473. Die verfluchte Jungfer

473. Die verfluchte Jungfer

Nahe der Wartburg ist eine Felsenhöhle, die wird allgemein das verfluchte Jungfernloch geheißen, und geht von ihr manche Sage. Es war eine Jungfrau zu Eisenach von übergroßer Schönheit, die hatte goldgelbes langes Haar wie Seide, wie die alten Maler so gern es malten, und auf selbiges Haar wie auf ihre Schönheit war die Maid überaus eitel und wußte wenig anderes zu tun, als sich zu strählen und zu putzen und im Spiegel zu besehen und sich zu freuen, was sie doch für ein prächtiges, liebholdes Frauenbild sei, darüber vergaß sie aber aller Frömmigkeit und Gottesfurcht, und ging ihr gerade umgekehrt wie jener Maid zu Bartenstein, die nicht in die Messe wollte, weil sie zu geringe Kleider hatte und deshalb von ihrer Mutter zu Stein verwünscht wurde. Diese Eisenacher Jungfrau ging nicht in die Kirche, weil sie zu viele und zu schöne Gewände hatte und mit ihrem Putz darob niemals fertig wurde, und da hat ihre Mutter sie auch – nicht zu Stein – sondern mit all ihrer Pracht, mit Hab und Gut in das alte Steinloch hinein verflucht und verwunschen. Alle sieben Jahre einmal erscheint die also verfluchte Jungfrau dort, da sitzt sie und weint, und seidne Kleider umwallen sie, und darüber fließt ihr goldnes Haar, das kämmt sie mit goldnem Kamme, wie die Lurlei am Rheinstrom. Vor der Höhle ist ein Platz, da wächst nimmermehr Gras, weil das der Platz ist, wo sie sitzt, und es ist dort nicht geheuer. Manchmal ist ein rotes Hündlein bei ihr erblickt worden. Einem Schäfer sind die Schafe dort geschreckt worden, daß die ganze Herde auseinanderlief und vierundzwanzig Stück von den Felsklippen herunterfielen. Einer Hirtenfrau, die ihrem Manne Essen brachte, ward die Jungfrau sichtbar und bat sie, ihr das Haar zu strählen, das tat die Frau und pries die Jungfrau ob ihrer Schönheit und rühmte sich, daß auch sie sehr schön gewesen sei, und sang dazu gar artlich:

Ja dieweil ech noch jungk woar,
da ech en zoartes, nettes, schienes Fräuchen woar,
hatt‘ mech jiedermoann liep!

und da wollte die Jungfrau der guten Frau recht reichlich lohnen, führte sie in die Höhle und ließ ihr von ihrem Schatze nehmen, so viel sie wollte. Aber als das Hirtenfrauchen sich wandte, fortzugehen, da sah sie einen großen Hund und erschrak und ließ alles fallen und rief: Ach Herr Jehchen! Bießt hä dann? – da verschwand Schatz und Jungfrau und Hund und alles. Ei du verflucht’ges Jungfernloch! rief die Frau und entrann. Hernachmals hatte sich dieser selben Frauen Kind dort herum im Walde verirrt, acht Tage lang wurde es vermißt und nicht aufgefunden. Endlich fand es der Vater im Waldesdickicht munter und wohlauf, und als es befragt ward, wie es sich denn diese lange Zeit über erhalten, da sagte es: Eine schöne Jungfer ist kommen, die hat mir zu essen und trinken geben und hat mich zudeckt. – Ein Fuhrmann, der des Weges fuhr, hörte droben an der Felskluft laut niesen. Er rief hinauf: Gott helf! – Es nieste wieder – Gott helf! – noch einmal – Gott helf! – und so eilfmal hintereinander, und der gute Fuhrmann rief jedesmal: Gott helf! – Da es aber den zwölften Nieser tat, so hatte er es satt, Gott helf! zu sagen, tat einen Knaller mit der Peitsche, daß der Schall von allen Felsen im Marientale zurückprallte, und rief hinauf: Alle Tausendschockschwerenot! Wenn dir Gott nicht hilft, so helfe dir der Teufel! – Da gellte droben ein lauter schmerzlicher Aufschrei einer weiblichen Stimme. Das war die verfluchte Jungfer. Hätte der Fuhrmann nur noch einmal Gott helf! gerufen, so wäre sie erlöst gewesen.

