445. Mühlhäuser Brunnen

445. Mühlhäuser Brunnen

Bei und zu Mühlhausen sind Brunnquellen, die sind weit und breit berühmt. Eines dieser Wasser heißt die Breitsülze und entspringt nordwestlich eine halbe Stunde von der Stadt am Herbstberge. Die Sage geht, daß da, wo jetzt das Antoniushospital ist, ein Kloster gestanden habe, darin habe ein Mönch gelebt – andere sagen, der Mönch sei aus Kloster Reifenstein gewesen –, der habe in der Stadt ein heimlich Lieb gehabt, das er nächtlich besuchte, und wobei er durch einen Stein ging, den man noch zeigt. Endlich kam die Sache an den Tag, der Mönch wurde gefangen und auf den Adlerturm gesetzt und saß alldort auf den Tod. Da es nun der Stadt an genügsamem fließenden Wasser gebrach und jener Mönch aufs Wasserleiten sich verstand, so ward ihm die Freiheit geboten, wenn er die Quelle der Breitsülze, welche tiefer liegt als die Stadt, in diese hereinleiten wollte. Der Mönch ging an das schwierige Werk, leitete in lauter Schlangenlinien die Quelle um den Herbstberg, um den Thonberg und den Kalbberg herum, ließ sie einen Weg von siebentausendsechshundertundzehn Schritten machen, fast zwei und eine halbe Stunde, daß es oft scheint, als fließe das Wasser bergauf, und brachte das Wasser glücklich in die Stadt, worauf er seine Freiheit erlangte.

Eine ganz ähnliche Sage geht in Gotha von der Leitung des Flüßchens Leine, welche auch durch einen geschickten Mönch bewirkt wurde.

Wundersam schön ist der Brunnen zu Popperode (Wüstung), abendwärts der Stadt, ein mächtiger Quell und spiegelklar bis zum Grunde. Seine Nymphe spendet unerschöpflich ihren quellenden Segen; sein Wasser speist zwei Teiche und treibt zwölf Mühlen. Zum Dank dafür wird ihm alljährlich unter Reden und frommen Lobgesängen ein Doppelfest der Jugend gefeiert. Dicht am Becken, das unter uralten Lindenbäumen ruht, steht ein getürmtes Lustschlößchen von eigentümlichem Bau, in dessen kühler Halle stand und steht manch guter Spruch. Der schönste und beste dieser Sprüche ward hinweggetüncht und möchte wohl erneut werden:

Ut lymphae Nymphas coronat,
Ad fontem frontem fronde corones.

Von dem Breitsülzenbrunnen geht noch diese Sage. Er ist früher der Brunnen eines Klosters gewesen. Bei dem genannten Kloster stand wie bei den meisten Klöstern eine Kirche, deren angrenzender Turm drei silberne Glocken enthielt. Zur Zeit der Mühlhäuser Kriege wurde das Kloster ganz zerstört, und um die silbernen Glocken nicht in des Feindes Hand kommen zu lassen, versenkte sie ein Mönch in den Brunnen, indem er sagte: Diese Glocken kommen nicht eher zu Tage, bis drei Personen den Brunnen fegen und eine derselben ihren Tod in der Quelle des Brunnens findet.

Vor vielen Jahren träumte dem Schullehrer zu Ammern, er solle nach der Breitsülze gehen, so würde er am Ufer ein Seil finden. An diesem Seile solle er ziehen, so würden drei silberne Glocken heraufkommen. Dreimal träumte der Mann das gleiche, dann machte er sich auf und ging nach der Breitsülze. Je näher er dem Brunnen kam, desto schöner hörte er schon die Silberglocken läuten. Jetzt kam er an und fand alles, wie ihm geträumt hatte. Er zog an dem Seile, und siehe, drei silberne Glocken stiegen empor. Da ritt ein Reiter vorüber, der rief: Guten Morgen, Herr Schullehrer! Guten Morgen! – Ganz freundlich antwortete der Gegrüßte: Schönen Dank! – aber bei diesen Worten versanken die Glocken mit einem grausamen Geräusch und sind nie wieder zu Tage gekommen.

