch die hellerleuchteten Straßen der Londoner Vorstädte. Die Leute sahen ihm böse und aufgebracht nach, aber nun war er der Lage vollständig gewachsen und hatte sich entschlossen, auszuhalten, was auch kommen mochte.

 

Valerie sprach während der Fahrt nicht. Sie malte sich das Wiedersehen mit ihrer Mutter aus. Welche wunderbaren Möglichkeiten eröffneten ihr die letzten Ereignisse! Sie wollte sich nicht in diesen glücklichen Gedanken stören lassen. Erst als sie über den Fluß gefahren waren und sich dem Osten Londons näherten, brach sie das Schweigen.

 

»Fahren Sie nicht nach Scotland Yard?« fragte sie.

 

»Nein, mein Fräulein, der Captain wartet im ›Goldenen Osten‹ auf Sie.«

 

Sie erkannte den Klub wieder, aber der Eingang, vor dem der Wagen hielt, war nicht derselbe, den sie bei früheren Gelegenheiten benützt hatte. Der Mann neben ihr sprang aus dem Wagen und öffnete die Tür.

 

»Der Captain ist oben, mein Fräulein!«

 

sternchenland.com Sie zweifelte keine Sekunde daran, daß er die Wahrheit sprach, und selbst als sie in den kleinen Raum hinter der Bar kam und Coldharbour Smith sah, ahnte sie noch nichts von der Gefahr, in der sie sich befand. Sie kannte Smith nicht, obgleich sie schon einmal eine Ausfahrt unternommen hatte, um ihn auszufragen. Aber trotzdem wußte sie sofort, daß er es war.

 

»Sie sind doch Mr. Smith?« fragte sie lächelnd.

 

»Ja, das bin ich, mein Fräulein. Der Captain wird gleich kommen. Er sagte, ich sollte Ihnen inzwischen eine kleine Erfrischung anbieten.«

 

Eine Flasche Champagner stand auf dem Tisch, und mit starken Händen löste er Draht und Korken.

 

»Er meinte, es wäre möglich, daß Sie von der langen Fahrt ermüdet wären.«

 

»Ich bin aber nicht müde, und ich trinke auch keinen Champagner,« entgegnete sie.

 

Es wurde ihr plötzlich unheimlich zumute, und eine innere Stimme sagte ihr, daß Gefahr im Anzug sei. Zum erstenmal wurde ihr klar, wie unklug sie gehandelt hatte.

 

»Würden Sie so liebenswürdig sein, Captain Featherstone zu rufen?«

 

»Er ist noch nicht hier, mein Fräulein,« sagte Coldharbour und betrachtete mit gierigen Augen ihre schöne Gestalt. »Er hat Ihre Mutter gefunden – ja, es ist Ihre Mutter.«

 

»Meine Mutter!« rief das Mädchen. »Sind Sie auch sicher?« Sie hatte wieder alle Gefahr vergessen.

 

»Ja, es ist Ihre Mutter. Sie haben sie gefunden, gerade als der alte Bellamy sie nach Südamerika schicken wollte. Der Captain hat sie auf einem Schiff gefunden, sie ist sehr krank.« Er schüttelte traurig den Kopf. »Die kränkste Frau, die ich jemals gesehen habe, Miß Howett. Eine Krankenpflegerin ist Tag und Nacht bei ihr. Sie müssen die junge Dame zur ›Contessa‹ bringen.« Mit diesen Worten wandte er sich an den Mann, der Valerie begleitet hatte.

 

sternchenland.com »Auf ein Schiff? Aber das geht doch nicht … wie weit ist denn der Weg dahin?« fragte sie bestürzt.

 

»Es ist keine Meile von hier entfernt. Sie brauchen sich doch nicht zu fürchten, solange der Sergeant bei Ihnen ist. Außerdem ist doch die Themse voll von Polizeibooten.«

 

Hätte sie ruhig nachgedacht, so hätte sie sich sicher darüber wundern müssen, daß das Auto noch unten vor der Tür wartete. Aber in ihrem Eifer, die Frau zu sehen, die sie so lange gesucht hatte, fielen ihr diese Widersprüche nicht auf, und sie dachte nicht daran, daß dieser Trick Bellamy ähnlich sah.

 

Der Wagen bog in eine lange, enge Seitenstraße ein, wandte sich dann nach links, fuhr an den hohen Mauern eines Warenspeichers vorbei und hielt plötzlich vor einer schmalen Passage zwischen hohen Häusern. Sie konnte hinten den Fluß sehen. In der Nähe spielten ein paar schmutzige Kinder Soldaten. Sie wunderte sich im Vorbeifahren, woher der kleine Anführer wohl seinen blitzenden Säbel hatte.

 

»Ich glaube, daß das Boot auf Sie wartet, mein Fräulein,« sagte der angebliche Detektiv.

 

Sie stand unentschlossen da. Der enge Gang erschien ihr dunkel und drohend, und sie konnte nur undeutlich die Umrisse des Bootes sehen.

 

»Würden Sie nicht Captain Featherstone bitten, mich hier abzuholen?« sagte sie. Ihr Mut verließ sie plötzlich.

 

»Es ist besser, Sie fahren hin, mein Fräulein. Es ist wirklich keine Gefahr. Wahrscheinlich hat der Captain ein Boot von der Themsepolizei geschickt.«

 

Aber das stimmte nicht. Sie erkannte es gleich, als sie sich hinten in das zitternde Boot gesetzt hatte. Die Leute der Besatzung sahen gewöhnlich und gemein aus, und ein unangenehmer Geruch von Whisky machte sich bemerkbar.

 

»Ich will wieder aussteigen,« rief sie und erhob sich. »Bitte lassen Sie mich aussteigen.«

 

sternchenland.com »Setzen Sie sich hin! Sie werden das Boot zum Umkippen bringen, wenn Sie nicht vorsichtig sind, und wir werden alle ertrinken. Ich glaube nicht, daß Captain Featherstone sehr zufrieden mit Ihnen ist, wenn er erfährt, wie Sie sich benehmen.«

 

Es blieb ihr nichts anderes übrig, als stillzusitzen. Sie zitterte und fühlte sich furchtbar hilflos. Sie sah ein Ruderboot, das mit ziemlicher Geschwindigkeit gegen die Strömung ankämpfte. Die Ruder bewegten sich im Rhythmus, fast mit maschinenmäßiger Genauigkeit. Ein Schrei, und sie wäre gerettet gewesen, denn es war ein Patrouillenboot der Strompolizei, aber sie wußte es nicht. Sie erkannte auch die furchtbare Lage noch nicht, in der sie sich befand.

 

Sie mußte an einer senkrecht herunterhängenden Strickleiter in die Höhe klettern, um das verlassene Deck zu erreichen.

 

»Sie sind alle unten,« sagte der Mann, der sie begleitet hatte.

 

Sie war etwas außer Atem von der Anstrengung des Kletterns.

 

»Ich werde Ihnen den Weg zeigen.«

 

Sie folgte ihm über das schmutzige Deck. Er öffnete eine Tür und bevor sie wußte, was geschah, war sie hineingegangen, und die Tür schloß sich hinter ihr. Die Salonkabine war nicht sehr groß und roch unangenehm nach Knoblauch. Die runden Fenster waren dicht geschlossen, so daß nicht ein einziger Strahl der Petroleumhängelampe nach draußen fiel. Sie wollte die Tür wieder aufmachen, aber sie wußte schon, daß ihr Versuch vergeblich war. Wenn sie doch nur daran gedacht hätte, Spikes Revolver mitzunehmen, aber sie hatte es vergessen. Hier konnte sie keine Waffe finden, obgleich sie alles fieberhaft danach absuchte.

 

Auf der Treppe erklangen Schritte. Die Tür wurde aufgeschlossen, ein Mann kam herein, schloß die Tür wieder sternchenland.com hinter sich und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Dann sah er Valerie belustigt an.

 

»Mr. Smith,« sagte sie stotternd, »wo ist Captain Featherstone – und was hat dies alles zu bedeuten?«

 

»Was das zu bedeuten hat? Das will ich Ihnen gleich sagen. Wir beide, Sie und ich, werden uns heiraten, und wir fahren nach Rio, um dort unsere Flitterwochen zu verleben.«

 

Valerie starrte ihn an.

 

»Ich verstehe Sie nicht. Gehen Sie bitte von der Türe weg, ich will an Deck gehen. Ich muß das Schiff verlassen.«

 

In ihrer Aufregung versuchte sie, ihn von der Türe wegzuziehen, aber er packte sie, hielt sie in Armlänge von sich ab und lachte ihr ins Gesicht.

 

»Nein, meine Liebe, Sie gehen auf eine lange Reise mit mir, und ob Sie mich nun zu Anfang oder zu Ende der Reise heiraten, ist ganz gleich. Wenn Sie sich mir aber widersetzen und mir Unannehmlichkeiten machen –« sein Gesichtsausdruck änderte sich plötzlich – »dann sollen Sie sehen, was ich mit Ihnen anfange.«

 

Seine dicken unförmigen Hände umschnürten ihre Kehle. Sie versuchte sich loszureißen, aber seine grausamen Finger preßten sich um ihren Hals, bis sie keinen Atem mehr holen konnte und ihr das Blut in den Kopf stieg.

 

Plötzlich löste sich sein Griff, sie stürzte auf die Knie und rang nach Atem.

 

»Behandeln Sie mich anständig, dann werde ich es ebenso mit Ihnen machen,« warnte er sie. »Es gibt nichts, das ich nicht für Sie tun würde, wenn Sie mich darum bitten, aber wenn Sie niederträchtig sind, dann –« er biß die Zähne knirschend aufeinander.

 

Sie schauderte, schwankte zum nächsten Stuhl und setzte sich. Sie versuchte, ihre wilden Gedanken zu ordnen.

 

»Es ist nicht gut, hier Spektakel zu machen, besonders jetzt nicht,« sagte Coldharbour Smith. »Der Kapitän ist betrunken sternchenland.com und wenn er das nicht ist, dann ist er schlimmer als ich. Verhalten Sie sich ruhig, mein Fräulein –«

 

Es wurde an der Türe geklopft und eine erregte Stimme rief nach ihm. Er ging nach draußen, kam aber nach zwei Minuten wieder.

 

»Kommen Sie hierher,« rief er, und als sie nicht gleich gehorchte, brüllte er: »Kommen Sie hierher!«

 

Er packte sie am Arm, zerrte sie die Treppe hinauf und führte sie das unordentliche und schmutzige Deck entlang. Der Mann, der die Rolle des Sergeanten gespielt hatte, hob vorn am Schiff eine kleine eiserne Falltür auf und schlüpfte hinein, mit den Füßen zuerst.

 

»Machen Sie, daß Sie hineinkommen,« zischte Coldharbour Smith ihr zu.

 

Mechanisch kletterte sie an der eisernen Leiter nach unten. Ein scharfer Geruch von rostigem Eisen schlug ihr entgegen. Sie befand sich in einem engen Raum und trat auf Ketten. Es war kaum Platz genug, daß man aufrecht stehen konnte, trotzdem folgte ihr auch Smith noch und zog die eiserne Tür dicht hinter sich zu. Sie standen dicht beieinander. Coldharbour Smith war hinter ihr und hatte seine dicken Hände auf ihre Schultern gelegt.

 

»Ich dachte nicht, daß sie schon so bald kommen würden,« flüsterte er heiser. »Aber der Kapitän ist ja betrunken, der Kessel ist kalt, da werden sie nicht denken, daß ihnen ein Streich gespielt wird.«

 

»Wer hat die Sache verraten?« fragte der andere im selben Ton.

 

»Barnett … vielleicht hatten sie auch jemand zum Klub geschickt … Featherstone ist ein sehr umsichtiger Mensch, ein verdammter Kerl!«

 

Der kleine Raum, in dem sie standen, lief spitz nach vorne zu, und am engsten Teil sah Valerie zwei schmale, ovale Öffnungen, durch die die Ankerketten hindurchliefen. Von ihrem sternchenland.com Platz aus konnte sie den Fluß sehen, und sie hörte deutlich das Geräusch eines näherkommenden Motorboots.

 

Sie vernahmen den Anprall, als es an dem Dampfer anlegte, und dann hörte sie eine Stimme – es war Jim Featherstone. Sie öffnete den Mund und wollte schreien, aber Coldharbours Hand legte sich mit eisernem Griff auf ihren Mund.

 

»Wenn Sie rufen, drehe ich Ihnen das Genick um!«

 

Er fürchtete sich und sie konnte fühlen, wie er zitterte. Schritte tönten auf dem eisernen Deck, dann wurde es ganz ruhig.

 

»Sie sind nach unten gegangen,« flüsterte der andere Mann. Smith nickte ihm zu.

 

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Leute, die das Schiff durchsuchten, wieder nach oben kamen. Sie hörte die Schritte über ihrem Kopf.

 

»Das ist der Raum für die Ankerketten, dort können sie nicht sein, aber ich will den Raum durchsuchen, wenn Sie es wünschen,« sagte eine Stimme, die Valerie nicht kannte.

 

»Ich glaube nicht, daß sie überhaupt an Bord sind. Barnett ist bestochen worden, uns auf eine falsche Fährte zu führen.«

 

Coldharbour grinste in der Dunkelheit.

 

Oben berieten sich die Leute, dann gingen sie nach der Seite des Schiffes. Man hörte, wie sie ins Motorboot kletterten und wie sich das Fahrzeug langsam entfernte. Das Geräusch wurde schwacher und schwächer.

 

»Sie sind fort,« sagte Coldharbour Smith und fühlte, wie das Mädchen unter seinen Händen zusammenbrach.

 

Sie hoben sie an Deck und brachten sie schnell wieder in die Kabine. Währenddessen legte ein kleines Boot an dem hinteren Teil des Dampfers an, und der Mann, der darin angekommen war, kletterte langsam an einem herunterhängenden Tau an Deck.

 

Er war vollständig beschmutzt von dem Staub der Landstraße, sternchenland.com und sein sonst so sorgfältig gebürstetes Haar war unordentlich und zerzaust. Seine zarten Hände waren zerkratzt und bluteten Von den ungewohnten Anstrengungen. Es war Julius Savini. Er hatte das Boot unten festgebunden und schritt nun behutsam auf dem Deck vorwärts. In den Händen trug er eine merkwürdige Waffe.

 

Kapitel 47

 

47

 

»Hierfür ist noch Strafporto zu zahlen, Fräulein,« sagte der Postbote. Fay war in ihrem Morgenrock an die Tür gekommen. Sein lautes Klopfen hatte sie aus dem Schlaf geweckt.

 

»Ich nehme keinen unfrankierten Brief an,« sagte sie böse.

 

»Es ist kein Brief, und es ist auch keine Postkarte,« erwiderte der Postbote und betrachtete das abgerissene Stück Papier, das er in der Hand hielt.

 

»Wer hat es geschickt?«

 

Der Postbote grinste.

