573. Der blaue Dunst

573. Der blaue Dunst

Die Stadt Gera im Vogtlande und ihre Umgegend ist voll von Sagen aus der Pestzeit. Eine Menge Ortschaften wurden von der Pest ergriffen, und die Einwohner starben nur so hin, da hat sich allerlei ereignet, das noch sagenhaft fortlebt.

Zu Gera kamen zwei fremde Gesellen in ein Haus, darinnen schon etliche Personen an der Pest gestorben waren, und zechten miteinander. Da sah der eine einen seltsam blauen Rauch, wie ein dünner Nebel, in einem Winkel ganz sachte aufsteigen, stieß seinen Kameraden an, und da sah der den blauen Dunst auch, und sahen beide, wie derselbe sich in eine Klunze in der Wand sachte hinein verschlich. Da schnitzte geschwind der erste Geselle zur Kurzweil einen Pflock, schlug den in die Klunze und verkeilte sie damit, und als die Gesellen ihre Zeche bezahlt, zogen sie weiter. Nachderhand ist niemand mehr an der Pest gestorben. Nun geschah es ein paar Jahre später, daß der eine Geselle zufällig wieder nach Gera kam, da niemand mehr an die schlimme Sache dachte, und war in derselben Wirtsstube und sahe von ohngefähr seinen damals eingeschlagenen Pflock, daß der noch an dem vorigen Ort stak; lachte daher und sprach zu den andern Zechgesellen: Schaut! Vor ein paar Jahren hab‘ ich dahinein einen blauen Vogel gesperrt, wollen doch sehen, ob er noch darinnen ist. Zog alsobald den Pflock heraus, da quoll gleich hinterm Pflock her der blaue Dunst, und das war die Pest, die befiel gleich einige Leute im Haus, und breitete sich in der ganzen Stadt aus, und raffte noch weit mehr Leute hin denn das erstemal.

Ähnlich ging es in Mora bei Ranis; alldort war die Pest auch in einen Balken verkeilt. Ein Knabe schlug aus Mutwillen den Keil heraus, da zog sie als ein blauer Dunst über Häuser und Höfe und übers Feld, nahm die Richtung nach Böhmersdorf und Zeulenroda und ergriff die Ortschaften, so daß viele Menschen ihr erlagen. In Zadelsdorf starb alles, und der Zeulenroder Totengräber begrub das ganze Dorf; auf einmal fand er eine alte Jungfer unter den Toten, die lebte noch und sperrte sich; da sagte er: Ei was, da könnte jeder kommen und sagen, ich lebe noch – und wollte sie durchaus mit in die Grube werfen, sie entfloh ihm aber glücklich und machte sich auf den Zeizberg bei Gera, das ist der bekannte Berg, den die alten Jungfern mit Stecknadeln umgraben müssen und in Fingerhüten wegtragen. Und wenn sie dann gestorben sind, so werden sie zu Unken, sitzen im Sumpfteich und singen:

Unk, unk, unk,
Vor Zeiten war ich jungk.
Hätt‘ ich einen Mann genommen,
Wär‘ ich nicht in’n Sumpf gekommen;
Unk, unk, unk,
Wär‘ ich noch einmal jungk! –

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574. Der lange Mann in Hof

574. Der lange Mann in Hof

Zu Hof ist eine Gasse, heißt die Marktgasse, in selbiger hat sich ein großer, schwarzer, langer Mann sehen lassen, der reichte mit seinem Kopf hoch über die Häuser, und seine Beine sperrte er so breit auseinander, wie die Gasse war. Eine Frau des Namens Walburg Widmännin mußte abends durch die Gasse gehen, sah ihn und wußte nicht, sollte sie durch seine Beine hindurchlaufen oder zurückweichen. Endlich faßte sie sich ein Herz, schlug ein Kreuz und schritt in Gottes Namen mitten in der Gasse unter des langen Mannes Beinen hindurch. Kaum war sie durch, so klappte der lange Mann seine Beine zusammen, daß es krachte, und ward ein Gerassel und Geprassel, als prassele die ganze Marktgasse über den Haufen. Und darauf hat sich die große Pest angehoben und hat in der Marktgasse zuerst angefangen und sich durch das ganze Vogtland verbreitet. – In der schönen Bergkirche über Schleiz ist noch ein steinern Denkmal eines Pestmannes zu sehen, der brachte die Pest nach Schleiz, daß die Stadt fast ausstarb.

