Die Rückkehr

Athos und Aramis hatten den ihnen von d’Artagnan bezeichneten Weg eingeschlagen und waren so schnell als möglich gereist. Es schien ihnen besser, in der Nähe von Paris, als fern von der Hauptstadt verhaftet zu werden.

Da sie fürchteten, dies könnte bei Nacht geschehen, machten sie jeden Abend das verabredete Wiedererkennungszeichen an die Wand oder an die Fensterscheiben; aber jeden Morgen erwachten sie zu ihrem großen Erstaunen noch frei.

Je näher sie Paris kamen, desto mehr verschwanden die großen Ereignisse, denen sie beigewohnt hatten, und durch die eine Umwälzung in England vorgegangen war, wie im Traume, während im Gegenteil die, welche in ihrer Abwesenheit Paris und die Provinz in Bewegung gesetzt hatten, ihnen immer mehr entgegentraten.

In den sechs Wochen ihrer Abwesenheit hatten sich in Frankreich so viele kleine Dinge begeben, daß diese beinahe ein großes Ereignis bildeten. Als die Pariser eines Morgens ohne Königin und ohne König erwachten, waren sie gar sehr aufgebracht, daß sie auf diese Weise verlassen wurden, und die so lebhaft gewünschte Entfernung Mazarins entschädigte durchaus nicht für die Abwesenheit der zwei erhabenen Flüchtlinge.

Im ersten Gefühl des Schreckens beschloß das Parlament, eine Abordnung zu senden, die die Königin um ihre Rückkehr bitten sollte. Die Königin antwortete mit gesteigertem Hochmut, wenn das Parlament sich nicht vor der königlichen Majestät demütige und in allen Fragen, welche den Zwiespalt herbeigeführt, nachgebe, so werde Paris am andern Tage belagert werden.

Diese drohende Antwort beleidigte den Stolz des Parlaments, das im Gefühl einer kräftigen Unterstützung von seiten der Bürgerschaft das Ultimatum des Hofes dahin beantwortete, daß es Mazarin als den notorischen Urheber aller dieser Unruhen betrachten müsse, ihn als Feind des Königs und des Staates erkläre und ihm befehle, sich noch an demselben Tage von dem Hof und im Verlauf von acht Tagen aus Frankreich zu entfernen; würde er nach Ablauf dieser Frist nicht gehorchen, so wären dadurch alle Untertanen des Königs verpflichtet, ihm an den Leib zu gehen.

Durch diese energische Antwort, die der Hof entfernt nicht erwartet hatte, waren Paris und Mazarin zugleich bedroht. Es fragte sich jetzt nur, wer den Sieg davontragen würde, das Parlament oder der Hof.

Der Hof traf nun seine Vorkehrungen zum Angriff, Paris zur Verteidigung. Die Bürger waren guten Muts, als sie sahen, daß ihnen, unter Anführung des Koadjutors, der Prinz von Conti, Bruder des Prinzen von Condé, und der Herzog von Longueville, sein Schwager, zu Hilfe kamen. Von nun an waren sie beruhigt, denn sie hatten Prinzen von Geblüt und überdies den Vorteil der Zahl auf ihrer Seite. Diese unerwartete Hilfe war den Parisern am 10. Januar zugekommen.

Nach einer stürmischen Verhandlung wurde der Prinz von Conti zum Generalissimus der Armee von Paris ernannt, mit den Herzögen Elboeuf und Bouillon und dem Marschall de la Mothe als Generalleutnants. Der Herzog von Longueville begnügte sich, ohne Titel und Amt seinem Schwager beizustehen.

Herr von Beaufort war aus Vendome angelangt und hatte, wie die Chronik sagt, seine vornehme Miene, schöne lange Haare und jenes volkstümliche Wesen mitgebracht, das ihm das Königtum der Hallen eintrug.

So kamen die ersten Tage des Februar heran, und am ersten dieses Monats geschah es, daß unsere vier Gefährten in Boulogne landeten und auf verschiedenen Wegen ihre Reise nach Paris antraten.

Gegen das Ende des vierten Marschtages vermieden Athos und Aramis vorsichtig Nanterre, um nicht in die Hände der Partei der Königin zu fallen, da sie zunächst den am Fuße des Schafotts empfangenen Auftrag zu Füßen der Königin Henriette auszuführen sich verpflichtet fühlten.

Unsere Reisenden fanden die Vorstädte sehr gut bewacht; ganz Paris war bewaffnet. Die Schildwache weigerte sich, die zwei Edelleute einzulassen, und rief ihren Sergeanten.

Der Sergeant kam sogleich heraus und fragte sie mit aller Wichtigkeit aus, welche Bürger anzunehmen pflegen, wenn sie durch Zufall eine militärische Würde erhalten haben.

Als sie erklärten, an die Königin Henriette eine Botschaft zu haben, sagte der Sergeant, es seien bereits drei Edelleute im Wachzimmer, deren Pässe man visiere. Auch unsere Freunde wurden, da sie gar keine Pässe besaßen, und der Sergeant den Fall dem Anführer des Postens vorlegen wollte, in die Wachstube geführt. Diese war ganz voll von Bürgern und Leuten aus dem Volke. Die einen spielten, die andern tranken, und wieder andere hielten Reden. In einer Ecke und, wie es schien, streng bewacht, waren die drei zuerst angekommenen Edelleute, deren Pässe der Offizier visierte. Dieser Offizier befand sich in einem anstoßenden Zimmer.

Die Neuangekommenen und die drei Edelleute in der Ecke warfen einander einen raschen, forschenden Blick zu. Die letzteren waren mit langen Mänteln bedeckt, in deren Falten sie sich sorgfältig hüllten. Der eine von ihnen, der kleiner als die beiden andern war, hielt sich im Schatten zurück.

Als der Sergeant bei seinem Eintritt meldete, er bringe wahrscheinlich Mazariner, horchten die drei Edelleute aufmerksam. Der Kleinste, der zwei Schritte vorwärts gemacht hatte, machte sofort einen zurück und befand sich wieder im Schatten.

Auf die Mitteilung, daß die Neuangekommenen keine Pässe hatten, schien die einstimmige Meinung der Wachtmannschaft dahin zu gehen, sie würden keinen Eintritt erlangen.

Meine Herren, sagte Athos, die Sache ist auf einfachstem Wege zu ordnen: man schicke unsere Namen Ihrer Majestät der Königin von England, und wenn sie sich für uns verbürgt, werdet ihr hoffentlich keinen Anstand nehmen, uns freien Durchgang zu gestatten.

Bei diesen Worten verdoppelte sich die Aufmerksamkeit des im Schatten verborgenen Herrn, und er machte sogar eine so ungestüme Bewegung des Erstaunens, daß sein Hut, von dem Mantel gestreift, in den er sich noch sorgfältiger als zuvor hüllte, auf den Boden fiel; er bückte sich und hob ihn rasch auf.

Oh! mein Gott, sprach Aramis, Athos mit dem Ellenbogen stoßend, habt Ihr gesehen?

Was? fragte Athos.

Das Gesicht des kleinsten von den drei Edelleuten.

Nein.

Es kam mir vor … aber das ist unmöglich.

In diesem Augenblick kam der Sergeant, der in das Nebenzimmer gegangen war, um die Befehle des Offiziers einzuholen, wieder heraus und sagte, die drei Edelleute bezeichnend, denen er ein Papier übergab: Die Pässe sind in Ordnung. Laßt diese drei Herren ihres Wegs gehen.

Die drei Edelleute machten ein Zeichen mit dem Kopfe und beeilten sich, die Erlaubnis und den Weg zu benützen, der sich auf den Befehl des Sergeanten vor ihnen öffnete. Aramis folgte ihnen mit seinen Blicken, und im Augenblick, wo der Kleinste an ihm vorüberkam, drückte er Athos lebhaft die Hand und sagte dabei zum Sergeanten:

Sagt mir, kennt Ihr die drei Herren, die soeben weggegangen sind?

Ich kenne sie nur nach ihrem Passe; es sind die Herren von Flamarens, von Chatillon und von Bruy, drei Edelleute von der Fronde, die den Herzog von Longueville aufsuchen.

Das ist seltsam, sagte Aramis, mehr seinem eigenen Gedanken, als dem Sergeanten antwortend, ich glaubte Mazarin selbst zu erkennen.

Der Sergeant brach in ein Gelächter aus.

Er sollte sich unter uns wagen, um gehenkt zu werden? So dumm ist er nicht!

Ich kann mich getäuscht haben, murmelte Aramis. Ich habe nicht das unfehlbare Auge d’Artagnans.

Wer spricht hier von d’Artagnan? fragte der Offizier, der in diesem Augenblick selbst auf der Schwelle des Zimmers erschien. – Ah? rief Grimaud, die Augen weit aufreißend. – Was? fragten Aramis und Athos gleichzeitig. – Planchet! versetzte Grimaud. Planchet mit dem Offizierskragen. – Die Herren de la Fère und d’Herblay wieder in Paris! rief der Offizier, oh, welche Freude für mich, denn ohne Zweifel tretet ihr in Verbindung mit den Herren Prinzen. – Wie du siehst, mein lieber Planchet, erwiderte Aramis, während Athos lächelte, da er sah, welchen hohen Grad der ehemalige Kamerad von Mousqueton, Bazin und Grimaud in der Bürger-Miliz einnahm. – Und Herr d’Artagnan, von dem Ihr soeben spracht, Herr d’Herblay, habt Ihr Kunde von ihm? – Wir verließen ihn vor vier Tagen, und alles ließ uns glauben, er werde vor uns in Paris angekommen sein. – Nein, mein Herr, ich weiß gewiß, daß er nicht in die Hauptstadt zurückgekehrt ist; er mag wohl in Saint-Germain geblieben sein.– Ich glaube nicht, wir haben uns in die Rehziege zusammenbestellt. – Ich bin selbst heute dort gewesen. – Und die schöne Madeleine hatte keine Nachricht von ihm? fragte Aramis lächelnd. – Nein, mein Herr, und ich kann Euch sogar nicht verbergen, daß sie sehr in Unruhe war. – Im ganzen, sprach Aramis, ist noch keine Zeit verloren, denn wir haben uns sehr beeilt. Erlaubt mir also, mein lieber Athos, daß ich, ohne mich weiter nach unserem Freund zu erkundigen, Herrn Planchet mein Kompliment mache. – Ah, Herr Chevalier, sprach Planchet, sich verbeugend. – Leutnant? versetzte Aramis. – Leutnant mit der Aussicht auf Kapitänsrang. – Das ist sehr schön, sprach Aramis; und wie sind Euch alle diese Ehren zu teil geworden? – Ihr wißt vor allem, meine Herren, daß ich die Rettung des Herrn von Rochefort bewerkstelligt habe. – Ja, bei Gott, er soll uns diese Geschichte erzählen. – Und wie ist’s mit Herrn Raoul von Bragelonne? fragte Athos mit bewegter Stimme. D’Artagnan sagte mir, er habe ihn Euch, mein guter Planchet, bei seiner Abreise empfohlen. – Ja, Herr Graf, als ob es sein eigener Sohn wäre, und ich darf wohl sagen, daß ich ihn nicht einen Augenblick aus dem Gesicht verloren habe. – Er befindet sich also wohl? sagte Athos, vor Freude bebend. Es ist ihm kein Unfall begegnet? – Keiner, Herr. – Und er wohnt? – Immer noch im Grand-Charlemagne. – Er verbringt seine Tage … – Bald bei der Königin von England, bald bei Frau von Chevreuse. Er und der Graf von Guiche verlassen sich nicht. – Ich danke, Planchet, ich danke, sagte Athos, ihm die Hand reichend. – Und nun, meine Herren, erwiderte Planchet, was gedenkt ihr zu tun? – Wir wollen nach Paris hinein, wenn Ihr uns die Erlaubnis dazu gebt, mein lieber Planchet, sprach Athos. – Wenn ich euch die Erlaubnis dazu gebe? Ihr spottet meiner. Ich bin nichts, als euer Diener.

Und er verbeugte sich. Dann sich gegen seine Leute umwendend, sprach er:

Laßt diese Herren passieren, ich kenne sie, es sind Freunde des Herrn von Beaufort.

Es lebe Herr von Beaufort! rief einstimmig der ganze Posten und öffnete Athos und Aramis den Weg.

Der Sergeant allein näherte sich Planchet und murmelte ihm zu:

Nehmt Euch in acht, Kapitän, einer von den drei Männern, die soeben weggegangen sind, sagte mir leise, ich solle diesen Herren mißtrauen.

Und ich, sprach Planchet majestätisch, ich kenne sie und verbürge mich für sie.

Nach diesen Worten drückte er Grimaud die Hand, der sich durch diese Auszeichnung sehr geehrt zu fühlen schien.

Auf Wiedersehen also, Kapitän, sagte Aramis mit seinem spöttischen Tone; wenn uns etwas begegnen sollte, so würden wir unsere Zuflucht zu Euch nehmen.

Mein Herr, hierin, wie in allen Dingen, bin ich Euer Diener, erwiderte Planchet.

Der Bursche hat Witz und zwar viel, sagte Aramis, zu Pferde steigend.

Wie könnte er keinen Witz haben, versetzte Athos, sich ebenfalls in den Sattel schwingend, nachdem er so lange die Hüte seines Herrn gebürstet hat?

Die Gesandten

Die zwei Freunde begaben sich sogleich auf den Weg und bemerkten bald zu ihrem großen Erstaunen, daß die Straßen von Paris in Flüsse und die Plätze in Seen verwandelt waren. Infolge der großen Regen, die im Monat Januar stattgefunden hatten, war die Seine ausgetreten, und der Strom hatte zuletzt die halbe Stadt überschwemmt.

Athos und Aramis drangen mutig mit ihren Pferden in das Gewässer. Bald aber ging es den armen Tieren bis an die Brust, und die zwei Edelleute mußten sich entschließen, sie zu verlassen und eine Barke zu nehmen, nachdem sie den Lakaien Befehl gegeben hatten, sie in den Hallen zu erwarten.

Sie gelangten also zu Schiff an den Louvre. Es war finstere Nacht. So beim Schimmer einiger bleichen, zitternden Laternen gesehen, mit seinen Barken, die von Patrouillen mit glänzenden Waffen besetzt waren, mit dem Geschrei der Wachen, die sich in der Finsternis an den Toren anriefen, bot Paris einen Anblick, von dem Aramis bei seiner großen Empfänglichkeit für kriegerische Empfindungen geblendet wurde.

Bei der Königin mußten sie im Vorzimmer warten, da Ihre Majestät in diesem Augenblick Edelleuten, die Nachrichten von England brachten, Audienz erteilte.

Auch wir, sagte Athos zu dem Diener, der ihm diese Antwort gab, wir bringen nicht nur Nachrichten von England, sondern wir kommen gerade daher.

Wie heißt ihr denn? fragte der Diener.

Der Herr Graf de la Fère und der Chevalier d’Herblay, erwiderte Aramis.

Ah, dann, meine Herren, versetzte der Diener, als er diese Namen hörte, welche die Königin so oft in ihrer Hoffnung ausgesprochen hatte, dann ist es etwas anderes, und ich glaube, Ihre Majestät würde mir nie vergeben, wenn ich euch nur einen Augenblick hätte warten lassen. Folgt mir also, ich bitte euch.

Und er ging Athos und Aramis voran.

Als man zu dem Zimmer gelangte, in dem sich die Königin aushielt, bedeutete er ihnen durch ein Zeichen, sie möchten warten. Dann öffnete er die Tür und sprach: Madame, ich hoffe, Eure Majestät wird mir vergeben, daß ich gegen ihre Befehle ungehorsam gewesen bin, wenn sie erfährt, daß die, welche ich zu melden habe, der Graf de la Fère und der Chevalier d’Herblay sind.

Bei diesen Namen stieß die Königin einen Freudenschrei aus, den die Edelleute auf der Stelle, wo sie standen, hören konnten.

Arme Königin! murmelte Athos.

Sie mögen hereinkommen! rief die junge Prinzessin, nach der Tür eilend.

Das arme Kind verließ seine Mutter nie und suchte sie durch seine kindliche Sorge für die Abwesenheit seiner zwei Brüder und seiner Schwester zu entschädigen.

Tretet ein, tretet ein, meine Herren, sprach die Prinzessin, selbst die Tür öffnend.

Athos und Aramis erschienen. Die Königin saß in einem Lehnstuhl, und vor ihr standen zwei von den drei Edelleuten, die sie in der Wachtstube getroffen hatten.

Es waren die Herren von Flamarens und Gaspard von Coligny, Herzog von Chatillon, Bruder dessen, der sieben oder acht Jahre vorher in einem Duell, das wegen Frau von Longueville stattfand, auf der Place Royale getötet worden.

Als man die zwei Freunde meldete, traten sie einen Schritt zurück und wechselten mit sichtbarer Unruhe leise ein paar Worte.

Nun, meine Herren, rief die Königin von England, als sie Athos und Aramis erblickte, endlich seid ihr hier, treue Freunde! Aber die Staatskuriere gehen noch schneller, als ihr. Der Hof war von den Londoner Ereignissen in dem Augenblick unterrichtet, wo ihr die Tore von Paris erreichtet. Und hier sind die Herren von Flamarens und Chatillon, die mir im Auftrag Ihrer Majestät der Königin Anna von Österreich die neuesten Nachrichten bringen.

Aramis und Athos schauten sich an. Die Ruhe, ja die Freude, die in den Augen der Königin glänzte, versetzte sie in Erstaunen.

Habt die Güte fortzufahren, sprach sie, sich an die Herren Flamarens und Chatillon wendend. Ihr sagtet also, man habe Seine Majestät Karl I., meinen Gemahl, trotz der Wünsche der Mehrzahl seiner Untertanen zum Tode verurteilt?

Ja, Madame, stammelte Chatillon.

Athos und Aramis schauten sich immer erstaunter an.

Und auf das Schafott geführt? fuhr die Königin fort, auf das Schafott! Oh, mein Herr! Oh mein König! … Und vom Schafott sei er von dem entrüsteten Volke gerettet worden?

Ja, Madame, antwortete Chatillon, aber mit so leiser Stimme, daß die beiden Edelleute die Bestätigung kaum hören konnten.

Die Königin faltete die Hände mit edler Dankbarkeit, während ihre Tochter einen Arm um den Hals ihrer Mutter schlang und sie, die Augen in Freudentränen gebadet, küßte.

Nun haben wir nur noch Eurer Majestät unsern untertänigen Respekt zu bezeigen, sprach Chatillon, der, wie es schien, von dieser Rolle gepeinigt wurde und unter dem festen, durchdringenden Blicke Athos‘ sichtbar errötete.

Noch einen Augenblick, meine Herren, erwiderte die Königin, sie mit einem Zeichen zurückhaltend, einen Augenblick, ich bitte; denn hier sind die Herren de la Fère und d’Herblay, die, wie ihr gehört habt, von London ankommen und euch vielleicht als Augenzeugen einzelne Umstände angeben werden, die euch nicht bekannt sind. Ihr meldet diese Umstände der Königin, meiner guten Muhme. Sprecht, meine Herren, sprecht, ich höre. Verbergt mir nichts, verschweigt nichts. Da Seine Majestät noch lebt und die königliche Ehre gerettet ist, erscheint mir alles übrige als gleichgültig.

Athos erbleichte und legte eine Hand auf sein Herz.

Nun, sprach die Königin, als sie diese Bewegung und seine Blässe wahrnahm, sprecht doch, mein Herr, da ich Euch darum bitte.

Verzeiht, Madame, sprach Athos, ich will der Erzählung dieser Herren nichts beifügen, ehe sie selbst bekennen, daß sie sich vielleicht getäuscht haben.

Getäuscht! rief die Königin voll Schrecken. Oh! mein Gott, was ist denn geschehen?

Meine Herren, sprach Herr von Flamarens, haben wir uns getäuscht, so kommt der Irrtum von seiten der Königin, und Ihr werdet wohl nicht die Absicht haben, ihn zu berichtigen, denn das hieße Ihre Majestät Lügen strafen.

Von der Königin, mein Herr? versetzte Athos mit seiner ruhigen, klangvollen Stimme.

Ja, murmelte Flamarens, die Augen niederschlagend.

Athos seufzte traurig.

Sollte dieser Irrtum nicht vielmehr von seiten dessen kommen, den wir mit euch in der Wachtstube der Barriere du Roule gesehen haben? sprach Aramis mit seiner verletzenden Höflichkeit; denn wenn wir uns nicht täuschten, so waret ihr zu drei, als ihr nach Paris kämet.

Chatillon und Flamarens bebten.

Ei, so erklärt euch doch! rief die Königin, deren Angst von Augenblick zu Augenblick zunahm. Auf eurer Stirn lese ich Entsetzliches. Euer Mund zögert, mir eine traurige Nachricht mitzuteilen, Eure Hände beben. Oh! mein Gott, mein Gott, was ist denn vorgefallen?

Herr Gott, habe Mitleiden mit uns, sprach die junge Prinzessin und fiel neben ihrer Mutter auf die Knie.

Mein Herr, sagte Chatillon, überbringt Ihr eine traurige Nachricht, so ist es grausam von Euch, sie der Königin zu melden.

Aramis trat so nahe zu Chatillon, daß er ihn beinahe berührte, und sprach mit funkelndem Blick: Mein Herr, ich denke, Ihr werdet nicht so anmaßend sein, den Herrn Grafen de la Fère und mich belehren zu wollen, was wir hier zu sagen haben.

Während dieses kurzen Schrittes hatte sich Athos, immer noch die Hand auf dem Herzen und den Kopf gesenkt, der Königin genähert und sprach zu ihr:

Madame, die Fürsten, die über die anderen Menschen gestellt sind, haben vom Himmel auch ein größeres, widerstandsfähigeres Herz empfangen. Man darf also, wie mir scheint, gegen eine große Königin, wie Eure Majestät, nicht auf dieselbe Weise zu Werke gehen, wie gegen eine Frau von unserem Stande. Königin, die Ihr bestimmt seid zu jeglichem Märtyrertum aus Erden, hört den Erfolg der Sendung, mit der Ihr uns beehrt habt.

Und Athos kniete vor der in Eis verwandelten Königin nieder, zog aus seinem Busen den Orden in Diamanten, den sie Lord Winter vor seiner Abreise zugestellt, und den Ehering, den König Karl vor seinem Tode Aramis übergeben hatte. Seitdem er sie empfangen, hatten diese beiden Gegenstände Athos nicht mehr verlassen. Er überreichte sie der Königin mit stummem, tiefem Schmerz.

Die Königin ergriff den Ring, drückte ihn krampfhaft an ihre Lippen, und ohne einen Seufzer auszustoßen, ohne ein Schluchzen von sich geben zu können, streckte sie die Arme aus, erbleichte und fiel bewußtlos in die Arme ihrer Frauen und ihrer Tochter.