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446. Winfried und Sturmi

446. Winfried und Sturmi

Die heiligen Männer Winfried und Sturmi kamen auch in das alte Hessenland, die Heiden zu bekehren. Zu dieser Zeit kriegte Karl der Große im Diemellande und eroberte die Eresburg, auf der die Irminsäule stand, die er zerstörte, und den Desenberg, zwei feste Plätze. Am Desenberge, wo sein Heer im heißen Sommer fast verschmachtete, rief Karls Gebet den Bullerborn hervor, der noch heute fließt. Winfried kam zu einem Berge, darauf ein Heidenheiligtum stand, das brach er und ließ darauf die erste Christenkirche bauen, das ist der Christberg oder Christenberg, da noch heute die Leute einen Fußtritt im Stein zeigen, der von Winfried sich einprägte, als er im heiligen Eifer auf den Boden stampfte. Und am andern Ort, wo lange des großen Kaisers Lagerstatt und Heerstelle war, wird, hoch über der Weser, ein alter grauer Stein gezeigt, auf dem Karl zu Gericht saß und in denselben die Schwere seines ihn stützenden Armes sichtbarlich eindrückte; später entstand dort die Burg und das heutige Amt Herstelle.

Eine Stunde weit von einem Hofe, welcher Geismari hieß, dessen Name der später daraus entstandenen Stadt Hofgeismar blieb, da, wo jetzt das Dorf Eberschütz liegt, ragt eine steile Felswand hoch überm rechten Ufer der Diemel empor; droben der höchste, umwallte Punkt heißt die Klippe. Auf dieser Höhe hielten die Heiden ihren Ding. Da kam zu ihnen ein Greis mit einem Pilgerstabe, den keiner kannte, im Priesterkleid der Christen und predigte ihnen von Christus Geburt, Leben, Leiden und Sterben, Auferstehung, Himmelfahrt und Wiederkunft. Da nun die Heiden diese Reden hörten, dünkte sie ihnen eine Mär und unglaublich, und bedräueten ihn. Er aber stieß seinen Stab in den Boden und sprach: So wahr und wahrhaftig die Botschaft ist, die ich euch verkündet, das ewige Evangelium, so wahr wird dieser Stab durch die Allmacht des einzigen und wahren Gottes Knospen, Blätter und Blüten treiben! Und hob die Hände auf, und es geschahe das Wunder. Der Stab ergrünte, trieb Knospen, Zweige, Blätter, Blüten, und die Heiden glaubten und ließen sich taufen. Solches Wunder tat Sturmi, Winfrieds frommer Schüler.

Eine ganz gleiche Sage geht vom Orte Groß-Vargula, nur daß dort Winfried-Bonifazius selbst es war, der das Stabwunder verrichtete, und dort die Sage noch hinzufügt, daß der Wunderbaum, von fremdländischem Ansehen, einer Palme gleich, lange gestanden habe und verehrt worden sei.

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447. Der Stuffenberg

447. Der Stuffenberg

In der Gegend von Eschwege und Wanfried liegt ein hoher Berg, zu dem geschehen alljährlich viele Wallfahrten, absonderlich aus dem Eichsfeld, darauf erbaute Winfried eine Kapelle. Da nun der Bau im Gange war, kam zum öftern ein fremder Mann gewandert, der fragte die Maurer und Zimmerer, was es denn geben solle, und diese antworteten: Ei, eine Scheuer soll es geben! – Mit diesem Bescheid ging der Mann immer wieder seiner Wege, endlich aber trat er auch einmal unversehens in die Scheuer – da stand ein Altar darin und auf dem Altar ein Kruzifix, und war keine Scheuer, sondern eine christliche Kirche – und da schmiß die Türe hinter ihm zu, daß er nicht herauskonnte. Hu! da ward dem Fremden angst und bang, und hätte mögen des Teufels werden, wenn er nicht schon selbst der Teufel gewesen wäre, und raffte sich zusammen und fuhr oben durch den Giebel, wo noch eine Ritze war, mit Geprassel hinaus und riß ein Loch, das hat nimmermehr wieder zugebaut werden können; dann fuhr er in den Stuffenberg hinein, da blieb auch ein Loch, das heißt das Stuffensloch, und zuzeiten soll es aus dem Loche dampfen, und Nebel sollen daraus aufsteigen, Rückbleibsel des Angstschweißes, den der Teufel damals schwitzte.