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565. Tripstrill

565. Tripstrill

Es ist eine gemeine Scherzrede im Vogtlande und dem angrenzenden Thüringen und Sachsen, daß auf die neugierige Frage, wohin man gehe, wenn nicht für nötig befunden wird, dem Frager die Wahrheit zu berichten, man antwortet: Nach Tripstrill! Dieser Scherz haftet am Städtlein Triptis, und hat es damit folgende Bewandtnis. Drei Schlösser oder Burgfesten soll es einst in der Gegend, wo jetzt die Stadt Triptis liegt, gegeben haben – die eine auf dem großen Hocker, die andere da, wo jetzt das Schloßgebäude steht, und die dritte da, wo jetzt der Friedhof befindlich; diese drei Burgen nannte man das Trio oder Drillo, und wurde daraus der Scherzname Trips-Trill gebildet.

Bei Triptis ist eine Quelle befindlich, die heutzutage den nicht schönen Namen die Pfütze führt, und man sagt von ihr scherzhaft: Die Pfütze hängt über die Weide. Vor alten Zeiten war dort ein angenehmes, schattenreiches Plätzchen. Eine uralte und große Weide stand dort, übergrünte Quelle und Rasen und hatte eine starke Wurzel unter dem Wasser hingetrieben, die man in der klaren Flut sah und immer noch sieht. Es war dieselbe Quelle, in welcher die schöne Gräfin von Groitzsch vorahnend das Bild ihres künftigen Gemahls erblickte. Doch die Weide starb ab, und nur die Wurzel blieb; weil nun über ihr das Wasser steht, bildete sich das Scherzwort im Volke aus: Die Pfütze hängt über die Weide.

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566. Pumphut

566. Pumphut

In der Gegend um Pausa trieb sich vor langen Zeiten ein koboldähnlicher Bursche herum, aus dem die Leute gar nicht recht klug werden konnten, wußten nicht, ob er ein Mensch sei oder ein Hinzelmann; immer jedoch erschien er als ein Mühlknappe und wurde wegen eines eigentümlich geformten Hütleins, das er zu tragen pflegte, von alt und jung der Pumphut genannt. Er war ungeheuer fleißig, hielt es aber in keiner Mühle lange aus, indem er es durch neckische oder täppische Streiche immer dahin brachte, daß man ihm Feierabend gab. Er konnte, das sagten alle, die ihn kannten, mehr als Brot essen und hatte schon manchen, der an ihn wollte, garstig ablausen lassen, meist aber trieb er harmlosen Schabernack, wenn man ihn ruhig gewähren ließ. So saß einst in einem Bauernhause zu Wallengrün die Familie, groß und klein, beim Mittagsmahle am Tische, umschwärmt von einer ungeheuern Schar von Fliegen, als sich die Türe austat und der Pumphut hereinsah. Er wurde freundlich willkommen geheißen und zur Teilnahme am Essen eingeladen, was er sich nicht zweimal bieten ließ, sondern rasch dabei war. Gleich, als ihm die gastliche Bäuerin den schweren Kloß auf den Teller gelegt hatte, ereignete sich ein Spaß, denn wie Pumphut besagten Kloß zerteilen wollte, zeigte der Kloß sich von solcher Härte, daß er unter dem Messer Pumphuts hinwegschlüpfte, wie eine Kanonenkugel durch die Stubentüre schlug, durch die dieser gegenüber befindliche Stalltüre ebenso fuhr und sich auf das Horn eines scheckigen Ochsen spießte. Alle sperrten vor Verwunderung Maul und Nasen auf, Pumphut aber nahm sich ruhig einen Kloß nach dem andern und verzehrte ihn mit großem Wohlbehagen. Da ihn nun die Fliegen bei dieser angenehmen Arbeit aufs äußerste belästigten, so brummte er über deren große Menge gegen seine Wirte und riet, daß man doch das Ungeziefer zur Türe hinausjagen solle. – Ja, wenn sie sich hinausjagen ließen und draußen blieben, ward ihm erwidert, was hilft denn aber das Hinausjagen? – Nun, entgegnete Pumphut, so solltet ihr sie doch nur so lange an einem besondern Platz bleiben lassen, bis das liebe Essen verzehrt ist, daß man Ruhe hätte vor den zudringlichen Bestien. – Alles lachte, und der Hausvater sagte: Tue Er das doch, Pumphut, bringe Er doch die Fliegen auf einen Platz, Er ist ja ein Hexenmeister! – Der Pumphut fletschte, legte sein Hütlein auf eine besondere Stelle, gebot den Fliegen, sich hineinzubegeben, und zum Erstaunen aller schwärmten alle Fliegen wie ein Bienenschwarm in den Hut, so daß er voll und übervoll wurde und sie über den Rand noch wimmelnd aufeinanderkrochen. Pumphut aber wischte sich den etwas großen und breiten Mund, bedankte sich sein, nahm den Hut samt den Fliegen, trug sie zur Türe hinaus und schüttelte sie draußen in die Milchtöpfe, indem er laut lachend von bannen ging.

