Kapitel 20

 

20

 

Jim Featherstone geleitete Valerie zu dem Automobil und setzte sich in ihren Wagen, ohne daß sie ihn dazu aufforderte.

 

»Es gibt Plätze, wohin Sie gehen dürfen, und andere, wohin Sie nicht gehen dürfen. Als Ihr nachsichtiger Beschützer kann ich es nicht dulden, daß Sie sich in einem Lokal wie El Moro’s sehen lassen. Dieses Haus hat einen sehr bösen Ruf und wird von allerhand verbrecherischen Elementen besucht. Ich werde mir den guten Julius noch kaufen, wenn ich mit ihm unter vier Augen bin, daß er es überhaupt gewagt hat, Sie dorthin zu führen.«

 

»Es war mein Fehler, denn ich bat ihn, eine Stelle ausfindig zu machen, wo mich niemand kennt und wo wir sicher und allein sprechen können.«

 

»Dann würde ich Ihnen raten, in Zukunft auf den Turm der St. Pauls Kathedrale zu steigen oder in die Grabkirche der Westminster-Abtei zu gehen – das sind beides Plätze von sternchenland.com tadellosem Ruf.« Aber dann fuhr er in anderm Ton fort: »Julius hat Ihnen natürlich Nachrichten über Bellamy und seinen Haushalt gebracht. Das habe ich schon lange vermutet. Ich warne Sie aber, Miß Howett, denn ich bin davon überzeugt, daß dieser Mann, obwohl er Ihnen bis zu einem gewissen Grade mehr oder weniger ehrlich dient, doch auch nicht zögern wird, Sie an Bellamy zu verraten. Er arbeitet auch für eigene Rechnung.«

 

»Ich weiß das,« sagte sie ruhig. »Vermutlich sind Sie mir wieder den ganzen Tag gefolgt?«

 

»Fast den ganzen Nachmittag,« gab er zu.

 

»Ich dachte, Sie seien verreist, Captain Featherstone, Sie fallen mir allmählich auf die Nerven.«

 

»Und Sie fallen mir schon seit Monaten auf die Nerven,« antwortete er gelassen. »Sie bilden sich doch nicht etwa ein, daß es ein Vergnügen ist, immer hinter Ihnen her durch ganz London zu jagen? Oder sind Sie etwa anderer Meinung?«

 

Plötzlich wurde sie vernünftig und bereute ihr Verhalten ihm gegenüber.

 

»Ich – es tut mir so leid,« sagte sie kleinlaut, »aber es ist merkwürdig, daß Sie immer meinen Widerspruch wecken, wenn Sie etwas sagen. Ich bin Ihnen ja so dankbar, daß Sie gerade im richtigen Moment gekommen sind. Es war wirklich mehr als nur unangenehm. Ist sie denn wirklich mit ihm verheiratet?«

 

Er nickte.

 

»Ich habe mich nie zuviel um diese gemischten Ehen gekümmert, aber aus dem kindischen Stolz, mit dem die gute Fay ihren Trauring trägt, schließe ich, daß eine regelrechte Heirat vorliegt. Nichts macht die gewohnheitsmäßigen Verbrecher so froh, als wenn sie trotz ihres verfehlten Lebens der Welt irgend etwas Rechtmäßiges zeigen können.«

 

»Ich dachte, Sie wären verreist,« wiederholte Valerie.

 

sternchenland.com »Das haben Sie mir schon eben gesagt. Es tut mir sehr leid, daß es nicht der Fall ist. Wenn ich meinen Wünschen folgen könnte, so würde ich jetzt in den Tiroler Alpen die Berge hinaufklettern.«

 

Valerie wußte nicht, wie sehr Jim lügen konnte. Denn es gab keinen Platz in der weiten Welt, an dem er im Moment lieber gewesen wäre, als an ihrer Seite in dem ruhig dahingleitenden Rolls Royce-Wagen, der sie durch die Straßen von Westend trug.

 

Plötzlich entschlüpfte ihr ein Ausruf des Ärgers.

 

»Ach, ich vergaß ihn etwas zu fragen,« begann sie, »und das war doch eins der wichtigsten Dinge, die ich wissen mußte.«

 

»Vielleicht kann ich es Ihnen sagen,« meinte er, aber sie schüttelte abweisend den Kopf.

 

»Sie können mir nicht sagen, was ich brauche,« erwiderte sie lächelnd.

 

»Eines Tages werden Sie sich davon überzeugen, daß Sie sich auf meine Auskünfte mehr verlassen können als auf irgendwelche andere.«

 

Sie zögerte einen Augenblick, dann öffnete sie ihr Täschchen und zog daraus einen zusammengelegten Bogen hervor, den sie sorgfältig auf ihrem Schoß entfaltete.

 

»Das ist ein Plan der Burg,« sagte Jim sofort.

 

»Es ist ein alter Plan, ich habe ihn von einem Buchhändler in Guildford gekauft. Er zeigt die Burg nicht, wie sie heute ist, sondern wie sie vor zweihundert Jahren war. Sie sehen, es sind keine Wohnräume eingezeichnet und dieser Raum –« sie zeigte mit dem Finger auf eine Stelle – »der jetzt als Bibliothek benutzt wird, ist als Gerichtshalle bezeichnet.«

 

Er nickte.

 

»Es war der Raum, in dem die alten de Curcys ihre Gefangenen verhörten,« sagte er schnell. »Und was jetzt« – er sternchenland.com deutete auf eine andere Stelle – »die Eingangshalle der Burg ist, war die Folterkammer, wo die Gefangenen gezwungen wurden, die Wahrheit zu sagen. Es gibt Augenblicke, in denen ich bedaure, daß heutzutage Folterkammern nicht mehr im Gebrauch sind, denn das Verbrechen, das in England heute am häufigsten begangen wird, ist vorsätzlicher Meineid. Wenn wir nur einige kleine, malerisch aussehende Folterinstrumente über den Zeugenstuhl hängen könnten –«

 

»Aber bitte bleiben Sie doch bei der Sache. Sind Sie sicher, daß dies jetzt die Bibliothek ist?«

 

»Natürlich, ich habe viel modernere Pläne als Sie, die ich von dem letzten Eigentümer der Besitzung erhielt.«

 

»Würden Sie mir die leihen?« fragte sie begierig.

 

»Warum?«

 

»Weil ich sie brauche.«

 

Es war zwar kein überzeugender Grund, aber zu ihren größten Erstaunen gab Captain Featherstone nach.

 

»Aber ich möchte Ihnen denn doch einen Rat geben, meine liebe Freundin,« sagte er. »Gehen Sie, wenn Sie es absolut wünschen, meinethalben nach Limehouse und durchforschen Sie dort die kleine Höhle, in der Coldharbour Smith seine Kneipe hat. Besuchen Sie so oft Sie wollen El Moro’s, und ich will dafür sorgen, daß nichts passiert, was Ihnen oder Ihrem Ruf schaden könnte. Aber versuchen Sie um Himmels willen nicht, allein nach Garre Castle zu gehen und dort Ihre Nachforschungen anzustellen.«

 

Er sprach langsam und eindringlich und sie konnte sich nicht verhehlen, daß er es sehr ernst meinte.

 

»Auf gewöhnliche Weise werden Sie niemals dort hineinkommen. Ich möchte, daß Sie mir versprechen, nichts Außergewöhnliches zu unternehmen. Nicht wahr, Sie geben mir doch das Versprechen.«

 

Sie überlegte es sich eine Weile.

 

sternchenland.com »Nein,« sagte sie dann offen, »das kann ich Ihnen ehrlicherweise nicht versprechen.«

 

»Aber was wollen Sie denn dort finden? Bilden Sie sich etwa ein, daß der alte Bellamy schriftlich aufgezeichnete Bekenntnisse in seiner Burg herumliegen läßt, damit irgendeiner, der dort gewaltsam eindringt, sie lesen kann? Vermuten Sie denn auch nur einen Augenblick, daß Sie eine brauchbare Entdeckung machen können, selbst wenn es Ihnen gelingen sollte, in die Burg hineinzukommen? Überlassen Sie diese Sache nur mir, Miß Howett. Ich bin tatsächlich in Sorge um Sie, das sage ich Ihnen ganz offen, weil ich zu viel von diesem verbrecherischen Bellamy weiß. Seine Hunde würden kurzen Prozeß mit Ihnen machen. Aber vor allem fürchte ich wegen des Grünen Bogenschützen.«

 

Sie wollte ihren Ohren nicht trauen.

 

»Sind Sie tatsächlich wegen des Grünen Bogenschützen beunruhigt? Captain Featherstone, Sie machen einen Scherz!«

 

»Nein, im Ernst, ich bin sehr besorgt deswegen,« wiederholte er nachdrücklich. »Valerie, Sie taumeln in eine schreckliche Gefahr hinein, die um so schlimmer ist, weil man nicht genau weiß, was sich ereignen wird. Ich möchte nicht in Ihr Geheimnis eindringen, ich dränge Sie auch nicht, mir zu sagen, warum Sie Mrs. Held suchen oder was diese Frau für Sie bedeutet und was Sie über die Begleitumstände ihres Verschwindens wissen. Vielleicht werden Sie mir später bei gegebener Zeit doch einmal Ihr Vertrauen schenken. Ihr Vater ist auch der Meinung.«

 

»Hat er Ihnen sonst keine näheren Aufschlüsse gegeben?«

 

Jim schüttelte den Kopf.

 

»Nein, er hat mir nichts gesagt, aber werden Sie mir jetzt das Versprechen geben, keinen Versuch zu machen, in die Burg einzudringen?«

 

»Das kann ich nicht. Ich bin aber davon überzeugt, daß Sie die Gefahr größer machen, als sie ist. Und vielleicht sternchenland.com unterschätzen Sie doch die Wichtigkeit meiner Nachforschungen.«

 

»Das mag sein,« sagte er nach einer Pause. »Ich glaube aber, ich muß Sie jetzt verlassen. Lassen Sie bitte den Wagen halten.«

 

Er stieg in Whitehall aus. Nachdem er gegangen war und sie ruhig über alles nachdachte, erkannte sie erst, welch großen Dienst er ihr erwiesen hatte und welche Opfer er ihr dauernd brachte – aber er glaubte an den Grünen Bogenschützen! Sie mußte lächeln. Sie hatte die Existenz des Grünen Bogenschützen stets bezweifelt.

 

Kapitel 21

 

21

 

Julius Savini sagte seiner Frau ein paar recht unangenehme Worte, bevor er sie verließ. In der Gegenwart Featherstones und Valerie Howetts war er bedrückt, aber er war ein ganz anderer Mensch, als er mit Fay allein unter vier Augen war.

 

»Du hast mir wahrscheinlich die ganze Sache vollständig verdorben. Du hast alles zertrümmert, wofür ich nun schon seit Jahren arbeite – du hast mir direkt gutes und sicheres Geld aus der Tasche gestohlen!«

 

»Es tut mir sehr leid, ich wußte nicht, daß Featherstone hier war,« bat sie ihn um Verzeihung. »Ich wurde fast verrückt, als ich sah, daß du mit Miß Howett zu El Moro’s gingst. Wärst du an meiner Stelle denn nicht auch eifersüchtig geworden?«

 

»Das ist kein Grund, um verrückt zu werden,« sagte Julius, »ich habe mir solche Dummheiten noch nicht geleistet.«

 

»Wie konnte ich denn wissen, daß sie deine Auftraggeberin war und dich bezahlte?«

 

»Woher glaubst du denn, daß ich das Geld hatte?« fuhr er auf sie los.

 

sternchenland.com Es war sehr angenehm für einen Mann von Julius Savinis Temperament, jemand zu haben, an dem er seine Wut auslassen konnte.

 

»Du bildest dir doch nicht etwa ein, daß der Alte mir das Geld gibt oder bist du so dumm? Ich würde mich nicht wundern, wenn es setzt mit der Freigebigkeit Miß Howetts zu Ende ist. Ich werde wahrscheinlich nie wieder einen Cent von ihr sehen. Aber sage einmal, weiß Featherstone denn, daß wir verheiratet sind?«

 

»Das wußte er schon lange, er hat es mir neulich auf den Kopf zugesagt, als ich ihn im Park traf. Aber was ist denn auch dabei? Schämst du dich etwa?« fragte sie argwöhnisch.

 

»Nun, sei doch vernünftig,« sagte Julius. Dann läutete er nach dem Kellner, um die Rechnung zu bezahlen. Zu seiner Erleichterung nahm sie seine Entschuldigung, daß er mit dem nächsten Zug zurückkehren müßte, ohne weiteres an und begleitete ihn zum Bahnhof. Sie war schon wieder auf dem Rückweg zu ihrer Wohnung, als ihr einfiel, daß sie doch das Gepäck ihres Bruders von der Eisenbahnstation holen wollte.

 

In dem Zug, der Julius nach Berkshire brachte, fuhr auch ein Hundezüchter mit zwei wildaussehenden Hunden mit. Julius sah sie auf dem Bahnsteig der kleinen Stadt, die nahe bei Garre lag. Sie schienen noch wilder und bissiger zu sein als die ersten beiden, und einer von ihnen hatte einen starken Maulkorb um.

 

»Sie sind wohl für Mr. Bellamy bestimmt?« fragte er den Mann.

 

»Ja, mein Herr, und ich wünsche Ihnen alles Vergnügen dazu – es sind fürchterlich scharfe Tiere!«

 

Auf der Station hielt nur ein Mietauto. Julius nahm es, und obgleich es ihm ganz gegen den Strich ging, mußte er den Mann mit den Hunden einladen, auch in dem Wagen Platz zu nehmen und mit nach Garre zu kommen. Die Fahrt war wirklich nicht angenehm.

 

sternchenland.com Mr. Bellamy zeigte seine außerordentliche Überlegenheit Tieren gegenüber. Die Hunde schienen das Rohe und Brutale seines Charakters zu spüren. Gleich nach ihrer Ankunft nahm Bellamy dem schärfsten der beiden den Maulkorb ab, klopfte ihm auf den zottigen Kopf, und der große Hund legte sich gehorsam zu seinen Füßen nieder. Abel brachte die Tiere sofort zu dem Käfig, ohne Stock oder Peitsche zu gebrauchen. Sie folgten ihm willig, gingen zu den anderen Hunden hinein und ließen sich an die Kette legen, ohne auch nur zu knurren oder zu bellen. Der Alte schien eine ungewöhnliche Genugtuung bei dieser Beschäftigung zu empfinden. Er ging mit Julius, der ihm in großem Abstand gefolgt war, nach der Halle zurück und amüsierte sich über die Furcht seines Sekretärs.

 

»Savini, in Ihnen steckt kein richtiger Teufel, das können die Hunde auch nicht leiden. Sie haben den Charakter eines Pudels, Sie kennen doch diese langhaarigen Kerle, die die Frauen an schönen Leinen spazierenführen – aber diese Hunde sind scharf auf den Mann.«

 

Er schaute stirnrunzelnd in die Höhe, und seine Augen glänzten, als er den Galgenbalken oben bemerkte.