Auch bei der Stadt Gernrode am Harz erhebt sich ein Stuffenberg, darauf ein Lusthaus und die schönste Aussicht auf die Teufelsmauern, auf Quedlinburg und Halberstadt.

Die Kapelle aber, die auf dem Stuffenberge bei Wanfried der heilige Bonifazius erbaute, ist St. Gehülfen genannt, und von ihr heißt der Berg auch der Hülfenberg. Manche nennen St. Gehülfen auch die heilige Kümmernis, und die heilige Kümmernis war eine wunderschöne Prinzessin, die erfuhr, was der Gründerin des Stiftes Quedlinburg begegnete, und da ließ ihr Gott der Herr einen Mannesbart wachsen und nahm ihr ihre unsägliche Schönheit. Solcher Hülfen- und Kümmerniskapellen gibt es viele in deutschen Landen, und ist deren in einer besonderen Sage von ihrem Bilde bei der Stadt Saalfeld weiter unten näher gedacht.

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448. Hermann von Treffurt

448. Hermann von Treffurt

Bei Treffurt über Wanfried ragt am linken Ufer der Werra ein mächtig hoher Berg weit sichtbar empor mit steiler Absenkung in das Werratal, der heißt der Hellerstein, auch wohl der Normannstein. Zu Treffurt lebte ein frommer Ritter, Hermann von Treffurt geheißen, der war in allem trefflich wohlgetan, nur einen Fehler hatte er, wenn das ein Fehler sein soll, er hatte im Bezug der Frauenminne ein sehr weites Herz und war im hohen Grade das, was die Frauen einen losen und schlimmen Mann nennen, wofür er Gott dankte. Dieser brave Ritter versäumte niemals, wann er so da oder dorthin ritt, wo er eine Buhlschaft hatte – und er ritt viel –, die Gezeiten der heiligen Jungfrau Maria zu beten, denn selbige war die einzige Jungfrau, die Ritter Hermann von Treffurt in Ehren hielt. Einer Nacht kam der Ritter geritten, mocht‘ etwa in Kreuzburg gewesen sein, allwo es schöne und gütige Frauen hat, aber da derselbe wohl nicht allein, als ein zweiter Ritter Tannhäuser, im nahen Venusberge gewesen war, sondern etwa auch im Bacchusberge vorgesprochen hatte, so entnickte er, und sein Roß schlug hinter Selmannshausen einen Nebenweg linker Hand ein, welches fast schlimm war wie alles Linke und Linkische. Es trug ihn, statt im Tale nach dem ganz nahen Treffurt, allgemach einen ziemlichen Umweg zur Höhe des riesigen Hellerstein empor und immer weiter und weiter vor bis an den jähen Abhang, da freilich stutzte es und prallte zurück, und vom Rückprall erwachte der Ritter aus minneseligem Traume, dachte, du dummer Gaul, was weckst du mich? und ließ dem Roß zur Strafe derb die Sporen fühlen. Da setzte das Roß in den ungeheuern Abgrund, der war etwan dreimal so hoch als der vom Giebichenstein hinunter ins Saaletal, und als der fromme Hermann plötzlich fühlte, daß er nicht mehr ritt, sondern flog, da rief er Ludwig des Springers Ruf: Hilf heilige Maria! Hilf deinem Knechte! Und da war ihm, als umfahe ihn ein warmer weicher Frauenarm und halte ihn und hebe ihn, da das Roß sich zu Tode fiel und vom Fall des Ritters Schwert in der Scheide wie Glas zersplitterte, sänftiglich aus dem Sattel, daß er sich auch kein Aderlein und kein Knöchlein verstauchte. Nach solch wunderbarer Errettung vom jähen Tod in allen Sünden tät sich der fromme Ritter aller Welt- und Minnelust ab, wurde noch frommer, als er vor gewesen war, ging nach Eisenach, zwischen Kreuzburg und dem Venusberg gelegen, wurde allda ein Mönch und diente ausschließlich in Gebet und Treue der heiligen Jungfrau, deren rettender Arm allein ihn gehalten und gehoben, und ward ihm, gleich jener schönen Sünderin im Evangelio, viel vergeben, dieweil er viel geliebet.