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474. Vom Inselberg

474. Vom Inselberg

Einer der höchsten Berge des Thüringer Waldes ist der Inselberg. Vor alters schrieben manche seinen Namen Heunselberg und wollten ihn von den Heunen, Hünen, ableiten, andere Emsenberg, weil ein Flüßchen, die Emse, nahe seinem Gipfel entspringe; näher kamen die, so ihn Einzelberg nannten, weil sein hohes Haupt über alle seine Nachbarberge vereinzelt emporragt, ja häufig erscheint es wie eine Insel über dem Nebelmeere, das rings um seinen Gipfel flutet, wie sein Haupt sich zuerst über der Flut erhoben, die einst ganz Thüringen bedeckte. Über ihn dahin zieht die alte Hochstraße, der Rennsteig, Rennsteg, Rennweg, Rinneweg, der über das ganze Thüringer Waldgebirge viele Meilen weit sich erstreckt. Es geht die Sage, daß jeder Landgraf von Thüringen diesen Weg mit seiner Ritterschaft reiten mußte, sobald er die Regierung Thüringens angetreten hatte. Nahe dem Inselberg haben in alten Zeiten Bergleute vom Harz den Bergbau begonnen und Orte angebaut, deren Namen eigentümlich fremdländisch klingt: Tabarz, Cabarz, und mögen wohl Einwanderer von weither auch andere Bergorte im Schoß des Waldgebirges begründet haben, die in Sprachlauten und Trachten sich von den eigentlichen Thüringern merklich unterscheiden. Viele Venetianer sind nachderhand in das Gebirge gekommen, welche die Leute Erzmännerchen und Walen nannten, die haben manch reichen Schatz hinweggetragen, denn im Inselberggraben, im Bärenbruch, im ungeheuern Grund, an der Schönleite und weiter hin nach der Ruhl zu, in der Ruhl, dem Flüßchen, und sonst, auch im Backsteinsloch, gab es Goldsand, obschon minder viel als in Kalifornien, doch hat er manchen reich gemacht. Seit die Walen dagewesen sind, findet man nichts mehr.

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475. Der Venetianer

475. Der Venetianer

Ein Wale kam alljährlich in das Lauchatal, der wußte, daß das Sprüchwort wahr sei, das am Inselberge üblich ist: Es wirft oft ein Hirte mit einem Stein nach der Kuh, der mehr wert ist als die Kuh selbst. Ein junger Bursch aus Cabarz oder Tabarz mußte dem Walen als Führer dienen, der wurde hernachmals, da der Venetianer längst nicht mehr kam, ein Fuhrmann und kam weit in der Welt herum, einmal sogar mit Gütern bis nach Venedig. Da fiel ihm ein Kaufladen in das Auge, darin blitzte und funkelte an einem Schaufenster alles von Gold und Edelsteinen, und wohnte da ein reicher Juwelier. Dieser sah den Thüringer stehen und gaffen und grüßte ihn in deutscher Sprache und war kein anderer als jener Gold- und Steinsucher, den er früher im Gebirge geleitet, der sagte ihm, all dieses Gold und alle diese Steine habe er in dem schönen Thüringen gewonnen, die Thüringer verständen nicht, es auch zu finden und die Steine zu schleifen, man finde dort nur ungeschliffene. Mit reichem Geschenk entließ der Venetianer den Thüringer. Ahnliche Sagen werden viele erzählt; eine fast gleichlautende auch vom Bayerberg vor der Rhön.

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476. Karles Quintes

476. Karles Quintes

Am Fuße des Inselberges liegt ein gewerbtätiger Flecken, der heißt Brotterode; früher stand ein Schloß allda, und der Ort hieß Brunewartesrode. Im Burgberg liegt ein großer Schatz verzaubert, eine weiße Jungfrau hütet ihn und erscheint nur alle sieben Jahre und flüstert leise vor sich hin:

Ein Knäblein von sieben Jahren
mit weißen Haaren
kann mich erretten.

Diese Jungfrau war die Kammerzofe der stolzen Gräfin und mußte dieser die langen Haarflechten strählen. Darüber ward die Gräfin, wenn es ein wenig rupfte, stets sehr ungehalten und scheltig, da hob einmal die Jungfrau an zu wünschen, daß sie mitsamt der Gräfin und der Burg möchten zwanzig Klafter tief in den Erdboden hinein versinken, welcher Wunsch auch alsbald seine Erfüllung fand.

