552. Der Futtergupel

552. Der Futtergupel

Auf dem Rittergut zu Misitz bei Neustadt an der Orla zog ein Schafknecht an namens Speck. Dort trieb ein Gupel (Kobold) sein Wesen, fütterte die Schafe des Nachts, und man hörte die Tiere deutlich auf die Kästen und Raufen springen, um das Aufgesteckte zu fressen. Durch ein Fenster hatte der neue Schafknecht zugesehen, wie der kleine Hülfsgeist Heu unter dem Arme herbeischleppte und davon vorlegte, wobei sich die Schafe gar nicht schüchtern zeigten. Ein ganzes Jahr lang war das so fortgegangen; da machte sich Speck aus Neugier einen Bung – ein Nachtlager mit einer Schütte Stroh – auf die Bahre im Stalle, um, wo möglich, dem Gupel seine Fütterungsweise abzulernen. Das war aber ein großer Fehler, denn der Gupel blieb von da ab weg auf immer; die Schafe aber wurden von der Zeit an so dürre, daß die Sonne durch sie hindurchscheinen konnte – und das will doch etwas besagen – setzte Speck bedauernd hinzu, als er die Mär erzählte.

Auch zu Weißbach war einmal im alten Schlosse gar ein treues Futtermännchen von der größten Tätigkeit. Dem nähete endlich eine junge Frau, die in das Schloß geheiratet hatte, ein neues Hemdchen. Da zog das Männchen unter strömenden Tränen ab und klagte, wie jene Hütchen in der Ruhl: Ich muß nun auf und davon, ich habe meinen Lohn – und ward seitdem nicht mehr gesehen.

Ähnliches erlebte ein Schafmeister in der Nähe von Ranis, der sah einmal zufällig im Winter die Fußspur seines hülfreichen Futtermännels und nahm mit Betrübnis wahr, daß selbiges barfuß ging. Eilig nahm er nach Länge und Breite der Fußspur das Maß und ließ dem Männel ein Paar saubere nette Schuh machen, die er hinstellte. Das Futtermännel kam, sah die Schuh, nahm sie, besah sie von oben und von unten, seufzte tief und sprach:

So hab‘ ich deine Schuh,
so hab‘ ich meine Ruh. –

verschwand und ward nimmer wieder gesehen.

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553. Das Baumännchen

553. Das Baumännchen

Da man zu Großkamsdorf zwischen Saalfeld und Ranis, wo die bedeutenden Bergwerke sind, die Kirche baute, ward man ein kleines graues Männchen mit verschrumpfeltem Gesicht gewahr, das keiner kannte, und das gar fleißig mithalf. Bald war es da, bald dort, bald sichtbar, bald unsichtbar, bald trug es Steine, bald rührte es Mörtel, bald kletterte es auf den Gerüsten umher, wo es absonderlich zur Mittagsstunde bemerkt wurde, denn man sah es nie essen oder trinken. Es war da und schwand hinweg, keiner wußte, woher es kam und wohin es ging. Wenn der Werkmeister den Wochenlohn auszahlte, war es nie unter den andern Meistern und Gesellen. Die alten wachten darüber, daß dieses Männchen von den jüngeren Gesellen nicht beleidigt wurde, und flüsterten ihnen heimlich zu: Es ist ein Baumännchen, das dürfen wir beileibe nicht erzürnen, sonst ist’s gefehlt. Und es ging auch der ganze Kirchenbau ohne einen einzigen Unglücksfall trefflich zu Ende, und der Bau war unglaublich schnell fertig geworden. Da nun die Kirche eingeweiht wurde, sah man das Baumännchen bald oben auf der Empore, bald auf dem Orgelchor, bald unter der Kanzel, bis der Segen über das neue Gotteshaus gesprochen wurde. Da schwand es vor aller Augen hinweg und ward niemals wieder gesehen.