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567. Pumphut als Mühlarzt

567. Pumphut als Mühlarzt

Pumphut ging, als echter Mühlknappe, wenn es ihm in einer Mühle nicht mehr gefiel, dem Wasser nach. Da kam er zu einer Mühle, die Burkhardsmühle genannt, wo er eine ziemliche Zahl Leute versammelt fand, denn es war ein neues Mühlrad erbaut, das sollte feierlich gehoben werden nach Müllerbrauch. Des freute sich Pumphut, denn daß es bei solchen Gelegenheiten nicht vollauf zu essen und zu trinken gegeben, wäre gegen alles Herkommen gewesen. Auf gastlichen Empfang ganz sicher rechnend, trat der wandernde Klapperbursch kecklich in die Stube, sprach seinen Handwerksgruß und Spruch und blinzre nach den großen Kuchen hin und den Würsten, und was sonst zum Schmause bereits aufgeschüsselt war und vor Augen stand. Der Meister aber, der Pumphut nicht kannte, sonst hätte er wohl anders getan, ließ diesem ein Stückchen Brot reichen und ein Gläschen Branntwein einschenken, wie er das zu tun gewöhnt war, wenn fechtende Klapperbursche das Handwerk grüßten. Der Pumphut aß sein Brot, leerte sein Gläschen und fragte den Meister, was vor sei, daß er so viele Leute bei sich habe. – Das Rad wird gehoben, sagte der Müller kurz, und: So! sagte der Pumphut noch kürzer und ging aus der Stube ohne großen Dank. Nun ward die Arbeit des Radhebens begonnen, aber wer beschreibt des Müllers Schreck und Ärger, als sich fand, daß die Welle viel zu kurz war und die Zapfen nicht bis dahin reichten, wohin sie doch reichen mußten. Der Müller und der Zimmermann und der Schmied schwuren zu dritt Stein und Bein, daß vorher alles genau abgemessen worden sei und richtig gepaßt habe, und nun erschien die ganze Arbeit vergebens. Da fiel einem der Gäste ein, daß der fremde Knappe am Ende der Pumphut möge gewesen sein, der geheimnisvolle Hexenmeister, der aus Ärger, daß man ihn so karg abgespeist, dem Müller solchen Schabernack spiele. Man stimmte bei, und einige liefen fort, wo möglich den Pumphut einzuholen und zurückzubringen. Bald sahen sie ihn auch ganz langsam seines Wegs dahinschlendern und riefen ihm mit lauter Stimme zu; wer aber tat, als höre er nicht, war der Pumphut. Nun liefen sie, ihn einzuholen, noch schneller, mußten aber laufen, bis sie schwitzten und außer Odem waren, denn der Pumphut, obschon er ganz langsam ging wie ein erzfauler Gesell, blieb doch von den Nachrennenden in immer gleicher Entfernung. Endlich ließ er sich einholen, hörte die Einladung, zur Mühle zurückzukehren, höhnisch mit an und zeigte keine Lust, Folge zu leisten. Nur vieles anhaltendes Bitten schien ihn zu bewegen, endlich mit umzukehren. In der Mühle ungleich freundlicher wie zuvor begrüßt, führte Pumphut gleich den Beweis, daß er mehr könne als Brot essen, denn er aß nun auch Braten, Schinken, Wurst und Kuchen in erstaunlicher Menge und trank dazu auf eine nicht minder in Erstaunen setzende Weise. Und als das geschehen war, ging er hinaus zum Rade, das erhoben mit seiner kurzen Welle und nicht ausreichendem Zapfen zwischen dem Gestelle stand, und kletterte nun auf das Brett, nahm sein Hütlein ab, klopfte damit an die eine Seite des Gestells, dann an die andere, da rückten die Seiten ganz sanft der Welle näher und nahmen den Zapfen auf. Alles jubelte Beifall, und der Pumphut ging seines Weges, ohne ein Wort zu sagen.