In der Kirche zu Brotterode hängt eine Fahne mit dem Bergwappen, Keil und Schlageisen, darüber eine Krone, die nennen sie die Funn von Karles quintes und halten sie gar hoch und wert. Es ist nämlich, wie die Sage geht, geschehen, daß einst die Gemahlin von Kaiser Karl V. in Brotterode ihre Niederkunft hielt, und ward allda trefflich bewirtet und gehalten, dafür schenkte der Kaiser dem Orte den großen Gemeindewald, das Blutgericht und das Fahnenrecht, an die Fahne geknüpft, nebst vielen andern Freiheiten. Das Fahnenrecht besteht darin, daß während der acht Tage lang dauernden Kirmse, solange die Fahne, die unterm Geläute aller Glocken am Kirchturme ausgesteckt wird, ausgesteckt bleibt, jeder Nachbar einheimisches und fremdes Bier nicht nur trinken, sondern auch ausschenken darf, wenn er Lust hat. Wegen diesem Aushängen der Fahne muß ihr Tuch zum öftern erneuert werden. Im Kirchturmknopf zu Brotterode wurde vor Jahren eine Schrift gefunden, die lautete:

Diese kirche ist angefangen worden zu bawen als ein münch namen Lutherus wider die papisten angefangen zu schreiben, deme aber das maul bald gestopft werden sol.

Nur neun Jahre später ließ Landgraf Philippus von Hessen, wie in seinem ganzen Lande, so auch in Brotterode evangelisch predigen.

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477. Geister um Brotterode

477. Geister um Brotterode

Um Brotterode gab und gibt es mancherlei Geister, davon konnte man sonst viel erzählen hören. Da ist ein Berg nahebei, den nennt man das Ave Maria; ein wunderlich ausgehöhlter Fels heißt die Kirche, ein anderer die Kanzel. Auf selbiger Feldkanzel haben die Leute zum öftern einen Schulmeister stehen sehen, der hat ein Gesicht gehabt wie Spinneweben und hat eine lange Rede gehalten, trotz einem 1848er, doch lauter unverständigs und unverständlichs Zeug. Vielleicht ist selbiger spukhafte alte Schulmeister in neuer Zeit erlöst und durch einen jungen abgelöst worden.

Im Keller eines Wirtshauses erschien eine Flitterbraut, das ist eine Jungfrau im vollen dort üblichen Brautstaat, die hütete einen mächtigen Schatz und zeigte ihn der Tochter des Hauses; der Schatz wurde auch in deren Beisein glücklich gehoben, aber die Tochter starb bald darauf, denn von denen, die bei Hebung des Schatzes zugegen sind, muß stets einer sterben, deshalb spielten jene Fremden in der Weingartenhöhle am Harz immer dem Führer, den sie mitnahmen, das Todeslos in der Hand.

Am Mönch, einer Bergwiese bei Brotterode, stand vorzeiten eine Schleifmühle, deren Besitzer ganz wohlhabend war, das machte, er hatte einen Hausgeist, der unablässig arbeitete und das Glück mehrte. Dieser Geist erschien bisweilen als seltsamlich gekleidetes kleines Männchen und ließ auch einen eigentümlichen Ton vernehmen. Einmal geschah es, daß dem Schleifmühlenbesitzer, als er diesen Ton vernahm, die Laune anwandelte, denselben nachzumachen – alsbald verstummte der Geist – ließ sich fortan weder hören noch sehen, die Arbeit blieb ungetan, und der Schleifmüller mußte in Armut sterben. Jetzt ist nicht einmal von seinem Hause eine Spur zu finden.

Zweien Brüdern, die auch Schleifmühlen hatten, dienten auch in gleicher Weise rastlos tätig zwei Hausgeister. Sie ließen sich wunderselten erblicken, wann dies aber geschah, so sah man sie nur immer in alter, abgeschabter Tracht. Darauf kamen einmal die beiden Brüder zu sprechen und meinten, es zieme sich, dankbar gegen diese hülfreichen Geister zu sein, die ihnen so nützlich; ließen also nach ohngefährem Maß schöne neue rote Jäckchen und blaue Höschen machen und legten diese Kleider neben die Klingen, welche stets in der Nacht von den Geistern geschliffen wurden. Siehe, da erschienen die Geisterlein, stutzten, blickten einander an und sagten:

Da liegt nun unser Lohn,
nun müssen wir auf und davon.

Nahmen die Kleider, fuhren von dannen, kamen nie zurück.