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554. Kamsdorfer Berggeister

554. Kamsdorfer Berggeister

In den Kamsdorfer Gruben gibt es Berggeister von mancherlei Art und Gestalt, so auch von gutem und schlimmem Wesen. Sie erscheinen bald als graue Zwerge, führen als solche den Namen Bergmönche und zeigen den Bergleuten reichhaltige Erzgänge an; bald sitzen sie als feurige Riesen auf den Halden des Bergwerkes und warnen die Arbeiter vor dem Anfahren, wenn ihnen ein Unglück zuzustoßen droht. In beider Gestalt beweisen sie sich von Natur gutartig, nur können sie großes Geräusch und Neckereien nicht leiden. Darum vermeidet der Bergmann jedes unnötige Lärmen bei seiner unterirdischen Arbeit, und keiner wagt dort im Dunkeln zu pfeifen oder Fluchworte auszustoßen, wie beides wohl stündlich von ihm ungescheut am hellen Tage geschieht. Den Flucher stürzen sie hinunter in die tiefsten Schachte oder drehen ihm den Hals um, das Gesicht auf dem Rücken. Oft helfen sie auch, in graue Kutten gekleidet, dem Bergmanne, dem sie wohlwollen, bei seiner Arbeit, und alles geht dann wunderbar schnell vonstatten. Ihre Stimme gleicht dem Krähen eines Hahnes. Bisweilen sieht man diese Berggeister in Katzengestalt auf den Erzstufen sitzen, die zu Tage gefördert worden sind, und mit großen feurigen Augen diese Schätze bewachen. In einer dieser Kamsdorfer Gruben hielt sich so ein Bergmönch auf, klein und dick, garstigen Aussehens, mit Augen im Kopfe so groß wie die Käsenäpfe. Dabei ist er aber ganz gutmütig gewesen, hat still vor sich hingelebt und in dem Bergwerke wacker mitgearbeitet. Besonders hat er die armen Bergjungen, wenn sie müde geworden sind, unterstützt und abgelöst; aber gesprochen hat er nie ein Wort dabei. An jedem Morgen hat der anfahrende Junge ihm eine Pfennigsemmel mitbringen und an einen bestimmten Platz legen müssen. Einstmals kommt ein anderer Junge darüber, der dem Bergmönch gern hat einen Schabernack antun wollen, und ißt die Semmel weg. Als später der Kübel in die Höhe gezogen wird und oben anlangt, findet sich der Junge, der die Semmel gegessen hat, darin. Er ist tot gewesen, der Mönch hat ihm den Hals umgedreht und ihn in den Kübel gedrückt, daß ihm Hören, Sehen und Semmelessen auf immer vergangen ist.

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555. Die Bilbzen

555. Die Bilbzen

In dieser Gegend herrscht im Landvolke noch immer der Glaube an dämonische teils, teils menschliche Getreidemäher, auch Bilbsen-, Bilsen- und Binsenschnitter genannt. Die Schilderung von ihnen ist mannigfaltig, manche sollen dreieckte Hütchen tragen. Als elbische Geister erschienen sie oft den Landleuten, wenn sie spät am Abend durch ihre Flur nach Hause gingen. Sie hatten fliegendes Haar und waren meist mit weißer Leinwand bekleidet. Oftmals wälzen sich diese Bilbzen in Gestalt einer mächtig großen Kugel durch die Felder und richten ungeheuren Schaden an. Zur Erntezeit kommen sie bisweilen auch als furchtbare Wirbelwinde und führen das geschnittene Getreide mit sich fort. In beiden Fällen pflegen die Bauern, wenn sie es bemerken, ein Taschenmesser, auf dessen Klinge drei Kreuze eingedrückt sein müssen, der Bilbze entgegenzuwerfen und dabei auszurufen: Da hast du es, Bilbze! Es gibt aber auch, und dies ist allgemeiner Volksglaube, noch heutiges Tages solche Bilsenschnitter, das sind Leute, die an den Tagen Himmelfahrt, Johannis und der heiligen Dreieinigkeit ganz früh hinaus auf die Felder gehen, barfuß, an die große Zehe des rechten Fußes ein kleines sichelförmiges Messer gebunden. Sie schreiten durch die Saaten und schneiden mit dem Messer einen Strich durch dieselben. Zur Zeit der Ernte und des Ausdrusches muß dann der zehnte Teil der Frucht eines solchen Feldes dem Bilsenschnitter zuteil werden. Das Geschäft ist jedoch mit großer Gefahr verbunden. Wird der Bilsenschnitter während seines Tuns von jemand angerufen oder mit einer Flinte über ihn hinweggeschossen, so muß er noch in demselben Jahre sterben. Falls dieser den Ankömmling früher gewahrt und anredet, fällt das Todeslos auf den andern. Die meisten Bauern suchen sich gegen den Verlust, der auf diese Weise ihren Äckern droht, dadurch zu sichern, daß sie das Feld zuerst von außen umackern und besäen, denn in das solchermaßen bestellte Getreide kann kein Binsenschnitter einbrechen. Wird das Getreide gedroschen, das durchschnitten war, so kommt der Bilsenschnitter und gibt gute Worte, daß man ihm irgend etwas aus der Wirtschaft borgen möge, was aber nicht geschehen darf. Zur Rache an dem Bilsenschnitter legt man wohl auch beim Ausdrusch des gezehnteten Getreides einige Reiser von Wacholder mit an. Jeder Schlag mit dem Dreschflegel darauf trifft dann den Bilsenschnitter, bis er zuletzt gelaufen kommt und um alles in der Welt bittet, man möge doch anders wieder zum Dreschen anlegen.