Athos küßte den Saum des Kleides der unglücklichen Witwe und sprach, sich mit einer Majestät erhebend, die einen tiefen Eindruck auf die Anwesenden hervorbrachte:

Ich, Graf de la Fère, Edelmann, der nie gelogen hat, schwöre vor Gott zuerst und dann vor dieser armen Königin, daß wir alles, was zur Rettung des Königs zu tun möglich war, auf dem Boden Englands getan haben. Nun, Chevalier, fügte er, sich gegen d’Herblay wendend, bei, nun laßt uns gehen, unsere Pflicht ist erfüllt.

Noch nicht, erwiderte Aramis, wir haben noch ein Wort mit diesen Herren zu sprechen.

Und er wandte sich gegen Chatillon und sagte: Mein Herr, wäre es Euch nicht gefällig, auf einen Augenblick hinauszukommen, um ein Wort zu hören, das ich vor der Königin nicht aussprechen kann?

Chatillon verbeugte sich zum Zeichen der Einwilligung. Athos und Aramis gingen zuerst hinaus, Flamarens und Chatillon folgten ihnen. Sie durchschritten, ohne ein Wort zu sprechen, die Vorhalle. Als sie aber zu einer Terrasse gelangt waren, welche gleiche Höhe mit einem Fenster hatte, trat Aramis auf diese ganz einsame Terrasse, blieb jedoch am Fenster stehen und sagte, sich gegen den Herzog von Chatillon umwendend:

Mein Herr, Ihr habt Euch soeben, wie mir scheint, herausgenommen, uns auf eine sehr hochmütige Weise zu behandeln. Das war in keinem Fall schicklich, am wenigsten aber von Leuten, die der Königin eine lügenhafte Botschaft überbracht haben.

Mein Herr! rief Chatillon.

Was habt Ihr denn mit Herrn von Bruy gemacht? fragte Aramis ironisch. Sollte er zufällig sein Gesicht gewechselt haben, das große Ähnlichkeit mit dem von Mazarin hatte? Es sind bekanntlich im Palais-Royal viele italienische Masken vorrätig, vom Arlequin bis zum Pantalon.

Es scheint, Ihr fordert uns heraus? sagte Flamarens.

Ah! es scheint euch nur, meine Herren?

Chevalier, Chevalier! sagte Athos.

Ei, laßt mich doch machen, erwiderte Aramis. Ihr wißt Wohl, daß ich es nicht liebe, die Dinge halb zu tun.

Vollendet also, mein Herr, versetzte Chatillon mit einem Stolz, der in keiner Beziehung dem von Aramis nachgab.

Aramis verbeugte sich und erwiderte:

Meine Herren, ein anderer als ich oder der Graf de la Fère würde euch verhaften lassen, denn wir haben einige Freunde in Paris. Aber wir bieten euch ein Mittel, abzugehen, ohne beunruhigt zu werden. Plaudert mit uns fünf Minuten lang, den Degen in der Hand, auf dieser einsamen Terrasse.

Gern, sprach Chatillon.

Einen Augenblick, meine Herren! rief Flamarens, ich weiß wohl, daß der Vorschlag lockend ist; aber zu dieser Stunde ist es uns unmöglich, ihn anzunehmen.

Und warum? versetzte Aramis mit seinem spöttischen Tone, macht Euch die Nähe Mazarins so klug?

Oh! Ihr begreift, Flamarens, sprach Chatillon, wenn ich nicht annähme, so wäre dies ein Flecken für meinen Namen und meine Ehre.

Das ist auch meine Ansicht, sagte Aramis mit kaltem Tone.

Ihr dürft dennoch nicht annehmen, und diese Herren werden, ich bin überzeugt, sogleich meiner Meinung sein.

Herzog, sprach Flamarens, vergeßt Ihr, daß Ihr morgen eine Expedition von der höchsten Wichtigkeit befehligt, und daß Ihr, von den Prinzen dazu ausersehen, von der Königin bestätigt, nicht Euch gehört? – Es sei. Übermorgen also, sprach Aramis. – Übermorgen, erwiderte Chatillon, das ist sehr lange, mein Herr. – Nicht ich, entgegnete Aramis, habe diese Frist festgestellt, diesen Verzug gefordert; zumal da man sich, wie mir scheint, gerade bei der Expedition finden könnte. – Ja, mein Herr, Ihr habt recht, rief Chatillon, mit großem Vergnügen, wenn Ihr Euch die Mühe nehmen wollt, bis zu den Toren von Charenton zu kommen. – Ei, mein Herr, um die Ehre zu haben, Euch zu begegnen, gehe ich bis ans Ende der Welt. – Morgen also. – Ich zähle darauf. Begebt euch nun wieder zu eurem Kardinal. Zuvor aber schwört uns bei eurer Ehre, daß ihr ihn nicht von unserer Rückkehr in Kenntnis setzen werdet. – Bedingungen? – Warum nicht? – Weil nur Sieger solche machen. – Dann sogleich den Degen gezogen. Uns ist das gleichgültig, denn wir haben die Expedition von morgen nicht anzuführen.

Chatillon und Flamarens schauten sich an. Es lag so viel Ironie in Aramis‘ Worten und in seiner Gebärde, daß Chatillon besonders große Mühe hatte, seinen Zorn im Zaum zu halten. Aber auf ein Wort von Flamarens hielt er an sich.

Nun wohl, es sei, sprach er. Unser Gefährte, wer es auch sein mag, soll nichts von dem Vorfall erfahren. Aber Ihr versprecht uns, mein Herr, Euch morgen gewiß in Charenton einzufinden?

Die vier Edelleute begrüßten sich; doch diesmal gingen Chatillon und Flamarens voran, als sie den Louvre verließen, und Athos und Aramis folgten ihnen.

Laßt uns auch gehen, Athos, sagte Aramis. – Wohin? – Zu Herrn von Beaufort oder zu Herrn von Bouillon; wir werden ihnen sagen, wie sich die Sache verhält und daß Mazarin in Paris ist. – Ja, aber unter der Bedingung, daß wir zuerst beim Koadjutor anfragen. Er ist ein Priester, er versteht sich auf Gewissensfälle, und wir werden ihm den unsern vorlegen. – Ah! sagte Aramis, er wird alles verderben, alles sich zueignen; gehen wir lieber zuletzt als zuerst zu ihm.

Athos lächelte. Man sah, daß sich in seinem Innern ein Gedanke regte, den er nicht aussprach.

Gut, es sei, sagte er; bei welchem fangen wir an? – Bei Herrn von Bouillon, wenn Ihr wollt; ihn finden wir zuerst auf unserem Wege. – Nur erlaubt Ihr mir eines, nicht wahr? – Was? – Daß ich einen Augenblick im Gasthof zum Grand-Empereur-Charlemagne anhalte, um Raoul zu umarmen. – Ich gehe mit Euch, wir umarmen ihn zusammen.

Die Freunde nahmen das Schiff wieder, das sie gebracht hatte, und ließen sich nach den Hallen führen. Hier fanden sie Grimaud und Blaisois, welche ihre Pferde hielten, und alle vier wanderten nach der Rue Guenegaud.

Aber Raoul war nicht im Gasthof zum Grand-Charlemagne; er hatte am Tag eine Botschaft vom Prinzen erhalten und hatte sich mit Olivain sogleich nach Empfang derselben entfernt.

Die drei Leutnants des Generalissimus

Verabredetermaßen begaben sich Athos und Aramis, als sie den Gasthof zum Grand-Empereur-Charlemagne verließen, ins Hotel des Herzogs von Bouillon.

Die Nacht war rabenschwarz, wiederhallte aber beständig von dem tausendfachen Geräusche einer belagerten Stadt. Auf jedem Schritt traf man Barrikaden, an jeder Biegung der Straßen ausgespannte Ketten, auf jedem Kreuzweg Biwaks. Die Patrouillen zogen, das Losungswort austauschend, aneinander vorbei; die von den verschiedenen Chefs abgeschickten Boten durchzogen die Plätze; lebhafte, die Aufregung der Geister bezeichnende Gespräche wurden zwischen friedlichen Bürgern, die an den Fenstern standen, und ihren kriegerischen Mitbürgern gepflogen, die mit der Partisane auf der Schulter oder der Büchse im Arm in den Straßen umherliefen.

Athos und Aramis machten keine hundert Schritte, ohne von den an den Barrikaden aufgestellten Wachen angehalten und nach dem Losungswort gefragt zu werden; aber sie erwiderten, sie gingen zu Herrn von Bouillon, um ihm eine wichtige Nachricht zu überbringen, und man begnügte sich, ihnen zur Bewachung einen Führer mitzugeben.

Als sie in die Gegend des Hotels Bouillon kamen, begegneten sie drei Reitern, in denen sie unschwer die drei Edelleute aus dem Wachtzimmer wiedererkannten.

Wie zum Teufel, fragte Aramis, können sie sich so in die Nähe des Hotels Bouillon wagen?

Athos lächelte, antwortete aber nicht. Fünf Minuten nachher klopften sie an die Tür des Prinzen.

Es stand eine Schildwache davor, wie dies bei Leuten, die mit einem höheren Grade bekleidet sind, der Fall ist; ein kleiner Posten befand sich sogar im Hofe, bereit, den Befehlen des Leutnants des Prinzen von Conti zu gehorchen.

Herr von Bouillon hatte die Gicht, weshalb man damals auf den Gassen sang:

»Herr von Bouillon, der brave Mann,
Ist mit der Gicht gar übel dran.«

Er lag im Bette, aber trotz dieser Krankheit, die ihn seit einem Monat, das heißt seit der Belagerung von Paris, am Reiten verhinderte, ließ er nichtsdestoweniger sagen, er sei bereit, den Herrn Grafen de la Fère und den Herrn Chevalier d’Herblay zu empfangen.

Die Freunde trafen den Kranken in seinem Zimmer im Bett, aber von militärischem Apparat umgeben. Überall an den Wänden hingen Schwerter, Pistolen, Panzer und Büchsen.

Ah! meine Herren, rief der Herzog, als er die beiden Besucher erblickte, und machte dabei, um sich in seinem Bett zu erheben, eine Anstrengung, die ihm eine Grimasse des Schmerzes entriß. Ihr seid sehr glücklich! Ihr könnt zu Pferde steigen, kommen, gehen, für die Sache des Volkes kämpfen. Ich aber bin, wie ihr seht, an das Bett gefesselt. Ah! die verdammte Gicht! murmelte er mit einer neuen Grimasse, die verdammte Gicht!

Monseigneur, sprach Athos, wir kommen von England, und bei unserer Ankunft in Paris war es unser erstes Geschäft, hierher zu gehen, um uns nach Eurer Gesundheit zu erkundigen.

Großen Dank, meine Herren, großen Dank! versetzte der Herzog. Schlecht steht es mit meiner Gesundheit, wie ihr seht … Die verdammte Gicht! Oh! Ihr kommt von England! Und der König Karl befindet sich wohl, wie ich gehört habe? – Er ist tot, Monseigneur, erwiderte Aramis. – Bah! rief der Herzog erstaunt. – Gestorben auf dem Blutgerüste, verurteilt vom Parlament. – Unmöglich. – Hingerichtet in unserer Gegenwart. – Was sagte mir denn Herr von Flamarens? – Herr von Flamarens? fragte Aramis. – Ja, er geht soeben von hier weg.

Athos lächelte.

Mit zwei Gefährten? sagte er.

Mit zwei Gefährten, ja, antwortete der Herzog, dann aber fügte er mit einer gewissen Unruhe bei: Solltet ihr ihnen begegnet sein?

Ja, auf der Straße, wie mir scheint, sprach Athos.

Die verdammte Gicht! rief Herr von Bouillon, dem offenbar gar nicht wohl war.

Monseigneur, versetzte Athos, es bedarf in der Tat Eurer ganzen Anhänglichkeit an die Sache der Pariser, um leidend, wie Ihr seid, an der Spitze der Armee zu bleiben, und diese Beharrlichkeit nötigt mir und Herrn d’Herblay unsere vollste Bewunderung ab.

Was wollt ihr, meine Herren, man muß sich der öffentlichen Sache opfern. Ich opfere mich auch, wie ihr seht, aber ich gestehe, mit meinen Kräften geht es zu Ende. Der Kopf ist gut, das Herz ist gut, aber diese verdammte Gicht bringt mich um, und ich spreche es offen aus, wenn der Hof meinen Forderungen, meinen billigen Forderungen Gerechtigkeit widerfahren ließe, wenn man mir Domänen im Werte des mir genommenen Fürstentums Sedan gäbe und einige andere Kleinigkeiten gewährte, so zöge ich mich sogleich auf meine Güter zurück und ließe den Hof und das Parlament die Sache unter sich ausmachen.

Und Ihr hättet sehr recht, Monseigneur, sprach Athos.

Nicht wahr, das ist Euer Rat, Herr Graf de la Fère?

Ganz und gar.

Und der Eurige auch, Herr Chevalier d’Herblay?

Vollkommen.

Nun wohl, ich gestehe euch, meine Herren, versetzte der Herzog, daß ich ihn höchst wahrscheinlich befolgen werde. Der Hof macht mir in diesem Augenblick Anerbietungen; es hängt nur von mir ab, sie anzunehmen. Bis zu dieser Stunde habe ich sie zurückgewiesen; da mir aber Männer, wie ihr seid, sagen, ich habe unrecht, und besonders, da mich diese verdammte Gicht in die Unmöglichkeit versetzt, der Pariser Sache Dienste zu leisten, so habe ich meiner Treue große Lust, euern Rat zu befolgen und den Antrag anzunehmen, den mir Herr von Chatillon gemacht hat.

Nehmt ihn an, Prinz, nehmt ihn an, sagte Aramis.

Meiner Treue, ja, es ärgert mich auch, daß ich ihn diesen Abend beinahe von mir gewiesen habe, aber morgen findet eine Konferenz statt, und wir werden sehen.

Die Freunde verbeugten sich vor dem Herzog und entfernten sich. Aber die schmerzlichen Ausrufungen des Herrn von Bouillon folgten ihnen bis in das Vorzimmer. Der arme Prinz litt offenbar wie ein Verdammter.

Als sie zu der Haustür gelangt waren, sagte Aramis zu Athos:

Nun, was denkt Ihr? – Wovon? – Von Herrn von Bouillon. – Mein Freund, ich denke, was das Volk singt, erwiderte Athos:

»Herr von Bouillon, der brave Mann,
Ist mit der Gicht gar übel dran.«

Ich habe deshalb auch nicht das geringste von dem Gegenstand erwähnt, der uns hierher führte, sprach Aramis.

Und daran habt Ihr wohl getan, denn Ihr hättet einen neuen Anfall veranlaßt. Gehen wir zu Herrn von Beaufort.

Die Freunde wanderten nach dem Hotel Vendome.

Es schlug zehn Uhr, als sie daselbst anlangten.

Es war offenbar eine zum Zusammentreffen ganz besonders geeignete Nacht, denn auch hier begegneten sie den Herren von Chatillon und Flamarens im Schloßhof. Sie wechselten mit ihnen ein paar Worte, in denen sie der Hoffnung auf Wiedersehen am nächsten Tage Ausdruck gaben, und stiegen ab.

Kaum hatten sie den Zügel ihrer Pferde ihren Lakaien zugeworfen und sich ihrer Mäntel entledigt, als sich ihnen ein Mann näherte, der, nachdem er sie einen Augenblick betrachtet hatte, einen Schrei des Erstaunens ausstieß und sich ihnen in die Arme warf.

Graf de la Fère! rief dieser Mann. Chevalier d’Herblay! Wie kommt ihr hierher nach Paris?

Rochefort! riefen die Freunde in einem Atem.

Allerdings. Wir sind, wie ihr Wohl erfahren habt, vor vier oder fünf Tagen von Vendome hierhergekommen, und schicken uns an, Mazarin Arbeit zu geben. Ich setze voraus, ihr gehört immer noch zu den Unseren.

Mehr als je. Und der Herzog?

Ist wütend über den Kardinal. Kennt ihr die Erfolge dieses teuern Herzogs? Er ist der wahre König von Paris. Er kann nicht ausgehen, ohne daß man ihn beinahe erdrückt.

Desto besser, sprach Aramis. Aber sagt mir, sind nicht die Herren von Flamarens und Chatillon soeben von hier weggeritten?

Ja, sie haben Audienz bei dem Herzog gehabt. Ohne Zweifel kommen sie im Auftrag Mazarins. Aber ich stehe euch dafür, sie werden eine schlimme Aufnahme gefunden haben.

Gut, sagte Athos; könnte man nicht die Ehre haben, Seine Hoheit zu sehen?

Warum nicht? sogleich. Für euch ist er immer sichtbar, wie ihr wißt. Folgt mir; ich bitte mir die Ehre aus, euch vorstellen zu dürfen.

Rochefort ging voraus. Alle Türen öffneten sich vor ihm. Sie fanden Herrn von Beaufort im Begriffe, sich zu Tische zu setzen. Kaum hatte er aber die zwei Namen, die Rochefort ankündigte, gehört, als er vom Stuhle aufstand, den er gerade dem Tisch näherrücken wollte, und den zwei Freunden entgegenging, indem er lebhaft rief:

Seid willkommen, meine Herren, ihr soupiert doch mit mir, nicht wahr? Boisjoli, sagt Noirmont, ich habe zwei Gäste. Ihr kennt Noirmont, nicht wahr, meine Herren? Es ist mein Haushofmeister, der Nachfolger von Vater Marteau, der die vortrefflichen Pasteten macht, wie ihr wißt. Boisjoli, er soll eins seiner Produkte schicken, aber keins, wie er sie für la Ramée gemacht hat. Gott sei Dank, wir bedürfen der Strickleitern, der Dolche und Maulbirnen nicht mehr.

Monseigneur, sagte Athos, belästigt unsertwegen Euern vortrefflichen Haushofmeister nicht, dessen zahlreiche und verschiedenartige Talente wir kennen. Diesen Abend werden wir mit Erlaubnis Eurer Hoheit nur die Ehre haben, uns nach ihrer Gesundheit zu erkundigen und ihre Befehle entgegenzunehmen.

Ah, was meine Gesundheit betrifft, so seht ihr, meine Herren, daß sie vortrefflich ist. Was jedoch meine Befehle betrifft, so gestehe ich, daß ich sehr in Verlegenheit bin, euch solche zu geben, indem jeder die seinen gibt, und ich am Ende, wenn es so fortgeht, gar keine mehr geben werde.

Wirklich? sprach Athos, ich glaubte doch, das Parlament rechne auf eure Einhelligkeit?

Ah, ja, unsere Einhelligkeit, sie ist gar schön. Mit dem Herzog von Bouillon geht es noch; er hat die Gicht und verläßt sein Bett nicht; mit ihm kann man sich noch verständigen; aber mit Herrn von Elboeuf und seinen Elefanten von Söhnen niemals. Sie schreien und prahlen auf öffentlichen Plätzen; sobald es aber zum Schlagen kommt, dann gute Nacht, kriegerischer Mut.

Doch bei dem Koadjutor ist es hoffentlich nicht so?

Ah! jawohl, bei dem ist es noch schlimmer. Gott bewahre euch vor streitsüchtigen Prälaten, besonders wenn sie einen Panzer über dem Talar tragen. Wißt ihr, was er tut, statt sich ruhig zu verhalten und Tedeum für die Siege zu singen, die wir nicht davontragen, oder für die Siege, wo wir geschlagen werden?

Nein.

Er bildet ein Regiment, dem er seinen Namen gibt: das Regiment Korinth. Er macht Leutnants, Kapitäne, nicht mehr und nicht weniger, als ein Marschall von Frankreich, und Oberste, wie der König.

Ja, sprach Aramis; aber wenn man sich schlägt, wird er hoffentlich in seinem erzbischöflichen Palast bleiben?

Keineswegs. Ihr täuscht Euch, mein lieber d’Herblay. Wenn man sich schlägt, schlägt er sich auch, so daß man ihn, da er durch den Tod seines Oheims Sitz im Parlament erhalten hat, beständig zwischen die Beine bekommt … im Parlament, im Rate, in der Schlacht. Der Prinz von Conti ist ein Phantasie-General, und was für eine Phantasie ist dies! Ein buckeliger Prinz, ein Nußknacker wäre ebensoviel wert. Ah, es geht alles schlecht, meine Herren, alles geht sehr schlecht.

Monseigneur, Euere Hoheit ist also unzufrieden? sprach Athos, einen Blick mit Aramis austauschend.

Unzufrieden, Graf? sagt lieber wütend und zwar dergestalt, daß ich, wenn die Königin alles Unrecht, welches sie gegen mich gehabt hat, anerkennen würde, wenn sie meine verbannte Mutter zurückrufen wollte, wenn sie mir die Anwartschaft auf die Admiralswürde, die meinem Vater gehörte und die mir nach seinem Tod versprochen worden ist, erteilte, keinen Anstand nehmen würde, Hunde abzurichten, die sprechen müßten, es gebe in Frankreich noch größere Diebe, als Herr von Mazarin.

Athos und Aramis tauschten jetzt ein noch viel bezeichnenderes Lächeln aus, und wären sie auch den Herren von Flamarens und von Chatillon nicht begegnet, so hätten sie doch erraten, woher Herrn von Beauforts so sehr geänderte Stimmung komme.

Monseigneur, wir sind nun befriedigt, sprach Athos. Als wir zu dieser Stunde zu Eurer Hoheit kamen, hatten wir keinen andern Zweck, als ihr unsere Ergebenheit an den Tag zu legen und zu sagen, daß wir als ihre gehorsamsten Diener ganz und gar zu ihrer Verfügung stehen.

Als meine treuesten Freunde, meine Herren, als meine treuesten Freunde … Ihr habt es mir bewiesen, und wenn ich mich je mit dem Hof aussöhne, so werde ich euch beweisen, daß ich euer Freund, sowie der Freund jener Herren geblieben bin … wie nennt ihr sie doch?

D’Artagnan und Porthos.

Ah, ja, so ist es. Ihr begreift also, Graf de la Fère, Ihr begreift, Chevalier d’Herblay, ganz und immer euer Freund.

Athos und Aramis verbeugten sich und verließen das Zimmer.

Mein lieber Athos, sprach Aramis, Gott verzeihe mir, ich glaube, Ihr habt mir Eure Begleitung nur geschenkt, um mir eine Lehre zu geben?

Wartet doch, mein Lieber, sprach Athos, es ist noch Zeit zu dieser Bemerkung, wenn wir vom Koadjutor kommen.

Gehen wir also in den erzbischöflichen Palast! erwiderte Aramis.

Und beide wanderten der Altstadt zu. Bei dem Koadjutor sahen sie im Vorzimmer ein ganzes Dutzend vornehmer Herren warten. Sie riefen einen Bedienten und drückten ihm eine halbe Pistole in die Hand, um sofort gemeldet zu werden. Als sie aber erfuhren, es sei soeben der Herr von Bruy beim Koadjutor – unter diesem Namen verbarg sich, wie unseren Lesern bekannt ist, Mazarin selbst–, verzichten sie auf eine Unterredung, schritten durch den Hausen der Lakaien hindurch und verließen den erzbischöflichen Palast.