 

»Es ist gegen die Dienstvorschriften, Ihnen das zu sagen, aber hier hat sich jemand mit Julius unterschrieben.«

 

Sie riß ihm die Karte aus der Hand und gab ihm das Geld.

 

Es dauerte mindestens fünf Minuten, bis sie die Botschaft entziffert hatte. Sie war auf ein Stück Papier geschrieben, das aus einem Notizbuch herausgerissen war. Auf der einen Seite stand in Bleistiftschrift ihre Adresse. Die Schriftzüge waren kaum leserlich.

»Lacy hat Miß H. weggebracht, sah sie im Dorf, sprang auf den Wagen, fuhr mit ihnen zum G. Osten. Smith, L. und Miß H. kommen heraus und fahren im Boot zu einem Schiff. Ich folge. Featherstone mitteilen.«

Kaum hatte Fay den Inhalt verstanden, als sie rasch zum Telephon ging. Sie versuchte drei verschiedene Nummern, sternchenland.com ohne Featherstone zu erreichen. Aber sie hinterließ überall Nachricht, für ihn. Sie hatte sich eben angezogen, als das Telephon läutete. Sie nahm den Hörer ab. Jims müde Stimme antwortete ihr.

 

»Sie haben mich angerufen, Fay?«

 

Sie las ihm den Brief am Telephon ohne weitere Erklärung vor.

 

»Das hat Julius fein gemacht. Wo ist die Karte aufgegeben?«

 

Sie schaute nach.

 

»Postamt E 5,« sagte sie. »Haben Sie ihn nicht gesehen – Julius meine ich?«

 

»Nein, ich habe auch nichts von ihm gehört. Hat er nicht gesagt oder geschrieben, welchen Namen das Schiff hat?«

 

»Nein, wie er die Karte schrieb, konnte er es doch noch nicht wissen.«

 

»Ich komme sofort zu Ihnen.«

 

Zehn Minuten später war er in ihrer Wohnung. Er sah überarbeitet aus, war unrasiert und staubig.

 

»Wir haben ein Schiff unten an der Mündung des Flusses angehalten, aber sie waren nicht an Bord. Das war auch nicht möglich, wenn das Schiff, das Julius sah, vorigen Abend noch im Fluß lag. Es war nämlich Ebbe und vor vier Uhr heute morgen hätten sie überhaupt nicht ausfahren können.«

 

Sie machte sich in der Küche zu schaffen und brachte ihm heißen Kaffee, wofür er sehr dankbar war.

 

»Ihr Telephon klingelt,« sagte Jim plötzlich und sprang auf. »Vielleicht ist es Julius. Kann ich ihm antworten?«

 

»Ich werde einen schlechten Ruf bekommen,« erwiderte sie, »aber Sie können ihm ja erklären, daß ich nicht die Gewohnheit habe, Polizeibeamte zum Frühstück einzuladen.«

 

Jim Featherstone erkannte sofort die Stimme Abel Bellamys.

 

»Ist Savini dort?« fragte er.

 

sternchenland.com Jim winkte Fay an den Apparat und reichte ihr den Hörer.

 

»Wo ist Ihr Mann?« fragte Bellamy.

 

»Er ist nicht hier. Ist er denn nicht in Garre?«

 

»Würde ich denn nach ihm fragen, wenn er in Garre wäre? Er ist gestern abend ausgegangen und noch nicht zurückgekommen. Sie können ihm sagen, daß er seine Kleider und sein Geld abholen soll – er ist entlassen!«

 

»Vielleicht ist er mit Lacy zusammen,« sagte Fay in ihrer liebenswürdigsten Stimme. »Lacy ist nach Garre gefahren, um Miß Howett zu Coldharbour Smith zu bringen – die Polizei weiß alles!«

 

Ein langes Schweigen folgte auf der anderen Seite und sie dachte schon, er hätte angehängt. Aber dann antwortete er wieder.

 

»Ich weiß nichts von Lacy,« sagte er mit sanfterer Stimme, »und noch viel weniger etwas von Miß Howett. Was ist denn das für eine Geschichte, die Sie mir da erzählen?« Und nach einer Pause fragte er: »Was wird die Polizei denn unternehmen?«

 

Sie hielt den Empfänger zu und wiederholte flüsternd seine Frage.

 

»Sagen Sie ihm, daß alle Schiffe im Fluß angehalten werden.«

 

»Es ist jemand bei Ihnen in der Wohnung,« sagte der argwöhnische Bellamy. »Wer ist das?«

 

Jim nickte.

 

»Captain Featherstone,« rief Fay und hörte wie Bellamy fluchte und den Hörer wütend anhing.

 

»Jetzt ist die Frage, wo ist Julius,« meinte Jim. »Ich muß gestehen, daß ich schon ein wenig beruhigter bin, seit ich weiß; daß er in der Nähe ist. Ich hätte mir früher nicht im Traum einfallen lassen, daß ich mich jemals auf ihn verlassen würde!«

 

sternchenland.com »Da kennen Sie Julius nicht,« erwiderte Fay stolz.

 

Unglücklicherweise kannte aber Jim Julius Savini nur zu genau, aber er sprach jetzt lieber nicht darüber.

 

Er kehrte in sein Büro zurück, wo Mr. Howett auf ihn wartete. Ihr Stiefvater hatte die Nachricht von der Gefahr, in der sich Valerie befand, sehr tapfer aufgenommen.

 

»Ich kann nicht glauben, daß ihr Böses zustößt,« sagte er. »Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, Captain Featherstone, daß Sie keine Ausgaben zu scheuen brauchen, um sie wiederzufinden.«

 

»Wenn man sie mit Geld aus der Gefahr befreien könnte, dann wäre sie schon frei,« sagte Jim so ruhig und geduldig er nur konnte. »Verzeihen Sie, daß ich ein wenig aufgeregt bin, aber das ist ja nicht verwunderlich nach dieser Nacht. Sie waren nicht in Lady’s Manor, als Miß Howett fortfuhr?«

 

»Nein, ich war in London.« Mr. Howett fiel das Sprechen schwer. »Aber selbst wenn ich in Garre gewesen wäre, hätte ich sie nicht zurückgehalten, da sie ein Mann von Scotland Yard begleitete. Haben Sie schon irgendwelche Anhaltspunkte?«

 

»Ja, ich glaube,.« sagte Jim nach einigem Nachdenken. Er klingelte nach seinem Sekretär. »Gehen Sie ins Archiv und sehen Sie die Akten von Lacy nach, Henry Francis Lacy, wenn ich mich recht erinnere. Er wurde vor drei Jahren von den Geschworenen von Old Baley wegen Einbruchs verurteilt. Geben Sie seine Personalbeschreibung allen Polizeistationen auf, er soll festgenommen werden, wo er gefunden wird. Man soll mich sofort benachrichtigen, wenn er verhaftet worden ist. Lacy wird sich, wenn er keinen Verdacht schöpft, irgendwo in der Nähe des ›Goldenen Ostens‹ aufhalten. Dies ist um so wahrscheinlicher, als Barnett mir den Namen des Mannes nicht nannte, der Valerie Howett zum Schiff brachte. Lacy wird zuerst zum ›Goldenen Osten‹ gehen, um festzustellen, wie weit er verdächtigt wird.«

 

sternchenland.com »Was halten Sie von Julius Savinis Verschwinden?«

 

»Julius ist ein merkwürdiger Mensch – manchmal hält er sich ganz ordentlich und gerade dann, wenn es niemand vermutet. Ich bin überzeugt, daß die Nachricht, die er seiner Frau sandte, vollkommen richtig ist. Er ist jetzt irgendwo in der Nähe Valeries. Ich hätte mir nie einfallen lassen, daß ich Julius Savini einmal beneiden würde.«

 

Ein kaltes Bad, neue Wäsche und Kleider erfrischten Jim Featherstone und er machte sich sofort wieder an die Arbeit.

 

Die Themsepolizei hatte eine umfassende Durchsuchung aller Schiffe angeordnet, die im Pool lagen, von der Londonbrücke bis nach Greenwich hinunter. Jim befand sich auch auf der kleinen Dampfpinasse, mit der der Oberinspektor von Schiff zu Schiff fuhr. Aber alle Nachforschungen waren bisher erfolglos gewesen. Als sie auch wieder an der »Contessa« vorüberkamen, sah Jim gelben Rauch aus ihrem Schornstein aufsteigen, aber das einzige sichtbare menschliche Wesen an Deck war ein unordentlich aussehender Matrose, der mit verschränkten Armen an der Reling stand.

 

»Es hat wohl keinen Zweck, sie noch einmal zu durchsuchen,« meinte Jim.

 

»Ich glaube auch,« erwiderte der Inspektor. »Es wäre doch sehr unlogisch, eine Dame auf ein Schiff zu bringen, das nicht einmal zur Abfahrt bereit liegt. Barnett hat wieder gelogen.«

 

Jim nickte, aber er schaute doch nachdenklich auf den breiten, häßlich aussehenden Frachtdampfer. Er hätte gewünscht, daß Barnett die Wahrheit gesagt hätte. Als er später den Barmann im »Goldenen Osten« wieder aufsuchte, fand er ihn in Tränen aufgelöst.

 

»Und wenn ich in dieser Minute sterben soll, Captain, ich habe Sie nicht belogen! Wenn ich Ihnen etwas Falsches gesagt habe, so kann es nur daher kommen, daß Coldharbour wußte, daß ich am Schlüsselloch zuhörte.«

 

sternchenland.com »Haben Sie noch etwas anderes gehört, als daß sie an Bord der ›Contessa‹ gehen wollten?«

 

»Ja, Coldharbour sagte, daß er die junge Dame heiraten würde, wenn sie an Bord seien. Er erzählte diesem spanischen Kapitän, wie hübsch sie sei, und daß er eins der Mädchen, die hier im ›Goldenen Osten‹ verkehren, fortgeschickt habe, um einen ganzen Koffer voll schöner Kleider für sie zu kaufen, denn sie hatte doch nichts mit sich, als sie an Bord ging. – Ich habe nun all meine Ersparnisse in diesen Klub gesteckt,« sagte der niedergeschlagene Mann. »Und ich habe sogar Geld auf Zinsen geborgt – Sie können sich vorstellen, wie es mir geht, Captain. Ich hätte Coldharbour zehnmal im Stich gelassen, nur um mein Geld nicht zu verlieren. Alles, was ich Ihnen gesagt habe, ist richtig.«

 

Jim glaubte ihm. Wenn die Nachforschungen nach Valerie nicht zum Ziel geführt hatten, so war das nicht der Fehler des Barmanns. Coldharbour hatte vielleicht die Unterhaltung absichtlich so geführt, und die Tatsache, daß er englisch und nicht spanisch gesprochen hatte, war für Jim hinreichender Beweis.

 

Es kam noch etwas anderes dazu, das für Barnett von großem Vorteil war. Die Polizei hatte wenig Interesse daran, den »Goldenen Osten« zu schließen, wie Jim ihm gedroht hatte. Diese Lokale, in denen die Verbrecher verkehrten, starben mit der Zeit aus, und es dauerte sehr lange, bis diese Leute sich in einem neueröffneten Lokal heimisch fühlten. El Moro’s diente demselben Zwecke, und wie die Motten in die Flamme fliegen, so drängte alles, was irgendwie zur Verbrecherwelt gehörte, im Westen dorthin. Der »Goldene Osten« erfüllte dieselbe Aufgabe am anderen Ende der Stadt.

 

Jim fragte Barnett noch aus, als Spike Holland mit neuen Nachrichten kam. Er war hergekommen, um Erkundigungen nach dem Wagen einzuziehen, der Miß Howett und den angeblichen Polizeibeamten hierhergebracht hatte.

 

sternchenland.com »Hinten saß ein Mann auf dem Gepäckhalter, er ist an zwei oder drei Stellen beobachtet worden, besonders in der einen Vorstadt von London. Ein Polizist sah ihn und wollte ihn von dem Wagen entfernen. Nach der Personalbeschreibung besteht gar kein Zweifel, daß es Julius war.«

 

»Dieser Savini ist doch ein merkwürdiger Mensch,« meinte Jim nachdenklich, »aber diese Nachricht bestätigt seine Botschaft. Wo mag er jetzt sein? Wenn wir ihn finden können, ist es leicht, Miß Howett zu entdecken.«

 

»Der alte Bellamy ist in die Stadt gefahren – er kam heute morgen an,« sagte Spike. »Da Julius nun fort ist, kann man nur sehr schwer neue Nachrichten bekommen, denn der jetzige Pförtner ist eine armselige Aushilfe. Aber er hat mir wenigstens erzählt, daß Bellamy fortgefahren ist und in den nächsten Tagen nicht zurückkehren wird. Und das ist doch sehr seltsam, denn in den letzten acht Jahren hat er keine Nacht außerhalb der Burg verbracht. Julius hat mir davon nie etwas gesagt, das habe ich von dem Pförtner, Captain, ich habe jetzt einen wichtigen Anhaltspunkt für den Grünen Bogenschützen.«

 

Jim Featherstone war nicht in der Stimmung, im Augenblick mit ihm über den Grünen Bogenschützen zu diskutieren, aber er hörte so geduldig zu, wie er nur irgend konnte.

 

»Ein Mann, der Pfeil und Bogen so außerordentlich sicher handhabt, wie unser grüner Freund, muß sehr viel Übung gehabt haben,« erklärte Spike. »Ist Ihnen das noch nicht aufgefallen?«

 

»Ich habe noch nicht viel darüber nachgedacht,« sagte Jim ein wenig schroff. Er wollte seine Nachforschungen sobald wie möglich wieder aufnehmen, und Spike war ihm im Augenblick sehr hinderlich.

 

»Bogenschießen ist ein außergewöhnlicher Sport. In den Tagen des guten Königs Hokum, als die fröhliche Jugend ins Grüne hinauszog und alle Mädchen sich mit einem sternchenland.com Manne sehen lassen wollten, der ein goldenes Abzeichen trug – das bedeutete nämlich im Mittelalter, daß er das Zentrum der Scheibe getroffen hatte – da war es noch etwas anderes.«

 

»Worauf wollen Sie eigentlich hinaus, Holland?«

 

»Ich meine,« sagte Spike sehr ernst, »daß wir den grünen Mann herausfinden werden, wenn wir die Gesellschaften durchsuchen, die das Bogenschießen pflegen. Ich bin eigens zur Stadt gekommen, um heute den Sekretär einer solchen Gesellschaft zu sprechen. Wahrscheinlich kann ich etwas von ihm erfahren.«

 

»Das glaube ich auch,« sagte Jim, der außerordentlich froh war, als er den Zeitungsreporter wieder los wurde.

 

Die Gesellschaft für Bogenschießen hatte ihre Räume in Regent’s Park und Spike hatte Glück, daß er zu gleicher Zeit mit dem zweiten Sekretär dort ankam.

 

»Ja, ich kann Ihnen die Mitgliederlisten der letzten dreißig Jahre zeigen,« sagte der Beamte.

