453. Der Edelacker

453. Der Edelacker

Da nun in Thüringen der mannliche Landgraf zu seinem Volke hielt und ihm die Last abnahm, mit der es die Räte und die Amtleute bedrückt, von denen der Schmied gesagt hatte, daß sie als schlaue Jäger die roten Füchse – nämlich die Goldstücke – in ihre Beutel trieben, wurden ihm seine Edeln allzumal mächtig gram, denn des Fürsten Tun dünkte sie eine unerhörte Neuerung, und lehnten sich auf gegen ihn und sprachen: Wir wollen das nicht fürder leiden. Als solches dem Landgrafen hinterbracht ward, daß sie als widerspenstige Vasallen einen Willen für sich apart haben wollten, tat er einen eisernen Panzerrock an und zog nach der Numburg über Freiburg mit Heeresmacht und nahm die, so sich zusammengerottet, gegen ihn zu streiten, alle gefangen und führte sie über der Burg auf ein flaches Feld und hielt ihnen dort eine Rede, in der er ihnen alles sagte, was er auf dem Herzen hatte, daß sie lehenseidbrüchige Rebellen seien, und daß ihre Köpfe eigentlich jetzt vor ihre Füße gehörten. Er wolle aber nicht, daß man ihm nachsage, er töte seine eigenen Diener; Schätzung ihnen auflegen wolle er auch nicht, er wolle sich nicht, wie sie getan, mit der Untertanen Gut bereichern, sie aber ungestraft entlassen, würde Ursachen, daß sie fürder seinen Zorn verlachten, so wolle er ein Beispiel geben zur Nachachtung für die künftigen Zeiten. Ließ sich Stränge und Halftern reichen, spannte die Edeln je vier und vier an einen Pflug, den die Diener halten mußten, und trieb sie, mit einer Geißel nebenhergehend wie ein Ackersmann, eine lange Furche zu ahren. Und als eine Furche gezogen war, da ließ er den Pflug wenden und vier andere einspannen und ahrete also einen ganzen Acker, wie mit Pferden, und ließ dann den Acker mit großen Steinen zeichnen, zum ewigen Gedächtnis, und machte ihn zu einem Asyle. Daraus nannte er den Acker den Edelacker, und derselbe heißt heute noch so und liegt nahebei hinter der alten Numburg auf freier Höhe. Die so schwer gedemütigten Vasallen aber mußten ihm aufs neue schwören und hulden, sie mußten, oder der Zorn ihres Herrn kam über sie wie ein Ungewitter.