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568. Rungele

568. Rungele

Im Monat September 1654 trug sich zu Schleiz eine wunderliche Geschichte zu. In eines Schusters Haus am Markte, der Hans Frank hieß, war, wie die Sage geht, ein Gespenst in die Stube gehext worden, welches ein ganzes Vierteljahr alle Tage von abends sechs Uhr an bis neun Uhr sein Wesen trieb und mit allerhand Sachen die Kinder und das Gesinde warf. Wenn die Magd nach dem Abendessen in der Stube aufwusch, zog es ihr den Hader aus dem Scheuerstutz und warf ihr wohl dann den nassen Lappen ins Gesicht. Als das Gerücht davon laut wurde, kamen jeden Abend Nachbarn und andere Leute in das Haus, um zuzusehen, und auch diese wurden geworfen, so daß mancher nicht wiederkam. Bei Tage versteckte es Messer und Löffel, daß, wenn die Leute zu Mittag essen wollten, sie weder Löffel noch Messer fanden. Des Schusters Tochter nannte das Gespenst Rungele und rief: Rungele, bring mir doch mein Messer und Löffel wieder! – da wurden die Messer bei hellem Tage auf den Tisch geworfen, daß sie in die Höhe sprangen. Als der Schuster ein Speckschwein schlachten ließ und die Würste in die Stube aus Stroh gebracht wurden, nahm Rungele eine Weißwurst und legte diese dem Fleischhauer gleich einer Krause um den Hals. Uber dem Essen warf es eine Handvoll Zwiebeln in die Suppe, daß diese rundum aus der Schüssel spritzte. Dem Schuster zog es das Geld aus der Tasche und warf es dann, wenn die Kinder Milch aßen, in diese hinein, daß die Kleinen das Geld mit Löffeln aus der Milch fischten, wie manche Klugnieser die Weisheit. Einstmals waren die Kinder allein zu Hause, und abends, als es dunkel wurde und sie miteinander in der Stube spielten, da erschien plötzlich das Rungele in Gestalt eines kleinen Kindes mit einem weißen Hemde und bloßer Brust, die blutig war, und lief auf einer Stange herum. Als es das Mädchen erblickte, fing dieses an zu schreien, und die Kinder liefen ängstlich hierhin und dorthin und suchten ihre Nachbarn und Eltern. Als diese und andere Leute nun kamen, schickten sie das Mädchen, welches das Rungele jederzeit gerufen, allein in die Stube, um zu sehen, ob das Kind noch vorhanden, welches das Mädchen auch hinter dem Ofen stehend fand. Das fragte: Was willst du, Kindlein? – Da antwortete die Erscheinung: Du kannst mir doch nicht helfen! – Auf das Geheiß einer Frau, welche vor der Stubentüre stand, mußte das Mädchen noch mancherlei fragen und erhielt allezeit Antwort. Endlich, als das Mädchen sagen mußte: Gehe hin, Kindlein, in deine Ruhe und komme nicht wieder! – da wich es zwar aus der Stube, allein es hielt sich immer noch eine ziemliche Zeit im Hause auf und hat, wenn die Kinder zu Bette gegangen, diese geklitscht, gerauft, bei der Nase gezogen, ja bisweilen sogar Maulschellen ausgeteilt, es kam auch vor des Schusters Bette und wiegte das kleine Kind in der Wiege so stark, daß diese hinten und vorne aufsprang. Es zog die Schlüssel von den Gesperren ab, nahm die Bratwürste, legte diese auf einen Rost und briet sie im Ofen und verzehrte sie auch, wobei es die Schalen im Ofenloch liegen ließ. Wollte der Schuhmacher zu Markte gehen, dann nahm es ihm die Schuhe von der Stange und schleifte hin und wieder etliche Male ganze Häute zusehends hinweg. Endlich geriet das böse Gespenst in einen Kuhstall, wo es etlichemal die Treppe, die vom Heuboden hinab in den Stall führte, abhob und vor die Stalltür legte, darnach löste es die Kühe ab und jagte sie im Stall herum, daß der Schaum auf ihnen stand. Als es nun darüber ein paarmal verstört wurde, ist es endlich gar ausgewichen. Es hat sich aber hernach in andern Häusern sehen lassen, wo es großen Schaden getan. Einem Tuchmacher hat es die Werfte, die dieser trocknen wollte, mehrmals entzweigeschnitten, an einem andern Orte hat es Kuhkot in die Milch geworfen und die Milchmagd mit Steinen aus dem Stalle getrieben.