Nun, fragte Athos, als Aramis und er wieder in der Barke waren, fangt Ihr an zu glauben, daß wir mit der Verhaftung des Herrn von Mazarin diesen Leuten einen sehr schlimmen Streich gespielt haben würden?

Ihr seid die eingefleischte Weisheit, Athos, erwiderte Aramis.

Den zwei Freunden war ganz besonders das geringe Gewicht aufgefallen, das der Hof von Frankreich auf die furchtbaren Ereignisse legte, die sich in England zugetragen hatten, während die Hinrichtung des Königs ihrer Ansicht nach die Aufmerksamkeit von ganz Europa in Anspruch nehmen mußte.

Die zwei Freunde verabredeten, am nächsten Morgen um zehn Uhr wieder beisammen zu sein, denn obgleich die Nacht sehr weit vorgerückt war, als sie an den Gasthof gelangten, behauptete doch Aramis, er habe einige sehr wichtige Besuche zu machen, und ließ Athos allein.

Als es am andern Morgen zehn Uhr schlug, waren sie beisammen. Schon um sechs Uhr morgens war Athos ebenfalls ausgegangen.

Nun, habt Ihr irgend eine Nachricht? fragte Athos. – Keine; man hat d’Artagnan nirgends gesehen, und Porthos ist auch noch nicht erschienen. Und Ihr? – Nichts. – Teufel! rief Aramis. – In der Tat, sprach Athos, dieses Zögern ist nicht natürlich. Sie haben den geradesten Weg eingeschlagen und sollten daher vor uns eingetroffen sein.– Bedenkt dabei noch, daß wir d’Artagnans Hurtigkeit kennen, und wissen, daß er nicht der Mann ist, eine Minute zu verlieren, wenn er weiß, daß wir auf ihn warten. – Er gedachte, wie Ihr Euch erinnert, am fünften hier zu sein. – Und wir haben heute den neunten. Diesen Abend läuft die bestimmte Frist ab. – Was beabsichtigt Ihr zu tun, fragte Athos, wenn wir diesen Abend keine Nachricht haben? – Bei Gott, wir müssen nachforschen. – Gut, versetzte Athos. – Aber, Raoul? fragte Aramis.

Eine leichte Wolke zog über die Stirne des Grafen.

Raoul macht mir große Unruhe, sagte er. Er hat gestern eine Botschaft vom Prinzen von Condé erhalten, ist zu ihm nach Saint-Cloud gegangen und nicht wieder zurückgekehrt. – Habt Ihr Frau von Chevreuse nicht gesehen? – Sie war nicht zu Hause. Aber Ihr, Aramis, Ihr müßt wohl bei Frau von Longueville vorübergekommen sein? – In der Tat, so ist es. – Nun? – Sie war auch nicht zu Hause; aber sie hatte wenigstens die Adresse ihrer neuen Wohnung zurückgelassen. – Wo war sie? – Ratet. – Wie soll ich erraten, wo man um Mitternacht ist? denn ich setze voraus, daß Ihr Euch, als Ihr mich verließet, zu ihr begeben habt. Wie soll ich erraten, wo sich um Mitternacht die schönste und tätigste aller Frondeusen befindet? – Im Stadthause, mein Lieber. – Wie, im Stadthause? Ist sie zur Sekretärin der Handelsleute ernannt worden? – Nein, aber sie hat sich zur interimistischen Königin von Paris gemacht. Und da sie es nicht wagte, sich sofort im Palais-Royal oder in den Tuilerien zu installieren, so quartierte sie sich einstweilen im Stadthause ein, wo sie demnächst diesem lieben Herzog einen Erben oder eine Erbin geben wird. – Ihr habt mir diesen Umstand nicht mitgeteilt, sprach Athos. – Wirklich? eine Vergessenheit; entschuldigt. – Nun sprecht, was wollen wir von jetzt bis zum Abend machen? Es scheint mir, wir sind sehr müßig. – Ihr vergeßt, mein Freund, daß wir ein ganz bestimmtes Geschäft haben. – Wo dies? – Bei Charenton. Ich habe Hoffnung, versprochenermaßen einen gewissen Herrn von Chatillon dort zu treffen, den ich seit langer Zeit hasse. – Und warum? – Weil er der Bruder eines gewissen Herrn von Coligny ist. – Ah, das ist wahr, ich vergaß es … der auf die Ehre Anspruch gemacht hat, Euer Nebenbuhler zu sein. Er ist sehr grausam für diese Kühnheit bestraft worden, mein Lieber, und in der Tat, das müßte Euch genügen. – Ja, aber was wollt Ihr, das genügt mir nicht. Ich bin streitsüchtig, das ist der einzige Punkt, in dem ich kirchlich bin. Ihr begreift übrigens hiernach, Athos, daß Ihr keineswegs genötigt seid, mir zu folgen. – Still, erwiderte Athos, Ihr scherzt. – Gut, mein Lieber; wenn Ihr also entschlossen seid, mich zu begleiten, so haben wir keine Zeit zu verlieren. Man hat die Trommel gerührt, ich begegnete den abziehenden Kanonen und sah die Bürger sich in Schlachtordnung vor dem Stadthause aufstellen. Man wird sich sicherlich bei Charenton schlagen, wie gestern der Herzog von Chatillon gesagt hat. – Ich hätte geglaubt, die Unterredungen in dieser Nacht würden die kriegerische Stimmung ändern. – Allerdings, man wird sich aber dessenungeachtet schlagen, und wäre es nur, um diese Unterredungen zu maskieren. – Arme Leute! versetzte Athos, die sich töten lassen, damit man dem Herrn von Bouillon Sedan zurückgibt, Herrn von Beaufort die Anwartschaft auf die Admiralswürde verleiht, und damit der Koadjutor Kardinal wird. – Stille, stille, mein Lieber, sagte Aramis; gesteht, daß Ihr nicht so sehr Philosoph wäret, wenn Euer Raoul nicht in diesen ganzen Streit verwickelt sein könnte. – Ihr sprecht vielleicht die Wahrheit, Aramis. – Nun, so laßt uns dahin gehen, wo man sich schlägt. Es ist ein sicheres Mittel, d’Artagnan, Porthos und vielleicht sogar Raoul wiederzufinden. – Ach! seufzte Athos. – Mein lieber Freund, sagte Aramis, jetzt, da wir in Paris sind, müßt Ihr durchaus Euer beständiges Seufzen aufgeben. Frisch auf in den Kampf, Athos! Seid Ihr nicht mehr der Mann des Schwertes? Habt Ihr Euch zur Kirche gewendet? Seht, da kommen hübsche Bürger vorüber. Das ist bei Gott lockend. Und dieser Kapitän, er hat beinahe eine militärische Haltung. – Sie kommen aus der Rue du Mouton. – Trommeln voraus, wie wahre Soldaten. Es macht mir kein Vergnügen, mit diesen Leuten hier Kameradschaft zu halten. Wollen wir nicht vorausmarschieren? Wir werden dann alles besser sehen.

Und dann würde Euch Herr von Chatillon auch nicht auf der Place Royale aufsuchen, nicht wahr? Vorwärts, mein Freund.

Habt Ihr Eurerseits nicht ein paar Worte mit Herrn von Flamarens zu sprechen?

Freund, erwiderte Athos, ich habe den Entschluß gefaßt, den Degen nicht mehr zu ziehen, wenn ich nicht durchaus dazu genötigt werde.

Seit wann?

Seitdem ich den Dolch gezogen habe.

Ah! gut, noch eine Erinnerung an Herrn Mordaunt. Es fehlte nur noch, mein Lieber, daß Ihr Gewissensbisse bekämt, weil Ihr diesen Menschen getötet habt.

Stille, sagte Athos, mit dem traurigen Lächeln, das nur ihm eigentümlich war, einen Finger auf seinen Mund legend. Sprechen wir nicht mehr von Mordaunt; das würde uns Unglück bringen.

Und Athos ritt in der Richtung nach Charenton, zuerst an der Vorstadt hin und dann durch das Tal von Fecamp, das von bewaffneten Bürgern ganz schwarz war.

Es versteht sich von selbst, daß ihm Aramis auf eine halbe Pferdelänge folgte.

Das Gefecht von Charenton

Während Athos und Aramis vorrückten und die verschiedenen auf der Straße aufgestellten Korps hinter sich ließen, stießen sie hinter verrosteten und fleckigen Panzern und Partisanen auf glänzende Rüstungen und funkelnde Musketen.

Ich glaube, hier ist das wahre Schlachtfeld, sagte Aramis; seht die Reiter dort mit der Pistole in der Faust vor der Brücke halten. Gebt acht, hier kommt schweres Geschütz.

Ei, mein Lieber, erwiderte Athos, wohin habt Ihr uns geführt? Es scheint mir, ich sehe rings um uns her Gesichter, die zu den Zierden der königlichen Armee gehören. Erscheint dort nicht Herr von Chatillon selbst mit seinen zwei Brigadiers?

Und Athos nahm den Degen in die Faust, während Aramis, welcher glaubte, er habe nun wirklich die Grenzen des Pariser Lagers überschritten, die Hand an seine Halfter legte.

Guten Morgen, meine Herren, sprach der Herzog, sich nähernd; ich sehe, daß ihr nicht begreift, was hier vorgeht. Aber ein Wort wird euch alles erklären. Wir haben in diesem Augenblick Waffenstillstand; es findet eine Konferenz statt, der Prinz, Herr von Retz, Herr von Beaufort und Herr von Bouillon verhandeln in dieser Minute über Politik. Entweder werden die Angelegenheiten nicht in Ordnung gebracht, und wir treffen uns, Chevalier, oder die Sache wird beigelegt, ich werde meines Kommandos überhoben, und wir treffen uns ebenfalls.

Mein Herr, sagte Aramis, Ihr sprecht vortrefflich. Erlaubt mir, eine Frage an Euch zu richten.

Immerhin.

Wo sind die Bevollmächtigten?

In Charenton selbst, im zweiten Hause rechts, wenn man von Paris kommt.

Und diese Konferenz war nicht vorhergesehen?

Nein, meine Herren, sie ist, wie es scheint, das Resultat der Vorschläge, die Herr von Mazarin den Parisern gestern abend hat machen lassen.

Athos und Aramis schauten sich lachend an. Sie wußten besser, als irgend jemand, was für Vorschläge dies waren, wem sie gemacht worden und wer sie gemacht hatte.

Und das Haus, wo die Bevollmächtigten versammelt sind, fragte Athos, gehört… – Herrn von Chanleu, der Eure Truppen in Charenton befehligt. Ich sage Eure Truppen, weil ich annehme, daß die Herren Frondeurs sind. – Beinahe, erwiderte Aramis. – Warum beinahe? – Allerdings, mein Herr; Ihr wißt besser, als irgend jemand, daß man in diesen Zeitläuften nicht genau sagen kann, was man ist. – Wir sind für den König und für die Prinzen, sprach Athos. – Der König ist bei uns, versetzte Chatillon, und hat zu Obergeneralen die Herren von Orleans und Condé. – Ja, sprach Athos, aber sein Platz ist in unseren Reihen mit den Herren von Conti, Beaufort, Elboeuf und Bouillon. – Das kann sein, sagte Chatillon, und ich für meine Person habe sehr wenig Sympathie für Herrn von Mazarin. Meine Interessen sind in Paris; ich habe dort einen großen Prozeß, von welchem mein ganzes Vermögen abhängt, und ich bin, so wie Ihr mich seht, soeben bei meinem Advokaten gewesen, um mich mit ihm zu beraten. – In Paris? – Nein, in Charenton, bei Herrn Viole, den Ihr dem Namen nach kennt … Ein vortrefflicher Mann, etwas eigensinnig, aber nicht ohne Bedeutung im Parlament. Ich hoffte ihn gestern abend zu sehen, unser Zusammentreffen verhinderte mich jedoch, mich mit meinen Angelegenheiten zu beschäftigen. Da diese aber abgemacht werden müssen, so benutzte ich den Waffenstillstand, und so kommt es, daß ich mich in Eurer Mitte befinde. – Und wenn die Konferenzen abgebrochen werden, ohne einen Erfolg herbeizuführen, sagte Athos, so werdet Ihr Charenton zu nehmen suchen? – So lautet der Befehl. Ich kommandiere die Angriffstruppen und werde mein möglichstes tun, um zu siegen. – Mein Herr, sagte Athos, da Ihr die Reiterei befehligt… – Um Vergebung, ich befehlige als Chef. – Noch besser. Ihr müßt alle Eure Offiziere kennen? Ich meine die ausgezeichneten. – O ja, so ziemlich. – Habt die Güte, mir zu sagen, ob unter Euren Befehlen nicht der Chevalier d’Artagnan, Leutnant bei den Musketieren, steht? – Nein, er ist nicht bei uns. Vor mehr als sechs Wochen hat er Paris verlassen, und er befindet sich, wie man sagt, auf einer Sendung in England. – Ich wußte dies; aber ich glaubte, er wäre zurückgekehrt. – Nein, es ist mir auch nicht zu Ohren gekommen, daß ihn irgend jemand gesehen hat. Ich kann Euch um so eher hierüber Antwort erteilen, als die Musketiere zu den Unsrigen gehören und Herr von Chambon einstweilen die Stelle des Herrn d’Artagnan einnimmt.

Die zwei Freunde schauten sich an.

Ihr seht, sagte Athos. – Das ist seltsam, sprach Aramis. – Es muß ihm ein Unglück widerfahren sein. – Wir haben heute den achten, diesen Abend läuft die bestimmte Frist ab. Bekommen wir diesen Abend keine Nachricht, so reisen wir morgen früh.

Athos machte ein bestätigendes Zeichen mit dem Kopf, wandte sich sodann um und fragte:

Herr von Bragelonne, ein junger Mensch von fünfzehn Jahren, in der Umgebung des Prinzen, hat er vielleicht die Ehre, Euch bekannt zu sein, Herr Herzog?

Ja gewiß, erwiderte Chatillon, er ist diesen Morgen mit dem Herrn Prinzen zu uns gekommen; ein herrlicher junger Mann! Gehört er zu Euern Freunden, Herr Graf?

Ja, mein Herr, versetzte Athos sanft bewegt, weshalb ich ihn sogar zu sehen wünsche. Ist das möglich?

Sehr möglich, mein Herr. Wollt mich begleiten, ich führe Euch ins Hauptquartier.

Holla! sprach Aramis sich umwendend. Was ist das für ein gewaltiges Geräusch hinter uns?

In der Tat, ein Reiterhaufen kommt auf uns zu, sagte Chatillon.

Ich erkenne den Koadjutor an seinem Frondehut.

Und ich Herrn von Beaufort an seinen weißen Federn.

Sie kommen im Galopp. Der Prinz ist bei ihnen. Ah, seht, er verläßt sie.

Man schlägt Rappell! rief Chatillon, wir müssen uns erkundigen.

Man sah in der Tat die Soldaten zu ihren Waffen laufen und die Reiter, die zu Fuß waren, sich aus ihre Pferde schwingen. Die Trompeten erklangen, die Trommeln rasselten. Herr von Beaufort zog seinen Degen.

Der Prinz machte ein Rappellzeichen, und alle Offiziere der königlichen Armee, die sich unter die Pariser Truppen gemengt hatten, eilten auf ihn zu.

Meine Herren, sagte Chatillon, der Waffenstillstand ist offenbar aufgehoben; man wird sich schlagen. Kehrt also nach Charenton zurück, denn ich greife binnen kurzem an; seht, der Prinz gibt mir das Signal.

Ein Kornett hob wirklich dreimal die Standarte des Prinzen in die Lust.

Auf Wiedersehen! rief Chatillon und sprengte im Galopp davon, um zu seiner Eskorte zu gelangen.

Athos und Aramis wandten ihre Pferde ebenfalls und begrüßten den Koadjutor und Herrn von Beaufort.

Herr von Bouillon hatte am Ende der Konferenz einen so furchtbaren Gichtanfall bekommen, daß man ihn in einer Sänfte nach Paris hatte zurückbringen müssen.

Dagegen ritt der Herzog von Elboeuf, von seinen vier Söhnen wie von einem Generalstab umgeben, durch die Reihen des Pariser Heeres.

Dieser Mazarin ist eine wahre Schmach für Frankreich, sprach der Koadjutor, den Gürtel seines Degens fester schnallend, den er nach Art der alten militärischen Prälaten unter seinem erzbischöflichen Talar trug. Er ist ein Knauser, der Frankreich gern wie einen Meierhof regieren möchte. Frankreich kann auch nicht eher zu Ruhe und Glück kommen, als bis er das Land verlassen hat. Meine Herren, fuhr er fort, seht, der Feind rückt auf uns zu; ich hoffe, wir werden ihm den halben Weg ersparen.

Und ohne sich darum zu bekümmern, ob man ihm folgte oder nicht, sprengte er fort. Sein Regiment, das nach dem Namen seines Erzbistums Regiment Korinth hieß, setzte sich hinter ihm in Bewegung und begann den Kampf.

Herr von Beaufort ließ seine Reiterei unter der Anführung des Herrn von Noirmoutiers gegen Etampes vorrücken, wo sie einen Wagenzug mit Lebensmitteln abfangen sollte, die von den Parisern ungeduldig erwartet wurden.

Herr von Chanleu hielt sich mit dem Kern seiner Truppe bereit, Widerstand zu leisten, und nach einer halben Stunde hatte der Kampf an allen Enden begonnen.

Der Koadjutor, den der Ruhm des Herrn von Beaufort in Verzweiflung brachte, warf sich vor und tat persönlich Wunder der Tapferkeit. Sein Beruf war bekanntlich das Schwert, und er fühlte sich ungemein glücklich, so oft er vom Leder ziehen konnte, gleichviel für wen oder für was. Wenn er aber hier einen guten Soldaten abgab, so gab er zugleich einen schlechten Feldherrn ab. Er wollte mit sieben- bis achthundert Mann dreitausend überwinden, die sich in einer Masse in Bewegung gesetzt hatten; seine Soldaten wurden aber zurückgeschlagen und langten in völliger Unordnung auf den Wällen an. Aber Chanleus Artilleriefeuer hielt die königliche Armee plötzlich auf, und diese schien einen Augenblick erschüttert zu sein. Dies dauerte jedoch nicht lange, und sie formierte sich wieder hinter einer Gruppe von Häusern und einem kleinen Gehölze.

Chanleu glaubte, der Augenblick sei gekommen. Er rückte an der Spitze von zwei Regimentern hinaus, um die königliche Armee zu verfolgen; aber sie hatte sich, wie gesagt, wieder formiert und kehrte, von Herrn von Chatillon in Person geführt, zum Angriff zurück. Dieser Angriff war so ungestüm und geschickt gelenkt, daß Chanleu und seine Leute fast umzingelt wurde. Chanleu gab Befehl zum Rückzug, und dieser wurde, Fuß für Fuß, Schritt für Schritt, ausgeführt. Unglücklicherweise fiel Chanleu, tödlich getroffen, nach wenigen Augenblicken.

Herr von Chatillon sah ihn fallen und verkündigte laut seinen Tod, der den Mut der Truppen des königlichen Heeres verdoppelte und die zwei Regimenter, mit denen Chanleu seinen Ausfall gemacht hatte, völlig entmutigte. Demzufolge dachte jeder nur an seine eigene Rettung und trachtete nur danach, die Verschanzungen wiederzuerreichen, an deren Fuß der Koadjutor sein halb aufgeriebenes Regiment zu sammeln suchte.

Plötzlich kam eine Schwadron Kavallerie den Siegern entgegen, die mit den Flüchtlingen zusammen in die Verschanzungen eindrangen. Athos und Aramis ritten an der Spitze, Aramis, das Schwert und die Pistole in der Hand, Athos das Schwert in der Scheide, die Pistole im Halfter. Athos war ruhig und kalt, wie auf einer Parade, nur trübte sich sein edler Blick, als er so viele Menschen um unwürdiger Zwecke und Personen willen sich erwürgen sah. Aramis dagegen wurde wie gewöhnlich kampfestoll. Seine lebhaften Augen glühten; sein fein geschnittener Mund lächelte unheimlich; jeder seiner Schwertstreiche traf, und der Kolben seiner Pistole machte dem Verwundeten, der sich zu erheben suchte, den Garaus.

Auf der entgegengesetzten Seite und in den Reihen des königlichen Heeres griffen zwei Reiter, der eine mit einem vergoldeten Panzer, der andere durch ein einfaches Koller beschützt, aus dem die Ärmel eines Leibrockes von blauem Samt hervorsahen, in der ersten Linie an. Der Reiter mit dem vergoldeten Küraß sprengte auf Aramis zu und führte einen Schwertstreich nach ihm, den Aramis mit seiner gewöhnlichen Geschicklichkeit parierte.

Ah, Ihr seid es, Herr von Chatillon! rief der Chevalier; seid willkommen, ich erwartete Euch.

Ich hoffe, ich habe Euch nicht zu lange warten lassen, mein Herr, erwiderte der Herzog; in jedem Fall bin ich jetzt hier.

Herr von Chatillon, sprach Aramis und zog aus dem Halfter eine zweite Pistole, die er für diese Gelegenheit aufgespart hatte, ich glaube, Ihr seid ein Mann des Todes, wenn Eure Pistole nicht geladen ist.

Gott sei Dank, mein Herr, rief Chatillon, sie ist geladen.

Der Herzog hob seine Pistole, zielte und schoß. Aramis aber bückte sich in dem Augenblick, wo er den Herzog den Finger an den Drücker legen sah, und die Kugel flog, ohne ihn zu berühren, über ihn hin.

Ah, Ihr habt mich gefehlt, sagte Aramis; aber ich, das schwöre ich bei Gott, ich werde Euch nicht fehlen.

Wenn ich Euch Zeit dazu lasse! rief Herr von Chatillon, gab seinem Pferde die Sporen und sprengte mit gezücktem Degen auf ihn zu.

Aramis antwortete dem Herzog mit seinem bei solchen Gelegenheiten ihm eigentümlichen Lächeln, und Athos, der Herrn von Chatillon mit der Geschwindigkeit eines Blitzes auf Aramis vorrücken sah, öffnete den Mund, um zu rufen: Schießt! schießt doch! als der Schuß losging. Herr von Chatillon öffnete die Arme und fiel auf das Kreuz seines Pferdes.

Die Kugel war ihm durch den Ausschnitt des Panzers in die Brust gedrungen.

Ich bin tot! murmelte der Herzog.

Und er glitt von seinem Pferde auf die Erde herab.

Ich sagte es Euch, mein Herr, und es tut mir nun leid, daß ich mein Wort so gut gehalten habe. Kann ich Euch in irgend einer Beziehung nützlich sein?