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454. Die lebendige Mauer

454. Die lebendige Mauer

Über des Landgrafen Ludwig Tat ward viel Redens im Thüringerlande. Die, so gezogen hatten und die Geißel gespürt, schämten sich und seufzeten im stillen; andere, die nicht dabei gewesen, sprachen, sie hätten eher den Tod erlitten als solche Schmach. Am schlimmsten erging es in der öffentlichen Meinung den Beamten, wie allemal, wenn sich Hader und Zwietracht erhebt in einem Lande zwischen Fürst und Volke, sie mußten nun allein die Sündenböcke sein, sie mußten alles verschuldet haben. Einige trieben ihren Groll bis zu Mordversuchen, aber Gottes Hand schirmte den Regenten, und die Meuchelmörder nahmen ein schmähliches Ende. Der Landgraf ging mit seinen Dienern immer und überall in einem Eisenpanzer, darum und von seiner Strenge ward er der eiserne Landgraf geheißen. Dieser Landgraf hatte den höchsten irdischen Herrn im Reiche zum Schwager, Kaiser Friedrichen, den Rotbart. Der kam von seiner ohnweiten Kaiserburg Kyffhausen herüber auf die Numburg zum Besuche, die war aber noch ohne Mauern, und dem Kaiser gefiel die niuwe Burg, und sprach: Schade, daß sie nicht Mauern hat, sie sollte stark und feste sein. – Ho, sagte Ludwig, um die Mauern sorg‘ ich nit, die kann ich haben, alsbald ich will. – In wie kurzer Zeit? fragte der Kaiser. – Näher denn in drei Tagen. – Das ist bei Gott nicht möglich, entgegnete der Rotbart, und wenn alle Maurer des Reichs beisammen wären. – Darauf ging der Kaiser zu Tische, und der Landgraf entsandte sogleich Eilboten durch sein ganzes Land an alle seine Grafen und Edeln, daß sie alsbald gen Freiburg aufbrechen sollten im besten Geschmuck der Waffen mit nur wenig Wappnern – war auch eine gute Gelegenheit, der Vasallen Gehorsam zu prüfen – merkten das auch und kamen allzumal pünktlich. Und als der Morgen des dritten Tages anbrach, da richtete der Landgraf alles zu nach seinem Willen und ging zu seinem Schwager ins Gemach und sprach: Mein Kaiser, die Mauer ist fertig. Da bekreuzte sich der Kaiser und dachte, hier müsse Satans Hülfe im Spiel sein, und trat heraus und staunte, denn da ersah er eine lebendige Mauer stehen rings um die Burg, Mann an Mann, im Glast der Harnische und Gewaffen. Wo ein Turm stehen mußte, stand ein Graf, und vor ihm sein Bannerträger, und dazwischen die Herren und Edeln. Da flatterten im frischen Morgenwind bunt und schön die Bannerfahnen der Grafen von Schwarzburg und von Käfernburg, von Gleichen, von Hohnstein, von Stolberg, von Mansfeld, von Rheinstein, von Orlamünde, von Arnsburg, Beichlingen, Gleisberg, Lobdaburg und anderer und so vieler edler Herren von Apolda, Blankenheim, Heldrungen, Treffurt, Kranichfeld, Leutenberg, Salza, ohne den zahlreichen niedern Adel, der nicht über weite Herrschaften gebot, aber doch stattliche Burgsitze und viele Güter hatte. Da rief Kaiser Friedrich aus: Fürwahr, solch eine edle, köstliche, teure und feste Mauer sah ich noch nie! Habe Dank, Schwager, daß du solche mir gezeigt.

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455. Des eisernen Landgrafen Begängnis

455. Des eisernen Landgrafen Begängnis

Landgraf Ludwig der Eiserne fühlte sein Ende nahen und lag krank auf der Neuenburg, um die er einst den lebendigen Mauerring gestellt, da gebot er und ordnete an, daß alle die Ritter und Vasallen, die ihm widerspenstig gewesen, soviel ihrer noch am Leben, herbei sollten, und sollten ihn, wann er gestorben, auf ihren Achseln ehrbarlich tragen von Freiburg bis Reinhardsbrunn, so lieb ihnen ihr Leben wäre. Und das mußten sie ihm an die Hand geloben, und tätens auch, ob gern oder ungern, denn sie fürchteten ihn mehr als den Teufel und gedachten auch, er möchte sie etwa aber versuchen und prüfen, sich lebendig in den Sarg legen und tragen lassen, und so sie’s nicht täten, würde er herausfahren und über sie kommen mit seinem Zorn und seiner Strafe. Und da der Landgraf nun gestorben war, hielten sie getreulich das Gelübde und trugen ihn in Furcht und Zittern den langen, weiten Weg, über zehn Meilen, wechselten oft ab, und wo sie ruhten, setzten sie den Sarg in die Kirche und ließen vor des Landgrafen Seele beten, denn sie waren der Meinung, dieselbe bedürfe der Fürbitten sehr. Herrlich war des Landgrafen Begängnis zu Reinhardsbrunn im Kloster, viele deutsche Fürsten waren gekommen, diesem beizuwohnen. Der Erzbischof Wigmann aus Magdeburg hielt ihm das Seelenamt. Ludwig ward begraben in der Klosterkirche neben dem Altar des heiligen Kreuzes, und über sein Grab ward sein Bild gestellt, im vollen Harnisch, wie man gewohnt war, ihn im Leben zu sehen.