 

»Das waren noch Tage, was, Savini? Wenn ich fünfhundert Jahre früher gelebt hätte, dann hätte ich die Hunde auf Sie hetzen können, und bei Gott, das würde mir ein irrsinniges Vergnügen gemacht haben.«

 

Er meinte es so, wie er sagte. Schon die Vorstellung, daß sich Julius in Todesfurcht vergeblich dieser wilden Bestien zu erwehren suchte, bereitete ihm unbändiges Vergnügen.

 

»Aber die Polizei würde mich verfolgen und mich gefangensetzen,« sagte er mit einem Seufzer. »Und dann müßte ich in einem Zeugenstand vor Gericht stehen und lügen. Wissen Sie, Savini, heutzutage gibt es vielzuviel Gesetze. Was ist denn eigentlich das Gesetz? Schwächlinge haben es erfunden, um Schwächlinge zu beschützen. Menschen, die nicht für sich sternchenland.com selbst kämpfen können, müßten zugrunde gehen. Ich lese da gerade im ›Globe‹ von einem Mann in Belgien, der ein Kinderheim hat, eine Organisation zur Heilung kranker Kinder. Wozu heilt er überhaupt diese kranken Kreaturen? Er zieht nur unnütze Bürger auf und ermutigt die Schlauen, die Starken zu betrügen.«

 

Julius gab ihm recht. Es war für ihn weit angenehmer, zuzustimmen, als dem Mann zu widersprechen, der ihn angestellt hatte. Und in diesem Falle konnte er auch aus voller Überzeugung zustimmen, denn das Geld, das der amerikanische Ingenieur für kleine Kinder ausgab, konnte wirklich besser angewandt werden. Für Julius war Menschenliebe in all ihren Äußerungen Torheit. Die Menschen, die daran Vergnügen fanden, wohlzutun, ohne auf eine entsprechende Belohnung zu rechnen, konnte er nicht verstehen.

 

»Ich hörte durch meinen Rechtsanwalt von diesem sonderbaren Menschen,« sagte Bellamy zu Savinis größtem Erstaunen. »Ich kannte einen Mann … der im Kriege fiel.« Einen Augenblick lang huschte ein Lächeln über seinen unförmigen Mund, als ob er etwas sehr Lustiges an dieser Tragödie fand. »Wissen Sie, so ein verrückter Flieger. Und dieser Wood in Belgien war sein Freund. Nach dem Kriege brachte er ein Testament bei, wonach er alles … von diesem … na ja, er war ein Verwandter von mir … wonach er alles erbte, was ihm gehörte. Es war ja auch gar nicht der Rede wert,« fügte er mit größter Genugtuung hinzu.

 

Julius wußte, daß er von seinem gefallenen Neffen sprach und vermutete, daß die Photographie in der Ledermappe hiermit in Verbindung stand.

 

»Er ist durchaus kein Freund von mir. Ich möchte wetten, daß er tatsächlich noch Geld verdient mit seiner verrückten Idee, Kinderheime zu gründen. All diese heiligen Geister legen doch ein bißchen für sich auf die Seite.«

 

Dies war seine Lieblingsidee und er stand nicht allein mit sternchenland.com dieser Ansicht, daß reiner Altruismus eine Eigenschaft ist, die nur in der Einbildung dummer Leute existiert.

 

Bellamy ging nicht in die Halle, sondern an der offenen Tür vorbei. Savini begleitete ihn, war aber darauf gefaßt, hart angefahren zu werden, weil er Bellamy nicht allein ließ. Auf der anderen Seite würde er ausgeschimpft werden, wenn er eine Entschuldigung vorbrächte, um wegzugehen.

 

»Ich habe das Wassertor schließen lassen,« sagte Bellamy endlich. Julius seufzte erleichtert auf, als er auf die Weise erfuhr, daß seine Gegenwart erwünscht war.

 

»Ich kann mir nämlich gar nicht vorstellen, wo dieser grüne Spuk in die Burg hineinkommen kann; aber ich glaube, das Wassertor war der einzige Zugang.«

 

Sie kamen zu dem großen starken Eisengitter, das nun noch von einer Lage schwerer eichener Planken auf der Rückseite bedeckt war. Über die scharfen Spitzen des Tores waren dichte Reihen Stacheldraht gezogen.

 

»Wenn er hier hereinkam, wird er seinen Weg jetzt versperrt finden,« sagte Abel. »Wie er überhaupt in die Burg kommen konnte, ist mir ein Rätsel.«

 

»Vielleicht schleicht er sich während des Tages heimlich hinein und verbirgt sich.«

 

»Seien Sie doch nicht kindisch. Abends werden doch alle Räume durchsucht, das wissen Sie doch ganz genau. Er muß irgendeinen Weg kennen, den wir noch nicht entdecken konnten.«

 

Vorausgesetzt, daß der Grüne Bogenschütze ein menschliches Wesen war, (woran der abergläubische Julius stark zweifelte,) so grenzte es doch an ein Wunder, daß er kommen und gehen konnte, wie er wollte. Nur von zwei Räumen aus konnte man das Grundstück überschauen: von dem nicht benützten Speiseraum aus, dessen schmale Fenster jede Nacht mit eisernen Rolljalousien geschlossen wurden, und dann von sternchenland.com Bellamys Schlafzimmer aus. Aber die Fenster dieses Raumes lagen sehr hoch, und man konnte nicht an sie herankommen. Außerdem bewohnte der Hausmeister noch einen Raum in dem Flügel, in dem sich die Burgkapelle befand. Man hätte hier eventuell von außen in das Gebäude eindringen können, aber die Fenster lagen über sieben Meter vom Boden entfernt, und es war stets jemand in dem Raum wahrend der Zeit, in der der Grüne Bogenschütze zu erscheinen pflegte.

 

Spike Holland hatte seinen Beobachtungsposten wieder eingenommen und saß auf der Umfassungsmauer, ungefähr hundert Meter von dem Pförtnerhaus entfernt. Durch ein starkes Fernglas hatte er Abel Bellamy und Savini beobachtet, wie sie außen um das Gebäude herumgingen. Gleich nachher sah er auch, wie sie beide in dem großen Tor verschwanden.

 

Die Ankunft der neuen Hunde hatte Spikes Aufmerksamkeit wachgerufen. Später telephonierte er mit dem Redakteur, der ihn etwas scharf anfaßte.

 

»Ihre Geschichte von dem Gespenst in Garre wird reichlich dünn, Holland, und ich glaube, daß die neuen Hunde Ihre Ferien auf dem Lande nicht vollkommen rechtfertigen. Können Sie denn nicht wenigstens einmal in die Burg hineinkommen und Bellamy interviewen?«

 

»Meinen Sie nicht, daß es besser wäre, den Geist zu interviewen?« fragte Spike ironisch. »Das wäre entschieden leichter. Ich bin schon so bekannt mit dem Alten wie ein Zigarrenanzünder mit einer Puderquaste. Also, Mr. Syme, lassen Sie mich ruhig hier, ich habe die feste Überzeugung, daß sich vor Ende der Woche große Dinge in Garre abspielen werden. Wenn Sie wollen, will ich auch ein Interview mit Bellamy arrangieren … nein, im Ernst … ich mache Ihnen nichts vor.«

 

Spike hatte eine besonders feine Nase für kommende Ereignisse und er ahnte, daß sich hier etwas vorbereitete. Alle Vorbedingungen für eine große Tragödie waren gegeben. Als sternchenland.com er sorglos durchs Dorf schlenderte, hörte er die scharfe Hupe eines Autos und sprang zur Seite. In dem Wagen saß Miß Howett. Der Wagen hielt dicht bei ihm an. Sie lehnte sich hinaus und winkte ihn heran.

 

»Mr. Holland, darf ich Sie einen Augenblick bitten?«

 

Spike ließ sich das nicht zweimal sagen und war gespannt, warum sie ihn rief.

 

»Ich möchte Sie um einen großen Gefallen bitten,« sagte sie ein wenig atemlos. »Haben Sie … können Sie mir einen Revolver verschaffen?«

 

Als sie sah, daß sich seine Stirne zusammenzog, sprach sie ein wenig zusammenhanglos weiter.

 

»Lady’s Manor liegt sehr einsam, und da kam mir der Gedanke … nun ja, es ist sehr verlassen, nicht wahr? Und Mr. Howett trägt niemals Feuerwaffen oder so etwas Ähnliches mit sich herum. Ich wollte einen Revolver in London kaufen … eine Browningpistole, aber ich erfuhr, daß es scharfe Polizeivorschriften gibt und daß … man einen Waffenschein haben muß … und nun sah ich Sie eben und da fiel es mir ein …«

 

»Sicher, Miß Howett,« erwiderte Spike, als sie eine Pause machte, um Atem zu holen. »Ich habe eine Pistole im Hotel, und ich weiß nicht, warum ich sie in dieses friedliche Dorf mitgenommen habe. Die kann ich Ihnen geben, wenn Sie warten wollen, hole ich sie gleich.«

 

Er eilte zu dem »Blauen Bären« und war bald wieder zurück.

 

»Sie ist geladen,« sagte er, als er die Waffe aus der Tasche zog. »Es ist leider nur eine kleine Pistole. Aber das müssen Sie mir versprechen, Miß Howett, wenn Sie einen Einbrecher damit niederknallen, dann geben Sie mir das ausschließliche Recht, darüber zu berichten.« sternchenland.com

 

Kapitel 14

 

14

 

Am nächsten Morgen wurde Julius von seinem Herrn etwas sonderbar begrüßt. Mr. Bellamy war in den frühen Stunden nie in guter Stimmung und ließ seine schlechte Laune aus, indem er über alles schimpfte.

 

sternchenland.com »Lassen Sie sich bloß nicht vor meinen Hunden sehen!« sagte Abel zu Savini. »Sie wären nur ein schmaler Bissen für Sie!«

 

Julius Interesse war erwacht, obgleich er sich nicht recht wohl dabei fühlte. In dem Schloß gab es keine Hunde, denn Bellamy liebte keine Tiere um sich. Aber sein Herr erklärte ihm die Suche bald.

 

»Ich habe zwei Polizeihunde gekauft, die von heute nacht an die Halle unten und den Korridor bewachen werden. Wenn Sie meinem Rat folgen, bleiben Sie morgen früh in Ihrem Zimmer, bis ich aufgestanden bin.«

 

Später bekam Julius die Hunde auch zu Gesicht – es waren unfreundliche, große, wolfsartige Tiere, die mit Ausnahme Bellamys niemand an sich herankommen ließen. Abel fürchtete sich nicht im geringsten, und die Hunde schienen ihn auch sofort als ihren Herrn anzuerkennen.

 

»Streicheln Sie die Tiere einmal,« sagte Abel. »Seien Sie doch nicht so ängstlich!«

 

Savini streckte nervös seine Hand nach dem Hund aus, der ihm am nächsten stand, aber er sprang sofort furchtsam beiseite, als der Hund Miene machte, nach seiner Hand zu schnappen.

 

»Sie sind feige, und er weiß, daß Sie sich fürchten. Komm her du!« Bellamy schnappte mit den Fingern. Der Hund kam zu ihm, wedelte mit dem Schweif, setzte sich und hob den klugen Kopf zu seinem Herrn.

 

»Der Mann, der sie mir verkaufte, erklärte, daß es mindestens einen Monat dauern würde, bevor sie mir gehorchen. Aber er hat unrecht. – Sagen Sie einmal, das Haus dort ist ja vermietet,« fuhr er fort, indem er plötzlich auf ein anderes Thema übersprang. »Wie heißt es doch?«

 

»Meinen Sie Lady’s Manor?« fragte Julius überrascht.

 

Bellamy nickte.

 

»Ich bin leider fünf Minuten zu spät gekommen beim sternchenland.com Agenten, ich erfuhr es, als ich heute morgen telephonierte. Wissen Sie etwas darüber?«

 

»Nein, das ist das erste, was ich davon höre. Wer ist denn der neue Mieter?«

 

Abel Bellamy schüttelte den Kopf.

 

»Ich weiß es nicht, kümmere mich auch nicht darum. Warum konnten die Leute nicht irgendwoanders hingehen?«

 

Später am Nachmittag begleitete ihn Julius, als er auf dem breiten, von Bäumen eingefaßten Weg einen Rundgang durch das Grundstück machte.

 

»Ich vermute, das ist das Haus,« sagte Bellamy und zeigte mit seinem Stock auf ein niedriges, massives, graues Gebäude, dessen Dach und Kamine über die hohe Mauer ragten, die seinen Park umgaben. »Ich habe das Haus früher einmal besichtigt, aber ich wollte es nicht kaufen. Sagen Sie, ist das eine Tür dort in der Mauer?«

 

»Es sieht so aus. Früher bestand wahrscheinlich eine Verbindung zwischen der Burg und Lady’s Manor. Es war ein Witwensitz.«

 

Es zeigte sich, daß es eine ganz altertümliche Tür war. Ihre dicken Eichenbohlen waren mit starken Eisenplatten beschlagen, aber sie schien seit vielen Jahren nicht mehr benutzt worden zu sein. Der Eisenbeschlag war verrostet, und die Tür war fast ganz mit Efeu überwachsen. Man hätte mindestens einen Tag arbeiten müssen, um den Eingang wieder freizulegen. Aber das beruhigte Bellamy nicht.

 

»Holen Sie einen Maurer vom Dorf und lassen Sie die Tür zumauern,« sagte er. »Ich wünsche nicht, daß fremde Leute in meinem Grundstück umherspionieren. Denken Sie daran, Savini!«

 

Julius machte sich eine Notiz, und noch am selben Nachmittag kamen zwei Leute aus dem Dorf, rissen die Efeuranken von der Tür, schnitten die Zweige und Sträucher ab und begannen die Türöffnung zuzumauern. Als Valerie Howett, sternchenland.com die einen Rundgang in dem verwilderten Garten ihres neuen Wohnsitzes machte, das Klopfen der Maurerkellen gegen die Steine hörte, vermutete sie, was auf der anderen Seite des verfallenen Tores vor sich ging.

 

Lady’s Manor hatte sie in vieler Hinsicht überrascht. Eine genaue Besichtigung hatte ergeben, daß das Innere nur wenig Reparaturen brauchte. Alle Räume waren mit schönen, alten Holzpaneelen überzogen, die Decken waren getäfelt, und das Holzwerk brauchte nur neu poliert zu werden. Nur an einem der schön eingelegten Parkettböden war eine größere Ausbesserung nötig. Zu ihrer größten Freude stellte Valerie fest, daß man die neue Wohnung gleich beziehen konnte, und sie faßte auch den Entschluß, den Umzug sofort zu bewerkstelligen.

 

Der gutmütige Mr. Howett gab seine Einwilligung, und noch bevor die Handwerker das Haus verlassen hatten, fuhren große Möbelwagen in langer Reihe durch die ruhigen Straßen von Berkshire und bogen in die Torfahrt von Lady’s Manor ein.