Chatillon machte ein Zeichen mit der Hand, und Aramis schickte sich an, abzusteigen, als er plötzlich einen heftigen Stoß in die Seite erhielt, es war ein Degenstich, aber der Panzer hatte ihn pariert.

Er wandte sich rasch um und ergriff diesen neuen Gegner beim Faustgelenke; aber zu gleicher Zeit wurden zwei Schreie laut, von Athos und Aramis zugleich ausgestoßen.

Raoul!

Der junge Mann, der zugleich das Gesicht des Chevalier d’Herblay und die Stimme seines Vaters erkannte, ließ seinen Degen fallen. Mehrere Reiter der Pariser Armee kamen in diesem Augenblick auf Raoul zu, aber Aramis deckte ihn mit seinem Schwerte.

Mein Gefangener! Sucht also das Weite! rief er.

Athos nahm während dieser Zeit das Pferd seines Sohnes beim Zügel und führte es aus dem Gemenge.

Der junge Mann wurde von einem Freudenschauer ergriffen, als er seinen Herrn wiedersah. Sie galoppierten nebeneinander, die linke Hand des Jünglings ruhte in Athos‘ Rechter.

Was wolltest Du denn so weit vorn im Treffen machen, mein Freund? fragte Athos den Jüngling; da du nicht besser bewaffnet warst, so warst du, wie mir scheint, hier auch nicht an deinem Platze.

Ich sollte mich heute auch nicht schlagen, Herr; ich war mit einer Sendung an den Kardinal beauftragt und begab mich nach Rueil, als ich Herrn von Chatillon angreifen sah und Lust bekam, an seiner Seite mitzufechten. Da sagte er mir, daß zwei Kavaliere vom Pariser Heere mich suchen, und nannte mir den Grafen de la Fère.

Wie, du wußtest, daß wir hier waren, und wolltest deinen Freund, den Chevalier, töten!

Ich hatte den Herrn Chevalier unter seiner Rüstung nicht erkannt, entgegnete Raoul errötend; aber ich hätte ihn an seiner Geschicklichkeit und Kaltblütigkeit erkennen sollen.

Ich danke für das Kompliment, mein junger Freund, versetzte Aramis; man sieht, wer Euch Unterricht in der Höflichkeit gegeben hat. Doch Ihr geht nach Rueil, sagt Ihr?

Ja.

Zu dem Kardinal?

Allerdings. Ich habe eine Depesche vom Prinzen für Seine Eminenz.

Er muß sie überbringen, sagte Athos.

Keine falsche Großmut, Graf. Was, zum Teufel! unser Schicksal und, was noch wichtiger ist, das Schicksal unserer Freunde ist vielleicht in dieser Depesche enthalten.

Aber dieser junge Mann soll sich nicht gegen seine Pflicht verfehlen, entgegnete Athos.

Einmal ist dieser junge Mensch Gefangener, was Ihr zu vergessen scheint; was wir tun, ist also dem Kriegsbrauch gemäß; und dann dürfen Sieger in Beziehung auf die Wahl ihrer Mittel nicht so heikel sein. Gebt die Depesche, Raoul.

Raoul zögerte und schaute Athos an, als wollte er einen Verhaltungsbefehl in seinen Augen suchen.

Gib die Depesche, Raoul, sagte Athos; du bist der Gefangene des Chevalier d’Herblay.

Raoul fügte sich mit Widerstreben; aber weniger bedenklich in dieser Hinsicht, als der Graf de la Fère, griff Aramis hastig nach der Depesche, durchlief sie und sagte, sie Athos hinreichend:

So lest, und Ihr werdet in diesem Briefe bei näherer Überlegung einen Umstand finden, den uns die Vorsehung will wissen lassen.

Athos nahm den Brief, seine schöne Stirn faltend, aber der Gedanke, daß in dem Schreiben von d’Artagnan die Rede sei, half ihm seinen Widerwillen gegen das Lesen besiegen.

Der Brief lautete:

Monseigneur, ich werde diesen Abend Eurer Eminenz zur Verstärkung der Truppe des Herrn von Comminges die zehn Mann schicken, die Ihr verlangt. Es sind gute Soldaten, ganz geeignet, den zwei gewaltigen Gegnern standzuhalten, deren Gewandtheit und Entschlossenheit Eure Eminenz so sehr fürchtet.

Oh! oh! rief Athos.

Nun, fragte Aramis, was dünkt Euch von den zwei Gegnern, zu deren Bewachung man außer den Leuten des Herrn von Comminges zehn gute Soldaten braucht? Sieht das nicht ganz nach d’Artagnan und Porthos aus?

Wir streifen den ganzen Tag in Paris umher, sagte Athos, und wenn wir diesen Abend keine Kunde haben, schlagen wir wieder den Weg nach der Picardie ein, und ich stehe dafür, mit Hilfe der Einbildungskraft d’Artagnans werden wir bald irgend eine Andeutung finden, die uns alle Zweifel benimmt.

Heil der gefallenen Majestät

Als unsere Flüchtlinge sich dem Hause näherten, sahen sie die Erde zusammengetreten, als ob eine beträchtliche Reitertruppe vor ihnen dagewesen wäre; vor der Tür waren die Spuren noch sichtbarer; die Truppe hatte offenbar hier Halt gemacht.

Bei Gott, die Sache ist klar, rief Mousqueton, der König und seine Eskorte sind hier durchgekommen.

Teufel! sprach Porthos, sie werden alles verschlungen haben.

Bah! entgegnete d’Artagnan, sie haben gewiß noch ein Huhn übrig gelassen.

Und er sprang von seinem Pferd und klopfte an die Tür; aber niemand antwortete. Er stieß die Tür auf, die nicht verschlossen war, und fand das erste Zimmer leer und verlassen.

Nun? fragte Porthos. – Ich sehe niemand, erwiderte d’Artagnan. Ah, ah! – Was? – Blut!

Bei diesem Wort sprangen die drei Freunde ebenfalls von ihren Pferden und traten ins erste Zimmer; aber d’Artagnan hatte bereits die Tür des zweiten geöffnet, und an dem Ausdruck seines Gesichtes konnte man sehen, daß er etwas Außerordentliches wahrnahm.

Die drei Freunde näherten sich und erblickten einen noch jungen Menschen, der in einer Blutlache auf dem Boden ausgestreckt lag. Man sah, daß er sein Bett hatte erreichen wollen, aber aus Mangel an Kraft vorher niedergefallen war.

Athos war der erste, der zu dem Unglücklichen trat; er glaubte eine Bewegung an ihm bemerkt zu haben.

Nun? fragte d’Artagnan.

Wenn er tot ist, erwiderte Athos, so kann er es nicht lange sein, denn ich fühle noch Wärme in ihm. Bei Gott, sein Herz schlägt. He! Freund!

Der Verwundete stieß einen Seufzer aus; d’Artagnan nahm Wasser in seine hohle Hand und spritzte es ihm ins Gesicht.

Der junge Mann öffnete seine Augen, machte eine Bewegung, um seinen Kopf aufzurichten, und fiel wieder zurück.

Athos sah, daß der Verwundete am Schädel eine tiefe Wunde hatte, die stark blutete. Er tauchte eine Serviette ins Wasser und legte sie auf die Wunde; die Frische rief den Verwundeten zu sich, und er öffnete zum zweiten Mal die Augen.

Erstaunt schaute er die Menschen an, die ihn zu beklagen schienen und ihm, soweit es in ihrer Macht lag, Hilfe zu leisten suchten.

Ihr seid bei Freunden, sagte Athos englisch, beruhigt Euch also, und wenn Ihr die Kraft dazu habt, so erzählt uns, was vorgefallen ist.

Der König, murmelte der Verwundete, der König ist gefangen.

Ihr habt ihn gesehen? fragte Aramis in derselben Sprache.

Der junge Mann antwortete nicht.

Seid unbesorgt, versetzte Athos, wir sind treue Diener Seiner Majestät. – Ist es wahr, was Ihr mir da sagt? fragte der Verwundete. – Bei unserem adeligen Ehrenwort. – Dann kann ich Euch alles sagen. – Sprecht. – Ich bin der Bruder Parrys, des Kammerdieners Seiner Majestät.

Wir kennen ihn, sprach Athos, er verließ den König nie.

Ja, so ist es, sagte der Verwundete. Als er den König gefangen sah, dachte er an mich; man kam an diesem Hause vorüber, er bat um Gottes willen, daß man hier anhalten möchte. Die Bitte wurde bewilligt. Der König, sagte man, habe Hunger; man ließ ihn in das Zimmer eintreten, wo ich mich befinde, damit er speisen könnte, und stellte Schildwachen an die Türen und Fenster. Parry kannte dieses Zimmer, denn er hatte mich wiederholt besucht, während sich Seine Majestät in Newcastle aufhielt. Er wußte, daß in diesem Zimmer eine Falltür war, daß diese Falltür in den Keller führte, und daß man aus dem Keller in den Obstgarten gelangen konnte. Er machte mir ein Zeichen. Ich begriff. Aber dieses Zeichen wurde ohne Zweifel von den Wächtern des Königs bemerkt und machte sie mißtrauisch. Da ich nicht wußte, daß man etwas vermutete, so hatte ich nur ein Verlangen, nämlich den König zu retten. Ich stellte mich daher, als ginge ich hinaus, um Holz zu holen, denn ich dachte, es sei keine Zeit zu verlieren, und trat in den unterirdischen Gang, der in den Keller führte, der mit der Falltür in Verbindung stand; ich hob das Brett mit meinem Kopfe auf, und während Parry leise den Türriegel vorstieß, bedeutete ich dem König durch ein Zeichen, er möge mir folgen. Ach! er wollte nicht, man hätte glauben sollen, diese Flucht widerstrebe ihm. Aber Parry faltete flehend die Hände, ich bat ihn ebenfalls, eine solche Gelegenheit nicht entschlüpfen zu lassen. Endlich entschloß er sich, mir zu folgen. Ich ging zum Glück voraus; der König kam einige Schritte hinter mir, als ich plötzlich in dem unterirdischen Gange etwas wie einen großen Schatten sich erheben sah. Ich wollte schreien, um den König zu benachrichtigen, aber ich hatte nicht mehr Zeit dazu. Ich fühlte einen Schlag, als ob das Haus über meinem Kopf zusammenstürzte, und fiel ohnmächtig nieder.

Guter, rechtschaffener Engländer! treuer Diener! sprach Athos.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf demselben Platze. Ich schleppte mich bis in den Hof; der König und seine Eskorte hatten sich entfernt. Ich brauchte vielleicht eine Stunde, um vom Hof hierher zu gelangen; hier aber schwanden meine Kräfte, und ich fiel abermals in Ohnmacht.

Sie trugen den Mann auf sein Bett. Man ließ Grimaud kommen, der seine Wunde verband. Grimaud hatte im Dienst der vier Freunde so oft Gelegenheit gehabt, Scharpie und Kompressen zu machen, daß ein gewisser Schimmer von Wundarzneikunde an ihm haften geblieben war.

Während dieser Zeit kehrten die Flüchtlinge in das erste Zimmer zurück, um zu beratschlagen.

Wir wissen nun, woran wir uns zu halten haben, sprach Aramis, der König und seine Eskorte sind tatsächlich hier vorübergekommen; wir müssen die entgegengesetzte Richtung einschlagen. Ist dies auch Eure Ansicht, Athos?

Athos antwortete nicht, er dachte nach; dann wandte er sich an d’Artagnan mit der Frage:

Was denkt Ihr? Seid Ihr der Meinung von Aramis? – Nein, erwiderte d’Artagnan, ich bin ganz entgegengesetzter Meinung. – Wie? Ihr wollt der Eskorte folgen? rief Porthos erschrocken. – Nein, aber mit ihr marschieren. – Mit der Eskorte marschieren! rief Aramis. – Laßt d’Artagnan reden, Ihr wißt, daß er der Mann des guten Rates ist, sagte Athos. – Allerdings, sprach d’Artagnan, wir müssen dahin gehen, wo man uns nicht suchen wird. Man wird sich aber wohl hüten, uns unter den Puritanern zu suchen; gehen wir also unter die Puritaner! – Gut, Freund, gut; ein vortrefflicher Rat; ich hätte ihn gegeben, wenn Ihr mir nicht zuvorgekommen wäret, sagte Athos. – Es ist also auch Eure Ansicht? fragte Aramis. – Ja, man wird glauben, wir wollen England verlassen, man wird uns in den Häfen suchen; während dieser Zeit gelangen wir mit dem König nach London. Sind wir einmal in London, so kann man uns nicht finden; unter einer Million Menschen ist es nicht schwer, sich zu verbergen, abgesehen von den Aussichten, die uns diese Reise bietet, fügte Athos mit einem Blick auf Aramis bei. – Ja, versetzte dieser, ich begreife. Aber werden wir dem Obersten Harrison nicht verdächtig vorkommen?

Ei! Gottes Tod, gerade auf ihn zähle ich, rief d’Artagnan; der Oberst Harrison gehört zu unsern Freunden; wir haben ihn zweimal bei dem General Cromwell gesehen; er weiß, daß wir von Mazarin zu ihm geschickt worden sind, und wird uns als Freunde betrachten. Ist er übrigens nicht der Sohn eines Fleischers? Nun, Porthos zeigt ihm, wie man einen Ochsen mit einem Faustschlag tötet, und ich, wie man einen Stier niederwirft, indem man ihn an den Hörnern packt; dadurch werden wir sein Zutrauen gewinnen.

Athos lächelte und sagte: Ihr seid der beste Gefährte, den ich kenne, d’Artagnan, und ich bin glücklich, Euch wiedergefunden zu haben, mein lieber Sohn.

In diesem Augenblick trat Grimaud aus dem andern Zimmer. Der Verwundete war verbunden und befand sich besser. Die vier Freunde nahmen von ihm Abschied und fragten ihn, ob er ihnen nicht einen Auftrag an seinen Bruder zu geben hätte.

Sagt ihm, erwiderte der brave Mann, er möge den König wissen lassen, daß sie mich nicht ganz umgebracht haben. So wenig ich auch bin, so weiß ich doch, daß Seine Majestät mich bedauern und sich meinen Tod zum Vorwurf machen würde.

Seid unbesorgt, sprach d’Artagnan, er soll es vor Abend erfahren.

Der kleine Trupp setzte sich wieder in Marsch. Bald sahen sie in einer Entfernung von etwa einer Stunde eine bedeutende Reiterschar vor sich.

Liebe Freunde, sprach d’Artagnan, gebt eure Degen Herrn Mousqueton, der sie euch seiner Zeit und gehörigen Orts wiedergeben wird, und vergeßt nicht, daß ihr unsere Gefangenen seid.

Dann setzte man die Pferde, die müde zu werden anfingen, in Trab, und bald hatte man die Eskorte eingeholt.

Als der König, der auch jetzt noch seine Würde bewahrte, Athos und Aramis erblickte, stieg, obgleich er sie für Gefangene hielt, eine Röte der Freude in seine bleichen Wangen.

D’Artagnan erreichte die Spitze der Kolonne, ließ seine Freunde unter Porthos‘ Bewachung zurück und ritt gerade auf Harrison zu, der ihn wirklich als einen Mann erkannte, den er bei Cromwell gesehen hatte, und ihn so artig empfing, wie ein Mensch seiner Herkunft und seines Charakters irgend jemand empfangen konnte.

Man hielt an; bei diesem Halt sollte der König zu Mittag speisen. Nur wurden diesmal Vorsichtsmaßregeln getroffen, um jeden Fluchtversuch zu verhindern. Im großen Zimmer des Gasthauses wurden ein kleiner Tisch für ihn und ein großer für die Offiziere aufgestellt.

Speist Ihr mit mir? fragte Harrison d’Artagnan.

Teufel! erwiderte dieser, das würde mir großes Vergnügen machen, aber ich habe meinen Gefährten, Herrn du Vallon und meine zwei Gefangenen, die ich nicht verlassen kann, und so würde Euer Tisch gar zu sehr in Anspruch genommen. Doch laßt einen Tisch in irgend einem Winkel hier decken und schickt uns, was Euch beliebt, von dem Eurigen, denn sonst laufen wir Gefahr, zu verhungern. Wir speisen dann immer noch zusammen, insofern wir in einem Zimmer speisen.

Es sei! sprach Harrison.

Die Sache wurde nach d’Artagnans Wunsch geordnet, und als er zurückkam, fand er den König bereits an seinem Tischchen sitzend und von Parry bedient. Die Tafel, an der die puritanischen Offiziere saßen, war rund, und Harrison kehrte, mochte es nun Zufall oder plumpe Absicht sein, dem König den Rücken.

Die vier Edelleute setzten sich an den ihnen vorbehaltenen Tisch und nahmen ihre Plätze so, daß sie niemand den Rücken zukehrten; ihnen gegenüber waren der Offizierstisch und der Tisch des Königs.

Um seine Gäste zu ehren, schickte ihnen Harrison die besten Gerichte seiner Tafel.

Meiner Treu‘, Oberst, sprach d’Artagnan, wir sind Euch sehr dankbar für Eure freundliche Einladung, denn ohne Euch liefen wir Gefahr, das Mittagessen entbehren zu müssen, wie wir das Frühstück entbehren mußten, und mein Freund, Herr du Vallon hier, teilt meine Dankbarkeit, denn er hatte großen Hunger.

Ich habe noch Hunger, sprach Porthos, sich vor dem Oberst Harrison verbeugend.

Und wie hat sich das wichtige Ereignis zugetragen, daß Ihr das Frühstück entbehren mußtet? fragte lachend der Oberst.

D’Artagnan erzählte darauf, sie hätten unterwegs alles von der vorausreitenden Eskorte verzehrt gefunden, und verflocht in seinem Bericht mit kluger Berechnung den für den König und Parry berechneten Umstand, daß sie in einem Häuschen statt der erwarteten Hühner einen scheinbar getöteten, aber in Wahrheit nicht lebensgefährlich verwundeten Menschen gefunden hätten.

Ein Offizier an des Obersten Seite, namens Groslow, der sich als der Angreifer des jungen Mannes bekannte, war über diese Mitteilung betreten, während Karl I. und Parry, die d’Artagnans Worten atemlos gefolgt waren, erfreut aufatmeten.

In der Tat, d’Artagnan, sprach Athos leise, Ihr seid zugleich ein Mann von Wort und von Geist. Aber was sagt Ihr von dem König?

Sein Gesicht gefällt mir ungemein, versetzte d’Artagnan; er sieht edel und gut aus.

Ja, aber er läßt sich gefangen nehmen, entgegnete Porthos, und darin hat er unrecht.

Ich habe Lust, auf die Gesundheit des Königs zu trinken, sagte Athos.

Dann laßt mich die Gesundheit ausbringen, sprach d’Artagnan.

Tut es, versetzte Aramis.

D’Artagnan nahm seinen zinnernen Becher, füllte ihn, stand auf und sprach zu seinen Gefährten: Trinken wir auf den Vorsitzenden bei unserm Mahl, auf unsern Obersten, und er mag wissen, daß wir ihm bis London und noch weiter zu Diensten sind!

Und da d’Artagnan bei diesen Worten Harrison anschaute, so glaubte dieser, der Toast gelte ihm; er erhob sich also und trank den vier Freunden zu, die, die Augen auf König Karl geheftet, gleichzeitig tranken.

Karl reichte sein Glas Parry, der ihm einige Tropfen Bier eingoß, denn der König wurde gerade wie die andern bedient; dann setzte er es an den Mund, schaute die vier Edelleute an und leerte es mit einem würdevollen Lächeln der Dankbarkeit.

Auf, meine Herren, rief Harrison, sein Glas wieder auf den Tisch stellend und ohne irgend eine Rücksicht für den erhabenen Gefangenen, den er führte, vorwärts!

Wo werden wir Nachtlager halten, Oberst?

In Tirsk, antwortete Harrison.

Parry, sagte der König, ebenfalls aufstehend und sich nach seinem Diener umwendend, mein Pferd. Ich will nach Tirsk reiten.

Das Haus Cromwells

Es war in der Tat Mordaunt, den d’Artagnan, ohne ihn zu erkennen, verfolgt hatte. In das Haus eintretend, hatte er seine Larve und den gräulichen Bart, den er, um sich unkenntlich zu machen, angelegt, wieder abgenommen, war die Treppe hinausgegangen, hatte die Tür geöffnet und befand sich in einem durch den Schimmer einer Lampe erleuchteten und mit einer dunkelfarbigen Tapete ausgeschlagenen Zimmer einem Manne gegenüber, der an einem Tische saß und schrieb.

Dieser Mann war Cromwell, der bekanntlich in London mehrere solche, selbst dem größeren Teile seiner Freunde unbekannte Schlupfwinkel besaß. Mordaunt konnte aber, wie man sich erinnert, zu der Zahl seiner Vertrautesten gerechnet werden.

Habt Ihr genaue Nachricht erhalten? fragte Mordaunt im Laufe eines eifrigen Gespräches sein Gegenüber. – Keine; ich bin seit diesem Morgen hier und weiß nur, daß ein Komplott stattfand, um den König zu retten. – Ah, Ihr wußtet dies? – Es ist nichts daran gelegen. Vier als Arbeiter verkleidete Männer sollten den König aus dem Gefängnisse bringen und nach Greenwich führen, wo eine Barke ihrer harrte. – Und von alldem unterrichtet, hielt sich Eure Ehren hier entfernt von der City ruhig und untätig? – Ruhig, ja; aber wer sagt Euch untätig? – Wenn das Komplott gelungen wäre? – Ich hätte es gewünscht. – Ich dachte, Eure Ehren betrachte den Tod Karls I. als ein für England notwendiges Unglück. – Ich denke immer noch so; aber wenn er nur aus dem Leben schied, mehr bedurfte es nicht; es wäre vielleicht besser gewesen, es wäre nicht auf dem Schafott geschehen. – Aber warum dies. Eure Ehren?

Cromwell lächelte.

Vergebt, sprach Mordaunt; Ihr wißt, General, ich bin ein Lehrling in der Politik und wünsche unter allen Umständen Lektionen zu benutzen, die mein Meister mir zu geben die Güte haben will. – Weil man gesagt hätte, ich habe ihn durch das Gericht verurteilen und dann aus Barmherzigkeit entfliehen lassen. – Wenn er aber entflohen wäre? – Unmöglich. – Unmöglich? – Ja, meine Vorsichtsmaßregeln waren getroffen. – Und Eure Ehren kennt die vier Männer, die den König zu retten unternommen hatten? – Es sind die vier Franzosen, von denen zwei durch Madame Henriette an ihren Gatten und zwei von Mazarin an mich abgeschickt wurden. – Glaubt Ihr, Herr, Mazarin habe sie beauftragt, zu tun, was sie getan haben? – Möglich, aber er wird sie verleugnen. – Warum dies? – Weil sie scheiterten. – Eure Ehren schenkten mir zwei von diesen Franzosen, weil sie schuldig waren, die Waffen zu Gunsten Karls I. getragen zu haben, will mir Eure Ehren nun, da sie eines Komplottes gegen England schuldig sind, alle vier schenken? – Nehmt sie, sagte Cromwell.