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456. Wie Reinhardsbrunn geschirmt ward

456. Wie Reinhardsbrunn geschirmt ward

Der eiserne Landgraf hinterließ einen ältesten Sohn, wieder Ludwig geheißen, außer diesem noch drei Söhne, Hermann, Friedrich, Heinrich, und eine Tochter Jutta. Ludwigs, des jungen Landgrafen, Gemüt war wieder mild und gütig, wie das seines Vaters zuvor auch gewesen war, ehe es der Menschen Schlechtigkeit und Gewalttaten kennenlernte, desgleichen fromm und freigebig gegen die Klöster. Er wohnte zumeist auf Wartburg und zog hernach mit Kaiser Friedrich in das Land Apulia. In dieser Zeit begann ein Herr von Salza aus dem Altenberge, der im Klostergebiet von Reinhardsbrunn lag, eine Burgfriede und Kemnate aufzubauen. Da nun der Landgraf wieder heimkam, klagte ihm solches der Abt von Reinhardsbrunn an einem Sonnabend. Da sandte der Landgraf Boten an die nächsten Vasallen und Dienstmannen, und am Sonntage früh war er schon mit Rittern und Reisigen in dem Kloster, hörten dort eine Messe. Dann gebot der Landgraf dem Abt, nicht eher das Hochamt zu beginnen, bis er mit den Seinigen zurück sei. Dann durchritt er mit seinem Haufen, der mit Sturmgerät wohl versehen war, die schweigenden Forste still hinauf zum Altenberge, darauf die neue Burg stand und der Herr von Salza ruhig saß. Bevor er nur an Arges dachte, war seine Burg berannt und eingenommen; er selbst wurde mit den Seinen als Gefangener nach Reinhardsbrunn geführt, wo nun das Hochamt begann, und mußte vor dem Kruzifix hergehen und Urfehde schwören auf ewige Zeiten. Am nächsten Tag ward die Burg bis auf den Grund zerstört und abgebrochen, und Holz und Steine wurden dem Kloster zuteil. Dort hatten die Mönche noch eine Klage. Sie hatten ein Fuder Wein in Würzburg gekauft, allwo der beste wuchs, aber im Herausführen nach dem Thüringer Walde hatte ein fränkischer Ritter, der nicht weit von der Straße saß, Wein und Wagen und die sechs Pferde an sich genommen, dieweil ihn auch durstete. Als das dem Landgrafen geklagt ward, ließ er dem Ritter um die Rückgabe schreiben, das däuchte dem spöttlich, was kümmerte ihn der Thüringer Landgraf und seine durstigen Mönche! Aber eines schönen Morgens wehten die thüringischen Fähnlein um die fränkische Ritterburg und war diese umstellt, daß weder Mann noch Maus herein oder hinaus konnte, und der Landgraf war selber da und schwur, der Ritter solle ob zu großen Durststillens im Wein der Reinhardsbrunner nun verhungern. Da mußte der Ritter gute Worte geben und sich und seine arme Seele lösen, und der Landgraf ließ ihm kund tun, was er zu tun habe. Im Büßerhemde, wie Kaiser Heinrich IV. zu Canossa, einen Strick um den Hals, ein blankes Schwert gegen seine Kehle haltend mußte der Ritter vor den Landgrafen treten und um Gnade und Leben flehen. Den Wagen mußte er herausgeben und die Pferde und den Wein, mußt‘ es auch alles selbst nach Reinhardsbrunn fahren und geleiten lassen, dann durfte er sein Leben und seine Burg behalten und zusehen, wie er auf andere Weise wieder zu Wein gelangte.

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457. Von dem Hörseelenberge

457. Von dem Hörseelenberge

Mitten im Thüringerlande, zwischen Gotha und Eisenach, liegt ein hoher, schroffer, kahler Berg, von weitem recht anzusehen wie ein Sarg; dicht an seinem Fuße hin zieht die Eisenbahn, die schneidet durch ein Dorf des Namens Sättelstedt. Dieser Berg ward der Hörseelenberg geheißen schon in grauen Zeiten, darum, weil man in und aus ihm manch seltsamlich und grauenhaft Getön vernommen, absonderlich bei einer Felskluft hoch oben unterm steinigen Gipfelhorn nach Eisenach hinwärts, und das war das Geschrei der Seelen, das man allda hörte, neben dem Geräusch unterirdischer fallender Wasser und dem Geheul der Windsbraut, darum nannte man den Berg auch auf Latein Mons horrisonus. Von ihm hat auch das Talflüßchen, die Hörsel, seinen Namen, und er wird bis heute Hörselberg, das ist das alte Hörseelenberg, genannt. Viele wunderbarliche Sagen gehen bis auf den heutigen Tag von diesem Berge, der auch eine Wetterscheide ist; oft umwebern ihn meteorische Flammen, und die Blitze spielen um seinen kahlen Scheitel. Einst erhoben sich am hellen Tage bei Eisenach drei große Feuer, brannten eine Zeitlang in den Lüften, taten sich dann zusammen und wieder voneinander und fuhren endlich alle drei in den Hörseelenberg hinein.