 

Eines Morgens sah Abel Bellamy von dem Fenster seines Schlafzimmers aus, daß über den Bäumen des Parks aus der Richtung von Lady’s Manor Rauch aufstieg. Er schimpfte und fluchte. In den letzten Tagen stand er früher auf, weil seine Diener die oberen Räume nicht mehr betraten, bis die Polizeihunde an die Kette gelegt waren. Diese neuen Wächter trieben sich in der ganzen Burg herum, und Julius hörte nachts öfter ihre leisen Tritte auf den fliesenbelegten Korridoren und zitterte vor Furcht. Die Anwesenheit der Tiere hatte auch einen gewissen Erfolg, denn seitdem sie die Burg bewachten, war nichts mehr vom Grünen Bogenschützen zu sehen.

 

Mr. Bellamy fiel eine Überschrift im »Daily Globe« auf:

»Polizeihunde bewachen den Millionär aus Chicago vor dem gespenstigen Bogenschützen.«

sternchenland.com Er brummte ärgerlich vor sich hin, aber er hatte sich schließlich damit abgefunden, in der Öffentlichkeit bekannt zu sein. Er hatte eine Abneigung gegen Spike Holland, aber er unternahm doch nichts, um sich an ihm zu rächen, obwohl er in den vergangenen Tagen Zeitungsleuten schon aus geringeren Anlässen übel mitgespielt hatte. Obendrein hatte Spike Holland noch die Kühnheit, sich an dem Tage nach seiner Rückkehr von Belgien beim Pförtner von Gurre Castle zu melden und Einlaß zu verlangen.

 

»Sagen Sie ihm,« fuhr Bellamy am Telephon erregt auf, »daß ich die Hunde auf ihn hetzen werde, wenn er der Burg irgendwie zu nahe kommt!«

 

»Er möchte Ihnen eine Mitteilung über Creager machen, der neulich ermordet wurde.«

 

»Ich brauche keine Mitteilungen!« brüllte Bellamy und hängte wütend den Hörer an.

 

Kurz darauf machte er wieder eine seiner ruhelosen Wanderungen durch den Park. Plötzlich stand er wie vom Blitz getroffen still. Zorn und Verwunderung packten ihn, denn der rothaarige Reporter spazierte seelenruhig über den Rasen. Er hatte eine Zigarre im Munde und die Hände in den Hosentaschen. Gelassen nahm er eine Hand aus der Tasche und grüßte wohlwollend zu dem bestürzten Bellamy hinüber.

 

»Wie sind Sie denn hier hereingekommen?«

 

»Über die Mauer,« erwiderte Spike strahlend.

 

Bellamys Gesicht wurde noch eine Schattierung dunkler.

 

»Dann machen Sie sofort, daß Sie wieder über die Mauer hinüberkommen,« sagte er barsch. »Sie haben kein Recht, sich hier aufzuhalten! Sie Strolch! – Vorwärts marsch!«

 

»Sehen Sie einmal, Mr. Bellamy, es hat gar keinen Zweck, hier einen großen Spektakel zu machen. Ich bin nun einmal hier, und Sie können mich doch erst einmal anhören.«

 

sternchenland.com »Ich will nichts hören – machen Sie, daß Sie fortkommen!«

 

Bellamy ging auf den Reporter zu, der nicht den geringsten Zweifel über seine Absichten hatte.

 

»Ich glaube, es ist aber besser, daß Sie mir mal zuhören,« sagte Spike ruhig und wich keinen Zoll zurück. »Die Polizei hat nämlich die Kopie eines Briefes gefunden, den Creager über einen gewissen Mann namens Z. an Sie schrieb, und man ist nun sehr begierig, das Jahr festzustellen, in dem der Brief geschrieben wurde und wer dieser Mr. Z. ist.«

 

Plötzlich änderte sich Bellamys Benehmen.

 

»Ein Brief, der an mich geschrieben sein soll,« fragte er ungläubig. »Hat denn dieser Esel – hat denn der Abschriften von seinen Briefen gemacht?«

 

Spike nickte.

 

»Man fand über hundert Abschriften von Briefen in seinem Schreibtisch. Ich vermute, daß er das immer so gehalten hat.«

 

Abel Bellamy dachte einen Augenblick nach, dann sagte er plötzlich:

 

»Kommen Sie mit mir ins Haus.«

 

Spike folgte ihm triumphierend und hoch erhobenen Hauptes.

 

Kapitel 15

 

15

 

»Nun erzählen Sie mir einmal alles, was mit der Sache zusammenhängt. Woher wissen Sie denn überhaupt etwas von dem Brief?«

 

»Ich war gerade dabei, als er gefunden wurde. Die Polizei hätte ihn tatsächlich achtlos beiseite gelegt, wenn ich nicht darauf aufmerksam gemacht hätte.«

 

»So, die hätten das übersehen?« fragte der Alte grimmig.

 

»Ja, aber ich entdeckte das Schreiben und machte eine Abschrift, sternchenland.com bevor der Polizeiinspektor feststellte, daß es ein wichtiges Schriftstück war.«

 

Spike nahm ein Notizbuch aus der Tasche, zog einen Bogen Papier heraus, faltete ihn auseinander und legte ihn auf den Tisch.

 

»Ich will es Ihnen vorlesen,« sagte er dann. »Der Brief trägt kein Datum, und diese Tatsache gab der Polizei zu denken.«

»Mr. Abel Bellamy.

Betrifft Mr. Z. Er befindet sich unter den Gefangenen, die ich zu versorgen habe und ist ein etwas hitziger Bursche. Ich glaube, daß ich das ausführen kann, was Sie mir bei unserem letzten Zusammensein sagten, aber Sie müssen mich gut bezahlen, denn ich kann dabei meine Stellung verlieren, besonders wenn die Sache schief geht und ein anderer Wärter mich sehen würde. Auch kann das sehr unangenehm für mich werden und es ist auch möglich, daß ich mich dabei schwer verletzte. Deshalb muß ich wissen, was dabei für mich herauskommt. Ich mag Z. nicht leiden, er ist mir zu schlau und zu geschwätzig, und ich hatte auch schon in letzter Zeit gewisse Unannehmlichkeiten mit ihm. Wenn Sie sich weiter mit der Sache befassen wollen, können Sie mich dann morgen sprechen? Ich gehe auf Urlaub und werde bei meinen Verwandten in Henley wohnen. Wenn es Ihnen paßt, können Sie mich dort sprechen.

(gez.) J. Creager.«

Abel Bellamy las den Brief zweimal, faltete ihn dann wieder und gab ihn zurück.

 

»Ich kann mich nicht darauf besinnen, ihn bekommen zu haben. Ich weiß nicht, wer dieser Z. sein sollte. Ich habe Creager nur für Dienste Geld gezahlt, die er mir persönlich erwies.«

 

Sein Ton war äußerst höflich und milde, obwohl Spike sah, daß er sich nur mit größter Mühe beherrschen konnte.

 

sternchenland.com »Aber er hat Ihnen doch in Henley das Leben gerettet?« fragte Spike hartnäckig. »Es ist doch merkwürdig, daß er vorher schon mit Ihnen ausgemacht hat, Sie dort zu treffen. Hat er vielleicht auch schon gewußt, daß Sie dort in den Fluß fallen würden?«

 

»Ich verbitte mir Ihre Unverschämtheiten, Holland,« fuhr Bellamy plötzlich auf. »Sie haben jetzt alles von mir gehört, was ich Ihnen sagen kann. Was diesen Brief betrifft, so ist es noch gar nicht ausgemacht, daß er überhaupt an mich geschickt wurde. Möglicherweise ist es eine Fälschung von Ihnen, die Sie zwischen die anderen Papiere gelegt haben. Was hatten Sie denn eigentlich bei der polizeilichen Untersuchung von Creagers Haus zu tun?«

 

Spike legte den Brief in sein Notizbuch zurück.

 

»Was ich dort tat?« wiederholte er. »Nun, ich war eben zufällig dort. Haben Sie mir weiter nichts zu diesem Brief zu sagen, Mr. Bellamy?«

 

»Nichts weiter. Ich habe ihn niemals bekommen, ich weiß überhaupt nichts von dem Menschen, der darin erwähnt ist. Ich wußte nicht einmal, daß Creager ein Gefängniswärter war, bis ich es im ›Globe‹ las, der jetzt mein Leib- und Magenblatt geworden ist,« fügte er sarkastisch hinzu. Spike grinste.

 

»So, der Punkt wäre besprochen,« sagte er. »Haben Sie neue Nachrichten von Ihrem Geist?«

 

»Na, Sie erfahren doch so etwas immer früher als ich,« antwortete Abel. »Alles, was ich von diesem verdammten Grünen Bogenschützen weiß, habe ich doch im ›Globe‹ gelesen. Ich muß sagen, sehr gute Zeitung, ausgezeichnete Informationen. Ich würde eher auf mein Frühstück verzichten als auf die Lektüre des ›Daily Globe‹!«

 

»Sagen Sie einmal,« meinte Spike seelenruhig, »Sie werden doch nichts dagegen haben, wenn ich mir die Burg einmal ansehe?«

 

sternchenland.com »Da sind Sie aber sehr auf dem Holzweg, Sie können über die Mauer schauen, über die Sie gekommen sind, und je schneller Sie das machen, desto besser.«

 

Um ganz sicher zu sein, daß sein unwillkommener Besuch sich auch wirklich entfernte, begleitete er ihn nach dem Pförtnerhaus. Der Pförtner machte ein dummes Gesicht, als er Spike sah.

 

»Diese Mauern sind nicht hoch genug, Gavini,« sagte der Alte später, als Spike gegangen war. »Telephonieren Sie, daß jemand aus Guildford kommen und Stacheldraht oben auf der Mauer befestigen soll. Und dann, Savini –«

 

Julius drehte sich an der Tür wieder um.

 

»Ich habe es Ihnen noch nicht gesagt, aber ich glaube, es wird Ihnen viel Mühe ersparen, wenn ich Ihnen jetzt mitteile, daß eine meiner Ledermappen, in der ich einige meiner Photographien aufbewahre, nicht mehr länger in der Schublade meines Schreibtisches liegt, weil ich sie in meinem Geldschrank eingeschlossen habe. Wenn Sie sie wieder ansehen wollen, kommen Sie doch zu mir und bitten mich, sie für Sie herauszunehmen!«

 

Julius erwiderte nichts, und er wäre auch nicht imstande gewesen, eine passende Antwort zu geben, selbst wenn ihm der Alte Gelegenheit dazu gegeben hätte.

 

Bevor Abel Bellamy seine Wohnung in Garre Castle genommen hatte, war die Burg in weitestem Maße renoviert worden. Zahlreiche Handwerker hatten unter seiner persönlichen Leitung fast einen ganzen Monat gearbeitet, um die Änderungen nach seinen Plänen auszuführen. Er war sein eigener Architekt und sein eigener Polier. Er hatte eine neue Wasserleitung, eine elektrische Beleuchtungsanlage und eine Gasheizung anlegen lassen. Mit Ausnahme der Bibliothek befand sich fast in jedem Raum ein Gasofen oder ein Gaskamin, auch hatte er einen großen Gasherd in die Küche einbauen lassen.

 

sternchenland.com Der Gasverbrauch war an dem Tag, an dem Spike der Burg seinen unerlaubten Besuch abstattete, die Ursache beträchtlicher Sorge in dem Gemüt des Hausmeisters Wilks. Die Haushaltrechnungen gingen direkt an Bellamy, aber durch einen Zufall war die Gasrechnung für das Sommervierteljahr bei Wilks abgegeben worden, und er hatte lange darüber nachgedacht, bevor er deshalb mit seinem Herrn sprach.

 

»Was wollen Sie denn?« fragte Abel, der seinen Angestellten von unten her ansah.

 

»Die Gasrechnung ist nicht richtig, sie haben uns zuviel angerechnet,« sagte Wilks, der froh war, daß er den Herrn von Garre einmal persönlich sprechen und ihm eine Mitteilung machen konnte, die ihm sicher willkommen war.

 

»Falsch? Was stimmt denn nicht daran?«

 

»Sie haben uns eine zu große Rechnung für einen der heißesten Monate im Jahr geschickt, wo der Gasherd in der Küche nicht in Ordnung war und wir Kohlen in der Küche brennen mußten.«

 

Bellamy riß dem Mann die Rechnung aus der Hand, ohne darauf zu sehen.

 

»Kümmern Sie sich nicht darum!«

 

»Aber es ist doch ganz unmöglich, daß wir auch nur tausend Kubikfuß Gas gebraucht haben, und Sie haben uns –«

 

»Das geht Sie nichts an!« donnerte Bellamy. »Und öffnen Sie die Briefe mit den Rechnungen nicht, das ist nicht Ihr Amt!«

 

Das schlug dem Faß den Boden aus. Mr. Witts hatte ein gutes Gehalt, aber er hatte auch viel unter der schlechten Behandlung des ungebildeten Bellamy zu leiden, und seine Geduld war jetzt zu Ende.

 

»Ich lasse nicht so mit mir reden, Mr. Bellamy,« entgegnete er. »Bitte zahlen Sie mir meinen Lohn aus und lassen Sie mich gehen. Ich bin nicht gewöhnt, daß man –«

 

sternchenland.com »Halten Sie keine großen Reden und machen Sie, daß Sie fortkommen!« Bellamy zog eine größere Banknote aus der Tasche und warf sie auf den Tisch.

 

»Hier ist Ihr Geld – in einer halben Stunde haben Sie das Haus verlassen!«

 

Spike war gerade dabei, ein bescheidenes Frühstück in dem einzigen Gasthaus des Dorfes einzunehmen, als er diese überwältigende Neuigkeit erfuhr. Die Entlassung des Hausmeisters war im Dorf Garre ein großes Ereignis von weltbewegender Bedeutung. Man wußte, daß die Beziehungen zwischen Abel Bellamy und seinem Angestellten etwas gespannt waren, und als Mr. Wilks auf der Dorfstraße erschien, hielt man ihn alle Augenblicke an, um ihm die Teilnahme auszudrücken, angefangen von dem Ortsarzt bis zu einem der Dienstboten, der aus Furcht vor dem Grünen Bogenschützen die Burg verlassen hatte.

 

Spike ließ sein Frühstück im Stich und ging hinaus, um den in seiner Ehre gekränkten Mann zu sprechen.

 

»Es ist ganz unmöglich, es länger mit diesem Menschen auszuhalten,« erklärte Wilks, zitternd vor Wut. »Ganz unmöglich, mein Herr. Das ist überhaupt kein Mensch, er ist ein Schwein! Und was nun gar seine Geisterseherei in letzter Zeit angeht –«

 

»Haben Sie den Geist gesehen?«

 

»Nein, mein Herr, ich kann Sie doch nicht anlügen. Ich habe überhaupt keine Gespenster in der Burg gesehen, und meiner Meinung nach ist der Geist eine Erfindung von Mr. Bellamy, weil er irgendeine böse Sache damit bezweckt. Wenn ich ihn ein Schwein nenne, so spreche ich als ein Mann, der in den besten Familien des Landes gedient hat. Dieser Mensch hat überhaupt keine Lebensart, er besitzt einen der schönsten Speisesäle im ganzen Land und ißt ganz schweinemäßig in seiner Bibliothek. Ein anständiger Herr würde so etwas nie tun – und dann die Mengen, die er vertilgt, sternchenland.com man kann drei gewöhnliche Leute davon satt machen. Zum Frühstück trinkt er über einen halben Liter Milch und ißt ein halbes Dutzend Eier.« Und er zählte alles auf, was Mr. Bellamy in seinem gesegneten Appetit verspeiste.

