Sonnenschein, Maienglanz, blühende Blumen, Vogelgesang. Wie war es schön, so am lichten Morgen in die weite Gotteswelt hinein zu fahren!

Dem Kasperle hüpfte sein kleines Herz vor Freude. Beim Mondenschein waren sie aus der Stadt hinausgefahren, durch einen stillen, schlafenden Wald. Da hatten leise die Quellen gesungen, und das Mondlicht war an den dicken Baumstämmen niedergerieselt. Ein feines, sachtes Rauschen dazu. Schön war es gewesen, wunderschön. Aber nun schien die Sonne. Ein Tag voll Lieblichkeit war heraufgezogen, und das kleine Kasperle baumelte vor Vergnügen mit seinen Beinchen. Es saß in dem Wagen Mister Stopps gegenüber. Florizel hatte sich vorn auf den Bock gesetzt, Bob auf den Bedientensitz hinten am Wagen.

Florizel sang zur Violine:

»Wie bist du herrlich, liebe Erde!
Im Glanze deiner schönen Fluren
Geh’ ich auf unsres Herrgotts Spuren
Und hör’ sein schaffendes »Es werde.«

»Es gefällt mir,« sagte Mister Stopps, und dann steckte er den Kopf zum Wagenfenster hinaus und rief: »Oh, mehr, mehr!«

Florizel spielte wieder und sang dazu:

»Wald und Wiese,
Feld und Baum,
Alles grüße,
Wie im Traum.
Vogelsingen,
Bäumerauschen,
Quellenklingen
Möcht’ erlauschen.
In dies schöne Vielerlei,
Heller tönt mein Tarandei,
Tarandei, dideldum.«

Mister Stopps nickte wieder zufrieden, und das Kasperle, das ihm gegenüber saß und etwas auf seinem Herzen hatte, dachte: »Nun sag’ ich es!« und nickte auch mit. Da sprach Mister Stopps plötzlich, just als Kasperle seinen Mund auftun wollte:

»Kahspärle, uie ist das? Mal sitzt Bob vorne, mal sitzt Bob hinten. Uie kann ein Mensch vorne und hinten zu gleicher Zeit sitzen?«

Kasperle wurde feuerrot: »Das ist Bobs Bruder, der vorne sitzt,« stotterte er.

»Uie komisch! Uie kann Bob einen Bruder haben, uenn er doch ein Uaisenkind ist und nie einen Bruder gehabt hat?«

»Er – er – er – ist von der Mauer gefallen!«

Kasperle dachte: »Das ist nun schlimm, Mister Stopps die Wahrheit zu sagen,« denn Mister Stopps sah ihn mit einem strafenden Blick an: »Kahs – pärle, du tust lügen.«

Kasperle suchte seine Nase. Es half nichts, er mußte bekennen. Da tönte draußen Florizels heitere Stimme:

»Schönes Fräulein,
Sagt mir an,
Warum den Herrn von Löwenzahn
Ihr wolltet gar nicht frei’n.«

Und eine silberhelle Stimme antwortete:

»Oh Florizel,
Lieber Spielmann mein,
Ich will ihn nicht,
Ich mag ihn nicht,
Er ist ein aufgeblasener Wicht.«

»Das ist er,« schrie innen Kasperle.

»Uer, Kahs – pärle?«

»Der Herr von Löwenmaulzahn. Und Angela ist Bobs Bruder, nein, sie ist es eigentlich nicht, und sie saß im Gartenhaus, und nun sitzt der Herr von Löwenmaulzahn drin, und – und – und –«

Kasperle wußte nicht weiter, und Mister Stopps wußte erst recht nicht weiter, denn die Namen, die Kasperle genannt hatte, waren ihm ganz unbekannt.

»Bob soll kommen,« riefen Herr Stopps und Kasperle zu gleicher Zeit.