Mordaunt verbeugte sich mit einem Lächeln triumphierender Wildheit.

Doch kommen wir auf den unglücklichen Karl zurück, fuhr Cromwell fort, als er sah, daß Mordaunt sich anschickte, zu danken. Hat man im Volke geschrien?

Sehr wenig, außer: Es lebe Cromwell!

Es scheint, der improvisierte Henker habe seine Schuldigkeit sehr gut getan, sagte Cromwell; der Schlag wurde, wenigstens wie man mir gemeldet hat, mit Meisterhand geführt. – In der Tat, sprach Mordaunt mit ruhiger Stimme und unempfindlichem Gesicht, ein einziger Streich genügte. – Vielleicht war es einer vom Handwerk, sagte Cromwell. Glaubt Ihr, Herr? – Warum nicht? – Dieser Mensch sah nicht wie ein Henker aus. – Und wer anders als ein Henker hätte dieses furchtbare Geschäft verrichten wollen? fragte Cromwell. – Vielleicht ein persönlicher Feind Karls, der das Gelübde der Rache getan und dieses Gelübde in Erfüllung gebracht hat. Vielleicht irgend ein Edelmann, der gewichtige Ursachen hatte, den entsetzten König zu hassen, und da er wußte, daß er entfliehen und entkommen sollte, sich ihm mit verlarvtem Antlitz und dem Beil in der Hand, nicht als Stellvertreter des Henkers, sondern als Bevollmächtigter des Verhängnisses in den Weg stellte. – Das ist möglich, sprach Cromwell. – Wenn dem so wäre, würde Eure Ehren seine Handlung verdammen? – Es ist nicht meine Sache, zu richten, es ist dies Sache zwischen Gott und ihm. – Wenn aber Eure Ehren diesen Edelmann kennen würde? – Ich kenne ihn nicht, mein Herr, antwortete Cromwell, und will ihn nicht kennen. – Ohne diesen Menschen war der König gerettet.

Cromwell lächelte.

Allerdings. Ihr habt selbst gesagt, man entführte ihn.

Man entführte ihn bis Greenwich. Dort schiffte er sich auf einer Feluke mit seinen vier Rettern ein. Aber auf der Feluke waren vier Männer, die mir, und vier Tonnen Pulver, die der Nation gehörten. Auf der See stiegen die vier Männer in die Schaluppe herab, und Ihr seid bereits ein zu gewandter Politiker, als daß ich Euch das übrige zu erklären brauchte. Ja, auf der See wurden sie insgesamt in die Luft gesprengt.

Richtig. Die Explosion tat, was das Beil nicht hatte tun wollen. Der König Karl verschwand und war vernichtet. Man hätte gesagt, der menschlichen Gerechtigkeit entgangen, sei er von der himmlischen Rache verfolgt und erreicht worden; wir waren nur seine Richter, und Gott hat die Strafe an ihm vollzogen. Diesen Vorteil habe ich durch Euren verlarvten Edelmann verloren, Mordaunt.

Herr, sprach Mordaunt, ich neige mich wie immer in Demut vor Euch. Ihr seid tiefer Denker, und Euer Plan mit der Feluke ist wahrhaftig erhaben.

Ihr werdet also diesen Abend nach Greenwich abgehen, sprach Cromwell aufstehend; Ihr fragt nach dem Patron der Feluke » der Blitz« und zeigt ihm ein an den vier Enden geknüpftes Taschentuch … dies war das verabredete Signal; Ihr sagt den Leuten, sie sollen wieder an das Land steigen, und laßt das Pulver in das Arsenal bringen, wenn nicht anders … diese Feluke, so wie sie ist. Euren persönlichen Zwecken dienlich sein kann. – Ah! Herr! rief Mordaunt, indem Euch Gott zu seinem Auserwählten machte, gab er Euch seinen Blick, dem nichts entgehen kann.

Cromwell nahm seinen Mantel.

Ihr entfernt Euch? fragte Mordaunt.

Ja, ich habe gestern und vorgestern hier übernachtet, und Ihr wißt, daß es nicht meine Gewohnheit ist, dreimal in demselben Bette zu schlafen.

Eure Ehren gibt mir also jede Freiheit für die Nacht?

Und sogar für den morgigen Tag, wenn es nötig ist. Ihr habt seit gestern abend genug für meinen Dienst getan, sagte Cromwell lächelnd, und wenn Ihr Privatangelegenheiten abzumachen habt, so ist es billig, daß ich Euch Zeit dazu lasse.

Ich danke, Herr, sie wird, wie ich hoffe, benutzt werden.

Cromwell machte Mordaunt ein Zeichen mit dem Kopfe; dann wandte er sich um und fragte: Seid Ihr bewaffnet? – Ich habe meinen Degen. – Und niemand, der Euch vor der Tür erwartet? – Niemand. – Dann solltet Ihr mit mir gehen, Mordaunt. – Ich danke; die Umwege, die Ihr machen müßt, um durch den unterirdischen Gang zu gelangen, würden mir Zeit rauben, und nach dem, was Ihr mir sagtet, habe ich vielleicht bereits zu viel verloren. Ich gehe durch eine andere Tür. – Geht also, sprach Cromwell, und seine Hand auf einen verborgenen Knopf legend, öffnete er eine Türe, die so gut unter der Tapete versteckt war, daß auch das geübteste Auge sie nicht zu erkennen vermochte.

Während des letzten Teiles dieser Szene hatte Grimaud durch eine Öffnung des nicht zugezogenen Vorhangs die zwei Männer wahrgenommen und Cromwell und Mordaunt erkannt. Man hat die Wirkung gesehen, welche diese Kunde auf die vier Freunde hervorbrachte.

D’Artagnan war der erste, der wieder zur vollen Besinnung kam.

Mordaunt! sagte er, ah! beim Himmel, Gott selbst schickt ihn uns.

Ja, laßt uns die Tür eintreten und über ihn herfallen, sprach Porthos.

Im Gegenteil, erwiderte d’Artagnan, treten wir nicht ein … keinen Lärm, der Lärm führt Leute herbei, denn wenn er, wie Grimaud sagt, bei seinem würdigen Herrn ist, so muß fünfzig Schritte von hier ein Posten verborgen sein. Holla! Grimaud, steigt noch einmal hinauf und sagt uns, ob Mordaunt noch Gesellschaft hat, ob er auszugehen oder sich zu Bette zu legen im Begriff ist. Geht er aus, so fassen wir ihn vor der Tür; bleibt er, so brechen wir das Fenster ein; das ist immer noch weniger geräuschvoll und schwierig, als eine Tür.

Grimaud fing an, schweigend das Fenster zu erklettern.

Bewacht den andern Ausgang, Athos und Aramis, ich bleibe mit Porthos hier.

Die Freunde gehorchten.

Nun, Grimaud? fragte d’Artagnan. – Er ist allein. – Bist du dessen sicher? – Ja. – Wir haben seinen Gefährten nicht herausgehen sehen. – Vielleicht ist er durch die andere Tür hinausgegangen. – Was tut er? – Er hüllt sich in seinen Mantel und zieht seine Handschuhe an. So gehört er uns! murmelte d’Artagnan.

Still, flüsterte Grimaud; er ist im Begriff zu gehen. Er nähert sich der Lampe, er bläst sie aus; ich sehe nichts mehr.

Herab zu Boden!

Grimaud sprang rückwärts und fiel auf seine Beine. Der Schnee dämpfte das Geräusch. Man hörte nichts.

Benachrichtige Athos und Aramis, sie sollen sich auf jede Seite der Tür stellen, wie Porthos und ich es hier machen; wenn sie ihn fassen, sollen sie in die Hände klatschen; wir klatschen, wenn wir ihn fassen.

Porthos drückte sich an die Mauer, daß man hätte glauben sollen, er wolle hineindringen. D’Artagnan tat dasselbe.

Man hörte nun Mordaunts Tritt auf der schallenden Treppe. Eine kleine unbemerkbare Klappe an der Tür wurde geöffnet. Mordaunt schaute heraus, aber gewahrte nichts. Dann steckte er den Schlüssel ins Schloß, die Tür tat sich auf, und er erschien auf der Schwelle.

In demselben Augenblick fand er sich d’Artagnan gegenüber.

Er wollte die Tür wieder zustoßen. Porthos näherte sich dem Knopfe, riß sie weit auf und klatschte dreimal in die Hände. Athos und Aramis liefen herbei.

Mordaunt wurde leichenblaß, aber er gab keinen Schrei von sich, er rief nicht um Hilfe.

D’Artagnan ging gerade auf Mordaunt zu, stieß ihn gleichsam mit seiner Brust zurück und trieb ihn rückwärts die ganze Treppe hinauf, die durch eine Lampe beleuchtet war, die dem Gascogner gestattete, die Hände Mordaunts nicht aus dem Auge zu verlieren; Mordaunt aber begriff, daß er sich, wenn er d’Artagnan getötet, noch seiner drei andern Feinde zu entledigen hätte. Er machte also nicht die geringste Bewegung, um sich zu verteidigen, nicht eine einzige drohende Gebärde. Zur Tür gelangt, fühlte sich Mordaunt mit dem Rücken an dieselbe gepreßt, und er glaubte wohl, hier würde alles mit ihm zu Ende gehen. Aber er täuschte sich, d’Artagnan streckte die Hand aus und öffnete die Tür; Mordaunt und er befanden sich also in dem Zimmer, in dem der junge Mann zehn Minuten vorher mit Cromwell gesprochen.

Porthos und Aramis erschienen an der Tür, die sie sodann verschlossen.

Habt die Güte und setzt Euch, sprach d’Artagnan, dem jungen Mann einen Stuhl reichend.

Dieser nahm den Stuhl und setzte sich, bleich, aber ruhig. Drei Schritte von ihm stellte Aramis drei Stühle für sich, d’Artagnan und Porthos.

Athos setzte sich in den entferntesten Winkel des Zimmers und schien entschlossen, ein unbeweglicher Zuschauer dessen, was vorgehen sollte, zu bleiben. Er sah niedergeschlagen aus. Porthos rieb sich die Hände mit fieberhafter Ungeduld. Aramis biß sich, obgleich er lächelte, bis aufs Blut in die Lippen. D’Artagnan allein mäßigte sich, wenigstens scheinbar.

Herr Mordaunt, sagte er zu dem jungen Mann, da der Zufall, nachdem wir uns so viele Tage vergeblich nachgelaufen sind, uns endlich zusammenführt, so wollen wir ein wenig plaudern, wenn es Euch gefällig ist.

Unterredung

Mordaunt war so unvermutet überrascht worden, er war unter dem Eindruck eines so verwirrten Gefühls die Treppe hinangestiegen, daß er noch zu keiner vollständigen Überlegung hatte kommen können. Seine erste Empfindung war nur ein unüberwindlicher Schrecken, eine Bestürzung gewesen, wie sie jeden Menschen ergreift, den ein an Kraft überlegener Todfeind in dem Augenblick, wo er diesen Feind an einem andern Ort und mit ganz andern Dingen beschäftigt glaubt, am Arme faßt. Sobald er aber merkte, daß ihm, gleichviel in welcher Absicht, eine Frist gegönnt war, so raffte er alle seine Gedanken und Kräfte zusammen. D’Artagnans feuriger Blick elektrisierte ihn gleichsam, statt ihn einzuschüchtern; denn dieser Blick war, so drohend er ihn anflammte, wenigstens ehrlich in seinem Haß und in seinem Zorn.

Mordaunt sprach nichts. Er kreuzte nur, als er sich versichert hatte, daß sein Schwert stets zu seiner Verfügung stand, ganz gelassen seine Beine und wartete.

Dieses Stillschweigen konnte nicht länger andauern, ohne lächerlich zu werden. D’Artagnan begriff dies und begann das Gespräch:

Es scheint mir, mein Herr, sagte er mit seiner tödlichen Höflichkeit, Ihr wechselt die Trachten beinahe so rasch, wie ich dies bei den italienischen Schauspielern gesehen habe, die der Kardinal von Mazarin aus Bergamo kommen ließ und Euch ohne Zweifel bei Eurer Reise nach Frankreich zeigte.

Mordaunt antwortete nicht.

Soeben, fuhr d’Artagnan fort, waret Ihr als Mörder verkleidet oder vielmehr gekleidet, und nun …

Und nun sehe ich im Gegenteil aus, als trüge ich das Gewand eines Menschen, den man ermorden will, nicht wahr? erwiderte Mordaunt mit seinem ruhigen, kurzen Tone.

Oh! mein Herr, versetzte d’Artagnan, wie könnt Ihr so etwas sagen, da Ihr Euch in Gesellschaft von Edelleuten befindet und ein gutes Schwert an Eurer Seite habt?

Kein Schwert ist so gut, mein Herr, daß es vier Schwertern und vier Dolchen gleichkäme, die Schwerter und Dolche Eurer Spießgesellen, die Euch vor der Tür erwarten, nicht zu rechnen.

Verzeiht, mein Herr, sprach d’Artagnan, Ihr seid im Irrtum; die Menschen, welche uns vor der Tür erwarten, sind nicht unsere Spießgesellen, sondern unsere Lakaien.

Mordaunt antwortete nur mit einem Lächeln, das seine Lippen ironisch verzog.

Doch es handelt sich nicht darum, versetzte d’Artagnan, und ich komme auf meine Frage zurück. Ich gebe mir also die Ehre, Euch zu fragen, warum Ihr Euer Äußeres verändert habt; die Larve war Euch ziemlich bequem, wie es mir scheint. Der graue Bart stand Euch vortrefflich, und was das Beil betrifft, mit dem Ihr einen so ausgezeichneten Streich geführt habt, so glaube ich, daß es Euch in diesem Augenblick auch nicht schlecht lassen würde. Warum habt Ihr also gewechselt?

Ich erinnerte mich der Szene von Armentières und dachte, ich würde vier Beile statt eines finden, da ich unter vier Henker geraten sollte.

Mein Herr, antwortete d’Artagnan mit der größten Ruhe, obgleich eine leichte Bewegung seiner Augenbrauen andeutete, daß er warm zu werden anfing, damals lag die Sache ganz anders als hier. Wir konnten Eurer Mutter keinen Degen anbieten und sie bitten, mit uns zu fechten. Aber von Euch, mein Herr, von einem jungen Kavalier, der mit dem Dolch und der Pistole spielt, wie wir dies gesehen, und ein Schwert von solcher Länge an der Seite trägt, kann man wohl die Gunst eines Zweikampfs erwarten.

Ah, ah! sagte Mordaunt, Ihr verlangt also ein Duell?

Und er erhob sich mit funkelndem Auge, um die Herausforderung sogleich anzunehmen.

Stets zu solchen Abenteuern bereit, stand Porthos ebenfalls auf.

Verzeiht, sprach d’Artagnan mit derselben Kaltblütigkeit; übereilen wir uns nicht, denn jeder von uns muß wünschen, daß die Dinge in aller Ordnung vor sich gehen. Setzt Euch also wieder, Porthos, und Ihr, mein Herr Mordaunt, wollt gefälligst ruhig bleiben. Wir werden diese Angelegenheit auf das beste ordnen, und ich will offenherzig gegen Euch sein. Bekennt, Herr Mordaunt, daß Ihr große Lust habt, den einen oder den andern von uns zu töten?

Einen und die andern, antwortete Mordaunt.

Lieber Herr Mordaunt, ich habe Euch zu sagen, daß diese Herren Eure guten Gefühle für sie erwidern und sehr erfreut wären, Euch zu töten. Ich sage noch mehr, sie werden Euch wahrscheinlich töten. Doch es soll in der Weise redlicher Edelleute geschehen, und ich gebe Euch den besten Beweis für meine Worte.

Damit warf d’Artagnan seinen Hut auf den Boden, rückte seinen Stuhl an die Wand zurück, winkte seinen Freunden dasselbe zu tun, begrüßte Mordaunt mit französischer Artigkeit und sprach:

Ich stehe zu Euren Befehlen, mein Herr; denn wenn Ihr nichts gegen die Ehre, die ich fordere, einzuwenden habt, so fange ich an; mein Degen ist zwar kürzer als der Eurige, aber basta, ich hoffe, der Arm wird den Degen ergänzen.

Es bedurfte aber erst der entschiedensten Willensäußerung d’Artagnans, ehe er seine Freunde bestimmen konnte, ihm das Erstlingsrecht der Rache zu überlassen.

Hierauf wandte er sich wieder Mordaunt zu und sagte:

Mein Herr, ich erwarte Euch.

Und ich, meine Herren, bewundere Euch. Ihr streitet, wer von Euch sich zuerst mit mir schlagen soll, und fragt mich nicht um meine Ansicht, während doch die Sache mich auch ein wenig angeht, wie mir scheint. Ich hasse Euch alle, das ist wahr, aber in verschiedenen Graden. Ich hoffe, Euch alle zu töten, habe aber mehr Hoffnung, den ersten, als den zweiten, den zweiten als den dritten, den dritten, als den letzten zu töten. Ich nehme also das Recht in Anspruch, meinen Gegner zu wählen. Verweigert Ihr mir dieses Recht, so tötet mich, ich schlage mich nicht.

Die vier Freunde schauten sich an.

Das ist richtig, sprachen Aramis und Porthos, in der Hoffnung, die Wahl würde auf sie fallen.

Athos und d’Artagnan sagten nichts.

Nun wohl, sprach Mordaunt mitten unter der tiefen, feierlichen Stille, die in dem geheimnisvollen Hause herrschte, nun wohl, ich wähle zu meinem ersten Gegner denjenigen von Euch, der sich, da er sich nicht mehr für würdig hielt, Graf de la Fère zu heißen, Athos nannte.

Athos erhob sich von seinem Stuhl, als ob ihn eine Feder auf die Beine geschnellt hätte; aber zum großen Erstaunen seiner Freunde sprach er nach kurzem Schweigen, den Kopf schüttelnd: Herr Mordaunt, jeder Zweikampf unter uns ist unmöglich; erweist also einem andern die mir bestimmte Ehre.

Und er setzte sich wieder.

Ah! sagte Mordaunt, bereits einer, dem bange ist.

Tausend Donner! rief d’Artagnan, auf den jungen Mann zuspringend, wer sagt, Athos sei bange?

Laßt ihn sprechen, versetzte Athos mit einem traurigen, verächtlichen Lächeln.

Ist dies Euer Entschluß? fragte der Gascogner.

Unwiderruflich.

Gut, sprechen wir nicht mehr davon.

Dann sich gegen Mordaunt umwendend: Ihr habt gehört, mein Herr, der Graf de la Fère will Euch nicht die Ehre antun, sich mit Euch zu schlagen. Sucht unter uns einen Stellvertreter für ihn.

Schlage ich mich nicht mit ihm, so ist mir wenig daran gelegen, mit wem ich mich schlage. Legt eure Namen in einen Hut, und ich werde auf den Zufall herausziehen.

Das ist ein Gedanke, sprach d’Artagnan.

Sie taten nach diesem Vorschlag, und d’Artagnan stieß einen Freudenschrei aus, als sein Name zuerst gezogen wurde, und rief: Es gibt noch eine Gerechtigkeit im Himmel. Seid Ihr bereit, Herr?

Ich erwarte Euch, sprach Mordaunt, den Kopf erhebend und d’Artagnan mit einem Auge anschauend, dessen Ausdruck sich nicht beschreiben läßt.

Dann nehmt Euch in acht, mein Herr, sagte der Gascogner, ich führe den Degen ziemlich gut.

Ich auch, erwiderte Mordaunt.

Desto besser, das beruhigt mein Gewissen. Legt aus!

Einen Augenblick, sagte der junge Mann; gebt mir Euer Ehrenwort, meine Herren, daß ihr mich nur einer nach dem andern angreifen werdet.

Um das Vergnügen zu haben, uns zu beleidigen, forderst du das von uns, kleine Schlange? rief Porthos.

Nein, sondern um ein ruhiges Gewissen zu haben, wie dieser Herr soeben sagte.

Dahinter muß ein anderer Grund stecken, murmelte d’Artagnan und schaute mit einer gewissen Unruhe um sich her.

Auf Edelmanns Wort! sprachen Aramis und Porthos gleichzeitig.

Dann stellt euch in eine Ecke, meine Herren, sagte Mordaunt, wie es der Herr Graf de la Fère getan hat, der, wenn er sich auch nicht schlagen will, doch wenigstens die Gesetze des Zweikampfes kennt, und laßt uns freien Raum, wir brauchen ihn.

Porthos und Aramis stellten sich, um jeden Vorwand zu weiterer Verzögerung abzuschneiden, in die Ecke Athos gegenüber, so daß die Fechtenden die Mitte des Zimmers einnehmen konnten und somit in vollem Licht standen, da man zwei Lampen, welche die Szene beleuchteten, auf Cromwells Schreibtisch gesetzt hatte.

Vorwärts, sprach d’Artagnan; seid Ihr endlich bereit, mein Herr?

Ich bin es, erwiderte Mordaunt.

Beide machten zu gleicher Zeit einen Schritt vorwärts, und durch diese einzige Bewegung waren die Schwerter gebunden.

D’Artagnan war ein zu ausgezeichneter Degen, um seinen Gegner, wie die Fechter sagen, lange zu befühlen. Er machte eine rasche, glänzende Finte; sie wurde von Mordaunt pariert.

Ah! ah! rief er mit einem Lächeln der Zufriedenheit.

Und da er eine Öffnung zu sehen glaubte, tat er einen geraden Stoß, rasch und flammend, wie der Blitz.

Mordaunt parierte eine unnachahmliche Kontrequarte.

Ich fange an zu glauben, daß wir uns unterhalten werden, sprach d’Artagnan.

Statt jeder Antwort suchte Mordaunt den Degen d’Artagnans mit einer Kraft zu binden, die der Gascogner in einem scheinbar so gebrechlichen Körper nicht vermutet hätte, aber mit einer Parade, welche nicht minder geschickt ausgeführt wurde, als die seines Feindes, begegnete er zu rechter Zeit dem Eisen Mordaunts, das an dem seinigen abglitt, ohne seine Brust zu treffen.

Mordaunt machte rasch einen Schritt rückwärts.

Ah! Ihr weicht? sagte d’Artagnan, Ihr dreht? Wie es Euch beliebt; ich gewinne sogar etwas dabei, ich sehe Euer abscheuliches Lächeln nicht mehr. Nun bin ich gänzlich im Schatten, desto besser. Ihr habt keinen Begriff, wie falsch Euer Blick ist, besonders wenn Ihr Euch fürchtet.

Auf diesen Redefluß erwiderte Mordaunt kein Wort; aber beständig weichend und drehend, gelangte er dahin, daß er mit d’Artagnan den Platz wechselte.

Mordaunt lächelte immer mehr. Dieses Lächeln fing an, d’Artagnan zu beunruhigen.