 

Spike brachte den ganzen Nachmittag damit zu, die Klubakten zu studieren.

 

Als er gerade einen Bericht über ein früheres Wettschießen durchlas, hielt er plötzlich erstaunt inne und ging wieder zu dem Sekretär.

 

»Der Name ist mir bekannt,« sagte Spike. »Ist er auch unter den Mitgliedern?«

 

Sie suchten alle Listen durch, ohne ihn zu finden.

 

»Es war ein offener Wettbewerb, das heißt, es konnten sich Nichtmitglieder daran beteiligen,« erklärte der Sekretär. »Es ist allerdings merkwürdig, daß der Name nicht in unseren Verzeichnissen steht, denn die Leistungen dieses Herrn müssen ganz außerordentlich gut gewesen sein. – Wie Sie sehen, hat er zehnmal hintereinander Zentrum geschossen. Kennen Sie ihn?«

 

»Ich glaube ja,« sagte Spike atemlos.

 

Endlich hatte er den Grünen Bogenschützen entdeckt! sternchenland.com

 

Kapitel 48

 

48

 

Schiffe und alles, was dazu gehört, waren für Julius Savini ein tiefes Geheimnis. Er hatte allerdings schon einige Seereisen gemacht, aber er war noch niemals an Bord eines Dampfers wie die »Contessa« gewesen. Als er die Kajüte des Vorderschiffes erreichte, schaute er sich um. Eine Eisenleiter, die zu dem oberen Bootsdeck führte, schien ihm die günstigste Gelegenheit zu geben, sich zu verbergen. Schnell eilte er die Stufen empor. Seine Verteidigungswaffe trug er unter dem Arm, – es war ein Schwert mit kurzer Klinge, das er vor einer Viertelstunde einem kleinen Jungen abgenommen hatte. Es war alt, aber es hatte doch eine scharfe Spitze, und obgleich die Schneide manche Scharte aufwies, hätte man es doch im Falle der Gefahr als gefährliche Waffe gebrauchen können. Er wollte den Knaben bezahlen, aber da er gerade nicht das nötige Kleingeld besaß, hatte er es ihm einfach weggenommen und war damit davongeeilt. Die schreienden und schimpfenden Jungen liefen hinter ihm her, aber er entkam zu der kleinen Werft, von der Valerie zur »Contessa« gefahren war. Dort fand er ein kleines Ruderboot und machte sich damit auf den Strom. Er kam an dem Fahrzeug vorbei, das zur Werft zurückfuhr, um Coldharbour Smith abzuholen.

 

Julius war allerdings kein Fechter, auch war er sonst nicht mit Waffen vertraut, aber der Besitz dieses kleinen Säbels brachte ihm das Gefühl des Mutes und der Sicherheit, das er in diesem kritischen Augenblick so notwendig brauchte. Er war sich selbst nicht recht darüber klar, was er tun sollte. Valerie Howett war mit Lacy zusammen an Bord des Schiffes gegangen, und von Lacy wußte er aus früherer Zeit genug. Er hatte ihn sofort wiedererkannt, als er mit dem Wagen durch Garre fuhr. Er wußte, daß er ein Komplize von Coldharbour Smith war und mit diesem sternchenland.com zusammenarbeitete. Vielleicht hatte die Sucht nach persönlichem Vorteil Julius dazu veranlaßt, so kühn auf den Gepäckhalter des Autos zu springen. Er überlegte sich in seinem dunklen Versteck oben auf Deck, was ihn zu dieser Tat getrieben hatte.

 

Aber dann kam doch die Sicherheit über ihn, daß er aus menschlichem Mitgefühl gehandelt hatte.

 

Die Nacht war eben erst hereingebrochen, und er dachte darüber nach, was er jetzt tun sollte. Coldharbour Smith war an Bord, und auch andere Leute waren noch gekommen: ein Motorboot mit vier Mann Besatzung. Er hatte sie undeutlich bemerkt, als sie an der Seite des Schiffes anlegten, aber er wußte nicht, wer sie sein konnten.

 

Nach einiger Zeit hörte er das Boot wieder abfahren und schlich vorsichtig hinter dem Schornstein auf dem Bootsdeck entlang. Er hatte einen schmalen Lichtschimmer entdeckt und als er näherkam, erkannte er, daß er aus einem in den Boden eingelassenen Fenster hervorkam, das mit undurchsichtigem, gerilltem Glas geschlossen war. Leise hob er eine Ecke des Fensters ein wenig an, so daß er die eine Ecke eines unsauberen Salons sehen konnte. Julius hätte sich in seiner Erregung beinahe verraten, denn die erste, die er sah, war Valerie Howett! Sie saß auf einem Stuhl am Ende eines ungedeckten Tisches, und ein Blick in ihr weißes Gesicht mit den zusammengepreßten Lippen sagte ihm alles, was er wissen wollte.

 

Er hatte sich unangenehmer Gedanken nicht erwehren können. Es wäre ja möglich gewesen, daß sie Lacy freiwillig gefolgt wäre, und daß all seine Anstrengungen und die Gefahren, die er auf sich genommen hatte, umsonst waren. Aber nun durchschaute er die Sache. Coldharbour Smith saß an ihrer rechten Seite. Seine beringten Hände lagen auf dem Tisch, und er hatte ihr sein böses Gesicht zugekehrt. Sie sprachen miteinander, aber das Rauschen des Wassers war so laut, daß Julius kein Wort verstehen konnte. Er fand einen sternchenland.com Messinghaken, der offensichtlich dazu diente, das Fenster offenzuhalten. Mit großer Anstrengung befestigte er ihn, legte sich dann platt auf den Boden und lauschte angestrengt.

 

Coldharbour konnte ihn unter keinen Umstünden sehen. Der Salon unten wurde nur durch eine einfache Petroleumlampe erhellt, die obendrein noch durch einen Schirm abgeblendet war, der alles Licht nach unten auf den Tisch warf.

 

»Wir werden morgen abend abfahren,« sagte Smith. »Sie können es sich aus dem Kopf schlagen, daß Ihr Freund Featherstone noch im letzten Moment kommt und Sie von hier wegholt. Sie wissen doch, was das für mich bedeutet, wenn Sie gefunden werden?«

 

Sie wandte ihren Kopf nicht um, sondern starrte nur ins Leere.

 

»Dafür werde ich lebenslänglich ins Gefängnis gesteckt. Lieber würde ich mich aufhängen lassen! Hüten Sie sich, mir irgendwelche Schwierigkeiten zu machen!«

 

»Wenn Sie Geld haben wollen –« sagte sie, »so kann ich Ihnen mehr geben als –«

 

»Hat gar keinen Zweck! rief Smith verächtlich. »Ich habe soviel Geld als ich brauche. Sie glauben doch nicht etwa, daß Sie mich beschwatzen können, Sie laufen zu lassen? Schon eine halbe Stunde, nachdem ich Sie losgelassen hätte, wären Sie auf der Polizei gewesen und hätten mich angezeigt und ich hätte den Schaden davon. Sie scheinen das Gefängnis in Dartmoor nicht zu kennen, sonst wüßten Sie, daß ich es nicht riskieren will, dorthin zu kommen. Amerikanische Gefängnisse sind Paläste, wo die Menschen auch menschenwürdig behandelt werden. Aber Dartmoor ist die Hölle – nein, ich setze meinen Plan durch oder ich lasse mich aufhängen. Hatte eigentlich schon immer im Sinn, mich einmal häuslich niederzulassen,« fuhr er fort, »habe aber noch nie das richtige Mädchen gefunden, mit dem ich einen Hausstand hätte begründen mögen. Wir können an Bord des Schiffes heiraten.

 

sternchenland.com Jeder Kapitän kann die Trauung vollziehen, sobald das Schiff drei Seemeilen vom Land entfernt ist. Wenn Sie nicht heiraten wollen, so ist das Ihre Sache.«

 

»Das ist Abel Bellamys Werk,« sagte sie so leise, daß Julius es kaum hören konnte.

 

»Wir wollen hier keine Namen nennen, ich weiß nur, daß Sie mich auf der Reise begleiten werden, und ich glaube, daß Sie zur Vernunft gekommen sind, wenn wir unseren Bestimmungsort erreicht haben.«

 

Er erhob sich und schaute auf sie hinunter.

 

»Sie heißen doch Valerie – so werde ich Sie von jetzt ab nennen – und Sie können mich ja Coldharbour nennen oder lieber Harry, so heiße ich.«

 

Er wartete auf eine Antwort, aber sie schaute ihn nicht einmal an.

 

Dann setzte er seinen Hut wieder auf – es war ein großes Zeichen von Hochachtung, daß Coldharbour Smith ihn überhaupt in Gegenwart der jungen Dame abgenommen hatte. Gleich darauf schritt er zur Türe.

 

»Hinter dem Vorhang ist eine Schlafkabine und eine Waschtoilette. Es ist für allen Komfort auf diesem Schiff für Sie gesorgt, Sie können über alles verfügen.«

 

Er warf die Tür hinter sich ins Schloß und drehte den Schlüssel um. Julius wartete, bis er gegangen war, dann öffnete er das Deckfenster so weit wie möglich, schlüpfte hindurch und sprang auf den Tisch. Valerie war starr vor Schrecken.

 

»Sprechen Sie nicht,« flüsterte er ihr zu.

 

»Mr. – Mr. – Savini –« stammelte sie.

 

»Sprechen Sie nicht!« zischte Julius noch eindringlicher.

 

Er zog schnell seine Schuhe aus und ging zur Türe. Es war zwar nichts zu hören, aber Coldharbour Smith konnte jeden Augenblick zurückkommen. Schnell ging er zum Tisch zurück und löschte die Lampe aus. Die Kabine lag nun vollkommen sternchenland.com im Dunkel und er tastete sich an der Tischkante entlang zu dem Stuhl Valeries.

 

»Ich bin hinten auf dem Wagen mitgefahren,« erklärte er schnell.

 

»Können Sie mich von hier befreien?« fragte sie ebenso leise.

 

»Ich hoffe, aber ich weiß es noch nicht sicher.« Er schaute zu dem Deckfenster. »Sie könnten dort oben hinaus, aber es wird leichter sein, die Tür aufzubrechen oder solange zu warten, bis Smith zurückkommt und aufmacht. Sicherlich kommt er noch einmal her, bevor er sich zur Ruhe niederlegt.«

 

Sie warteten eine ganze Stunde, aber Smith kam nicht zurück. Julius mühte sich ab, das Schloß mit der Spitze seines alten Säbels aufzubrechen, aber nach einer Weile gab er den vergeblichen Versuch wieder auf.

 

»Ich bringe es nicht fertig.« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Sie müssen oben durch das Dachfenster, Miß Howett, oder Sie bleiben hier eingeschlossen.«

 

Aber noch während er dies sagte, hörten sie einen schweren, schlürfenden Schritt oben auf dem Bootsdeck. Der Strahl einer Laterne kam von oben herein, jemand bückte sich und plötzlich fiel das Fenster krachend zu. Noch schlimmer war es, als sie hörten, wie der Mann oben einen Riegel vor das Fenster schob, so daß jede Möglichkeit, nach dort zu entkommen, entschwand.

 

»Der Weg wäre uns also abgeschnitten,« sagte Julius. »Ich fürchte, ich muß warten, bis Coldharbour kommt. Legen Sie sich ruhig nieder und schlafen Sie etwas, Miß Howett. Es ist sehr wahrscheinlich, daß er jetzt noch nicht kommt.«

 

Es dauerte ziemlich lange, bis er sie überredet hatte, seinem Rat zu folgen, aber schließlich ging sie doch. Sie fand ein kleines Licht in der Kabine hinter dem Vorhang, das Bett war gemacht, und die Bezüge waren sauber. Die ganze sternchenland.com Lagerstatt sah einladend aus. Sie legte sich nieder und erwartete nicht, daß sie auch nur einen Augenblick schlafen könnte. Aber kaum hatte sie die Augen geschlossen, als sie auch schon in tiefen Schlaf fiel. Julius Savini hatte einen Stuhl gegen die Tür gestellt und sich dort niedergelassen. Das kleine Schwert lag über seinen Knien. Seine Kleidung war unordentlich, seine Augen waren müde, und alle Glieder taten ihm weh. Er schlief kurze Zeit, dann wachte er wieder auf. So verging die Nacht, und der Tag brach an. Das Deckenlicht zeigte sich erst grau, dann weiß, und schließlich schien das goldene Sonnenlicht hindurch. Plötzlich wurde das Fenster aufgerissen, und das Gesicht von Coldharbour Smith erschien in der Öffnung.

 

»Guten Morgen, mein kleiner Liebling,« begann er. Dann sah er plötzlich Julius und verschwand.

 

Julius Savini, der auf alles gefaßt war, hörte, wie sich der Schlüssel im Schloß drehte. Er war bereit, Coldharbour Smith anzuspringen, aber plötzlich wurde die Tür aufgestoßen, und Julius sah sich plötzlich der Mündung einer Pistole gegenüber.

 

Vor dieser stärkeren Waffe ließ er die Hände sinken.

 

»Wir wollen uns einmal ein wenig unterhalten, Julius! Vor allen Dingen wird der Säbel auf den Tisch gelegt!«

 

Savini mußte wohl oder übel gehorchen.

 

»Was hat das alles zu bedeuten? Wer hat Sie denn hierhergeschickt?«

 

Julius war groß im Erfinden von Ausreden und hatte schon eine Lüge bei der Hand.

 

»Der Alte,« sagte er nachlässig. »Er hat schon Unannehmlichkeiten wegen des Mädels gehabt und gab mir den Auftrag, an Bord zu gehen, um mit Ihnen zu reden. Er will haben, daß Sie sie gehen lassen.«

 

Smith grinste.

 

»Da soll mich doch der Teufel holen, wenn ich das tue!« sternchenland.com Aber wenn er Sie an Bord geschickt hat, warum kamen Sie denn nicht geradenwegs zu mir?«

 

»Ich konnte Ihre Kabine nicht finden, und schließlich dachte ich, Sie wären hier drinnen und sprang herein, weil ich nicht wollte, daß mich die Matrosen sehen sollten. Kaum war ich hier unten, als jemand das Deckfenster schloß.«

 

Smith nickte.

 

»Ich habe den Befehl gegeben, es zu schließen. Aber ich hatte keine Ahnung, daß ich solch einen seltenen Vogel wie Sie fangen würde. Bellamy will also, daß ich sie wieder an Land bringe? Hat er denn auch Vorkehrungen getroffen, daß ich wegen der ganzen Sache nicht in Unannehmlichkeiten komme? – – Sie lügen, Julius!« Bei diesen Worten sah er ihn scharf an. »Ihre Kleider sind ganz mit Schmutz bedeckt – und was wollen Sie denn mit dem Säbel da? Ich werde Sie mal erst hier festsetzen und mich bei dem Alten erkundigen, was das mit Ihnen zu bedeuten hat! Für Geld machen Sie ja alles!« Plötzlich kam ihm ein Gedanke. »Sagen Sie, hat Featherstone Sie hierhergeschickt?« Er schlug sich auf den Schenkel. »Sicher, jetzt hab ich’s! Sie sind ein Lockspitzel! Na, das überrascht mich gar nicht.«

 

Er stieß einen schrillen Pfiff aus, und ein dunkler Matrose kletterte die Verbindungsleiter herunter. Smith sprach leise mit ihm. Dann ging der Mann fort und kam mit einem Paar rostigen Handschellen zurück.