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44. Die Totenglocken zu Speier

44. Die Totenglocken zu Speier

Kaiser Heinrich IV. nahm gar ein trauriges Ende; auch seine Gebeine ruhen im Dome zu Speier, aber sie kamen nicht alsbald nach seinem Tode dahin. Verstoßen von Thron und Reich, gedachte er, wie sein heiliger Vorgänger Heinrich II. die Absicht gehabt, dort im Münster zu Straßburg seine Tage zu beschließen, am Dome zu Speier einer Chorherrenpfründe teilhaft zu werden, allein da er, der den Dom gebaut und reich geschmückt, nicht, wie jener, jetzt eine Pfründe gründen und stiften konnte, so ward ihm auch solche nicht zuteil, und der Bischof Gebhard, den er, der Kaiser, als solcher selbst auf seinen Stuhl gesetzt und ihn bestätigt, weigerte ihm die Aufnahme. Da erseufzte der Kaiser und sprach: Gottes Hand! Gottes Hand liegt schwer auf mir!, und zog trauernd von dannen. Und es geht in Speier die Sage, daß, als der alte Kaiser endlich arm und elend zu Lüttich an der Maas verstorben, habe die Kaiserglocke im Dome von selbst zu läuten begonnen, und alle andern Glocken haben volltönig eingestimmt in das Geläute, und das Volk sei zusammengelaufen und habe gerufen: Der Kaiser ist tot, der Kaiser ist tot, aber wo? wo ist er gestorben? Das wußte keiner. Der Bischof zu Lüttich fühlte minder hart wie der undankbare Bischof zu Speier, er ließ den Verstorbenen mit gebührenden Ehren bestatten. Aber als das der unnatürliche Sohn Heinrichs, Kaiser Heinrich V., vernahm, ward der Bischof von Lüttich verurteilt, den Sarg des Bestatteten mit seinen eigenen Händen wieder auszugraben, da der Verstorbene im Banne dahingegangen und einen Gebannten die geweihte Erde nicht decken dürfe. Da ward der tote Kaiser in seinem Sarge auf eine Insel in der Maas gestellt, und niemand wartete sein, und niemand kümmerte sich um ihn. Aber siehe, da kam ein Mönch, den niemand kannte, der fuhr hinüber auf die Insel, und betete über dem Sarge, und las Messen über den Toten, und sang ihm das Requiem, und das trieb er fort und fort, bis Heinrich V. es vernahm und den Sarg mit den Resten seines Vaters gen Speier führen ließ. Und als nun der Sarg im Königschor des Domes beigesetzt werden sollte, litt es der Bischof nicht, ehe denn der Papst zu Rom des deutschen Kaisers Überreste aus dem Banne lösete. Das währte fünf Jahre; so lange blieb Kaiser Heinrichs IV. Sarg in Sankt Afras Kapelle unbeerdigt stehen. Aber den Kaiser Heinrich V. wußte Gottes Hand auch zu finden, denn er blieb erbenlos, fiel in des Papstes Bann wie sein Vater, und als er verstarb, da läutete vom Münsterturme zu Speier ein Glöcklein von selbst gar hell und schrillend – und keine andere Glocke fiel ein, und niemand wußte, warum es läute, und das Volk lief zusammen und fragte sich untereinander: Wo wird denn einer ausgeführt, daß das Armesünderglöcklein läutet?

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449. Der Gürtel der Jungfrau

