478. Das Alp als Flaumfeder

In dem Stadtflecken Ruhla, in dessen Nähe vor alters der eiserne Thüringer Landgraf hart geschmiedet wurde, gibt es Sagen von Bergschätzen und allerlei Geistern, guten und bösen, vollauf. Jäger spuken, Pfarrer spuken, Jungfern spuken, Hexen, Mönche, Kroaten spuken, es spukt eine Gans und endlich sogar ein Esel, der Bieresel genannt, der sich den spät vom Biere heimkehrenden Männern aufhockt, sie auch wohl umhalst, wie das römische Gespenst Empusa in Eselgestalt die Reisenden. Da ist denn bei so vielerlei Geister- und Hexenspuk auch das Alp zu Hause, das die Schlummernden nächtlich quält, ähnlich dem oder der Mahr in den Sagen des Niederlands. Dagegen gibt es aber ein probates Mittel. Der Gequälte muß nämlich, sofern er es vermag, rasch aufstehen und das Schlüsselloch zustopfen, denn durch dieses geht das Alp aus und ein. Solches Kunststück wußte einmal einer und probierte es, und siehe, da ward das Alp sichtbar und saß auf seinem Bette, hatte einen weißen Schleier und war ein wohlgetanes Frauenbild. Das war dem Rühler gar nicht uneben, er behielt die Schöne bei sich und lebte mit ihr als einer Frau. Sie war auch still und gefügig, aber sie lachte nie und bat ihn stets, das Schlüsselloch zu öffnen, denn nur durch dieses und nicht durch offne Türen und Fenster kann das Alp wieder entweichen, daher auch Goethe im Faust den Mephistophiles sagen läßt:

‚S ist ein Gesetz der Geister und Gespenster:
Wo sie hereingeschlüpft, da müssen sie hinaus.

Einstmals aber, da die stille Frau ihre Bitten wiederholte, dachte er: Hm, du willst doch sehen, wo das hinaus will, sie geht ja doch nicht durch das Schlüsselloch, und wenn sie fort will, kannst du sie ja halten – ließ sich aber gegen sie nichts merken und räumte unversehens die Verstopfung des Schlüssellochs hinweg. Da wurde das Frauchen kleiner und immer kleiner und endlich gar zu einer Flaumfeder, und da haschte er nach ihr, aber das Wehen seiner Hand trieb sie hinweg, und husch, flog und zog sie durch das Schlüsselloch und war dagewesen.

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