 

»Manchmal mache ich so ein bißchen Polizeiarbeit auf eigene Faust,« sagte Coldharbour Smith, »strecken Sie die Hände aus, daß ich sie Ihnen anlegen kann.«

 

Die Eisen schnappten über Julius Handgelenken ein. Dann wurde er von den Matrosen nach vorne über das Deck gebracht und mußte durch die kleine Falltür in den dunklen Raum klettern, wo die Ankerketten aufbewahrt wurden.

 

»Setzen Sie sich mit dem Rücken zu der Öffnung,« befahl Smith, und als Julius gehorchte, band Smith ihm die Füße sternchenland.com zusammen. »Nenn der Alte bestätigt, daß Sie die Wahrheit gesagt haben, werde ich mich bei Ihnen entschuldigen,« sagte er fast liebenswürdig. »Aber inzwischen bleiben Sie hier, und ich werde mir noch überlegen, was ich mit Ihnen mache, wenn wir erst auf See sind.«

 

Er warf die Falltür zu und legte den eisernen Bolzen vor. Julius grinste, denn die Handschellen waren viel zu weit für ihn, und er hatte bereits seine Fesseln abgestreift, bevor Coldharbours Schritte vollständig verhallt waren.

 

Kapitel 41

 

41

 

Sie schaute nur einen Augenblick auf die unheildrohende Gestalt, dann wandte sie sich um, floh in ihr Zimmer und schloß die Tür hinter sich zu. Es war unglaublich, unmöglich, sie konnte es nicht fassen. Ihr Vater! Und wer mochte sein Besucher gewesen sein?

 

Sie hörte draußen das leise Surren eines Motors, aber sie ging nicht zum Fenster, um hinauszusehen. Rein gefühlsmäßig wußte sie, daß der Fremde gegangen war und daß er es war, dessen Weinen sie gehört hatte. Mr. Howett – der Grüne Bogenschütze! Ihre Gedanken wirbelten durcheinander.

 

Sie hatte den Kopf in die Hände vergraben und bewegte sich nicht, als sie hörte, daß er in sein Zimmer ging und die Tür abschloß.

 

Am nächsten Morgen kam Valerie frühzeitig zum Frühstück herunter. Sie hatte böse Kopfschmerzen und fühlte sich todmüde. Aber sie war so gespannt auf die Erklärung ihres sternchenland.com Vaters – sie konnte ihn sich nicht anders vorstellen als ihren wirklichen Vater. Er durfte unter keinen Umständen merken, daß sie sein Geheimnis wußte und sie begrüßte ihn, als ob nichts geschehen wäre.

 

»Dein Freund hat dich aber sehr lange aufgehalten, lieber Vater,« sagte sie, als sie ihm gegenüber Platz nahm. Er sah blaß und angegriffen aus und schien überhaupt nicht geschlafen zu haben.

 

»Du hast recht, Val,« erwiderte er leise, ohne ihr in die Augen zu sehen. »Ich versprach dir, gestern abend noch zu dir zu kommen. Ich … aber ich war so erschüttert. Sei nicht böse, wenn ich nicht weiter über die Sache spreche.«

 

»Nein, ich bin dir deshalb nicht böse,« sagte sie zärtlich, aber es kam nicht von Herzen.

 

»Ich glaube, du warst ein wenig erschrocken,« sagte er und kam selbst wieder auf das Thema zurück. »Und gerade das wollte ich unter allen Umständen vermeiden. Warst du in meinem Zimmer?«

 

Sie nickte.

 

»Du hast mein Bett leer gefunden – nun ja, das muß dich sehr bestürzt haben, ich hätte viel darum gegeben, wenn ich dich nicht aufgeweckt hätte.«

 

»War es ein wichtiger Besuch?«

 

»Ja, sehr wichtig,« antwortete er ernst. »Aber Valerie, ich liebe nicht, daß die Eier so serviert werden.«

 

Diese alte Klage brachte er unweigerlich vor, wenn er das Gespräch beim Frühstück ändern wollte. »Ich werde heute zur Stadt fahren.« sagte er dann und erhob sich vom Tisch. »Ich erwarte einen Herrn aus Philadelphia, den ich dringend sprechen muß, und es wird vielleicht spät werden, bis ich zurückkomme.

 

Er sprach so eingehend von seinem Besuch in London, daß sie fühlte, daß er ihr nicht den wirklichen Grund sagte. Aber sie fragte ihn nicht und wunderte sich offensichtlich nicht sternchenland.com darüber, obwohl er ihr noch am Tag vorher gesagt hatte, daß nur schwere Krankheit ihn von seiner historischen Arbeit abbringen würde.

 

Einesteils war sie sehr froh, daß er fortging, denn sie hatte die Dienstboten viel zu fragen, und vielleicht konnte ihr eine genaue Untersuchung des Wohnzimmers einige Anhaltspunkte über die Person des Besuchers geben.

 

Mr. Howett fuhr gleich darauf fort. Spike sah es und eilte zum Haus.

 

»Ist irgend etwas passiert, Miß Howett?« fragte er ängstlich.

 

»Was für eine merkwürdige Frage für einen Schutzengel der Howetts!« sagte sie lächelnd.

 

»Ihr Schutzengel saß über Nacht in der Hecke und verlor das Bewußtsein.« Als sie ihn entsetzt anschaute, erklärte er ihr in verständlicher Sprache, daß er fest eingeschlafen sei. »Ich hatte mich schlecht für meine Wache präpariert, es passieren tagsüber soviel interessante Dinge, daß ich immer erst daran denke, mich zu Bett zu legen, wenn ich auf Patrouille gehen muß. In der Burg ist allerhand vorgekommen.«

 

»Was ist denn geschehen?«

 

»Der Grüne Bogenschütze war in der letzten Nacht wieder unterwegs, und als Bellamy heute morgen aufwachte, fand er seine Hunde schlafend auf dem Gang.«

 

»Sind sie betäubt worden?« fragte sie überrascht.

 

Spike nickte.

 

»Ich habe eben Julius gesprochen. Er sagt, daß der Alte die Hunde in Zukunft in sein Schlafzimmer einsperren wird. Er ist ganz aus dem Häuschen vor Wut, hat alle Diener aufgeweckt, gefragt und verhört und schließlich hat er gedroht, daß er die Polizei rufen wird.«

 

»Der arme Mr. Savini muß in einer schrecklichen Lage sein!« meinte Valerie mitfühlend.

 

»Im Gegenteil, ich habe ihn noch nie so keck und lebendig sternchenland.com gesehen. Er faßt die ganze Angelegenheit als einen Scherz auf und sagt, der Grüne Bogenschütze hätte die Hunde vergiften sollen, statt ihnen nur ein Betäubungsmittel zu geben. Ihr Vater ist heute morgen sehr früh weggefahren, Miß Howett?«

 

»Ja, er hat eine Verabredung in London.«

 

»Julius auch,« platzte Spike heraus. »Nebenbei bemerkt habe ich Featherstone heute morgen telephonisch gesprochen.«

 

»Mr. Holland, ist heute früh ein Auto an Ihnen vorbeigefahren?«

 

»Ja,« sagte er sofort. »Es war ein Delarge-Zweisitzer. Ich bin davon aufgewacht. Der Wagen war ganz geschlossen, obwohl es nicht regnete. Ich wunderte mich schon, woher er in aller Frühe schon käme. Aber warum fragen Sie mich danach?«

 

»Ich sah ihn hier an meinem Fenster vorbeifahren, ich bin auch davon aufgewacht,« log sie ihm vor. »Haben Sie gesehen, wer den Wagen steuerte?«

 

»Ich sah das Auto nur ganz kurz, das Licht des Scheinwerfers weckte mich auf. Sie müssen aber einen sehr leisen Schlaf haben, Miß Howett, der Wagen fuhr fast geräuschlos und machte viel weniger Lärm als irgendein anderer großer Wagen, den ich in der letzten Zeit gesehen habe. Ich war erstaunt, daß eine Dame am Steuer saß. Sie hatte einen langen Mantel an, aber ich habe sie nur für den Bruchteil einer Sekunde gesehen.«

 

»War sonst niemand im Wagen?«

 

»Das kann ich nicht beschwören. Aber warum erkundigen Sie sich nach all diesen Dingen, Miß Howett?« fragte er argwöhnisch. »Ist in Lady’s Manor letzte Nacht etwas passiert?«

 

»Nein,« sagte sie hastig. »Ich war nur neugierig, wer in so früher Morgenstunde hier vorbeifahren würde.«

 

Als Spike gegangen war, begann sie vorsichtig die Dienstboten sternchenland.com auszufragen, aber sie konnte nichts Neues herausbringen. Auch im Wohnzimmer fand sie keine weiteren Anhaltspunkte oder Spuren des Besuchs. Sollte sie das Zimmer ihres Vaters durchsuchen? Aber die Anhänglichkeit dem Manne gegenüber, der sie liebevoll großgezogen hatte, bestimmte sie, diese Absicht aufzugeben.

 

Kapitel 42

 

42

 

Fay Clayton erhielt schon Besuch, bevor Julius zu ihr kam, obwohl er sich früh auf den Weg gemacht hatte. Sie war wenig erfreut, Coldharbour Smith zu sehen, denn sein Ruf war gerade nicht der beste.

 

»Julius ist nicht hier,« sagte sie. »Er ist auf dem Lande.«

 

»Als ob ich das nicht wüßte! Er ist doch bei meinem Freunde Mr. Bellamy.«

 

»Da müssen Sie ja eiserne Nerven haben, wenn das Ihr Freund ist, Mr. Smith. Aber trotzdem kann ich Sie nicht hereinlassen, ich möchte meinen guten Ruf nicht verlieren.«

 

»Machen Sie doch keine Geschichten, ich muß mit Ihnen reden. Ich bin den weiten Weg von Limehouse hierhergekommen und gebe Ihnen die Möglichkeit viel Geld zu verdienen, obendrein will ich auch noch Julius helfen. Ich werde Sie gut bezahlen, Fay. Lassen Sie mich doch herein.«

 

Sie öffnete die Tür ein wenig weiter.

 

»Meinetwegen,« sagte sie kurz. »Aber Sie dürfen nicht lange bei mir bleiben. Ich habe eine Köchin und ein Dienstmädchen in der Küche,« fügte sie bedeutungsvoll hinzu.

 

»Sie können auch den Erzbischof von Canterbury zu Besuch haben!« entgegnete Coldharbour beleidigt. »Ich wollte geschäftlich mit Ihnen sprechen. Außerdem kann ich Ihnen ja sagen, daß Julius in einer Viertelstunde hier sein wird.«

 

»Woher wissen Sie denn das?« fragte sie erstaunt. »Haben Sie ihn gesehen?«

 

sternchenland.com »Bellamy hat ihn zur Stadt geschickt und ihm gesagt, er hätte Zeit, seine Frau zu besuchen.«

 

»Weiß der denn, daß wir verheiratet sind?« fragte sie enttäuscht.

 

»Natürlich,« erwiderte Smith verächtlich. »Ein Mann wie Bellamy weiß alles. Julius verdankt es doch nur mir, daß er seine Stelle behalten hat! Als Bellamy entdeckte, welche Vergangenheit er hatte, wollte er ihn hinauswerfen, aber ich sagte –«

 

»Wir wollen lieber über Geschäfte sprechen,« sagte Fay ärgerlich. »Es ist zu früh am Morgen, um Märchen zu erzählen. Julius hat doch Mr. Bellamy alles selbst erzählt.«

 

Smith brach in schallendes Gelächter aus.

 

»Dann lügen wir beide. Denn Bellamy brachte es so heraus, er hat es weder von mir noch von Julius. Aber das hat mit unserer Sache nichts zu tun, Fay,« sagte er leise und lehnte sich zu ihr über den Tisch. »Sie können vierhundert Pfund verdienen und haben praktisch nichts dafür zu tun.«

 

Sie sah ihn fest an.

 

»Sie würden mir nicht einmal fünf Cents geben, wenn ich nichts dafür tun sollte. Was ist es denn? Ich werde nichts Unerlaubtes tun, merken Sie sich das! Wenn Sie wollen, daß ich jemand heranschleppen soll, dann müssen Sie sich ein anderes Mädchen suchen, denn ich habe mich von solchen Dingen für immer zurückgezogen.«

 

»Das ist aber fein,« sagte Smith mit erheuchelter Bewunderung. »Ich freue mich, das von Ihnen zu hören, Fay. Denn ich bin auch aus der Sache heraus. Die Aufgabe, die ich Ihnen zugedacht habe, ist ganz offen und ehrlich zu lösen, sie ist so gerade, wie –« er machte eine hilflose Pause, denn er konnte keinen passenden Vergleich finden – »nun gut, sie ist vollständig ehrlich. Kennen Sie dieses Mädel, die Howett?«

 

Sie nickte.

 

sternchenland.com »Ein hübsches Ding – Sie hatten doch neulich einen kleinen Auftritt mit ihr bei El Moro’s?«

 

»Ich habe mich nicht mit ihr gestritten, ich habe sie nur begrüßt und ihr Guten Tag gesagt, da war weiter nichts dabei.«

 

»Das habe ich auch gehört,« sagte Smith ironisch. »Ich verkehre ja auch bei El Moro’s, wie Sie wissen, Fay, und da erfahre ich alles. Aber darauf kommt es ja nicht an. Ich möchte Featherstone einen kleinen Streich spielen. Nach allem, was man weiß, ist er in sie verliebt und ist dauernd bei den Howetts im Hause. Er ist ein gewandter Kerl und denkt, er kann alle in die Tasche stecken.«

 

»Was wollen Sie ihm denn für einen Streich spielen?« unterbrach ihn Fay.