Ein König in England hatte ein holdseliges Frauenbild aus geringem Stande zu sich erhoben, Reinssweig oder Rinswiga genannt, war aber bald hernach verstorben, und Reinssweig betrauerte ihren Herrn und Gemahl tief und sehr und ließ viel für ihn beten, damit seine Seele vom Fegefeuer erlöst werde. Da hatte sie zu einer Nacht ein Gesicht, und sie hörte ihres Gemahles Stimme und sah seine Gestalt und erfuhr von ihm, er leide Pein im fernen Thüringerlande in eines Berges Schoß mit andern armen Seelen, und ihre Fürbitten und Gebete überm Meere drüben frommten ihm nicht. Da erhob sich die Königin mit all ihren Schätzen, ihren Jungfrauen und ihrer Dienerschaft und fuhr über Meer nach Deutschland herüber, und der Schatten zeigte ihr die Straßen an, und sie kam an des Berges Fuß, wo er sanft nach Gotha zu sich abdacht, dort baute sie ein Kirchlein und ein klösterliches Haus, und da sie selbst zum öftern die Stimmen der gequälten Seelen zu vernehmen glaubte, so nannte sie den Ort Satans Stätte, daraus ist hernachmals Sättelstätt geworden, als sich Leute anbauten und den Ort bewohnten. Diese fromme Königin erbaute in jener Gegend der Kapellen noch mehrere und diente nebst ihren Frauen Gott im eifrigen Gebet, bis sie ihres Gemahles Seele aus dem Fegefeuersitz im Hörseelenberge erlöste. Als sie dann gestorben war, sind ihre Jungfrauen nach Eisenach gezogen, allwo Ludwig des Milden Tochter, Jungfrau Adelheid, das Nikolaikloster begründet hatte, und haben in diesem Kloster als Benediktinerinnen ihr Leben beschlossen.

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458. Des eisernen Landgrafen Seele

458. Des eisernen Landgrafen Seele

Ludwig der Milde, des eisernen Sohn, hätte gern gewußt, wie es um seines Vaters Seele beschaffen sei, denn er mußte hören, daß man seinen Vater nicht segne, obschon er dem Volke gegen den Druck seiner Edeln geholfen, denn dem Volke macht es auch der Beste nie zu Dank, nicht einmal der liebe Gott. Solches vernahm ein Ritter am Hofe, der hatte einen Bruder, und selber war ein Pfaffe zu Eisenach und in der schwarzen Kunst wohl erfahren. Da mußte der Pfaffe den Teufel beschwören und befragen, wo des Landgrafen Seele sei. – Da sagte der Teufel, wenn er mit ihm fahren wolle, solle er die Seele sehen, und verhieß, daß das ohne Schaden geschehen solle. – Das war der Pfaff zufrieden, und der Teufel setzte ihn auf seine Schultern und fuhr mit ihm stracklich in den Hörseelenberg hinein in gar kurzer Zeit, denn er hatte nicht weit zu fahren und fuhr viel schneller wie ein Dampfwagen. Da sah der Pfaff mit Grausen mancherlei Qual und Pein, und ein anderer Teufel hob von einer Grube einen ehernen Deckel und blies mit einer ehernen Posaune in die Grube, daß es also schallte, daß der ganze Berg und die Welt davon erzitterte. Darauf gingen Feuerfunken und Schwefelbrodem aus der Grube, dann kam die Gestalt des Landgrafen herauf, ganz hager und traurig, nur ein Schemen, und klagte sich an, er habe den geistlichen Stiftern zu wehe getan, sein Sohn solle doch ihnen das entzogene Gut, das er, der eiserne Landgraf, treuen Dienern zugewendet, den Stiftern zurückgeben, so werde er ihn aus der Pein erlösen. – Da sprach der Pfaffe: Wenn ich solche Mär ansage, werden sie sprechen, ich habe sie selbst erdichtet, und werden mich fragen: Gibt denn der Pfaff ein Opfer wieder? – Da sprach die arme Seele: Ich will dir ein Zeichen sagen, das geheim ist, da werden sie glauben. – Und sagte ihm also ein genaues Wahrzeichen, das niemand wußte, dann ward der Landgraf wieder zur Grube gesenkt, darüber wurde es dem Pfaffen grün und gelb vor den Augen, und gelb blieb er auch, nachdem er zurückgeführt worden war vom Teufel und alles, was er gesehen, und auch das Wahrzeichen treulich berichtete; aber die, welche die Güter inne hatten, glaubten dennoch nicht und behielten selbige inne und sagten, es möge wohl alles nicht wahr und nur ein angestelltes Pfaffenstücklein sein. – Der Pfaff aber wollte nichts mehr von Zauberei wissen, er gab Pfründe und Lehen auf und wurde ein Mönch im Kloster Volkenrode.