Vorwärts, es muß ein Ende gemacht werden, sprach d’Artagnan; der Bursche hat eiserne Kniebeugen. Nun zu den großen Stößen!

Er drang auf Mordaunt ein, der zu weichen fortfuhr, aber offenbar aus Taktik, ohne einen Fehler zu machen, den d’Artagnan hätte benutzen können, und ohne daß sein Degen sich einen Augenblick von der Linie entfernte. Da jedoch, der Kampf in einem Zimmer stattfand und es den Fechtenden an Platz mangelte, so berührte Mordaunts Fuß bald die Wand, an welche er seine linke Hand stützte.

Ah! rief d’Artagnan, diesmal weicht Ihr nicht mehr, mein schöner Freund! Meine Herren, fuhr er, den Mund verziehend, fort, habt Ihr je einen Skorpion an die Wand genagelt gesehen? Nein? Wohl, Ihr sollt es sehen.

Und in einer Sekunde führte d’Artagnan drei furchtbare Stöße gegen Mordaunt. Alle drei berührten ihn, aber nur streifend. D’Artagnan begriff diese Gewalt nicht. Die Freunde schauten sich, schwer atmend, mit Schweiß auf der Stirn, an.

Seinem Gegner zu nahe, machte d’Artagnan ebenfalls einen Schritt rückwärts, um einen vierten Stoß vorzubereiten. Aber in dem Augenblick, wo er erbitterter als je auf seinen Gegner eindrang, im Augenblick, wo er, nach einer raschen Finte, wie der Blitz angriff, schien sich die Mauer zu spalten; Mordaunt verschwand durch die gähnende Öffnung, und zwischen den zwei Füllungen gefaßt, zerbrach der Degen d’Artagnans, als ob er von Glas gewesen wäre.

D’Artagnan machte einen Schritt rückwärts. Die Wand schloß sich wieder.

Mordaunt hatte, während er sich verteidigte, so manövriert, daß er an die geheime Tür kam, durch die wir Cromwell haben hinausgehen sehen. Sobald er sich hier befand, suchte er mit der linken Hand den Knopf und drückte daran; dann verschwand er, wie auf dem Theater die bösen Geister verschwinden, welche die Gabe besitzen; durch die Mauern zu gehen.

Der Gascogner stieß eine wütende Verwünschung aus, die auf der andern Seite der eisernen Füllung von einem wilden, unheimlichen Gelächter erwidert wurde, wobei sogar die Adern des skeptischen Aramis ein Schauer durchlief.

Herbei, meine Herren! rief d’Artagnan, stoßen wir diese Türe ein.

Das ist der leibhaftige Teufel! sprach Aramis und lief zu seinem Freunde.

Gottes Blut, er entkommt uns! brüllte Porthos und stemmte sich mit seiner breiten Schulter gegen den Verschlag, der, durch eine geheime Feder gehalten, unerschütterlich blieb.

Desto besser, murmelte Athos mit dumpfer Stimme.

Ich vermutete es, Mord und Tod! rief d’Artagnan, vergeblich seine Kräfte erschöpfend; ich vermutete es, als der Elende sich im ganzen Zimmer herumdrehte; ich sah irgend ein schändliches Manöver voraus; ich ahnte, daß er etwas im Schilde führte, aber wer konnte hierauf gefaßt sein?

Es ist ein furchtbares Unglück, das uns der Teufel, sein Freund, zusendet! rief Aramis.

Der Elende wird uns hundert eiserne Männer schicken, stieß d’Artagnan hervor, die uns wie Getreide im Mörser Cromwells zerstampfen. Auf! auf! abgezogen; wenn wir nur fünf Minuten hier verweilen, ist es um uns geschehen!

Ja, Ihr habt recht, vorwärts! riefen Athos und Aramis.

Wohin gehen wir? fragte Porthos.

In den Gasthof, lieber Freund, um unsere Pferde zu holen; dann, wenn es Gott gefällt, auf dem Blitz nach Frankreich, wo ich wenigstens die Bauart der Häuser kenne. Unser Schiff erwartet uns, das ist meiner Treu noch ein Glück.

Rasch steckte d’Artagnan seinen Degenstumpf in die Scheide, hob seinen Hut auf, öffnete die Tür der Treppe und stieg mit seinen drei Freunden hinab.

Die Feluke » der Blitz«

D’Artagnan hatte richtig erraten: Mordaunt hatte keine Zeit zu verlieren und hatte keine verloren. Er kannte die rasche Entschlossenheit und Tätigkeit seiner Feinde und wollte demgemäß handeln. Diesmal hatten die Musketiere einen ihrer würdigen Feind gefunden.

Nachdem Mordaunt die Tür sorgfältig hinter sich geschlossen, stürzte er in den unterirdischen Gang; doch sobald er seinen unnötig gewordenen Degen wieder in die Scheide gesteckt und das benachbarte Haus erreicht hatte, blieb er einen Augenblick stehen, um sich zu betasten und Atem zu schöpfen.

Gut, sagte er, nichts, beinahe nichts, nur Schrammen; zwei am Arm, eine an der Brust. Die Wunden, die ich mache, sind besser! Man frage den Henker von Bethune, meinen Oheim Winter und den König Karl! Nun ist keine Sekunde zu verlieren, denn eine verlorene Sekunde rettet sie vielleicht, und sie müssen alle vier miteinander mit einem einzigen Schlage, in Ermangelung des göttlichen Blitzes, von dem Blitze der Menschen verzehrt, sterben. Gebrochen, zerstreut, vernichtet sollen sie verschwinden. Ich will also laufen, bis mich die Beine nicht mehr tragen können, bis das Herz in der Brust aufschwillt, aber vor ihnen muß ich ankommen.

Und Mordaunt fing an, raschen, aber festen Schrittes nach der ersten, ungefähr eine Viertelmeile entfernt liegenden, Reiterkaserne zu eilen. Er legte diesen Weg in vier bis fünf Minuten zurück.

In der Kaserne angelangt, gab er sich zu erkennen, nahm das beste Pferd aus dem Stall, schwang sich auf und eilte nach der Straße. Eine Viertelstunde nachher war er in Greenwich.

Hier ist der Hafen, murmelte er. Dieser düstere Punkt da unten ist die Hundeinsel. Gut! ich bin ihnen eine halbe Stunde voraus… eine Stunde vielleicht. Nun, fügte er hinzu und erhob sich auf den Steigbügeln, als wollte er fernerhin durch alle die Taue und Masten sehen; der Blitz? Wo ist der Blitz?

In dem Augenblicke, wo er im Geist diese Worte sprach, erhob sich, als wollte er seine Gedanken beantworten, ein Mann von einer Rolle Kabeltaue und machte einige Schritte auf Mordaunt zu.

Mordaunt zog sein Taschentuch hervor und ließ es in der Luft flattern.

Der Mann schien aufmerksam, blieb aber an derselben Stelle, ohne einen Schritt rückwärts oder vorwärts zu tun.

Mordaunt machte einen Knoten an jede Ecke seines Taschentuches; der Mann schritt bis zu ihm vor; er war in einen weiten wollenen Kaban gehüllt, der seine Gestalt und sein Gesicht verbarg.

Kommt der Herr zufällig von London, um eine Spazierfahrt auf dem Meere zu machen? fragte der Mann.

Allerdings, sprach Mordaunt, zur Hundeinsel.

Gut. Ohne Zweifel würde der Herr dann einem Schiffe den Vorzug vor den andern geben? Er hätte vielleicht gern einen Schnellsegler, ein Fahrzeug so rasch …

Wie der Blitz, erwiderte Mordaunt.

Dann ist es gut, der Herr sucht mein Schiff. Ich bin der Patron, dessen er bedarf.

Ich will es glauben, sagte Mordaunt, besonders, wenn Ihr ein gewisses Zeichen der Erkennung nicht vergessen habt.

Hier ist es, Herr, sprach der Seemann und zog aus der Tasche seines Kabans ein an den vier Enden geknüpftes Taschentuch.

Gut! gut! rief Mordaunt, vom Pferde springend. Es ist nun keine Zeit zu verlieren. Laßt mein Pferd in die nächste beste Herberge führen und bringt mich zu Eurem Schiff.

Aber Eure Gefährten? entgegnete der Seemann. Ich glaubte, Ihr wäret ohne die Lakaien zu vier.

Hört, sprach Mordaunt, sich dem Seemann nähernd, ich bin nicht der, den Ihr erwartet, wie Ihr nicht der seid, den sie zu finden hofften. Ihr habt Kapitän Rogers‘ Stelle eingenommen, nicht wahr? Ihr seid hier auf Befehl des Generals Cromwell, und ich komme in seinem Auftrag.

In der Tat, ich erkenne Euch, versetzte der Patron, Ihr seid der Kapitän Mordaunt.

Mordaunt bebte.

Oh! fürchtet Euch nicht, sprach der Patron, seinen Kaban niederlassend und seinen Kopf entblößend, ich bin ein Freund. Kapitän Groslow! rief Mordaunt. – Er selbst. Der General erinnerte sich, daß ich einst Marine-Offizier gewesen bin, und beauftragte mich mit dieser Expedition. Hat sich etwas verändert? – Nein, alles bleibt wie verabredet. – Ich dachte einen Augenblick, der Tod des Königs … – Der Tod des Königs hat ihre Flucht nur beschleunigt; in einer Viertelstunde, in zehn Minuten vielleicht werden sie hier sein. – Was wollt Ihr aber tun? – Mich mit Euch einschiffen.

– Ah! sollte der General an meinem Eifer zweifeln? – Nein, aber ich will meiner Rache selbst beiwohnen. Habt Ihr nicht irgend einen Menschen, der mir mein Pferd abnehmen kann?

Groslow pfiff, es erschien ein Matrose.

Patrick, sagte Groslow, führt das Pferd in den Stall der nächsten Herberge. Wenn man Euch fragt, wem es gehöre, so sagt: Einem irischen Edelmann.

Der Matrose entfernte sich, ohne eine Bemerkung zu machen.

Fürchtet Ihr jetzt nicht, von ihnen erkannt zu werden? sprach Mordaunt. – Es ist keine Gefahr in dieser Tracht, in meinen Kaban eingehüllt, in der finstern Nacht. Überdies habt Ihr mich nicht einmal erkannt, um so weniger werden sie mich erkennen. – Das ist wahr, sie werden auch gar nicht an Euch denken. Alles ist bereit, nicht wahr? – Ja. – Die Ladung ist eingenommen? – Ja. – Fünfzig volle Tonnen? – Und fünfzig leere. – Gut. – Wir führen den Portwein nach Antwerpen. – Vortrefflich. Nun bringt mich an Bord und kehrt an Euren Posten zurück! Sie müssen bald kommen. – Ich bin bereit. – Es ist von Wichtigkeit, daß mich keiner von Euren Leuten hineingehen sieht.

Ich habe nur einen Mann an Bord und kann mich auf ihn verlassen, wie auf mich selbst. Überdies kennt Euch dieser Mann nicht und ist, wie seine Kameraden, bereit, uns zu gehorchen, weiß aber gar nichts.

Gut, gehen wir.

Sie stiegen gegen die Themse hinab. Eine kleine Barke war mittelst einer eisernen an einen Pfahl befestigten Kette an das Ufer gebunden. Groslow zog die Barke an sich, hielt sie fest, während Mordaunt hineinstieg, sprang dann selbst hinein, ergriff die Ruder und handhabte sie fleißig.

Nach Verlauf von fünf Minuten war man aus der Welt von Schiffen befreit, die in jener Zeit den Fluß in der Nähe Londons bedeckten, und Mordaunt konnte die kleine Feluke wie einen dunkeln Punkt auf vier bis fünf Kabellängen von der Hundeinsel am Anker sich wiegen sehen.

Als man sich dem Blitz näherte, pfiff Groslow auf eine besondere Weise, und man sah den Kopf eines Menschen über der Wand erscheinen.

Seid Ihr es, Kapitän? fragte dieser Mann.

Ja, wirf die Leiter herab.

Rasch und leicht wie eine Schwalbe fuhr Groslow unter dem Bugspriet hin und legte sich Bord an Bord mit dem Schiffe.

Steigt hinauf, sprach Groslow zu seinem Gefährten.

Mordaunt ergriff, ohne zu antworten, das Seil und kletterte mit einer bei Landratten ungewöhnlichen Behendigkeit an der Seite des Schiffes hinauf. Die Rachgier ersetzte bei ihm die Gewohnheit und machte ihn zu allem fähig.

Der Matrose an Bord der Feluke schien, wie Groslow vorhergesagt hatte, nicht einmal zu bemerken, daß sein Kapitän in Begleitung eines Fremden zurückkam.

Mordaunt und Groslow gingen in die Kapitäns-Kajüte, die nur einstweilen von Brettern auf dem Verdeck erbaut worden war. Das Ehrenzimmer hatte Kapitän Rogers seinen Passagieren abgetreten.

Und sie, fragte Mordaunt, wo sind sie? – Am andern Ende des Schiffes, erwiderte Groslow. – Haben sie nichts auf dieser Seite zu tun? – Durchaus nichts. – Gut. Ich halte mich bei Euch verborgen. Kehrt nach Greenwich zurück und bringt sie hierher. Ihr habt eine Schaluppe? – Die, in der wir gekommen sind. – Sie scheint mir leicht und gut gezimmert. – Wie eine Piroge. – Bindet sie mit einem hänfenen Strick an das Hinterteil an, legt ein Ruder daraus, damit sie im Kielwasser folgt und daß man nur den Strick abzuschneiden hat. Verseht sie mit Rum und Zwieback. Sollte das Meer unruhig werden, so dürfte es Euren Leuten nicht unangenehm sein, eine Herzstärkung bei der Hand zu finden. – Es soll geschehen, wie Ihr sagt. Wollt Ihr die Pulverkammer in Augenschein nehmen? – Nein, bei Eurer Rückkehr. Ich will die Lunte selbst legen, um meiner Sache gewiß zu sein. Verbergt vor allem Euer Gesicht gut, damit sie Euch nicht erkennen. – Seid unbesorgt. – Geht, es schlägt in Greenwich zehn Uhr.

Groslow schlug die Tür wieder zu, die Mordaunt von innen verschloß, und stieg, nachdem er dem Matrosen Befehl gegeben hatte, mit der größten Aufmerksamkeit zu wachen, in die Barke hinab, die sich rasch entfernte.

Der Wind war kalt und der Hafendamm verlassen, als Groslow in Greenwich landete; im Augenblick, wo er ans Ufer stieg, hörte er etwas wie das Geräusch galoppierender Pferde auf dem mit Strandsteinen gepflasterten Wege.

Oh! oh! sagte er, Mordaunt hatte recht, daß er mir Eile empfahl. Es war keine Zeit zu verlieren, sie kommen.

Es waren in der Tat unsere Freunde oder vielmehr ihre Vorhut, aus d’Artagnan und Athos bestehend. Als sie in der Nähe des Ortes anlangten, wo sich Groslow befand, hielten sie an, als hätten sie erraten, daß der Mann da sei, mit dem sie es zu tun haben sollten. Athos stieg ab, entrollte langsam ein Taschentuch, dessen vier Enden geknüpft waren, und ließ es im Wind flattern, während d’Artagnan, stets klug, halb über sein Pferd herabgeneigt und eine Hand am Halfter, wartete.

Groslow, der sich, im Zweifel, ob die Reiter wirklich die von ihm Erwarteten wären, hinter eine der zum Aufrollen der Kabeltaue dienenden, in den Boden gepflanzten Kanonen gekauert hatte, stand auf, als er das verabredete Zeichen wahrnahm, und ging gerade auf die Edelleute zu. Er war so in seinen Mantel vermummt, daß man sein Gesicht unmöglich sehen konnte. Übrigens war die Nacht so finster, daß diese Vorsichtsmaßregel überflüssig erschien.

Athos‘ durchdringendes Auge erriet indessen trotz der Dunkelheit, daß er nicht Rogers vor sich hatte.

Was wollt Ihr von mir? sagte er zu Groslow und machte einen Schritt rückwärts.

Ich will Euch sagen, Mylord, erwiderte Groslow mit irischem Akzente, daß Ihr den Patron Rogers sucht, aber vergebens sucht.

Wieso?

Er ist diesen Morgen vom Mastkorb herabgefallen und hat das Bein gebrochen. Doch ich bin sein Vetter; er hat mir die ganze Angelegenheit mitgeteilt und mir den Auftrag gegeben, für ihn aufzupassen und die Edelleute, die mir ein an den vier Enden geknüpftes Taschentuch geben würden, wie Ihr eins in der Hand haltet und wie ich eines in der Tasche habe, überallhin zu führen, wohin sie wünschen.

Bei diesen Worten zog Groslow das Tuch hervor, das er bereits Mordaunt gezeigt hatte.

Ist das alles? fragte Athos.

Nein, Mylord. Es sind auch fünfundsiebenzig Pfund zugesagt, wenn ich Euch wohlbehalten nach Boulogne oder nach irgend einem andern von Euch zu bestimmenden Punkte Frankreichs bringe.

Was denkt Ihr hiervon, d’Artagnan? fragte Athos in französischer Sprache, nachdem er die Worte des Mannes ins Französische übersetzt hatte.

Dies klingt mir sehr wahrscheinlich, sagte d’Artagnan.

Mir auch, sprach Athos.

Überdies, fügte d’Artagnan bei, überdies können wir den Menschen, wenn er uns betrügt, über den Haufen schießen.

Und wer wird uns führen?

Ihr, Athos, Ihr wißt so viele Dinge, daß ich nicht daran zweifle, Ihr seid auch im stande, ein Schiff zu lenken.

Meiner Treue, Freund, erwiderte Athos lächelnd, Ihr habt ziemlich richtig erraten; ich war von meinem Vater für den Marinedienst bestimmt und habe einige unklare Begriffe von der Steuermannskunst.

Seht Ihr! rief d’Artagnan.

Holt also unsere Freunde und kehrt bald zurück; es ist elf Uhr, wir haben keine Zeit zu verlieren.

D’Artagnan überbrachte Porthos und Aramis sowie den drei Lakaien die Aufforderung, ihm zu folgen, und die kleine Truppe stieß bald zu Athos. Bereits aber hatte d’Artagnan sein natürliches Mißtrauen wieder angenommen; er fand die Straße zu öde, die Nacht zu schwarz, den Patron zu leicht.

Er erzählte Aramis, daß der Mann nicht Rogers sei, und nicht minder mißtrauisch als er selbst, trug Aramis nicht wenig dazu bei, seinen Argwohn zu vermehren.

Ein kurzes Schnalzen mit der Zunge verriet Athos die Unruhe des Gascogners.

Wir haben keine Zeit, mißtrauisch zu sein, sprach er; die Barke erwartet uns, steigen wir ein.

Wer hindert uns übrigens, mißtrauisch zu sein und dennoch einzusteigen? Man wird den Patron bewachen, sprach Aramis.

Und wenn er nicht geradeaus geht, schlage ich ihn tot, fügte Porthos bei.

Gut gesagt, Porthos, versetzte d’Artagnan. Steigen wir ein. Vorwärts Mousqueton.

D’Artagnan hielt seine Freunde zurück und ließ die Bedienten zuerst gehen, damit sie das Brett probierten, welches vom Hafendamm nach der Barke führte.

Die drei Lakaien schritten ohne Unfall hinüber und nach ihnen ihre Herren.

Sobald das Brett zurückgezogen war, setzte sich der Patron an das Steuerruder und machte einem seiner Matrosen ein Zeichen; mit einem Bootshaken bewaffnet fing dieser an zu manövrieren, um aus dem Irrsal von Schiffen, zwischen denen die kleine Barke eingezwängt war, herauszukommen.

Der andere Matrose befand sich bereits, sein Ruder in der Hand, am Backbord.

Als man sich der Ruder bedienen konnte, kam sein Kamerad zu ihm, und die Barke fing an rascher zu gehen, und es dauerte nicht lange, so war man an der Feluke.

Der Blitz, sprach der Patron.

Wir sind also an Ort und Stelle? fragte Athos auf englisch.

Wir kommen eben hin, antwortete der Kapitän.

Nach drei Ruderstößen befand man sich dicht neben dem kleinen Fahrzeug. Der Matrose wartete, die Leiter war bereit, er hatte die Barke erkannt.

Athos stieg zuerst hinauf und zwar mit seemännischer Gewandtheit. Aramis folgte ihm wie ein Mann, der längst an Strickleitern und ähnliche mehr oder minder ungewöhnliche Mittel zur Erreichung verbotener Räume gewöhnt ist. D’Artagnan kletterte mit der Geschicklichkeit eines Gemsenjägers hinauf; Porthos entwickelte die Kraft, die bei ihm alles ersetzte.

Der Kapitän führte die Passagiere in die für sie bestimmte Wohnung, bestehend aus einem einzigen Zimmer, das sie gemeinschaftlich innehaben sollten. Dann suchte er sich unter dem Vorwand, einige Befehle geben zu müssen, zu entfernen.

Einen Augenblick, sagte d’Artagnan. Wieviel Mann habt Ihr am Bord, Patron?

Ich verstehe nicht, antwortete dieser englisch.

Fragt ihn in seiner Sprache, Athos.

Athos wiederholte die Frage d’Artagnans.

Drei, antwortete Groslow, wohl verstanden, mich nicht gerechnet.

D’Artagnan begriff, denn der Patron hatte bei seiner Erwiderung drei Finger aufgehoben.

Oh, drei! sprach d’Artagnan; ich fange an, ruhiger zu werden; doch gleichviel, während Ihr Euch einrichtet, mache ich einen Gang durch das Schiff.

Und ich, sagte Porthos, ich werde mich mit dem Abendessen beschäftigen.

Dieses Vorhaben ist schön und edelmütig, Porthos; bringt es daher in Ausführung. Ihr, Athos, leiht mir Grimaud, der in Gesellschaft seines Freundes Parry etwas Englisch kauderwelschen gelernt hat. Er soll mir als Dolmetscher dienen. D’Artagnan hob eine Laterne mit einer Hand auf, nahm mit der andern eine Pistole und sagte zu dem Patron: Come, was nebst Goddam alles war, was er von der englischen Sprache hatte behalten können.

D’Artagnan kam zu der Luke und stieg in das Zwischendeck hinab.

Das Zwischendeck hatte drei Abteilungen; einmal die, in welche d’Artagnan hinabstieg, und die sich vom Hinterteil des Schiffes bis gegen die Mitte desselben ausdehnte, folglich durch den Boden des Zimmers bedeckt war, in dem Athos, Porthos und Aramis die Nacht zuzubringen sich anschickten; die zweite, welche die Mitte des Schiffes bildete und zur Wohnung für die Diener bestimmt war; die dritte unter dem Vorderteil, d. h. unter der für den Kapitän improvisierten Kajüte, worin sich Mordaunt verborgen hielt.

Oh! sprach d’Artagnan, die Treppe hinabsteigend, während er seine Laterne in der ganzen Länge seines Armes vor sich ausstreckte, wie viele Tonnen!