Auf die Orte Brotterode und Friedrichrode haben die Thüringer ein böses Spottlied. Wer es hören und Schläge besehen will, der darf in beiden Orten nur danach fragen. Jede Strophe fängt mit einer Frage an: z. B. Was habn se dann für Stadtmaurn drob’n? Drob’n zu Friggerode?

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478. Das Alp als Flaumfeder

478. Das Alp als Flaumfeder

In dem Stadtflecken Ruhla, in dessen Nähe vor alters der eiserne Thüringer Landgraf hart geschmiedet wurde, gibt es Sagen von Bergschätzen und allerlei Geistern, guten und bösen, vollauf. Jäger spuken, Pfarrer spuken, Jungfern spuken, Hexen, Mönche, Kroaten spuken, es spukt eine Gans und endlich sogar ein Esel, der Bieresel genannt, der sich den spät vom Biere heimkehrenden Männern aufhockt, sie auch wohl umhalst, wie das römische Gespenst Empusa in Eselgestalt die Reisenden. Da ist denn bei so vielerlei Geister- und Hexenspuk auch das Alp zu Hause, das die Schlummernden nächtlich quält, ähnlich dem oder der Mahr in den Sagen des Niederlands. Dagegen gibt es aber ein probates Mittel. Der Gequälte muß nämlich, sofern er es vermag, rasch aufstehen und das Schlüsselloch zustopfen, denn durch dieses geht das Alp aus und ein. Solches Kunststück wußte einmal einer und probierte es, und siehe, da ward das Alp sichtbar und saß auf seinem Bette, hatte einen weißen Schleier und war ein wohlgetanes Frauenbild. Das war dem Rühler gar nicht uneben, er behielt die Schöne bei sich und lebte mit ihr als einer Frau. Sie war auch still und gefügig, aber sie lachte nie und bat ihn stets, das Schlüsselloch zu öffnen, denn nur durch dieses und nicht durch offne Türen und Fenster kann das Alp wieder entweichen, daher auch Goethe im Faust den Mephistophiles sagen läßt:

‚S ist ein Gesetz der Geister und Gespenster:
Wo sie hereingeschlüpft, da müssen sie hinaus.

Einstmals aber, da die stille Frau ihre Bitten wiederholte, dachte er: Hm, du willst doch sehen, wo das hinaus will, sie geht ja doch nicht durch das Schlüsselloch, und wenn sie fort will, kannst du sie ja halten – ließ sich aber gegen sie nichts merken und räumte unversehens die Verstopfung des Schlüssellochs hinweg. Da wurde das Frauchen kleiner und immer kleiner und endlich gar zu einer Flaumfeder, und da haschte er nach ihr, aber das Wehen seiner Hand trieb sie hinweg, und husch, flog und zog sie durch das Schlüsselloch und war dagewesen.

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465. Die heilige Elisabeth

465. Die heilige Elisabeth

Die heilige Elisabeth

Das Königskind Elisabeth erwuchs auf der Wartburg in Holdseligkeit, Frömmigkeit und Tugend zu aller Freude, ebenso ihr Verlobter, der junge Landgrafensohn, der früh den Vater verlor und die Herrschaft antrat und seine Verlobte immer lieber gewann, obgleich Elisabeth ob ihres frommen Sinnes und ihrer Demut manchen Spott und Hohn erleiden mußte, davon gar viel erzählt wird. Und als der Landgraf seine Hochzeitfeier mit ihr beging, da haben zwei edle thüringische Ritter, Graf Reinhard von Mühlberg und Ritter Walter von Vargula, die sie einst aus dem Ungarlande nach Thüringen abgeholt, sie im schönsten Schmuck in Sankt Georgs Kirche geführt. Als junge Frau lag die fromme Landgräfin vielleicht mehr, als ihrem Gemahl lieb sein konnte, frommen Werken und Bußübungen ob. Sie zerschnitt oder verschenkte ihre schönsten Kleider und ging einfach und ärmlich einher, aber wenn es nötig war, umkleidete sie der Himmel selbst mit reichen und königlichen Gewanden.