 

Sein Bericht ließ Mr. Bellamy in einem ganz neuen Licht erscheinen. Bis jetzt hatte Spike noch nicht daran gedacht, daß er aß oder trank oder den Appetit eines anderen Menschen hätte.

 

»Was hatten Sie denn für einen Streit, daß Sie den Dienst verließen?« fragte Spike. Der Hausmeister erzählte ihm alles.

 

»Während der Sommermonate war überhaupt kein Gas gebraucht worden, und die Gasgesellschaft schickte eine Rechnung über fünfundzwanzigtausend Kubikfuß. Es war doch wirklich in seinem eigenen Interesse, daß ich ihn darauf aufmerksam machte. Statt mir aber wie ein anständiger Mensch dankbar zu sein, fuhr er mich an wie einen tollen Hund, und diese Behandlung ließ ich mir natürlich nicht gefallen, Mr. Holland.«

 

Spike lauschte den Klagen des Hausmeisters aufmerksam, aber er legte der Frage der zu hohen Gasrechnung keinen großen Wert bei. Geschickt lenkte er die Unterhaltung wieder auf das nächtliche Gespenst, das in der Burg umging. Aber er konnte nichts Neues herausbringen. Daß in letzter Zeit die beiden Hunde Wacht hielten, wußte er schon und hatte auch einen längeren Bericht darüber in seiner Zeitung erscheinen lassen.

 

Trotzdem machte er aus der Erzählung des Mr. Wilks einen neuen Artikel, der unter der Überschrift erscheinen sollte:

»Mein Leben in der verhexten Burg.«

Spike kehrte zur Stadt zurück und faßte den Entschluß, nach Scotland Yard zu gehen. Jim Featherstone war in seinem Bureau, und Spike wurde sogleich zu ihm geführt, als er sich melden ließ.

 

»Nun, Holland, was bringen Sie Neues?«

 

sternchenland.com Er reichte Spike die Zigarrenkiste quer über den Tisch, und dieser wählte mit der größten Sorgfalt.

 

»In Garre Castle hat es Streit gegeben,« sagte er. »Der vornehme Besitzer hat seinen Hausmeister hinausgeworfen, weil dieser sich die Gasrechnung angesehen hat. Wenn das vierhundert Jahre früher passiert wäre, hätte man dem armen Wilks ein Hanfseil ums Genick gelegt, und er könnte dann auch unter den Gespenstern erscheinen, die in der Geisterstunde auf Bellamys hinterem Hof miteinander Würfel spielen.«

 

»Erzählen Sie das alles noch einmal, aber bitte etwas langsamer,« sagte Jim. »Ich bin heute morgen nicht ganz auf der Höhe. Zunächst einmal, was war denn mit der Gasrechnung nicht in Ordnung?«

 

Spike teilte ihm alles mit, und zu seinem größten Erstaunen fragte Jim immer nach neuen Einzelheiten. Er stellte soviel Kreuz- und Querfragen, daß Spike schließlich der Schädel brummte.

 

»Was haben Sie denn bloß mit dem Gas?« fragte er schließlich. »Sie vermuten wohl, daß Abel eine heimliche Whisky-Brennerei betreibt?«

 

»Die Gasrechnung ist das Wichtigste, was wir überhaupt von Garre Castle erfahren haben,« sagte Jim ruhig. »Ich bin Ihnen für diese Mitteilung sehr dankbar, Holland. Nebenbei bemerkt gehe ich für ein bis zwei Wochen auf eine längere Reise und werde Sie deshalb in nächster Zeit nicht sehen. Aber wenn Sie irgendwelche neue Nachrichten erhalten, wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sie meinem Assistenten hier mitteilen würden. Ich werde Sie ihm vorstellen.«

 

Eine halbe Stunde später kam Spike zu seinem Redakteur.

 

»Mr. Syme, ich bin jetzt vollkommen davon überzeugt, daß die Aufklärung des Mordes an Creager in Garre Castle gefunden werden wird. Der Alte hat seinen Hausmeister sternchenland.com hinausgeworfen, und es wäre das Beste, wenn wir einen von unseren Leuten auf den Posten schieben könnten. Ich würde am liebsten selbst als Hausmeister dorthin gingen, aber ich habe noch niemals in einer solchen Stelle gedient, und Bellamy würde mich an meinen roten Haaren sofort wiedererkennen. Könnten wir nicht Mason oder irgendeinen anderen hinschicken? Wir könnten es doch so arrangieren, daß er von einer Dienstbotenagentur aus angeboten wird.«

 

»Das ist eine gute Idee,« sagte der Redakteur.

 

Aber dieser Gedanke war auch noch zwei anderen Leuten gekommen und zwar ebenso plötzlich.

 

Kapitel 16

 

16

 

»Vorsätzlicher Mord. Die Anklage richtet sich gegen eine oder mehrere unbekannte Personen.«

 

Bellamy las den Bericht über die Leichenschau Creagers, ohne sich im mindesten darüber aufzuregen. Für ihn bedeutete dieses Ereignis weiter nichts, als daß er die Summe von jährlich 480 Pfund, die er schon so lange gezahlt hatte, in Zukunft sparen würde. Es war ihm unangenehm und peinlich gewesen, alle die unzähligen Fragen zu beantworten, die die Polizei über seine Beziehungen zu dem Toten an ihn gerichtet hatte, aber das hatte er ja nun glücklich alles hinter sich.

 

Merkwürdig war nur, daß die sonderbaren Umstände von Creagers Tod ihn nicht im mindesten nachdenklich stimmten. Auch brachte er den Vorfall in keine Beziehung zum Grünen Bogenschützen. Er hatte von vornherein ein großes Mißtrauen und Vorurteil gegen Zeitungen, und als er damals gelesen hatte, daß man das Auftreten des Grünen Bogenschützen mit dem Mord an Creager in Zusammenhang brachte, hielt er das Ganze nur für eine verrückte Erfindung dieser Zeitungsleute. Seiner Meinung nach war der Mann von irgendeinem alten Verbrecher ermordet worden, der ihn sternchenland.com haßte. Und wenn er tatsächlich durch einen Pfeil getötet worden war, dann hatte der Mörder seinen Plan eben aus diesen verrückten Zeitungsartikeln geschöpft.

 

In der letzten Zeit war ihm etwas aufgefallen, was aber nichts mit dem Mord zu tun hatte. Es war die düstere Stimmung seines Privatsekretärs. Irrtümlicherweise nahm er als Grund dafür die Enthüllungen, die er ihm gemacht hatte, daß er seine Vergangenheit kannte. Diese Überzeugung befriedigte ihn so, daß er beschloß, ihn länger in seinen Diensten zu halten.

 

Die Anwesenheit der neuen Mieter von Lady’s Manor war ihm in mancher Beziehung unangenehm. Sie schienen in gewisser Weise in seine unumschränkte Gewalt einzudringen, aber er sprach sich nicht bestimmt darüber aus. Er wußte nicht, wer sie waren und kümmerte sich auch nicht darum. Außer mit Julius besprach er niemals äußere Dinge. Seine anderen Dienstboten richteten niemals das Wort an ihn, es sei denn, daß er sie anredete, und das tat er niemals. Das Einzige, was sie von ihm hörten, waren Vorwürfe.

 

Einige Tage nach der Entlassung Wilks hatte er Grund, den neuen Hausmeister anzufahren.

 

»Junger Mann, ich möchte Ihnen das ein für allemal sagen. Ich wünsche nicht, daß Sie irgendeinen Raum betreten, in dem ich bin, wenn ich nicht nach Ihnen schicke oder Sie rufe. Sie haben gestern abend an die Tür meiner Bibliothek geklopft, obwohl Mr. Savini Ihnen sagte, daß ich nicht gestört sein wollte.«

 

»Ich bitte um Entschuldigung, mein Herr,« sagte der Hausmeister höflich, »die Gewohnheiten in diesem Schloß sind mir noch fremd, aber ich werde es in Zukunft unterlassen – Sie sollen sich nicht über mich beklagen.«

 

Die Ankunft des neuen Hausmeisters schien die Depression, die auf Julius Savini lastete, noch zu verschlimmern. Auf jeden Fall war eine bemerkenswerte Änderung in dem Betragen sternchenland.com des Sekretärs wahrzunehmen, seitdem der neue Mann seinen Dienst angetreten hatte. Er sprach nicht mehr so viel und war weniger mitteilsam. Als Abel durch den Park ging, fand er ihn dort eines Nachmittags in einer ziemlich verzweifelten Stimmung.

 

»Was ist denn mit Ihnen los?« fuhr er ihn an. »Wenn jemand hier Grund hat, ärgerlich zu sein, so bin ich es! Nehmen Sie sich doch zusammen und laufen Sie nicht mit einem solchen Gesicht herum! Was ist denn eigentlich mit Ihnen los? Hat die Polizei Ihre Schandtaten entdeckt und ist hinter Ihnen her?«

 

»Ich fühle mich nicht wohl.«

 

»Dann suchen Sie sich eine andere Stelle,« brummte der Alte, »ich habe hier kein Sanatorium.«

 

Diese Ermahnung hatte den Erfolg, daß Savini sich plötzlich sehr beweglich und liebenswürdig zeigte. Aber Bellamy schimpfte nun erst recht über ihn.

 

Seit dem letzten Erscheinen des Grünen Bogenschützen waren mehr als zwei Wochen vergangen, und Bellamy erklärte sich diese Tatsache durch die Anwesenheit der Hunde.

 

»Es muß doch irgend etwas an einem Polizeihund sein, das ein Geist nicht vertragen kann,« sagte er, »oder umgekehrt hat ein Geist irgend etwas an sich, das einen Polizeihund ärgert.«

 

In der folgenden Nacht wachte er plötzlich von dem Knurren eines Hundes auf. Sofort sprang er aus dem Bett und eilte auf den Gang hinaus. Alle Lampen brannten, wie er es angeordnet halte, und einer der Hunde stand in Anschlag mitten im Korridor und witterte nach der Treppe zu, die zu der Halle nach unten führte.

 

Bellamy pfiff, der Hund drehte sich um und kam langsam auf ihn zu, hielt aber manchmal an und sah sich nach der Treppe um. Gleich darauf kam auch der andere die Treppe heraufgesprungen.

 

»Nun, was ist denn mit euch los?«

 

sternchenland.com Abel ging in sein Zimmer zurück, zog seinen Morgenrock an und steckte den Revolver in die Tasche. Darauf stieg er, von beiden Hunden gefolgt, die Treppe hinunter zu der Halle. Er konnte nichts Verdächtiges entdecken. Er schloß die Bibliothek auf, ging hinein, drehte das Licht an und durchsuchte den Raum, ohne irgend etwas zu finden. Die große schwere Haustür war auch verschlossen und wohl verriegelt.

 

Beruhigt ging er nach oben und legte sich nieder. Aber kaum war er wieder in einen leichten Schlaf gefallen, als er von neuem das Bellen der Hunde hörte. Diesmal schlugen beide Tiere an. Er fand sie, wo er sie das erstemal gesehen halte. Sie standen der Haupttreppe zugekehrt und knurrten. Auf seinen Pfiff hin sah sich nur einer von ihnen um, rührte sich aber nicht von der Stelle. Erst als er sie scharf anrief, kamen sie zu ihm.

 

»Was habt ihr denn nun schon wieder?«

 

Ein Bellen war die Antwort.

 

Plötzlich sprangen sie beide davon, als ob sie etwas gehört hätten, und fegten wie der Wind den Gang entlang. Abel eilte hinterher.

 

Als er die Treppe hinunterkam, sah er, wie sie unten in der Halle den Flur beschnüffelten. Er drehte alle Lichter an und untersuchte den Raum eingehend, konnte aber wieder nichts finden.

 

»Ihr scheint heute nacht etwas verrückt zu sein,« brummte er.

 

Es fiel ihm auf, daß die Tiere unruhig waren. Aber es war ja möglich, daß auch sie ihre besonderen Eigentümlichkeiten hatten, dachte er und legte sich wieder zu Bett. Als er am Einschlafen war, hörte er sie wieder bellen, aber er nahm keine weitere Notiz davon und drehte sich nach der anderen Seite um. Bald war er fest eingeschlafen.

 

Es war fünf Uhr, als er aufwachte, und es war noch dunkel. Er stand auf und zog seinen Schlafrock an, bevor er das Licht andrehte. Aber dann wurden seine Augen groß. Die sternchenland.com beiden Türen standen weit offen, obwohl er bestimmt wußte, daß er sie fest verschlossen und gesichert hatte, als er das letztenmal zu Bett ging. Was war denn mit den Hunden los?

 

Er ging in den Korridor, um nach ihnen zu sehen und glaubte zuerst, daß sie tot seien, weil sie hintereinander mit ausgestreckten Beinen an der Wand lagen. Er ging hin und schüttelte den einen. Der Hund öffnete langsam die Augen, sah ihn einige Sekunden schläfrig an und schloß sie dann wieder.

 

»Sie sind betäubt worden,« sagte Bellamy. »Also war gestern abend doch jemand hier, der sich die ganze Zeit verborgen hielt. Aber das mußte ein Mensch gewesen sein. Der Grüne Bogenschütze war also Fleisch und Blut –« Bellamy hatte auch nichts anderes erwartet.

 

Mit der Zeit kamen die Hunde wieder zu sich und benahmen sich so, als ob nichts geschehen wäre. Er brachte sie selbst zu dem Hundekäfig hinunter.

 

Warum war der Grüne Bogenschütze gekommen, was beabsichtigte er? Sicherlich wollte er nicht nur zeigen, daß er sich zu jeder beliebigen Zeit Zutritt zu dem verschlossenen Raum verschaffen konnte. Es war doch immerhin mit einer gewissen Gefahr verbunden, die Hunde zu betäuben. Was mochte er gesucht haben? In seinem Schlafzimmer bewahrte er wenig wertvolle Gegenstände auf, und diese waren vollständig unberührt geblieben. Also wollte er sicherlich nichts stehlen. Und doch war es Bellamy klar, daß der Grüne sich keinen Spaß erlaubte, sondern eine sehr ernste Absicht mit seinem Besuch verfolgte.

 

Plötzlich kam ihm die Erklärung. Der Grüne Bogenschütze suchte den Schlüssel – den Schlüssel, den er bei Tag bei sich trug und nachts unter sein Kissen legte. Er trug ihn in seiner Tasche an einer langen Stahlkette, und wenn er morgens zum Bad ging, hing er sich den Schlüssel mit der Kette um den Hals.

 

sternchenland.com Er sah etwas sonderbar aus, war lang, schmal und dünn. – Der Schlüssel! Das war die Erklärung! Und wenn diese richtig war, dann kannte der Grüne Bogenschütze auch das Geheimnis von Garre Castle! Er eilte zur Bibliothek und warf die Tür krachend hinter sich zu. Savini hörte es im Halbschlaf und träumte, daß sich der alte Bellamy erschossen hätte. Er lächelte beseligt.