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56. Thassilo in Lorsch

56. Thassilo in Lorsch

Es geschah, daß Kaiser Karl der Große zu streiten kam mit Thassilo, dem mannlichen Bayerherzog, der sein ganz naher Verwandter war, und da er großes Unrecht durch Anreizung der Widersacher Karls verübt, so übte Karl eine erschreckliche Rache und ließ ihm eine entsetzliche Strafe zuteil werden. Karl ließ den Agilolfinger Thassilo blenden, welches dadurch geschah, daß jener gezwungen ward, auf einen seinen Augen nahegebrachten, im Feuer glühend gemachten Schild zu sehen, bis ihm das Licht der Augen dunkel ward und gar verging. Sein langes Haar ward vor dem Thron ihm abgeschnitten und er zum Mönch geschoren, dann sollte er nach des Kaisers Gebot eingetan werden als Mönch in ein Kloster, damit er büße und bete all sein Leben lang. Darauf nach langen Jahren begab es sich, daß einstmals Kaiser Karl gen Lauresheim, das ist Lorsch, das Kloster, kam, und hatte den Herzog Thassilo längst vergessen, und sich gedrungen fühlte, zur Nachtzeit im Münster dort zu weilen und zu beten, da nahm er mit Staunen wahr, wie ein Mönch durch den Kreuzgang unsichern Trittes wandelte, welcher blind war, ihm zur Seite aber ein lichtumflossener Bote Gottes ging, der ihn leitete. Des Greises Züge kamen dem Kaiser bekannt vor, doch konnte er sich dessen Namens nicht entsinnen. Und der Mönch ward von Altar zu Altar geleitet und betete an jedem und schritt dann mit seinem überirdischen Führer still zurück. Darauf hat der Kaiser am andern Morgen den Abt des Klosters Lorsch zu sich entboten und hat ihn gefragt, welchen Mönch er im Kloster habe, dem ein Engel diene. Der Abt erstaunte und wußte nichts zu sagen, folgte aber des Kaiser Gebot, in nächster Nacht mit ihm des Mönchs wieder zu harren. Da geschah es ganz so wie in der vorigen Nacht, daß der blinde Mönch wieder kam und der Engel ihn geleitete. Und der Kaiser, gefolgt von dem Abt, ging, als der Mönch gebetet hatte, dem Mönch und dessen Führer nach, und trafen den Mönch allein in seiner Zelle. Der Abt kannte den Mönch aber nur unter seinem Klosternamen und wußte nichts weiter von ihm. Nun sprach der Abt ihn an, zu sagen, was er vordem in dem weltlichen Leben gewesen, und nichts zu verhehlen und zu verschweigen, denn sein Herr und Kaiser sei es, der vor ihm stehe. Da sank der blinde Mönch zu des Kaisers Füßen nieder und sprach: O Herr! Viel habe ich gegen dich gesündigt, und meine Buße währet für und für. Thassilo war ich vordem geheißen. – Da hub ihn der Kaiser gnädiglich auf und sprach: Schwer hast du gebüßt, und härter, als mir lieb, all deine Schuld sei dir vergeben. Da küßte der blinde Greis des Kaisers Hand und sank zur Erde und verschied. Im Kloster Lorsch ruht sein Staub.