 

»Also hören Sie zu. Nehmen wir einmal an, Sie gingen hin und besuchten das Mädel. Sie können natürlich in einem sehr eleganten Wagen hinfahren – Geld spielt bei der Sache keine Rolle – und Sie würden dann mit ihr sprechen. Sie empfängt Sie sicher, denn sie weiß, wer Sie sind. Nun ist aber eine Bedingung dabei –« Er hob warnend seinen Finger. »Sie dürfen Julius nichts davon sagen.«

 

»Ich erzähle meinem Mann stets alles.«

 

»Vielleicht tun Sie das, vielleicht auch nicht, aber diese Sache dürfen Sie ihm unter keinen Umständen erzählen, haben Sie verstanden?«

 

»Nun sagen Sie mir doch endlich, was ich tun soll?«

 

»Sie sollen sie besuchen und freundlich mit ihr sprechen,« sagte Smith schnell, denn er hatte sich etwas verspätet und fürchtete, daß Julius jeden Augenblick ins Zimmer treten könnte. »Dieses Mädchen sucht nach jemand – nach einer Frau. Sie ist nämlich nicht ganz richtig hier –« er zeigte auf den Kopf – »und sie hat die verrückte Idee, daß ihre Mutter irgendwo in Garre Castle ist. Tatsächlich ist ihre Mutter aber tot. Sie sollen nun Miß Howett besuchen und sternchenland.com ihr sagen, daß Sie Mrs. Held gesehen haben – merken Sie sich diesen Namen ganz genau – also, daß Sie Mrs. Held im ›Goldenen Osten‹ gesehen haben. Sagen Sie ihr, daß sie dort gefangen gehalten wird und daß Sie sie nur durch Zufall gesehen haben. Weiter teilen Sie ihr mit, daß Sie einen Privateingang zum ›Goldenen Osten‹ kennen und sie nachts dorthin führen würden, wenn sie es wünschte. Wenn sie erklärt, daß sie erst Featherstone fragen will, können Sie ihr sagen, daß es ein Dutzend Wege gibt, um Mrs. Held von dem Klub zu entfernen, wenn sie erst die Polizei hineinbringt. Dann wird sie Mrs. Held niemals zu sehen bekommen. Also, haben Sie sich alles genau gemerkt?«

 

»Was soll denn mit ihr geschehen?«

 

»Es soll ihr gar nichts geschehen. Sie sollen sie nur zu dem Klub bringen, vielleicht arrangieren wir dann einen kleinen Tanz, vielleicht auch ein nettes, kleines Essen –«

 

Fay schüttelte den Kopf.

 

»Ich tue nicht mit,« sagte sie entschieden. »Das ist doch ein ganz gemeiner Trick, daß ich sie unter diesem Vorwand dorthin bringen soll, ob sie nun verrückt ist oder nicht. Aber ich wette, sie ist nicht verrückt! Und was wollen Sie dann mit ihr anfangen, wenn sie zum ›Goldenen Osten‹ kommt? Ich kenne doch Ihre Bande, Smith! Ich selbst würde nicht ohne einen Begleiter, dem ich trauen könnte, zum ›Goldenen Osten‹ gehen.«

 

Smith lehnte sich zurück und schaute sie düster an.

 

»Sie können Julius ja erzählen, daß die Aufgabe, die ich Ihnen gestellt habe, darin besteht, Featherstone hinters Licht zu führen. Sie brauchen ihm doch gar nicht zu sagen, worum es sich eigentlich handelt.«

 

»Ich weiß nicht, ob ich mich nicht deutlich genug ausdrücke! Ich wiederhole Ihnen, daß ich mich nicht an der Sache beteiligen werde. Da müssen Sie sich jemand anders suchen.«

 

sternchenland.com »Ich habe aber Sie ausgewählt und Sie werden es übernehmen. Wovor fürchten Sie sich denn? Dem Mädel wird nichts passieren – das Ganze ist doch nur ein Scherz, ich sage es Ihnen doch.«

 

»Ich habe viel Sinn für Humor, aber an Ihrem Plan kann ich nichts Scherzhaftes finden.«

 

»Wenn aber Savini Ihnen sagt, daß Sie es tun sollen,« begann er wieder.

 

»Wenn Savini oder hundert Savinis mir sagen würden, daß ich einem jungen Mädchen einen gemeinen Streich spielen sollte, dann würde ich es auch nicht tun. Das ist mein letztes Wort. Hier kommt Julius.«

 

Smith hörte, daß draußen die Wohnungstür geöffnet wurde. Gleich darauf kam Savini ins Zimmer. Er war erstaunt und durchaus nicht erfreut, Coldharbour Smith zu sehen.

 

»Ich habe mit Ihrer Frau gesprochen, Julius. Vielleicht können Sie sie zur Vernunft bringen. Sie soll etwas für mich besorgen, – sie kann eine Menge Geld dabei verdienen – vierhundert Pfund.«

 

»Bellamy sagte mir heute morgen fünfhundert,« entgegnete der praktische Julius. Dann wandte er sich an Fay. »Du wirst die Sache doch übernehmen – oder willst du nicht?«

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

»Nicht für fünf Millionen.« Julius hörte aus ihrem Ton, daß sie nicht dazu zu bewegen war.

 

»Besprechen Sie die Sache miteinander,« sagte Smith und erhob sich, um zu gehen. »Und vergessen Sie nicht, Fay –«

 

»Mrs. Savini,« verbesserte Fay scharf. »Ich habe ein gesetzliches Anrecht auf diesen Namen. Bitte nennen Sie mich so, wie es sich gehört, Smith.«

 

»Mr. Smith,« sagte er böse und verließ das Zimmer.

 

sternchenland.com Julius schwieg, bis er hörte, wie Smith die Tür zuwarf.

 

»Der alte Bellamy wünscht, daß du den Auftrag annimmst, Fay. Was soll es denn sein?«

 

»Das ist eine ganz niederträchtige Geschichte, Julius,« antwortete sie ruhig. »Es ist tatsächlich zu niedrig und schmutzig für mich. Ich bin ja gerade nicht kleinlich, aber was zuviel ist, ist zuviel. Ich möchte dir nicht erzählen, worum mich Smith gebeten hat, denn ich habe ihm halb und halb versprochen, dir nichts davon zu sagen. Und es würde dir auch nichts helfen, wenn ich es dir mitteilte.«

 

Er biß sich nachdenklich auf die Lippen.

 

»Ich will dich nicht drängen,« sagte er zu ihrem Erstaunen, denn sie hatte sich schon auf eine unangenehme Auseinandersetzung gefaßt gemacht. »Ich vermute, daß es irgend etwas wäre, was du übernehmen könntest. Aber ich glaubte nicht, daß du so großen Widerwillen dagegen hättest.«

 

»Hast du deine Reisepläne geändert, Julius?«

 

Er nickte.

 

»Konntest du das Geld nicht bekommen?«

 

»Ich hatte es schon fast in meiner Tasche,« erwiderte er gutgelaunt. »Aber ein dauerndes sicheres Einkommen ohne Risiko ist besser als eine größere Summe. Nebenbei bemerkt kannte Featherstone alle meine Vorbereitungen und ahnte, daß ich verschwinden wollte. Ich schrieb dir in dem Brief nichts darüber, denn ich mußte fürchten, daß er geöffnet werden könnte. Aber Featherstone wußte, daß ich mich nach allem erkundigt hatte, und kannte sogar die Schiffslinie, die ich bei meiner Reise benützen wollte. Er ist wirklich ein ganz schlauer, geriebener Bursche, dieser Featherstone,« meinte er mit widerstrebender Bewunderung.

 

Daß er sie nicht drängte, alle Einzelheiten des Planes zu sagen, den Coldharbour Smith durch sie ausführen lassen wollte, war nicht weiter verwunderlich. Dieses merkwürdige Paar hatte ein schweigendes Übereinkommen getroffen, daß sternchenland.com keiner zu tief in die Angelegenheiten des andern eindringen sollte. Das war eine ausgezeichnete Vereinbarung, die ihnen beiden zuzeiten viel Ärger ersparte. Er merkte an Fays Ton, daß Smiths beabsichtigtes Unternehmen gefährlich war. Er kannte seine Frau und ihre mannigfachen Eigenheiten wirklich sehr genau.

 

Julius Sawini war ein skrupelloser Abenteurer, ein Dieb, der ohne mit der Wimper zu zucken, stahl, ein Schwindler, für den Gewissen und Polizei dieselben Begriffe waren. Aber er liebte diese kleine schmächtige Frau, die von ihrer frühesten Kindheit an mit Dieben verkehrt hatte und in einer Atmosphäre von Verbrechern aufwuchs. Er wollte ihr ein Leben schaffen, das nicht nur von allem Luxus umgeben, sondern auch frei von aller Furcht sein sollte. Das war sein ehrgeiziger Plan, und deshalb zog er auch dem großen Raub die Erpressung vor, die mit weniger Gefahr verbunden und seiner Überzeugung nach viel gerechtfertigter war.

 

»Ich muß wieder gehen,« sagte er. »Ich habe den Alten in einer furchtbaren Stimmung zurückgelassen. Er weiß sich nicht mehr zu helfen vor Wut. Der Grüne Bogenschütze war letzte Nacht wieder dort.«

 

»Wie? Der Grüne Bogenschütze?«

 

»Warum er eigentlich kommt, ist mir unverständlich.« Julius schüttelte den Kopf. »Es ist das Verrückteste, was jemals ein Mann getan hat. Wenn Bellamy den fangen sollte –«

 

Fay wandte sich schnell herum.

 

»Was hast du denn eigentlich vor?« fragte sie neugierig. »Man sollte fast denken, daß du wünschtest, er würde nicht gefaßt.«

 

»Das könnte stimmen.«

 

»In allem Ernst, Julius – ist dieser Grüne Bogenschütze nicht nur ein Schwindel von dir?«

 

»Ein Schwindel von mir?« wiederholte er verächtlich. sternchenland.com »Glaubst du denn, daß sich mit den Hunden Scherz treiben ließe? Da irrst du dich aber gewaltig. Ich würde dergleichen nicht für alles Geld Bellamys unternehmen.« Und Julius sprach die Wahrheit.

 

Nachdem er gegangen war, wurde Fay ans Telephon gerufen. Sie erkannte die Stimme von Smith.

 

»Haben Sie mit Julius gesprochen?«

 

»Ja,« erwiderte sie kurz.

 

»Werden Sie nun vernünftig sein?«

 

»Das bin ich immer,« sagte sie mit einem grimmigen Lächeln. »Soviel ich glaube, bin ich die vernünftigste Frau in der Stadt.«

 

»Also wollen Sie die Sache übernehmen?«

 

»Nicht um mein Leben würde ich so etwas tun,« sagte sie und betonte jedes Wort.

 

»Dann wird Julius seine Stelle verlieren,« schrie Smith wütend. »Und Sie werden sich selbst in sehr schlechten Ruf bringen. Sie tun damit Julius einen sehr schlechten Gefallen, Fay. Und ich mag den Jungen doch so gern leiden, daß ich ihm die Möglichkeit gab, leicht Geld zu machen. Ich wollte Sie auch gar nicht darum bitten, daß Sie sich mit unrechten Dingen befassen sollten.«

 

»Da haben Sie recht,« stimmte sie ihm bei. »Sie haben mich aber gefragt, ob ich die Ausführung eines recht bösen Plans übernehmen wollte.« Sie legte den Hörer mit einem Ruck auf den Ständer.

 

Sie wußte, wie sehr Coldharbour Smith ihr schaden konnte. Aber sie hatte ja noch niemals in Sicherheit gelebt und war immer auf zähe und schnelle Verteidigung gefaßt. Es war eigentlich gegen ihre Überzeugung, die Pläne anderer Leute zu durchkreuzen, aber sie dachte ernstlich daran, Valerie Howett vor der Gefahr zu warnen, die ihr drohte. Dieses Gefühl wurde so stark in ihr, daß sie Garre anrief, aber sie erfuhr dort, daß Lady’s Manor keinen telephonischen sternchenland.com Anschluß hatte. Sie erinnerte sich, daß Julius ihr von Spike Holland erzählt hatte und ließ sich mit dem »Blauen Bären« verbinden, aber Spike war ausgegangen, und man erwartete ihn erst in einer Stunde wieder zurück. Sie konnte nichts tun, es sei denn –

 

Aber sie schüttelte den Kopf unschlüssig. Sie wollte Valerie schreiben und ihr alles mitteilen, was Smith ihr zugemutet hatte. Dann konnte die junge Dame ja selbst Maßnahmen zu ihrem Schutz treffen. Um aber Fay Clayton gerecht zu werden, muß gesagt werden, daß ihr der Gedanke, sich mit James Featherstone direkt ins Benehmen zu setzen, äußerst verhaßt war. Ein Opfer eines bösen Planes durfte man warnen, das war unter gewissen Umständen sicher erlaubt, aber sie hatte es sich nie verziehen, wenn sie der Polizei etwas verraten hätte.

 

Valerie war gerade in dem Postbüro des Dorfes, wo sich auch die Telephonzentrale befand. Sie wartete am Schalter, um einige Marken zu kaufen, als die Telephonistin hereinkam.

 

»Eben habe ich einen Anruf nach Lady’s Manor bekommen, aber ich habe ihn abgewiesen. Dann wurde nach Mr. Holland im ›Blauen Bären‹ gefragt, aber der war nicht dort.«

 

»Wer hat denn angerufen?« fragte Valerie neugierig.

 

»Ich hörte die Stimme einer Dame am Apparat.«

 

Valerie stand vor einem Rätsel. Sie kannte etwa ein halbes Dutzend Damen, aber keine von ihnen hätte sie in Garre angeläutet. Alle ihre Bekannten und Freunde wußten, daß ihr neues Heim keinen Telephonanschluß hatte. Der Umstand, daß das Gespräch zu Spike Holland umgeschaltet wurde, gab ihr die Gewißheit, daß die Sache mit Garre Castle in Zusammenhang stand.

 

Es war natürlich Jim Featherstone, und seine Stenotypistin hatte für ihn gesprochen.

 

Sie ließ sich mit Jim verbinden.

 

sternchenland.com »Nein, ich habe Sie nicht angerufen, Valerie. In meinem Büro werden auch keine Stenotypistinnen beschäftigt. Wer kann es denn Ihrer Weinung nach gewesen sein?«

 

»Ich habe nicht die geringste Ahnung. Ich dachte, der Anruf käme von Ihnen, weil später noch Mr. Holland ans Telephon gebeten wurde. Haben Sie etwas von ihm erfahren?«

 

»Ja, Sie meinen doch die Geschichte mit den betäubten Hunden?«

 

»Es ist sehr merkwürdig. Ist das nicht wichtig genug, daß Sie hierherkommen und persönliche Nachforschungen anstellen?«

 

»Ich wollte morgen kommen – oder hätten Sie lieber, daß ich schon heute abend hinausfahre?« In seiner Stimme verriet sich ein solcher Eifer, daß sie rot wurde.

 

»Nein, es genügt, wenn Sie morgen kommen,« sagte sie eilig und hängte den Hörer an.

 

Sie dachte auf dem Heimweg darüber nach, wer sie wohl angerufen haben mochte. Es konnte doch nicht die Frau sein, die gestern abend – Wer mochte sie gewesen sein? Diese Frage hatte sie sich schon hundertmal vorgelegt. Sie nahm sich fest vor, ihren Vater bei seiner Rückkehr zu bitten, ihr doch das ganze Geheimnis zu enthüllen, damit sie wieder Ruhe finden konnte.