449. Der Gürtel der Jungfrau

Über Kreuzburg im Werratale, Mihla gegenüber, wo der Herren von Harstall uraltes Geschlecht noch blüht, lag ein herrliches Kloster, das hieß Münsterkirchen. Es war reich begabt und reich geschmückt, hatte hohe Kuppeln und Türme und ein prachtvolles Geläute, das weithin talab und -auf vernommen ward. Aber die Kriege, welche Thüringen verheerten, haben das Kloster Münsterkirchen zu einer Wüstung gemacht, und die Rede geht, daß von den Steinen seiner Gebäude fast der ganze Flecken Mihla gebaut worden sein soll. Zuletzt war nur noch ein niederer grüner Hügel übrig, und man nannte die Stätte, welche der Strom im großen Bogen umfloß und öfters überflutete, nur den Sand. Aber an hohen Kirchentagen, und wann fromme Waller das Tal abwärts zum Gehülfenberge zogen, da hörte man tief im Schoße der Erde die große Glocke von Münsterkirchen läuten. Diese Glocke hatte denselben Namen wie ihre berühmte größte Schwester in Erfurt: Maria gloriosa. Da geschah es, daß ein junges armes Mädchen auf dem Anger am Sand die Herde hütete und einschlief unter dem Erlengebüsch am Werraufer, und da träumte ihr, sie sähe zwei wildaussehende Männer auf dem nahen Hügel miteinander kämpfen, und dazu hörte sie vernehmlich die versunkene Glocke läuten. Da sie nun erwachte, so sähe sie zwei junge Stiere heftig miteinander streiten, die stampften und wühlten mit ihren Hufen die Erde auf, daß die Butzen nur so darum flogen, und die Hirtin eilte hin, die kämpfenden Tiere auseinanderzujagen, und siehe, da ragte dort, wo die Stiere den Boden aufgewühlt hatten, der Henkel der Glocke aus dem Boden. Freudig erschrocken löste rasch die Jungfrau ihren Gürtel ab, band ein Ende an die Glocke und das andere an einen nahen Strauch, jagte die Stiere vom Hügel und eilte nach Mihla hinüber, ihren Fund zu künden. Da zog die ganze Gemeinde heraus, und erhob feierlich die schöne große Glocke von Münsterkirchen, und führte sie in ihren Ort. Es ist die größte von Mihlas Glocken. Der Jungfrau Gürtel übte allein die magische haltende Kraft, sonst wäre die Glocke wieder in die Tiefe hinabgesunken.

Zu Berka, zwischen Kreuzburg und Eisenach, hängt im Kirchturm auch eine schöne große Glocke, die haben auf einem überm Ort liegenden Berge spielende Kinder gefunden, man zeigt noch die Stelle, und niemand dort zweifelt an der Wahrheit dieser Sage. Sie hat auch eine Inschrift, aber, sagte der Pfarrer, es waren schon viele Gelehrte da und haben die Schrift nicht lesen können. Das kommt daher, daß viele Gelehrte Wunders viel lernen und können, nur nicht Deutsch, denn die Schrift ist mit deutschen Buchstaben gegossen und ganz gut zu lesen.

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450. Der Elbel

450. Der Elbel

In der Gegend um Mihla und an diesem Orte selbst heißt der wilde Jäger der Elbel, hochbedeutsam für den deutschen Mythus. Er wohnt in den Felsklüften über der Wüstung Wernershausen, wo einst ein Burgsitz derer von Wangenheim war, die bis heute tüchtige Jäger sind. Höher hinauf nach dem Hainich, der, ein langgestreckter Bergwald, zwischen dem Unstruttal und dem Werra- und Hörseltal sich hinzieht, ist der Elbelstein und die Elbelskanzel. Elbel und seine Jagd durchsausen und durchbrausen den Hainichwald und seine Angrenzungen, das ist sein Revier. Ein Herr von Harstall zu Mihla, der zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges lebte, hatte einen Leibjäger, das war ein wilder Weidgesell, hieß aber weder Max noch Kaspar, sondern Hölzerkopf, dem stieß einmal auf einem Birschgange der Elbel mit seiner Jagd auf, voran floh und flog ihr im vollen Laufe eine schöne Jungfrau mit flatterndem Haar, die dem Hölzerkopf so wohl gefiel, daß er sich gleich selbst zum Elbel wünschte. Unmutig, daß solches Wild nicht für ihn, schoß er, als die wilde Jagd vorbeigesaust war, seine Büchse aufs Geratewohl ab, und siehe, der Schuß geriet sehr wohl, denn ein Rehbock, den er zuvor gar nicht gesehen hatte, brach angeschossen durchs Dickicht, stürzte zu seinen Füßen hin und verendete. Von da an traf jeder Schuß, den Hölzerkopf tat, ein jagdbares Hochwild, und er merkte nun, daß der Elbel es angenommen, daß er sich ihm verlobt. Eines Tages, als Hölzerkopf mit seinem Herrn zur Jagd zog, setzte er sich nieder und begann zu frühstücken, während der Herr von Harstall weiter wollte und unwillig fragte, was das heißen solle. – Können’s ja bequem haben, gnädiger Herr! sprach Hölzerkopf, wir wollen die Hunde loslassen, uns aber nicht ermüden. – Tat’s, ließ die Hunde los, trank einmal, spannte den Hahn, schoß ins Blaue, da sprang gleich ein stattlicher Edelhirsch, fast aufs Blatt getroffen, heran, und Hölzerkopf reichte dem Herrn von Harstall das Weidmesser und sprach: Gnädiger Herr, beliebt dem Sechzehnender den Genickfang zu geben? – Ha! du bist ein Hexenmeister, ein Freischütz! rief der Herr von Harstall und warf den dargebotenen Hirschfänger von sich, denn er war gar ein frommer Herr. Du hast deinen Abschied, du magst fortan dem Elbel dienen, nicht mir! – Das will ich auch, mit dero gnädiger Erlaubnis, sprach trotzig der Hölzerkopf, setzte seinen Hut auf, warf die Büchse über, trank noch einmal, schmiß sein Glas in Scherben und ging ohne Gruß und Dank von dannen. Fortan ist dieser Jäger nie anders als im Gefolge des Elbel erschienen, und oft hat man ihn bei diesem im Zwielicht auf dem Anstand auf dem Elbelstein stehen sehen. – Heutiges Tages ist auch im Hainichwalde, den die neue Straße von Eisenach und Mihla nach Mühlhausen mitten durchschneidet, nicht mehr viel zu jagen, und die Freischützen sind rar geworden. Hölzerköpfe gibt es noch in Menge – ja – aber sie sind leider Gottes keine Hexenmeister.