 

Kapitel 17

 

17

 

Als Julius Savini die Dorfstraße zur Post hinunterging, sah er eine ihm bekannte Gestalt auf dem Bürgersteig. Er war wenig erfreut darüber, und wenn er in eine Seitenstraße hätte entweichen können, hätte er es sicher getan. Aber er mußte an dem jungen, frischen, fröhlichen, rothaarigen jungen Mann vorbei, der seine Morgenzigarre rauchte und wohlgefällig in die Welt schaute; als ob sie sein Eigentum sei. Spike winkte und Savini kam auf ihn zu.

 

»Ich habe furchtbare –« begann er.

 

»Sie haben immer furchtbare Eile, das weiß ich. Und Sie wünschen nicht, daß der Alte sieht, daß Sie mit mir sprechen, sonst verlieren Sie Ihre Stelle, das weiß ich auch alles ganz genau. Sagen Sie einmal, Julius, wir müßten eigentlich besser miteinander bekannt werden. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, daß ich Sie mit Ihrem Vornamen anrede. Das tue ich nur bei ganz bevorzugten Leuten … Nein, nein, ich mache keinen Spaß. Meinen ersten Jungen werde ich auch Julius nennen. Nun hören Sie mal zu, ich möchte Sie etwas fragen. Kennen Sie Featherstone von Scotland Yard?«

 

Savini nickte.

 

»Ja, ich kenne ihn,« sagte er kurz. »Er ist doch der Herr, der so viel bei den Howetts verkehrt. Warum suchen Sie denn nicht Mr. Howett auf? Er wohnt doch jetzt in Lady’s sternchenland.com Manor und kann Ihnen über Featherstone genügend Aufklärung geben.«

 

»Ich war schon bei ihm,« erwiderte Spike. »Also Sie kennen Featherstone?«

 

»Das habe ich Ihnen doch schon gesagt,« entgegnete Julius ungeduldig. »Nun muß ich aber wirklich fort, Holland.«

 

»Kennen Sie mich doch Spike, ich möchte wirklich, daß wir gute Freunde werden. Was haben Sie eigentlich für einen neuen Hausmeister?« fragte er obenhin.

 

Julius zuckte die Schultern.

 

»Er ist ein ganz brauchbarer, tüchtiger Mann. Er wurde uns von einem Londoner Bureau zugeschickt.«

 

»Ein tüchtiger Hausmeister? Das klingt ja ganz nüchtern,« sagte Spike und sah den anderen scharf an. »Kommt er denn auch mal ins Dorf herunter?«

 

»Ich glaube schon.«

 

»Ist es jemand, den Sie schon von früher her kennen?«

 

»Warum fragen Sie mich denn nun dauernd über den Hausmeister aus?« entgegnete Julius ärgerlich. »Ist er etwa ein Freund von Ihnen?«

 

»Wozu laufen Sie nun schon wieder so eifrig davon?« sagte Spike und hielt Savini am Arm fest, als er entschlüpfen wollte. »Sagen Sie mal, gibt es etwas Neues? Was macht der Grüne Bogenschütze? Ist er noch immer in Ferien?«

 

»Nein, er war wieder da,« fuhr Julius heraus. »Er hat in der letzten Nacht die Hunde betäubt. Ich bin gerade auf dem Weg zur Post, um ein Telegramm abzuschicken, damit noch zwei neue Hunde kommen sollen. Der Alte denkt nämlich, daß der Bogenschütze nicht imstande ist, vier Hunde zu betäuben.«

 

Jetzt glückte es Savini, sich loszumachen, er lief, so schnell er konnte, davon und bemühte sich, eine möglichst große Strecke zwischen sich und den neugierigen Spike zu bringen. sternchenland.com Holland hatte an dem Morgen einen Brief aus Belgien bekommen. John Wood hatte die Absicht, am Ende der Woche wiederzukommen und lud Spike ein, mit ihm zu essen. Der eine Teil des Briefes interessierte ihn sehr.

»Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mir einen so langen Bericht über Bellamy und die außerordentlichen Vorgänge in seiner Burg eingeschickt haben. Seit dieser Zeit halte ich Ihre Zeitung und verfolge Ihre Artikel über den Grünen Bogenschützen. Ihre Ausführungen sind sehr bemerkenswert. In Ihrem Begleitbrief sprachen Sie noch die Vermutung aus, daß Abel Bellamy durch die dauernde Beunruhigung des Grünen Bogenschützen zusammenbrechen wird. Aber wie ich Ihnen schon früher sagte, irren Sie sich in diesem Punkt. Nichts in der Welt kann diesen teuflischen Menschen in Furcht setzen. Auch glaube ich nicht, daß Abel Bellamy von seiner Hand getötet werden wird wie Creager. Meiner Meinung nach hängt Bellamys Schicksal von den Entdeckungen ab, die der Unbekannte in dem Schloß macht, in dem er umgeht.«

Der Brief handelte dann weiter von Woods großem Plan und den Fortschritten, die er bei dessen Durchführung gemacht hatte. Es war ihm gelungen, eine Anzahl reicher Amerikaner und Engländer für sich zu interessieren, und er hatte einen größeren Erfolg, als er jemals hoffen durfte. Spike las aber diesen Teil des Briefes nicht sorgfältig durch, denn im Moment war er gerade nicht leidenschaftlich an Wohlfahrtseinrichtungen für kleine Kinder interessiert, um so mehr aber an Abel Bellamy. Er konnte sich nicht genügend Wundern über den großen Unterschied in dem Charakter dieser beiden Männer. Der eine war ein brutaler Riese, der wie ein Menschenfresser in den Märchen in seiner Festung saß und von dem nur Unglück und Haß ausgingen, während der andere, durch eine zarte und mitleidvolle Seele getrieben, sein ganzes Lebenswerk der Nächstenliebe widmete.

 

sternchenland.com Holland hatte eine Einladung zu Tisch bei den Howetts erhalten und wanderte nun die hübsche Allee hinauf, die an den hohen Mauern der Burg entlangführte. Plötzlich kamen die Kamine von Lady’s Manor in Sicht, die noch aus der Zeit der Königin Elisabeth stammten.

 

Spike hatte sich schon früher um alte Bauten gekümmert, und wie die meisten Amerikaner wußte er besser mit der Baugeschichte Englands Bescheid als die Engländer selbst, die diese Schönheiten jeden Tag sehen. Lady’s Manor war im fünfzehnten Jahrhundert für Isabel d’Isle erbaut worden, die einer der de Curcys liebte. Es war teilweise zur Zeit der Königin Elisabeth durch Feuer zerstört, aber sofort wieder aufgebaut worden.

 

Der Tag war schön und für diese Zeit des Jahres warm. Als er in den Garten eintrat, fand er Valerie Howett dort, die das Einpflanzen von Blumenknollen überwachte.

 

»Es sieht so aus, als ob Sie sich für immer hier niedergelassen haben,« lächelte Spike, als er ihr die Hand gab.

 

»Ja – für lange Zeit,« sagte sie ruhig. »Sie werden meinen Vater in der Bibliothek finden. Ich fürchte, daß Ihnen das Haus etwas ungemütlich vorkommt, weil die Handwerker noch da sind, Mr. Holland, aber das Zimmer meines Vaters ist vollkommen renoviert, und dort haben Sie Ruhe.«

 

Die melancholische Stimmung im Gesichtsausdruck Mr. Howetts war verschwunden. Er war freundlich und guter Dinge, und Spike, der den Grund nicht ahnen konnte, dachte, daß der Luftwechsel eine so günstige Wirkung auf ihn hervorbrachte. Aber dann zeigte ihm Mr. Howett stolz alle die Papiere und Bücher, die er gesammelt hatte und erzählte ihm von seinem Plan, ein Buch zu schreiben. Er fragte ihn sogar wegen der Einleitung um Rat.

 

»Haben Sie schon etwas von Ihrem Nachbar gesehen, Mr. Howett?«

 

sternchenland.com »Wer ist das? Ach meinen Sie etwa Bellamy?« Mr. Howett verzog das Gesicht. »Nein, ich möchte überhaupt nichts von ihm sehen. Gott sei Dank ist er ein wenig geselliger Mensch, und ich brauchte nicht zu fürchten, daß er zum Tee zu uns herüberkommt,« fügte er ernst hinzu. »Haben Sie sich in England auch schon an das ewige Teetrinken gewöhnt? Wenn nicht, so vermeiden Sie es, es ist schlimmer, als wenn man ein anderes Narkotikum zu sich nimmt.«

 

Der Park, der zu Lady’s Manor gehörte, war nicht sehr ausgedehnt. Er war etwas weniger als zwei Morgen groß und nach der einen Seite durch die Mauern der Burg Bellamys begrenzt. Dies konnte Spike auch nach dem Essen feststellen, als die junge Dame ihm den Garten zeigte.

 

»Hier scheint ein Tor nach drüben zu gehen, Miß Howett!«

 

»Früher war hier ein Tor,« sagte sie fast bedauernd, »aber Mr. Bellamy hat die Öffnung auf der anderen Seite zumauern lassen.«

 

»Vielleicht hat er Angst vor dem Grünen Bogenschützen,« meinte Spike lustig. »Sie fürchten sich doch nicht etwa, wenn ich diese indiskrete Frage an Sie stellen darf, Miß Howett?«

 

»Nein, nicht im geringsten.«

 

Spike betrachtete die Mauer mit dem größten Interesse.

 

»Sie ist hier niedriger als sonst irgendwo,« sagte er. »Sie hätten von hier aus die beste Gelegenheit, einmal einen Erkundigungsgang in Bellamys feudale Besitzung zu unternehmen.«

 

Er trat an die Mauer und streckte seinen Arm aus. Er konnte das obere Ende der Mauer mit der Hand erreichen.

 

»Es gehören nur zwei leichte Leitern dazu, dann sind Sie drüben – ich fange an, Sie zu beneiden, Miß Howett. Ich möchte Sie ja nicht darum bitten, mir dabei behilflich zu sein, einen Einbruch in die Burg von Ihrem Hinterhof aus zu machen. Aber wenn Sie mich nur ein wenig ermutigten, sternchenland.com würbe ich in einer dunklen Nacht kommen und mich einmal persönlich nach dem Bogenschützen umsehen.«

 

Sie lachte leise.

 

»Ich werde mich hüten, Sie zu ermutigen, Mr. Holland,« sagte sie. »Haben Sie Captain Featherstone in der letzten Zeit einmal gesehen?« fragte sie dann plötzlich.

 

»Nein, seit letztem Montag nicht mehr. Er erzählte mir, daß er verreisen müßte, obgleich ich das stark bezweifle. Unter uns gesagt, Miß Howett, ich habe eine Idee, daß er der neue Hausmeister in der Burg ist. Ich weiß, daß er sich sehr für Bellamy und besonders für seine Gasrechnungen interessiert. Was er nun gerade hierin findet, mag der Himmel wissen!«

 

»Was sagten Sie da eben?« fragte sie schnell.

 

Spike erzählte von dem häuslichen Streit, der zur Entlassung des früheren Hausmeisters von Garre geführt hatte.

 

»Ich habe es Featherstone neulich erzählt, und nachher ist mir erst eingefallen, daß er sich vielleicht um den Posten beworben hat. Diese Leute von der Geheimpolizei geben alle gute Hausmeister ab. Einige von ihnen sind die ganze Zeit in solchen Stellungen beschäftigt und tun nichts anderes. Aber um Ihnen die Wahrheit zu sagen, ich selbst hatte auch den Plan, einen unserer Leute von der Zeitung hinzuschicken. Aber bevor unser Redakteur sich die Sache überlegte, dann erst noch einen Rechtsanwalt um Rat fragte und in der Stille der Nacht seine Seele auf Herz und Nieren prüfte, ob das möglich sei, war die Stelle natürlich längst besetzt. Ich bin davon überzeugt, daß Featherstone der neue Hausmeister ist, denn erstens sagt man, daß er sehr hübsch sein soll, und zweitens kommt er niemals ins Dorf, das wir ihn uns auch einmal ansehen könnten. Etwas spricht allerdings dagegen. Ich habe heute morgen mit Julius Savini gesprochen. Ich vermute, daß er eine etwas böse Vergangenheit hat und daß es nur wenig Justizbeamte gibt, die ihn nicht kennen. Wenn Featherstone sternchenland.com nun der neue Hausmeister wäre, hätte Savini es Bellamy sicher verraten.«

 

Sie dachte nach.

 

»Also Captain Featherstone hat der hohen Gasrechnung solchen Wert beigelegt?«

 

Spike nickte.

 

»Möglich, daß er ein Familienvater ist,« sagte er leichthin. »Wenn er Junggeselle wäre, hatte ihn doch die Tragödie einer großen Gasrechnung nicht weiter beunruhigt.«

 

»Captain Featherstone ist nicht verheiratet,« sagte sie ein wenig kühl und wurde rot, als Spike sich wegen seines Irrtums entschuldigte.

 

»Ich weiß gar nicht, warum Sie sich entschuldigen,« sagte sie gereizt. »Ich habe Ihnen doch nur gesagt, daß er nicht verheiratet ist. Sie kennen also Julius Savini?« fragte sie, da sie die Unterhaltung auf einen anderen Gegenstand bringen wollte. »Können Sie mir irgend etwas von ihm erzählen?«

 

»Nicht viel,« erwiderte Spike überrascht. »Ich weiß nur, daß er ein Mischblut ist. Sein Vater war ein Italiener, seine Mutter eine Inderin, und ich glaube, Julius hat die schlechten Charakterzüge von beiden geerbt. Früher war er mit der Crowley-Bande zusammen, aber ich habe nie erfahren, ob er der Verführte oder der Verführer war. Die Polizei hat vor einem Jahr die Gesellschaft unschädlich gemacht und aus einem mir unbekannten Grunde gelang es Julius, sich aus dem Staube zu machen. Möglich, daß er also auch nur von den anderen verführt wurde, vielleicht diente er ihnen nur als Lockvogel. Ich war zuerst erstaunt, ihn in Bellamys Diensten zu finden, aber als ich es mir dann später überlegte, erkannte ich, daß Julius gerade der Mensch war, der dem Alten besonders paßte. Er ist ein geborener Schuft und hat überhaupt kein Gewissen. Aber er fürchtet sich entsetzlich vor Bellamy. Er hat den Kopf voller Pläne, schnell reich zu werden, aber er hat weder Verstand noch Energie, um diese Pläne sternchenland.com auszuführen. Das ist sein Charakter, und ich glaube, daß ich ihm nicht unrecht tue.«

 

»Sie beurteilen ihn wahrscheinlich richtig,« entgegnete Valerie.

 

Spike hatte für unbegrenzte Zeit Aufenthalt in Garre genommen. Zweimal am Tage telephonierte er mit seiner Redaktion, und obwohl Mr. Syme vermutete, daß der Grüne Bogenschütze nur ein Vorwand für ihn war, sich von der Arbeit zu drücken, und die Geschichte auch dem Publikum nicht mehr so interessant war, wollte er doch die Verantwortung nicht auf sich nehmen, seinen Angestellten zurückzurufen.

 

Am Nachmittag sprach Spike gerade mit der Redaktion, als er Valerie in ihrem Auto in der Richtung nach London die Straße entlang fahren sah. Das Telephon im Blauen Bären befand sich in der großen Halle, was etwas peinlich für ihn war, wenn er geheime Unterredungen mit der Polizei führen wollte, denn das Telephon befand sich in Hörweite vom Buffet.