 

Als sie an dem Parktor von Garre Castle vorbeikam, sah sie Bellamy quer über den grünen Rasen zu dem Eingang gehen. Er wandte ihr den Rücken zu, aber sie konnte seine große mächtige Gestalt deutlich erkennen. Plötzlich drehte er sich um, als ob er instinktiv ihre Blicke gefühlt hätte. Aus Höflichkeit grüßte sie ihn. Aber er dachte gar nicht daran, ihren Gruß zu erwidern. Er hob nicht einmal die Hand an seine Mütze, sondern starrte ihr nur nach, bis sie außer Sicht war. sternchenland.com

 

Kapitel 43

 

43

 

Bellamy wartete im Park auf Savinis Rückkehr. Er schien ungeduldig zu sein, denn er hielt den Wagen mit vorgestreckter Hand an, als er erst halbwegs eingefahren war. Julius sprang sofort heraus.

 

»Haben Sie mit Ihrer Frau gesprochen?« fragte Bellamy barsch.

 

»Jawohl, mein Herr, ich habe sie gesehen.«

 

»Wird sie das tun, was Mr. Smith ihr aufgetragen hat?«

 

»Nein,« erwiderte Julius kühl. »Sie will die Aufgabe nicht übernehmen.«

 

»Vermutlich wissen Sie, daß ich Sie dann hinauswerfe!«

 

»Das wird mir sehr leid tun, mein Herr –« begann Julius.

 

»Geben Sie mir das Geld,« brummte Bellamy und sein Sekretär zahlte ihm die Scheine in die Hand, die er von der Bank geholt hatte.

 

Julius war schon nahe am Hauseingang, als er von Bellamy zurückgerufen wurde.

 

»Hat Ihnen Ihre Frau erzählt, was Mr. Smith von ihr wollte?«

 

»Nein.«

 

Bellamy sah ihn scharf an.

 

»Dann ist es gut,« sagte er.

 

Er bestellte sich das Abendessen ausnahmsweise früh, denn er hatte nicht zu Mittag gespeist. Das machte aber der grauen Dame nichts aus, sie hatte einen Vorrat an Konserven, den sie benutzen konnte, wenn Bellamy sie eines Tages, wie es öfter vorkam, nicht besuchte. Einst hatte er absichtlich ihre Vorräte ausgehen lassen und ihr zwei Tage lang keine Nahrung gebracht. Aber sie hatte sich zu seinem größten Ärger nicht im mindesten über seine Niedertracht beschwert.

 

sternchenland.com Die Burg war sein Augapfel, aber das Geheimnis des unterirdischen Gefängnisses war ihm das Wichtigste. Mit seinen eigenen Händen hatte er die Möbel hineingetragen, die Gasleitung angeschlossen und die Entlüftungsanlage eingebaut. Er hätte auch elektrisch Licht hineingelegt, wenn es nicht so gefährlich gewesen wäre. Neugierige Elektriker wären dann in die Burg gekommen, vor denen er elektrische Leitungsdrähte nicht gut hätte verbergen können. Er hatte eine Woche lang daran gearbeitet, einen der alten Kamine des Hauptgebäudes mit dem unterirdischen Raum zu verbinden und die Entlüftungsanlage in Gang zu bringen.

 

Das Abendessen wurde ihm in der gewöhnlichen Menge um sechs Uhr gebracht. Julius, der das Auftragen des Eßtisches überwacht hatte, zog sich zurück. Diesen Abend hatte Bellamy zuerst gegessen, bevor er die Speiseschüsseln nach unten trug. Er dachte über den Grünen Bogenschützen nach. Wie wundervoll wäre es doch, wenn er ihn gefangen nehmen und drunten in den untersten Kerkern einsperren könnte. Ein festes Eisengitter müßte vor seiner Zelle sein, und er würde ihn dann jahrelang jeden Tag besuchen bis zu seinem Tode. Er malte sich das alles in den glühendsten Farben aus. Er konnte ihn dort unten solange gefangen halten, bis ihn der Wahnsinn überkam. Bellamys Atem ging schneller bei diesem Gedanken. Wer mochte nur der Grüne Bogenschütze sein? Zuerst hatte er Julius im Verdacht, dann glaubte er, daß es der naseweise Polizeibeamte Featherstone wäre, vielleicht war es aber auch eine Frau. Valerie? Dann würde seine Rache süß sein. Er wollte einen neuen Kerker für sie auf der untersten Kellersohle anlegen. Aber er verwarf den Gedanken gleich wieder. Sein anderer Plan war viel besser. Smith! Er schüttelte sich vor Lachen, als er sich erhob und den Schreibtisch zurückschob.

 

Er nahm sich viel Zeit, denn er war nicht in der Stimmung, sich zu beeilen. Er drehte den Stein wieder um seine schwingende sternchenland.com Achse, aber dann zögerte er und stieg die Treppe nicht gleich hinunter. Er versuchte erst, sich über Valerie Howett klar zu werden. Was war das Beste? Sollte Smith sie mit sich nehmen? Aber er traute Smith nicht recht. Konnte er sich darauf verlassen, daß er der Tochter von Elaine Held das Leben zur Hölle machte?

 

Er nahm das Tablett mit den Schüsseln, stieg in die Dunkelheit hinab, steckte das Gaslicht an und öffnete die Türe. Als er das Tablett auf den Tisch stellte, rief er die Frau bei Namen. Er ging direkt in ihr Schlafzimmer und stieß die Tür auf.

 

»Hier ist dein Essen! Antworte mir doch, wenn ich dich rufe!« brüllte er.

 

Aber nur das Echo seiner Stimme kam zurück.

 

»Elaine!« rief er.

 

Hatte sie seinen Rat befolgt? War sie tot? War sie ihrer Gefangenschaft entronnen? Hatte sie die Gashähne aufgedreht? – Aber er konnte keinen Gasgeruch wahrnehmen.

 

Er stieß die Küchentür auf, sie war leer, ebenso der Baderaum. Er eilte wie ein Wahnsinniger von einem Raum zum andern. Er lief um die großen Steinpfeiler des Hauptraums herum, als ob es möglich wäre, daß sie sich hinter ihnen versteckt hielt. Er warf mit einem Fußtritt das Sofa um, dann eilte er zur Türe zurück und schaute hindurch.

 

»Elaine!« schrie er wild.

 

Aber sie war nicht mehr da. Die graue Dame war verschwunden!

 

Wo mochte sie sein? Sie mußte sich doch hier unten in den Räumen aufhalten – es war gar nicht anders möglich! Es gab keinen anderen Ausweg! Die Wände waren aus starkem, massiven Mauerwerk, keine geheimen Türen oder Gänge führten in dieses Gefängnis, obwohl man ihm erzählt hatte, daß es solche in Garre Castle in großer Menge sternchenland.com geben sollte. Aber er hatte noch nichts davon gefunden, obgleich er jeden Stein und jede Platte in den Gängen und Räumen untersucht hatte.

 

Er eilte in ihr Schlafzimmer und zog dag Bett von der Wand weg. Vielleicht hatte sie sich dort verborgen, um ihm einen Schrecken einzujagen. Aber auch hier war niemand. Ihre wenigen Kleidungsstücke hingen an zwei Haken an der Wand, die er einst mit großer Mühe dort befestigt hatte.

 

Er setzte sich verwirrt nieder und vergrub den Kopf in den Händen. Elaine war fort – aber wohin konnte sie entflohen sein? Wie war sie herausgekommen? Es gab doch nur den einen Weg, der durch die Bibliothek führte. Aber selbst wenn sie durch die verriegelte Tür gekommen wäre, hätte sie den Ausweg in die Bibliothek nicht gefunden. Es war unmöglich, daß sie auf diesem Weg entkommen war.

 

Der Grüne Bogenschütze … immer wieder kehrten seine Gedanken zu ihm zurück. Aber auch er hatte nicht durch den Boden zu ihr kommen können. Kein anderer Schlüssel konnte dieses Schloß öffnen, das ein deutscher Schlosser auf besondere Bestellung gefertigt hatte. Auch den Geldschrank öffnete der schmale, dünne Schlüssel, der die schweren Schließbolzen bewegte und den großen Stein festhielt.

 

Er trug die Speiseschüsseln zur Bibliothek zurück und untersuchte die Platte genau, bevor er sie wieder schloß. Aber er konnte keinen Riß oder Kratzer auf der Oberfläche entdecken, woraus er hätte schließen können, daß sie geöffnet worden war. Es gab kein Duplikat dieses Schlüssels und es war unmöglich, daß Elaine diesen Weg genommen hatte.

 

Es war fast neun Uhr, als er wieder aus der Bibliothek herauskam. Julius starrte ihn entsetzt an, denn in den letzten drei Stunden hatte sich das Aussehen des Alten vollständig verändert. Seine Augen lagen tief und waren verschüttet, und sein Gesicht hatte eine schreckliche graue Farbe angenommen.

 

sternchenland.com »Stellen Sie eine Verbindung mit Limehouse für mich her,« sagte er. »Und sagen Sie Sen, daß er zu mir kommen soll.«

 

Julius wunderte sich. Niemals vorher hatte der Chauffeur Sen die Schwelle von Garre Castle überschritten.

 

Sen war Chinese. Bellamy hatte ihn entdeckt, als er einen kurzen Besuch in Seattle machte. Es war ein schlanker, wohlgebauter Mann, der auf der amerikanischen Missionsschule in Hankow erzogen worden war. Er konnte vier Sprachen verstehen, aber nicht selbst sprechen, denn er war von Geburt an stumm, Und aus diesem Grund, nicht wegen seiner Erziehung, hatte Bellamy ihn auch engagiert. Er ließ ihn in einer Autofahrschule unterrichten. Der Chinese war nun schon achtzehn Jahre in seinen Diensten. Er wohnte über der Garage, die Bellamy in der äußersten Ecke des Parkes erbaut hatte. Hier lebte er einfach und hielt seine Wohnung äußerst sauber. Seine ganze freie Zeit, in der er sich nicht dem Rolls Royce-Wagen widmen mußte, brachte er mit der Übersetzung des »Lun Yii«, dieses »Buchs der Bücher«, zu. Welches Gehalt Sen bekam, wußte außer ihm nur Bellamy, und wozu er es verwendete, ahnte nicht einmal sein Herr.

 

Sen verehrte Bellamy abgöttisch, obgleich dieser im Lauf eines Jahres nicht ein Dutzend Sätze zu ihm sprach. Sen war der einzige Mann in der Welt, den Abel nicht quälte und peinigte. Er bekam seine Befehle durch ein Privattelephon und drückte einmal auf eine Glocke zum Zeichen, daß er den Auftrag verstanden hatte, oder zweimal, wenn man ihm die Botschaft wiederholen sollte. Für einen Chinesen sah er sehr gut aus, hatte dunkle, geheimnisvolle Augen und schöne, regelmäßige Züge. Wenn er seine Uniform trug, konnte man seine Nationalität nicht erkennen. In einer Seitentasche am Führersitz bewahrte er eine Anzahl großer Karten auf. »Ich bin stumm, aber ich verstehe Sie«, stand auf der einen, auf der anderen Karte waren all die verschiedenen Gegenstände sternchenland.com und Dinge angegeben, die er unterwegs anschaffen mußte, z. B. Benzin, Gummireifen usw.

 

Sen wurde vollständig von dem Haushalt im Schloß ferngehalten. Er vermied es selbst, Julius zu treffen, und der einzige Versuch, den der Privatsekretär gemacht hatte, sich mit ihm anzufreunden, wurde durch einen kalten Blick und einen eiligen Rückzug Sens beantwortet.

 

Featherstone hatte manches von den Beziehungen dieses Mannes zu Bellamy herausgebracht. Als Sen seinen Herrn einmal zu einer benachbarten Stadt brachte, hatte Jim seine Wohnung durchsucht, aber er hatte nichts besonderes gefunden außer einer großen Bibliothek chinesischer Bücher und einer musterhaft sauberen Wohnung.

 

Bellamy hatte sich schon einmal überlegt, ob er nicht den Chinesen als Wachtposten in der Burg gegen den Grünen Bogenschützen brauchen könnte, aber dann hatte er den Plan doch wieder fallen lassen. Da es Sen unmöglich war, sich durch Worte oder Schreie verständlich zu machen, konnte man ihn nicht dazu verwenden.

 

Julius rief den Chauffeur an, der sich sofort durch ein Zeichen meldete.

 

»Mr. Bellamy wünscht, daß Sie sofort zu ihm kommen. Er braucht den Wagen nicht, er will Sie selbst sehen.«

 

Sen kam sofort. Er trug einen seidenen Chinesenrock mit großen Ärmeln, in dessen Falten er seine Hände verbarg.

 

»Bringe den zweiten Wagen nach Newbury Junction, warte dort in der dunklen Straße, die zu der Station führt, und ändere die Nummerntafel. Dort wirst du einen Mann finden, der in das Auto einsteigt. Fahre ihn zu dem Ziel, das er dir bezeichnet und komme in der Nacht noch nach Garre zurück.«

 

Sen neigte den Kopf und wartete auf weitere Instruktionen. Als er keine weiteren Befehle erhielt, entfernte er sich. sternchenland.com

 

Kapitel 44

 

44

 

Jim Featherstone kleidete sich an, um an einem Festessen teilzunehmen. Sein Diener machte eine Bemerkung, daß sich sein Herr nicht sehr auf den Abend zu freuen scheine, an dem er so viele alte Kriegskameraden wiedersehen sollte. Er ging nämlich heute zu dem Jahresdiner seines alten Regimentes.

 

»Angus, Sie haben die Wahrheit gesagt. Ich bin im Augenblick gar nicht begierig, patriotische Reden zu hören, in denen von den Kriegsgefahren gesprochen wird, die wir zusammen durchgemacht haben.«

 

»Vielleicht, wenn Sie ein oder zwei Glas getrunken haben?« begann der Diener.

 

»Wenn Sie damit meinen, daß ich nur glücklich bin, wenn ich mich betrinke,« entgegnete Jim ärgerlich, »dann kann ich Ihnen nur sagen, Angus, daß das eine große Lüge ist. Ich möchte bloß nicht zu diesem Essen gehen, weil ich lieber wo anders wäre.«

 

»Heute abend ist eine Premiere im neuen Operettentheater.«

 

»Da möchte ich erst recht nicht dabei sein, um Operettenpremieren kümmere ich mich im allgemeinen wenig.«

 

»Sie werden sich sicher besser in Ihrem Klub amüsieren, wenn Sie eine Partie Bridge spielen.«

 

»Dabei würde ich mich sehr langweilen,« entgegnete Jim ungeduldig. »Mischen Sie sich nur nicht in meine Angelegenheiten, Angus.«

 

»Nein, mein Herr, das wäre das Letzte, was ich täte. Sie haben Ihre Krawatte aber nicht gut umgebunden.«

 

Während Jim sie schnell und geschickt in Ordnung brachte, überlegte er, was wohl der gesetzte Angus sagen würde, wenn er wüßte, daß er viel lieber in einem Wohnzimmer in Garre säße und in die Augen des schönsten Mädchens schauen sternchenland.com möchte, das es auf der Welt gab. Angus würde ihn wahrscheinlich verachten, denn er war zufrieden, wenn er zu Hause bei seiner Mutter war und Kaninchen großziehen konnte, um dadurch einen Nebenverdienst zu haben.