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569. Das dienstfertige Licht

569. Das dienstfertige Licht

Bei Schleiz, zwischen Neundorf und Görkwitz, führt der Weg an einem beträchtlichen Sumpfe vorüber, und gefahrvoll war es bei der Nachtzeit, dorthin zu reisen, bevor die jetzige Kunststraße gebaut worden war. Doch ließ sich alldort zun: öftern ein Licht sehen und suchte vor Verirrung und Unglück die Reisenden zu behüten. Einst kam ein Fuhrmann diesen Weg des Nachts und warf an jener sumpfigen Stelle seinen Wagen um. Schon war er im Begriff, nach Neundorf zurückzulaufen, um Hülfe zu holen, weil er bei der großen Dunkelheit sich nicht allein zu helfen wußte, als er eine Laterne gewahrte, die schnell sich näherte. Bald war sie hinter seinem Wagen angekommen. Der Fuhrmann wollte sehen, wer sich ihm so dienstfertig beweise, zu seiner großen Verwunderung sah er aber auch kein menschliches Wesen, sondern nur ein Licht, das in der Luft schwebte und einen hellen Schein um sich verbreitete. Gleichwohl war ihm in seiner bedrängten Lage dieses dienstfertige Licht hochwillkommen, er hub bei dessen hellem Scheine den Wagen auf, richtete sein Fuhrwerk zum Weiterfahren her und begab sich dann zu dem Lichte hinter dem Wagen, sich bei ihm für die geleistete Hülfe bestens zu bedanken. Kaum hatte jedoch der Fuhrmann das Wort Dank ausgesprochen, so rief das seltsamliche Licht mit sanfter, aber hellklingender Stimme:

Hab du Dank für deinen Dank!
Nun bin ich erlöset sonder Wank! –

schwebte mit diesen Worten empor und verschwand in den Wolken.

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570. Der Klapperer

570. Der Klapperer

Auf dem Kirchhofe zu Thierbach ohnweit Pausa war vorzeiten ein Gerippe, dessen Knochen alle noch zusammenhingen. Es stand in einer Mauernische und diente der Dorfjugend teils zum Schreck, teils zum Frevel. Wenn der Wind stark wehte, schlugen die geblichenen Gebeine klappernd zusammen, darum nannte man es den Klapperer. Das Gerippe hatte einst einem reichen Bauernsohn, man sagt, dem Sohne des Schulzen, angehört, der ein armes Mädchen aus dem Dorfe liebte und um ihre Unschuld betrog. Als dies geschah, hatte er ihr zugeschworen: Wenn ich dir untreu werde und dich nicht nehme, soll mein Leib niemals im Grabe ruhen. Aber er durfte dieses Mädchen doch nicht heiraten, und wollte hernach auch nicht, und freite sich eine reiche Frau. Die Arme aber fand doch auch einen Mann, der sie zu Ehren brachte, jener Treulose aber wurde nicht glücklich mit der reichen Frau, vielmehr höchst unglücklich, und da ergab er sich dem Trunke und starb an einem unglücklichen Sturz, den er in der Trunkenheit tat. Er ward begraben, aber der Sarg mit seinem Leibe hatte keine Ruhe in der kühlen Erde, er hob sich empor, und immer sah man ein klein wenig davon aus dem Grabe ragen. Man schüttete frische Erde darauf, es half aber nichts, und der Sarg rückte immer höher. Da hob man ihn endlich heraus und stellte ihn in ein offenes Gewölbe, wo man die Totenbahren zu verwahren pflegte. Allmählich verfiel der Sarg, und das Gerippe wurde frei und allen sichtbar. Darüber gingen aber Jahre hin, und viele wußten schon nicht mehr, wie der geheißen, der einst in diesem Leibe gewandelt, aber die Sage ging, daß er immer noch wandere, rastlos und ruhelos. Da wurde zu Thierbach eine Hochzeit gehalten, auf der viele Junge und Alte waren, und das junge Volk spielte ein Pfänderspiel. Es war schon Mitternacht. Was soll das Pfand tun, das ich in meiner Hand halte? fragte eine Stimme. – Es soll den Klapperer vom Kirchhof hierhergetragen! erscholl die Antwort. Alles lachte, aber fast unbemerkt war der, dem das Pfand gehörte, und der die kecke Dirne liebte, die so frevlen Wunsch ausgesprochen, zum Kirchhof gegangen, hatte sich mit dem Klapperer beladen und kam bald darauf mit seiner Last angeprasselt. Alles schrie auf vor Schreck und Entsetzen, der Bursche aber war stolz auf seine Courage. Mitten in den Lärm der jungen Leute trat ein alter Mann und sprach ernste Worte: Gebt dem Klapperer alle die Hand und bittet ihn um Verzeihung, daß ihr ihn gestört, sonst wird Unglück über euch kommen. Zagend taten die Versammelten, was der Alte gebot, nur ein Mütterlein stand ferne, und Tränen zitterten in ihren Augen. Auch du, auch du mußt bitten! rief der Alte zu. Und sie schritt zitternd heran, faßte die Knochenhand und flüsterte: Verzeihe, wie ich selber dir verzeihe! Es war die Verlassene. Und da lösten sich leise die Knochenbänder, und das Gerippe sank auseinander. Man sammelte und begrub die Knochen, und der Klapperer hatte nun Ruhe.