Elisabeth, die fromme Landgräfin, war eine wahrhafte Mutter der Armen und gegen diese schier allzu freigebig, so daß man sich sogar darüber aufhielt und es tadelte. Es war aber auch eine schwere Zeit gekommen, Mangel und Not, und die Scharen der Armen wuchsen zusehends. Da geschah es, daß Elisabeth, wie sie täglich tat, einmal wieder Speisen und Gaben hinabtrug an den Ort, wo die Lahmen und Blinden und Notleidenden sich einfanden, und ihr der Landgraf begegnete, der diesmal kein freundliches Gesicht zeigte, denn es war ihm eben frisch hinterbracht worden, wie sie alles verschenke. Da rief sie der Landgraf nicht gerade zärtlich an: Was trägst du da?, und sie sah in seinen Mienen den Wetterbaum seines Unwillens aufsteigen und erbebte und sprach mit unsicherer Stimme: Herr, Rosen! – Zeige her! rief der Landgraf und hob die Hülle von dem Korbe – siehe, da war der Korb eitel voll Rosen und andere blühende Blumen. Da stand der Landgraf beschämt vor ihr da, und wenn der und jener Diener wieder sich unterfing, gegen die milde Freigebigkeit der Herrin zu reden, so sprach der Landgraf: Lasset sie immer gewähren, da sie an Almosengeben ihre Freude hat, wenn sie uns nur Wartburg und Eisenach und die Niuwenburg nicht verschenkt. – In der Hand dieser edlen und frommen Spenderin mehrten sich auch alle Gaben gar wundersam, auch wurden ihre Gewande nicht naß und nutzten sich nicht ab. Da Agnes, Landgraf Ludwigs Schwester, mit einem Herzog von Österreich Hochzeit hielt, war die Wartburg voll Gäste, und alles prunkte im Festgewande, Elisabeth aber hatte am Tore einen armen preßhaften Greis, der halbnackt einherging, gefunden, der bat gar zu sehr um ein Gewand, seine Blöße zu bedecken, und da gab ihm die Landgräfin ihren Mantel; da man nun zu Tische gehen sollte, fragte der Landgraf seine Gemahlin, wo sie denn ihren Mantel habe, denn es war die Frauensitte so, im leichten Mantel bei Festen einherzugehen, und da antwortete sie kleinlaut und erschrocken: In meiner Kammer; so sendete der Landgraf eine Jungfrau hin, und siehe, da hing ein Mantel, schöner wie der einer Königin, himmelblau mit goldnen Bildchen überstreut, der Arme aber war verschwunden. Ein anderes Mal hatte Elisabeth gar einen Aussatzkranken mit herauf in das Haus genommen und ihn in ihr Bette legen lassen – das erregte ihr einen großen Sturm bei ihrer Frau Schwiegermutter, war auch just nicht appetitlich – allein als man nun kam, den Aussätzigen hinauszuwerfen, lag ein wunderbar schönes Kruzifix in dem Ehebette, überaus kunstvoll, aber leider nicht mehr auf der Wartburg vorhanden. Darüber vergoß der fromme Gemahl dieser überfrommen Frau heiße Tränen. Der Kranke aber war Eli geheißen, den Elisabeth so treulich wartete, er genas und wohnte hernach noch lange nahe der Wartburg in einer ganz engen Felskluft und lebte von Wurzeln und Kräutern, der bekannten Waldbruderkost. Die Höhle ist noch vorhanden.

Eines Tages ward die milde Herrin, da sie in Eisenach die Kirche besuchte, vor dem Portale von einer ganzen Schar Bettler umringt; sie gab, solange sie noch zu geben hatte, bis ihre Münze zu Ende war, aber da war immer noch ein armer Alter, einer von den beharrlichen, der bestand auf einer Gabe und drängte sich ihr bis in die Kirche nach; das erbarmte die freigebige Herrin, und sie zog einen ihrer reich mit Silber gestickten Handschuhe aus und reichte diesen dem unabweisbaren beharrlichen Greis. Das sahe ein Ritter, der auch zur Kirche einging, trat schnell herzu und gab dem Alten für den Handschuh vieles Geld. Hernach hat er selben Handschuh an seinen Helm als ein Kleinod befestigt und ist in das Heilige Land gezogen, hat auch allda ritterlich gekämpft, und der Handschuh hat ihn geschützt wie ein Talisman, daß er glücklich wieder die Heimat sah. Und dann hat er Elisabeths Handschuh in sein Wappen gesetzt.

Ganze Bücher sind vollgeschrieben von den Taten und Wundern der frommen Landgräfin Elisabeth, die ein gottgefälliges heiliges Leben führte, darum sie auch nach ihrem Tode unter die Zahl der Heiligen aufgenommen worden ist.