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43. Die Schwabenschüssel

43. Die Schwabenschüssel

Zu Speier auf dem Domplatz steht auf einem großen Fußgestelle von Quaderstücken auf drei Staffeln ein großer, tiefer, runder steinerner Napf, mag wohl ein Taufbecken sein aus grauen Zeiten, wie eins vor der Klosterkirchenruine zu Paulinenzelle liegt und anderswo dergleichen auch gefunden werden – das hat in seinem Rand eine Schrift, in Messing gegossen, diese besteht aus lateinischen Versen. Dieses Becken nennen sie dort die Schwabenschüssel, niemand weiß, warum. Sie hatten aber zu Speier damit einen sondern Brauch, nämlich wenn ein neugewählter Bischof alldort seinen Einzug halten wollte, so ward er nicht alsbald in die Stadt gelassen, sondern mußte vor dem Tore halten bleiben und zuvor geloben, der Stadt Rechte und Freiheiten nicht anzutasten, vielmehr aufrechtzuerhalten, und das angeloben mit Brief und Siegel, dann öffnete der Rat ihm das Stadttor, aber gleichwohl durften nicht mehr als fünfzig Mann des Gefolges in ihrer Wehr mit dem Bischof einreiten, und dann ward das Tor wieder hinter ihm zugeschlossen. Danach legte der Bischof seinen Ornat an und ward von Rat und Bürgerschaft und seinem Gefolge geleitet und begleitet bis auf den Domplatz an die Schwabenschüssel, dort nahm die Klerisei den neuen Bischof in Empfang und führte ihn unter einen Thronhimmel in den Dom mit großen Zeremonien und Gepränge. Der Bischof aber ließ nun Wein anfahren und in die Schwabenschüssel fließen, so viel als hineinging, und da konnte trinken, wer wollte, und derer, die wollten, waren immer viele, und der Wein floß endlos in den Napf, ein ganzes Fuder oder auch zweie. Da soff sich zum öfteren die Menge toll und voll, und mancher kam weit hergereist zu diesem Trunke, und ward ihm hernach weh und übel von dem vielen Saufen. Davon ist denn das Sprüchwort entstanden, wenn sich einer übersoffen und die Folgen verspürt: Der reist nach Speier. Andere aber deuten das auf die Reise zum kaiserlichen Kammergericht dortselbst, wohin gar mancher reiste, um zu – appellieren.