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45. Die Juden in Worms

45. Die Juden in Worms

Mitten im Wein- und Wonnegau am gesegneten Rheinstrom, im Mark der Pfalz, erbauten Völker der Frühzeit das uralte Worms; dort haben schon Juden gewohnt nahe sechshundert Jahre vor Christi unsers Herrn Geburt. Die waren in Verbindung geblieben mit dem Lande ihrer Väter, mit Palästina, als aber den Priestern zu Jerusalem einfiel, ihnen zu befehlen, sie sollten hinwegziehen aus dem allzufernen Lande, damit die Männer nach Jehovas Gebot die drei hohen Feste zu Jerusalem mitfeiern könnten, und wenn sie nicht kämen, würde die Strafe ihres Gottes sie treffen – da schrieben die Juden zu Worms an den hohen Rat zu Jerusalem zurück: Ihr wohnet im gelobten Lande; ihr habt einen Tempel, und wir haben einen Tempel; ihr habt eine Gottesstadt, und wir haben eine. – Und der Totenhof dieser Juden hieß der Heilige Sand, der war hoch mit Sand bestreut, welcher aus Jerusalem gen Worms geschafft worden war, so viel vermochte ihr Reichtum. Als die Juden zu Jerusalem den Weltheiland kreuzigen wollten, hatte die Judengemeinde zu Worms nicht dazu gewilligt, vielmehr in einem ernsten Schreiben davon abgemahnt, das hat ihr hernachmals gute Frucht getragen, denn die Kaiser haben sie mit großen Freiheiten begabt, und es ist das Sprüchwort im Reich ergangen: Wormser Juden, fromme Juden. Sie hatten einen Vorsteher aus ihrer Mitte, der hieß der Judenbischof. Er war der erste der drei obersten Rabbiner, die es in Deutschland gab, zu Worms, zu Prag und zu Frankfurt am Main.

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445. Mühlhäuser Brunnen

445. Mühlhäuser Brunnen

Bei und zu Mühlhausen sind Brunnquellen, die sind weit und breit berühmt. Eines dieser Wasser heißt die Breitsülze und entspringt nordwestlich eine halbe Stunde von der Stadt am Herbstberge. Die Sage geht, daß da, wo jetzt das Antoniushospital ist, ein Kloster gestanden habe, darin habe ein Mönch gelebt – andere sagen, der Mönch sei aus Kloster Reifenstein gewesen –, der habe in der Stadt ein heimlich Lieb gehabt, das er nächtlich besuchte, und wobei er durch einen Stein ging, den man noch zeigt. Endlich kam die Sache an den Tag, der Mönch wurde gefangen und auf den Adlerturm gesetzt und saß alldort auf den Tod. Da es nun der Stadt an genügsamem fließenden Wasser gebrach und jener Mönch aufs Wasserleiten sich verstand, so ward ihm die Freiheit geboten, wenn er die Quelle der Breitsülze, welche tiefer liegt als die Stadt, in diese hereinleiten wollte. Der Mönch ging an das schwierige Werk, leitete in lauter Schlangenlinien die Quelle um den Herbstberg, um den Thonberg und den Kalbberg herum, ließ sie einen Weg von siebentausendsechshundertundzehn Schritten machen, fast zwei und eine halbe Stunde, daß es oft scheint, als fließe das Wasser bergauf, und brachte das Wasser glücklich in die Stadt, worauf er seine Freiheit erlangte.