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466. Der heilige Ludwig

466. Der heilige Ludwig

Landgraf Ludwig, der in noch sehr jungen Jahren schon die Regierung des Thüringerlandes überkommen, war fromm und gütig, und sein Gemüt stimmte in den meisten Dingen mit dem himmlischen Gemüt seiner Elisabeth überein. Er war ihr auch getreu wie Gold und ließ sich nicht zur Untreue verlocken, obschon in diesem Punkt jene Zeit nicht anders und nicht besser war als die heutige. Wie mild und gut und frommgesinnt dieser Fürst auch war, so war er doch auch ein strenger Schirmherr des Rechts und gar oft der geringen Leute Schutz und Trost. Einem armen Kleinkrämer, der ihn um freies Geleite bat, sicherte er dieses nebst der Zollfreiheit in allen thüringischen Städten und Ortschaften zu und fragte ihn freundlich, wie hoch er seinen Kram schätze. – Da sagte der Krämer: Zehn Schillinge, Herr, ist alles wert. – So! sagte der Landgraf, da wollen wir Kumpanei machen, du hast zehn Schillinge Waren, ich gebe zehn Schillinge bar dazu, nun warte deines Handels; hast du Gewinn, will ich ihn teilen, hast du Verlust, will ich dich schadlos halten. Der Begabte zog froh von bannen, sein Handel ging trefflich, er hatte guten Gewinn und führte redliche Rechnung. Er konnte immer mehr Einkäufe machen und endlich nicht alles selbst tragen, sondern schaffte einen Esel an, mit dem zog er bis gen Venedig und kaufte und tauschte dort kostbare Waren, als Glas, Metall, Elfenbein und Korallen, ein, auch Ringe, Perlen und Edelgesteine, und zog wieder heim und kramte von Stadt zu Stadt in Deutschland; da kam er auch nach Würzburg, der Bischofresidenz, und da sahen etliche fränkische Ritter von der Sorte, die gern ohne Geld kauft, den reichen Kram. Die nahmen auf dem Weiterwege den Esel samt den Waren und achteten des Geleitsbriefes vom Thüringer Landgrafen so wenig wie dessen Hofdienertracht, die der Kaufmann trug. Da nun der Krämer traurig heimkehrte und seinem Herrn die Unbill klagte, sprach dieser: Warte nur, mein Geselle, ich schaffe schon unsern Esel und unsere Waren wieder bei!, entbot alsbald seine Mannen zu einer Heerfahrt, kündigte von Stund an dem Bischof Fehde an und fiel in das Frankenland ein wie ein Hagelwetter, wobei freilich gar viele Unschuldige bitter leiden mußten, und ließ dem Bischof sagen, er suche seinen Esel. Da haben die fränkischen Ritter den Esel und die Waren herausgeben müssen, wie jener ihr Vorgänger an Ludwigs Ohm den Wein, und mußten den Landgrafen und des Bischofs Untertanen schadlos halten.

Ein anderes Mal fuhr der Landgraf auch in Kaufmannsangelegenheiten, da man Kaufleute gefangen hielt, die seine Untertanen waren, mit Heeresmacht bis nach Polen und eroberte und zerstörte dort das Schloß Lebus. Da Landgraf Ludwigs Schwester Agnes sich dem Herzog von Österreich vermählte, brachte dieser seinem Schwager als eine Seltenheit einen großen lebendigen Löwen mit, der ward im Wartburghofe verwahrt gehalten, wie jetzt der Fuchs. Da geschah es eines frühen Morgens, daß der Landgraf leicht bekleidet und ganz ohne Waffen hinab in den Hof ging, etwa zu beten oder der Morgenfrische zu genießen. Da stand plötzlich der schreckliche Löwe frei und ledig vor ihm da, denn aus Versehen des Wärters war die Käfigtüre nicht gut verschlossen, und der Löwe hatte sich herausbegeben, auch etwas frischer Luft zu genießen. Da nun die beiden Herren, der König der Tiere und der Landgraf von Thüringen, einander gegenüberstanden und sich ansahen, zeigte der Landgraf seinen rechten Mannesmut, er schrie den Löwen hart an, indem er ihm dräuend die geballte Faust entgegenwarf, darob erschrak der Löwe und legte sich auf die Erde und schlug mit dem Schweife. Das Geschrei des Herrn aber ward gehört und ward Lärm, und der Wärter, den der Löwe kannte, brachte das gewaltige Tier wieder in seinen Käfig zurück. Das geschah ein Jahr vorher, ehe Landgraf Ludwig zu großem Schmerz und Unglück der heiligen Elisabeth die Meerfahrt nach dem gelobten Lande antrat, von der er nicht wiederkehrte.