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556. Des Bilsenschnitters Lohn

556. Des Bilsenschnitters Lohn

Ein habsüchtiger Mann, der ein Bilbze war, rüstete sich an einem Johannistage bald nach Mitternacht, um noch vor Sonnenaufgang seinen unheimlichen Gang anzutreten. Aus einem der verborgensten Winkel seines Bodens brachte er ein sorgfältig verstecktes dreieckiges Hütchen und zwei kleine sichelförmige eiserne Instrumente und verwahrte dieselben unter seinem Kittel. Indem er nun den Marsch zu seines Nachbars Kornfelde richtete, vermied er jemand zu begegnen, denn wenn jemand den Bilsenschnitter auf solchem Wege anredet und grüßt, kostet es diesem das Leben. Gierig überblickte er das in Üppigkeit dastehende Getreide und freute sich im voraus, dasselbe durch seine Höllenkunst zur Hälfte in seine Gewalt zu bekommen. Eilig wurde nun das Hütchen aufgesetzt, die Sicheln an die großen Zehen gebunden und, quer durch das Feld schreitend, die Halmen abgesichelt. Schon war er auf seinem Rückwege an die ersten Häuser des Dorfes gekommen und hatte nicht bemerkt, daß er unter die Kuhherde des Gutsbesitzers geraten war. Eiligst schlüpfte er in ein Seitengäßchen, um nicht durch den Morgengruß des Hirten unglücklich zu werden. Aus Verdruß aber tat er im Vorbeigehen es den Kühen an, daß sie blutige Milch gaben. Die Mägde riefen nach dem Abendmelken den Hirten und beklagten das Unglück. Der schlaue Hirte aber ahnte den Zusammenhang, eilte zum klugen Manne, der in einem nahen Waldhause lebte, und erzählte das Ereignis. Dieser hieß nun den Hirten ruhig nach Hause gehen, indem der Täter sich schon selbst anzeigen werde. Und nun tat der kluge Mann durch Künste der Sympathie und Antipathie dem, der die Kühe geschädigt, die Angst an, das heißt nach dem Volksglauben, er machte, daß jener nicht Ruhe noch Rast hatte, bis ihm der Eigentümer des Viehes etwas borgte. Fürchterliche Angst ergriff den Bilsenschnitter, es zog ihn mit aller Gewalt zu dem Gutsbesitzer, er stürzte ohne zu grüßen in dessen Zimmer und bat um Gottes willen, ihm ein Brot zu borgen. Der Gutsherr erstaunte über das ungewöhnliche Verlangen und überlegte, was hier zu tun sei; nun fiel der Bilsenschnitter in der größten Angst aus seine Kniee und flehte, ihm nur ein Stückchen Brot zu leihen. Der Gutsherr erfüllte endlich den Wunsch, und der Bilsenschnitter entfernte sich eiligst. Bald aber traf ihn eine größere Not; sein Nachbar bemerkte nur zu bald, wer ihm den Gang in seinem Kornfelde gemacht. Dieser raffte in großem Ärger eine Handvoll Ähren, welche von dem Bilsenschnitter abgeschnitten waren, auf, band sie zusammen und hing sie in seinen Schornstein, denn das war das kräftigste Gegenmittel gegen den bösen Zauber. Von dem Tage an begann der ruchlose Bilsenschnitter in ein abzehrendes Siechtum zu verfallen, und da der Grundstückbesitzer die Ähren nicht wieder aus der Feueresse tat, so vertrocknete jener gleich den Ähren, wurde eine lebendige Mumie und allen Leuten ein Scheusal, bis er elendiglich dahinstarb. Das war der Lohn seiner verruchten Frevel.