Eine ganz ähnliche Sage geht in Gotha von der Leitung des Flüßchens Leine, welche auch durch einen geschickten Mönch bewirkt wurde.

Wundersam schön ist der Brunnen zu Popperode (Wüstung), abendwärts der Stadt, ein mächtiger Quell und spiegelklar bis zum Grunde. Seine Nymphe spendet unerschöpflich ihren quellenden Segen; sein Wasser speist zwei Teiche und treibt zwölf Mühlen. Zum Dank dafür wird ihm alljährlich unter Reden und frommen Lobgesängen ein Doppelfest der Jugend gefeiert. Dicht am Becken, das unter uralten Lindenbäumen ruht, steht ein getürmtes Lustschlößchen von eigentümlichem Bau, in dessen kühler Halle stand und steht manch guter Spruch. Der schönste und beste dieser Sprüche ward hinweggetüncht und möchte wohl erneut werden:

Ut lymphae Nymphas coronat,
Ad fontem frontem fronde corones.

Von dem Breitsülzenbrunnen geht noch diese Sage. Er ist früher der Brunnen eines Klosters gewesen. Bei dem genannten Kloster stand wie bei den meisten Klöstern eine Kirche, deren angrenzender Turm drei silberne Glocken enthielt. Zur Zeit der Mühlhäuser Kriege wurde das Kloster ganz zerstört, und um die silbernen Glocken nicht in des Feindes Hand kommen zu lassen, versenkte sie ein Mönch in den Brunnen, indem er sagte: Diese Glocken kommen nicht eher zu Tage, bis drei Personen den Brunnen fegen und eine derselben ihren Tod in der Quelle des Brunnens findet.

Vor vielen Jahren träumte dem Schullehrer zu Ammern, er solle nach der Breitsülze gehen, so würde er am Ufer ein Seil finden. An diesem Seile solle er ziehen, so würden drei silberne Glocken heraufkommen. Dreimal träumte der Mann das gleiche, dann machte er sich auf und ging nach der Breitsülze. Je näher er dem Brunnen kam, desto schöner hörte er schon die Silberglocken läuten. Jetzt kam er an und fand alles, wie ihm geträumt hatte. Er zog an dem Seile, und siehe, drei silberne Glocken stiegen empor. Da ritt ein Reiter vorüber, der rief: Guten Morgen, Herr Schullehrer! Guten Morgen! – Ganz freundlich antwortete der Gegrüßte: Schönen Dank! – aber bei diesen Worten versanken die Glocken mit einem grausamen Geräusch und sind nie wieder zu Tage gekommen.

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446. Winfried und Sturmi

446. Winfried und Sturmi

Die heiligen Männer Winfried und Sturmi kamen auch in das alte Hessenland, die Heiden zu bekehren. Zu dieser Zeit kriegte Karl der Große im Diemellande und eroberte die Eresburg, auf der die Irminsäule stand, die er zerstörte, und den Desenberg, zwei feste Plätze. Am Desenberge, wo sein Heer im heißen Sommer fast verschmachtete, rief Karls Gebet den Bullerborn hervor, der noch heute fließt. Winfried kam zu einem Berge, darauf ein Heidenheiligtum stand, das brach er und ließ darauf die erste Christenkirche bauen, das ist der Christberg oder Christenberg, da noch heute die Leute einen Fußtritt im Stein zeigen, der von Winfried sich einprägte, als er im heiligen Eifer auf den Boden stampfte. Und am andern Ort, wo lange des großen Kaisers Lagerstatt und Heerstelle war, wird, hoch über der Weser, ein alter grauer Stein gezeigt, auf dem Karl zu Gericht saß und in denselben die Schwere seines ihn stützenden Armes sichtbarlich eindrückte; später entstand dort die Burg und das heutige Amt Herstelle.