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571. Tanzende Katzen

571. Tanzende Katzen

Oberhalb Berga, nahe beim Dorfe Pöltschen, hat vorzeiten ein Nonnenkloster gestanden, das hieß Queerfurt; dort soll es nach vieler Einwohner des nahgelegenen Dorfes Pöltschen Aussagen durchaus nicht geheuer sein. Vornehmlich haben dort zum öftern die Hexen in Katzengestalt nächtliche Tänze gehalten. So erzählte ein alter Einwohner und Hauswirt des sonst Lemmerschen, jetzt Geynschen Hauses öfters: Eines Abends sprang meine Katze von außen an das zugemachte Fenster, setzte sich auf den Fensterstock und kratzte. Ich öffnete, gab ihr einen Klitsch mit der Mütze und sagte dabei: Du alte Saumähre warst gestern abends auch mit im Kloster dabei! Mit einem Male war die Katze weg, und die Mütze dazu. Wir suchten draußen unter dem Fenster alles aus, doch die Mütze war und blieb fort, und die Katze kam niemals wieder. Es hatte aber frisch geschneit, und die dunkle Mütze hätte sich leicht finden müssen.

Dasselbe erzählte vordessen ein Bewohner des jetzt Pufeschen Hauses zu Pöltschen: Ich habe oft genug des Nachts im Kloster Queerfurt Katzen tanzen sehen. Einer Nacht ging ich von Berga, wo ich in Geschäften war, nach Hause zurück; da erblickte ich Lichter im alten Kloster, und wie ich näherkam und in mein gegenüberliegendes Haus kam, sah ich drüben viele Katzen tanzen, darunter auch meine eigene. Wie ich ihrer nun andern Tags ansichtig wurde, so rief ich ihr zu: Verfluchtes Aas, du warst nächten auch im Kloster, und ich habe dich tanzen sehen. Da fing das Tier auf einmal an zu pfauchen und zu pfuien, schoß fort und zum Fenster hinaus gerade durch die Scheibe und kam mir nimmermehr wieder vor die Augen.

Zu anderer Zeit sah ein Mann aus Pöltschen vier Katzen im alten Kloster tanzen, und dabei war seine eigene und leuchtete. Wie sie nun andern Tags wiederkam und ganz zerkratzt aussah, fragte er sie: Was hast du gemacht? Ich hab dich gestern wohl gesehen. Du hast geleuchtet, aber deine Sache gut gemacht! Da fuhr die Katze herum, sprang an ihrem Herrn empor, kratzte ihn ins Gesicht und sprang dann mit einem Satz zum Fenster hinaus, auch durch die Tafel. Niemals kam sie wieder.

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