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557. Vogtland

557. Vogtland

Es geht die allgemeine Sage vom Schlosse Voigtsberg bei Ölsnitz, daß der Römerfeldherr Drusus Germanicus dasselbe erbaut habe. An der Wand eines Zimmers in diesem Schlosse, welches später zur Amtsstube diente, stand ein lateinisches Distichon:

Castra locus Drusus hic praetoria nomina monti
Fecit: posteritas servat et ipsa sibi.

Das haben die Alten in diesen Reimen wiedergegeben:

Druse, der edle römisch Voit,
Bauet diesen Berg in Not,
Da er Kriegs in Deutschland pflag,
Voigtsberg heißt es auf diesen Tag.

Weiter wurde noch davon gedichtet:

Vom Voigtsberg das ganz umliegend Land
Ward allenthalben das Voigtland genannt.
Die Burg, die stund viel manche Jahr,
In der Herrn von Plauen Hand ohn Gefahr.

Im Jahre 1356 kam Voigtsberg mit einem guten Teil des Vogtlandes an Friedrich und Wilhelm, die Markgrafen von Meißen.

Auf mehrere kleine Städte des Vogtlandes und des angrenzenden Orlagaues trägt sich das Volk mit einem Spottreim, wie die Altmärker einen ähnlichen haben; derselbe Reim lautet:

Durch Adams Fall ist Tripts verderbt.
Und Auma liegt daneben.
In Weida ist kein Heller Geld,
Und Neustadt kann nichts geben.
In Ziegenrück ist große Not,
In Ranis ist kein Bissen Brot,
Und Pausa ist die Schwester.
Sind das nicht leere Nester? –

Die Sage geht, Pausa liege im Mittelpunkt der Welt. Dahin zu gelangen, fährt man mit der Sächs.-Bayr. Eisenbahn nach Mehltheuer. Von dort geht eine Post nach Schleiz. Wenn zu dieser sich mehr als sechs Personen melden, so heißt es: Die Post nach Schleiz ist voll, aber Sie können noch mit dem andern Wagen nach Pausa fahren. Nun fährt man nach Pausa und sieht dort zu, wie man nach Schleiz gelangt. Das nennt man pausieren.

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543. Frau Welle

543. Frau Welle

Die Hohewart liegt bei Kaulsdorf über Saalfeld und hat den Namen von einem Turme, der daraufstand, und in dem Turme hat eine weise Frau gewohnt, welche die Umwohner zu Rate zogen, diese Rune wurde Frau Welle genannt, und man nennt nach ihr noch das Tal unter der Hohenwart das Valleidatal. Bisweilen hielt sich Frau Welle auch in einer Berghöhle auf, und dort soll sie fort und fort noch als ein Geist erschienen sein, ganz in schneeweißes Linnen gekleidet, mit einem breiten Gürtel aufgeschürzt und mit fliegendem, bis auf die Fersen herabwallendem Haar. Auch sie soll sich in der Nähe, ja selbst im Gefolge des wilden Heeres befunden haben, wo sie aber die Waldmännchen und -weibchen nicht verfolgen half, sondern denselben ihren Schutz gewährte. Die zunächst anwohnenden Bauern sahen sie zuweilen, wann sie spät aus dem Holze heimkehrten, auf einer Anhöhe im Walde, wie sie auf den Ton der Jagdhörner horchte, wenn das wilde Heer auszog. Einstmals – erzählt man – war ein Bauer vorwitzig genug und fragte das am Berge vorüberziehende wilde Heer, ob es etwa der Frau dort etwas von der gemachten Jagdbeute ablassen wolle. Tags darauf fand man diesen Mann auf einem breiten Steine des Valledenberges mit ganz zerstückeltem Leibe liegen. Bisweilen irrte diese Frau auch unter der Gestalt einer fahlen Kuh in den Gebirgsschluchten umher.

Im nahen Loquitzgrunde ist ein Felsberg, der heißt die Trudenkuppe; auch auf ihr geht eine weiße Frau um, deren lange nachschleppende Haare im Winde flattern. Sie trägt ein großes Messer und soll einsame Wanderer in das Dickicht locken und dann auf einem alten mächtigen Opfersteine schlachten.