Und Bob kam und brachte Florizel mit, und Mister Stopps sagte streng: »Bob, jetzt stehst du hier und sitzt doch auf dem Bock, wie ist das?« Da erzählten Bob und Florizel, wie sie die schöne Angela gerettet hatten, und Mister Stopps rief: »Umkehren, das geht nicht!«

Wie gut war es, daß Kasperle so unbändig heulen konnte! Heiliger Bimbam, schrie der kleine Wicht. Mister Stopps erschrak gewaltig, er versuchte Kasperle zu trösten, aber der war schlau, er tat ganz jämmerlich unglücklich. Je aufgeregter Mister Stopps wurde, desto mehr heulte das Kasperle. Der riß seinen Mund ganz ungeheuer auf und schluchzte, als wäre ihm selbst das tiefste Herzeleid widerfahren.

Als Mister Stopps, dem es immer ängstlicher zumute wurde, einmal sagte: »Uir müssen in die Stadt zurückkehren,« schrie Kasperle: »Ich stirbse, ich stirbse!« und klapp fiel er um und verdrehte die Augen. Florizel beugte sich über ihn und flüsterte: »Jetzt müßtest du eins aufs Hosenbödle haben.«

Der Florizel war doch ein guter Arzt. Kasperle starb nicht, sondern war auf einmal wieder ganz munter und bat Mister Stopps zärtlich: »Bitte, bitte nicht umkehren, lieber Mister Stopps!«

»Aber das fremde Fräulein?« fragte Mister Stopps.

»Das ist doch kein Fräulein mehr, ist Bobs Bruder geworden, und Bobs Bruder heißt Tom und kann mitfahren.« Kasperle fand die Geschichte äußerst einfach. Mister Stopps fand sie weniger einfach, aber was sollte er mitten auf der Landstraße tun? Er sagte also: »Meinetwegen!« Und dann hielt er sich die Ohren zu und rief: »Nichts mehr hören. Kahspärle haben mich die Ohren entzuei geschreit – geschrieht – geschreiten.« »Hahaha!« Kasperle tat wieder seinen Mund weit auf, aber diesmal, um zu lachen, und Mister Stopps, Florizel, Bob und Angela und der Kutscher, alle lachten mit. Heio, das war eine lustige Fahrt. Immer glänzender wurde der Himmel, immer strahlender die Sonne. Mittagsfriede lag über dem Lande.

Im Wagen schmausten sie, und Angela, genannt Tom, schmauste fröhlich mit. Dann setzte sie sich neben Florizel hinten auf das Bedientenbänklein, Bob setzte sich neben den Kutscher, und weiter ging die Fahrt. »Bis zur Schwarzen Ente,« sagte der Kutscher. »Das ist ein feines Wirtshaus.«

Florizel spielte ganz, ganz leise, und Angela erzählte ihm. Ein Waislein war sie, und einen geizigen Vormund hatte sie. In Italien lebte ihre gute, gute Großmutter, aber zu der wollte der Vormund sie nicht reisen lassen, obgleich Angela die gute alte Frau von Herzen liebte. »Wenn ich erst dort bin, bin ich geborgen,« erzählte Angela weiter. »Die Großmutter ist –«

»Himmelsgut,« sagte jemand, und das war Kasperle.

Mister Stopps schlief, da war es dem Kasperle zu langweilig geworden. Er war aus dem Fenster geklettert und schaute nun vom Verdeck des Wagens auf die beiden herab.

»Ja, himmelsgut. Oh Kasperle, liebes, kleines Kasperle,« sagte Angela, »ich habe schon so viel von dir gehört, denn ich war eine Zeitlang bei der Prinzessin Gundolfine –«

»Brrrrrrr!« Kasperle schüttelte sich so, daß Florizel fragte: »Wird dir übel?«

Da schrie Kasperle: »Hach, ich weiß jetzt, wer die Heirat mit Herrn von Löwenmaulzahn ausgeheckt hat.«

»Die Prinzessin,« rief Angela.

»Ja, die,« Kasperle machte ein bitterböses Räubergesicht, und dann –

»Die Prinzessin!« Angela purzelte beinahe vom Wagen. Auf einmal sah nämlich das Kasperle wie die Prinzessin aus und gleich darauf wie Herr von Löwenzahn, und dann gab es ein fröhliches Gelächter, und Bob, der es hörte, kletterte auch auf das Kutschenverdeck, legte sich neben Kasperle, und beide schwatzten mit Florizel und Angela.