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439. Die wilde Kirche

439. Die wilde Kirche

Auf den Ohmberg im Eichsfeld kam auf seinem Bekehrungsgange durch Thüringen auch der heilige Bonifazius und zerstörte dort eine heidnische Opferstätte auf einem Felsen, der noch jetzt der große Stein heißt. Dort pflanzte er ein Kreuz auf und predigte von einem grausam steilen Felsen, der, vom Ohmberge abgerissen, ganz einzeln sich erhebt, fast wie der erst spät wieder zugänglich gemachte Bonifaziusfels beim Schlosse Altenstein, und dieser Fels und Ort heißt noch heute die wilde Kirche. An des Berges Fuß gründete Bonifazius ein Kloster, das hieß zu den drei Annen. Als einstens eine furchtbare Pest das Eichsfeld verheerte und die Geistlichen dahingerafft hatte, sollen neugeborne Kinder zur wilden Kirche getragen und allda von einem Einsiedler getauft worden sein. Es ist dort nicht so recht geheuer; manche haben schon wundersamen Glockenklang vernommen, und eine Frau erblickte selbst die Glocke, silberhell in offner Glockenstube hangend über einem auch offnen überherrlichen Dome, darinnen die Kerzen brannten und ein greiser Bischof das heilige Amt hielt. Ganz erstaunt eilte das Weib, ihren Mann zu rufen, als sie ihn aber endlich gefunden hatte und zur Stelle führte, war die Kirche verschwunden, gleich der Geisterkirche am Ochsenkopf und auf Burg Waldstein.

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440. König Dagobert heil

440. König Dagobert heil

Des Eichsfeldes Hauptstadt heißt Heiligenstadt, und über das ganze Land weht es wie Weihrauchduft, klingt es wie Klosterglocken. Der Stadt und dem Lande webt die Sage manch güldnen Heiligenschein. Das rührt aus frühen, frühen Zeiten her. Der Frankenkönig Dagobert ward in seinem Alter von schlimmer Krankheit befallen, dem Aussatz, übertrug die Regierung seinem Sohne und treuen Räten und zog mit seiner Gemahlin in die Ferne, zu suchen, ob er Heilung fände. Da kam er auf das Eichsfeld und lebte allda verborgen vor dem Auge der Menschen in einer Einöde, erbaute sich da einen Wohnsitz und diente Gott in einer Kapelle, die er der heiligen Jungfrau und Sankt Petrus weihte. Die Zeit, die König Dagobert nicht im Gebet zubrachte, vertrieb er sich mit der Jagd, und auf einem seiner Jagdgänge ward er von so großer Müdigkeit befallen, daß er sich in das Gras niederlegte und alsbald entschlief. Da der König erwachte, fand er das Gras stark betaut, aber alle Teile seines Körpers, welche der Tau benetzt hatte, waren zu seiner großen Freude heil vom Aussatz und rein wie die Haut eines jungen Kindes. Da eilte er fröhlich zu seiner Gemahlin und kündete ihr das Wunder, und sie riet ihm, sich noch öfters an jener Stelle in das taufeuchte Gras zu legen, und so wurde er ganz heil. Und da sprach er: Wahrlich, hier ist der Heilung und der Heiligen Statt! Und darauf ward dem König durch einen Traum offenbart, daß an jener Stelle die Heiligen Aureus und Justinus begraben lagen. Diese Heiligen waren zu des König Etzel Zeiten zu Mainz gefangen worden, durch göttliche Hülfe aber entkommen und hatten ihren Weg nach dem Eichsfeld zu genommen. Ein Präfekt des Attila folgte ihnen nach, fing sie zu Rusteberg und tat ihnen alle erdenklichen Martern an, um sie zum Rückfall in das Heidentum zu bewegen. Das war aber vergebens. Stachelschuhe verletzten die standhaften Christen nicht, glühend gemachte und ihnen aufgesetzte Helme fielen kalt zu Boden. Wilde Tiere schonten die mit Ketten an Bäume Gefesselten, denn es brannten Kerzen vor ihnen und stiegen Engel vom Himmel, die mit ihnen beteten. Endlich ließ der Präfekt die frommen Märtyrer enthaupten und ihre Leiber im Walde verscharren. König Dagobert ließ nun an der Stätte seiner Heilung ein Münster erbauen und ordnete einen Propst und zwölf Chorherren hinein, nannte den Ort Heiligenstadt und ordnete das Münster dem Bischofsitz Mainz unter, unter welchem auch die nach und nach entstehende Stadt dieses Namens beständig blieb. Noch heißt die Stätte, wo Dagobert gewohnt hat, die alte Burg.

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