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544. Die Saalnixen

544. Die Saalnixen

Die Saalnixen

Von den Saalnixen gehen der Sagen viele; der Fluß zieht in mannigfaltiger Krümmung durch weite Länderstrecken von seinem Ursprung auf dem Fichtelgebirge bis zu seiner Einmündung in den Elbstrom in der Nähe von Barby.

Zu Wilhelmsdorf zwischen der Saale und dem Städtchen Ranis hat sich eine Saalnixe zum öftern gezeigt. In der Berggrube bleichte sie ihre Wäsche, die war blütenweiß und rot gerändelt. Ein Bauer, der dort vorüberfuhr, hieb mit seiner dreckigen Mistgeischel ein paarmal darüber hin, daß man garstige Schmitzen sah. Da stand die Nixe plötzlich an seinem Wagen und schalt, er solle das nicht noch einmal tun, sonst wär‘ es aus mit ihm. Murrend fuhr der Knecht davon. Als er das nächstemal wieder an derselben Stelle vorbeikam, lag der Weich wieder dort, aber es war keine Nixe dabei. Da trieb der angeborene Frevelsinn, der manchem im Leibe steckt, den Burschen an, nach Herzenslust auf die blütenweiße Wäsche zu schlagen und sie mit dreckigen Striemen zu zeichnen, und über dieser Frevelübung merkte er gar nicht, daß aus der nahen Berggrube hervor endlos Wasser strömte, bis er es an den Füßen spürte, bis es über die Kniee ihm schwoll, und da er sich nun hinauf auf seinen Wagen vor der mehr und mehr anschwellenden Flut retten wollte, war die Nixe da, riß ihn zurück, tauchte ihn unter und hielt ihn fest, bis ihm der Odem ausging.

Lange Zeit trieb diese Saalnixe zum Zeitvertreib ihr Wesen in der Kosterquelle und den runden Teichen auf der Walperwiese bei Wilhelmsdorf. Einstmals ging ein Mann aus dem Dorfe nach dem schwarzen Holze an der Herthigstelle, sich dort einen Peitschenstecken zu holen. Die Sonne ging gerade auf, als der Wilhelmsdorfer über die Walperwiese schritt. Er sah, wie die Nixe blendendweiße Wäsche an dem Rande der Kosterquelle ausgebreitet hatte zum Trocknen. Daneben saß sie selber und wiegte ihr noch schlafendes Kind. Erschrocken darüber wollte er von der unheimlichen Stelle ausbiegen, doch die Nixe hatte ihn schon gewahrt. Sie fragte nach seinem Anliegen und versprach ihm einen Peitschenstecken, mit dem er gewiß zufrieden sein solle, wenn er unterdes das kleine Nixlein recht schön wiegen wolle. Der Mann wollte die Nixe nicht böse machen und setzte sich bei der Wiege nieder. Unbeholfen stößt er daran und bringt sie nach seiner Weise in starken Schwung. Eines solchen Wiegens ungewohnt, erhub die kleine Nixe wehklagend ihre Stimme. Da schaute die Nixenmutter sich um, dräuete mit der Hand und gebot ihm Schonung für ihr Kind. Der Mann aus Wilhelmsdorf aber wurde dadurch so aus der Fassung gebracht, daß er die Wiege gar umwarf und dann entfloh. Die zurückkehrende Saalnixe schwur dem Fliehenden Rache, und ehe dreimal vierundzwanzig Stunden vergangen waren, lag der Frevler als toter Mann in der Saale.

Einem Manne aus Reitzengeschwend, der besser gewiegt hatte, wurde von der Nixe ein goldner Peitschenstecken verehrt.

Ein anderer traf die Nixe weinend und jammernd an, ihr Kind war gestorben, und sie wußte nicht, was sie damit anfangen sollte; da erbot er sich, es auf seinem Wagen mit ins Dorf zu nehmen und auf den Kirchhof zu begraben. Des war die trauernde Nixe herzlich froh, ließ es geschehen und belohnte reichlich den Mann.

Einmal hatte die Nixe einen jungen Ehemann an sich gelockt, dessen Frau schöpfte Verdacht, ging ihm nach und traf ihn bei der Nixe in zärtlicher Umarmung. Da erhob sie ein entsetzliches Jammergeschrei und raufte sich die Haare aus. Als die Nixe den Schmerz der Frau gewahrte, und wie lieb sie ihren Mann hatte, ließ sie diesen los und sprach: Nimm ihn hin, er sei und bleibe dein, aber er nahe nicht wieder dem Ufer, sonst möchte mich’s reuen und ich mir ihn holen. Und glitt hinweg und verschwand im Strome.