Eine Stunde weit von einem Hofe, welcher Geismari hieß, dessen Name der später daraus entstandenen Stadt Hofgeismar blieb, da, wo jetzt das Dorf Eberschütz liegt, ragt eine steile Felswand hoch überm rechten Ufer der Diemel empor; droben der höchste, umwallte Punkt heißt die Klippe. Auf dieser Höhe hielten die Heiden ihren Ding. Da kam zu ihnen ein Greis mit einem Pilgerstabe, den keiner kannte, im Priesterkleid der Christen und predigte ihnen von Christus Geburt, Leben, Leiden und Sterben, Auferstehung, Himmelfahrt und Wiederkunft. Da nun die Heiden diese Reden hörten, dünkte sie ihnen eine Mär und unglaublich, und bedräueten ihn. Er aber stieß seinen Stab in den Boden und sprach: So wahr und wahrhaftig die Botschaft ist, die ich euch verkündet, das ewige Evangelium, so wahr wird dieser Stab durch die Allmacht des einzigen und wahren Gottes Knospen, Blätter und Blüten treiben! Und hob die Hände auf, und es geschahe das Wunder. Der Stab ergrünte, trieb Knospen, Zweige, Blätter, Blüten, und die Heiden glaubten und ließen sich taufen. Solches Wunder tat Sturmi, Winfrieds frommer Schüler.

Eine ganz gleiche Sage geht vom Orte Groß-Vargula, nur daß dort Winfried-Bonifazius selbst es war, der das Stabwunder verrichtete, und dort die Sage noch hinzufügt, daß der Wunderbaum, von fremdländischem Ansehen, einer Palme gleich, lange gestanden habe und verehrt worden sei.

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447. Der Stuffenberg

447. Der Stuffenberg

In der Gegend von Eschwege und Wanfried liegt ein hoher Berg, zu dem geschehen alljährlich viele Wallfahrten, absonderlich aus dem Eichsfeld, darauf erbaute Winfried eine Kapelle. Da nun der Bau im Gange war, kam zum öftern ein fremder Mann gewandert, der fragte die Maurer und Zimmerer, was es denn geben solle, und diese antworteten: Ei, eine Scheuer soll es geben! – Mit diesem Bescheid ging der Mann immer wieder seiner Wege, endlich aber trat er auch einmal unversehens in die Scheuer – da stand ein Altar darin und auf dem Altar ein Kruzifix, und war keine Scheuer, sondern eine christliche Kirche – und da schmiß die Türe hinter ihm zu, daß er nicht herauskonnte. Hu! da ward dem Fremden angst und bang, und hätte mögen des Teufels werden, wenn er nicht schon selbst der Teufel gewesen wäre, und raffte sich zusammen und fuhr oben durch den Giebel, wo noch eine Ritze war, mit Geprassel hinaus und riß ein Loch, das hat nimmermehr wieder zugebaut werden können; dann fuhr er in den Stuffenberg hinein, da blieb auch ein Loch, das heißt das Stuffensloch, und zuzeiten soll es aus dem Loche dampfen, und Nebel sollen daraus aufsteigen, Rückbleibsel des Angstschweißes, den der Teufel damals schwitzte.

Auch bei der Stadt Gernrode am Harz erhebt sich ein Stuffenberg, darauf ein Lusthaus und die schönste Aussicht auf die Teufelsmauern, auf Quedlinburg und Halberstadt.

Die Kapelle aber, die auf dem Stuffenberge bei Wanfried der heilige Bonifazius erbaute, ist St. Gehülfen genannt, und von ihr heißt der Berg auch der Hülfenberg. Manche nennen St. Gehülfen auch die heilige Kümmernis, und die heilige Kümmernis war eine wunderschöne Prinzessin, die erfuhr, was der Gründerin des Stiftes Quedlinburg begegnete, und da ließ ihr Gott der Herr einen Mannesbart wachsen und nahm ihr ihre unsägliche Schönheit. Solcher Hülfen- und Kümmerniskapellen gibt es viele in deutschen Landen, und ist deren in einer besonderen Sage von ihrem Bilde bei der Stadt Saalfeld weiter unten näher gedacht.

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