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467. Sophias Handschuh

467. Sophias Handschuh

Als Landgraf Ludwig auf der Fahrt zum Heiligen Lande gestorben, die heilige Elisabeth mit ihren Kindern durch ihren Schwager Heinrich Raspe schmachvoll von der Wartburg vertrieben war, dem dafür auch kein Segen blühte, denn er blieb von drei Gemahlinnen erbenlos, und als auch er dahin war, da erhob sich um das Thüringer- und Hessenland ein großes Streiten. Die älteste Tochter der heiligen Elisabeth, Sophia, hatte sich einem Herzog von Brabant vermählt, hatte von diesem einen Sohn, war aber schon Witwe; die machte gerechten Anspruch für ihren jungen Sohn an ihr Muttererbe. Aber eine Schwester des heiligen Ludwig und Heinrich Raspes, Jutta, hatte zum Gemahl Heinrich den Erlauchten, Markgrafen von Meißen, der hatte bereits für sich und seine Erben Besitz vom Thüringerlande genommen. Sophia zog in das Hessenland und gewann sich mächtigen Anhang; zudem war die kaiserlose Zeit, in der es gar wild durcheinander ging, zumal in Thüringen. Da wurde zu Eisenach ein Tag der Vergleichung anberaumt, auf dem erschienen Heinrich und Sophia in Person und waren beiderseits zur Einigung dahin geneigt, daß der künftige Kaiser den Streit entscheiden solle, ob der Sohn der Tochter oder der Sohn der Schwester des Thüringer Landgrafen mehr Anrecht an das Erbe habe: da sprachen der Marschall Helwig von Schlotheim und einige andere thüringische Edle zu Markgraf Heinrich dem Erlauchten: Herr, verheißet nicht zuviel! Stündet Ihr mit einem Fuße im Himmel und mit dem andern auf der Wartburg, so müßtet Ihr den aus dem Himmel ziehen und auch zu dem auf der Wartburg setzen. Da zog sich Heinrich zurück, die Sache zu bedenken, und hinterdrein beschwur er auf eine Rippe der heiligen Elisabeth nebst zwanzig Eideshelfern sein Recht auf Thüringen. Da weinte die Herzogin von Brabant Tränen des Zorns, zog ihren Handschuh aus und schleuderte ihn hoch in die Luft empor und schrie: Nimm hin, du Feind aller Gerechtigkeit, dich, Teufel, meine ich, nimm diesen Handschuh, und die falschen Ratgeber alle dazu! Und der Handschuh fiel nicht wieder aus der Luft herunter, und von jenen Räten und Eideshelfern soll keiner eines guten Todes gestorben sein, darum, daß sie das heilige Gebein entweiht und einen solchen Eid geschworen hatten. Und nun entbrannte ein heilloser Krieg, der ganz Thüringen verdarb. Einmal wollte die Herzogin von Brabant wieder nach Eisenach hinein, das Tor ward ihr aber nicht aufgetan, da nahm sie eine Spaltaxt und hieb in das Georgentor ein paar solche Kimmen in das Eichenholz, daß man sie noch nach zweihundert Jahren sah. In diesem Kriege zerstörte Markgraf Heinrich den Mittelstein, die alte schöne Burg der Frankensteiner, und auch andere Burgen um die Wartburg her und ließ einen treuen rechtskundigen Rat, genannt Heinrich Velsbach, der ihm hartnäckig entgegen war, und den er in seine Gewalt bekam, mittelst eines großen Wurfgeschosses durch die Luft hinab nach Eisenach schleudern. Als dieser Mann von der Blide aufflog, schrie er noch vernehmlich, daß es alle hörten: Thüringen gehört doch dem Kinde von Brabant! Neun Jahre lang dauerte der Krieg, und endlich erfolgte dennoch, wozu man ohne Krieg sich hätte einigen können, die Teilung des Landes in Thüringen und Hessen, welches letztere Hermann, der Sohn Sophias, das Kind von Brabant, zugeteilt bekam, und wurde also der erste Landgraf von Hessen und aller Hessenfürsten erster Ahnherr. Heinrich der Erlauchte aber hatte mehrere Söhne, da behielt er für sich und seinen jüngern Sohn Dietrich die Markgrafschaft Meißen und gab seinem ältesten Sohn Albrecht die Landgrafschaft Thüringen.