 

Er trat in die Haustür und schaute hinter Valerie her. Dann kam ihm plötzlich ein Gedanke. Er ging zum Telephonapparat zurück und verlangte noch einmal die Redaktion. Nach einer Viertelstunde hatte er glücklich die Verbindung bekommen, und das war für die dortigen ländlichen Verhältnisse ein äußerst günstiger Schnelligkeitsrekord.

 

»Sind Sie am Apparat, Mr. Syme? Miß Howett ist nach London gefahren, schicken Sie doch einen Mann hinter ihr her. Ich glaube, man könnte manches dabei herausbekommen, wenn man ihr folgte. Nicht, daß man es in die Zeitung bringt, verstehen Sie mich, aber es könnte mir bei der Aufklärung hier helfen.«

 

»Ach, Miß Valerie – hat sie denn auch irgend etwas mit Grünen Bogenschützen zu tun?« fragte Mr. Syme ironisch.

 

»Nicht nur ein wenig – ich glaube, sie spielt eine der Hauptrollen bei der ganzen Geschichte,« erhielt Syme zur Antwort. sternchenland.com

 

Kapitel 18

 

18

 

Fay Clayton wohnte allein, aber sie führte deshalb doch kein einsames Leben. In ihrer kleinen Wohnung in Maida Vale lebte sie mehr oder weniger zurückgezogen, aber sie hatte viele Freunde und verkehrte in mehreren Lokalen, wo sie Erholung und Vergnügen fand. Es würde nicht der Wahrheit entsprechen, wenn man sagen wollte, daß sie ihren Mann vermißte. Trotzdem zeigte sie Julius gegenüber eine Anhänglichkeit, die sonst niemand teilte. Sie hatte noch nie Gelegenheit gehabt, an seiner Treue zu zweifeln, und während der letzten fünf Monate hatte sich ihre finanzielle Stellung bedeutend gebessert.

 

Als Julius noch mit der Falschspielerbande arbeitete und einer der vier tüchtigen Leute war, die andere betrogen, die sich zu sicher fühlten, führte sie ein wenig sicheres und ruhiges Leben. Wochenlang lebten sie von geliehenem Geld oder dem Versetzen von Schmuckstücken, und selbst wenn ihnen ein großer Fang gelungen war, dauerte das gute Leben meist nicht lange. Aber jetzt erhielt sie eine dauernde, große Geldunterstützung von ihm, womit sie früher gar nicht gerechnet hatte. Sie quälte ihren Mann nicht mit Fragen, woher er dieses Geld bekam. Daß Abel Bellamy ihm kein außerordentlich hohes Gehalt zahlte, wußte sie, denn sie kannte die Höhe seines Monatsgeldes.

 

Er hatte also irgendeinen anderen guten Nebenverdienst, der sicher sein mußte, denn Julius schreckte bekannterweise vor gefährlichen Dingen zurück. Er hatte ihr niemals erzählt, was er eigentlich zu tun hatte, und als sie über das viele Geld nachdachte, das er bekam, glaubte sie, daß er als Privatsekretär Bellamys vielleicht auch die Haushaltskasse verwaltete. Das hatte dann wenigstens zum Teil den Besitz des vielen Geldes erklärt. Er zahlte ihr nicht nur eine sehr anständige Summe für den Lebensunterhalt, sondern machte sternchenland.com ihr auch unerwartete Geschenke in Form von Schmucksachen und Juwelen, die allem Anschein nach neu und ehrlich gekauft waren. Sie hatte sich also über nichts zu beklagen. Julius war in einer sicheren Stellung, und sie konnte ihre neuen Diamantringe in ihrem Lieblingsnachtklub sehen lassen, ohne im mindesten fürchten zu müssen, daß geheimnisvolle fremde Leute erschienen und sie aufforderten, mit ihnen einen kleinen Spaziergang zur Polizeistation zu machen.

 

Aber auch das hatte gerade keine großen Schrecken mehr für sie. Sie war mit ihrem fünfzehnten Jahr schon dreimal im Gefängnis gewesen, und der Schrecken vor der Gefangenschaft hatte seine Wirkung auf sie verloren, denn er besteht gewöhnlich nur in der Furcht vor dem Unbekannten. Das einzige Unangenehme der Haft bestand für sie dann, daß sie mit der Polizei in Berührung kam und ihr das Recht geben mußte, sie anzuhalten, mit ihr zu sprechen und Fragen an sie zu stellen, die manchmal sehr unangenehm zu beantworten waren.

 

Sie war gerade in ihrer kleinen Küche und bügelte eine Bluse, als an die Tür geklopft wurde. Ihr Mädchen (ein optimistischer Titel für die unordentliche Frau, die täglich kam, um die Wohnung zu reinigen), war ausgegangen, um einzukaufen. So ging Fay selbst zur Tür und öffnete. Sie hatte erwartet, einen Händler zu treffen, aber sie sah einen schlanken, etwas vornüber gebeugten, hohläugigen, jungen Mann vor sich, der einen schlecht sitzenden, ärmlichen Anzug trug.

 

»Jerry!« rief sie und öffnete. »Komm schnell herein!«

 

Sie schloß die Tür hinter ihm, und er folgte ihr ins Wohnzimmer.

 

»Wann bist du denn herausgekommen?« fragte sie.

 

»Heute morgen,« antwortete er. »Hast du etwas zu trinken? Ich sterbe vor Durst. Wo ist Julius?«

 

Sie nahm eine Flasche und ein Syphon mit Sodawasser sternchenland.com vom Buffet, setzte beides vor ihm hin, und er goß sich reichlich ein.

 

»Das schmeckt gut,« sagte er. Allmählich kam wieder etwas Farbe in sein blasses Gesicht. »Aber sage mir doch, wo ist Julius?«

 

»Er ist nicht hier im Hause, Jerry. Er hat eine Stellung auf dem Lande.«

 

Er nickte und schaute wieder nach der Flasche.

 

»Das war genug für dich!« sagte sie und stellte den Whisky wieder ins Buffet zurück.

 

»Was wirst du jetzt tun? Was hast du vor?«

 

»Ich weiß es wirklich nicht. Unsere Gesellschaft ist ja auseinandergesprengt. Julius hat eine Stellung, wie ich höre. Hält er sich jetzt ordentlich?«

 

»Gewiß!« sagte Fay etwas beleidigt. »Jerry, du mußt dir jetzt auch ordentliche Arbeit suchen. Die Bande ist aufgelöst – Laß in Zukunft deine Finger davon.«

 

Sie waren Geschwister, obwohl niemand eine Verwandtschaft zwischen der hübschen Frau und dem hohläugigen, heruntergekommenen Menschen vermutet hätte, der eben aus dem Gefängnis kam.

 

»Ich habe Featherstone getroffen.«

 

»Hat er dich hierhergehen sehen?« fragte sie.

 

Er schüttelte den Kopf.

 

Nein, ich bin ihm im Westen begegnet. Er hielt mich an und fragte mich, wie es mir ginge und was ich unternehmen würde. Er ist wirklich kein schlechter Mensch.«

 

Sie verzog das Gesicht.

 

»Dir kommen manchmal etwas phantastische Illusionen in den Kopf, Jerry. Aber was willst du jetzt anfangen?«

 

»Ich habe dir doch eben gesagt, daß ich es nicht weiß.« Er schob seinen Stuhl zurück und schaute nachdenklich auf die Tischdecke. »Da ist eine Gesellschaft, die auf den großen sternchenland.com Dampfern im Atlantischen Ozean arbeitet, die würde mich aufnehmen und möchte gern, daß ich mitmache. Ich muß sagen, daß ich so etwas noch nie gemacht habe und es würde auch ein kleines Kapital voraussetzen – so zweihundert für die Hin- und Rückreise, und dann muß man auch immer darauf gefaßt sein, daß man eine Reise macht, ohne irgendeinen Erfolg zu haben. Du könntest mir das Geld wohl nicht leihen?«

 

Sie biß sich auf die Unterlippe und dachte nach.

 

»Ich könnte es schon,« sagte sie langsam.

 

»Du kannst sicher sein, daß es ganz guten Verdienst abwirft. Es ist viel sicherer, als wenn man hier auf dem Lande etwas macht. Du hörst niemals, daß Leute, die auf Schiffen zusammenarbeiten, irgendwie gefaßt worden sind,« Er sah sich in dem Zimmer um. »Es ist doch eigentlich ganz schön, daß man wieder frei ist. Ich habe genug vom Gefängnisleben.«

 

»Wo hast du gesessen, Jerry?«

 

»Ich war in Pentonville, wo Creager früher im Amt war. Ich könnte dir ein paar Geschichten über ihn erzählen, daß dir die Haare zu Berge ständen, Fay. Kann ich hier bei dir wohnen?«

 

Sie zögerte einen Augenblick.

 

»Ja, du kannst in Julius‘ Zimmer wohnen.«

 

»Kommt er denn nicht hierher?« fragte er stirnrunzelnd.

 

»Das geht doch nicht. Ich höre jeden zweiten Tag von ihm, und ich kann mich wirklich nicht über ihn beklagen.«

 

Er schaute auf seine zerknitterten Kleider, und man sah, daß er sich ihrer schämte.

 

»Ich möchte mich neu einkleiden – hast du etwas Geld?«

 

»Das kann ich schon für dich besorgen, so kannst du nicht herumlaufen, Jerry. Ich hoffe nur, daß dich niemand hier hereinkommen sah. Die Leute, die hier wohnen, sind sehr korrekt, und ich möchte nicht haben, daß man dich hier sieht, sternchenland.com bevor du nicht etwas repräsentabler aussiehst. Ich dachte, du würdest erst sechs Monate später herauskommen.«

 

Er lachte.

 

»Der Gefängnisarzt sorgte dafür, daß ich entlassen wurde. Meine Brust ist nicht in Ordnung, und ich bat um eine Spezialbehandlung. Deswegen haben sie mir einen Teil der Strafe erlassen. Im Gefängnis weiß man mit kranken Leuten nichts anzufangen. – Aber ich habe noch einige gute Kleider auf der Gepäckaufbewahrung bei der Charing Croß Station,« sagte er plötzlich. »Vielleicht bist du so gut und besorgst sie für mich. Ich brauche dann nicht mehr soviel, um mich wieder auszustatten.«

 

Sie nahm den Gepäckschein und fuhr am Nachmittag zur Eisenbahnstation, um seinen Koffer zu holen. Der Chauffeur brachte sie auf dem kürzesten Weg durch Fitzroy Square dorthin. Fay kannte die ganze Gegend genau, dort lag auch ein Restaurant, in dem sie früher viel verkehrt hatte. Es gab in dem Lokal viele kleine Einzelräume, wo sich Leute versammeln und sicher sein konnten, daß sie nicht beobachtet wurden. Man konnte dort Pläne besprechen, ohne belauscht zu werden, und es war ein bevorzugtes Lokal für Verbrecherbanden. Auch Fay hatte sich früher immer mit den anderen dort getroffen.

 

Als sie vorbeifuhr, sah sie am Eingang einen Mann stehen und erschrak, als sie ihn erkannte. Es war Julius. Als sie sich nach vorne lehnte und an die Scheibe klopfte, fuhr eben ein anderes Auto vor, aus dem eine Dame ausstieg. Sie sah, wie Julius seinen Hut zog und die beiden dann durch die enge Tür von El Moro’s verschwanden.

 

Fay ließ ihren Wagen sofort halten und sprang heraus. Sie hatte Valerie Howett früher nur einmal gesehen und erkannte sie sofort wieder. sternchenland.com

 

Kapitel 19

 

19

 

Valerie sah sich erstaunt in dem reich ornamentierten Zimmer um, in das sie hineingeführt wurde. Ein unangenehmer Geruch von abgestandenen Zigarrenqualm lag in dem Raum. Die verblichene Vergoldung der Dekorationen, die schweren Sammetvorhänge und die überladene und unechte Eleganz berührten sie unangenehm und abstoßend.

 

Julius schickte den lächelnden Kellner fort und schloß die Tür. Er war feinfühlig genug, Valeries Widerwillen nachzuempfinden.«

 

»Es tut mir sehr leid, daß ich Sie hierherführen mußte, Miß Howett, aber es ist der einzige Platz, wo wir ganz sicher nicht beobachtet werden.«

 

»Was ist denn dies für ein Lokal?« fragte sie neugierig.

 

»Es ist sehr bekannt,« sagte Julius diplomatisch. »Wollen Sie nicht Platz nehmen, Miß Howett? Ich kann Ihnen heute nicht so sehr viel Neues berichten,« fuhr er fort, als sie sich auf die Ecke eines Plüschsessels gesetzt hatte. »Mr. Bellamy macht es mir immer schwerer, etwas zu entdecken.«

 

»Haben Sie die Photographie für mich gebracht?«

 

Er schüttelte den Kopf.

 

»Als ich sie jetzt holen wollte, fand ich, daß die Schublade leer war. Bellamy muß entdeckt haben, daß ich seinen Schreibtisch durchsuchte, er hat mir sogar Andeutungen darüber gemacht. Ich habe sehr viel für Sie gewagt, Miß Howett.«

 

»Ich habe Sie ja auch dafür bezahlt,« antwortete sie kühl. »Ich bin mir nicht ganz klar darüber, Mr. Savini, ob Sie alles, was Sie für mich unternommen haben, mir zuliebe oder für das Geld getan haben, das ich Ihnen bezahle. Sie haben Ihre eigenen Pläne, dessen bin ich ganz sicher, und Sie arbeiten mindestens ebensoviel für sich wie für mich. Aber das ist schließlich nicht meine Sache. Ich muß die Photographie sternchenland.com haben. Sie sagten, es wären auch noch andere Photographien da?«

 

»Ja, ein Bild seines Neffen,« sagte Julius. Miß Howett schaute ihn erstaunt an.

 

»Seines Neffen?« fragte sie ungläubig. »Ich wußte überhaupt nicht, daß er irgendwelche Verwandten hatte.«

 

»Ich nehme nur an, daß es sein Neffe war. Er wurde im Krieg getötet.«

 

Fay Clayton hatte ganz richtig vermutet, daß Julius eine hohe Nebeneinnahme hatte. Jede kleine Nachricht, die Valerie Howett über Bellamy und über seine Gewohnheiten erfuhr, hatte sie von dem aalglatten Savini. Die Börse der jungen Dame war auch die Goldmine, aus der Fays größere Einnahmen kamen.

 

»Auf der Rückseite der Damenphotographie war nichts zu sehen, woraus man schließen könnte, wer auf dem Bilde dargestellt war? Warum haben Sie denn die Photographie nicht genommen, als Sie damals die Gelegenheil dazu hatten?«

 

»Es tut mir auch leid, daß ich es unterließ,« sagte er bedauernd. »Aber wenn er herausgefunden hätte, daß sie nicht mehr da war, hatte er mich sofort hinausgeworfen. Ich zittere bei dem Gedanken, was dann passiert wäre.« Und Julius zitterte buchstäblich.