Eine Saalnixe kam auch oft nach Saalfeld in die Stadt in die Fleischbänke; sie hatte große wässerige Augen wie ein Fisch, grüne Zähne und unterm Rock einen triefenden Schweif. In Jena fordern sie jedes Jahr ein Menschenleben als Opfer, desgleichen in Halle, davon ein Scherzreim geht:

Wißt ihr wohl, wo Halle liegt?
Halle liegt im Tale.
Da sind schöne Jungfern drein
und Nixen in der Saale.

Einer hallischen Wehmutter erging es ähnlich wie der zu Preilipp, die ward auch von einem Wassermann unter den Strom geführt, dort von der Kindbetterin vor ihres Mannes, des Nix, Tücken gewarnt und bedeutet, Dosten und Dorant zu erfassen und festzuhalten, diesen Kräutern und denen, welche sie tragen, können weder Nixen noch Kobolde etwas anhaben, so kam auch jene glücklich zurück.

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545. Milch- und Gelddrachen

545. Milch- und Gelddrachen

In der Saalfelder Gegend wie im nachbarlichen Orlagau und im Vogtlande, aber auch in Thüringen und weit nach Franken hinein ist der Glaube an Drachen verbreitet, welche den Teufelsbündnern Reichtum zutragen. Auf gar vielen Orten bezeichnen die Einwohner geradezu die Häuser und nennen die Leute ohne Scheu mit Namen. Die Drachen erscheinen in feuriger Gestalt und werden in gute und arme Drachen unterschieden. Die meisten fallen in Form einer Feuerkugel durch den Schornstein in die Häuser und schütten daselbst ihre Schätze, Milch, Eier und Geld, aus. Man nennt sie die guten Drachen. Bisweilen zieht der Drache aber auch in Gestalt eines langen Wiesebaums durch die Fensterzwickel in die Wohnungen und hinterläßt statt der Reichtümer einen furchtbaren Gestank. Das ist der arme Drache. Wenn der Einzug des guten Drachen gewahrt wird, werden schnell die Milchgefäße gereinigt, und man setzt sie in Küche und Keller, damit der Drache seine Milch darin ausschütten könne. Um ihn anzuziehen, werden die Butterfässer aus Holzarten gefertigt, welche zu heidnischer Zeit für heilig gehalten wurden, Wacholder, Eibisch, Linde. Das Holz wird am heiligen Abende des Weihnachtsfestes geholt und sogleich abgeschält. Butter wird nur am Freitage ausgerührt, nachdem man zu drei verschiedenen Malen Milch in das Butterfaß gegossen hat. Noch jetzt werden häufig in den Kellern eingegrabene Töpfe von eigentümlicher Beschaffenheit gefunden. Sie sind hoch an Form, unten zugespitzt, haben neun Ringe in der Mitte und sind ohne Henkel. Der ursprüngliche Deckel ist an dem Rande abgeschlagen und so inwendig in den Boden des Topfes eingepaßt, und an des Deckels Stelle ist eine Schieferplatte gefügt. Lauter Anstalten, um das Geschäft des Drachen in Vermehrung der Milch zu erleichtern.

Wieder eine andere Art feuriger Drachen sind die, welche die Sage als Schätzehüter insgemein erscheinen und von denen erblickt werden läßt, welche dem Geschäft des Schätzehebens obliegen, das nur zu oft den Hals und das ewige Seelenheil dazu kostet, das sind die Gelddrachen, die auch oft auf zwei Beinen mit Menschengesichtern umgehen.

Nicht weit von dem Dorfe Peisla ohnweit Ranis erhebt sich der Engelsberg, ganz mit Rotbuchen bewachsen. An seinem Fuße zieht sich ein tiefer Graben nach Norden, den man den Poppengraben nennt, und welcher an den Poppenbiel stößt. Auf der östlichen Seite des Berges öffnet sich eine Höhle, die der Sage nach durch den ganzen Berg sich erstrecken soll. Zwei feurige Drachen liegen darin an Ketten und haben einen großen Schatz, der daselbst verborgen ist, zu bewachen. Ein graues Männchen wird nach Jahrhunderten die Stelle andeuten, wo der große Schlüssel liegt, mit welchem der Zugang zum Schatze geöffnet werden kann, indem das Männchen mit einem Stabe einem der großen Steine, die am Wege von Peisla nach Dobian liegen, ein Malzeichen aufdrücken wird.