Was sagt Ihr? fragte der Kapitän englisch.

Ich wünsche zu wissen, was in diesen Tonnen ist, erwiderte d’Artagnan und setzte seine Leiter auf eines der Fässer.

Der Patron machte unwillkürlich eine Bewegung, um die Leiter wieder hinaufzusteigen; aber er hielt sich zurück.

Porto, antwortete er.

Ah, Portwein, erwiderte d’Artagnan, das dient zur Beruhigung, wir werden nicht verdursten.

Dann wandte er sich wieder zu Groslow, der schwere Schweißtropfen an seiner Stirn abtrocknete, und fragte: Und sie sind voll?

Grimaud übersetzte die Frage.

Die einen sind voll, die andern leer, antwortete Groslow mit einer Stimme, in der sich seine Unruhe verriet.

D’Artagnan klopfte mit dem Finger an die Tonnen und bemerkte, daß fünf voll und die andern leer waren. Dann hielt er, beständig zum großen Schrecken des Engländers, seine Laterne in die Zwischenräume der Fässer und sah, daß diese Zwischenräume nichts enthielten.

Vorwärts! rief er und schritt auf die Tür zu, die nach der zweiten Abteilung führte.

Wartet, sprach der Engländer, der fortwährend in derselben Aufregung, welche wir vorhin bezeichnet haben, zurückgeblieben war.

Und rasch vor d’Artagnan und Grimaud tretend, steckte er mit zitternder Hand den Schlüssel in das Schloß, und man befand sich im zweiten Gelasse, wo Mousqueton und Blaisois eben zu Nacht speisen wollten.

In dieser Abteilung war offenbar nichts zu suchen und zu fragen. Man sah alle Winkel beim Schimmer der Lampe, die diese würdigen Kameraden beleuchtete.

Man ging also rasch durch und besuchte die dritte Abteilung.

Drei bis vier am Plafond befestigte Hängematten, ein Tisch, der durch ein doppeltes, an jedem seiner Enden angebrachtes Seil gehalten wurde, zwei wurmstichige, hinkende Bänke bildeten die ganze Ausstattung. D’Artagnan hob ein paar alte an den Wänden hängende Segeltücher auf, und da er nichts Verdächtiges wahrnahm, kehrte er durch die Luke auf das Verdeck des Schiffes zurück.

Und dieses Zimmer? fragte d’Artagnan.

Es ist das meinige, sprach der Patron auf Grimauds Übersetzung. Wollt Ihr eintreten?

Öffnet die Tür, versetzte d’Artagnan.

Der Engländer gehorchte. D’Artagnan hielt seine Laterne vor sich hinaus, streckte den Kopf durch die halb geöffnete Tür und sagte, als er sah, daß dieses Zimmer eine erbärmliche Spelunke war: Gut, wenn eine Armee an Bord ist, so ist sie wenigstens hier nicht verborgen. Wir wollen nun sehen, ob Porthos ein Abendessen gefunden hat.

Und er dankte dem Patron mit einem Nicken des Kopfes und kehrte in das Eßzimmer zurück, wo seine Freunde waren. Porthos hatte, wie es schien, nichts gefunden, oder hatte er auch etwas gefunden, so war doch die Müdigkeit Meister über den Hunger geworden, denn er lag in tiefem Schlaf, als d’Artagnan zurückkehrte.

Durch die sanften Bewegungen der ersten Meereswellen gewiegt, fingen Athos und Aramis ebenfalls an, die Augen zu schließen. Sie öffneten sich wieder bei dem Geräusch, das ihr Gefährte machte.

Wie ist es? fragte Aramis.

Alles geht gut, erwiderte d’Artagnan, und wir können ruhig schlafen.

Auf diese Versicherung ließ Aramis sein Haupt wieder zurückfallen, Athos machte mit dem seinigen ein liebevolles Zeichen, und d’Artagnan, der wie Porthos mehr des Schlummers als der Speise bedurfte, beurlaubte Grimaud und legte sich mit bloßem Schwert in seinem Mantel so nieder, daß sein Leib den Weg versperrte und man unmöglich in das Zimmer eintreten konnte, ohne an ihn zu stoßen.

Der Portwein

Nach Verlauf von zehn Minuten schliefen die Herren; nicht aber die ausgehungerten Diener.

Blaisois und Mousqueton schickten sich an, ihr Bett zu machen, das aus einem Brette und einem Felleisen bestand, während auf einer Tafel beim Schwanken des Schiffes ein Laib Brot, ein Bierkrug und drei Gläser sich wiegten.

Verfluchtes Schwanken! sprach Blaisois. Ich fühle, daß es mich wieder packen wird, wie bei unserer ersten Überfahrt.

Und gar nichts zur Bekämpfung der Seekrankheit haben, als Gerstenbrot und Hopfenwein! Puh!

Aber Eure Weidenflasche, Herr Mouston, fragte Blaisois, der die Vorkehrungen zu seinem Lager getroffen hatte und sich wankend dem Tische näherte, an dem Mousqueton bereits saß; aber Eure Weidenflasche, habt Ihr sie etwa verloren?

Nein, erwiderte Mousqueton, und Ihr, Grimaud, fragte er seinen Gefährten, der eben zurückkehrte, nachdem er d’Artagnan bei seiner Runde begleitet hatte, habt Ihr Durst?

Wie ein Schotte, antwortete Grimaud lakonisch.

Und er setzte sich neben Blaisois und Mousqueton, zog eine Schreibtafel aus der Tasche und fing an, die Rechnung der Gesellschaft aufzuschreiben, deren Ökonom er war.

Oh! la! la! rief Blaisois, in meinem Leib fährt alles durcheinander.

Wenn dem so ist, erwiderte Mousqueton, so nehmt ein wenig Speise zu Euch.

Ihr nennt das Speise? sagte Blaisois, mit einer kläglichen Miene die verächtliche Gebärde begleitend, womit er auf das Gerstenbrot und den Bierkrug deutete.

Blaisois, erwiderte Mousqueton, erinnert Euch, daß das Brot die wahre Speise des Franzosen ist … und der Franzose hat es nicht einmal immer; fragt nur Grimaud.

Ja, aber das Bier, versetzte Blaisois, ist das sein wahres Getränk?

Was das betrifft, sagte Mousqueton, so muß ich gestehen, nein, das Bier ist ihm ebenso zuwider, als der Wein den Engländern.

Portwein, sagte Grimaud, und streckte die Hand in der Richtung des Gelasses aus, das d’Artagnan und er in Begleitung des Patrons besucht hatten.

Wie! diese Fässer, die ich durch die halbgeöffnete Tür wahrgenommen habe?

Portwein, wiederholte Grimaud.

Ich habe sagen hören, versetzte Blaisois, der Portwein sei ein vortrefflicher spanischer Wein.

Vortrefflich, wiederholte Mousqueton, mit der Zungenspitze über die Lippen fahrend, vortrefflich; es findet sich solcher im Keller des Herrn Barons de Bracieux.

Wenn wir die Engländer bäten, eine Flasche an uns zu verkaufen? fragte der ehrliche Blaisois.

Kaufen! versetzte Grimaud, dessen alte Maraudeurinstinkte wiederkehrten, man sieht wohl, junger Mann, daß Ihr noch keine Erfahrung in den Dingen des Lebens habt. Warum kaufen, wenn man nehmen kann?

Hierauf erhob sich Mousqueton, nahm den Bierkrug, leerte ihn bis aus den letzten Tropfen durch eine Stückpforte und ging majestätisch nach der Tür, die in den Raum führte, wo der Portwein verwahrt sein sollte.

Ah! ah! geschlossen, sagte er. Diese Teufel von Engländern, wie mißtrauisch sie doch sind!

Geschlossen! wiederholte Blaisois in nicht minder verdrießlichem Tone. Ah! Pest! das ist ein Unglück, denn ich fühle, daß es in meinem Magen immer mehr durcheinander geht.

Mousqueton wandte sich mit einem so kläglichen Gesicht zu Blaisois, daß es ganz offenbar wurde, wie sehr er den Ärger des braven Burschen teilte.

In dieser Notlage kam der arme Blaisois, den die Not erfinderisch machte, auf den Gedanken, man könnte doch ein paar Bretter abheben, und Grimaud stellte dazu einen von ihm in Verwahrung gehaltenen Bohrer zur Verfügung; als Meißel konnte ein Dolch dienen.

Mousqueton suchte einen Winkel, wo die Bretter etwas klafften, und ging sogleich ans Werk.

Nach einem Augenblick hatte Mousqueton drei Bretter gesprengt.

Mousqueton war das Gegenteil von dem Frosch in der Fabel, der sich für dicker hielt, als er war. War es ihm auch gelungen, seinen Namen um ein Drittel zu verkürzen, so ließ sich leider nicht dasselbe mit seinem Bauche tun. Er suchte durch die Öffnung zu schlüpfen, die er gemacht hatte, und sah zu seinem Schmerz, daß er wenigstens noch zwei bis drei Bretter ausheben mußte, wenn die Öffnung seinem Umfang entsprechen sollte. Er stieß einen Seufzer aus und zog sich zurück, um wieder ans Werk zu gehen.

Aber Grimaud, der inzwischen seine Rechnungen vollendet hatte, stand in diesem Augenblick auf, näherte sich mit inniger Teilnahme an der Operation, in deren Ausführung man begriffen war, seinen zwei Gefährten und betrachtete die vergeblichen Anstrengungen Mousquetons, in das gelobte Land zu gelangen.

Ich, sagte Grimaud.

Mousqueton wandte sich um und fragte: Was, Ihr?

Ich werde durchschlüpfen.

Das ist wahr, sprach Mousqueton mit einem Blick auf den langen dünnen Körper seines Freundes, Ihr könnt durchkommen und zwar leicht.

Das ist richtig, sagte Blaisois; er kennt die vollen Fässer, da er schon einmal mit dem Herrn Chevalier d’Artagnan in dem Keller gewesen ist. Laßt Herrn Grimaud durch, Herr Mouston.

Schwenke die Gläser, versetzte Grimaud.

Dann machte er Mousqueton eine freundliche Gebärde, als wollte er ihn um Verzeihung bitten, daß er eine Expedition vollende, die ein anderer so glänzend begonnen hatte, schlüpfte wie eine Schlange durch die Öffnung und verschwand.

Ihr werdet sehen, sprach Mousqueton, indem er Blaisois mit einer Überlegenheit anschaute, der dieser sich nicht einmal zu entziehen versuchte, Ihr werdet sehen, wie wir alte Soldaten trinken, wenn wir Durst haben. – Den Mantel, jagte Grimaud aus dem Keller hervor. – Das ist richtig, erwiderte Mousqueton. – Was verlangt er? fragte Blaisois. – Daß man die Öffnung mit dem Mantel verstopfe. – Aber er wird nicht gut sehen? – Grimaud sieht immer gut, antwortete Mousqueton, bei Nacht wie bei Tag. – Da ist er sehr glücklich, versetzte Blaisois; wenn ich kein Licht habe, kann ich nicht zwei Schritte machen, ohne anzustoßen. – Ihr habt auch nicht gedient, sonst hättet Ihr eine Nadel in der größten Finsternis aufheben gelernt. Aber still, mir scheint, man kommt.

Mousqueton ließ einen kleinen Alarmpfiff vernehmen, mit dem die Lakaien aus den Tagen ihrer Jugend vertraut waren, setzte sich wieder an den Tisch und winkte Blaisois, dasselbe zu tun.

Die Tür öffnete sich. Es erschienen zwei Männer, in ihre Mäntel gehüllt.

Oh! oh! sagte der eine, es ist ein Viertel auf zwölf Uhr, und Ihr habt Euch noch nicht niedergelegt? Das ist wider die Vorschrift. In einer Viertelstunde muß alles ausgelöscht sein und jedermann schnarchen.

Die Männer gingen auf die Tür des Raumes zu, in den Grimaud geschlüpft war, öffneten diese Tür, traten ein und schlossen sie hinter sich.

Ah! flüsterte Blaisois bebend, er ist verloren!

Grimaud ist ein feiner Fuchs, murmelte Mousqueton.

Und sie warteten mit gespanntem Ohr und angehaltenem Atem.

Es vergingen zehn Minuten, während deren man kein Geräusch vernahm, das vermuten ließ, daß Grimaud entdeckt sei.

Nach Ablauf dieser Zeit sahen Mousqueton und Blaisois die Tür wieder ausgehen, und die zwei Männer kamen heraus, verschlossen die Tür so vorsichtig, wie vorher, und entfernten sich, nachdem sie noch einmal strengstens anbefohlen hatten, sich niederzulegen und die Lichter auszulöschen.

Werden wir gehorchen? fragte Blaisois; diese ganze Geschichte kommt mir verdächtig vor. – Sie sagten eine Viertelstunde; wir haben noch fünf Minuten. – Wenn wir die Herren benachrichtigen würden? – Wir wollen auf Grimaud warten. – Aber wenn sie ihn umgebracht haben? – Grimaud hätte geschrien. – Ihr wißt, daß er beinahe stumm ist. – Wir hätten den Schlag gehört. – Aber wenn er nicht kommt? – Hier ist er.

In demselben Moment drückte Grimaud den Mantel zurück und schob durch diese Öffnung einen leichenbleichen Kopf, dessen durch den Schrecken gerundete Augen einen kleinen Augenstern in einem großen, weißen Kreise sehen ließen. Er hielt in der Hand den Bierkrug, angefüllt mit irgend einem Stoffe, näherte sich dem Lichte, das die rauchige Lampe von sich gab, und murmelte die einzige Silbe: Oh! mit einem Ausdruck so tiefen Schreckens, daß Mousqueton bestürzt zurückwich und Blaisois beinahe in Ohnmacht fiel.

Beide warfen nichtsdestoweniger einen neugierigen Blick in den Bierkrug: er war voll Pulver.

Sobald er die Überzeugung gewonnen hatte, daß das Schiff mit Pulver statt mit Wein beladen war, stürzte Grimaud nach der Luke und machte nur einen einzigen Sprung bis an das Zimmer, worin die vier Freunde schliefen. Hier drückte er sacht die Tür auf, die bei ihrem Aufgehen sogleich d’Artagnan aufweckte, der unmittelbar hinter ihr lag.

Kaum hatte dieser Grimauds entstelltes Gesicht erblickt, als er begriff, daß etwas Außerordentliches vorging, und ausschreien wollte; aber mit einer Gebärde, schneller, als das Wort, legte Grimaud einen Finger auf seine Lippen und löschte mit einem Hauch, den man in einem so schwächlichen Körper nicht vermutet hätte, die Nachtlampe auf drei Schritte aus.

D’Artagnan erhob sich auf den Ellbogen, Grimaud setzte ein Knie auf die Erde und flüsterte ihm so, den Hals vorgestreckt, etwas ins Ohr.

Während dieser Erzählung schliefen Athos, Porthos und Aramis wie Menschen, die seit acht Tagen nicht geschlafen haben, und auf dem Zwischendeck knüpfte Mousqueton aus Vorsicht seine Nesteln, während Blaisois, vom Schrecken erfaßt, mit zu Berge stehenden Haaren dasselbe zu tun versuchte.

Man vernehme, was sich ereignet hatte.

Kaum war Grimaud durch die Öffnung verschwunden und in den ersten Raum gedrungen, als er zu suchen begann. Er schlug an das erste Faß; es war leer. Er ging an ein anderes; es war ebenfalls leer; aber das dritte, an dem er den Versuch wiederholte, gab einen so matten Ton von sich, daß man sich nicht täuschen konnte. Grimaud erkannte, daß es voll war.

Er blieb bei diesem Faß, suchte eine taugliche Stelle, um es anzubohren, und brachte seine Hand, während er diese Stelle suchte, an einen Hahn.

Gut! sagte Grimaud, das erspart mir das Geschäft.

Und er näherte seinen Bierkrug, drehte den Hahn um und fühlte, daß der Inhalt ganz sacht aus einem Gefäß in das andere überging.

Grimaud setzte, nachdem er behutsamerweise den Hahn wieder geschlossen hatte, den Krug an seine Lippen, denn er war zu gewissenhaft, um seinen Gefährten einen Trank zu bringen, für den er ihnen nicht hätte stehen können, als er das Signal hörte, das ihm Mousqueton gab; er vermutete eine Nachtrunde, schlüpfte in den Raum zwischen zwei Tonnen und verbarg sich hinter einem Fasse.

Einen Augenblick nachher öffnete sich plötzlich die Tür und schloß sich wieder, nachdem zwei Männer in Mänteln eingetreten waren, die wir mit dem Befehle, die Lichter auszulöschen, an Blaisois und Mousqueton vorübergehen sahen.

Der eine trug eine sorgfältig geschlossene Glaslaterne, die so hoch war, daß die Flamme die Oberfläche nicht erreichen konnte. Die Gläser waren überdies mit einem Blatte weißen Papiers bedeckt, das das Licht und die Wärme milderte oder vielmehr einschluckte.

Dieser Mensch war Groslow.

Der andere hielt in seiner Hand etwas Langes, Biegsames, Zusammengerolltes, einem weißlichen Stricke ähnlich. Sein Gesicht war von einem breitkrempigen Hute bedeckt. Da er glaubte, daß diese Männer von derselben Neigung wie er in den Keller geführt worden seien und dem Portwein einen Besuch machen wollten, kauerte sich Grimaud immer tiefer hinter das Faß, wobei er sich sagte, wenn er auch entdeckt würde, so wäre sein Verbrechen doch nicht so groß.

Sobald die Männer zu der Tonne gelangt waren, hinter der Grimaud verborgen lag, blieben sie stehen.

Habt Ihr die Lunte? fragte englisch der, welcher die Stocklaterne trug.

Hier ist sie, sagte der andere.

Bei der Stimme des letztern bebte Grimaud; er fühlte, wie ein Schauer bis in das Mark seiner Knochen drang; er erhob sich aber langsam, bis sein Kopf über den hölzernen Kreis ging, und erkannte unter dem großen Hut das bleiche Gesicht Mordaunts.

Wie lange dauert’s, bis diese Lunte zündet? fragte der letztere.

Ungefähr fünf Minuten, antwortete der Patron.

Diese Stimme war Grimaud ebenfalls nicht unbekannt. Seine Blicke gingen von dem einen auf den andern über, und er erkannte nun auch Groslow.

Heißt Eure Leute sich bereit halten, sprach Mordaunt, jedoch ohne ihnen zu sagen, wozu. Folgt die Schaluppe dem Schiff? – Wie ein Hund seinem Herrn am Koppelriemen folgt. – Wenn Ihr auf der Pendeluhr ein Viertel nach Mitternacht schlagen hört, so versammelt Eure Leute und steigt geräuschlos in die Schaluppe hinab. – Nachdem ich Feuer an die Lunte gelegt habe? – Das ist meine Sorge. Ich will meiner Sache gewiß sein. Die Ruder sind im Boote? – Alles ist vorbereitet. – Gut. – Abgemacht also.

Mordaunt kniete nieder und befestigte ein Ende seiner Lunte an den Hahn, wonach er nur noch Feuer an das andere Ende zu legen hatte.

Grimaud hatte alles gehört, wenn auch nicht alles verstanden; aber der Blick ersetzte bei ihm den Mangel der Sprachkenntnis; er hatte die beiden Todfeinde der Musketiere erkannt und gesehen; er hatte Mordaunt die Lunte anlegen sehen. Er rüttelte den Inhalt des Kruges, den er in der Hand hielt, hin und her, aber statt der erwarteten Flüssigkeit rollten durch seine Finger die Körner eines groben Pulvers.

Mordaunt entfernte sich mit dem Patron. An der Tür blieb er horchend stehen.

Hört Ihr, wie sie schlafen? sagte er.

Man hörte in der Tat Porthos durch den Boden schnarchen.

Gott überliefert sie Euren Händen! sprach Groslow.

Und diesmal würde sie der Teufel nicht mehr retten! versetzte Mordaunt.

Grimaud wartete, bis sie fort waren und der Riegel ins Schloß geschnappt hatte. Dann richtete er sich langsam auf.

Ah! sagte er, sich mit dem Ärmel große Schweißtropfen von der Stirn wischend, ah! welch ein Glück, daß Mousqueton Durst hatte.

D’Artagnan hörte diese Erzählung, wie man sich denken kann, mit wachsendem Interesse, und ohne zu warten, bis Grimaud geendigt hatte, erhob er sich, näherte seinen Mund dem Ohr von Aramis, der zu seiner Linken schlief.

Chevalier, sagte er, erhebt Euch und macht nicht das geringste Geräusch.

Aramis wachte auf. D’Artagnan wiederholte seine Aufforderung, ihm die Hand drückend. Aramis gehorchte.

Ihr habt Athos zu Eurer Rechten, benachrichtigt ihn, wie ich Euch benachrichtigt habe.

Aramis weckte ohne Mühe Athos auf; aber Porthos zu wecken war schwieriger. Er wollte nach den Ursachen und Gründen der unangenehmen Unterbrechung seines Schlafes fragen, als ihm d’Artagnan statt jeder Erklärung die Hand auf den Mund legte.

Dann streckte unser Gascogner die Arme aus und zog sie wieder an sich, indem er auf diese Art die drei Köpfe seiner Freunde umschloß, so daß sie sich gleichsam berührten.

Freunde, sagte er, wir müssen sogleich das Schiff verlassen, oder wir sind insgesamt tot. – Bah! entgegnete Athos, schon wieder? – Wißt Ihr, wer der Kapitän des Schiffes ist. – Nein. – Der Oberst Groslow.

Ein Beben der drei Musketiere belehrte d’Artagnan, daß seine Rede einigen Eindruck auf die Freunde zu machen anfing.

Und wißt Ihr, wer sein Leutnant ist? – Sein Leutnant? Er hat keinen! erwiderte Athos. Auf einer Feluke mit vier Mann gibt es keinen Leutnant. – Allerdings, aber Herr Groslow ist kein gewöhnlicher Kapitän. Er hat einen Leutnant, und dieser Leutnant ist Herr Mordaunt.

Diesmal war die Wirkung der Worte noch furchtbarer. Die unbesiegbaren Männer fühlten sich durch diesen unseligen Namen wie gebannt.

Was ist zu tun? fragte Athos. – Wir müssen uns der Feluke bemächtigen, erwiderte Aramis. – Und ihn töten, fügte Porthos bei. – Die Feluke ist unterminiert, sprach d’Artagnan. Die Tonnen, die ich für Fässer mit Portwein hielt, sind Pulverfässer. Sieht sich Mordaunt entdeckt, so wird er alles in die Luft sprengen, Freund und Feind, aber er ist, bei meiner Treue! ein zu schlimmer Kamerad, als daß ich mich in seiner Gesellschaft im Himmel oder in der Hölle zeigen möchte. – Ihr habt also einen Plan? fragte Athos. – Ja. – Welchen? – Habt Ihr Zutrauen zu mir? – Befehlt, erwiderten gleichzeitig die drei Musketiere. – Nun, so kommt.