 

»Sie schrieben in Ihrer kurzen Mitteilung, daß der Grüne Bogenschütze wieder erschienen sei und die Hunde betäubt habe.«

 

»Er ging in Bellamys Zimmer,« sagte Julius und nickte zur Bekräftigung. »Ich kann Ihnen nur eine wichtige Mitteilung bringen, Miß Howett. Bellamy hat heute morgen an Smith geschrieben. Er sandte mich mit dem Brief sofort zur Post, damit ich ihn einschreiben lassen sollte. Nebenbei bemerkt, war das Schreiben versiegelt, und aus dem Gewicht schließe ich, daß es eine Geldsendung war. Smith bekommt mehr Geld als Creager. Ich schätze die Summe, die er monatlich sternchenland.com erhält, auf etwa hundert Pfund. Ich weiß es, weil ich letzten Monat von der Bank hundert Pfund abheben mußte. Am selben Abend kam Mr. Bellamy zu mir und fragte mich um weiteres Geld, das er für Wilks brauchte, der etwas anschaffen sollte.«

 

»Wer ist denn eigentlich der neue Hausmeister?« fragte Valerie.

 

»Ich kenne ihn nicht. Er ist ein sehr angenehmer Mensch, aber ich sehe nicht viel von ihm.«

 

Valerie dachte eine Weile nach. Sie hatte einen erfolglosen Versuch gemacht, mit dem einen Helfershelfer Bellamys in Verbindung zu kommen, und dieser Versuch hätte beinahe ein böses Ende für sie gehabt. Es stand bei ihr fest, daß Coldharbour Smith ihr die Lösung des Geheimnisses geben konnte, das sie so sehnlichst zu enthüllen wünschte.

 

»Ich möchte mehr über diesen Mann wissen,« sagte sie. »Haben Sie nichts herausgefunden, das sich auf ihn bezieht?«

 

»Nein, gar nichts. Bellamys Privatpapiere und Akten sind in dem Geldschrank eingeschlossen, und es gehört ein Sachverständiger dazu, um ihn aufzubrechen. Mr. Bellamy verwahrt den einzigen Schlüssel stets persönlich, er trägt ihn immer mit sich herum und läßt ihn niemals liegen. Ich war schon in seinem Zimmer, bevor er morgens aufstand, aber ich habe niemals den Schlüssel entdecken können. Daraus schließe ich, daß er ihn mit ins Bett nimmt.«

 

»Teilen Sie mir sofort mit, wenn sich etwas Neues ereignen sollte. Hat er neue Hunde bekommen?« fragte sie mit einem Lächeln, als sie sich erhob. »Es ist ja nun auch für Sie leichter, mir Nachrichten zukommen zu lassen, da ich in Lady’s Manor wohne. Sie brauchen nur ein kleines Briefchen über die Mauer zu werfen.«

 

Plötzlich hörten sie von draußen aufgeregte und böse Stimmen. Die Tür wurde heftig aufgerissen, und eine Frau erschien in der Öffnung. Ihr Gesicht war rot vor Zorn, ihre sternchenland.com Augen schossen Blitze, und es dauerte einige Zeit, bis sie sich soweit beherrschte, daß sie sprechen konnte. Valerie war erstaunt und entsetzt.

 

»Ich möchte nur wissen, was Sie hier mit meinem Manne zu tun haben, Miß Howett?« fragte sie mit einer schrillen Stimme, die sich überschlug.

 

»Mit Ihrem Mann?« fragte Valerie und schaute von der Frau zu Julius, der ein bedrucktes Gesicht machte.

 

»Aber meine Liebe, es ist doch alles in Ordnung. Ich habe diese Dame hier getroffen, um geschäftlich mit ihr zu verhandeln,« wandte Julius ein.

 

»Was, geschäftlich zu verhandeln?« Fay hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sah ihren Mann wütend an. »Das ist eine schöne Geschichte – du bist hierhergekommen, um über Geschäfte zu reden? Konntest du sie denn nicht in ihrem Hotel treffen? Weswegen schleichst du dich denn hier herum?«

 

Valerie hatte ihre Selbstbeherrschung wiedergewonnen.

 

»Ach, das ist Ihre Frau, Mr. Savini?« fragte sie.

 

»Was, sie fragt noch, ob ich seine Frau bin?« fuhr Fay los. »Ja, ich kann mit allem Recht sagen, daß ich es bin! Julius, du bist mir ein schöner Bursche! Er kann immer nicht kommen, um mich zu sehen, weil er so viel in Garre zu tun hat!« schrie sie aufgebracht. »Du gemeiner Lügner!«

 

»Nun höre doch zu, ich kann dir ja alles erklären! Ich war gerade auf dem Weg zu dir – ich schwöre es! Ich mußte doch mit Miß Howett erst eine geschäftliche Angelegenheit regeln.«

 

»Und dann kommt Miß Howett allein hierher, um dich in geschäftlichen Angelegenheiten zu sprechen?« fragte sie ironisch und kam aufs neue in Wut. »Geht sie denn ohne Begleitung in ein Lokal wie El Moro’s? Natürlich ist sie allein gekommen!«

 

»Selbstverständlich ist sie nicht allein gekommen!« ertönte sternchenland.com eine kräftige Männerstimme von der Tür her. »Miß Howett kam mit mir.«

 

Fay Clayton fuhr herum und wurde plötzlich ganz klein.

 

»Ach so,« sagte sie verlegen.

 

»Wir müssen doch immer zusammenstoßen, Fay,« sagte Captain Featherstone ironisch. Dann wandte er sich zu der erstaunten Valerie. »Ich wollte Sie eben fragen, wie lange Sie noch hier bleiben wollen, Miß Howett? Sie haben doch nicht vergessen, daß Sie um vier Uhr eine Verabredung haben?«

 

Valerie nahm ihren Pelz auf und folgte Jim die Treppe hinunter. Sie war bestürzt und ärgerlich, und es war echt weiblich von ihr, daß sich ihre Wut nicht gegen Julius oder seine Frau richtete, sondern gegen den Mann, der ihr wieder einmal zur rechten Zeit zu Hilfe kam.

 

Kapitel 2

 

2

 

Der Klang von Stahl gegen Stahl, das Staccato-Trommelfeuer elektrischer Nietmaschinen und Bohrer, der Höllenlärm von Hämmern und Meißeln waren eine liebliche Musik für Abel Bellamys Ohren.

 

Er stand am Fenster seines Wohnzimmers, die Hände auf dem Rücken. Unverwandt schaute er auf die andere Seite der Straße, wo sich dem Hotel gegenüber ein ungeheuer großes Gebäude im Bau befand. Das Stahlgerippe erhob sich türmhoch über die kleinen, niedrigen Häuser der Nachbarschaft zu beiden Seiten.

 

In den Straßen hatte sich eine kleine, neugierige Menschenmenge angesammelt. Ein schwerer, eiserner Träger wurde durch einen Flaschenzug an einem Drahtseil aufgewunden. Höher und höher hob der große Kran die schwere Last, die majestätisch und langsam hin- und herpendelte. Abel Bellamy brummte. Er war nicht zufrieden damit. Er wußte genau auf den Bruchteil eines Zolls, wo der richtige Aufhängungspunkt lag, und der Träger war schlecht ausbalanciert.

 

Wenn die bösen Werke der Menschen in blutiger Schrift an den Tatorten aufgezeichnet wären, wie die Alten glaubten, so würde der Name Abel Bellamys an vielen Stellen in brennendem Rot erscheinen: Auf einer kleinen Farm in Montgomery County in Pennsylvania und in einer grauen Halle im Pentonville-Gefängnis, um nur diese beiden Orte zu nennen.

 

Aber Abel Bellamy hatte keine schlaflosen Nächte wegen seiner Vergangenheit. Reue und Furcht kannte er nicht. Er hatte viel Böses getan und war damit sehr zufrieden. Die Erinnerung an das Entsetzen der Menschen, deren Leben er rücksichtslos zerbrochen hatte, an die Qualen, die er ihnen mit Vorbedacht zugefügt hatte, konnte ihm nichts anhaben. Das Bewußtsein, unschuldige Kinder in Not und Elend gestoßen sternchenland.com und eine Frau durch seinen Haß zu Tode gehetzt zu haben, nur um dem Moloch seiner Selbstsucht ein Opfer zu bringen, verursachte ihm nicht eine Sekunde lang Gewissensbisse.

 

Wenn er sich überhaupt jemals an diese Dinge erinnerte, dachte er nur mit Befriedigung daran. Es erschien ihm vollständig richtig, daß alle niedergetreten wurden, die sich ihm in den Weg stellten. Das Glück hatte ihn stets begünstigt. Mit zwanzig Jahren war er noch ein einfacher Arbeiter gewesen, mit fünfunddreißig hatte er schon eine Million Dollars zusammengebracht und mit fünfundfünfzig war dieses Vermögen verzehnfacht. Er verließ die Stadt, in der er sich heraufgearbeitet hatte, siedelte sich auf einem Adelssitz in England an und wurde der Herr einer Besitzung, die die Blüte der englischen Ritterschaft durch das Schwert erobert und mit dem Schweiß und der Furcht der Unterdrückten erbaut hatte.

 

Seit dreißig Jahren war er mächtig genug, andere zu verfolgen, und warum sollte er sich auch selbst verleugnen? Er bereute nichts und handelte ganz nach seinen Wünschen. Er war von ungewöhnlicher Körpergröße, maß über sechs Fuß und hatte noch im Alter von sechzig Jahren die Kraft eines jungen Stieres. Auf der Straße sahen sich alle Leute nach ihm um, aber nicht wegen seiner außerordentlichen Größe, sondern wegen seiner ins Auge springenden Häßlichkeit. Sein rotes Gesicht war von unzähligen Falten durchzogen, seine Nase war groß und knollenartig. Dicke Lippen umrahmten den großen Mund, dessen eine Seite etwas in die Höhe gezogen war, so daß er ständig höhnisch zu grinsen schien.

 

Er kümmerte sich nicht im mindesten um sein Aussehen und nahm es als eine Tatsache hin, wie ihm auch seine Leidenschaften etwas Selbstverständliches waren.

 

Das war Abel Bellamy aus Chicago, der jetzt in Garre Castle in Berkshire wohnte. Ein Mann, der weder Liebe noch Mitleid kannte.

 

sternchenland.com Noch immer stand er an dem großen Fenster seines Hotels und beobachtete die Bauarbeiten. Wer der Erbauer oder was das für ein Bauwerk war, wußte er nicht und kümmerte sich auch nicht darum. Aber einen Augenblick schien es ihm, als ob die Männer, die sich drüben auf schmalen, gefährlichen Stegen bewegten, seine eigenen Arbeitsleute seien. Er stieß einen halbunterdrückten Fluch aus, als sein wachsames Auge eine Gruppe von drei Schmieden entdeckte, die von dem Polier nicht gesehen werden konnten und müßig umherstanden.

 

Plötzlich schaute er wieder auf den großen hängenden Träger und witterte sofort die Gefahr. Er hatte den Unfall, der sich jetzt ereignete, vorausgesehen. Das freie Ende des Doppel-T-Trägers schwang nach innen und schlug gegen ein Gerüst, auf dem zwei Leute arbeiteten. Er konnte das Krachen trotz des lärmenden Straßenverkehrs deutlich hören, er sah einen Augenblick einen Mann, der sich verzweifelt am Gerüst festhielt, dann in die Tiefe stürzte und in dem großen Wirrwarr von Ziegelhaufen und Mörtelmaschinen hinter dem großen hohen Arbeitszaun verschwand.

 

»Hm!« sagte Abel Bellamy.

 

Er war gespannt, was der Bauunternehmer wohl jetzt tun würde. Wie mochten die Gesetze dieses Landes sein, in dem er sich seit sieben Jahren niedergelassen hatte? Wenn es sein Bau gewesen wäre, würde er seinen Rechtsanwalt losgeschickt haben, um die Witwe aufzusuchen, bevor sie die Nachricht erreichen konnte, und sie zu veranlassen, alle ihre Anforderungen aufzugeben, ehe sie den Betrug wirklich gemerkt hätte. Aber diese Engländer waren dazu viel zu langsam.

 

Die Tür des Wohnzimmers öffnete sich, und er wandte sich um. Julius Savini war schon daran gewöhnt, nur durch ein Brummen gegrüßt zu werden, aber er merkte, daß er heute etwas mehr abbekommen würde als den gewöhnlichen Rüffel, der sein regelmäßiger Morgengruß war.

 

»Savini, ich habe seit sieben Uhr auf Sie gewartet. sternchenland.com Wenn Sie Ihre Stellung behalten wollen, will ich Sie wenigstens vor Mittag sehen. Haben Sie mich verstanden?«

 

»Es tut mir sehr leid, Mr. Bellamy, aber ich sagte Ihnen bereits gestern abend, daß ich heute später kommen würde. Ich bin erst vor ein paar Minuten von außerhalb zurück.«

 

Die Haltung und die Stimme Savinis waren sehr unterwürfig. Er war schon ein ganzes Jahr Bellamys Privatsekretär und hatte gelernt, daß es zwecklos war, seinem Herrn zu widersprechen.

 

»Würden Sie einen Vertreter vom ›Globe‹ empfangen?« fragte er.

 

»Einen Zeitungsmenschen?« sagte Abel Bellamy verächtlich. »Sie wissen doch, daß ich niemals solche Leute empfange. Was will er? Wie heißt er denn?«

 

»Es ist Spike Holland, ein Amerikaner,« antwortete Julius, als ob er um Entschuldigung bitten wollte.

 

»Deswegen ist er mir nicht angenehmer,« brummte Bellamy. »Sagen Sie ihm, daß ich ihn nicht empfangen kann. Ich kümmere mich überhaupt nicht darum, was in den Zeitungen steht. Weshalb kommt er denn? Sie sind doch mein Sekretär!«

 

Julius machte eine Verlegenheitspause, bevor er antwortete.

 

»Er kommt wegen des Grünen Bogenschützen.«

 

Abel Bellamy fuhr wild herum.

 

»Wer hat denn etwas über den Grünen Bogenschützen ausgeplaudert? Das können doch nur Sie Esel gewesen sein!«

 

»Ich habe mit keinem Zeitungsmann gesprochen,« sagte Julius mürrisch. »Was soll ich ihm denn sagen?«

 

»Sagen Sie ihm, er soll sich zum – na, lassen Sie ihn meinetwegen heraufkommen.«

 

sternchenland.com Bellamy hatte sich schnell überlegt, daß der Journalist wahrscheinlich irgendeine Geschichte erfinden würde, wenn er ihn nicht empfing, und er hatte gerade genug von den Zeitungen. Hatte nicht neulich solch ein Blatt den ganzen Lärm in Falmouth inszeniert?

 

In diesem Augenblick führte Julius den Besucher herein.

 

»Ihre Anwesenheit ist nicht notwendig,« fuhr Bellamy seinen Sekretär an. Als Savini gegangen war, brummte er: »Nehmen Sie sich eine Zigarre.«

 

Er stieß die Zigarrenkiste mit einem heftigen Ruck über den Tisch, wie wenn er einem Hund einen Knochen hinwürfe.