Und weiter ging die Fahrt, immer weiter, vorbei an kleinen Dörfern, die im Baumschatten malerisch zwischen Wiesen und Feldern lagen. Einmal kam ein Städtchen. Da rollte und rumpelte der Wagen über holpriges Pflaster. Kinder, Erwachsene, Hunde, Katzen, alles lief herbei, denn Kasperle schnitt die ungeheuersten Fratzen. Lautes Lachen umtoste die Kutsche, in der Mister Stopps behaglich schlief. Der Kutscher lachte, ja, ja, mit einem Kasperle fuhr es sich schon lustig in der Welt herum.

»Was ist das für ein kecker Wicht?« fragte der Wächter ernsthaft. Wutsch, da machte ihm Kasperle sein Gesicht nach, und der Wächter rief verdutzt: »Der sieht beinahe aus wie ich, komisch!«

»Hier bleiben!« riefen die Kinder.

Und die Wirtin vom Schwan knickste und rief auch:

»Solche Gäste müßten doch ausspannen.«

Aber der Kutscher sagte: »’Ne Schwarze Ente ist mir lieber als ’n schmutziger Schwan, und dann sind wir auch bald an der Grenze.«

»An was für ’ner Grenze?« fragte Kasperle.

»An der Schweizer Grenze.«

»Uo sein die Schweiz? Sein uir da?« Mister Stopps war aufgewacht, schaute sich erstaunt um, und da kletterte Kasperle zum großen Vergnügen der Reisegesellschaft wieder über das Verdeck in den Wagen zurück und setzte sich Mister Stopps gegenüber.

»Was ist die Schweiz?« fragte Kasperle.

»Ein Land!«

»Wegzoll!« schrie jemand, und Bob warf von oben herab dem Zollbeamten ein Geldstück zu.

»Halt!« schrie der, »wieviel Personen passieren?«

»Fünf und ein Kasperle.« Bums, fiel der Schlagbaum herunter. »Verspotten lasse ich mich nicht,« brummte der Beamte. »Was ist ein Kasperle?«

»Das bin ich.« Kasperle schoß einen Purzelbaum aus dem Wagen heraus, und der Zollwärter rief: »Potztausend, das ist wirklich ein Kasperle.«

Mister Stopps zeigte ihm nun seinen Schein von Torburg, auf dem stand, daß er Kasperle für sehr viel Geld gekauft hätte.

Da machte der Mann große Augen, er schrieb aber alles ordentlich in ein Buch hinein. Als Mister Stopps seinen Namen und Geburtstag genannt hatte und gerade Bob nennen wollte, schrie Kasperle: »Und das ist Bob und Tom, zwei Brüder, und das ist Florizel, der kann besser singen als die Nachtigall des Kaisers von China.«

»Gut, gut!« Der Zollwächter lachte, er sah sich nur noch Florizel an, dann konnte der Wagen weiterfahren, und weiter ging es, immer weiter.

Wieder Wiesen, Felder, Wald, ein Dorf, und dann kam die Schwarze Ente, und hier rief der Kutscher: »Hühott! Hier wird Halt gemacht, und morgen geht es in die Schweiz hinein, da sind alle Berge mit Zucker bestreut.«

»Stimmt nicht!« rief Kasperle, der gerade auf dem Bock gesessen hatte, und kletterte wieder in den Wagen hinein und fragte drinnen Mister Stopps: »Ist das wahr?«

»Uas denn?«

»Daß in der Schweiz die Berge mit Zucker bestreut sind.«

Der steife Mister Stopps machte selten einen Scherz, und wenn er einmal einen machte, dann tat er es mit einem ganz ernsten Gesicht, und jeder dachte, es sei Ernst gewesen.

Darum glaubte es das arme dumme Kasperle ihm auch, als er sagte: »Nicht mit Zucker, aber alle Berge sind von Schlagsahne.«

»Schlagsahne?« schrie Kasperle, denn das war seine Lieblingsspeise.

»Kann man die essen?«

»Gewiß,« antwortete Florizel.

»Dann esse ich in der Schweiz immerzu Schlagsahne. Kann man sie auch nur so schlecken, ohne Löffel?«

Herr Stopps wollte antworten, wollte sagen: »Es war nur ein Späßlein,« als der Kutscher rief: »Brrr, halt, hier ist die Schwarze Ente, hier ist gut sein.«