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468. Der Wangenbiß

468. Der Wangenbiß

Albrecht, Heinrich des Erlauchten Sohn, nahm zur Gemahlin Margarethen, Kaiser Friedrichs II. Tochter. Da hallte nach langem lauten Lärm des Krieges die Wartburg von Freudenfesten wider. Es hatte aber die junge Landgräfin, die ihrem Gemahl mehrere Söhne schenkte, ihr Unglück selbst mit in das Haus gebracht in einem schönen Hoffräulein, das gefiel dem Mark- und Landgrafen nur allzuwohl und immer mehr, bis beide auf tückischen Verrat sannen, Margarethen aus dem Wege zu räumen. Der Knecht, welcher mit dem Wartburgesel täglich aus der Stadt mancherlei Bedarf heraufholte, ward heimlich gedungen, als ein Teufelsgespenst zur Nacht in das Gemach der Landgräfin zu treten und ihr das Genick zu brechen. Auch mußte er schwören, niemanden den Anschlag zu verraten. Aber diesem Knecht schlug das Gewissen, und traute sich nicht der ungeheuern ruchlosen Tat, eine unschuldige wehrlose Frau, die er nie anders als gütig gesehen, und die selbst ihn, den geringsten der Knechte auf dem Hofe, freundlich gegrüßt hatte, im Schlafe hinzumorden, zögerte daher und bedachte sich lange. Das merkte der Landgraf und fragte ihn eines Abends verblümt, aber streng: Hast du die Ernte geworben, die ich dir befohlen habe? – Des erschrak der Knecht und antwortete: Herr, ich will sie werben! – und dachte bei sich: Nun muß es geschehen – wie Gott will! – Und da es tiefe Nacht war, trat er in das Schlafgemach der Landgräfin, die ganz allein schlief, kniete an ihr Bette hin und rief: Gnädige Frau! Gnadet mir des Leibes! – Erschrocken fuhr Margaretha vom Schlummer auf und fragte: Wer ist da? Wer bist du? – Und da sagte der Knecht ihr alles an, daß sie auf das heftigste erschrak, doch sprach sie gefaßt: Rufe mir eilend den Haushofmeister, den Schenken Rudolf von Vargula! – Solches tat der Knecht, und Margaretha sprang vom Lager und kleidete sich eilend an. Und da der Schenk kam, fragte sie ihn heftig weinend um Rat. Den gab er ihr in Kürze. Sie solle an Gut und Geld einpacken, was tragbar sei. Dann wurden in aller Stille ihre Haushofmeisterin und eine ihrer Jungfrauen geweckt, die mußten eilend Bettgewand und Leinlaken in lange Streifen schneiden und aneinanderbinden, und Margarethe ging in Begleitung des Schenken auf das gemalte Haus bei dem Turme, wo ihre Söhne Friedrich und Diezmann schliefen, und fiel auf ihr Bette, und küßte sie unter heißen Tränen, und biß vor Liebe und grausamem Schmerz den ältesten, Friedrich, in die Wange, daß sie blutete, und fiel auf den zweiten, und wollte ihm auch also tun, doch der Schenk wehrte es ihr, und sie sprach unter strömenden Tränen: Ich will sie zeichnen, daß sie an dieses Scheiden gedenken, solange sie leben. – Nahm also den herzlichsten und schmerzlichsten Abschied von ihren Söhnen, davon Friedrich drei Jahre und Diezmann anderthalb Jahre alt war, und ward dann samt dem Knecht und den beiden Frauen von dem Gange am heutigen Ritterhause, das ist in der Vorderburg, wo des Kommandanten Wohnung ist, aus einem Fenster in dunkler Nacht die hohe steile Mauer hinabgelassen, und mußten den schroffen Felsenberg hinabklimmen und entwandern. Da gingen sie durch die Nacht und den grauenden Morgen südwestwärts durch die weiten Wälder, bis auf die Burg Krainberg bei Salzungen, die gehörte auch den Herren von Frankenstein, war aber jetzt halb dem Abte von Hersfeld, und dessen Burgmann nahm sie gastlich auf und ließ sie dann gen Fulda geleiten zu dem Abt; der empfing als der Kaiserin Erzkanzellar die Tochter seines Kaisers mit allen Ehren und geleitete sie gen Frankfurt in ein Frauenkloster, darin sie schon im nächsten Jahre vor Kummer und Herzeleid starb.

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