 

Später wurde Jim wahrend des Festessens doch von der allgemeinen freudigen Stimmung angesteckt, und es tat ihm leid, daß er vorher so geringschätzig davon gedacht hatte. Er traf viele alte Freunde wieder, mit denen er schwere Zeiten in Flandern verlebt hatte.

 

Der offizielle Teil des Festes war um elf Uhr zu Ende. Jim verließ die Gesellschaft und begab sich nach Scotland Yard, um zu prüfen, was inzwischen für Berichte eingelaufen waren, denn er vertrat augenblicklich einen höheren Beamten, der auf Urlaub war.

 

In seinem Büro las er schnell die kurzen Nachrichten der Polizeistationen und die Protokolle der Verhaftungen durch, als plötzlich der Beamte vom Nachtdienst hereinkam.

 

»Eine Dame möchte Sie sprechen, mein Herr,« sagte er.

 

»Hat sie denn schon auf mich gewartet?«

 

»Nein, sie ist eben erst gekommen.«

 

»Wer ist es denn?« fragte Jim und dachte plötzlich an Valerie.

 

»Ich kenne sie nicht. Sie sagt, sie müßte Sie in einer dringenden Angelegenheit sprechen. Es ist eine Miß Clayton.«

 

»Fay?« fragte Jim erstaunt. »Führen Sie die Dame bitte herein.«

 

»Das ist ja eine unerwartete Überraschung,« sagte er, als sie eintrat.

 

Sie stand in der Türöffnung und sah ihn an. Selbst gegen ihren Willen mußte sie ihn bewundern, denn Jim machte in seinem Frack eine gute Figur. Die Kriegsauszeichnungen und Orden blitzten auf seiner Brust.

 

»Niemand würde denken, daß Sie ein Polizeibeamter sind, Featherstone. Sie sehen beinah wie ein Gentleman aus.«

 

sternchenland.com »Wollen Sie nicht Platz nehmen? Weshalb kommen Sie hierher, Fay?«

 

»Ich wünschte nur, Sie würden mich endlich einmal nicht mehr Fay nennen,« sagte sie etwas geziert. »Es ist Ihnen doch bekannt, daß ich verheiratet bin. Nicht daß ich die Sache tragisch nehme. Aber Featherstone,« fuhr sie plötzlich ernst fort, »Sie müssen sehr vorsichtig sein, daß dem Mädchen nichts zustößt.«

 

»Welchem Mädchen? Meinen Sie Miß Howett?«

 

Sie nickte.

 

»Irgendeine Gefahr ist im Anzug, aber ich weiß noch nicht genau, was es sein wird. Coldharbour Smith hat mich diesen Morgen besucht. Wahrscheinlich kennen Sie ihn. Natürlich müssen Sie ihn kennen!«

 

»Was war es denn mit Coldharbour Smith?« fragte er ungeduldig. »Worum handelt es sich? Seien Sie nicht böse, daß ich so brüsk frage,« sagte er, als er sah, daß sie seine aufgeregten Worte verletzten. »Aber ich bin wirklich in großer Sorge.«

 

»Er erzählte mir von einem großen Plan, sich einen Spaß mit Miß Howett zu machen. Aber ich glaube, das ist nur ein Vorwand. Er sagte, daß Miß Howett nach ihrer Mutter sucht, und ich sollte ihr mitteilen, daß sich diese Dame in Coldharbours Club, im ›Goldenen Osten‹ aufhielte. Wenn ich dadurch ihr Interesse erweckt hätte, sollte ich sie nach Limehouse bringen und dann wäre meine Aufgabe beendet. Fünfhundert Pfund wollte er mir dafür geben. Was denken Sie darüber, Captain Featherstone?«

 

Sein Gesichtsausdruck machte die Beantwortung der Frage überflüssig.

 

»Wann sollte dieser Plan ausgeführt werden?«

 

»Ich weiß es nicht, mir ist kein bestimmter Abend angegeben worden, aber es sollte wohl noch diese Woche geschehen.«

 

sternchenland.com Er war aufgestanden, ging zu dem Kamin und schaute auf die glühenden Kohlen. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen und vermutete, daß er es nicht sehen lassen wollte. Aber nach einer Weile drehte er sich zu ihr um.

 

»Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr ich Ihnen für Ihr Vertrauen danke, Mrs. Savini. Sie haben wie jede anständige Frau gehandelt, als Sie dieses Angebot ablehnten, und ich kann Ihnen nur sagen, daß ich auch nichts anderes von Ihnen erwartet hatte.«

 

Fays Wangen färbten sich rot. Das war das erste Kompliment, das sie seit langen Jahren gehört hatte.

 

»Ich weiß wohl, daß dies ein Verrat ist. Ich hätte früher nie im Traum daran gedacht, so etwas zu tun.«

 

»Aber Sie haben es nun getan und es soll nur zu Ihrem Vorteil gereichen.« Er schaute auf seine Uhr, es war halb zwölf. »Ich will versuchen, Spike Holland anzurufen.«

 

»Heute morgen telephonierte ich –« begann sie.

 

Er wandte sich schnell um.

 

»Sie waren es, Fay? Miß Howett sagte mir, daß jemand sie anrufen wollte. Was für eine gute Seele Sie doch sind.«

 

Er ging zu ihr und reichte ihr die Hand. Und obwohl sie die Stirn in Falten legte, gab sie ihm doch die ihre.

 

»Wenn Sie mich zu Ihrer Hochzeit einladen, Featherstone, und es fehlen einige von den Hochzeitsgeschenken, dann dürfen Sie nicht denken, daß ich daran schuld bin.«

 

»Können Sie so lange warten, bis ich telephoniert habe?«

 

Sie nickte.

 

Er bekam sofort Verbindung mit dem »Blauen Bären«, und zu seiner größten Verwunderung kam Spike gleich an den Apparat.

 

»Ich dachte, Sie wären auf Wachtposten, Holland.«

 

»Das ist doch nicht nötig, Captain. Miß Howett ist schon um sieben Uhr fortgefahren.«

 

sternchenland.com »Mit wem ist sie denn weggefahren?« fragte Jim schnell.

 

»Mit dem Beamten, den Sie von Scotland Yard geschickt haben. Ist sie denn noch nicht bei Ihnen angekommen?«

 

»Nein,« sagte Jim heiser und hängte den Hörer an.

 

»Was ist los?« fragte Fay mit leiser Stimme.

 

»Miß Howett ist nicht in Garre, sie ist heute abend mit einem Manne fortgefahren, der behauptete, daß er ein Detektiv von Scotland Yard sei,« erwiderte er langsam.

 

Einige Augenblicke war er vollkommen bestürzt über diese Nachricht, aber seine alte Energie kam bald wieder über ihn. Er klingelte und ein Beamter in Uniform erschien. Schnell gab er seine Befehle.

 

»Rufen Sie sofort Abteilung K an. Alle Mannschaften, auch die Reserven, sollen den ›Goldenen Osten‹ einschließen. Unter den Plänen für Razzias ist es Nr. 37 … Haben Sie verstanden?«

 

»Jawohl, mein Herr,« sagte der Beamte und notierte die Befehle auf.

 

»Alle Reserven der Abteilung im Dienst oder auf der Station sollen sofort in zwei Dienstautos zu mir kommen – aber schnell.«

 

Aus einer Schublade seines Schreibtisches zog er eine große Browningpistole, nahm sie aus dem Lederetui und schob einen Patronenrahmen hinein. Dann steckte er sie in die Tasche und nahm seinen Mantel.

 

»Ich wollte Sie eigentlich bitten, mitzukommen, aber ich glaube, es ist besser, wenn Sie hier bleiben. Es hat doch niemand gesehen, daß Sie nach Scotland Yard kamen?«

 

»Featherstone –« Fays Stimme war erregt. »Dieser Coldharbour Smith weiß verschiedenes von mir, es wird Sie nicht sehr interessieren, aber es würde mir sehr unangenehm sein, wenn Julius es erfahren würde. Wenn es zu einer Schießerei kommen sollte, knallen Sie ihn nieder!«

 

sternchenland.com Jim mußte trotz allem leise lachen.

 

»Sie sind eine blutdürstige Frau,« sagte er kurz und ging. Als er auf den Hof kam, war schon ein Dutzend Leute vom Spezialdienst versammelt, und er erklärte ihnen schnell den Zweck der Razzia.

 

»Ich verstehe, wir gehen offiziell darauf aus, die Leute abzufangen, die verbotene Glücksspiele spielen. Ich habe seit drei Monaten einen Durchsuchungsbefehl in der Tasche, und ich führe ihn heute abend ans. Ich vermute, daß wir in dem Gebäude eine Dame finden, die dort gefangengehalten wird. Sollte das der Fall sein, so bin ich jedem dankbar, der mich davon abhält, Coldharbour Smith über den Haufen zu schießen.«

 

Kapitel 45

 

45

 

In diesem Augenblick kam das erste Dienstauto, und sie stiegen ein. Sie fuhren schon in schneller Fahrt das Themseufer entlang, bevor der zweite Wagen erschien. Ihr Weg führte sie durch die verlassene City, und dann kamen sie zu den hellerleuchteten Straßen von Whitechapel. Die Theater waren eben aus und sie kamen nur langsam vorwärts. Aber schon nach einer Viertelstunde waren sie in der Straße, in der der ›Goldene Osten‹ lag. Jim sprang auf die Straße, bevor der Chauffeur den Wagen zum Stehen bringen konnte. Die ganze Gegend war schon umstellt und schien mit einfachen, unauffälligen Männern angefüllt zu sein, die sich jetzt dem Gebäude näherten, als das Polizeiauto eintraf. Jim eilte an dem Portier vorbei die Treppe in die Höhe. Die Jazzkapelle spielte, ein Dutzend Paare tanzten auf dem spiegelglatten Parkett. Aber ohne sich um sie zu kümmern, eilte er an ihnen vorbei in den Raum, wo der Barmann in seiner weißen Kleidung gegen den Schanktisch lehnte und den Tänzern durch die offene Tür zuschaute.

 

sternchenland.com »Wo ist Smith?« fragte Jim schnell.

 

»Er ist heute abend nicht hier, Captain.«

 

Jim nickte, wandte sich zu dem Tanzsaal und gab dem Kapellmeister ein Zeichen. Sofort hörte die Musik auf.

 

»Alle Leute in diesem Saal sollen ihre Garderobe nehmen und einzeln an mir vorbeikommen,« befahl er.

 

Die Gäste gehorchten auffallend schnell, obgleich ein oder zwei düster dreinschauende, unangenehme Individuen dabei waren, die diese Störung ihres Vergnügens übel aufnahmen.

 

In der Zwischenzeit waren die Leute vom Spezialdienst in das Lokal gekommen und zwei von ihnen folgten Jim hinter die Bar.

 

»Die Tür ist geschlossen, Coldharbour hat den Schlüssel,« sagte der Barmann ärgerlich.

 

Jim Featherstone trat mit aller Macht mit dem Fuß gegen die Tür und sie sprang krachend auf.

 

Das elektrische Licht brannte in dem Raum. Auf dem Tisch stand eine halbleere Flasche Champagner. Nur ein Glas stand daneben.

 

»Durch die Türe,« rief Jim und zeigte den Ausgang, der zur Straße führte.

 

Er selbst ging in das Treppenhaus. Oben war ein schmales Podest und eine Tür zu sehen, durch die Licht schimmerte. Er klopfte und plötzlich wurde es drinnen dunkel. Er wartete nicht, sondern stieß die Tür auf, indem er sich mit der ganzen Wucht seines Körpers dagegen warf.

 

»Licht machen!« befahl er mit scharfer Stimme. »Jeder, der mich anzugreifen versucht, wird sofort erschossen!«

 

Einer der Detektive hinter ihm beleuchtete den Raum mit einer Taschenlampe. Man sah bestürzte Leute um einen grünen Tisch sitzen, auf dem die Spielkarten unordentlich durcheinanderlagen. Dann wurde es hell.

 

»Sie sind alle verhaftet!« rief Jim. »Was spielen Sie hier?«

 

sternchenland.com »Wir spielen nur Bridge,« sagte jemand.

 

»Sagen Sie das dem Mann, der Sie morgen früh verhört!«

 

Eine Tür führte aus dem Raum hinaus. Er ging darauf zu und kam in die Küche. Es war aber nichts Verdächtiges zu entdecken. Von da aus kam er wieder in den Privatraum hinter der Bar, wo er den vollständig verzweifelten Barmann fand.

 

»Das ist ein großes Unglück für mich, Captain, ich habe das Lokal von Coldharbour gerade vor einer Woche gekauft. Alle meine Ersparnisse stecken in dem Geschäft.«

 

»Dann haben Sie das Geld verloren,« sagte Jim böse.

 

Er sah, daß der Mann die Wahrheit sprach und erinnerte sich jetzt daran, daß Coldharbour davon gesprochen hatte.

 

»Ich werde diesen Klub schließen, sobald ich die Leute, die ich oben beim Spiel abfaßte, überführt habe. Was denken Sie darüber, Barnett?«

 

Barnett schien nicht sehr erfreut zu sein.

 

»Das ist ein Trick, den man mir spielt,« begann er.

 

»War Coldharbour heute abend hier? Wer war bei ihm?«

 

Der Barmann antwortete nicht.

 

»Hören Sie – ich werde Ihnen eine Chance geben – ich werde den Fall gegen Sie so leicht wie möglich behandeln und Sie sollen die Lizenz, den Klub fortzuführen, nicht verlieren, wenn Sie mir jetzt antworten. Wann war Coldharbour Smith hier?«

 

»Etwa vor einer halben Stunde.«

 

»War jemand bei ihm?«

 

»Eine Dame.«

 

»Wer noch?«

 

»Der Mann, der sie herbrachte. Der ist aber fortgegangen.«

 

»Und wo sind sie jetzt?«

 

»Das weiß ich nicht, Captain, ich schwöre Ihnen, daß ich sternchenland.com es nicht weiß. Ich kann Ihnen nur sagen, daß Coldharbour alles Geld, jeden Cent, den er ausstehen hatte, einkassiert und sich davon gemacht hat. Er sagte noch, daß er nach Amerika oder sonstwohin gehen wollte.«

 

»Wie ist er denn fortgekommen? Seit Montag ist doch kein Postdampfer nach Nord- oder Südamerika in See gegangen.

 

»Das weiß ich nicht.« Der Mann zögerte. »Aber er hat immer diese Schiffskapitäne getroffen, die verkehren hier regelmäßig. Besonders mit dem einen hat er immer stundenlang zusammengesteckt.«

 

»Wer war das?«

 

»Er hieß Fernandez. Er ist Mitbesitzer eines kleinen Frachtdampfers ›Contessa‹, den er selbst fährt. Sie liegt unten im Pool oder wenigstens diesen Nachmittag lag sie noch dort.«

 

Jim ging zum Telephon und verlangte eine Nummer.