D’Artagnan ging an ein Fenster, das so niedrig war, wie ein Speigatt, aber doch Raum genug bot, daß ein Mann durchschlüpfen konnte; er öffnete es sacht.

Das ist der Weg, sagte er. – Teufel! murmelte Aramis, es ist sehr kalt, lieber Freund. – Bleibt hier, wenn Ihr wollt, aber ich sage Euch, daß es sogleich sehr heiß werden wird. – Wir können das Land nicht schwimmend erreichen! – Die Schaluppe folgt an einem Tau, wir erreichen die Schaluppe und schneiden das Tau ab. Vorwärts, meine Herren! – Einen Augenblick, sagte Athos, die Lakaien. – Wir sind hier, sprachen Mousqueton und Blaisois, die Grimaud herbeigeholt hatte.

Die drei Freunde waren indessen unbeweglich von dem furchtbaren Schauspiel geblieben, das sie durch die Öffnung erblickten, als d’Artagnan den Laden aufhob.

Wer nur einmal in seinem Leben dieses Schauspiel gesehen hat, weiß in der Tat, daß es nichts Ergreifenderes gibt, als ein stürmisches Meer, das mit dumpfem Gemurmel seine schwarzen Wogen beim bleichen Schimmer eines Wintermondes hin- und herwälzt.

Bei Gott, es scheint, wir zögern, sagte d’Artagnan, und schlüpfte entschlossen durch die Öffnung. Wenn wir zögern, was werden dann die Lakaien tun? – Auf, Athos! rief er, Ihr folgt mir. Ihr, Aramis, setzt die Lakaien in Kenntnis; Ihr, Porthos, schlagt alles tot, was uns ein Hindernis bereitet.

Und nachdem er Athos die Hand gedrückt hatte, glitt er in dem Augenblick, wo die Feluke durch eine schwankende Bewegung nach hinten tauchte, ins Wasser.

Athos folgte ihm, ehe die Feluke sich wieder erhoben hatte; nach Athos hob sie sich, und man sah das Kabel, mit dem die Schaluppe befestigt war, sich spannen und aus dem Wasser hervorkommen.

D’Artagnan schwamm danach und wartete hier, mit einer Hand an dem Tau hängend und den Kopf über dem Wasserspiegel haltend. Nach Verlauf einer Sekunde holte ihn Athos ein.

Dann sah man an der Wendung der Feluke zwei andere Köpfe erscheinen. Es waren Aramis und Grimaud.

Blaisois beunruhigt mich, sagte Athos. Er sagt, er könne nur im Flusse schwimmen.

Wenn man schwimmen kann, so schwimmt man überall, erwiderte d’Artagnan; zur Barke! zur Barke!

Aber Porthos? Ich sehe ihn nicht.

Seid unbesorgt, Porthos wird kommen; er schwimmt wie ein Leviathan.

Porthos erschien erst nach einer Weile, denn er hatte den beiden wasserscheuen Lakaien, Blaisois und Mousqueton, erst mit dem Erdrosseln drohen müssen, bis sie sich ins stürmische Meer wagten, wo sie sofort untertauchten.

Aber Porthos war nicht der Mann, der seine treuen Gefährten im Stiche ließ, und als Mousqueton ganz geblendet wieder auftauchte, fand er sich durch Porthos‘ breite Hand unterstützt und konnte so ohne Anstrengung zum Tau gelangen.

In demselben Augenblick sah Porthos etwas im Bereich seines Armes wirbeln. Er nahm dieses Etwas beim Haare: es war Blaisois, dem Athos entgegenkam.

Fort, fort, Graf, sagte Porthos, ich bedarf Euer nicht.

Und mit einem kräftigen Stoße der Kniebeuge erhob sich Porthos wie der Riese Adamastor über der Welle, und durch drei Bewegungen war er mit seinen Freunden vereinigt.

D’Artagnan, Aramis und Grimaud halfen Blaisois und Mousqueton einsteigen; dann kam die Reihe an Porthos, der, als er sich an Bord schwang, das kleine Fahrzeug beinahe umwarf.

Und Athos? fragte d’Artagnan.

Hier bin ich, erwiderte Athos, der, wie ein General den Rückzug deckend, erst zuletzt einsteigen wollte und sich am Rande der Barke hielt. Seid ihr beisammen?

Alle, antwortete d’Artagnan. Und Ihr, Athos, habt Ihr Euren Dolch?

Ja.

Dann schneidet das Tau ab und kommt.

Athos zog einen scharfen Dolch aus seinem Gürtel und schnitt das Tau ab, die Feluke entfernte sich, die Barke blieb schaukelnd auf der Stelle.

Kommt, Athos, sagte d’Artagnan.

Er reichte dem Grafen de la Fère die Hand, und dieser nahm ebenfalls in dem Fahrzeuge Platz.

Es war Zeit, sagte der Gascogner, und ihr werdet etwas Seltsames sehen.

Mißgeschick

D’Artagnan hatte kaum ausgesprochen, als ein Pfiff auf der Feluke ertönte, welche im Dunkel zu verschwinden anfing.

Das bedeutete etwas, wie ihr wohl begreift, sprach der Gascogner.

In diesem Augenblick sah man auf dem Verdecke eine Stocklaterne erscheinen und Schatten auf dem Hinterteil hervortreten. Plötzlich durchdrang ein schrecklicher Schrei, ein Schrei der Verzweiflung, den Raum, und als ob dieser die Wolken vertrieben hätte, entfernte sich der Schleier, der den Mond verbarg, und man sah an dem von blassem Licht versilberten Himmel das graue Segelwerk und die schwarzen Taue der Feluke abgezeichnet.

Schatten liefen auf dem Schiffe mit kläglichem Geschrei hin und her. Zugleich erblickte man Mordaunt, der mit einer Fackel in der Hand aus dem Heckbord erschien.

Die auf dem Schiffe umherlaufenden Schatten waren Groslow und seine Leute, welche er zu der von Mordaunt bezeichneten Stunde versammelt hatte, während der letztere, nachdem er an der Tür der Kajüte gehorcht, ob die Musketiere noch schliefen, durch ihr Stillschweigen beruhigt, in den Raum hinabgestiegen war.

Mordaunt hatte die Tür geöffnet und war zu der Lunte gelaufen. Glühend, wie ein Mensch, der nach Rache dürstet und ihrer ganz sicher zu sein glaubt, legte er Feuer an den Schwefel.

Währenddessen hatten sich Groslow und seine Leute aus dem Hinterteil versammelt.

Holt das Tau an, sprach Groslow, und zieht die Schaluppe her.

Einer der Matrosen schwang sich auf den Rand des Schiffes, nahm das Kabel und zog es an; es folgte ohne jeden Widerstand.

Das Kabel ist abgeschnitten! rief der Matrose, kein Boot mehr!

Wie? kein Boot mehr! rief Groslow, und stürzte nach der Schanzkleidung vor, das ist unmöglich!

Seht nur selbst. Nichts mehr im Kielwasser, und hier ist das Ende des Taues.

Da hatte Groslow das Gebrüll ausgestoßen, das von den Musketieren gehört worden war.

Was gibt es denn? rief Mordaunt, der mit seiner Fackel in der Hand aus der Luke kam und ebenfalls nach dem Hinterteil lief.

Unsere Feinde entkommen uns; man hat das Tau abgeschnitten, und sie fliehen mit dem Nachen.

Mordaunt machte nur einen Sprung bis in die Kajüte, deren Tür er mit dem Fuß eintrat.

Leer! rief er. Oh! die Teufel!

Wir verfolgen sie, sagte Groslow; sie können nicht ferne sein, und wenn wir sie erreichen, bohren wir die Schurken in den Grund.

Ja, aber das Feuer! erwiderte Mordaunt; ich habe Feuer angelegt.

Woran?

An die Lunte.

Tausend Donner! brüllte Groslow, nach der Luke eilend, vielleicht ist es noch Zeit.

Mordaunt antwortete nur durch ein furchtbares Lachen, und die Züge mehr vom Haß, als vom Schrecken verstört, suchte er den Himmel mit seinen wilden Augen, um ihm eine Lästerung zuzuschleudern. Zuerst warf er seine Fackel ins Meer, dann stürzte er sich selbst nach.

In demselben Augenblick und als Groslow den Fuß auf die Treppe der Luke setzte, öffnete sich das Schiff wie der Krater eines Vulkans, eine Feuergarbe warf sich mit einem Getöse, als donnerten hundert Kanonen zugleich, zum Himmel empor, die Luft entzündete sich, durchfurcht von ebenfalls entzündeten Trümmern; dann verschwand der gräßliche Blitz, die Trümmer fielen hintereinander zischend in den Abgrund, in dem sie erloschen, und ohne ein Beben in der Luft hätte man nach einem Augenblick glauben können, es sei nichts vorgefallen.

Die Feluke war von der Oberfläche des Meeres verschwunden, und Groslow und seine drei Leute hatten dabei ihren Untergang gefunden.

Die vier Freunde hatten alles gesehen; kein Moment dieses furchtbaren Dramas war ihnen entgangen. Einen Augenblick übergossen von dem blendenden Lichte, das die See auf mehr als eine Meile erhellte, konnte man sie, jeden in einer andern Stellung, erblicken und sehen, wie jeder einzelne den Schrecken ausdrückte, den sie alle, trotz ihrer fühllosen Herzen, unwillkürlich empfanden. Bald fiel der Flammenregen um sie hernieder; dann erlosch, wie erzählt, der Vulkan, und alles kehrte in Dunkelheit zurück. Die Barke schwamm, und das Meer brauste.

Sie verharrten einen Augenblick in tiefem Stillschweigen.

Porthos und Aramis, die jeder ein Ruder genommen hatten, hielten es mechanisch über dem Wasser und preßten es mit ihren Händen krampfhaft zusammen.

Meiner Treue, sprach Aramis, zuerst das Stillschweigen brechend, diesmal, glaube ich, ist alles vorbei.

Zu Hilfe, Mylord, zu Hilfe! rief eine klägliche Stimme, deren Töne wie die eines Meergeistes zu den vier Freunden drangen.

Alle schauten sich an, selbst Athos bebte.

Er ist es, es ist seine Stimme, sagte er.

Alle beobachteten ein tiefes Stillschweigen, denn alle hatten, wie Athos, diese Stimme erkannt. Nur wandten sie ihre unheimlich sich dehnenden Augensterne in der Richtung, wo das Schiff verschwunden war, um die Dunkelheit zu durchdringen.

Nach einem Augenblick unterschieden sie einen Menschen, der sich, kräftig schwimmend, näherte.

Athos streckte langsam den Arm gegen ihn aus und zeigte ihn seinen Gefährten mit dem Finger.

Ja, ja, sagte d’Artagnan, ich sehe ihn wohl.

Abermals er! sprach Porthos, der wie der Blasebalg eines Schmiedes schnaufte. Ah! ist er denn von Eisen?

Oh, mein Gott! murmelte Athos.

Mordaunt machte noch ein paar Klafter, erhob eine Hand als Notzeichen über das Meer und rief: Habt Mitleid, meine Herren, um Gotteswillen, meine Kräfte verlassen mich; ich muß sterben!

Die flehende Stimme war so beweglich, daß sie im Grunde von Athos‘ Herzen Mitleid erregte.

Der Unglückliche, murmelte er.

Gut, sprach d’Artagnan, es fehlte nichts mehr, als daß Ihr ihn beklagtet! In der Tat, ich glaube, er schwimmt auf uns zu. Denkt er vielleicht, wir werden ihn aufnehmen? Rudert, Porthos, rudert!

Und ein Beispiel gebend, tauchte d’Artagnan sein Ruder in das Meer. Zwei Ruderstöße entfernten die Barke auf zwanzig Klafter.

Oh! ihr werdet mich nicht umkommen lassen, ihr werdet nicht mitleidlos sein! rief Mordaunt.

Oh, oh! sprach Porthos zu Mordaunt, ich glaube, wir halten Euch endlich, mein Braver, und um Euch zu retten, habt Ihr keinen andern Hafen mehr, als den der Hölle.

Oh, Porthos, murmelte der Graf de la Fère.

Laßt mich in Ruhe, Athos. Ihr werdet in der Tat lächerlich mit Eurer ewigen Großmut. Ich erkläre Euch, daß ich ihm mit einem Ruderschlage den Schädel zerschmettere, wenn er sich der Barke auf zehn Schritte nähert.

Oh, Gnade! flieht mich nicht, meine Herren! Habt Mitleid mit mir! rief der junge Mensch mit keuchendem Atem.

D’Artagnan, der mit dem Auge jede Bewegung Mordaunts verfolgt und sein Gespräch mit Aramis beendigt hatte, stand auf und rief, sich an den Schwimmer wendend:

Mein Herr, ich bitte, entfernt Euch. Eure Reue ist zu neu, als daß wir ein großes Zutrauen zu ihr haben sollten. Bedenkt wohl, daß das Schiff, in dem Ihr uns rösten wolltet, einige Fuß unter dem Wasser raucht, und daß die Lage, in der Ihr Euch befindet, ein Rosenbett ist in Vergleich mit der, worein Ihr uns zu versetzen gedachtet, und worein Ihr Herrn Groslow und seine Gehilfen versetzt habt.

Meine Herren, erwiderte Mordaunt mit verzweiflungsvollem Ton, ich schwöre euch, daß meine Reue wahr ist. Meine Herren, ich bin so jung, bin kaum dreiundzwanzig Jahre alt! Meine Herren, ich ließ mich durch einen sehr natürlichen Groll hinreißen, ich wollte meine Mutter rächen, und ihr hättet alle dasselbe getan.

Bah! sprach d’Artagnan, als er sah, daß Athos immer weicher wurde, jenachdem.

Mordaunt hatte kaum noch drei bis vier Klafter zu machen, um die Barke zu erreichen. Das Herannahen des Todes schien ihm übermenschliche Stärke zu verleihen.

Ach! rief er, ich soll also sterben! Ihr wollt den Sohn töten, wie ihr die Mutter getötet habt! Und dennoch war ich nicht schuldig; nach allen göttlichen und menschlichen Gesetzen muß ein Sohn seine Mutter rächen. Wenn es ein Verbrechen ist, fügte er, die Hände faltend, bei, so muß es mir vergeben werden, da ich es bereue, da ich um Verzeihung bitte.

Dann schien er sich nicht mehr über dem Wasser halten zu können, und es ging eine Welle über seinen Kopf hin, die seine Stimme erstickte.

Oh! das zerreißt mir das Herz, sprach Athos.

Mordaunt erschien wieder.

Und ich, versetzte d’Artagnan, ich sage, daß ein Ende gemacht werden muß. Mörder Eures Oheims, Henker des Königs Karl, Brandstifter, ich fordere Euch auf, in den Grund zu fahren, oder wenn Ihr Euch der Barke noch um eine einzige Klafter nähert, zerschmettere ich Euch den Kopf mit meinem Ruder.

Mordaunt schwamm in Verzweiflung eine Klafter. D’Artagnan nahm sein Ruder mit beiden Händen. Athos stand auf.

D’Artagnan! d’Artagnan! rief er; mein Sohn, ich flehe Euch an! Der Unglückliche wird sterben, und es ist furchtbar, einen Menschen sterben zu lassen, ohne ihm die Hand zu reichen, wenn man nichts anderes zu seiner Rettung zu tun braucht. Oh! mein Herz verbietet mir eine solche Handlung. Ich kann nicht widerstehen, er muß leben.

Mord und Tod! erwiderte d’Artagnan, warum überliefert Ihr uns nicht an Händen und Füßen gebunden diesem Elenden? Das wäre schneller geschehen. Oh, Graf de la Fère! Ihr wollt durch ihn umkommen! Wohl, ich, Euer Sohn, wie Ihr mich nennt, ich will es nicht.

Aramis zog kalt seinen Degen, den er schwimmend zwischen den Zähnen gehalten hatte.

Wenn er seine Hand an den Rand des Schiffes legt, sagte er, so haue ich sie ihm ab, wie einem Königsmörder.

Und ich, sprach Porthos, wartet!

Was wollt Ihr machen? fragte Aramis.

Ich stürze mich in das Meer und erdroßle ihn.

Oh, meine Herren! rief Athos mit überwältigendem Gefühl, laßt uns Menschen, laßt uns Christen sein.

D’Artagnan stieß einen Seufzer aus. Aramis senkte sein Schwert, Porthos setzte sich wieder.

Seht, fuhr Athos fort, seht, der Tod ist auf seinem Antlitz ausgeprägt. Seine Kräfte verlassen ihn, noch eine Minute, und er sinkt in den Abgrund. Oh, verschont mich mit so furchtbaren Gewissensbissen. Nötigt mich nicht, ebenfalls vor Scham zu sterben; meine Freunde, bewilligt mir das Leben dieses Unglücklichen. Ich werde euch segnen, ich werde …

Ich sterbe, murmelte Mordaunt, zu Hilfe! … zu Hilfe!

Laßt uns eine Minute gewinnen, sagte Aramis, sich links gegen d’Artagnan wendend. Einen Ruderschlag, fügte er bei, sich rechts gegen Porthos neigend.

D’Artagnan antwortete nicht. Er fing an, halb durch die Bitten von Athos, halb durch das Schauspiel, das er vor Augen hatte, bewegt zu werden. Porthos allein gab einen Ruderschlag, und so drehte sich die Barke, und diese Bewegung brachte Athos dem Sterbenden näher.

Herr Graf de la Fère! rief Mordaunt, Herr Graf de la Fère, an Euch wende ich mich, Euch flehe ich an! Habt Mitleid mit mir! … Wo seid Ihr, Herr Graf de la Fère! Ich sehe nichts mehr … ich sterbe! … Herbei! zu Hilfe!

Hier bin ich, mein Herr, sprach Athos, sich vorbeugend und mit der ihm eigentümlichen Gebärde voll Adel und Würde seinen Arm gegen Mordaunt ausstreckend; hier bin ich, nehmt meine Hand und steigt in unsere Barke.

Ich will lieber nicht zuschauen, sprach d’Artagnan, diese Schwäche widerstrebt mir.

Er wandte sich gegen die zwei Freunde, die sich nach dem Hintergrund des Schiffes drängten, als fürchteten sie die Berührung eines Menschen, dem Athos allein die Hand zu reichen sich nicht fürchtete.

Mordaunt machte eine äußerste Anstrengung, erhob sich, ergriff die Hand, die sich nach ihm ausstreckte, und klammerte sich mit der Heftigkeit der letzten Hoffnung daran.

Gut, sprach Athos, legt Eure andere Hand hierher.

Und er bot ihm seine Schulter als zweiten Stützpunkt, so daß sein Kopf beinahe den Kopf Mordaunts berührte und die zwei Todfeinde sich wie zwei Brüder umarmt hielten.

Mordaunt zerdrückte mit seinen krampfhaften Fingern Athos‘ Kragen.

Gut, mein Herr, sprach der Graf, nun seid Ihr gerettet. Beruhigt Euch.

Ah! meine Mutter, rief Mordaunt mit einem flammenden Blick und einem unbeschreiblichen Ausdruck des Hasses, ich kann dir nur ein einziges Opfer bieten, aber es soll wenigstens das sein, das du gewählt hättest!

Und während d’Artagnan einen Schrei ausstieß, Porthos das Ruder erhob und Aramis eine Stelle aussuchte, um zuzustoßen, riß ein furchtbarer Stoß an die Barke Athos in das Wasser. Mordaunt erhob ein Triumphgeschrei, preßte den Hals seines Opfers zusammen und umschloß, um jede Bewegung zu hemmen, die Beine des Unglücklichen mit den seinigen, wie es nur eine Schlange hätte tun können.

Einen Augenblick suchte sich Athos, ohne einen Ton von sich zu geben, auf der Oberfläche des Meeres zu halten, aber das Gewicht zog ihn hinab, und er versank allmählich. Bald sah man nur noch seine langen Haare schwimmen; dann verschwand alles, und ein breiter Gischt, der sich ebenfalls nach und nach verlor, deutete allein noch die Stelle an, wo beide in die Tiefe gesunken waren.

Stumm vor Schrecken, unbeweglich vor Grauen, verharrten die drei Freunde mit gähnendem Munde und mit weit aufgerissenen Augen, die Arme ausstreckend. Sie schienen Statuen zu sein, und dennoch hörte man ihre Herzen schlagen. Porthos kam zuerst zu sich selbst und rief, indem er sich mit vollen Händen die Haare ausraufte, mit herzzerreißendem Schluchzen:

Oh, Athos, Athos! edles Herz! wehe, wehe über uns, die wir dich haben sterben lassen!

Ja, ja, wiederholte d’Artagnan, wehe, wehe!

Wehe! murmelte Aramis.

In demselben Augenblick erschien mitten in dem weiten von den Strahlen des Mondes beleuchteten Kreise, vier bis fünf Klafter von der Barke, wieder ein Wirbel, und man sah zuerst Haare, dann ein bleiches Gesicht mit offenen, aber toten Augen und endlich einen Körper erscheinen, der, nachdem er sich bis unter die Brust über das Meer erhoben hatte, sich, der Bewegung der Wellen folgend, langsam aus den Rücken legte.

In der Brust des Körpers stak ein Dolch, dessen goldener Griff im Monde funkelte.

Mordaunt! Mordaunt! Mordaunt! riefen die drei Freunde, es ist Mordaunt!

Aber Athos? sprach d’Artagnan.

Plötzlich neigte sich die Barke unter einem neuen und unerwarteten Gewichte nach links, und Grimaud stieß einen Freudenschrei aus. Alle wandten sich um, und man sah Athos leichenbleich, mit erloschenen Augen und zitternder Hand sich am Rande des Bootes halten. Acht nervige Arme hoben ihn sogleich empor und legten ihn in die Barke, wo Athos, in einem Augenblick erwärmt, unter den Liebkosungen seiner freudetrunkenen Freunde wiederauflebte.

Ihr seid doch nicht verwundet? fragte d’Artagnan.

Nein, antwortete Athos. Und er?

Oh, er ist diesmal, Gott sei Dank! wirklich tot. Seht! Und d’Artagnan nötigte Athos, in der Richtung zu schauen, die er ihm andeutete, und zeigte ihm den Leichnam Mordaunts, der, auf den Wellen schwimmend, bald untertauchte, bald sich wieder erhob und die vier Freunde mit einem Blick voll tödlichen Hasses zu verfolgen schien.

Endlich sank der Tote in den Abgrund. Athos war ihm mit einem schwermütigen, mitleidigen Blicke gefolgt.

Bravo, Athos! sprach Aramis. – Ein schöner Stoß! rief Porthos. – Ich hatte einen Sohn, sagte Athos, ich wollte leben. – Endlich, rief d’Artagnan, hier hat Gott gesprochen. – Ich habe ihn nicht getötet, das Geschick hat es getan, murmelte Athos.