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546. Von Moosleuten, Holzweibeln und Heimchen

546. Von Moosleuten, Holzweibeln und Heimchen

Es ist schwer, eine sondernde Linie zu ziehen zwischen den verwandtschaftlichen Beziehungen der Elbe, die das Volk so verschieden benennt und kennzeichnet, und könnte einer ein Buch allein über sotanes Völklein schreiben, ungleich reichhaltiger als des Iren T. Knightleys Mythologie der Feen und Elfen. Aus Büchern aber darf es einer nicht lernen wollen, er muß selbst an Orten und Stellen hinhorchen, was die Leute sich auf den Dörfern davon erzählen. Und wie das gespenstige Zwergvölklein sich nicht streng sondern läßt, so lassen sich auch die Sagen von ihm nicht sondern, denn es erscheint bald da, bald dort, bald in dieser, bald in jener Gestalt und Gesellschaft oder auch ganz allein. Aber die Moosleute sind keine Hülfsgeister, die Holzweibel keine Moosleute und die Heimchen sind auch nur wenig von allen diesen, höchstens Hülfsgeister; sie bilden das Gefolge der wilden Bertha, sind aber nicht wild, sondern traulich, wie ihr Name, der traulichste, der in deutscher Zunge klingt und daher auch einem Tiere gegeben ward, das heimlich am heimischen Herde, am Backofen, in der Wärme weilt, und dessen Zirpen der Volksglaube prophetische Bedeutung beilegt. Sie heißen in diesem Lande Heimchen, nicht mit Heinchen oder Heinzchen zu verwechseln. Im Orlagau heißt Perchta die Heimchenkönigin und erscheint umschwärmt von dieser neckischen Elbenschar. Wie anderorts die Zwerge über Flüsse sich schiffen ließen und fortzogen, so bei den Dörfern Kosdorf und Rödern, welche nicht mehr vorhanden sind, im Orlagau die Heimchen. An einigen Orten dieser Gegend heißen sie auch Butzelmännchen, Heimele, Erdmännele und werden gedacht als ganz winzig kleine Erdgeister, welche nur fingerslang sind und in den Mäuselöchern der Häuser wohnen. Gewöhnlich lassen sie sich in den Abendstunden sehen, sind weiß bekleidet, erweisen sich freundlichen Gemütes und führen in Zahl von mehreren Hunderten liebliche Kreiseltänze auf. Sie zeigen den Bewohnern des Hauses Glück oder Unglück im voraus an und hinterlassen zuweilen, wenn man sie sorgsam hegt, köstliche, obschon höchst niedliche Geschenke, welche zur Morgenstunde in goldnen Kästchen vor den Mäuselöchern aufgestellt sich finden.

Im Schnerfert bei Grobengereuth auf dem roten Biel gab es vorzeiten Waldweibchen in Menge. Sie sprangen auf den Heuschobern und den Getreidegarben herum und spielten miteinander wie die Kinder. Wenn Leute dazukamen, die sich bei dem Anblick der Kleinen blöde und furchtsam zeigten, so riefen sie ihnen freundlich zu: Kommt immer her, treibt, was ihr wollt, wir tun euch nichts. Doch benaschten sie die Arbeiter im Schnerfert gern und trugen ihnen wohl halbe und ganze Brote weg.

In der ganzen Gegend um Altengesees herum, die bis heutzutage sehr holzreich ist, standen die Bauern mit den Holzweibeln im freundlichsten Verkehr. Sooft Holz gefällt wurde, waren sie gleich bei der Hand, baten die Holzmacher, daß sie doch, ehe der fallende Baum den Erdboden erreiche, drei Kreuze in den Stock hauen möchten, so daß sie darauf Schutz vor der wilden Jagd finden könnten. Gern taten dies die Leute, und die Waldweibeln halfen den Arbeitern dafür, wo sie wußten und konnten. Gingen die Bauern am Morgen in den Wald, so legten sie ein Stückchen Brot oder einen Kloß für ihre kleinen Gehülfen auf die bekreuzten Stöcke, und diese luden freundlich ein, fleißig Holz zu holen mit den Worten:

War Hulz braucht, kumm,
war arm is, namm.

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