 

»Der Polizeiinspektor der Themse-Division? … Captain Featherstone am Apparat. Die ›Contessa‹ soll angehalten werden, es ist ein Frachtdampfer, der im Pool liegt … ach Sie kennen sie?«

 

Er wartete einen Augenblick, bis der Polizeiinspektor ihm mit der Uferstation verbinden ließ.

 

»Jawohl … Captain Featherstone am Apparat … halten Sie die ›Contessa‹ an. Ja, sie liegt im Pool … gut!«

 

Das Polizeiauto brachte ihn zu einer kleinen Station der Wasserpolizei am Themseufer. Er sprang in das kleine Motorboot, das ihn dort erwartete.

 

»Es sind keine Anzeichen vorhanden, daß sie abfahren will,« sagte der Inspektor, der ihn begleitete. »Sie liegt noch vor Anker.«

 

»Hat irgendein Schiff den Pool verlassen?«

 

»Ja, heute früh, die ›Messina‹, auch ein Frachtdampfer, der nach Südamerika fuhr.«

 

sternchenland.com Die »Contessa« lag in der Mitte des Pool, dieses breiten Arms der Themse, wo die Schiffe der ganzen Welt verkehren. Das Motorboot legte langsam an und machte an der Leiter fest. Die Strompolizisten gingen an Bord, und Jim kletterte hinter ihnen her.

 

Offensichtlich war kein Wachtposten auf dem Schiff ausgestellt, denn das ganze Deck war leer. Ohne Umschweife gingen die Leute gleich in das Innere des Schiffes, der Kapitän der »Contessa« wurde aus dem Schlaf geweckt und in den Salon gebracht. Er schien ziemlich betrunken zu sein und hatte nach seinen Angaben niemand gesehen. Das Verhör machte ihn allmählich wieder nüchtern und er sagte aus, daß seine ganze Mannschaft, bestimmt aber seine Offiziere, betrunken seien, und damit hatte er recht.

 

»Das kann unmöglich das richtige Schiff sein,« sagte Jim aufgeregt, als sie wieder an Deck kamen. »Die Leute haben wirklich zuviel Alkohol zu sich genommen, und es ist niemand an Bord, der den Dampfer den Fluß hinuntersteuern könnte.«

 

Man durchsuchte den ganzen Dampfer, aber nur kurz, denn die Beamten fanden, daß das Schiff keinen Dampf aufhatte. Die Feuer waren ausgeblasen, die Kessel kalt, und es war eine physikalische Unmöglichkeit, daß es bald abfahren konnte, selbst wenn der Kapitän die Absicht haben sollte.

 

»Es muß das andere Schiff gewesen sein, das heute nachmittag den Strom hinunterfuhr,« sagte Jim.

 

Der Inspektor der Strompolizei schüttelte den Kopf.

 

»Es wird jetzt schon auf See sein, wenn es nicht an der Mündung gewartet hat, um den Passagier aufzunehmen. Smith konnte sie noch sehr leicht erreichen, wenn er ein schnelles Auto benutzte und in Tilbury an Bord ging.«

 

Sie kletterten wieder die Strickleiter hinunter zu dem Motorboot. Valerie Howett hörte das Geräusch des kleinen Motors, als sie zum Ufer zurückfuhren, und sie verzweifelte. sternchenland.com

 

Kapitel 36

 

36

 

Auf ein dringendes Telegramm hin hatte John Wood sein Kinderheim verlassen und war in größter Eile nach London gekommen. Gleich nach seiner Ankunft meldete er sich in Scotland Yard. Es war das erstemal, daß Featherstone mit diesem Menschenfreund zusammentraf, obwohl er sich dunkel daran erinnerte, ihn damals im Carlton-Hotel gesehen zu haben, als er mit Howetts speiste.

 

Es war unmöglich, diesen Mann zu sehen oder zu sprechen, ohne einen tiefen Eindruck von ihm zu bekommen. In den Gesichtern der Menschen steht gewöhnlich die Geschichte ihres Lebens geschrieben, und was Jim Featherstone in den freundlichen, lachenden Augen John Woods las, war ihm sehr sympathisch.

 

»Es tut mir leid, daß Sie meinetwegen eine so lange und ungemütliche Reise unternehmen mußten, Mr. Wood,« begann er. »Aber selbstverständlich ersetzt Ihnen die Polizei alle Ihre Auslagen. Leider können wir Sie nur dafür nicht entschädigen, daß wir Sie solange von dem Ihnen so lieben Beruf fernhalten müssen.«

 

sternchenland.com John Wood lachte.

 

»Holland hat Ihnen wohl von den kleinen Kindern gesprochen, die ich betreue. Und er hat Ihnen wahrscheinlich auch von der Geschichte berichtet, die ich ihm im Vertrauen erzählte? Es ist mir nicht weiter unangenehm, ich wußte ja doch, daß er das früher oder später tun würde. Ich vermute, daß Sie etwas über Bellamy von mir erfahren wollen?«

 

Jim nickte.

 

»Ich wollte Sie nach dem Kinde fragen, für dessen Ermordung Ihrer Aussage nach Bellamy verantwortlich ist.«

 

Wood hatte sich nicht gesetzt, trotzdem Jim ihm sofort einen Sessel angeboten hatte. Er stand an dem Schreibtisch und hatte die Fingerspitzen zusammengelegt. Seine Blicke schweiften in die Ferne.

 

»Was soll ich Ihnen von dem Kind erzählen?« begann er langsam. »Die Geschichte gehört der Vergangenheit an und ist längst vergessen. Nur ich weiß davon und ich hoffe, Abel Bellamy weiß auch noch davon, obgleich ich stark daran zweifle, daß seine bösen Taten ihm jemals Gewissensbisse verursachen.« Er zögerte einen Augenblick, sprach dann aber weiter.

 

»Der Fall, den Sie hier eben erwähnen, gehört eigentlich vor ein amerikanisches Gericht, und ich glaube kaum, daß Sie in dieser Sache etwas unternehmen könnten, selbst wenn ich Ihnen alle Einzelheiten genau mitteilen würde, wozu ich nicht einmal in der Lage bin. Bellamy ist ein Mann, der offenbar seinen Reichtum angewandt hat, um alle Leute niederzukämpfen, die ihm irgendwelchen Widerstand entgegensetzten. Ich will nicht behaupten, daß er ein Verbrecher in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes ist, nach dieser Richtung hin sind seine Personalakten jedenfalls in Ordnung. Sein Gott war immer die Macht, und um Macht zu bekommen hat er nicht gezögert, die schlimmsten Methoden anzuwenden. Wenn sich jemand seinen Plänen widersetzte, so unbedeutend und so nutzlos sternchenland.com dieser Widerstand auch gewesen sein mochte, so wurde Bellamys teuflische Natur geweckt, und er rächte sich fürchterlich.«

 

»Er traf seine Feinde gewöhnlich dadurch, daß er etwas gegen ihre Kinder unternahm. Ich kenne zwei authentische Fälle, in denen er diesen Weg beschritt, um sich für eine wirkliche oder eingebildete Beleidigung zu rächen. Das eine Mal waren die Kinder bereits erwachsen, aber in dem besonderen Fall, von dem Sie sprechen, handelt es sich um ein Baby. Ich kann Ihnen nicht sagen, was Abel Bellamys Haß hervorrief, denn ich bin selbst nicht sicher, was die unmittelbare Veranlassung für seine Handlungsweise war. Ich könnte es nur vermuten, und es wäre möglich, daß meine Vermutungen stimmen.«

 

»Eines Tages verschwand das Kind. Der Vater war außer sich, und die Mutter brach vollständig zusammen. Ich habe Grund anzunehmen, daß zwischen Abel Bellamy und der Mutter eine Beziehung bestand. Wenn es so war, wußte der Vater jedenfalls nichts davon. An dem betreffenden Tage fuhr das Mädchen mit dem Kinde aus. Als sie zurückkam, erzählte sie eine zusammenhanglose Geschichte, daß das Kind aus dem Wagen verschwunden sei, während sie mit einem Freunde sprach.«

 

»Vierzehn Tage später ereignete sich ein schreckliches Eisenbahnunglück in River Bend, bei dem viele Menschen den Tod fanden. Die meisten verbrannten. Unter den Trümmern fand man auch den Schuh eines kleinen Kindes. Der bekümmerte Vater erkannte ihn als den Schuh, den sein Kind am letzten Tage getragen hatte. Durch Zeugenaussagen konnte festgestellt werden, daß eine Frau mit einem Baby den Zug bestiegen hatte, und es unterliegt keinem Zweifel, daß dieses Kind in dem schrecklichen Unglück umgekommen ist.«

 

»Es bildete sich dann die Theorie, daß der Kindesräuber auf dem Wege zu irgendeinem unbekannten Reiseziel war, als der Unglücksfall ihn oder seine Beauftragte überraschte.«

 

sternchenland.com »Wurde die Sache der Polizei gemeldet?«

 

Zu Jims größter Überraschung schüttelte John Wood den Kopf.

 

»Nein. Deshalb bin ich ja auch so sicher, daß die Mutter wußte, wer das Kind entführt hatte. Da sie um sein Leben fürchtete, hielt sie mit ihren Angaben zurück, die wahrscheinlich zu seiner Auffindung geführt hätten. Ich persönlich bin fest davon überzeugt, daß Abel Bellamy die Hand im Spiele hatte.«

 

»Und Sie glauben, daß das Kind getötet wurde?«

 

John Wood nickte.

 

»Wann hat sich das zugetragen?« fragte Jim.

 

»Ich weiß das Datum des Unglücksfalles. Das ist allerdings die einzige feste Zeitangabe, nach der ich mich richten kann. Es war sehr schwer, alle Einzelheiten zusammenzubringen, weil ich mir ohne jede Hilfe mit Mühe und Not alles zusammenstellen mußte. Der Fall ereignete sich im August 1890.«

 

Jim war enttäuscht.

 

»Ich hatte gehofft, Ihnen berichten zu können, daß das Kind noch am Leben sei, aber jetzt sehe ich, daß die Daten nicht übereinstimmen. Oder glauben Sie, daß sich solche Fälle bei Abel Bellamy wiederholten?«

 

»Es war bestimmt nicht das einzige Vergehen dieser Art. Die Anklage, die ich gegen einen Mann von der Stellung und dem Ansehen Bellamys erhebe, klingt unglaubwürdig. Aber im Zeitraum von fünf Jahren habe ich zweimal ein so geheimnisvolles Verschwinden feststellen können, und jedesmal handelte es sich um das Kind eines Mannes, der ein Gegner Bellamys war. Wie ich Ihnen ja schon vorher erzählte, war seine hauptsächlichste Leidenschaft die Gier nach Macht. Vielleicht ist er geisteskrank, aber es deutet eigentlich nichts darauf hin, daß man sein Tun hierdurch entschuldigen könnte.«

 

sternchenland.com »Können Sie mir noch ein wenig mehr erzählen, Mr. Wood?« fragte Jim, aber John Wood schüttelte ablehnend den Kopf.

 

»Leider nicht.«

 

»Wissen Sie nicht wenigstens den Namen des Vaters?«

 

»Nicht einmal den kann ich Ihnen sagen,« entgegnete Wood. »Ich trage eine gewisse Verantwortung in diesem Fall.«

 

Jim blätterte in dem kleinen Notizbuch, in das er alles aufgeschrieben hatte.

 

»Dann wollen wir über etwas anderes sprechen. Vielleicht können Sie mir darüber mehr mitteilen,« meinte er lächelnd. »Sie waren doch mit dem jungen Bellamy, dem Neffen des Alten, befreundet?«

 

Wood nickte.

 

»Er wurde bei einem Luftkampf getötet?«

 

»Er wurde über Hannover während eines Aufklärungsfluges abgeschossen.«

 

»Sprach er zuweilen von seinem Onkel?«

 

»Niemals.«

 

»Er beklagte sich auch nicht über ihn?«

 

»Ich habe nie etwas davon gehört.«

 

»Wußten Sie bestimmt, daß er der Neffe des alten Bellamy war?«

 

Wood zögerte einen Augenblick, bevor er antwortete.

 

»Ja, das wußte ich.«

 

»Was für einen Charakter hatte denn der junge Mann?« fragte Jim hartnäckig. »Glich er seinem Onkel?«

 

John Wood mußte leise lachen.

 

»Er war dem alten Bellamy so unähnlich wie nur möglich.«

 

Jim stützte das Kinn in die Hände und senkte den Blick.

 

»Haben Sie schon einmal daran gedacht, Mr. Wood,« sagte er langsam, »daß der junge Bellamy vielleicht noch am sternchenland.com Leben ist und aus dem einen oder anderen Grunde seine Identität verheimlicht?«

 

»Diese Möglichkeit besteht – viele seltsame Dinge haben sich im Kriege ereignet. Manche Leute wurden als tot gemeldet, die später noch am Leben waren.«

 

»Aber Sie nehmen nicht an, daß es auch Ihrem Freunde so gegangen ist? Als sein bester Freund würden Sie doch wissen, daß er noch am Leben wäre?«

 

»Sie vergessen ganz, daß ich sein Erbe bin und daß sein ganzer Nachlaß in meine Hände kam.«

 

Bevor John Wood fortging, stellte er noch eine Frage, die ihm am Herzen lag.

 

»Sie sagten vorhin, daß die Daten nicht übereinstimmen, Captain Featherstone. Haben Sie die Geschichte eines anderen Opfers von Abel Bellamy in Erfahrung gebracht?«

 

Jim nickte.

 

»Können Sie mir sagen, um wen es sich handelt?«

 

»Es tut mir leid, daß ich dabei Ihrem Beispiel folgen muß. Ich bitte Sie, nicht in mich zu dringen,« bat Jim lächelnd. »Sie sind auch ganz sicher, daß dieser Kinderraub, von dem Sie mir erzählten, sich im Jahre 1890 ereignete?«

 

»Daran besteht kein Zweifel,« entgegnete Wood. Der River Bend-Zusammenstoß ereignete sich am 29. August 1890 – er ist allgemein bekannt.«

 

John Wood machte noch einen Besuch, bevor er am selben Nachmittag nach Belgien zurückfuhr, aber zu seinem größten Leidwesen traf er Spike nicht in der Stadt.

 

Mr. Syme sah den Besucher und war in seiner Unterhaltung mit ihm ein ganz anderer Mensch, als er es sonst im Verkehr mit dem großen Publikum zu sein pflegte.

 

»Holland ist noch in Garre, aber ich werde ihn morgen zurückrufen. Das öffentliche Interesse an der Geschichte des Grünen Bogenschützen ist vollständig verschwunden. Dieser sternchenland.com Geist ist nicht wieder erschienen und vermutlich inzwischen eines seligen Todes gestorben. Ich hoffe wenigstens, daß es so ist, wenn ich Holland nach London zurückrufe.«