 

»Danke,« sagte Mr. Spike Holland, »ich rauche niemals Millionärzigarren. Ich bin nachher nur mit meinen unzufrieden.«

 

»Nun, was wollen Sie?« fragte Bellamy rauh und betrachtete Spike mit zusammengekniffenen Augen.

 

»Man erzählt sich da eine Geschichte, daß ein Geist in Garre Castle umgeht – ein Grüner Bogenschütze –«

 

»Das ist eine gemeine Lüge!« erwiderte Bellamy viel zu schnell und viel zu prompt. Hätte er sich dieser Äußerung gegenüber gleichgültig gezeigt, so hätte er Spike wahrscheinlich täuschen können. Aber die Schnelligkeit, mit der er alles ableugnete, machte dem Zeitungsmann die Geschichte sofort interessant.

 

»Wer hat Ihnen denn das erzählt?« fragte Bellamy.

 

»Wir haben es aus einer ganz sicheren Quelle.« Spike war vorsichtig. »Man hat uns mitgeteilt, daß der Grüne Bogenschütze von Garre in dem Schloß gesehen wurde und offensichtlich in Ihrem Zimmer aus- und eingegangen ist.«

 

»Ich sagte Ihnen doch, daß das gelogen ist!« Abel Bellamys Stimme hatte einen verletzenden und beleidigenden Ton. »Diese verrückten englischen Dienstboten haben nichts anderes zu tun, als sich nach Geistern umzusehen! Es stimmt, daß ich die Tür meines Schlafzimmers eines Nachts offen sternchenland.com fand, aber ich habe vermutlich vergessen, sie zu schließen. Wer hat Ihnen denn diese Auskunft gegeben?«

 

»Wir haben die Nachricht von drei verschiedenen Seiten,« log Spike frech darauf los. »Und alle drei Berichte ergänzen sich, Mr. Bellamy,« meinte er lächelnd, »es wird schon was daran sein. Außerdem erhöht doch so eine Geistererscheinung den Wert einer Burg oder eines Schlosses!«

 

»Da sind Sie aber sehr im Irrtum,« erwiderte Abel Bellamy, der die günstige Gelegenheit wahrnahm, das Thema zu ändern. »Es bringt eine solche Besitzung nur in schlechtes Gerede. Wenn Sie auch nur eine Zeile von Geistern und Gespenstern in Ihre Zeitung setzen, dann werde ich gerichtlich gegen Sie vorgehen – denken Sie daran, junger Mann!«

 

»Es ist möglich, daß auch der Geist noch irgend etwas unternimmt,« sagte Spike äußerst liebenswürdig.

 

Er ging die Treppe hinunter und war sich noch nicht klar, was er tun sollte.

 

Abel Bellamy war nicht der gewöhnliche Millionär, der sich in England ansiedelt und dann von selbst in der englischen Gesellschaft Zutritt findet. Er war von niederer Herkunft, nur halb gebildet und ohne irgendwelchen gesellschaftlichen Ehrgeiz.

 

Als Spike in die Hotelhalle eintrat, fand er Julius, der mit einem großen Herrn mit grauem Bart sprach, der dem besseren Handwerkerstand anzugehören schien. Julius gab Holland ein Zeichen, zu warten.

 

»Sie wissen, in welchem Zimmer er ist, Mr. Creager? Mr. Bellamy erwartet Sie.«

 

Als der Mann gegangen war, wandte sich Julius an den Reporter.

 

»Nun, was hat er gesagt, Holland?«

 

»Er hat die ganze Geschichte abgestritten. Aber in allem Ernst, Savini, ist etwas daran?«

 

Julius zuckte die schmalen Schultern.

 

sternchenland.com »Ich weiß nicht, woher Sie die ganze Geschichte haben und Sie können sich darauf verlassen, daß ich Ihnen unter keinen Umstanden etwas erzähle. Der Alte hat mir sowieso die Hölle heiß gemacht, weil er dachte, ich hätte Ihnen den Tip gegeben!«

 

»Dann stimmt die Geschichte also. Irgendein grauenerregendes Gespenst hat in Ihren Mauern herumgespukt. Hat es auch irgendwie mit Ketten gerasselt?«

 

Julius schüttelte den Kopf.

 

»Von mir werden Sie nichts herausbekommen, Holland. Ich kann höchstens meine Stellung dadurch verlieren.«

 

»Wer war denn der Mensch, den Sie eben hinaufgeschickt haben? Er sah aus wie ein Polizist.«

 

Julius grinste.

 

»Er hat genau dieselbe Frage über Sie an mich gestellt, als Sie herunterkamen. Er heißt Creager und ist ein –« Er zögerte. »Nun ja, ich will nicht gerade sagen, Freund, er ist so eine Bekanntschaft von dem Alten. Wahrscheinlich bezieht er eine Art Pension von ihm. Er kommt in regelmäßigen Zwischenräumen, und ich bilde mir ein, daß er nicht umsonst erscheint. Bis der andere herunterkommt, ruft mich Bellamy sicher nicht. Kommen Sie und trinken Sie einen Cocktail mit mir.«

 

Spike schüttelte den Kopf.

 

Während sie noch sprachen, kam Creager zur sichtlichen Überraschung von Julius die Treppe wieder herunter. Er sah böse und verbissen aus.

 

»Er will mich nicht vor zwei Uhr sehen,« sagte er mit unterdrückter Wut. »Glaubt er denn, daß ich auf ihn warte? Wenn er sich das einbildet, irrt er sich gewaltig! Sagen Sie ihm das nur, Mr. Savini.«

 

»Was ist denn los?« fragte Julius.

 

»Er sagte zwei Uhr. Gebe ich zu. Aber ich bin doch nun sternchenland.com in die Stadt gekommen, – warum sollte ich denn bis zum Nachmittag warten? Warum kann er mich nicht vormittags empfangen?« fragte Creager wütend. »Er behandelt mich wie einen Hund, er glaubt, er hat mich so –« Er machte eine bezeichnende Geste mit dem abwärts gerichteten Daumen. »Außerdem tobt er über einen Zeitungsreporter – das sind Sie wohl, wenn ich nicht irre.«

 

»Das stimmt genau,« entgegnete Spike.

 

»Also Sie können ihm sagen,« wandte sich Creager wieder am Julius und tippte dem jungen Mann mit dem Finger auf die Brust, um seinen Worten mehr Nachdruck zu geben, »daß ich um zwei Uhr komme. Und ich werde eine lange Unterredung mit ihm haben oder ich werde mich selbst mit einem Zeitungsreporter ein wenig unterhalten.«

 

Mit dieser Drohung ging er fort.

 

»Savini,« sagte Spike sanft, »ich wittere eine gute Geschichte!«

 

Aber Savini sprang die Treppe hinauf und nahm immer zwei Stufen zu gleicher Zeit, um schnell zu seinem aufgebrachten Herrn zu kommen.

 

Kapitel 1

 

1

 

Spike Holland schrieb das letzte Wort seines Artikels und zog zwei dicke Linien quer über die Seite, um damit den Schluß des Aufsatzes anzudeuten. Dann warf er seine Feder wütend fort. Der Halter blieb zitternd im Fensterrahmen stecken.

 

»Keine unwürdige Hand soll jemals wieder dies Schreibinstrument berühren, das meine phantasievollen Gedanken zu Papier brachte,« sagte er zornig.

 

Der andere Reporter schaute auf. Sie waren beide allein in dem Raum.

 

»Was haben Sie denn für einen schönen Artikel geschrieben, Spike?«

 

»Einen Bericht über die gestrige Hundeschau,« erwiderte Spike eisig. »Ich verstehe von Hunden nur so viel, daß das eine Ende bellt und das andere wedelt. Aber der verfluchte Syme hat mich auf die Geschichte gehetzt. Obendrein hat er mir noch gesagt, daß sich ein Kriminalist mit Bluthunden anfreunden müsse! Der Mann ist nicht ganz richtig im Kopf. Er sieht nichts so, wie es wirklich ist, er lebt in einer Welt von Vorstellungen, die er sich selbst zurechtgelegt hat. Kommt man ihm mit der funkelnagelneuen Geschichte eines großartigen Bankraubes, dann springt er einem mit der Zumutung ins Gesicht, man solle einen Artikel darüber schreiben, was Bankdirektoren gern zu Mittag essen!«

 

Der andere schob seinen Stuhl zurück.

 

»Hierzulande finden Sie fast nur solche Einstellung. Ich möchte beinahe sagen, daß unsere Landsleute im Vergleich zu den Amerikanern verrückte Dickschädel sind.«

 

»Sie können jede Wette darauf eingehen, daß das nicht stimmt,« unterbrach ihn Spike schnell. »Die Leute am grünen Redaktionstisch sind eine Rasse für sich, sie sind von Natur aus vollständig unfähig, das Leben vom Standpunkt eines Berichterstatters zu sehen. Das heißt, sie haben irgendwie ein sternchenland.com minderwertiges Gehirn. Jawohl, mein Herr, das ist ganz gleich, ob sie in den Vereinigten Staaten oder in England leben, das macht gar keinen Unterschied – sie haben alle einen Klaps!«

 

Er seufzte tief, lehnte sich in den Stuhl zurück und legte seine Füße auf den Tisch. Spike war noch jung. Sein sommersprossiges Gesicht zeigte gesunde Farbe und seine rötlichen Haare hingen etwas wirr durcheinander.

 

»Hunde-Ausstellungen sind sicher sehr interessant –« begann er gerade wieder, als plötzlich die Tür heftig aufgerissen wurde und ein Mann hereinschaute. Er war in Hemdärmeln und trug eine außergewöhnlich große Hornbrille.

 

»Spike … brauche Sie. Haben Sie was zu tun?«

 

»Ich bin gerade im Begriff, Wood aufzusuchen, den Mann mit den Kinderhäusern – ich habe eine Verabredung zum Essen mit ihm.«

 

»Der kann warten.«

 

Er winkte und Spike folgte ihm in sein kleines Bureau.

 

»Kennen Sie Abel Bellamy aus Chicago … den Millionär?«

 

»Abel? Ja … ist er tot?« fragte Spike hoffnungsfroh. »Aus dem Kerl kann man nur eine gute Geschichte drehen, wenn er das Zeitliche gesegnet hat.«

 

»Kennen Sie ihn gut?« fragte der Redakteur.

 

»Ich weiß, daß er aus Chicago stammt, Millionen beim Bauen verdient hat und ein furchtbar grober Kerl ist. Er lebt schon seit acht oder neun Jahren in England, glaube ich … er bewohnt eine richtige Burg … und hat einen tauben Chinesen als Chauffeur –«

 

»Das Zeug weiß ich auch schon. Was ich wissen will, ist nur: Gehört Bellamy zu der Sorte Menschen, die gern von sich reden machen? … Mit anderen Worten: Ist der Grüne Bogenschütze wirklich ein Gespenst oder eine Erfindung?«

 

»Ein Gespenst?«

 

Syme nahm einen Briefbogen und reichte ihn dem erstaunten sternchenland.com Amerikaner über den Tisch. Die Mitteilung war augenscheinlich von jemand geschrieben, dem die Regeln der englischen Sprache tief verborgene Mysterien waren.

»Liberr Herr,

Der grüne Bogenschütze is wider da in Schlos Garre. Mr. Wilks, der Hausmeister hat ihm geseen. Liber Herr der grüne Bohgenschitze is in Mr. Bellamys Zimmer gekommen und hat die Türe offen gelassen. Alle Dinstleute gehn wech. Mr. Bellamy sacht er schmeist alle raus die davon sprechen aber sie geen alle wech.«

»Und wer zum Donnerwetter ist denn der Grüne Bogenschütze?« fragte Spike erstaunt.

 

Mr. Syme rückte seine Brille zurecht und lächelte. Spike war ganz verdutzt, daß er etwas so Menschliches tun konnte.

 

»Der Grüne Bogenschütze von Garre Castle war früher einmal die berühmteste Geistererscheinung Englands. Lachen Sie nicht, Spike, es ist kein Märchen. Der wirkliche grüne Bogenschütze wurde von einem de Curcy – dieser Familie gehörte früher Garre Castle – im Jahre 1487 gehängt.«

 

»Sehen Sie mal an! Daß Sie sich darauf noch besinnen können!« sagte Spike voll Hochachtung.

 

»Ziehen Sie die Sache nicht ins Lächerliche! Er wurde gehängt, weil er gewildert hatte. Heute noch können Sie den Eichenbalken sehen, an dem er hing. Seit Jahrhunderten ist er in Garre umgegangen, das letztemal wurde er 1799 gesehen. In Berkshire kennt jedes Kind die Geschichte. Diesen Brief hat offenbar ein Dienstmädchen geschrieben, das hinausgeworfen wurde oder aus Furcht freiwillig den Dienst verließ. Jedenfalls geht daraus hervor, daß unser grüner Freund irgendwie wieder auf der Bildfläche erschienen ist.«

 

Spike zog die Stirne kraus und schob die Unterlippe vor.

 

»Jedes Gespenst, das Abel Bellamy zum Besten hat, soll sich nur vor ihm in acht nehmen. Ich vermute aber, daß die sternchenland.com ganze Sache halb Märchen und halb hysterische Einbildung ist. Soll ich wirklich zu Abel hingehen?«

 

»Gehen Sie zu ihm und überreden Sie ihn, daß er Sie eine Woche lang in seiner Burg wohnen läßt.«

 

Spike schüttelte energisch den Kopf.

 

»Da kennen Sie ihn schlecht. Wenn ich ihm mit einer solchen Zumutung komme, wirft er mich sofort hinaus. Aber ich werde zu seinem Sekretär, dem Savini, gehen. Der ist ein Mischblut oder so etwas Ähnliches – möglich, daß der mir helfen kann. Aber bisher scheint der Grüne Bogenschütze doch nicht mehr angestellt zu haben, als daß er die Tür in Abels Zimmer offenstehen ließ?«

 

»Also sehen Sie zu, was Sie bei Bellamy erreichen können – erfinden Sie irgend etwas, um in sein Schloß hineinzukommen. Nebenbei bemerkt hat er eine Unsumme dafür gezahlt. Und dann suchen Sie so unter der Hand die ganze Geschichte herauszubringen. Eine gute sensationelle Geistergeschichte haben wir schon seit Jahren nicht mehr drucken können. Außerdem hindert Sie ja gar nichts daran, mit Wood zu speisen, denn die Geschichte über den brauche ich auch. Wo werden Sie denn zu Mittag essen?«

 

»Im Carlton. Wood ist nur ein paar Tage in London und fährt heute abend nach Belgien zurück.«

 

Der Redakteur nickte.

 

»Das paßt ja gut. Bellamy wohnt auch im Carlton-Hotel. Da können Sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.«

 

Spike trollte sich zur Tür.

 

»Gespenstergeschichten und Kleinkinderbewahranstalten!« rief er vorwurfsvoll und bitter. »Und ich bin doch schon so lange scharf auf eine ordentliche Mordgeschichte mit allen Schikanen! Aber ich weiß schon, diese Zeitung braucht keinen Kriminalisten, die braucht nur einen Märchenerzähler.«

 

»Da sind Sie ja gerade der richtige Mann!« sagte Syme und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. sternchenland.com